Die Evolution des Verwaltungsvertrags zwischen Staatsverwaltung und Privaten: Der kontrahierende Staat in Deutschland, Frankreich und der Schweiz seit dem 18. Jahrhundert 9783110505504, 9783828205192


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German Pages 420 [492] Year 2010

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Einleitung
I. Emergenz und Verbannung des kontrahierenden Staats im 18. Jahrhundert und im frühen 19. Jahrhundert
II. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten im 19. Jahrhundert zwischen Justizstaat und souveränem Nationalstaat
III. Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Interventionsstaat
IV. Inhaltsübersicht
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Die Evolution des Verwaltungsvertrags zwischen Staatsverwaltung und Privaten: Der kontrahierende Staat in Deutschland, Frankreich und der Schweiz seit dem 18. Jahrhundert
 9783110505504, 9783828205192

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PD Dr. Andreas Abegg Die Evolution des Verwaltungsvertrags zwischen Staatsverwaltung und Privaten

PD Dr. Andreas Abegg

Die Evolution des Verwaltungsvertrags zwischen Staatsverwaltung und Privaten Der kontrahierende Staat in Deutschland, Frankreich und der Schweiz seit dem 18. Jahrhundert

Stämpfli Verlag AG Bern • 2010 „LUCIUS LUCIUS Ä

Stuttgart • 2010

Habilitationsschrift der Universität Freiburg (Schweiz).

Bildnachweis Umschlagseite: Hotchkiss Revolving Cannon 1874, unbekannte Quelle. Die vorliegende Untersuchung sieht im Fall des Conseil d'Etat vom 7. August 1874 in Sachen Hotchkiss, in welchem es um einen Beschaffungsauftrag vor dem Hintergrund des FranzösischDeutschen Krieges ging, einen frühen Zeugen des auf Kooperation angewiesenen Staates und der Einführung des Verwaltungsvertrags ins französische Recht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, der Verbreitung und der Übersetzung. Das Werk oder Teile davon dürfen ausser in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ohne schriftliche Genehmigung des Verlags weder in irgendeiner Form reproduziert (z.B. fotokopiert) noch elektronisch gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© Stämpfli Verlag AG Bern • 2010 © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart • 2010 Gesamtherstellung: Stämpfli Publikationen AG, Bern Printed in Switzerland ISBN 978-3-7272-8750-3 (Stämpfli) • . * / ISBN 978-3-8282-0519-2 (Lucius)

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Vorwort Die vorliegenden Untersuchungen zur Evolution des Verwaltungsvertrags suchen in der Vergangenheit nach den Strukturen eines gesellschaftsadäquaten Rechts für die Zukunft. Der Blickwinkel ist dabei zugleich ein theoretischer und dogmatischer. Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz im Frühjahr 2008 zusammen mit einem weiteren Band zur aktuellen Dogmatik des Verwaltungsvertrags (Zürich 2009) als Habilitationsschrift angenommen. Neuere Literatur wurde noch punktuell eingearbeitet. Prof. Dr. Peter Gauch hat mein Unternehmen, Theorie, Dogmatik und Geschichte zu verknüpfen, stets mit Wohlwollen begleitet. Seine zahlreichen Anregungen, seine Unterstützung in der Abschlussphase und das rasch erstellte Referat waren von grossem Wert. Vielen Dank. Dank schulde ich auch Prof. Peter Hänni und Prof. Thomas Vesting, welche je ein weiterführendes Zweitreferat mit wichtigen Hinweisen in kurzer Zeit erstellten. Die Arbeit wurde durch die Holcim Stiftung Wissen und den Schweizerischen Nationalfonds finanziell unterstützt. Ohne eine derartige Förderung hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Geschrieben wurde die vorliegende Arbeit unter anderem am Center for the Study of Law and Society der University of California, Berkeley. Ich danke Prof. Lauren Edelmann, Prof. Malcom Feeley, Rosann Greenspan und allen anderen Angehörigen des Centers für die warmherzige Aufnahme und die zahlreichen horizonterweiternden Gespräche. Moralisch und fachlich wurde ich von vielen Freunden in zahlreichen Gesprächen unterstützt. Ganz besonderes möchte ich mich bei Maurizio Borghi, Oliver M. Brupbacher, Björn Maag, Roger Müller, Geir Stenseth und Andrea Taormina bedanken. Dieses Buch ist meiner lieben Frau Rahel Strebel und meinem Sohn Linus gewidmet. Sie haben mit viel Verständnis und Unterstützung grossen Anteil an dieser Arbeit genommen. Zürich, im Frühjahr 2010

V

Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis

XXIX

Quellen- und Literaturverzeichnis

XXXI

Einleitung I.

Emergenz und Verbannung des kontrahierenden Staats im 18. Jahrhundert und im frühen 19. Jahrhundert A. B.

E.

13

Die Bestellung zum Staatsdienst im Fokus von Politik und Wissenschaft

13

Wechsel von Eigentum zu Vertrag

18

C. Die moderne Willenstheorie

D.

1

24

1. Aktualisierungen in der philosophischen Willenstheorie

24

2. Der Parteiwille als neuer Referenzpunkt des Vertrags vor dem Hintergrund des entstehenden Marktsystems

27

Verfassung politischer Macht im Übergang zum 19. Jahrhundert

31

1. Einfluss des politischen Kontexts auf Verträge zwischen Staat und Privaten

31

2. Paradigmatische Veränderungen in den politischen Strukturen Frankreichs

32

3. Besonderheiten in Deutschlands Übergang zur politischen Moderne und deren Einfluss auf die kooperierende Verwaltung

57

4. Besonderheiten der Schweiz im Übergang zur politischen Moderne, insbesondere im Zuge der Helvetik, und deren Einfluss auf die kooperierende Verwaltung

61

Variationen der Rechtswissenschaft im Kontext von Souveränitätstheorie und der Entstehung eines Marktsystems

67

1. Beiträge eidgenössischer Juristen

67

2. Naturrechtlich geprägte Variationen zum Verhältnis von Kooperation und herrschaftlichem Zwang

69

VII

3. Verdrängung des Vertrags zwischen Staat und Privaten aus dem Recht

77

4. Ausdifferenzierung der Macht und ihre Positionierung gegenüber den Zentrifugalkräften der modernen Gesellschaft

86

F. Synthese: Aktualisierung der Rechtstheorie und Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht

90

II. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten im 19. Jahrhundert zwischen Justizstaat und souveränem Nationalstaat

95

A. Einleitung: Die rechtliche Verfassung der Verwaltung

95

B. Kritik an der absolutistischen Verwaltung

97

1. Gesellschaft als Multitude 2. Verhältnis von Gerichten und Verwaltung C. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten unter dem Einfluss von Fiskuslehre und Souveränitätstheorie

97 103 108

1. Konstituierung des modernen französischen Verwaltungsstaates

108

2. Aufhebung des deutschen Polizeistaates

121

3. Die siegreiche liberale Revolution in der Schweiz und deren Überführung in den liberalen Bundesstaat von 1848 154 4. Zwischenfazit: Aktualisierungen in der Rechtstheorie

172

D. Konstituierung des Binnenmarktes und der Begriff des Vertrags

183

E. Fazit: Das treibende Paradox des modernen Staats

189

III. Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Interventionsstaat A. Kontextbedingungen des verwaltungsrechtlichen Vertrags

197 197

1. Parallelen und Divergenzen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz 197 2. Emergenz des Interventionsstaates

VIII

198

B. Der Vertrag im Dienste des service public: Die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Frankreich 207 1. Nischen

207

2. Vorleistungen der Rechtswissenschaft

210

3. Die Emergenz einer verwaltungsorientierten Verwaltungsgerichtsbarkeit

216

4. Die Figur des contrat d'administration

236

5. Fazit: Harmonisierung von widersprüchlichen Kontextanforderungen im verwaltungsrechtlichen Vertrag... 267 C. Die langen Schatten des Polizeistaats: Die Debatte um den verwaltungsrechtlichen Vertrag in Deutschland

269

1. Einleitung: Rechtswissenschaft als Leitdiskurs

269

2. Das Scheitern des politischen Liberalismus

273

3. Die juristische Methode

275

4. Emergenz einer apolitischen Verwaltungsgerichtsbarkeit

280

5. Debatte in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft: von der rechtlichen Bewältigung des Polizeistaats zur Konstituierung des Interventionsstaates

291

D. Politisches Primat im schweizerischen Bundesstaat und dessen hemmender Einfluss auf die Emergenz des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

330

1. Späte Konstituierung des Verwaltungsrechts in der Schweiz 330 2. Kontrolle der Verwaltung im jungen Bundesstaat

333

3. Variationen der Lehre im Zeichen der Emanzipation des Verwaltungsrechts

354

4. Rechtsprechung und fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit: von der Fiskustheorie zum Verwaltungsrecht 361 5. Beginnende Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Wechselwirkung zwischen Rechtsprechung und Lehre 375 E. Rückblick und Ausblick: Auswirkungen der Zentrifugalkräfte der Gesellschaft auf das Paradox des modernen Nationalstaats 377

IX

1. Re-Entry des Vertrags ins Verwaltungsrecht und neue Entfaltung des staatlichen Paradoxes

377

2. Durchbruch des verwaltungsrechtlichen Vertrags nach dem Zweiten Weltkrieg 383 3. Legitimationsdefizit von Verwaltungsverträgen

390

4. Lösungsansätze für eine aktualisierte Legitimation des Vertrags zwischen Staat und Privaten

401

IV. Inhaltsübersicht

417

A.

Überblick

417

B.

Vertrag im Kontext von Herrschaftsmobilisierung, Souveränitätstheorie und emergierendem Binnenmarkt

417

C. Das Paradox des modernen Staates und dessen Bearbeitung ... 418

X

D. ... mit Nationalethos und Fiskustheorie

419

E.

419

... mit Vertrag

Inhaltsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

XXXI

Einleitung

1 -

Zwei eigentümliche Beobachtungen als Ausgangspunkt

-

Heutige Strukturen als Resultat vergangener Selektionen.... 3 Ko-Evolution gesellschaftlicher Kommunikationssysteme als Theorierahmen für die Geschichte des Vertrags zwischen Staat und Privaten 3

-

Weiter Beobachtungsrahmen in gesellschaftlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht Bisherige Behandlung des Themas Terminologie: Verwaltungsvertrag als Oberbegriff

I.

Emergenz und Verbannung des kontrahierenden Staats im 18. Jahrhundert und im frühen 19. Jahrhundert A.

B.

Die Bestellung zum Staatsdienst im Fokus von Politik und Wissenschaft - Staatsdienst als Kontaktstelle der selbstbezüglich konstituierten Macht zur Gesellschaft - Absenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten - Zu untersuchende Möglichkeitsbedingungen der Absenz des kontrahierenden Staats Wechsel von Eigentum zu Vertrag - Der Staatsdienst bei Ludwig von Seckendorff (16261692): Emergenz einer neuen Funktion von Herrschaft und die Rolle des Vertrags - Relativierung der Rolle des Vertrags - Mobilisierung der Herrschaft bei Myler von Ehrenbach (1610-1677) und Böhmer (1671-1732) - Wechsel zu Vertrag im 18. Jahrhundert

C. Die moderne Willenstheorie 1. Aktualisierungen in der philosophischen Willenstheorie - Aristotelischer Äquivalenzbegriff

1

8 9 10

13 13 13 15 17 18

18 21 22 23 24 24 24

XI

-

Äquivalenz nach modernen Willenstheorien

2. Der Parteiwille als neuer Referenzpunkt des Vertrags vor dem Hintergrund des entstehenden Marktsystems - Kontextbedingungen der Veränderungen in der Willenstheorie - Von der Wirtschaft der Feudalzeit - ... zur Entstehung des gesellschaftsumfassenden Marktes - Auswirkungen auf die Rechtslehre

25 27 27 27 28 29

Verfassung politischer Macht im Übergang zum 19. Jahrhundert

31

1. Einfluss des politischen Kontexts auf Verträge zwischen Staat und Privaten

31

2. Paradigmatische Veränderungen in den politischen Strukturen Frankreichs

32

a) Ausgangspunkte im Ancien Régime - Gerichte als unabhängige Macht im Ancien Régime - Machtkonsolidierung in der Verwaltung gegenüber Gerichten und Privaten - Verwaltungsrecht als verwaltungsinterne, politische Produktion b) Abschaffung konsensualer Beteiligung an der Herrschaft.. - Kontextbedingungen der modernen Verwaltung - Abschaffung von Privilegien und die Rechtsstellung der Beamten - Max Webers Modell der Abschaffung der Patrimonialherrschaft

32 32 33 35 37 37 38 38

c) Aktualisierungen der Herrschaftslegitimation und ihr Einfluss auf den Vertrag zwischen Staat und Privaten - Souveränitätslehre - Contrat Social - Volkssouveränität - Legitimation als systemeigener Prozess der Politik

41 41 42 43 44

d) Ablösung der Verwaltung vom Einfluss der Gerichte

46

-

Gewaltentrennung im Zuge der französischen Revolution Kompetenzscheidung zwischen Verwaltung und unabhängigen Gerichten Politischer Bias des Institutionenarrangements nach der Revolution

46 48 49

e) Verwaltungsrechtsprechung durch den Conseil d'Etat - Conseil d'Etat als Wahrer der Verwaltungsinteressen - Reformen und (zögerliche) Trennung von der Verwaltung

51 51 52

f ) Gründe für das Fehlen von verwaltungsrechtlichen Verträgen - Bedürfnisse der neuen Macht - Hierarchisierung der Staatstheorie infolge Souveränität und Contrat Social - Fehlende unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit - Nischen der kooperativen Verwaltung

53 54 55 55 56

3. Besonderheiten in Deutschlands Übergang zur politischen Moderne und deren Einfluss auf die kooperierende Verwaltung - Vom Deutschen Reich als Schutzwall für Partikularismen - ... zur Zentralisierung und Konsolidierung souveräner Macht in den Ländern - Abbau von Rechtsschutzgarantien mit der Auflösung des Reiches - Gewaltentrennung von Verwaltung und Justiz - Zurückhaltender Abbau von Privilegien und zögerliche Durchsetzung neuer Legitimationsformen 4. Besonderheiten der Schweiz im Übergang zur politischen Moderne, insbesondere im Zuge der Helvetik, und deren Einfluss auf die kooperierende Verwaltung - Ablösung vom Reich - Französischer Einfluss in der Helvetik: Demokratische Legitimation und Stärkung der Verwaltung - Fehlende Kontextbedingungen für Verwaltungsrecht

57 57 57 58 59 59

61 61 61 64 XIII

E.

Variationen der Rechtswissenschaft im Kontext von Souveränitätstheorie und der Entstehung eines Marktsystems 1. Beiträge eidgenössischer Juristen - Vorbemerkung: (Rechts-) Wissenschaftliche Kontextbedingungen der alten Schweiz 2. Naturrechtlich geprägte Variationen zum Verhältnis von Kooperation und herrschaftlichem Zwang - Positionen der Rechtswissenschaft zwischen Naturrecht und Polizeistaat - Justus Henning Böhmer (1674-1749) - Christian von Wolff( 1679-1754) - Jean-Jaques Burlamaqui (1694-1748) - Johann Michael Seuffert (1765-1829) - Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) und Franz Arnold von der Becke (1754-1832) - Fazit: Ausrichtung des Vertrags auf die moderne Funktion der Verwaltung 3. Verdrängung des Vertrags zwischen Staat und Privaten aus dem Recht - Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720-1771) - Justis Konzeption des Beamtenverhältnisses - Nikolaus Thaddäus Gönner (1764-1827) - Gönners Konzeption des Beamtenverhältnisses - Fazit: Unterschiede zu den naturrechtlichen Konzeptionen 4. Ausdifferenzierung der Macht und ihre Positionierung gegenüber den Zentrifugalkräften der modernen Gesellschaft - Zentrifugalkräfte der modernen Gesellschaft - Grenzen souveräner Macht an den Grenzen des Nationalstaats - Innere Grenzen souveräner Macht und die Notwendigkeit von Kooperationen zwischen Staat und Privaten

F. Synthese: Aktualisierung der Rechtstheorie und Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht XIV

67 67 67 69 69 71 71 72 72 73 75 77 77 79 80 81 83

86 86 86

87 90

-

Abschaffung von Privilegien Verschiebungen in der vertraglichen Willenstheorie und die Entstehung des modernen Privatrechts Ablösung der Herrschaft vom Recht als Ausdifferenzierung moderner Politik Folgerungen für die Trennung in öffentliches Recht und Privatrecht und den Vertrag zwischen Staat und Privaten..

II. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten im 19. Jahrhundert zwischen Justizstaat und souveränem Nationalstaat A.

Einleitung: Die rechtliche Verfassung der Verwaltung - Zwei Evolutionslinien: Stabilisierung von Macht durch Recht und Einschränkung von Macht durch Recht

B. Kritik an der absolutistischen

Verwaltung

1. Gesellschaft als Multitude - Kritik gegen die im Sinne des Absolutismus perfektionierte Verwaltung: Das Beispiel Frankreichs -

90 91 92 93

95 95 95 97 97 97

Multitude und wirtschaftliches Freiheitsbedürfnis 97 Stellung der Verwaltung im wirtschaftsliberalen Kontext.. 98 Kontingenz politischer Programme und deren Legitimation 100 Suche nach neuen Legitimationsmechanismen: Verfassung und Gesetz, Intermediäre, Gerichte 101

2. Verhältnis von Gerichten und Verwaltung - Position der Zivilgerichte gegenüber dem Polizeistaat - Justizstaatliches Modell C. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten unter dem Einfluss von Fiskuslehre und Souveränitätstheorie 1. Konstituierung des modernen französischen Verwaltungsstaates

103 103 106 108 108

a) Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichten 108 - Ausgangspunkt: Befreiung der Verwaltung vom Einfluss der unabhängigen Gerichte 108

XV

-

-

Legitimation durch Gesetzesbindung und die Rolle des Verwaltungsaktes Forderungen nach einer verwaltungsunabhängigen Kontrollinstanz zur Harmonisierung von Politik und Wirtschaft Abgrenzung der Rechtsbereiche nach Kriterien der Verwaltung Gesetzliche statt rechtliche Legitimation

109

110 112 113

b) Emergenz des modernen Verwaltungsrechts: Das Prinzip der Gesetzesbindung in der Praxis des französischen Conseil d'Etat 114 - Recours pour excès de pouvoir: der Fall Landrin (1826).. 114 - Umgang des Conseil d'Etat mit Verträgen 116 c) Analoge Anwendung von Zivilrecht im Verwaltungsrecht - Fehlendes Verwaltungsrecht und fehlende Verwaltungsrechtswissenschaft - Darestes „La justice administrative en France" von 1862 als Wendepunkt - Bedeutung der unabhängigen Gerichtsbarkeit fur die Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht

118

Aufhebung des deutschen Polizeistaates

121

a) Die deutsche Fiskuslehre im Rahmen des justizstaatlichen Modells - Rechtswissenschaft als funktionales Äquivalent zur Verwaltungsgerichtsbarkeit - Gönners Stellung gegenüber der unabhängigen Gerichtsbarkeit - Justizstaatliches Modell - Fiskustheorie und Verwaltungsvertrag bei Zachariä und Bluntschli - Das Beispiel der Konzessionen zur Erstellung neuartiger Infrastrukturen - Einfluss der Theorie des souveränen Nationalstaats nach hegelschem Zuschnitt

118 119 120

121 121 122 123 124 126 127

b) Unterdrückung des Verwaltungsvertrags im Kontext des souveränen Nationalstaats 128

i) Einfluss der Souveränitätslehre auf die Rechtstheorie - Souveräner Nationalstaat und Recht bei Hegel - Hegeische Staatstheorie versus Justizstaatstheorie -

128 128 132

Ziel der Verhinderung von Ämterappropriation 132 Einfluss der hegelschen Staatstheorie auf den kooperierenden Staat 133 Emergenz des Rechtsstaatsgedankens 134 Abwehrbewegungen gegen den Einfluss der Gerichte auf die Verwaltung 136

ii) Emergenz einer Dogmatik der Verbeamtung im deutschen Verwaltungsrecht - Frühe Vertragstheorien: Robert von Mohl (1799-1875) und Friedrich Jakob Schmitthenner (1796-1850) - Theorien des Staatsdienstes als einseitigen Akt des Staats: - ... Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) - ... Clemens Theodor Perthes (1809-1867) - ... Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860) - ... Johann Caspar Bluntschli (1808-1881) - ... Otto von Gierke (1841-1921) - ... Carl Friedrich Wilhelm von Gerber (1823-1891) - ... Otto Mayer (1846-1924) und Georg Jellinek (18511911)

139 139 141 141 142 142 143 145 146 151

3. Die siegreiche liberale Revolution in der Schweiz und deren Überfuhrung in den liberalen Bundesstaat von 1848 154 a) Einfluss der Regeneration auf die Fiskustheorie -

-

-

Möglichkeitsbedingungen des Verwaltungsvertrags: liberale Theorie und fehlender rechtswissenschaftlicher Diskurs Zivilgerichtliche Unabhängigkeit infolge von Verfassungen der Regenerationszeit

154

154 154

Einfluss von Friedrich Ludwig Keller (1799-1860), Wilhelm Snell (1789-1851) und Ignaz P.V. Troxler (1780-1866) 155 Beispiel der Zürcherischen Regenerationsverfassung von 1831 157

XVII

b) Langsame Abkehr von der Fiskuslehre im jungen Bundesstaat 161 - Abkehr von der Fiskuslehre unter Anleitung der Politik ..161 -

Stellung des Bundesgerichts zur Fiskustheorie Entscheidungen zu nichthoheitlichen Beziehungen zwischen Staatsverwaltung und Privaten Entscheidungen zur Konzession Frühe Entscheidungen zum Staatsdienst im Einflussbereich der Fiskustheorie

167

Entscheidungen zum Staatsdienst nach 1900: Ablösung von der Fiskustheorie

169

Entscheidungen zu wohlerworbenen Rechten

171

4. Zwischenfazit: Aktualisierungen in der Rechtstheorie a) Fiskustheorie und Rechtsstaat - Fiskustheorie versus Souveränitätstheorie - Emergenz von Intermediären -

164 165

172 172 172 173

Unabhängige Zivilgerichtsbarkeit als evolutionärer Schritt Doppelte Funktion der Fiskustheorie Re-Emergenz des Verwaltungsvertrags im Privatrecht

b) Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts Legitimationsdefizit im 'Gesetzesstaat'

163

173 175 176

und das 177

-

Unmöglichkeit vertraglicher Kooperation im öffentlichen Recht

177

-

Staatstheorie hegelianischen Zuschnitts Emergenz des modernen Verwaltungsrechts

178 179

-

Legitimationsdefizit des Gesetzesstaats

181

D. Konstituierung des Binnenmarktes und der Begriff des Vertrags - Unverträglichkeit von hoheitlichem Staat und Vertrag - Gleichgeordnetheit der Vertragspartner - Max Webers Modell der Ko-Evolution von Recht, Wirtschaft und Politik

185

E. Fazit: Das treibende Paradox des modernen Staats - Drei praktische Probleme als Ausgangspunkt

189 189

XVIII

183 183 184

-

Strategien zur Entfaltung des Paradoxes: 190 ...Justizstaat 190 ... Nationalethos und Beamtenstand 190 ... vom Gesetzes- zum Rechtsstaat 191 Legitimationsprobleme der kooperierenden Verwaltung.. 192 Theoretisches Modell 195

III. Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Interventionsstaat A.

Kontextbedingungendes

verwaltungsrechtlichen

Vertrags

197 197

1. Parallelen und Divergenzen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz 197 2. Emergenz des Interventionsstaates a) Vergesellschaftung durch Marktwirtschaft - Technischer, wirtschaftlicher und sozialgesellschaftlicher Innovationsschub

198 198 198

-

Politische und rechtliche Kontextbedingungen 199 Wechselseitige Beziehungen von Marktgesellschaft und Interventionsstaat 200

b) -

Die Methode der Intervention Anfange des Interventionsstaats Regulierungsanspruch und Regulierungsmöglichkeiten... Technik der Intervention Komplexitätsbewältigung durch die Verwaltung Max Webers Kritik

B. Der Vertrag im Dienste des service public: Die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Frankreich

202 202 203 204 205 206 207

1. Nischen - Zivilrechtlicher Vertrag und Verwaltungspraxis - Rolle des Conseil d' Etat

207 207 209

2. Vorleistungen der Rechtswissenschaft - Produktion von Variationen durch die Rechtswissenschaft - Louis-Marie de Lahaye vicomte de Cormenin (1788— 1866)

210 210 210

XIX

-

Adolphe Chauveau ( 1802-1869) Rodolphe Dareste (1824-1911) Eugène Perriquet(l833-?)

Die Emergenz einer verwaltungsorientierten Verwaltungsgerichtsbarkeit

213 213 214 216

a) Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit 216 - Veränderungen während der Dritten Republik 216 - Zunehmende Unabhängigkeit des Conseil d'Etat von der Politik 217 - Einführung des Tribunal des conflits 218 - Conseil d'Etat als Wahrer der Interessen der Staatsverwaltung 219 b) -

Ausweitung des recours pour excès de pouvoir Funktion des recours pour excès de pouvoir Détournement de pouvoir Détournement de pouvoir und verwaltungsrechtlicher Vertrag

c) Der Entscheid Blanco - Sachverhalt und Begründung durch das Tribunal des conflits - Umstrittene Bedeutung des Falls d) Asymmetrien in der gerichtlichen Zuständigkeitsabgrenzung - Bestätigung der alten Abgrenzungstheorie im Fall Blanco - Relativierung der Theorie des 'Etat-débiteur' nur in Bezug auf Verantwortlichkeitsrecht - Asymmetrien in der rechtlichen Erfassung von Verantwortlichkeit und Kooperationen - Sich abzeichnende Leitprinzipien der Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags

220 220 221 222 224 224 225 226 226 226 227 229

e) Morphogenese des Verwaltungsrechts 230 - Chapus Kritik an der Theorie des Paradigmenwechsels... 230 - Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. Februar 1903 in Sachen Terrier und die Schlussfolgerungen Romier 231

-

Leon Duguits 'Les transformations du droit public' von 1913 232 Bedeutungsverlust der Abgrenzung nach acte d'autorité 233 ... und Aufbau einer neuen - funktionalen - Differenz.... 233 Bedeutung der neuen funktionalen Differenz fur die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags 234

4. Die Figur des contrat d'administration a) Einleitung: Die Konzession im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit b) Service public als neue Abgrenzung des verwaltungsrechtlichen Vertrags zum zivilrechtlichen Vertrag - Einfuhrung der funktionalen Ausrichtung des Verwaltungsrechts im Fall Blanco - Anwendungen der funktionalen Abgrenzung - Funktionale Abgrenzung und Abgrenzung nach acte d'autorité als zwei parallele Schichten - Anwendung der funktionalen Abgrenzung - ... bei Éduard Laferrière ( 1841-1901 ) - ... bei Henri Berthélemy (1857-1943) - ... bei Gaston Jèze (1869-1953) - ... in der Rechtsprechung des Conseil d'Etat - Grenzen der Ausdehnung des Verwaltungsrechts c) Die Bedeutung der Willensübereinkunft und die Abgrenzung von Vertrag und Verfügung - Zuständigkeit der Verwaltung und Willensübereinkunft als konstituierende Elemente des verwaltungsrechtlichen Vertrags - Das Element der Zuständigkeit - Kompatibilisierung von Willensäusserungen und Souveränitätstheorie - Kompatibilisierung von öffentlichen und privaten Interessen - Einfluss des Rechtsschutzes

236 236

238 238 239 241 242 242 243 244 244 246 248

248 250 251 253 254

XXI

-

Fazit und Ausblick: Willensübereinstimmung als Legitimation des Eintritts in ein Gewaltverhältnis

d) Die Kontinuität des service public - Neues Verhältnis von Recht und Politik - Widerstreitender Einfluss von Gesetz und Willensäusserungen auf den verwaltungsrechtlichen Vertrag

255 256 256

257

e) Gleichheit als politische Forderung an das Recht: Die Rechte Dritter 259 - Konflikt zwischen der Bilateralität des Vertrags und dem politischem Programm der Gleichheit 259 - Lösungsansätze mittels Beamtenhaftung, excès de pouvoir und contrat collectif 260 - Gleichheit in der Ungleichheit 262 f ) Neue Irritationen als Folge der Stabilisierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags: Der Rechtsstatus der Beamten - Irritationen und Asymmetrien - Rechtsstatus der Beamten zum Ende des 19. Jahrhunderts - Zustimmung des Privaten als neue Legitimationsquelle... - Rechtsstellung der Angestellten eines privaten Konzessionärs

263 263 264 265 266

5. Fazit: Harmonisierung von widersprüchlichen Kontextanforderungen im verwaltungsrechtlichen Vertrag... 267 - Nischen, Variationen, Irritationen und Symmetriebrüche. 267 - Morphogenese des Verwaltungsrechts 268 - Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags 269 Die langen Schatten des Polizeistaats: Die Debatte um den verwaltungsrechtlichen Vertrag in Deutschland

269

1. Einleitung: Rechtswissenschaft als Leitdiskurs 269 - Vier Etappen der Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Deutschland 269 - Kontext der frühen Debatte um den verwaltungsrechtlichen Vertrag 270

-

Fragestellung und Untersuchungsgang

271

2. Das Scheitern des politischen Liberalismus 273 - Tradition eines materiell verstandenen Wohlfahrtsstaats.. 273 - Auswirkungen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts 274 3. Die juristische Methode -

-

Weitgehende Ablehnung der funktionalen Methode 278 Funktionale Methode und Verwaltungsgerichtsbarkeit.... 279

4. Emergenz einer apolitischen Verwaltungsgerichtsbarkeit a) Die Frage nach der rechtlichen Verfassung der Verwaltung b) Verwaltungsgerichtsbarkeit als Kompromiss - Vorschläge zu einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung - Einführung der kompromissbehafteten Verwaltungsgerichtsbarkeit - Beispiel des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes von -

275

Komplexitätsreduktion durch Abschottung des Rechts .... 275 Komplexitätsaufbau im isolierten neuen Rechtsbereich des Verwaltungsrechts 275 Fokus des wissenschaftlich konstruierten Verwaltungsrechts auf die Polizei und Unverträglichkeit mit Vertrag 277

1877 Bedeutung für die Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags

c) Die Kritik Kelsens - Strikte Trennung von Rechtsstaat und Verwaltung als Rechtssubjekt - Ablehnung des verwaltungsrechtlichen Vertrags

280 280 281 281 282 284 285 288 288 289

5. Debatte in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft: von der rechtlichen Bewältigung des Polizeistaats zur Konstituierung des Interventionsstaates

291

a) Debatte um die rechtliche Erfassung des Staatsdienstes..

291

b) Der Vertrag der keiner ist: Kooperation als Verwaltungsakt

293 XXIII

c) -

Otto Mayers Beitrag zur Debatte um Kooperationen zwischen Staat und Privaten Vom Polizeistaat zum Rechtsstaat Stellung des verwaltungsrechtlichen Vertrags Konstruktive Anleihen im römischen Recht Einseitig bindende Kraft des Staatswillens Umsetzung in der Dogmatik des Verwaltungsrechts Fazit: Ausrichtung des Verwaltungsrechts auf die Aufhebung des Polizeistaats Der Vertrag als Hingabe in ein Gewaltverhältnis Friedrich Jakob Schmitthenner (1796-1850) Max von Seydel (1846-1901) Edgar Loening ( 1843-1919) Carl Friedrich Wilhelm von Gerber (1823-1891) Paul Laband (1838-1918) Gegenüberstellung der Vertragskonzeption und der Konzeption als Verwaltungsakt

d) Vernachlässigtes Konzessionswesen - Ausrichtung der Gerichte auf die Erfassung der polizeilichen Aspekte der Leistungsverwaltung - Uneinigkeit der Lehre - Historisches Modell der politischen Behandlung moderner Infrastrukturprojekte

293 294 294 295 297 298 299 301 301 302 304 305 306 310 311 311 312 314

e) Debatte infolge des Ersten Weltkrieges und in den Zwanzigerjahren: Rückblick und Ausblick 316 - Situation nach dem Ersten Weltkrieg 316 - Vertrag und Gesetz: umstrittene Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrags 318 - Abgrenzungen der Rechtsnatur und der Rechtsform: Marginalisierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags.... 320 - Lehrstreit um den Begriff der Gleichordnung der Vertragsparteien 322 - Theoretische und empirische Kritik 325 - Funktionale Methode und verwaltungsrechtlicher Vertrag 327

XXIV

D. Politisches Primat im schweizerischen Bundesstaat und dessen hemmender Einfluss auf die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags 330 1. Späte Konstituierung des Verwaltungsrechts in der Schweiz 330 - Fehlender Verwaltungsrechtsdiskurs 330 - Keine Ausdifferenzierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags 333 2. Kontrolle der Verwaltung im jungen Bundesstaat

333

a) Irritationen durch die interventionistische Verwaltung.... 333 b) Politische Kon textbedingungen: Die politisch verfasste Einheit in der Vielzahl - Abneigung gegen eine gerichtliche Kontrolle der Verwaltung - Konzeption des Bundesstaats - Aufbau der Bundesverwaltung und Verhältnis zur gerichtlichen Kontrolle

336 336 337 339

c) -

Funktionale Äquivalente zur Verwaltungsgerichtsbarkeit Politische Beteiligung Gerichtseigene Äquivalente Verfassungsgerichtsbarkeit: Verbot materieller Rechtsverweigerung - Fazit: Funktionale Äquivalente zur Verwaltungsgerichtsbarkeit passen nicht zur vertraglich kooperierenden Verwaltung

340 341 342 345

348

d) Ablösung der Fiskustheorie und Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit - Abbau der Fiskustheorie und daraus folgendes Legitimationsdefizit - Druck auf die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und politische Widerstände.. - Fritz Fleiner (1867-1937): vergeblicher Kampf für die Einführung einer 'wahren' Verwaltungsgerichtsbarkeit... 3. Variationen der Lehre im Zeichen der Emanzipation des Verwaltungsrechts - Fritz Fleiners Anleihen bei Otto Mayer

348 348 350 351 354 354

XXV

-

Zaccaria Giacometti (1893-1970) und Walther Burckhardt (1871-1939) Lehre in den Zwanziger- und Dreissigerjahren Walter Baechis von Fritz Fleiner betreute Dissertation von 1933

4. Rechtsprechung und fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit: von der Fiskustheorie zum Verwaltungsrecht - Konvergenzen und Irritationen zwischen Lehre und Rechtsprechung im Übergang zum 20. Jahrhundert - Rechtsprechung des Bundesgerichts - ... zum Staatsdienst - ... zur Benutzung öffentlicher Anstalten - ... zum Konzessionsverhältnis - ... zum öffentlichrechtlichen Hinterlegungsvertrag - ... zum Vertrag im Rahmen eines drohenden oder laufenden Enteignungsverfahrens - Fazit: Anstösse zur Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags unter Anleitung des Bundesgerichts

355 358 359 361 361 362 362 363 366 371 372

373

5. Beginnende Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Wechselwirkung zwischen Rechtsprechung und Lehre 375 Rückblick und Ausblick: Auswirkungen der Zentrifugalkräfte der Gesellschaft auf das Paradox des modernen Nationalstaats 377 1. Re-Entry des Vertrags ins Verwaltungsrecht und neue Entfaltung des staatlichen Paradoxes - Entfaltung des staatlichen Paradoxes im Polizeistaat - Entfaltung des staatlichen Paradoxes im interventionistischen Wohlfahrtsstaat - ... in Frankreich - ... in Deutschland - ... in der Schweiz - Re-Entry als Folge von Irritationen in Recht und Wissenschaft

377 377 378 379 380 382 382

2. Durchbruch des verwaltungsrechtlichen Vertrags nach dem Zweiten Weltkrieg 383

-

Neue wissenschaftliche und institutionelle Möglichkeitsbedingungen des verwaltungsrechtlichen Vertrags

383

-

Frankreich: Konsolidierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags 384

-

Deutschland: Stärkung des Rechtsstaats und Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags 385 Schweiz: Anstrengungen zur Harmonisierung von Gesetzesbindung und verwaltungsrechtlichem Vertrag.... 387 Politisches Bias des verwaltungsrechtlichen Vertrags 389

-

3. Legitimationsdefizit von Verwaltungsverträgen 390 - Ausrichtung der heutigen Lehre 390 - Einfluss liberaler Theorien nach dem Zweiten Weltkrieg und das wirtschaftliche Bias des privatrechtlichen Verwaltungsvertrags 392 -

Politisches Bias des verwaltungsrechtlichen Vertrags Staat als Kontingenzproblem und die Frage der Legitimation

4. Lösungsansätze für eine aktualisierte Legitimation des Vertrags zwischen Staat und Privaten -

393 398 401

-

Bedarf nach neuen Legitimationsmechanismen für Kooperationen zwischen Staat und Privaten Rechtsstaatliche Legitimationsmechanismen

401 403

-

Demokratische Legitimationsmechanismen Evolutorisch-reflexive Legitimation

408 411

IV. Inhaltsübersicht

417

A.

Überblick

417

B.

Vertrag im Kontext von Herrschaftsmobilisierung, Souveränitätstheorie und emergierendem Binnenmarkt

417

C. Das Paradox des modernen Staates und dessen Bearbeitung ... 418 D.

... mit Nationalethos und Fiskustheorie

419

E.

... mit Vertrag

419

XXVII

Abkürzungsverzeichnis Auf Abkürzungen wird weitgehend verzichtet. Die folgenden weit verbreiteten Abkürzungen werden verwendet: A.

Auflage

AS

Amtliche Sammlung des Bundesrechts der Schweizerischen Eidgenossenschaft

BB1.

Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Bd.

Band

BG

Bundesgesetz

BGE

Bundesgerichtsentscheid, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

BV 1874

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, in Kraft bis 31. Dezember 1999

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, in Kraft seit 1. Januar 2000

E.

Erwägung

Hg.

Herausgeber

lit.

Litera

m. w. H.

mit weiteren Hinweisen

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

OR

Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht)

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch von 1907

XXIX

Quellen- und Literaturverzeichnis Zitierweise: -

Die Literatur wird mit vollem Namen und Publikationsjahr zitiert: z. B. Mayer 1886.

-

Nachdrucke werden mit dem Jahr des ersten Erscheinens sowie dem Publikationsjahr der benutzten Version zitiert (z. B. Baldus de Ubaldis 1400/2004).

-

Wo zur Identifikation nötig, wird das Zitat mit dem Vornamen oder einem Kleinbuchstaben nach dem Publikationsjahr ergänzt: z. B. Achille Mestre 1974 oder Fögen 2002a.

-

Angaben zu weiteren Materialien finden sich in den einzelnen Fussnoten.

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LXX

Einleitung Zwei eigentümliche

Beobachtungen

als

Ausgangspunkt

D i e nachfolgenden Untersuchungen zur Evolution des kontrahierenden Staats g e hen v o n zwei

irritierenden

und zugleich

faszinierenden

Beobachtungen

aus, die -

so die Vermutung - zusammenhängen: -

Jenseits der bekannten Verwaltungsverträge, die üblicherweise den w i s s e n schaftlichen Untersuchungen zugrunde gelegt werden, lässt sich heute die Emergenz

neuartiger

Verträge

zwischen

Staatsverwaltung

und Privaten

beo-

bachten: S o schliesst z u m Beispiel der sogenannt aktivierende Staat 1 mit bestimmten 'Klientengruppen' w i e Sozialhilfeempfangern, renitenten Jugendlichen und Einwanderern zunehmend Verträge über die gesellschaftliche Integration ab. 2 Aber auch in anderen Bereichen nimmt der Staat immer mehr Zuflucht in der Vertragsform, u m seine Regelungsansprüche zu erfüllen: Selbst die zentrale staatliche A u f g a b e , Ruhe und Ordnung herzustellen, wird vermehrt mit

Insbesondere Bernhard Blanke prägte diesen Begriff für ein durch Wissenschaft begründetes politisches Programm, das vom Bürger Mitwirkung fordert, diese aber auch fordert: BANDEMER/BLANKE/HILBERT/SCHMID

1995.

Zum Beispiel nach dem Sozialhilfegesetz des Kantons Freiburg vom 14. November 1991 (831.0.1, in Kraft seit dem 1. Januar 2000) erfolgt die Sozialhilfe unter anderem in der Form eines Vertrags zur sozialen Eingliederung (Art. 4 Abs. 4). In Art. 4a Abs. 2 wird zum Eingliederungsvertrag Folgendes ausgeführt: „Die bedürftige Person muss den Eingliederungsvertrag annehmen, sofern er auf ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten abgestellt ist. Lehnt sie das vorgeschlagene Eingliederungsprojekt ab, kann die materielle Hilfe bis zum Minimum gekürzt werden ..." Zahlreiche analoge Erscheinungsformen in anderen Rechtsgebieten und anderen Orten deuten darauf hin, dass dieser neuartige aktivierende und zugleich sozialgestaltende Vertrag zwischen Staat und Privaten eng mit grösseren gesellschaftlichen Problemstellungen verknüpft sein muss. So kennen auch weitere Kantone den Sozialhilfevertrag, so unter anderem die Kantone Wallis (Art. 11 des Gesetzes über die Eingliederung und die Sozialhilfe vom 29. März 1996, 850.1) und Baselland (§ 18 des Gesetzes über die Sozial-, die Jugend- und die Behindertenhilfe vom 21. Juni 2001, 850). H A R R I S 2005: 952 weist am Beispiel Grossbritanniens darauf hin, dass Schulleitungen zunehmend Verträge mit problematischen Schülern abschliessen, bevor sie befehlsfÖrmige Verfahren einleiten. PÄRLI 2001 kommt das Verdienst zu, bereits früh auf diese Problematik hingewiesen zu haben; im Detail zu diesen neuartigen Verträgen siehe A B E G G 2008.

1

Verwaltungsverträgen angegangen. 3 Heute steht eine wissenschaftliche oder gar dogmatische Bewältigung dieser neuartigen Verwaltungsverträge noch aus. In der Tat liegen diese neuartigen Verträge derart quer zu traditionellen Arrangements und Prinzipien 4 unserer Rechtsordnung, dass sie zumeist gar nicht thematisiert 5 oder aber in ihrer Form oder Gültigkeit bestritten 6 werden. -

Sodann kontrastiert diese irritierende und rechtlich noch kaum bewältigte 7 Explosion v o n neuartigen Verwaltungsverträgen mit der zweiten Beobachtung: dass sich nämlich die Rechtsform des verwaltungsrechtlichen Vertrags z w i s c h e n Staat und Privaten in der S c h w e i z und in Deutschland erst in der z w e i t e n Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzte 8

und dass während

19. Jahrhunderts ganz grundsätzlich

der Staat nicht mit Privaten

der kontrahierende bannt

Staat im Übergang

eines Grossteils

zum 19. Jahrhundert

kontrahierte,

richtiggehend

des ja ver-

wurde?

Angesichts des radikalen Wandels der inneren und äusseren Sicherheitsbedürfnisse und der politisch verordneten 'Staatsaufgabenverwesentlichung' ( G E O R G M Ü L L E R 2005) werden Sicherheitsdienstleistungen und entsprechendes Personal zunehmend mit Vertrag eingekauft. Dass dies auch für die Schweiz gilt, ergibt sich deutlich aus dem Bericht des Bundesrats zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen vom 2. Dezember 2005, Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft 2006 II 623, vor allem 632 f. Zu nennen sind vor allem auf der privatrechtlichen Seite die Willensfreiheit, nach Kant a priori dem Menschen eigen: KANT 1788/1993: 112 (173 der 1. A.). Auf der öffentlichrechtlichen Seite sind die Grundsätze der staatlichen Souveränität und das Prinzip der Gleichbehandlung zu beachten: hierzu bereits prägnant FLEINER 1910. Bislang hat sich die Rechtswissenschaft kaum mit den neuartigen Sozialverträgen befasst. Ausnahmen bilden insbesondere PÄRLI 2 0 0 1 ; 2 0 0 7 , Ä K E R S T R 0 M ANDERSEN 2 0 0 4 und HARRIS 2 0 0 5 . Etwas besser steht es um die wissenschaftliche Bearbeitung der neuartigen Sicherheitsverträge: siehe unter anderen VESTING 1 9 9 8 : 2 8 ; FREEMAN 1 9 9 9 : 1 0 f. und für d i e S c h w e i z KÄLIN/LIENHARD/WYTTENBACH/BALDEGGER 2 0 0 7 .

Diese Position gegenüber neuartigen Erscheinungen des Vertrags zwischen Staat und Privaten hat in der Schweiz lange Tradition: siehe nur FLEINER 1910 und GIACOMETTI 1924: 17. Hierzu nun ABEGG 2009a. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich in Deutschland und in der Schweiz eine generelle Akzeptanz zum subordinationsrechtlichen Vertrag zwischen Staat und Privaten und vor allem eine stabile Dogmatik in Lehre und Gerichtspraxis durch: PETERS 1949: 153 ff.; FORSTHOFF 1958: 249 ff.; STERN 1958 und SALZWEDEL 1958 traten im Wesentlichen für, BULLINGER 1962 eher gegen den verwaltungsrechtlichen Vertrag ein. Letzterer bezog sich aber mit seiner Ablehnung auf spezifische Probleme. In der Schweiz dominieren die anerkennenden Ausführungen von IMBODEN 1958 und ZWAHLEN 1958. Der in dieser Untersuchung nur am Rand behandelte koordinationsrechtliche Vertrag zwischen verschiedenen staatlichen Hoheitsträgern fand dagegen bereits früher breite Anerkennung: siehe zum Beispiel FLEINER 1913: 199 ff. 2

Heutige Strukturen als Resultat vergangener

Selektionen

Als Beobachtungsperspektive (respektive methodischer Rahmen) eignet sich die Evolutionstheorie10 besonders gut, um die genannte Vermutung zu untersuchen die Vermutung, dass die beiden Beobachtung zur zögerlichen rechtlichen Bewältigung zahlreicher neuartiger Verwaltungsverträge und zur langen Absenz der Verwaltungsverträge zusammenhängen. Denn die Evolutionstheorie lehrt uns, dass die in den Strukturen11 des Rechts gespeicherten Informationen das Resultat vergangener Selektionen sind und folglich mehr über die bisherige als über die zukünftige Evolution aussagen. Daher ist davor zu warnen, Rechtsfiguren als unmittelbar funktional zu aktuellen Problemstellungen zu denken.12 Diese Aussage steht in Übereinstimmung mit den Aussagen, die zurzeit vermehrt unter dem Titel der Pfadabhängigkeit diskutiert werden. 13 Die Lehren der Pfadabhängigkeit und der Evolution weisen entsprechend daraufhin, dass die heutigen Problemstellungen mit einem Modell der Evolution verbunden werden müssen, um erstens zu verstehen, wie vergangene Selektionen in einem komplexen gesellschaftlichen Prozess zu den heutigen Problemstellungen gefuhrt haben, und um zweitens aus der verwirrenden Vielfalt von möglichen Variationen jene herauszufiltern, die in der sich rasch wandelnden und stark fragmentierten Gesellschaft das Potenzial haben, sich auf längere Dauer zu stabilisieren. Ko-Evolution gesellschaftlicher Kommunikationssysteme als Theorierahmen für die Geschichte des Vertrags zwischen Staat und Privaten Die angesprochene historische Kontingenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten stellt sich bei einer evolutionstheoretischen Sichtweise14 vor allem als Prozess

Vgl. die Übersicht über die Evolutionstheorie des Rechts in ABEGG 2009b. Strukturen sind Erwartungen, die Kommunikation steuern. Van Valen zeigte für die Biologie, dass Systeme mit längerer Evolutionsgeschichte nicht besser, sondern schlechter an die Umwelt adaptiert sind: VAN VALEN 1973. Tatsächlich sind Rechtskonzepte, ähnlich wie Gene, in einem hohen Grad änderungsresistent. Unter Selektionsdruck werden vor allem Nebenprodukte anderer Adaptionen verwendet (sogenannte exaptation) oder Änderungen im Inhalt bekannter Figuren gemacht (sogenannte bricolage), als dass grundlegende Neuerungen veranlasst würden: DEAKIN 2002: 7 ff., 13 f. und 22; vgl. hierzu auch WATSON 2001: 265, der auf die zentrale Bedeutung der Übernahme fremder Rechtskonzepte hinweist. HATHAWAY 2 0 0 1 .

Auf die Forderung nach Beobachtung der Nachbarwissenschaften hat die Systemtheorie freilich nicht das Monopol. Vgl. hierzu unter vielen STOLLEIS 1989: 147. Mit systemtheoretischer Sicht VESTING 2004b. Allgemein zur Methode der Beobachtung von Nachbarwissenschaften ABEGG 2006a.

3

der Ko-Evolution zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen dar.15 Im Wesentlichen geht es dabei um folgende grossen Linien: -

Zum Ersten lässt sich im Gegenstand des Vertrags zwischen Staat und Privaten die Ko-Evolution zwischen Politik und Recht erkennen. In dieser Ko-Evolution steht auf der einen Seite der Anspruch der Politik zur Debatte, die gesamte Gesellschaft samt dem Recht zu einen und zu allgemeinem Wohlstand zu fuhren. Und auf der anderen Seite geht es um die rechtsstaatliche Bändigung der Verwaltung, erstens zwecks Planungssicherheit als Leistung des Rechts für die moderne Gesellschaft und zweitens als Legitimierung des verwaltungsmässigen Zwangs als Leistung des Rechts für die Politik und für die Gesellschaft im weiteren Sinn.16

-

Zum Zweiten zeigt sich in der Evolution des Vertrags zwischen Staat und Privaten die Ko-Evolution zwischen Recht und jenen Gesellschaftsbereichen, die durch den Vertrag mit dem System der Politik gekoppelt werden. Das Recht sieht sich in Anbetracht der rasch wandelnden Gesellschaft einem verstärkten Druck ausgesetzt, bisherige rechtliche Strukturen dergestalt zu aktualisieren, dass damit eine Ko-Evolution mit einem weiteren Fokus auf die Gesellschaft rechtlich gesichert werden kann.17 Im Zentrum geht es dabei oft die KoEvolution zwischen Politik und Wirtschaft: Hier konfligiert das Bedürfnis und oft die Notwendigkeit, bestimmte staatliche Aufgaben in flexibler Weise der Wirtschaft zu übertragen, mit der von der Wirtschaft eingeforderte Prämisse, im staatlich gesicherten Umfeld des Marktes in wirtschaftlichen Projekten jenen Gewinn erarbeiten zu können, der als neuer Einsatz für zukünftiges Wirtschaften dient. Und in Kurzform: Politisch eingeforderte Flexibilität zur Durchsetzung öffentlicher Policies steht gegen den wirtschaftlichen Anspruch auf Planungssicherheit.

Im Rahmen einer derartigen Beobachtung der Ko-Evolution von Recht und Gesellschaft geht es - wie Marie-Theres Fögen zutreffend bemerkt - darum, „... zu beobachten, welches die Bedingungen der Möglichkeit (Möglichkeitsbedingungen)

Eine entsprechende theoretische aber weitgehend ahistorische Perspektive findet sich bei THOMAS P. MÜLLER 1 9 9 7 .

Vgl. hierzu unter vielen die grundlegende Studie von Nonet, der in der Verrechtlichung der Verwaltung auch einen Prozess zum geschützten Ermessenspielraum der Verwaltung sieht: NONET 1969.

Grundlegend zu dieser Perspektive: TEUBNER 1998. Interessantes Anschauungsmaterial bieten heute gerade die erwähnten Sozialverträge: siehe oben bei Fn. 5: 2.

4

waren, dass Recht so wurde, wie wir es in jeweiligen historischen und gegenwärtigen Situationen vorfinden".18 Zu beachten ist dabei zweierlei: -

Einerseits ist zu beobachten, auf welche Weise das Recht von aussen zu neuen Variationen vor allem am Ort struktureller Kopplungen von Recht und Gesellschaft angestossen wird, zum Beispiel im Gerichtsverfahren, im Verfassungsgebungs- und im Gesetzgebungsprozess oder im wissenschaftlichen Diskurs.19

-

Andererseits ist zu fragen, nach welchen inneren Gesetzmässigkeiten das Kommunikationssystem Recht auf diese Irritationen von aussen reagiert und damit einen komplexen Prozess der Ko-Evolution zwischen Recht und Gesellschaft freisetzt. Insbesondere Grundlagen und Prinzipien im Recht legen gewissermassen als Selektionsraster die Bedingungen der Möglichkeiten fest, anhand welcher neue Kommunikationen in einen bestimmten Teilrechtsbereich eingepasst und mit den entsprechenden Elementen dieses Teilrechtsbereichs verknüpft werden können.20

Die Beschreibung dieser Möglichkeitsbedingungen richtet sich immer auch in die Zukunft, richtet sich an aktuelle Fragestellungen und Beobachtungen. Da diese Möglichkeitsbedingungen ihrerseits, wie erwähnt, nur als Resultat vergangener Selektionen zu begreifen sind,21 muss sich allerdings eine evolutorische Darstel-

18 19

20

21

FÖGEN 2002b: 17. Ausführlich zum Konzept der strukturellen Kopplung m. w. H. AMSTUTZ/ABEGG/KARAVAS 2006: 55 ff. Für eine Übersicht zur Evolutionstheorie siehe ABEGG 2005C und Abegg 2009. Es mag als problematisch erscheinen, das Konzept der strukturellen Kopplung für die Beschreibung einer Zeit zu beanspruchen, in welcher eben erst die Emergenz autopoietischer Systeme zu beobachten ist (und darüber hinaus der Zeitpunkt des Vollzugs derartiger Autonomien überaus umstritten ist). Diesem Vorbehalt ist zu entgegnen, dass sich das methodische Instrumentarium moderner Theorien bereits damit anbietet, dass die Fragestellungen aus heutigen Rechtsproblemen gewonnen werden und sich erst damit die Möglichkeit ergibt, das Vergangene in diesem Sinne 'zukunftsgenchtet' neu zu ergründen. Trotz aller Vorbehalte gegenüber der Beschreibung vormoderner Gesellschaften mit Hilfe einer auf die Moderne fokussierten Theorie: Letztlich muss sich das gewählte Instrumentarium für den gewählten Gegenstand als nützlich erweisen und neue Erkenntnisse erschliessen, wie dies Marie-Theres Fögen für das Römische Recht in eindrücklicher Weise getan hat: FÖGEN 2002b; 2005; 2007; kritisch VESTING 2007: 272. Dieser Prozess kann wie in der biologischen Evolutionstheorie als Morphogene beschrieben werden: Siehe die Zusammenfassung bei JIM SMITH 1996. Leitprinzipien funktionieren als eine Art Leuchttürme, die im Rahmen einer Morphogenese (also der Ausbildung eines neuen Teilbereichs des Systems) die jeweiligen Kommunikationen funktional zuordnen: Hierzu ABEGG 2009b. Zum evolutionstheoretisch gedeuteten Begriff der Kontingenz LUHMANN 1987: 47; zur B e d e u t u n g f ü r die G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t BUSKOTTE 2 0 0 4 : 9 7 ff.

5

lung der Grundlagen des kontrahierenden Staats vor allem ihrer historischen Kontingenz vergewissern. Damit gleicht diese Selbstvergewisserung des Rechts durch Rechtstheorie und Rechtsgeschichte der Form der psychiatrischen Therapie, mit welcher vergangene Möglichkeitsbedingungen einer bestimmten Funktion respektive einer bestimmten Funktionsstörung kommunikativ erforscht werden - mit dem Ziel der Überwindung dieser Funktionsstörung.22 Die Arbeit mit Geschichte heisst immer schon, Erscheinungen auf das zurückzufuhren, was schon da war, ohne allerdings im Zuge von Mutlosigkeit der Versuchung zu erliegen, jegliche Differenzen aufzuheben, die sich als hilfreich zur Modellbildung und damit zum Verständnis von Welt erweisen.23 In diesem Sinne ist auch die Arbeit mit und an Begriffen und Prinzipien zu verstehen: Leitende Konzepte des öffentlichen Rechts ebenso wie des Privatrechts (wie zum Beispiel Souveränität, Rechtsstaat und insbesondere Staat auf der einen Seite sowie Freiheit, Gleichgerichtetheit, Selbstständigkeit und Markt auf der anderen Seite) schaffen derart starke Redundanz, dass sich dahinter alles und nichts verbergen kann. Nichtsdestotrotz muss sich auf Begriffe wie Staat, Freiheit, Souveränität, Markt etc. einlassen, wer verstehen will, welche Funktion diesen insbesondere von Wissenschaft, Politik und Recht verwendeten Begriffen in verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kontexten zukommt. Wissenschaftlich nicht zugängliche Behauptungen wie jene vom (Legitimations-) Schwund des Staats oder gar vom (Legitimations-) Schwund der Legitimation lassen sich somit in wissenschaftlich zugängliche Fragen nach der Kontingenz dieser Begriffe umwandeln, im Sinne von 'A als Legitimation von X' wird ersetzt von respektive umgedeutet zu 'B als Legitimation von X'. Im Zentrum stehen dann funktionale Äquivalente, spezifizierbare Umformungen von Kommunikationsstrukturen im Rahmen evolutorischer Möglichkeitsbedingungen,24 weshalb sich denn auch die nachfolgenden Untersuchungen nicht auf die Beobachtung der Rechtsform 'Vertrag' allein beschränken, sondern bei dessen Absenz nach funktionalen Äquivalenten fragen. Und konkreter: Mit einem Blick

Zur - wiederum - historischen Kontingenz dieser Form siehe F O U C A U L T 1 9 7 3 / 2 0 0 5 . Zur Funktion der Selbstvergewisserung aus systemtheoretischer Sicht L U H M A N N 1 9 8 1 . Diese Beobachtungsperspektive korrespondiert mit einer Suche nach 'genetischen Aspekten', die hierzu aus der Perspektive des eigenen Rechts fremde (oder auch vergangene) Rechtsordnungen befragt. So etwa jüngst aus Sicht einer 'dialektischen Rechtsvergleichung' TSCHENTSCHER 2 0 0 7 . 23

V g l . BLUMENBERG 1966: 5 4 6 ; z u m M o d e l l c h a r a k t e r WIETHÖLTER 1985.

24

V g l . BLUMENBERG 1 9 6 6 : 1 2 .

6

zurück, mit der Konstruktion einer 'histoire de longue durée',25 lässt sich verfolgen, entlang welchen Brüchen und Verschiebungen der Moderne der Vertrag zwischen Staat und Privaten im 18. und im frühen 19. Jahrhundert zu liegen kam und damit zu einem Grenzgänger unserer rechtlichen Kategorien wurde - mit Auswirkungen bis heute. Die vorliegenden Untersuchungen verstehen sich als rechtswissenschaftliche Untersuchungen, die entsprechend die Evolution rechtlicher Kommunikationen ergründen, wie sie sich vor allem aus der rechtswissenschaftlichen Literatur26 und aus einer gewissen Distanz - aus Gerichtsurteilen27 und aus Gesetzen 28 ablesen lassen. Nicht Gegenstand ist dagegen die Verwaltungsgeschichte oder die Geschichte der Verwaltungswissenschaft. 29 Ob die Verwaltung an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit eine Kommunikation als „Vertrag" bezeichnet, mag zwar fur die Geschichte der Staatsverwaltung von Bedeutung sein, aus einer recfevwissenschaftlichen Perspektive ist dies aber nicht von entscheidender Bedeutung. Denn als Recht kann eine Kommunikation nur dann gelten, wenn sie sich über eine gewisse Zeit als Verhaltensanweisung auch dann erhält, wenn punktuell davon abgewichen würde oder wird. 30

26

27

28

29

30

Zu dieser Beobachtungsperspektive der 'histoire de longue durée' grundlegend BRAUDEL 1969/1994; 1997. Desgleichen mit Fokus auf die Geschichte der Verwaltung und des Verwaltungsrechts LEGENDRE 1968: 64 ff. Es ist zu betonen, dass damit Geschichte nicht als kontinuierlicher Fluss von Veränderungen verstanden wird. Die Möglichkeitsbedingungen neuer Selektionen und eigentlicher evolutorischer Sprünge (jumps) werden vielmehr begünstigt durch unerwartete oder gar skandalöse Ereignisse, was sich von Beliebigkeit ebenso wie von Vorbestimmung unterscheidet. Siehe hierzu aus evolutionstheoretischer Sicht GOULD 2002: 745 ff.; aus rechtssoziologischer Sicht LUHMANN 1993a: 243 und die Anwendung bei F Ö G E N 2002b: 16 und 18 f. Damit folgt die vorliegende Untersuchung einer Perspektive, zu welcher vor allem Stolleis ein tragfähiges Fundament gelegt hat: STOLLEIS 1988; 1992. Gerichtsurteile stellen zwar ohne Zweifel rechtliche Kommunikationen dar. Aus Sicht der Evolutionstheorie stellt sich aber die Frage, ob sich die mit dem Gerichtsurteil getroffenen Selektionen auch auf Dauer stabilisieren: vgl. hierzu FÖGEN 2002a. Gesetze sind in einem ersten Moment vor allem als politische Kommunikation zu deuten, die sich unter anderem an das Recht richtet: AMSTUTZ 2003. Eine derartige Untersuchung zur Verwaltungsgeschichte fehlt bis anhin ebenso wie jene zur Verwaltungsrec/ii.vgeschichte. Zu diesem Begriff des Rechts vgl. unter vielen LUHMANN 1993a: 134; LUHMANN 1993b; d e s g l e i c h e n F O R S T M O S E R / V O G T 2 0 0 8 : § 4 I.

7

Weiter Beobachtungsrahmen in gesellschaftlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht Vor dem soeben dargelegten Hintergrund streben die vorliegenden Untersuchungen einen weiten Beobachtungsrahmen in dreifacher Hinsicht an: -

Mit dem Fokus auf die Ko-Evolution gesellschaftlicher Systeme öffnet sich der Blick über die Strukturveränderungen in Rechtsdogmatik und Rechtsprinzipien hinaus. Diese stehen zwar in einer rechtshistorischen und rechtstheoretischen Untersuchung, die sich als Teil des Reflexionsmechanismus des Rechts versteht, weiterhin im Zentrum des Interesses - allerdings im Sinne der Frage, unter welchen Bedingungen die entsprechenden Strukturaktualisierungen möglich wurden. Damit ist neben den Wechselwirkungen zwischen Rechtsprechung, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft auch der weitere gesellschaftliche Kontext, insbesondere jener von Politik und Wirtschaft, mit einzubeziehen. Es wird allerdings keine kontinuierliche Rekonstruktion dieser einzelnen Diskurse angestrebt. Vielmehr sollen jene Leistungen der jeweiligen Diskurse besonders hervorgehoben werden, die zu einer noch heute besonders relevanten Aktualisierung der Strukturen (im Sinne einer Selektion neuer Variation oder einer Bestätigung alter Selektionen in einem veränderten Umfeld) gefuhrt haben.

-

Die vorliegenden Untersuchungen folgen im Ablauf der soeben erwähnten 'histoire de longue durée' 31 und ziehen dabei einen weiten zeitlichen Rahmen. Die Untersuchungen setzen mit dem späten 17. und im 18. Jahrhundert an, als es möglich wurde, mit der Rechtsform des Vertrags Beziehungen zwischen dem in der Neuzeit entstehenden modernen Staat und Privaten zu stabilisieren (Kap. I.A: 13). Und sie enden dort, wo mit der verhaltenen Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags und der Institutionalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert jene Selektionen sichtbar werden, die unsere heutigen Probleme mit dieser Rechtsform massgeblich prägen (Kap. III: 197).

-

Die evolutorische Perspektive zur Verbannung des kontrahierenden Staats lässt sich nicht auf ein Land beschränken. So ist denn das kontinentaleuropäische Recht bis heute von den Ereignissen im revolutionären Frankreich einerseits und von den evolutionären Errungenschaften deutscher Wissenschaften andererseits nachhaltig beeinflusst worden. Die drei Länder Deutschland, Frankreich und Schweiz erlauben es in diesem Kontext, den Einfluss der verschiedenen politischen Entwicklungen auf die Rechtsformen des kooperierenden Staats zu ermessen.

31

8

Oben Fn. 25: 7.

Bisherige Behandlung des Themas Eine Untersuchung zur Evolution des Verwaltungsvertrags in Frankreich, Deutschland und der Schweiz unterliegt der Schwierigkeit, dass sie an zahlreichen bestehenden Forschungen anschliessen muss, diese zugleich den Verwaltungsvertrag aber fast immer nur als Randphänomen zu anderen Themen mittragen. Von jenen Werken, die den Verwaltungsvertrag vertiefter bearbeiten, sind folgende zu Geschichte, zu Theorie und zu Dogmatik zu erwähnen: -

Es ist besonders augenfällig, dass bislang eine wissenschaftliche Schrift zur Evolution respektive Geschichte des Verwaltungsvertrags fehlt. Einzelne kürzere Anlagen zu einer derartigen Geschichte finden sich immerhin bei REHM 1884/1885 und MAYER 1888 zum Deutschland des

19. Jahrhunderts, bei

MITCHELL 1954 im Rechtsvergleich von Frankreich mit den angelsächsischen Ländern, bei IMBODEN 1958 für die Schweiz und jüngst bei PAKEERUT 2000

und BAUER 2008 für die jüngere Dogmatik des Verwaltungsvertrags

in

Deutschland. -

Eine solide theoretische Bearbeitung aus systemtheoretischer Sicht erhielt der Verwaltungsvertrag schweizerischer Ausprägung jüngst von THOMAS P. MÜLLER 1997, wobei in dieser Arbeit leider die zentrale historische Komponente des Verwaltungsvertrags unbearbeitet blieb. Grundlegend sind des Weiteren die höchst unterschiedlichen Untersuchungen zu den leitenden Prinzipien des V e r w a l t u n g s v e r t r a g s v o n MAYER 1 8 8 8 u n d KELSEN 1 9 1 3 .

-

In dogmatischer Hinsicht wurde der Verwaltungsvertrag immer wieder ausfuhrlich bearbeitet. Augenfällig ist dabei das periodische Interesse für diese Rechtsform, das erstmals in Frankreich mit DARESTE 1862 und PERRIQUET 1884 er-

wachte und durch MAYER 1888 nach Deutschland übertragen wurde. Sodann erfuhr der Verwaltungsvertrag zwischen Staat und Privaten im Zuge des Ersten Weltkriegs eine ausführliche Bearbeitung, wobei in Frankreich JEZE 1927-1934 und in Deutschland APELT 1920 und BUDDEBERG 1925 besonders hervorzuhe-

ben sind. In der Schweiz beschäftigten sich vor allem im Gefolge von FLEINER 1 9 1 0 GIACOMETTI 1 9 2 4 , JEDLICKA 1 9 2 8 , BENKÖ 1931 u n d BAECHI 1 9 3 4 m i t

dem Verwaltungsvertrag, denen die eigenständige Position von BURCKHARDT 1924 gegenübersteht. Eine weitere Welle von dogmatischen Werken zum Verwaltungsvertrag erfolgte insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich durch LAUBADERE 1956, in Deutschland durch FORSTHOFF 1956, SALZWEDEL 1958 und STERN 1958, in der Schweiz durch IMBODEN 1958 und

ZWAHLEN 1958. Nach einigen interessanten Untersuchungen in den Achtzigerjahren (unter anderen BRAUN 1983 und MAURER 1989 für Deutschland sowie 9

BRÌJHWILER-FRÉSEY 1984, RHINOW 1985a; b u n d GEORG MÜLLER 1988 für die

Schweiz) scheint jüngst das Interesse am Verwaltungsvertrag wieder erwacht: In Frankreich dominiert die Schrift von RICHER 2006 und in Deutschland sind verschiedenste Dissertationen und Habilitationen zu spezifischen Teilbereichen des Verwaltungsvertrags erschienen. Zudem verdienen die programmatischen Äusserungen von SCHMIDT-ASSMANN 2001 besondere Erwähnung. Auch in der Schweiz sind jüngst einige Aufsätze und Monographien zum Verwaltungsvertrag erschienen, und es sind die entsprechenden Kapitel in Lehrbüchern ausgebaut worden. Besondere Erwähnung verdienen die Monographien von NGUYEN 1998, MOOR 2002, KLEIN 2003 und MÄCHLER 2005, wobei sich letzterer aber weitgehend auf Aspekte der Verwaltungsrechtspflege konzentriert. Die hier angestrebte Reflexion zu Theorie und Geschichte des Verwaltungsvertrags, die sich zugleich an aktuellen Problemstellungen ausrichtet, ist aber bis heute ausgeblieben. Terminologie: Verwaltungsvertrag als Oberbegriff Heute wird die Terminologie zu Verträgen zwischen Staatsverwaltung und Privaten nicht einheitlich verwendet. Zuweilen wird der Terminus des Verwaltungsvertrags gleichgesetzt mit jenem des öffentlichrechtlichen Vertrags.32 Damit fehlt aber ein griffiger Terminus für die privatrechtlichen Verträge zwischen Staatsverwaltung und Privaten. Aus diesem vorab praktischen Grund bietet es sich an, den Terminus Verwaltungsvertrag als Oberbegriff für alle Verträge zwischen Staatsverwaltung und Privaten zu verwenden und zwischen dem privatrechtlichen Verwaltungsvertrag und dem öffentlichrechtlichen Verwaltungsvertrag (oder: verwaltungsrechtlichen Vertrag) zu unterscheiden.33 Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Begriff des Verwaltungsvertrags in Frankreich erst mit Darestes "La justice administrative en France" von 1862 eine vertiefte Behandlung erfuhr34 und sich in Deutschland erst mit Otto Mayers Rezeption des französischen Verwaltungsrechts von 1886 festzusetzen begann ( - was paradoxerweise von Otto Mayer gerade bekämpft wurde).35 Auf die entsprechenden Gründe (respektive Kontextbedingungen), die wieZum Beispiel MAURER 1989: 798: "Man versteht darunter [unter Verwaltungsverträgen] Verträge, die ein verwaltungsrechtliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand haben, die verwaltungsrechtliche Rechte oder Pflichten begründen, ändern oder aufheben. Sie bilden einen Unterfall des weitergehenden öffentlichrechtlichen Vertrages und stehen dem privatrechtlichen Vertrag gegenüber." S o i n s b e s o n d e r e THOMAS P . MÜLLER 1 9 9 7 ; SCHMIDT-ABMANN 2 0 0 1 . DARESTE 1 8 6 2 .

MAYER 1886: 290 ff.; vgl. hierzu die Rezension von LABAND 1887: vor allem 157. Vgl. hierzu BAUER 2008: 1156.

10

derum eng mit den erwähnten Fragestellungen dieser Untersuchung verknüpft sind, wird vertieft zurückzukommen sein.36

Vor allem unten Kap. HI B: 207 und Kap. III.C: 269.

11

I.

Emergenz und Verbannung des kontrahierenden Staats im 18. Jahrhundert und im frühen 19. Jahrhundert

A.

Die Bestellung zum Staatsdienst im Fokus von Politik und Wissenschaft Staatsdienst

als Kontaktstelle

konstituierten

der

Macht zur

Wer die deutsche rechtswissenschaftliche

selbstbezüglich Gesellschaft

Literatur des späten 18. Jahrhunderts und

des frühen 19. Jahrhunderts zur Kooperation zwischen Staat und Privaten sichtet, dem fallt sofort auf, dass sich die Autoren in dieser Hinsicht fast ausschliesslich dem Staatsdienst auseinandergesetzt

mit

1

hatten?

Auch in Frankreich hatten sich die Gemüter primär an diesem Gegenstand erhitzt, wenn auch mit anderer politischer Perspektive und anderer rechtlicher Gewichtung: Dies zeigt sich paradigmatisch in der grossen Aufgabe des modernen

französischen

Staats, die ausgeprägte Käuflichkeit und Vererblichkeit des Beamtenstatus und des Richterpostens in einen „acte de pure administration" zu überfuhren, in welchem Ernennung und Entlassung allein im Ermessen der Regierung standen. Notabene suchte man unter Louis XIV. zunächst den bisherigen Verkauf von Staatseigentum und Ämtern zu einer durch öffentliche Interessen bedingten Pacht umzudeuten. 38 Dieser Fokus auf den Staatsdienst ist nicht ohne Grund. Denn erstens wurden in der Folge neuer staatswissenschaftlicher Errungenschaften und Theorien 39 neuartige ebenso wie bisher von Privaten für den Staat erbrachte Leistungen in einen Staatsapparat integriert, der sich in Frankreich im Zentralstaat, aber auch in Deutschland in den einzelnen Ländern 40 zunehmend konsolidierte und sich hierarchisch organisierte. Und zweitens wurden - eng verflochten mit dem Aufbau einer professionalisierten Verwaltung - die Beziehungen zwischen dem Innen politischer Macht und dem Aussen nun vertikal, von Staat zu Unterworfenen gedacht, ganz im Gegensatz zu einer Kooperation 41 zwischen ebenbürtigen, gleichgerichteten Parteien. 42 Diese

37 38

39 40 41

Zur deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur siehe unten Kap. I.E: 67. Siehe hierzu m. w. H. TOCQUEVILLE 1856: 292 ff.; MOUSNIER 1974: 609 ff., vor allem 630 ff.; zur Käuflichkeit von Ämtern in einer früheren Phase siehe zudem MOUSNIER 1945. Aus rechtlicher Sicht vgl. PERRIQUET 1884: N 487 und 489 ff. mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Conseil d'Etat bis 1849. Die definitive Ausweitung der Perspektive über den Staatsdienst hinaus trat mit DARESTE 1862 und PERRIQUET 1884 ein. Hierzu unten Kap. I.D: 31. SHEEHAN 1 9 9 4 : 3 9 1 f f .

Zum Begriff der Kooperation siehe vor allem unten bei Fn. 357: 87.

13

Tendenz

wurde z u m

Beispiel

bereits im

französischen A n c i e n

Régime

des

18. Jahrhunderts sichtbar, als die Infrastrukturleistungen immer mehr durch Fronarbeit

erbracht

werden

sollten, 4 3

oder

auch

bereits

im

Preussen

der Jahrhundertwende v o m 17. z u m 18. Jahrhundert, als die Pächter v o n Staatsdominien als B e a m t e erfasst wurden und folglich dieses Rechtsverhältnis j e g l i c h e n vertragsrechtlichen Gehalts entleert und der Beurteilung durch unabhängige G e richte entzogen wurde. 4 4 Dabei ist der Zusammenhang zur Konstituierung politischer

einer selbstbezüglichen

Sphäre

Macht zu beachten, die sich zunehmend radikal v o n der übrigen G e s e l l -

schaft abgrenzte und darauf drängte, ihre Rationalität nach eigenen Regeln auszubilden - ohne grosse Rücksicht auf die übrige Gesellschaft i m A l l g e m e i n e n und ohne Koppelung zur Rationalität unabhängiger Gerichte im Besonderen. 4 5 D a allerdings auch ein radikal selbstbezüglich konstituiertes Kommunikationssystem der Macht - w i e in der F o l g e zu erläutern ist - nicht ohne rechtliche Stabilisierung

Für diese massgebliche Strukturveränderung, die das 19. Jahrhundert prägte, können - unter vielen - Bluntschlis Beschreibung der Zuständigkeit des Staats für Gemeindestrassen stehen. Diese waren in der Vergangenheit in aller Regel von Privaten unterhalten worden: „[Der Staat] kann sich auf die Oberaufsicht beschränken und den Gemeinden die nähere Sorge überlassen; aber er wird wohl thun, zu bestimmen und darüber zu wachen, dass diese Sorge in dem Geiste der öffentlichen Wohlfahrt wirklich geübt und nicht der Nachlässigkeit und der Arbeits- und Kostenscheu einzelner Privaten freier Spielraum verstattet werde.": BLUNTSCHLI 1868, II: 430 f. Gedacht wird eine Arbeitsteilung allerdings nicht als vertragsmässige Kooperation: Der Staat könne zwar, so Bluntschli weiter, die Meinung Privater zum Unterhalt von Gemeindestrassen einholen, aber ,,[e]s soll nicht ein Rechtsstreit zwischen Parteien entschieden, sondern das Zweckmässigste von dem freien, alle Verhältnisse überschauenden und zunächst im öffentlichen Interesse würdigenden Standpunkte des Stats aus gefunden und bestimmt werden." Typisch VATTEL 1758: §§ 100-104, der mit Hinweis auf den gesellschaftlichen Nutzen die Pflicht zu Fronarbeit und Zollabgaben mit Naturrecht zu stabilisieren sucht. Dagegen pointiert TOCQUEVILLE 1856: 282 ff.

Siehe hierzu NICOLAI 1802: 209 ff. Zum Ganzen auch SHEEHAN 1994: 405 f. In Frankreich erschien dieses Phänomen eng mit jenem der Zentralisierung verknüpft. Alexis de Tocqueville (1805-1859) schrieb zur Zentralisierung unter dem Ancien Régime: „... un corps unique, et placé au centre du royaume, qui réglemente l'administration publique dans tout le pays; le même ministre dirigeant presque toutes les affaires intérieures; dans chaque province, un seul agent qui en conduit tout le détail; point de corps administratifs secondaires ou des corps qui ne peuvent agir sans qu'on les autorise d'abord à se mouvoir; des tribunaux exceptionnels qui jugent les affaires où l'administration est intéressée et couvrent tous ses agents. Qu'est ceci, sinon la centralisation que nous connaissons?": TOCQUEVILLE 1856: 128; für Deutschland siehe die prägnanten Zusammenfassungen bei STOLLEIS 1 9 8 8 : 4 0 3 f. u n d SHEEHAN 1 9 9 4 : 3 9 1 ff.

14

einerseits und nicht ohne „Menschenmaterial" 46 anderseits auskam, konnte eine Kontaktstelle, die Politik und gesellschaftliche Umwelt verbindet, in den Fokus des Rechts und der entstehenden Rechtswissenschaft gelangen: die Bestellung zum Staatsdienst.47 Absenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten Folgt man der 'histoire de longue durée' 48 des Rechts vom 17. Jahrhundert bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, so ist zu beobachten, wie der Vertrag zwischen Staat und Privaten im Allgemeinen und der Vertrag mit Staatsdienern im Speziellen mit der sich vertiefenden und für den kontinentalen Raum so typischen Trennung von öffentlich und privat respektive öffentlichem Recht und Privatrecht49 zwischen Stuhl und Bank geriet, d. h. weder im einen noch im anderen sich ausdifferenzierenden Rechtsbereich Aufnahme fand. Für Deutschland lässt sich dies anhand der Evolution der Staats- und Rechtstheorien nachvollziehen - insbesondere von Justi über Gönner zu Hegel und zahlreichen anderen Rechtswissenschaftlern des 19. Jahrhunderts.50 Darauf ist zurückzukommen.51 Eine ähnliche Situation, wenn auch in bedeutendem Mass durch die Ereignisse der wechselnden Revolutionen geprägt, zeigt sich in Frankreich, wo mit der relativ strikten Trennung der Gerichte von der Staatsverwaltung zum Ende des 18. Jahrhunderts die kooperativen Handlungen zwischen Verwaltung und Privaten - wie Adolphe Chauveau (1802-1869) in seinem Werk zum Verwaltungsrecht (1841-44) feststellte - jenseits des acte administratif bis in die Mitte des Jahrhunderts keine stabilen Formen mehr fanden.52 Auch hierauf ist vertieft zurückzukommen. 53

47 48

49

So der kritisch gewendete Begriff gegen die Verwaltungsmaschinerie des Polizeistaats: vgl. MAYER 1895/96, I: 38 ff. Der Begriff wurde auch gegen die Wirtschaftsmaschinerie des Kapitalismus verwendet: MARX 1890/1968: 661. Siehe auch bei Fn. 280: 70. Hierzu insbesondere unten Kap. I.D: 31 und Kap. I.E: 67. Zu dieser Beobachtungsperspektive der 'histoire de longue durée' grundlegend BRAUDEL 1969/1994; 1997. Desgleichen mit Fokus auf die Geschichte der Verwaltung und des Verwaltungsrechts LEGENDRE 1968: 64 ff. Es ist zu betonen, dass damit Geschichte nicht als kontinuierlicher Fluss von Veränderungen verstanden wird. Die Möglichkeitsbedingungen neuer Selektionen und eigentlicher evolutorischer Sprünge (Jumps) werden vielmehr begünstigt durch unerwartete oder gar skandalöse Ereignisse, was sich von Beliebigkeit ebenso wie von Vorbestimmung unterscheidet. Siehe hierzu aus evolutionstheoretischer Sicht GOULD 2002: 745 ff.; aus rechtssoziologischer Sicht LUHMANN 1993a: 243 und die Anwendung bei FÖGEN 2002b: 16 und 18 f. Die Trennung datiert Stolleis mit Gustav Hugo (1764-1844) auf die Mitte des 18. Jahrhunderts: STOLLEIS 1 9 9 6 : 5 5 .

50

JUSTI 1 7 6 0 a , II: 4 6 4 f f . ; GÖNNER 1 8 0 8 : 5 6 ; HEGEL 1 8 2 0 / 1 9 7 3 : § 2 6 8 u n d 2 9 4 .

51

Unten Kap. I.E: 67.

52

CHAUVEAU 1 8 4 1 ^ 4 : N 4 1 1 u n d A n m . z u N 4 0 6 - ^ 0 8 .

15

Dass Verträge zwischen Staat und Privaten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Recht richtiggehend verdrängt wurden, zeigt sich primär durch ihre Absenz in der juristischen Lehre und weitgehend auch in der Rechtsprechung,54 Damit soll freilich nicht behauptet werden, diese Verträge hätten überhaupt nicht mehr, in keinem wissenschaftlichen Werk, in keinem Gerichtsentscheid und in keinem der vielen Gesetzbücher, existiert. Wenn aber die zentralen Instanzen der Lehre den Vertrag zwischen Staat und Privaten nicht mehr als Rechtsform auffuhren, so deutet dies darauf hin, dass die entsprechenden Selektionen, als Selektionen der Vergangenheit, unter veränderten Umständen nicht mehr aktualisiert wurden und ihnen somit die weitere Restabilisierung versagt blieb. Das Verschwinden dieser Verträge zwischen Staat und Privaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts steht somit in einem eigentümlichen Gegensatz zu den heute allerorts bahnbrechenden Kooperationen zwischen Staat und Privaten, deren rechtliche Erfassung erstaunlich grosse Mühe bereitet - sei es in Bezug auf die Rechtsstellung des Staatsdienstes,55 sei es in Bezug auf die für die Politik relevanten Leistungen der Wirtschaft 56 oder ganz allgemein in Bezug auf Verträge, mit welchen die Politik den Zugang zu einer Gesellschaft sucht, die sie gestalten will, ohne aber über das notwendige Wissen über eben diese Gesellschaft zu verfugen. 57 Um also diese Verbannung der Verträge zwischen Staat und Privaten zu deuten, sind im Folgenden nicht nur die rechtsdogmatischen Darstellungen der Lehre in jener Zeit der Umbrüche und Revolutionen zu untersuchen, sondern auch die damit 53 54

55

Kap. I.D.2.f): 53. Eine meines Wissens singulare Ausnahme ist V O N M O H L 1831: 188 und 192, N 5, m. w. H. auf die gegenteilige herrschende Meinung seit Gönner. Unten vor allem bei Kap. I.D.2.f): 53 sowie Kap. I.E.3: 77. Jüngst treten hierbei auch der Sicherheitsdienst im Allgemeinen und der Kriegs- und Solddienst im Speziellen in prägnanter Weise wieder in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit, wobei sich - wie bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts - die Frage stellt, in welchem Mass und in welcher Weise dieses Verhältnis rechtlicher Stabilität bedarf: hierzu jüngst pointiert aus Sicht der amerikanischen Reservisten: M U S H E N O / R O S S 2 0 0 8 ; des Weiteren zu diesem Thema BRAYTON 2 0 0 2 ; M I C H A E L S 2 0 0 4 ; F I S K / C A R R E L L 2 0 0 4 ; W H Y T E 2 0 0 5 . Auch etwa in der Schweiz brechen diese Kooperationsformen Bahn: vgl. den Bericht des Bundesrats zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen vom 2. Dezember 2005, Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft 2 0 0 6 II 6 2 3 . Zu diesem Thema jüngst G A M M A 2 0 0 0 ; KALIN/LIENHARD/WYTTENBACH/BALDEGGER 2 0 0 7 .

56

57

16

Auf diese Optik beschränkt sich im Grossen und Ganzen die aktuelle rechtliche Diskussion. Vgl. unter vielen: F R E E M A N 1 9 9 9 ; 2000; 2003; vgl. A B E G G 2006b, m.w.H. Angesprochen sind damit jene neuartigen Verträge im Sozialbereich etwa mit renitenten Jugendlichen in den französischen Vorstätten oder mit Sozialhilfebezügern: vgl. aus rechtlicher Sicht unter anderem Ä K E R S T R O M ANDERSEN 2004; V I N C E N T - J O N E S 2005.

in Wechselwirkung stehenden Elemente in Staats- und Gesellschaftstheorien einerseits und die institutionellen Strukturänderungen andererseits ,58 Für die Evolution des kontinentalen Rechts und dessen Differenz zum angelsächsischen Recht ist hiermit eine spezifische historische Konstellation angesprochen, in welcher sich nicht nur die Ausformung des modernen Rechts und insbesondere die für den Kontinent typische Ausformung der Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht manifestierten, sondern sich in diesen Veränderungen der Rechtsstruktur die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene unabhängige Bereiche und damit die Ko-Evolution dieser einzelnen sich verselbstständigenden Gesellschaftsbereiche spiegelten. Zu untersuchende Möglichkeitsbedingungen Staats

der Absenz des

kontrahierenden

Zuweilen wird insinuiert, die Veränderungen in der Konzeption der Vertragslehre des 19. Jahrhunderts hätten ihren Grund in der wirtschaftlichen Entwicklung hin zur Marktwirtschaft. Und dem wird wiederum entgegengehalten, die zentralen Ursachen und Gründe, die zur modernen Vertragslehre geführt hätten, seien vielmehr ideengeschichtlich inspiriert gewesen.59 Eine evolutionstheoretisch angeleitete Rekonstruktion vermeidet in dieser Situation eine monokausale Sicht mit dem Konzept der Ko-Evolution. In diesem Sinne sind zunächst jene inneren und äusseren Kontextbedingungen zu untersuchen, die die Aktualisierung der untersuchten Rechtsformen antrieben: Das sind zum Ersten die Verschiebungen innerhalb des Rechts vom Eigentum zum Vertrag (nachfolgend Kap. I.B: 18) und zum Zweiten die Veränderungen in der modernen Vertragslehre und dabei insbesondere in der Willenstheorie (nachfolgend Kap. I.C: 24). Zum Dritten sind schliesslich die neuen Institutionen der Macht und ihr Verhältnis zur Gerichtsbarkeit in Bezug zu setzen mit dem Diskurs der Rechtswissenschaft im 18. Jahrhundert zum kontrahierenden Staat (nachfolgend Kap. I.D: 31).

Unten Kap. I.C: 24 sowie I.D: 31. Zu dieser Diskussion siehe unter anderen GORDLEY 1991; 1998; RÜCKERT 2003. 17

B.

Wechsel von Eigentum zu Vertrag Der Staatsdienst bei Ludwig von Seckendorff (1626-1692): Emergenz einer neuen Funktion von Herrschaft und die Rolle des Vertrags

Bis weit ins 18. Jahrhundert wurde der Staatsdienst als Teil jenes Rechtskorpus verstanden, den wir heute als Privatrecht identifizieren. Freilich ist Vorsicht angebracht, wenn das Recht jener Zeit mit den heutigen Kategorien und der Differenz privat versus öffentlich angegangen wird. Charakteristisch für die Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ist gerade, dass sich die Grenzen zwischen privat und öffentlich im Recht ausbildeten, was sich in besonderer Deutlichkeit an der wissenschaftlichen Bearbeitung der Bestellung zum Staatsdienst im deutschen Recht sowie an den institutionellen Verschiebungen der gerichtlichen Zuständigkeit für Kooperationen zwischen Staat und Privaten in Frankreich zeigt.60 Ein Beispiel dafür, wie zu Beginn der sich stetig radikalisierenden Trennung von privat und öffentlich der Staatsdienst begriffen wurde, gibt Ludwig von Seckendorff (1626-1692) in seinem Werk „Teutscher Fürstenstaat" von 1656. Das Werk richtet sich nicht auf die systematische Erfassung von Recht aus, sondern gibt primär Anleitung dazu, wie ein „Staat" zu regieren sei,61 das heisst, wie konkret mit instrumenten eingesetztem Polizeirecht die Ausstände nach den auf dem Kontinent tobenden Religionswirren zu beheben seien und wie auf die als zunehmend komplex wahrgenommenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu reagieren sei.62 Zum Ausdruck kommt in dieser Frage der Befriedung und Einigung der Gesellschaft zugleich der Wechsel in der Leitdarstellung des Herrschers hin zu jener des modernen Staats: vom Richter zum Landesvater.63 Allein mit der traditionellen Rolle des Herrschers als durch Gott legitimierter oberster Richter und mit der Herrschaftsstruktur des Lehensrechts konnten diese Anforderungen nicht bewältigt

60 61

62

63

18

Zum Ganzen vgl. BULLINGER 1962: 175 ff. Kameralismus verstand sich mehr als Administrationspraxis denn als ökonomische Wissenschaft: SMALL 1 9 0 9 . Allerdings wurde der Kameralismus zunehmend an seinen Ergebnissen gemessen. Insofern zeigt sich doch ein Konnex und Übergang zur Wissenschaft, wenn auch mehr der politischen als der ökonomischen Wissenschaft: W A K E F I L E D 2 0 0 5 : 3 1 3 ff. Jüngst ausfuhrlich zu Seckendorff: B A C K H A U S 2 0 0 5 . Stolleis bezeichnet dieses Werk als Beispiel frühabsolutistischer Landesverwaltung, deren Aufgaben quer durch die heute geläufigen Schemata der Gewaltenteilung gingen: STOLLEIS 1988: 352 f. STOLLEIS 1 9 8 8 : 3 6 8 ; zum ganzen Entstehungskontext des modernen Staats siehe H A R D I N G 2 0 0 2 ; siehe zudem illustrativ aus kunsthistorischer Sicht BREDEKAMP 2 0 0 6 .

werden. Denn neben der bisherigen Funktion der Herrschaft als Garant von Gerichtsbarkeit und Justiz ging es nun um zweierlei: -

Erstens sollte zunehmend der von der direkten Legitimation durch Gott abgelöste fürstliche Machtapparat aufgebaut und stabilisiert werden. Notabene kamen also ein eminent mit dem neuen Begriff des Staats verbundenes Recht und - wie sich sogleich zeigen wird - der Vertrag just dann als gesellschafitsverfassende Kräfte ins Spiel, als der Anspruch der Religion, die Gesellschaft in ihren Divergenzen in sich aufzunehmen und zu einigen, nicht nur fehlschlug, sondern sich auch als Quelle gesellschaftlicher Divergenzen erwies - notabene auf dem Kontinent und vor allem in Frankreich, weniger aber in England, das sich aus den Religionswirren weitgehend herauszuhalten wusste.64 Hier zeigt sich denn auch bereits, dass - um die Rolle des Vertrags in Herrschaftsbeziehungen zu verstehen - über den Begriff des Staats hinaus auf die Legitimation von Machtausübung zurückgegriffen werden muss, die mit Bodin eine insbesondere für den Kontinent folgenreiche Aktualisierung erfuhr. 65 Der Begriff der Legitimation ist allerdings ein schwieriger und ähnlich schillernder wie jener des Staats. Die Theorien zur Legitimation konvergieren immerhin in der Regel dahingehend, dass die Legitimität einer obrigkeitlichen Gewalt ein Element des Unverfugbaren in der Ordnung dieser Gewalt enthält.66 Dieses Moment des Unverfugbaren kann, aber muss nicht, in struktureller Kopplung mit dem Recht geleistet werden. Für das Recht, genauer: die Rechtstheorie als Reflexionsmechanismus des Rechts wiederum signalisiert Legitimation einen Stabilisierungsbedarf politischer Kommunikation, wobei allerdings aus einer politischen Beobachtungsperspektive auch Recht insofern der Legitimation bedarf, als es sich auf das Zwangsmonopol des Staats verlässt.

65

66

Grundlegend zur Bewältigung dieser gesellschaftlichen Divergenzen: BODIN 1576. Die Entkoppelung von göttlicher Legitimation und Herrschaftsausübung beginnt letztlich dort, wo dem Monarchen eine durch Ratio angeleitete Souveränität auf Erden übertragen wird. Vgl. FORSTHOFF 1971: 11 ff. Zum angesprochenen Unterschied zu England siehe GRIMM 1987a: 56 f. Zum Legitimationsbegriff in der Neuzeit grundlegend: WEBER 1921-1922/1980: 549; BLUMENBERG 1966. Der Begriff des Staats kann in dieser Perspektive als Selbstbeschreibung des politischen Systems verstanden werden, um die Legitimationsfrage, d. h. die Bewältigung der Kontingenz des Politischen, einer Lösung zuzuführen. Grundlegend HABERMAS 1992. So beschreibt denn bereits Twysden (1597-1672) die lex terra des Kapitels 39 der Magna Carta mit folgenden Worten: „Law of the land [means] nothing else but those immunities the subject halth ever enjoyed as his owne right ... they are allowed him by the law of the land, which the king alone can not at his owne will alter, and therefore can not take them from him ...": Zitiert nach MCILWAIN 1939: 117.

19

-

Zweitens ging es um die Übertragung dieser Aufgabe, die Differenzen der Gesellschaft stillzustellen, auf die Politik; es ging um die Errichtung guter Ordnung und Gesetze durch diesen Machtapparat, um die Gesellschaft zu befrieden und zu allgemeiner Wohlfahrt zu führen. Insofern steht Seckendorff in einer Linie m i t d e n W e r k e n v o n MACHIAVELLI 1 5 3 7 u n d HOBBES 1647. D i e f r ü h n e u z e i t l i -

chen Territorialstaaten sahen aufgrund wachsender Komplexität ihre Aufgabe unter anderem darin, ihr Recht zu vereinheitlichen. Dieses war bislang als Zivilrecht auf römischer Grundlage mit Naturrecht ausformuliert worden, wobei je nach der Dominanz von Gerichtspraxis, Gesetzgeber oder Universitätslehre grosse Unterschiede entstanden. Zumeist ging es ab dem 16. Jahrhundert konkret darum, die auf Kirche, Grundeigentümer etc. zersplitterte Gerichtsbarkeit als einzige Art der Lokalverwaltung unter staatliche Kontrolle zu bringen. Je mehr dies gelang, desto mehr deckten sich die Begriffe von politischer Macht (als Fähigkeit, Gehorsam zu erhalten) und Rechtsmacht in der Souveränität als hoheitliche Gewalt.67 Die von Gott zunehmend abgelöste Machtausübung war nun in dem Sinne legitimiert, als sie sich auf Einheit und Wohlstand der Gesellschaft richtete und folglich nicht einfach als willkürlich erscheinen musste. Damit nahm diese funktionelle Ausrichtung der modernen Politik auf Wohlstand eine Doppelrolle ein: Zugleich grenzte sie die Politik von der Gesellschaft ab und legitimierte die Politik.68 In dieser Ausrichtung der zentralisierten Macht auf die Verwaltung der Gesellschaft kam nun den Beamten und der Verbeamtung eine zentrale Rolle zu, und mit den Formularen, wie sie von Seckendorff für die Verbeamtung aufgestellt wurden, war ein erster mehr praktischer als wissenschaftlich begründeter69 Schritt zur Professionalisierung und Hierarchisierung der Beamtenschaft getan. Entsprechend war etwa der Geheimrat unter Beachtung christlichen Lebens sowie Treue und Gehorsam gegen die Herrschaft sowie auf „furgehende, reifliche Betrachtung seiner Geschicklichkeit und Qualiteten" als Staatsdiener zu bestellen.70 Demgegenüber verpflichte sich der Fürst, „[den Geheimrat in] seinem Ampt und Dienst und dazu erforderten Respect und Ehrenstand gebührlich und mächtig zu schützen und ihn in seinem Beruff

Zum Ganzen siehe das Ko-Evolutionsmodell bei L U H M A N N 1993a: 4 0 7 ff. Zum Verhältnis vor Politik und Religion siehe STOLLEIS 1993: 11. Stolleis fasst die äusserst divergent verlaufenden Evolutionslinien der verschiedenen Staaten dahingegen zusammen, dass generell ab dem 16. Jahrhundert „eine sich immer stärker verweltlichende 'Politik' die 'Religion' zu überwältigen und zu steuern suchte". LUHMANN 2 0 0 2 : 1 2 2 ff.

Soeben bei Fn. 61: 18. SECKENDORFF 1 6 6 5 : 6 5 6 .

20

mit Gnaden und Fürstliche Hulden zu meinen und anzusehen, ... ihn ... von Kosten und Schäden zu entheben, darneben auch jährlich aus unser Fürstl. Rent-Cammers zu 4 Quartalen nachfolgende Besoldung als N.N. reichen zu lassen ,.." 71 Relativierung der Rolle des Vertrags Dieses Zitat von Seckendorff darf allerdings nicht dazu verfuhren, jene Zeit durch die heutige vertragsrechtliche Brille zu sehen. Eine zweifache Relativierung ist in diesem Sinne angezeigt: -

Zum Ersten ging es nicht primär um die Stabilisierung und Legitimierung der Herrschaft durch Recht. Mit der Ablösung der sich auf Lehensrecht berufenden Herrschaft standen als alternative Legitimationsformen - wie sich an der soeben aufgeführten Formel von Seckendorff zeigt - weniger ein neues ius publicum als mehr eine Kombination von einer von Gott abgeleiteten Souveränität auf der einen und Staatsräson respektive Wissenschaftlichkeit der Verwaltung auf der anderen Seite im Vordergrund.72 In der Tat ist für die Zeit des Kameralismus, von Seckendorff bis Justi (1720-1771), 73 die Abnahme von Juristen im kameralistischen Dienst verzeichnet worden.74 Seckendorff lehnte denn auch Verträge mit Untertanen explizit ab, da es bereits an der Möglichkeit der Durchsetzung gegen die Mächtigeren mangle. Folglich sei das sicherste und festeste Band zwischen Obrigkeit und Untertanen „... die Gottesfurcht und Tugend, samt der Liebe des gemeinen Herzens ... [welche] gleichwol den wahren unbeständigen eigenen Nutzen nach sich ziehet".75

-

Zum Zweiten war das Rechtsverständnis jener Zeit zunächst noch mehr mit Eigentum als mit Vertrag beschäftigt:76 Schon Baldus de Ubaldis (ca. 13271400) hatte in seinem Kommentar zum entsprechenden römischen Recht bemerkt, dass der Fürst Eigentümer des Amtes sei und dieses entsprechend den ei-

SECKENDORFF 1 6 6 5 : 6 8 0 f .

S o e b e n Fn. 71; STOLLEIS 1990b; STOLLEIS 1996: 4 8 ff.

Zu Johann Gottlob von Justi siehe unten Fn. 318: 77. WAKEFILED 2005: 316. Justi stellt im Vorwort zu den Grundsätzen der Policenwissenschaft fest, dass es neben viel kameralistischer Literatur kaum schriftliche Abhandlungen zu den Policen gebe: JUSTI 1756/1782. Justi kritisierte in seinen Schriften auch die spezifische Ausprägung einer Bürokratie, in welcher die herangezüchteten kollektivistischen, durch Moral und Patriotismus gegeisselten Berufsmenschen vollständig unkritisch und unreflektiert ihre Arbeit in der Beamtenhierarchie verrichteten: vgl. grundlegend ROSENBERG 1958; zum Ganzen auch BRÜCKNER 1973: 229 ff. SECKENDORFF 1 6 6 5 , A d d i t i o n e s : 9 6 . V g l . m . w . H . BULLINGER 1 9 6 2 : 1 7 5 f f . ; L I E B E R M A N

1998.

21

gentumsrechtlichen Regeln jederzeit wieder zurückverlangen könne.77 Aus rechtlicher Sicht bedeutete dies, dass Hoheitsrechte und Eigentumsrechte den gleichen Rechtsregeln unterstanden, etwa bezüglich Ausschliessungseffekten oder Vererblichkeit.78 Der Eigentumsbegriff spiegelte damit die entsprechende 'soziale' Funktion der Rechtsform, nämlich Herrschaft analog zu Vermögen in einem mehr oder weniger ausgedehnten Territorium gegen innen und gegen aussen sowie in der Zeit zu stabilisieren.79 Mobilisierung der Herrschaft bei Myler von Ehrenbach und Böhmer (1671-1732)

(1610-1677)

Die Eigentumskonzeption wurde im deutschsprachigen Raum bis ins 17. und zum Teil auch noch im 18. Jahrhundert rezipiert, verlor aber viel von ihrer eigentumsbezogenen Stabilität und näherte sich mehr der Dynamik des Vertrags an.80 So deuteten etwa Myler von Ehrenbach (1610-1677) und Böhmer (1671-1732) den Staatsdienst als sogenanntes Precarium, mit welchem auf Verlangen Gebrauch und Gemäss an einer Sache übertragen werden, diese Sache im Grundsatz jedoch jederzeit zurückverlangt werden kann.81 Umstritten war vor dem Hintergrund der Professionalisierung der Bürokratie und der Souveränitätstheorie in der Tat vor allem, ob das Amt als Eigentum des Herrschers von diesem jederzeit wieder zurückgenommen werden könne oder nicht, ob also in Analogie zum kanonischen Recht das Amt auf Wohlgefallen (beneficium) oder auf Dauer (perpetua) übertragen werde.82

78

79

80 81

82

22

„magistratus quoad materiam et formam sunt de jure civili et idcirco potest princeps eos ad libitum revocare.": B A L D U S D E U B A L D I S 1 4 0 0 / 2 0 0 4 zu 1 . 7 Cod. de precibus imperatori offerendis et de quibus rebus supplicare liceat vel non (1,19); zum politischen Hintergrund von Baldus vgl. C A N N I N G 2 0 0 3 . S C H W A B 1975: 68 f.; im Detail vgl. BULLINGER 1962: 175 ff. In diesem Punkt stimmen BLOCH 1924 und R E Y N O L D S 1996 überein, wobei ersterer mehr die Beziehung von Herrscher und Krieger betont und letztere das Bedürfnis der Kirche, ihre Ländereien abzusichern und effektiver zu nutzen, ins Zentrum stellt. BULLINGER 1962: 177 stellt mit Blick auf das kanonische Recht die Funkton der Verdinglichung als Abwehrredaktion gegen wirtschaftliche Versuchungen in den Vordergrund. Damit erhält aber eine heutige Sichtweise der Verdinglichung zu grossen Raum. Auf den privatrechtlichen Kontext dieses Wechsels ist zurückzukommen: unten 28 ff. M Y L E R VON EHRENBACH 1678; B Ö H M E R 1710/1726. Die Schrift von Myler von Ehrenbach, die die „Beamtenethik" als Problem der praktischen Philosophie wahrnahm, stellt mit ihrem starken Bezug auf Rechtsfragen eine Ausnahme jener Zeit dar: STOLLEIS 1988: 364 f. Mit Verweisen auf die ausländische Lehre siehe vor allem K L O C K 1649-1650, Band 1, Consilium 32; ähnlich M Y L E R VON EHRENBACH 1678, III § 29 n.84, vgl. auch §§ 2 und 32.

Wechsel zu Vertrag im 18. Jahrhundert Die Autoren des 18. Jahrhunderts erfassten die Bestellung zum Staatsdienst zwar weiterhin in den traditionellen Strukturen des ius commune, jedoch wechselte der Fokus nun von Eigentum, das von seinen politischen Bezügen befreit wurde, 83 endgültig auf Vertrag84. Diese Verschiebung lief offensichtlich parallel zum allmählichen Abbau von politischen Herrschaftsrechten und Privilegien ausserhalb der Verwaltung.85 Strittig war nun primär der Vertragstypus: Mandatum, locatio conductio operarum oder ein Drittes. Zugleich zeigt sich bereits bei diesen Autoren des 18. Jahrhunderts, dass eine solche vertragliche Konzeption zunehmenden Spannungen ausgesetzt wurde, die schliesslich zu einer Verlagerung des Gegenstandes aus dem Privatrecht heraus und zu seiner Verbannung aus dem Recht führten. Darauf ist nun genauer einzugehen.

83

SCHWAB 1975: 78; siehe soeben Fn. 81 und 82: 22.

84

ZAHN/ZAHN

85

1 7 1 3 ; WOLFF

1 7 5 4 ; WOLFF

1 7 4 8 / 1 9 6 8 ; NEUMANN

1 7 5 1 ; MALACORD

1788;

locus classicus zu diesem Wechsel ist insbesondere MAINE 1861: 113 ff. Siehe die ausführlichen Nachweise bei SCHWAB 1975: 99 ff. zur Entkopplung von Herrschaft als politischer Macht und Eigentum.

23

C.

Die moderne Willenstheorie

1.

Aktualisierungen

in der philosophischen

Willenstheorie

A ristotelischer Aquivalenzbegrijf Bis ins 18. Jahrhundert konstituierte sich der privatrechtliche Vertrag primär anhand der aristotelischen Unterscheidung von distributiver, d. h. austeilender Gerechtigkeit, und kommutativer, d. h. ausgleichender Gerechtigkeit,86 Ihren Ausdruck als Rechtsprinzip fand diese Konzeption unter anderem in der sogleich zu erläuternden Willenstheorie,87 Während nun im 18. Jahrhundert der Fokus von Eigentum zu Vertrag wechselte, veränderte sich auch die Willenstheorie - zwar nicht in ihren Grundfesten, aber doch in einem zentralen Detail: Die spanischen Spätscholasten hatten ebenso wie die nördlichen Naturrechtler Grotius (1583-1645) und Pufendorf (1632-1694) noch die aristotelische Willenstheorie rezipiert. Nach diesen Autoren wurde ein Vertrag entweder als Schenkung qualifiziert, was sich entsprechend im Willen des Schenkers manifestieren musste, oder es lag - wenn keine Schenkung festgestellt werden konnte - ein Austauschvertrag vor, dessen Leistung und Gegenleistung äquivalent zu sein hatten. Diese Äquivalenz wurde im Sinne der aristotelischen kommutativen Gerechtigkeit nicht allein als wirtschaftliche, sondern auch als gemeinschaftliche Austauschgerechtigkeit verstanden; die Theorie basierte auf der Überlegung, dass menschlichen Notwendigkeiten unterschiedliche Wichtigkeit zukomme, worüber die Gemeinschaft zu wachen habe. Die kommutative Gerechtigkeit der Transaktion ergab sich also aus einer Kombination von wirtschaftlicher Perspektive, gemeinschaftlicher Perspektive und Vertragszweck heraus.88 Damit unterscheidet sich diese Sicht auf das Leistungsgleichgewicht massgeblich von einer primär wirtschaftlichen Sicht, die definitiv im Laufe des 19. Jahrhunderts Einzug hielt und im 20. Jahrhundert mit den ordoliberalen Theorien in Deutschland

Grundlegend ist ARISTOTELES 2003: III—V. Vgl. und insbesondere zur Zuordnung der kommutativen Gerechtigkeit zum Vertrag und der distributiven Gerechtigkeit zur Herrschaft siehe J A N S E N / M I C H A E L S 2007: 390 f., m. w. H. V g l . m . w . H . GORDLEY 1 9 9 1 .

Z. B.

1625/1950: 245 ff., vor allem 250 [2.XII.xiv] mit explizitem Verweis auf 2003: Kap. 5 III ff. So richtet denn Aristoteles seinen Gerechtigkeitsbegriff explizit auf die Gemeinschaft aus: „Und so nennen wir in einem Sinne gerecht, was in der staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und ihre Bestandteile hervorbringt und erhält.": Kap. 5 III. Vgl. m. w. H. A T I Y A H 1979: 140 f.; G O R D L E Y 1991: 128 ff. und 243; siehe ferner die Übersicht bei BELSER 2000: 9 ff. und 657 m. w. H. GROTIUS

ARISTOTELES

24

oder der Economic Analysis of Law in den USA sowohl ein ökonomischwissenschaftliches wie auch ein gesellschaftstheoretisches Fundament fand. 89 Äquivalenz

nach modernen

Willenstheorien

Die modernen Willenstheorien, so die wichtige Beobachtung von Gordley, nehmen von dieser Anforderung der gemeinschaftlichen Äquivalenz zur Durchsetzung des Vertrags Abstand: Ein Vertrag ist dann gerecht, wenn er dem Willen der Parteien entspricht.90 Die Kombination der genannten Verschiebungen von Eigentum zu Vertrag und von der aristotelischen zur modernen Willenstheorie wirkt sich nun auf die rechtliche Konzeption der Bestellung zum Staatsdienst in einer eigentümlichen Weise aus, was sich bereits an den entsprechenden Ausfuhrungen von Balthasar Conrad Zahn und Theodor Ernest Zahn aus dem Jahr 1713 beobachten lässt. Zwar bezeichnen die Autoren die Bestellung zum Staatsdienst nun als negotium. Sie vermerken aber explizit unter Bezug auf die genannte aristotelische Lehre, dass es sich bei der Bestellung zum Staatsdienst nicht um ein gleichgeordnetes Geschäft zwischen Privaten und somit nicht um kommutative Gerechtigkeit handle. Es liege vielmehr eine Verteilung von Gütern aufgrund der Würdigkeit für das Staatsleben vor. 91 Damit deuten diese Autoren bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts an, dass die Kooperation zwischen Staat und Privaten als Vertrag in der sich bildenden Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht aus letzterem aufgrund der veränderten Willenstheorie herausfallen muss, ohne zugleich im anderen Rechtskreis, dem

Letztlich will der Ordoliberalismus eine Gesellschaftstheorie hervorbringen und sieht sich in der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft bestätigt: Grundlegend BÖHM 1928/1960; 1933; betreffend Gesellschaftstheorie vgl. MESTMÄCKER 1991; kritisch VESTING 1997. Prägnant hierzu bereits WIETHÖLTER 1972. GORDLEY 1998: 66 ff. Mit den Ausfuhrungen von Leu zum Recht der Eidgenossenschaft in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt sich beispielhaft zeigen, dass man unsicher geworden war über das Gleichheitserfordemis von Leistung und Gegenleistung, „ . . . weilen von Natur einerseits die Ansetzung des gerechten und billichen Preises und Werths einer Sach ganz ungewiss und niemand ist welcher ein Gleichheit hierinn bestimmen kan, zumahlen ein jeder seiner eigenen Sach einen solchen Pries und Werth nach seiner zu derselben habenden Anmuthung ansetzen mag welchen er will . . . " LEU 1 7 2 7 - 1 7 4 6 , III: 246. Gleiches ergibt sich zum Beispiel auch aus den Ausführungen von BLACKSTONE 1800: 445 f., zum Erfordernis der Consideration: „ . . . for every bond from the solemnity o f the instrument, and every note from the subscription o f the drawer, carries with it an internal evidence o f good consideration." ZAHN/ZAHN

1713.

25

öffentlichen Recht, heimisch werden zu können.92 Darauf ist sogleich zurückzukommen. 93 Es ist bemerkenswert, dass der soeben erwähnte Wechsel in der Willenstheorie wie Gordley belegt - nicht auf einer neuen philosophischen Grosstheorie gründete, sondern vielmehr in der Ablehnung jenes Teils der aristotelischen Gerechtigkeitsidee, nach welcher menschlichen Bedürfnissen unterschiedliche Wichtigkeit zukommt und aus einer gesellschaftlichen Perspektive über die entsprechende Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen zu wachen ist. Indem die aktualisierte rechtliche Willenstheorie weiterhin auf dem unangefochtenen Teil der aristotelischen Gerechtigkeitsidee aufbaute, konnte sie sich schnell und ohne Bezug auf neue philosophische Ideen durchsetzen. Die neue rechtliche Willenstheorie unterscheidet sich somit von ihren Vorläufern lediglich darin, dass die bisherige aufgrund von gemeinschaftlichen Kriterien konstruierte Beschränkung vertraglichen Austauschs in Gestalt des Leistungsgleichgewichts nicht mehr akzeptiert wurde. Der Inhalt des Vertrags wurde nicht mehr mit der aristotelischen Referenz auf die Gemeinschaft interpretiert, sondern das Projekt der durch Vertrag verbundenen Parteien bestimmte sich nun primär aus deren Willen.94 Doch was heisst dies genau? Was ist der neue Referenzpunkt des Rechts bei der (Re-) Konstruktion des Vertragsinhalts respektive des übereinstimmenden Parteiwillens? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, wenn der Blick auf das Recht beschränkt bleibt. Vielmehr sind an dieser Stelle - jenseits von einzelnen Ereignissen und Personen - die Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen in die Untersuchung mit einzubeziehen. Erst vor diesem Hintergrund können sodann die Wortmeldungen der Rechtswissenschaftler zum Vertrag zwischen Staat und Privaten analysiert werden.

93 94

26

Dies deutete bereits Seckendorff vorsichtig an: siehe oben bei Fn. 75: 21. Zur Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht siehe SCHRÖDER 1993, der richtig davon ausgeht, dass im 18. Jahrhundert das sich neu vom Staatsrecht her ausbildende öffentliche Recht zur Trennung massgeblich beigetragen hatte. Dagegen lässt sich ein nicht allein theoretischer, sondern massgeblicher Einfluss des Gedankens bürgerlicher Freiheitsausübung auf die Rechtsordnung oft erst für das 19. Jahrhundert feststellen. Vgl. auch K O C K A 1987; D E T E R 1999; A B E G G 2004b. Anders: G R I M M 1972. Allerdings unterschätzt Schröder den Einfluss der wirtschaftlichen Veränderungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die einsetzende Rezeption schottischer Moralphilosophie. Unten Kap. I.C.2: 27. GORDLEY 1 9 9 8 : 7 9 ff.

2.

Der Parteiwille als neuer Referenzpunkt des Vertrags vor dem Hintergrund des entstehenden Marktsystems Kontextbedingungen

der Veränderungen in der

Willenstheorie

Gordley ist zwar darin zuzustimmen, dass es sich bei den Veränderungen in der Willenstheorie zunächst um eine rechtsinterne Strukturanpassung handelte, massgeblich angestossen vom wissenschaftlichen Diskurs. Die dauerhafte Veränderung der rechtsinternen Strukturen wurde allerdings erst dadurch möglich - und hier weiche ich von Gordley ab dass das Recht mit weiteren Veränderungen in seiner Umwelt konfrontiert wurde: -

Erstens vollzog sich die Aktualisierung der Willenstheorie vor dem Hintergrund eines neuen Staatsverständnisses, das die gemeine Wohlfahrt unter anderem auch durch die Verwirklichung relativ politikfreier Wirtschaftsbereiche in Betracht zog. Zentrale Instanz für die Trennung von Politik und Wirtschaft zum Wohle des Nationalstaats ist freilich Adam Smiths 1776 erschienene Schrift Wealth of the Nations.95

-

Und zweitens konnte die vom Recht abgebildete gemeinschaftliche Restriktion des Güteraustausches definitiv aus der Willenstheorie entlassen werden, weil sie durch einen anderen Disziplinierungsmechanismus abgelöst wurde, nämlich den Preismechanismus des selbstregulierten Marktes.

Gordley wendet hierzu ein, dass es auch weit vor dem 19. Jahrhundert Märkte gegeben habe und damit die Veränderungen der Willenstheorie keinen Bezug zur Wirtschaft aufweisen würden.96 Dagegen ist jedoch unter Hinweis auf eine lange Tradition von historisch-soziologischen Untersuchungen von Weber über Polanyi bis Braudel einzuwenden, dass dem Austausch von Gütern in der sogenannten Feudalgesellschaft keinesfalls jene wirtschaftliche Bedeutung zukommt, wie dies im System der Marktwirtschaft der Fall ist. Von der Wirtschaft der Feudalzeit

...

Für die vorliegende Untersuchung sind folgende Wesensmerkmale der Wirtschaft der Feudalzeit hervorzuheben: Die feudale Gesellschaft basierte im Wesentlichen auf einem Wirtschaftssystem, das als zentristische Redistribution und Haushaltsführung (oeconomia) bezeichnet wird. Die meisten - und vor allem die lebenswich-

95

A D A M SMITH

1 7 7 6 / 1 9 9 3 ; für D e u t s c h l a n d s i e h e z u d e m

HUMBOLDT

1792/1962; zu

den

Vorläufern in Kameralismus und Merkantilismus siehe bereits oben Fn. 61: 18. 96

GORDLEY 1 9 9 8 : 7 3 f f .

27

tigen - Güter wurden zentral eingesammelt, gelagert und wieder verteilt (Redistribution). Nur was nicht in die Redistribution fiel und nicht für den Lebensunterhalt gebraucht wurde, gelangte auf einen Markt und führte da zu Gelderwerb.97 Dieses Wirtschaftssystem war somit in die soziale Struktur der Gesellschaft eingebettet und wurde von dieser - auch mit Bezügen zu ausserökonomischen Werten - mitbestimmt; das Wirtschaftssystem war ohne die politischen und sozialen Strukturen wie Autarkie und Zentrizität nicht zu denken.98 Ganz anders als beim modernen Marktsystem wurde hier in primärer Weise der Status, in welchen die Menschen durch Geburt oder andere ausserökonomische Vorgänge gerieten, nach aussen abgegrenzt, und es wurden direkt Rechtspositionen zugewiesen oder abgesprochen. Damit (aber freilich nicht ausschliesslich damit) erklärt sich denn auch der rechtliche Fokus auf die Verfassung von Eigentumspositionen.99 Durch allgemeine statusbezogene Verhaltensnormen in Form von Religion, Gesetz und Brauch wurden die Handlungsspielräume des Einzelnen im Wirtschaftssystem stark eingeschränkt, und dieses Wirtschaftssystem wurde damit gesellschaftlichen Schranken unterworfen. Auf diese Gesellschaftsbezüge verweist die aristotelische Gerechtigkeitslehre jener Zeit die rechtliche Rekonstruktion des Vertrags. Braudel hat gezeigt, dass sich zwar im Lauf der Geschichte viele Marktwirtschaften feststellen lassen, sie jedoch in aller Regel - wie bei den französischen Marktflecken des Ancien Régime - die Produktion nicht mit der Konsumtion in Übereinstimmung brachten und damit den Selbstregulierungsmechanismus Preis als zentrales Operationsprinzip der heutigen Wirtschaft nicht auf Dauer stabilisieren konnten. Die meisten Menschen kamen, so Braudel, nur stellenweise mit dem Markt in Berührung, weil sie zum Beispiel den Überschuss, den sie nicht zum Leben brauchten, auf dem Markt verkauften. Marktfahrer und Händler, die fast ausschliesslich von den Einkünften des Marktes lebten, waren dagegen in der Minderzahl. ... zur Entstehung des gesellschaftsumfassenden

Marktes

Ganz allgemein gab es also in der Feudalzeit keinen Binnenmarkt im modernen Sinn - zum Beispiel in Form eines Stadt-Land-Markts - , und weder im Aussenmarkt (mangels einer grösseren Menge identischer Waren) noch auf dem internen Markt (infolge des Zunftsystems sowie staatlich verfügter Schranken) herrschte freie Konkurrenz zwischen gleichgeordneten Marktteilnehmern als Vorbedingung

Zum Ganzen:

POLANYI

1944/1957: 70 ff.

WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 3 9 8 ; POLANYI 1 9 4 4 / 1 9 9 5 : 7 7 f f . WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 3 9 8

28

f.; dieser Argumentation folgt auch

LIEBERMAN 1 9 9 8 .

für die wirtschaftliche Selbststeuerung durch den Preismechanismus.100 Erst mit dem Merkantilismus wurde begonnen, Partikularinteressen abzubauen und einen staatlich konstruierten Binnenmarkt anzustreben.101 Wesentlich ist hierbei, dass der Markt nun nicht mehr allein als lokal verortbare Möglichkeit zum Austausch von Gütern verstanden wurde, sondern zunehmend als Mechanismus, der das Problem der knappen Ressourcen auf Dauer in weiten Bereichen der Gesellschaft - also in institutioneller Weise - lösen sollte. Dies kam schliesslich in der klassischen Nationalökonomie Adam Smiths in exemplarischer Schärfe zum Ausdruck.102 Mit Luhmann ist sodann darauf hinzuweisen, dass mit einer gewissen Universalität des Mediums Geld seit dem 18. Jahrhundert dieses zunehmend die Funktion des Eigentums als Garant der bürgerlichen Selbstständigkeit übernahm, während das Eigentum in einem langfristigen Prozess von dieser gesellschaftlichen Rolle entbunden wurde. Geld lässt sich im Gegensatz zu Eigentum ohne weiteres individuell den einzelnen gleichgeordneten Marktteilnehmer zurechnen, und der Gebrauch dieser Art von Eigentum kann nun gerade darin bestehen, dass man es aufgibt. 103 Dieser Fokus stimmt auch mit den rechtshistorischen Untersuchungen Liebermans überein, der feststellt, dass die Neuerungen des Privatrechts im 18. und frühen 19. Jahrhundert ebenso viel dem Weglassen bei den Eigentumstheorien verdankten wie den neuen Vertragstheorien, die auf den übereinstimmenden Parteiwillen fokussierten.104 Auswirkungen

auf die Rechtslehre

Diese Sicht lässt sich mit dem rechtswissenschaftlichen Diskurs des 18. Jahrhunderts zur Bestellung des Staatsdienstes bestätigen, etwa anhand der Äusserungen von Johann F. Neumann (1699-1768), einem Vertreter der Naturrechtslehre: Dieser kritisierte in seiner Schrift von 1751 die früheren eigentums-

Z u m G a n z e n BRAUDEL 1997: 13 ff. WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 6 4 5 f.; POLANYI 1 9 4 4 / 1 9 9 5 : 8 8 ff; BRAUDEL 1 9 9 7 : 13 ff. Z u m

M e r k a n t i l i s m u s m . w . H. GÖMMEL 1998.

ADAM SMITH 1776/1993. Trotz aller Kritik Smiths am Merkantilismus baute Smith gerade in diesem Punkt auf der merkantilistischen Idee des Binnenmarktes auf. Zur Rezeption schottischer Moralphilosophie und ihrem Einfluss auf die Trennung von Politik und Gesells c h a f t : M E D I C K 1 9 7 3 ; STOLLEIS 1 9 8 8 : 3 7 9 .

LUHMANN 1993a: 448 ff. Nach WEBER 1921-1922/1980 ist - idealtypisch - die „Vergemeinschaftung kraft Geldgebrauchs ... der charakteristische Gegenpol jeder Vergesellschaftung durch rational paktierte oder oktroyierte Ordnung".: WEBER 1921-1922/1980: 226 ff; v g l . BRÜGGEMEIER 1 9 8 0 : 3 2 ff.

LIEBERMAN 1998. In der Rechtswissenschaft wird dieser Wandel, zeitlich verzögert, als Verschiebung von status zu contractus wahrgenommen: MAINE 1861.

29

zentrierten Konzepte zur Bestellung zum Staatsdienst dahingehend, dass sie den Vertragsinhalt gegen den Willen der Parteien beschränken würden und dass sie damit gegen die gelebte Praxis stünden.105 Und Johann Michael Seuffert lehnte in seinen Ausführungen von 1793 zur Beamtenbestellung die bisherigen Vertragstheorien aufgrund der fehlenden Gleichgeordnetheit von Staat und zukünftigem Staatsdiener ab: Denn die Dienstleistung des Staatsbeamten habe ihren rechtlichen Grund nicht in der Gegenleistung, d. h. der Entgeltlichkeit des Staatsdienstes, sondern in der Verbindlichkeit der Dienstleistung für jedes Staatsmitglied.106 Somit konnte das Vertragsrecht also seine Strukturen durch die aufgezeigte Veränderung in der Willenstheorie an die neuen Strukturen der Wirtschaft anpassen, die anhand eines selbststeuernden Marktes das Problem der Knappheit der Güter in die Richtung der Entwicklung allgemeinen Wohlstands lösen sollte. Die entsprechende Kopplung des Rechts qua Willenstheorie an die Ökonomie rückte dabei in den Vordergrund, während für den Vertragsinhalt die Bezüge zu Politik und Gemeinschaft zugleich stark eingeschränkt wurden. Durch die Institution des Vertrags delegierte das Recht nun Rechtsetzungsbefugnisse an die Wirtschaft, das heisst, Recht nahm sich und den Staat (und damit vor allem das politische System) zugunsten der Selbstorganisation der Wirtschaft in diesem Sinn der Transaktionsgestaltung zurück.107 Insofern erweist sich der Streit der Lehre, ob die Trennung des kontinentalen Rechts in Privatrecht und öffentliches Recht entweder vom neuen Gedanken bürgerlicher Freiheit (verstanden als Freiheit vom Staat) herrührt oder massgeblich von der sich verändernden Staatslehre ausgeht, als eine falsche Alternative.108 Die Trennung wird vielmehr durch ein 'Sowohl-als-auch' begünstigt, in dem Sinne, als das neu entstehende Wirtschaftssystem des umfassenden Marktes und der souveräne109 Nationalstaat sich parallel und mit wechselseitigen Abhängigkeiten entfalten und dabei je in unterschiedlicher Weise auf das Recht Bezug nehmen, wobei ein Blick auf die Evolution englischen Rechts darauf hindeutet,

NEUMANN 1 7 5 1 , 1 c: § 2 4 2 . SEUFFERT 1 7 9 3 : 2 6 u n d 4 3

Vgl. z. B. SAVIGNY 1840-1848/1973,1: 52 und 367 f.; für Deutschland relativierend GRIMM 1987c: 100 f.; zudem m. w. H. ABEGG 2005a. Dabei darf freilich nicht vergessen gehen, dass sich diese modellhaft aufgeführten Strukturveränderungen in verschiedenen Kontexten zu verschiedenen Zeiten abspielten. Anstelle vieler SCHRÖDER 1993 auf der einen und GRIMM 1972 auf der anderen Seite. Grundlegend für die Souveränitätslehre sind freilich bereits BODIN 1576 und HOBBES 1651/1839: vor allem 158; grundlegend für den modernen Souveränitätsbegriff ist HEGEL 1820/1973: § 278; zu den jüngsten Thesen zur Souveränität vgl. den Überblick bei BROWN 2006.

30

dass das Schwergewicht auf der Souveränitätslehre liegen muss. Darauf ist nun vertieft einzugehen.

D.

Verfassung politischer Macht im Übergang zum 19. Jahrhundert

1.

Einßuss des politischen Kontexts auf Verträge zwischen Staat und Privaten

Im 18. Jahrhundert setzten - wie soeben erläutert - die aktualisierte philosophische Willenstheorie einerseits und die sich mit Hilfe des Preismechanismus ausdifferenzierende Wirtschaft andererseits die privatrechtliche Konzeption der Kooperation zwischen Staat und Privaten grossen Spannungen aus. Doch nicht nur das: Zur gleichen Zeit und damit zusammenhängend erschwerten neuartige politische und staatswissenschaftliche Argumente sowie entsprechende Strukturveränderungen, die bisherige Vertragskonzeption zur Kooperation zwischen Staat und Privaten ins entstehende ius publicum zu übertragen: -

In Frankreich wurde die rechtliche Behandlung der Kooperation zwischen Staat und Privaten massgeblich durch die Loslösung der Verwaltung vom Einfluss der Gerichte beeinflusst. Vor dieser Entfesselung der Verwaltung, die bereits unter dem Ancien Régime begann und unter Napoléon einen Höhepunkt erreichte, unterstanden die Kooperationen zwischen Staat und Privaten zumeist und in wesentlichen Aspekten den unabhängigen Gerichten. Nach der Revolution konnte allerdings kaum noch eine einheitliche rechtliche Behandlung dieser Kooperationen oder überhaupt eine Lehre zu Verträgen zwischen Staat und Privaten ausgemacht werden. Vielmehr stand bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Erfassung des Verwaltungshandelns als acte administratif im Vordergrund. 110 Im Zuge der Helvetik wurden wesentliche Aspekte der französischen Ideen und Strukturveränderungen mit nachhaltiger Wirkung auf die alten absolutistischen Regime der Eidgenossenschaft übertragen, allerdings mit teilweise anderen Folgen als in Frankreich. 1 " Dieser Wandel der politischen Institutionen vom Ancien Régime zur modernen Politik ist also zunächst vor allem anhand Frankreichs darzustellen (nachfolgend Kap. I.D.2: 32); die Ausstrahlungskraft der Ereignisse der Französischen Revolution und der Einfluss Frankreichs auf die modernen politischen Strukturen der Schweiz rechtfertigen dieses Schwergewicht, wobei allerdings hiernach die Besonderheiten Deutschlands und der Schweiz im Über-

So die Feststellung von CHAUVEAU 1841-44: N 411. Die erste vertiefte Untersuchung, wie die Vertragstheorie im Verwaltungsrecht zu rekonstruieren sei, stammt von DARESTE 1862. V g l . HIS 1 9 2 0 : 6 7 2 ; K Ö L Z 1 9 9 2 : 6 1 5 f f .

31

gang zur politischen Moderne zu ergänzen sein werden (nachfolgend Kap. I.D.3: 57 und I.D.4: 61). -

In der deutschen Wissenschaft des 18. Jahrhunderts und zum Teil noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Staatsdienst weiterhin in den traditionellen privatrechtlichen Kategorien des Vertrags erfasst. Zugleich suchten die wissenschaftlichen Autoren jedoch diese Konzeption mit der wachsenden und zunehmend gesamtgesellschaftlich verstandenen Macht des Staats respektive der Konzeption der nationalen Souveränität zu vereinen. Mit dem Wechsel zum 19. Jahrhundert folgten sodann Autoren, die eine vertragliche Konstruktion vollständig ablehnen und eine neue, genuin öffentlichrechtliche Konstruktion suchten. Da die schweizerische Rechtswissenschaft während des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen und die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstehende schweizerische Verwaltungsrechtswissenschaft im Besonderen massgeblich an die wissenschaftliche Tradition der deutschen Lehre anknüpften, sind die Ausformungen dieser wissenschaftlich generierten Variationen in einem zweiten Schritt zu untersuchen (Kap. I.E: 67).

2.

Paradigmatische Frankreichs

a)

Ausgangspunkte im Ancien Régime

Veränderungen in den politischen

Strukturen

Gerichte als unabhängige Macht im Ancien Régime Der französische Historiker Roland Mousnier legte in zahlreichen Werken den Übergang zur modernen französischen Gesellschaft und insbesondere die Evolution der entsprechend relevanten politischen und rechtlichen Institutionen dar. Mousnier streicht unter anderem heraus, dass sich in Frankreich viel früher als in Deutschland oder in der Schweiz die Gerichte als unabhängige Macht zu konstituieren vermochten, da infolge Käuflichkeit und Vererblichkeit die Stellungen mit sozialer Konstanz und Homogenität besetzt wurden. Die Macht des Königs, diese Beamten zu ernennen und zu entlassen, war entsprechend eingeschränkt worden. Dies ermöglichte es den Gerichten, das Recht relativ selbstständig zu verwalten: einerseits die veröffentlichten Gewohnheitsrechte (coutumes) und andererseits - und dies ist hier von besonderem Interesse - jene Anordnungen des Königs (établissement, ordonnances), die nach eigenen Regeln einregistriert worden waren. Hiermit erfuhren die mit Angelegenheiten des „service au public" beauftragten Privaten des Staats bis zu einem gewissen Grad eine Wahrung und rechtliche Stabilisierung ihrer Interessen. Die Magistraten fühlten sich, so Mousniers diesbezügliches Fazit, ebenso dem 32

König wie dem Recht verpflichtet und verstanden sich als Schiedsrichter bei Streitigkeiten zwischen Bürger und König. 112 Gerade jedoch diese Konzeption des Richters als Eigentümer des Amtes machte es den Kritikern vor und insbesondere während der Revolution besonders leicht, die 'Übernutzung' des Amtes durch die selbstherrlichen Richter zu brandmarken und die Legitimation des gesellschaftseinigenden politischen Souveräns ins Zentrum zu rücken.113 Machtkonsolidierung

in der Verwaltung gegenüber

Gerichten und Privaten

Abgestützt auf die auf den König zugeschnittenen Souveränitätslehren ä la Jean Bodin (1529-1596) 1 1 4 und Thomas Hobbes (1588-1679) 115 sowie gestützt auf die Idee einer der allgemeinen Staatswohlfahrt verpflichteten Herrschaft116 vermochte - gleichermassen in Frankreich wie auch in den deutschen Ländern - die zunehmend zentralisierte und professionalisierte Verwaltung117 mehr und mehr Kompe-

MOUSNIER 1979: 325 f.; zum Ganzen siehe auch: MOUSNIER 1945; 1974. Vgl. hierzu zum Beispiel bereits die Aufzeichnungen von FLEURY 1665-1666/1851 aus dem 17. Jahrhundert, der unter starkem Einfluss der absolutistischen Herrschaft Louis XIV. stand, sowie die pointierten Schilderungen von TOCQUEVILLE 1856: 191 ff. und 200 ff. An Tocqueville schloss sich in Deutschland MEIER 1864: 928 an. CAPPELLETTI 1 9 8 9 : 1 2 4 f f .

BODIN 1576: Kap. 8: vor allem 122 ff. Zum Ganzen siehe unten Kap. 1.D.2.C): 41. HOBBES 1651/1839: 158: „For by this authority, given him by every particular man in the commonwealth, he hath the use of so much power and strength conferred on him, that by terror thereof, he is enabled to perform the wills of them all, to peace at home, and mutual aid against their enemies abroad, And in him consisteth the essence of the commonwealth ; which, to define it, is one person, of whose acts a great multitude, by mutual covenants one with another, have made themselves every one the author, to the end he may use the strength and means of them all, as he shall think expedient, for their peace and common defence. And he that carrieth this person, is called SOVEREIGN, and said to have sovereign power ; and every one besides, his S U B J E C T . " [Hervorhebungen im Original] Den Wechsel des Bildes des Königs vom Richter zum Verwalter des Landes, der proaktiv für die Wohlfahrt der Bürger verantwortlich ist und sich zum Beispiel fur Bau und Unterhalt von Strassen zuständig erklärt, verortet Mousnier in die Anfange des 16. Jahrhunderts: MOUSNIER 1979: 322; ähnlich auch TOCQUEVILLE 1856: 98 ff. Typisch für die rechtliche Erfassung dieses Typus von Souveränitätslehre und Polizeistaat ist FLEURY 1665— 1666/1851. Der Terminus Verwaltung im heutigen Sinn löste allerdings erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts jenen der Polizei ab: MOUSNIER 1979: 321 f. Zur Zentralisierung, die durch die Französische Revolution noch verstärkt worden war, siehe TOCQUEVILLE 1856: 131 f.; des Weiteren LEGENDRE 1968: 135 ff. Diese Tendenzen der Zentralisierung und der Professionalisierung des Beamtentums lassen sich schon im 16. Jahrhundert beobachten: am Beispiel Preussens siehe WYLUDA 1969.

33

tenzen an sich zu ziehenm

- und zwar nicht nur bei regelmässig infolge des einset-

zenden technischen und staatswissenschaftlichen Fortschritts

'neu

entdeckten'

A u f g a b e n des Staats, sondern auch bei bereits gerichtlich erfassten Gegenständen. 1 1 9 Etwa die französische Regierung suchte vor allem durch Einsetzung v o n K o m m i s s ären und v o n Sondertribunalen immer mehr Bereiche den unabhängigen Gerichten zu entziehen 1 2 0 oder mittels sogenannte ,Lettres de cachet' Kommunikationen gar nicht erst nach aussen dringen zu lassen, 1 2 1 und z u d e m schreckten die französischen Gerichte im Laufe des 18. Jahrhunderts immer mehr vor einer prononcierten Rechtsprechung gegenüber der königlichen Verwaltung zurück. D i e Regel, dass Gerichte auch gegenüber d e m Staat Recht sprechen können, wurde zusehends zur Ausnahme, und aus der Praxis der Ausnahme evolvierte als neue Regel die dass Gerichte

nicht über politische

Interessen

zu urteilen

Staatsmaxime,

hätten - lange bevor i m

Z u g e der Revolution durch die Gesetzgebung die Trennung v o n Verwaltung und

118

119 120

Terminus technicus ist die Evokation: Aufgrund der alten Theorie, dass der König der höchste Richter sei und ihm alle Gerichtsbarkeit zukomme, soweit er sie nicht explizit delegiert habe, wurde diese Übertragung vermehrt rückgängig gemacht. Hierzu pointiert der liberale Kritiker TOCQUEVILLE 1856: 128 ff. und vor allem 130 f.:"... le pouvoir central et ses agents deviennent plus expérimentés et plus habiles, ce même parlement s'occupe de moins en moins de l'administration proprement dite; chaque jour, moins administrateur et plus tribun. Le temps, d'ailleurs, ouvre sans cesse au gouvernement central de nouveaux champs d'action où les tribunaux n'ont pas l'agilité de le suivre; car il s'agit d'affaires nouvelles sur lesquelles ils n'ont pas de précédents et qui sont étrangères à leur routine. La société, qui est en grand progrès, fait naître à chaque instant des besoins nouveaux, et chacun d'eux est pour lui une source nouvelle de pouvoir; car lui seul est en état de les satisfaire. Tandis que la sphère administrative des tribunaux reste fixe, la sienne est mobile et s'étend sans cesse avec la civilisation même." Vgl. GRIMM 1987a: 87 mit Hinweis auf das Preussen des 17. und 18. Jahrhunderts. Siehe bereits FLEURY 1665-1666/1851: 122 ff. zu den bereits zahlreichen Sondertribunalen unter Louis XIV. Des Weiteren vgl. DARESTE 1862: 58; TOCQUEVILLE 1856: 122 ff.; MEIER

121

34

1864: 928 f. Zur Evolution der königlichen Kommissäre siehe MOUSNIER 1979: 326 ff. Die Kommissäre wurden wegen ihrer alleinigen Unterstellung unter den königlichen Befehl von den unabhängigen Gerichten, die nun in ständiger Opposition standen, bis hin zur Revolution bekämpft. Zur Verbindung von diesen .lettres de cachet' mit dem Projekt einer zentralisierten nationalen Politik siehe bereits CORMENIN 1840: vol. I, III. Jüngst auch MOUSNIER 1979: 230.

Gerichten in aller Öffentlichkeit und gestützt auf Staatstheorien vollzogen wurde.' 22 Dieser Kompetenzkampf zwischen der königlichen Verwaltung und den unabhängigen Gerichten führte weitgehend zu einer Zuständigkeitsverteilung nach Kriterien der Macht123 und einer Vermischung der Gewalten ohne rechtliches System. 124 Die privaten Vertragspartner der Staatsverwaltung blieben hierbei zunehmend ohne rechtliche Absicherungen durch die Gerichte: Wer im Ancien Régime des 18. Jahrhunderts von der Verwaltung zu öffentlichen Arbeiten aufgeboten wurde oder eine solche Arbeit an den bereits seit dem 17. Jahrhundert durchgeführten Auktionen zugeschlagen erhielt, war in der Durchführung dieser Arbeiten in zunehmendem Mass der Willkür der absolutistischen Macht ausgeliefert: Kein Reglement legte die gegenseitigen Rechte und Pflichten fest, und die königliche Verwaltung und der Conseil du Roi fühlten sich frei, von den eingegangenen Verpflichtungen abzuweichen, wo in ihren Augen ein öffentliches Interesse (utilité public oder nécessité public) vorhanden war.125 Verwaltungsrecht

als verwaltungsinterne,

politische

Produktion

Das Verwaltungsrecht war damit, so die Feststellung des Rechtshistorikers Burdeau, zu einer rein verwaltungsinternen Produktion geworden. 126 Im modernen Sinn könne denn auch nicht, so Burdeau weiter, von einem Verwaltungsrecht ge-

Rückblickend beschrieb Tocqueville diese Situation mit folgenden Worten: „... il n ' y avait pas de pays en Europe où les tribunaux ordinaires dépendissent moins du gouvernement qu'en France; mais il n'y en avait guère non plus où les tribunaux exceptionnels fussent plus en usage. Ces deux choses se tenaient de plus près qu'on ne se l'imagine. Comme le roi n ' y pouvait presque rien sur le sort des juges; qu'il ne pouvait ni les révoquer, ni les changer de lieu, ni même le plus souvent les élever en grade; qu'en un mot il ne les tenait ni par ambition ni par la peur, il s'était bientôt senti gêné par cette indépendance.": TOCQUEVILLE 1856: 122. D.h. die Kompetenz, über die Kompetenz der Gerichte zu entscheiden, lag zunehmend in der Hand der Verwaltung: TOCQUEVILLE 1856: 122 ff. „Tantôt on permettait aux tribunaux de faire des règlements d'administration publique, ce qui était manifestement hors de leur ressort; tantôt on leur interdisait de juger de véritables procès, ce qui était les exclure de leur domaine propre.": TOCQUEVILLE 1856: 123 ff. und vor allem 125; siehe auch CHAUVEAU 1841 —44: N 411 betreffend contrat administratif. Diese sich abzeichnende Abkehr von naturrechtlich fundierten Prinzipien wie vor allem pacta sunt servanda zur willkürlichen Berücksichtung öffentlicher Interessen lässt sich bereits deutlich für das Regime von Louis XIV. feststellen, als den ehemals verkauften Ämtern und Ländereien der Status von Eigentum abgesprochen wurde. Nach neu verkündeter Theorie waren diese nun vom König nur bedingungsweise verliehen: zum Ganzen TOCQUEVILLE 1 8 5 6 : 2 9 2 f f . ; M E I E R 1 8 6 4 : 9 2 8 f. BURDEAU 1 9 9 5 : 3 0 f f . V g l . b e r e i t s TOCQUEVILLE 1 8 5 6 : 1 2 8 .

35

sprachen werden, denn unter den wechselhaften fiskalischen und politischen Interessen der Herrschaft konnte sich keine stabile Doktrin ausbilden, welche die Praxis der Vergangenheit offengelegt und die Zukunft planbar gemacht hätte.127 Von einem durch Naturrecht stabilisierten Vertrag blieb entsprechend kaum etwas übrig. Die von der Verwaltung eingesetzten Sondertribunale vermittelten nur den Schein des Rechts, ohne dass die Staatsverwaltung den Einfluss des Rechts hätte fürchten müssen. 128 Aber nicht nur jene, die ausserhalb der Verwaltung standen, wurden in ihren Beziehungen zum Staat der absolutistischen Macht unterworfen. Ähnliches galt auch für diejenigen, die in den Staatsdienst eintraten. Sie wurden in die Befehlskette der hierarchisierten Verwaltung eingegliedert und rigoros kontrolliert und überwacht. 129 Nachdem die Herrschaftslegitimation des Souveräns von Gottesgnadentum auf allgemeine Wohlfahrt gewechselt hatte, diese Hoffnungen auf Wohlfahrt sich aber nicht in individuelle Wohlfahrt umzusetzen vermochten, ruhte die Legitimation der Monarchie zunehmend auf dem Recht. Mit der erwähnten zusätzlichen Loslösung politischer Kommunikation von den unabhängigen Gerichten resultierte somit ein weitgehender Legitimationsmangel beim Umgang der absolutistischen Macht mit den von ihr unterworfenen Menschen. Dieser zunehmende Legitimationsmangel wird als ein wesentlicher Grund für den Ausbruch der revolutionären Ereignisse am Ende des 18. Jahrhunderts genannt.130

BURDEAU 1 9 9 5 : 8 1 .

Vgl. auch oben bei Fn. 120: 16. TOCQUEVILLE 1 8 5 6 : 128; JEAN-LOUIS MESTRE 1 9 8 5 : N 151 f f . G r u n d l e g e n d z u r K u l t u r d e s

Überwachens FOUCAULT 1994. Immerhin konnten die Verwaltungsbediensteten nur aufgrund eines detaillierten verwaltungsinternen Verfahrens vom Dienst entlassen werden, und es wurde ihnen eine zunehmend grosszügige Pension zugesichert: JEAN-LOUIS MESTRE 1985: N 162; MOUSNIER 1979. In dem Sinn steht die Evolution des französischen Staatsdienstes jenem des deutschen Staatdienstes nahe. Letztere wird in der Folge aufgrund des massgeblichen Einflusses auf die schweizerische Rechtslehre genauer zu untersuchen sein: unten Kap. I.E: 67. JEAN-LOUIS MESTRE 1 9 8 5 : 180; BURDEAU 1 9 9 5 : 3 2 ; v g l . a u c h OGOREK 1 9 8 9 : 4 1 3 . D i e

Kontextbedingungen fur das deutsche Reich werden in ähnlicher Weise nachgezeichnet: UGRIS 1985; STOLLEIS 1996: 52; siehe unten Fn. 281: 70.

36

b)

Abschaffung konsensualer Beteiligung an der Herrschaft Kontextbedingungen

der modernen

Verwaltung

Cormenin (1788-1866) fasste in seinem Werk von 1840, mit welchem er das nachrevolutionäre Verwaltungsrecht zu systematisieren suchte, die zentralen Kontextbedingungen dieses modernen Verwaltungsrechts folgendermassen zusammen: „Chaque pays a ses institutions, chaque institution ses problèmes, et chaque problème sa solution propre: Chez nous, la Centralisation a résolu le grand problème de l'unité dans le Territoire, la Législation, et le Gouvernement. La centralisation explique la France administrative."131 Zeitgeist und die Eigenschaften von Land und Leuten trieben Frankreich, so die Einschätzung von Cormenin, unaufhaltsam zu einer zentralisierten und absolut souveränen politischen Macht,132 und der Weg dazu führte über die Abschaffung von Privilegien im Rahmen der Herstellung bürgerlicher Gleichgerichtetheit einerseits sowie Zentralisierung und Hierarchisierung der Herrschaft andererseits.133 Dass sich in diesem Punkt die Interessen der monarchischen Herrschaft und der Bürgerlichen trafen, gilt dabei nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland.134 Dazu nochmals pointiert Cormenin, der die revolutionäre Forderung nach Freiheit direkt verband mit der erwähnten Tendenz zu einer zentralen und starken Staatsgewalt: „Qui divise sa force, la perd; qui veut de la liberté, veut de l'ordre; qui veut un peuple moral, veut un peuple réglé; qui veut un peuple réglé, veut un Gouvernement fort; qui veut un Gouvernement fort, veut un Gouvernement central."135 Eine wesentliche Voraussetzung der Zentralisierung und Hierarchisierung der Verwaltung, zusammengefasst letztlich als Bürokratisierung, war mit der Ausdifferenzierung von Geld als universellem Zahlungsmittel hergestellt worden.136 Die Betei-

C O R M E N I N 1 8 4 0 : v o l . I, I.

CORMENIN 1840: vol. I, Introduction. Zur Zentralisierung vgl. auch LEGENDRE 1968: 135 ff.

So etwa auch DUCROCQ 1897: 12. GRIMM 1987C: 92 f.; OGOREK 1988: 382 f. Zur Zentralisierung, verstanden als Hierarchisierung der Macht und als Voraussetzung des souveränen Nationalstaates äusserte sich noch Gerber in aller Deutlichkeit: „Diese Centralisation, durch welche allein eine wahrhaft einheitliche Wirksamkeit der Staatsgewalt möglich ist, verdient nicht Tadel, sondern nur volle Anerkennung.": GERBER 1880: 111. C O R M E N I N 1 8 4 0 : v o l . I, X V I .

Zur Ausdifferenzierung von Geld als universellem Zahlungsmittel siehe bereits oben bei Fn. 103: 29.

37

ligung an der Ausübung herrschaftlicher Funktionen musste nun nicht durch die besitzmässige Übertragung des Amtes zur ökonomischen Nutzung und damit zur Sicherung des Nahrungsstandes entschädigt werden, sondern dies konnte mit Geld erfolgen. 137 Abschaffung von Privilegien und die Rechtsstellung der Beamten In diesem Kontext eröffneten nun die Revolutionen die Möglichkeit, den souveränen Nationalstaat mit einem evolutorischen Sprung von der Last der alten Privilegien des Ständestaates zu befreien, die oft als bestehende „ Verträge" beschrieben und angegriffen wurden und damit, so die Argumentation, die einheitliche und unteilbare Souveränität des Nationalstaates in Frage stellen würden.138 Die langfristigen konkreten Konsequenzen zeigten sich daran, wie Cormenin in seiner ausfuhrlichen Systematisierung der französischen Verwaltungspraxis seit der Revolution die Rechtsstellung der Beamten beschrieb: Als eine Frage des Rechts tauchten lediglich Pension und Entschädigung auf, nicht aber Anstellung und Inhalt des Dienstverhältnisses, und selbst die Frage der Entschädigung war weitgehend den unabhängigen Gerichten entzogen.139 An dieser Situation änderte sich während langer Zeit wenig. Noch 1886 konnte Otto Mayer (1846-1924) in seiner Theorie des französischen Verwaltungsrechts kurz und bündig zusammenfassen: „Die Rechte des Beamten gegenüber dem Staate bestehen einzig in Entschädigungsansprüchen d. h. in Geldleistungen, welche der Staat ihm gewährt zur Ausgleichung der übernommenen Last."140 Max Webers Modell der Abschaffung der

Patrimonialherrschaft

Max Weber (1864-1920) beschrieb diesen Kontext als Ablösung einer alten Form der Legitimation von Herrschaft: In der idealtypisch verstandenen Patrimonialherrschaft, die über eine einfache Hausgemeinschaft hinausging und über ein grösseres Territorium und eine Vielzahl von Untergebenen verfugte, wurden die engen

Dass dieser Wechsel von der sogenannten Appropriation zur Entlohnung von zentraler Bedeutung war, zeigt sich zum Beispiel daran, dass Art. 12 der Verfassung der helvetischen Republik vom 12. April 1798 vorschrieb, die Besoldung der Beamten solle nun nicht mehr durch Appropriation, sondern allein als Lohn, „in Früchten", erfolgen - gemessen an zu verrichtender Arbeit und an eingesetzten Talenten sowie derart, dass der Beamte nicht der Korruption verfallen und dass Ämter nicht nur durch Reiche ausgeübt werden könnten. S o z u m B e i s p i e l PONS DE VERDUN 1 7 9 3 . CORMENIN 1 8 4 0 , II: 3 8 6 f f . u n d 4 0 7 f f .

MAYER 1886: 312. Zu beachten sind allerdings die Ausnahme der inamovibilité, d. h. der Unabsetzbarkeit: vgl. Kap. I.D.2.d): 46.

38

Getreuen des Herrschers, die mit der Verwaltung des Reiches beauftragt waren, im archaischen Fall an den Herrscher gebunden, indem dieser die Getreuen an seinem Tisch alimentierte. Mit zunehmender Grösse des Reiches und damit zunehmender Komplexität der Verwaltungsaufgaben stiegen jedoch, nach Max Webers idealtypischem Modell, die Zahl der mit der Verwaltung betrauten Untergebenen und damit auch die entsprechenden Aufwände für die Herrschaft. Infolge dieser Komplexitätssteigerung wurden die bisher bei Tische Alimentierten sodann - zunächst mangels eines universellen und jederzeit verfugbaren Zahlungsmittels und später um durch die Amtsvergabe die notwendigen Mittel für Kriegszüge einzutreiben - durch sogenannte Pfründe und Sportein versorgt. Diese wurden teils auf Zeit, teils auf Lebenszeit, teils zur Vererbung oder gar zur Verpachtung und zum Verkauf überlassen.141 Vom Recht wurde dieser Vorgang, wie gesehen, während langer Zeit unter dem Fokus des Eigentums erfasst, wobei sich jedoch im 18. Jahrhundert die rechtliche Rekonstruktion auf den Vertrag verschob.142 Der Unterschied zwischen Herrscher und Beherrschten wurde also für diesen Bereich der engen Getreuen nicht nur durch Repräsentation, sondern auch durch die konsensuale Beteiligung an der Herrschaft legitimiert.143 Mit der Zunahme der Appropriation der Ämter und unter den neuen Anforderungen an die Politik, mit einem wissenschaftlich geleiteten und rational organisierten Verwaltungsapparat auf die Veränderungen in der Gesellschaft zu reagieren,144 erschien allerdings dieses System der verteilten respektive vernetzten Herrschaft als zu unbeweglich: Infolge des Drucks hin zur Zentralisierung und Hierarchisierung politischer Kommunikation erschien das alte Legitimationssystem nun als Bündel von Hoheitsrechten Einzelner, die sich über Änderungen in der Verwaltung, sobald diese Änderungen die jeweiligen Nachbarämter betrafen, gegenseitig verständigen

WEBER 1921-1922/1980: 580 ff.; REYNOLDS 1996 fuhrt diese neue Form der Verwaltung auf das Bedürfnis der Kirche zurück, ihre Ländereien effektiver zu verwalten. Zur Funktion des Krieges unter dem Ancien Régime als Triebfeder des Zentralismus siehe BURDEAU 1 9 9 4 : 2 4 f. Oben Kap. I.B: 18. Das Wesen der feudalen Herrschaftsbeziehung ist heute umstritten. Auszumachen sind mindestens zwei Positionen. Nach Bloch zeigt sich in der konsensualen Beteiligung an der Herrschaft, dass diese auf gesellschaftliche Ressourcen angewiesen ist und sich nicht allein stabilisieren kann: BLOCH 1924. Nach Reynolds ist der Feudalvertrag Sinnbild einer expansiven Politik, mit welcher die Herrschaft (und zunächst vor allem die Kirche) mit neuer administrativer Technik auf die Gesellschaft ausgreift: REYNOLDS 1996. Als frühes Zeugnis dieser Entwicklung kann wiederum auf Seckendorffs Anleitung, wie ein Fürstenstaat zu regieren sei, verwiesen werden: SECKENDORFF 1665; siehe auch oben Kap. I.B: 18.

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und letztlich einigen mussten. Die neu geforderte 'sachliche', von Fachkenntnissen geleitete Ausfuhrung der Herrschaft wurde durch eine derart fragmentierte Wahrnehmung der Amtsinteressen behindert, in welchen die politischen Interessen immer in Übereinstimmung mit den wirtschaftlichen Interessen und den politischen Ambitionen des Amtsinhabers gebracht werden mussten. Diese Form des sogenannten Ständestaats geriet folglich in Konflikt einerseits mit einem neuen Menschenbild, das die Trennung in natürliche Schichten von Beherrschten und Herrschern auflöste und eine gewisse Gleichgeordnetheit der Menschen begründete,145 und andererseits mit der in Europa vor allem seit dem 18. Jahrhundert zunehmend bürokratischen Verwaltung, die diese Multitude von Menschen einigen und zu allgemeiner Wohlfahrt fuhren sollte.146 Max Weber wies mit zahlreichen Beispielen darauf hin, dass sich die Abschaffung derartiger alter Privilegien in der Geschichte als besonders schwierig erwiesen hatte, da zumeist eine Verknüpfung von Amt und Pfründen oder Sportein resultierte, dem Beamten also im Ende ein Besitzrecht am Amt zukam. 147 Die Ablösung gestaltete sich auf jeden Fall so lange als schwierig, als der Herrschaft die finanziellen Mittel fehlten, um die Pfründeinhaber abzulösen. In Frankreich bedurfte es in der Tat der Französischen Revolution sowie immenser finanzieller Abfindung, um dieses auf Eigentumsübertragung respektive auf Vertrag basierende Verwaltungssystem abzuschaffen. 148 In diesem Kontext der Überwindung überkommener politischer Strukturen wurde also im 19. Jahrhundert der Vertrag als Mittel der Stabilisierung und Legitimation von Herrschaft durch konsensuale Beteiligung an der Herrschaft aus dem Recht verbannt. Diese Variation der konsensualen Beteiligung an der Herrschaft erreichte jedoch - unter neuen Umständen und zum Teil mit anderem Inhalt, aber mit ähnlichen Problemstellungen - zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Rückkehr ins

Vgl. den soeben angeführten Art. 12 der Helvetischen Verfassung von 1798: oben Fn. 137: 38. Diese Gleichgeordnetheit der Menschen ist gleichsam für die moderne Politik und das moderne Wirtschaftssystem konstitutiv: oben Kap. I.C.2: 27. Des Weiteren vgl. HÄRTER 1 9 9 3 ; STOLLEIS 1 9 9 6 : 5 2 .

Grundlegend hierzu WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 5 9 9 ff.

Max Weber hatte zur Rechtsgeschichte promoviert und habilitiert, bevor er sich vermehrt der Soziologie und der Nationalökonomie zuwandte. In diesem Sinn gilt es Max Weber als Rechtshistoriker erst noch zu entdecken. Hierzu jüngst DLLCHER 2007. BERTHELEMY

m. w. H.

40

1923:

71;

BURDEAU

1994:

3 9 ff.; für D e u t s c h l a n d

siehe

SCHWAB

1975

Recht,149 In der Folge ist jedoch zunächst auf die Aktualisierungen im Verhältnis von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung an der Schwelle zum 19. Jahrhundert genauer einzugehen, was notabene auch in der erwähnten späteren Re-Emergenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten eine zentrale Rolle spielte. c)

Aktualisierungen der Herrschaftslegitimation und ihr Einfluss auf den Vertrag zwischen Staat und Privaten

In den momentbezogenen Ereignissen der Französischen Revolution zeichnet sich - wie soeben erläutert - bereits ab, dass Souveränitätslehre und Gesellschaftsvertrag zum Abbau von konsensual in der Gesellschaft verstreuten Herrschaftsrechten parallel laufen. Damit ist ein Zusammenhang dieser Lehren mit der Verbannung des herrschafitsbezogenen Vertrags angedeutet, der allerdings nicht erst in der Französischen Revolution erscheint, sondern bereits in den früheren Lehren von Bodin und Hobbes angelegt ist. Souveränitätslehre Als Ausgangspunkt der modernen Souveränitätslehren kann jener Zeitpunkt bezeichnet werden, als die herrschafits- und machtbezogene Semantik von der „höchsten Gewalt" (suprema potestas) zur „Souveränität" (majestas) wechselt. Allgemein wird Bodin als Begründer dieser vor allem auf dem Kontinent rezipierten Souveränitätslehre bezeichnet,150 in welcher es im Wesentlichen darum geht, die infolge Religionskriegen auseinander gebrochene Gesellschaft durch Politik zu einigen: durch die Vereinigung der Macht in den Händen des König einerseits und durch einheitliche Anwendung dieser souveränen Macht auf das Volk andererseits - womit sich zugleich markante Unterschiede zur Evolution in England ergaben, das die religiösen Auseinandersetzungen verhältnismässig leicht überwand.151 Nach Bodin übergibt also das Volk („le peuple") die weltliche Macht gesamthaft und dauerhaft dem Monarchen zu dessen freier Verfugung („pour disposer ... sans autre cause que de sa liberte").152 Nach Bodin besteht zwar eine zweifache Unterordnung: Der König ist Gott und des Königs Herrschaft ist dem Naturrecht untergeordnet. Zugleich aber ist der König nicht Gott, sondern souveräner Repräsentant der Men-

Sie erschien dabei zunächst oft noch im Verbund mit einer Anlehnung an die alte Verdinglichung, ausgedrückt in der Figur des wohlerworbenen Rechts: Zur Geschichte der wohlerworbenen Rechte seit dem 19. Jahrhundert siehe R H I N O W 1979. Unter vielen: M A R I T A I N 1950: 344 f. Mit dem späteren Bürgerkrieg wurde dagegen der Parlamentarismus gestärkt: hierzu im Vergleich mit Deutschland und Frankreich G R I M M 1987a: 5 6 ff. B O D I N 1 5 7 6 : 1 2 7 f.

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sehen auf Erden. Andererseits ist er als Ebenbild Gottes getrennt von den Menschen und übt absolute Macht in hierarchischer Weise über diese aus - und zwar Zeit seines Lebens. In diesem Sinne liegt also die Souveränität der Multitude der Gesellschaft über diese Multitude der Gesellschaft im Körper des Monarchen vereint, den die französische Revolution notabene schliesslich samt der alten Ordnung beseitigte.153 Contrat Social Diese Vereinigung der Vielheit des Volkes im Körper des Monarchen - ganz in der Tradition der kontinentalen Souveränitätslehre - verdeutlichte Hobbes gerade infolge des englischen Bürgerkrieges in prägnanter Weise im wohl berühmtesten Frontispiz der Buchgeschichte, der eine Vielzahl von Menschen im Körper des Leviathans vereinigt.154 Hobbes bekannte sich damit zu einer kontinentalen und vor allem französischen Souveränitätslehre und stand für den König und gegen den Parlamentarismus ein. Letzterer blieb allerdings siegreich, Hobbes musste schliesslich nach Frankreich fliehen, und wiederum entfaltete die Souveränitätslehre mehr Wirkung auf dem Kontinent denn auf der britischen Insel.155 Darüber hinaus wird bei Hobbes die Form des Gesellschaftsvertrags verdeutlicht, mit welchem jeder Einzelne der sogenannten „Multitude" sich zum Autor seiner und aller Geschicke macht („by mutual covenants one with another, have made themselves every one the author") und sich im Gemeinwohl („common-wealth") zum Zwecke von Frieden und gemeinsamer Gefahrenabwehr mit allen vereinigt.156 Es ist nun bemerkenswert, dass die Verbannung des Vertrags als rechtliche Stabilisierung der Beziehung von staatlicher Herrschaft und Privaten157 zusammenfällt mit dem Durchbruch einer anderen grossen Vertragsform: jener des Contrat Social. Die Stabilisierung der Gesellschaft durch Vertrag wechselte somit das Bezugssystem vom Recht zur Gesellschaftstheorie. Der grosse Gesellschaftsvertrag hob die vielen kleinen Herrschaftsverträge im dreifachen - hegelschen - Sinn auf, indem er sie erstens in der terminologisch weiterhin mitgetragenen Vertragsform bewahrte, zweitens begrifflich hinaufhob auf die höhere Stufe der Gesamtgesellschaft und drittens zugleich als Rechtsform zwischen Staat und Privaten beseitigte. Inhaltlich versprach der Gesellschaftsvertrag im Wesentlichen die Erneuerung der

BODIN 1576: 8, vor allem 122 ff.; zum Ganzen unter vielen MARITAIN 1950. Vgl. BREDEKAMP 2 0 0 6 .

Zu Hobbes siehe KJNG 1999: vor allem 56 ff. HOBBES 1651/1839: 158. Vgl. oben Fn. 115:33. Dazu sogleich unten I.E.3: 77.

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Einheit der Gesellschaft: Gefahrenabwehr und Wohlfahrt fur alle, wenn im Gegenzug die in der ganzen Gesellschaft zersplitterte Macht im Souverän vereinigt würde. Diese Vereinigung aller Macht im Souverän, diese einheitliche hierarchische Anwendung und Legitimation von Macht sollte somit das alte netzwerkartige Geflecht von Herrschaftsverträgen ersetzen, in welchem die einzelnen mit Vertrag delegierten Herrschaftsinteressen jeweils mit den Interessen des Vertragspartners zur Deckung gelangen mussten und in welchem bei Überschneidung von Herrschaftsrechten eine bilaterale Auseinandersetzung um die Herrschaft im Vordergrund stand.158 Volkssouveränität Im Zuge der Revolution gelangten diese - mit dem Element der Volkssouveränität ergänzten159 - Ideen mit den rechtlich verfassten Prinzipien von Demokratie und Gesetzesbindung, ergänzt durch die Gewaltentrennung, zum Durchbruch: Die Beherrschten und die Herrscher sollten nun nicht mehr durch den König, sondern in den gesetzten und damit Gesetz werdenden Entscheidungen ihrer selbst gewählten Repräsentanten zu einer Einheit im organisierten Nationalstaat verbunden werden.160 Diese Idee des Gesetzes unterschied sich massgeblich vom Gesetzesbegriff des Ancien Régime. Dieses hatte das Gesetz als ein frei verfügbares Instrument zur Durchsetzung landesherrlicher Politikprogramme verstanden.161 Es ist hierbei zu beachten, dass in diesem Paradigmenwechsel semantisch die Repräsentation als Legitimationsform weiterhin mitgetragen wurde, allerdings mit modifiziertem Inhalt. Cormenin drückte dies noch 1840 in folgender Weise aus: „... le Gouvernement représentatif a substitué à la volonté d'un seul l'association des volontés de tous, au caprice la règle, au commandement absolu du Prince la responsabilité constitutionnelle des Ministres."162 Die Hauptlast der Legitimation lag nun allerdings auf der Demokratie als Legitimationsform. Dabei setzte sich zunächst die Theorie von Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) durch, nach welcher die ganze Souveränität ohne Einschränkung beim Volk liege und dem Souverän demzufolge schlicht alles zur Disposition stehe, und nicht jene von Emmanuel Josephe Sieyès (1748-1836), nach welcher gewisse Ele-

Zum Ständesystem WEBER 1921-1922/1980: 580 ff. ROUSSEAU 1795: liv. I, chap. IV. Massgeblich für diese insbesondere auch in den Vereinigten Staaten vertretene Form der Einheit politischer Differenz ist freilich MONTESQUIEU 1749/1949,1: 168 ff. OGOREK 1 9 8 8 : 3 8 1 ; OGOREK 1 9 8 9 : 4 1 1 . CORMENIN 1 8 4 0 : v o l . I, X I I I .

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mente des Rechts, konkret in der Form der „droits de l'homme", mehr als Voraussetzung denn als Einschränkung politischer Kommunikation verstanden, vorstaatlichen Charakter erhalten sollten und durch einen Verfassungswächter, einen Vorläufer des Verfassungsgerichts, zu schützen seien. 163 Dieser Unterschied in den Theorien von Rousseau und Sieyès ist für die Evolution der politischen und rechtlichen Institutionen von entscheidender Bedeutung. 164 Denn Rousseau übertrug die konsequent gebündelte Souveränität auf den Gesetzgeber,165 woraus die zentrale Stellung des Prinzips der Gesetzesbindung folgte und sich dies im französischen Verwaltungsrecht auch im Konzept des acte administratif ausdrückte: Die Gesetze allein bestimmen in letzter Instanz Ziel und Mittel der von der Gesellschaft auf die Gesellschaft gerichteten Kommunikationen der Verwaltung. 166 Das Gesetz vereinigt (im Sinne von Repräsentation) im Prozess der Gesetzgebung das Volk zum Souverän, und das Gesetz zerfällt in der Form der Gesetzesanwendung im acte administratif oder in der Gerichtsentscheidung wieder zur individualisierten Machtanwendung, mit welcher der Staat auf die Vielheit des Volkes reagiert.167 Legitimation

als systemeigener

Prozess der Politik

Obwohl diese Strukturveränderungen im französischen droit public durch die revolutionären Ereignisse bedingt waren oder zumindest beschleunigt wurden,168 so

SIEYÈS 1789/1888; gegen die absolut verstandene Volkssouveränität richtete sich auch der gebürtige Waadtländer Benjamin Constant (1767-1830): CONSTANT 1815: 13 ff.; siehe auch unten bei Fn. 202: 52. Dies gilt auch für die Helvetische Republik: unten Kap. I.D.3: 57. Von Souveränität wurde freilich schon viel früher gesprochen, allerdings zumeist in einer weniger spezifischen Weise: vgl. für das 17. Jahrhundert FLEURY 1665-1666/1851: 98: „Voilà pour ce qui est des Parlements. Les autres Cours souveraines sont le grand Conseil, le Conseil privé, la Chambre des comptes, la Cours des aides, la Cours des monnoies." BLOCK 1877: 10; siehe auch MAYER 1886, zum Beispiel auf Seite 27: „Der Staat kann Niemanden etwas befehlen, Niemanden eine Last auferlegen ohne Gesetz: Also hat man nur zu sehen, ob ein Gesetz besteht, welches die Unterthanen zum Eintritt in den Staatsdienst verpflichtet..." Zur Vielheit als wesentliche Eigenschaft der Termini Volk und Nation siehe TOCQUEVILLE 1856: 159 ff. Vor dem 19. Jahrhundert sei weniger von Individualismus als von einer Vielfalt von Kollektiven zu sprechen. Evolutionstheoretisch kann man hier von einem , jump" sprechen. In Momenten unerwarteter oder skandalöser Ereignisse eröffnet sich eine Vielzahl von möglichen Optionen, wie sich die Elemente der Rechtsstrukturen im Lichte der veränderten Umwelt aktualisieren könnten (im Sinne von Kontingenz), was sich von Beliebigkeit ebenso wie von Vorbestimmung abgrenzt. Zu diesem als Punktualismus bezeichneten Konzept vgl. ABEGG 2005c: 444 f. m. w. H.

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beinhalteten sie doch kaum revolutionäre Neuerungen in dem Sinne, dass sie - wie auch Rodolphe Dareste (1824-1911) feststellte - ohne Vorläufer gewesen wären.169 Die umfassende Befehlsgewalt des Absolutismus zur Verwirklichung des Gemeinwohles ging unter staatlicher Leitung nicht einfach verloren, sondern wurde im Konzept des acte administratif, der entsprechend auch acte de commandement oder acte d'autorité genannt wird, aufgefangen. 170 In diesem acte de commandement kam auch nach der Revolution nach wie vor die Allmacht des Staats zum Ausdruck, die sich nun allerdings idealerweise in Rechtsform zu kleiden und auf Gesetze abzustützen hatte. Die Legitimationsform dieser Allmacht wurde lediglich von „l'état, c'est moi" zu „l'état, c'est nous" verschoben respektive bei gleich bleibender Form vervielfacht;171 trotz der Verschiebung von einer durch den König repräsentierten Einheit zur Einheit in der demokratischen Vielheit erhielt sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiterhin der Gedanke des zentralisierten und absolut souveränen Nationalstaats als einigende Kraft der Gesellschaft, 172 was in Unterscheidung zur amerikanischen Evolution auf den andauernden Abwehrkampf der französischen Bürgerlichen gegen die persistenten Verlierer der Revolution zurückgeführt wird.173 Zunächst lief also diese neue Art von Legitimation weniger auf eine Stabi-

DARESTE 1862: 675. In der Tat lehrt uns (wie bereits oben aufgeführt: Fn. 12: 3) die Evolutionstheorie, dass unter Selektionsdruck vor allem Nebenprodukte anderer Adaptionen verwendet (exaptation) oder eher Änderungen im Inhalt dieser Figuren zustande kommen (bricolage), als dass grundlegende Neuerungen veranlasst würden. Dies zeigt sich in Ansätzen bereits bei Fleury, der zu Zeiten Louis XIV. zur Souveränität folgendes schrieb: „L'autre partie, qui consiste à exécuter les lois et les Règlements, s'appelle juridiction. Les juges qui l'exercent sont, ou souverains, qui jugent en dernier ressort, ou subalternes. Il n ' y a proprement que le roi qui juge en dernier ressort, et les Cours souveraines n'ont ce droit, que parce que le roi y est toujours réputé présent ....": FLEURY 1665-1666/1851: 94. Zum Ganzen auch GAUCHET 1995. CHAUVEAU 1 8 4 1 ^ 4 : N 322 ff. Just diesen Schritt machte das preussische Allgemeine Landrecht von 1794 nicht. Obwohl es explizit a u f w e r t e n analog zur französischen Deklaration der Menschenrechte aufbaute, verweigerte es bekanntlich den Schritt zur Volkssouveränität. Frankreich machte allerdings nach der Revolution diese Vervielfachung der Souveränität zeitweilig rückgängig. So soll sich Napoléon gegenüber dem Parlament folgendermassen geäussert haben: „N'allez pas croire que ce soit vous qui représentiez la grande Nation. Non, ce n'est pas vous, c'est l'armée qui m'obéit, c'est le Sénat qui m'appartient, c'est le Conseil d'Etat que j e préside, c'est moi, j e suis la France!": zitiert nach CORMENIN 1840,1: VI. „Pour nous, puisqu'il faut que le Pouvoir exécutif soit quelque part, autant en haut qu'en bas, autant en un lieu qu'en cent lieux, autant en peu de mains qu'en mille.": CORMENIN 1840: vol. I,XVII. GRIMM 1987a: 66 f.

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lisierung durch Recht, sondern mehr auf eine Stabilisierung in einem systemeigenen Prozess der Politik heraus. Denn die innere Zuständigkeitsverteilung wurde nicht von den Gerichten überwacht, sondern die Verwaltung verfugte selbst darüber.174 Auf diesen letzten Punkt ist nun genauer einzugehen. d)

Ablösung der Verwaltung vom Einfluss der Gerichte Gewaltentrennung

im Zuge der französischen

Revolution

Wie gesehen, befanden die unabhängigen Gerichte bereits unter dem Ancien Régime immer weniger über Angelegenheiten der Kooperation zwischen Staat und Privaten. Während allerdings das Ancien Régime die Loslösung der Verwaltung vom Einfluss der Gerichte nur langsam und unter beträchtlichem Aufwand zu verwirklichen vermochte, schufen nun die Revolutionen die Möglichkeit eines markanten Sprungs: Die Politik vermochte sich von den Fesseln des alten Rechts zu lösen. Rechtstheoretisch war diese Verschiebung der Legitimation der Verwaltung von der gerichtlichen Überprüfung hin zur Gesetzesformigkeit der Verwaltung ja bereits von Montesquieu und Rousseau vorweggenommen worden.175 Im Zuge der Französischen Revolution wurde die Trennung der Verwaltung von der Justiz denn auch konsequenterweise mit Gesetz verfugt: „Les fonctions judiciaires sont distinctes et demeureront toujours séparées des fonctions administratives. Les juges ne pourront, à peine de forfaiture, troubler, de quelque manière que ce soit, les opérations des corps administratives, ni citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions." 176 Hinter dieser Trennung stand vor allem, den auf allgemeine Wohlfahrt gerichteten politischen Zielen zur Durchsetzung zu verhelfen und den Staat von den Lasten des Ancien Régime zu befreien. Nach diesen zentralen Gedanken wurde - so Cormenin - denn auch das nachrevolutionäre Verhältnis zwischen Verwaltung und Justiz strukturiert. Denn:

Dies wurde im 19. Jahrhundert noch genau gesehen: D A R E S T E 1862: 220 ff.; M E I E R 1864: 928; M A Y E R 1886: 91 f.; M A Y E R 1888: 30; M A Y E R 1895/96, I: 53 ff., vor allem 56. Zum acte administratif vgl. auch BLANCPAIN 1979. Zum Ganzen auch unten Kap. I.D.2.d): 46 und Kap. I.D.2.e): 51. V g l . CAPPELLETTI 1 9 8 9 : 1 2 4 f f .

Loi du 16/24 août 1790 sur l'organisation judiciaire, tit. II, Art. 13.

46

„... ce mélange [de l'ancien régime] des pouvoirs civils et administratifs gênerait l'action du Gouvernement, et là vénalité des charges judiciaires froisserait l'admissibilité de tous les citoyens aux emplois."177 In diesem Sinn ging es ganz allgemein um die Befreiung des Staats und der Gesellschaft von Privilegien und von Schulden des Ancien Régime: „II a fallu donner au fisc des privilèges pour lui assurer le recouvrement de ses créances et pour rendre à la fois rapide et uniforme la liquidation de ses dettes. Ces mesures étaient nécessaires pour mettre de l'ordre dans la comptabilité, et pour rendre facile et régulière la marche de tous les services publics." 178 Dem Gesetz von 1790 über die Gerichtsorganisation folgten zahlreiche Bestätigungen dieser Gewaltentrennung wie etwa in der Verfassung vom 3. September 1 *7Û 1 ÔA 1791 und im Gesetz vom 2. September 1795, womit nach der Revolution die Praxis des alten Regimes fortgesetzt wurde, den Zivilgerichten immer wieder in verschiedensten Rechtsfragen die Zuständigkeit zu entziehen.181 Gemäss letzterem Gesetz wurde den Gerichten gar unter Androhung strenger Strafen untersagt, erstens Rechtsakte der Verwaltung zu überprüfen oder zu annullieren und zweitens die Verwaltungsangestellten für ihre Tätigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Tendenz, die Verwaltung vor der Justiz abzuschirmen, erreichte unter Napoléon einen Höhepunkt.182 Hand in Hand mit der Verwirklichung der Gewaltentrennung zwischen Verwaltung und Gerichten ging in der Folge der Revolution die Abschaffung entsprechender Privilegien - der Käuflichkeit und der Vererblichkeit des Beamtenstatus und des Richterpostens. Die Ernennung wurde nun ebenso wie die Entlassung zu einem „acte de pure administration"; dieser stand allein im Ermessen der Regierung und blieb ohne jegliche Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung. 183 Die ehemals durch Käuflichkeit und Vererbbarkeit begründete Unabhängigkeit der Gerichte

177 178 179 180 181 182 183

C O R M E N I N 1 8 4 0 : v o l . I, X V f. DARESTE 1 8 6 2 : 2 7 6 .

Constitution du 3 septembre 1791, chap. V, art. 3: „Les tribunaux ne peuvent ... entreprendre sur les fonctions administratives ou citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions." La loi du 16 fructidor an III (2 septembre 1795). Dies betont CORMENIN 1840, II: 457, mit zahlreichen Hinweisen auf Gesetzgebung und Rechtsprechung. Siehe auch den Zuständigkeitskatalog der Zivilgerichte, der mehr einem Nichtzuständigkeitskatalog gleichkommt: CORMENIN 1840,1: 218 ff. Hierzu bereits CORMENIN 1840: XXX; jüngst zum Beispiel BURDEAU 1994: 90 ff. m. w. H. PERRIQUET 1884: N 487 und 489 ff. mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Conseil d'Etat bis 1849.

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wurde damit ebenfalls beseitigt, jedoch in die „inamovibilité " übertragen, mit welcher die Magistraten der unabhängigen Gerichte ganz im Sinne der Gewaltenteilung vor der Entlassung durch die Regierung geschützt wurden. 184 Kompetenzscheidung

zwischen Verwaltung und unabhängigen

Gerichten

Mit der derart vollzogenen Trennung der Gewalten und der vorgenommenen Beschneidung richterlicher Macht verblieben im Vergleich zum vorrevolutionären Zustand wenige Kompetenzen, die die staatliche Verwaltung berührten, bei den Zivilgerichten. Die Kompetenzkompetenz, d. h. die Kompetenz, Fälle entweder der Verwaltung oder den Zivilgerichten zuzuweisen, lag weitgehend bei der Verwaltung respektive der Regierung selbst.185 Und darüber hinaus wurde die Regel, dass bei öffentlichen Aufgaben im weiteren Sinn (fonctions de l'administration) 186 die Zuständigkeit bei der Administration liege und die entsprechenden Rechtsfragen der Beurteilung durch die Zivilgerichte entzogen seien, eng zugunsten der Administration ausgelegt.187 Neben dem Staatsdienst kann als ein weiteres Beispiel unter vielen die Ausführung öffentlicher Arbeiten (travaux publics) dienen: Die Zivilgerichte waren zur Beurteilung nur bei Streitigkeiten zwischen Privaten zuständig, also primär bei Streitigkeiten zwischen Zulieferer und Subunternehmer. Sobald aber die Verwaltung die öffentlichen Arbeiten beim Privaten bestellte, wurde den Zivilgerichten die Kompetenz zur Beurteilung einer Streitigkeit (also etwa bei Streitigkeiten zwischen Zulieferer und dem von der Verwaltung requirierten Unternehmer) abgesprochen.188 Ganz allgemein setzten Regierung und Verwaltung nach der Revolution alles daran, den Zivilgerichten das Beschaffungswesen zu entziehen. Cormenin erklärte die Vehemenz, mit welcher diese Kompetenzen den Zivilgerichten mit allen Mitteln entrissen wurden, mit der Notwendigkeit einer starken Regierung in revolutionären Zeiten einerseits und den leeren Staatskassen andererseits:

Hierzu in Verbindung mit Verwaltungsverträgen: PERRIQUET 1884: N 490 f. m. w. H. 1840, I: XXX f. und 440 ff. Dies ergibt sich aus folgendem traditionellen Prinzip: „Si les deux autorités administrative et judiciaire viennent à se choquer dans les luttes du conflit, la puissance royale les départage.": C O R M E N I N 1840: vol. I, VIII. Loi du 16/24 août 1790 sur l'organisation judiciaire, tit. II, Art. 13. So die klare Einschätzung von D A R E S T E 1862: 341; PERRIQUET 1884: N 231; M A Y E R 1886: 92. CORMENIN 1840, II: 422 ff. und 437 ff., mit zahlreichen Hinweisen auf die Praxis der Gerichte. Es ist daraufhinzuweisen, dass sich auch Ausnahmen finden: So stand etwa die Vereinbarung zwischen einer Gemeinde (municipale) und einem Privaten über den Unterhalt des Strassenpflasters den Zivilgerichten zur Beurteilung zu: C O R M E N I N 1840, II: 440. CORMENIN

48

„La Révolution avait déclaré la guerre intérieure au Roi de France, et la guerre extérieure aux Rois de l'Europe. Or, on ne fait pas la guerre sans argent, et le trésor était vide. Les réquisitions suppléaient aux fournitures, et les fournitures se multipliaient avec les besoins innombrables du service. ... Le service de la guerre, de la marine et de l'intérieur se serait embarrassé dans les circonvolutions infinies de la procédure judiciaire. La juridiction administrative lui imprima une action plus rapide ; on tranchait les contestations plutôt qu'on ne les dénouait; on aimait mieux payer cher, trop cher même, mais être servi ; on menait les fournisseurs au roulement du tambour, comme les soldats." 189 Seit der Revolution sei - so das Fazit von Cormenin in seinem Droit Administratif von 1840 - das Beschaffiingswesen Stück für Stück von den vertraglichen Elementen befreit worden und zu einer Verwaltungskompetenz geworden: „Contraindre les fournisseurs à exécuter dans l'intérêt du service, vérifier sévèrement les fournitures dans l'intérêt des troupes, des prisonniers, des pauvres, des invalides, des malades et infirmes; liquider tôt et payer comptant, voilà, en matière de marchés, les devoirs d'un gouvernement honnête homme." 190 Allerdings: Der Staat erwies sich unter diesen Vorzeichen allzu oft als wenig zuverlässiger Schuldner; zeitweise erklärte sich der französische Staat für zahlungsunfähig, und im Gesetz vom 25. Februar 1808 wurden die Schulden des französischen Staats gegenüber Zulieferern und privaten Gesellschaften (notabene nicht aber gegenüber ehemaligen Beamten) ohne Rücksicht auf ihren Rechtsgrund gekürzt. Cormenin sah zwar durchaus den Zusammenhang zwischen politischer Instrumentalisierung des Beschaffungswesens und dem schlechten Ruf des Staats als Schuldner. In der Konsequenz liess er es aber beim Appell an die Zahlungsmoral der Verwaltung und bei der Anmahnung negativer Folgen, die auf den Staat zurückfallen würden, bewenden. 191 Politischer

Bias des Institutionenarrangements

nach der

Revolution

Standen also die öffentlichen Interessen des Staats zur Debatte, schlug der absolute Souveränitätsanspruch, der nun im vom Parlament repräsentierten Volk lag, ganz auf das Recht durch und liess keinen Raum für die inhaltliche Rezeption von Vertragstheorien im öffentlichen Recht, die über die gelegentliche Anführung des

CORMENIN CORMENIN CORMENIN

1840,1: XXXVIII. 1840,1: XXXIX. 1840,1: XXXIX f. 49

Terminus Vertrag hinausgegangen wäre. 192 Vielmehr wurde die rechtliche Stabilität und Legitimation der politischen Ordnung durch Patriotismus substituiert, denn da es nach Adolphe Chauveau (1802-1869) in dieser Frage um nichts weniger als die Grösse der Nation ging, war es auch keine Frage, dass im Zweifelsfall der Vorrang des Verwaltungsrechts vor dem Zivilrecht galt: „Toutes les fois qu'un intérêt spécial émanant de l'intérêt général se trouve, discuté, en contact avec un droit privé, il y a contentieux administratif. .. ." I93 Selbst wenn nach der Loslösung der Verwaltung von der Zivilrechtsprechung ein Teil der zivilrechtlichen Terminologie im sich formierenden modernen Verwaltungsrecht verblieb,194 so wurden doch - so die rückblickende, mit Chauveaus und Cormenins Werken übereinstimmende Einschätzung von Perriquet - die meisten der später als contrat administratif bezeichneten Kooperationen von Beginn weg weitgehend der Zivilrechtsprechung entzogen und in die Kompetenz der Verwaltung überfuhrt: „La compétence judiciaire, à l'égard des contrats auxquels l'Etat est partie, n'a jamais été admise que sous réserve, autrefois, du principe que l'autorité administrative peut seule constituer l'Etat débiteur ; plus récemment, des conséquences du principe de la séparation des pouvoirs." 195 Die scharfe Gewaltentrennung galt auch für die Frage eines allfälligen Verantwortlichkeitsanspruchs gegen die Verwaltung und Private, die eine öffentliche Aufgabe ausführten, was - so wiederum Perriquet - eher auf die politische Interessenlage denn auf eine systematische rechtliche Regelung zurückzufuhren gewesen sei und mit der Ausübung der staatlichen Souveränität begründet worden sei.196 Selbst Cormenin, der für eine starke gesellschaftseinigende Verwaltung, verfasst durch ein eng an die Politik angelehntes Verwaltungsrecht, eintrat, kritisierte den Schutz insbesondere der höheren Beamten vor den Zivilgerichten,197 wies aber zugleich auf das funktionelle Äquivalent der Presse hin.198 Der grosse liberale Kritiker Alexis de Tocqueville (1805-1859) verglich schliesslich diese mangelnde Verantwortlichkeit der Verwaltung vor dem Bürger mit den Missständen des Ancien Régime

192 193 194 195 196 197 198 50

So etwa bei CHAUVEAU 1841-44: N 322 ff. CHAUVEAU 1 8 4 1 ^ 4 : N 3 2 2 .

Für eine Übersicht über die reichhaltige Gesetzgebung und Rechtsprechung (zum Beispiel zu den Zuständigkeiten bei öffentlichen Arbeiten) siehe CORMENIN 1840, II: 437 ff. PERRIQUET 1884: N 2 3 2 ; s o auch das Fazit v o n BURDEAU 1995: 6 0 ff. PERRIQUET 1 8 8 4 : N 2 3 1 u n d 5 1 0 .

CORMENIN 1840: vol. I, XXI, XXIV sowie vol. II: 338. CORMENIN 1840: X X X I f.

und deutete damit auf die Problematik hin, dass nach der Revolution die absolute Souveränität im Wesentlichen unverändert beim Staat belassen und durch die neue demokratische Zuständigkeitsverteilung lediglich besser verschleiert worden war: „La seule différence essentielle entre les deux époques est celle-ci: avant la révolution, le gouvernement ne pouvait couvrir ses agents qu'en recourant à des mesures illégales et arbitraires, tandis que depuis il a pu légalement leur laisser violer les lois."199 e)

Verwaltungsrechtsprechung durch den Conseil d'Etat Conseil d'Etat als Wahrer der

Verwaltungsinteressen

Die Loslösung der Verwaltung vom Einfluss der unabhängigen Gerichte und die Abschirmung der Staatsdiener gegenüber den unabhängigen Gerichten schufen wichtige Bedingungen der Möglichkeit, der Verwaltung insbesondere nach 1800 zu unbekannter Machtfulle zu verhelfen. Dieser Prozess hatte bereits im 18. Jahrhundert an Dynamik gewonnen, wobei in Retrospektive vor allem die sogenannten Lettres de cachet hervorgehoben werden, mit welchen die Verwaltung Macht ausübte (respektive: herrschaftlich kommunizierte), ohne dass sie diese Kommunikation äusseren gesellschaftlichen Einflüssen wie insbesondere dem Recht oder der öffentlichen Meinung ausgesetzt hätte.200 Es ist denn auch diese Zentralisierung politischer Macht, umgesetzt durch die Administration, die in der Französischen Revolution triumphierte.201 Wie erwähnt, hatte Sieyès der Gefahr einer mächtigen Verwaltung mit der Institution eines Verfassungswächters begegnen wollen. Diese Idee nahm Napoléon zwar auf, gab dem Rat aber nicht die von Sieyès empfohlenen umfangreichen Kompetenzen zur Kontrolle der Verwaltung. Gemäss Verfassung vom 22 frimaire an VIII (13. Dezember 1799) sollte der Conseil d'Etat vielmehr an der Verwaltung teilnehmen, konkret für die Staatsverwaltung Gesetze und Reglemente vorbereiten und

TOCQUEVILLE 1 8 5 6 :

126.

Hierzu oben Fn. 121: 34. TOCQUEVILLE 1856: 131: „Ce ne sont pas, comme on l'a dit tant de fois, les principes de 1789 en matière d'administration qui ont triomphé à cette époque et depuis, mais bien au contraire ceux de l'ancien régime qui furent tous remis alors en vigueur et y demeurèrent." Zum Ganzen auch DARESTE 1862: 172 ff. MOUSNIER 1979: 334, zieht folgendes Fazit: „Ce sont ces bureaucrates qui triomphèrent à la Revolution."

51

administrative Streitigkeiten beilegen.202 Zudem konnten nach Art. 75 Staatsangestellte nur nach Zustimmung des Conseil d'Etat vor den unabhängigen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden, womit der Conseil d'Etat mehr als Wächter einer mächtigen, unantastbaren Verwaltung denn als Wächter der Verfassung eingesetzt wurde.203 Der Conseil d'Etat als Beschwerdeinstanz in Verwaltungssachen stellte sich also in eine Linie mit der entsprechenden Institution des Ancien Régime. Bereits vor der Revolution hatte der König mit der Vorgängerinstitution vor allem das Ziel verfolgt, die Verwaltungsangelegenheiten möglichst von den unabhängigen Zivilgerichten fernzuhalten. Dareste meinte dazu im Rückblick: „La monarchie absolue, qui s'établit en France au dix-septième siècle, et qui va faire de l'administration le plus grand pouvoir de l'Etat, veut une justice administrative plus docile et plus énergique à la fois. Elle crée celle du Conseil d'Etat et des intendants."204 Reformen und (zögerliche) Trennung von der Verwaltung In den folgenden Jahren wurden vor allem die Kompetenzen des Conseil d'Etat in Verwaltungssachen etwa mit dem Dekret vom 11. Juni 1806205 ausgeweitet, und es folgten weitere Reformen in den Jahren 1828, 1831 sowie 1849 bis 1851.206 Ohne auf diese Reformen im Einzelnen eingehen zu müssen, bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass mit dem Conseil d'Etat (und im minderen Masse dem Conseil du

Art. 52: „Sous la direction des consuls, un Conseil d'Etat est chargé de rédiger les projets de lois et les règlements d'administration publique, et de résoudre les difficultés qui s'élèvent en matière administrative." Zum Ganzen siehe unter vielen CORMENIN 1840,1: XXIV f. und 5 f.: „[Le Conseil d'Etat] recevait, comme en famille, les confidences de Napoléon. Il était la plus haute personnification du Gouvernement. Il était l'Empereur même." DARESTE 1862: 58. Dareste zitiert auch Roederer (1754-1835), der das Reglement von 1799 verfasst hatte (siehe auch Fn. 208: 53): „Sous la règne qui précédé la Révolution, une grande partie du contentieux de l'administration était protée devant les tribunaux, qui s'étaient fait un esprit contraire à l'intérêt du trésor publique.": zitiert nach DARESTE 1862: 174 f., siehe auch 675; ähnlich bereits CORMENIN 1840,1: 3 ff.; ebenso TOCQUEVILLE 1856: 122 ff.: Der Auslöser für die Einsetzung eines Verwaltungsgerichts (zunächst in der Form der Sondertribunale) sei gewesen, den Untertanen den Schein der Gerechtigkeit zu zeigen, ohne deren Wirklichkeit furchten zu müssen. H i e r z u BURDEAU 1 9 9 5 : 7 1 .

Zur Evolution des Conseil d'Etat siehe unter vielen: BURDEAU 1995; aus heutiger Sicht mit kritischem Blick auf die Verbindungen zur Verwaltung siehe auch ACHILLE MESTRE 1974; siehe auch bereits CORMENIN 1840,1: 3 ff.

52

préfecture)207 die Rechtsprechung in Verwaltungssachen schon früh zumindest formell von der Verwaltung selbst getrennt wurde. Davon zeugt bereits das Reglement aus dem Jahr 1799: „Les conseillers d'Etat chargés de la direction de quelque partie de l'administration publique n'ont point de voix au Conseil d'Etat, lorsqu'il prononce sur le contentieux de cette partie."208 Aus dem gleichen Zitat erschliessen sich jedoch auch die von Beginn weg engen Bezüge zwischen Conseil d'Etat und der Administration, wenn die Mitglieder des Conseil auch zugleich einem Bereich der Verwaltung vorstehen können. Auf diese Verflechtung machte auch bereits ein Architekt des Conseil d'Etat, Pierre-Louis Roederer (1754-1835), in seinen Memoiren aufmerksam: „[Bonaparte] me dit : 'N'acceptez pas votre nomination [au Sénat], Qu'est-ce que vous feriez là ? Il vaut mieux entrer au Conseil d'Etat. Il y a là de grandes choses à faire. C'est là que je prendrais les ambassadeurs et les ministres.' ,,209 Mit dem Fall des Empire reduzierte sich zwar auch die Stellung des Conseil d'Etat als zentrales Organ der Politik. Dem Conseil d'Etat verblieb aber die Rolle als Verwaltungsgericht (immer noch weniger als eigenständige gerichtliche Staatsgewalt denn als Teil der Verwaltung) sowie in vermindertem Masse jene als Berater der Staatsverwaltung.210 f)

Gründe fur das Fehlen von verwaltungsrechtlichen Verträgen

In der erläuterten französischen Staatskonzeption fand die Kooperation des Staats mit Privaten in der Form des Vertrags in den Jahren nach der Revolution wenig Beachtung. Es lassen sich keine Stellungnahmen der Juristen zu Verträgen der Verwaltung finden, und auch der Conseil d'Etat brachte keinerlei stabile Dogmatik hierzu hervor. Es ist zwar schwierig, die massgeblichen Gründe fur das Ausbleiben

Die Conseils de préfecture wurden mit dem loi du 28 pluviôse an VIII (17. Februar 1800) eingeführt, um die Macht des Staates in den Departementen zu konsolidieren. Die Kompetenz der Conseils de préfecture erstreckt sich in der Regel auf das Gebiet der travaux publics der Departemente. Siehe hierzu BURDEAU 1995: 68 ff. Art. 12 du règlement du 5 nivôse an VIII. ROEDERER 1853, III: 308 f. Davon, dass diese bemerkenswert engen Bezüge zwischen Conseil d'Etat und Administration bis heute im Wesentlichen überdauert haben, zeugen v e r s c h i e d e n e Studien: Z. B. ACHILLE MESTRE 1974; KOOPMANS 2 0 0 3 : 137.

CORMENIN 1840: XXIV ff. Die Stellung des Conseil d'Etat war denn auch immer wieder ein politisches Thema: „Dans la vérité, le Conseil d'Etat n'est point par lui-même un pouvoir public, ce n'est que l'instrument d'un des pouvoirs publics définis par la charte.": PORTALIS 1834: 2; z u m Ganzen auch ROBINEAU/TRUCHET 2 0 0 2 .

53

von Kommunikation zu diesem Thema anzugeben. Jene Autoren wie Cormenin, Chauveau, Dareste und Perriquet, die um die Mitte des Jahrhunderts die fehlende Konsistenz des Verwaltungsrechts im Allgemeinen und das Fehlen einer verwaltungsrechtseigenen Dogmatik des Vertrags im Speziellen feststellten, wiesen immerhin auf verschiedene Bedingungen hin, die diese Absenz begünstigt hatten: Bedürfnisse der neuen Macht Nach der Revolution wurde der Vertrag zwischen Staat und Privaten, wenn überhaupt, nur oberflächlich thematisiert. Insbesondere zeitigte er kaum je massgebliche Rechtsfolgen, sondern wurde mehr in rhetorischer Weise zuweilen mitgetragen. Der Grund hierfür liegt darin, dass in dieser politisch tumultösen Zeit das Verwaltungshandeln mehr durch die Bedürfiiisse der neuen Macht, die sich ständig gegenüber einer drohenden Gegenrevolution abzusichern hatte, als durch das weitgehend vorrevolutionäre Verwaltungsrec/zf geprägt wurde. Dies zeigt sich denn auch an den Umständen, die zur Schaffung der verwaltungseigenen Gerichtsbarkeit des Conseil d'Etat gefuhrt hatten. 2 " Entsprechend beklagte sich Cormenin im Jahr 1826 in seinem Vorwort zu den Questions de droit administratif ebenso wie im Vorwort zu seinem Droit administratif von 1840, dass das Verwaltungsrecht in Folge der verschiedenen Revolutionen seine Konsistenz nicht habe bewahren können212 und dass seine Grundlagen dem Wandel der Zeit nicht angepasst worden seien. 213 Dem entspricht, dass sich die Wissenschaft zunächst mehr mit den grossen dringenden politischen Fragestellungen wie zum Beispiel der Souveränität und der Gewaltenteilung denn mit den Details des Verwaltungsrechts beschäftigte. 214 Eine wissenschaftlich geleitete, d. h. vor allem systematische Rekonstruktion der Kommunikationen der Staatsverwaltung im Recht begann im Wesentlichen erst nach

Siehe auch CORMENIN 1826: préface x; es ist z. B. auf die Entstehungsbedingungen des Conseil d'Etat zu verweisen: oben Kap. I.D.2.e): 51. CORMENIN 1826: préface.

vol. I, XXII; zum Ganzen mit einer analogen Bewertung siehe jüngst Siehe auch oben Kap. I.D.2.a): 32. Typisch ist C O N S T A N T 1815: viii: „II y a bientôt vingt ans que je m'occupe de considérations politiques, et j'ai toujours professé les mêmes opinions, énoncé les même vœux. Ce que je demandais alors, c'était la liberté individuelle, la liberté de la presse, l'absence de l'arbitraire, le respect pour les droit de tous." CORMENIN

1840:

BURDEAU 1 9 9 5 .

54

1840 mit Cormenin215 und stabilisierte sich erst infolge Kommunikationsverschlaufiingen mit einer unabhängigeren Verwaltungsgerichtsbarkeit.216 Hierarchisierung

der Staatstheorie infolge Souveränität und Contrat Social

Des Weiteren fällt ins Gewicht, dass im Rahmen der auf das Volk ausgerichteten Souveränitätstheorie und der damit zusammenhängenden Lehre der Gesetzesbindung die Kommunikationen der Verwaltung gegenüber den Bürgern im Recht mit dem Konzept des acte administratif erfasst wurden. Es erstaunt nicht, dass die Kooperation des Staats mit Privaten in der Form des Vertrags in diesem Konzept keine Beachtung finden konnte.217 Erst rund fünfzig Jahre nach der Revolution, unter zunehmendem Einfluss liberaler Theorien, begannen sich die französischen Juristen wie Cormenin, Chauveau und insbesondere Dareste wieder mit dem Vertrag zwischen Staat und Privaten auseinander zu setzen. Sie stellten fest, dass bisher die Begriffe des acte administratif und vor allem des contrat administratif höchst unpräzise verwendet worden seien und insbesondere jene Rechtsgeschäfte, die nach neuer Meinung eigentlich als Vertrag zu bezeichnen gewesen wären, innerhalb des Verwaltungsrechts ihre systematische Erfassung nicht gefunden hätten.218 Fehlende unabhängige

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Schliesslich ist daran zu erinnern, dass die Kompetenzen zur Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Verwaltung und Privaten infolge der Revolution den unabhängigen Gerichten weitgehend entzogen worden waren. Obwohl mit dem Conseil d'Etat eine zumindest formell von der Verwaltung getrennte VerwaltungsrechtCORMENIN 1840 vor allem vol. I.: XLIII. Obwohl Chauveau sich dagegen verwahrte, die Administration zu schwächen, trug er paradoxerweise mit seiner systematischen Darstellung ebenfalls zur Verrechtlichung des Verwaltung bei: CHAUVEAU 1841-44: vor allem préface. 216

Siehe hierzu meine weiteren Ausfuhrungen in II1.B.3: 216.

2.7

V g l . z. B . CORMENIN

2.8

S o CHAUVEAU 1841^14: N 4 0 3 ff., vor allem 4 1 1 ; CORMENIN 1840: vol. I, u. a. X X X V I I I ;

1826.

DARESTE 1862: 674 ff. und 372 ff. zum Mandat. Auch noch Perriquet stellte in seiner Schrift von 1884 zum contrat de l'Etat fest, dass von der Übernahme des zivilrechtlichen Vertragskonzeptes im Verwaltungsrecht nicht viel mehr übrig bleibe als die Terminologie: „... un contrat est un contrat administratif et donne lieu à la cométence administrative, lorsque l'Etat y intervient pour exercer directement les pouvoirs constituant la puissance publique.": PERRIQUET 1884: N 232. Typisch ist die Unterscheidung, wie sie der Cour de Cassation in einer Entscheidung vom 8.1.1861 (D.61,1,116) vornahm: Alle hoheitlichen Handlungen der Verwaltung gehörten dem Verwaltungsrecht an und alle Verträge zwischen Verwaltung und Privaten dem Zivilrecht.

55

sprechungsinstanz geschaffen wurde, war dieser doch gerade mit dem Bedürfnis geschaffen geworden, die Verwaltung im Interesse der nationalen Wohlfahrt von ihren Fesseln zu befreien und von fremden Einflüssen zu schützen.219 Die Anwendung und Fortbildung eines rechtlichen Konzeptes, das nicht auf der einseitigen Gestaltungsmacht der durch Gesetz legitimierten Staatsverwaltung beruhte, sondern das Rechtsverhältnis auch mit Blick auf den Bürger rekonstruierte, hätte der Entfesselung der Verwaltung gerade entgegengestanden. Nischen der kooperativen Verwaltung Insgesamt ist also für diese Zeit nach der Revolution bis etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts eher die Entfesselung der Verwaltung durch die Loslösung von unabhängigen Gerichten als die Errichtung einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Conseil d'Etat zu betonen.220 Trotz aller Kraft des Politischen unter dem Konzept der auf die Nation ausgerichteten Souveränitätslehre und Demokratie und trotz der resoluten Befreiung der Staatsverwaltung vom Einfluss der unabhängigen Gerichte - für Verträge zwischen Verwaltung und Privaten blieben nach den turbulenten Strukturveränderungen der Revolutionszeit sogenannte Nischen bestehen: So konnten etwa Kooperationen zwischen Staat und Privaten, wenn sie nicht anders denn als Vertrag zu qualifizieren waren, grundsätzlich als Zivilrecht und als Zuständigkeit der Zivilgerichte konstruiert werden, doch wurden sie auch in diesem Bereich zunehmend von der dominanten Kommunikations- und Legitimationsform des Gesetzes überlagert.221 In derartigen Nischen konnte später, in der Folge von liberaler Kritik am Überhand nehmenden Staatsapparat, die Kooperation zwischen Staat und Privaten eine neu-alte rechtliche Grundlage finden. Auf diese ReEmergenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten wird andernorts zurückzukommen sein.222

Oben Kap. I.D.2.d): 46. So auch bereits GIACOMETTI 1924: 2 . Typischerweise ging es zum Beispiel im Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. November 1822 in Sachen Rambourg contre le Ministre des finances (recueil 334) darum, dass eine Übereinkunft zwischen der Verwaltung und einem Grundbesitzer mit dem Erlass eines Gesetzes rechtsverbindlich geworden war. Unten Kap. III: 197, vor allem III.B: 207.

56

3.

Besonderheiten in Deutschlands Übergang zur politischen und deren Einfluss auf die kooperierende Verwaltung

Moderne

Vom Deutschen Reich als Schutzwall für Partikular ismen ... Die Leistungen der deutschen Wissenschaft zur rechtlichen Erfassung der kooperierenden Verwaltung werden noch genauer zu untersuchen sein.223 Zunächst sei aber überblickartig auf jene Evolutionsschritte der politischen und rechtlichen Institutionen der deutschen Länder im Übergang zum 19. Jahrhundert hingewiesen, die für die Frage der rechtlichen Erfassung der kooperierenden Verwaltung von Bedeutung sind. Dabei können insbesondere die ausfuhrlichen Untersuchungen von Erichsen und Ogorek zur Administrativjustiz als Ausgangspunkt dienen.224 Massgebliche Unterschiede zu Frankreich, das nach örtlicher und persönlicher Zentralisierung der Macht im Souverän, also zunächst im König und dann im Volk, strebte,225 offenbaren sich insbesondere in den politischen Strukturen des deutschen Reichs. Dieses war, wie unter anderem Sheehan ausfuhrt, keinesfalls ein souveräner Staat im Sinne des 19. Jahrhunderts, sondern es übte vielmehr die Funktion aus, in vielfältiger Weise die in zahlreichen örtlichen, sachlichen und persönlichen Bereichen überlappenden und sich konkurrenzierenden Partikularismen gleichzeitig zu erhalten und punktuell zu überwinden. Hierzu war es mehr Rechtsgemeinschaft denn Staat im modernen Sinn und als solche ein Bollwerk gegen Konsolidierung und Zentralisierung der Macht.226 ... zur Zentralisierung

und Konsolidierung souveräner Macht in den Ländern

In den einzelnen Ländern jedoch entwickelte sich ein durchaus mit Frankreich vergleichbarer und von Frankreich angeleiteter Drang nach der Zentralisierung souveräner Macht und deren Konsolidierung in der Verwaltung, allerdings mit zwei bedeutenden Unterschieden zu Frankreich: Erstens bildete sich in den deutschen Ländern die Verwaltung als relativ eigenständiger Beamtenstand aus, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts zuweilen eine durch Verfassung oder Gesetz gesicherte relative Unabhängigkeit von der Regierung erhielt. Von Hegel wurde die Verwaltung als unabhängige Vermittlerin zwischen fürstlicher Macht und Volk bezeichnet - im Sinne eines funktionalen Äquivalents zur Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung, die vom schwach ausgeprägten bürgerlichen Stand nicht hatte

Unten Kap. I.E: 67. ERICHSEN 1 9 7 1 ; OGOREK 1 9 8 4 ; 1 9 8 6 ;

1988.

Oben Kap. I.D.2.a): 32. SHEEHAN 1994: 12 ff. Vgl. auch GRIMM 1987a.

57

errungen werden können, und um die immer stärker in die Gesellschaft ausgreifende politische Macht als legitim erscheinen zu lassen. Und zweitens waren infolge der mehr evolutionären denn revolutionären Prozesse einerseits und infolge einer Divergenz von Ansprüchen an die Verwaltung und eines Mangels an qualifizierten Verwaltungsbeamten andererseits Regierung und Verwaltung auf punktuelle Arrangements mit den alten Autoritäten angewiesen, denen zur Staatsverwaltung wichtige Aufgaben übertragen wurden.227 Abbau von Rechtsschutzgarantien

mit der Auflösung des Reiches

Diesem institutionellen Arrangement entspricht, dass das Deutsche Reich den Privaten im 18. Jahrhundert verhältnismässig gute Rechtsschutzgarantien gegenüber hoheitlichen Eingriffen der einzelnen Fürsten bot. Diese Rechtsschutzgarantien basierten auf dem territorialen Justizsystem des Reiches und der darin verankerten Rechtsmässigkeitskontrolle gegenüber den Landesherrn. Von dieser Kontrolle durch das Reichskammergericht oder den Reichshofrat konnten sich die Länder befreien, wenn sie äquivalente eigene Rechtsverfahren an deren Stelle setzten. Im Wesentlichen aber stand bei diesen Rechtsschutzgarantien des Reiches zugunsten der Bürger weniger der Schutz individueller Rechte als vielmehr die Disziplinierungsmacht des Reichs gegenüber den Ländern im Vordergrund - um die Reichseinheit zu gewährleisten.228 Mit der Auflösung des Reichs im Jahr 1806, womit sich der Druck der grösseren Länder zu Konsolidierung und Zentralisierung der souveränen Macht durchgesetzt hatte, fiel diese Rechtsschutzgarantie weg, und in der Konsequenz wurden auch die Appellationsmöglichkeiten abgebaut und der Rechtsschutz auf Bürger-BürgerBeziehungen beschränkt. Begründet wurde dies - analog zu Frankreich229 - mit der notwendigerweise ungeteilten Souveränität des Landes. Gerichte, die den Landesherren kontrollierten, würden gerade die Teilung der hoheitlichen Souveränität herbeifuhren, die es zusammen mit der alten Ordnung zu überwinden gelte. Darüber hinaus erschien der eigenwillige und langwierige Gerichtsprozess geradezu als Sand im Getriebe staatlich - das heisst vor allem: durch die Regierung und die professionalisierte Verwaltung - angeleiteter Wohlfahrt. 230 Mitgetragen wurde diese Beschränkung der Gerichtsbarkeit, wie bereits erwähnt, insbesondere zu-

SHEEHAN 1 9 9 4 : 3 9 1 ff.

Zum Ganzen ERICHSEN 1971; WEITZEL 1976; OGOREK 1988: 375 f.; in diesem Sinne bereits MEIER 1 8 6 4 : 9 2 2 .

Oben Kap. I.D.2.d): 46. Die Administrativjustiz erweist sich damit gerade nicht als Vorläufer des Rechtsstaats: ERICHSEN 1 9 7 1 : 121 ff. u n d 1 6 7 f f . ; OGOREK 1 9 8 4 : 9 1 ; OGOREK 1 9 8 8 ; PAHLOW 2 0 0 0 .

58

nächst auch vom bürgerlichen Stand, der sich damit gegen von den Gerichten geschützte wohlerworbene Rechte der Aristokraten wandte.231 Gewaltentrennung

von Verwaltung und Justiz

Im Bereich des ordentlichen Gerichtsverfahrens und insbesondere der Zivilgerichtsbarkeit war es allerdings durchaus auch im Sinn des aufgeklärten Regenten, die Gerichte zugunsten der wohlfahrtsfördernden Selbstregulierung der Wirtschaft in ihrer Unabhängigkeit zu stärken - zumindest soweit nicht die eigene oberste Entscheidungsgewalt des Regenten eingeschränkt wurde.232 Von dieser doppelten Intention - der Verwirklichung einer unabhängigen ordentlichen Gerichtsbarkeit einerseits und der Bewahrung der Position des höchsten Richters andererseits zeugen die sogenannten Machtsprüche, mit welchen der Regent in den Lauf der Justiz zwar eingriff, aber nur dann, wenn er es für unausweichlich hielt. Doch auch diese Restanzen alter Ordnung, diese Eingriffe in den 'steten Gang' der Justiz, kamen bald infolge Skandalisierungen unter Druck.233 Die Rolle des Monarchen als Landesvater, der die Gesellschaft mit aller Macht zu nationaler Wohlfahrt anleitet, war nicht mehr mit seiner Rolle als oberster unparteiischer Richter zu vereinbaren. Die in Ziel und Mittel umfassend angestrebte Wohlfahrt der Gesellschaft kam allzu oft mit den Interessen des Einzelnen in Konflikt. Insofern erreichte also die Auflösung des deutschen Reiches und vor allem des Reichsgerichts im Verbund mit einem verstärkten Fokus auf die souveräne Regierungsmacht, welche Einheit und Wohlstand der Gesellschaft versprach, was in Frankreich die Revolution erreicht hatte: die Befreiung der immer weiter ausgebauten Verwaltung von den Fesseln unabhängiger Gerichtsbarkeit, die ihrerseits auf die Gerichtsbarkeit über die selbstorganisierten Gesellschaftsbereiche zurückgedrängt wurde. Zurückhaltender Abbau von Privilegien und zögerliche Durchsetzung neuer Legitimationsformen Demgegenüber vermochten sich zwei zentrale institutionelle Neuerungen, die mit der Französischen Revolution in einem evolutionären Sprung verwirklicht worden waren, in den deutschen Ländern erst mit grosser Verzögerung durchzusetzen:

Oben bei Fn. 132: 3. Zu den Kontextbedingungen der Marktwirtschaft siehe oben Kap. I.C: 24. Vgl. OGOREK 1984: vor allem 99 und 103. Zur analogen Problematik in Frankreich siehe TOCQUEVILLE 1 8 5 6 : 2 9 2 f f . ; MEIER 1 8 6 4 : 9 2 8 f.

59

-

Jene alten Privilegien, die wie die Verwaltungskontrolle durch ordentliche Gerichte die ungeteilte Souveränität belasteten, wurden erst spät und in einem langwierigen Prozess abgelöst. Bis zur Revolution von 1848 vermochten sich diese alten Privilegien, die zunehmend als anachronistisches politisches Eigentum erschienen waren, auf die Eigentumsfreiheit und die entsprechenden Entschädigungspflichten zu berufen, worin sich auch die altrechtliche Verknüpfung von Herrschaft und Vermögen spiegelte.234

-

Die neuen, durch Naturrecht und Aufklärung vermittelten legitimatorischen Grundlagen des modernen Staats, Beteiligung der Machtunterworfenen an der Macht einerseits und Absicherung der Machtunterworfenen durch Recht andererseits,235 vermochten sich in den deutschen Ländern zunächst nicht oder nur sehr zögerlich festzusetzen. Mit der erfolglosen, aber nicht folgenlosen bürgerlichen Revolution von 1848 wurde schliesslich in Deutschland die Forderung nach einem derart umfassenden demokratischen Rechtsstaat auf die formelle Seite zurückgenommen, auf Kosten der Beteiligung.236 Zunächst aber Hessen sich die Monarchen mehr auf eine beschränkte Beteiligung an der Gesetzgebung denn auf eine Kontrolle der Regierungstätigkeit ein, was Ogorek auf das Bedürfnis nach Legitimation der verstärkt souveränen und - mit dem Wegfall der Rechtsweggarantie des Reiches - äusserst unabhängigen Verwaltung zurückführt. 237 Diese unkontrollierte, immer stärkere Verwaltung mit ihrem gesellschaftsumfassenden Auftrag brachte freilich auch jene Kritik von C.J.A. Mittermaier und ihm nachfolgenden Liberalen hervor, die die fabrikmässige und sich immer weiter ausbreitende Verwaltung angriffen und eine Kontrolle durch die unabhängige Justiz forderten.238

vor allem 102. 1797/1988: § 47, hatte den Staat in seiner Rechtslehre definiert als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen". In diesem Staat kann das Oberhaupt nach Freiheitsgesetzen betrachtet, kein anderer als das vereinigte Volk selbst sein ..." STOLLEIS 1990a. SCHWAB 1 9 7 5 : KANT

O G O R E K 1 9 8 8 : 3 8 2 f. OGOREK

60

1988: 386 m. w. H. insbesondere auf

MLTTERMALER

1820: 305 ff.

4.

Besonderheiten der Schweiz im Übergang zur politischen Moderne, insbesondere im Zuge der Helvetik, und deren Einfluss auf die kooperierende Verwaltung Ablösung vom Reich

Bekanntlich hatten sich die alten Orte der Eidgenossenschaft bereits 1499 de facto mit dem Frieden von Basel und schliesslich 1648 auch formell nach den Verhandlungen in Westfahlen vom Einfluss des deutschen Reichskammergerichts zu lösen vermocht.239 Diese Trennung trug - so die Feststellung von Fritz Fleiner (1867-1937) - wesentlich dazu bei, dass sich die alten Orte zu absolutistischen Regime entwickelten.240 Die polizeistaatlich organisierten Autokratien unterstanden in aller Regel mangels unabhängiger Gerichtsbarkeit keinen rechtlichen Schranken, wobei eidgenössische Eigenarten den dringenden Bedarf an rechtlicher Legitimation und Stabilität wohl lange gemildert hatten: Im Vergleich mit den grossen Nachbarländern fallen insbesondere die Kleinräumigkeit, der Mangel eines stehenden Heers, die wenig ausgebildete Zentralisierung der Bürokratie und die fehlende Einheit der öffentlichen Gewalt ins Gewicht.241 Französischer Einfluss in der Helvetik: Demokratische Legitimation und Stärkung der Verwaltung In diesen autokratischen alten Orten der Eidgenossenschaft stiessen die französischen Ideen zur Staatsorganisation, die mit dem Einmarsch Frankreichs 1798 Einzug hielten, zwar auf zahlreiche Hindernisse. Insbesondere die zunächst unterschätzte föderale Eigenart der Eidgenossenschaft, die auf lokale Eigenheiten wenig Rücksicht nehmende Umsetzung des neuen Systems und die zunehmend als drückend empfundene Kriegs- und Okkupationslast werden als Grund für den raschen

Siehe hierzu die politische Streitschrift des eidgenössischen Unterhändlers beim Westfälischen Friedenskongress Johann Rudolf Wettstein (1594-1666): WETTSTEIN 1651; zu Wettstein vgl. EGGER 1999; zum Westfälischen Frieden vgl. den Sammelband JORIO 1999. FLEINER 1916: 8. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts insbesondere im Rahmen der Debatten um die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit schaute die neu entstandene schweizerische Verwaltungsrechtswissenschaft auf die Zusammenhänge zwischen der Evolution des Verwaltungsrechts und der Evolution der Staatsinstitutionen zurück. Zahlreiche Untersuchen hierzu etwa von Fritz Fleiner und von Giacometti, die auch heute noch ihre Gültigkeit bewahrt haben, stammen aus jener Zeit. PAUL SPEISER

1889b:

5 5 1 ; HUNGERBÜHLER

1 9 1 9 ; GIACOMETTI

1924:

5 ; FELLER

1938:

61 ff., 218 ff.

61

Zusammenbruch der Helvetischen Republik angeführt.242 Die rasche243 Umsetzung der neuen Ideen zur Staatsorganisation in der kurzen Zeit der Helvetischen Republik (Verfassung der helvetischen Republik vom 12. April 1798 und darauf folgende Änderungen244) verstärkte aber dennoch nachhaltig, über den Zusammenbruch der Helvetischen Republik hinaus, den Vorrang und die Unabhängigkeit von Regierung und Verwaltung gegenüber den Gerichten: — Zum Ersten blieben die Befugnisse der Gerichte gegenüber der Verwaltung schwach ausgebildet. Nachdem sich bereits in den alten Orten keine unabhängigen und sozial konsistenten Gerichte wie in Frankreich zu entwickeln vermocht hatten,245 setzten auch die neue helvetische Verfassung von 1798 und ihre Nachfolgerinnen die Gerichte nicht als Kontrollinstanz gegenüber der Verwaltung oder gar der Regierung ein. Zwar wurde eine gewisse organisatorische Eigenständigkeit der Gerichte festgelegt,246 und es wurden Kantonstribunale als letzte Instanz in „Kriminalprozessen und in Civil- und Polizeisachen" der Kantone eingeführt.247 Polizeisachen wurden jedoch nicht mehr extensiv interpretiert, sondern als die Kompetenz, Ruhe und Ordnung herzustellen.248 Auch die Regierung, das sogenannte Vollziehungsdirektorium der Helvetischen Republik, unterstand keiner gerichtlichen Instanz, und es war keine interne Beschwerde vorgesehen. Es konnte nur in einem komplizierten Verfahren gegen deren Mitglieder vorgegangen werden.249 Versuche, die Verwaltung unter eine Gerichtsbarkeit nach den Ideen von Sieyes zu bringen, scheiterten in der Helvetischen Re-

Unter vielen vgl. hierzu die entsprechenden Einschätzungen von BLUNTSCHLI 1875: 460 ff. mit zahlreichen Quellenbezügen; HlS 1920: 670 ff. HlLTY 1886: 81 ff. Verfassungstexte bis 1833 werden zitiert nach PÖLITZ 1833/1999. Oben I.D.2.a): 32. Hierzu HlS 1920: 2 0 6 ff. Z u m Aspekt der Gewaltenteilung HANSJÖRG SEILER 1994: 4 1 0 ff.

Art. 97 der helvetischen Verfassung von 1798. Vgl. Art. 6, 66 und vor allem 84 der helvetischen Verfassung von 1798. Nach Art. 84 wurde die Kompetenz in Polizeisachen allerdings um „Spitäler, die für die Armee bestimmten Unterstützungen und das Betteln" erweitert. Insbesondere bedurfte eine Anklage vor Gericht der Zustimmung der gesetzgebenden Versammlung: Art. 85 der helvetischen Verfassung von 1798.

publik.250 So wurden insbesondere die entsprechenden Artikel 114-121 des helvetischen Verfassungsentwurfs vom 5. Juli 1800 nicht verwirklicht.251 -

Zum Zweiten lag das Legitimationsgewicht in der Helvetik ganz auf Demokratie und Gesetz: Das im Staat zusammengefasste Volk sollte als Souverän in der gesetzgebenden Versammlung repräsentiert werden und allein unter der Macht des Gesetzes stehen.252 Politische Macht war folglich in diesem engen Zirkelschluss von Machtausübung und Machtanwendung direkt legitimiert und musste - wenn überhaupt - durch den Gesetzgeber, nicht aber durch Gerichte, einschränkt werden. 253 Ganz allgemein stand, analog zur französischen Stossrichtung, nicht die Kontrolle der Verwaltung, sondern vielmehr die Stärkung der Staatsverwaltung im Vordergrund. Diesem Kontext entspricht das Fazit von Behrens in der Studie zu den Anfängen der lokalen zürcherischen Verwaltung während der Helvetik: In der Helvetik habe sich die direkte Beteiligung der Bürger an der Verwaltung auf Wahlen und Abstimmungen über Gemeindesteuern beschränkt.254 Dieser Befund spiegelte sich denn auch in der Helvetischen Verfassung von 1798 in der Zentralisierung der Macht durch Aufhebung von Privilegien einerseits und Stärkung der Bürokratie andererseits: Unter dem politischen Leitprinzip der ungeteilten Volkssouveränität wurde festgestellt, dass keinem Privaten ein staatliches Hoheitsrecht zum Eigentum zukommen könne. Entsprechend

Siehe oben Kap. I.D.2.c): 41, vor allem 43 ff. Verwirklicht wurde dagegen mit der Verfassung der Helvetischen Republik vom 24. Oktober 1801 immerhin eine von anderen Gewalten unabhängige Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Streitsachen und Strafsachen: „§ 78. Es ist ein oberster Gerichtshof, welcher bürgerliche Streitsachen, deren Werth die Summe von drei Tausend Franken übersteigt, als höchstes Appellationsgericht endlich beurtheilt. Er ist das Cassationsgericht über geringere Criminalfalle, und urtheilt endlich über höhere peinliche Gegenstände, bis nach Einführung einer andern Prozeßform durch die geschwornen Gerichte. § 79. Er beurtheilt nach den gesetzlichen Formen die Glieder der Tagsatzung und des Senates. § 89. Die Ausübung der richterlichen Gewalt ist unabhängig und abgesondert von der gesetzgebenden und vollziehenden. Die Richter können nur nach dem Gesetze verantwortlich gemacht werden." Vgl. vor allem Art. 2 und 3 der helvetischen Verfassung von 1798. Zur Legitimationsform der Repräsentation siehe oben bei Fn. 160: 43. Das Vollzugsdirectorium als Exekutive und Vorsteherin der Verwaltung wurde entsprechend durch die gesetzgebende Versammlung gewählt (Art. 71 ff. helvetische Verfassung 1798) und hatte dieser einen jährlichen Rechenschaftsbericht vorzulegen (Art. 81 der helvetischen Verfassung 1798). Diese Verantwortlichkeit wurde mit Art. 42 der Verfassung von 27. Februar 1802 verstärkt: „Der Senat soll sich vom [mit dem Gesetzesvollzug betrauten] kleinen Rathe Rechenschaft von seiner Geschäftsführung, während der Vertagung, geben lassen. Er kann ihm Verhaltungsbefehle ertheilen." BEHRENS 1 9 9 8 : 3 9 4 .

63

wurden alle bisherigen privaten, zuweilen als vertraglich bezeichneten 255 Hoheitsrechte aufgehoben, und die Besoldung der Beamten sollte fortan nicht mehr durch Appropriation, sondern ausdrücklich allein als Lohn, „in Früchten", erfolgen - und zwar gemessen an zu verrichtender Arbeit und an eingesetzten Talenten sowie derart, dass die Beamten nicht der Korruption verfallen und dass Ämter nicht nur durch Reiche ausgeübt werden könnten.256 Während in der Folge der Revolution sich in Frankreich die Verwaltung vom Einfluss der unabhängigen Gerichte zu lösen vermocht hatte, führte also die Übertragung der französischen Institutionen auf die alten Orte der Eidgenossenschaft in der Helvetik zu einer diesbezüglichen Stärkung der bereits zuvor kaum eingeschränkten Regierungen, die nun immerhin der gesetzgebenden Gewalt Rechenschaft schuldig waren. Ins Gewicht fallt zudem, dass sich keine dauerhafte Verwaltungsgerichtsbarkeit wie im (wenn auch nur beschränkt von Verwaltung und Regierung unabhängigen) Conseil d'Etat auszubilden vermochte.257 Fehlende Kon textbedingungen für

Verwaltungsrecht

An dieser Situation änderte auch die Zeit der Mediation nichts, die von der Wiederherstellung der alten Ordnung gekennzeichnet war. So setzte zum Beispiel die Zürcher Mediationsakte von 1803 den kleinen Rat als Vollzugsorgan und zugleich als urteilende Instanz in Verwaltungssachen ein. Das Appellationsgericht dagegen amtete als höchste gerichtliche Instanz über alle bürgerlichen und peinlichen Rechtsfälle. Rechenschaft schuldete der kleine Rat allein dem gesetzgebenden

Zur vertraglichen Natur der Privilegien siehe bereits oben 37 ff. Art. 2, 8 und 12 der helvetischen Verfassung von 1798. In den Landgemeindekantonen war die umfassende Kontrolle in der Landsgemeinde gebündelt, und die eingesetzten Administrativgerichte nach Vorbild des Conseil d'Etat in den neuen Kantonen Aargau, St. Gallen, Tessin, Thurgau und Waadt wurden nach 1814 wieder aufgehoben: His 1920: 317 ff.; vgl. auch KÖLZ 1992: 193 ff.

64

grossen Rath.258 Hungerbühler fasste in seiner historischen Analyse zur Verwaltungsgerichtsbarkeit die Situation in Zürich dahingehend zusammen, dass bis zum Jahre 1831 die Rechtsprechung in Verwaltungssachen in weitgehendem Masse von der Verwaltung, beziehungsweise von der Regierung abhängig gewesen sei. Die Justizkommission des Kleinen Rats habe dagegen über die Amtsgerichte nicht nur eine formelle, sondern auch eine materielle Aufsicht ausgeübt, und die Departemente der Regierung hätten auch über strafrechtliche Funktionen verfugt. 259 In diesem rechtlichen, politischen und wissenschaftlichen Kontext fehlten die Möglichkeitsbedingungen einer schweizerischen Verwaltungsrechtswissenschaft im Allgemeinen und einer stabilen rechtsdogmatischen Ausprägung des Vertrags zwischen Staat und Privaten im Speziellen: Es fehlte eine unabhängige gerichtliche Überprüfung der Verwaltung, die überhaupt erst neue Rechtsfragen zur Verwaltungstätigkeit hervorgebracht hätte. Zudem hatte sich der Staatsapparat unter dem Leitbild der einheitlichen Volkssouveränität gerade den alten Kooperationen, nun gebrandmarkt als Privilegien, 260 weitgehend entledigt; die politische Herrschaft duldete neben sich grundsätzlich keine anderen Mächte, keine sogenannten Intermediäre, die sich an der staatlichen Macht beteiligten. Und schliesslich fällt auch ins Gewicht, dass sich die Aufmerksamkeit der Juristen jener Zeit auf die grossen

Art. 5: „Ein großer Rath von 195 Mitgliedern macht die Gesetze und Verordnungen und übt die andern Acte der höchsten souveränen Gewalt aus ..." Zudem ernennt er „Stellen, deren Amtsverrichtungen sich über den ganzen Canton erstrecken, und läßt sich über die Vollziehung der Gesetze, Verordnungen und andern von ihm ausgehenden Beschlüsse Rechenschaft geben." Art. 6: „Ein kleiner Rath, bestehend aus 25 Mitgliedern des großen Raths, ... ist mit der Vollziehung der von der höchsten Gewalt ausgegangenen Gesetze, Verordnungen und andern Beschlüsse beauftragt. Er schlägt die ihm nöthig scheinenden Gesetze, Verordnungen und andern Beschlüsse vor; er leitet die untern Behörden und hat die Aufsicht über dieselben; er urtheilt in letzter Instanz über alle Streitigkeiten in Verwaltungssachen; er ernennt zu allen Stellen, deren Amtsverrichtungen sich auf einen ganzen Bezirk erstrecken; endlich legt er dem großen Rathe über alle Theile der Verwaltung Rechenschaft ab." Art. 8: „Ein Appellationsgericht von 13 Mitgliedern des großen Raths, unter dem Vorsitz desjenigen Bürgermeisters, welcher nicht im Amte ist, urtheilt in höchster Instanz über alle bürgerlichen und peinlichen Rechtsfälle. Zitiert nach PÖLITZ 1833/1999. HUNGERBÜHLER 1 9 1 9 ; 1 1 4 .

Zum Kontext der humanitären aufklärerischen Ideen in der Schweiz siehe KÖLZ 1992: 50 ff.

65

staatsrechtlichen und vor allem die politischen Projekte richtete;261 auch hier fehlten folglich die Voraussetzungen für keine stabile Rechtsdogmatik zur Kooperationen zwischen Staat und Privaten.262 Da sich unter den erwähnten Bedingungen, aber wohl auch infolge der Kleinheit, in der Schweiz keine eigentliche Staats- oder gar Verwaltungsrechtswissenschaft auszubilden vermochte und sich nur sehr vereinzelte Stimmen schweizerischer Juristen zum untersuchten Gegenstand vernehmen Hessen,263 drängt sich ein erweiterter Blick auf den rechtswissenschaftlichen Diskurs und insbesondere auf die einflussreiche deutsche Rechtswissenschaft geradezu auf. Mit Bezug auf die zwischen 1700 und 1850 massgebenden Wissenschaftler soll in der Folge überprüft werden, wie die Rechtswissenschaft und insbesondere die deutsche Rechtswissenschaft auf den erläuterten politischen und wirtschaftlichen Kontext reagierte.264 In den deutschen Ländern wurde der Gegenstand der kooperierenden Verwaltung am Gegenstand des Staatsdienstes unter Anleitung namhafter Philosophen und Rechtswissenschaftler in einem stetigen Diskurs sehr wohl erörtert - was schliesslich den Blick zurück lenkt auf die soeben angeführten institutionellen Unterschiede gegenüber Frankreich und der Schweiz. Dieser verschärfte Blick auf die deutsche Wissenschaft rechtfertigt sich umso mehr, als das schweizerische Recht und die schweizerische Verwaltungsrechtslehre massgeblich mit dem deutschen Recht und der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft zusammenhängen. 265

His 1920: 670 ff. His konstatiert etwa, dass zunächst die französischen Ideen von der Rechtswissenschaft blind kopiert worden seien. Auch der bernische Rechtswissenschaftler Karls Ludwig von Haller kommt bei His nicht besser weg: Seine staatsrechtliche Schrift sei bestimmt durch einen dilettantischen philosophischen Argumentationsgang: His 1920: 680 und 865 ff. Auch Kölz konstatiert das Fehlen einer konsistenten Rechtswissenschaft für jene Zeit und ortet den Grund hierfür insbesondere in den revolutionären Umtrieben, während deren von der Offenlegung von Quellen im Staatsrecht (im Gegensatz zum Privatrecht) abgesehen wurde: KÖLZ 1992: 615 ff. Ähnlich das Fazit von WERNER 1917: 9; GIACOMETTI 1924: 5.

Siehe immerhin die Ausfuhrungen von LEU 1727-1746: bei Fn.268: 67. Zumindest bis 1830 und mit Einschränkungen bis 1848 war dieser Kontext für Deutschland und die Schweiz durchaus vergleichbar. An dieser Stelle ist lediglich daran zu erinnern, dass zahlreiche deutsche Länder in teilweise durchaus ähnlicher Weise den französischen Ideen ausgesetzt wurden wie die Helvetische Republik. Massgebliche Unterschiede begründen wohl vor allem die fehlende Volkssouveränität infolge Revolution sowie die in der Schweiz erfolgreichen liberalen Revolutionen von 1830 und vor allem 1848. Illustrativ zu diesen Unterschieden ist zweifellos Bluntschli, der während der zürcherischen liberalen Revolution von 1830 das konservative Lager gegen Friedrich Ludwig Keller anführte und später nach Deutschland emigrierte: BLUNTSCHLI 1875. Zu Bluntschli vgl. SCHMID 2002 m. w. H. Hierzu jüngst ROGER MÜLLER 2006.

66

E.

Variationen der Rechtswissenschaft im Kontext von Souveränitätstheorie und der Entstehung eines Marktsystems

1.

Beiträge eidgenössischer

Juristen

Vorbemerkung: (Rechts-) Wissenschaftliche Kontextbedingungen der alten Schweiz Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein seien die juristischen Werke der Schweiz und vor allem der alemannischen Schweiz, so das Fazit von His, „mehr Beweise beharrlichen Fleisses und patriotischer Treue, als wissenschaftlicher geistiger Selbstständigkeit."266 Die Werke der naturrechtlich inspirierten Lehrer in der französischen Schweiz wie insbesondere von Emerich de Vattel (1714-1767) und Jean Jaques Rousseau (1712-1778) waren dagegen vor allem mit den grossen staatsrechtlichen und staatsphilosophischen Fragen jener Zeit beschäftigt. Innerhalb dieses Rahmens vermochten sich weder eine eigentliche Verwaltungswissenschaft im Allgemeinen noch stabile Rechtsformen zur Kooperation zwischen Staat und Privaten auszubilden, wobei zu letzterem immerhin kurze Wortmeldungen von Jean-Jaques Burlamaqui (1694—1748)267 sowie das von 1727 bis 1746 publizierte „Eydgenössisches Stadt- und Land-Recht" des Zürcher Bürgermeisters Johann Jakob Leu (16891768) zu erwähnen sind. In Leus Werk werden einige wenige Bemerkungen zu kooperativen Beziehungen zwischen Staat und Privaten angeführt.268 Auch wenn sich Leus Werk wie erwähnt nicht primär durch seine wissenschaftliche Qualität überzeugen soll, so verweist es immerhin als typischer Vertreter der damals gängigen Sammlungs- und Systematisierungsanstrengungen auf die in der Vergangenheit erarbeiteten Lösungen.269 Im Wesentlichen lassen sich bei Leu die bisher erläuterten Veränderungen in Staatstheorie und Willenstheorie bestätigen: Nach Leu besteht der Zweck des Gesetzes darin, in für die Gesellschaft unentbehrlicher Weise „eine gleiche Lebens-

266

267 268

269

His 1 9 4 5 : vor allem 3 6 . S o l i v a 1 9 6 9 weist immerhin auf die (allerdings mehr sammlerische denn kreative) Leistung des Zürcher Bürgermeisters Johann Jakob Leu hin. Unten bei Fn. 292: 72. Leus Sammlung hat mehr oder weniger singulären Charakter für die schweizerische Rechtswissenschaft jener Zeit. Zu nennen ist allenfalls noch Leus Lexikon: Leu 1747 und Walthers Geschichte des Bernischen Stadtrechts: W a l t h e r 1 7 9 4 ; allgemein zur schweizerischen Rechtswissenschaft unter dem Ancien Régime His 1945. Zu Leu siehe His 1 9 4 5 : 3 4 f.; S o l i v a 1 9 6 9 .

67

Art u n d N o r m anzuordnen" 2 7 0 , w ä h r e n d der Vertrag d e n M e n s c h e n d a z u d i e n e , das h e r b e i z u s c h a f f e n , w a s nicht bereits f o l g t aus „ a l l g e m e i n e n Pflichten, w e l c h e d i e M e n s c h e n sonst einanderen z u leisten s c h u l d i g sind ,..". 2 7 1 Gerade d i e s e r ergänz e n d e Charakter d e s Vertrags galt nun auch für das G e m e i n w e s e n , d e n n L e u sprach d e m G e m e i n w e s e n die Persönlichkeit u n d die entsprechenden F ä h i g k e i t e n zu, V e r träge in V e r w a l t u n g s a n g e l e g e n h e i t e n a b z u s c h l i e s s e n . 2 7 2 Z u g l e i c h z e i g t s i c h aber a u c h b e i Leu, d a s s s i c h d i e Zeit bereits unsicher g e w o r d e n w a r über das vertragsrechtliche Gleichheitserfordernis v o n L e i s t u n g u n d G e g e n l e i s t u n g 2 7 3 u n d d a s s d i e s e s in der T e n d e n z v o m Inhalt d e s Vertrags a u f d e n Parteiwillen v e r s c h o b e n w u r d e . 2 7 4 L e u z o g allerdings daraus n o c h nicht die K o n s e q u e n z , dass der Staat m a n g e l s Gleichgerichtetheit der Parteien k e i n e Verträge b e z ü g l i c h Herrschaft a b s c h l i e s s e n dürfe.

„... nach dem Sündenfahl, unter dem Menschlichen Geschlecht sich hervorgethanen grosser Verschiedenheit des die Menschliche Handlungen leitenden Willens und darzu merklich viel betragenden widrigen Gemüths-Bewegungen ... und anderes mehr, zu Ausweichung nöthig erfolgender Verwirrung und Untergangs des Menschlichen Geschlechts solche Freyheit in eint und anderen Stücken einzuschränken, und eine gleiche Lebens-Art und Norm anzuordnen unentbährlich gewesen ...": LEU 1727-1746, III: 151. „Auch bei der Ordnung in der Menschlichen Gesellschaft und der Zusammenfiigung welche Gott unter den Menschen gemacht, zeigt sich, dass aus alleinigen allgemeinen Pflichten, welche die Menschen sonst einanderen zuleisten schuldig sind, und auch derselben Leistund Ausübung, obgleich dieselbe sich weit und breit erstrecken, dennoch nicht alles das, was die Menschen von einanderen nützliches erwarten können, hergehollet werden möge und zwahren wegen der Beschaffenheit theils desse, welcher einem anderen etwas nützliches leisten sollte ..."LEU 1727-1746, III, 151. „Obgleich ein Gemeinwesen, Gemeind, Civitas oder Communität, auch Collegia und andere Corpora eigentlich nur ein Rechtlicher Namm und ein Körper ohne Gemüth ist, und danahen nicht wol als wann sie sich verpflichten könnend angesehen werden mögen, so werden sie doch auch für tüchtig gehalten Contract zuerrichten und sich dadurch verbindlich zumachen, zumahlen selbige Mystische oder eingebildete Personen sind, welche wann alle oder die meiste Gleider eines solchen Gemeinen Wesens oder die welche selbige vorstellen zu etwas einwilligen, auch selbst für einwilligend geachtet werden, wie dann zu Errichtung der Contracten und Vornehmung eint und anderer bindlicher Handlungen von Seiten der Gemeinen Wesen, Gemeinden und Communitäten je nach derselben Beschaffenheit und Verwaltungs-Art erforderet wird ..." LEU 1727-1746, III, 200. „... weilen von Natur einerseits die Ansetzung des gerechten und billichen Preises und Werths einer Sach ganz ungewiss und niemand ist welcher ein Gleichheit hierinn bestimmen kan, zumahlen ein jeder seiner eigenen Sach einen solchen Pries und Werth nach seiner zu derselben habenden Anmuthung ansetzen mag welchen er will ...": LEU 1727-1746, III: 246.

„[Es ist] ... anbei aber [zu] bemerken, dass die ... aus dem Fundament der Gleichheit und Ungleichheit entscheidende Fäll besser und sicherer aus dem Fundament der bei denen Contracten und Handlungen vorkommenden Betrügen, Fehlern, Irrthummen und dergleichen entscheiden werden könnind.": LEU 1727-1746, III: 246.

68

2.

Naturrechtlich geprägte Variationen zum Verhältnis von und herrschaftlichem Zwang Positionen der Rechtswissenschaft

Kooperation

zwischen Naturrecht und Polizeistaat

Im 18. und frühen 19. Jahrhundert äusserten sich sodann verschiedene, vor allem deutsche Rechtswissenschafter in ausfuhrlicher Weise zum Vertrag zwischen Staat und Privaten, wobei sie sich fast ausschliesslich auf den Staatsdienst bezogen. Es wurde bereits erläutert, dass der damalige Fokus auf den Staatsdienst nicht zufällig, sondern einerseits durch die Grossprojekte Zentralisierung und Bürokratisierung und andererseits durch die Ausrichtung von Verwaltungstheorie und -praxis auf den souveränen Staat und dessen Bedürfnisse bedingt war. 275 Insbesondere die nachfolgend zu erläuternden Ausführungen von Justus Henning Böhmer (1674-1749) und Christian von Wolff (1679-1754) zum Staatsdienst liegen zunächst in einem Spannungsverhältnis von Naturrecht und dem (hier vor allem preussisch geprägten) Polizei- und Wohlfahrtsstaat:276 -

Einerseits wirkten die naturrechtlichen Lehren massgeblich nach, wonach insbesondere naturrechtlichen Wahrheiten wie 'pacta sunt servanda' allgemeine Rechtsgültigkeit zukam. So hatte es zum Beispiel Grotius explizit abgelehnt, Verträgen zwischen Herrscher und Beherrschten das Fundament zu entziehen, denn gerade nach dem naturrechtlichen Gedanken sollte auch der Herrscher für sein Wort einstehen.277

-

Geradezu als gegenteilig kann andererseits der Einfluss des auf allgemeine Wohlfahrt ausgerichteten Polizeistaats bezeichnet werden, in welchem - in Analogie zum bereits dargestellten französischen Absolutismus des Ancien Régime278 - der Herrscher selbst den Staatszweck wortwörtlich verkörperte und damit als Souverän die Differenz von Machtunterwerfung und Machtunterworfen zu einer Einheit zusammenfugte. 279 Otto Mayer fasste das Wesen der poli-

ObenKap. I.A: 13. STOLLEIS 1 9 8 8 : 2 9 9 .

GROTIUS 1625/1950: 272 [2.XIV.vi], Grotius machte dennoch einen Unterschied in dem Sinne, als der Herrscher, wenn er als solcher handle, nicht den bürgerlichen Gesetzen, wohl aber dem Naturrecht unterworfen sei. Eine Klage sei aber in beiden Fällen zulässig. Auch bereits Seckendorff brachte Vorbehalte gegen Verträge zwischen Staat und Untertanen vor: SECKENDORFF 1665, Additiones: 96; siehe oben Fn. 100: 28. Oben Kap. I.D.2.a): 32. Prägnant in diesem Sinne ist HEGEL 1821/1995: §§ 275 ff., vor allem 279. Zur Evolution der Polizei, die als Begriff erstmals in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufkommt: WILLOWEIT 1987; STOLLEIS 1988: 369 ff. Siehe auch oben Kap. I.D.2.c): 41, vor allem 42.

69

zeistaatlichen Macht aus Sicht des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts prägnant zusammen: „Die Polizei, welche dem Ganzen den Stempel giebt, wird zu einer planmässigen Bearbeitung des zur Verfugung stehenden Menschenmaterials, um es einem grossen Ziele entgegenzufuhren. Das Ziel ist die Macht und Grösse des Gemeinwesens." 280 Der Herrscher ist dabei zunächst nur gegenüber Gott und seinem Gewissen verantwortlich, und gegenüber den Untergebenen kennt seine Herrschaft keine rechtlichen Schranken, wobei sich allerdings im Detail ein differenziertes Bild der Herrschaftsschranken zeichnen lässt: Je mehr in der Tendenz die Bindung an Gott und das ius divinium zurücktrat, desto mehr hatte sich der Herrscher an den Ergebnissen der versprochenen allgemeinen Wohlfahrt messen zu lassen und sich ans Recht (infolge des naturrechtlichen Satzes pacta sunt servanda insbesondere an völkerrechtliche und herrschaftsrechtliche Verträge) zu halten.281 Wann immer möglich regelte der Herrscher die Verwaltungsgeschäfte persönlich, und erst wo dies nicht möglich war, erhielt das Beamtentum die entsprechende Aufgabe zugewiesen. Der Allmacht des Herrschers entsprechend wurde dessen Wille in die Form des detailliert formulierten Befehls (und nicht in einer bestimmten Rechtsform) an die Beamten übertragen - sei es als abstrakte Regelung oder als Einzelanweisung.282 Damit stand diese wachsende zentralisierte Allmacht des Staats offensichtlich der rechtlichen Stabilisierung der nun als Verträge283 gedeuteten Kooperationen zwischen Staat und Privaten entgegen. Eine Reihe deutscher Juristen des 18. Jahrhunderts versuchten diese beiden Positionen zu versöhnen, wobei bereits deutlich auf die veränderten Bedürfnisse der Herrschaft Rücksicht genommen wurde. Insbesondere Böhmer und Wolff nahmen dabei auch Bezug auf Verträge zwischen Staat und Privaten.

281

282

283

70

MAYER 1895/96,1: 38 ff.; zur Evolution der Polizei, die als Begriff erstmals in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufkommt: WILLOWEIT 1987; STOLLEIS 1988: 369 ff. UGRIS 1985; STOLLEIS 1996: 52; zum französischen Äquivalent dieser Evolution siehe oben Fn. 1 3 0 : 3 6 . Damit ist in erster Linie das Preussen des Friedrich des Grossen und die Staatsphilosophie von W o l f f u n d Justi bezeichnet: WOLFF 1748/1968; 1754; JUSTI 1756/1782; 1760a; eindrückliche Schilderungen des Zustandes sind zu finden beim Freiherrn von Stein (1757— 1831): STEIN 1957-1974, vor allem Band II Teil 1 und 2; zur analogen Erscheinung in der Eidgenossenschaft: VINCENT 1935; juristisch fundierte Kritik an der ausufernden Verwaltungstätigkeit erfolgte insbesondere von REHBERG 1807. Zum Wechsel von Eigentum zu Vertrag siehe oben Kap. I.B: 18.

Justus Henning Böhmer

(1674-1749)

Bereits Justus Henning Böhmer richtete seine Ausfuhrungen von 1726 massgeblich auf die Allmacht des Herrschers aus. Der Herrscher könne jeden Untertan zur Führung von Ämtern zwingen - allein Kraft seiner staatlichen Macht („potestate imperantis circa rempublicam").284 Vor der Begründung des Amtsverhältnisses könne zwar eine Übereinkunft stehen, dieser komme jedoch nicht die Qualität eines bilateralen Vertrags zwischen Gleichgeordneten zu, und zwar aus Gründen der Würde der Herrschaft. Böhmer deutete an, welcher praktische Gedanke seiner Konzeption Pate stand: Nur der Staatsdiener, nicht aber der Herrscher soll durch die Übereinkunft gebunden werden.285 Christian von Wolff

(1679-1754)

Anders als Böhmer klassifizierte Christian von Wolff zur Mitte des 18. Jahrhunderts die Bestellung des Staatsdieners zwar als privatrechtlichen Vertrag, konkret als sogenannte Dienstleihe, mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Auch bei Wolff zeichneten sich jedoch die grossen Änderungen im Verhältnis von Politik und Gesellschaft und in der entsprechenden juridischen Behandlung des Vertrags zwischen Staat und Privaten bereits mit einiger Klarheit ab: Er folgte zwar den Naturrechtlern Grotius und Pufendorf und beschrieb somit das Private als Ausfluss des Naturrechts, womit es theoretisch gleichberechtigt neben dem Öffentlichen stand und nicht aus dem Öffentlichen abgeleitet wurde.286 Dennoch richtete Wolff seine Theorie auf die zunehmende Allmacht des Staats aus, wie sich an seiner Behandlung der Bestellung des Beamten zeigt: Nach Wolff werden Staatsämter durch ein pactum besetzt, das gegenseitige Rechte und Pflichten in sich vereint und von einer Gleichstellung beider Parteien ausgeht.287 Gerade diese Gleichstellung relativierte jedoch Wolff, indem er ausführte, im Interesse des Ganzen müssten die Ämter richtig verwaltet werden, weshalb der Herrscher zur Not über die Person des Untertans bestimmen und damit jeden zum Amt zwingen kön-

BÖHMER 1 7 1 0 / 1 7 2 6 : § 11. B Ö H M E R 1 7 1 0 / 1 7 2 6 : § 11 Anmerkungen. „Da die Herrschaft in einem Staate aus seiner Absicht ermessen werden muss, so erstreckt sie sich nicht weiter als auf die Handlungen der Bürger, welche zur Beförderung der gemeinen Wohlfahrt gehören, folglich da nur bloss in Absicht dieser Handlungen die natürliche Freyheit der einzelnen Bürger eingeschränkt wird, so bleibt sie in Ansehung der übrigen Handlungen ungeschränkt.": W O L F F 1 7 5 4 : § 9 7 6 . WOLFF 1 7 4 8 / 1 9 6 8 : § 9 0 4 .

71

ne, wenn nicht ein gleich tüchtiger gefunden werde. 288 Die Gleichstellung der Menschen in einem naturrechtlich begründeten Recht, das die „natürliche Freiheit" konstituierte, stand hier in einer eigentümlichen Spannung zu einem politischen Absolutismus, der auf die Erzielung maximaler Wohlfahrt gerichtet war.289 Die tradierte, aus dem Naturrecht ohne Ableitung vom Staat konstruierte Sphäre des Privaten sah sich also bei Wolff einer veränderten Funktion des Öffentlichen gegenüber: Das Öffentliche diente bei Wolff der Überwindung gesellschaftlicher Spaltung,290 der Überwindung gesellschaftlicher und rechtlicher Fragmentierung.291 Wolff harmonisierte also die beiden teilweise divergierenden Prinzipien von privatrechtlich konzipierter Freiheit und staatlich angeleiteter Wohlfahrtsmaximierung, indem er ersteres zur Regel und letzteres zur im Konfliktfall obsiegenden Ausnahme machte, die damit das erstere - als Notfall - aus dem Recht drängt. Jean-Jaques Burlamaqui

(1694-1748)

Ähnlich wie Wolff äusserte sich - allerdings nur am Rande - der ebenfalls auf dem Boden des Naturrechts stehende Genfer Jean-Jaques Burlamaqui in seinen zunächst verbotenen und dann postum publizierten Principes du droit politique (1751) zum Staatsdienst. Bei Burlamaqui dominierte bereits ein Souveränitätsbegriff, der deutlich stärker war als bei Wolff: Der Bürger ist stets zum Dienst am Staat verpflichtet und eine wie auch immer rechtlich gestaltete Kooperation wird von Beginn weg verdrängt.292 Johann Michael Seuffert (1765—1829) Auch der würzburgische und bayrische Rechtsprofessor Johann Michael Seuffert stellte sich in seinen Ausfuhrungen zum Verhältnis von Staat und Staatsdiener von

WOLFF 1 7 4 8 / 1 9 6 8 : § 9 2 5 ;

in gleicher Weise auch bereits

BÖHMER 1 7 1 0 / 1 7 2 6

und später

SEUFFERT 1 7 9 3 : 1 7 f.

Dieser Gedanke findet sich bei Kreittmayr prägnant formuliert: „per regulam, jus ad finem dat jus ad media." KREITTMAYR 1769,1: 15. Hierzu jüngst G R U N E R T 2005, m. w. H. Grunert kommt zum Schluss, dass Wolffs Theorie mit ihrem absolutistischen Anspruch eine absolutistische politische Theorie hervorbringt, die sich nicht mit einer emanzipatorischen Aufklärung versöhnen lässt. Anderer Ansicht T H O M A N N 1995: Thomann betont bei Wolff die rechtsstaatlichen Ansätze zur Herrschaft des positiven Rechts. W O L F F 1748/1968: V I I I , §§ 2, 4; W O L F F 1754: § 972 ff. Besonders deutlich wird dies, wenn Wolff einen Konflikt von Naturrecht und positivem Recht faktisch zugunsten des letzteren auflöst: W O L F F 1 7 5 4 : § 1 0 7 1 ; W O L F F 1 7 5 4 : Vorrede; vgl. hierzu G R U N E R T 2 0 0 5 : 1 4 9 . BURLAMAQUI 1751: 158 ff.; zur allgemeinen Theorie siehe BURLAMAQUI 1747. Zu Burlamaqui siehe D U F O U R 2 0 0 3 .

72

1793 noch in die naturrechtliche Linie. Bei Seuffert ergab sich die Pflicht, für die gemeinsamen Vorteile unbeschränkt mitzuwirken, aus dem Gesellschaftsvertrag, den jeder mit dem Staat abschliesse. Diese Pflicht gelte nicht nur - wie bei Wolff im Notfall, sondern immer dann, wenn Staatsinteressen mit privaten Interessen kollidierten.293 In diesem Konzept, das die Herrschaft des Staats und sein Gewaltmonopol in den Mittelpunkt stellt, stehen sich nun definitiv nicht mehr zwei Parteien auf der gleichen Ebene gegenüber. Dies zeigt sich etwa daran, dass die Besoldung kein wesentlicher Bestandteil des Staatsdienstes ist, sondern im Grundsatz nur als Schadenersatz erfolgt, wenn dem Privaten infolge des Staatsdienstes andere Nahrungsquellen fehlen.294 Seuffert blieb jedoch insofern noch in den alten Theorien verhaftet, als die Bestellung zum Staatsdienst durch gegenseitige Willenskundgebungen erfolge, mit welchen die aus dem Vertrag fliessenden Rechte und Pflichten begründet würden. Diese vertragliche Bilateralität gelte insbesondere für die Beendigung des Vertrags.295 Allerdings unterschied er im Gegensatz zu den älteren Voten zwischen dem Recht auf Besoldung, das ein wohlerworbenes Recht zum Wohl des Dieners begründe,296 und dem Amt, das ein Recht allein zum Wohl des Staats mit sich bringe.297 Damit konnte er zugunsten der Professionalisierung der Beamtenschaft Stellung nehmen, die Abkehr vom Amt als übertragenem Eigentum vollziehen und sich zugleich gegen die willkürliche Entlassung des Staatsbeamten stellen und damit für dessen wirtschaftliche Absicherung eintreten. Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) und Franz Arnold von der Becke (1754-1832) Johann Gottlieb Fichte in seinen Grundlagen des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre von 1796 und fast zeitgleich Franz Arnold von der Becke in seinen Ausführungen zu Staatsämtern und Staatsdienern aus dem Jahr 1797 standen ebenfalls noch auf dem Boden der Naturrechtslehre, wurden aber bereits deutlich von den Ideen der Französischen Revolution beeinflusst. 298 Obwohl diese Autoren die Bestellung zum Staatsdienst weiterhin prima vista als Vertrag konzipierten,

293 294 295 296 297 298

SEUFFERT 1 7 9 3 : 1 7 f. SEUFFERT 1 7 9 3 : 1 2 0 f. SEUFFERT 1 7 9 3 : 4 2 f. u n d 1 4 0 f. SEUFFERT 1 7 9 3 : 4 2 f., 9 3 u n d SEUFFERT 1 7 9 3 : 4 3 u n d

155.

130.

Dass gerade Fichte und Becke für eine vertragliche Konstruktion eintraten, lässt sich auf Fichtes naturrechtliche Position und Beckes Berufsgang als Assessor des kaiserlichen Reichskammergerichts zurückfuhren. Zu Becke vgl. G Ö N N E R 1 8 0 4 : 1 9 .

73

distanzierten sie sich zugleich deutlich von den Prinzipien des Vertragsrechts und wandten sich dem öffentlichrechtlichen Denken zu, das sich nun ganz auf die Überwindung gesellschaftlicher Spaltung durch das staatliche Gewaltmonopol und die staatliche Gemeinwohlverantwortung ausrichtete.299 Beide lehnten Seufferts Konzeption insofern ab, als sie einen Zwang des Staats nur für allgemeine, nicht aber fiir besondere Staatsdienste anerkannten.300 Fichte verwies hier auf die fehlende Rechtsgrundlage,301 und in ähnlicher Weise folgte dies nach Becke aus dem Gleichheitssatz, dem der Staat zu folgen habe. Zudem widerspreche, so fügte Becke hinzu, die Annahme eines generellen Zwangs der Praxis.302 Entsprechend erfolgte die Anstellung zum Staatsdienst bei Fichte und Becke durch eine freiwillige wechselseitige Einwilligung.303 Becke anerkannte zwar einen Zwang zur Übernahme des Amtes im Notfall. Allerdings bewege sich der Staat im Notfall nicht mehr im Recht.304 Insgesamt bleibt bei Becke trotz eines Verweises auf das gemeine Recht offen, ob er sich noch in die vertragsrechtliche Tradition stellen wollte,305 denn der Inhalt des Vertrags bestimmte sich bei ihm fast ausschliesslich nach dem Staatszweck?06 Auch blieb bei Becke das Amt immer ein Amt des Staats und konnte nicht auf den Beamten übertragen werden,307 während in der Naturrechtslehre von Fichte das Amt in eher anachronistischer Weise zu Eigentum übertragen wurde und damit eine stabilere Bindung resultierte.308 Entsprechend sprach Becke dem Staat das Recht zu, den Beamten vom Amt zu entlassen oder ihn in den Ruhestand zu versetzen,309 während dieses Recht bei Fichte dem Staat versagt blieb.310 Doch blieb Fichte hier

300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310

74

„Ausser dem Staate ist kein Recht.": FICHTE 1812/1920: 23. Der wichtigste Beitrag zur Frage der Überwindung gesellschaftlicher Spaltung stammt zweifellos von Kant, der bekanntlich das Recht im Gegensatz zur älteren Naturrechtslehre nicht mehr vom Naturzustand des Menschen, sondern von der Gemeinschaft her erfasste, als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.": KANT 1797/1988: 33. Hierzu m. w. H. auf die damalige Rechtslehre im Gefolge von Kant: SCHRÖDER 1993: 968. BECKE 1797,1: § 14; FICHTE 1796/1979: 163 f. FICHTE 1 7 9 6 / 1 9 7 9 : 1 6 4 .

BECKE 1797,1: § 14. BECKE 1797,1: § 14; FICHTE 1796/1979: 164. BECKE 1797,1: § 14. BECKE 1 7 9 7 , II: § 7 5 . BECKE 1 7 9 7 , II: 1 1 9 . BECKE 1 7 9 7 , II: § 6 8 .

FICHTE 1796/1979: 165. BECKE 1 7 9 7 , II: § 7 4 .

FICHTE 1796/1979: 165.

nicht bei der alten Vertrags- respektive eigentumsrechtlichen Konzeption stehen: Als Begründung, wieso der Beamte nicht einseitig aus dem Amt scheiden könne, verwies Fichte nicht auf die Natur des Vertrags, sondern auf die zentrale Aufgabe des Staatsapparates, Recht und Macht im Staat zu vereinen und zu sichern: „Wer die öffentliche Gewalt einmal übernommen hat, darf sie nicht einseitig, sondern nur mit Bewilligung der Gemeinde, wieder niederlegen, weil durch sein Abtreten die Herrschaft des Rechts wenigstens unterbrochen, oder wohl gar unmöglich dürfte gemacht werden, wenn seine Stell nicht fuglich wiederbesetzt werden könnte."311 Die Unterschiede zwischen Fichte und Becke relativieren sich noch weiter, wenn die zentrale Position des Gleichheitssatzes bei Becke berücksichtigt wird, womit der Staat viel stärker als bei seinen Vorgängern an das Recht gebunden wurde: Der Beamte dürfe, so Becke, nicht ohne gerichtliche Untersuchung und richterliche Erkenntnis aus dem Amt entfernt werden.312 Insgesamt blieb bei Becke allerdings vom Vertrag nicht mehr als die freiwillige Übereinkunft zum Eintritt in den Staatsdienst. Den Inhalt und hierbei insbesondere die Beendigung des Vertrags überliess er einerseits dem Staatsinteresse, andererseits wurde dieser aber auch unter die schützende Hand des Rechts gestellt, womit Becke in visionärer Weise die etwa bei Sieyes postulierten vorstaatlichen Rechte der Menschen gegenüber dem Staat in eine dogmatische Variation zum Staatsdienst umsetzte.313 Fazit: Ausrichtung des Vertrags auf die moderne Funktion der Verwaltung Als Fazit ist zunächst festzuhalten, dass die untersuchten naturrechtlich basierten Lehren314 versuchten, die Bestellung zum Staatsdienst weiterhin als Vertrag zu konstruieren.315 Gleichzeitig nahmen sie jedoch die Spannung aus dem veränderten Staatsverständnis, das dem Staat zur Überwindung gesellschaftlicher Fragmentierung und zur Verwirklichung umfassender Wohlfahrt alle Macht zusprach, durchaus wahr und reagierten darauf: -

Böhmer (1710/1726) anerkannte zwar, dass Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Privaten durch Übereinkunft begründet werden können. Aus Gründen der Staatswürde lehnte er jedoch eine Bindung des Staats ab; die Übereinkunft be-

3,1

FICHTE 1 7 9 6 / 1 9 7 9 : 1 6 5 .

312

BECKE 1 7 9 7 , II: § 5 6 u n d 6 7 .

313

Zu Sieyes vgl. oben bei Fn. 163: 66 und 202: 52. Mit der beschränkten Ausnahme von Böhmer: oben bei Fn. 285: 71. In eine ähnliche Richtung gehen die Erkenntnisse von Schröder zur Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht: SCHRÖDER 1993: 966.

314 315

75

gründe allein Pflichten des Privaten und stelle keinen Vertrag im herkömmlichen Sinne dar. -

Wolff (vor allem 1754) leitete als Naturrechtler die private Sphäre nicht vom Staat her ab. Gleichzeitig gestand er dem Staat die zentrale Rolle zur Überwindung gesellschaftlicher Fragmentierung und zur Verwirklichung umfassender Wohlfahrt zu. Entsprechend stellte er den Staatsdienst als privatrechtlichen Vertrag dar, der nur, aber immerhin, im Notfall der absoluten Macht des Staats weichen müsse.

-

Seuffert (1793) anerkannte einen grundsätzlichen Vorrang staatlicher Interessen in jeder Kollision mit der privaten Sphäre, nicht nur bei einem Notfall. Um die Beamten nicht der absoluten Willkür des Staats auszusetzen, was dem damaligen Bedürfnis nach Stabilisierung und Professionalisierung des Beamtenstandes widersprochen hätte, folgte auch Seuffert der Konzeption des Staatsdienstes als Vertrag. Nach Seuffert erwarb der Beamte im Gegensatz zu früheren Konzeptionen zwar keinerlei Recht am Amt, wohl aber an der Besoldung. Das Amt sollte allein den Staatsinteressen unterstehen, das wohlerworbene Recht des Beamten an der Besoldung aber spiegelte das kooperative Verhältnis zwischen Staat und Privatem.

-

Fichte (1796) lehnte in seinen Grundlagen des Naturrechts einen Zwang für nicht allgemeine Staatsdienste ab, denn es bestehe keine Rechtsgrundlage. Entsprechend erfolgte die Anstellung zum Staatsdienst bei Fichte durch wechselseitige übereinstimmende Willenskundgebung, wobei das Amt zu Eigentum übertragen wurde. Diese im ersten Moment anachronistische Konzeption relativiert sich, wenn man sich Fichtes explizit angeführte ratio vergegenwärtigt: Im Hintergrund stand primär, die zentralisierte und hierarchisierte Verwaltung des Nationalstaates zu stabilisieren.

-

Becke (1797) kam dem heutigen Verständnis des öffentlichrechtlichen Vertrags zwischen Staat und Privaten am nächsten. Unter Berufung auf das Gleichheitsgebot lehnte er den Zwang bei jenen Staatsämtern ab, zu denen nicht alle Bürger gleichermassen berufen werden. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die Praxis der Willensübereinkunft zur Begründung des Staatsdienstverhältnisses qualifizierte er die Bestellung zum Staatsdienst zwar als Vertrag. Die weitere rechtliche Behandlung des Vertrags folgte allerdings ganz den öffentlichen Interessen, wobei der Beamte immerhin vor staatlicher Willkür durch die Einschaltung von Gerichten geschützt werden sollte.

Somit blieb in diesen naturrechtlich geprägten Theorien zum Staatsdienst die souveräne Herrschaft zwar im Grundsatz (noch) an naturrechtliche Prinzipien wie 76

pacta sunt servanda gebunden; das ius naturale vermochte noch eine gewisse Einheit der Rechtsordnung hervorzubringen. 316 Dabei wurde jedoch deutlich, dass der herrschaftsbezogene Vertrag seine ausserhalb der Macht gelegenen Voraussetzungen dann verliert, wenn die Herrschaft im souveränen Nationalstaat aufgeht und dort auch nicht mehr durch Gott oder Naturrecht legitimiert und durch unabhängige Gerichte stabilisiert wird. In welcher Weise sich die Politik gegenüber dem alten Recht durchzusetzen begann, wird bei Wolff besonders deutlich, der die Ausnahmen vom bisherigen Vertragsrecht als Notrecht, als Ausnahme vom Recht konstruierte. Vor allem Becke, notabene Assessor des kaiserlichen Reichskammergerichts, 317 postulierte dagegen mit Blick auf die politischen Bedürfnisse aus Vertrag begründete, beidseitige inhaltliche Rechte und Pflichten. Diese aus politischen Bedürfnissen generierten Rechte und Pflichten wollte er zum Ausgleich der gerichtlichen Beurteilung unterstellen.

3.

Verdrängung des Vertrags zwischen Staat und Privaten aus dem Recht Johann Heinrich Gottlob von Justi

(1720-1771)

Die bereits in den naturrechtlich fundierten Theorien erschienenen Neuerungen in der Konzeption der Kooperation zwischen Staat und Privaten finden sich in aller Deutlichkeit in der Staatstheorie des Johann Heinrich Gottlob von Justi.318 Bei Justi wurde im Wesentlichen der Staat auf die Verwirklichung eines umfassend verstandenen Staatswohls verpflichtet; der allmächtige Polizeistaat konnte über das ihm zur Verfügung stehende Material samt „Menschenmaterial" 319 soweit frei verfugen, als es der allgemeinen Wohlfahrt diente. Wenn Justi vor dem Hintergrund des verhältnismässig liberalen Preussens empfahl, die Wirtschaft zuweilen auch gewähren zu lassen, dann sollte dies die Verwaltung nicht vom umfassenden Auftrag entbinden und ihr nicht die dafür notwendige Macht entziehen. Denn es war der Verwaltung aufgetragen, den Staat und die übrige Gesellschaft letztlich zu einer harmonischen Übereinstimmung zu bringen. An rechtliche Formen musste sich die

316

BULLINGER 1968: 45 ff., mit Verweis auf das preussische Allgemeinen Landrecht.

317

Zu B e c k e vgl. GÖNNER 1804: 19.

318

Justi kann als wichtigster Vertreter der neu geschaffenen Polizeiwissenschaft unter einem aufgeklärten Absolutismus bezeichnet werden. Justi wechselte früh vom theresianischen, den starken Staat betonenden Absolutismus in das ökonomisch liberalere Preussen. Zu Justi anstelle vieler m. w . H. STOLLEIS 1988: 3 7 9 ff.; ebenso EBIHARA 1985.

319

Siehe bei Fn. 46: 15 und 280: 70.

77

A u s ü b u n g der M a c h t dabei k a u m halten. 3 2 0 D i e Verpflichtung der Staatsverwaltung a u f das u m f a s s e n d verstandene Staatswohl g e s c h a h auch nicht m e h r i n f o l g e einer legitimierenden R e f e r e n z auf das Göttliche respektive Natürliche, sondern primär in nichtrechtlicher, zweckgerichteter W e i s e . 3 2 1

Entsprechend n a h m e n in Justis

W e r k e n die A u s f u h r u n g e n zur F o r m der A u s ü b u n g v o n Staatsmacht nur w e n i g R a u m in A n s p r u c h . 3 2 2 D i e Einschränkung der Herrschaft erfolgte primär durch die - materielle - V e r p f l i c h t u n g der „obersten G e w a l t " auf die „Beförderung der g e m e i n s c h a f t l i c h e n Glückseligkeit". 3 2 3 D e m vorrangigen Ziel der u m f a s s e n d e n Verwirklichung der Staatsinteressen i m w e i t g e h e n d zentralisierten Nationalstaat entsprach die hierarchische des Staatsapparates,324

Organisation

und gerade durch die hierarchische Gliederung sollten j e n e

K o n f l i k t e z w i s c h e n g l e i c h gelagerten Institutionen, die z u V e r h a n d l u n g e n und K o o p e r a t i o n e n fuhren würden, unterdrückt w e r d e n . 3 2 5 D i e s e v o n Justi propagierte Hierarchisierung fand ihre letzte K o n s e q u e n z insbesondere darin, dass zwar die

„Diese oberste Gewalt [i.e. der Staat], welche den Endzweck der bürgerlichen Gesellschaft unverrückt vor Augen haben muss, muss demnach sich hauptsächlich bemühen, das Wohl einer jeden besondem Familie mit dem allgemeinen Besten zu vereinigen und in einen genauen Zusammenhang zu setzen. Wenn man nun erwäget, in was für einer Menge von Umständen das Wohl der besondern Familien mit dem allgemeinen Besten zusammenhängt; so siehet man leicht, dass darzu sehr viele innerliche Verfassungen und Einrichtungen erfordert werden.": JUSTI 1760a, I, Einleitung: 4 . Konsequenterweise ist die oberste Gewalt bei von Justi bereits nicht mehr als Eigentum eines bestimmten Herrschers konzipiert, sondern steht dem abstrahierten Staatswesen zu: JUSTI 1760a: 4 5 9 . JUSTI 1760a, II: 455; grundlegend für diese Konzeption ist KREITTMAYR 1769,1: 9 ff.; vgl. auch die Kritik von Gierke an diesem Staatsbegriff: G I E R K E 1874: 174; vgl. auch die philosophische Konzeption bei H O B B E S 1647: Kap. VI sowie oben bei Kap. I.D.2.c): 41. Zum Verhältnis von Religion, Recht und dem utilitaristischen Absolutismus siehe U G R I S 1985. Vgl. immerhin JUSTI 1760a: 327-351; JUSTI 1760b: 8. Hauptstück, 10. Abschnitt. JUSTI 1760a, II: 328. JUSTI 1760a, II: 4 6 4 ff.

Dies wird besonders deutlich, wenn Justi die Unabhängigkeit bestimmter Verwaltungseinheiten beklagt: „Ich habe schon in dem Eingange dieses Buches erinnert, dass diejenige Einrichtung am allerwenigsten zu billigen ist, wenn eine jede Art der wichtigsten Geschäfte von einem souverainen und von andern unabhänglichen höchsten Collegio dirigiert wird ..., die alle weder Subordnination noch Zusammenhang mit einander haben, von niemand als den Regenten abhängen, und in diesem Betracht souveraine Collegia genennet werden. ... Die höchste Landes-Policen [i.e. dass die Wohlfahrt des ganzen Staats zu fördern sei] kann keinen Schritt thun, ohne mit denen andern souverainen Collegiis zu communicieren; und wenn deren Chefs von verschiedenen Grundsätzen, Absichten und Leidenschaften eingenommen sind; so findet sie allenthalben unüberwindliche Hinternisse; zumal wenn es dem Regenten an genügsamer Einsicht und Weisheit, oder auch nur an Application zu deren Geschäften ermangelt; Mängel, die sich nur allzuhäufig ereignen.": JUSTI 1756/1782, II: 615617.

78

allgemeine Wohlfahrt durch zeitgemässe und vor allem zweckgerichtete Gesetze gefördert werden sollte, die gerichtliche Beurteilung der Policensachen aber den ordentlichen Gerichten entzogen und in den Verwaltungsapparat hineinverlagert werden sollten.326 Justi beklagte, dass die zu Eigentum übertragenen Richterposten die allgemeine Wohlfahrt behindern würden: „Wir reizen die Richter und Advocaten durch die Sportein, die wir ihnen gestatten, dass sie ihren Vortheil daben finden, die Processe langwierig zu machen; und unsere Gerichtsordnungen bieten ihnen zu dem Ende so viel Schlupfwinkel dar, als sie nur verlangen können."327 Insbesondere würden die derart von den Regierungen losgelösten Richter alte nutzlose Gesetze anwenden, während die Geltung der neuen Wohlfahrtsgesetze vor den Richtern unsicher sei.328 Ganz allgemein aber sollten Lastenverteilungsverträge, in welchen der Ständestaat (im Weberschen Sinn) die Wahrung wichtiger Gemeininteressen wie Weg-, Brückenunterhalt etc. mit Vertrag oft samt den ökonomischen Nutzungsmöglichkeiten an Private übertrug, im Polizeistaat zentralisiert werden. Aussagekräftig ist die Erklärung von Justi hierzu, der auf die Kollision von wirtschaftlichen und politischen Interessen hinwies: „Diejenigen Leute, so dergleichen Verpachtungen suchen, haben gewiss allemal die Absicht, sich zu bereichern: und diese Absicht ist in einem so starken und niederträchtigen Grade bei ihnen vorhanden, dass sie darüber den allgemeinen Hass des Volkes, den sie gewiss allemal vor Augen sehen, wenn sie nur einigermassen nachsinnen, weder furchten noch im geringsten achten."329 Justis Konzeption des

Beamtenverhältnisses

Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte mit Justi konsequenterweise die Konstituierung des Beamtenverhältnisses als Teil der Politik, abgebildet im Recht als Teil des Staatsrechts. Denn nur noch der Beamte verblieb in diesem sich verdichtenden JUSTI 1760a, II: 573. Justi beklagte ganz allgemein, dass die Gerichte ihre Privilegien in ungehörigerWeise ausüben: JUSTI 1760a, II: 563. JUSTI 1760a, II: 5 6 3 . JUSTI 1760a, II: 5 6 3 f.

JUSTI 1 7 6 1 , 1 : 3 4 6 . Z u m G a n z e n vgl. auch GIERKE 1868: 765 ff.; MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , II: 2 8 7 f.

Mit ähnlich radikaler Ablehnung folgten diesen zentralen Aussagen zahlreiche nachfolgende Juristen: HEFFTER 1829: 106 ff. sowie DAHLMANN 1847: 277 in seinem einflussreichen Klassiker: „Eine Regierung, in ihrer gesetzgebenden Gewalt durch Stände, in der Ausführung der Gesetze durch die Selbständigkeit ihrer eigenen Beamten beschränkt, wäre eine bare Nullität."

79

selbstbezüglichen System der Politik als Grenzgänger, der sich gleichzeitig Staat und draussen in der Gesellschaft befand.330

im

Hier zeigt sich nun allerdings das Paradox einer derartigen Konzeption des Staats, das sich nicht lange unterdrücken liess: Wenn die Herrschaft alles kann und dabei nur in moralischer Weise durch die Verpflichtung auf das Staatswohl eingeschränkt ist, dann lässt sich damit zwar die Fragmentierung der Herrschaft verhindern respektive überwinden. Durch die mit der absoluten Verpflichtung auf allgemeine Wohlfahrt verbundene Utilitarisierung des Staats wurde aber gleichzeitig auch der Ruf nach einem ausgebauten, hierarchischen und nach wissenschaftlichen Grundsätzen organisierten Verwaltungsapparat laut, der sich in seiner volatilen Komplexität nur mit Hilfe von Rechtssätzen stabilisieren liess - umso mehr dann, wenn die dem Volk abgegebenen Versprechungen allgemeiner Glückseligkeit sich für die Individuen nicht verwirklichten und damit die diesbezügliche Legitimation von Machtanwendung ausblieb. Dieser Konsequenz folgte denn auch die Begründung, wieso der Staat seinen Beamten gewisse Garantien geben müsse,331 die sich sodann in den neu kodifizierten Gesetzen manifestierten.332 Nikolaus Thaddäus Gönner

(1764-1827)

Dass der Staat Garantien zugunsten seiner Staatsdiener erteilte, liess sich zwar offensichtlich nicht mehr mit einer Staatstheorie vereinen, in welcher der Staat alles kann und darin allein in moralischer Weise auf das Allgemeinwohl beschränkt wird. Zur Übereinstimmung gelangten Praxis und Theorie jedoch wieder, als - wie bei Nikolaus Thaddäus Gönner - gleichsam ein erster Schritt hin zu einer strukturellen Kopplung mit dem Recht getan wurde: Es lässt sich beobachten, dass die Lehre der absoluten Staatsgewalt insofern modifiziert wurde, als der Staat zwar alles kann, was zur Verwirklichung des umfassend verstandenen Staatswohls von Nöten ist, diese Kompetenzen aber zugleich als Hoheitsrec/tfe des Staats verstan-

So wurden zum Beispiel bereits im Übergang zum 18. Jahrhundert in Preussen alle Pächter von Staatseigentum zu Beamten gemacht: oben bei Fn. 44: 14. Umstritten war primär, wieviel dem entlassenen Staatsdiener verbleiben solle: u. a. GÖNNER 1808: 24 f. und 48 f. Vgl. etwa § 98-102 des Preussischen ALR sowie die kurfürstlich bayerische Hauptlandespragmatik über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener vom 1. Jänner 1805.

80

den und damit vom Recht erfasst wurden. Agierte der Staat ausserhalb dieser Kompetenz, verliess er somit das Recht.333 Wolfis Konzeption, die zwar den Staatsdienst grundsätzlich privatrechtlich und vertraglich mit Recht erfasste, im Notfall jedoch dem Staat zugestand, den Privaten zum Amt zu zwingen, musste aus dieser Sicht verworfen werden: Im Notfall bewegt sich der Staat, wie gesagt, ausserhalb des Rechts. Mit der Erfassung der Kompetenzen des Staatsapparates als Recht der Herrschaft konnte nun die Argumentation Wolffs einen Schritt weitergeführt und das ausgesprochen werden, was bei Seufferts Konzeption 334 lediglich angedeutet war: Wenn sich der Herrscher und der Untertan bei der Bestellung zum Staatsdienst nicht als gleichgeordnete Parteien gegenüberstehen, sondern es ganz allgemein in der Macht des Staats bleibt, in der Form von herrschaftlichen Rechten über die Begründung und den Fortgang des Rechtsverhältnisses zu bestimmten, dann kann es sich nicht um ein privatrechtliches Rechtsverhältnis handeln, sondern der Lebenssachverhalt muss allein dem öffentlichen, das heisst den unabhängigen Gerichten entzogenen Recht unterstehend5 Aber die Kooperation zwischen Staat und Privaten fiel damit nicht nur aus dem Privatrecht. Die Bestellung zum Staatsdienst war zugleich im aktuellen öffentlichen Recht nicht als Vertragsverhältnis denkbar.336 Gönners Konzeption des

Beamtenverhältnisses

Auf diesem konzeptionellen Grund stehen also die Äusserungen von Gönner, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschienen und die Diskussion im 19. Jahrhundert massgeblich prägten.337 Nach Gönner war das Dienstverhältnis zum Staat ganz nach dem öffentlichen Recht als Ausfluss der staatlichen Hoheitsrechte zu behandeln:

Typisch für diesen Schritt ist Gönner: vgl. Fn. 338: 82. Grundlegend für die Theorie der Herrschaftsrechte ist Kreittmayer, bei dem allerdings die Politik nicht vom Recht eingefasst wird, sondern das Recht der Politik folgt: „per regulam, jus ad finem dat jus ad media."; der Endzweck des Staats, die gemeine Wohlfahrt, rechtfertigt die entsprechenden Mittel: KREITTMAYR 1769,1: 15. Oben bei Fn. 2 9 3 : 7 3 . MALACORD 1788: § 1 und 12; später knüpft MAYER 1888: 2 9 daran an. Zum ersten Mal erschien bereits bei Johannes von Neumann ( 1 6 9 9 - 1 7 6 8 ) im Jahr 1751 der Staatsdienst nicht mehr als eine Folge einer wie auch immer konstruierten Übereinkunft, sondern allein als Ausßuss

aus dem ausdrücklichen

oder stillschweigenden

Vertrag

zwi-

schen Herrscher und Volk. Neumann war ein Anhänger der Naturrechtslehre: NEUMANN 1751: Lib. III Tit. 1 § 2 3 4 . N o c h zum Beispiel Bluntschli folgt Gönner beinahe uneingeschränkt: BLUNTSCHLI 1852: 4 1 9 ff.

81

„Staatsdienste sind für alle Staaten, für alle Branchen der Staatsverwaltung ein unentbehrliches Bedürfniss, folglich macht die Summe der im Staat concentrirten Kräfte den Fond aus, woraus der Regent dieses Staatsbedürfniss, zu bestreiten das Recht hat, ein Recht, welchem eine aus dem Staatsverein unmittelbar hervorgehende Staatsverbindlichkeit der Unterthanen corrspondirt."338 Nach Gönner könnte der Staat vom Bürger also schlicht alles verlangen, was zur Erreichung der Staatszwecke nötig ist, und aus dieser Notwendigkeit leitete sich ein entsprechendes Hoheitsrecht ab. Wieweit hierbei der Staat von einer in Recht gefassten Kooperation entfernt war, kann zum Beispiel an der von Gönner bearbeiteten Frage gezeigt werden, wie Landstrassen, sogenannte Chausseen, herzustellen sind. Nach Gönner war es - auch wenn nirgends ausdrücklich etwa mit Gesetz belegt - das Recht des Landesherrn, Chausseen anzulegen. Die Untertanen waren „ohne Zweifel" verpflichtet, hierzu unentgeltliche Fronarbeit zu leisten, und es konnte von ihnen eine Abgabe hierzu eingezogen werden. Denn, so die lapidare Begründung, zu Staatsverbindlichkeiten haben alle Untertanen beizutragen. Immerhin: Wenn von den Abgaben etwas übrig blieb, hatten die Fron leistenden Anspruch darauf, damit für ihre Aufwände entschädigt zu werden. 339 Ähnliches galt gemäss Gönner ganz allgemein für die Ernennung zum Staatsdienst: Die Ernennung infolge der Auswahl gemäss den Fähigkeiten, die dem Staatszweck am besten dienen, begründete das Amt, womit kein Raum für vertragliche Terminologie, geschweige denn für eine privatrechtliche Konstruktion blieb.340 Vielmehr wurde die Bestellung zum Staatsdiener in der neuen Polizeiwissenschaft angesiedelt.341 Der Beamte habe keinerlei Recht am Amt, immerhin aber am Sold. Obwohl die Herrschaft sich bei Gönner mit sogenannten Herrschaftsrechten bis zu einem gewissen Grad in die Form des Rechts begab, war damit der fast allmächtige Staat mangels gerichtlicher Überprüfung weniger durch Recht begrenzt (was bei Seuffert noch mit der Figur des wohlerworbenen Rechts möglich blieb), als vielmehr durch die moralische und wissenschaftliche Verpflichtung auf den Staatszweck. Dabei ging es Gönner vor allem um die Überwindung der Fragmentierung von Herrschaft und um die Zentralisierung und Hierarchisierung von Herrschaft in einem wissenschaftlich strukturieren Apparat. Hierzu galt es erstens, aus Verträgen entstandene Privilegien abzuschaffen, und zweitens, autonome Verwaltungseinhei-

338 339 340 341

82

GÖNNER 1 8 0 8 : 5 6 .

GÖNNER 1803: 352 ff. Ähnlich mit naturrechtlicher Begründung VATTEL 1758: §§ 100-104. GÖNNER 1 8 0 8 : 4 8 f.

GÖNNER 1804: 461: „... im Staate [darf] nichts willkürlich, sondern [nur] nach den Forderungen des Staatszwecks geschehen . . . "

ten unter die zentralisierte und hierarchisierte Herrschaft zu bringen. Die Begründung hierfür ist zugleich eine politische wie eine rechtliche: „... da es zur Maxime eines vernunftmässigen Staats nicht erhoben werden kann, dass ein Regent nach seinen subjektiven Einsichten und nach den Verhältnissen seiner Zeit Etwas zum unabänderlichen Rechte für alle Zeiten und Verhältnisse erhebe, was die Rechtsgleichheit der Staatsbürger stöhrt."342 Die Umsetzung in Bezug auf die rechtliche Konzeption des Staatsdiensts war allerdings - wie bereits erwähnt - paradox: So lesen wir denn etwa in Gönners „Teutsches Staatsrecht" von 1804, dass alle Privilegien, ausser jene der Staatsdiener und die nützlichen Erfindungen, widerruflich sind.343 Entsprechend erfolgt denn auch die Besoldung auf privatrechtlicher Basis.344 Fazit: Unterschiede zu den naturrechtlichen

Konzeptionen

Was hat sich nun mit den neuen Variationen von Justi und Gönner gegenüber den naturrechtlich geleiteten Variationen verändert? Es sind drei Punkte anzuführen: -

342 343

344 345

Eine souveräne Macht, die alles kann und alles zur Maximierung des allgemeinen Wohlstandes zu unternehmen hat, muss ohne Einschränkung über gewährte Rechtspositionen verfügen können. Im Hintergrund steht dabei die Bündelung herrschaftlicher Gewalt im hierarchisch organisierten Staat zur besten Verwirklichung der Staatszwecke, das heisst eines umfassend verstandenen Staatswohls. Vertragsähnliche Kooperationen gilt es dabei ebenso innerhalb der Staatsorganisation wie auch zwischen Staat und Privaten zu überwinden. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten hat keinen Platz im öffentlichen Recht;345 die Rechtsfigur des privatrechtlich konstruierten Vertrags zwischen Staat und Privaten wird durch zentralisierte Macht (Justi) und sodann staatliche Hoheitsrechte (Gönner) abgelöst. Ehemals dezentralisiert ausgeführte Staatsaufgaben werden in die bürokratisch strukturierte Herrschaft integriert, was einerseits die Abschaffung von Privilegien und wohlerworbenen Rechten beinhaltet (soweit diese mit der Verwirklichung umfassender Wohlfahrt durch den Staat kollidieren), aber andererseits auch darüber hinausgeht. In diesem Kontext erscheint das poli-

G Ö N N E R 1 8 0 4 : 4 6 1 f.

Insbesondere kann der bisher Privilegierte nicht den entgangenen Gewinn, sondern nur den Erwerbspreis geltend machen, und im Fall des Widerrufs hören Privilegien mit dem Tod der Person oder dem Verlust der konstitutiven Voraussetzungen auf. GÖNNER 1804: 461 f. G Ö N N E R 1 8 0 8 : 1 3 0 ff. E b e n s o z. B . BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 2 2 .

Gönner muss jedoch für die Verpflichtung eines Ausländers zum Staatsdienst eine Ausnahme machen: GÖNNER 1808: § 33.

83

tische Konzept der Souveränität - anders als die heute vorherrschende Reduktion der Souveränität auf ein Mittel wirtschafts- und/oder machtbezogener Hegemonie346 - als historisches Mittel zur Überwindung der ständisch fragmentierten Gesellschaft und zugleich als Bedingung der Möglichkeit vollendeter politischer Ausdifferenzierung gegenüber anderen gesellschaftlichen Einflüssen. 347 Damit erlangte die staatswissenschaftliche (im Gegensatz zur naturrechtlichprivatrechtlichen) Konzeption, die das Staatsamt als abgeleitete souveräne Gewalt erfasste, zentrale Bedeutung: Für die Übernahme eines Amtes oder einer Verwaltungsaufgabe war ganz allgemein das Einverständnis des Unterworfenen nicht mehr konstitutiv, sondern es war nun dessen Pflicht, das Amt zu übernehmen; der Staat konnte alle persönlichen Dienste verlangen, die zur Verfolgung des Staatszwecks nötig sind. Entsprechend waren keinerlei Anerkennung und schon gar keine Willenserklärung des Unterworfenen zur Übernahme eines Amtes erforderlich. -

346 347

348 349

84

Gleichzeitig sollte jedoch ein berufsmässiges Beamtentum, mit welchem der Beamte sein ganzes Leben dem Staat widmet und im Gegenzug von diesem sein ganzes Leben lang unterstützt wird, den Verzicht auf Privilegien und andere Erwerbsquellen ermöglichen und damit die Gefahr bannen, dass wirtschaftliche Interessen die politische Souveränität in Frage stellen und die utilitaristischen Ziele unterwandern. Die Verfolgung dieses Programms lässt sich im Wissenschaftsdiskurs um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert besonders deutlich ablesen.348 Und zugleich sollte, wie sich später insbesondere bei Hegel zeigt, mit der Stabilisierung des Beamtenstandes gegenüber der Regierung ein funktionales Äquivalent geschaffen werden zur fehlenden Legitimation durch demokratische Beteiligung der Machtunterworfenen an der Machtausübung.349 Damit waren an diesem idealtypischen Nullpunkt der Moderne, da Recht mit Macht verschmolz und auch gerade dadurch die gesellschaftliche, rechtliche und politische Fragmentierung durch die zentralisierte absolute Rechtsmacht der Herrschaft überwunden wurde, im Ansatz bereits die Zentrifugalkräfte eben dieser Moderne erkennbar - und zwar in der notwendigen fakti-

Unter anderen HARDT/NEGRI 2002; BROWN 2006. Dieser Gedanke der Souveränität als Abwehrmechanismus der Politik zur Erhaltung ihrer Autopoiesis erscheint in der Evolution dieses Konzeptes als roter Faden: Machiavelli betonte die Unabhängigkeit der Politik von der Religion, Justi, Hegel und andere suchten mit dem Konzept der Souveränität die Politik vor Einflüssen der Wirtschaft zu bewahren, Weber sah die Gefahr in der ausufernden Bürokratisierung und Carl Schmitt schliesslich betonte mit seiner Konzeption der Souveränität die Unabhängigkeit der Politik vom Recht. Oben Kap. I.E.l: 67 und Kap. I.E.3: 77. Oben bei Fn. 227: 58.

sehen Erhaltung respektive Neuauflage der Privilegien der Beamten, um die sich ausdifferenzierende Politik vor den korrumpierenden Einflüssen der Wirtschaft zu schützen.350 -

In der nachgezeichneten Entwicklung ist zudem ein Drittes zu beobachten, nämlich die Emanzipation der Politik - und in der Wissenschaft spiegelbildlich: der Staatswissenschaften - von einem naturrechtlich konzipierten Recht. Der Staatsdienst wurde bei Justi als Teil der Polizeiwissenschaft erfasst und damit zunächst aus dem Recht herausgelöst. Das Amt unterstand fast ausschliesslich der (in moralischer, nicht rechtlicher Weise) auf allgemeinen Wohlstand verpflichteten Herrschaft. Und in einem nächsten Schritt wurde wie bei Gönner das Amt aus den Hoheitsrechten abgeleitet und somit als Teil dessen konstruiert, das man nun (unter Vorbehalten)351 als frühe Variante eines modernen Verwaltungsrechts bezeichnen könnte. Hier äusserte sich die politische Macht wieder in der Form des Rechts, unterstand aber nur in sehr geringem Mass unabhängigen Gerichten und war damit noch kaum durch Recht verfasst,352 Die am vorliegenden Untersuchungsgegenstand festgestellten Verschiebungen vom Privatrecht weg zum Staat erweisen sich somit nicht nur und nicht primär als Verschiebungen innerhalb des Rechts, wie immer wieder seit den wegweisenden Studien von Eugen Ehrlich wiederholt wird, sondern vor allem als ein Prozess der Ausdifferenzierung der Politik und deren Ablösung von alten Feudalstrukturen.353 Diese Evolution der Emanzipation der Politik im Sinne von Ablösung von Rechts- und Wirtschaftsstrukturen führte jedoch zu politikinternen Spannungen.354 Diese Spannungen im politikinternen Konzept der Legitimation und spiegelbildlich im Konzept der Herrschaftsrechte sind in der Folge genauer zu erklären.

Nach Stolleis war dieses Problem vordringlich seit Seckendorff behandelt worden, und bis zum Ende 18. Jahrhunderts sei keine Lösung gefunden worden: STOLLEIS 1988: 363 f. Eine Verschlaufung von Rechtswissenschaft und Gerichtsbarkeit als Voraussetzung ist für Deutschland nicht vor dem Ende des 19. Jahrhunderts festzustellen. Zur Ausdifferenzierung der Verwaltungsrechtswissenschaft in aller Deutlichkeit MAYER 1888: 3; ähnlich GIERKE 1874: 166.

In der Lehre wird im Wesentlichen darüber gestritten, ob sich das Privatrecht vom öffentlichen Recht ablöst oder - wie Eugen Ehrlich postulierte - das öffentliche Recht vom Privatrecht. Siehe hierzu unter vielen: EHRLICH 1902: 159 ff. und für den Wissenschaftsdiskurs 2 0 0 f f . ; B U L L I N G E R 1 9 6 8 ; SCHRÖDER

1993.

Evolutionstheoretisch könnte von Spannungen in der Symmetrie bestehender politikinterner Konzepte gesprochen werden, die eine Morphogenese, also eine systeminterne Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, ankündigen. Dies wird in den naturwissenschaftlichen Theorien als symmetry breaking bezeichnet: hierzu SPIROV 1998.

85

4.

Ausdifferenzierung der Macht und ihre Positionierung gegenüber den Zentrifugalkräften der modernen Gesellschaft Zentrifugalkräfte der modernen Gesellschaft

Im erwähnten Nullpunkt der Moderne, in welchem wie etwa bei Justi Herrschaft und Recht weitgehend ein und dasselbe waren und auf die Überwindung gesellschaftlicher Fragmentierung und auf allgemeine Wohlfahrt verpflichtet wurden, brachen bereits die Zentrifugalkräfte der modernen Gesellschaft hervor. Was die Gründe dafür waren, dass sich diese neue, durch die Rechtsmacht des Nationalstaats verwirklichte Einheit der Gesellschaft nicht durchhalten liess, wurde zwar bei den Rechtsgelehrten des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts vorerst nicht thematisiert. Diese erkannten jedoch die entsprechenden Symptome und reagierten darauf mit neuen Variationen in der rechtlichen Verfassung des souveränen zentralisierten Nationalstaats. Grenzen souveräner Macht an den Grenzen des Nationalstaats Von Beginn weg und in besonders offensichtlicher Weise zeigten sich die Grenzen der zentral und hierarchisch organisierten souveränen Macht an den Grenzen des Nationalstaates. Das scheint zunächst für die Theorie, die sich ganz auf den Nationalstaat ausrichtet, unproblematisch zu sein. Soll allerdings der Staatsdienst rechtlich erfasst werden, und zwar im Sinne von Gönner als Folge von Hoheitsrechten des Staats, dann stösst diese Theorie der einseitigen Verpflichtung des Untertanen quasi an den Staatsgrenzen an ihre Grenzen und muss zurück ins Privatrecht fallen; sie kann den fremden Staatsangehörigen nicht zum Staatsdienst zwingen. Seuffert blieb in seiner Konzeption in diesem Punkt als wohl Einziger konsequent: Der Ausländer muss zuerst Staatsbürger werden, ehe er dann zum Staatsbeamten berufen respektive gezwungen werden kann.355 Gönner dagegen, der in seiner einflussreichen Theorie die vollständige Verdrängung der Kooperation von Staat und Privaten sowohl aus dem Privatrecht als auch aus dem öffentlichen Recht propagierte, wusste sich hier nur mit dem Rückgriff auf die privatrechtliche Ausnahme zu behelfen:

355

86

SEUFFERT 1 7 9 3 : 2 8 .

„Nur in dem einzigen Falle liegt die Rechtfertigung einer Ausnahme vor Augen, wenn der Regent einen Ausländer zu einem Staatsamte ruft, und dieser den Ruf annimmt; denn dieses Geschäft ist unstreitig ein Vertrag."356 Innere Grenzen souveräner Macht und die Notwendigkeit von Kooperationen zwischen Staat und Privaten Die Grenzen der souveränen Macht - und damit die Notwendigkeit von Kooperation357 - zeigten sich jedoch nicht nur an den äusseren Grenzen des Nationalstaates, sondern auch an inneren Grenzen. Obwohl unaufhaltsam auf die (mehr wissenschaftliche als rechtliche) Fundierung absoluter Gewalt hingearbeitet wurde, drückten die meisten Juristen ihre Zweifel an der Praktikabilität einer Theorie aus, die den Privaten in einseitiger Weise zum Dienst beruft respektive zwingt. Bereits Wiguläus Xaver Aloys von Kreittmayer (1705-1790) folgte zwar der Zwangstheorie, fügte dem aber hinzu, es gebe ja genug Bewerber, so dass keine Not zum Zwang bestehe.358 Seuffert und Becke ergänzten, dass ohne Zwang eine bessere Arbeitsmoral herrsche und der Staat aus diesem Grund von seiner Macht zur einseitigen Berufung zum Staatsdienst de facto nicht Gebrauch mache; denn Geistesarbeit sei nicht erzwingbar, zumindest nicht in der Weise, dass sie der Verwirklichung der allgemeinen Wohlfahrt am besten diene.359 In diesem Sinn war also der Staat nach wie vor auf Kooperation angewiesen, weil er über die Ressource des menschlichen Bewusstseins respektive der Motivation nicht allein in befehlsförmiger Weise verfügen konnte. Gönner wandte sich jedoch vehement gegen ein solches Zugeständnis, das die Einheit der souveränen Macht zerstören und sie - wie er anführte - privaten wirtschaftlichen Interessen aussetzen würde: „Denn warum drängen sich bei Erledigung eines Amtes so viele Competenten hinzu? Aus Patriotismus gewiss nicht, wenigstens nicht zehn unter tausenden. Sie erblicken in dem Amte eine Quelle, welche ihnen Ehre, Einfluss, Einkünfte gewährt, sich wollen die Bewerber Vortheile erringen, und der Patriotismus muss gewöhnlich dem Egoismus die Schleppe tragen. ... Zwischen Zwang

GÖNNER 1808: 93; dem folgt auch Bluntschli, fügt aber hinzu, dass selbst hier keine zivilrechtliche Klage möglich sei: BLUNTSCHLI 1852: 421 f. Ebenso SCHMITTHENNER 1845: 316. Der Begriff der Kooperation erschliesst sich also in seiner Differenz zu einseitiger Rechtsmacht. Die Differenz von Kooperation und einseitiger Rechtsmacht wird traditionell in der Einheit der Handlungsform aufgehoben: vgl. jüngst die Untersuchung zum österreichischen Verwaltungsvertrag unter diesem Leitbegriff der Handlungsformenlehre: EBERHARD 2005. KREITTMAYR 1754: Teil V, Kap. 24, § 4. SEUFFERT 1 7 9 3 : 9 f f . , v . a. 1 2 ; B E C K E 1 7 9 7 : E i n l e i t u n g u n d § 1 7 .

87

und Zwang ist nach den Motiven des Zwangs und nach dem Standpunkte des Zwingenden und Gezwungenen ein grosser Abstand. Was Erfahrung im Privatverhältniss zeigt, davon stellt sie uns im öffentlichen Verhältnisse das Gegentheil dar; dort ist nur ein Widerstreben der Sinnlichkeit wirkend, und darum sind erzwungene Privatarbeiten meistens schlecht. Aber das Vorhalten einer Bürgerpflicht setzt die Vernunft mit der Sinnlichkeit in Kampf, und dem Manne ist hierin der Sieg über die letzte nicht schwer."360 Gönner hielt also den Argumenten Kreittmayers, Seufferts und Beckes einerseits die Gefahren der Amtskorruption entgegen und führte andererseits den Nationalpatriotismus als Grund an, wieso Amtszwang mit der Verwirklichung grösstmöglicher Wohlfahrt durchaus zu vereinen sei. Bereits hier zeigt sich, dass das politische Konzept des Patriotismus Aufgaben übernahm, die heute gemeinhin mehr dem Recht (konkret einer Mischung von Korruptionsstrafrecht, einem privilegierten Rechtsstatus des Beamten und einer vertragsnahen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses) zugeordnet werden: erstens den Beamten vor wirtschaftlichen Versuchungen zu bewahren, zweitens das Verhältnis zwischen Staat und Beamten zu stabilisieren und drittens den Zugriff auf eine Ressource zu ermöglichen, die dem Staat nicht direkt verfugbar ist: die Motivation des Beamten, gute Dienste zu leisten. Dass Gönners Vertrauen in den Nationalpatriotismus doch nicht ganz so absolut war, zeigt sich allerdings daran, dass er die Professionalisierung der Verwaltung und ihre Abschottung gegenüber wirtschaftlichen Einflüssen mit Garantien auf einen lebenslangen Nahrungsstand zu verwirklichen suchte.361 Ganz in der Konsequenz seiner Theorie gründete Gönner diese Pflicht des Staats öffentlichrechtlich als Folge einer Konzession, die jedoch zumindest teilweise der Beurteilung der Zivilgerichte und damit - in notwendiger Weise - der stabilisierenden Wirkung des Rechts unterstand:262 Der Staatsbeamte habe zwar kein Recht am Amt, aber doch eines am lebenslangen Nahrungsstand.363

GÖNNER 1 8 0 8 : 7 0 . GÖNNER 1 8 0 8 : 1 1 7 ff.

GÖNNER 1808: vor allem 126 ff. und 262. Damit kam Gönner der Fiskaltheorie sehr nahe. GÖNNER 1 8 0 8 : 195.

Gönners Theorie folgten - zumindest in den wesentlichen Zügen - zahlreiche Juristen364, wobei spätestens seit Hegel auch die legitimatorischen Vorteile dieser Konzeption erkannt wurden: Der Beamtenstand, in gewissem Masse vom Zentrum der Macht unabhängig und auf Professionalität ausgerichtet, konnte als Mittler zwischen der fürstlichen Gewalt und der Gesellschaft und damit als funktionales Äquivalent zu demokratischen Beteiligungsrechten erscheinen.365 In diesem Sinne lässt sich bereits bei Gönner erkennen, wie das Konzept des souveränen Nationalstaats respektive die ausdifferenzierte Politik ihre Grenzen zuvorderst in sich selbst fand, denn sie konnte sich trotz aller ihr zur Verfügung stehenden Macht nicht ohne Hilfe des Rechts und unabhängiger Gerichte stabilisieren. Damit ist ein Erklärungsmodell für Böckenfördes berühmtes dictum vorgeschlagen, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann.366 Zugleich zeigt sich, dass eine Möglichkeit, die Voraussetzungen auf Dauer zu sichern, in einer strukturellen Kopplung mit dem Recht liegt: Es sind zu diesem Zeitpunkt die zentralen Voraussetzungen einer Symbiose von Macht und Recht gegeben, die später als Theorien des Rechtsstaats eine bis heute dauerhafte (wenn auch zuweilen labile oder unterbrochene367) Stabilisierung erfahren haben. Auf die Emergenz dieser Symbiose und ihren Einfluss auf Verträge zwischen Staat und Privaten ist nun im Sinne einer Synthese genauer einzugehen.

So etwa Heffter (1796-1880) in seinen Ausfuhrungen von 1829: Heffter stellte zwar mit Bezug auf Kreittmayr fest, dass es nicht an Bewerbern für den Staatsdienst fehle. Dennoch stehe dem Staat das Zwangsrecht im Sinne Gönners zu, und dieses beeinflusse „die rechtliche Ansicht von der Natur des Staatdienstes". Die Konsequenzen sah Heffter erstens darin, dass die Staatsdiener weder gekauft werden könnten noch dürften; es bestehe ein Recht des Staats auf Leistung des Staatsdiensts, respektive eine Pflicht zur Leistung von Staatsdiensten. Zweitens folge daraus, dass das Verhältnis zwischen Staat und Staatsdiener nicht der privaten Willkür unterliege, die die öffentlichen Interessen gefährden könnten. HEFFTER 1829: 126 ff. Weiter siehe zum Beispiel DAHLMANN 1847: 271 ff., vor allem 275-277 und BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 2 3 .

Oben bei Fn. 227: 58. BÖCKENFÖRDE 1 9 9 1 : 1 1 2 .

So hob Carl Schmitt mit seinem jüngst wieder in Mode gekommenen Souveränitätsbegriff diese Symbiose zugunsten der Vorherrschaft der Macht auf: SCHMITT 1922; vgl. AGAMBEN 1995.

89

F.

Synthese: Aktualisierung der Rechtstheorie und Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht

Betrachtet man vor diesem Hintergrund - die Verschiebung von Eigentum zu Vertrag und die aktualisierten Willenstheorie einerseits sowie die Entstehung des nationalen Binnenmarktes und der Entwicklung der Souveränitätslehre andererseits die Theorien des 18. Jahrhunderts zum Staatsdienst, so lassen sich nicht nur Aktualisierungen in den kooperativen Beziehungen zwischen Staat und Privaten erkennen, sondern zugleich auch Rückwirkungen auf die Trennung des Rechts in ein Privatrecht und ein öffentliches Recht. Abschaffung von Privilegien Wesentlich ist zunächst, dass die Theorien im 18. Jahrhundert vermehrt davon Abstand nahmen, dass dem Herrscher die Ämter als persönliches Eigentum zukommen und als Privatrechtssubjekt diese wie jedes andere Eigentum übertrage.368 Bezeichnend für diese neue Auffassung ist die Formel, die Malacord 1788 anführte: Das Recht am Amt stehe dem Regenten nicht in eigenem Namen, sondern im Namen des Staats zu.369 Ähnliches lässt sich für Frankreich in Bezug auf die Käuflichkeit und Vererblichkeit von Ämtern rekonstruieren,370 womit gleichzeitig die berühmte Evolution der Herrschaftslegitimation371 von der repräsentativen Herrschaft des Staatsoberhaupts zur Souveränität („l'Etat, c'est moi") und schliesslich zur Volkssouveränität und repräsentativen Demokratie („l'Etat, c'est nous") angesprochen ist.372 Im zentralen Punkt, der Abschaffung der Privilegien, erfuhr diese Strukturveränderung freilich durch die revolutionären Ereignisse eine einzigartige Beschleunigung. Dies und die damit verbundenen Veränderungen in den politischen Grosstheorien

Zum Beispiel MALACORD 1788: § 1 und 12. Zur Ablösung von Eigentum durch Vertrag siehe SCHWAB 1975 und LIEBERMAN 1998 sowie oben Kap. I.B: 18. Für Deutschland vgl. MALACORD 1788: § 1 und 12; bei Gönner wird zwar das Staatsamt im Auftrag des Regenten ausgeführt, aber es besteht „aus Auftrag und im Namen des Staates": GÖNNER 1808. Dieser Gedanke kommt bereits im Naturrecht von Vattel deutlich zum Ausdruck: Der Monarch kann nicht über das Eigentum des Staats verfügen, denn dieses steht ihm nicht mehr zu Eigentum zu. Der Monarch ist lediglich des Staats Administrator: VATTEL 1 7 5 8 : § 2 6 0 .

Siehe zu dieser Evolution die Übersicht bei MOUSNIER 1979: 324 ff. Zum Begriff der Legitimation siehe oben Fn. 65: 19. Siehe hierzu aus rechtlicher Sicht CHAUVEAU 1841-44: N 322 ff. Bereits in dieser Abfolge der Legitimationsformen zeigt sich, dass die alten Legitimationsformen in neuen Legitimationsformen (z. B. als souveräne repräsentative Demokratie) weitergetragen werden.

90

kondensierten in besonderer Weise am Ereignis der Französischen Revolution, und sie strahlten in der Folge der Revolution auch massgeblich auf die Schweiz aus.373 Verschiebungen in der vertraglichen und die Entstehung des modernen

Willenstheorie Privatrechts

Sodann sind die erläuterten Verschiebungen innerhalb der Willenstheorie von Bedeutung: Es wurde von der aristotelischen Anforderung der Ausgewogenheit des Vertragsinhalts Abstand genommen, und die inhaltliche Gerechtigkeit wurde dem Markt respektive den durch den Marktmechanismus disziplinierten Willensäusserungen der Parteien überlassen. Das (eher sozialethisch als wirtschaftlich verstandene) Gleichgewicht der Vertragsleistungen wurde durch die Gleichheit der Vertragsparteien, die sich nun als gleichgeordnete - d. h. von jeglichen ausserhalb des Marktes liegenden Einflussmöglichkeiten isolierte - Marktteilnehmer gegenüberstanden, ersetzt. In dieses Konzept des Vertrags, der allein aufgrund derart verstandener übereinstimmender Willenserklärungen zu einem gerechten Austausch fuhrt, passte nun freilich der Staat als Vertragspartner nicht mehr; es fehlte an der Gleichgeordnetheit als Voraussetzung des Marktmechanismus, was die Rechtswissenschaftler bereits im 18. Jahrhundert registrierten.374 Letzteres lässt sich insbesondere an den Äusserungen von Johann Michael Seuffert verfolgen. Dieser lehnte in seinen Ausfuhrungen von 1793 zur Beamtenbestellung die bisherigen Vertragstheorien aufgrund der fehlenden Gleichgeordnetheit von Staat und zukünftigem Staatsdiener ab: Denn die Dienstleistung des Staatsbeamten habe ihren rechtlichen Grund nicht in der Gegenleistung, d. h. der Entgeltlichkeit des Staatsdienstes, sondern in der Verbindlichkeit der Dienstleistung fiir jedes Staatsmitglied. Seuffert war sich bewusst, dass er damit etwas beschrieb, das sich nicht in den vorhandenen Variationen im Recht unterbringen Hess: „Einen Namen kann ich diesem Vertrag nicht geben .. ," 375 Denn: „Der Zweck des Rechts, welches der Diener des Staats erhält, ist keines Wegs der Nutzen desselben, sondern das Wohl des Staats. Dieses Recht leidet keine

Zum Ganzen oben Kap. I.D: 31. Oben Kap. I.C: 24. SEUFFERT 1 7 9 3 : 2 6 .

91

Auslegung zu dem blossen Privatvorteile des Staatsbeamten, sondern allein zum Wohle des Staats."376 Diese fehlende Gleichgeordnetheit der Vertragsparteien war damit zu Beginn des 19. Jahrhunderts - neben den Veränderungen der politischen Grosstheorien - zu einem wesentlichen Grund geworden, wieso die Rechtswissenschaft die Kooperation von Staat und Privaten nicht dem Privatrecht zuordnen konnte. 377 Hier zeigte sich allerdings zugleich eine Möglichkeitsbedingung der Entstehung des modernen Privatrechts: Dieses unterschied sich nun in dem Sinne massgeblich vom vormodernen Recht, als es den - vor allem wirtschaftlichen - Selbstorganisationsbereich378 der gleichgerichteten Personen durch die Abgrenzung zur Frage der politischen Herrschaftsstrukturen bezeichnete. Ablösung der Herrschaft vom Recht als Ausdifferenzierung

moderner Politik

Die Frage der Herrschaftsstruktur wurde dagegen fast ausschliesslich von der Politik in Beschlag genommen, die ihre Kommunikationen zwar zuweilen in die Rechtsform kleidete, aber weitgehend den unabhängigen Gerichten zu entziehen versuchte. Dies gilt nicht nur für die absolutistische Politik, sondern auch für die nachfolgende Demokratie, welche die Kommunikationsform absolutistischer Macht, die Gesetzesform, zunächst weitgehend übernahm, immerhin aber die bereits im Absolutismus praktizierte Ausrichtung der Gesetze an der öffentlichen Meinung in eine stabilere Legitimationsform überführte: Die öffentliche Meinung als Grund der Machtanwendung durch das Gesetz wurde nun präziser abgebildet durch vom Volk gewählte Repräsentanten.379 Massgeblich für die Begründung der Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht war somit die gleichzeitige Ausdifferenzierung eines Selbstorganisationsbereiches, der weiterhin dem Recht und der Stabilisierung durch unabhängige Gerichte unterstand, und eines Bereiches der Politik, dessen Kommunikationen sich zwar zuweilen der Rechtsform bedienten,

SEUFFERT 1 7 9 3 : 4 3 .

Zum Ganzen oben Kap. I.C: 24. Damit die weitgehende Nichteinmischung des Staats zu verstehen, ist problematisch. Denn von Vertragsfreiheit wurde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gesprochen: hierzu ABEGG 2004a.

Tocqueville weist darauf hin, dass beides - Ausrichtung der Gesetze an der öffentlichen Meinung und Repräsentation der öffentlichen Meinung durch gewählte Vertretungen - bereits vor der Revolution unter der Regentschaft von Louis XVI in Ansätzen praktiziert wurde: TOCQUEVILLE 1856: 275 ff. In diesem Sinn auch M E I E R 1864: 928. Im Detail sind freilich für die Schweiz und vor allem für Deutschland einige Relativierungen angebracht: siehe oben Kap. I.D.3: 57 und Kap. I.D.4: 61.

92

aber mit dieser Form lediglich die dahinterliegende politische Macht verdeckten, die nicht rechtlich, sondern primär politisch eingeschränkt wurde. 380 Folgerungen für die Trennung in öffentliches Recht und Privatrecht und den Vertrag zwischen Staat und Privaten In dieser Perspektive kann dann auch für einen Beginn der Aufhebung der Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht primär die Demokratie oder die Gesetzesform verantwortlich zeichnen. Vielmehr vertieften sich die Unterschiede von Privatrecht und öffentlichem Recht, solange der Fokus auf der strukturellen Kopplung Gesetz als Kontaktstelle zwischen Politik und Recht lag. Wendepunkt stellte vielmehr die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit dar: die Unterstellung eines Grossteils politischer Kommunikation unter die Kontrolle unabhängiger Gerichte.381 Während das alte Recht also Herrschaftsstrukturen primär dem ius publicum zugeordnet und den Staat nur als eine Herrschaftsstruktur unter vielen begriffen hatte,382 richtete sich das neue moderne privatrechtliche Vertragsrecht fast ausschliesslich auf den Markt sowie dessen Voraussetzungen der bürgerlichen Gesellschaft aus und anerkannte demzufolge nur in diesem Sinne gleichgerichtete Marktteilnehmer als Personen des Privatrechts. Die für den modernen Typus des privatrechtlichen Vertrags zentrale Gleichgeordnetheit der Marktteilnehmer begann allerdings, wie dargestellt, beim Vertrag zwischen Staat und Privaten bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu fehlen.383 Hier zeigt sich nun aber auch, dass der Vertrag zwischen Staat und Privaten - quasi in einer Doppelbewegung - nicht nur aus dem aktualisierten Privatrechtsverständ-

380

Ähnlich JANSEN/MICHAELS 2007: 389 f. Hierin liegt wohl auch der massgebliche Unterschied zum common law. Stolleis These, für die die Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht auf dem Unterscheid von Absolutismus und Demokratie fusst, vermag dagegen diesen Unterschied von Kontinentaleuropa und common law nicht plausibel zu erklären: STOLLEIS 1996: 58. Bemerkenswert ist an der Reaktion des Rechts auf diese Ausdifferenzierungen, dass beide emergierenden Rechtsbereiche sich an externe Geltungsreferenzen koppelten: klassische ökonomische Theorie ä la Adam Smith einerseits und Contrat Social in einer Kombination mit Utilitarismus, Beamtenstaat oder Demokratie andererseits. In diesem Sinne kann man stricto senso noch nicht von einem ausdifferenzierten Recht sprechen, das seine Geltungsreferenzen ins Innere des Rechts verlagert: vgl. LUHMANN 1993a: 98 ff.

381

Dies wird andernorts ausfuhrlich zu erläutern sein: III: 197.

382

S i e h e vor a l l e m KREITTMAYR 1 7 5 4 , 1 : 4 3 f.

383

Oben 67 ff.

93

nis herausfiel, sondern sich darüber hinaus nicht mehr recht in die neuere öffentlichrechtliche Lehre einpassen liess.384

384

94

Oben 77 ff.

II. Der Vertrag zwischen Staat und Privaten im 19. Jahrhundert zwischen Justizstaat und souveränem Nationalstaat A.

Einleitung: Die rechtliche Verfassung der Verwaltung Zwei Evolutionslinien: Stabilisierung von Macht durch Recht und Einschränkung von Macht durch Recht

Bereits die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Ansätzen entstehende moderne Verwaltungsrechtswissenschaft385 musste sich mit dem Paradox des modernen Nationalstaats befassen: Einerseits sollte nach moderner Theorie der Staatsverwaltung alle notwendige Macht zukommen, um jede Zersplitterung der Herrschaft und somit herrschaftsbezogene Kooperationen und Privilegien zwecks Einheit und Wohlstand der Gesellschaft zu überwinden. Und andererseits mussten gerade der Verwaltung selbst weiterhin respektive erneut Garantien abgegeben werden, um diese auf Dauer zu stabilisieren und von wirtschaftlichen Versuchungen fernzuhalten. 386 Spätestens ab den Dreissigerjahren des 19. Jahrhunderts traf sich diese Frage der rechtlichen Erfassung der Verwaltung mit der zunehmenden Ablehnung des umfassenden Polizeibegriffs, in dessen Namen der Staat den Menschen Glückseligkeit aufoktroyierte.387 Im Sinne von Idealtypen können in diesem Kontext zwei Evolutionslinien unterschieden werden, die sich freilich vielfach überschneiden und gegenseitig beeinflussen: Während sich die Kritik an der Verwaltung unter dem aufkommenden Liberalismus Gehör verschaffte,388 sollte unter einer eng an den souveränen Nationalstaat angelehnten Staatstheorie die Macht der Verwaltung als gesellschaftseinigende Kraft gerade gestärkt werden. Während zum Beispiel die Staatsverwaltung Zürichs389 im Zuge liberaler Einflüsse ab den Dreissigerjahren insbesondere durch demokratische Beteiligungs- und Kontrollmechanismen sowie durch die unabhängige Zivilgerichtsbarkeit gebändigt werden sollte, begann sich der überwiegende Teil deutscher Rechtswissenschaft vor allem in der zweiten Hälfte des

Im Detail siehe unten Kap. II.C.2: 121. Hierzu ausführlich I.E: 67. Siehe z. B. CORMENIN 1826. Grundlegend ist freilich Kants Begriff des kategorischen Imperativs: vgl. z. B. KANT 1788/1993: 36 [54 der 1. A.]. Zu Kant statt vieler GEISMANN 1982, der ffir den vorliegenden Gegenstand interessante Verbindungen zu Hobbes und Rousseau aufzeigt. Was etwa in der erfolgreichen liberalen Revolution 1848 in der Schweiz gipfelte. Ähnlich in Aargau, Basel-Landschaft, Luzern, St. Gallen und Thurgau: IMBODEN 1947.

95

19. Jahrhunderts um die Erfassung der Verwaltung durch ein eng an die Politik geknüpftes Recht zu bemühen. 390 Diese zwei Evolutionspfade sowie ihre Auswirkungen auf den Vertrag zwischen Staat und Privaten sind in der Folge darzustellen und zu vergleichen. Hieraus wird sich zeigen lassen, unter welchen Bedingungen und in welcher Form der Vertrag zwischen Staat und Privaten im 19. Jahrhundert erscheinen konnte und vor allem: unter welchen Bedingungen und mit welchen funktionalen Äquivalenten der Vertrag zwischen Staat und Privaten unterdrückt wurde. Zugleich wird sich aus diesem Blickwinkel das erwähnte Paradox des modernen Staats erschliessen: -

In einem ersten Schritt sind hierzu die Grundlinien einer liberalen Staatstheorie und ihre Kritik am vorangehenden Gesellschaftsmodell darzustellen (nachfolgend Kap. II.B: 97).

-

Sodann sind in einem zweiten Schritt - in länderspezifischen Ausfuhrungen für Frankreich, Deutschland und die Schweiz - die Auswirkungen der Fiskustheorie auf das kooperative Verhältnis von Staat und Privaten zu erläutern, wobei zugleich auch jeweils darzustellen ist, in welche Richtung sich die Kooperation zwischen Staat und Privaten unter einem stringenten Leitkonzept des souveränen Nationalstaats entwickelte (nachfolgend Kap. II.C: 108).

-

In einem dritten und letzten Schritt geht es sodann darum, dass die privatrechtliche Seite der Evolution von staatlich-privaten Kooperationen in den Rechtswissenschaften des 19. Jahrhunderts kaum je thematisiert wurde. Das Zusammenspiel von Politik, Recht und Wirtschaft wurde erst von Max Weber untersucht. Auf dessen bis heute einflussreiches Modell soll zum Schluss eingegangen werden (nachfolgend Kap. II.D: 183).

390

Siehe zu diesen Unterschieden bereits die Zusammenfassung bei DARESTE 1862: 674 ff.; zur Situation in den deutschen Staaten BLUNTSCHLI 1868, II: 242 ff.; zur Konzeption der Verwaltung des jungen schweizerischen Bundesstaates vgl. III.D.2: 333.

96

B.

Kritik an der absolutistischen Verwaltung

1.

Gesellschaft

als

Multitude

Kritik gegen die im Sinne des Absolutismus perfektionierte Das Beispiel Frankreichs

Verwaltung:

Die bereits im alten Regime angelegte und nach der grossen Revolution von Napoléon zu neuer Stärke geführte, äusserst zentralistische und hierarchisch ausgebildete Verwaltung in Frankreich bot ein besonders offensichtliches Objekt für pointierte liberale Kritik39' Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die Verwaltung im Zuge der Revolution durch die Loslösung von den unabhängigen Gerichten zwar an Macht gewonnen hatte, ohne jedoch zugleich dem Recht unterstellt zu werden.392 Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass in Frankreich - ebenfalls in Folge der absolutistischen Staatsidee und beschleunigt durch revolutionäre Ereignisse - zahlreiche sogenannte Intermediäre (von aristokratischen Strukturen über Wirtschaftsverbände bis zu kommunalen Selbstverwaltungen) zerstört oder in die Staatsverwaltung integriert und somit die Tendenzen der Zentralisierung und des Ausbaus der Verwaltung massiv beschleunigt worden waren. 393 Multitude und wirtschaftliches

Freiheitsbedürfnis

Gegen diese im Sinne des Absolutismus perfektionierte Verwaltung regte sich nun Widerstand. Einerseits wurde argumentativ das moderne Menschenbild einer ins Positive gewendeten Multitude (im Sinne einer erstrebens- und erhaltenswerten

Statt vieler seien hier die prominenten Stimmen des gebürtigen Waadtländers Benjamin Constant (1767-1830) und von Alexis Tocqueville (1805-1859) berücksichtigt. Hierzu Kap. I.D.2.d): 46. „La révolution démocratique, qui a détruit tant d'institutions de l'ancien régime, devait donc consolider celle-ci, et la centralisation trouvait si naturellement sa place dans la société que cette révolution avait formée qu'on a pu aisément la prendre pour une de ses oeuvres.": TOCQUEVILLE 1856: 131 f. Die Revolution hatte im Resultat die Verwaltung geschaffen, die vom Absolutismus zwar angestrebt worden war, aber zu jener Zeit noch nicht hatte vollendet werden können. Dazu nochmals Tocqueville: „Ce ne sont pas, comme on l'a dit tant de fois, les principes de 1789 en matière d'administration qui ont triomphé à cette époque et depuis, mais bien au contraire ceux de l'ancien régime qui furent tous remis alors en vigueur et y demeurèrent.": TOCQUEVILLE 1856: 131; zum Ganzen: BURDEAU 1994. Ähnlich wie Tocqueville im Rückblick fur Deutschland z.B. BUDDEBERG 1925: 133.

97

Vielheit in der Einheit)394 gegen einen absolutistischen Perfektions-, Regulierungsund Vereinheitlichungswahn, verkörpert durch das Bild einer sich lediglich am Menschenmaterial395 ausrichtenden Verwaltungsmaschinerie, ins Feld gefuhrt. Und andererseits wurde mit und zugleich gegen den Staat ein - massgeblich wirtschaftlich verstandenes - Freiheitsbedürfnis vorgebracht. Denn der Mensch war als Bürger zu einer Person auf der Bühne des modernen Nationalstaats geworden, womit neben den Partizipationsrechten auch die Sicherheit vor staatlichen Eingriffen zum Thema wurde. Für das kapitalistisch geprägte Bürgertum stand hierbei insbesondere der Schutz wirtschaftlicher Betätigungsräume, also der Schutz von Eigentum und Handelsfreiheit, im Vordergrund.396 Stellung der Verwaltung im wirtschaftsliberalen

Kontext

In dieser Kritik zeigte sich somit das Bedürfnis, die Verwaltung bis zu einem gewissen Grad zurückzubinden, ohne allerdings sogleich die Administration als zentrale Verwalterin des Nationalstaats entmachten zu wollen. 397 Dieses gleichzeitige Bedürfnis, die Staatsverwaltung einzuschränken und als zentrale Verwalterin der Nation zu erhalten, steht vor einem grösseren wirtschaftlichen Kontext, der von

Jüngst erlangt dieser alte, bei Hobbes und Spinoza ausgeführte Begriff der Multitude wieder Bekanntheit bei HARDT/NEGRI 2002; vgl. unten Fn. 400: 99.

So der kritisch gewendete Begriff gegen die Verwaltungsmaschinerie des Polizeistaats: vgl. MAYER 1895/96,1: 38ff. Der Begriff wurde auch gegen die Wirtschaftsmaschinerie des Kapitalismus verwendet: MARX 1890/1968: 661. OGOREK 1986: 379; KOCKA 1987; OGOREK 1988. Der gebürtige Waadtländer Benjamin

Constant (1767-1830) schrieb bereits 1815 in seinen Principes de politiques hierzu pointiert: „II est impossible, je le répète, de tout régler, de tout écrire, et de faire de la vie et des relations des hommes entre eux un procès-verbal rédigé d'avance, où les noms seuls restent en blanc, et qui dispense à l'avenir les générations qui se succèdent, de tout examen, de toute pensée, de tout recours à l'intelligence. Or, si, quoi qu'on fasse, il reste toujours, dans les affaires humaines, quelque chose de discrétionnaire, je le demande, ne vaut-il pas mieux que l'exercice du pouvoir que cette portion discrétionnaire exige, soit confié à des hommes qui ne l'exercent que dans une seule circonstance, qui ne se corrompent ni ne s'aveuglent par l'habitude de l'autorité, et qui soient également intéressés à la liberté et au bon ordre, que si vous la confiez à des hommes qui ont pour intérêt permanent leurs prérogatives particulières.": CONSTANT 1815: 187 f.

„II est tout à la fois nécessaire et désirable que le pouvoir central qui dirige un peuple démocratique soit actif et puissant. Il ne s'agit point de le rendre faible ou indolent, mais seulement de l'empêcher d'abuser de son agilité et de sa force.": TOCQUEVILLE 1835-1840: chap. VII. In diesem Punkt stimmt auch Ignaz P.V. Troxler (1780-1866) überein: „Keine Gewalt bedarf mehr des Zügels, als die vollziehende, doch darf sie nicht entkräftet, oder anderen einzelnen Staatsgewalten unterworfen werden. ... sie muss zum treuen Werkzeug der nationalen Kraft gemacht, und ins gehörige Verhältnis zu den übrigen gesetzt werden.": TROXLER 1 8 2 0 : 1 6 0 .

98

Soziologen wie Max Weber, Polanyi und Braudel immer wieder hervorgehoben wurde, ohne dass damit eine direkte Kausalität insinuiert würde: Der Einsatz von Kapital zur Produktion neuer komplizierter produktionsfördernder Maschinen verlangte langfristige Sicherheit - vor allem dass nicht in den Preismechanismus der Produktionsfaktoren und der produzierten Sache eingegriffen wird, der die Verfügbarkeit der Produktionsmittel einerseits und die Rentabilität der Produktion andererseits sicherstellt.398 In der Tat weisen auch bereits Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts daraufhin: Die bisherige Überbeanspruchung der politischen Intervention habe zur Erkenntnis gefuhrt, dass sich in besonderen Gebieten aus Gründen der allgemeinen Wohlfahrt ein machtbezogenes Eingreifen im Einzelfall gerade verbiete. In diesem Sinn erschien das Privatrecht gegenüber dem politisch durchdrungenen öffentlichen Recht als Recht der Freiheit,m Infolgedessen drängte der erstarkte Liberalismus

ebenso auf die Bändigung der

politischen Herrschaft im Allgemeinen und der politischen Herrschaft der Verwaltung im Besonderen, wie er zugleich darauf angewiesen war, dass der Staat die Rahmenbedingungen des Binnenmarktes und des Selbststeuerungsmechanismus 'Preis', etwa die genannte Multitude gleichgerichteter Marktteilnehmer400 oder die

W E B E R 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 1 2 9 f.; POLANYI 1 9 4 4 / 1 9 5 7 ; BRAUDEL 1 9 9 7 .

Grundlegend sind unter anderen: Lockes Grundstein fur eine liberale Staatstheorie: LOCKE 1680-90/1966: v. a. § 131; Adam Smiths wissenschaftliche Fundierung einer Wirtschaft, die sich durch die Abwesenheit des Staats konstituiert: ADAM SMITH 1776/1993. Humboldts Ausdehnung der Idee eines begrenzten Staats auf weitere Teile der Gesellschaft: HUMBOLDT 1792/1962; und mit Rehberg beginnt bereits die Umsetzung in die Rechtslehre: REHBERG 1807. Siehe hierzu auch die Episode um das Eingreifen des Monarchen mittels Machtspruch in die unabhängige Zivilrechtsprechung: OGOREK 1984: vor allem 99 und 103. Zur analogen Problematik in Frankreich siehe TOCQUEVILLE 1856: 292 f f ; MEIER 1864: 928 f. Die genannte Multitude der Gesellschaft als Vielzahl von Singularitäten mit je unterschiedlichen Bedürfhissen, die sich auf dem Markt gleichgeordnet gegenüberstehen, ist eine der zentralen Rahmenbedingungen eines funktionierenden Binnenmarktes. Vgl. bereits Adam Smiths Ausfuhrungen zur Arbeitsteilung: ADAM SMITH 1776/1993. Diese zentrale Vorbedingung der modernen Wirtschaft korrespondiert mit der politschen Bedeutung der Multitude, als einer durch den Souverän repräsentierten Menschenmassen: HOBBES 1651/1839159: „A commonwealth said to be instituted, when a multitude of men do agree, and covenant, every one, with every one, that to whatsoever man, or assembly of men, shall be given by the major part, the right to present the person of them all, that is to say, to be their representative . . . "

99

freie Zirkulation von Gütern im Binnenmarkt 401 , herstellen oder zumindest fördern und mit Rechten wie Eigentumsfreiheit und Handelsfreiheit absichern würde. Kontingenz politischer Programme und deren

Legitimation

Mit dieser Erkenntnis, dass die Förderung der Wohlfahrt der Gesellschaft gerade darin liegen kann, die egoistischen Interessen des Einzelnen zu fördern, ergab sich jedoch zugleich ein Legitimationsproblem: Bislang war die Zentralisierung von Macht im Staat und die Machtausübung auf die Gesellschaft dadurch gerechtfertigt worden, dass dies zum Wohle der Gesellschaft sei. Solange sich die Machtausübung auf eine Wohlfahrtsförderung beziehen konnte, die sich klar von den Einzelinteressen abgrenzte, erschien die entsprechende Machtausübung nicht als willkürlich, sondern eben als auf allgemeine Wohlfahrt gerichtet, was in politischen Prozessen und durch eine - wenn auch oft nur begrenzt zugelassene - Öffentlichkeit gemessen und überprüft werden konnte.402 Wenn nun aber die Formel, mit welcher sich die Politik von der Gesellschaft abgrenzte, wieder in diese Abgrenzung eingeführt wurde, war sie grossen Spannungen ausgesetzt. Wenn selbst die Förderung von Einzelinteressen zugleich das Wohl der Gesellschaft fördern konnte, dann war die Funktion der Politik kontingent geworden.

Pointiert hierzu A L B E R T SCHNEIDER/FICK 1 8 9 3 , S . 7 : „Allein die Bedürfnisse des Landes giengen auf grössere Geltungsgebiete seiner Normen. In der Folge der Bundesverfassung von 1848 waren die Schlagbäume im Innern der Schweiz gefallen; die Zolleinnehmer an den Brücken hatten ihre Posten verlassen, und schon rasselten die Bahnzüge von einem Ende der Schweiz zum andern." Zur zielgerichteten Ausrichtung auf allgemeine Wohlfahrt und der entsprechenden Legitimation siehe Kap. I.D: 31. Zur Funktion der Öffentlichkeit im Ancien Régime weist Tocqueville darauf hin, dass die Ausrichtung der Gesetze an der öffentlichen Meinung und die Repräsentation der öffentlichen Meinung durch gewählte Vertretungen bereits vor der Revolution unter der Regentschaft von Louis XVI. in Ansätzen praktiziert wurden: TOCQUEVILLE 1856: 275ff. In diesem Sinn auch M E I E R 1864: 928. Vgl. in diesem Kontext auch die Forderung nach Pressefreiheit von C O N S T A N T 1815: viii. Im Detail sind freilich für die Schweiz und vor allem für Deutschland einige Relativierungen angebracht: I.D: 31.

100

Genau in diese Lücke sprang die Legitimation als Kontingenzformef01 der Politik, und zwar in dem Sinne, dass die Politik auf ausserpolitische Argumente angewiesen war, um Machtanwendung als nicht willkürlich erscheinen lassen zu müssen. Suche nach neuen Legitimationsmechanismen: Verfassung und Gesetz, Intermediäre, Gerichte Im Kontext dieses neuen Bedürfnisses nach - bis zu einem gewissen Grad von der Machtausübung unabhängig erscheinenden - Legitimation404 und im Hintergrund der soeben angeführten 405 Aussagen von Constant verbirgt sich aber noch eine weitere Implikation: Selbst wenn die Verwaltung einer Maschinerie gleichkäme, wäre die Ausübung von Ermessen durch ebendiese Verwaltung von Beginn an nicht zu unterdrücken gewesen. Denn die von der Administration zu gestaltende moderne Gesellschaft veränderte sich mit zunehmender Geschwindigkeit, und damit wurde auch die Administration zwangsläufig immer wieder mit neuen Fragen konfrontiert, die den komplexen Prozess der Gesetzgebung noch nicht durchlaufen hatten. Damit aber lief eine Legitimation der Verwaltung von Beginn weg zunehmend ins Leere, nach welcher die Verwaltung Macht im Gesetzgebungsverfahren ausübt. Auf welche Art sollte nun aber, wenn nicht allein durch Gesetze, die übermächtige Politik samt ihrer Dienerin, der Verwaltung, in ihre Schranken verwiesen werden? Die zahlreich entworfenen und verwirklichten liberalen Verfassungen des 19. Jahrhunderts legen ein beachtliches Zeugnis vom Variationenreichtum ab, mit welchem diese Frage beantwortet wurde - letztlich vor allem in selbstbezügli-

Mit dem Konzept der Kontingenz wird nach dem inhaltlichen Wandel von Begriffen gefragt, im Sinne von ,A als Legitimation von X' wird ersetzt von respektive umgedeutet zu 'B als Legitimation von X'. Im Zentrum stehen dann funktionale Äquivalente, spezifizierbare Umformungen von Kommunikationsstrukturen im Rahmen evolutorischer Möglichkeitsbedingungen. Wegweisend in diesem Sinne zur Kontingenz des Begriffes der Legitimation und der Politik siehe Vgl. BLUMENBERG 1966: 12. 404

Zum Legitimationsbegriff in der Neuzeit grundlegend: WEBER 1921-1922/1980: 549; BLUMENBERG 1966. Der Begriff des Staats kann in dieser Perspektive als Selbstbeschreibung des politischen Systems verstanden werden, um die Legitimationsfrage, d. h. die Bewältigung der Kontingenz des Politischen, einer Lösung zuzuführen.

405

Oben Fn. 396: 98.

101

eher406 Weise durch die politischen Prozesse. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts sind überblicksartig folgende Variationen zur Zügelung der Politik und Freisetzung der liberalen Selbstorganisation hervorzuheben, die auch für das kooperative Verhältnis zwischen Staat und Privaten von Bedeutung sind: -

In den Verfassungsurkunden des neuen Verfassungsstaates wurde die Kontrolle der Verwaltung durch die gesetzgebende Gewalt gestärkt und ergänzt. So sollten zum Beispiel aus den Parlamenten Minister gestellt werden, die der Administration vorstanden - in den deutschen Ländern allerdings oft neben dem Fürsten, respektive neben der ehemals absolutistischen Herrschaft als eigentlichem Träger der Verwaltung. 407 Zudem wurde die Verwaltung gegenüber der gesetzgebenden Gewalt vielfach für rechenschaftspflichtig erklärt.408 Die intermediären Gewalten waren im Zuge der absolutistischen Staatsidee (und in Frankreich beschleunigt durch Revolutionen und Gegenrevolutionen) zwischen die Fronten geraten und weitgehend verdrängt worden. Diese sollten nun, so die liberale Forderung von Publizisten wie Tocqueville (1805-1859) und Rechtsgelehrten wie Robert von Mohl (1799-1875), wiederbelebt und zur Ausübung von staatlichen Funktionen hinzugezogen werden, womit die Macht der zentralisierten Verwaltung gemildert würde.409 Diese Intermediären erhielten zum Beispiel in den liberalen Kantonen der Schweiz sowie im liberalen schweizerischen Bundesstaat von 1848 eine neue Bedeutung. Ähnliches gilt allerdings auch für Deutschland und Frankreich, wo sich nach den gescheiterten liberalen Revolutionen zur Jahrhundertmitte die liberale Politik und der ihr wohl gesonnene Teil der Rechtswissenschaft auf das politisch Machbare im lokalen Bereich konzentrierten. Die anstehenden Infrastrukturleistungen einer bürgerlichen Gesellschaft sollten - in verstärkter Unabhängigkeit der Bürger vom Staat - durch diese selbst erbracht werden. Der Freiheitsgewinn für die bürgerliche Gesellschaft sollte sich somit durch die Umverteilung von Aufgaben des öffentlichen Interesses ergeben, soweit diese

Den formulierten Grundrechten kam vor allem in Deutschland noch nicht die Funktion von einklagbaren Rechten zu. Sie dienten mehr als Arbeitsprogramm für die Staatsinstitutionen, die individuelle Freiheit durch Gesetze zu verwirklichen hatte. Diese Zurückhaltung galt selbst noch für den schweizerischen Bundesstaat von 1848 und 1874, der zahlreiche Grundrechtsverstösse nicht dem Bundesgericht, sondern dem Bundesrat zuordnete: siehe unten bei F n . 5 5 1 : 1 3 4 ; z u m G a n z e n m . w . H . WENGER 2 0 0 5 . 407 408 409

Typisch hierfür, unter Ablehnung einer verwaltungsexternen Kontrolle: FUNKE 1838. Für Deutschland vgl. die Übersicht bei FLEINER 1913: 227 f. Für die Schweiz vgl. bereits die Mediationsverfassung des Kantons Zürich von 1803. Für Frankreich siehe TOCQUEVILLE 1835-1840, II: 389 ff.; für Deutschland vgl. VON MOHL 1866,1: 19 ff.; GNEIST 1879: 2 8 6 ff.; z u s t i m m e n d schliesslich auch GERBER 1880: 111.

102

Umverteilung auf kommunaler Ebene geschah und somit nicht mit dem auf den Nationalstaat gerichteten Souveränitätsanspruch des Staats in Konflikt geriet.410 -

Zudem - und dies ist hier von zentralem Interesse und bedarf noch der genaueren Erläuterung (unmittelbar nachfolgend Kap. II.B.2: 103) - sollten die Gerichte gestärkt werden, um die Gefahr eines despotischen Staats im Allgemeinen und einer despotischen Demokratie im Speziellen zu bannen und diese in eine liberale Demokratie zu überfuhren.4"

2.

Verhältnis von Gerichten

und

Position der Zivilgerichte

Verwaltung gegenüber dem

Polizeistaat

Obwohl sich das Verhältnis von Gerichten und Verwaltung in Frankreich einerseits und in Deutschland sowie der Schweiz andererseits unter umgekehrten Vorzeichen ausbildete,412 ist eine bedeutende Parallele auszumachen: Mit der Ausbildung einer unabhängigen bürgerlichen Gerichtsbarkeit (als Errungenschaft der Kritik von

Tocqueville formulierte es folgendermassen: „Au lieu de remettre au souverain seul tous les pouvoirs administratifs, qu'on enlève à des corporations ou à des nobles, on peut en confier une partie à des corps secondaires temporairement formés de simples citoyens; de cette manière, la liberté des particuliers sera plus sûre, sans que leur égalité soit moindre.": TOCQUEVILLE 1835-1840, II: 389. Die Übersetzung des englischen Modells des self government ins Deutsche war entsprechend Selbstverwaltung und nicht Selbstregierung. Hierzu die Untersuchungen von JELLINGHAUS 2006: v. a. 163, der in der zwecks Seuchenbekämpfung zukunftsgerichteten Gesundheitsvorsorge den Anstoss zum Funktionswandel von liberalem Abwehrstaat zu modernem Wohlfahrtsstaat erkennt. Hierzu die pointierten Ausführungen Tocquevilles: „II est de l'essence du pouvoir judiciaire de s'occuper d'intérêts particuliers et d'attacher volontiers ses regards sur de petits objets qu'on expose à sa vue ; il est encore de l'essence de ce pouvoir de ne point venir de luimême au secours de ceux qu'on opprime, mais d'être sans cesse à la disposition du plus humble d'entre eux. Celui-ci, quelque faible qu'on le suppose, peut toujours forcer le juge d'écouter sa plainte et d'y répondre : cela tient à la constitution même du pouvoir judiciaire. Un semblable pouvoir est donc spécialement applicable aux besoins de la liberté, dans un temps où l'œil et la main du souverain s'introduisent sans cesse parmi les plus minces détails des actions humaines, et où les particuliers, trop faibles pour se protéger eux-mêmes, sont trop isolés pour pouvoir compter sur le secours de leurs pareils. La force des tribunaux a été, de tout temps, la plus grande garantie qui se puisse offrir à l'indépendance individuelle, mais cela est surtout vrai dans les siècles démocratiques ; les droits et les intérêts particuliers y sont toujours en péril, si le pouvoir judiciaire ne grandit et ne s'étend à mesure q u e l e s c o n d i t i o n s s ' é g a l i s e n t . " : TOCQUEVILLE 1 8 3 5 - 1 8 4 0 , II: 3 9 2 - 3 9 3 .

In Deutschland und der Schweiz ging es v. a. darum, die Unabhängigkeit der Gerichte von der Regierung zu verwirklichen, während in Frankreich eher die Unabhängigkeit der Verwaltung vor der Justiz im Zentrum stand: vgl. I.D: 31.

103

Aufklärung und Naturrecht am absolutistischen Staat) 4 1 3 gelangten in der Regel die Gerichte gegenüber der polizeistaatlichen Verwaltung, die infolge des Allmachtsanspruchs der rein polizeistaatlichen Regierung in D i n g e n des G e m e i n w o h l s ohne Recht agierte (respektive das Recht im Polizeistaat gleichsam aufhob), 4 1 4 in eine besondere Position. D e n n zumindest solange nicht eine verwaltungsmässige G e richtsbarkeit verwirklicht wurde, waren die ordentlichen Zivilgerichte diejenige Instanz, w e l c h e die ausserhalb des Rechts hätte weisen

von Recht agierende

Verwaltung

in die

Schranken

können. 4 1 5

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Ausbildung der Unabhängigkeit der Zivilgerichte der Erlass einer generell-abstrakten R e g e l u n g in e i n e m Bereich, in w e l c h e m d e m Staat ein Hoheitsrechf16

zukam, die einzig m ö g l i c h e Beeinflussung

dieser Gerichte war - w o b e i infolge der A n w e n d u n g der R e g e l u n g durch die Zivilgerichte auch Regierung und Verwaltung gebunden wurden. 4 1 7 In dieser punktuellen Verbindung v o n politischer und rechtlicher Kommunikation ist der für das Verwaltungsrecht evolutionäre Schritt zu erkennen, da sich Staat und Bürger als Parteien z u w e i l e n gegenüberstehen und beiden bis zu e i n e m g e w i s s e n Grad Rechte

Hierzu unter vielen OGOREK 1989. Siehe hierzu die Theorie von Justis: Die Einschränkung der Herrschaft erfolgte primär durch die - materielle - Verpflichtung der „obersten Gewalt" auf die „Beförderung der gemeinschaftlichen Glückseligkeit": JUSTI 1760a, II: 328. Für den deutschsprachigen Raum ist die 1749 von Maria Theresia angeordnete Trennung des Polizei- und Justizwesens grundlegend. Hierzu m. w. H. UGRIS 1985. Ob die Ratio tatsächlich immer in der Verbesserung des Rechtsschutzes der Bürger lag, wird freilich bezweifelt: STOLLEIS 1988: 370. Hierauf weist denn auch Tocqueville im oben angeführten Zitat hin: Fn. 411: 103. Diese Feststellung wurde selbst noch 1868 von Bluntschli angeführt: BLUNTSCHLI 1868, II: 242; siehe zudem die Übersicht bei MAYER 1895/96,1: 41, m. w. H. Mit der Lehre der Herrschaftsrechte wird die Lehre der absoluten Staatsgewalt insofern modifiziert, als der Staat zwar alles kann, was zur Verwirklichung des umfassend verstandenen Staatswohls von Nöten ist. Diese Kompetenzen werden aber zugleich als Hoheitsrechte des Staats verstanden und damit vom Recht erfasst. Agiert der Staat ausserhalb dieser Kompetenz, verlässt er somit das Recht. Typisch für diesen Schritt ist Gönner: GÖNNER 1808: 56. Grundlegend für die Theorie der Herrschaftsrechte ist Kreittmayer, bei dem allerdings die Politik nicht vom Recht eingefasst wird, sondern das Recht der Politik folgt: „per regulam, jus ad finem dat jus ad media."; der Endzweck des Staats, die gemeine Wohlfahrt, rechtfertigt die entsprechenden Mittel: KREITTMAYR 1769,1: 15. Vgl. unter vielen Constant, der pointiert für die Gesetzesbindung der Macht und gegen eine despotische Macht argumentierte: „... cette puissance despotique, sans bornes ou plutôt sans frein, qui serait équivoque, parce qu'elle serait illimitée, précaire, parce qu'elle serait violente, et qui pèserait d'une manière également funeste sur le prince, qu'elle ne peut qu'égarer, et sur le peuple qu'elle ne sait que tourmenter ou corrompre.": CONSTANT 1815: 56 f.

104

und Pflichten zugeordnet werden. Bluntschli beschrieb diesen Prozess, ähnlich wie nach ihm auch Jhering, Jellinek und Fritz Fleiner418 in folgender Weise: „[Das neu entstehende Verwaltungsrecht] umfasst voraus diejenigen öffentlichen Rechte und Pflichten, welche mit Bezug auf einzelne betheiligte Personen (Körperschaften oder Individuen) eine relativ selbstständige Gestalt und eine ähnliche Consistenz wie Privatrechte erhalten haben und desshalb eines besondern Rechtsschutzes bedürfen. Nur unter dieser Voraussetzung nämlich gibt es Parteien im eigentlichen Sinne, deren Rechtsbehauptungen einander widerstreiten, und die in der Lage sind, einen Process vor Gericht mit einander durchzufuhren. " 419 Wo wie in Württemberg im Jahr 1819 zugleich eine Art Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einer Verfassung gekoppelt worden war, 420 ergab sich in analoger Weise die Gegenüberstellung von Staat und Bürgern mit je eigenen Rechten aus der Verfassung. Von Mohl drückte es in seinem Staatsrecht des Königreiches Württemberg von 1831 deutlich aus: „Auf die bisher [gemäss Verfassung] geschilderte Art sind die Rechte des Königes auf der einen, die der Staatsbürger auf der anderen Seite festgestellt, und eben dadurch auch die Verbindlichkeiten bestimmt, welche jedem Theile gegen den anderen obliegen."421 In diesem Sinne erscheint das Verwaltungsrecht somit im Zitat von Bluntschli als funktionales Äquivalent für verfassungsmässig definierte Rechte. Diesem Prozess, in welchem Recht zwar von den Kommunikationen politischer Macht ausgeht, aber erst mit Hilfe einer Gerichtsbarkeit seine bindende Wirkung im Sinne einer Selbstbeschränkung der politischen Macht entfaltet, wurden allerdings bei weitem nicht alle politischen Kommunikationen in Verbindung mit der Verwaltung unterworfen. Insbesondere jene Kommunikationen, durch welche die Verwaltung mit einem absoluten Hoheitsanspruch auftrat und jene, die nicht gegen aussen kundgetan wurden, sondern primär der Instruktion tieferer Verwaltungsebe-

FLEINER 1 9 1 3 : 3 9 ; JHERING 1 9 1 6 : 3 4 4 f f . u n d JELLINEK/JELLINEK 1 9 1 4 / 1 9 2 1 : 3 8 8 f.

BLUNTSCHLI 1868, II: 2 4 4 f. In diesem Zusammenhang plädiert Bluntschli für eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit. Gemäss § 60 der Verfassung von 1819. Zudem bestimmte § 95: „Keinem Bürger, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einem besonderen Titel beruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verschlossen werden." Hierzu m. w. H. VON MOHL 1 8 3 1 , 1 : 1 9 9 u n d 6 4 3 s o w i e d i e M o n o g r a p h i e v o n BÜHLER 1 9 1 1 : 3 4 ff. VON M O H L 1 8 3 1 : 6 3 4 f.

105

nen dienten, unterstanden in der Regel keiner gerichtlichen Überprüfung. 422 Folglich entstand auf diesem Gebiet weiterhin kein Recht, das Obrigkeit und Verwaltung gegenüber den Privaten gebunden hätte. Justizstaatliches

Modell

Dieser rechtsfreie Raum zwischen Herrschenden und Unterworfenen wurde jedoch infolge liberaler Kritik durch die Zivilgerichte mit dem justizstaatlichen Modell eingeschränkt und damit die Idee des allmächtigen Herrschers zurückgedrängt, womit das Recht die Beziehungen zwischen Staat und Unterworfenen zumindest teilweise zu erfassen vermochte. Im Fokus der Zeit stand zunächst das wirtschaftsbürgerliche Betätigungsfeld; es galt mit Hilfe der ordentlichen Gerichte Eigentum und Wirtschaftsfreiheit gegenüber der Verwaltung abzusichern.423 In Erweiterung der Erkenntnis, dass es in vermögensrelevanten Transaktionen zwischen Privaten zur Verwirklichung des Gemeinwohls unabhängige und unparteiliche Gerichte brauche, wurden mit der Fiskustheorie allgemein jene Sachverhalte den Zivilgerichten unterstellt, die den Fiskus als Träger der staatlichen Vermögenswerte involvierten und damit potenziell den Marktmechanismus hätten beeinflussen können. Man stellte sich den Staat also als zwei Rechtssubjekte vor: auf der einen Seite den Fiskus als Person des Zivilrechts und auf der anderen Seite den Staat als Staatsgesellschaft, die dem Zivilrecht nicht unterstand.424 Da in den Augen dieser Theorie auch der Fiskus ein Untergebener des Staats war, konnte die gesellschaftseinigende Errungenschaft der absoluten Staatsgewalt aufrecht erhalten werden; mit der Fiskustheorie wurde somit das Problem gelöst, wie die Macht des Staats zumindest in einem Bereich, der direkt auf die Gesellschaft

Zum Beispiel konnte in Frankreich die Ernennung zum Staatsdienst nicht vor Gericht angefochten werden: siehe zum Beispiel den Entscheid des Conseil d'Etat vom 23. November 1825 in Sachen Deladine (Ernennung zum Staatsdienst); ähnlich in Deutschland. Vgl. statt vieler auch die Darstellung bei ADOLF STÖLZEL 1889: 162 ff.; DARESTE 1862: 220 ff. In

neuerer Zeit die Übersicht bei OGOREK 1988: 385 ff. Oben bei Fn. 396: 98. Prominenter Vertreter erster Stunde war MLTTERMAIER 1820. Von jenen Autoren, die sich auch mit den Verträgen zwischen Staat und Privaten befassten sind herauszuheben für F r a n k r e i c h : DARESTE 1 8 6 2 : 2 0 5 f.; f ü r D e u t s c h l a n d : SAVIGNY 1 8 4 0 - 1 8 4 8 / 1 9 7 3 , II, 2 7 2 ff.;

BLUNTSCHLI 1852: 2 f.; zum Ganzen vgl. auch MAYER 1895/96, I: 45 ff.; zur Unabhängig-

keit der Gerichte siehe auch SCHMITTHENNER 1845: 551; für eine Übersicht über die deutsche Justizstaatstheorie OGOREK 1988: 385 ff.

106

ausstrahlte und oft das gesellschaftliche Grossprojekt des Binnenmarktes betraf,425 unter das legitimierende Recht gebracht werden konnte, ohne dass damit die Souveränität (verstanden als Allmacht zur politischen Verfassung der modernen Nation und zur Verwirklichung deren umfassender Wohlfahrt) verloren gegangen wäre: Der Staat als absoluter Staat war damit mit Hilfe des Rechts auf eine Position festgelegt, welche die Selbstorganisation der Gesellschaft nach liberalem Muster ermöglichte. Zugleich konnten jene Bereiche des Staatsapparates, die der stabilisierenden Wirkung von Recht bedurften, wie insbesondere die Sicherung des „Nahrungsstandes der Staatsbediensteten", dem Recht unterstellt werden.426 Darüber hinaus verfolgte jedoch die Politik insbesondere mit Hilfe der Verwaltung das Gemeinwohlinteresse weiterhin mit strenger Hand vor allem ausserhalb des durch die Gerichte verwalteten Rechts427 und verlieh gleichzeitig ihr Gewaltmonopol zur Durchsetzung zivilrechtlicher Urteile - ebenfalls strikt im Sinne des meinwohls.

Vgl. unter vielen z. B. die Definition bei BLUNTSCHLI 1868, I: 5; zudem oben bei Fn. 398: 99. Vgl. MAYER 1895/96, I: 50 ff.; GIERKE 1874: 174, insbesondere zur Grenze des Allgemeinwohls als nichtrechtliche Grenze der Herrschaft; zur Frage der Legitimation vgl. auch LUHMANN

1983/1969.

Dies beklagt z. B. noch DARESTE 1862: 674 ff.

107

C.

Der Vertrag zwischen Staat und Privaten unter dem Einfluss von Fiskuslehre und Souveränitätstheorie

1.

Konstituierung des modernen französischen

a)

Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichten

Verwaltungsstaates

Ausgangspunkt: Befreiung der Verwaltung vom Einfluss der unabhängigen Gerichte Die hoheitlich kommunizierende Administration war im Zuge der Revolution weitgehend von der Kontrolle durch unabhängige Zivilgerichte und damit vom alten Recht befreit worden. 428 Zwar befanden die unabhängigen Gerichte bereits unter dem Ancien Régime immer weniger über Angelegenheiten der Kooperation zwischen Staat und Privaten. Während allerdings das Ancien Régime die Loslösung der Verwaltung vom Einfluss der Gerichte nur langsam und unter beträchtlichem Aufwand zu verwirklichen vermochte, schufen nun die Revolutionen die Möglichkeit eines markanten Sprungs: Die Politik vermochte sich von den Fesseln des alten Rechts zu lösen. Rechtstheoretisch war diese Verschiebung der Legitimation der Verwaltung von der gerichtlichen Überprüfung hin zur Gesetzesförmigkeit der Verwaltung ja bereits von Montesquieu und Rousseau vorweggenommen worden.429 Im Zuge der Französischen Revolution wurde die Trennung der Verwaltung von der Justiz denn auch konsequenterweise mit Gesetz verfügt. 430 Hinter dieser Trennung stand vor allem, den auf allgemeine Wohlfahrt gerichteten politischen Zielen zur Durchsetzung zu verhelfen und den Staat von den Lasten des Ancien Régime zu befreien. Nach diesen zentralen Gedanken wurde - so Cormenin - denn auch das nachrevolutionäre Verhältnis zwischen Verwaltung und Justiz strukturiert. Diese Trennung von Verwaltung und Gerichten hatte sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verfestigt. So schrieb Adophe Chauveau (1802-1869) in seinen Principes de compétence et de juridiction administratives von 1841-1844, er richte Zum Ganzen siehe auch Kap. I.D.2: 32. Siehe hierzu CAPPELLETTI 1989: 124 ff.; „Les fonctions judiciaires sont distinctes et demeureront toujours séparées des fonctions administratives. Les juges ne pourront, à peine de forfaiture, troubler, de quelque manière que ce soit, les opérations des corps administratifs, ni citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions.": Loi du 16/24 août 1790 sur l'organisation judiciaire, tit. II, Art. 13.

108

sich ganz an der fundamentalen Wahrheit aus, dass Staatsverwaltung und Gerichte strikt voneinander zu trennen seien.431 Dennoch gelangte die Fiskustheorie in Frankreich zu einer deutlichen und eigenständigen Ausprägung. Eine Bedingung hierfür kann zunächst darin gesehen werden, dass im Zuge der Strukturveränderungen der Revolutionszeit - trotz aller Kraft der Souveränitätslehre und trotz der resoluten Befreiung der Staatsverwaltung vom Einfluss der unabhängigen Gerichte - eine Nische bestehen blieb, in welcher sich die Beurteilung von Verwaltungshandeln durch Zivilgerichte festsetzen und an welcher die liberalen Kritiker des überhand nehmenden Staatsapparats ihre Ideen anschliessen konnten.432 Für die kooperativen Beziehungen zwischen Staat und Privaten ist sodann von Interesse, dass im Zuge der späteren liberalen Kritik erstens die Zuständigkeit der Zivilgerichte ausgeweitet wurde und zweitens Rechtswissenschaftler wie vor allem Rodolphe Dareste (1824-1911) begannen, Regeln des Zivilrechts und damit auch Konzepte des Vertrags vermehrt analog auf das öffentliche Recht zu übertragen. Auf diese beiden Punkte ist nun genauer einzugehen.

Legitimation durch Gesetzesbindung und die Rolle des

Verwaltungsaktes

Legitimation durch Legalität erhielt die herrschaftlich agierende Verwaltung im soeben erwähnten institutionellen Arrangement nach der grossen Revolution also nicht durch die Unterwerfung unter das Recht qua Rechtsprechung, sondern nur in dem Sinn, als sie sich in die Form des Rechts kleidete, was immerhin eine verwaltungseigene Prüfung auf Gesetzesbindung nach sich zog. Konkret unterwarf sich die Verwaltung im Einzelfall der Form des Rechts, indem sie einen - nach der Französischen Revolution eingeführten und dem Gerichtsurteil nachgebildeten sogenannten acte administratif erliess (auch acte de commandement oder acte d'autorité genannt).433 Dieser unterstand zumindest zum Teil434 der Verwaltungs-

„... mais je m'attache, comme à une vérité fondamentale, à cet autre principe nécessaire à tous les gouvernements: L'autorité administrative et l'autorité judiciaire sont indépendantes l'une de l'autre.": CHAUVEAU 1841-44: xviii; dieser Gedanke zieht sich auch durch das ganze Vorwort von CORMENIN 1840. Zu diesen Nischen konkret unten bei Fn. 462: 116. Dies wurde im 19. Jahrhundert noch genau gesehen: DARESTE 1862: 220 ff.; MEIER 1864: 9 2 8 ; MAYER 1 8 8 6 : 9 1 f.; MAYER 1 8 8 8 : 3 0 ; MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , I: 5 3 f f . , v o r a l l e m 5 6 . Z u m

acte administratif vgl. auch BLANCPAIN 1979.

109

rechtspflege durch den Conseil d'Etat und erlaubte damit die Prüfung, ob die Verwaltung innerhalb des Gesetzes handle. Soweit sich der Staat in diesen rechtlichen Formen bewegte, konnte er schlechthin alles tun. Ganz im Gegensatz zur Theorie der Hoheitsrechte, nach welcher sich die Befugnisse des Staats in einzelnen Rechten gegenüber den Rechten der Bürger niederschlugen, dominierte hier ein reines Unterordnungsverhältnis von Bürger zu hoheitlich kommunizierendem Staat, das keinen anderen Rechtsgrund als die Zuständigkeit des Staats kannte.435 Forderungen nach einer verwaltungsunabhängigen Kontrollinstanz zur Harmonisierung von Politik und Wirtschaft Die Verwaltung kleidete ihre Kommunikationen gegenüber den Bürgern fortan in die Formen des Rechts und fugte damit ihrer Allmacht das Symbol einer gewissen Regelhaftigkeit und Stetigkeit hinzu. Darin wird oft der grosse Schritt in Richtung eines Verwaltungsrecfes unter der legitimierenden Hand des Gesetzes gesehen.436 Allerdings wurden die Verwaltungsakte der öffentlichen Sphäre in aller Regel nicht einer Überprüfung durch unabhängige Gerichte unterworfen. 437 Damit herrschte die Verwaltung weiterhin uneingeschränkt ohne eine stabilisierende Wirkung durch unabhängige Gerichte, denn der von Sieyes vorgeschlagene Verfassungswächter wurde lediglich in einem eng mit der Politik verbundenen Conseil d'Etat verwirklicht, welcher seinerseits ebenfalls bei weitem nicht alle actes administratifs überprüfen konnte.438 Gegen die Mitte des Jahrhunderts erstarkten nun Forderungen einerseits nach einer verwaltungsunabhängigen Kontrolle der Verwaltung durch den Conseil d'Etat 439 und andererseits nach einer zivilrechtlichen Eingrenzung des Staats in dem Sinne,

434

435

Weite Teile unterstanden dagegen nicht der Überprüfung durch den Conseil d'Etat: siehe z. B. Conseil d'Etat vom 23. November 1825 in Sachen Deladine (Ernennung zum Staatsdienst); ebenso Conseil d'Etat vom 28. Juni 1837 in Sachen Bertrand-Desbaux (konkret ging es um eine von der Administration verfugte Zahlung an Dritte im Rahmen einer Konzession). So z. B. der soeben erwähnte Entscheid des Conseil d'Etat vom 28. Juni 1837 in Sachen Bertrand-Desbaux. Siehe auch unten bei Fn. 453: 114.

436

S o i n s b e s o n d e r e GIACOMETTI 1924: 1.

437

Vgl. bei CHAUVEAU 1 8 4 1 ^ 4 : xxvii ff. und xxxii ff.; für die auf die deutsche Rechtswissenschaft vgl.

SCHMITTHENNER

1845:

483;

GERBER

1880:

21;

MAYER

1888:

30;

MAYER

1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 5 5 ff. 438

439

110

Vgl. oben Fn. 434: 110; siehe hierzu auch die Kritik von TOCQUEVILLE 1835-1840: 101 und später DICEY 1893: 319 ff.: Der Conseil d'Etat als Gerichtshof des öffentlichen Rechts tendiere dazu, gesetzesmässige Rechte der Einzelnen zurückzudrängen, wenn sie mit den Interessen der Verwaltung kollidieren. Z. B. CORMENIN 1840,1: XLIII.

als die Verwaltung vermehrt (oder: erneut - wie zu vorrevolutionären Zeiten) den unabhängigen Zivilgerichten unterstellt sein sollte, wenn sie sich allein um die Verwaltung ihres Vermögens kümmere. Mit dieser Unterscheidung wurde zunächst an die vormoderne Unterscheidung von potestas für Politik und dominium für Wirtschaft angeknüpft. Hinzu kam nun allerdings die Zusatzformel, dass die Verwaltung den Zivilgerichten unterliege, wenn sie etwas tue, das auch ein Privater tun könne. Soweit der Staat nicht hoheitlich kommunizierte, sondern sich allein um die Verwaltung seines Vermögens kümmerte, wurde diese als „acte commun" bezeichnete Kommunikation den unabhängigen Zivilgerichten unterstellt.440 Die Legitimationsproblematik wurde hiermit für gewisse Bereiche, in welchen der Staat mit der vor allem wirtschaftlichen Selbstregulierung in Kontakt kam, einer altbewährten Lösung zugeführt.441 Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurde diese Trennung der Gewalten von Chauveau mit deutlicher Referenz an die zugrunde liegenden Legitimationsmechanismen folgendermassen beschrieben: Der französische Staat zeige sich mit einem Doppelgesicht: einmal, wenn er tue, was auch eine private Person tun könne, als Person des Zivilrechts unter der gleichen Gerichtsbarkeit der unabhängigen Zivilgerichte wie jede andere Person.442 Agiere aber, so Chauveau weiter, die Administration im weit verstandenen, eng mit dem souveränen Nationalstaat verbundenen öffentlichen Interesse, dann stehe administrative Zuständigkeit fest. 443

DARESTE 1 8 6 2 : 2 2 2 .

Vgl. DARESTE 1862: 220 ff.; ähnlich bereits CHAUVEAU 1841-44: N 408 ff. CHAUVEAU 1841-44, N 322 ff.: „L'état doit être envisagé sous une double physionomie. Personne morale, propriétaire, les a ses bois, ses champs, ses maison, comme les départements, les communes, les établissements publics, enfin comme le simple propriétaire. ... L'état propriétaire est donc appelé à intenter des procès pour faire respecter ses droits de propriétaire, ou à défendre à des actions injustement formées contre lui. Il est alors justiciable, comme le simple particulier, des tribunaux ordinaires, à moins d ' u n déclassement, expression d'une volonté législative contraire au principe." CHAUVEAU 1841-44, N 322 ff.: „Ce n'est plus le simple propriétaire dont les droits privés peuvent se trouver en discussion avec l'intérêt général, c'est la personnification de l'intérêt public, c'est l'absorption des intérêts individuels, c'est la nation toute entière dont les grands intérêts sociaux se résument dans ce seul mot : l'état. L'état c'est moi, disait un roi, dont un des plus grands mérites à mes yeux, est d'avoir préparé l'unité administrative en fortifiant l'unité politique ... Vouloir appliquer à l'état considéré sous ce point de vue élevé les maximes du droit civil, les entraves de la juridiction ordinaire, ce serait méconnaître les règles les plus vulgaires de la conservation de la société, ce serait pour chacun de nous, si porté à s'individualiser, si clin au stérile égoïsme, sacrifier notre grandeur nationale, notre force intérieure, notre position extérieure."

111

Abgrenzung der Rechtsbereiche nach Kriterien der Verwaltung Hieraus folgt zum Ersten, dass die Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht eng mit der Loslösung der Politik vom Einfluss der unabhängigen Zivilgerichte zusammenhängt. Und zum Zweiten lässt sich daraus erschliessen, aus welchem Grund die Frage der Abgrenzung zwischen zwei relativ streng voneinander getrennten Rechtsbereichen zentrale Bedeutung erhielt. Die spezifische Evolution der Kooperation zwischen Staat und Privaten zeigte sich nun darin, dass Streitfalle zunächst nur in wenig problematischen Fällen den Zivilgerichten zugeschlagen wurden. Dies wirkte sich in der Regel des französischen Rechts aus, der Einmischung von Zivilgerichten in einen acte administratif kritisch zu begegnen und im Zweifel einen Lebenssachverhalt dem öffentlichen Recht und der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuzuweisen.444 Die beiden Sphären der Zivilgerichtsbarkeit und der Verwaltungsangelegenheit wurden in der Folge oft, wie zum Beispiel bei Chauveau anklingt, mit dem Begriff des acte administratif geschieden. Nur jene Akte, die keine 'wahren' actes administratifs darstellten, sollten den unabhängigen Gerichten unterstellt werden.445 In dieser von Chauveau propagierten Regel kann zwar eine Tendenz gesehen werden, die Administration stärker den Zivilgerichten zu unterstellen. Allerdings blieb den Gerichten weiterhin untersagt, über eine solche Kollision zu entscheiden. Die Administration setzte sich vielmehr selbst die eigenen Grenzen, indem sie darüber entschied, ob sie einen acte administratif erlassen solle.446 Weitgehend unbestritten

Vgl. bereits oben Il.C.l.a): 108; zudem CHAUVEAU 1841^44: N 408. Dass diese verwaltungsmässige Zuständigkeit äusserst weit interpretiert wurde, lässt sich auch aus der Übersicht bei Cormenins Droit administratif von 1840 erkennen: CORMENIN 1840,1: préface. Eine massgebliche Ausprägung hatte diese politisch angeleitete Abgrenzung zum Bespiel in Art. 12 des Dekrets vom 11. Juni 1806 gefunden, welches heute im Vergabewesen zusammengefasste Geschäfte dem Conseil d'Etat zur Beurteilung zuwies: „... marchées passés avec les ministres, et des travaux et fournitures faits pour le service de leurs département respectifs": Décret du 11 juin 1806 sur l'organisation et les attributions du Conseil d'Etat. CHAUVEAU 1841^14: Anm. zu N 408: „J'insiste sur ce point qui me parait fort important. Il faut bien se pénétrer de cette idée, que tout acte émané d'une autorité de l'ordre administratif n'est pas nécessairement un acte administratif ; qu'il ne revêt ce caractère qu'autant qu'il se rapporte à un objet d'administration. Les actes relatifs à la régie de biens ou de droit particuliers ne sont jamais des actes administratifs, quel que soit le fonctionnaire de qui ils émanent, et quelles que soient les formes qui les accompagnent." So die Forderung von C H A U V E A U 1 8 4 1 ^ 1 4 : xxvii ff. Ebenso das Fazit von Dareste: „... le juge ordinaire ne peut jamais annuler ni réformer un acte de l'autorité administrative ...": D A R E S T E 1 8 6 2 : 2 2 0 . Die Entwicklungen in dieser Frage sind freilich nicht immer gradlinig verlaufen. Siehe die historische Darstellung bei DARESTE 1 8 6 2 : 2 0 8 ff. und 2 2 0 ff.

112

bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts447 und sogar bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts galt im Wesentlichen, dass allein die staatliche Vermögensverwaltung jenes Vermögensteils, der nicht direkt hoheitlich eingesetzt wird, zu einem den Zivilgerichten unterstehenden Vertrag Anlass geben könne. Als reine Verwaltungsangelegenheit wurden dagegen die übrigen Beziehungen zwischen Verwaltung und Privaten, insbesondere die Beamtenanstellung, die Vergabe öffentlicher Aufträge und weite Teile des Beschaffungswesens angesehen.448 In diesen Fällen, die der öffentlichen Sphäre zugerechnet wurden und die - zum Teil nur beschränkt - zu einem Urteil des Conseil d'Etat Anlass geben konnten, ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum je von einem Vertrag die Rede 449 Vielmehr ging es jeweils - sei es anlässlich einer Berufung zum Staatsdienst oder der Ausführung von öffentlichen Arbeiten - um den acte administratif, also etwa darum, ob ein acte administratif vom Conseil d'Etat überprüft werden könne, wie dieser acte administratif zu interpretieren sei etc.450 Damit scheint es in diesem Bereich der Staatsverwaltung, die sich zwar in die Form des Rechts kleidete, sich aber keiner unabhängigen Gerichtsinstanz und oft nicht einmal der Rechtsprechung des Conseil d'Etat zu unterziehen hatte, mehr um die Umsetzung des absolut souveränen Staatswillens, nun eingefasst in den acte administratif, gegangen zu sein, als um die rechtliche Erfassung kooperativer Beziehungen zwischen Staat und Privaten. Dem entspricht die Klage Cormenins (1788-1866), dass das Verwaltungsrecht in Folge der verschiedenen Revolutionen seine Konsistenz nicht habe bewahren können und vielmehr der jeweils herrschenden Politik folge.451 Gesetzliche statt rechtliche

Legitimation

Dieser Kontext und auch die Theorie des acte administratif Hessen also kaum Raum für eine echte Rezeption vertraglicher Konzepte im Verwaltungsrecht: So wurde etwa der Staatsdienst mit einem einseitigen (und der Überprüfung durch den Conseil d'Etat entzogenen) acte administratif begründet,452 und wenn dieses Rechtsverhältnis einmal bestand, ging es nicht um wechselseitige 'Rechte und Pflichten', sondern gemäss der Legitimation durch Gesetzesbindung um die Zuständigkeit der

Siehe immerhin kritischer hierzu DARESTE 1862: v. a. 6 7 4 ff., 681: „ . . . ce n'est pas la justice administrative qui est contraire à la liberté politique, c'est l'administration lorsqu'elle sort de sa sphère et qu'elle envahit le domaine de l'initiative individuelle." Hierzu m. w. H. PERRIQUET 1884: v. a. S. 181 ff. m. w. H. auf die Rechtsprechung; desgleichen bereits CORMENIN 1840,1: préface, vor allem X X X ff. S o auch LAUBADÈRE 1956,1: N 19. S o z. B. die oben bei Fn. 4 3 4 : 110 erwähnte Rechtsprechung. CORMENIN 1 8 2 6 : p r é f a c e .

Conseil d'Etat v o m 23. N o v e m b e r 1825 in Sachen Deladine.

113

administrativen Behörden und darum, ob die Zuständigkeit der Behörde vom Conseil d'Etat überprüft werden könne.453 Wenn, gegen Mitte des Jahrhunderts, dennoch die Verwaltung vermehrt mit den Privaten in ein kooperatives Verhältnis trat, blieb die Abgrenzung zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht entsprechend strikt: Alle Akte der Verwaltung, die in hoheitlicher Form ergingen oder mit einem service public zusammenhingen, gehörten dem Verwaltungsrecht an und alle 'echten' Verträge dem Privatrecht.454 Eine Ausnahme bildete hierbei immerhin die erwähnte Tendenz der Gesetzgebung, unter liberaler Kritik vermögensrechtliche Fragen zum Teil den Zivilgerichten zu überantworten, so etwa die Entschädigungen infolge Enteignung.455 b)

Emergenz des modernen Verwaltungsrechts: Das Prinzip der Gesetzesbindung in der Praxis des französischen Conseil d'Etat Recours pour excès de pouvoir: der Fall Landrin (1826)

Wie erläutert fand in der französischen Staats- und Rechtskonzeption die Kooperation des Staats mit Privaten in der Form des Vertrags in den Jahren unmittelbar nach der Revolution wenig Beachtung. Auch wenn der Vertrag zwischen Staatsverwaltung und Privaten in der Folge zumindest im Zivilrecht wieder erschien, was zum Beispiel in den erwähnten Werken von Chauveau und Dareste deutlich zum Ausdruck kam, so blieb er der Verwaltungsrechtspraxis bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts fremd. Dies liegt - so meine These - primär daran, dass er sich weder mit der Theorie der Hoheitsakte (acte d'autorité),456 noch mit der gesetzesförmig organisierten Verwaltung vertrug. Die Unverträglichkeit mit der Gesetzesförmigkeit der Verwaltung wird besonders deutlich an der Evolution des berühmten recours pour excès de pouvoir an den Conseil d'Etat: Bereits bald nachdem Napoléon Bonaparte den Conseil d'Etat einSiehe oben Fn. 435: 110. So z. B. der Cour de Cassation in einer Entscheidung vom 8.1.1861 (D.61,1,116). Hierzu m. w. H. auf die Rechtsprechung Aucoc 1885: 483 ff. Zum deutschen Äquivalent der Hoheitsrechte siehe bei G Ö N N E R 1808: 56. Diese Unversöhnlichkeit von Souveränitätslehre (respektive der entsprechenden Theorie des acte d'autorité) mit der Vertragsform zeigt sich selbst noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als es um die Funktionalisierung des Verwaltungsrechts ging. So im Ansatz auch M I T C H E L L 1954: 168. Zum Beispiel Berthélemy folgte einer stringenten Souveränitätslehre: „Je ne vois, dans les actes [cité comme contrat administratifs] qu'une apparence d'élément contractuel. Les actes dont il s'agit relèvent de la juridiction administrative parce qu'ils sont des actes d'autorité, et dans la mesure où ils ont ce caractère.": B E R T H E L E M Y 1923: 48 f., Fn. 1.

114

setzte, entwickelte dieser den recours pour excès de pouvoir als Mittel gegen Kompetenzüberschreitungen der Verwaltungseinheiten. Die Geburt des modernen recours pour excès de pouvoir liegt allerdings im Entscheid vom 4. Mai 1826 in Sachen Landrin, als der Conseil d'Etat den excès de pouvoir nicht mehr anhand von Rechten der Privaten, sondern anhand der bestehenden Zuständigkeitsverteilung gemäss Gesetz beurteilte.457 Das Resultat des konkreten Falls Ladrin war, dass der Rekurrent Landrin Gebäude, die von einer unzuständigen Verwaltungsinstanz genehmigt worden war, abreissen lassen musste - infolge fehlender Verantwortlichkeitsansprüche der Verwaltung entschädigungslos. Im Fall Landrin ging es somit gerade nicht primär darum, dem Einzelnen gegenüber dem Staat zu seinem Recht zu verhelfen, sondern im Vordergrund stand die Durchsetzung der inneren Zuständigkeitsverteilung als Grundlage einer effizienten gesetzesförmig organisierten Verwaltung. Die verletzten Rechte des Privaten waren lediglich der Auslöser für eine Überprüfung, die sich entsprechend auch nur auf die involvierten Parteien und nicht auf Dritte auswirkte. Dennoch: Mit dieser Rechtsprechung weitete der Conseil d'Etat seine Überprüfungsbefugnisse in Ausnahmefällen auch auf die bisher der Rechtsprechung verschlossenen acte de pure administration aus und legte damit die Grundlage der rechtlichen Überprüfung der Verwaltung, wobei er sich ironischerweise bemühte, diese Kompetenzausweitung seinerseits auf eine gesetzliche Grundlage aus dem Jahr 1790 abzustützen, auf die er sich zuvor nicht bezogen hatte.458 Auf Gesetzesbindung konnten mit einem recours pour excès de pouvoir allerdings nur Verwaltungsakte geprüft werden. Diese Funktion des excès de pouvoir in der Rechtsprechung des Conseil d'Etat hob denn auch Cormenin hervor.459 Es entspricht einer stringenten Lehre der Gesetzesbindung, dass der Vertrag zwischen Staat und Privaten nicht in diese Kategorie fiel und damit vom recours pour excès de pouvoir ausgeschlossen blieb, denn Vertrag und Vertragsverhandlungen erfordern per definitionem Ermessen der Verwaltung.460 Und auf die Kontrolle derartigen Ermessens war der recours pour excès de pouvoir (noch) nicht ausgerichtet. Es

AUBY 1970: 549 f.; zur Evolution des excès de pouvoir siehe unter vielen HORVATH 1955; BURDEAU 1995: 83 und 167 f. Der recours pour excès de pouvoir blieb gegenüber dem recours contentieux die Ausnahme und führte lediglich zu einer formellen Prüfung der Kompetenzen: zum Ganzen BURDEAU 1 9 9 5 : 1 7 2 ff. CORMENIN 1 8 4 0 : X X I X .

Selbst bei Jèze erscheint diese Frage noch als offen: JÈZE 1913: 398 ff. m. w. H. 115

ging wie bereits erwähnt vorderhand um die gesetzesförmige Organisation der Verwaltung.461 Umgang des Conseil d'Etat mit Verträgen Trotz der grundsätzlichen Vertragsfeindlichkeit des französischen Verwaltungsrechts hatte sich allerdings der Conseil d'Etat mit Verträgen zwischen Staat und Privaten zu befassen. Denn in Folge der Revolution waren mit Gesetz einzelne Rechtsfragen, die eng mit solchen Verträgen zusammenhingen, aufgrund ihrer politischen Bedeutung dem Conseil d'Etat zur Beurteilung zugewiesen worden, so etwa per Gesetz vom 28 Pluviôse An VIII alle Verkäufe von staatlichen Immobilien.462 Es ist nun besonders interessant zu verfolgen, wie der Conseil d'Etat mit diesen systemfremden Irritationen umging: Ein besonders illustratives Beispiel fur die Behandlung von Kooperationen durch den Conseil d'Etat ergibt sich aus dem Entscheid vom 12. Juli 1836 in Sachen De Wagram.463 Der Prinz von Wagram hatte dem Staat vorgeschlagen, ein bestimmtes Waldstück gegen ein anderes Waldstück zu tauschen. Dieser Austausch wurde mit einem gesetzesförmigen Dekret zum Anfang des Jahres 1814 bestätigt und die Parteien gelangten je in den anderen Besitz. Zum Ende des gleichen Jahres wurde allerdings ein Gesetz erlassen, mit welchem der Staat Güter, die er zuvor zu Unrecht enteignet hatte, restituieren sollte. Bestimmte Waldstücke, die durch den Austausch mit dem Staat in den Besitz des Prinzen von Wagram gekommen waren, waren ebenfalls von dieser Restitution betroffen. Nach einigen vorangehenden Urteilen des Conseil d'Etat und anderen Instanzen beendete der Conseil d'Etat den Streit zwischen dem Prinzen und der Staatsverwaltung in folgender Weise: Zunächst beantwortete der Conseil d'Etat die Frage der Zuständigkeit anders als noch in früheren Fällen:464 Infolge einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage sei der Conseil d'Etat zur gerichtlichen Beurteilung bei Übertragung von staatlichem Grundbesitz zuständig. Die zwischen De Wagram und dem Staat geschlossene Vereinbarung binde zwar von Beginn an die beiden Parteien, sei aber erst mit der Bestätigung durch ein Gesetz definitiv - selbst wenn die Übertragung oder die Bereinigung der Hypotheken etc. bereits vorgenommen worden sei. In casu gingen aber die Vereinbarung und das bestätigende Gesetz, so der Conseil d'Etat weiter,

461 462 463 464

116

Zum Ganzen unter vielen H O R V A T H 1955; A U B Y 1970. Zu diesen Ausnahmen PERRIQUET 1884: 198 f. Recueil 340. Vgl. den Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. November 1822 in Sachen Rambourg contre le Ministre des finances, recueil 334.

dem später erlassenen Gesetz zur Restitution nicht vor. Allerdings könne De Wagram die Rückabwicklung oder eine Entschädigung fur den Minderwert des erhaltenen Waldstückes beim Staat einfordern. Damit folgte der Conseil d'Etat ausdrücklich der Lösung des Code civil.465 Der Conseil d'Etat harmonisierte somit im Resultat die Anwendung des Zivilrechts auf den Staat mit einer relativ strikten Zuständigkeitsregelung: Erst ein formelles Gesetz konnte den „échange provisoire" zu einem „échange définitif' machen,466 wobei allerdings die Parteien bereits mit dem provisorischen Vertrag gebunden waren, nicht aber Dritte - in casu vor allem nicht der Gesetzgeber und die zu revolutionären Zeiten Enteigneten. In einem ähnlich gelagerten Entscheid vom 23. April 1837 in Sachen Commune de Pretin467 bestätigte der Conseil d'Etat den absoluten Vorrang des Gesetzes. In casu hatte die Zentralverwaltung wiederum einen Tausch von Grundeigentum mit einem Privaten vereinbart, der sodann mit einem Gesetz vollzogen worden war. Die Commune de Pretin erwirkte darauf hin ein zivilgerichtliches Urteil, das sie als rechtmässige Eigentümerin des vom Staat an den Privaten übertragenen Landstückes benannte. Der lokale Conseil de Préfecture verurteile darauf hin den Staat zur Entschädigung an die Commune. Der Conseil d'Etat hielt dagegen, dass die Interpretation eines solchen Gesetzes, das die Übertragung von staatlichem Grundeigentum vollziehe, nur vom Conseil d'Etat vorgenommen werden könne. Entsprechend habe der Conseil de Préfecture seine Zuständigkeit überschritten. Und da zudem ein solches Gesetz die Vertragsparteien ebenso wie Dritte binde, sei auch die Übertragung definitiv und der Commune de Pretin könne das Waldstück nicht mehr zu Eigentum zustehen. Mit diesen Beispielen wird klar, wie der Conseil d'Etat mit den Verträgen zwischen Staat und Privaten umging. Zwar war er aufgrund politisch gesetzter Zuständigkeiten gezwungen, sich in spezifischen Ausnahmefallen mit solchen Verträgen zu befassen. Er erfasste diese als rein zivilrechtliche Verträge und wandte entsprechend den Code civil derart an, wie es auch ein Zivilgericht getan hätte. Diese Anwendung des Zivilrechts hinterlegte der Conseil d'Etat allerdings mit einer derart strikten, auf Gesetz basierenden öffentlichrechtlichen Zuständigkeitsregelung. Die-

465

466

467

Dieser legt in Art. 1705 unter dem Titel „De l'échange" Folgendes fest: „Le copermutant qui est évincé de la chose qu'il a reçue en échange a le choix de conclure à des dommages et intérêts ou de répéter sa chose." Desgleichen bereits im Fall des Conseil d'Etat vom 6.11.1822 in Sachen Rambourg c. le Ministre des finances, recueil 334. Recueil 127. 117

se Zuständigkeitsregelung führte letztlich dazu, dass die Anwendung des Zivilrechts ganz dem durch Gesetz zum Ausdruck gebrachten politischen Willen unterworfen wurde - sei es, dass mit der Überführung in die Gesetzesform derartige Verträge eine generelle Gültigkeit gegenüber Dritten und damit eine ganz andere Struktur als zivilrechtliche Verträge zwischen Privaten erlangten,468 oder sei es, dass die Überfuhrung in ein Gesetz zivilrechtliche Regeln wie etwa jene des Eigentums ausser Kraft setzte. c)

Analoge Anwendung von Zivilrecht im Verwaltungsrecht Fehlendes Verwaltungsrecht undfehlende

Verwaltungsrechtswissenschaft

Die Scheidung der Zuständigkeit zwischen Verwaltung und Gerichten war wie soeben erläutert eng mit der jeweiligen formellen Ausgestaltung der verschiedenen Rechtsinstitute verknüpft. Das Vorliegen eines acte administratif begründete im Wesentlichen bereits die Zuständigkeit der Verwaltung, und nur wenn umgekehrt kein echter acte administratif vorlag, kam die Zuständigkeit der Zivilgerichte in Frage. Unter dieser weitgehend dem Willen der Verwaltung obliegenden strikten Trennung des Politischen von den unabhängigen Gerichten einerseits und von den rechtlich erfassten Prozessen der selbstorganisierten Gesellschaft andererseits gelangten in den ersten Jahrzehnten nach der Revolution keine vertragsrechtlichen Konzepte in die verwaltungsrechtliche Doktrin; die dem Vertrag nahestehenden Rechtsinstitute wie die Bestellung zum Staatsdienst und die Konzession 469 wurden ganz von der Figur des acte administratif geprägt. Diese Figur konnte zwar ihrer Form nach zweiseitige verpflichtende Wirkung haben, im Wesentlichen übertrug sich aber die absolutistisch ausgestaltete Staatsgewalt ins Kleid eines einseitigen Rechtsakts.470 In dieser fast ausschliesslich durch politische Prozesse gesteuerten Ausprägung der nachrevolutionären Verwaltung hatte nicht nur der Vertrag zwischen Staat und

Es ist ja gerade ein - zu selten beachtetes - Hauptmerkmal des modernen Vertragsrechts, dass zwei Parteien mit dem Vertrag Dritte ausschliessen und diesen Dritten damit eine wirtschaftliche Opportunität verweigern oder diese gar wirtschaftlich schädigen dürfen. Durch diesen Mechanismus entsteht ein nicht zu unterschätzender Effizienzgewinn in einer Marktwirtschaft. Beide wurden erst später in den Stand des öffentlichrechtlichen Vertrags - contrat administratif oder contrat de l'Etat - erhoben: vgl. PERRIQUET 1884. Zur absolutistischen Seite der Demokratie siehe Kap. I.D.2.c): 41.

118

Privaten in der Doktrin keinen beständigen471 Niederschlag gefunden, sondern ganz generell hatte sich kaum eine Verwaltungsrechtswissenschaft und keine entsprechende systematische und wissenschaftlich abgestützte Rechtsdoktrin zur Verwaltung ausprägen können.472 Infolge verschiedener Reformen hatte zwar die Rechtsprechung des Conseil d'Etat an Unabhängigkeit und Stetigkeit gewonnen. 473 Aus dem Vorwort von Cormenins Droit administratif von 1840 lässt sich jedoch erkennen, dass es die Voraussetzungen eines modernen Verwaltungsrechts erst noch zu verwirklichen oder zumindest zu festigen galt.474 Darestes „Lajustice

administrative en France" von 1862 als Wendepunkt

Einen offensichtlichen Wendepunkt markiert die im Jahr 1862 unter dem Titel „La justice administrative en France; ou traité du contentieux de l'administration" erschienene Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht von Rudolphe Dareste (1824-1911).415 Antrieb und theoretische Stütze fand Dareste im liberalen Projekt, das die übermächtige Verwaltung mehr als bisher unter die legitimierende Hand des Rechts bringen wollte - sowohl in Bezug auf die Form des Rechts als auch betreffend Zuständigkeit der Gerichte.476 Gleichwohl schloss Dareste auch an die herrschenden Staatstheorien an und stellte entsprechend die Vorherrschaft der Verwaltung, die mit ihrer integrierenden Macht und ihrer Stetigkeit den Nationalstaat zu Grösse und allgemeiner Wohlfahrt fuhren sollte, ebenso wenig grundsätzlich in Frage wie die Trennung der Verwaltung von den Zivilgerichten und die daraus entstandene Verwaltungsgerichtsbarkeit durch den Conseil d'Etat. 477 All dies vermochte aber seiner neuen Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht den Anschluss an die (bisher nur spärlich478) bestehende Dogmatik des Ver-

Dass sich in der Verknüpfung von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft keine stabile Doktrin entwickelte, bedeutet noch nicht, dass sich die Verwaltung nie dieser Kommunikationsform bediente. Immerhin kann jedoch aus den vorliegenden Indizien aus Rechtsprechung und Literatur geschlossen werden, dass sich diese Kommunikationsform zu jener Zeit als Rechtsform nicht zu stabilisieren vermochte. 472

Vgl. die jeweiligen préface in C O R M E N I N 1 8 2 6 und C H A U V E A U 1 8 4 1 ^ 4 . Grundlegende Systematisierungsarbeit wurde vor allem von CORMENIN 1840 geleistet. Zum Ganzen vgl. a u c h BURDEAU 1 9 9 5 .

473

474 475 476 477 478

Zur Evolution des Conseil d'Etat siehe unter vielen: BURDEAU 1995; aus heutiger Sicht mit kritischem Blick auf die Verbindungen zur Verwaltung siehe auch A C H I L L E M E S T R E 1 9 7 4 ; siehe auch bereits C O R M E N I N 1 8 4 0 , 1 : 3 ff. C O R M E N I N 1 8 4 0 , 1 : préface, insbesondere X L I I I . DARESTE

1862.

DARESTE 1 8 6 2 : 6 7 4 f., 6 8 1 . D A R E S T E 1 8 6 2 : 6 7 8 f.

Oben Kap. Il.C.l.a): 108. 119

waltungsrechts nicht zu garantieren; Dareste konnte sich kaum auf bestehende Rechtsprechung und Literatur zur verwaltungsrechtlichen Rekonstruktion zivilrechtlicher Institute abstützen. Diesen Anschluss an die Rechtsdogmatik suchte Dareste stattdessen mit einer engen Anlehnung an den Code civil zu kompensieren, dem er einerseits Anwendbarkeit auch auf das Verwaltungsrecht attestierte und aus welchem er andererseits passende Lösungen per Analogieschluss ins Verwaltungsrecht überführte. Seine gesamten Ausfährungen basieren - erstens - auf der strikten Trennung479 der beiden Rechtsbereiche und gehen dabei - zweitens - innerhalb des öffentlichen Rechts von der Frage aus, ob unter Berücksichtigung der speziellen Natur und der speziellen Interessen des Politischen sich die analoge Anwendung des Code Napoléon im Einzelnen rechtfertige oder ob aus Gründen der Staatsinteressen Abweichungen geboten seien.480 Insgesamt zeigt sich bei Dareste deutlich, dass dem 'aus dem Despotismus entstandenen Verwaltungsrecht' mehr Legitimation zugeführt werden sollte: einerseits durch Anlehnung an die traditionsbehafteten und von politischen Einflüssen freieren Formen des Zivilrechts und andererseits durch die Unterstellung bestimmter Sachverhalte unter die Kompetenz einer unabhängigen Zivilgerichtsbarkeit sowie durch verstärkte Unabhängigkeit des Conseil d'Etat als Verwaltungsgericht.481 Bedeutung der unabhängigen Gerichtsbarkeit für die Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht Die hier beginnende Rekonstruktion des Vertrags im französischen Verwaltungsrecht stand also ebenso wie die zunehmende Unabhängigkeit der Verwaltungsrechtsprechung, für welche Dareste leidenschaftlich plädierte,482 im Dienste der Bändigung politischer Macht. Interessanterweise ist hierbei ein Phänomen der Gleichzeitigkeit zu sehen: dass nämlich erstens der Conseil d'Etat Darestes Theorie in etwa zur gleichen Zeit aufgriff und damit kooperative Elemente des Zivilrechts im Verwaltungsrecht rekonstruierte, als sich seine Unabhängigkeit von der Verwal-

479 480 481

Hierin folgte er CHAUVEAU 1841—44: 408 ff. und Anmerkungen in Band II. DARESTE 1 8 6 2 : 3 0 1 f f .

Dareste zog entsprechend folgendes Fazit seiner Ausfuhrungen: „C'est la tendance progressive et constante du droit administratif à se rapprocher du droit commun, tendance qui se manifeste à la fois et dans le fond du droit et dans la juridiction. ... S'il y a peu de critique à faire de notre droit administratif en matière purement fiscale, on ne saurait approuver sans réserve les parties de ce droit qui touchent aux institutions politiques." DARESTE 1862: 674 f. DARESTE 1 8 6 2 : 6 8 0 f f .

120

tung festigte, und dass zweitens diese verstärkte Rekonstruktion von zivilrechtlichen Elementen im Verwaltungsrecht zur gleichen Zeit stattfand, als auch in der deutschen Wissenschaft die Verwaltungsverträge als genuin öffentlichrechtliche Konstruktion diskutiert wurden, aber kaum Aufnahme im Verwaltungsrecht fanden.483 Zunächst ist jedoch auf die spezifisch deutsche und schweizerische Ausprägung der Fiskustheorie sowie auf das entsprechende Spannungsverhältnis zur Souveränitätslehre hinzuweisen. 2.

Aufhebung

des deutschen

Polizeistaates

a)

Die deutsche Fiskuslehre im Rahmen des justizstaatlichen Modells Rechtswissenschaft als funktionales Äquivalent zur Verwaltungsgerichtsbarkeit

Wenn in Frankreich die Emergenz des zivilrechtlichen und die Unterdrückung des öffentlichrechtlichen Vertrags zwischen Staat und Privaten massgeblich durch die Fiskustheorie begleitet wurde, so gilt dies im Wesentlichen auch für Deutschland. Im Gegensatz zu Frankreich, wo der Conseil d'Etat zu einer verstärkten Verrechtlichung der Staatsverwaltung einerseits und einer klaren Abgrenzung zum Zivilrecht andererseits beitrug, lastete in Deutschland aufgrund der Auflösung des Reichs und damit des Reichsgerichts im Jahr 1806 die Aufgabe, die Verwaltung in systematischer und einheitlicher Weise zu erfassen, hauptsächlich auf der Rechtswissenschaft. 484 Die nachfolgenden Ausfuhrungen müssen sich entsprechend vorwiegend auf diese insgesamt recht einheitliche deutsche Rechtswissenschaft konzentrieren, ohne sich dabei allerdings einzelnen für den vorliegenden Gegenstand interessanten Divergenzen der verschiedenen deutschen Länder zu verschliessen. Die deutsche Rechtswissenschaft konnte nun freilich das moderne Verwaltungsrecht nicht aus dem Nichts neu erschaffen, sondern hatte an die bisherigen Rechtsdiskurse anzuschliessen: einerseits im Rahmen des Staatsrechts an die Souveränitätslehre und andererseits an die Tradition des alten Reiches, mittels Gerichtsbar-

An dieser Stelle kann zunächst auf den Entscheid Blanco des Tribunal des Conflits vom 8. Februar 1873, recueil 1er Supplement 61 und auf die drei Jahre später erschienenen Abhandlung von Otto Mayer zum verwaltungsrechtlichen Vertrag hingewiesen werden: MAYER 1886. A u f diese Re-Emergenz der Verträge zwischen Staat und Privaten im öffentlichen Recht ist andernorts zurückzukommen: Kap. III: 197. Dies zeigt sich bereits aus den Rückblicken auf das 19. Jahrhundert von REHM 1884/1885 und MAYER

1888.

121

keit und Recht nicht nur die Bürger vor der Verwaltung zu schützen, sondern dadurch zugleich die Einheit der Gesellschaft sicherzustellen.485 Gönners Stellung gegenüber der unabhängigen

Gerichtsbarkeit

Als Ausgangspunkt zur Frage nach der Evolution des Vertrags zwischen Staat und Privaten im 19. Jahrhundert muss, aufgrund seiner massgeblichen Bedeutung für den rechtswissenschaftlichen Diskurs, zunächst Nikolaus Thaddäus Gönners (1764-1827) gewichtige Theorie zur Bestellung des Staatsbeamten dienen. 486 Der wesentliche Unterschied von Gönners Theorie zu jener seines Vorläufers Justi bestand darin, dass bei Gönner der Staat nicht mehr allein die Macht, sondern auch das Recht hatte, vom Bürger alles zu verlangen, was zur Erreichung der Staatszwecke nötig war. Es handelte sich hierbei um Hoheitsrechte des in dieser Beziehung allmächtigen Staats 487 Die Ernennung des Staatsbeamten erfolgte bei Gönner entsprechend ganz nach den Staatsbedürfnissen und wurde konsequenterweise aus dem Privatrecht herausgelöst und im Polizeirecht angesiedelt. 488 Dabei gestand Gönner den Gerichten allerdings einen Rest an Zuständigkeit zu: Im Gegensatz zu fast allen Privilegien seien jene der Staatsdiener nicht widerruflich 489 und unterstünden der gerichtlichen Beurteilung.490 Damit gestand Gönner ein, dass sich die unbegrenzte Macht des absoluten souveränen Staats nicht ohne eine externe, unabhängige Instanz stabilisieren Hesse. Um die Stetigkeit der Verwaltungsma-

485 486

Vgl. Kap. I.D.3: 57. I.E.3: 77.

487

GÖNNER 1 8 0 8 : 5 6 .

488

G Ö N N E R 1 8 0 8 : 4 8 f . , 4 6 1 ; G Ö N N E R 1 8 0 6 : 5 1 3 f.

489

Insbesondere kann der bisher Privilegierte nicht den entgangenen Gewinn, sondern nur den Erwerbspreis geltend machen, und im Fall des Widerrufs hören Privilegien mit dem Tod der Person oder dem Verlust der konstitutiven Voraussetzungen auf: G Ö N N E R 1804: 461 f. Als Vergleichspunkt ist hier die Konzeption des Staatsdienstes nach Malacord anzufügen: Der Staatsdienst wird nach Malacord zwar durch einen Vertrag begründet, richtet sich sodann jedoch ganz nach den Staatsinteressen. Insofern wendet sich Malacord von den privatrechtlichen Theorien ab, nimmt dann aber ein wohlerworbenes Recht an und verlangt für dessen Entzug eine justa causa: M A L A C O R D 1788. Dieser Konzeption folgte auch Seuffert, der allerdings die Ausnahmen zur Entziehung des wohlerworbenen Rechts ausdehnte: Einmal sei der Bürger verpflichtet, zum Wohle des Staats sein wohlerworbenes Recht auch entschädigungslos abzugeben, und zudem könne der Staatsdiener jederzeit aus dem Amt entlassen werden - unter Aufrechterhaltung von Titel und Sold: SEUFFERT 1793: 93, 121 ff. Im Gegensatz zu Malacord und Seuffert bleibt die Rechtsnatur des Privilegs bei Gönner wage. Klar ist einzig die Ablehnung gegenüber den bisherigen Vertragslehren: vgl. G Ö N N E R 1808: 130 ff.

490

GÖNNER 1 8 0 4 : 4 6 0 ff.; GÖNNER 1 8 0 8 : 1 3 0 ff.

122

schinerie zu sichern und zugleich ihre Korruptionsanfalligkeit gegenüber der Wirtschaft zu vermindern, griff Gönner auf die vormoderne Variation zurück, nach welcher sich Macht in die Form des Rechts kleiden muss, um als legitime Macht zu erscheinen491 - wobei sich bei Gönner freilich nur jener Teil von Macht dem unabhängigen Recht unterwarf, der aus ganz praktischen Gründen, die in den Zentrifugalkräften der modernen Gesellschaft begründet lagen, einer unmittelbaren Stabilisierung bedurfte. 492 Justizstaatliches

Modell

Diese Stabilisierung durch Recht wurde allerdings mit dem Wegfall der Reichsgerichtsbarkeit, die 1806 zusammen mit dem alten Reich unterging, und dem derart entstehenden 'Vakuum der Macht' massgeblich in Frage gestellt.493 In einem Teil der Länder wurde auf dieses Vakuum - respektive auf das Bedürfnis, bestimmte Verhältnisse zwischen Staat und Privaten mit Recht zu stabilisieren - mit dem justizstaatlichen Modell reagiert, das mit der Fiskustheorie eng zusammenhängt.494 Weite Teile der deutschen Rechtsgelehrten bekannten sich im Wesentlichen zum justizstaatlichen Modell.495 Frühe Variationen des justizstaatlichen Modells in Deutschland, die zugleich die spätere Emergenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit erahnen lassen, erschienen - in Begleitung rechtstheoretischer Forderungen etwa von Mittermaier und Feuerbach496 - in Württemberg und in Kurhessen: Gemäss württembergischer Verfassung von 1819 wurde die Verwaltung durch eine mit richterlichen Mitgliedern verstärkte Kollegialbehörde kontrolliert,497 und in Kurhessen wurde die Position der Bürger gegenüber der Verwaltung bereits früh in der

Dem entspricht der allgemein bekannte Umstand, dass in der vormodernen Zeit der König nicht als Verwalter und Vater der Nation, sondern als Richter erscheint. Zu den damit angesprochenen Zentrifugalkräften der Gesellschaft siehe Kap I.E.4: 86. Z u m Ganzen SMEND 1911.

Im Einzelnen hierzu OGOREK 1988: 391. Illustrativ sind auch die Übersichten bei BLUNTSCHLI 1868, II: 246; vgl. hierzu auch FLEINER 1913. Ausfuhrlich zur Fiskustheorie BULLINGER 1 9 6 2 : 2 0 0 f f .

Hierzu m. w . H. OGOREK 1988. Z u m B e i s p i e l MITTERMAIER 1 8 2 0 ; MITTERMAIER 1 8 2 1 ; FEUERBACH 1 8 2 1 , II: 3 ff. I m D e t a i l m . w . H . OGOREK 1 9 8 6 : 2 8 7 ff.

Vorbild der württembergischen Verfassung war der französische Conseil d'Etat: vgl. § 60 sowie §§ 195 ff. der Verfassung von 1819. Zudem bestimmte § 95: „Keinem Bürger, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einem besonderen Titel beruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verschlossen werden." Hierzu m. w. H. VON MOHL 1831, I: 199 und 634 ff. sowie die Monographie von BÜHLER 1911: 34 ff; aus neuerer Zeit zum Ganzen GERNER 1989.

123

Form von Individualrechten erfasst, die bei Gericht eingeklagt werden konnten. 498 Das justizstaatliche Modell fand einen Höhepunkt im - letztlich gescheiterten § 182 der Verfassung des Deutschen Reichs von 1849: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte. - Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu." 499 Fiskustheorie und Verwaltungsvertrag

bei Zachariä und Bluntschli

Wie sich noch anlässlich der schweizerischen Ausprägung der Fiskustheorie zeigen wird, rückte mit dem justizstaatlichen Modell die Frage nach der Abgrenzung von Rechtssachen zu reinen Verwaltungssachen in den Vordergrund. Funktion und Ausprägung dieser Abgrenzung im Hinblick auf kooperative Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Privaten lassen sich mit einem Blick auf die Lehren von Heinrich Albert Zachariä (1806-1875) und Johann Caspar Bluntschli (1808-1881) erhellen.500 Diese Autoren folgten zur Jahrhundertmitte in wesentlichen Punkten noch Gönners Argumentation, erweiterten sie jedoch zugleich. Zachariä ging in seinem deutschen Staats- und Bundesrecht von einem Staatsverständnis aus, das auf einem naturrechtlich beeinflussten Souveränitätsgedanken basiert und nach welchem entsprechend „jedes öffentliche Verhältnis im Staate ... durch einen (einseitigen) Willensakt des Inhabers der Staatsgewalt" begründet wird.501 Entsprechend gilt: „Im Verhältnis zum Staate hat der Beamte, was seine Dienstfunctionen betrifft, nur Pflichten." 502 Dem folgte auch Bluntschli in seinem allgemeinen Staatsrecht.503 So übe zwar der Staatsdiener seinen Dienst mit „freier Selbstbestimmung" aus. Das Amt habe aber

498 499

500

Siehe hierzu bereits LOENING 1884: 779. Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 (Paulskirchen-Verfassung); siehe hierzu FROTSCHER/PLEROTH 2005, vor allem Rz. 310 sowie die weitergehenden Ausführungen dazu in Rz. 309 und 314. Ein anderes spätes Beispiel des justizstaatlichen Modells ist das preussische Gesetz betreffend Erweiterung des Rechtsweges vom 24. Mai 1861, mit welchem insbesondere Streitigkeiten betreffend Steuern und Abgaben den Zivilgerichten übertragen wurde. Und in Hamburg deklarierte das Gesetz vom 12. August 1859 sowie Art. 96 der Verfassung vom 28. September 1866, dass die ordentlichen Gerichte alle Rechtsverletzungen beurteilen würden. Insgesamt aber neigte sich nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution die Waagschale zunächst eher wieder der Administrativjustiz zu: OGOREK 1988. Weitere Beispiele einer Dogmatik des Staatsdienstes unter der Fiskustheorie unten Kap. II.C.2.b)ii): 139.

501

ZACHARIÄ 1 8 5 4 : II: 2 7 f. Z u Z a c h a r i ä m . w . H . STOLLEIS 1 9 9 2 : 1 6 9 ff.

502

ZACHARIÄ 1 8 5 4 , II: 2 8 .

124

allein öffentlichen, vom Staat her bestimmten Charakter, und konsequenterweise schloss Bluntschli einen Vertrag als Grundlage dieses Rechtsverhältnisses aus.504 Sowohl Zachariä wie auch Bluntschli kamen jedoch zum Schluss, das sich allein hiermit weder die gesuchte Stabilität des komplexen Verwaltungsapparats noch die Absicherung des Beamten gegenüber den wirtschaftlichen Verlockungen erreichen liesse: Beide Autoren suchten nun wie bereits zuvor Seuffert 505 die notwendige Stabilisierung darin, dass sie den Staatsdienst in funktionaler Weise in eine staatsrechtliche und eine privatrechtliche Sphäre schieden. Letztere sollte der Beurteilung von unabhängigen Zivilgerichten unterstehen: Während die „Ausübung der Dienstfunctionen", so Zachariä, durch das Staatsrecht verfasst werde, regle das Privatrecht jene Teile des Dienstvertrags, die dem Beamten in der Form eines „Rechtsanspruchs" zustünden. Entsprechend sprach Zachariä dem in der Regel auf Lebenszeit ernannten Beamten grundsätzlich einen Privatrechtsanspruch an der Besoldung sowie am weiteren Ersatz des durch das Amt erlittenen Schadens zu.506 Um eine Harmonisierung zwischen dem starken Staatsbegriff und der funktionalen Trennung des Staatsdienstes in eine öffentliche (und kaum eine öffentlichrecMiche) Seite und eine privatrechtliche Seite herbeizufuhren, betonte Bluntschli ein Zweifaches: -

Erstens wies Bluntschli in besonderem Mass darauf hin, dass es sich bei der mit dem Amt verbundenen Besoldung um ein privatrechtliches Element untergeordneter Bedeutung handle, denn es bestimme das Wesen des Staatsdienstes nicht.507

-

Zweitens differenzierte Bluntschli, ähnlich wie bereits Gönner,508 auch an dieser Stelle noch weiter zwischen staatlicher und privater Funktion des Rechts: Nur soweit der Staatsdiener für den standesgemässen Lebensunterhalt während und nach seiner Dienstanstellung entschädigt werde, liege ein privatrechtliches Verhältnis vor. Wenn er aber für Repräsentationskosten in Ausübung seiner staatlichen Aufgaben entschädigt werde, gehe es um die Entschädigung einer öffentlichen Funktion. Der wesentliche praktische Unter-

503

Dies gilt für Bluntschlis Staatsrecht in der ersten Auflage 1852 wie auch in der zweiten Auflage 1868. Allerdings steht Bluntschli in der zweiten Auflage der Zuständigkeit der Zivilgerichte kritischer gegenüber: BLUNTSCHLI 1868, II: 246. BLUNTSCHLI 1852: 420 und 424. Auf dieses Staats- und Staatsrechtsverständnis, das sich insbesondere auf Hegel zurückführen lässt, ist zurückzukommen: unten Kap. II.C.2.b): 128.

504

505 506 507 508

S E U F F E R T 1 7 9 3 : 4 2 f. u n d 1 4 0 f. Z A C H A R I Ä 1 8 5 4 , I I , 2 8 f. BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 2 2 u n d 4 2 8 . GÖNNER 1 8 0 8 : 1 4 5 ff.

125

schied liegt freilich darin, dass mit dem öffentlichen Recht die Repräsentationskosten derart mit dem Amt verknüpft werden, dass der Staat jederzeit nach seinen Bedürfnissen darüber verfugen kann.509 Mit Privatrecht wird jedoch der Staatsdienst der politischen Willkür in einem spezifischen Teilgehalt entzogen und durch die Unterstellung unter die unabhängigen Zivilgerichte stabilisiert, um - so Bluntschlis Begründung - den Staatsdienst vor wirtschaftlicher und politischer Korruptionsanfalligkeit zu immunisieren: „... der Staat [begehrt] gewöhnlich grössere Opfer und geistigere Bildung von seinen Beamten, und erfordert die Thätigkeit dieser in der Regel höhere Geistesgaben und Arbeiten, als das bürgerliche Leben in der Regel von den Männern der Industrie verlangt. Es ist daher Pflicht des States, die Existenz derer, welche ihm ihr Leben widmen, vor Noth und unwürdigem Mangel zu bewahren, und das ist ohne ein billiges Pensionensystem nicht möglich. Dem Volke aber wird die Last durch bessere Dienste der activen Statsdiener vergolten, und das grössere Uebel der Bestechlichkeit und Erpressung, welches dem Mangel sich anhängt, in seinem Ursprung überwunden." 510 Das Beispiel der Konzessionen zur Erstellung neuartiger

Infrastrukturen

Diese Trennung von Rechtsverhältnissen in Teile des Privatrechts, des öffentlichen Rechts und in Teile, die dem Recht überhaupt nicht unterstehen, war zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet, was sich insbesondere an den Konzessionen zur Erstellung neuartiger Infrastrukturen zeigen lässt.511 So erteilten zahlreiche Städte privaten Unternehmern den Auftrag, Gas- und Wasserinfrastruktur oder Verkehrsinfrastruktur aufzubauen. 512 Derartige Konzessionen513 wurden oft, da es in der Regel noch keine Appellation in Polizeisachen gab, von einem sogenannten Contractus begleitet, mit welchem der Private bei Verletzung des erteilten Monopols gegen den Fiskus hätte vor den orBluntschli fordert hier denn auch, dass selbst der Gesetzgeber dem Staat freie Hand lassen m ü s s e : BLUNTSCHLI 1852: 4 2 9 . 510

BLUNTSCHLI 1852: 429 f. Zur Absicherung gegenüber politischer Korruption durch Professionalisierung siehe auch 424 ff. Nichtsdestotrotz war Bluntschli der Fiskaltheorie gegenüber eher kritisch eingestellt. Hierzu unten bei Fn. 594: 144.

511

HEIDER 2 0 0 5 : 2 3 ff.

512

Ein erster bekannter Fall stellt die Beleuchtung von Hannover durch die Imperial Continental Gas Association dar. Das sächsische Könighaus erteilte der privaten Unternehmung hierzu 1824 ein persönliches Privileg, welches andere Private von der Errichtung ähnlicher Anlagen ausschloss. HEIDER 2005: 46 m. w. H. Im Vordergrund der Konzession stand die Verlegung von Leitungen in die Strassenkörper:

513

HEIDER 2 0 0 5 : 4 8 .

126

dentlichen Gerichten an einer illustrativen scheid zeigt - Städte und Gegenleistungen

vorgehen können.514 Dabei ist interessant, dass - wie Heider Studie zu konkreten Konzessionsverträgen der Stadt Lüdenund private Unternehmer zur Jahrhundertmitte oft Leistungen aushandelten.515

Dies entsprach nach der gescheiterten liberalen Revolution in Deutschland zur Jahrhundertmitte dem neuen Fokus liberaler Politik, die auf Kommunalebene durch 'geeignete' Verteilung der Verwaltungsaufgaben des modernen Wohlfahrtsstaats ihre Ideen zu verwirklichen suchte, ohne mit dem souveränen monarchischen Staat ins Gehege zu kommen.516 Die durch Privatrecht erreichte Sicherheit, einen Streitfall vor die ordentlichen Gerichte bringen zu können zeugt ebenso wie üblicherweise abgeschlossene Schiedsklauseln davon, dass in dieser liberalen Konzeption der Erfüllung öffentlicher kommunaler Aufgaben kein einseitiges Gewaltverhältnis dazu gefuhrt hatte, Private den staatlichen Interessen unterzuordnen. Vielmehr suchte die kommunale Verwaltung die Beziehungen mit den Privaten mit Hilfe von (Privat-) Recht zu stabilisieren, um die gewünschte private Hilfe zur Verwaltung wohlfahrtsstaatlicher Aufgaben überhaupt erst zu erhalten.517 Rechtswissenschaftlich wurde allerdings die Form derartiger Kooperationen über die Bestellung zum Staatsbeamten hinaus zunächst kaum je thematisiert.518 Einfluss der Theorie des souveränen Nationalstaats nach Zuschnitt

hegelschem

Wie sind nun aber die Äusserungen von Zachariä und Bluntschli zum Staatsdienst mit der Praxis des Konzessionswesens zusammenzubringen und im gesellschaftlichen Kontext einzuordnen? Beide standen einerseits unter dem Einfluss der Debatte um den souveränen Nationalstaat, der vornehmlich durch die stetige und starke Hand der Regierung und der Verwaltung gestaltet und zu allgemeiner Wohlfahrt geführt werden sollte, und sie standen andererseits unter dem Eindruck nötiger Reformen im Bereich der Verwaltung, die gleichzeitig zu mehr Freiheit der Priva-

H E I D E R 2 0 0 5 : 4 8 . D e s g l e i c h e n f ü r d i e S c h w e i z O S C A R SEILER 1 8 8 8 : 3 7 f. E i n s p ä t e s

Bei-

spiel hierfür bietet der schweizerische B G E 47 I 222, 2 2 6 (1921; Elektrizitätswerk Lonza gegen Kanton Wallis): „Die 'Convention' v o m 8. Juni 1918 ist aber ... ein Verwaltungsakt, wenn schon der äussern Form nach ein Vertrag vorliegt." 515

HEIDER 2 0 0 5 : 3 2 f f . u n d 5 1 f f .

516

Oben Fn. 409: 102; JELLINGHAUS 2006: 163 ff. mit Verweis auf die Theorien von Mohl, Gneist und von Stein.

517 518

HEIDER 2 0 0 5 : 3 4

ff.

So auch das Fazit von JELLINGHAUS 2006: 281.

127

ten beitragen sollten. Bluntschli sah zwar mit Blick auf Frankreich die Zukunft in einer Administrativjustiz, mit Rücksicht auf die fehlenden Institutionen griff er jedoch in pragmatischer Weise auf die Zivilgerichte zurück. 519 Obwohl beide, sowohl Zachariä wie auch Bluntschli, die Verwaltung in gewissen Teilen mit Hilfe der unabhängigen Zivilgerichte sowie mit zivilrechtlichen Elementen zu stabilisieren suchten, lehnten sie die Möglichkeit von Verträgen zwischen Staat und Privaten zumindest für den öffentlichrechtlichen Bereich explizit ab.520 In dieser Beziehung standen sie zu sehr unter dem Eindruck der in der Folge zu erläuternden Theorie des souveränen Nationalstaats nach hegelschem Zuschnitt, als dass sie die verwaltungsrechtlichen Institute auch inhaltlich mit zivilrechtlichen Konzepten zu festigen gesucht hätten. b)

Unterdrückung des Verwaltungsvertrags im Kontext des souveränen Nationalstaats

i)

Einfluss der Souveränitätslehre

auf die

Rechtstheorie

Souveräner Nationalstaat und Recht bei Hegel Wie gesehen vermochten sich unter dem Einfluss liberaler Kritik spezifische Variationen zur Kooperation von Staat und Privaten auszubilden. Parallel zu dieser Evolution, deren rechtliche Ausprägungen zumeist mit dem Begriff der Fiskustheorie bezeichnet werden, formte sich eine Verwaltungstheorie, die auf dem Konzept des uneingeschränkten souveränen Nationalstaats aufbaute, dessen politische Kommunikationen wenn überhaupt mit öffentlichem Recht und nicht mit Privatrecht verfasst werden sollten. In Frankreich suchten (wie oben erwähnt) insbesondere Cor-

Hierin folgt ihm, mit expliziter Referenz, MEIER 1864: 923. Dies gilt selbst für Bereiche, die früher einer vertraglichen Kooperation zwischen Staat und Privaten zugänglich waren. Als ein Beispiel unter vielen kann Bluntschlis Beschreibung der Zuständigkeit des Staats für Gemeindestrassen stehen. Diese waren in der Vergangenheit in aller Regel von Privaten unterhalten worden: „[Der Staat] kann sich auf die Oberaufsicht beschränken und den Gemeinden die nähere Sorge überlassen; aber er wird wohl thun, zu bestimmen und darüber zu wachen, dass diese Sorge in dem Geiste der öffentlichen Wohlfahrt wirklich geübt und nicht der Nachlässigkeit und der Arbeits- und Kostenscheu einzelner Privaten freier Spielraum verstattet werde.": BLUNTSCHLI 1868, II: 430 f. Gedacht wird eine derartige Kompetenzaufteilung allerdings nicht als vertragsmässige Kooperation: Der Staat könne zwar, so Bluntschli weiter, die Meinung Privater zum Unterhalt von Gemeindestrassen einholen, aber ,,[e]s soll nicht ein Rechtsstreit zwischen Parteien entschieden, sondern das Zweckmässigste von dem freien, alle Verhältnisse überschauenden und zunächst im öffentlichen Interesse würdigenden Standpunkte des Stats aus gefunden und bestimmt werden."

128

menin (1788-1866) und nach ihm Laferriére (1841-1901) 521 die Kommunikationen der Verwaltung, die bislang primär politischen Grundsätzen folgten,522 nach rechtlichen Grundsätzen zu rekonstruieren und zu systematisieren. Gleiches trifft auch für eine ganze Generation von deutschen Juristen zu, wobei insbesondere Otto Mayer (1846-1924) für seinen Anspruch, die Verwaltung mit Hilfe eines - notabene durch das französische Verwaltungsrecht inspirierten - wissenschaftlich angeleiteten Verwaltungsrechts zu legitimieren, genannt sei.523 Bereits mit Bluntschli und sodann bis hin zur Entstehung einer eigenständigen schweizerischen Verwaltungsrechtswissenschaft infolge von Fritz Fleiner (1867-1937) und Zaccaria Giacometti (1893-1970) erlangte die deutsche Ausprägung dieser ursprünglich durch das französische Verwaltungsrecht inspirierten Theorie Einfluss auf die Schweiz.524 Die Verknüpfung des souveränen Nationalstaats mit dem Recht findet sich bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) in prominenter Weise. Dieser rezipierte in seiner einflussreichen und viel diskutierten Rechtsphilosophie von 1820 zwar die Idee eines einheitlichen und absoluten souveränen Staats von der französischen Theorie, ohne aber zugleich die Gesetzesbindung der Macht zu übernehmen. Im Zentrum stand vielmehr die Verwaltung als neutrales525 Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft und hierbei zugleich Verwalterin der Souveränität; die Verwaltung erscheint somit bei Hegel als funktionales Äquivalent zur Legitimierung von Macht durch demokratische Beteiligungsmechanismen.526 Laferriére unternahm es in seinem 'Traité de la juridiction administrative' von 1896, die neuen Selektionen der Verwaltungsgerichte in ein System geltenden Rechts einzuordnen und mit den geltenden Prinzipien des öffentlichen Rechts zu versöhnen. Laferriére befand sich für eine derartige Systematisierungsleistung in einer besonderen Lage: Er war selbst ein bedeutender Vertreter des Conseil d'Etat und hatte damit zahlreiche der neuartigen Selektionen mitinitiiert, fühlte sich zugleich aber als Richter der Konsistenz des Rechts verpflichtet: LAFERRIÉRE 1896. CORMENIN 1840. Cormenin beschrieb sein Projekt folgendermassen: „En résumé, la Centralisation a fondé l'indépendance du pays, les libertés du Gouvernement représentatif, la division, la hiérarchie et l'unité des pouvoirs. Or, de même que le pouvoir civil sorti des origines romaines et coutumières, le pouvoir administratif sorti ... des origines de la centralisation politique, a aussi sa législation spéciale, ses tribunaux, sa procédure, ses matières et sa jurisprudence.": CORMENIN 1840: vol. I, XXI. Chauveau betonte dagegen die engen Beziehungen von Verwaltungsrechtsprechung und Politik: CHAUVEAU 1841-44: xxvii ff. und xxxii ff. MAYER 1886. S i e h e v o r a l l e m BLUNTSCHLI 1 8 5 2 ; FLEINER 1 9 1 3 ; GIACOMETTI 1 9 2 4 .

Wo die Verwaltung wie etwa in Baden eine durch die Verfassung gesicherte Unabhängigkeit vom Monarchen genoss, kann tatsächlich in gewissem Sinne von einer Vermittlerrolle der Verwaltung gesprochen werden: hierzu SHEEHAN 1994: 397 ff. Typisch ist etwa VON M O H L 1 8 3 1 : 1 8 9 f.

Hierzu SHEEHAN 1994: 3 9 6 ff.

129

Von zentraler Bedeutung für den vorliegenden Gegenstand ist nun Hegels Konzeption des Staats als Endzweck der Gesellschaft, mit welcher er - wie in diesem Sinn bereits Rousseau vor ihm527 - die private Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft mit der politischen Sphäre der Allgemeinheit unter dem Dach des Nationalstaates vereinigte: „Diese substanzielle Einheit [im Staat] ist absoluter, unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freyheit zu ihrem höchsten Recht kommt, so wie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat.. ," 528 Die Gewalt dieses Staats ist also (im Gegensatz zur Theorie der Hoheitsrechte) eine absolute, die sich nicht (im Gegensatz zu Rousseau) aus der Zustimmung der Bürger oder (im Gegensatz zu Kant) aus der Vernunft des Einzelnen heraus konstituiert und legitimiert,529 sondern allenfalls aus dem historischen Prozess, der in die staatlich verfasste bürgerliche Gesellschaft mündet.530 Die absolute Gewalt des Staats wird bei Hegel in die Hände der konstitutionellen Monarchie gelegt, wobei sich Hegel explizit gegen die Gesetzesbindung und ganz Allgemein gegen die „liberalistischen Vorurteile gegen die Macht" richtete. Insbesondere distanzierte sich Hegel von Rousseaus ,,ideenlose[r] Abstraction" eines Gesellschaftsvertrags, der die „ausdrückliche Einwilligung" der Bürger zur Basis habe.531

528

Dies zeigt sich bei Rousseau insbesondere daran, dass im Vergleich zu früheren Naturrechtstheorien, bei welchen die Freiheit ein vorstaatliches Fundament erhält, nun die Freiheit ganz zur Verfugung des Gemeinwesens steht: ROUSSEAU 1795: liv. I, chap. IV. HEGEL 1820/1973: § 258; dieser Begriff ist bis heute äusserst Einflussreich geblieben: so zum Beispiel WEBER 1921-1922/1980: 30, 822. In extremis erscheint diese Einheit der Differenz wieder im Konzept vom Privatrecht und öffentlichem Recht als wechselseitige Auffangordnung, das die Gesellschaft im Sinne von Ludwig Raiser als politisches Gemeinwesen versteht, das durch den Rechtsstaat mithilfe von öffentlichem Recht und Privatrecht zu v e r f a s s e n sei: HOFFMANN-RIEM 1996: 13.

529 530 531

130

Zu letzterem Unterschied siehe GEISMANN 1982. Zum Beispiel HEGEL 1821/1995: § 269. HEGEL 1 8 2 0 / 1 9 7 3 : § 2 5 8 . 6 . D a r a n s c h l o s s später SCHMITT 1 9 2 2 an.

Hinter dieser Ablehnung demokratischer und bis zu einem gewissen Grad liberaler Staatstheorien532 steht die Befürchtung, eine Zersplitterung der Macht würde die erlangte Totalität und Souveränität des modernen Nationalstaates durch einen 'Krieg der Gewalten' in Frage stellen.533 Denn für Hegel ist die Souveränität nicht nur gegen aussen, sondern auch gegen innen die grosse Errungenschaft der Moderne, und zwar in dem Sinne, dass Gewalten und Geschäfte des Staats immer von diesem selbst ausgehen und ihm eigen sind, das heisst an Individuen nur aufgrund ihrer objektiven Qualitäten zum Wohle des Staats zur Ausführung vergeben werden, im Gegensatz zum vormodernen Staat aber nie zu Privateigentum.534 Erreicht wird damit die Überwindung der fragmentierten Gesellschaft durch Zentralisierung der Macht im Nationalstaat, womit sich Hegel auch gegen Kooperationen von Staat und Privaten wandte, die diese Souveränität in Frage stellen würden: „In der ehemaligen Feudal-Monarchie war der Staat wohl nach aussen, aber nach innen war nicht etwa nur der Monarch nicht, sondern auch der Staat nicht souverain. Thails waren die besonderen Geschäfte und Gewalten des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft in unabhängigen Coperationen und Gemeinden verfasst, das Ganze daher mehr ein Aggregat als ein Organismus, theils waren sie Privat-Eigentum von Individuen, und damit war das, was von denselben in Rücksicht auf das Ganz gethan werden sollte, in deren Meynung und Belieben gestellt."535

Es muss angeführt werden, dass sich Hegel in anderen Aspekten durchaus auch als liberaler Denker zeigt. So lehnte Hegel liberale Theorien wie jene Rousseaus vor allem ab, weil sie auf falschen oder abstrakten Ideen beruhten und nicht auf die gelebte Praxis Rücksicht nahmen. Hegel dagegen suchte eine historisch-soziologische Sicht auf die Evolution der Gesellschaft, wobei er den liberalen Ideen oft Sympathie entgegen brachte. Zu diesen bislang unterbelichteten liberalen Seiten von Hegel siehe die hervorragende Studie von K J Ä R 2006. Bringt man allerdings die konkrete Rechtsdogmatik Hegels mit seiner zuweilen j a nusköpfigen Staatstheorie zusammen, zeigen sich vielfach die autokratischen Seiten Hegels: unten Kap. II.C.2.b)ii): 139. HEGEL 1820/1973: § 272 f. Wo Hegel die Gewaltenteilung dennoch anfuhrt, erscheint sie als Abwehr gegen die Gerichte: HEGEL 1822/3: 215.2. Zur Kritik an diesem Staatskonzept vgl. anstelle vieler die wohl wichtigste zeitgenössische Rezension von Z.C. 1822, die sich massgeblich auf Fichte abstützte: „Der Staat in dieser Philosophie ist der bodenlose Abgrund, der alles Andere verschlingt und für seinen Zweck verdaut. Man muss sogar frohlocken darüber, dass dem so ist, da nur dadurch das Individuum in die absolute Vernunft aufgenommen, so zu sagen, von ihr verdaut wird." In Bezug auf diesen aus heutiger Sicht gewichtigen Einwand ist allerdings zu bemerken, dass er sich Hegels Geschichtlichkeit als Legitimationsquelle verschliesst: vgl. etwa HEGEL 1820/1973§ 274.2. HEGEL 1820/1973: § 276 f. HEGEL 1820/1973: § 278. 131

Wie umfassend Hegel den Staat in der Tat denkt, zeigt sich an den drei verschiedenen Bedeutungen des Staats: erstens als politisches System,536 zweitens als (bürgerliche) Gesellschaft 537 und drittens als Selbstbeschränkung gegenüber anderen Gesellschaften.538 Hegeische Staatstheorie versus

Justizstaatstheorie

Das Konzept des souveränen und absolut herrschenden Nationalstaats als einigende Kraft der Gesellschaft war in Deutschland, wie sich auch sogleich am weiteren deutschen Wissenschaftsdiskurs zeigen wird, äusserst einflussreich. Es vermochte sich gegenüber den Justizstaatstheorien der Liberalen im Wesentlichen durchzusetzen.539 So wurde etwa in Preussen der Rechtsweg bei Entziehung und Verkürzung von Diensteinkünften im Jahr 1825 verschlossen und erst im Jahr 1861 wieder zugelassen.540 Im Vordergrund stand in der Tat weniger, die Macht der Regierung und der Verwaltung mit Hilfe des Gesetzes zu bändigen. Vielmehr sollte mit der Figur der Gesetzesbindung die amtliche Machtausübung den Anschein von Legitimität erhalten und es sollten insbesondere die Beamten von Einflüssen, die ausserhalb der durch Gesetz kommunizierenden Politik lagen, abgeschottet werden. 541 Die Legitimation der Macht ergab sich wie erwähnt mehr aus der Stellung der professionalisierten Verwaltung als Mittler zwischen Macht und Gesellschaft. 542 Ziel der Verhinderung von

Ämterappropriation

In diesem Sinne ist die (auch von Hegel geforderte 543 ) Verhinderung von Ämterappropriationen zu deuten: Erstens sollte die Amtsstelle nicht mit der ausübenden Person verbunden sein, zweitens war sie als Haupttätigkeit auszuüben und drittens sollte die ausübende Person im Prozess der freien Auslese mit Rücksicht auf Fachqualifikationen ins Amt eingesetzt werden. Damit wurden Amt und Person ge-

HEGEL 1821/1995: § 257-320. HEGEL 1821/1995: §182-256. HEGEL 1821/1995: § 321-329. H i e r z u d e t a i l l i e r t OGOREK 1 9 8 6 u n d OGOREK 1 9 8 8 .

OTTO STÖLZEL 1901: 65 m. w. H. auf die Königlichen Verordnungen und die Gesetzgebung. Dies zeigt sich deutlich in den Äusserungen etwa von Schmitthenner (unten Fn. 548: 133) und Dahlmann (unten Fn. 591: 143). Hierzu oben bei Fn. 525: 129. HEGEL 1821/1995: § 277.

132

trennt, politische und familiäre Privilegien ausgeschaltet und das Amt vor Appropriation geschützt.544 Alle diese Anforderungen an den Beamten und die Verwaltung dienten dabei vorab der Selbstlegitimation des politischen Systems und der Abgrenzung der Verwaltung von der kapitalistischen Wirtschaft. Letztere bezog ihrerseits aus dieser Abgrenzung einen Eigenwert: Die Verfassung einer Verwaltung, die im Prinzip ganz auf die eigene Rationalität bezogen nicht in die Wirtschaft im Allgemeinen und in den (noch) labilen Preismechanismus im Speziellen eingreift, kann geradezu als konstitutiv für die moderne Wirtschaft bezeichnet werden.545 Einschränkungen dieses Schutzes vor Ämterappropriation, im Extremfall sogar das Recht auf die Amtsstelle, erscheinen paradoxerweise dann, wenn die unabhängige normgebundene Tätigkeit des Beamten in noch stärkerem Masse von Einflüssen geschützt werden sollte, wie etwa typischerweise in der Judikative der Richter vor allem gegen den Einfluss von Wirtschaft und Politik. Einfluss der hegelschen Staats theorie auf den kooperierenden

Staat

Betrachtet man nun vor diesem Hintergrund den rechtswissenschaftlichen Diskurs zu Kooperationen zwischen Staat und Privaten in Deutschland, so scheint sich zunächst kein allgemeines Misstrauen gegenüber der Verwaltung durchgesetzt zu haben; es blieb neben den Bemühungen um den verfassunggebenden Prozess bei der Frage der Eingrenzung der Verwaltungstätigkeit relativ lange verhältnismässig ruhig:546 Nachdem auch die liberalen Befürworter des justizstaatlichen Modells auf parlamentarische Beteiligungsformen und Kontrollen umschwenken, zeigte sich die Position der herrschenden Rechtslehre in symptomatischer Weise etwa an den Äusserungen von Friedrich Jakob Schmitthenner (1796-1850), eines 'Liberalen mit konservativen Zügen': 547 Der Fürst, respektive die Regierung, sei die höchste Gewalt des Staats, die „überall dem Gesetze den Arm leiht" und entsprechend „vollständig missverstanden" werde, „wo man sie bloss als Executive fasst". 548 Und in ähnlicher Weise ist noch in Max Seydels (1846-1901) Staatslehre von 1873 das Recht nur Ausdruck des ausgesprochenen Herrscherwillens.549 Zum Ganzen siehe auch die grundlegende Studie von WEBER 1921-1922/1980: 126 ff. In aller Deutlichkeit formulierte dies bereits WEBER 1921-1922/1980: 129. Zu den damit angesprochenen parallelen Entwicklungen in Frankreich und der Schweiz siehe oben Kap. II.B: 97. STOLLEIS 1 9 9 2 : 1 8 2 . SCHMITTHENNER 1 8 4 5 : 4 8 3 . SEYDEL 1 8 7 3 : 13.

133

In der Tat können die Entwicklungen in Deutschland mit der Bemerkung zusammengefasst werden, dass sich der staatspolitische und staatsrechtliche Diskurs zunächst mehr auf die Beteiligung des Volkes an der Staatsgewalt des Fürsten samt Verwaltung denn auf die Einschränkung und Kontrolle von Macht durch Recht konzentrierte. Offen und variabel blieben in diesem Konzept die Art und das Mass der Beteiligung. 550 Auch den verfassungsmässig festgeschriebenen Grundrechten kam in der Regel keine Wirkung als einklagbare Rechte der Bürger zu. Vielmehr dienten sie sozusagen als Programmvorgabe für die staatlichen Institutionen, die individuelle Freiheit des Bürgers vor allem in der politischen Meinungsbildung und im Binnenmarkt durch Gesetze zu verwirklichen. Erst mit der späteren weitgehenden Realisierung dieses Postulats und der Verwirklichung einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit konnten sich die Grundrechte zu einklagbaren Rechten wandeln.551 Emergenz des

Rechtsstaatsgedankens

Nach der erfolglosen deutschen bürgerlichen Bewegung von 1848 wurde die Forderung nach Beteiligung an der staatlichen Macht zurückgenommen und die ursprünglich im Sinne von Immanuel Kant (1724-1804) doppelte Forderung des Rechtsstaats auf Unterwerfung der Staatsmacht unter das Recht und auf Beteiligung der Machtunterworfenen552 auf das erstere eingeengt. 553 Rechtswissenschaft-

Noch Otto Mayer stand einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung skeptisch gegenüber: MAYER 1895/96,1: 60. 551

Siehe zum Beispiel GERBER 1865: 33: „Man pflegt diese Sätze wohl als 'Volksrechte' zu bezeichnen, um damit anzudeuten, dass jedes Mitglied des Volkes an der Wohlthat der nun erweiterten und gewährleisteten Freiheit der Bewegung Theil nimmt; aber keinenfalls darf dieser Ausdruck zu der Annahme verleiten, dass es sich dabei um Rechte im subjectiven Sinne handle ..." Als wesentliche Schritte hin zu einer Praxis der negativen Freiheitsrechte im Sinne von gerichtlich einklagbaren Rechten der Privaten gegenüber dem Staat können angeführt werden: in Deutschland die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 7, 198 (204 f.) (1958; Lüth), in Frankreich die Entscheidung des Conseil d'Etat vom 4. Mai 1906 in Sachen Babin, recueil 363, und in der Schweiz die Bundesverfassungen sowie das Bundesgesetz von 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege (AS 1 136; BB1 1874 II 425, 438, Art. 59). Allerdings ist zu bemerken, dass in der Schweiz erstens zentrale Grundrechte wie zum Beispiel die Handels- und Gewerbefreiheit, die Niederlassungsfreiheit sowie die Gewissensfreiheit von der Gerichtsbarkeit ausgenommen und der Kompetenz des Bundesrats oder der Bundesversammlung zugewiesen wurden und zweitens die gerichtliche Kontrolle von Bundesgesetzen durch die Verfassung untersagte wurde. Zum Ganzen m. w. H. DREIER 1993: 28 ff.; KÄLIN 2001; DREIER 2004: N 84 m. w. H.; zusammenfassend WENGER 2005.

552

KANT 1797/1988: § 45 und 47.

553

Hierzu m. w. H.

134

STOLLEIS

1990a.

ler wie der konservative Friedrich Julius Stahl (1802-1861) in seiner Rechts- und Staatslehre (1856) und der liberale Richter Otto Bähr (1817-1895) in seiner publizistischen Studie zum Rechtsstaat (1864) stellten nun übereinstimmend fest, dass der - in diesem Sinne: formale und unpolitische - Rechtsstaat mit der Verfassungsgebung noch nicht konstituiert sei, sondern der Staat immer da, wo er mit seinen Bürgern in Kontakt komme, sich nicht nur einer gesetzlichen, sondern allgemeiner: einer rechtlichen Ordnung unterwerfen müsse.554 Besonders markant findet sich dieser Gedanke auch in Gierkes Ausfuhrungen zu den Grundbegriffen des Staatsrechts von 1874 ausgesprochen. Gierke wandte sich vehement dagegen, Recht allein als Produkt des Staats zu verstehen.555 Vielmehr sah er in der gegenseitigen Bezugnahme von Staat und Recht die eigentliche Legitimationsgrundlage des modernen Staats: „Der Staat bedarf, um die innere Kraft zur Durchfuhrung seiner Kulturmission zu erlangen, der Unterstützung durch den Rechtsgedanken; würde er lediglich als handelnde Macht empfunden, die nur weil sie die physische Gewalt hat, bei jedem für zweckmässig erachteten Willensakt Gehorsam beansprucht und findet, so müsste alles politische Leben in Despotismus erstarren; und so sucht der gesunde Staat seine Macht zugleich auf das Recht zu begründen .. ."556 In der Konsequenz sollte sich nach Gierke die Regierung sowohl in ihrer Organisation wie auch in ihrem Auftreten gegenüber den Bürgern dem Recht unterwerfen: „[Der Staat] ist ein Ganzes, dessen Zusammensetzung und Gliederung Gegenstand der Rechtsordnung ist, bei dem daher auch die Stellung des Hauptes nicht über und ausser, sondern im Recht wurzelt. Ebenso aber ist es eine Verfassungs- und also eine Rechtsfrage, welches der Inhalt und welches die Grenzen der Herrschaftsmacht sind."557 In diesem Kontext entzündete sich nun der Streit, ob die Verwaltung mit einem verwaltungsinternen Beschwerdeverfahren den Gerichten in der Rechtspflege gleichgestellt werden solle, um damit über ihre eigenen Handlungen zu wachen, oder ob die Verwaltung einen Teil ihrer Kommunikationen einer unabhängigen Gerichtsbarkeit unterstellen müsste. Vor allem Bähr sprach sich in seinen Ausführungen zum Rechtsstaat von 1864 prononciert dafür aus, die Verwaltung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit zu un-

554 555 556 557

STAHL 1 8 5 6 : 1 3 7 ; BÄHR 1 8 6 4 : 168 ff.

GIERKE 1874: insbesondere 173 und 179. GIERKE 1874: 3 1 2 . G I E R K E 1 8 7 4 : 1 8 2 f.

135

terstellen. Zwar stellt er fest, dass dem Ermessen der Verwaltung in gewissen Bereichen ein freier Spielraum „wird ... belassen bleiben müssen".558 Gerade aber weil die Regierung zuweilen die durch das Gesetz bestimmten Grenzen überschreite, brauche es den Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte:559 „Richterliche Gewalt und Regierungsgewalt sind beide dem Gesetze unterthan, aber in ganz verschiedenem Sinne. Die Gerichte haben Recht und Gesetz zu realisieren. Die Regierungsgewalt hat innerhalb solcher zu walten. Für die Gerichte bilden Recht und Gesetz das positive, innere, ausschliessliche Princip ihrer Thätigkeit. Für die Regierungsgewalt bilden Recht und Gesetz nur die äussere Schranke einer mehr oder weniger freien Tätigkeit, welche ihr positives Princip in etwas ganz Anderem, in den ihrer Abfolge anheimgestellten Interessen, man kann sagen dem Gemeinwohl, findet. In dem Richterspruch reproduciert sich gewissermassen das Gesetz selbst in verjüngtem Massstabe. In der Thätigkeit der Verwaltung producirt sich das freie menschliche Dasein des Staates."560 Abwehrbewegungen gegen den Einfluss der Gerichte auf die Verwaltung Der Forderung nach einer der Verwaltung nachgelagerten gerichtlichen Kontrolle wurde das Konzept eines verwaltungsinternen Beschwerdegangs entgegengesetzt, und zwar mit der typischen, hier von Otto Mayer vorgebrachten Begründung: „... in der Verwaltung kann Recht gesprochen werden in derselben Weise wie in der Justiz."561 Eine Unterstellung der Verwaltung nicht nur unter die Form des Rechts, sondern auch unter eine der Politik entzogene, inhaltliche Rechtskontrolle, verkörpert durch die oft bürgerlich besetzten Zivilgerichte562, war den meisten deutschen Rechtswissenschaftlern in dieser Zeit der Hochblüte der Nationalstaaten zu weit gegangen.563 Eine Unterstellung der Verwaltungstätigkeit unter die Kontrolle unabhängiger Gerichte könne, so die Befürchtung, den mannigfaltigen Aufgaben der nationalstaatlichen Verwaltung nicht angemessen Rechnung tragen.564 Im Visier hatte man dabei 558

BAHR 1 8 6 4 : 169.

559

BÄHR 1 8 6 4 : 1 6 9 f.

560

BÄHR 1 8 6 4 : 5 2 .

561

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 6 5 .

562

M A Y E R 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 6 3 , v g l . m i t TOCQUEVILLE 1 8 3 5 - 1 8 4 0 : 3 9 2 - 3 9 3 ( c h a p . V I I ) .

563

Hier wirkt zweifellos Hegels Staatsbegriff nach: vgl. dessen Bemerkungen in HEGEL 1822/3: § 272.6. Typisch hierfür sind auch die Ausfuhrungen von GNEIST 1872: 171 f. und GNEIST 1883: 321 f.

564

136

die Unterstellung der Verwaltung unter die unabhängigen Zivilgerichte, und der Kampf fiir die Unabhängigkeit der Verwaltung von den Zivilgerichten wurde zuweilen vermischt respektive gleichgesetzt mit der Frage der gerichtlichen Prüfung von Verwaltungsakten.565 Hinter diesem Verständnis des Rechtsstaats, mit welchem eine Überprüfung der Verwaltung durch unabhängige Zivilgerichte abgelehnt wurde, stand im Wesentlichen folgende Überlegung zum Rechtsschutz der Bürger, wie etwa in der bedeutenden Staatstheorie von Carl Friedrich Wilhelm von Gerber (1823-1891) besonders deutlich aufgeführt wird: Die Verwaltung verletze die Rechte des Staatsbürgers dann, wenn sie „nicht in Uebereinstimmung mit dem wahren Willen der Regierung" handle; entsprechend diene der Rechtsschutz dazu, diesen wirklichen Willen der Regierung zu ermitteln, wofür eine externe verwaltungsabhängige Gerichtsinstanz gerade nicht berufen sei.566 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in den deutschen Landen als Kompromiss zwischen den bürgerlichen und regierungstreuen Lagern auszubreiten begann, erfolgte denn auch erstens organisatorisch von den Zivilgerichten getrennt (und oft an die Verwaltung angegliedert) und zweitens ohne jeden Anspruch, politische Konflikte zu schlichten. Folglich war die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch inhaltlich beschränkt - und zwar auf die Überprüfung, ob die Verwaltung den gesetzlichen Rahmen einhalte.567 Allerdings ging es den Autoren, die sich für eine strikte Trennung der Verwaltung von den unabhängigen Zivilgerichten einsetzten, auch um die Emanzipation des jungen Verwaltungsrechts vom Privatrecht. Damit fand - gewissermassen in Ablösung der kantischen Idee des Staats, der sich grundsätzlich als Zivilgesellschaft

Siehe zur Emergenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit Kap. III.C.4: 280. GERBER 1 8 8 0 : 2 0 8 .

Hierzu m. w. H. OGOREK. 1988. 137

konstituiert568 - die hegelsche Staatsphilosophie der getrennten Welten des privaten und des öffentlichen Raums, vereint unter dem Dach des Nationalstaats, ihren Ausdruck.569 Mit diesem Konzept des Rechtsstaates bedurfte der Staatsapparat nun zu seiner Stabilisierung gerade nicht der Zivilgerichte oder des Privatrechts, sondern diese Stabilisierung sollte - eigenständig - durch öffentliches Recht erfolgen. Zweifel daran, dass sich dieses Legitimationskonzept der Bindung der Verwaltung an den (mehr oder weniger demokratischen) Souverän mittels der Form des Gesetzes einerseits und durch die verwaltungsinternen Überprüfungsmechanismen andererseits nicht durchhalten Hesse, waren zwar durchaus vorhanden. Dieser Mangel wurde aber als systemnotwendig in Kauf genommen. Otto Mayer formulierte es in für die Zeit typischer Weise: „Aber die Justiz, vermöge ihres ein für allemal bestimmten festen Ganges, bewegt sich durchweg nur in den Gebundenheiten, welche Gesetz und Urteil erzeugen. Die Verwaltung kann ihr darin nicht gleichkommen; das Handeln des Staats zur Verfolgung seiner verschiedenartigen Zwecke lässt sich nicht in solche gleichmässigen Formen zwängen. Sie kann sich mit ihrem Gesetz und ihren Verwaltungsakten der Justiz immer nur in einem gewissen Grade nähern. Das Mass hängt ab von der Thunlichkeit und der Vereinbarkeit mit dem besonderen Zwecke der staatlichen Thätigkeit; bald wird mehr, bald weniger in dieser Richtung möglich sein. Es tritt deshalb statt der rechtlichen Notwendigkeit ein blosses Sollen, eine Forderung an den Staat heran. Er soll möglichst viel sein Gesetz verwenden, um Rechtssätze für die Verwaltung zu

Kants philosophische Konzeption von Recht hiesse, das kategorische Freiheitskonzept auf die gesamte Gesellschaft samt Staat zu übertragen: Das aus der Natur folgende Mein und Dein (als 'gleiche' Selbständigkeit durch rechtlich geschütztes bürgerliches Eigentum) sowie die 'gleiche' Autonomie aller Menschen, damit nach dem eigenen Willen zu verfahren, würden staatlich geschützt. Der Staat würde nur auf die freie Interaktion zwischen Bürgern - vor allem auf Vertrag als Akt der vereinigten Willkür zweier Personen - gründen und sich allein durch den Zweck legitimieren, die gleiche Autonomie aller Menschen zu sichern. Öffentliches Recht wie bei Savigny oder im heutigen Sinn gäbe es nicht, sondern lediglich ein Privatverfassungsrecht. In Anbetracht der herrschenden Umstände weicht Kant allerdings von seiner Theorie ab: vgl. KANT 1793/1992: 245 f. Weiterfuhrend hierzu KOCKA 1987: 34 ff. zum 'rechtlich' geregelten Recht und zum Leben nach Vernunft; GEISMANN 1982 zu den Verbindungen zu H o b b e s und Rousseau; jüngst JÖRG PAUL MÜLLER 2 0 0 3 : 125 ff., der

insbesondere den Aspekt des kategorischen Imperativs betont. Vgl. MAYER 1888: 3: „Soll die Verwaltungsrechtswissenschaft als gleichberechtigte juristische Disciplin neben die älteren Schwestern treten, so muss sie ein System von eigenthümlichen Rechtsinstituten der staatlichen Verwaltung sein."; siehe auch HEGEL 1820/1973: § 260 f.

138

schaffen, möglichst viel seine Verwaltungsakte, um den Einzelfall in rechtlich gebundener Weise zu bestimmen." 570 Der Staat wurde also - wie sich an den Worten von Mayer zeigt - dem Gedanken des Rechtsstaats nicht vollständig unterworfen, sondern er sollte sich - im Sinne eines Desiderats - diesem Gedanken annähern. Dies kann auch aus der Terminologie der Rechts- und Staatslehre von Stahl abgeleitet werden, nach welcher der Rechtsstaat seine Macht von der freien Sphäre der Bürger nicht durch das Recht, sondern „in der Weise des Rechts" bestimmen und abgrenzen soll.571 Genau so wurde mit dieser frühen Theorie des Rechtsstaats das Paradox des souveränen und doch auf Kooperation angewiesenen Staats weiterhin unterdrückt, respektive invisibilisiert: Wo die herrschaftlich agierende Verwaltung sich von der strikten Bindung durch die Rechts- und Gesetzesform des öffentlichen Rechts lösen musste, konnte sie zwar nicht in die kooperativen Formen des Privatrechts ausweichen, und auch das öffentliche Recht bot keine entsprechenden Rechtsformen, wohl aber blieb hierfür - weiterhin - ein rechtsfreier Raum, der bezeichnenderweise von Rechtswissenschaftlern wie Mayer zwar angetönt, nicht aber weiter ausgeführt wurde.572 ii)

Emergenz einer Dogmatik der Verbeamtung im deutschen

Verwaltungsrecht

Wenn vor dem Hintergrund der soeben erläuterten rechtstheoretischen Aktualisierungen unter den Begriffen Gesetzesbindung und Souveränität das Paradox des auf Kooperation angewiesenen souveränen Staats weiterhin unterdrückt wurde, wie veränderte sich dann die konkrete rechtliche Erfassung allfälliger Kooperationsformen? Frühe Vertragstheorien: Robert von Mohl (1799-1875) und Friedrich Jakob Schmitthenner (1796-1850) In der liberalen Strömung wurde vereinzelt der Staatsdienst als Vertrag beschrieben, so etwa bei Robert von Mohl (1799-1875). Von Mohl ging in seinem Staatsrecht des Königreiches Württemberg von 1831 davon aus, dass der Staat seinen Bedarf an Staatsdienern wohl durch allgemeinen Zwang, nur aber wenn die Position nicht anderweitig zu besetzen sei, durch Willkür gegen einen Einzelnen decken

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 6 6 . STAHL 1 8 5 6 : 1 3 7 . MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 6 5 ; e b e n s o GERBER 1 8 8 0 : 1 7 3 .

139

könne. Darüber hinaus gebiete es die Klugheit, gewisse Dienste an Freiwillige zu vergeben.573 Aus dieser Freiwilligkeit zum Staatsdienst in Verbindung mit der Pflicht und Befugnis des Staats, den geeignetsten Bewerber auszuwählen, ergebe sich, so von Mohl, ein Vertrag. Von Mohl richtet sich somit gegen die seit Gönner unbestritten herrschende Lehre.574 Die Bedeutung des Vertrags wurde durch von Mohl allerdings sogleich in dem Sinne reduziert, als die wesentlichen Bedingungen des Rechtsverhältnisses vom Staat aufgestellt werden müssten: Der Dienst sei nach der Natur desselben und den positiven Vorschriften des Staats zu versehen. Als gewöhnliche, aber keineswegs wesentliche Bedingung ständen der Leistung des Staatsdieners die Leistung des Einkommens und die Übertragung von Titel und Rang gegenüber.575 Eine mehr politisch als rechtliche Frage sei zudem die Bedingung nach Unentlassbarkeit und Pension. Allein wiederum die politische Klugheit spreche für diese Garantien, denn nicht nur erhalte damit die bürgerliche Gesellschaft eifrigere Diener, sondern der Beamte erhalte damit eine gewisse Unabhängigkeit gegen Vorgesetzte und die Willkür-Herrschaft eines Ministeriums, die gegen die Freiheit des Volkes gingen.576 Von Mohl folgte insofern zugleich Hegel 577 und einem bürgerlichen Programm: 578 Der Staatsdiener wurde ganz auf das freiheitsgewährende weil Willkür beschränkende Gesetz verpflichtet, während er durch bestimmte Garantien weniger gegen korrumpierende Einflüsse der Wirtschaft als vor allem gegen willkürliche (d. h. nicht gesetzmässige) Einflussnahme der Regierung immunisiert werden sollte. Neben seiner Stellungnahme zugunsten der Vertragskonstruktion

„Bei solchen Dienern muss von dem eigenen Eifer, von der Gewissenhaftigkeit, nicht nur das Befohlene sondern das Mögliche zu leisten, das Beste erwartet werden: wie könnte man aber solche fortdauernde Anstrengung des Geistes und des Characters erzwingen wollen? Um aber keinen Mangel an solchen Freiwilligen zu haben, ist es nothwendig ihnen bestimmte Vortheile einzuräumen. Diese sind, ausser Rang und äusserer Ehre, vor allem Geldentschädigungen; weil nur dann erwartet werden kann, dass die nöthige Anzahl von Bürgern sich zu den langen und zum Theile kostbaren Vorbereitungen, zur Entsagung jedes anderen Erwerbezweiges entschliesst, wenn die Besorgung der Staatsdienste einen anständigen und sichern Nahrungsstand darbietet.": VON MOHL 1831: 187 f. VON MOHL 1831: 188 und 192, N 5, m. w. H. auf die herrschende Meinung seit Gönner. VON MOHL 1 8 3 1 : 188. VON MOHL 1 8 3 1 : 1 8 9 f.

Zu Hegel siehe auch oben Kap. II.C.2.b)i): 128. von Mohl gewährte der Monarchie überdies durchaus eine wichtige Stellung, was sich zum Beispiel aus seiner Ablehnung einer strikten Gewaltentrennung zwischen Gerichten und Regierung im Allgemeinen sowie seinen Äusserungen zum württembergischen Staatsgerichtshof im Besonderen ergibt: VON MOHL 1831: 634 ff.

140

nahm von Mohl zur Frage der Qualifizierung als Privatrecht oder öffentliches Recht nicht Stellung, was sich wohl insbesondere dadurch erklärt, dass die gerichtliche Zuständigkeit - Staatsgerichtshof nach Vorbild des französischen Conseil d'Etat oder ordentliche Gerichte - gemäss Verfassung von 1819 mehr davon abhing, ob der Staat beteiligt war, als von der zur Beurteilung stehenden Sache.579 Es liegt wohl an Friedrich Jakob Schmitthenners (1796-1850)380 Verbindung von Naturrecht und historischer Schule sowie an seiner liberalen Ausrichtung, dass er auf der Basis eines Vergleichs zum Lehensvertrag den Staatsdienst als öffentlichrechtlichen Vertrag auf der Basis eines Subjektions Verhältnisses beschrieb, der neben einem privatrechtlichen Vertrag steht und den Beamten mit gewissen subjektiven Rechten ausstattet.581 Schmitthenner (wie ebenso vor ihm von Mohl) stiess zu seiner Zeit mit dieser Konstruktion und Begründung allerdings auf keine unmittelbare Resonanz. Erst Paul Laband (1838-1918) sollte Schmitthenners Begründung viel später wieder aufnehmen. 582 Theorien des Staatsdienstes als einseitigen Akt des Staats: Mit Ausnahme von von Mohl und Schmitthenner brachte die Rechtswissenschaft während längerer Zeit vor allem Variationen hervor, die den Staatsdienst583 - wie bereits von Justi und Gönner584 vorgegeben - strikte vom Vertrag trennten. Stellvertretend für viele seien hier die besonders einflussreichen Ausfuhrungen von Hegel, Perthes, Dahlmann, Bluntschli, Gierke und Mayer erläutert, die sich im Vordergrund immer auch mit dem für die Staatsrechtswissenschaft zentralen Gegenstand der Souveränitätslehre auseinander setzten. ... Georg Wilhelm Friedrich Hegel

(1770-1831)

Von zentraler Bedeutung dafür, dass die überwiegende Mehrheit der Rechtswissenschaftler den Staatsdienst als einseitigen Akt der Staatsgewalt konstruierte, war zweifellos die oben dargestellte Staatstheorie Hegels. Dieser äusserte sich darüber hinaus auch konkret zur entsprechenden Rechtsdogmatik. Edgar Loening (1843— 1919) meinte dazu im Rückblick:

VON MOHL 1831: 648 ff.; vgl. auch oben bei Fn. 497: 123. Friedrich Jakob Schmitthenner (1796-1850). SCHMITTHENNER 1 8 4 5 : 5 0 9 , F n . 5 . Z u S c h m i t t h e n n e r m . w . H . STOLLEIS 1 9 9 2 : 1 8 2 f f .

LABAND 1901, Bd. 1: 413. Vgl. hierzu ausführlich Kap. III.C.5.c): 301. Es ist anzufügen, dass sich die Rechtswissenschaft weiterhin mit fast ausschliesslich einem Lebensvorgang beschäftigt, der als Kooperation zwischen Staat und Privaten bezeichnet werden kann. Es handelt sich weiterhin um die Bestellung zum Staatsdienst. V g l . JUSTI 1 7 6 1 , 1 : 3 4 6 ; G Ö N N E R 1 8 0 4 : 4 6 1 . Z u m G a n z e n K a p . I . E . 3 : 7 7 .

141

„... nachdem aber auch Hegel ... erklärt hatte, dass das Staatsdienerverhältnis nicht durch einen Vertrag begründet werden könne, da dasselbe kein obligatorisches sei, ward die Vertragstheorie von den meisten Schriftstellern verworfen und die Begründung des Beamtenverhältnisses in einem einseitigen Staatsakt gefunden." 585 Da im Zentrum von Hegels Theorie wie erwähnt die Einheit des souveränen Staats zur Überwindung gesellschaftlicher Spaltung stand, galt es Kooperationen zwischen Staat und Privaten gerade mit der zentralisierten und souveränen Staatsmacht zu überwinden. Herrschaftsbezogene Verträge hätten Souveränität und Totalität des Staats ausgehöhlt und das Politische zugleich für wirtschaftliche Korruption anfallig gemacht. In der Konsequenz erschien bei Hegel die Ernennung zum Staatsdienst denn auch explizit als einseitiger Akt des Staats - was in gewisser Weise gegen die angebliche Neutralität der Verwaltung und ihre Funktion als Vermittlerin zwischen Macht und Gesellschaft ging.586 Allfällig nötige Kooperationsbereitschaft wurde wie schon bei Gönner durch Beamtenethos erreicht, während die Absicherung der Macht gegenüber wirtschaftlichen Versuchungen durch die Gewährung respektive Sicherung des Nahrungsstandes vollzogen wurde. 587 ... Clemens Theodor Perthes

(1809-1867)

Clemens Theodor Perthes schloss in seiner politisch gefärbten Streitschrift zum Staatsdienst in Preussen von 1838 im Wesentlichen an die Staatsphilosophie Hegels an. Nach Perthes ging es insbesondere darum, dass staatliche Aufgaben nur von diesem 'einen und totalen' Staat ausgehen. Entsprechend ins Zentrum rückte bei Perthes der Staatsdienst als Erfüllung von Staatsfunktionen. Dieser sollte von anderen Lebensbereichen strikt getrennt als eigener Berufsstand konzipiert werden. Da der Beamtenstatus zur Ausübung staatlicher Gewalt befähigte, könne, so Perthes, die Ernennung zum Staatsdienst nur einseitig erfolgen. Dass dennoch niemand zum Staatsdienst gezwungen wurde, erklärte Perthes mit dem Überfluss an Bewerbern.588 ... Friedrich Christoph Dahlmann (1785—1860) Auch in Friedrich Christoph Dahlmanns einflussreichem Werk „Die Politik" von 1847 erschien die Ernennung zum Staatsdienst als Ausübung eines Zwangsrechts 585

LOENING 1 8 8 4 : 1 1 9 , F n . 3 .

586

Hierzu oben bei Fn. 525: 129.

587

V g l . GÖNNER 1 8 0 8 : 1 1 7 ff.; HEGEL 1 8 2 0 / 1 9 7 3 : § 2 6 8 u n d 2 9 4 .

588

PERTHES 183 8: 4 4 ff., v o r a l l e m 5 2 ff.

142

des Staats, das dieser in unerlässlicher Weise ausübe und das er keinen Augenblick aufgeben dürfe. Infolge dieses Zwangsrechts könne kein Vertrag vorliegen.589 Allerdings, so Dahlmann, tue der Staat gut daran, dieses Zwangsrecht sparsam zu verwenden, denn es gebe genug Bewerber und der gute Wille des Staatsdieners lasse sich nicht erzwingen. Hier habe sich der Staat Zurückhaltung aufzuerlegen. 590 Dahlmann erlegte in diesem Sinn der Regierung eine politisch-moralische Schranke auf, wollte die Regierung jedoch nicht durch Recht und auch nur widerwillig durch Gesetz binden: So müssten die Regeln zum Staatsdienst... „... zwar an gesetzliche Bestimmungen geknüpft, doch von Urtheil und Recht nicht abhängig gemacht werden."591 Denn, so Dahlmann weiter, das Staatsinteresse könne nicht die gerichtliche Entscheidung abwarten, und auch „die Gesetze haben keinen Massstab" für die Staatsziele, die durch die Beamten umzusetzen sind.592 Von Interesse ist des Weiteren, dass Dahlmann zwischen den Funktionen des Arztes und des Anwaltes einerseits sowie des Geistlichen und des Lehrers andererseits unterschied: Der Arzt und der Anwalt bedürften zwar ein jeder einer staatlichen Bewilligung, hätten aber kein Amt inne und seien damit nicht weiter einer inhaltlichen Regelung der Tätigkeit zu unterstellen. Demgegenüber übten der Geistliche und der öffentliche Lehrer je einen Staatsauftrag aus, bei welchen allerdings der Staatszweck - ähnlich dem Richteramt - seinem Inhalt nach zurücktreten müsse: „... denn Religion und Wissenschaft werden nicht um des Staates Willen begehrt und stehen ihrem Inhalte nach, insofern ähnlich dem Richteramt, nur unter sehr bedingter Controlle des Staats, der hauptsächlich nur die Sphäre des Unterrichts regelt und die Amtstreue misst."593 ... Johann Caspar Bluntschli

(1808-1881)

Wenn auch Johann Caspar Bluntschli in seinem allgemeinen Staatsrecht von 1852 der Fiskustheorie folgte, so basierte seine Theorie dennoch auf einem relativ starken Souveränitätsbegriff: Zwar übe der Staatsdiener seinen Dienst mit „freier Selbstbestimmung" aus. Das Amt habe aber allein öffentlichen, vom Staat her bestimmten Charakter. Es bestehe - im Gegensatz zum Mittelalter und spät noch in

589

DAHLMANN 1 8 4 7 : 2 7 1 f .

590

DAHLMANN 1 8 4 7 : 2 7 1 f .

591

DAHLMANN 1 8 4 7 : 2 7 3 .

592

DAHLMANN 1 8 4 7 : 2 7 6 .

593

DAHLMANN 1 8 4 7 : 2 7 4 f . 143

Frankreich - in keiner Weise um des Individuums willens, welches es inne habe. Folglich könne es auch nicht zu Privateigentum verliehen werden. Freiwilligkeit propagierte Bluntschli weniger aus theoretischen, sondern vielmehr aus praktischen Gründen: „... weil die Natur eines individuellen geistigen Dienstes einem directen Zwange nicht gehorcht, einer mittelbaren Nöthigung aber nur schwer und unvollständig sich fügt, vielmehr individuelle Freiheit als normale Quelle tüchtiger Wirksamkeit fordert.. ,".594 Dennoch, infolge des rein öffentlichen Charakters - so Bluntschli weiter - passe es nicht, dieses Rechtsverhältnis als Vertrag aufzufassen. Die Begründung, Führung und Beendigung geschehe allein im öffentlichen Interesse durch einen „in Form und Inhalt Norm gebenden Willensact des Stats".595 Dieser Akt, das Anstellungsdekret, bleibe auch dann wesentlich ein einseitiger Akt, wenn eine Unterhandlung vorausgegangen wäre, etwa mit einem Ausländer. Denn nie könne dem Staat mit einer Zivilklage durch gerichtlichen Zwang ein solches Dekret abgerungen werden.596 Wie sehr Bluntschli (obwohl er einzelnen Elementen der Fiskustheorie folgte) gegenüber einer Einmischung in Staatsangelegenheiten durch unabhängige Gerichte skeptisch eingestellt war, zeigt sich an der Frage, wem die Strafkompetenz über Staatsbeamte zukomme. Die diesbezügliche Einmischung der unabhängigen Gerichte in die hoheitlichen Angelegenheiten des Staats drohe, so die Befürchtung Bluntschlis, die Ausdifferenzierung der Politik wie auch die Emergenz eines eigenständigen Verwaltungsrechts auf rein öffentlichrechtlicher Basis zu gefährden. 597 Dahinter stand bei Bluntschli aber insbesondere die Abgrenzung des modernen Staats gegen die fragmentierte Welt der Vergangenheit und die Sorge um die Errungenschaft der Moderne, den geeinten souveränen Nationalstaat: BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 2 0 u n d 4 2 4 . BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 2 1 u n d 4 2 7 f f . BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 2 2 .

„Allein die ausschliessliche Competenz der Gerichte, welche zwar wohl berufen und fähig sind, die verbrecherische That eines Beamten wie eines Bürgers zu erkennen und zu beurtheilen, aber immer in dem Angeklagten voraus den Menschen, nur nebenher auch den Beamten sehen, und welche ausser Stande sind, auch die statsrechtlichen Bedürfnisse des Amtes in ihrer vollen Macht und die verderblichen Wirkungen, welche ein ungehöriges Benehmen eines Beamten für die Einheit und Harmonie der Statsgewalt hat, in ihrem vollen Umfang zu überblicken und zu ermessen, ist keineswegs zu billigen. Wo dieselbe angeordnet ist, da hat das Interesse des jeweiligen Beamten über das des bleibenden Amtes und des States, und in Wahrheit das Privatrecht über das Statsrecht den Sieg erfochten.": BLUNTSCHLI 1 8 5 2 : 4 3 4 f.

144

„ Das Unvollkommene der Vertragsform für die Erzeugung des Staatsrechts in einem State liegt darin, dass nach ihr die Einheit des Stats aufgehoben, und der Stat selbst gewissermassen aufgelöst wird in seine Bestandteile, dass der Form nach das Recht des Stats gebunden wird an den Willen der einzelnen losgerissenen Theile, mit Einem Wort, dass im Princip das Ganze den Theilen untergeordnet wird. Die Geschichte aller germanischen Staten gibt uns zahlreiche Belege an die Hand, welche diese Unvollkommenheit - die Unbehülflichkeit und Schwerfälligkeit in der Bewegung sowohl als die mangelhafte Berücksichtigung der öffentlichen Interessen und der gemeinsamen Statswohlfahrt - die mit der Vertragsform unvermeidlich verbunden ist, ins rechte Licht stellt; zugleich zeigt sie uns, wie die höhere Entwicklung des States überall die frühere Vertragsform durch die Gesetzesform theils verdrängt, theils in engere Schranken verwiesen hat." 598 ... Otto von Gierke

(1841-1921)

Ebenso lehnte auch Otto von Gierke eine vertragliche Kooperation zwischen Staat und Privaten aus Gründen, die im Konzept des souveränen Staats liegen, ab. Gierke bezeichnete in seinen Ausfuhrungen zu den Grundbegriffen des Staatsrechts die Verschmelzung des antiken Staats mit dem mittelalterlichen fragmentierten kooperationistischen Staat als neues Fundamentalprinzip des modernen Staatslebens. Gierke zitierte Hegel zwar nicht, benutzte aber dessen Terminologie: Das Politische als Durchführung des allgemeinen Willens, organisiert im „totalen", d. h. einheitlichen, zentralisierten und souveränen Staat und verfasst durch das öffentliche Recht, sehe sich der durch Privatrecht verfassten Gesellschaft der „Individualwillen" gegenüber.599 Wenn sich nun nach Gierke die Organisation des Politischen, die Organisation der „gemeinheitlichen Machtverhältnisse" im Staat „als ein schlechthin selbstständiges Ganzes mit schlechthin unselbstständigen Theilen" darstellt,600 dann sind - so Gierkes Fazit - alle Sonderverbände, die an dieser gemeinheitlichen Macht teilnehmen, in letzter Instanz in die staatliche Machtsphäre eingeordnet und dieser untergeordnet.601 Diesem Staatsbegriff folgt die Rechtsnatur der Verbeamtung bei Gierke in aller Klarheit:

B L U N T S C H L I 1 8 6 8 , II: 1 5 . GIERKE 1 8 7 4 : 2 9 6 ff. GIERKE 1 8 7 4 :

297.

GIERKE 1 8 7 4 :

308.

145

„Von Seiten der [zum Staatsdiener] ernannten oder gewählten Person bedarf es hier einer bald in den freien Willen gestellten bald erzwingbaren Annahme der organischen Stellung. Ein Vertrag liegt in diesem zweiseitigen Willensakt auch da, wo er auf beiden Seiten völlig frei ist, so wenig wie in Aufnahme und Eintritt eines Mitglieds. Vielmehr konstituirt sich der Staat durch einen gemeinheitlichen Willensakt ein Organ, der Einzelne aber tritt in die objektiv geordnete Sphäre einer bestimmten organischen Stellung ein."602 ... Carl Friedrich Wilhelm von Gerber

(1823-1891)

Carl Friedrich Wilhelm von Gerber ist gleichermassen bekannt für seine privatrechtlichen wie auch für seine öffentlichrechtlichen Schriften. 1848 erschien sein System des deutschen Privatrechts und 1852 folgte sein Forschungsplan für das öffentliche Recht unter dem Titel „Über öffentliche Rechte", worin in knappen Worten Gerbers spätere Positionen zur kooperierenden Verwaltung bereits vorweggenommen wurden.603 Diese führte er sodann in seinem öffentlichrechtlichen Hauptwerk „Grundzüge des deutschen Staatsrechts" (erste Auflage 1865) genauer aus.604 Neben einer konsequent Juristischen Methode", mit welcher er das Staatsrecht einerseits vom Geschichtlichen und andererseits vom Privatrecht zu trennen suchte,605 ist Gerbers Konstruktion des Staats vom - monarchisch geprägten - Staatswillen her von zentraler Bedeutung: Dieser äussere sich als Staatsgewalt in der unteilbaren Herrschaft über alle Menschen und Sachen.606 Diese Herrschaft des Staats ist in dem Sinne souverän, als sie unabhängig von jeder anderen, d. h. ausser ihr stehenden höheren Staatsgewalt ist.607 Darin erblickte der konservative und monarchietreue Gerber die Errungenschaft der Zentralisierung herrschaftlicher Gewalt im modernen Staat, die sich in aller Konsequenz im staatlichen Monopol der Gesetzgebung zeige.608 Unmittelbar eingeschränkt werde die Staatsgewalt - mehr in einem moralischen, an die Theorie des Absolutismus erinnernden Sinn als in einem rechtlichen Sinn durch den Zweck der Staatsgewalt, auf welchen insbesondere die Regierung und 602

603 604 605 606

607 608

146

GIERKE 1 8 7 4 : 3 3 2 . GERBER 1 8 5 2 :

vor allem

58;

zu Gerber siehe

STOLLEIS 1 9 9 2 :

331 ff.

GERBER 1 8 6 5 .

Hierzu m. w. H. STOLLEIS 1 9 9 2 : 331 ff. Diese Konzeption steht in Analogie zu Gerbers Privatrechtskonzeption, die sich auf den Willen des Rechtssubjektes ausrichtet: G E R B E R 1880: 4 Fn. 2 . GERBER 1 8 8 0 : 19 f f . GERBER 1 8 8 0 : 1 1 1 F n . 2 u n d 1 4 5 F n . 1.

Verwaltung verpflichtet werden. Die Gesetzgebung sei Ausdruck dieses Zwecks und diene zugleich dessen Bestimmung.609 Jedoch lag es in Gerbers Konzeption an der Exekutivgewalt selbst, diesen Staatszweck zu erkennen und über die Einhaltung des Staatszwecks zu befinden. 610 An heutigen Standards gemessen blieb damit wenig Schutz des Bürgers vor dem Staat. Allerdings, selbst wenn Gerber auch eine historische Bindung verneinte, blieb sein Staatsrecht neben der Gesetzesbindung nicht ohne Einschränkungen und Legitimationsmechanismen: Abgesehen davon, dass seine Konzeption nicht nur den Staatsbürger, sondern auch andere gesellschaftliche Institutionen wie Familie, Gemeinde, Kirche, Kultur etc. an der Formulierung des Staatszwecks beteiligte, erfuhr das Staatsrecht eine weitere wesentliche Begrenzung durch die von Gerber verlangte stringente Wissenschaftlichkeit seiner Darstellung. Diese begriff er ganz als Systematisierung mit rigiden Anschlusszwängen, womit das Staatsrecht von seinen dominanten direkten Abhängigkeiten gegenüber der Politik einerseits und von der Philosophie andererseits gelöst und auf eine primär rechtsinterne Konstruktion umgestellt wurde.611 Gerber anerkannte also einerseits die gesellschaftliche Rolle ausserstaatlicher Institutionen, andererseits aber sprach er dem Staatswillen weiterhin sowohl die Macht wie auch die Aufgabe zu, die Gesellschaft zu einigen und zu gestalten. In dieser Konzeption erhielt die Verwaltung einen zentralen Stellenwert, da sie erstens in der Fortsetzung des Monarchen diesen gesellschaftseinigenden, souveränen, in Gesetzesform gekleideten Staatswillen repräsentierte und zugleich zweitens die Grenze der ungebrochenen Souveränität gegenüber der Gesellschaft bildete:612 -

609

Die Verwaltung und der Staatsdiener entlehnen Motive und Legitimation für das amtliche Handeln dem souverän gedachten Staatswillen, verkörpert im Monarchen und ausgedrückt in rechtlicher Form im Rahmen der Gesetzgebung, und dieser Staatswille äusserte sich durch die Handlungen des Staatsdieners.613 Der Staatsdiener war somit Teil dieser souveränen Macht, in die er ganz und gar eintrat, und zwar in ein Gewaltverhältnis, das er im Gegensatz

GERBER 1 8 8 0 : 3 1 ff.

610

GERBER 1880: 2 0 8 ; o b e n bei Fn. 5 6 6 : 137.

611

In diesem Sinn kann Gerber denn auch als Positivist verstanden werden. Vgl. GERBER 1880: 237. Diese Beschränkung von öffentlicher Gewalt durch positives Recht verkennt m. E. VOLKMANN 2004: 698 ff, wenn er Gerber mit den Exzessen des Nationalsozialismus in Verbindung bringt. Zur Leistung der Dogmatik als Stabilisierungsmechanismus im Recht siehe FÖGEN 2002a.

612 613

GERBER 1 8 6 5 : 1 0 6 ff. GERBER 1 8 8 0 :

112.

147

zu Schmitthenner nicht als ein obligatorisches Rechtsverhältnis verstand. 614 Der Staatsdiener schuldete seinem Monarchen „treue Hingebung", d. h. er hatte sich jeglicher politischer und wirtschaftlicher Konkurrenz zu seinem Amt zu enthalten.615 Dieser 'Hingabe' entsprachen die Rechte des Staatsdieners auf 'Titel, Rang und Alimentierung'. Die Hingabe setzte entsprechend das Einverständnis des Kandidaten voraus. Die Notwendigkeit des Einverständnisses des Bewerbers leitete Gerber aber zugleich in begriffsjuristischer Weise auch aus den geltenden Gesetzen ab, konkret aus der gesetzlichen Befugnis des Staatsdieners, jederzeit die Entlassung zu begehren. Denn - so Gerbers Umkehrschluss - eine Staatsbürgerpflicht, ein Amt anzunehmen, hätte auch die Pflicht einschliessen müssen, es zu behalten.616 Die Bedeutung dieses Einverständnisses und die Bedeutung des Terminus Vertrag sei nun ähnlich - so Gerber - wie bei der Eingehung einer Ehe: „[Das Einverständnis] bereitet den Eintritt in das Rechtsverhältnis vor, aber der Inhalt dieses letzteren selbst besteht dann nicht als ein vertragsmässiger, sondern ruht auf einer durch das Wesen des Instituts gegebenen Gründl age."617 Gerber stellte den Staatsdienst also als Gewaltverhältnis dar, in welches der Private durch Einwilligung analog zu einem Ehevertrag eintrat. Der Inhalt dieser Rechtsbeziehungen ergab sich sodann weniger aus diesem vertraglichen Initialakt, sondern mehr 'aus dem Gewaltverhältnis selbst', also aus den tradierten Rechten und Pflichten der Parteien solcher Gewaltverhältnisse: treue Hingebung auf der einen Seite, und Rang, Namen und vor allem Alimentierung auf der anderen Seite. Seine weitere Prägung erhielt dieses Gewaltverhältnis bei Gerber aus den staatsrechtlichen Leitprinzipien der Souveränität

614

„Es sollte kaum als nothwendig erscheinen, die Verschiedenheit der Stellung des Staatsbürgers, von dem der Staat (abgesehen von der Militärpflicht und dem Geschwornendienste) in der Regel gar keine aktive Thätigkeit für Staatszwecke in Anspruch nimmt, zu der Stellung des Staatsdieners hervorzuheben, der in einen seine ganze geistige Kraft erschöpfenden Arbeitskreis eintritt und sich einer Reihe von Pflichten und Beschränkungen unterwirft, wie sie nur ein persönliches Abhängigkeitsverhältniss mit sich bringt. Ein in mancher Beziehung analoges Verhältniss war die persönliche Verbindung des Lehnsherrn und Vasallen.": GERBER 1880: 116; zu Schmitthenner siehe oben bei Fn. 581: 141.

615

GERBER 1 8 8 0 : 1 1 7 .

616

GERBER 1 8 8 0 : 1 2 2 .

617

GERBER 1 8 8 0 : 1 2 1

148

Fn. 1. In Folge dessen kommt dem Beamten kein Recht am Amt zu und er kann auch jederzeit dieses Amtes enthoben werden.

und der Zusammenfassung und Organisation der Gesellschaft im NationalStaat.618 -

Die Verwaltung repräsentierte bei Gerber aber nicht nur den Staatswillen, sie stellte zugleich die Grenze der Souveränität dar, die es gegenüber ihrem Zielobjekt, der Gesellschaft, als unteilbare Souveränität zu erhalten galt. Diese Grenze - und damit die vollständige Verpflichtung der Verwaltung auf die monarchische Souveränität - erreichte Gerber insbesondere durch die standesmässige Trennung der Verwaltungsbeamten von der Gesellschaft. Die Verwaltungsbeamten bilden einen eigenen Berufsstand mit eigenen Rechten und Garantien: im Wesentlichen Rang, Namen und Alimentierung. Die rechtliche Stabilisierung des Staatsdiensts konstruierte Gerber unter Anlehnung an tradierte und - im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit fiskaltheoretisch abgesicherte - Formen wie dem Privileg und den wohlerworbenen Rechten, womit vertragliche Prinzipien - wenn auch nur im Hintergrund - präsent blieben.619 Konkret qualifizierte Gerber die Bestellung zum Staatsdienst als Privileg auf Lebenszeit, das auf das Einverständnis des Kandidaten hin als Dekret ausgestellt werde.

Es folgt wohl ebenso aus Gerbers unbestrittener Kompetenz und Sensibilität im Bereich des Privatrechts wie auch der von ihm in Meisterschaft praktizierten juristischen Methode, dass er die im modernen Staat aufbrechenden Paradoxe mit Hilfe von Recht zu entfalten versuchte. Es lassen sich bei Gerber drei entsprechende rechtliche Rekonfigurationen des Konzepts des zentralisierten, absolut und souverän verstandenen Staats beobachten: -

Die notwendige Stabilisierung und Absicherung des Beamtenapparates gegenüber wirtschaftlichen und ungewollten politischen Einflüssen auf die Verwaltung berücksichtige Gerber mit einer Anlehnung an die alte620 Institution des wohlerworbenen Rechts, das sich aus dem vertraglich strukturierten Initialakt des Staatsdienstes ableiten Hess: Dem Beamten komme ein solches wohl-

GERBER 1 8 8 0 : 1 1 2 . GERBER 1 8 8 0 : 1 1 2 .

Damit knüpfte Gerber an Seuffert und Zachariä an: siehe Fn. 296: 73 und Fn. 501: 124.

149

erworbenes Recht auf Bestreitung seines staatsgemässen Unterhalts zu.621 Unklar blieb allerdings, wie das wohlerworbene Recht zum Gesetz steht.622 -

Ferner thematisierte Gerber die Grenze des öffentlichrechtlichen zum privatrechtlichen Verwaltungshandeln - wenn auch nur nebenbei: Staatsdienst nach öffentlichem Recht lag nach Gerber vor, wenn die erbrachte Leistung unter dem Gewaltrecht des Staats erbracht wurde.623 Dem standen jene dem Privatrecht zuzuordnenden Dienste gegenüber, mit welchen nur „untergeordnete faktische Dienstleistungen für eine Staatsbehörde" erbracht wurden.624 Die konkrete Abgrenzung zwischen den zwei Bereichen obliege, so Gerber, den Gesetzen.625

-

Und schliesslich gewährte der konservative Gerber unter Anschluss an die liberalen von Mohl und Gneist626 sogenannten intermediären Institutionen, die ausserhalb der Staatsverwaltung Aufgaben der Staatsgewalt unter dem Titel der Selbstorganisation erbrachten, ein Existenzrecht. Die traditionellerweise mit der Staatskonzeption des absoluten souveränen Staats übereinstimmende Meinung, alle Aufgaben der Staatsgewalt müssten vom Staat ausgehen, d. h. von Staatsbeamten ausgeführt werden, wurde hier aufgegeben. 627

Die Gerichte folgten zur im Wesentlichen dieser öffentlichrechtlichen Konstruktion des Staatsdienstes. Als typisch kann die Praxis des preussischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte angeführt werden: Es komme im Rahmen der Bestellung zum Staatsdienst im Wesentlichen nicht auf die vertragsmässigen Verhandlungen an, und sofern das Rechtsverhältnis öffentlichrechtlicher Natur sei, könne die Frage, ob jemand in den Beamtenstatus berufen worden sei, nicht vor den Richter gebracht werden.628

GERBER 1880: 119 f. Interessanterweise wendet Gerber gegenüber den alten vertragsrechtlichen Konzeptionen ein, diese hätten den Staatsdiener der Willkür des Herrschers ausgeliefert: 113 Fn. 7. Wohlerworbene Rechte haben bei Gerber auf jeden Fall nur dann einen Raum, wenn dies vom Gesetz so vorgesehen ist. Unklar bleibt allerdings die Position eines älteren wohlerworbenen Rechts gegenüber dem neueren Gesetz. GERBER 1880: 172 Fn. 2. GERBER 1880: 116 Fn. 1. Dies wurde bereits bei Perthes angedeutet, blieb aber in der Konsequenz unausgeführt: vgl. oben Fn. 588: 142. GERBER 1 8 8 0 : 1 1 4 . GERBER 1 8 8 0 : 1 1 4 F n . 1 1 .

Oben bei Fn. 409: 102. GERBER 1880:111 Fn. 2. OTTO STÖLZEL 1901: 57, m. w. H. auf die Rechtsprechung. Vgl. insbesondere bereits das Urteil des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1853 (Nr. 342).

150

... Otto Mayer (1846-1924) und Georg Jellinek

(1851-1911)

Mehr als fünfzig Jahre nach Hegel folgten auch Otto Mayer und Georg Jellinek dem Staatsbegriff des einheitlichen totalen, oder anders ausgedrückt: souveränen Nationalstaates als einer Errungenschaft der Moderne. Im Gegensatz zu Hegel standen diese Autoren jedoch auf dem Boden des Rechtsstaats:629 Entsprechend stellte Otto Mayer zunächst fest, „...dass nach dem bestehenden Rechtszustande [mangels gesetzlicher Grundlage] Niemand zum Eintritt in den Staatsdienst gezwungen wird .. ."63° Aus der Praxis der Behörden, das Einverständnis der zukünftigen Beamten zu erwirken und die Bestellung zum Staatsdienst zuweilen „Vertrag" zu nennen, voreilig auf die Rechtsform des Vertrags zu schliessen, lehnte er allerdings vehement ab. Denn, so seine Begründung : „Wenn man so häufig sagen hört: der Staat kann Niemanden zum Eintritt in den Staatsdienst zwingen, so ist das ungenau ausgedrückt: die Staatsgewalt kann Alles."631 Dieser dominante Staatsbegriff findet sich auch in Georg Jellineks bedeutendem Werk „Gesetz und Verordnung", das 1887, also kurz vor Otto Mayers Schrift zum verwaltungsrechtlichen Vertrag erschien und später zum Standardwerk „Allgemeine Staatslehre" ausgebaut wurde.632 Wenn nun Jellinek - analog zu Mayer - das wesentliche Merkmal des Staats in der „einheitlichen Herrschaft" gegenüber allen dem Staat Unterworfenen sieht, diese Herrschaft sodann darin besteht, „unbedingte Befehle" auszudrücken und die Souveränität entsprechend bedeutet, dass der Staat „überall herrscht, nirgends beherrscht wird", 633 dann bleibt für vertragliche Strukturen, ja sogar für vertragliche Terminologie in der Tat kaum Raum. 634 Verwaltungstätigkeit ist hier bei Jellinek - in vollendeter Selbstbezüglichkeit - die infolge Zwangsrechts mittels Befehlen fortdauernd „auf die Selbsterhaltung des Staates gerichtete ... Aktion". 635 Otto Mayer fugte dem hinzu, dass der Staat durch die Gesetzesbindung in der Ausübung solchen Zwangs eingeschränkt sei, wobei der Staat diese Einschränkung mit

VESTING 2 0 0 8 : 2 4 1 f. MAYER 1888: 37. MAYER 1888: 38.

Zur Referenz an Otto Mayer vgl. JELLINEK 1887: 190 Fn. 1. JELLINEK 1887: 190 ff., vor allem 190 f. und 196 f. Dies

gilt

auch

noch

fur die

3. Auflage

seines

Standardwerks:

JELLINEK/JELLINEK

1 9 1 4 / 1 9 2 1 : 6 1 1 ff. JELLINEK 1 8 8 7 : 2 1 9 f f .

151

der Einwilligung des Betroffenen überwinden könne. In diesem Konzept ist allerdings die Einwilligung nur ein Ersatz für die Ermächtigung herrschaftlichen Zwangs durch den Gesetzgeber. Vor dem Hintergrund des totalen, d. h. die ganze Gesellschaft umfassenden Staats kann es somit keinen echten Vertrag zwischen Staat und Privaten geben.636 Es ist nur konsequent, dass Mayer jene öffentlichrechtlichen Verwaltungsverträge, deren Existenz er nicht auf einen Etikettenschwindel reduzieren konnte, ins Völkerrecht verlagerte - so die Verträge einzelner deutschen Staaten mit ehemals reichsunmittelbaren Herren, deren Stellung durch die Bundesakte und die Wiener Kongressakte garantiert worden war. Denn, so Otto Mayer, die für Verträge erforderliche wahre Gleichstellung gibt es nur im Privatrecht und im Völkerrecht.637 Auch wenn auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts der Vertrag zwischen Staat und Privaten nicht denkbar war, so fügte Mayer dennoch mit einiger Selbstverständlichkeit und wohl aufgrund seiner Affinität zum französischen Verwaltungsrecht die neu entstehende Grenze von Verwaltungsrecht und Privatrecht ein, die erst bei Gerber ansatzweise deutlich wurde: Wo der Staat nicht hoheitlich kommuniziert, sondern „thut, was auch ein Privater thun könnte", findet das Privatrecht und somit unter anderem das privatrechtliche Vertragsrecht Anwendung. 638 Wie diese Grenzziehung allerdings anzuwenden war, blieb bei Mayer unklar. Er vermochte allein die äussersten Grenzen festzulegen: den Polizeibefehl auf der einen Seite, die Verpachtung von Grundstücken auf der anderen Seite. Dazwischen eröff-

„[Die Einwilligung des Ernannten] genügt aber nicht, damit um dieser Einwilligung willen der Eintritt in den Staatsdienst zum Vertrage werde. ... Als Grund gibt man übereinstimmend an, dass der Vertrag 'gleichberechtigte Kontrahenten, koordinirte [sie] Subjecte' voraussetze. Es ist nichts anderes als eine Folgerung aus dem das öffentliche Recht beherrschenden Grundsatze der allgemeinen einseitig bindenden Kraft des Staatswillens, welche hiermit gezogen wird. Wenn von vornherein überall der Wille des staatlichen Organes für sich allein fähig ist, das Rechtsverhältniss zu erzeugen, so kann es immerhin zum Schutze der Interessen des Einzelnen nothwendig erscheinen, auch dessen Willen einen Einfluss darauf zu gewähren. Diesen sachlichen Zwecken wird aber vollauf genügt in der Form, dass die Zuständigkeit jener Organe zur Vornahme des Aktes abhängig gemacht wird von Gesuchen und Annahmeerklärungen der Einzelnen. Ein Gesetz, welches überflüssiger Weise die Einwilligung zu einer förmlichen Mitwirkung an der Erzeugung des Rechtsverhältnisses im Sinne des Vertrags steigerte, nur um einen wahren Vertrag zu haben, wäre eine leere juristische Liebhaberei. Darum sind wahre Verträge des Staats auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts überhaupt nicht denkbar.": MAYER 1888: 40 und 42. 637

MAYER 1 8 8 8 : 4 2 F n . 5 9 .

638

GERBER 1880: 116 Fn. 1; dies wurde bereits bei Perthes angedeutet, blieb aber in der Konsequenz unausgeführt: vgl. oben Fn. 588: 142; MAYER 1888: 35.

152

nete sich ein weites Feld, für welches Otto Mayer keine Abgrenzungsregeln erstellen konnte, ja nicht einmal ein Regel-Ausnahme-Verfahren vorschlagen wollte. 639 In dieser Kontingenz der Abgrenzung von öffentlicher und privater Sphäre respektive von Zivilrecht und öffentlichem Recht zeigen sich die Unterschiede gegenüber der alten Souveränitätslehre, die ihre einheitsstiftenden Wirkungen viel weiter und stringenter auf den Staat und die Gesellschaft ausgedehnt hatte. Über die leitenden Prinzipien des öffentlichen Rechts hatte Otto Mayer allerdings Gewissheit gewonnen: Es handelte sich um die bindende Kraft des Staatswillens, die innerhalb ihres Machtbereichs keine Kooperation im Sinne eines Vertrags duldete. Darauf bestand Mayer selbst dann noch, als er eingestehen musste, dass sich im öffentlichen Recht ein „Verwaltungsvertrag" ausgebildet hatte - ein Vertrag, so Mayer, der keiner ist. 640 Dass es sich dabei doch nicht wie von Mayer insinuiert um einen reinen Etikettenschwindel handelte, sondern diese Emergenz vertraglicher Kommunikation der Verwaltung in einem weiteren Kontext stand, darauf ist zurückzukommen. 641 Vorerst bleibt aber festzuhalten, dass infolge einer stringent durchgeführten Souveränitätslehre einerseits und infolge des allseits festgestellten Kooperationsbedarfs der Verwaltung andererseits selbst Otto Mayer wie gesehen dem Privatrecht die Möglichkeit zugestehen musste, bestimmte Kooperationen zwischen Staatsverwaltung und Privaten rechtlich zu verfassen 642 - nach welchen Kriterien und in welcher Abgrenzung vom Staatsrecht blieb allerdings weitgehend unklar. 643

„Der Akt [der Bestellung zum Staatsdienst] muss nicht nothwendig öffentlichrechtlich behandelt werden; wenn ihn Jemand civilrechtlich auffassen will, so können wir keinen zwingenden rechtswissenschaftlichen Grundsatz entgegenhalten, wonach das nicht zulässig wäre.": MAYER 1888: 37 MAYER 1 8 8 8 : 4 0 f f .

Unten 195 ff. Oben bei Fn. 638: 152. Diese Unklarheit, die insbesondere in der fehlenden Erforschung der Kontextbedingungen des Verwaltungsvertrags begründet liegt, gilt zumindest bis zu Max Webers umfassendem Modell der Ko-Evolution von Staat, Wirtschaft und Recht: unten Kap. II.D: 183. Dass die Rechtswissenschaft für diese Kontextbedingungen weitgehend blind war, hat massgeblich mit ihrer neuen juristischen Methode zu tun: hierzu Kap. III.C.3: 275.

153

3.

Die siegreiche liberale Revolution in der Schweiz und deren Überführung in den liberalen Bundesstaat von 1848

Einfluss der Regeneration auf die Fiskustheorie Möglichkeitsbedingungen des Verwaltungsvertrags: liberale Theorie undfehlender rechtswissenschaftlicher Diskurs Anders als in Frankreich und Deutschland kann für das schweizerische Recht des 19. Jahrhunderts keine eigentliche rechtswissenschaftlich fundierte Doktrin zur Frage der Kooperation zwischen Staat und Privaten ausgemacht werden. Zu spärlich sind die Aussagen zum Recht der Verwaltung und zu sehr sind die wenigen Rechtswissenschaftler mit den grossen Fragen der Zeit beschäftigt, als dass sie sich mit Randfiguren des damaligen rechtswissenschaftlichen Diskurses hätten abgeben können. Erst mit dem Streit um die politische Unterwerfung der zunächst privaten Eisenbahnen, der mit grossem Engagement in Politik, Medien und Wissenschaft ausgefochten wurde, begründete der verwaltungsrechtliche Vertrag, d. h. vor allem dessen Ablehnung als mögliche Rechtsform zwischen Staat und Privaten, ab 1870 einen fortgesetzten rechtswissenschaftlichen Diskurs.644 Weitet man jedoch den Fokus über die Rechtswissenschaft hinaus, so lässt sich zeigen, dass die liberale Bewegung samt ihrer Staatsphilosophie und den entsprechenden rechtlichen Ausprägungen die Bedingungen der Möglichkeit bot, kooperative Beziehungen zwischen Verwaltung und Privaten zwar nicht im öffentlichen Recht, aber immerhin unter der Zuständigkeit der Zivilgerichte abzubilden. Zivilgerichtliche Unabhängigkeit infolge von Verfassungen der Regenerationszeit In den vorangehenden Ausführungen zu Frankreich und Deutschland wurde jeweils betont, dass die Unabhängigkeit von Gerichten gegenüber der Staatsverwaltung eine zentrale Voraussetzung für die Ausbildung kooperativer Rechtsformen zwischen Staat und Privaten darstellt. Wie stand es also um die zivilgerichtliche Unabhängigkeit in der Schweiz? Während in Frankreich und Deutschland die Loslösung der Verwaltung von den unabhängigen Zivilgerichten respektive vom Reichskammergericht die jeweils herrschende spezifische Fiskustheorie in wesentlichem Masse beeinflusste, fehlte dieser Schritt zunächst in der Schweiz. In der Tat war in der alten Eidgenossenschaft kaum je die Unabhängigkeit der Gerichte verwirklicht

644

154

R Ü T T I M A N N 1 8 7 0 ; C A R R A R D / H E U S L E R / H I L T Y 1 8 7 7 ; O S C A R SEILER 1 8 8 8 ; M E I L I 1 8 8 8 .

worden, und sie Hess in der Regel auch länger als in Deutschland und Frankreich auf sich warten.645 Auf die Zusammenhänge mit der Französischen Revolution und deren Ausweitung auf die Eidgenossenschaft während der kurzen Zeit der Helvetik wurde bereits aufmerksam gemacht. 646 Ein wesentlicher Beitrag zur Unabhängigkeit der Gerichte ging sodann vor allem von der Regeneration seit 1831 und von den liberalen Verfassungen aus.647 Die meisten Verfassungen der Kantone entstammten einem Entwurf von Wilhelm Snell und weisen folglich grosse Ähnlichkeiten auf. 648 Am Beispiel der Staatsverfassung für den eidgenössischen Stand Zürich vom 10. März 1831 und ihren Verbindungen zur liberalen Staatstheorie sowie anhand der Bundesverfassungen von 1848 und 1874 kann in der Folge dargestellt werden, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise die Kooperation zwischen Staat und Privaten unter dem erwähnten liberalen Einfluss im Recht erfasst wurde.649 Einfluss von Friedrich Ludwig Keller (1799-1860), Wilhelm Snell (1789-1851) undlgnaz P. V. Troxler (1780-1866) Insbesondere auf den Einfluss von Friedrich Ludwig Keller, einem Schüler von Savigny,650 ist der berühmte Art. 10 Abs. 1 der Zürcher Staatsverfassung von 1831 zurückzuführen, der die strikte Gewaltentrennung festlegte. Zudem zeichnete Keller im Zuge der Regeneration auch als Präsident des Obergerichtes für die Umsetzung der in der Verfassung vorgesehenen unabhängigen Gerichtsbarkeit verantwortlich, welcher zumindest teilweise auch die Regierungstätigkeit unterworfen wurde. 65 '

645

Hierzu bereits PAUL SPEISER 1 8 8 9 a ; b; WERNER 1917.

646

Vgl. I.D.3: 57.

647

V g l . hierzu bereits PAUL SPEISER 1889a: 121 f. Jüngst m. w . H. HANSJÖRG SEILER 1994:

415 ff. Mit Regeneration wird hier ganz allgemein ein Zeitgeist bezeichnet, der sich in der Schweiz nach 1831 zuweilen durchzusetzen vermochte und die politischen, wirtschaftlichen und juristischen Verhältnisse wieder - wie bereits in der Helvetik unter jedoch schwierigen Verhältnissen - nach den Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution gestalten wollte. 648 649

650

KÖLZ 1989. Ähnliches könnte auch für die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Luzern, St. Gallen und Thurgau dargestellt werden: vgl. IMBODEN 1947. Keller war ein Schüler von Savigny und stand entsprechend auf dem Boden der historischen Rechtsschule. Zu Keller vgl. auch BECK 1945; HAUSER 1981: 264.

651

Von Bedeutung ist vor allem Kellers programmatische Schrift „Die neuen Theorien in der Zürcherischen Rechtspflege": KELLER 1828. 155

Mit Wilhelm Snell war neben Keller ein weiterer Rechtswissenschaftler massgeblich an der Entstehung der liberalen Verfassung Zürichs beteiligt.652 Snell bezog sich zwar primär auf Kant, traf sich aber mit Keller im Kampf gegen die stete Ausdehnung des Staatlichen, welche die Freiheit des Einzelnen bedrohe. Die Regierungsgewalt und die Verwaltung seien einzuschränken, da sie ihrem Wesen gemäss nach Erweiterung des Machtgenusses strebe.653 Snell forcierte hierzu zwar vor allem die Einschränkung der Verwaltung durch die Gesetzgebung und sekundär, in Fiskalsachen, durch die Gerichte. Er deutete aber an, dass eine Einschränkung auch durch eine Verfassungsgerichtsbarkeit erfolgen könnte.654 Von Interesse ist nun Snells Begründung, wieso die Regierung und die Verwaltung in den sogenannten Fiskalsachen der Zuständigkeit der Zivilgerichte unterstehe: Die Regierung sei in diesen fiskalischen Zivilsachen oft selbst Partei, nämlich insbesondere bei Verträgen der Regierung und bei schädigenden Handlungen. Dieser Aussage, die Snell im Rahmen der Gewaltentrennungslehre aussprach, fehlt jede weitere Erläuterung. Es ist deshalb unklar, auf welche Verträge sich Snell bezog. Weitere Äusserungen zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft lassen jedoch auf ein Staatsverständnis schliessen, das den Staat nicht unhinterfragt als gesellschaftsgestaltende Kraft begreift, die ausschliesslich befehlsförmig verfahrt. Zwar stellte Snell die Exekutive als wichtiges Organ des Nationalstaates nicht in Frage. Doch Exekutive und Verwaltung könnten, so Snell, durchaus auch spezifische Eigeninteressen verfolgen, die nicht mit den Interessen der Allgemeinheit kongruent sein müssten. Aus diesem Grund stünden Exekutive und Verwaltung in den sogenannten fiskalischen Zivilsachen nicht über, sondern neben den Privaten, und aus diesen Gründen sei dieses Rechtsverhältnis den unabhängigen Zivilgerichten zu unterstellen.655 Dass die Zähmung exekutiver Gewalt zu einem wichtigen Thema der Regeneration wurde, lässt sich auch mit dem Luzerner Ignaz P.V. Troxler zeigen, einem weiteren Staatsrechtswissenschaftler mit radikalem Hintergrund.656 In seiner bereits 1820 publizierten religiös-naturrechtlichen 'Philosophischen Rechtslehre der Natur und des Gesetzes' vertrat Troxler einen nationalistischen Ansatz in dem Sinne, als die Staatsform dann legitim sei, wenn sie aus der Nation abgleitet werden könne.657

652

Z u m Verhältnis des Liberalen Keller zum Radikalen Snell vgl. His 1929: 152 ff.; HANSJÖRG SEILER 1 9 9 4 : 4 1 6 .

653 654 655 656 657

156

SNELL 1 8 5 7 : 2 1 6 . Z u S n e l l v g l . OECHSLl 1 8 7 5 - 1 9 1 2 ; GARZONI 1 9 5 2 : 1 2 5 f f . SNELL 1 8 5 7 : 2 3 3 f. SNELL 1 8 5 7 : 2 1 6 .

Zu Troxer vgl. His 1929: 156 ff. und 192 ff. TROXLER

1820:189.

Eine gesetzgebende Gewalt im engeren Sinne lehnte Troxler ab. Es gebe lediglich eine legislatorische Zusammenfassung der Nation, die sich mit Rücksicht auf Evolution und Repräsentation zusammensetze und allein die durch Vernunft erkannten, aus göttlicher Quelle stammenden Rechte in irdische Gesetze Überfuhre.658 Ausfuhrliche Behandlung erfuhr auch bei Troxler die exekutive Gewalt, die es in ihrer Tendenz zu stets grösserer Machtfulle zu bändigen galt: „Keine Gewalt bedarf mehr des Zügels, als die vollziehende, doch darf sie nicht entkräftet, oder anderen einzelnen Staatsgewalten unterworfen werden. ... sie muss zum treuen Werkzeug der nationalen Kraft gemacht, und ins gehörige Verhältnis zu den übrigen gesetzt werden." 659 Diese Bändigung der Exekutive wollte Troxler dadurch erreichen, dass er die Minister analog zum englischen Recht der Verantwortlichkeit der Zivilgerichte unterstellte,660 während die Gerichte ihrerseits mehr dem Naturrecht als dem Gesetz unterworfen wurden und insofern eine Art Verfassungsgerichtsbarkeit ausüben sollten.661 Beispiel der Zürcherischen Regenerationsverfassung

von 1831

Damit lässt sich bereits erkennen, dass sich mit der liberal geprägten Regeneration in der Schweiz politische und rechtstheoretische Kontextbedingungen vorfanden, welche die Behandlung des kooperativen Staats im Privatrecht begünstigten.662 In der Tat stand die zivilrechtliche Ausbildung des Vertrags zwischen Staat und Privaten im grösseren Zusammenhang einer Praxis, die sich im Zuge der liberalen Verfassungen der Regenerationszeit feststellen lässt: nämlich ausgewählte Kommunikationen der Staatsverwaltung durch Privatrecht einzugrenzen und mit Hilfe der ordentlichen Gerichte zu stabilisieren, wobei die Unabhängigkeit der Zivilgerichte von Politik und Verwaltung im Zentrum des Interesses stand.663 Dies lasst sich

TROXLER 1 8 2 0 : 1 5 4 ff. TROXLER 1 8 2 0 :

160.

TROXLER 1820: 1 6 1 , 1 7 2 . TROXLER 1 8 2 0 : 1 6 2 ff.

S i e h e hierzu BECK 1945; HAUSER 1981.

Hierzu m. w. H. HlS 1929: 328 ff. Dies gilt ebenfalls bereits für die Württembergische Verfassung vom 25. September 1819, nach welcher der gerichtliche Schutz der Bürger durch die ordentlichen Zivilgerichte unter der Leitung der Fiskaltheorie erfolgt. So findet sich in § 95 eine gerichtliche Absicherung gegen Vermögensschaden: „Keinem Bürger, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einem besonderen Titel beruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verschlossen werden." Hierzu FLEINER 1 9 1 3 : 4 2 f. Z u m G a n z e n vgl. a u c h GIACOMETTI 1 9 2 4 : S. 6 ff.; RHINOW 1 9 7 9 : 5 f.

157

besonders deutlich am Beispiel der Zürcher Staatsverfassung vom 10. März 1831 und der davon abgeleiteten Gesetzgebung erkennen: Im Rahmen der Zürcher Staatsverfassung vom 10. März 1831664 ist neben Art. 57, der die Beurteilung von Amtsvergehen in die Kompetenz der Gerichte legte, insbesondere Art. 10 von zentraler Bedeutung: „Die Befugnis, Streitiges zu entscheiden und Straffälle zu beurteilen, kommt ausschliesslich den ordentlichen Gerichten zu; weder die gesetzgebende noch die vollziehende Gewalt dürfen richterliche Verrichtungen ausüben. Vorbehalten [... ist u. a.] dasjenige, was die Verfassung hinsichtlich der Streitigkeiten im Verwaltungsfache festsetzt; das Gesetz wird zwischen den Verwaltungsund Zivilstreitigkeiten eine genaue Ausscheidung treffen und das bei Behandlung der ersteren zu beobachtende Verfahren bestimmen." Dieser Art. 10 richtete sich direkt gegen den insbesondere durch Regierung und Verwaltung herrschenden alten Absolutismus und stellte diesem das Recht, verkörpert durch die unabhängigen Zivilgerichte, entgegen. Hungerbühler wies entsprechend mit den Protokollen der Verfassungskommission nach, dass nach deren Meinung die Trennung der Justiz von der Administration als unerlässliche Bedingung wahrer Freiheit und der öffentlichen Wohlfahrt galt.665 Die von Art. 10 verlangte Abgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungssachen wurde im Gesetz über die Streitigkeiten im Verwaltungsfache vom 23. Juni 1831 ausgeführt. 666 In dessen Einleitung wurde folgende ratio legis festgeschrieben: „In Gemässheit des Art. 10 der Staatsverfassung, nach welchem die Befugnis, Streitiges zu entscheiden, in der Regel den Gerichten zusteht, jedoch ausnahmsweise diejenigen Streitigkeiten, welche sich unmittelbar in dem Wirkungskreise der Regierung und der Verwaltungsbehörden überhaupt bei Ausübung ihrer Verwaltungsbefugnisse zu erheben pflegen, zu besonderer Behandlung an die Verwaltungsbehörden gewiesen sind .. ," 667 So unterstellte etwa das Gesetz die Streitigkeiten um erworbene Rechte den Zivilgerichten. Gleiches gilt für die Frage, ob beim Zivilgericht überhaupt ein einklag-

664 665

666 667

158

Offizielle Sammlung des Kantons Zürich 1 (1831) 1. HUNGERBÜHLER 1919: 114, mit Verweisen auf das Protokoll der Verfassungskommission des Grossen Rates, 13. Sitzung vom 22. Januar 1831. Ebenso PAUL SPEISER 1889a: 128. Offizielle Sammlung des Kantons Zürich 1 (1831) 239. Einleitung zum Gesetz über die Streitigkeiten im Verwaltungsfache: Offizielle Sammlung des Kantons Zürich 1 (1831) 239.

bares Recht bestehe. Folgende ratio legis lässt sich aus dem Kommissionsbericht erkennen: „Die Kommission ging davon aus, dass Streitigkeiten über erworbene Rechte und rechtliche Persönlichkeit vor den Richter gehören, hingegen Streitigkeiten über Anordnung vor die Regierung. Bei den Streitigkeiten, die ausnahmsweise vor die Verwaltungsbehörden gelangen, ist die Veranlassung zum Streite die, dass der eine sagt, regiere so und der andere so; der Streit entsteht durch die ausgesprochene Ausübung der Regierungsbefugnis". 668 Dieses Zitat lässt also deutlich die Absicht erkennen, die Kontrolle der Verwaltung in Zürich - im Gegensatz zu Frankreich, das diese Aufgabe dem immer noch mehr verwaltungsinternen als verwaltungsunabhängigen Conseil d'Etat übertragen hatte - weitgehend den unabhängigen Zivilgerichten zu übertragen und nur „ausnahmsweise [in] ausgesprochener Ausübung der Regierungsbefugnis" der Verwaltung.669 Im Resultat wurde damit - im Gefolge rechtstheoretischer Wegbereitung durch die deutsche Lehre670 - die neue liberale gegen die alte autokratische Ordnung abgesichert, die sich extensiver Interpretation von Polizeiordnungen zur Ausweitung ihres Machtbereiches bedient hatte.671 An der französischen Ausprägung der Fiskustheorie zeigte sich bereits, welche zentrale Bedeutung allerdings der konkreten Ausgestaltung der Zuständigkeitstrennung in der Praxis zukam. § 3 des züricherischen Gesetzes über die Streitigkeiten im Verwaltungsfache unterschied zwischen Verwaltungsstreitigkeiten und „einfachen" Verwaltungs- oder Rekurssachen. Diese Unterscheidung hätte wiederum in einem weiteren Gesetz genauer vorgenommen werden sollen, das jedoch nie erlassen wurde. Damit oblag noch über die Wende zum 20. Jahrhundert hinaus die Unterscheidung der Gerichtspraxis, umso mehr, als sich das Gesetz zur Scheidung von Verwaltungs- und Zivilsachen auf die Nennung einzelner Beispiele beschränkte. Die Gerichte folgten hierbei der vom Gesetz festgelegten Regel, dass im Zweifelsfall die

Ausführungen von L. Keller, Redaktor des Gesetzes, in den Beratungen des Grossen Rates, zitiert nach HUNGERBÜHLER 1919: 116. Hungerbühler untersuchte den Kommissionsbereicht, als notabene die Trennung von Verwaltungs- und Zivilsachen ein weiteres Mal im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses stand. Zur Diskussion um die Verwaltungsgerichtsbarkeit im letzten Viertel des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts siehe Kap. III.D.2.d): 348. S o auch HUNGERBÜHLER 1919: 116.

Hierzu oben Kap. II.C.2.a): 121. Vgl. insbesondere MITTERMAIER 1821; FEUERBACH 1821, II. V g l . bereits SNELL 1857: 2 1 6 ; im R ü c k b l i c k PAUL SPEISER 1889a: 128 f.

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Streitsache den Zivilgerichten zuzuweisen sei und erlangten somit im Gegensatz zu Frankreich die Deutungshoheit über die Frage der Abgrenzung. 672 Dies ist wohl primär durch das erwähnte institutionelle Arrangement zu erklären, ergibt sich aber auch aus der liberalen Gesinnung des politischen Diskurses jener Zeit, die sich schliesslich im schweizerischen Bundesstaat von 1848 durchsetzte: Die Verwaltung wurde nicht mehr als zentrale Instanz des souveränen Nationalstaats gesehen, die in autoritärer Weise ohne Rücksicht auf die Selbstregelungsprozesse der Gesellschaft allgemeine Glückseligkeit herstellen solle und hierzu über das 'Menschenmaterial' 673 in uneingeschränkter Weise verfugen konnte. Und darüber hinaus hatten die Ereignisse der Französischen Revolution gezeigt, dass nicht nur königlich-absolutistische Souveränität in ein autoritäres Regime umschlagen kann. In diesem Sinn wurden nun nicht nur die Grenzen der Verwaltung gegenüber den Selbstorganisationsprozessen der Gesellschaft betont, sondern im Recht wurden Verhältnisse zwischen Staat und Privaten mit Hilfe der Fiskustheorie als Rechtsverhältnisse rekonstruiert, in welchen eine gewisse Gleichgeordnetheit der Bürger gegenüber dem Staat zum Ausdruck kam.674 Dies lässt sich auch daran erkennen, dass der Zürcher Regierungsrat als Exekutivbehörde675 die Verwaltungsstreitigkeit im Jahre 1840 folgendermassen definierte: Eine durch die Zivilgerichte zu beurteilende Verwaltungsstreitigkeit bestehe, wenn sich ... „... eine Mehrheit und eine Minderheit irgend einer Korporation, oder überhaupt zwei miteinander auf gleicher Linie stehende oder durch das Gesetz hierin einander gleichgestellte Parteien als Kläger und Beklagter gegenüberstehen."676

So selbst noch im Entscheid des Obergerichts in ZR V Nr. 214 (1906): 354 f. Ähnlich stellte sich auch die Situation in Basel dar: P A U L SPEISER 1889a: 122 f. Zu ähnlichen Situationen in zahlreichen anderen Kantonen vgl. VERHANDLUNGEN DES SCHWEIZERISCHEN JURISTENVEREINS 1 8 8 9 .

Zu diesem Begriff siehe bei Fn. 395: 98. Siehe die bereits erläuterte Position von Snell: oben bei Fn. 652: 156. Nach Art. 57 der Verfassung beurteilte der Regierungsrat in letzter Instanz die an ihn gezogenen Streitigkeiten im Verwaltungsfache. Jahresbericht des Regierungsrats von 1840: 5 f.

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b)

Langsame Abkehr von der Fiskuslehre im jungen Bundesstaat Abkehr von der Fiskuslehre unter Anleitung der Politik

Die institutionelle Abkehr von der Fiskuslehre leitete im Jahr 1874 Neuenburg mit dem Art. 3 des Loi sur l'organisation judiciaire du 13 juillet 1874 ein, nach welchem den Zivilgerichten die Interpretation von Fiskalsachen nicht zustand.677 Materiell vertrat allerdings zum Beispiel das Zürcher Obergericht noch über die Wende zum 20. Jahrhundert hinaus die Fiskustheorie. So wurde etwa noch in ZR V Nr. 214 (1906) eine Streitigkeit über den Sold aus Staatsdienst ohne Diskussion mit Hinweis auf die - angeblich herrschende - Lehre und Rechtsprechung dem Zivilgericht zugewiesen, ohne dass, so das Gericht explizit, darauf einzutreten sei, ob es sich um einen öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Anspruch handle. An dieser letzten Aussage zeigt sich allerdings bereits, dass die Zuständigkeit zu jener Zeit nicht mehr als völlig unproblematisch wahrgenommen wurde. Im Vergleich zu Deutschland und Frankreich war die institutionelle Abkehr von der Fiskuslehre in der Schweiz geprägt durch das Fehlen einer um die Verwaltung bemühten Rechtswissenschaft einerseits und durch die Inexistenz eines Äquivalentes zum Conseil d'Etat andererseits. Die frühe Abkehr von der Fiskustheorie vollzog sich in der Schweiz vielmehr in pragmatischer Weise aufgrund politisch gesetzter Themen. So lässt sich diese Abkehr in der Schweiz weniger an den Rechten der Beamten,678 als vielmehr zuerst im Bereich des Eisenbahnbaus erkennen. In diesem hatte die Verwaltung insbesondere aus finanziellen Gründen früh die Kooperation mit Privaten gesucht. Bald wurden diese Kooperationen aber von der Politik zu einer immer umfassenderen Verantwortung gedrängt.679 Diese Tendenz wurde - mehr themenbezogen denn systematisch - auch in der Rechtswissenschaft nachvollzogen. Die oft als Vertrag umschriebenen Vereinbarungen zwischen der Verwaltung und den Betreibern der Eisenbahnen 680 wurden

S i e h e h i e r z u VERHANDLUNGEN DES SCHWEIZERISCHEN JURISTENVEREINS 1 8 8 9 : 6 1 7 f.

Vgl. immerhin ESCHER 1903: 85; FLEINER 1923: 26. Ein solcher Abbau von Rechten wäre denn auch gegen das grosse Projekt des Aufbaus einer professionellen Verwaltung gelaufen: hierzu HlS 1939: 448 ff. Hierzu am Beispiel des Kantons Zürich m. w. H. auf die Ratsprotokolle RASTER 2003: 21 f. Insbesondere Bluntschli plädierte dafür, die Eisenbahn als Staatsaufgabe zu betrachten: hierzu m. w. H. RASTER 2003: 27 f. MEILI 1888: 22. So etwa der jüngst wieder zur Sprache gekommene berühmte GotthardVertrag: vgl. hierzu die Botschaft des Bundesrathes zum revidirten Bundesgesetz über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 16. Juni 1871, BB1. 1871 II 647, v. a. 655. 161

zwar im Gutachten Rüttimann im Jahr 1870 noch als privatrechtliche Verträge qualifiziert.681 Bereits Gustav Vogt (1829-1901) hatte jedoch darauf gedrängt, dass der Staat aufgrund der zentralen gesellschaftlichen Bedeutung der Eisenbahnen nicht allein die finanzielle Last auf Private abwälzen könne, sondern dem Staat vielmehr eine Gesamtverantwortung zukomme, sodass man nicht eigentlich von Privatbahnen reden könne. 682 In der Folge verstärkte das Gesetz von 1872 die politische Kontrolle über die Eisenbahnen, und auch in der Rechtswissenschaft setzte sich die Meinung durch, dass die Eisenbahnkonzession im Wesentlichen einen hoheitlichen Akt unter der Regie des öffentlichen Rechts darstelle.683 Schliesslich wurde 1897 eine spezielle gesetzliche Grundlage für den Rückkauf wichtiger Eisenbahnen geschaffen, 684 und vor dem Hintergrund von Rückkaufsklauseln in den Konzessionsvereinbarungen und dem ebenfalls zur Verfügung stehenden Enteignungsverfahren konnte die Bundesverwaltung, unter tatkräftiger Unterstützung durch das Bundesgericht, zahlreiche Bahnen dazu bringen, formellen Verfahren vor Bundesverwaltung und vor Bundesgericht durch Verträge und Vergleiche zuvorzukommen.685

1870: 25 ff. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob derartige Verträge das Eisenbahngesetz des Bundes von 1852 inkorporierten, somit das damals festgelegte System der Privatbahnen in sich trugen und damit eine neue Legiferierung verhinderten: BG über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Gebiete der Eidgenossenschaft vom 28. Juli 1852 (AS III 170). Hierzu m. w. H. PRÊTRE 2002: 74 ff. Hierzu auch trativ die Botschaft des Bundesrathes zum revidirten Bundesgesetz über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 16. Juni 1871, BB1. 1871 II 647, v. a. 655: „Noch viel weniger können wir der ganz willkürlichen Behauptung, dass der bezeichnete Privatvertrag erstlich aus der Konzessionsakte und zweitens aus dem Bundesgesetze vom 28. Juli 1852 bestehe, zustimmen." V O G T 1 8 5 9 : 1 4 und 1 7 f. und 22 ff.; dagegen stellt sich RÜTTIMANN 1 8 7 0 : 23 ff.; RÜTTIMANN

BLUMER/MOREL 1 8 7 7 - 8 7 , II: 7 0 ff.

So die Gutachten C A R R A R D / H E U S L E R / H I L T Y 1 8 7 7 sowie H U B E R / L A B A N D 1 9 0 0 . Ebenso die wissenschaftlichen Darstellungen von M E I L I 1 8 8 8 und O S C A R SEILER 1 8 8 8 : 2 4 ff. Bundesgesetz betreffend die Erwerbung und den Betrieb von Eisenbahnen für Rechnung des Bundes vom 15. Oktober 1897, AS 16 553. Dessen Art. 1 lautete: „Der Bund wird diejenigen schweizerischen Eisenbahnen, welche wegen ihrer volkswirtschaftlichen oder militärischen Bedeutung den Interessen der Eidgenossenschaft oder eines grösseren Teiles derselben dienen und deren Erwerbung ohne unverhältnismässige Opfer erreichbar ist, für sich erwerben und ... betreiben." Noch im Jahr 1888 war die finanzielle Gefahr für den Bund bei einem Rückkauf, gerade infolge der fehlenden gesetzlichen Grundlagen, als zu hoch eingestuft worden: VON SALIS 1 8 9 1 - 1 8 9 3 , Bd. 1: N 3 0 . Vgl. hierzu BURCKHARDT/VON SALIS 1930-1932, Bd. 5: N 3130 ff.; zum Ganzen auch RASTER 2003.

162

Stellung des Bundesgerichts zur

Fiskustheorie

Exemplarisch lässt sich diese Bewegung - von der auf die ordentlichen Gerichte aufbauenden Fiskustheorie zu einer vermehrten Zuweisung zum öffentlichen Recht und damit zum verwaltungsinternen Rechtsmittelverfahren - im jungen Bundesstaat und vor allem in der frühen Rechtsprechung des Bundesgerichts verfolgen. Die liberale Bundesverfassung von 1848 war im Wesentlichen noch den liberalen Vorbildern der Regenerationszeit gefolgt. Von Interesse ist insbesondere Art. 101 als Ausfluss der Fiskustheorie, nach welchem das Bundesgericht als Zivilgericht ab einem bestimmten Streitwert über Zivilrechtsstreitigkeiten zwischen Bund und Privaten urteilen sollte.686 Mit der Bundesverfassung von 1874 wurde diese Kompetenz des Bundesgerichts auf zivilrechtliche Streitfälle zwischen Kantonen und privaten Parteien ausgedehnt.687 Der verwaltungsrechtliche Instanzenzug gestaltete sich demgegenüber als verwaltungsinternes Verfahren. 688 In diesem Institutionenarrangement und unter Einfluss einer liberalen Staatstheorie unterstellte das Bundesgericht689 bis zur Wende zum 20. Jahrhundert zahlreiche Streitigkeiten zwischen Verwaltung und Privaten der zivilgerichtlichen Beurteilung, und es bemühte in der Tat zuweilen die Figur des Vertrags, um die Rechte und Pflichten der sich gegenüberstehenden Verwaltung einerseits und privaten Parteien andererseits rechtlich zu erfassen. Analysiert man die frühen Urteile des Bundesgerichts, so zeigt sich allerdings ein komplexes Bild, aus welchem sich nicht immer gradlinige Evolutionen einzelner Doktrinen herauslesen lassen. Entsprechend ist sich auch die Wissenschaft nicht einig, wie diese erste Zeit bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu interpretieren sei: -

Einerseits wurde verschiedentlich angeführt, dass in den ersten Jahrzehnten der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und bis zur Einführung einer unab-

So auch Art. 47 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 5. Juni 1849 (AS I 65, BB1. 1848 II 261), Art. 47. Art. 110 BV 1874. Das Bundesgericht beurteilt u. a. Streitigkeiten „... 2. zwischen dem Bunde einerseits und Korporationen oder Privaten andererseits, wenn der Streitgegenstand eine durch die Bundesgesetzgebung zu bestimmende Bedeutung hat, und wenn diese Korporationen oder Privaten Kläger sind; ... 4. zwischen den Kantonen einerseits und Korporationen oder Privaten andererseits, wenn der Streitgegenstand von einer durch die Bundesgesetzgebung zu bestimmenden Bedeutung ist und eine Partei es verlangt." Vgl. für die Situation unter der BV 1874 vor allem Art. 113 Abs. 2 und Art. 85 Ziff. 12. Eingesetzt wurde das Bundesgericht bereits mit dem Bundesgesetz vom 5. Juni 1849 über die Organisation der Bundesrechtspflege (AS I 65; BB1. 1849 II 261). Zu einem ständigen Gerichtshof wurde es aber erst mit der Bundesverfassung von 1874 und dem entsprechenden Bundesgesetz von 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege (AS 1 136; BB1 1874 II 425).

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hängigen Bundesverwaltungsgerichtsbarkeit im Jahre 1929 der Begriff der Zivilstreitigkeit äusserst weit ausgelegt worden sei,690 womit die Fiskustheorie als direkter Vorläufer der unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheint und von dieser unmittelbar abgelöst würde.691 -

Andererseits wird zuweilen angeführt, das Bundesgericht habe seine inkonsistente und fehlerhafte Praxis, verwaltungsrechtliche Sachverhalte dem Zivilrecht zu unterstellen, bald korrigiert und in eine öffentlichrechtliche Dogmatik überfuhrt. Diese Kritik versteht die fiskustheoretische Praxis des Bundesgerichts als Hindernis für die Emergenz einer (verwaltungsinternen oder externen) verwaltungsrechtseigenen Rechtsprechung, und dieses Hindernis galt es zu überwinden. 692

Obwohl beide Aussagen bis zu einem gewissen Grad zutreffen, sind sie doch für den vorliegenden Gegenstand der Verträge zwischen Staat und Privaten zu relativieren, wobei drei Bereiche in der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu unterscheiden sind: Entscheidungen zu nichthoheitlichen Beziehungen zwischen und Privaten

Staatsverwaltung

Zum Ersten verursachten Beziehungen zwischen Verwaltung und Privaten, die nicht direkt vom hoheitlich anordnenden Staat ausgingen, dem Bundesgericht offensichtlich wenige Probleme. Das Bundesgericht wähnte sich hier auf festem zivilrechtlichem Boden: So stand zum Beispiel in BGE 16 425 (1890; Erben Scherer) eine sogenannte Amtsbürgschaft zur Beurteilung, mit welcher eine private Person gegenüber dem Staat für die getreue Amtsführung einer anderen Person gebürgt hatte. Konkret stellte sich die Frage, ob die Bürgschaft nur für die jeweilige Amtszeit gegolten habe und für jede neue Amtsperiode hätte erneuert werden müssen, oder ob sie von Beginn weg alle zukünftigen Amtsperioden umfasst habe. Das Bundesgericht nahm die Sache ohne weiteres als Zivilstreitigkeit an, beurteilte sie inhaltlich nach dem Solothurner Zivilgesetzbuch - ohne jede spezielle Referenz an die öffentliche

Mit der Volksabstimmung vom 23. Dezember 1914 wurde die verfassungsrechtliche Basis geschaffen (Art. 114 BV 1874) und mit dem Bundesgesetz über die Verwaltungs- und Disziplinarrechtspflege vom 11. Juni 1928 (AS 44 779) die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit verwirklicht. Insbesondere BIRCHMEIER 1950: 50; R H I N O W 1979: 6. So im Kern GIACOMETTI 1924.

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Funktion dieser Amtsbürgschaft - und entschied zugunsten der Amtsbürgin und gegen den Kanton. Ebenso qualifizierte das Bundesgericht in BGE 12 463 (1886; Bank in Wyl gegen Post) eine Schadenersatzklage gegen den „Postfiskus" infolge einer verloren gegangen Postsendung als „Kontraktsklage aus dem zwischen der Klägerin als Absenderin des abhanden gekommenen Poststückes einerseits und der Schweizerischen Postanstalt als Frachtführer andererseits abgeschlossenen Frachtgeschäfte" und nahm sie ohne weiteres als Zivilklage an die Hand.693 Dabei leitete das Bundesgericht die bejahte „kontraktliche Haftung" primär aus dem Bundesgesetz über das Postalregal von 1849 ab, das sich jedoch weder zur Rechtsnatur der Beziehung von Post und Privatpersonen noch zur gerichtlichen Zuständigkeit aussprach.694 Entscheidungen zur Konzession Zum Zweiten lehnte das Bundesgericht - entgegen der vorgängigen Fiskustheorie695 - die zivilrechtliche Konstruktion der Konzession von Beginn weg explizit ab und qualifizierte diese vielmehr als Institut des öffentlichen Rechts. Locus classicus bundesgerichtlicher Äusserungen zur Konzession waren Fälle zum bereits angetönten, insbesondere von der Politik besetzten Thema des Eisenbahnbaus und -betriebs. Im frühen Fall BGE 8 348 (1882; Nordostbahn) nahm das Bundesgericht sogleich klar Stellung: „Nun ist allerdings richtig, dass die der Klägerin erteilte Konzession ihrer Natur nach nicht als privatrechtlicher zweiseitiger Vertrag, sondern als ein hoheitlicher Akt der Staatsgewalt erscheint.. ," 696 Dieses klare Bekenntnis zu einer rein öffentlichrechtlichen Konstruktion könnte darin begründet liegen, dass im Bundesgesetz über die Organisation der Bundes-

BGE 12 463, 472 (1886; Bank in Wyl gegen Post). Vom 24. Mai und 2. Juni 1849: AS I 98 und BB1. 1849 II 102; BGE 12 463, 472 f. (1886; Bank in Wyl gegen Post). Zu erwähnen ist ferner der züricherische Fall ZR I Nr. 283 (1902). Hier war der Fall eines Vertrags zwischen einer Gemeinde und einem Privaten über die Übernahme einer Privatstrasse in den Gemeindebesitz zu beurteilen. Diese Streitigkeit wurde ohne weiteres dem Zivilgericht zur Beurteilung zugewiesen. Zu früheren Theorien zur Konzession siehe die Übersichten fur die Schweiz bei OSCAR SEILER 1 8 8 8 : 1 4 f f . s o w i e f u r D e u t s c h l a n d b e i MAYER 1 9 1 4 / 1 7 : 4 4 5 f.

BGE 8 348, 359 (1882; Nordostbahn); ferner BGE 8 362, 380 (1882; Suisse-Occidentale): „II est vrai qu'une concession n'apparaît pas, quant à sa nature, comme un contrat bilatéral de droit civil, mais comme un acte émanant de la souveraineté de l'Etat."; 18 454, 465 (1992; Jura-Simplonbahn).

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rechtspflege (OG) von 1874 (ebenso wie auch im OG von 1893 und 1911) Sachverhalte im Bezug auf den Bau und den Betrieb der Eisenbahn im Sinne einer Ausnahme vom verwaltungsinternen Beschwerdeweg dem Bundesgericht zur Beurteilung zugewiesen wurden. Es lag damit eine gesetzgeberische Stellungnahme vor, die auf die Rechtsnatur der Konzession als öffentliches Recht hindeutete.697 Dazu kommt, dass der zunächst privat betriebene Eisenbahnbau in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts zunehmend als öffentliche Aufgabe und als Identifikationspunkt des Nationalstaats erschien und anfangs des 20. Jahrhunderts in der Tat verstaatlicht wurde.698 Unter dem - mit Fortschritt und Technizität radikalisierten Gestaltungsdruck der Politik erschien somit dieses kooperative Verhältnis zwischen Staat und Privaten schon früh als öffentliches Recht, wobei vertragliche Konstruktionen explizit abgelehnt wurden. Allerdings - sobald die Konzession über den üblichen Rahmen, der kaum je von Gesetzen vorgegeben war,699 hinaus trat, fiel das Bundesgericht ins Privatrecht zurück. So ergänzte denn das Bundesgericht auch im soeben zitierten Fall Nordostbahn: „... allein eben so richtig ist, dass auch durch hoheitliche Akte der Staatsgewalt Privatrechte begründet werden können, sofern dieselben eben, wie das bei Ertheilung gewisser vermögensrechtlicher Privilegien der Fall ist, hierauf gerichtet und dazu geeignet sind."700 In casu widersprach das Bundesgericht dem vorinstanzlichen zürcherischen Obergericht und erkannte eine durch die Konzession auferlegte Steuerpflicht als Zivilsache, da es „nicht [um] eine unmittelbar aus dem Subjektionsverhältnisse der Klägerin gegenüber dem Staate infolge des staatlichen Hoheitsrechtes fliessende, öffent-

Vgl. jeweils die Art. 28 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 27. Juni 1874 (AS 1 136; BB1. 1874 II 425) und des OG vom 22. März 1893 (AS 13 455; BB1. 1893 I 1107). Auch das OG vom 8. Oktober 1911 (BB1. 1911 IV 287 ff.; AS 13 455) erweiterte die diesbezüglichen Befugnisse des Bundesgerichts nicht massgeblich. Das OG vom 5. Juni 1849 (BB1. 1849 II 261 ; AS I 65) hatte noch mit entsprechenden Generalklauseln darauf verwiesen, dass einzelne Bestimmungen in Verfassung oder Gesetz die Bundesgerichtsbarkeit anordnen könnten. So bereits die Forderung von OSCAR SEILER 1888: 7 ff. Umgesetzt 1903 mit dem Bundesgesetz betreffend die Erwerbung und den Betrieb von Eisenbahnen für Rechnung des Bundes und die Organisation der Verwaltung der schweizerischen Bundesbahnen vom 15. Oktober 1897 (AS 16 553). Angenommen mit Volksabstimmung vom 20. Februar 1898. Hierzu P R Ê T R E 2002: 109 ff.; R A S T E R 2003. Vgl. hierzu die Ausfuhrungen des Bundesgerichts in 18 454, 462 (Jura-Simplonbahn; 1992). BGE 8 348, 359 (1882; Nordostbahn).

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lich-rechtliche Verpflichtung" gehe. Folglich sei das Bundesgericht zur Beurteilung zuständig.701 Frühe Entscheidungen zum Staatsdienst im Einflussbereich

der

Fiskustheorie

Zum Dritten ist die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Staatsdienst in Betracht zu ziehen. In einem ersten Entscheid qualifizierte das Bundesgericht diesen als privatrechtlichen Vertrag.702 Zur gleichen Zeit sprach sich allerdings die Verwaltung unter Leitung des Bundesrats für eine rein öffentlichrechtliche Erfassung des Staatsdienstes aus. Zur Frage, ob die Beschlagnahmung einer noch nicht ausbezahlten Besoldung nach Zivilrecht und Zivilprozessrecht möglich sei, meinte der Bundesrat: „Die eidgenössischen Beamten und Angestellten sind vermöge der Form ihrer Wahl und vermöge ihrer Thätigkeit und Pflichten Organe des Bundes. Das Rechtsverhältnis, in dem sie zum Bunde stehen, gehört vermöge der Bundesverfassung und der organischen Gesetze der einzelnen Administrationszweige dem öffentlichen Rechte des Bundes an. Es ist daher auch die Pflicht des Bundes, sie für ihre Thätigkeit zu entschädigen, öffentlich-rechtlicher Natur ... Indes liegt es auch im Interesse des Bundes, das die eidgenössischen Beamten mit dem Gefühle der Sicherheit auf den Empfang ihres Gehaltes arbeiten können, und von diesem Gesichtspunkte aus ist auch die Analogie mit der Alimentation, welche in den Betreibungsgesetzen von der Pfändung oder Sequestration ausgenommen zu sein pflegt, als berechtigt anzuerkennen."703 Mit Art. 349 Abs. 1 des im Jahre 1881 verabschiedeten Obligationenrechts nahm selbst der Gesetzgeber zu dieser Frage Stellung, indem er die Beamten vom privatrechtlichen Dienstvertragsrecht ausnahm:

BGE 8 348, 359 f. (1882; Nordostbahn). Zu diesem Kontext siehe auch POLEDNA 1994: 2 9 ff. BGE 4 311, 321 f. (1878; Polari). Das Bundesgericht führte hierzu Folgendes aus: „Considerando che nel suo più moderno ed esteso sviluppo anche la dottrina accede al sistema che ammette, fra l'Amministrazione che nomina e la persona che viene eletta a un dato ufficio, sia poi pubblico, sia privato, la stipulazione - in via di libero consenso - di una vera convenzione, dalla quale scaturisce, e per una parte e per l'altra dei contraenti, in quanto concerni la durata dell' impiego e il relativo onorario, quella somma di diritti e di obblighi che la condizione del concorso per la nomina stessa avevano in precedenza stabilito." Vgl. den Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1877, BB1. 1878 II 463, 513 f.

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„Vorbehalten bleiben ... das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone für die öffentlichen Beamten und Angestellten .. ." 704 In der Folge fand das Bundesgericht bis zur Wende zum 20. Jahrhundert Schritt für Schritt zu einer öffentlichrechtlichen Erfassung des Staatsdienstes, wobei kaum je auf die ausfuhrlichen Erörterungen in der deutschen Rechtswissenschaft zu dieser Frage Bezug genommen wurde.705 Illustrativ fur den Weg zu einer öffentlichrechtlichen Konzeption ist insbesondere der Entscheid BGE 12 697 (1886; Ladame). Hier nahm das Bundesgericht zunächst eine grundsätzliche Abgrenzung des öffentlichrechtlichen vom privatrechtlichen Arbeitsverhältnis vor: Ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis zum Staat liege vor, wenn den ausgeübten Funktionen ein öffentlicher Charakter zukomme („... les fonctions ... sont revêtues d'un caractère public ..."), ein privatrechtliches dagegen, wenn der Staatsdienst in keinem Zusammenhang mit den spezifischen Zielen des Staats stehe („... se trouve en aucun rapport avec les buts spéciaux de l'Etat ..."). 706 In casu übe der oberste kantonale Tiefbaumeister - unter Berücksichtigung des öffentlichen Nutzens („service à l'usage public" 707 ) dieser Bauwerke und insbesondere ihrer Bedeutung als Kommunikationsmittel - ganz offensichtlich öffentliche Funktionen aus. Aus der Verbindung dieser öffentlichen Funktion und den Staatszwecken ergebe sich die Qualifikation des Dienstverhältnisses als ein öffentlichrechtliches.708 In Anschluss an die ständige Rechtsprechung fügte das Bundesgericht allerdings dieser Abgrenzung hinzu, dass selbst bei hoheitlichem Staatsdienst die Besoldung von Beginn weg (d. h. ab dem Zeitpunkt der Ernennung zum Staatsdiener) dem Privatrecht unterstehe und auf dem zivilgerichtlichen Weg bis vor Bundesgericht eingeklagt werden könne;709 auch wenn das Zivilgericht die Rechtmässigkeit einer

BB1. 1881 III 109, 179. Zu erwähnen ist zudem Art. 64 des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht von 1881: „1) Ueber die Ersatzpflicht fur Schaden, welche öffentliche Beamte oder Angestellte in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, können Bundes- oder Kantonalgesetze abweichende Bestimmungen aufstellen. 2) Für gewerbliche Verrichtungen öffentlicher Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Titels durch Kantonalgesetze nicht geändert werden.": BB1. 1881 III 109, 120. Vgl. aber bei Fn. 716: 170. BGE 12 697, 709 (1886; Ladame). Die Wortwahl des Bundesgerichts erinnert an die französische Figur des service publique: oben bei Fn. 448: 113. BGE 12 697, 709 (1886; Ladame): „Les fonctions de l'ingénieur cantonal sont ainsi dans une connexion intime avec la mission et le but de l'Etat, et se caractérisent comme éminemment publiques : le devoir de les exercer n'est pas une obligation contractuelle de droit civil, mais une obligation de droit public..." BGE 9 208, 212 (1883; Fragnière); 13 342, 347 f. (1887; Vogt); 13 526, 535 f. (1887; Lambelet).

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Entlassung gemäss öffentlichem Recht zu berücksichtigen habe, blieben die Entschädigung im Allgemeinen sowie die Folgen einer unrechtmässigen Entlassung im Besonderen zivilrechtlicher Natur.710 In einer erneuten Wendung innerhalb der gleichen Urteilserwägungen wurde allerdings zugleich wieder massgeblich relativiert: So betonte das Bundesgericht, dass dem privatrechtlichen Aspekt des Staatsdienstes nur untergeordnete Bedeutung zukomme und dass dieser Anspruch nicht vertragsrechtlicher Art sei. 7 " Entsprechend schlage eine gesetzeskonforme Entlassung aus dem Beamtenstatus direkt auf die Besoldung durch, was aufgrund der öffentlichrechtlichen Natur der Entlassung nicht vor unabhängigen Zivilgerichten (und damit mangels Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kantonen und Bund überhaupt nicht gerichtlich) anfechtbar sei. Eine Zivilklage auf Lohnfortzahlung ziele folglich ins Leere.712 Obwohl das Bundesgericht während einiger weiterer Jahre den Zivilgerichtsweg für die Überprüfung des Soldanspruchs offen Hess, kann mit diesem Entscheid BGE 12 697, 709 (1886; Ladame) eine Tendenz des Bundesgerichts ausgemacht werden, Vermögenswerte Ansprüche der Beamten vom Zivilrecht und der Zivilgerichtsbarkeit zu lösen und diesen Anspruch stärker dem öffentlichen Recht und der Verwaltungsrechtsprechung zu überantworten. Entscheidungen

zum Staatsdienst nach 1900: Ablösung von der

Fiskustheorie

Gegen die Jahrhundertwende ging das Bundesgericht schliesslich zu einer rein öffentlichrechtlichen Beurteilung des Staatsdienstes über. Wer in einem öffentlichrechtlichen Beamtenverhältnis stehe, könne den Besoldungsanspruch nicht mit privatrechtlicher Kontraktsklage geltend machen, womit das Bundesgericht in dieser Frage nicht zuständig sei.713

BGE 13 526, 535 f. (1887; Lambelet); 9 208, 212 (1883; Fragnière); 16 435, 447 (1890; Laskowski); 20 686, 693 f. (1894; Riva e Albrizzi). Dem entspricht, dass das Zürcher Obergericht noch im Entscheid ZR V Nr. 214 (1906) eine Streitigkeit über den Sold aus Staatsdienst als Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit betrachtete, ohne dass - so das Gericht darauf einzutreten sei, ob es sich um einen öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Anspruch handle. An der Wortwahl ist immerhin zu erkennen, dass die Abgrenzung kontingent geworden ist: ZR V Nr. 214 (1906): 354 f. BGE 12 697, 712 (1886; Ladame): „...le droit au traitement ne constitue qu'une prétention secondaire reposant, non point sur un contrat, mais sur la loi, d'où il résulte que l'expiration des fonctions, ensuite d'une cause prévue par la loi, doit entraîner la perte du traitement." Ob in casu trotz Anspruch auf Besoldung überhaupt ein Vertrag vorliege, wurde dagegen in BGE 16 435, 447 (1890; Laskowski) offen gelassen. BGE 12 697, 712 f. (1886; Ladame). BGE 24 939, 941 f. (1898; Lehrstelle am Töchterinstitut); anders aber wieder 25 II 1020, 1023 (1899; Lafitte); für eine öffentlichrechtliche Erfassung mit Elementen wohlerworbener Rechte dann wieder 46 I 143, 150 (1920; Wüthrich gegen Staat Bern).

169

Dass damit die Verwaltungsbeschwerde die Überprüfung der Verwaltung durch Zivilgerichte ablöste - notabene lange bevor die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit verwirklicht wurde - zeigt sich auch an der Argumentationsweise in einem zentralen Entscheid der Zürcher Gerichte: Im Entscheid ZR VI Nr. 169 (1907; Schadenersatz infolge verweigerter Baubewilligung) widersprach das Obergericht sowie das Kassationsgericht dem Bezirksgericht diametral: Nach der Meinung des Bezirksgerichtes kam es für die Frage, ob gerichtliche oder verwaltungsinterne Zuständigkeit vorliege, nicht auf die Rechtsnatur der Sache an. Den Zivilgerichten stünde gemäss § 1 des Gesetzes über die Streitigkeiten in Zivilsachen von 1831 und gemäss ständiger Rechtsprechung die Kompetenz zur Beurteilung von Streitsachen zwischen Verwaltung und Privaten zu, ausser das Gegenteil ergebe sich aus dem Gesetz. Eine solche Ausnahme liege nicht vor. 714 Das Obergericht und das Kassationsgericht vertraten dagegen (wider die traditionelle Rechtsprechung und mit Verweis unter anderem auf die Praxis in Preussen715) die Ansicht, das zürcherische Recht sehe nur eine Schadenersatzklage gegen den Beamten vor. Gegen die Willkür der Verwaltung sei der Bürger auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen.716 Damit wird deutlich, wie weit sich die Praxis der Gerichte um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert unter Druck des Gesetzgebers717, der Verwaltung718 und der Lehre719 von der ursprünglichen Fiskustheorie entfernt hatte, die als Prinzip alle vermögensrelevanten Beziehungen zwischen Staat und Privaten den Zivilgerichten hatte unterstellen wollen.720 In der Tat erhielt die Tendenz, kooperative Beziehungen zwischen Staat und Privaten durch öffentliches Recht zu

715 716 717 718 719

ZR VI Nr. 169: 272 f. Angesprochen ist damit die Ausnahmeliste gemäss § 2 des Gesetzes: Offizielle Sammlung des Kantons Zürich 1 (1831) 240. Siehe auch ZR IV Nr. 164 (1905): 256. Zur deutschen Lehre vgl. oben Kap. II.C.2.b): 128. ZR VI Nr. 169: 275 und 277. Vgl. z. B. Art. 349 Abs. 1 OR: oben bei Fn. 704: 168. Oben Fn. 703: 167. Vgl. zum Beispiel das Hauptreferat zu den Verhandlungen des schweizerischen Juristenvereins im Jahr 1889 zum Thema der Kompetenz der Gerichte in Verwaltungssachen: PAUL SPEISER 1 8 8 9 a : 1 2 3 u n d PAUL SPEISER 1 8 8 9 b .

720

170

Ganz generell wandte sich das Bundesgericht zunehmend von der Fiskustheorie ab: Auch wenn der Staat vom Privaten einen Geldbetrag einfordere, handelt es sich dann um öffentliches Recht, wenn eine „gesetzgeberische Anordnung kraft eines Hoheitsrechts [sie] zum Zwecke eines öffentlichen Werkes" in Frage steht: BGE 13 338, 341 (1887; Greandjean), ebenso im Resultat bereits BGE 4 380, 395 f. (1878; Finsterhennen). Anders nochmals BGE 34 II 145 (1908; Brunner gegen Post). Vgl. auch GIACOMETTI 1924: 3. Auch Hungerbühler stellte für das Ende des 19. Jahrhunderts in der Praxis der Gerichte eher eine Stärkung der Verwaltungsbeschwerde fest: HUNGERBÜHLER 1919.

erfassen, insbesondere nach dem erwähnten Art. 349 Abs. 1 des OR von 1881 starken Zuspruch in den kantonalen Kodifikationen, zum Beispiel im zürcherischen Einfuhrungsgesetz zum ZGB von 1911, nach welchem gegen alle Entscheidungen unterer Verwaltungsbehörden mit einer Beschwerde an die obere Verwaltungsbehörde und letztinstanzlich an den Regierungsrat rekurriert werden konnte.721 Entscheidungen zu wohlerworbenen

Rechten

Interessant ist nun, wie das Bundesgericht mit der Figur des wohlerworbenen Rechts umging. Das Bundesgericht Hess zunächst schon früh keine Zweifel daran, dass es derartige Ansprüche von Zivilpersonen gegen den Staat im Rahmen seiner zivilrechtlichen Zuständigkeit beurteilen würde.722 Das Bundesgericht wusste hierbei um die schwierige Frage, ob der Gesetzgeber nicht nur wohlerworbene Rechte aufheben, sondern auch (unter Einhaltung der vom Recht geforderten Formen) ganz allgemein sich einer Entschädigungspflicht entziehen könne. 723 In BGE 8 105 (1882; Haldimann) deutete es dies in einem obiter dictum an: „Es steht also [in casu] nicht in Frage, ob eine Entschädigungsforderung gegen den Staat dann mit Erfolg geltend gemacht werden kann, wenn durch einen Akt der Gesetzgebung wohlerworbene Vermögensrechte, ohne gleichzeitige Anerkennung einer Entschädigungspflicht des Fiskus, beseitigt werden, sondern es handelt sich bloss darum, ob in Folge des Gesetzes vom 4. Mai 1879 ein wohlerworbenes Recht des Klägers aufgehoben wurde; ist dies zu bejahen, so steht die Entschädigungspflicht des besagten Fiskus ... ohne weiteres fest." 724 In den kommenden Jahren musste das Bundesgericht diese Frage nicht lösen. Bemerkenswert ist jedoch, dass von einer zivilrechtlichen Beurteilung in den nachfolgenden Fällen BGE 20 686 (1894; Riva) und 24 1020 (1899; Lafitte) kaum mehr etwas übrig blieb, sondern abgesehen von der Feststellung der zivilgerichtlichen Zuständigkeit und dem Grundsatz des Entschädigungsanspruchs bei wohlerworbe-

721 722 723

724

Einführungsgesetz zum ZGB vom 2. April 1911, Offizielle Sammlung des Kantons Zürich 29(1911): 145. BGE 9 208, 212 (1883; Fragnière): „II est évident que l'Etat est lié par ces stipulations, et qu'il est soumis, en cas de litige à ce sujet, aux tribunaux compétents en matière civile." Jüngst zu dieser Frage aus aktueller Sicht WEBER-DÜRLER 2002: 299 ff., die entgegen der Rechtsfigur des wohlerworbenen Rechts für eine Abwägung von öffentlichen Interessen und privaten Interessen am Vertrauensschutz plädiert. BGE 8 105, 110 (1882; Haldimann). 171

nen Rechten die Fälle nach öffentlichem Recht gelöst wurden. 725 Bereits hier deutete sich somit die Übernahme des zivilrechtlichen Rechtskonzepts der wohlerworbenen Rechte ins öffentliche Recht an - also in dem Zeitpunkt, da es im Zuge der Ausdifferenzierung von nationalstaatlicher Politik und Verwaltungsrecht in grösserem Masse um den Abbau und Entzug von Rechten der Privaten ging, oder radikaler formuliert: als es um die verstärkte Politisierung von Gesellschaft und Recht ging.726 In dieser Sichtweise kam dem wohlerworbenen Recht die Funktion eines eigentlichen rechtlichen Abwehrkonzepts gegenüber übermässigen politischen Pressionen zu.727 4.

Zwischenfazit:

Aktualisierungen

a)

Fiskustheorie und Rechtsstaat

in der

Fiskustheorie versus

Rechtstheorie

Souveränitätstheorie

Aus dem erläuterten Kontext von liberaler Staatstheorie, Kritik an der modernen Verwaltung des Polizeistaats, der Evolution rechtlicher Institutionen sowie rechtseigener Pfadabhängigkeiten lassen sich wesentliche Bedingungen der Möglichkeit erkennen, dass Kooperationen zwischen Staat und Privaten im Recht vermehrt mit der Rechtsfigur des privatrechtlichen Vertrags abgebildet werden. Dabei kann diese Evolution des liberalen Staatskonzeptes und der entsprechenden Fiskustheorie in idealtypischer Weise der in Deutschland sich entfaltenden Staatstheorie hegelianischen Zuschnitts sowie der Praxis des französischen Conseil d'Etat gegenübergestellt werden, welche beide auf je eigene Art den totalen und souveränen Staat durch öffentliches Recht zu erfassen suchten und hiermit auch die schweizerische Situation gegen Ende des 19. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussten.728 Welche Selektionen in Politik, Recht und Gesellschaft erwiesen sich also für die Entstehung des privatrechtlichen Vertrags zwischen Staat und Privaten im liberal beeinflussten Kontext als konstitutiv?

BGE 20 686, 692 (1894; Riva) und 24 1020, 1023 f. (Lafitte; 1899). Diese These steht wohl gegen Rhinow (1979), der die öffentlichrechtliche Rekonstruktion mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit verbindet. V g l . R H I N O W 1 9 7 9 : 3 f.

Oben Kap. II.C.3.b): 161.

Emergenz von

Intermediären

Von Bedeutung ist zunächst, dass der Staat unter Anleitung der liberalen Staatstheorie nicht mehr als alleiniger übermächtiger Gestalter der Gesellschaft erschien, sondern auf wesentliche Funktionen für die liberale Gesellschaft verpflichtet wurde und neben sich sogenannte Intermediäre zuliess.729 Als Intermediäre wurden vor allem lokale politische Kooperationen wie Gemeinden, aber auch private Personen und Personenverbindungen oder staatlich-private Kooperationen bezeichnet, die Funktionen im Dienste der Allgemeinheit wahrnahmen oder zumindest indirekt von der nun ihrer Grenzen bewussten Staatsverwaltung zur Erfüllung von Staatsfunktionen beigezogen wurden. Die jüngere Forschung erklärt diese Emergenz der Intermediären vor allem mit dem Scheitern der liberalen Revolutionen zur Jahrhundertmitte in Deutschland und Frankreich, womit sich der Fokus liberaler Politik auf das Machbare verschob, nämlich auf die liberale Umbildung der Verwaltungsaufgaben auf lokaler Ebene und auf die entsprechende rechtliche Ausgestaltung.730 Unabhängige Zivilgerichtsbarkeit

als evolutionärer

Schritt

Parallel hierzu ist im Recht festzustellen, dass sich mit der Unabhängigkeit der Zivilgerichte in bestimmten zugelassenen Formen Staat und Private als Parteien in einem Rechtsstreit gegenüberstehen können und in diesem Rahmen beiden, Staat und auch Privaten, wechselseitige Rechte und Pflichten zukommen. Hiermit lässt sich bereits eine Verschiebung vom 'Gesetzesstaat' zu einer frühen Variation des Rechtsstaats erkennen, in welchem sich politische Kommunikation nicht lediglich in die Rechtsform kleidet, sondern politische Kommunikation mit der Überprüfung durch unabhängige Gerichte zusätzlich legitimiert werden kann. Dieser evolutionäre Schritt, der zeitgleich mit der Emergenz einer Dogmatik des Vertrags zwischen Staat und Privaten erfolgt, ist in Frankreich, Deutschland und der Schweiz jeweils unter verschiedenen Vorzeichen und mit unterschiedlichem Resultat vollzogen worden: -

Frankreich stand und steht noch heute aufgrund der mit der Revolution vollendeten Trennung von Zivilgerichten und Verwaltung auf dem festen Boden der Fiskustheorie,731 wobei allerdings zumindest für die ersten 50 Jahre nach der Revolution eine starke Tendenz dazu bestand, die Verwaltungshandlungen So im Ergebnis auch ERRASS 2010: 129. Oben bei Fn. 409: 102; JELLINGHAUS 2006: 163 ff. mit Verweis auf die Theorien von von Mohl, Gneist und von Stein. Vgl. oben Kap. Il.C.l.a): 108.

173

weitgehend den Zivilgerichten zu entziehen.732 Der Conseil d'Etat wurde zwar als gerichtsähnliche Instanz zur Überprüfung der Verwaltung eingesetzt, verfugte aber weder über eine umfassende Überprüfungskompetenz noch über Unabhängigkeit von der Politik. Letztlich bestimmte hier die Verwaltung selbst darüber, welche Fälle zur Überprüfung an die unabhängigen Gerichte gelangen sollten. Für diese Zeit lässt sich keine konsistente Doktrin zu Verträgen zwischen Staat und Verwaltung im öffentlichen Recht unter Anleitung des Conseil d'Etat erkennen. Und auch unter Anleitung der Zivilgerichte entwickelt sich keine konzise Doktrin zur entsprechenden Kontrolle von Verwaltungshandeln.733 Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Rechtswissenschaft (in bescheidenem Masse bei Chauveau und in verstärktem Masse bei Dareste) der Vorschlag geäussert, die Verwaltung mit Hilfe der Zivilgerichtsbarkeit einerseits und der analogen Anwendung von Privatrecht im Verwaltungsrecht andererseits besser zu legitimieren.734 In diesem Zusammenhang erschien denn in diesen rechtswissenschaftlich generierten Variationen auch der Vertrag wieder als rechtliche Figur zur Erfassung von Kooperationen zwischen Staat und Privaten, sowohl im Privat- wie auch im Verwaltungsrecht.735 Der Conseil d'Etat nahm diese Variationen allerdings erst viel später in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts und unter anderen Vorzeichen auf, worauf andernorts einzugehen ist.736 -

Das punktuelle Erscheinen der Fiskustheorie in Deutschland wird vor allem auf den Wegfall der gerichtlichen Überprüfung durch das Reichsgericht zurückgeführt. 737 In den Theorien von Gönner und später von Zachariä und Bluntschli zeigt sich in der Tat das Bedürfnis deutlich, die Verwaltung mangels besserer Alternative durch die Unterstellung unter die Zivilgerichtsbarkeit zu legitimieren und damit insbesondere den Staatsdienst als zentrale Form der Kooperation von Staat und Privaten zu stabilisieren. Der Vertrag als Form des öffentlichen Rechts wurde dagegen explizit abgelehnt.738

-

In der Schweiz beschäftigte sich die Rechtswissenschaft nicht vordringlich mit der rechtlichen Erfassung der Staatsverwaltung. In der Praxis hielt die Fiskustheorie aber spätestens mit den liberalen Verfassungen der Regenerationszeit

Kap. Il.C.l.a): 108. Vgl. Kap. I.D.2.e): 51. Oben Kap. II.C.l.c): 118. Vor allem DARESTE 1862.

Unten Kap. III: 197. Siehe hierzu SMEND 1911. Oben Kap. II.C.2.a): 121.

174

und insbesondere mit der liberalen Bundesverfassung von 1848 Einzug.739 Nachdem sich infolge der Helvetik die Gesetzesbindung der Verwaltung durchzusetzen vermocht hatte, konnten nun zumindest zum Teil hoheitliche Kommunikationen der Verwaltung durch die Zivilgerichte auf die Einhaltung der Gesetzesbindung überprüft werden. In diesem Kontext, für einen kurzen Moment in den ersten Jahren der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nach 1875, wurde der Staatsdienst ganz generell als zivilrechtlicher Vertrag qualifiziert, bevor dann sukzessive bis zur Jahrhundertwende die Fiskustheorie abgelöst wurde durch eine vermehrt öffentlichrechtliche Erfassung hoheitlicher Kommunikation der Verwaltung. Mindestens bis dahin diente die Fiskustheorie dem Bundesgericht unverkennbar dazu, das Verhältnis zwischen Staat und Privaten zumindest teilweise dem Machtbereich der Politik zu entziehen.740 Doppelte Funktion der

Fiskustheorie

Damit zeigt sich deutlich die doppelte Funktion der Fiskustheorie, die bestimmte Kommunikationen der Verwaltung der Überprüfung durch unabhängige Zivilgerichte und damit in der Regel auch der Anwendung von zivilrechtlichen Rechtsfiguren unterzog: einerseits ging es um die Zügelung der Verwaltung unter einer tendenziell liberalen Staatstheorie und andererseits ging es darum, mit Recht eine Legitimationsquelle für zumindest einen Teil der modernen Verwaltung bereitzustellen. Die Verwaltung wurde im Recht verdoppelt in einen öffentlichen Teil, der hoheitlich agierte und vom Marktmechanismus getrennt blieb, und einen fiskalischen Teil, in welchem die Verwaltung als gleichgerichteter Wirtschaftsteilnehmer auftreten konnte und damit die Vorbedingungen für die Teilnahme am Markt erfüllte. Denn gegen das Fachwissen der Verwaltung kommt nur, aber immerhin, der Unternehmer in seinem eigenen Tätigkeitsbereich an, in welchem er ebenfalls Fachwissen akkumulieren kann.741 In diesem Bereich konnte die Verwaltung zwar nicht mehr (oder zumindest nicht vollständig) durch das Gesetz legitimiert werden, denn Zum Ganzen oben Kap. II.C.2.a)121. Gerade im Entscheid Ladame, mit welchem das Bundesgericht einer vermehrt öffentlichrechtlichen Konstruktion des Staatsdienstes die Tore geöffiiet hatte, führte es gleichzeitig aus: „II est vrai, que les rapports des fonctionnaires avec l'Etat ne sont pas exclusivement de droit public, mais qu'ils présentent aussi un côté de droit privé, en ce sens que les réclamations pécuniaires des fonctionnaires, celles par exemple ayant trait au paiement du traitement attaché par la loi à leurs fonctions, appartiennent, ainsi que le Tribunal fédéral l'a déjà prononcé, au domaine du droit privé, puisqu'elles ont leur source dans l'intérêt privé des réclamants.": BGE 12 697, 710 (1886; Ladame). WEBER 1921-1922/1980: 129 f.

175

sie musste, um erfolgreich auf dem Markt auftreten zu können, freier agieren. Die Legitimation durch Gesetze wurde damit verringert, aber zugleich durch die Legitimationsmechanismen Markt und Zivilgerichte ersetzt. Re-Emergenz des Verwaltungsvertrags

im Privatrecht

Unter diesen Voraussetzungen vermochte der Vertrag zwischen Staat und Privaten wieder zu erscheinen, wenn auch zunächst nur unter zivilrechtlicher Schirmherrschaft. Und wie sich bereits anhand der Untersuchungen zum späten Polizeistaat deutlich gezeigt hat: Bestimmte Formen der Kooperationen zwischen Staat und Privaten wie zuvorderst der Staatsdienst konnten erst (wie Bluntschli es ausdrückte: mangels öffentlichrechtlicher Alternative) eine dauerhafte Stabilisierung erfahren mit privatrechtlichen Variationen, die vor allem unter dem Titel der Fiskustheorie den unabhängigen Zivilgerichten unterstellt wurden.742 Als entscheidend für die - zunächst verhaltene - Re-Emergenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten erscheint zudem neben der unmittelbaren Verfügbarkeit zivilrechtlicher Variationen und einem fehlenden Äquivalent im öffentlichen Recht der staatstheoretische Kontext: Soll sich die Verwaltungstätigkeit zufolge liberaler Staatstheorie auf ein (vor allem auf die selbstorganisatorischen Prozesse der Wirtschaft ausgerichtetes) Mindestmass von Sicherheit und Ordnung ausrichten, und steht der Staat nicht über diesen selbstorganisatorischen Ordnungen der Gesellschaft, sondern quasi neben ihnen, dann erweitert sich mit dieser verschärften Fragmentierung respektive Ausdifferenzierung der Gesellschaft in autonome Bereiche gleichzeitig auch die Notwendigkeit von Kooperation zwischen Staat und Privaten. Allerdings wurde sodann mit Darestes Rekonstruktion zivilrechtlicher Formen im Verwaltungsrecht von 1862 nicht - wie es zunächst den Anschein hat und von Dareste auch explizit angeführt wurde - der Siegeszug der Zivilgerichte und des Zivilrechts gegenüber dem öffentlichen Recht und der Verwaltung eingeleitet, sondern vielmehr steht Dareste am Anfang einer verwaltungsrechtseigenen Erfassung der Staatsverwaltung. Die Politik trachtete sozusagen danach, die Gesellschaft durch die Ausübung souveräner Macht zu gestalten und das Verwaltungsrecht tendierte spiegelbildlich zur Politik dazu, sich vom Zivilrecht zu lösen und die politi-

742

176

Siehe oben Kap. II: 95. Ähnlich auch die Schlussfolgerung von GlACOMETTI 1924: 14: Das Bundesgericht habe mit der Unterstellung unter Zivilrecht den Rechtsschutz der Beamten gewährleisten wollen.

sehe Macht nach eigenen Regeln in enger Koppelung mit Politik zu verfassen. 743 Fritz Fleiner (1867-1937) begründete dieses Grossprojekt der Verwaltungsrechtswissenschaft folgendermassen: „Die Rechtfertigung für diese Ausschaltung des Privatrechts liegt in der Tatsache, dass das Privatrecht von der Gleichberechtigung der Individuen ausgeht und zugeschnitten ist auf die Ausgleichung gleichberechtigter Einzelinteressen. Je weiter aber der Interessenkreis des Staats geworden ist, desto weniger hat die öffentliche Verwaltung ihre Geschäfte mit den Mitteln des Privatrechts besorgen können. Nur mit Hilfe herrschaftlicher, obrigkeitlicher Gewalt vermag sie die höchsten und letzten ihrer Aufgaben zu erfüllen. Sobald aber die öffentliche Verwaltung den Bürgern herrschaftlich, obrigkeitlich gegenübertritt, ist das auf Gleichordnung der Parteien gestimmte Zivilrecht unanwendbar. Es beginnt der Bereich des öffentlichen Rechts."744 b)

Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts und das Legitimationsdefizit im 'Gesetzesstaat' Unmöglichkeit vertraglicher Kooperation im öffentlichen

Recht

Obwohl in der deutschen Rechtswissenschaft die Auseinandersetzung mit der Lehre des souveränen Staats dominierte, zeigt sich am Rande des Diskurses, dass sich bei zahlreichen Rechtswissenschaftlern die Konzeption eines herrschaftsbezogenen Vertrags zwischen Staat und Privaten nicht nur aufgrund der Souveränitätslehre als undenkbar erwies, sondern die Unmöglichkeit, vertragliche Kooperation im öffentlichen Recht überhaupt zu denken (Mayer) auch in einem weiteren Zusammenhang von Gesellschaftskonzeption, Staatskonzeption und Legitimation staatlicher Macht zu sehen ist. Als bedeutender Faktor ist die insbesondere mit der Staatstheorie verschärfte Trennung von öffentlicher und privater Sphäre respektive öffentlichem Recht und Privatrecht zu sehen: Wie erwähnt wurde einerseits die Überprüfung von Verwaltungsakten als verwaltungsinterne Aufgabe angesehen und damit die Verwaltung aus dem Zugriff der Fiskustheorie und damit von unabhängigen Gerichten gelöst, und zudem wurde in Deutschland, im Kontrast zu den einflussreichen Vorschlägen

Die Staatsverwaltung ist in dieser Sicht jene Institution, „ . . . die v o m Volke als Lebenszweck des Einzelnen und der Gesamtheit anerkannte Entwicklung aller natürlichen Kräfte schützt und fordert": vgl. insbesondere VON MOHL 1872: 106. Vgl. die entsprechenden Auss a g e n v o n M A Y E R 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 1 2 1 ; GIACOMETTI 1 9 2 4 :

18.

FLEINER 1 9 1 3 : 4 3 .

177

von Dareste und Perriquet in Frankreich,745 die analoge Anwendung zivilrechtlicher Rechtsinstitute von zahlreichen Rechtswissenschaftlern grundsätzlich abgelehnt.746 Wenn die Verwaltung nun als ausführender Arm einer staatlichen Rationalität gesehen wurde, die sich - ausgerüstet mit aller notwendigen Macht - ganz auf die politische Zweckmässigkeit ausrichtete,747 und wenn die Zeitgenossen gleichzeitig die Gesetzgebung (wenn überhaupt) als die wesentliche zentrale Schranke der Verwaltung verstanden,748 dann hatte die Rechtsfigur des Vertrags im emergierenden deutschen Verwaltungsrecht in der Tat keinen Platz; der Vertrag, verstanden als traditionelle Rechtsform des Zivilrechts, hätte vielmehr die absolute Souveränität des Staats, die Politik als primäre gestaltende und einigende Kraft der Gesellschaft und das Konzept der Gesetzesbindung in Frage gestellt. Dies ist genauer zu erläutern: Staatstheorie hegelianischen

Zuschnitts

Die Staatstheorie hegelianischen Zuschnitts unterschied sich in folgenden Punkten massgeblich von der liberalen Staatstheorie: Letztere verpflichtete den Staat bis zu einem gewissen Grad auf Kerngehalte einer liberalen Gesellschaft, vor allem um die Selbstorganisationsprozesse der Gesellschaft, d. h. für jene Zeit vor allem: der Wirtschaft, zu beleben. Hegel lehnte liberale ebenso wie auch demokratische Staatstheorien ab, da diese die moderne Errungenschaft des souveränen und totalen Nationalstaats, der die fragmentierte Gesellschaft zu einigen hatte, in Frage stellen würde.749 Folglich können in der hegelianischen Staatstheorie, der in dieser Beziehung zahlreiche Rechtswissenschaftler bis hin zu Otto Mayer folgten, Gewalten und Geschäfte des Staats immer nur von diesem selbst ausgehen, was sogenannte

1862; PERRIQUET 1884. Siehe auch oben Kap. I I . C . 1 .c): 118. Grundlegend M A Y E R 1888: 26 ff., vor allem 42. In der Schweiz begann sich diese Staatstheorie gegenüber der Fiskustheorie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts durchzusetzen. Zum Beispiel bei Gierke wird die Verwaltung als „die innerhalb der Rechtsschranken nach Zweckmässigkeitsrücksichten sich vollziehende positive Lebensthätigkeit des staatlichen Gemeinwesens" bezeichnet: G I E R K E 1874: 187; ähnlich auch bei PERTHES 1838: 44 ff., vor allem 52 ff.; G E R B E R 1880: 4 Fn. 2. Für die Schweiz ebenso mit deutlichen Worten P A U L SPEISER 1889a: 124 f.; P A U L SPEISER 1889b: 542. Siehe oben bei Fn. 562 ff.: 136. Verfassungsurkunden des neuen Verfassungsstaates sehen entsprechend die Fürsten als Träger der Verwaltung vor, wobei eine gewisse Kontrolle durch die Gesetzgebung oder zumindest durch Minister erfolgte, die von den politischen Parteien gestellt wurden. Siehe für die Schweiz bereits P A U L SPEISER 1889b: 543; zudem die Übersicht bei FLEINER 1913: 227 f. Anstelle vieler sei auf folgende ausfuhrliche Darstellungen verwiesen: M A Y E R 1895/96: I: 53 ff.; vgl. auch die einflussreiche Schrift von DARESTE

JELLINEK 1 8 8 7 : 1 9 6 .

Oben Kap. II.C.2.b): 128.

178

intermediäre Instanzen neben dem Staat ebenso zurückdrängt wie Kooperationen von Staat und Privaten im traditionellen privatrechtlichen Sinn.750 Insgesamt konzentrierte sich der staatspolitische Diskurs zunächst weniger auf die Bändigung staatlicher Macht, die vor allem von der (in Deutschland durch den Fürsten geleiteten) Exekutive und Verwaltung ausging, sondern es ging primär um die Beteiligung des Volkes an der Staatsgewalt. Offen und variabel war dabei das Mass der Beteiligung. Die Legitimationsquelle fand die staatliche Macht folglich in der Form des Gesetzes, ohne zugleich der Überprüfung durch unabhängige Gerichte unterstellt zu werden, denn in diesem Gewaltenkonzept verletzt die Verwaltung die Rechte des Staatsbürgers dann, wenn sie - so Gerber - „nicht in Uebereinstimmung mit dem wahren Willen der Regierung" handle.751 Emergenz des modernen

Verwaltungsrechts

In diesem Kontext richtete sich diese auch im jungen schweizerischen Bundesstaat rezipierte752 Staatstheorie insbesondere auf die Verwirklichung einer professionellen und zentralisierten nationalstaatlichen Verwaltung aus, und sie wandte sich zugleich gegen die verschiedenenorts zur Anwendung gelangte Fiskustheorie.753 Diese hatte die herrschaftlich geprägten Kommunikationen zwischen Verwaltung und Unterworfenen wenigstens zum Teil dem exklusiven Zugriff der Staatsverwaltung entzogen und der legitimierenden Aufsicht der Zivilgerichte unterstellt, um gewisse Bereiche der Verwaltung durch privatrechtliche Institute zu stabilisieren und abzusichern. Die Leistungen des Rechts - insbesondere Stabilität und Legitimation für die öffentliche Sphäre - sollten nun allerdings gemäss der Forderung zahlreicher Rechtswissenschaftler von Hegel bis Otto Mayer ausschliesslich durch das öffentliche Recht erbracht werden; unter dem Druck der Souveränitätstheorie und mit einer spezifischen Variation der Theorie des Rechtsstaats drängte das öffentliche Recht zunehmend darauf, die politische Macht alleine zu verfassen, 754 und gleichzeitig

750

Zur Verdrängung intermediärer Gewalten durch die absolutistische Staatsidee siehe besonders pointiert mit einem Fokus auf eine kollektivistische Staatsidee BUDDEBERG 1925: 133 ff.

751

GERBER 1880: 208. Zum Ganzen oben Kap. II.C.2.b): 128.

752 753

Z . B . P A U L SPEISER 1 8 8 9 b : 5 4 3 .

Oben 97 ff. Hierzu vgl. vor allem die Übersicht zu den einzelnen Kantonen in den VERHANDLUNGEN

754

DES

SCHWEIZERISCHEN

JURISTENVEREINS

1889

sowie

PAUL

SPEISER

1889a; PAUL SPEISER 1889b. Oben Kap. II.C.2.b): 128.

179

verlangte die Politik, allein durch ein eng mit der Politik gekoppeltes Verwaltungsrecht rechtlich erfasst zu werden.755 Entsprechend sahen die Staatsrechtler denn auch den Grund für die Ablehnung der Fiskustheorie und die allein verwaltungsrechtliche Erfassung herrschaftlicher Beziehungen des Staats nicht darin, dass die unterworfenen Bürger im öffentlichen Recht besser gestellt gewesen wären. Grundrechte hatten sich ja noch nicht durchgehend von politischen Leitsätzen zu einklagbaren Rechten Einzelner gewandelt, 756 und ein Schutz durch unabhängige Verwaltungsinstanzen bahnte sich in Deutschland und Frankreich erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und in der Schweiz erst im Laufe des 20. Jahrhunderts an. Massgeblich war vielmehr die bereits in der Französischen Revolution angeführte Begründung, die Verwaltungsaufgabe des Staats könnte durch unabhängige Zivilgerichte und durch unabhängiges, durch Staatsinteressen nicht direkt beeinflussbares Zivilrecht behindert werden.757 Mit einer Variation der Staatstheorie, die sich mehr auf die Legitimation mittels Gesetzesform als durch das mittels unabhängiger Gerichtsbarkeit hervorgebrachte Recht stützte, erwies sich allerdings vertragliches Handeln der herrschaftlich kommunizierenden Verwaltung als unvereinbar: Vertragliches Handeln beinhaltet per definitionem, dass die Positionen nicht im Voraus fest bestimmt sind, den Parteien also ein Verhandlungsspielraum, sei er auch noch so minimal oder informell, zukommt. 758 Damit aber vermag das Gesetz nie alle Varianten einer zukünftigen Vertragsverhandlung vorwegzunehmen. Der Verwaltung verbliebe ein vom Gesetz ungedeckter Spielraum. Dieser Freiraum hätte zwar eine potenzielle Natur, d. h. die Verwaltung müsste den Freiraum nicht notwendigerweise ausnutzen, sie sähe ihn aber immer zu ihrer Verfugung und könnte ihn der von der Regierung vorgegebenen politischen Rationalität759 entsprechend einsetzen. Ein solcher Freiraum verlässt allerdings jene Variationen des Rechtsstaats, die jegliche Macht gegenüber dem Bürger durch die Unterwerfung unter das Gesetz zu bändigen und zu legitimieren suchen.

Hierzu sei beispielhaft an Art. 349 Abs. 1 des OR von 1881 (oben bei Fn. 704: 168), an den oben zitierten Bericht des Bundesrates von 1877 (Fn. 703 f.: 167) sowie die VERHANDLUNGEN DES SCHWEIZERISCHEN JURISTENVEREINS 1 8 8 9 e r i n n e r t .

Siehe oben Fn. 551: 134. Oben 139 ff. Diese Begründung findet sich z. B. noch bei JEZE 1913: 75. Dies zeigt sich exemplarisch bereits daran, dass das schweizerische Obligationenrecht von 1881 im Auftragsrecht entsprechend verschiedene Bestimmungen vorsieht, die dieses Problem angehen: vgl. etwa Art. 397 Abs. 1 OR (Art. 395 altOR) zur vorschriftsgemässen Ausfuhrung, Art. 400 OR (Art. 398 altOR) zur Pflicht der jederzeitigen Rechnungslegung: vgl. auch den K o m m e n t a r bei ALBERT SCHNEIDER/FICK 1893.

Zur politischen Rationalität der Verwaltung siehe oben Fn. 747: 178.

180

Legitimationsdefizit

des

Gesetzesstaats

Gerade aus diesem Grund forderte Bähr die Unterwerfung der Verwaltung unter die Kontrolle einer verwaltungsunabhängigen Gerichtsbarkeit und damit eine Erweiterung vom 'Gesetzesstaat' zum 'Rechtsstaat', wobei allerdings - gerade auch in der Schweiz - zunächst die verwaltungsinteme Beschwerde die Fiskustheorie abzulösen vermochte.760 Von Bedeutung ist dabei, dass die freiwillige Zustimmung des Vertragspartners das Legitimationsdefizit infolge fehlender Gesetzesbindung gegenüber diesem Vertragspartner zu reduzieren vermag. Hierauf wies auch Otto Mayer hin: „Handelt es sich nun darum, dass die Regierung einen Unterthanen verpflichten soll zu Dienstleistungen für den Staat, so ist das unter der Herrschaft jener verfassungsmässigen Zuständigkeitsregeln nur auf zweierlei Weise möglich: entweder sie muss ein Gesetz haben, welches sie ermächtigt, zu diesem Zwecke Zwang zu üben, oder sie muss in die Lage kommen, es thun zu können ohne Zwang, und in diese Lage setzt sie die freiwillige Unterwerfung des Betroffenen." 76 ' Ein Legitimationsdefizit gegenüber betroffenen Dritten vermag allerdings die Zustimmung im öffentlichen Recht nicht zu kompensieren - dies im Gegensatz zum privatrechtlichen Vertrag, der vor dem Hintergrund des disziplinierenden und zugleich legitimierenden selbststeuernden Marktmechanismus abgeschlossen wird. Darauf ist sogleich zurückzukommen.762 Wo dieser vergesellschaftende Marktmechanismus fehlt, sollte nach demokratischer Theorie vielmehr die Gesetzgebung durch ein weit in die Gesellschaft ausgreifendes Beteiligungsverfahren die notwendige Legitimation gegenüber betroffenen Dritten herstellen, was allein durch die Zustimmung des Vertragspartners nicht substituiert werden kann.763 Im Vergleich mit den bekämpften Theorien der Hoheitsrechte und der Fiskustheorie164 verschärfte sich auf diese Weise das Problem der Kooperation zwischen Staat und Privaten. Denn das öffentliche Recht konnte nicht nur infolge der nationalstaatObenFn. 560: 136. MAYER 1888: 38. Otto Mayer wendet sich allerdings dagegen, mit der Zustimmung zugleich einen Vertrag anzunehmen: 39 f. Unten Kap. II.D: 183. Darauf weist MAYER 1888: 27 mit allem Nachdruck selbst hin: „Der Staat kann Niemanden etwas befehlen, Niemanden eine Last auferlegen ohne Gesetz." Unter den Prämissen der Fiskaltheorie vermochte der Vertrag zumindest im Privatrecht wieder zu erscheinen. Hierzu oben Kap. I.B: 18. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde die privatrechtliche Ausprägung denn auch von den Gegnern der Fiskuslehre nicht mehr bestritten: vgl. PAUL SPEISER 1889a: 127.

181

lieh geprägten Souveränitätslehre, sondern auch aufgrund einer vornehmlich auf Gesetzesbindung fokussierten Lehre der Gewaltenteilung den kooperierenden Staat im öffentlichen Recht nicht dulden. Der herrschaftsbezogene Vertrag stellt per definitionem die Souveränität des Staats in Frage und verlässt die Bindung durch das Gesetz. Und die auf einseitige Befehlsmacht des Staats ausgerichteten Institutionen stellten zugleich kein Forum zur Verfügung, in welchem ein Projekt zwischen zwei aufeinander angewiesenen und in dem Sinne gleichgerichteten Parteien hätte durch eine neutrale Instanz stabilisiert werden können. Die relativ lange Verbannung des Vertrags zwischen Staat und Privaten aus dem Recht scheint insbesondere aus der Verbindung dieser Elemente begünstigt.

182

D.

Konstituierung des Binnenmarktes und der Begriff des Vertrags Unverträglichkeit von hoheitlichem Staat und Vertrag

Wie hatten sich im 19. Jahrhundert auf der gesellschaftlichen respektive auf der privatrechtlichen Seite die Möglichkeiten zur Kooperation des Staats mit Privaten entwickelt? Im rechtswissenschaftlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts wurde diese Frage kaum je thematisiert: Selbst unter der auf die Zivilgerichte fokussierten Fiskustheorie fristete der Vertrag zwischen Staat und Privaten ein Randdasein,765 und bei Beteiligung des hoheitlich kommunizierenden Staats wurden entsprechende Verträge grundsätzlich als unzulässig bezeichnet.766 Die Rechtswissenschaft des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts hatte jedoch die zugrunde liegenden Spannungen durchaus wahrgenommen, wenn der souverän gedachte Staat auf die privatrechtlich verankerte Institution des Vertrags zurückgriff Während Autoren wie Wolff noch versuchten, die zunehmend gegenläufigen Konzepte von staatlicher und selbstorganisierter Ordnungsbildung miteinander zu versöhnen, erklärten insbesondere Justi und Gönner die Institution des Vertrags für Beziehungen zwischen Staat und Privaten für untauglich. Damit wurde nicht nur die Rezeption des Vertrags in das sich neu formierende Staatsrecht abgelehnt, sondern dem Staat wurde zugleich der Zugang zum privatrechtlichen Vertrag weitgehend verwehrt. Als Grund für letzteres wurde die fehlende Gleichgeordnetheit der Vertragsparteien angegeben, womit im Wesentlichen das aus der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie stammende Element des Gleichgewichtes zwar aus dem Vertragsinhalt verabschiedet, aber neu auf die sich auf der Marktebene gegenüber stehenden Parteien angewandt wurde.767

Zum Ganzen oben Kap. II.C: 108. Oben Kap. II.C.2.b)ii): 139. Vgl. Kap. I.C: 24; besonders deutlich noch bei MAYER 1888: 40 und 42. Anhaltspunkt für diese Verschiebung vom Leistungsgleichgewicht zur Gleichgeordnetheit der Vertragsparteien lassen sich bereits in der Rechtspraxis des 18. Jahrhunderts finden, so etwa in Leus Sammlung des eidgenössischen Rechts: „[Es ist] anbei aber [zu] bemerken, dass die ... aus dem Fundament der Gleichheit und Ungleichheit entscheidende Fäll besser und sicherer aus dem Fundament der bei denen Contracten und Handlungen vorkommenden Betrügen, Fehlern, Irrthummen und dergleichen entscheiden werden könnind.": LEU 1727-1746, III: 246; zum Ganzen siehe die sorgfaltige Übersicht bei IMHOF 2000.

183

Gleichgeordnetheit

der

Vertragspartner

Im Rahmen der Fiskustheorie, die vor allem ab den Dreissigerjahren des 19. Jahrhunderts mit der liberalen Kritik am weit in die Gesellschaft ausgreifenden Staat zum Zuge kam, finden sich dagegen die Bedingungen der Möglichkeit, dass kooperative Beziehungen zwischen Staat und Privaten mit der Rechtsform des Vertrags erfasst werden. Dies gilt vor allem für die nicht hoheitlichen Kommunikationen des Staats, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von den Gegnern der Fiskustheorie zwar zunehmend einschränkend interpretiert, aber in ihrer privatrechtlichen Vertragsform nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt wurden. Dazu trug wohl auch bei, dass sich mittlerweile die Partizipation des Bürgertums an der Gesetzgebung mehr und mehr durchgesetzt hatte, womit - wie es Ogorek ausdrückt - die Frontpositionen von Staat versus Bürger abgebaut und das Feld für Kompromisse vorbereitet wurde. 768 Für die hoheitlich geprägten Verhältnisse wie die Bestellung zum Staatsdienst, die in der schweizerischen Ausprägung der Fiskustheorie vereinzelt ebenfalls als Vertrag verstanden wurden, forderte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die herrschende Lehre ebenso wie die Gesetzgebung und die Verwaltung jedoch zunehmend eine öffentlichrechtliche Erfassung sowie die Loslösung von einer zivilgerichtlichen Überprüfung. 769 In der Begründung, wieso der herrschaftlich kommunizierende Staat sich nicht des Vertrags bedienen kann, gingen die Rechtswissenschaftler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst nicht viel tiefer als ihre Vorgänger. Immerhin thematisierten sie nun eine gewisse Kontingenz in der Abgrenzung zwischen Staat- und Privatrecht. So wurde in aller Regel ohne weitere Begründung angeführt, es sei Privatrecht dort anzuwenden, wo der Staat das tue, was auch ein Privater tun könnte,770 wobei zugleich aus der Staatstheorie folgte, dass das Privatrecht den Staat infolge Ungleichgeordnetheit dann nicht erfassen könne, wenn er herrschaftlich agiere. Dass dieser Gedanke bei vielen Autoren mehr aus der Staatstheorie als aus der Privatrechtstheorie abgeleitet wurde, zeigt sich an folgender andernorts bereits erwähnten Aussage von Mayer: „[Die Einwilligung des Privaten] genügt aber nicht, damit um dieser Einwilligung willen der Eintritt in den Staatsdienst zum Vertrage werde. ... Als Grund gibt man übereinstimmend an, dass der Vertrag 'gleichberechtigte Kontrahenten, koordinirte [sie] Subjecte' voraussetze. Es ist nichts anderes als eine Folgerung aus dem das öffentliche Recht beherrschenden Grundsatze der allge-

OGOREK 1 9 8 8 : 4 0 1 .

Zum Ganzen siehe oben Kap. I1.C.3: 154. So explizit MAYER 1888: 35.

184

meinen einseitig bindenden Kraft des Staatswillens, welche hiermit gezogen wird."771 Gierke dagegen hatte etwas konkreter die privatrechtliche Institution des Vertrags vor Augen, wenn er die Unvereinbarkeit von Vertrag und öffentlichem Recht aus dem Grund des fehlenden „Nebeneinanderstehens freier Einzelwesen" feststellte: „[Es ist] zweifellos, dass im inneren Staatsrecht, welches die Zusammenfügung des einheitlichen Staatsganzen aus seinen Elementen ordnet, der durch das Nebeneinanderstehen freier Einzelwesen bedingte Vertragsbegriff keine Stelle haben kann; dass daher auch bei der Anstellung eines Beamten nur der Willensakt, durch welchen der Staat sich ein Organ schafft, nebst der entsprechenden Willensunterwerfung des Beamten publicistische Natur hat.. ,"772 Mit der sich verfestigenden Marktwirtschaft brachten die Juristen des 19. Jahrhunderts ihre Theorien jedoch nicht explizit in Verbindung. Die neue Wirtschaftsform und ihre zentralen Prinzipien wurden weniger bei den Juristen als bei den Nationalökonomen des 19. Jahrhunderts thematisiert.773 Erst Max Weber lieferte in seinem zentralen Werk zu Wirtschaft und Gesellschaft von 1921-25, sozusagen zum Abschluss des sogenannt langen 19. Jahrhunderts, ein umfassendes Modell der Ko-Evolution von Recht, Wirtschaft und Politik, das die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der Kooperationen zwischen Staat und Privaten thematisiert. Max Webers Modell der Ko-Evolution von Recht, Wirtschaft und Politik Auf Max Webers (1864-1920) Modell ist nun genauer einzugehen. Zunächst ist aber daran zu erinnern, dass eine auf das Gesetz ausgerichtete Staatstheorie dem Vertrag grundsätzlich unversöhnlich gegenübersteht; im Wesentlichen lässt sich der Vertrag nicht unter die legitimierende Hand des Gesetzes bringen. Und bei fehlender gesetzlicher Grundlage vermag die freiwillige Zustimmung des Vertragspartners zwar das Legitimationsdefizit gegenüber diesem konkreten Vertragspartner zu reduzieren, die Legitimation gegenüber betroffenen Dritten kann der auf Bilateralität ausgerichtete Vertrag aber immerhin - wie von der klassischen Ökonomie gezeigt wurde 774 - vor dem Hintergrund des selbststeuernden Marktmechanismus kompensieren, bei welchem sich die Kommunikationen der Vertragspartner

MAYER

1888:40 und 42.

GIERKE 1 8 7 4 :

194.

Z. B . BÖHMERT 1 8 5 8 ; A D A M SMITH

vgl. hierzu

HOFER 2 0 0 1 : 81

ff.

1776.

185

immer auf die zumindest vorgestellten Kommunikationen der anderen Marktteilnehmer ausrichten. Genau diese Zusammenhänge erschloss Max Weber. Denn damit ist die Marktwirtschaft als ein System angesprochen, das ausschliesslich durch Märkte, d. h. durch Angebot-Nachfrage-Beziehungen, geregelt und gesteuert wird. Dies setzt Geld als Kaufkraft auf dem Markt voraus und dass die Marktteilnehmer jeweils den höchst möglichen Gewinn erzielen wollen. Die Produktion hängt vom Preis ab, der den Profit des Produzenten darstellt. Preise sind zugleich Einkommen, mit welchen die Verteilung der Güter erreicht wird. Die Selbstregulierung unter Einbezug der zumindest vorgestellten Mitkonkurrenten besteht nun darin, dass alle Güter zum Verkauf auf dem Markt stehen und alles Einkommen aus Markttransaktionen entsteht; der Markt bestimmt somit über alle Wirtschaftsfaktoren, auch Arbeit und (gemäss reiner Lehre) Boden.775 Von zentraler Bedeutung ist nun, dass der Markt folglich nur dann eine Selbstregulierung hervorbringt, wenn ein 'sachliches' Nebeneinander der Menschen besteht, in welchem nur die zu handelnde Sache, jedoch nicht andere gesellschaftliche Faktoren wie Macht, Ansehen oder der Stand der handelnden Person auf den Preis einwirken. Darauf verwies unter anderen Gierke mit dem Ausdruck der 'nebeneinander stehenden freien Einzelwesen'. 776 Da sich in der freien Marktwirtschaft die Preise der Waren auf dem freien Markt bilden sollen, müssen Produzenten in der staatlich hergestellten und gesicherten777 Marktarena gegeneinander antreten. Folglich ist es konstitutiv für ein solches System, dass Wettbewerb möglich ist, dass Produzenten ihre wirtschaftlichen Konkurrenten unter Ausnutzung von Marktchancen absichtlich schädigen dürfen. 778

A D A M SMITH 1 7 7 6 / 1 9 9 3 : 9 f f .

Oben Fn. 771 und 772: 185. Darauf wies bereits Hegel mit Nachdruck hin: HEGEL 1820/1973: § 235 f.: Insbesondere schützt der Staat vor Betrug und stellt die notwendige polizeiliche Sicherheit im Warenaustausch her. Dies entspricht den Funktionen, die Christian Weiss bereits 1804 dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht zugewiesen hatte. Bei Privatrecht gehe es darum, die Bedingungen der Möglichkeiten aufzustellen, während das öffentliche Recht sich mit den Bedingungen der Wirklichkeit befasse und damit „das Recht der Menschen factisch dargestellt und gesichert werde ...": WEISS 1804: 7. Vgl. WEBER 1921-1922/1980: 383 ff., vor allem zur liberalen Forderung, alle alten Privilegien, d. h. alles Einkommen, das nicht aus Markttransaktionen herrührt, abzuschaffen; zur bürgerlichen Forderung nach 'freiem', d. h. nicht ständisch gebundenem Grundeigentum vgl. 416. Für die Max Webers Argumentation nachfolgenden Autoren seien anstelle vieler erwähnt: POLANYI 1 9 4 4 / 1 9 9 5 : 7 7 ff.; BRÜGGEMEIER 1 9 8 0 :

1993a: 4 4 8 ff.; AMSTUTZ 2 0 0 1 : 9 2 f.

186

14 ff. u n d 3 3 ff.; LUHMANN

In diesem sachlichen Nebeneinander des freien Marktes stabilisiert der Vertrag die Differenzen 779 zwischen zwei von ihrem sozialen Umfeld abstrahierten Parteien780 unter gleichzeitiger Indifferenz gegenüber Drittinteressen. Diese Isolierung des Menschen als homo oeconomicus und der gleichzeitige Fokus auf bilaterale Beziehungen sind für das Marktsystem konstitutiv: Die wirtschaftliche Transaktion, seit dem Ausschluss des aristotelischen Gleichgewichtserfordernisses in fast ungehinderter Weise direkt als Vertrag abgebildet durch das Recht, richtet sich nur auf die Beziehung zwischen zwei Marktteilnehmern aus. Dabei wird allerdings mit der wirtschaftlichen Transaktion wie erwähnt zugleich eine Vergesellschaftung derart hergestellt, als die Preisbildung im Hinblick auf viele reale oder vorgestellte Mitkonkurrenten geschieht.781 Es ist offensichtlich, dass der als souveräner Nationalstaat konzipierte Staat des 19. Jahrhunderts gerade nicht von seinen politischen Allmachtsansprüchen losgelöst gedacht werden kann. Darauf deuten Autoren wie Otto Mayer denn auch immer wieder hin, wenn sie diese Allmacht im Verwaltungsrecht abbilden.782 Und auf der anderen Seite entsteht aus den erwähnten Erfordernissen der Selbstregulierung durch den Marktmechanismus im Wesentlichen die Forderung an den Staat, nicht mit herrschaftlicher Gewalt als Akteur auf dem Markt aufzutreten. Er soll sich von der Marktsteuerung (vor allem durch Preissteuerung) zurückziehen und gleichzeitig die Marktsteuerung konstituieren783 sowie vor anderer Beeinflussung absichern, d. h. insbesondere keine Einkommen (zum Beispiel aus statusbezogenen Privilegien) zulassen, die nicht aus Einkünften durch Markttransaktionen kommen. In

So fasst bereits explizit HEGEL 1820/1973: § 73 das Wesen des Vertrags unter dem Titel: „Einheit und Differenz zweier Willen im Vertrag". HEGEL 1820/1973: § 237. Hegel weist auf „Ungenügen und Schwäche familiärer Bindungen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft und die Notwendigkeit einer Gesellschaftsund Sozialpolitik" hin. WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 382.

MAYER 1888: 38: „Wenn man so häufig sagen hört: der Staat kann Niemanden zum Eintritt in den Staatsdienst zwingen, der Staat bedarf der freiwilligen Unterwerfung, so ist das ungenau ausgedrückt: die Staatsgewalt kann Alles." Und andernorts MAYER 1888: 24: „Wenn das Rechtsverhältniss einmal begründet ist bedeutet das für den Staat nicht Rechte und Pflichten eines Contrahenten, sondern eine Erweiterung der Zuständigkeit der Behörde ..." Und die unrichtige Verwaltung dieser Zuständigkeit begründet wiederum nichts anderes als neue Zuständigkeiten des Staats. ObenFn. 777: 186.

187

diesem Sinne war für die Entstehung der Marktgesellschaft paradoxerweise die Mitwirkung ebenso wie die Enthaltsamkeit des Staats konstitutiv.784 Unter diesen Bedingungen erstaunt es nicht, dass einerseits selbst unter der Fiskustheorie die Staatshaftung im Vordergrund stand und der Vertrag zwischen Staat und Privaten eine Randexistenz fristete, und dass andererseits der hoheitliche kommunizierende Staat zunehmend aus dem Privatrecht verdrängt wurde. Die gesellschaftliche Funktion der Fiskustheorie kann denn auch primär darin gesehen werden, gesellschaftliche Prozesse der - vor allem wirtschaftlichen - Selbstorganisation durch die Eingrenzung staatlicher Macht zu ermöglichen. Zudem war - im Sinne eines Nebeneffekts - der dergestalt gebändigte Staat wieder vermehrt auf die Mitwirkung von Privaten angewiesen; sogenannte Intermediäre, die neben der eigentlichen Verwaltung zur Erfüllung staatlicher Funktionen hinzugezogen wurden, waren wieder geduldet und die alten Formen der wohlerworbenen Rechte sowie des Vertrags wurden zur rechtlichen Stabilisierung kooperativer Verhältnisse wieder vermehrt herangezogen.785

WEBER 1921-1922/1980: 383 ff. und 499 ff.; später werden diese Argumente insbesondere von Polanyi weitergeführt: POLANYI 1944/1957: 94 ff. Dahlmann machte bereits 1847 auf ein ähnliches Problem in der Ko-Evolution von Politik und Wissenschaft sowie Politik und Religion aufmerksam, ohne allerdings Gründe dafür anfügen zu können: DAHLMANN 1847: 274. Zu den Intermediären vgl. oben bei Kap. II.B.l: 97 sowie bei Fn. 627: 150 und Fn. 730: 173.

188

E.

Fazit: Das treibende Paradox des modernen Staats Drei praktische Probleme als Ausgangspunkt

Die Autoren des frühen Rechtsstaats waren sich des Paradoxes des Staats, der trotz aller postulierten Totalität und Souveränität dennoch auf die Kooperation mit anderen Gesellschaftsbereichen angewiesen ist, durchaus bewusst. Drei praktische Probleme standen dabei im Vordergrund: -

Zum Ersten war offensichtlich, dass entgegen anderslautender Staatstheorie selbst der allmächtige zentralisierte Staat mit Macht nicht alles erreichen kann: er ist insbesondere auf den guten Willen seiner Staatsdiener angewiesen. Dieser gute Wille lässt sich nicht erzwingen.

-

Zum Zweiten musste die Organisation staatlicher Macht gegenüber jenen Gesellschaftsbereichen abgesichert werden, die diese absolute und souveräne Macht hätten in Frage stellen könnten. Bei den Staatsdienern erschien, da der Markt samt seinem universellen Medium Geld immer weitere Bereiche der Gesellschaft zu erfassen vermochte, das im vormodernen Staat als Appropriation bekannte Problem in neuer Form und neuer Schärfe: Nach Max Weber steht dabei nichts weniger als die Errungenschaft des modernen Staats auf dem Spiel, denn mit der Appropriation zerfalle die politische zentralisierte Herrschaft in ein Bündel von Hoheitsrechten Einzelner, die sich über Änderungen in der Verwaltung, soweit diese Änderungen die Ämter überschneiden, gegenseitig verständigen müssten. Damit schwinde zugleich die 'sachliche' (d. h. auf die politischen Interessen der Herrschaft ausgerichtete und von Fachkenntnissen geleitete Ausführung) zugunsten einer individualistischen Wahrnehmung der Staatsfunktionen, die sich eng mit individuellen wirtschaftlichen Interessen oder individuellen politischen Ambitionen koppelt.786

-

Und zum Dritten Hess sich die von der Staatstheorie geforderte Souveränität und Hierarchisierung des Staats nicht in aller Konsequenz durchhalten. Die Folgen dieser Theorie in Form eines ausufernden Beamtenapparats wurden mit den Forderungen anderer Gesellschaftsbereiche konfrontiert, konkret: vor dem Hintergrund der entstehenden Marktwirtschaft und des erstarkten Liberalismus deutlicher Kritik ausgesetzt.

WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 5 9 9 f f .

189

Strategien zur Entfaltung des Paradoxes: ... Justizstaat Das Paradox des auf Kooperation angewiesenen souveränen Staats im Allgemeinen und die Bedenken gegenüber einem ausufernden Beamtenapparat im Speziellen wurden wie gesehen entschärft, als Kooperationsformen zwischen Staat und Privaten nicht mehr ausschliesslich hoheitsrechtlich und zentralistisch gedacht werden mussten, sondern die Ausübung von Staatsfunktionen auch an die selbstorganisierte Gesellschaft delegiert und durch Privatrecht erfasst werden konnte. Die Abgrenzungen blieben allerdings in den Konzeptionen des 19. Jahrhunderts diffus und kontingent. Die rechtswissenschaftlichen Vorbehalte gegenüber einer privatrechtlichen Erfassung vor allem unter der Fiskustheorie, mit welcher im Resultat die liberale Ordnung gegenüber der autokratischen Macht abgesichert wurde, waren beträchtlich. Immerhin, das Paradox wurde - zumindest in einem unbestrittenen Teilbereich auf Dauer erfolgreich entfaltet: Die Verwaltung wurde im Bereich unbestritten privatrechtlicher Kooperation mit Privaten erstens bei gleichzeitiger Erfüllung ihrer Funktionen von ihrer Aufgabe, die Gesellschaft zu einigen und zu allgemeiner Wohlfahrt zu fuhren, entlastet. Sie profitierte zweitens zugleich von den privatrechtlichen Legitimationsmechanismen des Marktes und eines als von der Macht unabhängig erscheinenden Rechts- und Gerichtssystems. Und drittens musste die Souveränität des politischen Staats zumindest so lange nicht in Frage gestellt werden, als keine herrschaftlichen Funktionen auf Dauer an die selbstorganisierte Gesellschaft übertragen wurden. ... Nationalethos und

Beamtenstand

Damit war allerdings nur ein Teil des staatlichen Kooperationsbedarfes rechtlich verfasst und legitimiert. Die Ausübung staatlich-herrschaftlicher Funktionen konnte derweil - insbesondere infolge der viel diskutierten Souveränitätslehre und vor dem Hintergrund der Lehre der Gesetzesbindung - in zunehmendem Mass nur staatsrechtlich gedacht werden. Die Fiskustheorie erwies sich in dieser Beziehung eher als kurzfristige, an die Emergenz des Liberalismus und den Kontext des emergierenden Marktsystems geknüpfte Erscheinung sowie als funktionales Äquivalent zur fehlenden Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei hat diese Erscheinung der Fiskustheorie allerdings bis heute ihre Spuren hinterlassen, sei es konkret in den heutigen Strukturen von Recht und Politik, sei es als zur Verfugung stehendes funktionales Äquivalent in Situatio190

nen, in welchen sich politische Macht der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzieht und doch in gewissen Bereichen auf ausserpolitische Stabilität und Legitimation angewiesen ist. Durchzusetzen vermochte sich allerdings vorerst vielmehr eine Staatstheorie, in welcher der Staat als eine unteilbare, die Gesellschaft einigende Macht und in diesem Sinne als absolut souverän und einheitlich erscheint. Das Paradox der Verwaltung, die sich als ausfuhrende Hand dieses allmächtigen und einheitlich gedachten Staats darstellt und doch gleichzeitig auf die Kooperation mit anderen Gesellschaftsbereichen angewiesen ist, wurde hierbei wie gesehen verdrängt: Gerade um die alte Ordnung des fragmentierten Staats mit seiner ausufernden Ämterappropriation zu überwinden, stellte im hoheitlichen Bereich die Verbeamtung der einzige Ort dar, an welchem sich der hoheitlich kommunizierende Staat auf eine Kooperation einliess, wobei allerdings diese Verbeamtung zugleich als einseitiger Akt des Staats erschien, während die Kooperationsbereitschaft und die Absicherung gegenüber wirtschaftlichen Versuchungen durch Nationalethos, respektive Bildung eines Berufsstandes mit spezifischem Beamtenethos erreicht werden sollte. Staatliche Macht wurde hier allenfalls in die Gesetzesform gefasst, nicht aber durch Recht erfasst und verfasst. ... vom Gesetzes- zum Rechtsstaat Der Rechtsstaat wurde verschiedentlich als Symbiose beschrieben, in welcher die Politik die notwendige Leistung des Rechts zur Stabilisierung des ausgebauten Machtapparates bezieht und dabei im Gegenzug das Recht von der Politik das Symbol der Gewalt erhält. Recht und Politik erscheinen als deckungsgleich und können somit die Fiktion erzeugen, dass die vom Staat ausgehende Rechtsmacht allumfassend ist. Hierfür werden die Rechtsstrukturen derart verändert, dass fortan jene Variationen im Recht, die an den Orten der strukturellen Kopplung Gesetzgebung und Verwaltungsverfahren gewonnen werden, immer dann selegiert werden, wenn sie den formellen Anforderungen des Rechts entsprechen. Recht wird in diesem Sinn von 'Ewig' auf 'Änderung' sowie von externen Geltungsreferenzen wie Gott oder Herrscher auf Positivierung und damit Selbstreferenz umgestellt.787 Das absolutistische, auf die Einheit und Allmächtigkeit des Staats fixierte Element dieser Symbiose erschien in der Theorie von Justi ebenso wie im französischen Institutionenarrangement infolge der Revolution: Recht geht im zentralisierten und souveränen Staat geradezu auf und verschwindet. Ein Anfang des darauf aufbauen-

LUHMANN 1993a: 416 ff.

191

den rechtsstaatlichen Elements der Symbiose kann sodann bei Gönner gesehen werden, der die verbleibenden Überschneidungen von Staat und Gesellschaft (d. h. vor allem: den Staatsdienst) mit der Form des Rechts zu stabilisieren suchte. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde sodann mit späteren Theorien getan, welche die Verwaltung an die Form des Gesetzes banden. Selbst wenn die Verwaltung in diesen rechtsstaatlichen Theorien durch die Bindung an das Gesetz in ihrer Machtausübung begrenzt werden sollte - diese Begrenzung blieb solange ein Prozess der ausschliesslichen Selbstbegrenzung politischer Prozesse mehr im Sinne eines demokratischen Gesetzesstaats als eines Rechtsstaats, als nicht eine verwaltungsunabhängige gerichtliche Instanz das Verwaltungshandeln nach ausschliesslich rechtlichen Kriterien prüfte. Denn der Regierungsfunktion verpflichtete, in die staatliche Hierarchie eingebettete Instanzen bleiben, auch wenn sie sich in die Form des Gesetzes kleiden müssen, respektive den Hut des Richters aufsetzen, letzten Endes der Ausrichtung auf die politische Rationalität (d. h. auf die Zweckmässigkeit des auf die Verwirklichung allgemeiner Wohlfahrt gerichteten politischen Handelns) verpflichtet. Dies zeigte sich anhand der Entwicklung des französischen Conseil d'Etat 788 und besonders deutlich in den Äusserungen von Dahlmann und Gerber,789 und hierauf wiesen insbesondere bereits Bähr und Gierke warnend hin.790 Legitimationsprobleme

der kooperierenden

Verwaltung

Die Frage der Gesetzesbindung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit erlangte vor diesem Hintergrund einen direkten Zusammenhang mit der Frage der kooperierenden Verwaltung. Denn wenn es diese kooperierende Verwaltung nicht gibt, weil es sie nicht geben darf, dann ist lediglich zu überprüfen, ob die Verwaltung in Übereinstimmung mit dem wahren Willen der Regierung als Empfängerin der gesetzlichen Legitimation handelt.791 Oder anders gewendet: Müsste der Verwaltung infolge der Eigenart kooperativen Verhaltens ein Spielraum ausserhalb der Bindung an den wahren Willen der Regierung und sogar ausserhalb der Bindung an das Gesetz zugestanden werden, so fiele die Verwaltung aus der Lehre der Gesetzesbindung heraus. Sie müsste, um in ihrer Machtanwendung weiterhin legitimiert zu werden, wie in der Fiskustheorie unabhängigen Gerichten unterstellt werden. 792

Oben Kap. Il.C.l.b): 114. Oben bei Fn. 591: 143 und 609: 147. Oben bei Fn. 560: 136 und 747: 178. S o GERBER 1 8 8 0 : 2 0 8 .

In diesem Sinne erweist sich die Analyse von Bähr als grundlegend: oben Fn. 558 f.: 136.

192

Diese Forderung nach unabhängiger Gerichtsbarkeit hätte zwar das Legitimitätsproblem des auf Kooperation angewiesenen Staats weitgehend zu lösen vermocht,793 kollidierte jedoch mit der stringenten Souveränitätslehre. Vorherrschend blieben gerade in Deutschland vielmehr Äusserungen wie jene von Otto Mayer, dass der Staat sich 'so viel als möglich' dem rechtsstaatlichen Prinzip unterwerfen soll, nämlich lediglich dort, wo 'sich das Handeln der Verwaltung durch Gesetz im Voraus bestimmen lässt'. Damit wurde das Paradox, in Ergänzung zur Berufung auf Nationalethos, weiterhin verdrängt: Selbst wenn es diese Kooperation des souveränen hoheitlichen Staats geben sollte, im Recht konnte es sie definitionsgemäss nicht geben, womit sie entsprechend in den rechtsfreien Raum verdrängt wurde. Der Verwaltung blieb somit gerade dort ein rechtsfreier Spielraum, wo sich der Einzelfall nicht mit dem Gesetz im Voraus bestimmen Hess.794 Fehlte entsprechend der Regierung respektive der Verwaltung die gesetzliche Grundlage zur Ausübung des Zwangs, konnte sie dieses Hindernis mit Hilfe der Einwilligung des Betroffenen überwinden.795 Damit eröffnete sich angesichts der fehlenden unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ein beachtlicher rechtsstaatsfreier Raum für die Verwaltung, zulasten der Gewaltenteilung und damit zulasten der selbstorganisierten Gesellschaft sowie zulasten indirekt betroffener Dritter. Allerdings, ein rechtsfreier Raum erweist sich offensichtlich dort als Problem mit praktischer Relevanz, wo es einer Stabilisierung und einer Absicherung durch Recht bedarf. Konkret musste der Staatsdiener, wenn er von ökonomischen Versuchungen fern gehalten werden sollte, glaubhafte Garantien erhalten. Und wenn der Staatsdiener nicht zum Dienst gezwungen werden sollte, weil sich guter Wille nicht erzwingen lässt, dann musste dem kooperativen Verhältnis von Staat und Staatsdiener eine der Kooperation entsprechende symbolhafte Form gegeben werden. Beides liess sich im stringent nach Hegels Staatsbegriff konstruierten Staatsrecht

Darauf weisen spätere Wissenschaftler, die für die Einfuhrung der unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit kämpften, unablässig hin: Vgl. unter vielen die entsprechenden Schriften von Fritz Fleiner: FLEINER 1921. MAYER 1888: 42; ebenso erscheint auch in den staatsrechtlichen Abhandlungen von Gerber aus dem Jahr 1880 der Vertrag nicht als mögliche Handlungsform der Verwaltung: GERBER 1880: 174 f. Als Beispiel für diese Auffassung kann etwa Seydels Bayerisches Staatsrecht von 1896 angeführt werden, nach welchem der Staat zur Ernennung zum Ehrenamt und zur Ernennung zum Berater keine gesetzliche Grundlage brauche: SEYDEL 1896 S. 668 Fn. 5. „... entweder muss sie [die Regierung] ein Gesetz haben, welches sie ermächtigt, zu diesem Zwecke Zwang zu üben, oder sie muss in die Lage kommen, es thun zu können ohne Zwang, und in diese Lage setzt sie die freiwillige Unterwerfung des Betroffenen.": MAYER 1888: 38.

193

nicht erreichen. Darauf machte zum Beispiel Zachariä aufmerksam, der das Problem durch eine Trennung des Staatsdienstes in einen öffentlichrechtlichen Akt und einen privatrechtlichen Vertrag lösen wollte.796 Einen Schritt weiter ging jener Lösungsansatz, der in der liberalen Regenerationszeit angedacht und der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Übereinstimmung mit einer stringenten Souveränitätslehre gebracht hatte, wie sich exemplarisch selbst beim monarchisch-konservativen Gerber und an der Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat zeigt.797 Hier wurden die aus dem Paradox resultierenden Spannungen ebenfalls nicht aus dem Recht verdrängt, sondern sie sollten - quasi als Synthese von Fiskustheorie und Souveränitätslehre - mit Recht gelöst werden. Von zentraler Bedeutung war dabei die Erkenntnis, dass die Stabilisierung des Staatsapparats und dessen Absicherung von wirtschaftlichen Einflüssen nur durch eine Überwindung respektive Ausnahme von staatlicher Macht zu erreichen ist.798 Konkret heisst dies, dass nicht jeder, der etwas für den Staat tut, Staatsbeamter sein muss,799 womit eine strikte Trennung von politisch verfasster Gesellschaft und selbstorganisierter wirtschaftlicher Gesellschaft aufgehoben wird, und der Staat nun auf Dienste der selbstorganisierten Gesellschaft zurückgreifen kann.800 Dabei blieb die konkrete Abgrenzung zwischen den zwei Bereichen zumeist in der Hand herrschaftlicher Macht; sie war Sache der Gesetzgebung oder lag, wie in Frankreich, vornehmlich in der Hand der Verwaltung. Auch war die Ausübung staatlicher Funktionen vom öffentlichen Recht zu regeln.801 Die rechtliche Stabilisierung erreichte nun beispielsweise Gerber durch einen Rückgriff auf vormodernes und privatrechtliches Gedankengut, indem er dem Beamten am Sold ein wohlerworbenes Recht zusprach. Die Idee einer vertragsrechtlichen Konstruktion im öffentlichen Recht lehnte er wie die Meisten zu jener Zeit jedoch strikte ab: Gerade die vormodernen vertragsrechtlichen Konzeptionen hätten den Staatsdiener - so Gerber - der Willkür des Herrschers ausgeliefert.802

796 797 798 799

800

Vgl. oben bei Fn. 506: 125. Zu Gerber siehe oben bei Fn. 603: 146; zum Conseil d'Etat oben Kap. II.C: 108. GERBER 1 8 8 0 : 1 1 9 f. GERBER 1 8 8 0 : 1 1 4 .

Somit lehnte Gerber die Konzeption des absoluten souveränen Staats, nach welcher alle Aufgaben der Staatsgewalt von Staatsbeamten ausgeführt werden müssten, explizit ab und anerkannte entsprechend intermediäre Institutionen, die ausserhalb der Staatsverwaltung Aufgaben der Staatsgewalt unter dem Titel der Selbstorganisation der Gesellschaft erbring e n : GERBER 1 8 8 0 : 1 1 1 F n . 2 .

801 802

194

GERBER 1 8 8 0 : 1 1 4 F n . 11. GERBER 1 8 8 0 : 1 1 3 F n . 7.

Theoretisches

Modell

Mit einem theoretischen Beobachtungspunkt in der Tradition von Max Weber lässt sich diese dargestellte Evolution thesenartig als folgendes Modell formulieren: Zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts kann von einer Selbständigkeit des politischen Diskurses gesprochen werden. Diese Selbständigkeit war durch die Loslösung von Religion und Recht ermöglicht und infolge von Absolutismus und Revolution erlangt worden. In dieser Selbständigkeit war nun die Tendenz des politischen Diskurses zu erkennen, sich unter der Leitung des Souveränitätsbegriffes vor direkten Umwelteinflüssen abzuschotten. Der zur Verwaltung dieser gesellschaftseinigenden absoluten souveränen Macht nötige Apparat Hess sich allerdings nicht ohne Kooperation mit anderen Gesellschaftsbereichen auf Dauer stabilisieren.803 Die Evolution des politischen und öffentlichrechtlichen Diskurses des 19. Jahrhunderts ist denn auch geprägt einerseits vom Bestreben, die gewonnene Selbstreferenz der Politik aufrecht zu erhalten und andererseits unter Ausnutzung struktureller Kopplungen zur Gesellschaft die notwendige Stabilität zu finden. Der Begriff der Legitimität erweist sich in diesem Kontext aus Sicht der Politik als ein Morphogen für jene Kommunikationen, die sich nach der Unterscheidung Macht und Ohnmacht strukturieren; d. h. die Legitimation dient quasi als Leuchtturm, um machtbezogene Kommunikationen in eine bestimmte Positionen gegenüber dem Innen, der Politik, einerseits und dem Aussen, der Gesellschaft, andererseits zu bringen. Die Legitimation verpflichtet gewissermassen die politische Kommunikation darauf, eine Form einzunehmen, durch welche politische Macht gegenüber der Gesellschaft zumindest zu einem gewissen Mass gerade nicht als solche erscheint, womit die Selbstständigkeit der Politik gegenüber aussersystemischen Pressionen (und dabei insbesondere gegenüber wirtschaftlicher Korruption) besonders wirkungsvoll immunisiert werden kann. Dies lässt sich da nur unter Anschluss an strukturelle Kopplungen mit der Gesellschaft erreichen, denn zahlrei-

Cormenin (1788-1866) drückte diese Erkenntnis in seinem wegweisenden Droit Administratif von 1840 folgendermassen aus: „La dictature monstrueuse de la Convention, les pouvoirs illimités de ses représentants dans les départements et aux armées ... ont été des moyens formidables pour détruire l'ancien régime ; ils ne vaudraient rien pour organiser avec permanence, même un régime républicain ": CORMENIN 1840: vol. I, XVI.

195

che Philosophen bis hin zu Habermas haben gezeigt, dass Macht sich nicht ohne Gesellschaftsbezug, nicht ohne ein ausserpolitisches Element legitimieren lässt. 804 Für das Recht dagegen erweist sich die Legitimation als Gradmesser für den Bedarf der Politik nach stabilisierendem Recht - womit Recht seinerseits von neuem Rechtsmaterial profitieren kann. Die historische Lösung des Gesetzes als strukturelle Kopplung zwischen Politik und Recht vermochte zwar die aus dem Absolutismus in das Kleid des Rechts gegossene absolute Herrschaft mit Legitimität zu versorgen (zunächst mehr durch das demokratische Beteiligungsverfahren als durch rechtliche Verfahren), erwies sich allerdings für jene Bereiche als problematisch, in welchen der Staat selbst mit seiner absoluten Souveränität und Macht nicht über die notwendigen gesellschaftlichen Ressourcen verfügte und darum auf Kooperation angewiesen war. Dieses Legitimationsdefizit verschärfte sich mit der Loslösung von den Zivilgerichten - ebenso im Zuge der Französischen Revolution wie später mit der Ablösung der Fiskustheorie, was letztlich die Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags als alternativer Legitimationsmechanismus wieder begünstigte.805

Zum Begriff der Legitimation vgl. HABERMAS 1992. So beschreibt denn bereits Twysden (1597-1672) die lex terra des Kapitels 39 der Magna Carta mit folgenden Worten: „Law of the land [means] nothing else but those immunities the subject halth ever enjoyed as his owne right ... they are allowed him by the law of the land, which the king alone can not at his owne will alter, and therefore can not take them from him ...": Zitiert nach MCILWAIN 1939: 117. Zur Metapher des Morphogens siehe siehe die Zusammenfassung bei JIM SMITH 1996.

Zur Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Interventionsstaat siehe Kap. III: 197.

196

III. Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Interventionsstaat A.

Kontextbedingungen des verwaltungsrechtlichen Vertrags

1.

Parallelen und Divergenzen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz

Ein erster Blick auf die rechtsinternen Veränderungen im letzten Drittel des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zeigt, dass der Vertrag zwischen Staat und Privaten nicht nur im Privatrecht, sondern auch im öffentlichen Recht in Frankreich wieder Aufnahme fand und in Deutschland und der Schweiz zumindest zum Thema wurde. Dabei erschien der Vertrag zwischen Staat und Privaten innerhalb des jungen Verwaltungsrechts als Re-Entry: Das Verwaltungsrecht konstituierte sich gerade zu jener Zeit massgeblich durch die Unterscheidung vom Zivilrecht, und mit der Emergenz des Verwaltungsvertrags im Verwaltungsrecht wurde diese Unterscheidung von Verwaltungsrecht und Zivilrecht innerhalb des Verwaltungsrechts neu aufgebaut. Zugleich wurde im Zivilrecht die Vertragstheorie unter Einfluss der politischen Grossprojekte Binnenmarkt und Kodifikation, die sich freilich aufeinander bezogen, auf die wirtschaftliche Rationalität fokussiert. 806 Durch welche Kontextanforderungen der gesellschaftlichen Umwelt wurde diese massgebliche und spannungsgeladene Veränderung im Recht angestossen? Die ReEmergenz des Vertrags im Verwaltungsrecht gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich sowie die entsprechenden Debatten um diesen Vertrag in Deutschland und der Schweiz (vor allem in Folge des Ersten Weltkrieges) liefen offensichtlich parallel mit den Veränderungen der Staatsverwaltung und mit der Ablösung der Verwaltung von der Überprüfung durch die Zivilgerichte mittels Fiskustheorie. Die Bedeutung der entsprechenden Wechselbeziehungen, die sogleich im Detail zu erläutern und zu untersuchen sein werden, hatte sich bereits mit der Kooperation zwischen Staat und Privaten im souveränen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts

Typisch ist Savigny, der seine Definition von Vertrag ganz auf das Beispiel des Kaufes ausrichtet: SAVIGNY 1 8 4 0 - 1 8 4 8 / 1 9 7 3 , III: 308; ebenso WINDSCHEID 1 8 6 2 - 1 8 7 0 , III: 158 Fn. 7. Gegen dieses Vertragsverständnis wandte sich Schlossmann, der die Möglichkeit des Einbezugs aller wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen ins Vertragsrecht forderte und die Beschränkung auf positive Vorgaben ablehnte: SCHLOSSMANN 1876: 284. Die Ausrichtung auf Obligationen, verstanden als einklagbare, wirtschaftlich interpretierte Leistungen bleibt aber vorherrschend: für Deutschland vgl. zum Beispiel APELT 1920: 25 f. und für Frankreich siehe das auf Jeze aufbauende Werk von LAUBADERE 1956,1: N 8.

197

abgezeichnet.807 Dabei gilt es zu beachten, dass die im Prozess der Re-Emergenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten geschaffenen Variationen nicht Neuerschaffungen sind, sondern weitgehend Abwandlungen der bereits erläuterten vorangehenden Lösungen. Die derart neu geschaffenen Strukturen waren nun aber mit einem veränderten Staatsbild zu vereinbaren, das sich - im Gegensatz zum vormodernen fragmentierten Staat - erstens an eine umfassend gedachte nationalen Souveränität anpasste und das zweitens seine Kommunikationen auf die verschiedenen Bereiche der ausdifferenzierten und zunehmend zentrifugalen Kräften unterliegenden modernen Gesellschaft ausrichten musste. Neben diesen offensichtlichen Parallelen in der Evolution des Vertrags zwischen Staat und Privaten in Frankreich, Deutschland und der Schweiz werden allerdings mit einem zweiten Blick sogleich Divergenzen sichtbar: Der angesprochene ReEntry kam in Frankreich, Deutschland und der Schweiz je zu unterschiedlicher Zeit, mit je anderem Themenschwergewicht und mit einer je anderen Intensität zustande. Diese massgeblichen Unterschiede im Recht, die in diesem Kapitel zu untersuchen sein werden, finden ihre Kontexte primär in verschiedenen politischen Pfadabhängigkeiten und Ereignissen sowie in einer unterschiedlichen Evolution des Verwaltungsrechts von 1848 bis zum Zweiten Weltkrieg. Diesen Unterschieden und den jeweiligen Auswirkung auf das Recht kann nur in einzelnen, länderspezifischen Untersuchungen Rechnung getragen werden (unten Kap. III.B: 207 und nachfolgende). Zunächst ist allerdings im Überblick auf die gemeinsamen Kontextbedingungen einzugehen, die die erwähnten Strukturveränderungen rund um Verträge zwischen Staat und Privaten in Frankreich, Deutschland und der Schweiz begünstigt haben und das Recht bis heute massgeblich beeinflussen. 2.

Emergenz des

Interventionsstaates

a)

Vergesellschaftung durch Marktwirtschaft Technischer, wirtschaftlicher und sozialgesellschaftlicher

Innovationsschub

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in Deutschland und Frankreich mit der erfolglosen und in der Schweiz mit der erfolgreichen bürgerlichen Revolution begann,808 war gekennzeichnet durch einen technischen und sozialgesellschaftlichen Innovationsschub: Die Errungenschaften neuer Infrastrukturen im Transport (Ei-

Vgl. hierzu Kap. II: 95. Hierzu unten in den jeweiligen Untersuchungen: Kap. III.B.3: 216, Kap. III.C.2: 273 und Kap. III.D.2: 333.

198

sen- und Strassenbahn, Strassenbau sowie Abbau von Zöllen im Binnenmarkt) und im sanitären Bereich (Wasser, Beleuchtung, Abfallbewirtschaftung) 809 sowie der Ausbau und die Professionalisierung der Verwaltung810 begleiteten bedeutende Umschichtungen in der Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur, die durch eine Globalisierung nicht nur im Waren-, sondern auch im Arbeitsmarkt zwischen 1850 und dem Ersten Weltkrieg angestossen wurde. 8 " Volkseinkommen, Nettoinlandprodukt und Kapitalstock vervielfachten sich in dieser Zeit, wobei sich allerdings innerhalb der einzelnen Binnenmärkte die ungleiche Verteilung ökonomischer Güter verstärkte.812 Politische und rechtliche

Kontextbedingungen

Mit einiger Berechtigung bezeichnet Forsthoff unter Verweis auf Walther Burckhardt (1871-1939) das 19. Jahrhundert als das Jahrhundert des Provisorischen, denn nicht nur wurde die Politik aus der Feudalordnung herausgelöst und auf stetige Revolution - bis hin zur institutionalisierten Revolution in der Demokratie umgestellt, sondern auch das Individuum wurde aus der starren gesellschaftlichen Zuordnung heraus in die Multitude der Gesellschaft freigesetzt, 813 womit die Wirtschaft erst ihre moderne, höchst evolutionäre Form erhalten konnte.814 Mit der Beseitigung der Privilegien der Geburt und des Berufes infolge der Französischen Revolution war die Möglichkeit einer Sozialordnung geschaffen, in welcher sich Ungleichheit und Freiheit - beide als konstitutive Merkmale der Marktwirtschaft vereinigten. Die Ungleichheit in der Gesellschaft - als Vielfalt der individuellen und vor allem wirtschaftlichen Lebensgestaltungsmöglichkeiten - fand ein notwendiges Gegengewicht in der staatsbürgerlichen Gleichheit, und die gesellschaftliche Freiheit ihren Garanten in der staatlich monopolisierten strukturierten Macht.815 Insofern hatte die bereits mit Bodin formulierte Funktion der modernen Politik, die Einheit der Gesellschaft herzustellen und zu garantieren,816 ihre moderne Entsprechung und Form im Interventionsstaat gefunden, der die sich in ihrer Komplexität radikalisierende und zunehmend auseinanderdriftende Gesellschaft mit allen Mitteln zusammenzuhalten sucht. Dieser für die kooperierende Verwaltung zentrale

Hierzu jüngst JELLINGHAUS 2006. Hierzu grundlegend bereits WEBER 1921-1922/1980: 126 ff. und 541 ff. U n t e r v i e l e n WILLIAMSON 1 9 9 8 , m . w . H . B O U R G U I G N O N / M O R R I S S O N 2 0 0 2 ; v g l . a u c h STOLLEIS 1 9 8 9 : 1 3 0 m . w . H .

Hierzu oben Kap. II.B.l: 97. Im Kontext von Niederlassungsfreiheit und Marktwirtschaft z u d e m WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 2 1 6 . II.B.2 FORSTHOFF 1 9 7 1 : 1 4 f f . FORSTHOFF 1 9 7 1 : 2 1 f f .

Hierzu bereits Kap. 1.D.2.C): 41.

199

Zusammenhang ist mit Blick auf die Ko-Evolution von Wirtschaft, Politik und Recht genauer zu erläutern. Die zeitgenössischen Rechtswissenschaftler äusserten sich kaum je vertieft zum politischen und wirtschaftlichen Kontext jener Zeit. Dies gilt für die Zivilrechtswissenschaftler, die sich höchstens am Rande oder ausserhalb ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen etwa der Vertragsfreiheit befassten, 817 ebenso wie auch für die Verwaltungsrechtswissenschaftler, die sich im Wesentlichen nicht zur Emergenz jenes neuen Typs von Staatsorganisation und Verwaltung äusserten, den wir heute als Wohlfahrts- oder Interventionsstaat bezeichnen. Diese Selbstbeschränkung auf das 'rein' Juristische hängt eng mit einer Methodenlehre zusammen, die durch Selbstbeschränkung gerade dem Verwaltungsrecht überhaupt erst die Selbstständigkeit durch weitgehende Ablösung von politischen Pressionen ermöglichte. Darauf ist zurückzukommen. 818 Die Verbindungen der Marktwirtschaft und der zunehmend interventionistischen Staatsausrichtung wurden allerdings wiederum untersucht und beschrieben von Max Weber, der auch in regem Austausch mit Juristen wie Georg Jellinek gestanden hatte.819 Wechselseitige Beziehungen von Marktgesellschaft

und

Interventionsstaat

Der erwähnte Innovationsschub war zweifellos eng mit der Verwirklichung der Marktwirtschaft verknüpft, mit welcher, so Max Weber, die von protestantischer Ethik und bürgerlichen Lebensidealen angetriebenen Selbstorganisationskräfte des Marktes zur Entfaltung kamen. 820 Diese entfesselten Selbstorganisationskräfte zogen aber zugleich auch eine neuartige soziale Dimension nach sich, die sich für die interventionistische Verwaltung im Allgemeinen und für die den verwaltungsrechtlichen Vertrag im Besonderen mit als konstitutiv erweist. Im Anschluss an die bereits erläuterten Aspekte des Weberschen Modells821 geht es im Kern um Folgendes:

Hierzu HOFER 2001; ABEGG 2005a. Unten Kap. III.C.3: 275. Siehe nur WEBER 1911/1963. WEBER 1920: 61: „Dieser Rationalisierungsprozeß auf dem Gebiete der Technik und Oekonomik bedingt nun unzweifelhaft auch einen wichtigen Teil der Lebensideale der modernen bürgerlichen Gesellschaft: die Arbeit im Dienste einer rationalen Gestaltung der materiellen Güterversorgung der Menschheit hat den Vertretern des kapitalistischen Geistes zweifellos immer auch als einer der richtungweisenden Zwecke ihrer Lebensarbeit vorgeschwebt." Siehe auch WEBER 1921-1922/1980: vor allem 382 ff. und 398 ff. Kap. I.C.2: 27 und Kap. II.D .183.

200

Wie bereits erwähnt, hebt sich die Marktwirtschaft insofern von vormodernen Wirtschaftssystemen ab, als der Selbstregulierungsmechanismus Preis nicht nur für einzelne Marktflecken gilt, sondern sich über die gesamte Gesellschaft in örtlicher und zunehmend auch in sachlicher Hinsicht erstreckt und schliesslich die Politik auch Ressourcen wie Arbeit und zum Teil Boden der Selbststeuerung überlässt mit weitreichenden Folgen für andere gesellschaftliche Bereiche.822 Denn Wirtschaft und Markt sind damit nicht mehr in die Gesellschaft eingebettet, sondern vielmehr werden die sozialen Beziehungen nun massgeblich durch den Markt beeinflusst. Nach dem Credo des klassisch liberalen Modells des Marktsystems müssen die Marktgüter, also auch Arbeit und Boden, 'sich selbst' überlassen werden; die Preise müssen sich 'von selbst' finden und Ungleichgewichtslagen werden sich von selbst heilen. Etwa wird eine Überschussnachfrage einen höheren Preis zur Folge und entsprechende Rückkopplung auf die Nachfrage haben. Zum Beispiel bei sinkendem Lohn wird das Arbeitsangebot verkleinert und gleichzeitig - so die Theorie - die Nachfrage nach Arbeit steigen.823 Aus diesem Element der Selbstregulierung ergibt sich denn auch die oben erläuterte Forderung nach einem 'sachlichen' Nebeneinander der Marktteilnehmer, also die Vielfalt möglicher Lebensgestaltungen zu ermöglichen, die wirtschaftliche Gleichheit der Personen zu gewährleisten und keine Einkommen (zum Beispiel aus statusbezogenen Privilegien) zuzulassen, die nicht aus Einkünften durch Markttransaktionen kommen. In diesem Sinne war für die Entstehung der Marktgesellschaft die Mitwirkung des Staats bereits von Beginn weg unabdingbar.824 Der Marktmechanismus schliesst nun in diesem sachlichen Nebeneinander insofern an die Gemeinschaft an und verspricht damit eine Vergemeinschaftung, als die Preisbestimmung im Hinblick auf eine Vielzahl realer oder vorgestellter Mitkonkurrenten geschieht.825 Und eine darüber hinaus reichende Vergemeinschaftung versprach zudem die bürgerlich-liberale Ausformung der Marktwirtschaft mit den Schlagworten Wachstum, Vollbeschäftigung, Stabilität.826 Mit der Ausdehnung der Marktwirtschaft auf gesellschaftssensible Ressourcen wie Arbeit und Boden stellten sich jedoch zugleich, parallel in allen aufkommenden Industriegesellschaften, soziale Probleme, die die Versprechungen der Vergesell-

822

Hierzu unter vielen besonders illustrativ: BRÜGGEMEIER 1980: 14 ff.

823

Z u m G a n z e n W E B E R 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 3 9 8 f f . ; s i e h e a u c h POLANYI 1 9 4 4 / 1 9 5 7 : 6 2 f f . u n d

824

WEBER 1921-1922/1980: 383 ff. und 499 ff.; siehe auch POLANYI 1944/1957: 94 ff.;

9 7 f f . ; FOUCAULT 1 9 9 4 : 1 0 8 f f . BRÜGGEMEIER 1 9 8 0 : 14 f. 825 826

LUHMANN 1993a: 4 4 8 ff.

WLETHÖLTER 1968/1986: 180 ff.

201

schaftung durch Markt nachhaltig in Frage stellten. In einer von Polanyi beschriebenen Doppelbewegung fiel damit die gesellschaftliche Verantwortung zurück an die Politik, die mit einer spezifischen Methode der Intervention auf die Probleme der modernen Marktgesellschaft reagierte. Auf diese Methode, die eng mit der ReEmergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags und dessen heutiger Struktur in Zusammenhang steht, ist nun genauer einzugehen. b)

Die Methode der Intervention Anfänge des

Interventionsstaats

Eine gewichtige Differenz einer klassisch-liberal geprägten Staatslehre und den Anfängen des modernen Wohlfahrtsstaatsgedankens lässt sich bereits im Vergleich von Kant mit dem bedeutenden deutschen Rechtswissenschaftler Mohl 827 erkennen: Während der Staat bei Kant noch darauf beschränkt war, die Freiheit des Einen von den Eingriffen des Anderen zu schützen,828 ging es bei Mohl in seiner Encyklopädie der Staatswissenschaften von 1872 darum, dass der Staat... „... die vom Volke als Lebenszweck des Einzelnen und der Gesamtheit anerkannte Entwicklung aller natürlichen Kräfte schützt und fordert". 829 Dabei beschränkte zwar der durchaus liberal denkende Mohl diese staatliche Förderung auf jenes Mass, das neben der Selbsthilfe der Bürger nötig ist, um den Einzelnen zu einer Person der Gesellschaft zu machen. 830 Der Kern dessen, was den Wohlfahrts- und Interventionsstaat ausmachen würde, lässt sich allerdings doch bereits deutlich erkennen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste die liberale Prämisse der Reduktion der Staatsaufgaben, in Kenntnis der Probleme des Manchesterliberalismus und in Anbetracht der steigenden Anforderungen an Infrastrukturleistungen,831 zunehmend revidiert werden.832 Im Allgemeinen wird zwar der Wiener Börsenkrach von 1873 und die damit ausgelöste Grosse Depression als jenes Skandalon bezeichnet, mit welchem die Versprechungen der Marktwirtschaft enttäuscht und der Interven-

Zu Mohl siehe oben Fn. Siehe oben Fn. 568. VON MOHL 1 8 7 2 :

106.

VON M O H L 1 8 7 2 : 3 2 5 f f .

Diese Infrastrukturleistungen waren, wie zum Beispiel im Bereich der Eisenbahn, von den Privaten nicht immer zur Zufriedenheit der Politik erfüllt worden. Illustrativ in diesem Sinn ist Seilers Plädoyer für eine Verstaatlichung der Eisenbahnen: OSCAR SEILER 1888. STOLLEIS 1 9 9 2 : 2 3 7 f f . ; JELLINGHAUS 2 0 0 6 : 1 6 1 f .

202

tionsstaat in Gang gesetzt wurde.833 Das ist zwar nicht falsch. Es ist jedoch zu präzisieren, dass mit dem Börsenkrach von 1873 mehr jene wohlfahrtsstaatlichen und interventionistischen Kräfte freigesetzt wurden, die bereits vorher in gesellschaftlichen Strukturen Nischen gefunden hatten. Dies zeigt sich bereits am angeführten rechtswissenschaftlichen Zitat von Mohl, und auch in der Politik waren bereits vor 1873 deutliche Zeichen des neuen interventionistischen Staats zu erkennen: So führte zum Beispiel der Kanton Glarus bereits 1864 das erste Fabrikgesetz der Schweiz ein, und die Diskussion um die Verstaatlichung der Eisenbahn setzte in der Schweiz spätestens mit dem Eisenbahngesetz von 1872 ein,834 womit zugleich belegt wäre, dass die wohlfahrtsstaatliche Idee nicht nur in Deutschland die liberalen geprägten Zeiten überdauert hatte, sondern auch in der liberalen Schweiz.835 Regulierungsanspruch

und

Regulierungsmöglichkeiten

Die Versprechung einer durch Marktwirtschaft geeinten Gesellschaft erwies sich somit zumindest als ergänzungsbedürftig, womit der Anspruch moderner Politik, die Gesellschaft (d. h. die private Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft und die politische Sphäre der Allgemeinheit) unter dem Dach des Nationalstaates zu vereinen, wieder an Plausibilität gewann. Dabei übernahm die Politik die Versprechungen der liberalen Wirtschaft als die ihren, unter Zusicherung der fortdauernden Selbstregulierung der Wirtschaft. 836 Allein, die Institutionalisierung des Selbstregulierungsmechanismus der Marktwirtschaft brachte es mit sich, dass die direkten Beeinflussungsmöglichkeiten der Politik in die Wirtschaft weitgehend gekappt worden waren, während gleichzeitig die Rahmensteuerungen durch öffentlichrechtliches Gesetz einerseits und wissenschaftliche Privatrechtskodifikation andererseits für eine proaktive und stetig nachsteuemde Politik nicht mehr ausreichten. Damit war die Politik auf die Intervention verwiesen, das heisst auf den Versuch der Einflussnahme in ein autonomes System unter Berücksichtigung dessen nicht voraussehbaren Reaktionen auf diese Intervention, und zwar nicht weil es die Politiker so wollten, sondern weil die Evolution der gesellschaftlichen Strukturen sie dazu trieb. Die interventionistische Tätigkeit der Politik ging dabei offensichtlich gegen Savignys Modell der strikten Trennung in

Z u m G a n z e n STOLLEIS 1989: 136.

Botschaft des Bundesrates vom 16. Juni 1871 über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft, BB1. 1871 II 647: 651 ff. Vgl. STOLLEIS 1989: 134. Der Unterschied zur Schweiz liegt wohl eher darin, dass der liberale Individualismus in der Schweiz nach der erfolgreichen bürgerlichen Revolution von 1848 besser Fuss fassen konnte. Besonders deutlich zeigt dies MORSEY 1984: 148 für das deutsche Reich unter Bismarck.

203

öffentliches Recht und Privatrecht, doch eine klare Trennung Hess sich mit den kompensatorischen Massnahmen der Politik infolge Falsifizierung der klassischliberalen Versprechen nicht mehr durchhalten. Sollte also die Selbstorganisation der Gesellschaft beibehalten und dennoch politisch gesteuert werden, so musste die staatliche Intervention an die entsprechenden Selbstregulierungsmechanismen anschliessen und unter anderem mit Hilfe von Recht in andere Teile der Gesellschaft ausgreifen - neu etwa mittels zwingenden Normen im Privatrecht, aber auch mit der Form des Vertrags als Kooperation zwischen Staat und Privaten. Technik der Intervention Mit Blick auf die Rolle der Verwaltung kritisierte Max Weber dieses interventionistische Element, mit welchem zugleich seine idealtypische Einteilung der demokratischen837 Verwaltungen unterlaufen wurde: Weber hatte diese unterteilt in eine rechtsstaatliche Staatsorganisation, in welcher nur die Gerichte, die Polizeibehörden, das Militär und die Gesetzgebung unter die Verwaltungsordnung fallen, und eine kommunistische Staatsorganisation, in welcher darüber hinaus auch die gesamte Wirtschaft der Verwaltungsordnung unterstellt wird.838 Im neuen Interventionsstaat wurde nun allerdings wie soeben erläutert unter Gewährleistung der Selbstorganisation in diese eingegriffen durch Eröffnung von Chancen, die ergriffen werden können, aber nicht müssen. Dies gilt für zwingendes Privatrecht wie für Kooperationen zwischen Staat und Privaten. In dieser Perspektive ging es also mit der neu entdeckten Kooperation zwischen Staat und Privaten unter der Ägide des Interventionsstaates nicht nur (und sogar: nicht primär) um die Beteiligung der Privaten an der Machtausübung der Politik quasi unter Vorwegnahme partizipativer Demokratietheorie --, sondern um eine Technik der Intervention zur Verwirklichung politischer Konzepte in einer zunehmend fragmentierten und der Politik zunehmend unzugänglichen Gesellschaft. Das zugrunde liegende Muster der neuartigen Intervention stellt sich dabei für das Verwaltungsrecht wenn auch nicht gleich, so doch ähnlich dar wie im Privatrecht: Im Privatrecht konnte im Zuge des Positivismus ein politisches Programm derart in zwingende Schuldvertragsnormen gegossen werden, dass diese in den Inhalt eines Schuldvertrags einzugreifen vermochten, selbst wenn keine oder eine gegenläufige Parteiabrede vorlag. Voraussetzung war jedoch, dass die in eine Norm gegossenen politischen Auflagen durch Freiheit 'vermittelt' werden konnten, und zwar in dem

Definiert als Mittel, das als einverständlich gekennzeichnete 'Gemeinschaftshandeln' in geordnetes Gesellschaftshandeln zu überfuhren: WEBER 1921-1922/1980: 569 f. WEBER 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 2 6 ff. u n d 60.

204

Sinne, als es den Parteien weiterhin frei stand, von den Strukturen des Privatrechts nach eigenen Bedürfnissen Gebrauch zu machen; wenn sie dies aber taten, mussten sie nun auch zwingende Vorgaben berücksichtigen, in welche sie sich beim Gebrauch ihrer Freiheit 'verfangen' hatten. Politische Auflagen wurden also durch Anschluss an Freiheiten verwirklicht und zugleich wurden (neue) Freiheiten und Chancen durch Auflagen vermittelt. Ausgangspunkt und Voraussetzung der neuen Intervention in die autonome Wirtschaft war somit paradoxerweise das weiterhin freiheitliche Privatrecht.839 Diese Struktur der Vermittlung von Freiheit durch Auflagen und Chancen nutzte die Verwaltung nun auch bei Kooperationen mit Privaten mittels Vertragsform. Komplexitätsbewältigung

durch die Verwaltung

Unter Aufrechterhaltung der grundlegenden Aufgabe der Staatsverwaltung, die Gesellschaft zu einigen sowie nationaler Wohlfahrt zuzuführen, und aufgrund des beschriebenen Kontextes (des massiv ansteigenden Komplexitätsgrades einer Gesellschaft, die sich in autonome Bereiche wie Marktwirtschaft, Medien, Politik und so weiter ausdehnte)840 musste die Verwaltung selbst eine massive Komplexitätszunahme bewältigen. An der Oberfläche zeigte sich dies in den Bemühungen, eine nationale professionalisierte und arbeitsteilige Bürokratie zu errichten,841 womit die nationale Politik im Allgemeinen und die Regierungen im Besonderen einen markanten Machtzuwachs verzeichneten, sich die Anzahl der Staatsangestellten vervielfachte und das Recht der Verwaltung eine Blütezeit erlebte.842 Im Einzelnen aber äusserten sich diese Bemühungen der Komplexitätsbewältigung auch in der Evolution der Kommunikationsformen der Verwaltung, worin die Rechtsform des Vertrags eine prägnante Rolle spielte. Und diese Suche nach neuen Kommunikations- und vor allem Interventionsformen wurde infolge Lockerung der Gesetzesbindung zugleich begleitet von einer Suche nach alternativen Formen der Legitimation der Machtanwendung, die mit dem Interventionsstaat keineswegs abnahm, sondern vielmehr in subtiler Weise weiter in die Gesellschaft hinein diffundierte.

839 840 841 842

Hierzu m. w. H. ABEGG 2004b: 73 ff. und 82 ff. Dies beschrieb bekanntlich bereits Max Weber, so unter anderem in 'Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte': WEBER 1921-1922/1980: 181-385. OGOREK 1 9 8 8 : 3 8 8 .

Hierzu unter vielen MORSEY 1984: 147 ff.; STOLLEIS 1989; BURDEAU 1995: 199 ff. Wäh-

rend der Zeit zwischen 1896 bis 1914 verdoppelte sich das französische Staatspersonal von 250'000 auf 500'000: BURDEAU 1994: 112. Ähnliches gilt ffir Preussen: SHEEHAN 1994: 404.

205

Max Webers Kritik Max Weber stand dieser neuartigen Verwaltung äusserst kritisch gegenüber: Er prophezeite, dass die Bürokratie, wenn sie über die Mittel der Privatwirtschaft zur Bedarfsbedeckung verfügt, ... „... das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen [vermag], in welche vielleicht dereinst die Menschen sich ... ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gut und das heisst: eine rationale Beamten-Verwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leistung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll. Denn das leistet die Bürokratie ganz unvergleichlich viel besser als jegliche andere Struktur der Herrschaft." 843 Darin, und vor allem zusammen mit der zunehmenden Bindung des Menschen an den Beruf oder gar den Betrieb etwa durch Wohlfahrtseinrichtungen, erkannte Weber grosse Gefahren für die Zukunft: „Nehmen wir nun einmal an: gerade diese Möglichkeit wäre ein unentrinnbares Schicksal, - wer möchte dann nicht lächeln über die Angst ... davor, dass die politische und soziale Entwicklung uns künftig zuviel Individualismus oder Demokratie oder dergleichen bescheren könnte und dass die wahre Freiheit erst aufleuchten werde, wenn die jetzige Anarchie unserer wirtschaftlichen Produktion und das Parteigetriebe unserer Parlamente beseitigt sein werden zugunsten sozialer Ordnung und organischer Gliederung",844 Für Weber ergaben sich aus diesen Gefahren folgende zentrale

Fragestellungen:

-

Wie können angesichts der zunehmenden Tendenz zur Bürokratisierung noch Reste individualistischer Bewegungsfreiheit gerettet werden?

-

Wie kann sodann die bürokratische Verwaltung angesichts derer steigenden Unentbehrlichkeit und des entsprechenden Machtgewinns in gewissen Schranken gehalten werden? Und wer setzt diese Schranken fest und kontrolliert die Einhaltung?

-

Und schliesslich: Wie ist das Verhältnis zwischen Verwaltung und Politik im Allgemeinen und zwischen ausführender Verwaltung und leitenden - politischen - Beamten im Speziellen zu gestalten? Weber deutete an, dass er hier die Trennung von Politik und einer spezifischen Verwaltungsrationalität sah, wobei

WEBER 1918: 320.

WEBER 1918: 321 [Kursiv im Original],

206

sich letztere jedoch bedingungslos den politischen Befehlen unterzuordnen hatte und sich nicht an den Machtkämpfen der Politik beteiligen durften.845 Die erwähnten Kontexte dieser Strukturanpassungen sind in der Folge mit Hilfe von Max Webers Fragen nun für Frankreich, Deutschland und Schweiz jeweils vertieft zu untersuchen, wobei der bedeutende Einfluss von Politik und Wirtschaft und zugleich die Rückkopplungen der veränderten Rechtsstrukturen auf die Rechtsumwelt im Auge zu behalten sind. B.

1.

Der Vertrag im Dienste des service public: Die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Frankreich Nischen

Mit Blick auf das französische Verwaltungsrecht bezeichnete Otto Mayer (1846— 1924) den verwaltungsrechtlichen Vertrag als eine Rechtsform, die es eigentlich nicht geben dürfte.846 Diese Bemerkung Otto Mayers weist bereits darauf hin, dass unsere heutigen Problemstellungen mit Verwaltungsverträgen mit der spezifischen Re-Emergenz dieser Rechtsform in Frankreich und ihrer Rezeption in Deutschland und der Schweiz verknüpft sein könnten. Es ist daher entscheidend zu verstehen, unter welchen Bedingungen die Re-Emergenz dieser Rechtsform zunächst in Frankreich möglich wurde und unter welchen Bedingungen sie in Deutschland und der Schweiz rezipiert wurde. Zivilrechtlicher Vertrag und

Verwaltungspraxis

Nachdem es im französischen Recht infolge Absolutismus und Revolution während längerer Zeit mehr oder weniger still um den Vertrag zwischen Staat und Privaten blieb,847 war nicht nur zur Mitte des 19. Jahrhunderts seine vermehrte Thematisierung und Verwendung im Bereich des Zivilrechts festzustellen,848 sondern auch seine Re-Emergenz im französischen Verwaltungsrecht im letzten Drittel des 19. Jahrhundert. Wie erläutert vertrug sich bislang der Vertrag im Verwaltungsrecht weder mit der alten Theorie der Hoheitsrechte (acte d'autorité)849 noch mit dem Prinzip der Ge-

WEBER 1918: 321 f. MAYER 1888: 25. Hierzu Kap. I.D: 31. Kap. I l . C . l . a ) : 108. Kap. I.D.2.C): 41 und Kap. II.C.l: 108

207

setzesförmigkeit allen Verwaltungshandelns850, womit Verträge grundsätzlich nur als Zivilrecht und als Sache der Zivilgerichte denkbar waren. Dennoch: Der Vertrag als Rechtsform der Kooperation zwischen Staat und Privaten hatte die Zeit seit der Revolution in Nischen überdauert, und eine Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht konnte nun an diesen Nischen anschliessen: -

Erstens konnte an der Form des zivilrechtlichen Vertrags angeschlossen werden, mit welcher gegen die Jahrhundertmitte vermehrt unproblematische Kooperationsformen erfasst wurden. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen den unbestritten den Zivilgerichten zur Beurteilung obliegenden Streitsachen (wie zum Beispiel der Verkauf von beweglichen Sachen durch den Staat) und den zivilrechtlichen Verträgen, die durch Gesetz dem Conseil d'Etat zur Beurteilung zugewiesen worden waren (z. B. der Verkauf von Grundeigentum des Staats).851 Diese zivilrechtlichen Formen veränderte nun die Lehre durch Bricolage nach verwaltungsrechtlichen Kriterien.852 Dass sich eine derart bedeutende gerichtsartige Institution wie der Conseil d'Etat immer wieder (aufgrund politischer Entscheidungen) in inhaltlicher Weise mit privatrechtlichen Konflikten zu befassen hatte und in dieser Weise oft in Berührung mit traditionellem Vertragsrecht kam, stellt eine spezifisch französische Erscheinungsform dar.853

-

Und zweitens konnten die praktischen Erfahrungen der Verwaltung übernommen werden, die zunehmend mit Privaten kooperierte, während die rechtliche Erfassung dieser Kooperation mit der befehlsförmigen Verfugung und dem weit in die Gesellschaft ausgreifenden Gesetz unter dem sich wandelnden Staatsverständnis zunehmend Irritationen im publizistischen, wissenschaftlichen und rechtlichen Diskurs auslöste.854

850 851

852 853

854

208

Kap. II.C. l.b): 114. Vgl. oben den Fall des Prinzen von Wagram bei Fn. 467: 117. Siehe hierzu auch PERRIQUET 1884: 198 f. Wegweisend vor allem Dareste: vgl. U.C. 1 .c): 118. Zwar wurde auch der preussische Gerichtshof für Kompetenzkonflikte mit der Praxis der Verwaltung konfrontiert, vertragsmässige Verhandlungen bei der Bestellung zum Staatsdienst zu führen. Typisch ist aber dessen bereits erwähnte ständige Rechtsprechung, nach welcher es auf die vertragsmässigen Verhandlungen nicht ankomme. Sofern das Rechtsverhältnis öffentlichrechtlicher Natur sei, könne die Frage, ob jemand in den Beamtenstatus berufen worden sei, nicht vor den Richter gebracht werden: Fn. 452: 113. Dies kam vor allem bei Dareste, aber auch bei Perriquet zum Ausdruck: Kap. U.C. 1 .c): 118.

Rolle des Conseil d'Etat Im Zentrum der Frage, wie die verwaltungsrechtlichen Strukturen anzupassen seien, stand aufgrund des zentralisierten und stark hierarchisierten französischen Systems der Conseil d'Etat. Dieser kam mit beiden erwähnten Nischen direkt in Berührung, denn er hatte sich wie gesehen aufgrund von politischen Entscheiden auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit gewissen zivilrechtlichen Verträgen zu befassen, 855 und darüber hinaus wurde er mit neuartigen Fällen zur Kooperation zwischen Staat und Privaten gerade in politisch wie auch wirtschaftlich sensiblen Infrastrukturgrossprojekten wie zum Beispiel dem Bau der Eisenbahn856 oder der Rüstungsproduktion857 konfrontiert. Dabei ist die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im grösseren Rahmen zu sehen: Das moderne französische Verwaltungsrecht als systematisch konstruiertes und primär auf Rechtskriterien ausgerichtetes Recht hatte sich vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unter Anleitung des Conseil d'Etat gebildet.858 Der Conseil d'Etat gewann denn auch in dieser Zeitspanne seine formelle Unabhängigkeit, und er vermochte diese auch in eine materielle Eigenständigkeit gegen aussen, d. h. vor allem gegen die Politik, und gegen innen, d. h. vor allem gegen das Zivilrecht, umzusetzen. Gerade diese Abgrenzungsleistung ermöglichte es paradoxerweise, so meine These, den Vertrag als traditionelle Form des Zivilrechts ins Verwaltungsrecht aufzunehmen, respektive systemintern (im Sinne eines ReEntry 859 ) zu rekonstruieren.860

So waren dem Conseil d'Etat insbesondere zugewiesen worden: gemäss Dekret vom 11. Juni 1806 die marchés de fournitures, gemäss Gesetz vom 28. Pluviôse An VIII die marchés de travaux publics und gemäss Gesetzen vom 26. September 1793 und 17. Juli alle Angelegenheit mit Bezug zur Staatsverschuldung. Zum Beispiel Entscheid des Conseil d'Etat vom 6.12.1907 in Sachen Compagnie du Nord, d'Orléans et autres, recueil 913. Entscheid des Conseil d'Etat vom 7. August 1874 in Sachen Hotchkiss, recueil 824. Burdeau bezeichnet die Zeit von 1870 bis 1920 als Blütezeit des Verwaltungsrechts: BURDEAU 1 9 9 5 : 1 9 9 ff.

Das bedeutet, dass die für das Verwaltungsrecht konstituierende Unterscheidung (Verwaltungsrecht ist Herrschaftsrecht ist nicht gleich Zivilrecht) zugleich mit vertragsrechtlichen Elementen wieder ins Verwaltungsrecht eingeführt wird, womit sich allerdings die konstituierende Unterscheidung verschiebt. Siehe auch oben Kap. III.A. 1: 197. Unten Kapitel III.B.3: 216.

209

2.

Vorleistungen

der

Rechtswissenschaft

Produktion von Variationen durch die

Rechtswissenschaft

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts schuf, so die allgemeine Sichtweise, der französische Conseil d'Etat eine Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags, welche ihrerseits auf das gesamte westliche Verwaltungsrecht ausstrahlen sollte.861 Aufgrund der allgemeinen Fokussierung des französischen Systems auf den Conseil d'Etat (auf dessen gewichtigen Betrag in der Emergenz des modernen Verwaltungsrechts im Allgemeinen und der Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Besonderen zurückzukommen sein wird) 862 gehen allerdings häufig die Vorleistungen der Rechtswissenschaft vergessen, deren Variationenbildungen erst die Bedingungen der Möglichkeit aufzeigten, unter welchen das Verwaltungsrecht eine genuin rechtseigene Dogmatik gewinnen konnte und konkret: wie der Vertrag als rechtliche Form die Kommunikationen zwischen Staat und Privaten im Verwaltungsrecht erfassen konnte. Bereits im Vorfeld der entscheidenden Urteile des Conseil d'Etat zum verwaltungsrechtlichen Vertrag äusserten sich Rechtswissenschaftler wie Cormenin, Chauveau, Dareste und Perriquet je mehr oder weniger ausführlich und explizit zur rechtlichen Erfassung der Kooperation zwischen Staat und Privaten. Deren Texte stehen je für grundlegende und typische Variationen, die in den Selektionen des Conseil d'Etat Aufnahme fanden und zu deren Stabilisierungsfahigkeit massgeblich beitrugen. Louis-Marie de Lahaye vicomte de Cormenin

(1788-1866)

Obwohl bei Cormenins Systematisierung der verwaltungsrechtlichen nachrevolutionären Praxis der Vertrag zwischen Staat und Privaten kaum eine Rolle spielte, sind zentrale Möglichkeitsbedingungen der Emergenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten bereits in dessen Werk zu verorten - nämlich vor allem in der Verwissenschaftlichung des Verwaltungsrechts, womit dieses vor allem gegenüber der dominanten Politik an Unabhängigkeit gewinnen konnte.863 Es wurde bereits erläutert,864 dass sich Cormenin bereits 1826 in seinen Questions beklagt hatte, das Verwaltungsrecht habe in Folge der verschiedenen Revolutionen seine Konsistenz

MITCHELL 1954: 164 ff.; hierzu unter vielen auch die ausführlichen rechtsdogmatischen Untersuchungen von LAUBADERE 1956, I: N 11 ff., der vor allem auf die Rolle des Conseil d'Etat bei der Trennung vom Zivilrecht hinweist. Unten III.B.4: 236. Zum Äquivalent in der deutschen Lehre siehe unten Kap. III.C.3: 275. Fn. 2 1 2 : 5 4 .

210

nicht bewahren können.865 Entsprechend ging es ihm in seinem nachfolgenden grossen Werk 'Droit administratif darum, einen Beitrag zur Entstehung eines modernen Verwaltungsrechts zu leisten. Cormenin formulierte sein Programm folgendermassen: Das moderne Verwaltungsrecht, das primär aus den Präjudizien der Rechtsprechung zu erschliessen sei, solle wissenschaftlich angeleitet die Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürgern in berechenbarer und stetiger Weise vollständig regeln.866 Cormenin fordert in diesem Sinne einerseits eine Komplexitätsreduktion und andererseits einen Komplexitätsaufbau: -

Einerseits erwies sich die Bändigung jener politischen Kommunikationen als zentral, die bisher auf das Recht in instrumenteller Weise Zugriff nahmen. Aus Cormenins Vorwort zum Droit administratif lässt sich entsprechend der Wunsch herauslesen, dass sich die öffentlichrechtliche Gesetzgebung der Stetigkeit und Berechenbarkeit der Zivilgesetzgebung angleichen würde.867

-

Andererseits sollten die gesellschaftlichen Einflüsse auf das Verwaltungsrecht im Allgemeinen und durch die Politik mittels Gesetz im Besonderen in den Gerichtsfällen nach rechtseigenen, durch die Wissenschaft angeleiteten Kriterien verarbeitet werden. Folglich betonte Cormenin die Bedeutung der Unabhängigkeit des Conseil d'Etat von der Verwaltung, die Bedeutung von dessen Funktion als oberste rechtliche Kontrolle der Verwaltung und die wissenschaftlich zu erarbeitende Grundlage eines systematisierten Verwaltungsrechts.868

Trotz dieses für seine Zeit fortschrittlichen und durchaus nicht unbestrittenen869 Programms musste Cormenin an den zu seiner Zeit vorliegenden Strukturen, die ihrerseits wiederum Resultat von Selektion der Vergangenheit waren, anschliessen. Folglich suchte bei Cormenin das Verwaltungsrecht seine Unabhängigkeit mehr durch die Systematisierung der Rechtsprechung denn durch neuartige normative

CORMENIN 1826: préface.

CORMENIN 1840,1: XLIII. CORMENIN 1 8 4 0 : 1 ff.

„Le Droit administratif constitue aujourd'hui une science véritable et complète qui touche, d'un côté, au droit civil et, de l'autre côté, au droit politique. Il a sa législation qui, pour n'être pas codifiée, n'en est pas moins nombreuse, variée, constante, obligatoire. Il a sa jurisprudence dont les règles sont assises sur des précédents bien définis, et dont les arrêts ne renferment pas plus d'antinomies que ceux de la Cour de Cassation. Il a une haute juridiction qui offre, à l'inamovibilité près, les mêmes garanties de publicité et de défense que celles des tribunaux. Il a une procédure brève, simple, claire, presque sans frais, point arbitraire, rigoureuse dans ses prescriptions, égale pour toutes les parties, sobre d'exceptions, de dilatoires et de recours, pleine de respect pour la chose jugée.": CORMENIN 1840, I: insbesondere XLIII. Insbesondere CHAUVEAU 184]-^T4 schrieb gegen dieses Programm an. 211

Variationen, und entsprechend waren die politischen Einflüsse in Cormenins Verwaltungsrecht weiterhin äusserst prominent vertreten, wie sich an folgenden Beispiel zeigt: -

Die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Conseil d'Etat und Zivilgerichten blieb weitgehend an die Verwaltung delegiert.870

-

Beim Staatsdienst erschien als Rechtsfrage lediglich die Pension und die Entschädigung, nicht aber die Anstellung und der Inhalt des Dienstverhältnisses, und selbst an der Frage der Entschädigung zeigt sich, dass auch diese weitgehend den unabhängigen Gerichten entzogen war.871

-

Eine ähnliche Dominanz öffentlichrechtlicher Konstruktionen und Gerichtsbarkeiten zeigt sich auch bei der bereits angesprochenen Ausführung öffentlicher Arbeiten (travaux publics): Die Kompetenz der Zivilgerichte war weit zurückgedrängt worden; diese waren im Wesentlichen nur noch für Rechtsstreite zuständig, die im Rahmen von öffentlichen Arbeiten zwischen Privaten ausgetragen wurden.872 Das Beschaffungswesen sei, so das Urteil Cormenins, von den vertraglichen Elementen befreit worden und zu einer Verwaltungskompetenz geworden.873 Implizit kritisierte Cormenin diesen Drang zur Verwaltungskompetenz, und er versuchte deren Macht auch mit der Figur eines verwaltungsrechtlichen Vertrags zu begrenzen: Aus dem Prinzip, dass öffentliche Arbeiten in der Kompetenz der Regierung und der Rechtsprechung des Conseil des préfecture liege, könne folgen, dass ein Verwaltungsvertrag vorliege, wenn der Eigentümer anbiete, zu öffentlichen Arbeiten auf seinem Grund beizutragen und die Verwaltung dieses Angebot annehme. Damit wurde - wenn auch nur am Rand - die Figur des contrat administratif vorgeschlagen: Die Kooperation der Verwaltung mit Privaten sollte eine spezifische rechtliche Form in Abgrenzung vom einseitigen acte administratif erhalten und den Verwaltungsgerichten unterstellt werden.874

CORMENIN 1 8 4 0 , 1 : X X X f f .

CORMENIN 1840, II: 386 ff. und 407 ff. Zur französischen Ausprägung der Fiskustheorie siehe Kap. II.C.l: 108. CORMENIN 1840, II: 422 ff. und 437 ff., mit zahlreichen Hinweisen auf die Praxis der Gerichte. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich auch Ausnahmen finden; so stand etwa die Vereinbarung zwischen einer Gemeinde (municipale) und einem Privaten über den Unterhalt des Strassenpflasters den Zivilgerichten zur Beurteilung zu: CORMENIN 1840, II: 440. CORMENIN 1 8 4 0 , 1 : X X X I X . CORMENIN 1 8 4 0 : 4 3 4 .

212

Adolphe Chauveau

(1802-1869)

Chauveau kritisierte in seinen 'Principes de compétence et de juridiction administratives' die Bemühungen Cormenins, die Verwaltungsrechtsprechung von der Verwaltung zu trennen. Chauveau stellte entgegen den liberalen Tendenzen die Einheit und Macht der Verwaltung als gesellschaftsgestaltende und gesellschaftseinigende Kraft in den Mittelpunkt: „Utilité, force, nécessité de l'institution." 875 Folglich sollte sich denn auch das Verwaltungsrecht nach Chauveau nicht über den gesetzesförmigen acte administratif hinaus ausdifferenzieren, 876 denn allein in diesem acte spiegle sich die notwendige Allmacht der gesellschaftseinigenden Politik.877 Doch gerade weil Chauveau in der Befehlsförmigkeit das bestimmende Merkmal des Verwaltungsrechts erkannte und gerade weil er die strikte Trennung des Verwaltungsrechts vom Zivilrecht betonte, 878 konnte oder gar: musste er auch in verstärktem Masse zugestehen, dass Kommunikationen zwischen Staat und Privaten nicht allein in befehlsförmiger Weise rechtlich erfasst werden können: Die 'unechten' actes administratifs, darunter Verträge zwischen Staat und Privaten, sollten durch das Zivilrecht verfasst werden,879 Rodolphe Dareste

(1824-1911)

Mit Darestes bereits erwähnter880 'La justice administrative' von 1862 begann in der französischen Rechtswissenschaft die systematische Rekonstruktion des Vertrags als rechtlich stabilisierte Kommunikationsform der Verwaltung. Dabei folgte Dareste Cormenin insofern, als durch Recht die despotische Macht der Verwaltung gebändigt und zugleich die Verwaltung gegenüber dem Bürger besser legitimiert werden sollte. Dareste ging aber in dem Sinne über Cormenin hinaus, als er nicht nur die Verstärkung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit forderte, son-

CHAUVEAU 1841-44: préface, vor allem xxvi. 876

CHAUVEAU 1841 - 4 4 : N 411 betreffend contrat administratif.

877

CHAUVEAU 1 8 4 1 ^ 4 , N 3 2 2 ff.

878

V o n zentraler Bedeutung ist somit, dass die Verwaltung ihre Kommunikationen gegenüber Bürgern in Rechtsform kleidet und einem unabhängigen Gericht zur Beurteilung unterstellt: CHAUVEAU 1841-44: zum Beispiel bei N 413.

879

CHAUVEAU 1 8 4 1 - 4 4 , N 322 ff. und Anmerkungen zu N 408 und zu N 41 CM 12: „J'insiste sur ce point qui me parait fort important. Il faut bien se pénétrer de cette idée, que tout acte émané d'une autorité de l'ordre administratif n'est pas nécessairement un acte administratif ; qu'il ne revêt ce caractère qu'autant qu'il se rapporte à un objet d'administration. Les actes relatifs à la régie de biens ou de droit particuliers ne sont jamais des actes administratifs, quel que soit le fonctionnaire de qui ils émanent, et quelles que soient les formes qui les accompagnent."

880

Kap. II.C.l.c) : 118.

213

dem der Verwaltung auch im hoheitlichen Bereich Legitimation durch analoge Anwendung von Zivilrecht verschaffen wollte.881 Die Darstellung des Rechts der Verwaltung gliederte Dareste entlang der strikten Trennung von Zivilgerichtsbarkeit und Zuständigkeit des Conseil d'Etat in ein verwaltungsrechtliches und ein zivilrechtliches Recht der Staatsverwaltung,882 womit er an Chauveau anschliessen konnte.883 Die Rekonstruktion vertragsrechtlicher Regelungen für den verwaltungsrechtlichen Teil nahm Dareste sodann weitgehend mit Blick auf die Bedürfnisse und Eigenheiten der Verwaltung vor, die den Nationalstaat zu Grösse und allgemeiner Wohlfahrt fuhren sollte.884 Dennoch - mit Hilfe direkter und analoger Anwendung von zivilrechtlichen Strukturen sollte die Verwaltung und das Verwaltungsrecht den despotischen Strukturen entrissen werden.885 Bezeichnend ist etwa, dass Dareste die Rechtsbeziehung zwischen Staat und Beamten als Vertrag sui generis bezeichnete, der in Analogie zu seinem privatrechtlichen Äquivalent auszugestalten sei. Allein, aufgrund der politischen Dimension unterstehe dieser Vertrag der verwaltungsmässigen Zuständigkeit.886 Eugène Perriquet

(1833-?)

Im Jahr 1884 erschien Perriquets887 systematische und ausführliche Rekonstruktion der Contrats de l 'Etat. Mit diesem Terminus umfasste Perriquet sowohl die öffentlichrechtlichen Verträge der Verwaltung (sogenannte contrats administratifs) wie auch die privatrechtlichen Verträge der Verwaltung. Perriquets Arbeit steht am Scheidepunkt in der Evolution des französischen verwaltungsrechtlichen Vertrags, denn dieser hatte sich, mehr als zehn Jahre nach dem - aus heutiger Sicht - epochaDARESTE 1862: 281 ff., 674 f. und 681. „C'est la tendance progressive et constante du droit administratif à se rapprocher du droit commun, tendance qui se manifeste à la fois et dans le fond du droit et dans la juridiction. ... S'il y a peu de critique à faire de notre droit administratif en matière purement fiscale, on ne saurait approuver sans réserve les parties de ce droit qui touchent aux institutions politiques.": DARESTE 1862: 674 f. Hierin zeigt sich denn auch der Einfluss der Fiskaltheorie: siehe Fn. 475. Dies zieht sich durch das ganze Werk Darestes, zum Beispiel DARESTE 1862: 266 ff. Vgl. mit CHAUVEAU 1 8 4 1 ^ 4 : N 408 ff. und den entsprechenden Anmerkungen. DARESTE 1862: insbesondere 6 7 8 f. DARESTE 1 8 6 2 : 6 7 4 f f . DARESTE 1 8 6 2 : 3 7 2 f f .

Perriquets Todestag konnte für diese Untersuchung nicht eruiert werden. Perriquet promovierte 1860 an der Faculté de Droit in Paris zum römischen Recht und amtete später als Advokat am Conseil d'Etat und am Cour de cassation. Neben seinem Werk zu den Verwaltungsverträgen aus dem Jahr 1884 publizierte er unter anderem 1883 ein zweibändiges Werk unter dem Titel 'Traité théorique et pratique des travaux publics'.

214

len Fall Bianco,888 noch nicht als Figur des Verwaltungsrechts durchgesetzt. Dies zeigt sich bereits daran, dass Perriquet diese Frage, ob man im öffentlichen Recht überhaupt von einem Vertrag sprechen könne, als Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeit wählte: „M. l'avocat général Desjardins, dans ses conclusions a soutenu qu'il n'existe pas, à proprement parler, de contrat administratif. Nous ne saurions partager cette manière de voir."889 Perriquet stellte sich gegen die Meinung seiner Zeit, dass von einem verwaltungsrechtlichen Vertrag im strikten, d. h. traditionellen Sinn des Wortes nicht gesprochen werden könne. Es war vielmehr gerade sein Ziel, die Figur des Vertrags im Verwaltungsrecht systematisch zu rekonstruieren. Die vertragliche Terminologie, so Perriquet, symbolisiere die Übernahme privatrechtlicher Konzepte, die aber im Verwaltungsrecht von der unilateralen staatlichen Macht des acte administratif dominiert würden.890 Dies sei - so Perriquet - auf die strikte Trennung der Verwaltung von der Zivilrechtsprechung zurückzuführen. Nach dieser Trennung seien die Zivilgerichte auch von den traditionell als zivilrechtlich interpretierten Rechtsverhältnissen der Verwaltung ferngehalten worden und diese seien im sich emanzipierenden Verwaltungsrecht nach verwaltungsmässigen Kriterien verfasst worden.891 Wie bereits Cormenin und Dareste kritisierte Perriquet diese Politisierung des Verwaltungsrechts, und wie Dareste suchte er sie mit Verrechtlichung aufzuheben: Dass verschiedene Gesetze der Revolutionszeit den Zivilgerichten Zuständigkeiten entzogen hatten, etwa betreffend Verkauf von staatlichem Grundbesitz, war mit einem zunehmend unabhängig gedachten Verwaltungsrecht nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen.892 Eine derartig politisch instrumentalisierte Zuständigkeitsverteilung sei prinzipienwidrig und führe nur, so Perriquets Warnung, zu ProbleHierzu sogleich unten Kap. III.B.3.c): 224. Anlässlich des Falls Cass. civ., 10 déc. 1878, D. 79,1,113. PERRIQUET 1884: N 232. „... un contrat est un contrat administratif et donne lieu à la compétence administrative, lorsque l'Etat y intervient pour exercer directement les pouvoirs constituant la puissance publique.": PERRIQUET 1884: N 232. Dieser Aussage pflichtet auch Otto Mayer in seiner Theorie über das französische Verwaltungsrecht uneingeschränkt bei: MAYER 1886: 292. „La compétence judiciaire, à l'égard des contrats auxquels l'Etat est partie, n'a jamais été admise que sous réserve, autrefois, du principe que l'autorité administrative peut seule constituer l'Etat débiteur ; plus récemment, des conséquences du principe de la séparation d e s pouvoirs.": PERRIQUET 1884: N 2 3 2 .

Perriquet meinte hierzu: „II est impossible d'imaginer une loi plus politique et plus exceptionnelle ...": PERRIQUET 1884: N 52 (Seite 52). Zur Verselbständigung des Verwaltungsrechts siehe unten Kap. III.B.3: 216, v. a. 230 ff.

215

men. 893 Insbesondere aber stand sie Perriquets zentralem Prinzip entgegen: Verträge zwischen Staat und Privaten sollten grundsätzlich dem Zivilrecht und den Zivilgerichten zufallen, ausser ein Gesetz verfuge die verwaltungsrechtliche Zuständigkeit oder der spezifische Vertragstypus sei verwaltungsrechtlicher Natur.894 Perriquet suchte die festgestellte Politisierung nicht dadurch aufzuheben, dass er das Verwaltungsrecht auf eine Linie mit dem Zivilrecht brachte, sondern vielmehr rekonstruierte er vertragsrechtliche Konzepte nach verwaltungsrechtseigenen Regeln - insbesondere entlang des von Chauveau ins Zentrum gerückten acte administratif.895 Zum Beispiel am Verhältnis des Staats mit den Staatsangestellten zeigt sich, dass von der vertragsrechtlichen Bindung, die nach Perriquet hinter aller Feierlichkeit der Ernennung zum Staatsdienst der Parteien stehe, nicht mehr als der initiale Konsens

OQ/

übrig blieb.

onn

3.

Die Emergenz einer verwaltungsorientierten Verwaltungsgerichtsbarkeit

a)

Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit Veränderungen während der Dritten

Republik

898

Die Dritte Republik (ca. 1870 bis 1940) brachte für das französische Verwaltungsrecht im Allgemeinen und für die Frage der Rechtsform kooperativer Projekte zwischen Staatsverwaltung und Privaten im Besonderen wesentliche evolutionäre Neuerungen, die im Kontext der erwähnten Grossthemen jener Zeit wie Emergenz des modernen Wohlfahrtsstaats, zunehmende Ausdifferenzierung einer globalisier-

PERRIQUET 1884: N 52 (erster Satz). PERRIQUET 1884: N 51. In diesem Sinn unbestrittene zivilrechtliche Zuständigkeit bestand allerdings nur beim Verkauf von beweglichen Sachen: N 68. Vgl. soeben bei Fn. 878: 213 und bei Fn. 885: 214; illustrativ PERRIQUET 1884: N 51 und 68 m. w. H. auf Rechtsprechung und Gesetze. Perriquet spielt auf die klassische Definition des zivilrechtlichen Vertrags an: conventio est duorum in idem placitum consensus de re solvenda, id. est facienda vel praestanda. Dig. 2, 1 4 ; v g l . BOUVIER 1 8 6 2 .

„Entre l'Etat et les fonctionnaires et employés qui le servent, il est bien impossible de nier l'existence d'un lien contractuel. Malgré la forme plus ou moins solennelle que revêt un acte de nomination, il y a là, avant tout, duorum consensus in idem placitum. En cette situation, la compétence administrative s'impose, par cela seul qu'il existe une compétence adm i n i s t r a t i v e . : PERRIQUET 1884: N 2 3 2 .

Die Dritte Republik trat erst 1875 in einen verfassungsmässigen Zustand. Der politische Wechsel setzte allerdings bereits 1870 mit dem Zusammenbruch des alten Regimes an. Eine gute Übersicht zu dieser Epoche bietet NOUSCHI/OLIVESI 2005.

216

ten899 Wirtschaft und Tendenz zur Verwissenschaftlichung von Recht und Staatsverwaltung zu verorten sind.900 In diese Zeit der Dritten Republik fällt eine Zunahme in der Unabhängigkeit der französischen Verwaltungsrechtsprechung von der Politik, was sich sowohl auf der institutionellen Seite wie auch in der konkreten Rechtsprechung manifestierte. Es fällt dabei besonders auf, dass die systematische Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht ebenfalls in diese Zeit fällt. Die zunehmende Unabhängigkeit der Verwaltungsrechtsprechung respektive die Entpolitisierung des Verwaltungsrechts erscheinen hier, so meine These, als Bedingungen der Möglichkeit, von der strikten Beschränkung auf die Form des acte administratif abzukehren, den Vertrag von seiner zivilrechtlichen Struktur zu lösen und im Verwaltungsrecht im Sinne eines Re-Entry zu rekonstruieren. Diese Verbindungen der verwaltungsrechtsinternen Ausdifferenzierung des Vertrags und den institutionellen Strukturveränderungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind in der Folge genauer zu erläutern. Zunehmende Unabhängigkeit des Conseil d'Etat von der Politik Zum Verständnis der evolutorischen Pfadabhängigkeiten des Conseil d'Etat ist es wichtig, sich an dessen Re-Emergenz unter Napoléon Bonaparte als Zentrale der Macht zu erinnern.901 Insbesondere auf liberale Kritik hin war der Conseil d'Etat zwar mehrfach reformiert worden, blieb aber immer eng mit Regierung und Verwaltung verknüpft.902 Unter der Zweiten Republik (1848-1951) hatte nun der Conseil d'Etat im Jahr 1849 die sogenannte justice déléguée erhalten, d. h. er sprach nicht mehr Recht im

Zur Globalisierung bis 1914 siehe WILLIAMSON 1998. Oben Kap. 1II.A: 197. Kap. I.D.2.e) : 51. A u f folgende Passage aus Tocquevilles D é m o c r a c y en Amérique b e z o g e n sich zahlreiche weitere Kritiker politisierter Gerichtsbarkeit, s o etwa DICEY 1893: 319 ff.: „J'ai souvent e s sayé de faire comprendre le sens de cet article 75 à des Américains ou à des Anglais, et il m ' a toujours été très difficile d ' y parvenir. Ce qu'ils apercevaient d'abord, c'est que le Conseil d'Etat, en France, était un grand tribunal fixé au centre du royaume il y avait une sorte de tyrannie à renvoyer préliminairement devant lui tous les plaignants. Mais quand j e cherchais à leur faire comprendre que le Conseil d'Etat n'était point un corps judiciaire, dans le sens ordinaire du mot, mais un corps administratif, dont les membres dépendaient du roi, de telle sorte que le roi, après avoir souverainement c o m m a n d é à l'un de ses serviteurs, appelé préfet, de commettre une iniquité, pouvait commander souverainement à un autre de ses serviteurs, appelé conseiller d'Etat, d'empêcher qu'on ne fit punir le premier ; quand je leur montrais le citoyen, lésé par l'ordre du prince, réduit à demander au prince lui-même l'autorisation d'obtenir justice, ils refusaient de croire à de semblables énormités et m'accusaient de m e n s o n g e ou d'ignorance.": TOCQUEVILLE 1 8 3 5 - 1 8 4 0 , 1 : 168.

217

Namen des Königs, sondern im Namen des französischen Volkes. 903 Diese formelle Trennung von Regierung und Verwaltung wurde zwar bereits wieder unter Napoléon III, der nach 1852 herrschte, aufgehoben. 904 Sie wurde aber sodann 1872 definitiv durch die Dritte Republik eingeführt.905 In der Rechtsprechung selbst bestätigte der Conseil d'Etat diese Trennung von Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung besonders prägnant mit dem Entscheid vom 19. Februar 1875 in Sachen Prince Napoléon, als er seine Doktrin der Nichteinmischung in politisch motivierte Regierungsentscheide einschränkte. Konkret ging es darum, dass Kaiser Napoléon III seinen Neffen zum General ernannt hatte. Die republikanische Regierung, die Napoléon III ab 1872 ablöste, strich diesen Neffen von der Liste der offiziellen Offiziere. Der Conseil d'Etat erklärte sich in dieser - eminent politischen - Angelegenheit für zuständig und entschied strikte auf der Basis jener gesetzlichen Grundlage von 7. November 1852, die notabene das kaiserliche Regime selbst wieder eingeführt hatte, dass nämlich die Titel, die der Kaiser an Familienangehörige verliehen habe, widerruflich seien.906 Somit deklarierte die Verwaltungsgerichtsbarkeit in diesem Entscheid ihre sachliche Unabhängigkeit von der Politik, indem sie allein aufgrund rechtlicher Kriterien in die Politik intervenierte. Es ist denn auch gerade diese gewonnene methodische Unabhängigkeit von der Politik, diese Selbstbeschränkung des Conseil d'Etat auf 'rein' rechtliche Aspekte, die überhaupt erst die Selbstständigkeit des Verwaltungsrechts und zugleich dessen Möglichkeit, sich in andere Gesellschaftsbereich wie sogar in die Politik mit Recht einzumischen, garantiert.907 Einführung des Tribunal des conflits Ebenfalls noch unter der Zweiten Republik war das Tribunal des conflits eingesetzt worden, das nun anstelle von Verwaltung und Conseil d'Etat über die Kompetenzkonflikte zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheiden sollte.908 Auch das Tribunal des conflits war unter Napoléon III seiner Funktion beraubt und durch die Dritte Republik in diese wieder eingesetzt worden.909

903 904 905 906 907

908

909

218

Gesetz vom 3. März 1849, vor allem Art. 6. Siehe vor allem Titel VI der Verfassung vom 14. Januar 1852. Loi Dufaure vom 24. Mai 1872. Recueil 155. In Deutschland gilt diese methodische Unabhängigkeit unter dem Begriff der juristischen Methode als Erzeugnis der Wissenschaft: siehe unten Kap. III.C.3: 275. Art. 89 der Verfassung der Zweiten Republik vom 4. November 1848 und Gesetz vom 3. März 1849. Zu dieser sogenannten Kompetenzkompetenz siehe bereits Kap. I.D.2.d): 46. Gesetz vom 24 Mai 1872.

Das Tribunal des conflits stand jedoch offensichtlich - bis hin zur Imitation der Gestaltungsform der Gerichtsurteile - mehr dem Conseil d'Etat als den Zivilgerichten nahe.910 So entschied es denn auch den wohl wichtigsten Streitpunkt zwischen den Zivilgerichten und dem Conseil d'Etat, die Zuständigkeit zur gerichtlichen Beurteilung von öffentlichen Arbeiten, zugunsten des Conseil d'Etat. 9 " Den Zivilgerichten sprach das Tribunal des conflits dagegen Klagen aus 'zivilrechtlichen Verträgen' in Zusammenhang mit der Ausübung eines öffentlichen Dienstes zu, notabene also nicht die Zuständigkeit über die Beziehung von Verwaltung und zum service public hinzugezogenen Unternehmen.912 Conseil d'Etat als Wahrer der Interessen der

Staatsverwaltung

Trotz der zunehmenden Unabhängigkeit der französischen Verwaltungsrechtsprechung darf allerdings nicht ausser Acht gelassen werden, dass - wie Publizisten und Rechtswissenschaftler zu jener Zeit913 und Historiker heute914 in aller Regel betonen - dem Conseil d'Etat als Gerichtshof der Verwaltungsangelegenheiten immer noch einen politischen Bias anhaftete, er also dazu tendierte, die Rechte der Einzelnen zurückzudrängen, wenn sie mit den Interessen der Verwaltung kollidierten.915 In der Tat besteht bis heute eine bemerkenswerte Nähe des Conseil d'Etat zur Verwaltung sowohl auf institutioneller Ebene (etwa durch die gemeinsame Ausbildung und den gemeinsamen Karriereweg) wie auch auf Ebene der Rechtsprechung.916 Diese Nähe bewertet Achilles Mestre weniger als ein Produkt von Zufällen denn als eine seit der Einsetzung durch Napoléon Bonaparte geplante und mehr oder weniger bis heute konsequent umgesetzte funktionelle Ausrichtung des Conseil

Z u m Ganzen: BURDEAU 1995: 129 f.

Entscheid des Tribunal des conflits vom 8. November 1851 in Sachen Bran, recueil 472. Entscheid des Tribunal des conflits vom 23. Mai 1851 in Sachen Lapeyre, recueil 664. Zur zeitgenössischen Kritik siehe insbesondere TOCQUEVILLE 1835-1840, II: 392-393; CORMENIN 1840, I: XLIII, vgl. mit Dareste, der die Fortschritte infolge verschiedener Reformen betonte: DARESTE 1862: 676. BURDEAU 1995: 482. Siehe insbesondere die differenzierte Sicht auf das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts auf den Seiten 199 ff. Diese Debatte lässt sich nochmals in aller Schärfe beim Entscheid des Conseil d'Etat vom 18. Juli 1913 in Sachen Syndicat national des chemins de fer, recueil 875, nachvollziehen. Hierzu unten bei Fn. 936: 223. Unter vielen ACHILLE MESTRE 1974: vor allem das Fazit 287 f. und jüngst in rechtsvergleichender Perspektive KOOPMANS 2003, der allerdings feststellt, dass trotz der engen Verbindungen von Conseil d'Etat und Verwaltung die Rechtsprechung bemerkenswert unabhängig geblieben sei.

219

d'Etat als Wahrer der Interessen der Staatsverwaltung mit dem Mittel des Rechts.917 Indes war der Conseil d'Etat gerade dank seiner Nähe zur Verwaltung und seinem unbestrittenen Verwaltungswissen im letzen Drittel des 19. Jahrhunderts, da sich die Verwaltungsaufgaben ebenso wie die Grösse der Verwaltung multiplizierten, in einer Position, diese Komplexitätssteigerung zu begleiten und mit Recht zu stabilisieren. b)

Ausweitung des recours pour excès de pouvoir Funktion des recours pour excès de pouvoir

Die strukturellen Änderungen der Verwaltungsrechtsprechung unter der Zweiten und vor allem der Dritten Republik spiegelten sich auch in der Rechtsprechung. Nachdem der Conseil d'Etat bereits früh den recours pour excès de pouvoir entwickelt und ihn im Entscheid vom 4. Mai 1826 in Sachen Landrin auf die Frage der Gesetzesförmigkeit der Verwaltung ausgerichtet hatte und hiermit einen Grundstein für die Evolution des französischen Rechtsstaates gesetzt hatte,918 intensivierte der Conseil d'Etat diese Rechtsprechung unter der Regentschaft von Napoleon III nach 1852, notabene also während einer Regentschaft mit despotischen Zügen. Dass gerade zu jener Zeit die Initialzündung zu einer verstärkten Überprüfling der Verwaltung durch den Conseil d'Etat erfolgte, wird auf zwei politische Kontextbedingungen zurückgeführt: Einerseits wird auf das ambivalente Verhältnis der despotischen Herrschaft von Napoléon III zur Legitimation durch Recht hingewiesen, denn bei schwacher institutioneller Legitimation habe das Regime in der öffentlichen Meinung wenigstens als willkürfrei gelten wollen. Und andererseits wurde zu jener Zeit die sogenannte 'déconcentration' durchgeführt, während welcher die Lokalverwaltungen gegenüber der Zentralgewalt an Macht gewannen und sich in den Augen der Kritiker zu einer Vielzahl lokaler Tyranneien zu entwickeln drohten.919 Diesen lokalen Unabhängigkeitsbestrebungen suchte der Conseil d'Etat mit einem zunehmend weit gefassten recours pour excès de pouvoir Herr zu werden, denn in der bisherigen Hauptkategorie des recours contentieux fiel es den Privaten oft schwer, überhaupt den Bestand eines ihnen persönlich durch Gesetz garantierten

9,7

ACHILLE MESTRE 1 9 7 4 : v o r a l l e m d a s F a z i t 2 8 7 f.

918

K a p . I l . C . l . b ) : 1 1 4 ; h i e r z u a u c h HORVATH 1 9 5 5 ; A U B Y 1 9 7 0 : 5 5 0 .

919

LEGENDRE 1 9 6 8 : 1 4 3 f f . ; A U B Y 1 9 7 0 : 5 5 0 f f . ; BURDEAU 1 9 9 5 : 1 7 5 .

220

Rechts zu beweisen, das sodann durch einen unilateralen Akt der Verwaltung verletzt worden wäre.920 Ihre besondere Bedeutung bekam diese Ausweitung der Verwaltungsrechtsprechung mittels weit gefasstem recours pour excès de pouvoir aber durch die Ausrichtung auf die emergierende moderne wohlfahrtsstaatliche Verwaltung, welche die Gesellschaft im Detail, inhaltlich, gemäss vorgegebenen politischen Zielen gestalten wollte.921 Der erforderliche Detaillierungsgrad einer derartigen interventionistischen gesellschaftlichen Gestaltung durch die Verwaltung Hess sich nun nicht mehr präzise im Gesetz abbilden, respektive der Verwaltung kam gegenüber dem Gesetzgeber ein weiterer Gestaltungsspielraum zu.922 Und gerade diesem weiteren Gestaltungsraum wäre mit den traditionellen Rechtsbehelfen nicht beizukommen gewesen. Détournement de pouvoir Innerhalb dieser Ausweitung der Verwaltungsrechtsprechung nahm im Hinblick auf die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags eine spezifische Erweiterung des recours pour excès de pouvoir eine besondere Stellung ein: die Erweiterung auf den sogenannten détournement de pouvoir. Diese Neuerung wurde, wenn auch noch nicht terminologisch explizit als détournement de pouvoir bezeichnet, nach der Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich, als der Conseil d'Etat gegen die Monopolisierung öffentlichen Grundes einschritt.923 So rügte etwa der Conseil d'Etat im Entscheid vom 19. Mai 1858 in Sachen Vernhes, dass ein Bürgermeister infolge einer neu erstellten Strandinfrastruktur die Benutzung des Strandes an eine Gebühr gekoppelt hatte, selbst wenn die bereitgestellte Infrastruktur nicht genutzt wurde.924 Der Conseil d'Etat sanktionierte damit neu die Ausübung von Verwaltungsermessen, das sich von gesetzlichen Zielen abwandte - auch wenn eine gesetzliche Zuständigkeit der Verwaltungseinheit grundsätzlich gegeben gewesen wäre. 925 Inten-

920

921 922 923

Vgl. Conseil d'Etat vom 13. März 1867 in Sachen Bizet, vor allem die Erwägungen des Regierungskommissärs Aucoc. Oben Kap. III.A.2.b): 202. ACHILLE MESTRE 1 9 7 4 : 5 5 f.

Diese Innovation entstammt ausschliesslich dem Fallrecht des Conseil d'Etat und wird üblicherweise den zwei prominenten Mitgliedern Aucoc und Laferrière zugeschrieben: A U B Y 1 9 7 0 : 5 5 0 f.; MARKUS MÜLLER 2 0 0 6 : 4 8 f f .

924

925

Recueil 399; ähnlich auch der Entscheid des Conseil d'Etat vom 25. Februar 1864 in Sachen Lesbats, recueil 209 und der Entscheid des Conseil d'Etat vom 13. März 1867 in Sachen Bizet, recueil Sirey 1868 II 91. Hierzu AUBY 1970: 550. 2 2 1

siviert und auch terminologisch als détournement de pouvoir bezeichnet wurde diese Rechtsprechung sodann zwischen 1880 und 1890.926 Damit gewann die Verwaltung zugleich - so das Fazit der zeitgenössischen Rechtswissenschaft - gegenüber den Privaten an Legitimität, denn ihre auf Private gerichteten Kommunikationen wurden nun in einem weiteren Rahmen von einer - mehr als je zu vor - unabhängigen Instanz überprüft. 927 Die Wichtigkeit dieser Innovation des détournement de pouvoir ist nicht zu unterschätzen: Sie bildete den Grundstein für eine umfassendere Rechtskontrolle der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung. Die Rechtskontrolle einer derart flexiblen und immer mehr den Umkreis von Gesetzen auslotenden Verwaltung erforderte eine ähnliche Flexibilität von den Gerichten, was allerdings eine Lockerung der Gesetzesbindung auch für die Gerichte und einen ins Auge fallenden Legitimationsausgleich durch die Urteilsbegründung mit sich brachte. Insgesamt näherte sich die Konsistenz des Rechts mit der neuen flexibleren Kontrolle der Verwaltung derart der Politik an, dass zuweilen geäussert wurde, das Verwaltungsgericht mache sich selbst zu einer hierarchisch eingegliederten Instanz des Verwaltungsapparates.928 Détournement de pouvoir und verwaltungsrechtlicher

Vertrag

Dieses Spannungsverhältnis zwischen Gesetzesbindung und Flexibilisierung in Anbetracht des neuen Kontextes des Interventionsstaates erschien bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in aller Deutlichkeit als Tendenz hin zur Funktionalisierung des Rechts. Darauf ist zurückzukommen. 929 Zunächst muss jedoch die Bedeutung der richterlichen Kontrolle der Verwaltung relativiert werden: -

Zum Ersten legte der Conseil d'Etat der Verwaltung mit dieser Rechtsprechung zu jener Zeit noch keine grossen Steine in den Weg: Das détournement de pouvoir wurde äusserst formal und eng gefasst. Es musste sich wortwörtlich aus der Form des angefochtenen Entscheids ableiten lassen. Eine Ausweitung der Überprüfung auf alle dem Fall zugehörigen und rechtsgültig eingereichten Schriftstücke erfolgte erst mit dem Entscheid vom 16. November 1900 in Sachen Maugras,930 und eine Ausweitung auf die äusseren Umstände wurde erst mit dem Entscheid vom 2. Februar 1957 in Sachen Castaing vollzogen.931 Grundlegend ist LAFERRIÈRE 1896, II: 548-560, mit zahlreichen Verweisen auf die Rechtsprechung des Conseil d'Etat.

927 928

929 930 931

222

Unter anderen LAFERRIÈRE 1896, II: 548 ff.; JÈZE 1913. WELTER 1929: 73 ff. und 325 ff.; hierzu kritisch AUBY 1970: 552.

Unten Kap. III.B.3.e): 230. Recueil 617. Recueil 78.

-

Und zum Zweiten blieb auch der derart erweiterte recours pour excès de pouvoir immer noch auf die Gesetzesbindung der Verwaltung fixiert, indem Rechtsmissbrauch definiert wurde als Ausübung des durch Gesetz übertragenen Ermessens gegen die Ziele des Gesetzes.932 Entsprechend ging es bei dieser gerichtlichen Überprüfung nicht primär um gegenseitige Rechte und Pflichten, sondern darum, ob die Verwaltung im Rahmen ihrer gesetzlich begründeten Zuständigkeit und im Rahmen der gemäss Gesetz festgelegten Ziele handelte.933

Wie diese Überprüfung auf détournement de pouvoir nun aber einerseits die Überprüfungsbandbreite auf kooperative Elemente zwischen Verwaltung und Privaten ausweitete und andererseits immer noch eng an die Legitimationsfunktion des Gesetzes anknüpfte, lässt sich an zwei bekannten Fällen des Conseil d'Etat zeigen: -

Eine frühe Anwendung des détournement de pouvoir stellt der Fall des Conseil d'Etat vom 7. August 1874 in Sachen Hotchkiss dar.934 Im Rahmen eines Beschaffungsauftrages vor dem Hintergrund des Französisch-Deutschen Krieges ging es im Wesentlichen darum, ob die Verwaltung ihre Kompetenzen durch die Auflösung des Vertrags überschritten habe. Ohne die vertragliche Natur der Rechtsbeziehung zu untersuchen, stellte der Conseil d'Etat fest, dass aufgrund des gesetzlichen Auftrags zur Beschaffung von Wehrmaterial die Verwaltung auch ohne entsprechende Gesetzesnorm und ohne entsprechende Klausel jederzeit zur Kündigung unter Leistung einer angemessenen Entschädigung befugt sei.935

-

Ebenso anschaulich ist der Fall des Conseil d'Etat vom 18. Juli 1913 in Sachen Syndicat national des chemins de ferP6 Der Conseil d'Etat hatte zu beurteilen, ob der Kriegsminister die streikenden Bahnarbeiter in den Militärdienst einberufen und als Armeeangehörige zur Bahnarbeit einsetzen könne, um sie damit zur Aufgabe ihres Streiks zu bringen. Diese Einberufung, so der Conseil d'Etat, stelle kein détournement de pouvoir dar, da die funktionierende Eisenbahninfrastruktur fur die nationale Sicherheit des Territoriums von zentraler Bedeutung

932 933

934 935 936

LAFERRJÈRE 1 8 9 6 , II: 5 4 8 , m . w . H .

Zum Beispiel JEZE 1910: 290, brachte das Prinzip der Gesetzesbindung folgendennassen zum Ausdruck: „En droit, l'administration a le pouvoir de modifier, par voie de règlement, l'organisation du service public, pour des raisons d'intérêt public: le juge administratif n'a qu'à apprécier la légalité du règlement : l'opportunité du règlement n'est pas de sa compétence. Il n'a pas le pouvoir de dire que l'intérêt public n'exigeait pas une réglementation nouvelle absolument radicale. Ce n'est pas son rôle déjugé de l'excès de pouvoir." Recueil 824. Vor allem recueil 825 ff. Recueil 875.

223

sei und insofern der Minister im Rahmen seiner Zuständigkeit gehandelt habe.937 Obwohl in beiden Beispielen, Hotchkiss und Syndicat national des chemins de fer, die Verwaltung in einseitiger Weise in ein kooperatives Verhältnis zwischen Verwaltung und Privaten intervenierte, war lange umstritten, ob der recours pour excès de pouvoir auf Verträge überhaupt anwendbar sei und wenn ja, auf welche Verträge: Zunächst galt die Regel, dass dieser recours auf die Gesetzesbindung der Verwaltung ziele und darum nur Verwaltungsakte erfasse, nicht aber vertragliche Regelungen.938 Da der Fokus nach wie vor primär auf die gesetzesmässige Zuständigkeit der Verwaltung und deren Gesetzesbindung gerichtet war und die Rechtsprechung entsprechend kontrollierte, ob die Verwaltung im Rahmen der Gesetze agierte,939 erstaunt nicht, dass in diesem Kontext unklar blieb, ob der Vertrag als Verwaltungsakt gelte und die Verletzung vertraglicher Regelungen dem recours pour excès de pouvoir unterstehe, oder ob dieser von den Zivilgerichten unter Ausschluss von Drittinteressen zu behandeln sei.940 c)

Der Entscheid Blanco Sachverhalt und Begründung durch das Tribunal des conflits

Dem Entscheid des Tribunal des conflits vom 8. Februar 1873 in Sachen Blanco wird bis heute fiir die Ausbildung des modernen Verwaltungsrechts im Allgemeinen und für die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags zentrale Bedeutung zugeschrieben.941 Zur Entscheidung stand konkret der Fall eines Kindes, das durch einen auf Schienen laufenden Transportwagen einer staatlichen Tabakfabrik verletzt worden war. Nachdem der Staat zivilgerichtlich eingeklagt worden war, wies das Tribunal des conflits die Zuständigkeit dem Conseil d'Etat zu. Die kurzen Erwägungen des Tribunal des conflits lauten folgendermassen:

Vor allem recueil 883. Zur frühen Ausprägung dieser Doktrin siehe Kap. Il.C.l.b): 114. Zum Stand der Doktrin um 1900 siehe unter vielen die Übersicht bei BERTHÉLEMY 1906: 913 ff.; illustrativ ist der Entscheid des Conseil d'Etat vom 21.12.1906 in Sachen Syndicat Croix de Seguey-Tivoli, recueil 961, 966 f., wo es um die Frage ging, ob die Nichtintervention der Verwaltung in einen konzessionierten Betrieb einen excès de pouvoir darstellen könne. Zum Ganzen siehe a u c h MAYER 1 8 8 8 : 2 4 f. U n t e r V i e l e n : MAYER 1 8 8 8 : 2 4 ; BERTHÉLEMY 1 9 0 6 : 9 1 1 . JÈZE 1 9 1 3 : 3 9 8 ff. m . w . H .

Anstelle vieler siehe mit Bezug zum Verwaltungsvertrag LAUBADÈRE 1956,1: N 11 ff.

224

„Cons. que la responsabilité, qui peut incomber à l'Etat pour les dommages causés aux particuliers par le fait des personnes qu'il emploie dans le service public, ne peut être régie par les principes qui sont établis dans le Code civil, pour les rapports de particulier à particulier; Que cette responsabilité n'est ni générale, ni absolue; qu'elle a ses règles spéciales qui varient suivant les besoins du service et la nécessité de concilier les droits de l'Etat avec les droits privés; Que, dès lors, aux termes des lois ci-dessus visées, l'autorité administrative est seule compétente pour en connaître."942 Das Tribunal betonte somit die Notwendigkeit, spezifische verwaltungsrechtliche Haftungsregeln zu konstruieren, die auf den service public abgestimmt seien und unter Umständen von den zivilrechtlichen Grundsätzen des Code civil abwichen. Paradoxerweise begründete es diese Notwendigkeit einer verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Staats gerade mit jener Regel, die die Verwaltung einst von den Zwängen der unabhängigen Gerichte und damit weitgehend vom Recht befreit hatte: Mit dem Gesetz vom 16.-24. August 1790 war den Zivilgerichten verboten worden, sich in die Angelegenheiten der Verwaltung einzumischen.943 Damit distanzierte sich das Gericht zugleich auch von der Doktrin des Etat-débiteur, nach welcher Staatsschulden im Wesentlichen nur durch Gesetz oder durch die Verwaltung und nicht durch die Zivilgerichte begründet respektive festgestellt werden konnten - mit Ausnahme von jenen Schulden gegenüber Privaten, die dem Zivilrecht unterstanden.944 Umstrittene Bedeutung des Falls Die herrschende Lehre hat bis heute den Fall Blanco derart interpretiert, dass damit erstmals von der alten Unterscheidung in Hoheitsakte (actes d'autorité) und betriebswirtschaftliche Akte (actes de gestion) Abstand genommen worden sei.945 Chapus fuhrt dem jüngst entgegen, dass sich ein derartiger Paradigmenwechsel weder aus dem Text, noch aus anderen zeitgleichen Entscheiden, noch aus der damaligen Lehre erkennen lasse.946

Recueil 1er Supplement 61. Heute würde dieser Fall aufgrund des gewandelten Verständnisses von Service public freilich nicht mehr als öffentlichrechtlich qualifiziert: siehe unten bei Fn. 978: 239. Kap. I.D.2.d): 46. Das Gericht bezog sich auf die entsprechenden Gesetze vom 17. Juli bis 8. August 1790 und vom 26. September 1973. Hierzu BURDEAU 1995: 128 f. DUGUIT 1 9 1 3 ; LAUBADERE 1 9 5 6 , 1 : N 11 f f .

225

In diesem Streit um die Bedeutung des Entscheids Blanco sind meines Erachtens zwei Themen auseinander zu halten: -

Zunächst ist zu beachten, wie das Tribunal des conflits sich von der Theorie des 'Etat-débiteur' verabschiedete und damit bereits die Leitunterscheidung des Verwaltungsrechts verschob (unmittelbar nachfolgend).

-

Zum Zweiten ist auf den umstrittenen Paradigmenwechsel betreffend Abgrenzung von Verwaltungsrecht und Zivilrecht einzugehen (unten Kap. III.B.3.e): 230.

Beide Verschiebungen in den Rechtsstrukturen hängen - so meine These - eng mit der frühen Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im französischen Recht zusammen, die später das deutsche und das schweizerische Recht massgeblich prägen sollte. d)

Asymmetrien in der gerichtlichen Zuständigkeitsabgrenzung Bestätigung der alten Abgrenzungstheorie

im Fall Blanco

Chapus Kritik an der herrschenden Interpretation des Entscheids Blanco ist insoweit zuzustimmen, als in der Tat im Entscheid selbst und insbesondere in den Ausführungen des Regierungskommissärs David noch die alte Abgrenzung anklingt: Die Zuweisung zum Conseil d'Etat wird im Kern damit begründet, dass es in diesem Fall nicht um eine Rechtsbeziehung zwischen Privaten, d. h. zwischen nach Code civil gleichgerichteten Parteien gehe, sondern um die Anwendung von „puissance public ", von souveräner staatlicher Macht zwischen Staat und Privaten. Damit wurde im Einklang mit der alten Theorie „acte administratif' mit „puissance public" und mit „compétence administrative" (notabene verwaltungsmässiger und nicht verwaltungsrechtlicher Zuständigkeit) gleichgesetzt; mittels acte administratif richtete sich die Verwaltung, so die Argumentationskette des Gerichts, mit der ihr zustehenden puissance public auf den service public aus. Relativierung der Theorie des 'Etat-débiteur ' nur in Bezug auf Veran twortl ichkeitsrecht Unmittelbar neu war nun in diesem Sinne lediglich, dass in Abkehr von der Theorie des Etat-débiteur diese Gleichsetzung und damit die verwaltungsmässige Zuständigkeit auch auf Verantwortlichkeitsansprüche ausgedehnt wurde. In diesem Gehalt

946

226

CHAPUS 1 9 9 9 : 2 9 ff.

wurde der Entscheid Blanco durchaus unmittelbar als bedeutendes Präjudiz erkannt. So führte der Conseil d'Etat bereits in seinem Entscheid vom 17. Mai 1877 in Sachen Banque de France an erster Stelle in den Begründungen den Entscheid Blanco an,947 und auch bereits Otto Mayer erwähnte den Entscheid Blanco in seiner 'Theorie des französischen Verwaltungsrechts' von 1886 als Leitentscheid des Verantwortlichkeitsrechts.948 Dass dem Entscheid dennoch zu jener Zeit noch nicht sofort die überragende Bedeutung zukam, die ihm später attestiert wurde, zeigt sich zum Beispiel daran, dass Henri Berthelemy (1857-1943) in der Auflage von 1906 seines wichtigen Werkes 'Droit administratif noch nicht auf den Fall Bezug nahm, sondern erst in der Auflage von 1926.949 Der Entscheid Blanco erlangte also nicht unmittelbar nach seiner Publikation eine Bedeutung, die über das Verantwortlichkeitsrecht hinausgegangen wäre. Insbesondere wurde die Ausweitung der verwaltungsmässigen Zuständigkeit infolge Blanco zunächst nicht so weit gedacht, dass damit auch kooperative Beziehungen, die sich auf den Service public richteten, der verwaltungsmässigen Zuständigkeit zuzuweisen wären. Im Gegenteil brachte das Tribunal des conflits in anderen Entscheiden jener Jahre zum Ausdruck, dass Verträge grundsätzlich nur zu zivilgerichtlicher Zuständigkeit Anlass geben könnten. In diesem Sinne war die Alternative noch immer zivilrechtlicher Vertrag versus Verwaltungsakt. 950 Asymmetrien in der rechtlichen Erfassung von Verantwortlichkeit Kooperationen

und

Folge dieser Aktualisierungen in den leitenden Rechtsprinzipien war aber eine eigentliche Asymmetrie in den Rechtsstrukturen: Dass Verträge zwischen Verwaltung und Privaten, auch wenn sie sich auf den service public richteten, nur im Zivilrecht als Verträge qualifiziert werden konnten, während nun auch Verantwortlichkeitsansprüche je nach Abgrenzung einmal verwaltungsmässige und einmal zivilgerichtliche Zuständigkeit auslösen konnten, musste in der Folge des Entscheides Blanco als Asymmetrie erscheinen.951 Es ist denn meines Erachtens gerade diese vom Tribunal des conflits unwillentlich freigesetzte Asymmetrie, die der Rekonstruktion des Vertrags im Verwaltungsrecht Antrieb verschaffte.

Recueil 472, 475. M A Y E R 1 8 8 6 : 3 4 6 f. u n d 4 1 9 . B E R T H E L E M Y 1 9 0 6 : 5 1 8 f f . u n d BERTHELEMY 1 9 2 3 : 6 0 2 f f .

Entscheid des Tribunal des conflits vom 25. Januar 1873 in Sachen Planque et Papelard (recueil 1er supplement 44). Siehe auch Entscheid des Tribunal des conflits vom 8. Februar 1873 in Sachen Dugave et Bransiet (recueil 1er supplement 70). V g l . PERRIQUET 1 8 8 4 : N 5 1 m . w . H . ; s o a u c h C H A P U S 1 9 9 9 : 3 3 f .

227

Dass diese Asymmetrie tatsächlich auch unmittelbar zur Sprache kam, zeigt sich bereits ein Jahr nach dem Entscheid Blanco an den wiederum von Regierungskommissär David verfassten Schlussfolgerungen im Entscheid des Conseil d'Etat vom 25. Juli 1874 in Sachen Hospice de Vichy. Konkret äusserte sich David zur Frage der Rechtsnatur eines konzessionsähnlichen Entscheides des Conseil du Roi von 1716, mit welchem dem Hospice de Vichy die Mineralwasserabfiillung gegen Gebühr zugesprochen worden war. In vorsichtiger Form, ohne den zu beurteilenden Ereignissen aus dem Jahr 1716 im Speziellen und der Konzession im Allgemeinen eine vertragliche Natur zuzuerkennen, folgte David dem Weg, der mit der Entscheidung Blanco eingeschlagen worden war: Auch wenn ein Akt der Verwaltung vertraglicher Natur sei, so bedeute dies nicht zugleich, dass der Akt dem Zivilrecht angehöre. Massgebend für die letztere Frage sei vielmehr, ob der zur Beurteilung stehende Rechtsakt mit dem souverän handelnden Staat derart verbunden sei, dass er allein von den Verwaltungsbehörden beurteilt werden sollte.952 Ähnlich verfuhr der Conseil d'Etat auch im bereits erwähnten Entscheid vom 7. August 1874 in Sachen Hotchkiss.953 Vor dem Hintergrund des Krieges mit Deutschland hatte die Verwaltung die Bestellung einer grösseren Menge von Patronenhülsen storniert und das eingebrachte Produktionsmaterial zurückgenommen, weil die Produktion den steigenden qualitativen und quantitativen Ansprüchen nicht genüge. Ohne die Natur des Rechtsverhältnisses zu thematisieren, stellte der Conseil d'Etat fest, dass auch ohne entsprechende Klausel die Verwaltung zur Kündigung unter Leistung einer angemessenen Entschädigung, die auch auf den entgangenen Gewinn gehe, befugt sei.

953

228

„Nous n'hésiterions pas à nous prononcer pour l'affirmative [que l'acte en question doit être considéré comme un acte administratif] si l'acte en question constituait une véritable concession émanant de l'initiative du souverain, car s'il est vrai que les actes de cette nature, surtout quand il imposent des charges aux concessionnaires, ont un caractère contractuel, ainsi que l'a déclaré à plusieurs reprises la Cour de cassation ..., il est également vrai de dire qu'il y a là une convention d'une nature toute spéciale, exceptionnelle, qui ne rentre pas dans la sphère de la vie civile, et qui, étant propre au droit administratif, ne saurait ressortir, pour son interprétation, que de l'autorité administrative dont elle émane.": Recueil 725, 728 f. Recueil 824; siehe oben bei Fn. 934: 223.

Sich abzeichnende Leitprinzipien der Lehre des Vertrags

verwaltungsrechtlichen

Gerade dieser Entscheid Hotchkiss, auch wenn der Conseil d'Etat hierin die Rechtsnatur nicht explizit thematisierte, verdeutlicht die Konstellation, in welcher der Vertrag innerhalb des Verwaltungsrechts rekonstruiert wurde. Im Kern ging es darum, mit Hilfe vertragsrechtlicher Elemente die öffentlichen Interessen mit der Eigenrationalität jener Privaten zu kompatibilisieren, auf deren Leistungen die Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben angewiesen war. Im Vordergrund stand dabei zu jener Zeit die Kooperation mit Privaten im Hinblick auf spezifische Aspekte des service public: -

Erstens sollte typischerweise eine bestimmte Leistung im öffentlichen Interesse erbracht werden, die aber von der Verwaltung aufgrund mangelnder Ressourcen überhaupt nicht oder zumindest nicht in zeitlicher, quantitativer oder qualitativer Hinsicht alleine erbracht werden konnte. Folglich war die Verwaltung auf die Mitwirkung mit Privaten (in casu Hotchkiss auf die Kooperation mit einem wichtigen Rüstungsbetrieb) angewiesen. Ganz im Sinne der erläuterten Evolution im Bereich des Staatsdienstes ist dabei der Begriff der mangelnden Ressourcen weit zu fassen: Darunter fallen zum Beispiel fehlendes Personal, fehlende Geldmittel, fehlende gesetzliche Regelung und fehlende Möglichkeit, auf sozusagen verwaltungsferne Rationalitäten wie das Bewusstsein und die Motivation von Mitarbeitern oder die Innovationsfahigkeit der Privatwirtschaft unmittelbar zuzugreifen. 954

-

Zweitens brachte es die konkrete Mitwirkung des Privaten mit sich, dass diese Mitwirkung nicht allein in befehlsförmiger Weise erreicht werden konnte, sondern sich das verwaltungsmässige Ziel nur oder zumindest besser dadurch erreichen Hess, dass die Eigenrationalität der Privaten in deren Leistungserbringung respektiert wurde (in casu Kriegsmaterialproduktion unter Ausnützung privater Produktionsmittel und Marktdruck). Dies spiegelte sich bei der Bestellung zum Staatsbeamten wie auch bei der Konzession einerseits darin, dass der Wille des Privaten rechtlich Bedeutung erlangte, und sei es nur als initiale Zustimmung zum Rechtsverhältnis. Ebenso wie der qualifizierte Beamte in einem kooperativen Verhältnis bessere Arbeit leistet als unter Zwang, sollte im Fall der Konzession oder der Bedarfsdeckung der Private mit Hilfe des Einsatzes privater Produktionsmittel und unter Wettbewerbsdruck eine bessere Leistung als die verwaltungsinterne Produktion erreichen. Andererseits aber, argumentativ ver-

Zum Staatsdienst vgl. Kap. II: 95.

229

knüpft mit der rechtlichen Relevanz der privaten Willensäusserung, wurde auch ganz materiell die Rationalität der Privaten jeweils mit Recht abgesichert: Während der Staatsbeamte dauerhaft in seinen existenziellen Bedürfnissen über den Dienst hinaus abgesichert werden sollte, ging es bei den privaten Unternehmungen um die Sicherung planbarer Gewinnerwartungen. Es ist allerdings wichtig zu sehen, dass diese Zugeständnisse den Bedürfnissen der Verwaltung entsprachen. In dieser deutlichen Ausrichtung auf das verwaltungsmässige Ziel zeichnet sich somit bereits eine Funktionalisierung ab. -

Drittens nahm die französische Verwaltung jedoch, unter Umständen auch gegen das Element der übereinstimmenden Willensäusserungen, iur sich eine grosse Flexibilität zur Anpassung an gewichtige öffentliche Interessen in Anspruch. In diese öffentlichen Interessen ihrerseits war ja der Private wiederum durch Beteiligung an der Gesetzgebung einbezogen, und im Fall der Beteiligung Privater an der Erbringung des Service public wurde die langfristige Übereinstimmung von öffentlichen und privaten wirtschaftlichen Interessen durch Schadenersatz bei einseitiger Änderung der Kooperationsvereinbarungen erreicht.955

e)

Morphogenese des Verwaltungsrechts Chapus Kritik an der Theorie des

Paradigmenwechsels

Chapus kritisiert, wie bereits erwähnt, die herrschende Lehre dafür, dass sie den Paradigmenwechsel des Verwaltungsrechts hin zu einer funktionalen Leitunterscheidung dem Fall Blanco unterstellt.956 In der Tat ergibt sich der Paradigmenwechsel nicht direkt aus dem Wortlaut des Entscheides, und auch die damalige Lehre und Rechtsprechung erkannten den Entscheid Blanco nicht unmittelbar als Geburtsstunde des modernen Verwaltungsrechts. Vielmehr wurde diese Bedeutung des Entscheids erst nach der Jahrhundertwende erkannt und zum Symbol des Paradigmenwechsel gemacht: Chapus erkennt diese Neuinterpretation, die eine Überinterpretation des Falles Blanco mit sich bringe, erstmals in den Jahren 1908 bis 1910 in den Entscheiden des Conseil d'Etat und sodann in der paradigmatischen Schrift von Leon Duguit (1859-1928) zur Transformation des öffentlichen Rechts von 1913.

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich die Praxis, unilaterale Änderungen an der Konzession nur gegen Entschädigung zuzulassen, erst nach der Jahrhundertwende vollständig durchsetzte: BURDEAU 1995: 283 f.

Oben Fn. 946: 226.

230

Bei genauerer Betrachtung kann dieser Interpretation, dass Lehre und Rechtsprechung den Fall Blanco überbewertet hätten, aber nur ansatzweise zugestimmt werden. Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. Februar 1903 in Sachen Terrier und die Schlussfolgerungen Romieu Der Paradigmenwechsel wurde bereits im berühmten Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. Februar 1903 in Sachen Terrier sichtbar und mit dem Entscheid Blanco in Verbindung gebracht. In diesem Fall ging es um die Natur des Rechtsverhältnisses zwischen einer Gemeinde und deren Beamten. Der Regierungskommissär Romieu meinte in seinen Schlussfolgerungen: „On a, il est vrai, essayé de donner à celle compétence un caractère exceptionnel, en alléguant que le contrat des fonctionnaires de toute catégorie est un contrat qui comporte un élément de puissance publique. Cela serait exact si l'on employait le mot de 'puissance publique' dans le sens où on le prenait autrefois (voir conclusions de M. David dans l'affaire Blanco, Trib. confl., 8 févr. 1873, p. 61) et où l'autorité judiciaire le prend encore souvent (Cour de cassation, Ch. civl. 12 juin 1901, l'Etat c. Dessauet), c'est-à-dire dans tous les cas où l'administration intervient autrement que comme personne privée. Mais vous avez l'habitude, depuis un certain temps déjà, de réserver les mots de 'puissance publique' que pour les actes d'autorité et de commandement : il nous parait, avec cette acception, bien difficile de faire intervenir l'idée de puissance publique dans les rapports contractuels qui peuvent exister entre une commune et un employé du bureau de la mairie. Aussi, pour éviter toute confusion reposant sur une question de terminologie, paraît-il préférable de considérer simplement que les contrats des communes avec leurs agents sont des contrats administratifs par leur nature, parce qu'ils sont la condition essentielle de la marche des service publics communaux.11957 [Hervorhebungen von AA] Romieu erkannte also, dass sich mit dem Entscheid Blanco zumindest eine Unsicherheit im zentralen Abgrenzungsbegriff der „puissance publique" äusserte, mit welcher sich eine Neuorientierung der Zuständigkeiten und damit zugleich eine Neuorientierung in der Abgrenzung von Verwaltungsrecht und Zivilrecht ankündigte. Der Verweis von Romieu auf Blanco zielte denn auch auf die Schlussfolgerungen von Regierungskommissär David in jenem Fall, der dies bereits wage ange-

Recueil 96. Hervorhebungen im Original.

231

deutet hatte. Und Romieu erkannte auch, dass diese Neuorientierung in der Abgrenzung von entscheidender Bedeutung für Verträge zwischen Staat und Privaten war. Denn die Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht vollzog sich nicht mehr primär danach, ob der Staat hoheitlich auftrat - was einst die Rechtsform des Vertrags im Verwaltungsrecht ausgeschlossen hatte. 958 Vielmehr ging es nun - wie bereits in den Begründungen des Entscheids Blanco - darum, ob das Rechtsverhältnis derart eng mit der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben verbunden war, dass es durch vom allgemeinen Privatrecht abweichenden Regeln verfasst werden musste. Romieu nahm also die terminologische Unsicherheit im Entscheid Blanco auf, erkannte die darin bereits angelegte rechtseigene Funktionalisierung der Abgrenzung auf den service public hin und gab diesem Prinzip für die Bestellung zum Staatsdienst klaren Ausdruck. Von einer Überbewertung des Falles Blanco kann hier also nicht die Rede sein. Leon Duguits 'Les transformations du droit public ' von 1913 Wer sodann die Schrift von Duguit zur Transformation des öffentlichen Rechts von 1913 untersucht, trifft ebenfalls nicht auf die behauptete Überbewertung. Duguit meinte vielmehr, dass mit dem Entscheid Blanco erste Zeichen des Paradigmawandels sichtbar würden, und er schloss im Übrigen eng an die oben erwähnten Schlussfolgerungen von Romieu im Fall Terrier an: „Quelque vagues et peu juridiques que soient ces motifs, ils sont intéressants parce qu'ils annoncent l'évolution qui va s'accomplir. Les membres du haut tribunal ont le sentiment que la responsabilité de l'Etat à l'occasion des services publics va s'imposer chaque jour avec plus de force, mais qu'elle ne peut pas être une responsabilité du même ordre que celle qui atteint le simple particulier dans ses rapports privés. ... [L]es juges de 1873 [i.e. de l'arrêt Blanco] comprennent que la responsabilité de l'Etat ne peut pas être une responsabilité pour faute, qu'il faut donc écarter la compétence judiciaire parce que les tribunaux civils eux ne comprendraient que cette responsabilité. Il doit en être ainsi même quand il s'agit, comme dans l'espèce, d'un service où n'apparaît en aucune façon la puissance publique. La décision est des lors tout à fait significative : elle tend réserver aux tribunaux administratifs tous les procès qui soulèvent une question touchant au fonctionnement d'un service public, quel que soit le caractère de l'acte, quel que soit le service intéres-

958 959

232

Siehe Kap. I.D.2.C): 41, Kap. Il.C.l.b): 114 und Kap. II.C.4.b): 177. DUGUIT 1913 : vor allem 172 ff.

Bedeutungsverlust

der Abgrenzung nach acte d'autorité

...

In der Tat verdeutlicht gerade der explizite und zentrale Hinweis auf die spezifischen Bedürfnisse des service public, dass es bereits im Entscheid Blanco nicht mehr um die alte Abgrenzung in Reinform ging, nach welcher es im Wesentlichen bereits genügte, dass die Verwaltung in einer bestimmten Form, mit acte administratif, auftrat und damit ihren Anspruch auf souveräne Machtausübung kundtat.960 Vielmehr zeichneten sich im Text bereits die Abkehr von der alten Differenz und der Aufbau einer neuen an. Dabei handelt es sich meines Erachtens weniger um die explizite und direkte Verabschiedung der Theorie der acte d'autorité als um eine indirekte Abkehr davon. Denn mit der Unterscheidung zwischen acte d'autorité und acte de gestion wurde vor dem Fall Blanco ein Raum für die Politik abgegrenzt, in welchem das Recht wenig bis keinen Einfluss ausüben sollte: Mit der Bezeichnung als actes d'autorité wurde bis anhin ein Sachverhalt den unabhängigen Zivilgerichten (mit Ausnahme eines äusserst begrenzen Bereiches im Verantwortlichkeitsrecht) entzogen und dem mit der Verwaltung eng verbundenen Conseil d'Etat zur Beurteilung zugewiesen, wobei dieser die Kommunikationen der Verwaltung seinerseits ebenfalls nur sehr beschränkt überprüfte. Genau diese Folge der Unterscheidung nach acte d'autorité wurde nun mit dem Entscheid Blanco relativiert, indem der Conseil d'Etat - weitergehend als bisher - über eine Verwaltung zu befinden hatte, die sich von der strikten Gesetzesbindung und der entsprechenden Legitimation löste. Und genau diese Ausweitung der gerichtlichen Zuständigkeit kam mit dem Ausbau der Rechtsmittel zustande, insbesondere mit der Ausdehnung des recours pour excès de pouvoir auf die Überprüfung des Verwaltungsermessens.961 Damit verlor aber zugleich die Differenz von acte d'autorité zu acte de gestion an Bedeutung. ... und Auflau einer neuen -funktionalen

- Differenz

Konkret verabschiedete das Tribunal des conflits im Entscheid Blanco somit die alte Alternative, ob staatlich-autoritative Kommunikation weitgehend uneingeschränkt bleiben sollte oder durch Zivilrecht und unabhängige Gerichtsbarkeit legitimiert zu werden brauchte. Neu ging es nun im Wesentlichen darum, ob die legitimatorische Funktion des Rechts in mehr oder in weniger Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Verwaltung durch Verwaltungsrecht oder durch Zivilrecht zustande kommen sollte.

Siehe hierzu Kap. Il.C.l.a): 108 und vor allem bei Fn. 442: 111. Oben Kap. III.B.3.b): 220.

233

Ob die Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben autoritativ und hierarchisch gegenüber den Privaten auftrat, blieb zwar nach wie vor von rechtlicher Bedeutung für die Abgrenzungsfrage. Dieses Kriterium wurde aber zugleich zurückgestuft und eng mit einem funktionalen Element verknüpft. Darauf weist denn auch das Tribunal des conflits in der zitierten Passage des Entscheides Blanco explizit hin: Dem Verwaltungsrecht und damit in der Regel dem Conseil d'Etat sollen jene Bereiche zustehen, in denen spezielle Regeln benötigt werden „... qui varient suivant les besoins du service et la nécessité de concilier les droits de l'Etat avec les droits privés."962 Die Kompetenz zur Abgrenzung wurde somit der Politik weitgehend entzogen und in funktionaler Weise durch das Recht strukturiert. Es ging nun nicht mehr darum, ob sich die Verwaltung mit einem acte administratif der Überprüfung durch unabhängige Zivilgericht entziehen und sich damit selbst die „compétence adminstrative" geben wollte. Vielmehr war neu nach der Leistung des Rechts für den service public im Besonderen und nach der Funktion des Rechts für die Gesellschaft im Allgemeinen, insbesondere die Versöhnung von staatlichen und privaten Interessen, zu fragen. Bedeutung der neuen funktionalen Differenz für die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags Für die vorliegend zu untersuchende Frage nach der Re-Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags ist dieser Schritt von zentraler Bedeutung, denn mit der Aktualisierung der Abgrenzung zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht infolge des Entscheides Blanco wurde eine Bedingung geschaffen, ohne die die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags nicht denkbar gewesen wäre: Mit der Relativierung der Unterscheidung nach acte d'autorité und deren Ergänzung mit einem dominanten funktionalen Element wurde die zentrale Differenz von Recht und Nichtrecht verschoben, womit kooperative Beziehungen zwischen Staat und Privaten im öffentlichen Recht erst erfasst werden konnten. Theoretisch präziser: Das Kommunikationssystem Recht bildete in Folge einer Morphogenese einen neuen Teilbereich des Rechts aus, der sich von anderen Rechtsbereichen und insbesondere von der Umwelt des Systems abgrenzte. Dies zeigt sich etwa daran, dass nun die Entscheidung, ob Kommunikationen der Verwaltung dem Recht unterstehen oder nicht, der Politik weitgehend entzogen und ins Recht hinein verlagert wurde, so

962

234

Entscheid des Tribunal des conflits vom 8. Februar 1873 in Sachen Blanco, recueil 1er Supplement 61; oben bei Fn. 942: 225.

dass man hier von der eigentlichen Geburt des modernen Verwaltungsrechts sprechen kann. Die Verbindungen von Morphogenese963 und Selbstreferenz (Autopoiese)964 bezeichnen ein komplexes und bis heute wenig beschriebenes Problem der Evolutionstheorie. Es würde zu weit führen, auf diese theoretische Frage vertieft einzugehen. Immerhin: Die Metaphern der Morphogenese und der Autopoiese vermögen die Bedeutung der genannten Strukturveränderungen für den Vertrag zwischen Staat und Privaten mit anderen Worten plausibel zu machen: Der Aktualisierung der Rechtsstrukturen gingen Veränderungen in der Umwelt voraus (Stichwort interventionistische Verwaltung)965. Die rechtsinternen Reaktionen auf diese Veränderungen (bis hin zum Fall Blanco) 966 führten zu einer Asymmetrie innerhalb der Rechtsstrukturen, denn der Multiplizierung wohlfahrtsstaatlicher Verwaltungsaufgaben stand die Forderung an das Recht gegenüber, ebendiese Ausdehnung der Verwaltung auf die Gesellschaft legitimierend zu stabilisieren.967 Einer entsprechenden Aktualisierung der Rechtsstrukturen im Verantwortlichkeitsrecht gemäss dem Entscheid Blanco musste die Aktualisierung für jene Rechtsbeziehungen folgen, in welchen die Verwaltung mit Privaten im weitesten Sinn kooperierte. In diesen Bereichen vollzog sich eine Kohärenzsenkung des Rechts, denn das Recht als Ganzes oder in den bisherigen Teilbereichen hätte diese Anpassung nicht leisten können. Mit dieser Kohärenzsenkung näherte sich nun das Recht zwar der Politik an, aber es bildete hierzu einen neuen Teilrechtsbereich, der allein der Rationalität des Rechts unterstand.

Als Morphogenese kann eine institutionelle Reaktion des Systems auf ambivalente, widersprüchliche oder paradoxe Anforderungen bezeichnet werden, aufgrund derer das System seine innere Konsistenz in einem Bereich senkt und damit gerade einen neuen Teilbereich ausdifferenziert. Institutionell ist diese Reaktion im Sinne von Redundanz, d. h. das System reagiert auf bestimmte Ereignisse mit einer sich wiederholenden Reduktion möglicher Verhaltensweisen. Da den gesteigerten Anforderungen aus der Umwelt nicht zu entkommen ist, nähert sich das System an diesem Ort der Komplexität der Umwelt - unter Beibehaltung seiner Autopoiesis: siehe hierzu ABEGG 2006b. Mit der Autopoiese wird in nuce der Prozess bezeichnet, in welchem sich ein System, bestehend aus verschiedenen Komponenten, durch die spezifische Relation seiner Komponenten von der Umwelt abgrenzt und diese Komponenten ihrerseits vom System hergestellt werden. Kurz gefasst geht es dabei um die Selbstreproduktion eines Systems durch selbst produzierte Elemente. Siehe hierzu MATURANAA^ARELA 1987: 55 f f ; vgl. LUHMANN 1993a: 240; TEUBNER 1989. Interessant für die hier untersuchte Evolution ist auch die Unterscheidung von Autopoiese und Allopoiese, in welcher ein System nicht sich selbst, sondern Elemente seiner Umwelt produziert: siehe hierzu NEVES 2001. Oben Kap. III.A: 197. Oben Kap. III.B.3.a): 216 bis Kap. III.B.3.C): 224. Oben Kap. III.B.3.d): 226.

235

Entsprechend weisen die Begründungen im Entscheid Blanco darauf hin, dass das Verwaltungsrecht, respektive die damit befassten Gerichte, nun weit eigenständiger als zuvor darüber entschieden, welche Kommunikationen verwaltungsrechtlich zu erfassen seien und welche nicht. In diesem Sinne bedingten sich die erwähnte verstärkte institutionelle und die materiellrechtliche Unabhängigkeit der mit Verwaltungsrecht befassten Gerichte gegenseitig.968 Ob die Verwaltung ihre Kommunikation vordergründig in ein autoritatives oder in ein kooperatives Kleid hüllte, war für die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit und der Rechtsnatur nicht mehr entscheidend. Und wenn nun die alte Gleichsetzung - acte d'autorité gleich acte d'administration gleich Zuständigkeit der Verwaltung und allenfalls Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte - wegfiel, dann entfiel zugleich eine wesentliche Hürde der Rekonstruktion des Vertrags im öffentlichen Recht. Damit bestätigt sich zugleich die theoretische Beobachtung, dass sich Autopoiese und strukturelle Kopplung gegenseitig bedingen: Denn während die Morphogenese und damit die auf das Verwaltungsrecht ausgedehnte Autopoiese einerseits die bereits angesprochene markante Verminderung politischer Einflussnahme auf das Recht mit sich brachte, stellten strukturelle Kopplungen zugleich die Voraussetzung dafür dar, dass sich das Recht verstärkt in rechtseigener Weise auf politische Irritationen einlassen konnte, neu auch mit Hilfe der strukturellen Kopplung Vertrag.969 Während das Tribunal des conflits im Fall Blanco argumentativ die Eigenständigkeit des Verwaltungsrechts vom Zivilrecht betonte, steht somit - zumindest aus heutiger Sicht - gerade ein anderer Effekt der zu jener Zeit aktualisierten Rechtsstrukturen im Vordergrund: nämlich die Eigenständigkeit Rechts von der Politik, auf welche das Verwaltungsrecht nun seinerseits verstärkt Einfluss nahm, indem es in viel weiterem Umfang und mit grösserer Unabhängigkeit als bisher die Kommunikationen der Verwaltung gegenüber Privaten sowie die Auswirkungen verwaltungsmässiger Strukturbildung nach rechtseigenen Kriterien untersuchte und sanktionierte.

4.

Die Figur des contrat

d'administration

a)

Einleitung: Die Konzession im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

Die frühe Dogmatik des französischen verwaltungsrechtlichen Vertrags wurde zunächst vor allem durch zwei Kontexte geprägt: Zum Ersten ergaben sich mit den

Oben Kap. III.B.3.a): 216. Zum theoretischen Hintergrund der Evolutionstheorie vgl. die Zusammenfassung in 2005c und ABEGG 2006b.

236

ABEGG

neuen Abgrenzungen des Verwaltungsrechts gegen aussen (gegenüber dem Zivilrecht und gegenüber der Politik) und den neuen Ausdifferenzierungen im Innern (Verfugung und Vertrag) bereits die Leitlinien einer Dogmatik des französischen verwaltungsrechtlichen Vertrags. Zum Zweiten standen im Zentrum des Interesses zu jener Zeit ganz konkret grosse Infrastrukturprojekte von Eisenbahn bis hin zur Stadtbeleuchtung, an welchen die Verwaltung Private in verschiedenster Weise beteiligte. Dieser politische Fokus wurde - und darin liegt ein zentraler Unterschied von Frankreich zu Deutschland und der Schweiz - von den Verwaltungsgerichten, d. h. vor allem dem Conseil d'Etat und dem Tribunal des conflits auf die rechtliche Dogmatik der Konzessionsverhältnisse gebündelt, die sodann ganz allgemein das rechtsdogmatische Regelwerks des verwaltungsrechtlichen Vertrags nachhaltig prägen sollten. Wie sehr sich die Dogmatik dabei am Gedanken des service public ausrichtete, dessen Bestand sich zugleich als zentrales Abgrenzungskriterium vom zivilrechtlichen Vertrag herauskristallisierte,970 zeigt sich an den Schlussfolgerungen des Regierungskommissärs Tardieu im Entscheid des Conseil d'Etat vom 29. Januar 1909 in Sachen Compagnie des Messageries maritimes: „... étant donné que les entrepreneurs, fournisseurs ou concessionnaires de services publics sont chargés d'une mission qui présente un intérêt général, les tribunaux administratifs ont le droit, à raison précisément de cet intérêt général qui est en jeu, de se montrer plus sévères dans l'appréciation de la conduite de l'entrepreneur, et d'exiger de lui plus d'efforts pour assurer l'exécution de son contrat que les tribunaux judiciaires n'en exigeraient d'un entrepreneur privé."971 Wenn also die Verwaltung eine Arbeit im öffentlichen Interesse durch Private verrichten liess, sollten nach der Theorie der öffentlichen Arbeiten öffentlichrechtliche Regeln zur Anwendung kommen, um die Ausfuhrung der Arbeit im Interesse des allgemeinen Interesses 'zu sichern '.

Hierzu sogleich nachfolgendes Kapitel. Recueil 116.

237

b)

Service public als neue Abgrenzung des verwaltungsrechtlichen Vertrags zum zivilrechtlichen Vertrag Einführung der funktionalen Ausrichtung des Verwaltungsrechts Blanco

im Fall

Mit der neuen Ausrichtung der Abgrenzung von Verwaltungsrecht und Zivilrecht auf die Funktion öffentlicher Arbeiten vermochte sich das Verwaltungsrecht von der Fokussierung auf den Verwaltungsträger und der von diesem gewählten Kommunikationsform zu lösen. Oder anders gesagt: Infolge Funktionalisierung erfolgte die Begründung des Verwaltungsrechts nicht mehr über die Frage, ob die Verwaltung kommuniziere und ob sie sich in casu dem Verwaltungsrecht unterstellen wolle.972 Zunächst wurde allerdings noch, wie bereits am Entscheid des Tribunal des conflits vom 8. Februar 1873 in Sachen Blanco gezeigt wurde, die alte Abgrenzungstheorie mehr oder weniger deutlich mitgetragen.973 Dies gilt auch für den Entscheid des Conseil d'Etat vom 17. Mai 1877 in Sachen Banque de France.974 Hier verabschiedete der Regierungskommissär David definitiv die frühere Regel, zur Beurteilung von neuen Staatsschulden sei immer der Conseil d'Etat zuständig. Vielmehr kam es nun darauf an, ob der Staat den Vertrag in hoheitlicher Eigenschaft abschliesse „en tant que puissance publique". 975 In normativer Hinsicht basierte der Entscheid Blanco (ebenso wie zum Teil auch der Entscheid Banque de France) noch primär auf der alten Abgrenzungstheorie, während jedoch die neue funktionale Ausrichtung mit der alten Abgrenzung argumentativ verknüpft wurde. Für sich allein führte hier die funktionale, auf den Service public gerichtete Perspektive nicht weiter als in einen Zirkelschluss, dem nicht zu entkommen war und der zugleich schon den Kern der funktionalistischen Aus-

972

Hierzu oben Kap. III.B.3.e): 230. Normativ gestaltend trat dabei primär der Conseil d'Etat auf - ganz gemäss traditionellem französischem Rollenverständnis. Die Lehre war demgegenüber zunächst noch primär damit beschäftigt, die Entscheide der Verwaltungsgerichte in ein zusammenhängendes und konsistentes Netz von Prinzipien einzubetten. Typisch für den Verwaltungsvertrag ist PERRIQUET 1884. Vgl. dagegen das markante Selbstverständnis der deutschen Lehre, die sich als Leitrationalität des mehr evolutionär als revolutionär evolvierenden deutschen Verwaltungsrechts verstand: typisch betreffend Verwaltungsvertrag ist MAYER

973 974 975

238

1888.

Recueil 1er Supplement 61. Vgl. oben Kap. III.B.3.C): 224. Recueil 472. Recueil 474.

richtung offen legte.976 Im Wesentlichen: Es besteht verwaltungsrechtliche Zuständigkeit, weil ein service public vorliegt, und es besteht ein service public, weil die allgemeinen Regeln nicht passen und vielmehr spezifische auf den Staat zugeschnittene Regeln benötigt werden.977 Mit der Verfeinerung der funktionalen Ausrichtung in Folge des Entscheides des Tribunal des conflits vom 22. Januar 1921 in Sachen Société commerciale de l'Ouest africain,978 auf den noch zurückzukommen sein wird,979 wäre die Zuweisung im Entscheid Blanco zwar anders ausgefallen. Dass jedoch im Fall Blanco gerade anlässlich eines öffentlichen Betriebs zur Herstellung von Tabakerzeugnissen eine Morphogenese des Verwaltungsrechts und damit eine Verschiebung der Abgrenzungen zur Politik einerseits und zum Privatrecht andererseits festgestellt werden kann, verweist gerade mit aller Deutlichkeit auf den Drang jener Zeit, die iwohlfahrtsstaatliche Verwaltung durch ein auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenes Recht in ihrem Potenzial freizusetzen und zugleich zu legitimieren, weist also wiederum auf die Emergenz des funktionalen Charakters des Verwaltungsrechts hin, der sich in der Abgrenzungsfrage spiegelt. Anwendungen der funktionalen

Abgrenzung

Bereits unmittelbar in den Jahren nach dem Entscheid Blanco verdichtete sich die funktional interpretierte Abgrenzung von Verwaltungsrecht und Zivilrecht. So führte das Tribunal des conflits im Entscheid vom 30. Mai 1884 in Sachen Linas980 an, dass der Staat als Eigentümer eines Gebäudes wie ein Privater zivilrechtlich aufgrund von Art. 1386 Code civil hafte, da die Unterhaltspflichten des Grundeigentümers nicht direkt mit der Ausübung des service public zusammenhingen.981 Und in der Begründung erschien noch konsequenter als im Entscheid Blanco die

977 978 979 980 981

Das Gleiche gilt auch für das funktionalisierte Privatrecht. So sind Schutznormen anzuwenden, wenn die Partei schutzbedürftig ist. Und Schutzbedürftigkeit besteht, wenn die allgemeinen Normen des Privatrechts nicht passen (weil ungerecht, keine Waffengleichheit etc.) und darum die Anwendung von Schutzrecht nötig ist. Siehe hierzu ABEGG 2005b: 223 ff. und den historischen Kontext bei ABEGG 2004b: 99 ff. Vgl. oben Fn. 942: 225. Recueil 91. Unten bei Fn. 1012: 247. Recueil 436. Die zentrale Erwägung fasste das Gericht in der Regeste zusammen, wobei in einer Fussnote explizit auf den Entscheid Blanco verwiesen wurde: „La demande n'est pas dirigée contre l'Etat en raison d'actes faits pour l'exécution des services publics, mais contre l'Etat propriétaire et responsable, à ce titre, d'après l'Art. 1386 du Code civil." Recueil 436.

239

funktionale Ausrichtung, konkret die Ausrichtung des Verwaltungsrechts auf die Ausübung des Service public.982 Eine interessante Ausgangslage von divergierenden öffentlichen und privaten Interessen bot sodann der Entscheid des Tribunal des conflits vom 29. November 1884 in Sachen Jacquinot:983 Die Forstverwaltung hatte einem Privaten die Jagderlaubnis für ein bestimmtes Waldstück gegen ein Entgelt erteilt. Die Jagd war sodann durch Übungen der Armee gestört worden. Das Tribunal des conflits qualifizierte das Rechtsverhältnis in Analogie zur gesetzlichen und richterlichen Regelung der Fischerei sowie in Analogie zur soeben erwähnten Grundeigentümerhaftung des Staats als privatrechtliches Rechtsverhältnis, konkret als Pacht. Damit war es Sache der Zivilgerichte, die zentrale Frage mit Art. 1725 und 1726 Code civil zu beantworten, ob nämlich eine Störung durch eine Verwaltungseinheit (in casu der Armee unter Verantwortung des Kriegsministers) einer anderen Verwaltungseinheit (in casu der Forstverwaltung als Verpächter) zuzurechnen sei.984 Das französische Beamtenrecht zeichnete sich bis weit über die Mitte des Jahrhunderts einerseits durch beschränkte Entschädigungsansprüche für geleistete Dienste und andererseits durch fehlende Verantwortlichkeit des Staats aus. Wenn überhaupt, so war auf Ersuchen des Beamten eine quasi-gerichtliche Überprüfung durch den Conseil d'Etat erfolgt.985 Mit der neuen funktionalen Trennung stellte sich in diesem Bereich die Frage, wann ein Staatsangestellter ein Beamter sei und der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterstehe, in neuer Form: Das Tribunal des conflits meinte dazu im Entscheid vom 6. Juli 1896 in Sachen Bergeon 986 (und ebenso nachfolgend der Conseil d'Etat im Entscheid vom 9. Juni 1899 in Sachen Bergeon)987, es liege ein Beamtenverhältnis vor, wenn das Amt von Dauer und die Funktion im öffentlichen Interesse sei. Ob nun eine Funktion im öffentliche Interesse sei, bestimme sich, so bereits der Conseil d'Etat im Entscheid vom 10. Juli 1885 in Sachen Chervet988 primär danach, ob der Wille des Staats auf die Befriedigung eines Bedürfnisses von öffentlichem Interesse gerichtet sei und ob Mittel

983 984

985 986 987 988

240

„Cons. qu'ainsi formulée, la demande de la veuve Linas n'était point dirigée contre l'Etat à raison d'actes faits par l'administration pour l'exécution des services publics auxquels elle est chargée de pourvoir, mais contre l'Etat propriétaire d'un bâtiment mal construit, et responsable, à ce titre, d'après la disposition de l'Art. 1386 du Code Civil ...": Recueil 437. Recueil 853. Siehe auch Entscheid des Tribunal des conflits vom 21. März 1891 in Sachen Chen d'Anvers (recueil 252). Fn. 140 : 38. Recueil 556. Recueil 416. Recueil 664.

irgendwelcher Art bereitgestellt würden. Diesen Argumentationslinien folgend, stellte der Conseil d'Etat in diesem Entscheid Chervet, in welchem es um einen Kaderbeamten der staatlichen Eisenbahn ging, seine Zuständigkeit und die verwaltungsrechtliche Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Beamten und Staat fest, womit im Resultat der betroffene Beamte seine Entlassung nicht gerichtlich überprüfen lassen konnte. Hier zeigt sich deutlich, dass zumindest fur das Beamtenrecht die Scheidung zwischen Verwaltungsrecht und Privatrecht immer noch vom Blickwinkel der Verwaltung her angegangen wurde, in deren Hand es weitgehend lag, ob sie sich dem Verwaltungsrecht oder dem Privatrecht unterstellen wollte9*9 Funktionale Abgrenzung und Abgrenzung nach acte als zwei parallele Schichten

d'autorité

In dieser Spannung zwischen alter Abgrenzung mittels acte d'autorité und der neuen funktionalen Ausrichtung zeigt sich eine Übergangssemantik in dem Sinne, dass die Gerichte einerseits in vergangenen Selektionen verhaftet blieben, um die notwendige Konsistenz der Rechtsprechung durch Anschluss an bestehende Präjudizien und Gesetze zu wahren, und dass andererseits zugleich die neue funktionale Ausrichtung zum Ausdruck kam, die sich nicht oder zumindest nicht vollständig mit der geltenden Rechtsprechung vertrug. Hinter diesen Spannungen und den entsprechenden Unsicherheiten steht aber ein grundsätzlicheres strukturelles Problem, das in der Tat bis heute erhalten geblieben ist: Es widerspiegelt die unterschiedlichen Rollen des Staats als sogenannter Nachtwächter (entsprechend der klassisch liberalen Methode) einerseits und als Garant gesamtgesellschaftlichen Wohlstands (entsprechend einer interventionsstaatlichen Methode) andererseits, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nebeneinander unterschiedliche Funktionen des Staats repräsentieren und für einen unterschiedlichen Umgang des Staats mit der Gesellschaft stehen.990 In der Tendenz setzte sich nun der verwaltungsrechtliche Vertrag als spezifische Erscheinungsform des Interventionsstaates dort durch, wo die neue Abgrenzung nach der Funktion der Verwaltungstätigkeit zu ihrem Recht kam, was sich an folgenden Beispielen aus Wissenschaft und Rechtsprechung verfolgen lässt:

Vgl. auch JEZE 1913: 45 f. Dies kommt selbst in der heutigen schweizerischen Lehre im sogenannten Methodenpluralismus des Bundesgerichts und insbesondere im Widerstreit der Interessentheorie mit der Hoheitstheorie zum Ausdruck.

241

Anwendung der funktionalen ... bei ÉduardLaferrière

Abgrenzung (1841-1901)

Besonders deutlich lässt sich die Suche nach einer Austarierung zwischen altem und neuem Abgrenzungsprinzip bei Laferrière verfolgen. Dieser unternahm es in seinem 'Traité de la juridiction administrative' von 1896, die neuen Selektionen der Verwaltungsgerichte in ein System geltenden Rechts einzuordnen und mit den geltenden Prinzipien des öffentlichen Rechts zu versöhnen. Laferrière befand sich fur eine derartige Systematisierungsleistung in einer besonderen Lage: Er war selbst ein bedeutender Vertreter des Conseil d'Etat und hatte damit zahlreiche der neuartigen Selektionen mitinitiiert, fühlte sich zugleich aber als Richter der Konsistenz des Rechts verpflichtet. Verwaltungsrecht und Zivilrecht trennte Laferrière noch aufgrund der alten Leitunterscheidung nach acte d'autorité respektive puissance public; die funkionalisierende Neuinterpretation des Entscheides Blanco hatte sich hier noch nicht durchgesetzt.991 Entsprechend gab es nach Laferrière den 'echten ' Vertrag zwischen Staat und Privaten nur auf der privatrechtlichen Seite.992 Und wo die vertragliche Terminologie dennoch nicht aus dem Verwaltungsrecht zu verdrängen war, wurde ihre Bedeutung auf die Funktion reduziert, den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung zu erweitern.993 Der Konzession komme zwar, so Laferrière, ein prägnantes vertragliches Element zu. Aufgrund der Gesetze aus revolutionären Zeiten, mit welchen den Zivilgerichten die Einmischung in Verwaltungsangelegenheiten untersagt worden sei,994 bestehe jedoch die verwaltungsmässige Zuständigkeit und komme VerwalWenn die Verwaltung mit hoheitlicher Gewalt (puissance public), die sich auf eine gesetzliche Zuständigkeit stütze, dem Bürger gegenübertrete und insbesondere Rechtsverhältnisse begründe, die in dieser Art von einem Privaten nicht begründet werden könnten, sei Verwaltungsrecht anzuwenden und es bestehe verwaltungsmässige Zuständigkeit. Laferrière nennt hier insbesondere die Konzession, die Rekrutierung von Soldaten und die Anstellung von Beamten: LAFERRIÈRE 1896,1: 595 und 604 ff. Wo die Verwaltung mit den Bürgern ohne Einsatz von staatlicher Hoheitsgewalt in Rechtsverhältnisse trete, die auch durch Private hätten begründet werden können, seien die Zivilgerichte zuständig und komme Zivilrecht zur Anwendung. Als Beispiele werden Fischereiund Jagdpacht (baux de pêche und baux de chasse) sowie Verträge über den Bau von Gebäuden und Wegen, die nicht dem service public, sondern der Kultivierung von Land- und Forstwirtschaft dienen, angeführt. Der weit gefasste Bereich des service public unterstehe in diesem Sinne grundsätzlich auch den Zivilgerichten und dem Zivilrecht, wobei allerdings spezifische Gesetze zahlreiche Ausnahmen geschaffen hätten: LAFERRIÈRE 1896: 588 ff. LAFERRIÈRE 1 8 9 6 , 1 : 5 8 7 f f . ; ä h n l i c h a u c h JÈZE 1 9 1 3 : 3 8 8 ff. u n d 4 1 7 f.

Hierzu Fn. 186: 48.

242

tungsrecht zur Anwendung. Denn eine Verwaltungsangelegenheit bestehe bei der Konzession, so Laferrières materielle Kernbegründung, weil einerseits der Konzessionär durch seine Zustimmung in ein durch Gesetz vorgeformtes Rechtsverhältnis trete und andererseits (und hier hält doch noch ein funktionales Element Einzug) zur Erreichung des service public dem Konzessionär das hoheitliche Recht übertragen würde, von den Benutzern des service public ein steuerähnliches Entgelt zu verlangen. 995 Just dort also, wo der Staat zur Erfüllung des service public Private direkt einsetzte und ihnen hierzu die nötigen Rechte übertrug, musste Laferrière also auf die funktionale Abgrenzung zurückgreifen. Laferrière verband damit die neue, durch die Variationen von Dareste und Perriquet vorbereitete Rechtsprechung mit dem bisherigen System des öffentlichen Rechts. Im Gegensatz zu Dareste und Perriquet, denen es um die Verrechtlichung politischer Macht durch Vertragsrecht gegangen war, sah nun Laferrière diese Verrechtlichung bereits weiter fortgeschritten vor sich, und entsprechend ging es in seinen Ausführungen nun primär darum, die Konsistenz der Rechtsordnung im Lichte der neuen Selektionen wieder herzustellen. 996 ... bei Henri Berthélemy

(1857-1943)

Spannungen zwischen alter Abgrenzung nach acte d'autorité und neuer funktionaler Theorie, die sich nach der Jahrhundertwende durchgesetzt hatte, äusserten sich insbesondere im Beamtenrecht. So formulierte unter anderem Henri Berthélemy (1857-1943) in der Auflage von 1923 seines Droit administratif, dass der Beamte entweder jenem Teil des Staats angehöre, der dem Bürger mit hoheitlicher Macht (puissance public) entgegentrete, oder aber der Beamte leiste seinen Dienst für den anderen Teil des Staats, der den Privaten von Gleich zu Gleich gegenüberstehe. 997 Ganz in der Konsequenz dieser Theorie 998 verneinte Berthélemy denn auch, dass es überhaupt einen contrat administratif gäbe. 999

LAFERRIÈRE 1 8 9 6 , 1 : 6 0 4 ff. LAFERRIÈRE 1 8 9 6 , 1 : 6 1 8 ff. BERTHÉLEMY 1 9 2 3 : 4 6 ff.

Siehe hierzu bereits Kap. I.E.3 : 77. „Je ne vois, dans les actes [cités comme contrat administratif] qu'une apparence d'élément contractuel. Les actes dont il s'agit relèvent de la juridiction administrative parce qu'ils sont des actes d'autorité, et dans la mesure où ils ont ce caractère.": BERTHELEMY 1923: 48 f., Fn. 1.

243

... bei Gaston Jèze

(1869-1953)

Diesem in Sinn und Geist des Polizeistaates interpretierten Beamtenrecht stellten sich andere entgegen, und in einem Lehrstreit kondensierte die Auseinandersetzung zwischen der alten Abgrenzung nach puissance public respektive acte d'autorité und der neuen Abgrenzung nach funktionaler Sicht auf den service public.1000 Mit dem funktionalen Ansatz - so Jèze - gehe es bei der Beamtenstellung, im Gegensatz zur privatrechtlichen Dienstmiete, nicht um die Zufriedenstellung des Vorgesetzten, sondern darum, „den regelmässigen Betrieb der öffentlichrechtlichen Einrichtung zu sichern." Und mit dem funktionalen Blick auf den service public könne nicht mehr aus dem Willen der Verwaltung und der von der Verwaltung gewählten Form der Bestellung zum Dienst auf dessen Rechtsnatur geschlossen werden. Etwas anderes - so Jèze - würde den Begriff des öffentlichen Dienstes verkennen.1001 Diesem Argument hielt Berthélemy seinerseits wiederum entgegen, dass entgegen der Meinung von Jèze und Duguit zumindest im Fall einer zivilrechtlichen Rechtsnatur die Verwaltung das Rechtsverhältnis als Vertrag abschliessen müsse.1002 Jèze ging es aber um etwas anderes. Denn die Frage, als welche RechtsnaXm eine bestimmte Kommunikation qualifiziert wird, ist von der Frage zu unterscheiden, welche Form die Parteien ihrer Zusammenarbeit geben wollen. In diesem Sinne zeigt sich in Berthélemys Äusserung wiederum die Tendenz, der Verwaltung die Kompetenzkompetenz zuzuerkennen, dass sie also mit der Wahl der Kommunikationsform die Rechtsform wählen oder zumindest massgeblich beeinflussen könnte. Während sich diese enge Verbindung von Verwaltung und Recht noch in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts in der herrschenden Theorie des acte d'autorité spiegelte, musste sie mit der Funktionalisierung und insbesondere mit der Loslösung der Verwaltungsgerichte von politischem Einfluss an Bedeutung verlieren. ... in der Rechtsprechung

des Conseil d'Etat

In dieser Auseinandersetzung, in welcher es, wie das soeben angeführte Zitat von Berthélemy zeigt,1003 auch um die Existenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags ging, folgte der Conseil d'Etat nach dem Entscheid Blanco insbesondere nach der Jahrhundertwende in Entscheiden zum Beschaffungswesen der funktionalisti1000 1001

Vgl. vor allem Beispiel JÈZE 1913: 42 ff. und DUGUIT 1901, II: 397 ff. So z. B. JÈZE 1913: 42 ff., v. a. 45 f. und 73 ff.

1002

BERTHÉLEMY 1 9 2 3 : 4 6 f f . , v . a. 5 1 .

1003

Fn. 999: 243.

244

sehen Abgrenzung. Von zentraler Bedeutung für die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags war zweifellos der Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. Februar 1903 in Sachen Terrier,1004 als Regierungskommissär Romieu den contrat administratif dem contrat civil gegenüberstellte und die beiden Verträge in funktionalistischer Weise abgrenzte: Ob die Verwaltung mit Vertrag oder mit einem hoheitlichen Akt vorgehe, spiele für die Frage der Zuständigkeit keine Rolle, wenn es um die Organisation und den Betrieb („fonetionnement") eines Service public gehe. Dann bestehe verwaltungsrechtliche Zuständigkeit, und damit - so kann ergänzt werden - ein verwaltungsrechtliches Verhältnis. Die Verwaltung könne sich aber im Interesse des Service public dem Privatrecht unterwerfen und auf die ihr zustehenden Vorteile (sie) aus Verwaltungsrecht verzichten. Romieu fugte jedoch sogleich hinzu, dass dies nicht die alte Kompetenzkompetenz der Verwaltung bedeute. Die Qualifikation stehe den Gerichten zu. 1005 Eine weitere Bestätigung des funktionalistischen Ansatzes erfolgte im Entscheid des Conseil d'Etat vom 4. März 1910 in Sachen Therond. Das Gericht entschied im Wesentlichen, dass jede durch den öffentlichen Dienst entstandene Geldstreitigkeit den Verwaltungsgerichten zur Beurteilung zustehe.1006 Damit verabschiedete sich der Conseil d'Etat in aller Deutlichkeit von der alten Rechtspraxis, jene Bereiche dem Zivilrecht zu überantworten, die einer spezifischen rechtlichen Legitimation bedurften. Infolge Verselbstständigung des Verwaltungsrechts und vor allem Loslösung vom bestimmenden Einfluss der Politik konnte diese Leistung des Rechts, politische Machtausübung gegenüber der Gesellschaft zu legitimieren, nun vom

1004

Recueil 94.

1005

„Tout ce qui concerne l'organisation et le fonctionnement des services publics proprement dits, soit que l'administration agisse par voie de contrat, soit qu'elle procède par voie d'autorité, constitue une opération administrative qui est par sa nature du domaine de la j u ridiction administrative. [Mais] il peut se faire que l'administration, tout en agissant non comme personne privée, mais c o m m e personne publique, dans l'intérêt d'un service public proprement dit, n'invoque pas le bénéfice de sa situation de personne publique et se place volontairement dans les conditions du public ... Il appartient à la jurisprudence de déterminer ... dans quels cas on se trouve en présence d'un service public fonctionnant avec ses règles propres et son caractère administratif, ou, au contraire, d'actes qui, tout en intéressant la communauté, empruntent la forme de la gestion privée et entendent se maintenir exclusivement sur le terrain des rapports de particulier à particulier dans les conditions du droit privé.": Recueil 95. Dies wurde bestätigt im Entscheid des Conseil d'Etat v o m 19. Juni 1918 in Sachen Société des voiliers français (recueil 596): Eine Klausel, die den Vertrag einem Rechtsbereich (in casu dem Verwaltungsrecht) zuweise, vermöge die Entscheidung des Gerichts in dieser Frage nicht zu beeinflussen. Die Frage der Rechtsnatur stehe dem Parteiwillen nicht zur Disposition.

1006

Recueil S. 197. Zur Relativierung dieser Abgrenzung siehe unten bei Fn. 1012: 247.

245

Verwaltungsrecht auch fur die neuartige interventionistische Verwaltung weitgehend alleine erbracht werden. Grenzen der Ausdehnung des

Verwaltungsrechts

Die mit der Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags eng zusammenhängende Funktionalisierung des Verwaltungsrechts anhand des „fonctionnement de service public" 1007 fand sodann Bestätigung in zwei weiteren wichtigen Entscheiden, die zugleich aber auch die Grenzen der Ausdehnung des Verwaltungsrechts aufzeigten. Im Entscheid vom 31. Juli 1912 in Sachen Société des granits porphyroïdes des Vosges 1008 ging es um die Lieferung von Kopfsteinpflaster an die Stadt Lille, wobei insbesondere die Rechtsnatur und somit die Zuständigkeit des Conseil d'Etat zur Debatte stand. Regierungskommissär Blum gestand ein, dass sich in Grenzfällen die Rechtsnatur weder aus dem Vertragsinhalt1009 noch dem Vertragszweck ergebe. Somit müsse auf die Natur des Vertrags und das Element des service public geschaut werden: Allein die Zulieferung von Material und Diensten fur ein Projekt des service public, so die an die Praxis zum Grundeigentum erinnernde Ratio,1010 rechtfertige die Anwendung des speziellen Rechts, des Verwaltungsrechts, nicht. Denn damit werde keine dauernde und direkte Verbindung von Lieferant und der den service public beziehenden Öffentlichkeit hergestellt. Dem Zulieferer werde so die zentrale Aussage - die Ausübung des service public nicht übertragen; mittels Vertrag werde der Zulieferer nicht mit dem service public 'assoziiert', d. h. ver-

1008 1009 1010

246

„Le fonctionnement du service public" wurde in zahlreichen Entscheiden als zentrales Kriterium angeführt. So meines Wissens zum ersten Mal im soeben erwähnten Fall Terrier und sodann etwa im Fall Conseil d'Etat vom 29. Januar 1909 i.S. Compagnie des Messageries maritimes, recueil 111, 116. Recueil 909. Siehe soeben Fn. 1005: 245. Oben bei Fn. 980: 239.

bunden respektive gleichgesetzt, weshalb ein privatrechtlicher Vertrag vorliege. 10 " Während damit der Conseil d'Etat der Ausdehnung des Verwaltungsrechts Grenzen setzte, wurde zugleich die Funktionalisierung des Verwaltungsrechts weiter getrieben: Es dominierte nicht mehr allein die Frage, was die Verwaltung politisch anstrebe, also zum Beispiel die Abdeckung eines service public, sondern es ging nun auch darum, was rechtlich daraus folge. Dass damit die Funktionalisierung verstärkt zu einer rechtsinternen Veranstaltung wurde, erkannte bereits Jèze: „Seuls les contrats intéressant le fonctionnement même des services publics peuvent être des contrats administratifs proprement dits, soumis aux règles spéciales du droit public, et comportant parfois l'application de la théorie de l'imprévision, au cas de circonstances exceptionnelles bouleversant absolument l'économie du contrat."1012 Der Ausdehnung des Verwaltungsrechts wurden sodann mit dem Entscheid des Tribunal des conflits vom 20. Januar 1921 in Sachen Société commerciale de l'Ouest africain weitere Grenzen gesetzt.mi Das Tribunal des conflits erkannte, dass es eine Art service public gebe (später als service public industriel et commercial bezeichnet), der vollständig oder teilweise nach den Prinzipien der Privatwirtschaft operiere. In casu wurde damit ein Fährbetrieb, der unbestritten dem öffentlichen Interesse diente, der Zuständigkeit der Zivilgerichte und damit dem Zivilrecht zugeschlagen. Massgebend war nun nicht mehr allein die Ausübung des service public, sondern das Tribunal des conflits ging zu einer Pluralität der Abgrenzungskriterien über: Neben der funktionalistischen Ausrichtung auf das Ziel der modernen Verwaltungstätigkeit wurden nun auch den eingesetzten Ressourcen und der Art und Weise der Ausübung des service public Beachtung geschenkt, womit auch die alte Theorie des acte d'autorité wieder Eingang fand.

„Ce qu'il faut examiner, c'est la nature du contrat lui-même, indépendamment de la personne qui l'a passé et de l'objet en vue duquel il a été conclu. Or, ce contrat prévoit simplement la livraison d'une fourniture. Une fois cette fourniture livrée, tout rapport cesse entre la commune et le cocontractant. Aucun contrat, de quelque nature qu'il soit, ne subsiste, une fois la marchandise livrée, entre le fournisseur qui l'a livré et le service public qui l'emploiera. Ni le fournisseur, ni ses agents ne coopèrent le moindre à la gestion du service public ; le contrat ne leur confère à cet égard aucune délégation ; il ne les associe pas à la gestion du service, il ne crée pas de rapport entre le fournisseur et le public. Dans ces conditions, la commune doit être réputée agir dans les mêmes conditions qu'un simple particulier effectuant auprès d'un entrepreneur quelconque une commande de matériaux pour son usage privé. Et, agissant dans les mêmes conditions qu'un simple particulier, la commune 'se trouve soumise aux mêmes règles comme aux mêmes juridictions'.": recueil 909. 1012 1013

JÈZE 1925: 14, siehe auch 80-84. Recueil 91.

247

Diese Wiederaufnahme der alten Abgrenzung nach acte d'autorité schützte - in auffälliger Analogie zur entsprechenden Funktion im Polizeistaat - die selbstorganisierte Gesellschaft vor den expansiven Tendenzen des Staats, indem der Staat de facto gezwungen wurde, das Spiel der Privaten zu spielen, wenn er sich auf das Niveau deren Selbstorganisation begab. Zugleich aber eröffnete diese Pluralität der Abgrenzungskriterien der Verwaltung auch neue Möglichkeiten, ihre Verwaltungsaufgaben zu erfüllen: Ebenso wie in casu eine Verwaltungseinheit nach privatrechtlichem System operieren konnte, war es nun auch denkbar, dass eine privatrechtlich strukturierte Leistungseinheit dem Verwaltungsrecht unterstellt werden konnte und mit hoheitlichem Charakter kommunizieren konnte. Diese Aktualisierungen in den Rechtsstrukturen hingen eng mit anderen bereits erwähnten Strukturveränderungen im Recht und in der Umwelt des Rechts zusammen. Im Wesentlichen waren einerseits im Recht mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit und andererseits in der Politik mit der materiellen Demokratie funktionale Äquivalente zu alten Legitimationskonzepten (Zivilgerichte und Zivilrecht auf der Seite des Rechts sowie Repräsentation und Souveränität auf politischer Seite) entstanden. Auf diese Weise verringerten sich die ehemals strukturbeeinflussenden Unterschiede von Privatrecht und Verwaltungsrecht, und es wurden neue Möglichkeiten, Kommunikationen rund um den service public im Recht zu verfassen, freigesetzt. Denn wenn sich die Legitimation, in einer Tätigkeit für den service mit hoheitlicher Gewalt aufzutreten, nicht mehr massgeblich durch die unmittelbare Eigenschaft als Teil souveräner und repräsentativ organisierter Staatsgewalt ergab, sondern sich aus einem demokratischen Gesetzesauftrag und der funktionalen Ausrichtung auf den service public ableitete, dann verringerten sich entsprechend die Unterschiede zwischen jenen Leistungseinheiten, die dem Staat zuzuordnen sind, und jenen Leistungseinheiten, die der selbstorganisierten Gesellschaft entstammen. Und wenn gerichtliche und rechtliche Legitimation ebenso aus dem Verwaltungsrecht wie aus dem Zivilrecht stammen konnten, dann verwischten auch die Unterschiede in den Rechtsbereichen, die die Ausführung des service public erfassen sollten. c)

Die Bedeutung der Willensübereinkunft und die Abgrenzung von Vertrag und Verfügung Zuständigkeit der Verwaltung und Willensübereinkunft als konstituierende Elemente des verwaltungsrechtlichen Vertrags

So ausführlich die Abgrenzungen des Verwaltungsrechts gegenüber dem Zivilrecht zu jener Zeit behandelt wurden, so spärlich blieben die Äusserungen von Judikatur 248

und Lehre zur neuen inneren Abgrenzung

im Verwaltungsrecht

zwischen

Vertrag

und Verfögung. Und wenn entsprechende Äusserungen gemacht wurden, so vermischte man sie zumeist mit der Abgrenzungsfrage von Verwaltungs- und Zivilrecht, oder sie standen im Zusammenhang mit der Begründung von bestimmten Rechtsfolgen. Insbesondere war sich der Conseil d'Etat zunächst über die Rechtsnatur der Konzession als Verfugung, Gesetz oder Vertrag nicht im Klaren, 1014 und uneinig zeigte sich auch die Lehre. 1015 Regierungskommissär David brachte bereits im Entscheid des Conseil d'Etat vom 25. Juli 1874 in Sachen Hospice de Vichy offen zur Sprache, dass es vertragliche Elemente auch im Verwaltungsrecht geben könne. 1016 Der Konzession wohne ein vertragsrechtliches Element inne, das dennoch nicht dem Zivilrecht zugehöre. Wenn, so David weiter, dieses Element zweier sich Leistung und Gegenleistung versprechenden Parteien allerdings derart dominiere, dass nicht mehr von einem Akt gesprochen werden könne, der von der souveränen Hoheitsgewalt ausgehe, dann bestehe ein zivilrechtlicher Vertrag. Auch wenn in diesen Erläuterungen Davids die neue funktionale Abgrenzung noch eng mit der alten Abgrenzung nach acte d'autorité verbunden wurde und zugleich sich diese Abgrenzung der Rechtsbereiche mit jener der Abgrenzung von Verfögung und Vertrag vermischte: Mit diesen Ausfuhrungen im Entscheid Hospice de Vichy war bereits klar zu erkennen, dass sich verwaltungsrechtliche Verträge auf der einen Seite von privatrechtlichen Verträgen abgrenzen und auf der anderen Seite von verwaltungsrechtlichen Verfügungen unterscheiden. Wenige Jahre nach dem Entscheid Blanco benutzte der Conseil d'Etat im bereits erwähnten Entscheid vom 17. Mai 1877 in Sachen Banque de France 1017 trotz Zuweisung zum Verwaltungsrecht den Begriff und das Konzept des Vertrags. In casu ging es darum, ob eine Zahlung der Banque de France, die diese mit angeblicher Zustimmung des Finanzministers an die aufständische Commune de Paris im Zuge der Wirren des Jahres 1871 geleistet hatte, den Staat verpflichtete. 1018 Der Conseil d'Etat stellte zunächst seine Zuständigkeit in Abgrenzung vom Zivilrecht fest 1019 ,014

10,5

Eine Anerkennung vertraglicher Elemente zeichnete sich immerhin bereits mit den Äusserungen von Regierungskommissär David im Entscheid des Conseil d'Etat vom 25. Juli 1874 in Sachen Hospice de Vichy ab, recueil 725, 728. Dies zeigt sich selbst noch im grundlegenden Werk von Jèze zum contrat administratif: JÈZE 1927-1934: 21 f.

1016

Recueil 725, 727. Vgl. bereits oben bei Fn. 952: 228.

1017

Recueil 472.

10,8

Prägnant zur Commune de Paris sind die Aufzeichnungen von LISSAGARAY 1876/2005. Lissagaray war Mitstreiter der Commune. Siehe hierzu bereits oben bei Fn. 974: 238.

1019

249

und meinte sodann, dass mangels Zuständigkeit des mit der Bank kommunizierenden Ministers kein Vertrag mit dem Staat bestehe, der diesen verpflichte. Die Zuständigkeit hätte sich aus dem gesetzlich umfassten ministeriellen Zuständigkeitsbereich oder einer konkreten gesetzlichen Grundlage ergeben müssen. 1020 Damit initiierte der Conseil d'Etat eine Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags: Auch bei verwaltungsrechtlicher Natur des Rechtsverhältnisses kann sich aufgrund gegenseitiger ausdrücklicher oder konkludenter Willensäusserungen ein beidseitig verpflichtender Vertrag zwischen Staat und Privaten ergeben. Der Staat wird aber nur dann gebunden, wenn sich eine Zuständigkeit der Vertragsschliessenden Verwaltungseinheit ergibt: entweder aus einem Gesetz oder zumindest entsprechend den ihr zugeordneten Aufgaben. Das Element der

Zuständigkeit

Es zeigt sich in der Art und Weise, wie der Conseil d'Etat im Entscheid Banque de Paris das Element der Zuständigkeit verwendete, dass es bei diesem Element zunächst einmal mehr nicht um den Schutz der Privaten vor der Staatsmacht ging, sondern um die gesetzeskonforme Organisation und Ausübung der Staatsverwaltung. Einen neuen, auf die Grundrechte gerichtete Fokus erhielt die Zuständigkeit allerdings mit dem Entscheid des Conseil d'Etat vom 4. Mai 1906 in Sachen Babin: Wenn die Verwaltung in Grundrechte wie vor allem persönliche Freiheit, Eigentum, Handelsfreiheit eingreife, so die Ratio des Entscheides, dann müsse der öffentliche Dienst notwendigerweise vom Parlament ausgehen, welches jedoch seine Kompetenz delegieren könne.1021 Mit dieser Erweiterung der Willkürprüfung auf die Prüfung, ob persönliche Grundrechte verletzt sind, wurde die Rechtsposition Privater gegenüber der Verwaltung zwar massgeblich erweitert. Von Bedeutung ist aber in dieser Beziehung, dass gerade die Zustimmung zum Vertragsschluss als Aufgabe dieser privaten Rechtspositionen gewertet wurde. Zusammengefasst: Die Zuständigkeit zur einseitigen Ge1020

1021

250

In der Regeste wurde dies folgendermassen zusammengefasst: „Les ministres peuvent-ils engager les finances de l'Etat pour accorder des dédommagements n'ayant leur cause dans aucune responsabilité préexistante du Trésor? — Rés. nég. — (Il n'appartient qu'au pouvoir législatif d'accorder les dédommagements que des raisons d'équité peuvent faire allouer en certains cas aux particuliers qui ont éprouvé des pertes par suite de faits de force majeure.) (3) — Les ministres n'ont qualité, comme représentant l'Etat, que pour contracter les engagements ou reconnaître les créances relatifs aux services publics placés dans les attributions de leurs départements respectifs (4).": recueil 472. Recueil 362.

waltanwendung gegenüber persönlichen Grundrechten erfordert eine gesetzliche Legitimation, wobei aber der Vertrag gerade die Möglichkeit eröffnet, die Zuständigkeit bei Absenz gesetzlicher Legitimation zu Kompatibilisierung

erweitern.1022

von Willensäusserungen

und

Souveränitätstheorie

Dieser verwaltungsrechtliche Vertrag und insbesondere das Element der Willensübereinkunft gerieten allerdings in Spannung mit der Souveränitätstheorie: Wenn nach traditioneller Konzeption des Vertrags die Vertragsparteien entsprechend den übereinstimmenden Willensäusserungen gebunden werden sollten, dann kollidierte dies mit einer Theorie, nach welcher dem Staat alle Macht zur Maximierung des allgemeinen Wohlstandes zukam und er hierzu auch über gewährte Rechtspositionen verfugen konnte.1023 Zu dieser Frage nahm Laferrière anlässlich des interessanten Umstandes Stellung, dass der Staat Rekrutierungsverträge mit Soldaten abschloss: „Le recrutement de l'armée est un acte de la puissance publique. Il a ce caractère, soit que le recrutement s'opère par la voie des appels, soit qu'il ait lieu par enrôlements volontaires. Dans ce dernier cas, un contrat se forme entre l'engagé et l'Etat, ce contrat se lie étroitement à l'acte d'enrôlement ; il en est une condition nécessaire, puisque l'Etat ne pourrait pas imposer, en vertu de la loi, le service qui lui est librement offert par l'engagé volontaire ..," 1024 Mit den Rekrutierungsverträgen kam der also Widerspruch von hierarchisch gegliederter und umfassender Staatsmacht auf der einen Seite und dem Bedürfnis nach Kooperation auf der anderen Seite voll zum Ausbruch. Dabei kompatibilisier-

Dies zeigt sich auch in der Argumentation im Entscheid Babin: „D'une manière générale on peut dire que : relèvent par leur nature du pouvoir législatif toutes les questions relatives directement ou indirectement aux obligations à imposer aux citoyens par voie d'autorité sans aucun lien contractuel (par exemple tout ce qui concerne le droit de commander et de contraindre l'organisation de la force publique et des juridictions, la prise de possession de la propriété privée, le vote des impôts et des dépenses publiques qui y donnent lieu, etc., etc.) ; le législateur peut évidemment, comme il le fait souvent, déléguer ses pouvoirs à d'autre autorités et les investir du droit de réglementer en ces matières à son lieu et place : mais en l'absence de délégation générale ou spéciale, explicite ou implicite, émanée du législateur, le pouvoir exécutif est par lui-même absolument incompétent ; et c'est le pouvoir législatif seul auquel il appartient de statuer. En sens inverse, c'est en principe le pouvoir exécutif qui règle l'Organisation intérieure des services publics et les conditions de leur fonctionnement qui ne lèsent pas les droit des tiers, c'est lui notamment qui fixe les règles du contrat entre l'Administration et ses agents, le recrutement, l'avancement, la discipline, la révocation etc., etc.": recueil 363. 1023

Kap. I: 13.

1024

LAFERRIÈRE 1 8 9 6 , 1 : 6 1 4 .

251

te Laferrière die Souveränitätstheorie derart mit der Vertragsnatur, dass der verwaltungsrechtliche Vertrag der Verwaltung etwas verschaffe, das sie auf dem befehlsförmigen Weg nicht erreichen könnte. Auf diese Weise wurde die Vertragsnatur in der französischen Dogmatik im Wesentlichen auf die Zustimmung des Privaten reduziert, sich der Staatsgewalt weitgehend zu unterwerfen, und zwar in einem Bereich, in dem diese Unterwerfung ohne Zustimmung nicht hätte stattfinden können. Diese Reduktion der Vertragsnatur auf die Zustimmung zeigte sich auch im Entscheid des Conseil d'Etat vom 16. Juli 1920 in Sachen Chirac.1025 Die Willensübereinkunft beim engagement militaire ... „... n'implique pas que l'Etat soit lié envers les engagés volontaires ... par les stipulations synallagmatiques ..." Und in der abschliessenden Betrachtung: „Une fois l'accord de volontés devenu effectif, la situation juridique se différencie de la notion contractuelle. C'est le status légal des appelés qui va s'appliquer à l'engagé ... La situation juridique va se trouver, désormais, réglementaire et non contractuelle." Etwas spitz formuliert beschränkte sich somit die Willenskundgebung des Privaten darauf, das Einverständnis zum Verkauf seiner Seele an den Teufel zu signalisieren, der hiernach mit aller Macht, durch einseitige Gestaltung der Beziehung, über den ihm Ausgelieferten bestimmen konnte.1026 Diese massgebliche Beschränkung des Willenselements war nicht auf das zugegebenermassen von ganz spezifischen öffentlichen Interessen geprägte Verhältnis mit Soldaten beschränkt, sondern sie galt auch für die Konzession. Auch hier diente für das Recht die vertragliche Terminologie kaum noch zu mehr, als kenntlich zu machen, dass es zur Übertragung der Konzession auf den Konzessionär selbstverständlich des Einverständnisses des Konzessionärs bedarf. War das Rechtsverhältnis einmal begründet, oblag es der Administration, einseitig jene Änderungen zu verfügen, die im öffentlichen Interesse lagen. Ähnlich lautete auch das Fazit von Jèze, mit welchem er zugleich die Vertragstheorie dem Prinzip der Gesetzesbindung unterordnete: Die Willensäusserung des Privaten stelle in diesem Sinne nur die durch Gesetz oder Verordnung aufgestellte Bedingung dar, um diese Dienste in Anspruch nehmen zu können. Die Rechtsbeziehung von Verwaltung und Privaten würde nicht durch die Willenskundgebung

1025 1026

252

Recueil 708. Zu ähnlicher Konzeption im deutschen Recht siehe unten bei Fn. 1345: 326.

bestimmt, sondern allein durch Gesetz und Verordnung. Grundlage des verwaltungsrechtlichen Vertrags sei die Zuständigkeit der Verwaltung.1027 Jeze unterschied somit gegenseitige übereinstimmende Willenserklärungen, die eine persönliche Rechtsstellung durch Übertragung einer bereits bestehenden Rechtsstellung (zum Beispiel einer Eigentumsposition) schaffen und damit als Verträge qualifizieren von jenen Willenserklärungen, die keine solche persönliche Rechtsstellung hervorbringen.1028 Kompatibilisierung

von öffentlichen und privaten

Interessen

Vom Vertrag beeinflusst blieb immerhin - zwecks Kompatibilisierung von wirtschaftlichen und politischen Interessen - neben der Entstehung des Rechtsverhältnisses auch die langfristige Sicherung der privaten Interessen durch die Absicherung durch Schadenersatz bei unilateraler Vertragsänderung, was durchaus auch im Interesse der Verwaltung war: einerseits um die langfristige Teilnahme der Privaten an den Projekten des Service public sicherzustellen und andererseits um die Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung als Vertragspartner auf Dauer zu gewährleisten. Denn mit der Konzession im Bereich des Service public lässt die Verwaltung Teilnehmer der Wirtschaft für sich arbeiten, und diese übernehmen damit - im Gegensatz zur Requirierung - die Arbeiten mit freiem Willen. Da sich in dieser Zusammenarbeit die Interessen von Politik und Wirtschaft treffen müssen, hält sich der Staat die jederzeitige Anpassung des Dienstes - insbesondere mittels Gesetz und Verordnung - an die veränderten öffentlichen Interessen vor, muss aber zugleich dem Privaten die zumindest pekuniäre Sicherheit bieten, so dass dieser seine Tätigkeit langfristig planen kann - also Ressourcen auf dem Markt besorgen kann, um sie für sich gewinnbringend im Projekt mit der Staatsverwaltung einsetzen zu können. Ohne diese 'Konzession' an die Organisationsweise des Marktes und der Wirtschaft wäre die Zusammenarbeit auf lange Frist nicht zur erwünschten Qualität zu haben, was bereits die Autoren zur Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Anstellung der Beamten erkannt hatten.1029 Diese Kompatibilisierung der öffentlichen Sphäre mit der wirtschaftlichen Rationalität im Bereich der Konzession öffentlicher Dienste kündigte sich bereits im erwähnten Entscheid Hotchkiss aus dem Jahr 18741030 und im Entscheid des Conseil d'Etat vom 26. Dezember 1891 in Sachen Compag-

1027

JEZE 1 9 1 3 : 3 8 9 m . w . H.; s o b e r e i t s MAYER 1 8 8 8 : 2 4 u n d DUGUIT 1 9 0 7 : 4 2 7 : „ . . . l ' a c t e d e

concession n'est point un contrat, mais une loi." 1028

JÈZE 1 9 1 3 : 2 1 , 2 3 f f .

1029

Kap. I.E.4: 86 und Kap. II.E: 189. Oben bei Fn. 953:228.

1030

253

nie du Gaz de Saint-Etienne1031 an. Als sogenannte Regel 'fait du Prince' begann sich der Grundsatz, dass bei einseitiger Intervention des Gemeinwesens in einen verwaltungsrechtlichen Vertrag Schadenersatz resultiere, allerdings erst zu Beginn des 20. Jahrhundert als ständige Praxis des Conseil d'Etat durchzusetzen.1032 Im Beamtenrecht lag die Sache allerdings anders. Der angesprochene Unterschied äusserte sich gerade an der Entschädigungsregelung: Dem Beamten stand eine solche Entschädigung bei Änderung der Arbeitsstellung oder bei Entlassung in aller Regel nicht zu. Dies mag seinen Grund darin haben, dass es hier weniger darum ging, wirtschaftliche Zwänge der Privaten mit politischen Bedürfnissen zu kompatibilisieren. Vielmehr ging es bei den Beamten darum, auf deren Bewusstsein respektive innere Motivation einzuwirken, was auch - aber nicht nur - mit Geldleistungen geschehen konnte. Im Vordergrund stand zu jener Zeit vielmehr Patriotismus. 1033 Einfluss des

Rechtsschutzes

Der - begrenzte - Einfluss der Vertragsform im Verwaltungsrecht spiegelte sich auch in der Art der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nur bei einem Streit um gegenseitig stipulierte Verpflichtungen konnte der sogenannte juge du contrat angerufen werden, dem grundsätzlich die volle Kognitionsbefugnis zustand. Dagegen konnte der private Vertragspartner nur mit excès de pouvoir an den Conseil d'Etat gelangen, wenn es um die unilaterale Anpassung von Reglementen des service public durch die Verwaltung ging. Exemplarisch zeigt sich dies am Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. Dezember 1907 in Sachen Compagnie du Nord, d'Orléans et autres.'034 In casu hatte die Verwaltung die Reglemente der Eisenbahnkonzessionen unilateral geändert und dabei Sitzzahl und Sitzdimensionen der Passagiere, Fahrpläne, Beleuchtungen in Tunneln, Arbeitsbedingungen usw. zuungunsten der Konzessionsnehmer angepasst. Der Conseil d'Etat nahm die Sache als recours pour excès de pouvoir und damit mit eingeschränkter Kognitionsbefugnis an, da der Verwaltung die gesetzliche

1032

1033 1034

254

In casu verletzte das Gemeinwesen durch einen neuen Vertrag zur elektrischen Beleuchtung der Stadt einen alten Vertrag zum Zweck ausschliesslicher Gasbeleuchtung: recueil 789. Entscheid des Conseil d'Etat vom 11. März 1910 in Sachen Compagnie générale française des tramways, recueil 216. Siehe hierzu m. w. H. BURDEAU 1995: 283 f. Mit dem Entscheid des Conseil d'Etat vom 14. Januar 1938 in Sachen Société anonyme des produits laitiers „La Fleurette", recueil 25, wurde schliesslich auch eine entsprechende Schadenersatzpflicht infolge Gesetzgebung anerkannt. Vgl.Kap.II.E: 189. Recueil 913.

Befugnis zukomme, die Reglemente an die veränderten Bedürfnisse der Allgemeinheit anzupassen. Der Rekurs wurde im übrigen abgewiesen mit folgender Begründung: „Le mandat donné au chef de l'Etat par le pouvoir législatif n'est pas épuisé par le premier règlement fait en exécution de la loi; il appartient au Gouvernement, sans délégation nouvelle d'apporter au règlement primitif les modifications nécessitées par l'expérience ou des circonstances nouvelles ,.." 1035 Das zugrunde liegende Prinzip, mit welchem derartige Kooperationen zwischen Staat und Privaten, in Form des verwaltungsrechtlichen Vertrags, mit der aktualisierten Souveränitätstheorie harmonisiert werden sollte, formulierte Regierungskommissär Blum im Entscheid des Conseil d'Etat vom 21. März 1910 in Sachen Compagnie générale française des tramways folgendermassen: „L'esprit de cette jurisprudence [du contrat administratif], c'est d'organiser en somme un double contentieux de la concession. Le contentieux de la réglementation ou plutôt de la légalité de la réglementation, dont la forme normale est le recours pour excès de pouvoir. Et le contentieux du contrat, lequel comprend nécessairement l'examen des répercussions que la réglementation peut exercer sur l'économie du contrat."1036 Auch bezüglich des Rechtsschutzes zeigte sich wiederum ein bezeichnender Unterschied von der Konzession zu anderen Verwaltungsverträgen, bei welchen bestimmte Kommunikationen der Verwaltung überhaupt nicht angefochten werden konnten wie zum Beispiel die Aufhebung eines Liefervertrags oder die Entlassung des Beamten.1037 Fazit und Ausblick: Willensübereinstimmung als Legitimation des Eintritts in ein Gewaltverhältnis Zusammengefasst diente das Element der Willensübereinkunft also im Wesentlichen dazu, die Zuständigkeit der Verwaltung zu erweitern und damit die fehlende oder (vor allem bei der Konzession) die nicht detaillierte Gesetzesgrundlage zu kompensieren. War die Zuständigkeit einmal gegeben, verlief die Rechtsbeziehung zwischen Privatem und Administration in relativ strikten verwaltungsrechtlichen Bahnen. Die Unterscheidung von Vertrag und Verfugung und damit die Bedeutung der Willensübereinkunft beschränkte sich damit im Wesentlichen auf den Initialakt,

1035 1036 1037

Recueil 914. Recueil 216, 223. V g l . die B e i s p i e l e b e i M A Y E R 1 8 8 8 : 2 2 .

255

auf die Begründung des Rechtsverhältnisses, die Entschädigungsregelung und die Art der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Damit wurden zwar die Zuständigkeit der Verwaltung und deren initiales Tätigwerden legitimiert, nicht aber spätere, weitgehend unilaterale Eingriffe der Verwaltung in das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Privaten. Darauf ist in der Folge genauer einzugehen. d)

Die Kontinuität des Service public Neues Verhältnis von Recht und Politik

Bereits mit dem oben erläuterten Entscheid Hotchkiss aus dem Jahr 1874 hatte sich abgezeichnet, dass die Verwaltung berechtigt war, im öffentlichen Interesse massgebliche Änderungen im Interesse des service public zu verfiigen, auch entgegen jeder Vereinbarung, wobei allerdings den wirtschaftlichen Interessen der Privaten durch eine Ausweitung der Entschädigungsregeln Rechnung getragen wurde. 1038 An dieser weitgehenden Kompetenz der Verwaltung hielt der Conseil d'Etat fest: Konkret musste zum Beispiel, wer die Aufgabe zur Beleuchtung einer Stadt übernommen hatte, auch auf elektrischen Strom umrüsten.1039 Und wer die Ausfuhrung eines öffentlichen Transports übernommen hatte, musste den Fahrplan an neue Bedürfnisse anpassen - auch entgegen jeder vorgängigen Vereinbarung.1040 Oben wurde die These aufgestellt, dass die Morphogenese des Verwaltungsrechts und die damit zusammenhängende Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags zwar durch die aktualisierte Abgrenzung gegenüber dem Zivilrecht angestossen wurde, aber paradoxerweise gerade auch eine verstärkte Unabhängigkeit gegenüber der Politik mit sich brachte; neu wurde nicht mehr vor allem nach politischen, sondern nach rechtlichen Überlegungen bestimmt, ob eine bestimmte Kommunikation der Verwaltung den Zivilgerichten oder den Verwaltungsgerichten zur rechtlichen Überprüfung zugeschlagen würde.1041 Diese neue Unabhängigkeit ist aber sogleich zu relativieren: Die damit bezeichnete Abschottung des Rechts gegenüber politischen Irritationen, die nun nicht mehr direkt auf das Recht überschlagen konnten, brachte zugleich die Möglichkeit mit sich, dass sich das Recht den politischen Irritationen auf neue Weise öffnete, diese

1039

1040

1041

256

Siehe oben bei Fn. 953: 228. Siehe auch den Entscheid des Conseil d'Etat vom 26. Dezember 1891 in Sachen Compagnie du Gaz de Saint-Etienne, recueil 789. Entscheid des Conseil d'Etat vom 10. Janaur 1902 in Sachen Compagnie nouvelle du gaz de Deville-lès-Rouen, recueil 5. Entscheid des Conseil d'Etat vom 11. März 1910 in Sachen Compagnie générale française des tramways, recueil 216. Oben Kap. III.B.3.e): 230.

jedoch nun auf rechtseigene Weise verarbeiten würde: Die Willensäusserungen der Parteien in verwaltungsrechtlichen Verträgen, zusammen mit einem dominanten Bezug auf die politische Reglementierung des dem Vertrag entsprechenden service public, führten im Recht zu neuem Fallmaterial (wovon bereits die zu jener Zeit zahlreichen Fälle zu Infrastrukturprojekten zeugen) und zu neuen Regelungen, die nun zwar in rechtseigener Rekonstruktion generiert, aber dennoch mit engem Bezug auf die politischen Bedürfnisse konzipiert wurden. In diesem geänderten Sinne blieb der Conseil d'Etat „protecteur de prérogatives de l'administration", wie es Achilles Mestre ausdrückt.1042 Die Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags richtete sich entsprechend vornehmlich auf die Kontinuität eines service public aus, wie er von der Politik definiert und sich dem steten Wandel der - politischen - Zeit anzupassen hatte; es ging als im Kern darum, die Kontinuität der politischen Diskontinuität sicherzustellen. Und andererseits ging es darum, die Kooperation der selbstorganisierten Gesellschaft in jenen Bereichen sicherzustellen, in welchen die Verwaltung darauf angewiesen war. Das dazu nötige Zugeständnis an die Privaten erstreckte sich im Grundsatz jedoch nicht weiter als bis zum Initialakt des Rechtsverhältnisses durch Willensübereinkunft und bis zu monetären Folgen in bestimmten Fällen, die durch unilaterale Änderungen ausgelöst werden konnten. Widerstreitender Einfluss von Gesetz und auf den verwaltungsrechtlichen

Willensäusserungen Vertrag

Dieses ganz auf die Bedürfnisse der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung ausgerichtete Prinzip der Kontinuität des service public wurde mehrheitlich gutgeheissen: Wenn die GesetzesfÖrmigkeit den verwaltungsrechtlichen Vertrag dominiere, so etwa Jèze, dann dürfe sich der verwaltungsrechtliche Vertrag nicht den Regeln des Zivilrechts unterwerfen, sondern müsse diese nach eigenen - d. h. vor allem: politisch inspirierten - Bedürfnissen neu rekonstruieren.' 043 Dies blieb aber auch nicht ohne Widerspruch. Interessant ist dabei die Position von Duguit in seinem Hauptwerk 'Traité de droit constitutionnel' von 1911, in welchem er die neuen Selektionen mit Hilfe einer klassisch vertragsrechtliche Perspektive zu systematisieren suchte: Im Vertrag, so Duguit, träfen sich die Willensäusserungen von zwei Parteien in einem gemeinsamen Projekt, das gerade durch den Umstand möglich werde, dass beide Parteien von einander jeweils etwas anderes wollten.1044

1042

ACHILLE MESTRE

1043

Siehe JEZE 1 9 2 7 - 1 9 3 4 : 21, m. w. H.

1044

DUGUIT 1911,1: 2 8 0 ff. Das Vertragsrecht stabilisiert also diese Einheit in der Differenz.

1974.

257

Mit diesem Ausgangspunkt Duguits bildete die öffentlichrechtliche, durch Hierarchie gekennzeichnete Befehlsform den Gegenpool des Vertrags, und entsprechend lehnte er es wie Laferriere ab, jene Rechtsverhältnisse wie den Staatsdienst und die Konzession, die durch einseitige Einwirkungsmöglichkeiten des Staats auf die Vereinbarung gekennzeichnet waren, als Vertrag anzuerkennen. Denn, so Duguit, bei der Konzession wie auch bei der Berufung in den Staatsdienst beruhe das Rechtsverhältnis auf Gesetz und Reglement, und gemäss Gesetz komme der Verwaltung die Möglichkeit zu, unilateral den Inhalt der Rechtsbeziehung zu ändern. Doch nicht nur das: Duguit lehnte es auch ab, einen Unterschied zwischen zivilrechtlichem und verwaltungsrechtlichem Vertrag zu machen. Ebenso wie das Recht zuweilen zwischen handelsrechtlichem und bürgerlichem Vertrag unterscheide und diese Fälle je verschiedenen Gerichten zuweise, handle es sich auch beim verwaltungsrechtlichen Vertrag nur um eine Variante des Vertrags, der jedoch in den Grundzügen den allgemeinen Regeln des Vertrags zu folgen habe. 1045 Auf dieser theoretischen Basis, mit welcher Duguit die Sphäre des Verwaltungsakts relativ streng von der vertraglichen Sphäre trennte, interessiert nun besonders deren Verhältnis im Kollisionsfall: Soweit ein echter Vertrag zwischen Staat und Privaten vorliege, so Duguit, könne die Verwaltung und selbst der Gesetzgeber nichts daran ändern, dass der Vertrag zur Begründung von subjektiven Rechten gefuhrt habe. Allfällige Gesetzesänderungen seien über die Regeln zur Anpassung des Vertrags bei veränderten Verhältnissen zu berücksichtigen und allenfalls zu entschädigen.1046 Duguit konnte sich aber - ebenso wenig wie Kelsen mit einer ähnlichen Meinung zum deutschen Recht1047 - nicht durchsetzen. Insgesamt blieb es im Grossen und Ganzen bei den vom Conseil d'Etat festgelegten Leitlinien: Während also die Willensübereinkunft vor allem die Zuständigkeit der Verwaltung und deren initiales Tätigwerden legitimierte, wurde im Konzessionswesen die vertragsrechtliche Legitimation mittels eines Anspruchs auf Schadenersatz bei unilateralen Änderungen in gewisser Weise auf den späteren Verlauf des gemeinsamen Projekts ausgedehnt. Damit wurde eine Kompatibilisierung von wirtschaftlicher Rationalität, die primär auf pekuniäre Interessen ausgerichtet ist, und politischer Rationalität, die auf die Verwirklichung stets von Neuem angepasster öffentlicher Interessen drängt, erreicht. Im Beamtenverhältnis dagegen, in welchem es neben pekuniären Interessen primär um Rang und Namen ging, wurde diese legitimatorische Funktion wie gese-

1045 1046 1047

258

DUGUIT 1911,111: 402 ff. DUGUIT 1911: III: 405 ff. Unten Kap. III.C.4.c): 288.

hen mehr dem Patriotismus überlassen.1048 Auch wenn also der Inhalt der Verwaltungsverträge nicht ohne eine gewisse sachgemässe Legitimation blieb, so rief die unilaterale Macht der Verwaltung, die ohne weiteres auf das gemeinsame Vertragsprojekt durchschlagen konnte, doch Widerspruch hervor. Duguit, zentraler Vertreter dieser Kritik, sah im Prinzip der Kontinuität des Service public einen illegitimen Übergriff auf die gewachsenen vertragsrechtlichen Prinzipien auf der einen Seite und einen Rückfall in ein autoritäres Staatskonzept auf der anderen Seite. Immerhin konnte er in der Entschädigungsregelung eine grundsätzliche Unterstützung iur seine Theorie ausmachen, die auf einer Trennung von Rechtsmacht der Politik und Verwaltung in dem Sinne insistierte, dass die Rechtsmacht der Politik die rechtliche Stabilisierung des Vertrags nicht ausser Kraft setzen dürfe. e)

Gleichheit als politische Forderung an das Recht: Die Rechte Dritter Konflikt zwischen der Bilateralität des Vertrags und dem politischem Programm der Gleichheit

Auch wenn der Conseil d'Etat primär „protecteur de prerogatives de l'administration" blieb,1049 so beschränkte sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit doch nicht allein darauf, die Interessen der Verwaltung zu schützen und (in allerdings vermehrt eigenständiger Weise) in Recht umzusetzen. Dies zeigt sich an einem weiteren zentralen Aspekt des verwaltungsrechtlichen Vertrags: dem Rechtsschutz Dritter. Nur die Vertragsparteien konnten wegen Verletzung vertraglicher Verpflichtungen den sogenannten juge du contrat anrufen, dem grundsätzlich die volle Kognitionsbefugnis zustand.1050 Dritten stand dieser Rechtsweg an den juge du contrat aber nicht offen. Als Grund für diese Lücke im Rechtsschutz nannte Duguit das Wesen des Vertrags. Duguit legte den Finger vor allem auf die Inkompatibilität einer aus dem römischen Recht rezipierten Konzeption des Vertrags, der auf ein Zweiparteienverhältnis unter Ausschluss von Sozial- und Drittinteressen

1048 1049 1050

Oben Kap. III.B.4.C): 248, vor allem 253. Oben Fn. 1042:257. Allerdings konnte der private Vertragspartner mit einer Beschwerde auf excès de pouvoir an den Conseil d'Etat gelangen, wenn die durch Gesetz legitimierte unilaterale Macht der Verwaltung zur Änderung von Reglementen zur Debatte stand: Entscheid des Conseil d'Etat vom 6. Dezember 1907 in Sachen Compagnie du Nord, d'Orléans et autres, recueil 913. Als Beispiel eines juge de contrat siehe den Entscheid des Conseil d'Etat vom 11. Januar 1895 in Sachen Cies des chemin de fer d'Orléans et du Midi, recueil 31. Siehe auch oben bei Fn. 1034: 254.

259

fokussiert, mit der neuartigen Rechtsbeziehung des Konsumenten mit dem privaten Erbringer eines service public.1051 Lösungsansätze

mittels Beamtenhaftung,

excès de pouvoir und contrat

collectif Wie wurde nun diese Frage der Rechtsstellung Dritter beim verwaltungsrechtlichen Vertrag gelöst? Im Vordergrund standen zunächst die Rechte der Benutzer öffentlicher Dienste: Wenn die Inanspruchnahme öffentlicher Anstalten, also etwa die Aufgabe eines Briefes, die Inanspruchnahme der Telegrafen etc., in der Regel keinen Vertrag begründete,1052 dann begründete eine allfällige Schädigung des Privaten einen Anspruch nur in zwei sehr eingeschränkten Fällen: -

Erfolgte eine schwere Schädigung in schuldhafter Weise durch einen Beamten der Anstalt, und stand diese Schädigung mit der Ausübung der öffentlichen Funktion in Verbindung, so konnte der Private Schadenersatz vor den Zivilgerichten einfordern. Bei diesen Voraussetzungen wurde der Massstab allerdings relativ hoch angelegt. 1053 Darüber hinaus könne - so der Conseil d'Etat - der Konsument vor den Zivilgerichten nichts aus der öffentlichrechtlichen Konzession für sich ableiten, da dies gegen das Prinzip der Gewaltentrennung Verstössen würde. 1054 Dies führte dazu, dass Konsumenten, die von einer öffentlichen Dienstleistung ausgeschlossen wurden, allenfalls vor den Zivilgerichten auf Schadenersatz, nicht aber auf Leistung klagen konnten. Dies kritisierte vor allem Duguit, denn damit werde eine zu schwere - prozessuale - Last auf die

1051

1052

1053 1054

260

„Dans la conception juridique venue du droit romain et passée dans le Code civil par l'intermédiaire de Dumoulin et de Pothier, le contrat implique un acte volontaire libre et conscient de la part de chaque contractant. On veut dire non seulement que les deux contractants doivent vouloir en pleine liberté, mais encore que chaque partie doit être entièrement libre de faire ou non le contrat, que si elle le fait c ' e s t parce qu'elle le veut bien, et qu'elle pourrait parfaitement ne pas le faire. La liberté des parties est le principe essentiel du régime contractuel. Ce principe s'applique-t-il dans les rapports des particuliers et du concessionnaire? Non. Je veux m ' a d o n n e r à une distribution d ' e a u , de gaz ou d'électricité et j e m e déclare prêt à remplir les obligations fixées par l'acte de concession. Le concessionnaire ne peut point m e refuser l'abonnement. Je demande un billet de tramway ou de chemin de fer ; j e paie le prix déterminé par le tarif fixé ; le concessionnaire ne peut point m e le refuser. Il n ' y a donc pas contrat.": DUGUIT 1907: 428. So die vielfach angefeindete Rechtsprechung des Conseil d'Etat bis zu den Entscheiden vom 18. Februar 1944 in Sachen Des Vilettes, recueil 58, und vom 5. November 1937 in Sachen Union hydro-électrique de l'Ouest, recueil 1938. Unter vielen vgl. JÈZE 1913: 434 m. w. H. Diese Haltung legte der Conseil d'Etat erst mit dem Entscheid vom 5. November 1937 in Sachen Union hydro-électrique de l'Ouest, recueil 1938, ab.

Schultern des Konsumenten gelegt. Eine Lösung sah er - dem von ihm festgestellten Gesetzescharakter der Konzession entsprechend - im öffentlichrechtlichen recours pour excès de pouvoir. 1055 -

Als zweite Lösung kristallisierte sich die Beschwerde auf excès de pouvoir beim Conseil d'Etat heraus, und zwar wie im Entscheid Blanco vorgegeben, wenn der Staat einen Privaten durch Zuständigkeitsüberschreitung derart schädigte, dass ein äquitabler Ersatz sich aufdrängte. 1056 Diesen Weg, um das Problem des Rechtsschutzes von Bezügern eines von Privaten erbrachten service public zu lösen, ging erstmals der Entscheid des Conseil d'Etat vom 21. Dezember 1906 in Sachen Syndicat Croix de Seguey-Tivoli. 1057 In casu ging es darum, dass eine Quartiervereinigung den Konzessionär einer Tramstrecke dazu bringen wollte, ihr Quartier zu bedienen, wie es in den Vereinbarungen der Konzession vorgesehen war. Regierungskommissär Romieu wies auf die - beschränkte - Möglichkeit hin, dass Konsumenten zwar nicht gegen den privaten Vertragspartner, aber doch gegen jene Behörden, die einen service public trotz klarer vertraglicher Grundlage gegenüber dem Konzessionär nicht einfordern wollten, auf dem Weg des excès de pouvoir flagrant vorgehen könnten. 1058

Mit dem gerichtlichen Zugang mittels excès de pouvoir flagrant war somit die Lücke im Rechtsschutz Dritter zwar gemindert, aber nicht behoben worden. Der soeben erwähnte Entscheid Croix de Seguey-Tivoli brachte zwar eine Ausweitung der Überprüfungsbefugnisse der Verwaltungsgerichte bei Verträgen zwischen Staat und Privaten mit sich, so dass beim einem offenbaren Gewaltmissbrauch die gegen die Verwaltung gerichtete Beschwerde doch auf den Vertrag durchschlagen konnte. Dies blieb allerdings nicht von heftiger Kritik der Rechtswissenschaftler verschont: Diese Rechtsprechung sei, so etwa Jèze, „durchaus unannehmbar" und verkenne das Wesen der Konzession, die nicht einen Vertrag, sondern ein Gesetz, ein Reg-

1055

DUGUIT 1907.

1056

Siehe zum Entscheid Blanco oben Kap. III.B.3.c): 224. Recueil 961. „En résumé, le recours pour excès de pouvoir formé par l'usager pour refus d'intervention de l'administration supérieure n'est pas, par lui-même, non recevable. Il faut examiner les motifs du refus : les uns pourront servir de fondement au recours contentieux, les autres échapperont à la compétence du juge. Si le préfet refuse d'agir pour des motifs d'opportunité ou d'administration pure il reste dans l'exercice normal de son pouvoir de tutelle, et le recours n'est pas recevable. Si le préfet refuse d'agir parce qu'il estime que la réclamation de l'usager n'est pas justifiée au fond, le recours est au contraire recevable. Quant à la décision à intervenir, il faut distinguer : s'agit-il d'une erreur de droit manifeste, d'un abus évident, de ce que nous avons appelé l'excès de pouvoir flagrant, l'annulation de la décision de refus devra être prononcée de piano ...": recueil 968.

1057 1058

261

lement darstelle. Dritte könnten aufgrund des gesetzlichen Charakters der Konzession immer an die Verwaltungsgerichte gelangen, sich allerdings immer nur gegen die Behörde wegen mangelhafter Intervention richten, nie aber direkt gegen den Konzessionsnehmer.1059 Nachdem die Figur des auf ein Zweiparteienverhältnis fokussierten Vertrags das Problem überhaupt erst ausgelöst hatte, war es nun allerdings paradoxerweise die analoge Anwendung privatrechtlicher Theorien, die zu einer weitergehenden Lösung führte. Nach der Theorie des contrat collectif, die von einigen Zivilrechtlern wie Lambert und Planiol vorgebracht wurde, trat der Konsument, wenn er die angebotenen öffentlichen Dienste in Anspruch nahm, in die Rechte ein, die der Konzessionär und die Verwaltung zu seinen Gunsten zuvor vertraglich geregelt hatten.1060 Der Conseil d'Etat begann diese Theorie mit dem Entscheid vom 29. Oktober 1926 in Sachen Gay zu übernehmen. 1061 Gleichheit in der Ungleichheit Es ist bemerkenswert, dass in der stark von politischen Interessen geprägten französischen Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags die politische Kontextanforderung der bürgerlichen Gleichheit gerade durch die analoge Übernahme eines privatrechtlichen Konzeptes erfolgte. Die Emergenz des französischen verwaltungsrechtlichen Vertrags in der Zeit von ca. 1870 bis 1930 wurde insgesamt aber, was das Thema der Gleichheit betrifft, von zwei genuin verwaltungsrechtlichen und an der Politik ausgerichteten Prinzipien geprägt, die zugleich die klassischen Prinzipien des Vertragsrechts - anders als in den stark vom Code civil geprägten Variationen von Dareste und Perriquet - in den Hintergrund drängten: -

Einerseits wurden die Strukturen des verwaltungsrechtlichen Vertrags massgeblich durch die Ungleichheit von Staat und Privaten geprägt. Nach der beschriebenen Funktionalisierung der Abgrenzung von Privatrecht und Verwaltungsrecht und nach der Verselbstständigung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Politik basierte diese Ungleichheit allerdings weniger auf der Unterscheidung von hoheitlich agierendem Staat und gewaltunterworfenem Bürger, sondern es standen sich mehr die durch Gericht kompatibilisierten öffentlichen Interessen an der Kontinuität des Service public und die privaten wirtschaftlichen, d. h. vor allem monetären Interessen, gegenüber.

1059 ,06

°

1061

262

JEZE 1 9 1 3 : 3 8 8 f f . u n d 4 1 7 f.; v g l . a u c h DUGUIT 1 9 0 7 : 4 3 6 ff. LAMBERT 1 8 9 3 : 3 2 2 ; PLANIOL 1 9 0 4 - 1 9 0 5 : 4 1 7 .

Recueil 1928.

-

f)

Andererseits hatten sich die Rechtsstrukturen des verwaltungsrechtlichen Vertrags am politischen Erfordernis der Gleichheit der Privaten auszurichten. Diese Gleichheit, verstanden als politisches Projekt der Gleichheit der Staatsbürger, ist von der wirtschaftlichen Gleichheit des Marktes zu unterscheiden. Vor dem Staat sind alle Bürger gleich, und in diesem Sinne darf der Staat - anders als der private Marktteilnehmer - nicht willkürlich den einen Bürger als Vertragspartner vor dem anderen bevorzugen, ohne dass er diese Bevorzugung auf das Gesetz zurückführen könnte.1062 Neue Irritationen als Folge der Stabilisierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags: Der Rechtsstatus der Beamten Irritationen und Asymmetrien

Das Beamtenrecht zeichnete sich im Wesentlichen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, wie bereits verschiedentlich erwähnt, gegen aussen gegenüber den Bürgern durch die mangelnde Verantwortlichkeit des Staats und gegen innen gegenüber dem Beamten durch dessen begrenzte Entschädigungsansprüche und ganz generell durch begrenzte Rechtsansprüche aus. Die verbleibenden Rechtsansprüche unterstanden dem Conseil d'Etat zur Beurteilung und wurden sehr restriktiv behandelt. Darüber hinaus war das Beamtenverhältnis mehr Gegenstand von Politik als von Recht.1063 Die beschriebene Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags, wie sie sich vor allem anhand des Konzessionswesens in Gerichtsurteilen ausgeprägt und mit den Systembildungen der Wissenschaft verschlauft hatte, stand damit in eigentümlicher Weise gegen die Dogmatik der Verbeamtung. Zwar lässt sich insbesondere nach der Jahrhundertwende eine verstärkte Irritation des Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Beamten durch Terminologie und Konzepte des Vertrags und insbesondere des verwaltungsrechtlichen Vertrags feststellen. Eine gewisse Asymmetrie zwischen Konzessionsverhältnis und Beamtenverhältnis blieb jedoch für das französische Recht kennzeichnend. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich in Deutschland, wie noch detailliert zu beschreiben sein wird, der verwaltungsrechtli-

1063

Dies wird zuweilen mit dem Satz umschrieben, dem Staat komme keine Vertragsfreiheit zu. Das ist jedoch ungenau ausgedrückt, denn wenn eine Verwaltungseinheit durch Gesetz dazu verpflichtet wird, das ökonomisch beste Angebot zu wählen, gelangen die Pflicht der Verwaltung zur Wahl des ökonomisch besten Angebots und die - zumeist rein wirtschaftlich interpretierte Vertragsfreiheit fast zur Deckung, wobei allerdings die Verwaltung im Unterschied zum Privaten im Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze rechenschaftspflichtig bleibt. Vor allem oben Kap. III.B.3.b): 220, vor allem 240 und Kap. III.B.4.c): 248, vor allem 253.

263

che Vertrag gerade am Gegenstand des Staatsdienstes ausbildeten sollte. Aus diesen Gründen bietet es sich an, zum Abschluss der Erläuterungen über die Emergenz des französischen contrat administratif auf die Stellung der französischen Beamten einzugehen. Rechtsstatus der Beamten zum Ende des 19. Jahrhunderts Bereits im Zusammenhang mit der Fiskustheorie hatte sich die Einsicht durchgesetzt, dass nicht jede Rechtsbeziehung zwischen Staat und Privaten hoheitlich erfolgt. 1064 Entsprechend wurden auch Staatsangestellte unterschieden in eigentliche Beamte und andere, die der privatrechtlichen Dienstmiete unterworfen waren. Mit der Funktionalisierung des Rechts wurde nun diese Abgrenzung angepasst: Ein Beamtenverhältnis bestehe dann, so der Conseil d'Etat im Entscheid vom 9. Juni 1899 in Sachen Bergeon, wenn das Amt dauerhaft und die Funktion im öffentlichen Interesse sei.1065 Entsprechend gehe es, so Jeze, bei der Beamtenstellung darum, die Kontinuität des Service public zu sichern, und folglich stehe mit dem Eintritt in den Staatsdienst der Dienst an der Nation, dem ein höherer sittlicher Wert zukomme, an erster Stelle.1066 Es wurde bereits erläutert, dass diesem markanten Element des Patriotismus im Beamtenverhältnis gleich mehrere Aufgaben zukamen: Erstens sollte es den Beamten vor wirtschaftlichen Versuchungen bewahren, zweitens das Verhältnis zwischen Staat und Beamten stabilisieren und drittens den Zugriff auf eine Ressource ermöglichen, die dem Staat nicht direkt verfügbar war: die Motivation des Beamten, gute Dienste zu leisten. Inwieweit übernahm nun das Recht infolge der Morphogenese des Verwaltungsrechts Teile dieser Aufgaben? 1067 Der Rechtsstatus des Beamten änderte sich mit der Emergenz des modernen, von der Politik unabhängigen Verwaltungsrechts zunächst nicht grundlegend, denn insgesamt handelte es sich nach Conseil d'Etat nicht um einen privatrechtlichen Vertrag, sondern um einen contrat administratif oder um einen contrat de fonction publique, dessen Element der Willensübereinstimmung kaum Bedeutung für den Inhalt des Rechtsverhältnisses zukam: -

Ob ein Beamtenverhältnis vorlag, richtete sich in zwar veränderter Form, aber weiterhin primär nach dem Willen der Verwaltung, nämlich erstens ob und

1064

Kap. U.C. 1: 108.

1065

R e c u e i l 4 1 6 ; v g l . h i e r z u a u c h JÈZE 1 9 1 3 : 7 3 ff.; a . M . BERTHÉLEMY 1 9 2 3 : 4 6 f f .

1066

JÈZE 1913: 4 2 ff. u n d 6 8 ff.

1067

Vgl. Kap. II.E: 189.

264

zweitens welche Mittel sie zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe bereitstell-

Änderungen im öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis mussten auf die durch Gesetz legitimierte obrigkeitliche Willkür zurückgeführt werden, ohne dass rechtlich - auf den Willen und die Wünsche des Beamten hätte eingegangen werden können oder müssen.

-

Auch konnte der betroffene Staatsangestellte seine Entlassung weiterhin nicht gerichtlich überprüfen lassen.1069 Zustimmung des Privaten als neue

Legitimationsquelle

Insofern trug also das Recht kaum mehr als bisher zur Stabilisierung der Beziehung zwischen Staat und Beamten und deren Abgrenzung gegen aussen bei. Tatsächlich korrespondiert dies mit einer nach der Jahrhundertwende beklagten „crise du fonctionnarisme".1070 Zwei Reaktionen sind hierauf auszumachen: -

Zum Ersten wurde das Element der Willensübereinstimmung in den Strukturen des Beamtenrechts stärker betont. Wenn dieses vertragliche Element auch kaum Auswirkungen auf den Inhalt des Rechtsverhältnisses zeitigte, so übernahm es dennoch legitimatorische Funktion, worauf die Argumentation von Regierungskommissär Tardieu im Entscheid des Conseil d'Etat vom 7. August 1909 in Sachen Winkeil hindeuten: In casu, so Tardieu, bestehe kein Arbeitsvertrag im Sinne des Code civil, da die Parteien nicht gleichberechtigt handelten, sondern der Staat die Vertragsklauseln nach Belieben und mit Rücksicht auf das bestmögliche Funktionieren des öffentlichen Dienstes festsetze. Die Pflichten und Vorteile (sie: nicht Rechte) würden unilateral bestimmt, und der Staat behalte sich das Recht vor, diese jederzeit wieder unilateral abzuändern. Die gegenseitige Willensübereinstimmung habe allein die Funktion, Rechte und Pflichten zu begründen und diesen somit zum Beamten zu machen und in die Amtsfunktion eintreten zu lassen - d. h. der gesetz- und verordnungsmässig bereits vorhandene Status werde auf eine Person angewandt.1071

-

Zum Zweiten sollte die „crise du fonetionnarisme" mit einer neuen Reglementierungswelle bewältigt werden. Ziel war unter anderem, das Beamtenverhältnis

1068 1069

1070 1071

Hierzu JÈZE 1913: 45 f., m . w . H . Vor allem Conseil d'Etat vom 9. Juni 1899 in Sachen Bergeon, recueil 416, vom 31. März 1905 in Sachen Fournié, recueil 325 und vom 11. Juni 1909 in Sachen Association amicale des médecins des asiles publics d'aliénés, recueil 576. Hierzu BONNARD 1907: vor allem 485. Recueil 826, 1294 ff., 1302 f., siehe auch JÈZE 1913: 80 Fn. 1.

265

besser zu legitimieren. So wurde dem Beamten zwar nicht ein Mitbestimmungsrecht, aber immerhin ein Recht, gehört zu werden, zugesprochen.1072 Rechtsstellung der Angestellten eines privaten

Konzessionärs

Ein neuartiges Problem, in einer analogen Konstellation zum Beamtenverhältnis, stellte sich infolge der grossen Projekte des Service public beim Rechtsschutz der Angestellten eines privaten Konzessionärs: Diese stehen mit dem Konzessionär in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, zugleich sind sie aber durch Gesetze und Verordnungen (zum Beispiel zur Arbeitszeit in der konzessionierten Branche) an den öffentlichen Auftrag gebunden und insbesondere strahlt die Konzession auf den Inhalt des Arbeitsvertrags aus. Im Vergleich zum Angestellten eines allein auf dem Markt tätigen Unternehmens kann der Arbeiter eines Konzessionärs über diesen in öffentliches Recht gefassten Inhalt ebenso wenig verhandeln wie über allfällige diesbezügliche Änderungen. 1073 Ferner war umstritten, ob dem Angestellten - soweit das konzessionierte Unternehmen betroffen war - ein Streikrecht zustand. Duguit vertrat die Ansicht, die Arbeiter eines Konzessionärs seien grundsätzlich Beamte. 1074 Kennzeichnend für die politische und rechtliche Situation der Angestellten eines privaten service public-Betreibers ist der bereits erwähnte Entscheid vom 18. Juli 1913 in Sachen Syndicat national des chemins de fer, mit welchem der Conseil d'Etat die Einberufung von streikenden Eisenbahnangestellten zum Militärdienst guthiess, womit diese unter der verschärften Drohung der militärischen Befehlsverweigerung zur Aufgabe des Streikes gezwungen werden konnten.1075 Das Problem der Rechtsstellung der Angestellten des Konzessionärs wurde schliesslich damit entschärft, dass die Rechtsprechung des Entscheids Croix de Seguey-Tivoli1076 zum Rechtsschutz Dritter mittels exces de pouvoir auf die Gewerkschaften ausgedehnt wurde und damit eine Anfechtung bei offenbarer Überschreitung der Amtsgewalt ermöglicht wurde.1077

1072

BONNARD 1 9 0 7 : v o r a l l e m 4 8 5 ; JÈZE 1 9 1 3 : 7 9 m . w . H .

1073

Hierzu ROLLAND 1910a: 508 ff.; JÈZE 1913: 94 ff. DUGUIT 1911,1: 518. Recueil 875. Vgl. auch JÈZE 1913: 42 und 104 f. m. w. H.; siehe auch ROLLAND 1910a; b. Berthélemy wandte allerdings ein, dass bis dato keine Norm bestehe, um einen Streik strafrechtlich zu sanktionieren: BERTHÉLEMY 1923: 53. Oben bei Fn. 1057:261. Conseil d'Etat vom 22. Juli 1927 in Sachen Syndicat des employés des secteurs électriques de la Seine, recueil 826.

1074 1075

1076 1077

266

5.

Fazit: Harmonisierung von widersprüchlichen im verwaltungsrechtlichen Vertrag Nischen, Variationen, Irritationen und

Kontextanforderungen

Symmetriebrüche

Verschiedene Elemente in der Evolution des französischen Institutionenarrangements konvergierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts derart, dass sich der Verwaltungsvertrag nicht nur auf der privatrechtlichen, sondern auch auf der verwaltungsrechtlichen Seite durchzusetzen vermochte. Im Vergleich zu Deutschland und vor allem zur Schweiz fällt zunächst ins Gewicht, dass im 19. Jahrhundert die rechtliche Stabilisierung von Kooperationen zwischen Staat und Privaten nicht nur unter dem Schutz der zivilgerichtlichen Fiskustheorie eine Nische gefunden hatte, sondern darüber hinaus in spezifischer, durch das Gesetz zugewiesener Form auch beim Conseil d'Etat. 1078 Hieran vermochte die besonders detaillierte Variationenbildung der Rechtswissenschaft, das heisst vor allem von DARESTE 1862 und PERRIQUET 1884 anzuschliessen. Beide drängten mit ihren neuen Variationen darauf, das Vertragselement im Verwaltungshandeln rechtlich zu erfassen und damit die Verwaltung stärker zu verrechtlichen. Dareste und Perriquet hatten einen Legitimationsbedarf vor dem Hintergrund festgestellt, dass die Verwaltung an Bedeutung gewann, indem sich ihr Bestand vergrösserte und sie in neuer Weise mit den Bürgern kollaborierte und damit den Bereich des gesetzeslegitimierten acte d'autorité und die Überprüfung durch den recours pour d'excès de pouvoir verliess.1079 Besonders ins Auge sticht sodann, dass im Zuge neu gewonnener formeller und materieller Unabhängigkeit sich der Conseil d'Etat daran machte, wichtige Verwaltungshandlungen dem Zivilrecht zu entziehen, paradoxerweise allerdings damit zugleich auch die von Dareste unter anderen Vorzeichen angestrebte Verrechtlichung forderte. Zentrale Voraussetzungen auf dem Weg zur Emergenz eines verwaltungsrechtlichen Vertragsrechts sind die Einfuhrung der sogenannten 'justice déléguée', die Einschränkung der Doktrin der Nichteinmischung in politisch motivierte Regierungsentscheide und sodann die Ausweitung des recours pour excès de pouvoir auf détournement de pouvoir, womit die neuartigen Spielräume der modernen Interventionsverwaltung später adäquat erfasst werden konnten.1080

1078 1079

1080

Zum Ganzen oben Kap. III.B.l: 207. Zum Ganzen oben Kap. III.B.2: 210. Zum Ganzen oben Kap. III.B.3.a): 216 und Kap. III.B.3.b): 220. 267

Auf dieses institutionelle Arrangement konnten sodann die Entscheide und die darin enthaltenen Selektionen zum Verwaltungsvertrag des Conseil d'Etat und des Tribunal des conflits aufbauen. Vor allem die Ausrichtung auf die Funktion der Verwaltung anstelle der Abgrenzung nach acte d'autorité und puissance public, die mit dem Entscheid Blanco (1873) begann, eröffnete die Möglichkeit, den Vertrag verwaltungsrechtlich zu restrukturieren. Und diese Abkehr von der Abgrenzung nach acte d'autorité und der dahinterstehenden Souveränitätstheorie wurde erst mit der Verwirklichung einer weit in die Gesellschaft ausgreifenden Demokratie möglich; Machtanwendung durch die Verwaltung musste nicht mehr gerechtfertigt werden mit einer Semantik des souveränen Nationalstaats, in welcher sich der Bürger der Gewalt des Staats zwecks Erreichung von gesellschaftlicher Einheit und allgemeinem Wohlstand unterwirft. Wenn der Bürger als aktiver Gestalter von Politik auftritt, geht es vielmehr darum, dass die Verwaltung mit Recht auf die Funktionen verpflichtet wird, die durch den Bürger in Wahl und Abstimmung vorgegeben wurden.1081 Morphogenese des

Verwaltungsrechts

Die alte Grenzziehung zwischen Hoheitsrechten und actes de gestion vermochte im Kontext der neuartigen Grossinfrastrukturkonzepte, die zuweilen als Kooperation zwischen Staat und Privaten und zuweilen sogar in vertauschten Rollen erschienen, in der Tat nicht mehr zu überzeugen. Zunächst wurde sie durch die - jeweils funktionale - Abgrenzung nach öffentlichen Interessen im Allgemeinen und nach Service Public im Besonderen ersetzt. Unter diesem Aspekt der Funktionalisierung waren die zentralen Fragen der Qualifikation von Rechtsform und Rechtsnatur nun zu Rechtsfragen geworden. Mithilfe dieses rechteigenen Blicks, der nicht mehr allein nach dem Vorliegen eines acte d'autorité fragte, war es nun auch möglich geworden, die in der politischen Theorie entgegenstehenden Souveränitätslehre und interventionsstaatlichen Bedürfnisse nach Kooperation zu harmonisieren - mit der Folge, dass sich der Möglichkeitsrahmen der Verwaltung, in die Gesellschaft gestaltend auszugreifen, bedeutend erweiterte. Im Vordergrund stand dabei zunächst die rechtliche Absicherung der Vertragsbeziehungen zwischen der Administration und den Konzessionären, und später geriet vor allem die Rechtsstellung der Konsumenten gegenüber den neuen öffentlichen Diensten in den Fokus der Justiz.1082

1081 1082

268

Zum Ganzen oben Kap. III.B.3.C): 224 und Kap. III.B.3.d): 226. Zum Ganzen oben Kap. III.B.3.e): 230.

Emergenz des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

Kooperationen zwischen Verwaltung und Privaten wurden unter den genannten Voraussetzungen zunehmend auf eine primär öffentlichrechtliche Basis gestellt, wobei das Vertragsrecht mehr als Inspirationsquelle denn als Kopiervorlage diente. In der Evolutionstheorie spricht man hierbei von Exaptation (Gould), d. h. frühere Strukturen werden zwar übernommen, jedoch mit anderen Funktionen besetzt.1083 Dem Conseil d'Etat ging es zuvorderst darum, die moderne Verwaltung mit Hilfe eines adäquaten Rechtskleids im Sinne des Wortes freizusetzen. Zugleich, und darin liegt die grosse Leistung des französischen Verwaltungsrechts, wurden die wirtschaftlichen Interessen der privaten Vertragspartner gewahrt. Explizit ging es darum, die wirtschaftlichen Interessen auf langfristige finanzielle Planbarkeit und auf Gewinnerzielung mit den politischen Interessen nach rascher Anpassung der Policies zu kompatibilisieren. Dass dabei in der langfristigen Perspektive dennoch ein politischer Bias zurückblieb, zeigt sich daran, dass Entschädigungsleistungen schliesslich massgeblich von entgangenem Gewinn auf erlittenen Schaden (damnum emergens) reduziert wurden. Während sich somit die Verwaltungsgerichte bereits früh der Absicherung der privaten (wirtschaftlichen) Vertragspartner angenommen hatten, blieb die Position von Dritten, nicht in den Vertrag involvierten privaten Parteien, lange ungewiss. Schliesslich anerkannte der Conseil d'Etat das zuweilen existenzielle Interesse von Drittparteien am Inhalt eines Vertrags, öffnete das Rechtsmittel des recours pour excès de pouvoir zu diesem Zweck und sprach Dritten unter bestimmten Umständen Rechte aus einem verwaltungsrechtlichen Vertrag zu. Letztlich wurde damit die bedeutende politische Forderung nach Gleichbehandlung mit der bilateralen Struktur des Vertrags kompatibilisiert.1084 C.

Die langen Schatten des Polizeistaats: Die Debatte um den verwaltungsrechtlichen Vertrag in Deutschland

7.

Einleitung:

Rechtswissenschaft

als

Leitdiskurs

Vier Etappen der Emergenz des verwaltungsrechtlichen Deutschland

Vertrags in

Die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags ist in Deutschland - im Gegensatz zu Frankreich - aufs engste mit der Rechtswissenschaft und weniger mit der 1083

GOULD 2 0 0 2 : 1 2 3 4 ff.

1084

Zum Ganzen oben Kap. III.B.4: 236.

269

Rechtsprechung verbunden. Auf die entsprechenden Gründe wird zurückzukommen sein. Die wissenschaftliche Diskussion um die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags kann im Wesentlichen in vier Etappen erfasst werden, wobei für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand die ersten drei davon ausgeführt werden:1085 -

In einer ersten Etappe im letzen Viertel des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Erscheinungsformen des verwaltungsrechtlichen Vertrags vor allem von Otto Mayer nachhaltig kritisch kommentiert.1086

-

In einer zweiten Phase im Zuge des Ersten Weltkrieges mehrten sich jene Stimmen, die die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags als unvermeidlich bezeichneten und dessen Zulässigkeit und dessen dogmatische Durchdringung forderten.1087

-

In einer dritten Etappe nach dem Zweiten Weltkrieg und vermochte der verwaltungsrechtliche Vertrag in der Lehre verstärkt Fuss zu fassen, was zur Institutionalisierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Verwaltungsverfahrensgesetz von 1977 führte. 1088

-

Und in einem vierten Schritt vermochte sich der verwaltungsrechtlichen Vertrag schliesslich in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Lehre und Rechtsprechung durchzusetzen.1089 Kontext der frühen Debatte um den verwaltungsrechtlichen

Vertrag

Ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde die Frage nach der Rechtsform der kooperierenden Verwaltung von der deutschen Wissenschaft als ein Randphänomen'090 des in Entstehung begriffenen modernen Verwaltungsrechts mitgetra-

1085

Unten Kap. III.C.5: 291 und Kap. III.E.2: 383.

1086

MAYER

1087

V o n den Monographien sind herauszuheben: APELT 1920 und BUDDEBERG 1925.

1088

V o n den Monographien sind herauszuheben: STERN 1958 und SALZWEDEL 1958.

1089

Hierzu PAKEERUT 2000: 113 ff. PRÄGEND FÜR diese Sicht des verwaltungsrechtlichen Vertrags als Randphänomen ist MAYER 1888. So in der Terminologie noch heute explizit RICHLI 1991: 398. Es ist umso bemerkenswerter, dass sich trotzdem wichtige Verwaltungsrechtslehrer damit auseinandersetzten: Es dominieren zunächst in chronologischer Reihenfolge die Entstehung

1090 1091

des

1888.

deutschen

Verwaltungsrechts:

1888; LABAND 1888; MAYER

270

SEYDEL

1895/96.

1873;

MAYER

1886;

LABAND

1887;

MAYER

Im Zentrum dieser Debatte um die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags stand auf der einen Seite zunächst die weitgehend ablehnende Stellung Mayers in seiner detaillierten Schrift „Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage" von 1888 und Labands Widerspruch hierzu, erstmals geäussert in der Rezension zu Otto Mayers 'Theorie des französischen Verwaltungsrechts'. 1092 Auf der anderen Seite drehte sich die Diskussion - ganz anders als in Frankreich lange nicht um die neuen Infrastrukturen wie Gas, Wasser, Transport usw., sondern es ging wie in der Vergangenheit primär um die Bestellung zum Staatsdienst.1093 Die Zustimmung zum verwaltungsrechtlichen Vertrag zwischen Staat und Privaten nahm nach der Jahrhundertwende und insbesondere in Folge des Ersten Weltkriegs zu.1094 Von einer allgemeinen Anerkennung1095 des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Sinne einer sich zunehmend verdichtenden Dogmatik im Wechselspiel von Lehre und Gerichten, von Theorie und Praxis kann allerdings, zumindest in der Beziehung zwischen Verwaltung und Privaten, keine Rede sein.1096 Vielmehr vermochten, wie in der Folge zu zeigen sein wird, die jungen Verwaltungsgerichte keine eigenständigen und stabilen Selektionen hervorzubringen, und bezeichnenderweise befasste sich die wissenschaftliche Debatte bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem mit der Frage, ob und in welchen Formen der verwaltungsrechtliche Vertrag zulässig sei. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich eine generelle Akzeptanz zum verwaltungsrechtlichen Vertrag und vor allem eine stabile Dogmatik in Lehre und Gerichtspraxis vermehrt durch, und zwar unter massgeblichem Anschluss an die Debatte des letzten Viertels des 19. und des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts.1097 Fragestellung und

Untersuchungsgang

Die Strukturen und Problemstellungen der heutigen deutschen Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags sind deutlich als Selektionen vergangener Zeit erkennbar, die überdies insbesondere mit Fritz Fleiner (1867-1937) ins schweizerische Recht

1092

LABAND 1 8 8 7 z u MAYER

1093

So zum Beispiel bei MAYER 1888 und auch noch bei GROSCH 1911. Zu diesem Fokus

1886.

g l e i c h e r m a s s e n PAKEERUT 2 0 0 0 :

19.

1094

V g l . v o r a l l e m KELSEN 1 9 1 3 ; APELT 1 9 2 0 ; BUDDEBERG

1095

S o aber MAURER 1989: 7 9 9 .

1096

Vgl. hierzu auch PAKEERUT 2000: 26.

1097

1925.

PETERS 1 9 4 9 : 1 5 3 f f . ; FORSTHOFF 1 9 5 8 : 2 4 9 f f . ; STERN 1 9 5 8 u n d S A L Z W E D E L 1 9 5 8

treten

im Wesentlichen für, BULLINGER 1962 eher gegen den verwaltungsrechtlichen Vertrag ein. Letzterer bezog sich aber mit seiner Ablehnung auf spezifische Probleme.

271

eingeflossen sind.1098 Im Vordergrund der rechtsdogmatischen Debatte steht dabei heute wie auch bereits im Übergang zum 20. Jahrhundert, dass der verwaltungsrechtliche Vertrag mit der Gesetzesbindung als primäre Legitimationsform der Verwaltung kollidiert, wobei allerdings zumeist die zentrale Rolle der Gerichte in diesem Verhältnis von kooperierender Verwaltung und rechtsetzendem Staat vernachlässigt wird.1099 Die Rekonstruktion der Emergenz der deutschen Verwaltungsvertragslehre verspricht Licht in dieses Dreiecksverhältnis 'Staat als Rechtsautorität - kooperierende Verwaltung - streitschlichtende Gerichte' zu bringen. Im Fokus stehen dabei insbesondere die Bezüge von Rechtstheorie als Reflexionsmechanismus des Rechts und den hierdurch ausgeformten Leitprinzipien1100 zu den bis heute prägenden selektionierten Variationen der Verwaltungsvertragslehre: -

In einem ersten Schritt (nachfolgend Kap. III.C.2 bis Kap. III.C.4: 273) ist auf die spezifischen Kontexte und Pfadabhängigkeiten der Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Deutschland hinzuweisen. Unterschiede fallen gegenüber Frankreich weniger im Bereich der Wirtschaftsentwicklung ins Gewicht,1101 aber umso mehr in der Evolution von Politik und Wissenschaft. Einen massgeblichen und spezifischen Einfluss auf die deutsche Lehre des Verwaltungsvertrags übten dabei die spezifische Konstellation nach dem Scheitern des politischen Liberalismus, die Ausbildung eines selbstständigen, paradoxerweise aber auf das Polizeirecht ausgerichteten Verwaltungsrechts unter wissenschaftlicher Anleitung1102 sowie die Emergenz einer kompromissbehafteten Verwaltungsgerichtsbarkeit1 103.

-

Zweitens (nachfolgend Kap. III.C.5: 291) ist die konkrete rechtswissenschaftliche Debatte um die Emergenz des modernen verwaltungsrechtlichen Vertrags zu rekonstruieren. In dieser hochstehenden Debatte und ihren theoretischen Bezügen (mehr zur Verwaltungslehre als zur Vertragslehre) zeigen sich deutlich

1099 1100

1101

Massgeblich waren FLEINER 1906 und sodann das Hauptwerk 'Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts': FLEINER 1913. Vgl. etwa M A Y E R 1 8 8 8 : 27 und jüngst SCHMIDT-ABMANN 2 0 0 1 : 6 5 ff. Zur Erinnerung: Die Wirkungen dieser Leitprinzipien können evolutionstheoretisch als Morphogene beschrieben werden. Diese funktionieren als eine Art Leuchttürme, die im Rahmen einer Morphogenese (also der Ausbildung eines neuen Teilbereichs des Systems) die jeweiligen Kommunikationen in den einzelnen Teilbereichen funktional zuordnen: Hierzu JIM SMITH 1996. Zur Metapher des Morphogens siehe Fn. 20: 5. Hierzu bereits oben Kap. III.A.2.a): 198.

1102

STOLLEIS 1 9 8 9 .

1103

OGOREK 1 9 8 8 .

272

die damaligen Blockaden, die bis heute als neuralgische Problemfelder des verwaltungsrechtlichen Vertrags zu erkennen sind. Im Unterschied zu Frankreich ist die Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags mehr durch die Variationenbildung durch die Wissenschaft als durch wegweisende und gezielte Selektionen der Gerichte geprägt,1104 was ebenfalls mit der spezifischen Evolution der Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenhängt. 2.

Das Scheitern

des politischen

Liberalismus

Tradition eines materiell verstandenen

Wohlfahrtsstaats

Wie kaum ein anderer hat in letzter Zeit Michael Stolleis die wissenschaftliche Diskussion um das komplexe Verhältnis des entstehenden deutschen Interventionsstaates zur Ausdifferenzierung des modernen Verwaltungsrechts geprägt. Stolleis geht im Wesentlichen davon aus, dass der fur Deutschland typische allmähliche Übergang vom Ancien Régime in das konstitutionelle Zeitalter parallel lief zur nur langsamen Ablösung der Polizeiwissenschaft als der dem aufgeklärten Absolutismus gemässen Lehre, wobei das wohlfahrtsstaatliche Konzept des 18. Jahrhunderts nie ad acta gelegt wurde, sondern in modifizierter Form in den modernen Interventionsstaat überging. ' 105 Als prägend erwies sich in Deutschland zweifellos das Scheitern der politischen Ziele des Liberalismus in den Jahren 1848/49, was einen kompromissbefrachteten Frieden des Liberalismus mit dem absoluten Staat hervorbrachte - um den Preis der politischen Beteiligung.1106 Die Liberalen begrenzen in der Folge ihre Forderungen zum einen auf die ökonomischen Elemente zur Errichtung einer Marktwirtschaft und zum anderen konzentrierten sie sich vermehrt auf die lokale Politik, womit der monarchischen Regierung ein autonomer Raum der Souveränität verblieb. Damit hatten es die Liberalen, so Stolleis, zu keiner Zeit erreicht, die Basis des umfassend fur die Integration der Gesellschaft zuständigen Wohlfahrtsstaats zu beseitigen. Entsprechend wurde der Wohlfahrtsstaat in der liberalen Tradition Deutschlands

1104

S o i m R e s u l t a t a u c h PAKEERUT 2 0 0 0 : 1 7 .

1105

S T O L L E I S 1 9 8 9 : 1 3 3 ; STOLLEIS 1 9 9 2 : 2 6 2 .

1106

Dies stellt auch Ogorek bei ihren Untersuchungen zur Emergenz der Verwaltungsgerichtsb a r k e i t i n d e n M i t t e l p u n k t : OGOREK 1 9 8 8 : 4 0 1 f f . ; STOLLEIS 1 9 9 2 : 3 8 5 f f . a m B e i s p i e l v o n

Gneist.

273

immer auch materiell verstanden, d. h. wo die Mittel des Einzelnen nicht ausreichten, sollte der Staat vernünftige Zwecke unterstützen. 1107 Auswirkungen

im letzten Viertel des 19.

Jahrhunderts

Diese nie abbrechende Präsenz wohlfahrtsstaatlichen Denkens begünstige nach dem Wiener Börsenkrach und der Grossen Depression 1873, als offensichtlich wurde, dass sich die liberalen wirtschaftlichen Versprechungen nicht einhalten lassen würden, eine intensivierte Normenproduktion des Gesetzgebers, der sich nicht mehr auf die Errichtung eines Rahmens der sich selbstorganisierenden Gesellschaft beschränkte. Die liberale Versprechung der marktwirtschaftlichen Integration der Gesellschaft sollte nun verstärkt mit politischen Mitteln umgesetzt werden. 1108 Dreierlei Auswirkungen dieser politischen Ereignisse sind für die Evolution des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Deutschland herauszuheben und weiter zu erläutern: -

erstens die Rückbesinnung der Rechtswissenschaft auf die Souveränitätslehre im Rahmen der Herausbildung der juristischen Methode (unmittelbar nachfolgend);

-

zweitens die Herausbildung einer kompromissbehafteten Verwaltungsgerichtsbarkeit vor allem im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts (unten Kap. III.C.4: 280). 1109

-

und drittens die rechtswissenschaftliche Debatte zur kooperierenden Verwaltung vor diesem Hintergrund (unten Kap. III.C.5: 291).

Dies galt auch für einen liberalen Rechtswissenschaftler früher Prägung wie von Mohl. Während der Staat bei Kant noch darauf beschränkt war, die Freiheit des Einen von den Eingriffen des Anderen zu schützen, ging es bei Mohl in seiner Encyklopädie der Staatswissenschaften von 1872 darum, dass der Staat „... die vom Volke als Lebenszweck des Einzelnen und der Gesamtheit anerkannte Entwicklung aller natürlichen Kräfte schützt und f ö r d e r t " : VONMOHL 1 8 7 2 : 106. Z u d e m m . w . H . STOLLEIS 1989: 133; STOLLEIS 1 9 9 2 : 2 6 2 . 1108

H i e r z u o b e n K a p . I I I . A . 2 : 198; STOLLEIS 1 9 8 9 : 136.

1109

Zu diesem Diskurs, der im Allgemeinen auf Hegel zurückgeführt wird, oben, vor allem Kap. II.C.2.b): 128.

274

3.

Die juristische

Methode

Komplexitätsreduktion

durch Abschottung des Rechts

In der Rechtswissenschaft spiegelte sich das spezifische Arrangement zwischen den monarchischen und den liberalen Kräften in der Hinwendung zu - respektive der Abfindung mit einem staatszentrierten Positivismus, der von staatlichen Interessen durchsetztes öffentliches Recht hervorbrachte." 10 Die mit der Verwaltung befasste Rechtswissenschaft unter der Führung von Gerber und Mayer beschränke sich entsprechend darauf, in selbstbezüglicher und selbstgenügsamer Weise ein ebenso selbstbezügliches und selbstgenügsames rechtliches System auf der Grundlage eines rein rechtlichen, d. h. von Aussenbezügen gereinigten Begriffsapparates zu konstruieren.1111 Damit übernahm die Wissenschaft notabene ohne dabei der Politik zu nahe zu treten - die Führungsrolle in der Ausdifferenzierung eines eigenständigen Verwaltungsrechts, das sich abgegrenzte vom Staatsrecht und zugleich entsprechend der sogenannten 'juristischen Methode' abschottete von den für ein dauerhaftes System destruktiven Einflüssen der revolutionären Politik.1112 Komplexitätsauflyau

im isolierten neuen Rechtsbereich Verwaltungsrechts

des

Gerade Dank dieser Komplexitätsreduktion durch Abschottung von direkten Einflüssen der Politik gelang zugleich ein neuer Komplexitätsaufbau, mit welchem die Verwaltung unter Anleitung der Wissenschaft in einem politisch unabhängigeren Recht erfasst werden konnte.1113 Mit dem Positivismus und einer auf Selbstbezüglichkeit ausgerichteten juristischen Methode wurde das revolutionäre Element sozusagen im Recht nach rechtseigenen Regeln rekonstruiert."14 Neben dem Verwaltungsgesetz konnte die Verwaltung insbesondere mit dem massgeblich aus dem französischen Recht rezipierten und von Otto Mayer beeinflussten Verwaltungsakt,

"1 '12

Diese Sicht kulminiert in Otto Mayers Ausspruch: Die Staatsgewalt kann [in der Form des Rechts] alles: MAYER 1888: 38. Im Vordergrund standen vor allem Gerber und Otto Mayer: GERBER 1880, Vorrede; MAYER 1895/96: Vorwort. Dass dies nicht bedeutete, dass sich die Juristen nicht mit Politik und den politischen Forderungen an das Recht zu befassen hatten, zeigt sich besonders deutlich bei Laband. Hierzu m . w . H . STOLLEIS 1 9 9 2 : 3 4 6 .

113

W E B E R 1 9 2 1 - 1 9 2 2 / 1 9 8 0 : 5 0 2 ; STOLLEIS 1 9 8 4 : 8 5 f f . ; STOLLEIS 1 9 9 2 : 2 6 2 .

114

So auch VESTING 2004a.

275

der d e m Gerichtsurteil nachgebildet worden war, 1 1 1 5 ihre stetig w e c h s e l n d e n Projekte direkt in die Form des Rechts kleiden, w a s eine Rekonstruktion der V e r w a l tungskommunikationen durch das Recht enorm beschleunigte. 1 1 1 6 Dabei schmiegte sich die Form des Verwaltungsaktes eng an die Souveränitätslehre an, 1 1 1 7 und im gleichen Z u g wurde der Verwaltungsakt mit d e m Rechtsstaat als souveräne hierarchisch gedachte Rechtsautorität verknüpft, dessen Verwaltung möglichst rechtssatzmässig und möglichst gesetzlich gebunden agierten sollte. 1 1 1 8 D i e neue Selbstbezüglichkeit und die daraus f o l g e n d e Abschottung gegenüber der Politik ermöglichten zugleich einen neuen enger struktureller

Kopplung

mit der Politik.

rechtseigenen

Komplexitätsaußau

in

W a s in Frankreich in erster Linie als

evolutionäre Errungenschaft des Conseil d'Etat erscheint, stellt sich somit in

1115

Illustrativ zu diesem Zusammenhang ist folgende Äusserung von MAYER 1895/96, I: 60: „So können wir sagen, dass aus dem jahrhundertelangen Kampfe der französischen Parlamente mit der königlichen Verwaltung, der auch sonst manche bedeutsame Spuren im französischen Rechte zurückgelassen hat, schliesslich doch die Parlamente als Sieger hervorgegangen sind. Es ist nicht gelungen, die Verwaltung der Macht der Justiz äusserlich zu unterwerfen. Aber sie hat sich zu den Ideen bekennen müssen, deren Trägerin die Justiz war. Die Rechtsordnung, in welcher diese sich darstellte, beruhte auf einem ganz bestimmten System von rechtlicher Gebundenheit: das Gesetz über alles, das Urteil gebunden an das Gesetz, die That der Vollstreckung gebunden an das Urteil. In der Übertragung dieser Gebundenheit auf die Verwaltung liegt die Grundidee des neuen französischen Verwaltungsrechtes." Zur Anlehnung an die Form des Urteils auch explizit MAYER 1895/96,1: 95.

1116

Z u m Verwaltungsakt siehe MAYER 1895/96,1: 94 ff.

1117

Dies folgt bereits aus der Definition von MAYER 1895/96: 95: „Der Verwaltungsakt ist ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unterthanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll."

1118

MAYER 1895/96: 66. So auch noch bei JELLINEK 1931: 96. Gerber ( 1 8 2 3 - 1 8 9 1 ) fasste das

an die Ausprägungen der Zivilrechtslehre anschliessende Programm der juristischen Methode für das Verwaltungsrecht prägnant zusammen: „Zunächst besteht unläugbar das Bedürfniss einer schärferen und korrekteren Präcisirung oder dogmatischen Grundbegriffe. Ein Theil unserer Schriftsteller scheint die Aufgabe der rechtlichen Bestimmung der durch unsere modernen Verfassungen gegebenen Begriffe nicht sowohl als eine juristische, denn als eine staatsphilosophische oder politische anzusehen; Andere lassen sich - in der entgegengesetzten Richtung - zu sehr von den Grundsätzen des älteren deutschen Staatsrechts beherrschen, gleich als ob das Recht unserer neuen Verfassungsgesetze die letzte Frucht des alten Reichsterritorialrechts wäre. Sodann aber scheint mir, was freilich mit jenem ersten Punkte aufs Innigste zusammenhängt, ein dringendes Bedürfniss die Aufstellung eines wissenschaftlichen Systems zu sein, in welchem sich die einzelnen Gestaltungen als die Entwicklung eines einheitlichen Grundgedankens darstellen. Erst durch Begründung eines solchen Systems, welches das eigenthümliche Wesen unseres modernen Verfassungsstaats zum anschaulichen Gesammtausdrucke brächte und die rechtlichen Verbindungen aller einzelnen Erscheinungen klar stellte, würde nach meinem Dafürhalten das deutsche Staatsrecht seine wissenschaftliche Selbständigkeit erlangen und die Grundlage sicherer juristischer Deduktion gegeben sein.": GERBER 1880: V f. 276

Deutschland primär als Produkt der Wissenschaft dar, gefördert freilich durch eine spezifische politische Situation.1119 Fokus des wissenschaftlich konstruierten Verwaltungsrechts und Unverträglichkeit mit Vertrag

auf die Polizei

Während allerdings das vom Conseil d'Etat geschaffene Verwaltungsrecht stets durch aktuelle vorliegende Fälle angetrieben wurde und sich somit bereits früh auf die konkreten Erscheinungen des emergierenden Interventionsstaat ausrichtete, hatte die deutsche Rechtswissenschaft in erster Linie die aktuelle Staatslehre und die herrschende politische Situation (insbesondere der weitgehend uneingeschränkten Regierung) vor Augen. Hieraus erklärt sich, dass die entstehende deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft sich zugleich an liberal und absolutistisch geprägten Leitlinien orientierte: -

Einem liberalen Fokus auf Gefahrenabwehr entsprechend erkannte die Verwaltungsrechtswissenschaft einerseits als ihren Gegenstand die Polizei, kaum aber die interventionistische Verwaltung. Die Polizei suchte sie - und damit auch die bisher wenig legitimierte Regierung - mit der Rechtsform und mit Gesetz zu binden und damit zu legitimieren.

-

Und andererseits schloss sie mit der jeweiligen Ausprägung der verwaltungsrechtlichen Prinzipien eng an den souveränen und zugleich absoluten Nationalstaats.n20

Mit der Abbildung bereits damals überkommener polizeistaatlich ausgerichteter politischer Konzepte im Recht konnten allerdings, so Stolleis, die neuen Eigentümlichkeiten der modernen wohlfahrtsstaatlichen Leistungsverwaltung rechtlich nicht erfasst werden.1121 Es entspricht denn auch dieser Ausrichtung auf die Polizei, dass in Otto Mayers bedeutendem Werk zum Verwaltungsrecht von 1895 der Verwaltungsakt als im Recht abgebildete Kommunikationsform der Verwaltung im Zentrum stand und der Rechtsform des Vertrags nur eine Randstellung eingeräumt wurde." 22 Mayer richtete den Verwaltungsakt auf die Herrschaftsbeziehung von Staat und seinen Untertanen aus und lehnte ihn am Vorbild des gerichtlichen Urteils an, womit sich Recht

, N 9

S T O L L E I S 1 9 8 4 : 8 5 ff.; S T O L L E I S 1 9 9 2 : 2 6 2 .

1120

V g l . s o e b e n Kap. III.C.2: 2 7 3 .

1121

S T O L L E I S 1 9 8 4 : 9 0 f. u n d 100.

1122

S i e h e e t w a MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 9 6 , i n s b e s o n d e r e Fn. 5.

277

bereits in der Verwaltung und ohne Einmischung durch unabhängige Gerichte verwirklichen sollte." 23 Damit aber übernahm das emergierende moderne Verwaltungsrecht auch die grundsätzliche Unverträglichkeit des Polizeistaats mit subordinationsrechtlichen Verträgen, die überdies auch mit dem neuen Element, der umfassenden Verpflichtung der Verwaltung auf das Gesetz, nicht in Übereinstimmung zu bringen waren.1124 Der Staat als obrigkeitliche Befehlsmacht, so auch Buddebergs Fazit von 1925, war nicht mit vertraglichem Handeln zu vereinbaren.1125 Neue Legitimation suchte das neue deutsche Verwaltungsrecht denn auch zunächst nicht durch Partizipation und Kooperation respektive Zustimmung des Privaten, sondern vielmehr durch Verwissenschaftlichung. Weitgehende Ablehnung der funktionalen

Methode

Im Zuge der Ausprägung der juristischen Methode im Verwaltungsrecht irritierte die in gewisser Weise entgegengesetzte Methode der Zweckausrichtung die Verwaltungsrechtswissenschaft. Max Seydel (1846-1901) hatte diese - er war massgeblich von Jherings kurz zuvor erschienenem 'Kampf ums Recht' beeinflusst bereits in seiner Staatslehre von 1873 rezipiert. Mit Berufung auf diese neue Ausrichtung lehnte es Seydel vermehrt ab, öffentlichrechtliche Rechtsverhältnisse der Stabilisierung durch ordentliche Gerichte zu unterstellen. Ein Rechtsverhältnis mit Ausrichtung auf öffentliche Interessen änderte ja diese Ausrichtung nicht dadurch, so die Argumentation, dass nun aus dem Rechtsverhältnis pekuniäre Ansprüche abgeleitet würden oder eine gewisse Kooperation mit Privaten eingegangen werde.1126 Im Wesentlichen warfen die Vertreter der Zweckausrichtung der juristischen Methode vor, die politische Ausrichtung in ihren Texten zu verschleiern, während dagegen die Anhänger der juristischen Methode die Zweckausrichtung als ungebührliche Politisierung des Rechts kritisierten.1127 Die Funktionalisierung, die sich in Frankreich als treibende Kraft des auf den Interventionsstaat ausgerichteten Verwaltungsrechts im Allgemeinen und des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Speziellen erwiesen hatte, vermochte sich im deutschen Verwaltungsrecht nur bedingt durchzusetzen. Dies erschliesst sich nicht

1123

„ . . . i n der Verwaltung kann Recht gesprochen werden in derselben Weise wie in der Justiz.": MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 65.

1124

Kap. II.C.4.b): 177.

1125

BUDDEBERG 1 9 2 5 : 9 8 .

1126

SEYDEL 1 8 7 3 : 6 2 .

1127

Zum Ganzen

278

WIEACKER

1967:

450

f.;

STOLLEIS

1992:

435.

allein aus dem Gegensatz von Zweckausrichtung und juristischer Methode, sondern aus dem weiteren Kontext: So proklamierte zwar Otto Mayer mit Blick auf Jhering die Ausrichtung der Verwaltung auf die Zwecke des Gesetzes, wo der Verwaltung ein Ermessen verbleibe.1128 Mayer blieb aber zugleich in der Frage der Ausgestaltung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit in der Kontrolle von Verwaltungsermessen durch unabhängige Gerichte sehr zurückhaltend.1129 Funktionale Methode und

Verwaltungsgerichtsbarkeit

In der Tat tendierten die herrschende Lehre und die aktuelle Gesetzgebung dahin, den Gerichten eine Prüfung des Verwaltungsermessens zu untersagen, die über die Kontrolle hinausgegangen wäre, ob der Verwaltung freies Ermessen zustehe.1130 Auch in der wichtigen Frage, wie Privatrecht und Verwaltungsrecht zu trennen sei, stellte Otto Mayer massgeblich auf das aus dem Polizeistaat stammende Element der Gewaltherrschaft ab,1131 worauf denn auch seine grundsätzliche Ablehnung des verwaltungsrechtlichen Vertrags basierte.1132 Im Zweifelsfall wollte Mayer dann aber doch in sehr zurückhaltender Weise darauf Rücksicht nehmen, ob mit Privatrecht oder mit Verwaltungsrecht „alle gegebenen Einzelheiten natürlicher, unmittelbarer, widerspruchsloser sich erklären lassen ...", womit die Zweckausrichtung doch noch in verhaltener Weise Eingang fand. 1133 Die Bedeutung dieser Zurückhaltung gegenüber der funktionalen Ausrichtung des Verwaltungsrechts kann mit einem Blick auf die oben erläutere Evolution des französischen Verwaltungsrechts erhellt werden: Die funktionale Ausrichtung des französischen Verwaltungsrechts, gestützt und vorangetrieben durch die Rechtsprechung des Conseil d'Etat, erfüllte im Wesentlichen bereits früh die Funktion, die zunehmend proaktive wohlfahrtsstaatliche und interventionistische Verwaltung unter die Legitimationsform des Gesetzes zu bringen." 34 In Deutschland aber zielte die Rechtswissenschaft mit der juristischen Methode und der Ausbildung einer

1128

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 8 4 f.

1129

Grundlegend ist dabei Mayers Verständnis der Gewaltentrennung: „Justiz ist die obrigkeitliche Thätigkeit zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung bei den für Civil- und Strafrechtspflege bestellten Gerichten. Alle andere Thätigkeit unterhalb der Gesetzgebung gehört z u r V e r w a l t u n g . " : MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 7 .

1130

Vgl. FLEINER 1913: 245, m. w. H. auf die Gesetzgebung in Württemberg, Bayern und Baden.

1131

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 1 3 4 f.

1132

MAYER 1895/96; I: 137 Fn. 3. Im Wesentlichen ist seine ganze Schrift zum verwaltungsrechtlichen Vertrag Ausdruck dieser Haltung: MAYER 1888.

1,33

MAYER 1 8 8 8 : 1 4 0 .

1134

Oben Kap. III.B.3.b): 220.

279

spezifischen Form der Verwaltungsgerichtsbarkeit zunächst mehr auf die rechtliche Durchdringung der Polizei und weniger auf die interventionistisch agierende Verwaltung Gerade die Verwaltungsgerichtsbarkeit spielte in dieser Frage eine nicht zu unterschätzende Rolle: Der Vorwurf der Politisierung durch die Zweckausrichtung würde nämlich dann ins Leere zielen, wenn unabhängige Gerichte das Zweckelement aus generell abstrakten Gesetzen in einem Einzelfall nach Rechtskriterien überfuhren würden. Entscheidend ist somit, wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgestaltet wird. Hierauf ist nun vertieft einzugehen. 4.

Emergenz einer apolitischen

Verwaltungsgerichtsbarkeit

a)

Die Frage nach der rechtlichen Verfassung der Verwaltung

Im zerspitterten Deutschland des 19. Jahrhunderts hatte sich bekanntlich kein Äquivalent zum französischen Conseil d'Etat zu entwickeln vermocht; das Reichskammergericht war zusammen mit dem alten Reich 1806 untergegangen.1136 Und in der Folge der für Deutschland charakteristischen langsamen Ablösung vom Ancien Régime1137 konzentrierten sich in Deutschland - im Gegensatz zu Frankreich - die politischen Auseinandersetzungen mehr auf die Differenz von monarchischer Regierung und Gesetzgebung als auf die Gerichtsbarkeit; der Monarch sollte - so die Forderung - eine Volksvertretung an der Gesetzgebung beteiligten, und dieser Gesetzgebung würden sodann die ordentlichen Gerichte und die Verwaltung unterstellt. Damit wurde die Verwaltung justizförmig, ohne aber einer gerichtlichen Kontrolle unterstellt zu sein.1138 Mit dem Wegfall der Reichsgerichtsbarkeit fehlte im öffentlichen Recht insbesondere eine Instanz, die in der Evolution der Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Privaten eine ähnlich bestimmende Rolle wie der Conseil d'Etat hätte spielen können.1139 Nur beschränkt kann in den ordentlichen Gerichten der Länder im Rahmen

1136 1137 1,38 1139

280

Die Zusammenhänge zwischen moderner Leistungsverwaltung und Rechtsformen wurden zwar bezeichnenderweise von Otto Mayer in seiner Theorie des französischen Verwaltungsrechts erkannt, sie vermochten aber nicht in den deutschen Wissenschaftsdiskurs oder die deutsche Gerichtspraxis nachhaltig einzudringen: vgl. MAYER 1886. In seinem Standartwerk von 1895 übernahm Otto Mayer zwar die Zweckrichtung als Selbstverpflichtung des Staats auf das von ihm geschaffene Recht, ohne allerdings Konsequenzen für die gerichtliche Überprüfung daraus zu ziehen: MAYER 1895/96,1: 81 ff. Kap. I.D.3: 57 und Kap. II.C.2.a): 121. Oben bei Fn. 1105: 273. OGOREK 1988: 382 f. Auf diesen zentralen Unterschied wies bereits FLEINER 1913: 40.

der Fiskustheorie sowie in der wissenschaftlichen Debatte ein funktionales Äquivalent erkannt werden. Immerhin ist es in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass sich unter der Bedingung der fehlenden Verwaltungsgerichtsbarkeit und infolge der - im Vergleich zu Frankreich - gering ausgeprägten Auseinandersetzung zwischen der Politik und den ordentlichen Gerichten die Rechtsgebiete weniger scharf voneinander abgrenzten, als dies in Frankreich der Fall gewesen war. 1140 Fleiner ging sogar so weit zu postulieren, dass das deutsche Verwaltungsrecht eigentlich alle Rechtsnormen auch die privatrechtlichen - umfasse, welche die Tätigkeit der Verwaltung regelten.1141 Vor diesem Hintergrund wird denn auch verständlich, dass sich in der deutschen Lehre oft zivilrechtliche mit öffentlichrechtlichen Elementen verbanden, um die kooperierende Verwaltung rechtlich zu verfassen. 1142 Bis mindestens ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts blieben die Mitwirkungsrechte der Parlamente in Bezug auf die Verwaltung insgesamt schwach, und es bestand auch nur punktuell und beschränkt im Rahmen des justizstaatlichen Modells eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die die Verwaltung in ihre Schranken hätte verweisen können. Die hierdurch fehlende Legitimation kompensierten Regierung und Verwaltung allenfalls durch Selbstbeschränkung, indem sie sich in das Kleid des Rechts und einer Beamtenethik der Professionalisierung begaben. Insgesamt, so fasst Stolleis prägnant zusammen, war die Verwaltung aber Richter in eigener Sache.1143 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kontrastierte diese mangelnde Legitimation allerdings mit dem zunehmend voreilenden Aktivismus der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung. b)

Verwaltungsgerichtsbarkeit als Kompromiss Vorschläge zu einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung

Mit Rudolf von Gneists (¡816-1895) im Jahr 1857/63 publizierten Werk zum englischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht erfuhr die Idee einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung neuen Auftrieb: Gneist schlug mit Blick auf England vor, die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung (wieder) einzuführen. 1144 1140

So bereits das Fazit von MAYER 1888: 36.

1141

FLEINER 1 9 1 3 : 6 0 f.

1142

Die Kombination von staatlicher Macht und ausnahmsweiser Rechtsgarantie unter Schutz der Zivilrechte klingt - neben anderen - noch an bei GERBER 1880: 187 und selbst noch bei

1143

Z u m G a n z e n STOLLEIS 1992: 2 4 0 f.

1144

GNEIST 1 8 5 7 / 1 8 6 3 ; GNEIST 1 8 7 2 : 1 6 2 ff. H i e r z u STOLLEIS 1 9 9 2 : 2 4 2 .

K O R M A N N 1 9 1 0 : 3 4 f.

281

Hingegen wurde im Wesentlichen eingewendet, eine Kontrolle der Verwaltung durch Zivilrecht respektive Zivilgerichte würde die staatsgestaltende Verwaltung zu stark behindern. Gerber formulierte es in scharfer Abgrenzung zum vormodernen Zustand folgendermassen: „Bei einem Staatszustande, der wesentlich auf privatrechtlichen Verhältnissen ruht, in welchem die Staategewalt fast durchweg durch privatrechtliche Schranken gehemmt ist, ist die Verwaltung und Staatepflege das Untergeordnete, Nebensächliche; der Staat kann sich keine der grossen und umfassenden Aufgaben zur Hebung und Förderung des Volks Lebens stellen, in denen er jetzt seine wichtigste Thätigkeit entwickelt. Justiz ist Alles! Von ihr wurde fast ausschliesslich die Regulirung der staatsbürgerlichen Verhältnisse erwartet."1145 Im Anschluss an Gneist vertrat Otto Bähr (1817-1895) mit aller Vehemenz die Forderung nach einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung. Er konnte sich allerdings eine mehr verwaltungsnahe als ordentliche Gerichtsbarkeit dort vorstellen, wo die traditionelle Justiz nicht passe - soweit damit nicht die gerichtliche Unabhängigkeit der Kontrollinstanz in Frage gestellt würde. 1146 Einführung der kompromissbehafteten

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Massgeblich angestossen durch die Variationen von Gneist und Bähr vermochte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Grossen und Ganzen institutionell festzusetzen. Im Grossherzogtum Baden wurde 1863 der Verwaltungsgerichtshof errichtet1147 und weitere Verwaltungsgerichte

1145

H i e r z u GERBER 1 8 8 0 : 1 8 4 .

1146

„Es giebt aber auch Verhältnisse, fur welche die Formen des gewöhnlichen Processes allerdings wenig angemessen sein würden, und deshalb die Einfuhrung eines anderen, der Form nach einer Beschwerdefuhrung in Verwaltungssachen ähnlichen Verfahrens vielleicht besser am Platze wäre. Wir rechnen dahin namentlich die Fälle, wo es sich um eine gleichmässige Anwendung des Gesetzes auf ganze Klassen von Unterthanen handelt; also z. B. Streitigkeiten über Besteuerung; über Befreiungsgründe von Militairpflicht oder anderen öffentlichen Lasten u. dergl. Alles diese Fragen sind, im Verhältnis zur Hauptfrage, untergeordneter Natur. Für wesentlich halten wir nur das Eine, dass collegialisch besetzte, in die Gerichts-Organisation eingereihte Behörden bestehen, welche auf Anrufen über Streitigkeiten des öffentlichen Rechts ebenso selbständig und unabhängig, lediglich vom Standpunkt der objectiven Rechtsordnung aus, zu entscheiden haben, wie bisher schon die Gerichte über Streitigkeiten des Privatrechts.": BÄHR 1864: 72. Badisches Gesetz vom 5. Oktober 1863 über die Organisation der inneren Verwaltung, ausgebaut durch die betreffenden Gesetz vom 24. Februar 1880 und vom 14. Juni 1884.

1147

282

folgten in Hessen und Preussen 1875, Württemberg 1876, Bayern 1878, Anhalt 1888 und Braunschweig 1895.1148 Im Vordergrund stand bei der Einfuhrung der Verwaltungsgerichte die Angst, die privatrechtlich befassten Zivilgerichte seien nicht zur Anwendung des öffentlichen Rechts befähigt und würden dieses - und insbesondere die Aufgabe der Verwaltung - durch die Anwendung privatrechtlicher Rechtsfiguren in Frage stellen.1149 Darüber hinaus hofften jene, die einen Justizstaat ablehnten, die Verwaltung könne bei einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren mehr Einfluss erlangen.1150 In der deutschen Ausprägung wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit denn auch als 'Kompromiss '"5I in zweifacher Hinsicht offenkundig: -

Eine gerichtliche Instanz sollte zwar die Verwaltung kontrollieren. Diese gerichtliche Instanz durfte aber nicht innerhalb der Organisation der ordentlichen Gerichte verankert werden.1152 Damit wurde die Gewaltenteilung gewahrt und die Verwaltung vor allzu direktem Einfluss bewahrt, was sich exemplarisch im Reichsgerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 zeigt: Während nach § 1 die richterliche Gewalt ganz allgemein durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt werden sollte, verfügte § 13 die Trennung von ordentlichen und verwaltungsrechtlichen Gerichten: „Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist, oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind." Diese betonte Differenz der Verwaltungsgerichte zu den ordentlichen Gerichten spiegelte sich auch in anderen Gerichtsorganisationen und der entsprechenden gerichtlichen Unabhängigkeit. So musste etwa im 1875 eingesetzten preussischen Oberverwaltungsgericht nur die Hälfte der Posten mit Richtern besetzt

Allerdings erst Art. 107 der Weimarer Verfassung verpflichtete alle Länder des Reichs auf die Einsetzung von Verwaltungsgerichten. Zum Ganzen im Detail mit genauen Nachweisen FLEINER 1913: 42 ff. und 233 sowie RÜFNER 1984: 910 f., mit weiteren Hinweisen auf die verwaltungsgerichtliche Ausgestaltung in den einzelnen Ländern. 1149

So auch explizit FLEINER 1913: 233.

1150

OGOREK 1 9 8 8 : 3 8 4 f f . ; STOLLEIS 1 9 9 2 : 2 4 2 .

, M

OGOREK 1 9 8 8 : 4 0 1 f f .

1152

RÜFNER 1 9 8 4 : 9 1 0 f.

283

werden. 1153 Entsprechend stand in Preussen von Beginn an in Frage, ob das Oberverwaltungsgericht eine unabhängige Gerichtsinstanz bilde.1154 -

Als Kompromiss wird sodann die deutsche Ausprägung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Ende des 19. Jahrhunderts auch deshalb bezeichnet, weil das Verwaltungsgericht die Verwaltung auf die formelle Einhaltung der Gesetze kontrollieren sollte, aber auch nicht mehr. Ganz in diesem Sinne wurde das Verwaltungsgericht als apolitische Instanz verstanden. Jede gerichtliche Beurteilung von politischen Konflikten respektive jede Erweiterung der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis auf das Ermessen der Verwaltung war somit unerwünscht, was sich auch im vorherrschenden Enumerationsprinzip ausdrückte.1155 Die Chance einer weitergehenden Kontrolle der Exekutive, die auch die feinen Strukturbildungen der modernen, in Entstehung begriffenen interventionistischen Verwaltung und damit auch die zunehmend kooperierende Verwaltung - vor allem in ihrem entsprechenden Ermessen - hätte erfassen können, war damit verbaut. Rechtsschutz und Recht bedingen sich in diesem Sinne gegenseitig, und wo es keinen Rechtsschutz gab, konnte das administrative Ermessen ungehindert politische Freiräume besetzen.1156 Dieser Bereich der Verwaltung verblieb somit - abseits von demokratischer Legitimation durch Gesetz und gerichtlicher Überprüfung - im Souveränitätsbereich des Monarchen.1157 Beispiel des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes

von 1877

Illustrativ und zu seiner Zeit von zunehmender Bedeutung war das Reichsgerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877. Während der bereits erwähnte § 13 die neuen Verwaltungsgerichte von den ordentlichen Gerichten trennte, ermächtigte § 4 des Einfuhrungsgesetzes zum Reichsgerichtsverfassungsgesetz die Länder, den Gerichten weitere gerichtliche Kompetenzen zu übertragen, nicht aber ,,[a]ndere Gegenstände der Verwaltung". Darüber hinaus hatten nach § 17 Abs. 1 die Gerichte über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden. Dieser einer unabhängigen Justiz förderliche § 17 erklärte Fleiner mit der besonderen Stellung der ordentlichen

1153 1154

1155

1156

Ähnliches galt bereits für den württembergischen Staatsrat nach 1819: siehe Fn. 497: 123. Bezeichnend ist die zurückhaltende Formulierung hierzu von GERBER 1880: 188 f.: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei „[bekanntlich ein jetzt mehrfach, namentlich in den neuen Preussischen Verwaltungsgesetzen ausgeführter Gedanke." Zum Ganzen OGOREK 1988: 402 f. m. w. H. Hierzu m. w. H. BULLINGER 1986: 135.

Vgl. OGOREK 1988: 404 f.; zur weitgehend fehlenden Ermessenkontrolle RÜFNER 1984: 912.

1157

284

BULLINGER 1 9 8 6 : 1 3 6 f.

Gerichte im 19. Jahrhundert. Die Gerichte stellten, so Fleiner, das einzige Gegengewicht des Rechts gegenüber der politisch geleiteten Zielgerichtetheit der Verwaltung dar.1158 Zugleich aber ist die grosse Zurückhaltung gegenüber einer gerichtlichen Überprüfung der Verwaltung offensichtlich. Dies zeigt sich etwa daran, dass diese Ausgestaltung zugunsten der unabhängigen Gerichte durch die Möglichkeit abgeschwächt wurde, eine Konfliktbehörde analog zum französischen Tribunal des conflits einzusetzen, um Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten zu entscheiden (§ 17 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz) - denn mit der Möglichkeit einer (mehr oder weniger) unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit war die Begründung für die Vorherrschaft der ordentlichen Gerichte weggefallen. Dadurch habe, so Fleiners Fazit, die Verwaltung auch das Mittel in die Hand bekommen, den ordentlichen Gerichten gezielt Kompetenzen zu entziehen.1159 Bedeutung für die Lehre des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

Die Umsetzung einer kompromissbehafteten Verwaltungsgerichtsbarkeit stellte eine zentrale Kontextbedingung für die Emergenz des deutschen Verwaltungsrechts im Allgemeinen und für die Emergenz einer Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Besonderen dar. Zwei Punkte sind herauszuheben: -

Die aus der kompromissbehafteten Verwaltungsgerichtsbarkeit erwachsene Beschränkung auf eine apolitische Überprüfung der Verwaltung stimmt mit der zuvor herausgehobenen Beobachtung überein, dass die Verwaltungsrechtswissenschaft zunächst mehr auf die rechtliche Durchdringung der Polizei als der interventionistischen modernen Verwaltung gerichtet war, womit die Verwaltung einen bedeutenden politischen Ermessensspielraum in der Gestaltung der aufkommenden Industriegesellschaft erhielt. In der Tat konnten zum Beispiel Private in Preussen zwar gegen eine polizeiliche Verfügung gerichtlich vorgehen, nicht aber gegen Entscheide, die zur Enteignung im Rahmen eines Eisenbahnbaus führten. 1160 Das Ermessen der Verwaltung wurde der Gesetzesbindung entgegengesetzt und bezeichnete entsprechend einen weitgehend rechtsfreien

1158

FLEINER 1 9 1 3 : 2 6 .

1159

FLEINER 1 9 1 3 : 2 6 f.

1160

LAYER 1902: 368 und 408 f.; hierzu auch BULLINGER 1986: 135.

285

Raum.1161 Die Verwaltung wurde also zunächst nicht wie zu jener Zeit in Frankreich1162 durch den Zweck der Gesetze in ihrem Ermessen begrenzt. Deren Geist hatte die Verwaltung nicht nachzuleben, sondern sie durfte lediglich keinen expliziten Gesetzesverstoss begehen.1163 Entsprechend wurde das freie Ermessen im Zusammenhang mit der kooperierenden Verwaltung kaum je vertieft untersucht, was einerseits aufgrund des Gegenstands des verwaltungsrechtlichen Vertrags erstaunt, der eigentlich auch Vertragsverhandlungen impliziert, sich aber andererseits aus dem erwähnten polizeirechtlichen statt wohlfahrtsstaatlichen Fokus erklärt.1164 Der deutsche Rechtsstaat blieb somit in dem Sinne unvollendet, als das Verwaltungsermessen rechtlich kaum erfasst wurde und die Verwaltungsgerichtsbarkeit derart ausgestaltet werden sollte, dass sie auf die uneingeschränkte Erfüllung der staatlichen Funktion massgeblich Rücksicht nahm. 1165 Noch 1918 wies Richard Thoma (1874-1957) in Bezug auf Konzessionsstreitigkeiten in aller Deutlichkeit auf diese Differenz von verwirklichter Verwaltungsgerichtsbarkeit und idealem Rechtsstaat hin: „Ein Vorzug der privatrechtlichen Substruktion ist, dass sie im Streitfall beiden Teilen einen Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten öffnet, für den das andernfalls zuständige Verwaltungsverfahren nicht immer einen vollwertigen Ersatz bietet."1166 An der - weitgehend fehlenden - Ermessenskontrolle änderte sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg wenig. Nach dem Ende des Reiches im Jahr 1918, als die Legitimationsgrundlage königlicher Souveränität wegfiel und die Verwaltung verstärkter demokratischer und rechtsstaatlicher Legitimation bedurft hätte, wurde

1162 1163

1164

1165 1166

286

So explizit MAYER 1888: 83. Später näherte sich Mayer der französischen Lehre an. Die Verwaltung sei auch dem Sinn der Gesetze verpflichtet - allerdings nur dort, „wo es sich um das vorbehaltene Gebiet des Gesetzes handelt": MAYER 1895/96,1: 85. Vgl. auch HELDDAAB 1996: 261 ff. mit Verweis auf die Verknüpfungen der Ermessenfrage mit der Monarchie. Oben Kap. III.B.3.b): 220. Dagegen opponierte KELSEN 1913: 241: „Auch dann, wenn dem freien Ermessen der Organe der weiteste Spielraum eingeräumt ist, muß die Grenze dieses freien Ermessens ein Rechtssatz bilden." Zum Ganzen ERICHSEN 1971: 162 ff. Etwa Mayer erläutert den Zusammenhang von verwaltungsrechtlichem Vertrag und Ermessen lediglich an einer Stelle en passant: MAYER 1888: 83. Zum Ganzen STIER-SOMLO 1908; vgl. auch jüngst HELD-DAAB 1996. THOMA 1918: 319. Entsprechend wurde die Trennung von Privatrecht als Recht der gleichgerichteten Bürger und dem öffentlichen Recht als auf die Funktionen des Staats ausgerichtetes Spezialrecht mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit weniger relativiert als mehr auf neue Bereiche ausgeweitet, die sich nun als Verwaltungsrecht und entsprechendes Privatrecht gegenüberstanden.

dies zwar von der Rechtswissenschaft registriert und zunehmend entsprechende Kritik formuliert, aber nicht umgesetzt.1167 -

1167 1168 1169

Parallel zur Ausbildung der kompromissbehafteten Gerichtsbarkeit, quasi in einem institutionellen Ausgleich, hielten die ordentlichen Gerichte im Vergleich zu den französischen Gerichten1168 lange an der aus dem Polizeistaat stammenden Fiskustheorie zur Begründung einer gerichtlichen Zuständigkeit gegenüber der Verwaltung fest - was sich auch für die Schweiz wird nachweisen lassen.1169 So stellte zum Beispiel Otto Stölzel in seiner Rechtsprechungsübersicht von 1901 fest, dass in Preussen der vermögensrechtliche Anspruch eines Beamten durch die ordentlichen Gerichte behandelt und dabei der Begriff vermögensrechtlich weit ausgelegt werde.1170 Auch das Reichsgericht in Zivilsachen postulierte zum Beispiel in RGZ 11, 65 (1883), dass die ordentlichen Gerichte ganz allgemein auch dann berufen seien, Vermögensstreitigkeiten zu entscheiden, wenn zur Entscheidung Normen des öffentlichen Rechts anzuwenden seien. Und in RGZ 22, 288 (1888) stelle das Gericht noch einmal in aller Klarheit fest, dass vermögensrechtliche Ansprüche begriffsmässig in das Gebiet des Privatrechts gehören. Entsprechend eröffneten insbesondere Verträge über die Befreiung von Abgaben den ordentlichen Rechtsweg.1171 Eine analoge Vorherrschaft des Zivilrechts lässt sich auch während langer Zeit im für das Konzessionswesen zentralen Bereich des Wegrechts feststellen.1172 Obwohl Otto Mayer mit Blick auf die Lehre 1895 postulierte, dass die Fiskuslehre überwunden sei,1173 ist für die Gerichtspraxis erst nach der Jahrhundertwende eine verstärkte Hinwendung zu einer vermehrten öffentlichrechtlichen Erfassung - etwa betreffend Rechtsnatur der Konzession - zu beobachten.1174

Zum Ganzen BULLINGER 1986: 136 f. Oben Kap. III.B.3: 216. Zur Fiskustheorie siehe Kap. II.C.2.a): 121. Zum Verhältnis von Fiskustheorie und Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Schweiz siehe unten Kap. III.D.2: 333.

1170

OTTO STÖLZEL 1 9 0 1 : 6 6 m . w . H .

1171

OTTO STÖLZEL 1 9 0 1 : 1 1 1 f. m . w . H .

1172

Hierzu unten Kap. III.C.5.d): 311.

1173

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 1 3 6 ; d e s g l e i c h e n BUDDEBERG 1 9 2 5 : 1 3 1 ;

1,74

Siehe etwa RGZ 92, 310, v. a. 311 (1918). Anders noch RGZ 80, 23 (1912), was die Kritik der Lehre nach sich zog: FLEINER 1913: 322. Zur Konzession auch unten Kap. HI.C.5.d): 311.

287

c)

Die Kritik Kelsens Strikte Trennung von Rechtsstaat und Verwaltung als

Rechtssubjekt

Wie eng das durch (monarchische oder demokratisch-gesetzliche) Souveränität legitimierte Verwaltungsermessen mit der Lehre des öffentlichen Vertrags zusammenhängt, erkannte Hans Kelsen (1881-1973).1175 Er kritisierte vehement die Vermengung von Staat als Rechtsmacht und Staat als Rechtssubjekt. Der Staat müsse sich als Rechtssubjekt ganz und gar dem Recht unterwerfen: „Sofern eine juristische Erfassung des Staates nur möglich ist unter der Voraussetzung seiner Unterwerfung unter die Rechtsordnung, ist die Idee des Rechtsstaates die logische Voraussetzung allen Staatsrechtes."1176 Mit dieser selbstbezüglichen und funktionalen Ausrichtung1177 ging es im derart verstandenen Programm des Rechtsstaates im Wesentlichen um die rechtliche Erfassung des Staats durch Unterwerfung des Staats unter das Recht.1178 Der rechtlich geordnete Staat produziert also in autoritativer1179 Weise Recht, dem sich der Staat als Rechtssubjekt vollständig zu unterwerfen hat. Entsprechend findet das Verwaltungsermessen auch immer in irgendeiner Form seine Grenze in einem Rechtssatz.1180 Dass die Verwaltung gemäss herrschender Lehre in öffentlichrechtlichen Verträgen nicht nur Rechtssubjekt, sondern zusätzlich auch Rechtsmacht war und die Rechtsmacht als Verhandlungsvorteil einsetzen konnte, lief dieser von Kelsen vehement verfochtenen rechtsstaatlichen Trennung diametral zuwider. „Solange man nämlich nicht klar und deutlich ausspricht, was bei den meisten Theoretikern nur unklar und mehr unter der Schwelle ihres juristischen Bewusstseins ruht: dass dem Staat bei den sogenannten 'öffentlichen' Verträgen nicht die Rolle eines Kontrahenten, ja überhaupt nicht die Rolle eines der Rechtsordnung unterworfenen Subjektes, einer Person im Rechtssinne, son-

Zur gleichen Zeit vertrat Duguit in Frankreich ähnliche Positionen, vgl. etwa 161 ff. sowie oben bei Fn. 1044: 257.

DUGUIT 1 9 1 3 :

1176

KELSEN 1 9 1 3 : 2 1 2 .

1177

Eine solche wurde bereits im Prozess der Ausdifferenzierung eines französischen Verwaltungsrechts zumindest in deren Ansätzen nachgewiesen: siehe oben Kap. III.B.3.e): 230. Es ist für jene Zeit bezeichnend, dass man Kelsen diese Selbstbezüglichkeit ebenso vorwarf, wie Kelsen selbst sie seinen Gegnern zur Last legte: vgl. KELSEN 1913: 225 und

1178

Diesen m.E. nicht zu vermeidende Zirkelschluss kritisiert BUDDEBERG 1 9 2 5 : 1 3 8 . Autoritativ im Sinne der Souveränitätslehre des 19. Jahrhunderts bezeichnet die zwingende Macht des Überlegenen. Siehe auch Kap. I.E.3: 77.

BUDDEBERG 1 9 2 5 : 1 3 6 f. 1179

1180

288

KELSEN 1 9 1 3 : 2 4 1 .

dem die Stellung einer Rechtsautorität, des Gesetzgebers zukommt - und diese Konsequenz dürfte man, weil sie gegen eine allgemein akzeptierte Voraussetzung verstößt, nicht gerne ziehen - solange muss sich die Theorie in einem plumpen circulus vitiosus bewegen." 1181 Die Vertreter der von Kelsen kritisierten Lehre sahen diese Problemstellung zwar durchaus - nur zogen sie diametral andere Schlüsse daraus: Das Element der Rechtsmacht über den privaten Vertragspartner galt als Abgrenzungselement zum Privatrecht und führte somit zur öffentlichrechtlichen Konstruktion der Kooperation - sei es bei Otto Mayer als zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakt oder bei Laband als öffentlichrechtlichen Vertrag.1182 Was Kelsen an dieser Lösung primär irritierte, war denn auch die Funktion der Trennung in Privatrecht und öffentliches Recht: Mit der Zuweisung zum öffentlichen Recht ging es nicht darum, dem Privaten den infolge Subordinationsverhältnis nötigen Schutz zukommen zu lassen, sondern es ging primär darum, dass der Staat - verstanden als Klammer der Gesellschaft - zu seinem Recht kam.1183 Ablehnung des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

1184

Ähnlich wie Léon Duguit (1859-1928) in Frankreich setzte Kelsen dieser staatlichen Instrumentalisierung des Rechts, die zu einer Stärkung der Verhandlungsposition der Verwaltung innerhalb Kooperationen mit Privaten führte, sein Verständnis des Vertrags einerseits und des Rechtsstaats andererseits entgegen: Der Vertrag, mit gegenseitigen übereinstimmenden Willensäusserungen gleichgeordneter Parteien im Zentrum, sei - so Kelsen - nicht privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur, sondern vielmehr ein Begriff der allgemeinen Rechtslehre, und in diesem Vertrag sei der Staat als Rechtsautorität nicht als Partei konstruierbar.1185 Verträge würden vielmehr von der Verwaltung immer als Rechtssubjekt abgeschlossen. Dass mit diesem (durch übereinstimmende Willensäusserungen sanktionierten) vertraglich begründeten Rechtsverhältnis möglicherweise zugleich Normen zur Geltung gelangten, die vom Staat als Rechtsautorität eingesetzt worden waren,

1181

KELSEN 1 9 1 3 : 2 2 5 .

1182

Während Mayer Privatrecht und öffentliches Recht nach dem Element der Herrschaft schied, fand Laband in der Zweckrichtung auf die Bedürfnisse des Staats das bestimmende Element, womit wiederum der Staat die Rechtsmacht für seine Bedürfiiisse einsetzen konnte: MAYER 1888: 35 ff.; LABAND 1901: 414. Kelsen verurteile beides als eine Vermengung von Staat als Rechtsautorität und Staat als Rechtssubjekt.

1183

V g l . KELSEN 1 9 1 3 : 2 1 8 .

1184

Siehe oben bei Fn. 1044: 257.

1185

KELSEN 1 9 1 3 : 2 3 3 ff.

289

gelte für alle Verträge. Der Vertragsschliessenden Verwaltung aber zugleich Rechtsautorität in diesem Vertragsverhältnis zuzuerkennen, widerspreche dem Gedanken des Rechtsstaats und führe zu einem schweren Rückfall in den PolizeiStaat." 86 „Denn das Moment der Überordnung, die Autoritätsqualifikation, kommt der Rechtsordnung eben wegen ihrer verbindlichen, normierenden Kraft zu. Die Rechtsordnung ist aber die Voraussetzung aller juristischen Konstruktion. Wenn also ein Verhältnis zwischen zwei der Rechtsordnung unterworfenen Subjekten (ein Rechtsverhältnis im Sinne der herrschenden Lehre) juristisch konstruiert, d. h. die Qualität festgestellt werden soll, die irgend einem solchen Verhältnis durch die Rechtsordnung verliehen wurde, dann kann man unmöglich eine Qualität, die der Rechtsordnung selbst, an sich, zukommt, an diesem Verhältnisse konstatieren. Die Qualität der Ueberordnung, die der Rechtsordnung den Rechtssubjekten gegenüber gebührt, ist gar keine juristische: sondern eine ausser- oder überjuristische Qualität, denn es ist keine Qualität, welche die Rechtsordnung verleiht, sondern welche der Rechtsordnung zukommt, damit sie irgendeine rechtliche Qualität ihrerseits verleihen kann." 1187 Kelsens Position wurde zwar von der Verwaltungsrechtswissenschaft gehört, aber sogleich als lebensferne Position einer auf Rechtslogik fokussierten Theorie verworfen." 88 Es ist jedoch des Verdienst von Kelsen, die polizeistaatlichen Altlasten des modernen deutschen Verwaltungsrechts - die Verklammerung von Staat im Rechtssinne mit dessen machtpolitischer Realität (Forsthoff)" 89 - in aller Deutlichkeit identifiziert und dem Staat einen Weg aus diesem unsicheren Terrain gewiesen

1186

KELSEN 1 9 1 3 : 2 4 3 ff.

1187

K E L S E N 1 9 1 3 : 1 9 1 f.

1188

meinte pointiert: „Kelsen ... hat neuerdings, und zwar von seinem Standpunkte aus folgerichtig die Existenz des Verwaltungsaktes als Rechtsinstitut geleugnet. Dass er zu diesem erstaunlichen, dem wirklichen Leben und seinen Bedürfnissen so abholden Ergebnisse gelangt, wirft ein scharfes Licht auf die Bedenklichkeit der Voraussetzungen, von denen er ausgeht." Ähnlich BUDDEBERG 1 9 2 5 : 1 3 6 . Selbst noch STERN 1 9 5 8 : 1 0 7 , der bezüglich verwaltungsrechtlichem Vertrag im Wesentlichen Kelsen folgte, warf ihm zugleich Realitätsferne vor: „Denn insoweit handelt es sich um eine exklusive Sondermeinung, die eine Scheidewand unseres Rechtssystems [i.e. Trennung Privatrecht und öffentliches Recht] einreisst und der Grundstruktur unserer Rechtsordnung widerspricht." Kelsen stellte sich allerdings nicht grundsätzlich gegen eine Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht, sondern primär gegen die öffentlichrechtliche Verknüpfung von Rechtssubjekt und Rechtsautorität. Richtig BULLINGER 1 9 6 8 : 11 f.

1189

FORSTHOFF 1 9 7 1 : 14.

290

APELT 1920: 6

zu haben ( - der allerdings bis heute nur teilweise zurückgelegt wurde). 1 1 9 0 N a c h d e m Zweiten Weltkrieg, als sich der verwaltungsrechtliche Vertrag endgültig etablierte, konnte denn auch - zumindest zum Teil - an K e l s e n s Erkenntnis angeknüpft werden. 1 1 9 1

5.

Debatte in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft: von der rechtlichen Bewältigung des Polizeistaats zur Konstituierung des Interventionsstaates

a)

Debatte u m die rechtliche Erfassung des Staatsdienstes

Im Kontext einer kompromissbehafteten

Verwaltungsgerichtsbarkeit,

die sich jegli-

cher Einmischung in die interventionistische Politik zu enthalten hatte, 1 1 9 2 und einer Rechtswissenschaft,

die sich ebenfalls mehr auf den vergangenen Polizeistaat

denn auf die moderne Verwaltung ausrichtete, 1 1 9 3 vermochten die Gerichte des frühen Interventionsstaates keine stabilen Selektionen zur rechtlichen Erfassung der kooperierenden Verwaltung hervorzubringen, 1 1 9 4 und umgekehrt konnte die Lehre aus der Gerichtspraxis auch keine wesentlichen Impulse zur rechtlichen Erfassung

1

Letzteres wird zuweilen verkannt, wenn Kelsens Position zu sehr auf die Aufhebung der Unterscheidung in öffentliches Recht und Privatrecht reduziert wird: EHLERS 1984: 38 f.; GURLIT 2 0 0 0 : 2 0 .

1191

In dem Sinne bereits anerkennend BUDDEBERG 1925: 135. Dem souveränen Rechtsstaat von Kelsen setzte bekanntlich Carl Schmitt bereits 1922 die Souveränität des Politischen entgegen („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet"): SCHMITT 1922: 11. Im Rückblick BULLINGER 1968: 12 f. und jüngst VESTING 2000: 120 ff. An diese Erkenntnis knüpfte Stern nach dem Zweiten Weltkrieg die Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags an. Er bezog sich in seinen Ausfuhrungen auf Kelsen und vor allem auf Nawiasky, der Kelsen in diesem Punkt gefolgt war. In Aussicht stellte Stern somit ein System, in welchem sich - aufgrund von Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits und der bis zu einem gewissen Grad durchgeführten Trennung von Rechtsautorität und Rechtssubjekt andererseits die Parteien gleichgeordnet im als allgemeine Institution des Rechts verstandenen Vertrag begegnen konnten: STERN 1958: 156 f. Vgl. auch NAWIASKY 1948: 226 f. Zwar vermochte sich diese Meinung etwa in § 54 des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes niederzuschlagen, der Verwaltungsverträge über Leistungen der Behörde, auf welche der private Vertragspartner einen rechtlichen Anspruch hat, stark einschränkt. Insgesamt bleibt jedoch heute die von Kelsen kritisierte Vermengung von Rechtsautorität und Rechtsubjekt präsent:

1192

Oben Kap. III.C.4: 280. Oben Kap. III.C.3: 275. Zur wechselnden Qualifikation spezifischer Abreden anlässlich der Bestellung zum Staatsdienst siehe das Reichsgericht in Zivilsachen RGZ 53, 423 (1903) und 125, 295 (1929) sowie das Preussische Oberlandesgericht OVG 70, 116 (1915). Zum Konzessionswesen Reichsgericht in Zivilsachen 88, 14 (1915), v. a. 16 und 92, 310 (1918), v. a. 311.

siehe hierzu die Grundlagenstudie von ÄKERSTROM ANDERSEN 2004. 1,93 1194

291

der kooperierenden Verwaltung gewinnen. In den dogmatischen Abhandlungen der Lehre ging es folglich mehr um die rechtliche Erfassung der Polizei denn der Leistungsverwaltung, während die Rechtsprechung jeweils kaum Erwähnung fand. Die Aufmerksamkeit richtete sich folglich - gerade in dieser Gründungszeit des modernen wissenschaftlichen Verwaltungsrechts - auf die Verwaltungsrechtstheorie, die über Kontext- und Möglichkeitsbedingungen bestimmter Kooperationsformen der Verwaltung, konkret vor allem der Bestellung zum Staatsdienst (notabene wiederum ein vorherrschendes Thema des Polizeistaates), reflektierte und damit Variationen von Leitprinzipien ausformulierte, die später die Emergenz eines Rechts des Interventionsstaats anleiten würden.1195 Im Wesentlichen standen sich ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zwei Positionen gegenüber: Auf der einen Seite drängte die herrschende Lehre unter Führung von Otto Mayer darauf, die mit Privaten kooperierende Verwaltung mittels Verwaltungsakt zu erfassen. Und auf der anderen Seite schlug insbesondere Paul Laband vor, hierfür eine für öffentlichrechtliche Bedürfnisse umgebildete Form des Vertrags zu verwenden. 1196 Auch wenn sich die beiden Lehrmeinungen auf gemeinsame theoretische Ausgangspunkte in der deutschen Tradition der Staatstheorie stützten, vermittelten sie doch - in die Zukunft gerichtet - jeweils ganz eigene Bilder des kooperierenden Staats, die in wesentlichem Ausmass bis heute nachwirken. Diese beiden Positionen sind in der Folge zu erläutern unter Rückgriff auf die erläuterten Kontextbedingungen in der Tangentiale von Recht und Politik: des Bahn brechenden interventionistischen Wohlfahrtsstaates, der zunehmenden Ausdifferenzierung der juristischen Methode und der kompromissbehafteten Verwaltungsgerichtsbarkeit.

"95

Dies gilt bereits iur das grundlegende Werk von MAYER 1888; desgleichen zum Beispiel MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 134 ff.; LABAND 1895: 3 9 9 ff. In der Sprache der Evolutionstheorie sind

1196

292

damit wiederum die sogenannten Morphogenen angesprochen, die die einzelnen Elemente eines Systems innerhalb des Prozesses einer Morphogenese einer bestimmten Funktion zuweisen und derart miteinander verknüpfen, dass sowohl die Autopoiese des Gesamtsystems gewährleistet bleibt und sich zugleich das neu ausgebildete Systembereich optimal durch jene Kontextinformationen irritieren und stimulieren lässt, auf die es ausgerichtet ist. Siehe hierzu auch PAKEERUT 2000: 27 ff.

b)

Der Vertrag der keiner ist: Kooperation als Verwaltungsakt Otto Mayers Beitrag zur Debatte um Kooperationen zwischen Staat und Privaten

Otto Mayer (1846-1924) prägte wie kein anderer die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland um die Kooperation zwischen Staat und Privaten.1197 Nicht nur publizierte er 1888 die umfangreiche rechtsvergleichende, rechtshistorische und rechtstheoretische Studie zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage.1198 Mit seinen weiteren Schriften insbesondere zur Theorie des französischen Verwaltungsrechts (1886) und zum Deutschen Verwaltungsrecht (1895) steckte er zugleich den Rahmen der - eingeschränkten1199 - Möglichkeitsbedingungen für eine ReEmergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags ab. In mancher Hinsicht stand Otto Mayer zwischen Polizeistaat und Rechtsstaat, zwischen Fiskustheorie und Verwaltungsrecht. Otto Mayers ablehnende Haltung gegenüber dem Polizeistaat und der damit verbundenen Fiskustheorie, mit welcher kooperative Beziehungen zwischen Staat und Privaten in bestimmter Weise durch Zivilgerichtsbarkeit stabilisiert wurde, wurde bereits ausführlich erläutert.1200 Im Folgenden geht nun darum zu erläutern, auf welche Weise und unter Anleitung welcher Prinzipien Otto Mayer diese Kooperationen zwischen Staat und Privaten konstruktiv mit Recht zu erfassen suchte. Otto Mayers Beobachtungsperspektive war dabei jene des Praktikers, der unter Anlehnung an französisches Verwaltungsrecht und mittels Begrenzung auf „wissenschaftliche Darstellung" dennoch primär die Bedürfnisse der hegelianisch verstandenen Staatsverwaltung rechtlich sicherzustellen versuchte.1201

Jüngst zum Vertragsbegriff bei Otto Mayer: D E W I T Z 2 0 0 4 . Dewitz kommt im Wesentlichen zum Schluss, dass Otto Mayer mit dem Argument, der Vertrag sei nur bei zwei gleichberechtigten Willenserklärungen anzuwenden und folglich für das Verwaltungsrecht 'undenkbar', „auch heute noch 'irgendwie' Recht habe ..." Otto Mayers Reduktion der Willensäusserung des Privaten auf 'Unterwerfung' und vor allem die weitgehende Beschränkung der vertragsrechtlichen Gleichheit auf eine 'ökonomische Gleichheit' werden kaum thematisiert: Vgl. D E W I T Z 2 0 0 4 : 1 1 3 ff. 1198

MAYER

""

ObenFn. 630: 151. Kap. II.C.2.b)ii): 139.

1200 1201

1888.

S T O L L E I S 1 9 8 4 : 9 8 f.

293

Vom Polizeistaat zum Rechtsstaat In seinem Hauptwerk von 1895 zum deutschen Verwaltungsrecht stellte Otto Mayer zwar die Aufhebung des absolutistischen Polizeistaates im Rechtsstaat in den Vordergrund. Allerdings ging dabei der Polizeistaat mit seiner umfassenden Befehlsgewalt zur Verwirklichung des Gemeinwohls unter staatlicher Leitung nicht einfach verloren, sondern diese Befehlsgewalt wurde (in Analogie zum französischen Recht) unter Aufrechterhaltung der staatlichen Aufgabe, die Gesellschaft zu einigen, im rechtsstaatlichen Konzept des 'acte administratif, respektive des Verwaltungsaktes aufgefangen. 1202 Entsprechend stand der Staat nicht mehr mit einer Summe von subjektiven Herrschaftsrechten den subjektiven Rechten der Privaten gegenüber, sondern es hatte sich, so Otto Mayer, ein „allgemeines hoheitliches Verhältniss, ein organisches, ein Subjectionsverhältniss" zwischen Staat und Privaten konstituiert.1203 Im Verwaltungsakt kam dergestalt nach wie vor die Allmacht des Staats zum Ausdruck. Diese Allmacht sollte sich allerdings - so Otto Mayer - „wo möglich" auf die Rechtsform der Gesetze abstützen; die Bedeutung des Rechtsstaates für die Verwaltung wurde somit relativiert zugunsten der dominierenden Aufgabe, die Gesellschaft durch den Staat zu einigen. Eine Begrenzung der Allmacht des Staats wurde allenfalls in der inneren Zuständigkeitsverteilung der Politik gesucht. Primär sollte damit ein Ausgleich zwischen monarchischer Regierung und Verwaltung auf der einen Seite und dem durch Volksvertretung geäusserten und in die Form des Gesetzes gebrachten Volkswillen auf der anderen Seite erreicht werden.1204 Stellung des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

Bereits hier wird ersichtlich, dass in diesem Verständnis von Rechtsstaat, der sich der Form des Rechts lediglich annäherte und eng an den Polizeistaat anschloss, kaum Platz für Kooperationen des Staats mit Privaten in der Form des Vertrags blieb. So stellte denn Otto Mayer in seinen ausfuhrlichen Erläuterungen zum verwaltungsrechtlichen Vertrag, die sich notabene vor allem auf die Stellung des Beamten und nicht auf die in Entstehung begriffene Leistungsverwaltung bezogen, in der Einleitung Folgendes fest: „In dem Verhältnisse der Verwaltung zu den Unterthanen gibt es nur eine einzige eigenthümlich öffentlichrechtliche Form staatlicher Einwirkungen; das ist

1203 1204

294

Vgl. die engen Bezüge zum hegelianischen Staatsverständnis: Kap. II.C.2.b): 128. MAYER 1888: 30, mit explizitem Verweis auf Hegel und Stahl. MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 5 3 ff., vor a l l e m 5 6 ; MAYER 1888: 30.

der Befehl. Also kann es sich nur darum handeln, 'Conglomérate' zu machen aus den Begriffen, Formen und Rechtsinstituten, welche die anderen wahren rechtswissenschaftlichen Disciplinen fertig liefern, Conglomérate aus viel Civilrecht, etwas Strafrecht und Process, und dazwischen das staatlichrechtliche Rechtsinstitut des Befehls. An solchem Massstabe gemessen, musste allerdings die französischrechtliche Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrag als 'bedenklichste von allen' erscheinen, nicht bloss deshalb, weil sich hier etwas Vertrag nennt, was keiner sein soll, sondern auch und mehr noch deshalb, weil ein eigenthümliches öffentlichrechtliches Rechtsinstitut damit behauptet wird, welches von einem Befehle so wenig hat als möglich." 1205 Eine dem französischen Verwaltungsrecht entsprechende weitgehende analoge Übernahme von Zivilrecht, das einerseits gerade in der Frage der Kooperation zwischen Staat und Privaten allzu sehr mit der Vergangenheit des Stände- und Patrimonialstaates verbunden war und andererseits dem sich emanzipierenden Verwaltungsrecht als Kontrastfolie dienen musste, lehnte Mayer also ab. Vielmehr bezeichnete der Begriff des Vertrags nach Otto Mayer ein Rechtsinstitut, das sich aus dem übereinstimmenden Willen zweier Parteien nähre - und folglich dem Verwaltungsrecht, das sich auf den hierarchisch gegliederten Staat und damit auf die Befehlsform auszurichten hatte - diametral entgegenstehe.1206 Bei verwaltungsrechtlich zu erfassenden Kooperationen zwischen Verwaltung und Privaten aber würden sich, so Mayer, die Rechtsfolgen kraft der einseitig bindenden Kraft des Staatswillens ergeben. Ein Mitwirkungsrecht des Privaten, wie es Laband dem Privaten einräumte,1207 lehnte Otto Mayer für das öffentliche Recht mangels Gleichgeordnetheit ab, womit die Willenserklärung des Privaten auf das Element der Unterwerfung reduziert wurde. 1208 Konstruktive Anleihen im römischen

Recht

Otto Mayer wollte die mit Privaten kooperierende Verwaltung also weder durch die Übernahme aktueller zivilrechtlicher Formen noch durch Rechtsformen des vorangehenden Patrimonial- und Ständestaates erfassen. Ein Vorbild fand Otto Mayer, 1205

1206

MAYER 1 8 8 8 : 4 f.

„[Beim echten Vertrag ist] die Willeinseinigung der Betheiligten, der 'gemeinsame Wille', ... die Trägerin des Erfolges ... kraft eines Rechtssatzes, der diese Wirkung mit ihr verknüpft. Nicht der Eine soll die Rechtswirkung erzeugen und der Andere sich das gefallen lassen, sondern beide zusammen müssen sie geschaffen haben; dann ist es ein Vertrag." : MAYER 1 8 8 8 : 4 0 . LABAND 1 8 8 7 : 159. MAYER 1 8 8 8 : 4 1 f.

295

unter Anlehnung an Theodor Mommsen (1817-1903), 1209 vielmehr im konstruktiv interpretierten römischen Recht. Denn: „Der Staat der römischen Republik ist dem unsrigen von heutzutage verwandter als der Feudal- oder Patrimonialstaat. Nur entwickeln sich dort aus dem gleichen Begriff alle Folgerungen ungemildert und ungebrochen in klassischer Reinheit."1210 Im Wesentlichen entstehe der römisch-rechtliche censorische Vertrag zwar mit der Zustimmung des Privaten, die eine conditio sine qua non darstellte. Für die Amtsgewalt des Censors sei sie allerdings lediglich eine Voraussetzung; das Rechtsgeschäft erlange allein durch den censorischen Akt Wirkung. Dieser censorische Akt sei mit dem Gesetz vergleichbar und sei entsprechend als lex contractus benannt worden. Begrenzt worden sei die Gewalt des Censors einerseits durch die Amtspflicht und andererseits dadurch, dass die vergangenen Akte sich zu Formularen ausbildet hätten, von denen nicht leichthin habe abgewichen werden können. Entgegen der Anlehnung des Begriffes an die zivilrechtliche Entsprechung sei das Zivilrecht nicht auf den censorischen Vertrag zur Anwendung gekommen. Vielmehr habe derselbe Beamte über Ansprüche aus dem censorischen Vertrag zu entscheiden gehabt - als Richter und Vertreter des Gemeinwesens.1211 An diesem Punkt gewann Otto Mayer just jenes Fazit, auf welches auch seine Analyse des geltenden Rechts hindrängte, und das er nicht müde wurde zu wiederholen: Der censorische respektive verwaltungsrechtliche Vertrag sei nur seinem bezeichnenden Terminus nach mit dem zivilrechtlichen Vertrag verbunden, darüber hinaus jedoch „kein wahrer Vertrag". 1212 Zum selben Schluss kam Otto Mayer auch nach der vertieften Analyse des französischen contrat administratif.l2n Prägend für Frankreich sei, dass in Folge der Kämpfe des Königtums mit den frühen Gerichten, den Parlamenten, man diesen verboten habe, sich in die Verwaltungstätigkeit einzumischen. 1214 Die kooperierende Verwaltung werde entsprechend öffentlichrechtlich behandelt, und die Mitwirkung des Privaten sei keinesfalls gleichwertig zur mit Rechtsautorität ausgestatteten Verwaltung. Zudem stehe als gerichtliche Instanz regelmässig nur der verwal-

1209

MOMMSEN 1871-88,1: 318 ff.

12.0

MAYER 1888: 6.

12.1

MAYER 1888: 6 ff.

12.2

MAYER 1888: 6 ff.

12.3

MAYER 1888: 26. Vertieft zum französischen contrat administratif oben Kap. III.B.4: 236.

12.4

MAYER 1 8 8 8 : 16 f.

296

tungsnahe Staatsrat zur Verfügung. 1215 Somit könne der contrat administratif nicht mit dem zivilrechtlichen Vertrag gleichgesetzt werden.1216 Einseitig bindende Kraft des Staatswillens Otto Mayer anerkannte durchaus, dass zahlreiche Lebensvorgänge, in welchen der Staat in ein kooperatives Verhältnis mit Privaten tritt, auch mit Zivilrecht erfasst werden könnten. Wenn man sich jedoch für die Erfassung im öffentlichen Recht entscheide, müsse die bindende Kraft des Staatswillens als positiv wirksames Element verstanden werden. Aus der verfassungsmässigen Gewaltenteilung ergebe sich allein, dass die Regierung eines entsprechenden Gesetzes bedürfe, um Zwang auszuüben und den Amtszwang durchzusetzen. Fehle diese gesetzliche Ermächtigung, so könne der staatliche Zweck nicht in befehlsförmiger Weise ausgeführt werden. Vielmehr müsse die Verwaltung nun den Zweck ohne Zwang erreichen, „... und in diese Lage setzt sie die freiwillige Unterwerfung des Betroffenen." 1217 Die Einwilligung bewirke allerdings nur, dass das Hindernis des verfassungsmässigen Vorbehalts des Gesetzes beseitigt werde: „... so wird dadurch die Macht und Zuständigkeit der Regierung frei. Weiter nichts." 1218 Entsprechend wehrte sich Otto Mayer gegen die insbesondere von Laband vertretene Meinung, dass es sich - infolge der notwendigen Einwilligung - bei diesem Begründungsakt um einen Vertrag handle.1219 Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts seien den Privaten vielmehr keine mit diesem Vertragsbegriff verknüpften Mitwirkungsrechte zuzugestehen; echte Verträge seien hier nicht möglich.1220 „Der Umstand, dass in dem zu ordnenden Verhältnis die öffentliche Gewalt beteiligt ist mit ihrem rechtlich überwiegenden, das andere Subjekt einseitig bestimmenden Willen, wird massgebend für die Gestalt des Rechtsinstitutes in allen Einzelheiten und scheidet es scharf von den auf dem Boden der Gleichheit der Rechtssubjekte gebauten Rechtsinstituten des Civilrechts."1221 Wo allerdings die einseitig bindende Kraft des Staatswillens beseitigt werde, eröffne sich Raum für den wahren Vertrag, der notwendigerweise auf zivilrechtliche Basis zu stellen sei.1222 Woran hierbei Otto Mayer dachte, wird klar, wenn der alt-

1215

M A Y E R 1888: 2 1 f.

12.6

M A Y E R 1888: 2 4 ff.

12.7

M A Y E R 1 8 8 8 : 3 7 f.

1218

M A Y E R 1888: 39.

1219

M A Y E R 1888:40.

1220

M A Y E R 1888:48.

1221

M A Y E R 1895/96,1: 136 f.

1222

M A Y E R 1888: 48.

297

rechtliche, für den Ständestaat typische Vertrag zwischen Staat und reichsunmittelbaren Herren rechtlich zu erfassen ist: Trotz der klaren Trennung zwischen privatrechtlichem Vertrag und öffentlichrechtlichem Befehl, die nach Mayer kaum Zwischenformen erlaubte, anerkannte er den Vertragscharakter und die Zuordnung derartiger Verträge zum öffentlichen Recht, brachte sie aber folgendermassen in sein Konzept zurück: „Dass sie aber Verträge sind, verdanken sie eben nur dem Hereinragen eines Koordinationsverhältnisses: die rechtliche Stellung dieser Herren war vermöge der Garantie der deutschen Bundesakte und der Wiener Kongressakte eine völkerrechtliche geworden... Nur auf dem Boden des Völkerrechts und des Civilrechts bestehen Gleichberechtigung und Vertragsform." 1223 Umsetzung in der Dogmatik des

Verwaltungsrechts

Sollte die kooperierende Verwaltung auf dieser Grundlage des hierarchisch gedachten und für die Integration der Gesellschaft zuständigen Nationalstaats rechtlich erfasst werden, so spiegelte sich dies entsprechend auch in der Dogmatik, in welcher die Befehlsförmigkeit des Verwaltungsakts dominierte: Fehlte zum Beispiel die Einwilligung des Privaten beim Ernennungsakt oder wies der Private den Ernennungsakt zurück, war das Rechtsgeschäft gemäss Otto Mayer nicht etwa nicht zustande gekommen, sondern der Verwaltungsakt war mangelhaft. Es kam nun darauf an, welche Zuständigkeiten bestanden, um den Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt aufzuheben. 1224 In diesem Rahmen allerdings konnte die einseitige Befehlsgewalt der Verwaltung nicht weiter gehen als die Einwilligung des Privaten.1225 Trotz der ausgesprochenen Befehlsförmigkeit dieser Konzeption: Ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen zum Inhalt des Verwaltungsaktes sollten in die Interpretation des Verwaltungsaktes einbezogen werden. Entgegen einer radikalen Befehlstheorie wollte Otto Mayer diese Vereinbarungen nicht vollständig aussen vor, also im Zivilrecht oder im ausserrechtlichen Raum, belassen. Entsprechend kommt in diesem Konzept viel auf die Auslegung des Begrün-

1223

MAYER 1888: 42, Fn. 59 mit Verweis auf Stengel und Rönne.

1224

M A Y E R 1 8 8 8 : 4 7 u n d 6 2 f.

1225

MAYER 1888: 6 4 ff.

298

dungsaktes an, womit dem kooperativen Element - über die Hintertür - gleichwohl Rechnung getragen werden konnte.1226 Theorie und Dogmatik standen bei Otto Mayer zweifellos in einem engen Verhältnis, denn in den einzelnen Regeln, mit welchen die mit Privaten kooperierende Verwaltung rechtlich erfasst werden sollte, „... offenbart sich ... von Anfang bis zu Ende nichts als die eine einseitig bindende Kraft des Staatswillens, wirkend unter verschiedenartigen Voraussetzungen und Bedingungen .. ," 1227 , und diese Voraussetzungen und Bedingungen ergaben sich einerseits aus den Limitationen der Gesetze und andererseits aus dem Umfang der Einwilligung des Privaten. In diesem Sinn ist das ganze Rechtsverhältnis zwischen Staat und Privaten für Otto Mayer ... „... [ein] Process, eingeleitet durch eine von der Zustimmung des Betroffenen bedingte Verfugung, fortgesetzt durch gleichartige Verfugungen, theils frei innerhalb der durch die erste begründeten Verfügungsgewalt sich bewegend, theils durch das von dieser Geschaffene beschränkt oder gebunden .. ." ,228 Fazit: Ausrichtung des Verwaltungsrechts auf die Außiebung des Polizeistaats Bemerkenswert an Otto Mayers Darstellung des verwaltungsrechtlichen Vertrags ist somit, dass er mit Hilfe einer spezifisch gewendeten Verschmelzung von Recht und Politik die zur Realität geronnene grandiose Fiktion bewahrte, die zur Überwindung der gesellschaftlichen Fragmentierung, der Bürgerkriege und der Herrschaftszersplitterung massgeblich beigetragen hatte: jene des souveränen allmächtigen Staats, der zwecks Einigung und Förderung der Gesellschaft über das Gewaltmonopol verfügt.'229 Und da diese äussere Hülle von staatstragenden Prinzipien nicht angetastet wurde, reduzierte sich die Bedeutung der kooperierenden Verwaltung entsprechend auf eine interne Frage der Organisation der Rechtsmacht des Staats; wenn die Einwilligung des Privaten zu einem belastenden Verwaltungsakt die fehlende gesetzliche Grundlage ersetzen konnte, so resultierte lediglich eine staatsinterne Zuständigkeitsverschiebung:1230

MAYER 1888: 71 f. Des Weiteren ist die Gegenleistung des Staats zwar mit dem Entstehungsakt eines kooperativen Verhältnisses verbunden, ergeht aber mit separater Verfugung. Fehlt diese Verfugung, besteht kein Anspruch: MAYER 1888: 70. Auch geht nach Otto Mayer das neuere Gesetz, anders als im Zivilrecht, dem öffentlichrechtlichen Vertrag derart vor, dass das Gesetz auch Rückwirkung entfaltet: MAYER 1888: 79 f. 1227

MAYER 1888: 79.

1228

M A Y E R 1 8 8 8 : 7 8 f.

1229

V g l . v o r a l l e m MAYER 1 8 8 8 : 4 8 .

1230

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 9 8 .

299

„Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes ... kann der Staat als solcher keine eigentlichen Rechte gegen die Unterthanen erwerben; er vermag ihnen gegenüber schon von vornherein alles, was er will, wegen des grossen Gewaltverhältnisses der Unterthanenschaft. Was man hier Rechte des Staates nennt, besteht in der Begründung des besonderen Gewaltverhältnisses, und dieses bedeutet nichts anderes als eine Verschiebung der verfassungsmässigen Zuständigkeitsschranken zu Gunsten der beweglicheren, leichteren Erscheinungsform des Staatswillens, zu Gunsten der Regierung."1231 Von zentraler Bedeutung in Otto Mayers rechtlicher Erfassung der kooperierenden Verwaltung ist somit der Umstand, dass diese Kooperation im Recht nicht wirklich stattfindet. Mayer reduzierte das Verwaltungsrecht im Wesentlichen auf die Herrschaftsbeziehimg von Staat und Untertanen - wobei sich die Verwaltung der Rechtsform lediglich „wo möglich" bedienen „sollte".1232 Trotz aller wissenschaftlich angeleiteten Abschottung gegenüber der Politik konstituierte Otto Mayer damit das Verwaltungsrecht unter enger Anlehnung an die politische Rationalität des Polizeistaates, den er gerade mit Recht aufzuheben suchte sozusagen im hegelschen dreifachen Sinne aufzuheben suchte: Der Polizeistaat wurde auf eine höhere Stufe gehoben, im Kern jedoch bewahrt und zugleich in der alten Form beseitigt. Neue Legitimationsformen der Macht durch Partizipation oder durch Einbezug von Intermediären erwiesen sich mit diesem Staatsverständnis zum Voraus als weitgehend überflüssig oder inkompatibel. Mit der Instrumentalisierung bereits damals überkommener politischer Konzepte für das Recht konnten aber die neuen Eigentümlichkeiten der modernen wohlfahrtsstaatlichen Leistungsverwaltung rechtlich nicht erfasst werden; denn die wohlfahrtsstaatliche Verwaltung kooperierte mit Privaten nicht allein zur Überwindung fehlender gesetzlicher Ermächtigung, sondern - wie für das französische Recht gezeigt wurde - weil die angestrebten Leistungen schlicht nicht allein mit staatlichen Mitteln erreicht werden konnten.1233

1888: 81; in diesem Sinne später auch G R O S C H 1911.271. 1888: 30. Vgl. oben bei Fn. 1204: 294. Zur Ausrichtung des entstehenden Verwaltungsrechts mehr auf den Polizeistaat denn auf den modernen Interventionsstaat vgl. auch STOLLEIS 1 9 8 4 : 1 0 0 ; zur entsprechenden Einordnung von Otto Mayer vgl. auch B A U E R 2 0 0 8 : 1 1 5 6 f.; SCHLETTE 2 0 0 0 : 3 0 ; D E W I T Z 2 0 0 4 : 3 0 ff.

1231

MAYER

1232

MAYER

1233

300

c)

Der Vertrag als Hingabe in ein Gewaltverhältnis

Als zentraler Vertreter jener Lehrmeinung, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Vertrag als öffentlichrechtliches Institut ins deutsche Recht einzuführen suchte und damit als Gegenspieler von Otto Mayer auftrat, wird allgemein Paul Laband angeführt. 1234 Vor Laband hatten allerdings bereits Schmitthenner, Seydel, Gerber und Loening die Positionen einer - primär staatsrechtlich gefärbten - Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags massgeblich geprägt. Friedrich Jakob Schmitthenner

(1796-1850)

Schmitthenner nahm in seinen 'Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes' von 1845 zur Bestimmung der Rechtsnatur des Staatsdienstes das Dienstverhältnis des alten ständischen Staats zum Ausgangspunkt,U35 Dieses sei nur insofern vom modernen Staatsdienst zu unterscheiden, als im ständischen Staat das Amt gesellschaftliche Funktion gehabt hätte und dabei der Privatvorteil an dieser gesellschaftlichen Funktion für den Lehensherr und den Lehensträger in den Vordergrund getreten sei.1236 Staatsbeamte im modernen Staat würden dagegen allein in öffentlicher Funktion amten, d. h. der Beamte richte „sein Streben auf die Erhaltung und Bethätigung des Ganzen (der Universitas)". Aus diesem Vergleich von ständischem und modernem Staat schloss Schmitthenner sodann auf die Rechtsform des modernen Staatsdienstes: „Das organische Verhältnis des Staatsdienstes wird ... durch Vertrag eingegangen. Der Staatsdienst ist nicht, wie etwa der gemeine Militärdienst, eine Pflicht, welche der Regent durch Befehl und Gesetz auferlegen kann. Wenn Manche, wie z. B. Hegel sich hiergegen erklären, so beruht dies einfach auf dem Irrthum, dass sie den Vertrag im Allgemeinen mit einer blossen Art desselben, dem Vertrag des abstrakten Vermögensrechts, namentlich dem obligatorischen, gleichsetzen. Es ist freilich kein Obligationsverhältnis, sondern ein besonderes öffentliches, folglich ein organisches Subjektionsverhältnis, welches durch den Staatsdienstvertrag gegründet wird, wie schon daraus hervorgeht, dass der Staat nicht ein blosses Klagerecht, sondern das Recht zu Befehl und Zwang erhält. Wie der Investitur bei dem Lehen der Lehensvertrag, so geht der Bestallung dieser Dienstvertrag als causa praecedens voran, oder ist,

1234 1235 1236

Siehe zum Beispiel APELT 1920: 104; jüngst EBERHARD 2005: 41 ff. Zum Kontext und den Verbindungen mit von Mohl siehe Kap. II.C.2.b)ii): 139. SCHMITTHENNER 1 8 4 5 : 5 0 8 f f . , v . a . 5 0 8 - 5 1 0 b e i F n . 5.

301

wenn ein anderes Geschäft nicht vorhergegangen ist, in derselben enthalten." 1237 Mit dieser eigentümlichen Mischung von liberaler Gesinnung, die sich durch eine eng verstandene Gesetzesbindung des Staats ausdrückte, einer Rechtsmethode auf der Basis der historischen Rechtsschule und einem auf das Naturrecht zurückreichenden und entsprechend breiten Verständnis des Vertrags öffnete Schmitthenner den Vertrag für das öffentliche Recht. Wie bereits erläutert, folgte allerdings die Lehre zu Schmitthenners Zeit der Vertragskonstruktion nicht.1238 Auch im Rückblick kann Schmitthenners Theorie des Staatsdienstes nur bedingt als wegweisend für den modernen verwaltungsrechtlichen Vertrag gelten, denn Schmitthenner stand noch fest auf dem Boden der Fiskustheorie, womit er den entscheidenden Schritt zu einer ausschliesslich öffentlichrechtlichen Rekonstruktion des Vertrags noch nicht machen konnte: Soweit Rechte aus dem Subjektionsverhältnis zwischen Staat und Beamten entstanden und sie folglich unter dem Schutz der richterlichen Gewalt standen, waren sie nach Schmitthenner als Privatrechte zu qualifizieren. Es entstand also neben dem Subjektionsverhältnis ein privatrechtliches Verhältnis samt subjektiven Rechten, die durch die ordentlichen Gerichte abgesichert werden konnten. 1239 Max von Seydel

(1846-1901)

Ein Vierteljahrhundert nach Schmitthenner war Seydel im Gegensatz zu einer naturrechtlichen oder idealistischen ganz einer ,realistischen' Sicht des Staats verpflichtet, die vom Willen des Monarchen geprägt war. Macht verlieh nach Seydel (gerade spiegelbildlich zur üblichen Meinung) dem Recht Legitimität, und Macht wurde ihrerseits primär durch Moral eingeschränkt, nicht aber von einem Recht, das vor dem gesetzten Recht stünde.1240 Diesem Staatsverständnis und der moralischen Beschränkung der Macht entsprechend gab es für Seydel keinen Grund, die Möglichkeiten des Staats auf einseitige Rechtsakte zu beschränken. Vielmehr bestehe, so Seydel, zwar die Möglichkeit, aber keine Notwendigkeit, dass der Herrscher immer und überall mit positivem Befehl auftrete:

1237

SCHMITTHENNER 1 8 4 5 : 5 1 1 .

1238

Explizit gegen Schmitthenner unter vielen BLUNTSCHLI 1852: 421 f. Anm. 5; vgl. auch oben bei Fn. 581: 141. SCHMITTHENNER 1 8 4 5 : 5 0 9 , Fn. 5. Dieser Zweitteilung in einen öffentlichrechtlichen und einen privatrechtlichen Vertrag folgte auch noch R E H M 1 8 8 4 / 1 8 8 5 : 1 0 2 ff., 1 1 9 . SEYDEL 1873. Zu Seydel siehe STOLLEIS 1992: 435.

1239

1240

302

„Wo der Herrscher annehmen kann, dass er auf dem Wege freiwilligen Übereinkommens sich genügende Leistungen für das allgemeine Interesse sichern werde, wird er keine gesetzliche Verbindlichkeit aufstellen, sondern dem Vertrage Spielraum lassen."1241 Damit zeigt sich bei Seydel eine spezifische Verbindung von zwei Elementen, die für seine rechtliche Erfassung von Kooperationen zwischen Staat und Privaten von zentraler Bedeutung sind: -

Zum Ersten dominiert offensichtlich ein staatszentrierter Positivismus, wobei allerdings Seydel einen Schluss aus der Verbindung der Souveränitätslehre mit dem staatszentrierten Positivismus zog, der Otto Mayers Theorie entgegen stand: Der Verwaltung verbleibe über die Gesetzesbindung hinaus ein durch Souveränität legitimierter Spielraum, denn solange der Herrscher durch Gesetz keine Pflicht begründe, könne kein einseitiges Rechtsgeschäft zum Staatsdienst fuhren, sondern nur ein zweiseitiges, der Vertrag. Und sofern durch Gesetz der Inhalt des Vertrags vorgegeben werde, seien zwar die Möglichkeiten der Willensübereinkunft beschränkt, was aber nichts am Vertragscharakter ändere.1242

-

Zum Zweiten lässt sich aus dem oben angeführten Zitat Seydels eine funktionale Ausrichtung erkennen - allerdings noch gemäss Souveränitätslehre mit dem Herrscherwillen im Zentrum. Seydel war, wie bereits erwähnt,1243 in seinem Werk von 1873 massgeblich von Jherings kurz zuvor erschienenem 'Kampf ums Recht' beeinflusst.1244 Ähnlich wie es später in aller Deutlichkeit im französischen Verwaltungsrecht zu erkennen sein würde,1245 führte diese funktionale Ausrichtung des Rechts bei Seydel zur Ablehnung der Fiskustheorie. In diesem Sinne ist es bezeichnend, dass Seydel gerade durch den Verbund von staatszentriertem Positivismus und funktionalistischem Rechtsverständnis den Verwaltungsvertrag als rein öffentlichrechtliche Konstruktion hervorbrachte. Seydel lehnte es denn auch ab, einen Teil des Rechtsverhältnisses als privat-

1241

SEYDEL 1 8 7 3 : 5 1 ; e b e n s o SEYDEL 1 8 9 6 , II: 5 2 6 .

1242

SEYDEL 1873: 59 f. Seydel wandte sich explizit vor allem gegen Gerber: SEYDEL 1873: 61; vgl. mit GERBER 1852:40. Oben Fn. 1126: 278.

1243 1244

WIEACKER 1 9 6 7 : 4 5 0 f.; STOLLEIS 1 9 9 2 : 4 3 5 .

1245

Siehe oben Kap. III.B.3: 216.

303

rechtlich konstruierten und damit der Stabilisierung durch ordentliche Gerichte zu unterstellen.1246 Auf diese Weise war der Schritt zu einer rein öffentlichrechtlichen Vertragskonstruktion - unter enger Anleitung durch die Bedürfnisse der Politik - getan. Dabei wurde der Begriff des Vertrags, wie etwas später im französischen Recht, im Wesentlichen auf den Eintritt durch freie Willensübereinstimmung in ein weitgehend durch Gesetz vorgeformtes Verhältnis reduziert. Den Begriff „frei" beleuchtete Seydel allerdings nicht näher.1247 Edgar Loening

(1843-1919)

Dieser rein öffentlichrechtlichen Konstruktion des Vertrags folgte auch Loening in seinem 1884 publizierten 'Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts'. Der Eintritt in den Staatsdienst erfolge, so Loening, mit übereinstimmender Willenserklärung und somit durch Vertrag.1248 „Dieser Vertrag ist aber kein obligatorischer privatrechtlicher Vertrag, sondern ein öffentlichrechtlicher, dessen Inhalt dahin geht, dass der eine Kontrahent in das durch das öffentliche Recht normierte Dienstverhältnis eines Staatsbeamten eintritt, und dass der andere Kontrahent, der Staat, ihn in dieses Verhältnis aufnimmt." 1249 Analog zu Seydel, der von Loening als einer der Urheber der Vertragstheorie zitiert wurde, erscheint hier in zentraler Position die funktionale Ausrichtung des Rechts, mit welcher Loening gegen Otto Mayers Reduzierung auf die Rechtsform des Verwaltungsaktes anschrieb: Das Vertragsverhältnis ist ein öffentlichrechtliches, weil es auf ein durch öffentliches Recht normiertes Rechtsverhältnis abziele.1250 Andernorts dominierte bei Loening dann allerdings doch wieder die Abgrenzung nach dem Kriterium der Staatsgewalt: Soweit der Staat als Inhaber der Staatsgewalt den Vertrag abschliesse, gehöre ein Vertrag - wie etwa über den Eintritt in das Beamtenverhältnis - dem öffentlichen Recht an und die daraus entspringenden

„Es gibt Vermögensansprüche in Menge auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes. Der Beamtengehalt (der ja auch gesetzlich geregelt sein kann, ebenso wie die Amtsbefugnis) ist die vom Herrscher als solche gewährte Gegenleistung für die öffentlichen Dienste. Der Anspruch auf denselben ist geradeso gut ein öffentlichrechtlicher, wie der Entschädigungsanspruch aus der Enteignung.": SEYDEL 1873: 62. 1247

SEYDEL 1 8 7 3 : 6 1 ; SEYDEL 1 8 9 6 , 1 : 6 7 0 .

1248

LOENING 1 8 8 4 : 1 1 9 .

1249

LOENING 1884:119 f. Zu dieser Auseinandersetzung m. w. H. STOLLEIS 1992: 401 ff.

1250

304

Verpflichtungen und Rechte seien öffentlichrechtliche. Allein, der Gesetzgeber habe teilweise den Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte geöffnet, um den Rechtsschutz der Beamten zu verbessern.1251 Der Staat wurde damit in Vollendung der Souveränitätslehre und entgegen der Fiskustheorie als Einheit begriffen, zugleich aber unter die legitimierende Wirkung des Gesetzes gebracht, womit „Verträge über die Ausübung der Staatsgewalt" einer expliziten gesetzlichen Grundlage bedurften. 1252 Da nun bei Loening die herrschafitsbezogenen kooperativen Verhältnisse zwischen Staat und Privaten ganz zu öffentlichem Recht wurden, mussten auch die bisher mit Privatrecht stabilisierten Ansprüche im öffentlichen Recht konstruiert werden; Loening erfasste diese Ansprüche der Privaten als subjektive öffentliche Rechte, wobei bereits die Grundrechtsposition der persönlichen Freiheit durchschimmerte.1253 Carl Friedrich Wilhelm von Gerber

(1823-1891)

Auch Gerbers Position zum Staatsdienst zeichnet sich durch eine Verbindung vertraglicher Elemente und einer dennoch weitgehend den Prinzipien der Souveränitätslehre folgenden Konstruktion aus. Gerber verpflichtete die Verwaltung ganz auf monarchische Souveränität und trennte sie strikte von der Gesellschaft. In der rechtlichen Konzeption des Staatsdienstes äusserte sich dies einerseits durch einen rechtlich (gerichtlich) unbeschränkten Machtbereich im Rahmen der Souveränität des Monarchen und andererseits in fiskustheoretisch durch ordentliche Gerichtsbarkeit abgesicherten Privilegien und wohlerworbenen Rechten. Im Einzelnen: Im Unterschied zu privatrechtlichen Verträgen zeichne sich der Staatsdienst, so Gerber, durch ein Gewaltverhältnis aus, in welches der Private durch Einwilligung analog zu einem Ehevertrag oder zum alten Feudalvertrag eintrete, wobei sich der Inhalt weniger aus dem vertraglichen Initialakt, sondern mehr 'aus dem Gewaltverhältnis selbst' ergebe: treue Hingebung auf der einen Seite und Rang, Namen und vor allem Alimentierung auf der anderen Seite. Somit rückte die Bedeutung der Willensübereinkunft für den Inhalt des Rechtsverhältnisses in den Hintergrund, wobei sie als Entstehungsbedingung sowie für die Begründung von entsprechenden wohlerworbenen Rechten relevant blieb.

1251

LOENING 1 8 8 4 :

1252

LOENING

1253

LOENING 1 8 8 4 : 8 ff.

132, Fn.

7.

1884:246.

305

Im Vordergrund standen jedoch einmal mehr die staatsrechtlichen Leitprinzipien der Souveränität sowie der Aufgabe des Staats, die Gesellschaft im Nationalstaat zusammenzufassen und zu organisieren.1254 Insgesamt blieb somit Gerbers Position gegenüber der Form des verwaltungsrechtlichen Vertrags unbestimmt: Er bemühte zwar die Analogie des Ehe- und des alten Feudalvertrags und betonte die Hingabe durch Einwilligung ins Gewaltverhältnis, bezeichnete jedoch die gerichtlich einklagbaren Rechte des Beamten als Ausfluss eines Privilegs, womit die einseitige Dominanz des Staatswillens unterstrichen wurde. 1255 Paul Laband

(1838-1918)

Laband äusserte sich erstmals in einer Rezension zu Mayers 'Theorie des französischen Verwaltungsrechts' von 1887 zu dessen ablehnender Haltung zum verwaltungsrechtlichen Vertrag. Mit Labands Äusserungen in dieser Rezension waren die Positionen in jener Auseinandersetzung, die das deutsche Recht zum verwaltungsrechtlichen Vertrag massgeblich prägen sollte, im Wesentlichen bezogen: Es sei nicht einzusehen, so Laband, wieso ein zweiseitiges Rechtsgeschäft nur eine Seite habe und der verwaltungsrechtliche Vertrag gar kein Vertrag sein solle. Wenn dem Staat die ganze unteilbare Souveränität zukomme, so könne dieser auch über die Rechtsform verfugen und folglich den Vertrag als Rechtsform benutzen. 1256 Trotz der offensichtlichen Differenz ist nicht zu verkennen, dass sich Laband auf manche theoretische Ausgangspunkte in der Staatskonzeption und in der rechtlichen Methode bezog, die auch Otto Mayers Theorie anleiteten: Im Zentrum stand im Wesentlichen bei Laband wie auch bei Mayer die unbeschränkte Souveränität des Staats, die mittels juristischer Methode im Recht mit einem System logisch strukturierter Begrifflichkeiten zu konstruieren war. Laband zog aber einen diametral entgegengesetzten Schluss aus der Souveränitätslehre, was letztlich auf unterschiedliche Positionen in zwei Fragen zurückgeführt werden kann: ob erstens der souveräne Staat in seiner Rechtsmacht vollumfanglich über das Recht verfüge, oder ob er darin letztlich Grenzen durch das Recht erfah-

1254 1255

1256

306

GERBER 1880:112. Noch in GERBER 1852: 40 konstruierte Gerber die Rechte des Beamten als privatrechtlichen Vertrag. Siehe hierzu die Kritik von SEYDEL 1873: 61. Gerbers Lösung folgte im Wesentlichen auch Preuss, der für die Alimentierung ein durch öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis begründetes Privatrecht annahm und somit den Vertragscharakter für den öffentlichen Dienst vehement ablehnte: PREUSS 1902: 441 ff.; kritisch hierzu LABAND 1903: 82 f. LABAND 1 8 8 7 : 1 5 8 f.

re,1257 und zweitens ob sich der Vertrag in seiner konzeptionellen Anlage auf gleichgerichtete Parteien zu beschränken habe, und vor allem wie diese Gleichgerichtetheit zu interpretieren sei: -

Während in Otto Mayers Theorie sich die Verwaltung 'wenn immer möglich' in die Rechtsform kleiden 'sollte', diese Rechtsform aber mit dem Verwaltungsakt im Wesentlichen, vermittelt durch die Wissenschaft, vorgegeben wurde, konnte bei Laband der Staat und damit auch die Verwaltung über die Rechtsformen verfugen. Der souveräne Staat und damit offenbar auch dessen Verwaltung standen in ihrer Autorität in diesem Sinne über dem Recht: „Wenn man behauptet, der Staat könne desshalb mit Privaten keine Verträge schliessen, weil er ihnen nicht gleich stehe, sondern über sie herrsche, so ist dieser Grund nicht stichhaltig. Gerade im Gegentheil! Weil der Staat Herrscher ist, kann er sich nach eigenem Belieben aller Rechtsformen bedienen, die ihm nützlich scheinen, und wenn er sich auf das Niveau des Privatrechts stellt und mit einem Einzelnen nach den Regeln desselben - wenngleich eines für gewisse Verwaltungszwecke modifizirten - Rechtsverhältnisse begründet, so ist dies eben eine Bethätigung seiner Freiheit, seiner 'hoheitlichen Macht' diejenige Rechtsform zu wählen, die ihm beliebt."1258 [Hervorhebung im Original] Als die Mängel der initialen Beschränkung der Verwaltungsrechtswissenschaft auf die Polizei offensichtlich wurden und die bahnbrechende wohlfahrtsstaatliche Verwaltung immer dringender einer rechtlichen Erfassung bedurfte, erweiterte Laband diesen Fokus: Die Verwaltung in der Monarchie sei - so Laband traditionell jener Handlungsbereich gewesen, der unter der Leitung des Landesherrn frei von Mitwirkung der Volksvertreter und unbeschränkt durch die Gesetzesauslegung der Gerichte geblieben sei. Mit der konstitutionellen Monarchie sei sodann die Führung der Verwaltung zumindest teilweise der Volksvertretung unterstellt und im Rechtsstaat die Verwaltungstätigkeit auf die Einhaltung der unter Mitwirkung der Volksvertretung erlassenen Gesetze verpflichtet worden.1259 Doch auch wenn der Verwaltungsakt darauf gerichtet sei, eine gesetzliche Anforderung zu realisieren:

1257 1258

1259

Vgl. bereits Fn. 163:44. LABAND 1887: 159. Die Macht des Staats über die Rechtsform zeigte sich bei Laband auch daran, dass die Verwaltung auch hoheitliche Geschäfte durch privatrechtlichen Vertrag 'besorgen' konnte: LABAND 1901, Bd. 1: 403 f. LABAND 1 9 1 9 : 1 4 8 f.

307

„... er verhält sich auch in diesem Falle nicht wie ein Schluss zu seinen Prämissen, sondern wie eine Handlung zu ihren Motiven. ... Die Gebundenheit liegt im Wesen der Entscheidung, die rechtliche Freiheit der Entschliessung im Wesen des Verwaltungsaktes." Die Verwaltung war nach Laband also auch im Rechtsstaat nicht auf Anwendung und Ausfuhrung von Gesetzen beschränkt, sondern zugleich „Fortbildung und Quelle des öffentlichen Rechts". 1260 Dies galt besonders dort, wo durch den Gesetzgeber zwar das Ziel, aber nicht der Weg oder die Mittel festgesetzt wurden. In diesem Zusammenhang, nun unter dem Eindruck des bahnbrechenden Wohlfahrtsstaats, sah Laband den Vertrag.1261 -

Neben der unterschiedlichen Auffassung über das Verhältnis von Staat und Recht fällt zum Zweiten die unterschiedliche Vertragskonzeption ins Gewicht: Laband kritisierte an der Gegentheorie, dass diese den Vertrag nur als einen obligatorischen zu konstruieren vermochte.1262 Von Vertrag sei vielmehr zu sprechen, wo das Rechtsverhältnis durch Willensübereinstimmung begründet werde, d. h. „durch einen speciellen Konsens für jeden einzelnen Fall", wobei das Rechtsverhältnis dem öffentlichen Recht ebenso wie dem Privatrecht unterstellt sein könne.1263 Als historische Referenz für das öffentlichrechtliche Vertragsverhältnis diente Laband der mittelalterliche Vertrag über Vasallität (Kommendation), der nicht (wie etwa der klassisch römischrechtliche Vertrag) obligatorische Rechte und Pflichten hervorgebracht habe, sondern ein Gewaltverhältnis der Über- und Unterordnung geleitet von Treue und Ergebenheit auf der einen und Schutz auf der anderen Seite.1264 „Das Dienstverhältnis des Staatsbeamten beruht auf einem Vertrag, durch welchen, ganz ähnlich wie bei der alten Kommendation, der Beamte sich dem Staate 'hingiebt', eine besondere Dienstpflicht und Treue übernimmt, eine besondere Ergebenheit und einen besonderen Gehorsam angelobt, und durch welchen der Staat dieses Versprechen sowie das ihm angebotene besondere Gewaltverhältnis annimmt und dem Beamten dafür Schutz und gewöhnlich auch Lebensunterhalt gewährt."1265

1260 LABAND 1 9 1 9 : 1 5 2 ff. 1261 LABAND 1 9 1 9 : 1 5 4 f.; e b e n s o GROSCH 1 9 1 1 : 2 7 1 . 1262 LABAND 1901, Bd. 1: 412. Mit dieser Kritik schloss er sich explizit Schmitthenner an. 1263 LABAND 1 9 0 1 , B d . 1: 4 0 5 f.; LABAND 1 9 1 9 : 101 f.; s o a u c h GROSCH 1 9 1 1 : 2 7 1 . 1264 LABAND 1901, Bd. 1: 405 f. Diese Rechtsform besteht heute im sogenannten 'besonderen 1265 308

Rechtsverhältnis' fort: hierzu jüngst MARKUS MÜLLER 2003: insbesondere 5 ff. zu den Verbindungen zur deutschen Rechtswissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. LABAND 1 9 0 1 , B d . 1 : 4 1 3 .

Der öffentlichrechtliche Vertrag zeichnet sich somit nach Laband dadurch aus, dass der eine Vertragspartner sich dem anderen „hingiebt" und im Gegenzug Schutz und Lebensunterhalt erhält, während im privatrechtlichen Vertrag sich die Austauschbeziehung auf das Element der Obligation beschränkt, mit der Willensübereinstimmung also einzelne, in aller Regel von Beginn weg ökonomisch determinierte (einklagbare) Leistungen hervorgebracht werden; der Schuldner hat die jeweilige Leistung dem Gläubiger zu erbringen, wobei die Rollen von Schuldner und Gläubiger notwendigerweise variabel bleiben. Durchaus folgerichtig kann Labands Konstruktion somit als ein Vertrag über ein Gewaltverhältnis bezeichnet werden - nicht in dem Sinn, als der Machtunterwerfende seine Macht von Beginn weg und schon im Hinblick auf den Abschluss des Vertrags gegenüber dem potenziellen Vertragspartner zur Geltung bringen müsste,1266 sondern vielmehr in dem Sinne, als der sich Unterwerfende mit seiner 'Hingabe' respektive 'Unterwerfung' in den Machtbereich des Machtunterwerfenden eintritt und somit jeglicher anderer Macht entsagen muss, die den Zielen des neuen Herren widersprechen würden. Laband formulierte es folgendermassen: Wie beim privatrechtlichen Vertrag führe zwar auch beim öffentlichrechtlichen Vertrag die freie [sie] Willensübereinstimmung zur Begründung des Rechtsverhältnisses; der Private müsse seine Leistungen im Einzelnen jedoch im Gegensatz zum privatrechtlichen Vertrag erbringen, „ohne dass er sich durch seinen freien Willensentschluss dazu verpflichtet hat."1267 Denn diese Leistungen würden durch das Gewaltverhältnis determiniert, respektive im Gewaltverhältnis mit dem Staat vor allem materiell durch dessen Interessenlage und formell durch Gesetze.1268 Die Bedeutung der Willensüberstimmung wird somit in diesem Konzept des öffentlichrechtlichen Vertrags auf die 'Hingabe', respektive im Beamtenverhältnis auf die Zustimmung zum Eintritt in den Staatsdienst beschränkt, während sich die einzelnen Pflichten der Parteien aus dem Gewaltverhältnis und insbesondere (analog auch zum System des pater familias) aus den entsprechenden Bedürfnis-

Hierin unterscheidet sich dieser Vertrag von den heute allerorts emergierenden Verträgen des sogenannten

Sozialengineering:

Vgl.

ÂK.ERSTR0M ANDERSEN 2 0 0 4 ;

VLNCENT-JONES

2005; für die Schweiz bereits früh PÄRLI 2001. 1267

LABAND 1 9 1 9 , B d . 1: 4 1 4 u n d 4 2 0 .

1268

„Die Dienste [des Beamten] empfangen daher nach Inhalt und Umfang ihre Regelung durch das Interesse und durch die Rechtsordnung des Staates, nicht durch kontraktmässige Finning und andererseits nicht durch individuelles Belieben und persönliche Willkür.": LABAND 1 9 0 1 , B d .

1:414.

309

sen des Herrschers notabene nicht für sich selbst, sondern für das Ganze, das Gewaltverhältnis mit Rücksicht auf dessen Kontext, ergeben.1269 Gegenüberstellung

der Vertragskonzeption Verwaltungsakt

und der Konzeption als

Zusammenfassend unterscheidet sich somit Labands Konstruktion eines öffentlichrechtlichen Vertrags in zweifacher Hinsicht von Otto Mayers rechtlicher Erfassung der kooperativen Verwaltung im zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakt: -

Erstens fasste Laband den Begriff des Vertrags in dem Sinne deutlich weiter als Mayer. Laband beschränkte den Vertrag nicht darauf, einzelne - und konzeptionell auf die handelbare Warenform 1270 gerichtete - Leistungen zu erzeugen, sondern sein Vertragsbegriff umfasste wie bereits der vormodeme Feudalvertrag oder der Ehevertrag auch die Initiierung eines Gewaltverhältnisses. Dessen grundlegende Struktur und dessen Inhalt bestimmt sich massgeblich durch die 'Natur' des Gewaltverhältnisses: Während es beispielsweise im Feudalvertrag um die Bedürfnisse des Herrschers für das Ganze (also auch für die Interessen des sich Unterwerfenden in diesem Machtkreis) geht, bestimmt sich der Ehevertrag durch die auf Ewigkeit gerichtete gegenseitige Loyalitätsbekundung mittels und zwecks Vereinigung.

-

Zum Zweiten ging Laband von einem flexibleren und positivistischeren Begriff der Staatsverwaltung aus. Während bei Mayer die Verwaltung als Vertreterin souveräner Staatsmacht in der Form des Befehls und damit im durch die Rechtswissenschaft vermittelten Verwaltungsakt kommuniziert, kann und will die Labandsche Verwaltung ihre Aufgaben nicht nur allein mit Befehl erfüllen, sondern sie zieht - mit Recht - jede andere Rechtsform zur Erfüllung ihrer Aufgaben hinzu, die ihr hierzu nützlich scheint. In diesem Sinne 'verfügt' die Verwaltung weitgehend über das Recht.

1901, Bd. 1: 406; siehe die Kritik hierzu bei M A Y E R 1888: 46. Grundlegend zur Beschränkung des bürgerlichen Vertragskonzeptes auf die Warenform ist freilich das erste Kapitel des zur Zeit von Mayer und Laband erschienenen 'Das Kapital' LABAND

von MARX 1890/2005: v. a. 4 9 ff.

310

d)

Vernachlässigtes Konzessionswesen Ausrichtung der Gerichte auf die Erfassung der polizeilichen der Leistungsverwaltung

Aspekte

In Frankreich stand wie gesehen unter Anleitung des Conseil d'Etat vor allem die Konzessionierung moderner Infrastrukturprojekte im Zentrum der Diskussion um den öffentlichrechtlichen Vertrag, während es in Deutschland primär - weiterhin um die rechtliche Erfassung des Staatsdienstes ging. Das Konzessionswesen erfuhr dagegen erst in der Zeit um den Ersten Weltkrieg und insbesondere danach eine ausführlichere wissenschaftliche Darstellung.1271 Insgesamt zeigt sich in der Gerichtspraxis und der Lehre noch lange ein sehr uneinheitliches Bild, während für die Politik der erwähnte Prämissenwandel zur nationalistisch ausgerichteten modernen Wohlfahrtsstaatsverwaltung bereits zu erkennen ist. Tatsächlich ging es den Gerichten, ähnlich wie der soeben dargestellten Lehre, zunächst nicht um die rechtliche Erfassung der neuen Leistungsverwaltung. Vielmehr schlössen sie eng an den immer noch polizeistaatlich geprägten Rechtsstrukturen an: Sowohl zur Errichtung von Strassenbahnen wie auch von Gas- und Wasserinfrastruktur stand die Erlaubnis zum gesteigerten Gemeingebrauch öffentlichen Grunds, um Schienen oder Röhren in den Strassenkörper zu legen, im Vordergrund. Konkret wurde in der Regel eine Konzession zur Wegnutzung ausgestellt, begleitet zuweilen von einer mit Vertrag betitelten Vereinbarung, die sich zu anderen Leistungen und Ansprüchen aussprach.1272 Die Gerichte qualifizierten derartige Rechtsverhältnisse, in Fortsetzung der Fiskustheorie, zunächst vereinzelt als privatrechtliche Mietverträge, sodann zunehmend als öffentlichrechtliche Konzessionen respektive Verleihungen mit einem privatrechtlichen Vertragsteil und zuweilen - vor allem bei Transportkonzessionen - als öffentlichrechtliche Verfügung mit einem Bestandteil einer ebenfalls öffentlichrechtlich erfassten Zustimmung des Privaten.1273 Das Reichsgericht in Zivilsachen bezeichnete noch 1915 derartige Rechtsverhältnisse als privatrechtlich, soweit und in dem Umfang als die Strassen neben dem Gemeingebrauch noch andere Nutzung

1272

Von den Monographien sind vor allem zu nennen: CROME 1917; THOMA 1918. OSCAR SEILER 1888: 32 f., m. w. H. auf die deutsche und schweizerische Lehre; siehe auch die Anwendungsfalle bei HUBER/LABAND 1900 und THOMA 1918; jüngst hierzu mit konkret e n B e i s p i e l e n HEIDER 2 0 0 5 : 5 6 f f .

1273

Siehe die Übersicht m. w. H. bei THOMA 1918: 313 ff. 311

zuliessen und der privatrechtliche Charakter nicht durch einen im Vordergrund stehenden Gemeingebrauch zurückgedrängt werde.1274 Unter Anwendung dieses Grundsatzes bewertete das Reichsgericht sodann wenig später eine derartige Vereinbarung, in welcher es um die umfassende Regelung einer Strassenbahn gegangen war, als öffentlichrechtlichen Vertrag.1275 Das Königliche Preussische Oberverwaltungsgericht neigte demgegenüber der Konstruktion als öffentlichrechtliche zustimmungsbedürftige Konzession zu, die von vertraglichen Elementen begleitet werden konnte. Vorrang vor diesen vertraglichen Elementen hätten allerdings immer die polizeilichen Erwägungen der Gefahrenabwehr.1276 Uneinigkeit der Lehre Auch in der Lehre vermochte sich zunächst - in der vorerst wenig intensiv geführten Debatte - keine klare Linie zur Rechtsnatur von Konzessionen auszubilden: -

Dem Fokus der frühen Rechtsprechung entsprechend1277 und mit der Haltung, dass es bei der Konzessionierung primär um Finanzfragen gehe und es nicht auf einen hoheitlichen Akt ankomme, wurde das Konzessionsverhältnis vereinzelt dem privatrechtlichen Vertrag zugeordnet, dem allenfalls eine Erlaubnis zur Sondernutzung etwa von Strassen vorausginge.1278

-

Nachdem Otto Mayer in seiner Theorie des französischen Verwaltungsrechts auf verwaltungsrechtliche Variationen - gerade auch durch Vertrag - hingewie-

1274

1275

1276 1277 1278

312

RGZ 88, 14 (1915), v. a. 16; hierzu unter anderen THOMA 1918; jüngst hierzu auch HEIDER 2005: 56 ff. RGZ 92, 310 (1918), v. a. 311. In casu hatte das Gericht zu beurteilen, ob die im Zustimmungsvertrag zur Wegnutzung enthaltene Vereinbarung über Beförderungspreise gültig war. Zum Ganzen HEIDER 2005: 58 f. m. w. H. Soeben oben bei Fn. 1272: 311. CROME 1917; vgl. auch die Hinweise auf die privatrechtlichen Theorien bei OSCAR SEILER 1888: 15 ff. Der Schweizer Ocar Seiler führte mit Anschluss an die deutsche Doktrin und zugleich mit besonderem Fokus auf die schweizerische politische Situation an, in der Konzession liege ein hoheitlicher Akt. Seiler ging es hierbei vor allem darum, die Gesetzesbeständigkeit vorangehender Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten zu widerlegen, um eine stärkere politische Kontrolle und schliesslich eine Verstaatlichung der Eisenbahnen zu ermöglichen. Die schweizerische Bundesverfassung von 1848 formulierte nur eine wage Kompetenz des Bundes für das Zoll-, Post- und Münzwesen (Art. 21) und die Verfassung von 1874 fuhrt zwar die Bundeskompetenz für Bau und Betrieb von Eisenbahnen ein, ohne aber die Privaten davon auszuschliessen. Siehe hierzu die Botschaft des Bundesrates, unten bei Fn. 1 4 1 1 : 3 4 0 .

sen hatte,1279 qualifizierte er später die Konzession respektive Verleihung, seiner Theorie des Verwaltungsakts entsprechend, als einseitigen unwiderruflichen Verwaltungsakt, der ein subjektives öffentliches Recht begründe. Dabei wandte er sich explizit gegen eine privatrechtliche und vertragliche Qualifikation: „Wenn es sich um civilrechtliche Verhältnisse handelte, würde man das alles als Vertrag erklären und so die Gebundenheit rechtfertigen; der Verwaltungsakt ist aber kein Vertrag; wenn die freie Zurücknahme in diesen Fällen seiner sonstigen Natur zuwider ausgeschlossen ist, so ist das einzig erklärbar aus der Kraft des subjektiven Rechts, das er erzeugt hat und das jetzt die vollziehende Gewalt durch ihre Schutzpflicht bindet." 1280 Dezidiert für eine rein öffentlichrechtliche Erfassung als einseitigen Verwaltungsakt trat sodann auch Fleiner ein.1281 Die Konzession begründe ein öffentlichrechtliches Individualrecht auf die gesteigerte Nutzung einer öffentlichen Sache. Dieses Individualrecht sei zwar gegen einen zukünftigen öffentlichen Eingriff nicht gefeit, könne aber immerhin Schadenersatzpflicht auslösen.1282 -

Eine dritte Meinung qualifizierte sodann die Konzession als öffentlichrechtlichen Vertrag, in welchem die Benutzung einer öffentlichen Sache zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe im Zentrum stehe.1283 Laband wies auf die Verknüpfung von Rechtsform und neuartiger Verwaltungsaufgaben hin: „Verträge [mit vermögensrechtlichem Inhalt] ... müssen bei der Führung der Verwaltung in sehr grosser Zahl unablässig geschlossen worden. Die Lieferung von Waren, der Leistung von Arbeiten, die Herstellung von Werken, die Beschaffung von Geldmitteln usw. kann der Gegenstand dieser Verträge sein; ebenso kann der Staat seinerseits die Leistung von Arbeiten oder die Lieferung von Waren usw. übernehmen, z. B. in dem Betrieb der Postanstalt, der Staatseisenbahnen, der Forsten usw. Das durch den Vertrag begründete Rechteverhältnis ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Privatrechte zu beurteilen, sofern nicht dieselben durch spezielle zugunsten des Fiskus eingeführte Rechtssätze modifiziert sind."1284

1279

MAYER 1 8 8 6 : 3 0 2 ff., 3 4 2 f.

1280

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 : 1 1 6 ; d e s g l e i c h e n K.0RMANN 1 9 1 0 : 3 0 ff.

1281

FLEINER

1282

FLEINER 1 9 1 3 : 3 2 3 f . FLEINER 1 9 2 8 : 1 8 3 f f . ; d e s g l e i c h e n A P E L T 1 9 2 0 : 1 0 3 f .

1913:322.

1283

S o THOMA

1284

LABAND 1 9 1 9 : 1 5 4 f.

1918.

313

Historisches Modell der politischen Behandlung moderner Infrastrukturprojekte Vor diesem Hintergrund von Rechtsprechung und Lehre lässt sich ein klareres, wenn auch freilich typisiertes Modell für die politische Behandlung moderner Infrastrukturprojekte in Deutschland konstruieren, das im Wesentlichen auch für die Schweiz gilt:1285 Während in einer ersten Phase die neuartigen Infrastrukturprojekte wie Wasser, Gas auf der einen Seite sowie Eisenbahnen und Strassenbahnen auf der anderen Seite von privaten Wirtschaftsteilnehmern in relativ grosser Autonomie erbracht wurden,1286 lässt sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, in einer zweiten Phase, die vermehrte politische Einflussnahme verzeichnen, was sich denn auch im Recht mit dem Wechsel von der privatrechtlichen zur vermehrten öffentlichrechtlichen Qualifizierung niederschlug.1287 Und schliesslich wurde in einer dritten Phase, nicht zuletzt infolge der zentralen militärischen Bedeutung, in Deutschland mit Bismarck sowie auch der Schweiz der Ruf nach Verstaatlichung insbesondere der Eisenbahn immer lauter.1288 Deren weitgehende Verstaatlichung wurde in der Schweiz im Jahre 19031289 und in Deutschland mit der Weimarer Verfassung umgesetzt, was zu zahlreichen enteignungsrechtlichen Fragen führte. So äusserten sich etwa Eugen Huber und Paul Laband in einem Parallelgutachten zum Rückkauf der schweizerischen Hauptbahnen,1291 und Fleiner führte in seinen Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts das schweizerische Eisenbahnrückkaufgesetz von

1285

1286

1287

Seiler erkannte diese Evolution in seiner schweizerischen Studie von 1888 bereits mit bemerkenswerter Klarheit. Jüngst im gleichen Sinn die preussische Lokalstudie von H E I D E R 2005. Typisch ist auch das schweizerische Eisenbahngesetz von 1852, das die Eisenbahninfrastruktur den Privaten überantwortete: oben Fn. 681: 162. Zum Ganzen betreffend Deutschlandjüngst A L B R E C H T 1 9 9 4 ; HEIDER 2 0 0 5 , fur die Schweiz PRÊTRE 2 0 0 2 ; R A S T E R 2 0 0 3 . Vgl. insbesondere M A Y E R 1886: 302 ff., 342 f.; beispielhaft sind die Forderungen von O S C A R SEILER 1 8 8 8 : 7 f f .

1288

Hierzu

diese Forderung tritt bei O S C A R SEILER 1 8 8 8 offen zu Tage: ff.; zur militärpolitischen Bedeutung siehe auch LOENING 1 8 8 4 : 6 2 2 . Zum Verhältnis von Technik und Macht siehe unter vielen FORSTHOFF 1 9 7 1 : 3 4 . Bundesgesetz betreffend die Erwerbung und den Betrieb von Eisenbahnen, siehe Fn. 698: 166. Art. 89 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1919. Siehe zum Entstehungskontext der Weimarer Verfassung illustrativ JELL1NEK 1 9 3 0 . Vgl. für die lokale Ebene auch HEIDER ALBRECHT

1994;

O S C A R SEILER 1 8 8 8 : 7 1289

1290

2 0 0 5 : 51 ff. u n d 129 ff. 1291

314

Z u m Beispiel HUBER/LABAND 1900.

1897, das die Verwaltung zum öffentlichrechtlichen Rückkauf (also zur Enteignung) sowie zum privatrechtlichen Rückkauf ermächtigte, als modellhaft an.1292 In Anbetracht des Umfangs und der Tiefe, die die politische Auseinandersetzung um die Kooperationen zwischen Staat und Privaten erreichte, erstaunt umso mehr, dass der Fokus der deutschen Rechtswissenschaft lange fast ausschliesslich auf die rechtliche Erfassung von Kooperationen im Staatsdienst beschränkt blieb. Typisch ist etwa, dass sich Otto Mayer in seiner grundlegenden Schrift zum verwaltungsrechtlichen Vertrag, trotz genauer Kenntnisse des französischen Rechts, fast ausschliesslich auf die Bestellung zum Staatsdienst konzentrierte,1293 und dass Mayer in seinem Deutschen Verwaltungsrecht von 1895/96 das Konzessionswesen unter explizitem Anschluss an die schweizerische Lehre, die im Wesentlichen aus den wenigen

Schriften von

RÜTTIMANN

1870,

CARRARD/HEUSLER/HILTY

1877,

OSCAR SEILER 1888 und MEILI 1888 bestand, erörterte.1294 Gerade über Rechtsnatur und Dogmatik von Kooperationen in Bezug auf die zu jener Zeit politisch hochaktuelle Konzessionierung moderner Infrastruktur wurde verhältnismässig wenig diskutiert, wobei sich mit der Funktionalisierung und Zweckmässigkeitserwägung immerhin der rechtliche Fokus von der Sondernutzung öffentlichen Eigentums zur Verleihung eines öffentlichen Unternehmens verschob.1295 Otto Mayers Lösung etwa orientierte sich bezeichnenderweise ganz an der erarbeiteten Lösung zur Bestellung in den Staatsdienst: „Die Verleihung ist ein Verwaltungsakt auf Unterwerfung wie die Anstellung im Staatsdienste, ein Vertrag so wenig wie diese. Die Verhandlungen, die vorausgehen, stellen Bedingungen und Umfang dieser Unterwerfung fest und bestimmen den genaueren Inhalt des dadurch zulässig gewordenen Verwaltungsaktes."' 296 Bundesgesetz betreffend die Erwerbung und den Betrieb von Eisenbahnen vom 15. Oktober 1897, siehe Fn. 698: 166. Das Gesetz ermächtigte die Verwaltung, jene Hauptbahnen, die Aktiengesellschaften gehörten, für den Bund zu erwerben. Hierzu FLEINER 1913: 184 Fn. 32; siehe auch FLEINER 1923: 469 f. Zum Wandel des Enteignungsrechts zum Ende des 19. Jahrhunderts siehe GRIMM 1987b. Grimm zeigt im Wesentlichen auf, dass mit dem im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts festgestellten Versagen der bürgerlichen Marktordnung die Enteignung - zunächst in der Nationalökonomie und später in der Rechtswissenschaft zum Korrektiv sozialinkompatibler Auswirkungen des Privateigentums und des Marktes mutierte. 1293

MAYER 1888; vgl. auch MAYER 1895/96, II: 307: „Die Verleihung ist ein Verwaltungsakt auf Unterwerfung wie die Anstellung im Staatsdienste, ein Vertrag so wenig wie diese." (Hervorhebung durch AA).

1294

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , II: 3 0 3 ff.

1295

Vgl. MAYER 1895/96, II: 294, vor allem 297 f.

1296

MAYER 1 8 9 5 / 9 6 , 1 1 : 3 0 7 .

315

Eine breite Diskussion um Rechtsnatur und Dogmatik erschien in Deutschland erst gegen den Ersten Weltkrieg und insbesondere danach.1297 Diese Selbstbeschränkung der Wissenschaft ist umso erstaunlicher, als bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr private Unternehmen damit beauftragt worden waren, technische Infrastrukturen insbesondere für Wasser und Gas, später für Elektrizität sowie für moderne Verkehrsmittel zu erstellen. Dass der bahnbrechende staatliche Interventionismus rechtlich (und dabei vor allem gerichtlich) weitgehend ungebunden blieb und damit eine bedeutende, politisch bestimmte Flexibilität abseits von rechtlicher Bindung bewahrte, lag wohl einerseits an den beschränkten Möglichkeiten, die freigesetzte Leistungsverwaltung durch unabhängige Gerichte zu überprüfen, 1298 und andererseits an der primären Ausrichtung der Lehre an den Themen des alten Polizeistaates. Denn wie soll - in Anlehnung an ein Diktum von Fritz Fleiner1299 - ein Rechtsinstitut bei spärlich verfügbaren wissenschaftlich generierten Variationen eine stabile Form erreichen, wenn darüber hinaus auch keine ausreichenden, politisch unabhängigen Rechtsschutzorgane bestehen, die die neu geformte Struktur für konkrete Fallgruppen wiederholt für anwendbar erklären und damit zugleich den Blick auf konkrete Detailanpassungen freigeben. Kurz: Es fehlte bis ins 20. Jahrhunderts hinein an zentralen Möglichkeitsbedingungen, damit sich in Deutschland stabilisierungsfähige Variationen für den emergierenden Interventionsstaat hätten entwickeln und auf Dauer in die Rechtsstrukturen hätten überfuhrt werden können. e)

Debatte infolge des Ersten Weltkrieges und in den Zwanzigerjahren: Rückblick und Ausblick Situation nach dem Ersten

Weltkrieg

In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts und vor allem bereits in der Folge des Ersten Weltkriegs setzte eine engagierte Debatte über die Grundlagen und die Rechtsform von Kooperationen zwischen Staat und Privaten ein. Neben den zunehmend ausführlicheren Erläuterungen in den Standardwerken1300 stammen wesentliche monographische Beiträge zu dieser Debatte von KORMANN 1910,

1297 1298 1299

1300

Unten Fn. 1300: 316. Oben Kap. III.C.4: 280. FLEINER 1906: 14: „Welcher innere juristische Grund rechtfertigt es, sobald ausreichende Rechtsschutzorgane bestehen, ein Rechtsinstitut zu zerreissen und die eine Seite des Institutes nach einem ganz andern Rechte zu beurteilen, als alle übrigen Teile?" Z u m B e i s p i e l SEYDEL 1 9 1 3 : 6 6 7 f f . ; L A B A N D 1 9 1 9 : 209

316

ff.

1 5 4 f f . ; FLEINER 1 9 2 8 :

183 ff., v. a.

GROSCH

1911,

KELSEN

1 9 1 3 , CROME

1917,

THOMA

1 9 1 8 , APELT

19201301,

BUDDEBERG 1925, WALZ 1928 und REUSCH 1929, wobei auch die mit der deut-

schen Wissenschaft eng zusammenhängenden Beiträge von LAYER 1916 für Österreich sowie BURCKHARDT 1924; 1928, GLACOMETTL 1924 und JEDLICKA 1928 für

die für die Schweiz zu nennen sind. Dass gerade in der Folge des Ersten Weltkrieges eine Grundsatzdebatte um die Rechtsform der kooperierenden Verwaltung in Gang kam, ist nicht zufällig. Infolge von Krieg und bürgerkriegsähnlichen Wirren zwischen linken Revolutionären und den Gemässigten fasste Carl Schmitt (1888-1985) die prekäre Lage des Rechtsstaats im berühmten Dictum zusammen: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."1302 Ganz generell wuchs auch die Verunsicherung um das gesellschaftsadäquate Recht, und die Erfahrungen des Krieges und die Zeichen eines sich radikal verändernden gesellschaftlichen Umfeldes 1303 legten nahe, sich mit grundsätzlichen Fragen auseinander zu setzen. Dies lässt sich ebenso von Willibalt Apelt (1877-1965) wie auch von Hans Carl Nipperdey (1895-1965) vernehmen, die beide in ihren Forschungen zu den rechtlichen Handlungsformen des Interventionsstaates durch den Krieg unterbrochen worden waren. 1304 Gerade Nipperdey ist von besonderem Interesse, weil er mit seiner 1920 erschienen Habilitationsschrift zum Kontrahierungszwang eine mit der kooperierenden Verwaltung vergleichbare Fragestellung quasi von der anderen Seite her anging. Nipperdey, der während des Krieges „in praktischer kriegswirtschaftlicher Tätigkeit"1305 gearbeitet hatte, sah die zunehmenden Eingriffe des Staats in die selbstorganisierten Bereiche der Gesellschaft durch den Ersten Weltkrieg wenn auch nicht hervorgebracht, so doch radikalisiert. Sie seien Ausdruck einer wirtschaftlichen und politischen Notlage und würden als 'antiindividualistische Entwicklung zu einer fortschreitenden Sozialisierung' weiter andauern. Die „verwaltende und fürsorgende organisierte Gemeinschaft" trat denn auch bei Nipperdey an die Stelle eines grundsätzlichen Vertrauens in die Kräfte der bürgerlichen Gesellschaft und deren zentrale Institutionen wie Vertragsfreiheit und Marktmechanismus. 1306 Die selbstorganisierte Gesellschaft und dabei insbesondere die Wirtschaft vermochten sich,

1301

R e z e n s i o n v o n MAYER 1 9 2 1 .

1302

SCHMITT 1 9 2 2 :

1303

Unter vielen siehe das historisch-soziologische Modell von POLANYI 1944/1957.

11.

1304

APELT 1 9 2 0 und NIPPERDEY 1920, j e w e i l s V o r w o r t .

1305

NIPPERDEY 1 9 2 0 : VI.

1306

NIPPERDEY 1 9 2 0 : 1 ff.

317

so auch das Fazit von Forsthoff, nach 1918 nicht mehr vom - durch die Staatsverwaltung dominierten - Kriegswirtschaftssystem zu lösen. In dieser Situation einer labilen Begründung rechtsstaatlicher Souveränität und zunehmender Verflechtung von staatlicher Lenkung einerseits und Selbstorganisation der Gesellschaft durch entsprechende Anspruchsgruppen andererseits, da in der Folge von Wirtschaftssteuerung durch Subventionen und Privilegien Verbände als Vertretungen partikularer Interessen aller Gesellschaftsbereiche auftraten,1307 stellte sich die Frage nach Kooperationen zwischen Staat und Privaten mit einer neuen Form und Dringlichkeit. Vertrag und Gesetz: umstrittene Zulässigkeit des Vertrags

verwaltungsrechtlichen

Die vermehrte Akzeptanz des verwaltungsrechtlichen Vertrags hatte sich bereits vor dem Krieg angekündigt. Sie wurde allerdings durch eine strikte Bindung an das Gesetz relativiert. Repräsentativ für diese Sicht war Fritz Fleiner (1867-1937), der zwar weiterhin den verwaltungsrechtlichen Vertrag marginalisierte und darauf beharrte, dass die Bestellung zum Beamten kein Vertrag sei,1308 darüber hinaus jedoch Laband darin zustimmte, dass es ein öffentlichrechtliches Institut des Vertrags gebe - weniger zur Begründung neuer, sondern mehr zur Veränderung bestehender gesetzlicher Pflichten. Massgeblich sei dabei, ob der Gesetzgeber mit einer expliziten gesetzlichen Grundlage auf das einseitige Vorgehen verzichtet habe. 1309 Dieser Position folgten im Wesentlichen für das österreichische Recht Layer1310 1111 1110 und für das schweizerische Recht Jedlicka sowie später auch Ruck. Hinter dieser steten Suche nach der gesetzlichen Zustimmung zu verwaltungsvertraglichem Handeln stand die dominierende Meinung, Recht müsse als ausschliessliches Erzeugnis des Rechtsstaates verstanden werden. In Anbetracht der stets vorausplanenden und stets nachsteuernden Verwaltung waren allerdings die Schwierigkeiten, diese proaktive Verwaltung unter der expliziten Zustimmungen des Gesetzgebers zu halten, offensichtlich geworden. Hierauf reagierten nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere Apelt und Buddeberg. Beide legten ihren juristischen Erwägungen die Beobachtung zugrunde, dass die -

ff. und 1 1 9 ff.; jüngst L A D E U R 2 0 0 2 . f.; ebenso JEDLICKA 1 9 2 8 : 1 1 1 (Diss. bei Fleiner).

1307

FORSTHOFF 1 9 7 1 : v . a . 1 6

1308

FLEINER 1 9 1 3 : 1 8 2

1309

FLEINER 1 9 1 3 : 2 0 1 f f .

1310

LAYER 1 9 1 6 : 2 1 .

1311

JEDLICKA 1 9 2 8 : 1 1 1 .

1312

RUCK 1939,1: 84 ff., vor allem 85 f.

318

öffentlichrechtliche - Vertragsform für eine zunehmend gesellschaftsgestaltende Verwaltung unabdingbar geworden sei. Nach Buddeberg besass nun der Vertrag selbst rechtsschöpferische Kraft, die somit nicht auf einen externen Rechtsgrund angewiesen sei.1313 Und nach Apelt hatte es der Gesetzgeber generell - infolge dispositiven Gesetzesrechts - der „formschaffenden Kraft" der Verwaltung überlassen, ihren Bedürfnissen gemäss die entsprechenden beweglichen, anpassungsfähigen Rechtsformen zu finden.1314 Apelt brachte also seine grundsätzlich permissive, ganz auf die neuen Aufgaben der Staatsverwaltung gerichtete Theorie durch dem Hinweis auf dispositives öffentliches Recht mit der Lehre der Gesetzesbindung in Übereinstimmung: Der Gesetzgeber habe dem Vertrag im öffentlichen Recht die Tore geöffnet, indem sich die öffentliche Rechtsordnung nicht mehr in zwingendem Recht erschöpfe, wie es die bisherige, auf die Digesten zurückgreifende Trennungstheorie (unter Leitung der Souveränitätstheorie) gelehrt habe. Mit dem Einzug von dispositivem Recht im Bereich des öffentlichen Rechts finde sich die Zustimmung des Gesetzgebers zum verwaltungsrechtlichen Vertrag.1315 Diese Position gewann zwar Zuspruch in Art. 47 des Entwurfs einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg aus dem Jahr 1931, der sich für die Zulässigkeit der Verwaltungsverträge aussprach, „soweit nicht Rechtsvorschriften entgegenstehen". 1316 Dass in Lehre und Gerichtspraxis die Zulässigkeit dennoch deutlichen Widerspruch hervorrief und Verwaltungsverträge - wenn überhaupt als zulässig erklärt - weiterhin marginalisiert wurden, lässt sich am bedeutenden Fazit von Hatschek aus dem Jahr 1931 ablesen, dass die Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrags höchst umstritten sei und „derartige Verträge in Wirklichkeit kaum vorkommen." 1317 In ähnlicher Weise äusserte sich auch Fleiner im Jahr 1928:

BUDDEBERG 1925: 85 ff. Buddeberg fand die rechtliche Begründung des verwaltungsrechtlichen Vertrags in einem an Gierke angelehnten (und für die Zukunft terminologisch verfänglichen) Konzept einer rechtsbegründenden Kollektivität der Rechtsgenossen. 1314

APELT 1 9 2 0 : 6 f.

1315

APELT 1920: 14 ff. Daraus folgte bei Apelt zugleich, dass grundsätzlich (aber nicht immer) die Vertragsform ausgeschlossen ist, wenn das Gesetz eine Verfügung vorsieht. APELT 1920: 162 f. Später knüpft daran an: STERN 1958: 137 ff. Zum gleichen Resultat kam Buddeberg auf anderem Weg: Er sah den Vertrag direkt als Ausdruck der Kollektivität der Menschen: BUDDEBERG 1925: 85.

1316

Zitiert nach STERN 1958: 119. Stern sah in diesem Entwurf das Resultat einer Entwicklung, an welche nach dem Zweiten Weltkrieg die Lehre anzuschliessen hatte.

1317

HATSCHEK 1 9 3 1 : 12.

319

„Lebhafter Streit aber besteht darüber, ob die Form des Vertrags auch anwendbar ist zur Regelung von Rechtsverhältnissen zwischen dem Herrscher Staat und seinen Untertanen."1318 Die von Buddeberg und vor allem Apelt angeleitete Harmonisierung des Prinzips der Gesetzesbindung mit den Anforderungen der proaktiven Verwaltung an das Recht setzte sich somit zwar nicht unmittelbar durch. Sie gab jedoch wichtige Impulse in der Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags nach dem Zweiten Weltkrieg.1319 Abgrenzungen der Rechtsnatur und der Rechtsform: Marginalisierung des verwaltungsrechtlichen Vertrags Ebenso wie in der Frage der Zulässigkeit erhielt auch die Diskussion um die Abgrenzung zwischen Verfugung und Vertrag in den Zwanzigerjahren und infolge des Ersten Weltkriegs neue Impulse, wobei zunächst auf deren Ausgangslage im Lehrstreit von Mayer und Laband zurückzukommen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg wie erwähnt keine stabile Dogmatik zu entwickeln vermochte, und infolgedessen zentrale Probleme wie die Rolle der Willenserklärung oder die Rechte Dritter, die im französischen Recht bereits zu detaillierter Dogmatik geführt hatten, in Deutschland mehr in Grundsatzüberlegungen wie etwa zur Abgrenzung zum Zivilrecht ihren Niederschlag fanden.1320 Trotz des Lehrstreits Mayer-Laband war sich die deutsche Lehre zunächst in Einem weitgehend einig: Soweit der Staat hoheitlich auftrete, komme öffentliches Recht 1318

FLEINER 1928: 210. Ebenso mit Blick auf die schweizerische Lehre und Rechtsprechung RUCK 1939,1: 84 f. Dies bestätigt im Rückblick SALZWEDEL 1958: 3. Anders die Einschätzung von MAURER 1989: 799 ff., der allerdings nicht zwischen subordinationsrechtlichen und koordinationsrechtlichen Verträgen unterscheidet. Entscheidend ist allerdings, dass sich für den subordinationsrechtlichen Vertrag weder für die Frage der Zulässigkeit, geschweige denn für die weiteren Fragen eine stabile Dogmatik in Zusammenwirken von Lehre und Rechtsprechung zu bilden vermochte.

1319

S o e t w a b e i PETERS 1 9 4 9 :

1320

1 5 3 f f . ; FORSTHOFF 1 9 5 8 : 2 4 9 f f . ; STERN

1958;

SALZWEDEL

1958. Hierzu unten Kap. III.E.2: 383. So etwa das Problem der Gleichordnung der Parteien. Insbesondere die zentrale Frage des verwaltungsrechtlichen Vertrags, wie die Rechte Dritter in der grundsätzlich bilateralen Struktur des Vertrags zu behandeln sind, wurde kaum je vertieft angegangen. Die Ausfuhrungen hierzu - wie beispielsweise bei Fleiner - beschränken sich üblicherweise auf das traditionelle Problem der - eingeschränkten - Haftung des Beamten gegenüber den Bürgern. Hierzu etwa FLEINER 1 9 1 6 / 1 9 4 1 :

141 f.; FLEINER 1928: 6 4 f.; vgl. auch MAYER

1895/96: 318 ff. Darüber hinaus ist die Lösung einfach: Soweit Ungleichbehandlung droht, hat die Verfugung den Vertrag zu ersetzen: FLEINER 1913: 203 f.

320

zur Anwendung, und monetäre Folgen eines derartigen Auftretens sollten nicht mehr wie noch unter der Fiskustheorie den ordentlichen Gerichten zur Beurteilung zugewiesen werden; Fiskus und hoheitlicher Staat erwiesen sich somit als zwei Gesichter des einen, durch öffentliches Recht verfassten Staats. 1321 Die entsprechende Abgrenzungsformel wurde jeweils mit zu vernachlässigenden Abweichungen wiederholt. 1322 Fleiner formulierte es noch 1928 in dieser Tradition folgendermassen: Entscheidend [für die Zuweisung zum Privatrecht oder zum öffentlichen Recht] ist einzig die innere Natur des Rechtsverhältnisses. Dies aber bestimmt sich allein darnach, ob in dem konkreten Rechtsverhältnis zwischen Bürger und öffentlicher Verwaltung der Staat (die Gemeinde) als Träger obrigkeitlicher Macht erscheint, m. a. W. ob er darin dem Untertan als eine potentior persona gegenübertritt, oder ob er in Rechten und Pflichten dem Bürger wie ein gleichgeordneter Privatmann gegenübersteht (z. B. bei der Instandhaltung öffentlicher Gebäude, Straßen usf.)." 1323 Mit dieser dominierenden klaren Abgrenzung, die sich weitgehend auf die Souveränitätslehre bezog, 1324 suchte sich das junge Verwaltungsrecht unter der Führung von Otto Mayer vom Privatrecht zu emanzipieren, wobei zugleich aber die Abgrenzung von Verfugung und Vertrag innerhalb des öffentlichen Rechts unscharf bleiben musste: Denn wenn - in dieser verwaltungsrechtlichen Sicht - der souveräne Staat hoheitlich auftrat, kontrahierte er nicht. Das junge deutsche Verwaltungsrecht vermied damit zunächst jene interne Asymmetrie, die im französischen Recht relativ bald auf die Emergenz des Vertrags im Verwaltungsrecht und damit auf einen Re-Entry der konstitutiven Unterscheidung des Verwaltungsrechts hinwirkte, setzte sich allerdings mit dieser Zurückhaltung gegenüber dem verwaltungsrechtlichen Vertrag verstärkten Irritationen insbesondere aus der zunehmend interventionistischen Politik aus. Freilich war bereits Otto Mayers Position nicht durch vollständige Ablehnung des verwaltungsrechtlichen Vertrags geprägt; in Bezug auf die Zustimmung des Privaten knüpfte er wie erwähnt an die Institution des Vertrags an, betonte jedoch die genuin verwaltungsrechtseigene Konstruktion auf der Basis des

1321

MAYER 1895/96, I: 136; desgleichen LABAND 1895: 4 6 7 ff. mit B e z u g auf die V e r m ö g e n s ansprüchen des Beamten; siehe auch LABAND 1901,1: 4 1 3 zur Rechtsnatur.

1322

Vgl. MAYER 1888: 4 0 ff.; LABAND 1901: 4 0 3 f.; FLEINER 1913: 182 f.; so selbst noch JEDLICKA 1 9 2 8 : 1 1 1 .

1323

FLEINER 1 9 2 8 : 5 0 f.

1324

Kap. II.C.2.b): 128.

321

Verwaltungsaktes.1325 Auch jenen, die wie Fleiner zwar Mayers Theorie weitgehend folgten, aber die Analogie zum privatrechtlichen Vertrag nicht derart rigoros ablehnten, erschien eine durch Subordination geprägte Kooperation zwischen Staat und Privaten im öffentlichen Recht nur als „Schein eines zweiseitigen Rechtsgeschäftes", womit der verwaltungsrechtliche Vertrag im Vergleich zum Verwaltungsakt massgeblich marginalisiert wurde; 1326 hinter dem zweiseitigen Rechtsgeschäft stehe im Wesentlichen eine zustimmungsbedürftige Verfügung, und der 'echte' Vertrag setze die Gleichordnung der Parteien voraus.1327 In diesem Kontext und den erwähnten zunehmenden kooperatistischen Verfechtungen deutscher Politik vermochte sich denn der öffentlichrechtliche Vertrag vor allem als Koordinationsvertrag zwischen zunehmend eigenständigen und doch im souveränen Nationalstaat zusammengefassten öffentlichrechtlichen Einheiten durchzusetzen, dagegen nicht als Subordinationsvertrag zwischen Staat und Privaten.1328 In aller Schärfe formulierte dies Bornhak noch im Jahr 1928: „Soweit ...der Staat und seine Verwaltung in seiner hoheitlichen Natur auftritt und seine Herrschaft betätigt, ist ein Vertrag unmöglich. Denn es fehlt die Gleichstellung der Rechtssubjekte wo die Staatsgewalt mit ihren Untertanen in Beziehung tritt. Die allbeherrschende Staatsgewalt kann sich gegenüber den ihr Unterworfenen gar nicht rechtlich binden." 1329 Lehrstreit um den Begriff der Gleichordnung der

Vertragsparteien

Es erstaunt nicht, dass diese Sorge um die Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts, die zur Marginalisierung des Vertrags führte, von Staatsrechtlern überwunden wurde: Laband wie vor ihm bereits Gerber gingen zwar von einer ebenso stringenten Souveränitätslehre wie Mayer aus, brachten diese jedoch durch den Rückgriff auf die alte Form des Feudalvertrags in Übereinstimmung mit der Institution des Vertrags: Der Vertrag führe durch die Zustimmung des Privaten im Wesentlichen zu dessen Unterwerfung unter einen von der Staatsverwaltung dominierten

1326 1327

1328

1329

322

Mayers ablehnende Haltung wurde zuweilen rhetorisch überzeichnet, um sie sodann besser angreifen zu können, wobei in aller Regel der Satz zitiert wurde, Verträge seien auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts überhaupt nicht denkbar: M A Y E R 1 8 8 8 : 4 2 ; vgl. etwa KELSEN 1 9 1 3 : 2 3 8 ; BUDDEBERG 1 9 2 5 : 9 0 ; sodann auch STERN 1 9 5 8 : 1 0 9 f. So insbesondere FLEINER 1 9 1 3 : 5 3 . FLEINER 1913: 182; ebenso FLEINER 1910: 351. Grundlegend JELLINEK 1892: 192 ff.; des Weiteren mit Bezug zur Theorie der Gleichordnung G R O S C H 1911: 274 ff.; W A L Z 1928. BORNHAK 1 9 2 8 : 3 5 .

Rechtskreis.1330 Mit dieser weit gefassten Notion von Vertrag grenzte sich der öffentlichrechtliche Vertrag von der Verfügung im Wesentlichen durch das Element der Zustimmung und die fortwährende Unterwerfung unter das durch Vertrag strukturierte Rechts- und Gewaltverhältnis ab. In der Unterscheidung dieser Theorien erweist sich die Gleichordnung der Vertragsparteien als konstitutives Element, mit welchem die Verwaltungsrechtswissenschaft vom Zivilrecht abgegrenzt werden sollte und mit welchem der Vertrag im öffentlichen Recht marginalisiert wurde. Dabei wurde allerdings bemerkenswerterweise dieser Begriff kaum je weiter ausgeführt, und wenn doch, dann beschränkte man sich weitgehend auf eine negative Umschreibung in Abgrenzung zum souveränen und herrschaftlich kommunizierenden Staat.1331 Aus dem Kontext jener Äusserungen und der Abgrenzung gegenüber machtstrukturierten (und das hiess immer: hierarchischen) Beziehungen lässt sich immerhin erschliessen, dass eine kaum je hinterfragte klassisch-liberale Notion der Gleichordnung mitgetragen wurde: Gleichgeordnetheit verstanden im marktwirtschaftlichen Sinne1332 und zugleich im Sinne von Kant, nämlich als apriorische Freiheit,1333 eine (Markt-) Chance entweder auszuschlagen oder aber selbstständig (d. h. mit einen eigenen Einsatz: Geld, Eigentum oder Arbeit) zu ergreifen, die im Vertrag als (vom Recht als solche anerkannte) einklagbare Leistung1334 gegen eine entsprechende, ebenfalls mit freiem Willen erbrachte Gegenleistung steht. Und diese beiden aufeinander gerichteten freien Willen werden notwendigerweise durch ein Drittes stabilisiert: durch unabhängiges Recht, respektive durch unabhängige Gerichte.1335 Ein hoheitlich geprägtes Rechtsverhältnis allerdings, in welchem die Zustimmung des Privaten lediglich aus spezifischen Gründen der effektiveren Verwaltung eingeholt wurde, während die Leistungen des Privaten notfalls auch immer mit Befehl eingefordert werden konnten, widersprach offensichtlich der von Kant formulierten 1330

O b e n Kap. III.C.5.C): 3 0 1 ; SEYDEL 1873: 6 0 ; GERBER 1880: 1 1 6 F n . 1.

1331

S o e t w a b e i M A Y E R 1 8 8 8 : 4 1 f f . ; FLEINER 1 9 1 3 : 1 8 3 ; GIACOMETTI 1 9 2 4 : 1 6 .

' 332

Vgl. zum Beispiel MAYER 1888:21: „Verkauf oder Verpachtung".

,333

KANT 1 7 8 7 / 1 9 9 3 : 561 f.; KANT 1 7 8 8 / 1 9 9 3 6 0 f.; KANT 1 7 9 7 / 1 9 8 8 : 2 7 f.

1334

Darauf insistierte insbesondere JELLINF.K 1892: 193 ff. KELSEN 1913: 214 f. formuliert es folgendermassen: „Der Rechtsprechungsakt der Gerichte (das Urteil) ist doch nur die notwendige Vorbedingung für die Realisierung der Unrechtsfolge, die wiederum nur die /?ecAiskonsequenz einer Pflichtverletzung ist." [Hervorhebungen von AA] Konkret heisst dies: „Zuerst das Rechtsgeschäft der Parteien - ein Tatbestand, an den die Rechtsordnung Pflichten und Rechte knüpft; dann Pflichtverletzung seitens einer der Kontrahenten, bestritten oder nicht; hierauf Anrufung des Staates. Schließlich Urteil des Staates."

1335

323

apriorischen Freiheit und der auf den Markt ausgerichteten Chancengleichheit. Und auch das zweite Element der rechtlichen respektive gerichtlichen Stabilisierung kollidierte mit einer Lehre, die den Bedürfnissen der Staatsverwaltung mit öffentlichem Recht, aber gerade nicht mittels gerichtlicher Kontrolle zudienen sollte.1336 Dass der Staat gleichwohl selbst im sogenannten Gewaltverhältnis zuweilen auf die Mitwirkung von Privaten angewiesen war und sie letztlich hierzu nicht zu zwingen vermochte, wurde terminologisch mit Konzepten wie Einwilligung, Vereinbarung, Übereinstimmung, Zustimmung etc. verdeckt1337 - primär, um erst gar keine Bezüge zum Privatrecht aufkommen zu lassen, von welchem sich das Verwaltungsrecht ja gerade abzugrenzen und in dieser Abgrenzung sich selbst zu konstituieren hatte. Doch wie gesagt finden sich kaum je Überlegungen zu Gehalt und Funktion der Gleichordnung im Austausch der Willenserklärungen. Die junge Verwaltungsrechtswissenschaft erkannte jedoch durchaus die neuartige Dimension der Willenserklärung im verwaltungsrechtlichen Vertrag. Fleiner führte hierzu zwei Beispiele an. Zum Ersten zitierte er das Urteil des Reichsgerichts in Zivilsachen vom 16. Dezember 1902, nach welchem sich ein Wirt, um eine Konzession zu erhalten, rechtsgültig verpflichtet hatte, Gartenkonzerte zu unterlassen, wozu er gemäss Gesetz nicht hätte gezwungen werden können. 1338 Und zum Zweiten verwies Fleiner auf Art. 9 des Bayrischen Heimatgesetzes von 1868 und 1899: „Die Gemeindeverwaltung kann jedem Angehörigen des bayerischen Staats das Heimatrecht auch dann, wenn ein gesetzlicher Anspruch nicht besteht, auf Ansuchen verleihen und hiebei mit dem Bewerber die Bedingungen vereinbaren, von deren Erfüllung die Verleihung des Heimatrechts abhängig gemacht wird..." 1 3 3 9 Die beiden Fälle zeigten Fleiner deutlich, dass die Verwaltung ihr aus dem Gesetz abgeleitetes Ermessen einsetzte, um den Privaten zur Zustimmung zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, das die Verwaltung ohne diese Zustimmung nicht hätte erreichen können. Von den Zivilgerichten waren derartige Zusagen zunächst als privatrechtliche Verträge qualifiziert worden, was Fleiner scharf kritisierte. Neben der fehlerhaften Zuweisung der Rechtsnatur rügte Fleiner im ersten Fall der Konzession auch die fehlende gesetzliche Grundlage der Verwaltung. Der eigentümliche Einsatz des Ermessens, mit welchem die Verwaltung den Privaten zu

1336 1337

Vgl. unter anderen FLEINER 1916/1941: 162. Kritik von KELSEN 1913:215. Grundlegend ist auch hier MAYER 1888: 37 ff.; ähnlich JELLINEK 1892: 193 ff., der allerdings den Staatsdienst vertraglich konstruiert.

1338

R G Z 5 3 , 1 8 7 ; FLEINER 1 9 1 3 : 1 3 5 f . ; v g l . a u c h A P E L T 1 9 2 0 : 1 2 5 .

1339

Zitiert b e i FLEINER 1913: 182 Fn. 28.

324

einem - von der Rechtsordnung recht unbestimmt belassen - Verhalten bringen konnte, führte jedoch nicht zu weitergehenden Zweifeln an der grundsätzlichen Zulässigkeit. Vielmehr galt es nach Fleiner, das öffentliche Interesse zu wahren, und zwar indem der Verfügungsweg beschritten werden sollte, wenn die vertragliche Vorgehensweise nicht zum Ziel führe. Denn der Vertrag möge zwar dazu dienen, „technische Schwierigkeiten oder besondere Umständlichkeiten des Verfahrens" zu überwinden, darüber hinaus aber müsse er hinter die Verfügung zurücktreten.1340 Theoretische und empirische Kritik Während also der privatrechtliche Vertrag in der Tradition von Otto Mayer und in abgeschwächter Form auch bei Fleiner seine verwaltungsrechtliche Entsprechung primär in der mitwirkungsbedürftigen Verfügung fand, stellte ihm Laband den Vertrag auf Unterwerfung gegenüber. Beide Variationen, aus welchen zugleich die Abgrenzung der kooperierenden von der befehlenden Verwaltung innerhalb des öffentlichen Rechtes resultierte, erlangten allerdings keine nachhaltige Stabilität in den Verschlaufungen von Lehre und Gerichtspraxis, von Theorie und Dogmatik,' 341 vielmehr erwuchs ihnen in der intensivierten Debatte ab den Zwanzigerjahren grundsätzliche Kritik aus zwei Richtungen, aus einer theoretischen und einer empirischen: -

Wie erwähnt1342 kritisierte bereits Kelsen an beiden Theorien, dass die Überordnung des Staats gegenüber dem Privaten in verwaltungsrechtlichen Verträgen und analogen Verfügungsformen auf eine fehlgeleitete Vermengung des Staats als Rechtsautorität und des Staats als Rechtssubjekt zurückzuführen sei. Dieses hierarchische Verständnis der Beziehungen von Staat und Privaten, und damit auch die Scheidung in privates und öffentliches Recht, sei dann mit der Idee des Rechtsstaates unvereinbar, wenn die privilegierte Situation der Staatsverwaltung durch diese Vermengung gewonnen werde, also dadurch, dass der Staat „... seine Gewalt anders denn als Inhalt von Rechtspflichten oder Berechtigungen und

FLEINER 1913: 203. In seiner detaillierten rechtssoziologischen Schrift von 1925 erkannte Buddeberg, dass ähnliche Mechanismen auch im Wirtschaftsleben emergierten, womit er diese beiden analogen Erscheinungsformen funktional trennte in jene Verträge, mit welchen die Parteien durch wirtschaftliche Macht geformt wurden und jene Verträge, mit welchen die Parteien durch politische Macht geformt wurden: BUDDEBERG 1925: 157 ff. 1341

So auch BUDDEBERG 1925: 89; zu den Möglichkeitsbedingungen einer stabilen Dogmatik vergleiche insbesondere die Evolution der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit jener v o n Frankreich: o b e n K a p . I I I . B . 3 : 2 1 6 u n d K a p . III.C.4: 2 8 0 .

1342

Oben Kap. III.C.4.c): 288.

325

nicht als Rechts-, sondern als Machtsubjekt ausüben kann ,..". 1343 Wenn also die Staatsverwaltung sich im Sinne der Rechtsstaatsidee derart dem Recht unterwerfen würde, dass sie die Rechtsautorität des Staats nicht mehr in ihre Position als Rechtssubjekt übertragen könnte, würde sich die Trennung in Privatrecht und öffentliches Recht und damit auch der Streit um den verwaltungsrechtlichen Vertrag massgeblich relativieren wenn nicht sogar erübrigen.1344 -

Buddeberg schloss sich an die Kritik Kelsens bezüglich Vermischung von Rechtsautorität und Rechtssubjektstatus an und ergänzte zugleich seine soziologisch geprägte Untersuchung mit einer weiteren gewichtigen Kritik: Der von Mayer angeführte privatrechtlich geprägte Vertragsbegriff entspreche vor dem Hintergrund neuer Erscheinungen wie dem Tarifvertrag nicht mehr der Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts. Der Vertrag sei nun vielmehr, so Buddeberg, Ausdruck eines Rechtskollektivs.1345 Damit schloss Buddeberg direkt an das Vertrags Verständnis von Laband an,1346 der den Vertrag auf Unterwerfung wie erwähnt als Ausdruck einer spezifischen Verbindung von staatlicher Autorität mit privaten Ressourcen verstand. Diese Art von Vertrag müsse, so die Forderung, zu einem durch die jeweilige Verbindung geprägten und vom privatrechtlichen Vertrag zu unterscheidendem Recht finden.1347 Nach Laband und Buddeberg unterschied sich also der privatrechtliche vom öffentlichrechtlichen Vertrag primär dadurch, dass im Privatrecht mit Vertrag ein wirtschaftliches Kollektiv entsteht und hierdurch mit passendem Recht die wirtschaftlichen Persönlichkeiten geformt werden, während mit dem öffentlichen Vertrag innerhalb des als Verband verstandenen Staats ein in dem Sinne politisches Kollektiv entsteht, in welchem die Vertragspartner dem Zweck dieses politischen Kollektivs unterworfen werden und als politische Personen durch diesen Vertrag, respektive durch das passende Recht, geformt werden. Buddeberg fiel aber letztlich - im Gegensatz zur stringenten Argumentation Kelsens - wieder in die alte Trennung von staatlicher souveräner Rechtsmacht und wirtschaftlich verstandener Gleichgeordnetheit zurück: Kennzeichnend für den öffentlichen Vertrag sei, dass der Staat mit seiner Kollektivmacht den Vertragsinhalt und damit auch die Parteien

1343 1344

KELSEN 1913: 218 f.; siehe oben bei Fn. 1187: 290. In diese Richtung ging auch DARMSTAEDTER 1930.

1345

BUDDEBERG 1 9 2 5 : 104 f f .

1346

Buddeberg distanzierte sich allerdings von Laband, der fiir den Vertrag eine Gleichordnung voraussetze: BUDDEBERG 1925: 105 bei Fn. 50. An der verwiesenen Stelle lehnte Laband allerdings eine Gleichordnung als Voraussetzung des Vertrags gerade ab. Ganz im Sinne von Buddeberg sprach er von der Voraussetzung, die Vertragspartner in einer „Rechtsgemeinschaft" zusammenfassen zu können: LABAND 1910: 366. Zu Labands Vertragsverständnis siehe oben Kap. III.C.5.c): 301.

1347

326

forme. Und auch in der konkreten Detailregelung des verwaltungsrechtlichen Vertrags dominierte dann gemäss Buddeberg wieder die Macht des Staats, während die Willenskundgebung des Privaten sich (wie bereits anlässlich des französischen contrat administratif festgestellt) primär darauf beschränkte, die Seele sozusagen dem Teufel zu verkaufen, d. h. seine Person der einseitigen Gestaltung durch den Staat auszuliefern.1348 Funktionale Methode und verwaltungsrechtlicher

Vertrag

Im Gegensatz zu einer rechtlichen Erfassung der kooperierenden Verwaltung unter Anleitung der Souveränitätslehre setzte insbesondere Apelt in seiner Monografie von 1920 auf eine funktionale Methode. Ausgangspunkt war ihm das Bedürfiiis der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung nach Rechtsformen, die Kooperationen zu erfassen vermögen. 1349Derartige gemeinsame Unternehmungen könnten, so Apelt, einmal durch organisatorischen Zusammenschluss unter Anleitung des Gesetzes erfolgen. Zudem aber ... „... gibt [es] zahlreiche Fälle, in denen die Verhältnisse einer solchen tiefeinschneidenden Massnahme, welche die Selbständigkeit der Beteiligten anrührt, widerstreben, sei es dass die Bedeutung der Aufgabe hierzu nicht gross genug ist, sei es dass die rechtliche Ordnung der Dinge möglichst beweglich erhalten bleiben muss ,.." 1350 Die Verwaltung bedürfe also, so Apelt, der Rechtsform des öffentlichrechtlichen Vertrags, um einerseits kleinere Projekte unter Einbindung von Privaten durchzufuhren und um andererseits einen beweglichen Rahmen zur Ausübung ihrer wohlfahrtsstaatlichen und stetig wandelnden Aufgaben zu erhalten. Entsprechend leitete

1349

1350

BUDDEBERG 1925: v. a. 153 ff. Zu dieser Struktur des verwaltungsrechtlichen Vertrags siehe bereits die Ausfuhrungen zum französischen Recht, oben Kap. III.B.4.c): 248 „Neben diesen Fällen, in denen der Rechtssatz selbst die Vertragsform zur Ordnung des Tatbestandes zulässt oder ausdrücklich empfiehlt, hat die Verwaltung in ihrem Bedürfnis nach beweglichen, anpassungsfähigen Rechtsformen sich ihrer in immer steigendem Masse auch dann bedient, wenn sie vor Aufgaben stand, deren Lösung der Gesetzgeber ihrer formenschaffenden Kraft noch schweigend überlassen hat. Denn je weiter sich in neuester Zeit der Aufgabenkreis der öffentlichen Verwaltung ausdehnte, und je mehr mit den technischen Fortschritten der Epoche die Bewältigung dieser Aufgaben die Kraft der einzelnen, unter einer Verwaltungsorganisation zusammengeschlossenen autonomen Körperschaften und sonstigen Gemeinschaften überstieg, um so zwingender wuchs für sie die Notwendigkeit empor, mit anderen Organisationen gleicher oder ähnlicher Natur gemeinsam zu handeln. Dazu bedarf es vor allem einer Rechtsform, die der gemeinsamen Unternehmung die sichere Rechtsgrundlage schafft.": APELT 1920: 7. APELT 1 9 2 0 : 7 f.

327

Apelt die Fähigkeit der Verwaltung zum Vertragsschluss zunächst nicht von einer expliziten Grundlage ab, sondern - in maiore minus - aus ihrer Zuständigkeit zur Erzeugung hoheitlicher Rechtswirkungen.1351 Doch wie bereits erwähnt kam Apelt nicht darum herum, seine Lehre durch eine Referenz auf das dispositive öffentliche Recht mit dem herrschenden Positivismus in Übereinstimmung zu bringen.1352 Mit Blick auf diese neuartige Staatsverwaltung lehnte Apelt denn auch die Konstitution des Verwaltungsrechts respektive dessen Abgrenzung vom Privatrecht aufgrund des Bestehens hoheitlicher Befugnisse ab. Gerade in einer Zeit, in welcher die Verwaltung auf die Zusammenarbeit mit Privaten angewiesen sei und damit ein direkter Machtspruch ausgeschaltet sei, und gerade für die Frage nach der Rechtsnatur eines Vertrags vermöge diese Theorie nicht weiterzuhelfen. Vielmehr komme es für die Frage der Rechtsnatur nicht direkt auf die Bedürfnisse der Verwaltung an, sondern auf das 'juristische Wesen', den 'juristischen Inhalt' des Rechtsverhältnisses.1353 Das objektive, genuin rechtseigene Element der Abgrenzung fand Apelt in der Ausrichtung der Verwaltung auf öffentliche Interessen, die - in Vollendung autopoietischer Selbstbezüglichkeit des funktional ausgerichteten Verwaltungsrechts - zu ihrer Verwirklichung auf öffentliches Recht angewiesen seien, was zur Zuweisung zum öffentlichen Recht führe. 1354 Konkret sei ein Vertrag dann dem öffentlichen Recht zuzuweisen, wenn der geregelte Tatbestand über den privaten Interessenkreis hinausreiche und an ihm das - durch die Verwaltung verkörperte Allgemeinwohl unmittelbar beteiligt sei.1355 Mit Blick auf die derart rechtsintern konstruierten öffentlichen Interessen qualifizierte Apelt zahlreiche Kooperationen als öffentlichrechtliche Verträge, darunter Infrastrukturverträge für Gas, Wasser und ähnliches, baurechtliche und wegerechtliche Verträge im Zusammenhang mit öffentlichen Infrastrukturprojekten wie etwa dem Bau von Strassen, Expropriationsverträge, Fürsogeerziehungsverträge mit Pflegeeltern oder kriegsrechtliche Verträge. Beamtenbestellung und Konzession ordnete er dagegen als mitwirkungsbedürftige Verfügungen ein, wobei hier allerdings zusätzliche Abmachungen wieder als verwaltungsrechtliche Verträge erscheinen.1356

1351

APELT 1 9 2 0 : 1 0 7 f.

1352

APELT 1920: 14 ff.; BURCKHARDT 1924: 1 ff.; später k n ü p f t daran an: STERN 1958: 137 ff.

Zum gleichen Resultat kam Buddeberg auf anderem Weg: Er sah den Vertrag direkt als Ausdruck der Kollektivität der Menschen: BUDDEBERG 1925: 85. 1353

APELT 1 9 2 0 : 1 2 4 ff.

1354

APELT 1920: 129 ff., vor allem 139.

1355

APELT 1 9 2 0 : 5 3 .

1356

APELT 1 9 2 0 : 1 3 4 ff.

328

Mit dieser funktionalen Ausrichtung auf - notabene nach rechtlichen und nicht politisch zu interpretierenden - öffentliche Interessen vermochte Apelt das Verwaltungsrecht vom grössten Hindernis in der Konstruktion adäquater Rechtsformen für die moderne wohlfahrtsstaatliche Verwaltung zu befreien: einer rigide hierarchisch verstandenen Souveränitätstheorie. Das Verwaltungsrecht war in diesem Entwurf von den grössten politischen Pressionen gelöst1357 und zugleich über die rechts- und gerichtseigene Interpretation der öffentlichen Interessen strukturell auf die Politik ausgerichtet worden. Die Konstruktion des Vertrags zwischen Staat und Privaten wurde damit im Verwaltungsrecht freigegeben, aber auch ganz auf die Staatsverwaltung ausgerichtet.1358 Interessanterweise verschwand das aus der Abgrenzung zum Zivilrecht herausgelöste Herrschaftselement der Souveränitätstheorie nicht einfach, sondern es wurde zum internen Abgrenzungselement zwischen öffentlichrechtlichen Verträgen und Verfugungen: „[Bei einem Verwaltungsakt auf Antrag] kann das innere Verhältnis, das aus ihnen [den Parteierklärungen] hervorgeht, ... nicht das des Vertrags sein, da die beiden Erklärungen sich nicht auf dem Boden der Gleichberechtigung begegnen, sondern voll unter der Wirkung der Überordnung der staatlichen Macht über den mit Anträgen an sie herantretenden Gewaltunterworfenen stehen."1359 Mit dieser markanten Ausrichtung des verwaltungsrechtlichen Vertrags auf die öffentlichen Interessen konnte sich Apelt freilich nicht vom soeben erwähnten grundlegenden Vorwurf Kelsens an die herrschende Staats- und Verwaltungsrechtslehre befreien, dass sich die Staatsverwaltung der Rechtsautorität bemächtige und im verwaltungsrechtlichen Vertrag für ihre Zwecke umforme, womit ein Ungleichgewicht von hoheitlicher, d. h. mit Rechtsautorität auftretender Verwaltung und Privaten entstehe, die dem Vertrag völlig fremd sei.1360 Dennoch: Die Leistung Apelts und Buddebergs, an welche nach dem Zweiten Weltkrieg die erfolgreiche Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags anschliessen konnte, liegt zunächst auch darin, in aller Deutlichkeit das interventionistische und proaktive

1358

Siehe auch die Ausfuhrungen zum französischen Verwaltungsrecht: oben Kap. III.B.3.d): 226 und III.B.3.e): 230. Bereits für das französische Verwaltungsrecht konnte festgestellt werden, dass der verwaltungsrechtliche Vertrag da zu erscheinen vermochte, wo sich - neben anderen Voraussetzungen - das Verwaltungsrecht von der Souveränitätstheorie löste und eine funktionale und zugleich selbstbezügliche Komponente erhielt: oben Kap. III.B: 207.

1359

APELT 1 9 2 0 :

1360

Ähnlich auch BUDDEBERG 1925: 104.

103.

329

Wesen der modernen Verwaltung erkannt, thematisiert und auf die kooperierende Verwaltung angewandt zu haben.1361 Die daraus folgende notwendige Ablösung der Verwaltung von der Legitimationsform der eng verstandenen Gesetzesbindung kompensierten beide - wie bereits im französischen Verwaltungsrecht deutlich wurde1362 - mit der Vertragsform, mit welcher die Machtunterworfenen die Machtausübung bis zu einem gewissen Grad beeinflussen und vor allem mit ihren Bedürfnissen kompatibilisieren können. Komplementiert wurde diese Legitimationsform durch die Absicherung der Kooperationen durch unabhängige Gerichte. Dass sich die Gerichte dabei ebenfalls von der Gesetzesbindung distanzieren und auf das Ermessen eingehen müssen, wird - wie sich im Rückblick zeigt - von einer markanten Zunahme des Begründungszwangs begleitet. Denn in gewisser Weise wurden damit die Gerichte - wie sich in besonderer Weise bereits in der Stellung des Conseil d'Etat gezeigt hatte1363 - zu einer beratenden kollegialen Körperschaft neben der Verwaltung. Die Abweichung der einen Körperschaft, hier den Gerichten, von der anderen Körperschaft, hier der Verwaltung, lässt sich somit nicht mehr durch Hierarchie, sondern durch Argumentations- und Begründungsverschlaufungen lösen.1364 D.

Politisches Primat im schweizerischen Bundesstaat und dessen hemmender Einfluss auf die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags

1.

Späte Konstituierung

des Verwaltungsrechts

Fehlender

in der Schweiz

Verwaltungsrechtsdiskurs

Während in Frankreich in Wechselbeziehung zwischen Gerichten und Rechtswissenschaft im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts unter dem Eindruck neuartiger

1361

V g l . z . B . STERN 1 9 5 8 : 1 1 7 u n d 1 1 8 f.

1362

Oben Kap. III.B.2: 210 und Kap. III.B.3.e): 230. Oben Kap. III.B.3: 216. Vgl. bereits WEBER 1921-1922/1980: 159 f. Zum Ganzen auch jüngst HOCKS 2002, nach welchem die Begründungspflicht eng mit der Gesetzesbindung der Gerichte zusammenhängt, denn anhand der Begründung kann die Gesetzeskonformität der Entscheidung besser überprüft werden, womit die Gerichte die Last des Entscheidens in gewisser Weise auf den Gesetzgeber zurückschieben können. In diesem Sinn löst die Überprüfung des Verwaltungsermessens eine Begründungspflicht auf höherer Stufe aus. Eine andere Position liesse sich erarbeiten im Anschluss an COVER 1983: Die Legitimation durch Gesetz wird in dieser Sicht abgelöst durch eine diskursive Legitimation, die sich auf die Aktualisierung der konkreten Wertegemeinschaft richtet.

1363 1364

330

Verwaltungsaufgaben eine eigentliche Theorie und Dogmatik des contrat d'Etat entstand und während zugleich in Deutschland die Verwaltungsrechtswissenschaft unter Ablösung und Abgrenzung vom vorangehenden Polizeistaat das Verwaltungsrecht konstituierte und dabei auch Bedingungen und Möglichkeiten des Vertrags zwischen Staat und Privaten am Thema des Staatsdienstes eingehend thematisierte, lässt sich für die Schweiz zur Zeit der Jahrhundertwende kaum ein eigentlicher wissenschaftlicher Diskurs des Verwaltungsrechts erkennen, geschweige denn eine Diskussion um den Verwaltungsvertrag, und auch aus der Gerichtspraxis des Bundesgerichts lassen sich für jene Zeit kaum je konsistente Tendenzen im Bezug auf die Rechtsformen der kooperierenden Verwaltung erkennen.1365 So musste noch Zaccaria Giacometti (1893-1970) in seinem Plädoyer für die endgültige Ablösung der Fiskustheorie aus dem Jahr 1924 - um eine allgemeine Tendenz der bundesgerichtlichen Rechtsprechung feststellen zu können - zahlreiche Entscheide als „opportunistisch" und damit als für die zukunftsgerichtete Rechtslehre irrelevant kennzeichnen.1366 Und auch Imboden (1915-1969) hob in seiner bedeutenden Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags von 1958 wohlweislich zur Interpretation der bundesgerichtlichen Rechtsprechung weit nach der Jahrhundertwende an.1367 Damit soll nicht behauptet werden, weder die schweizerische Lehre noch die Rechtsprechung hätten sich je mit den Angelegenheiten der kooperativen Verwaltung befasst. Oben wurde bereits erläutert, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die schweizerischen Lehre und Rechtsprechung je nach politischen Kontextanforderungen früher (vor allem in der höchst politischen Frage der Eisenbahnkonzessionen) oder später (betreffend rechtlicher Stabilisierung des Staatsdienstes) die kooperierende Verwaltung über die fiskalischen Auswirkungen hinaus öffentlichrechtlich zu erfassen suchte.1368 Aber doch vermochte sich die schweizerische LehreU69 zunächst nicht mit der Abgrenzung des Verwaltungsrechts zu anderen Disziplinen einerseits und mit den Leitprinzipien eines Rechts der Verwaltung andererseits in kontinuierlicher und vor allem systematischer Weise1370

1365

Vgl. bereits Kap. II.C.3.b): 161.

1366

GIACOMETTI 1 9 2 4 : 2 1 .

1367

IMBODEN 1958: 33 ff. Dass sich Imboden durchaus ftir die Zeit der Jahrhundertwende interessierte, zeigt sich am Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbarkeit: IMBODEN 1947: 1 la ff. Kap. II.C.3.b): 161. Diese baute notabene auf den pragmatischen Schriften etwa von MEILI 1888 und OSCAR

1368 1369

SEILER 1 8 8 8 auf; o b e n bei Fn. 1294: 3 1 5 . 1370

Systematisch in diesem Sinn bedeutet vor allem systembildend.

331

auseinanderzusetzen - im Gegensatz zur deutschen Lehre unter Leitung von Gerber und Mayer. Dies lag wohl zunächst daran, dass sich die Lehre infolge der Verfassungen von 1848 und 1874 vorerst weitgehend auf das grosse neue Projekt des Bundesstaatsrechts und der Bundesverfassung ausrichtete.1371 Und gerade infolge der föderalistischen Struktur des Bundesstaates lagen die zentralen verwaltungsrechtlichen Themen wie Armenwesen, Steuern, Polizei und Strassenwesen in den Kompetenzen der Kantone, was zu einer weiteren Aufsplitterung jener akademischen Kräfte führte, die sich für die rechtlichen Angelegenheiten der Verwaltung interessierten.1372 Ferner fällt auf, dass die punktuell entstandenen rechtswissenschaftlichen Diskussionen zur Verwaltung eher lose nebeneinander standen und sich gerade dort zu etablieren und auf gewisse Dauer zu halten vermochten, wo politische Grossthemen das Recht berührten, wie sich insbesondere an den Themen der Eisenbahnkonzession und der Verwaltungsgerichtsbarkeit zeigt.1373 Diese Debatten, zu welchen sich die Wissenschaft 1374 und auch die Gerichte1375 zu äussern hatten, richteten sich allerdings nicht am sachlichen Bedürfnis nach einem einheitlichen Recht der modernen Staatsverwaltung aus, sondern sie liefen vielmehr unter politischem Primat und führten zu entsprechend politisch angeleiteten Lösungen, worauf denn auch Giacomettis soeben erwähnte, eher abschätzige Bemerkung zur 'opportunistischen' Rechtsprechung des Bundesgerichts hinweist.

1372 1373

Vgl. z. B. BLUMER/MOREL 1877-87, der sich immerhin in Band II: 71 ff. zur Eisenbahnkonzession äusserte. In diesem Sinne auch VOGT 1897: 826. Zur rechtlichen Seite der Debatte der Eisenbahnkonzession siehe u. a. VOGT 1859, RÜTTIMANN

1870,

CARRARD/HEUSLER/HILTY

1877,

MEILI

1888,

OSCAR

SEILER

1888,

HUBER/LABAND 1900. Zur Verwaltungsgerichtsbarkeit siehe u. a. bereits PAUL SPEISER 1 8 8 9 a ; b ; VERHANDLUNGEN DES SCHWEIZERISCHEN JURISTENVEREINS 1374 1375

332

1889; VOGT

1890;

1897. Unten Kap. III.D.3: 354. Die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit lief in gewisser Weise - wenn auch nicht exakt zeitgleich - parallel zur Ablösung der Fiskustheorie: hierzu unten Kap. III.D.2: 333, vor allem 348 ff.

Keine Ausdifferenzierung

des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

Erst mit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts, unter verstärktem Einfluss der deutschen Lehre1376 und vor allem in der Folge der unter grossem Einsatz der Rechtswissenschaft geführten Debatte um die Verwaltungsgerichtsbarkeit,1377 begannen sich die Kommunikationen von Rechtswissenschaften und Gerichten zu verschlauften und zu einem stabilen Diskurs zu verdichteten, der sich auch mit der Frage auseinandersetzte, welche Rechtsformen die kooperierende moderne Verwaltung erforderte. Eine Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags zwischen Staat und Privaten vermochte sich allerdings, wie zu zeigen sein wird, in der Schweiz vor dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr auszubilden. Damit stellt sich die Frage, wieso sich die schweizerischen Gerichte und Rechtswissenschaften mit der Form des verwaltungsrechtlichen Vertrags derart schwer taten und welche Äquivalente die Funktionen des verwaltungsrechtlichen Vertrags übernahmen - denn an entsprechenden Irritationen fehlte es, wie bereits im Allgemeinen dargelegt wurde 1378 und worauf im Detail zurückzukommen sein wird,1379 nicht: Die moderne Verwaltung suchte ihre Aufgabe, die immer komplexer werdende Gesamtgesellschaft zu integrieren, durch zunehmende Interventionen in alle Bereiche der Gesellschaft und letztlich auch mit Kooperationen zu lösen. Die Möglichkeitsbedingungen des Verwaltungsvertrags sind in der Folge im angetönten konstitutionellen Arrangement jener Zeit und dabei insbesondere in der späten Einfuhrung einer spezifisch schweizerischen Ausrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu finden (nachfolgend Kap. III.D.2: 333), was entsprechend auf Rechtsprechung und Lehre ausstrahlte und bis heute nachwirkt (nachfolgend Kap. III.D.3: 354 und Kap. III.D.4: 361). 2.

Kontrolle

der Verwaltung im jungen

Bundesstaat

a)

Irritationen durch die interventionistische Verwaltung

Die zu Beginn des 20. Jahrhundert zunehmend interventionistische Verwaltung, mit welcher die Politik ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung trotz einer sich

Massgeblich ist freilich Fleiner. Programmatisch war dessen Antrittsvorlesung an der Universität Zürich zur Entstehung und Wandlung modemer Staatstheorien in der Schweiz: FLEINER 1 9 1 6 . 1377

Siehe unter anderen, mit vereinzelten

Bezügen zum verwaltungsrechtlichen

FLEINER 1 9 1 6 ; 1 9 1 6 / 1 9 4 1 ; 1 9 2 1 ; B U R C K H A R D T 1 9 2 4 u n d GIACOMETTI 1378

Oben Kap. I1I.A.2: 198.

1379

Sogleich Kap. IIl.D.2.a): 333.

Vertrag:

1924.

333

radikalisierenden Komplexität ebendieser Gesellschaft letztlich auch in Kooperationen mit Privaten aufrecht zu erhalten suchte, sorgte in der schweizerischen Politik, der Rechtswissenschaft und stellenweise auch bei den Gerichten für nachhaltige Irritationen: -

Zum Ersten unterstand das sich vervielfachende Beamtenheer niedriger Chargen in den Kantonen und vor allem im Bund im Grossen und Ganzen einer befehlsförmigen Regelung, die sie willkürlicher Disziplinarregelungen aussetzte und ihre fiskalischen Interessen immer weniger mit einer unabhängigen Gerichtsbarkeit schützte.1380

-

Zum Zweiten erforderten die grossen Infrastrukturprojekte regelmässig die gleichberechtigte Mitwirkung der Privatwirtschaft, deren Interessen jedoch auf lange Sicht infolge der zunehmenden Politisierung der Konzessionsverhältnisse und der zunehmenden Verstaatlichung von Infrastrukturleistungen nicht gewahrt schienen.1381

-

Und - zum Dritten - stellte sich mit der Schaffung von öffentlichrechtlichen Anstalten zur Verwaltung moderner Infrastruktur vermehrt die Frage, worin sich die Beziehung von öffentlicher Anstalt zu deren Benutzern von der Beziehung eines privaten Leistungserbringers zu dessen Kunden unterscheide.1382

Trotz diesen stetigen Irritationen vermochte, wie zu zeigen sein wird, keine konsistente Dogmatik zur kooperierenden Verwaltung in Wechselwirkung zwischen Gerichtsbarkeit und Lehre zu entstehen. Für das französische und in gewissem Mass auch für das deutsche Recht konnte gezeigt werden, dass die Emergenz einer stabilen Dogmatik und damit verknüpft auch die Emergenz der Figur des verwaltungsrechtlichen Vertrags eng mit der Institutionalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits und der Umformung der Lehre der Gesetzesbindung andererseits zusammenhing. In der Tat fällt für die Schweiz ins Auge, dass mit den soeben erwähnten neuartigen Fragen die Gerichte nur punktuell beschäftigt waren,

1381

Dazu explizit die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes, vom 20. Dezember 1911, BB1. 1911 V 322, 325; siehe ferner die zunehmenden Bundesgerichtsurteile zum Staatsdienst: vgl. Fn. 713: 169. Vgl. denn auch die Stossrichtung der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes, vom 20. Dezember 1911, BB1. 1911 V 322, 341: vor allem Streitigkeiten zwischen Verwaltung und Eisenbahngesellschaften sollten dem Verwaltungsgericht unterstellt werden. Von diesem zentralen Streitgegenstand zeugen ferner die diversen Guta c h t e n : RÜTTIMANN 1 8 7 0 ; CARRARD/HEUSLER/HILTY 1 8 7 7 ; H U B E R / L A B A N D 1 9 0 0 .

1382

334

Diese Frage stellte sich bereits in BGE 12 463, 472 f. (1886; Bank in Wyl gegen Post).

im Grossen und Ganzen vielmehr mangels Verwaltungsgerichtsbarkeit diese Fälle primär der Verwaltung und letztlich der Regierung zur Beurteilung zugewiesen Vor allem Gustav Vogt (1829-1901) forderte in seiner Schrift zur Bundesrechtspflege der Vereinigten Staaten von 1890 und in seinen Ausfuhrungen zu den Verhandlungen des schweizerischen Juristenvereins im Jahr 1897 mit Nachdruck die Einsetzung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit,'384 und Fleiner folgte ihm hierbei.1385 Bestimmend in der Lehre blieb aber zunächst eher die Forderung nach einer 'sauberen ' Gewaltenteilung, mit welcher die Verwaltung vom Einfluss der Zivilgerichte insbesondere infolge der Fiskustheorie befreit werden sollte. So fasste denn etwa Speiser, Berichterstatter an den Verhandlungen des Schweizerischen Juristenvereins im Jahr 1889, seine Forderungen folgendermassen zusammen: „Für die Ausscheidung der Competenz der Verwaltung und der Justiz genügt nicht der Satz, dass alle Rechtsfragen durch die Justiz zu entscheiden sind; auch die Verwaltung hat Streitigkeiten nach Recht zu entscheiden und kann diess ... Gegen die Entscheidung der Verwaltungsstreitigkeiten durch die Civilgerichte bestehen erhebliche Bedenken .. ," 1386 Tatsächlich Hess die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit - parallel zur Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags - in der Schweiz länger als in Deutschland oder Frankreich auf sich warten. Nachdem als erste Kantone BaselStadt 1905 und Bern 1909 die Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt hatten, wurde zwar mit der Volksabstimmung vom 23. Dezember 1914 eine verfassungsrechtliche Basis für eine bundesrechtliche Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen, 1387 diese aber erst mit dem Bundesgesetz über die Verwaltungs- und Disziplinarrechtspflege vom 11. Juni 1928, in Kraft gesetzt auf 1. März 1929, verwirklicht.1388 In Anbetracht der zögerlichen Emergenz von Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verwaltungsrechtslehre und mit dem Hintergrund der erfolgreichen bürgerlichen Revolution von 1848 stellen sich folglich die Fragen nach den Kontextbedingungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits und den Rechtsformen zur kooperierenden Verwaltung andererseits in einem anderen Rahmen als für die Nachbarländer

1383

Typisch in dieser Beziehung ist BGE 24 939, 941 f. ( 1898; Lehrstelle am Töchterinstitut).

1384

VOGT 1 8 9 0 ;

1385

Vgl. vor allem Fleiners zweiten Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Errichtung eines Eidgenössischen Verwaltungsgerichtes von 1907: FLEINER 1907.

1897.

1386

P A U L SPEISER 1 8 8 9 b : 5 6 1 .

1387

Art. 114 BV 1874. AS 44, 779.

1388

335

Frankreich und Deutschland. Insbesondere ist das Augenmerk auch auf funktionale Äquivalente dieser Institutionen zu richten. Zunächst ist auf die erwähnten Kontextbedingungen und sodann auf die funktionalen Äquivalente genauer einzugehen. b)

Politische Kontextbedingungen: Die politisch verfasste Einheit in der Vielzahl Abneigung gegen eine gerichtliche Kontrolle der Verwaltung

Die gegenüber Frankreich und Deutschland verzögerte Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Schweiz und die Verbindungen zur späten Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags standen zwar auch mit der bereits erwähnten späten Ausbildung eines eigenen Verwaltungsrechts in der Schweiz in enger Wechselwirkung. Von zentraler Bedeutung waren in dieser Hinsicht aber vor allem die Kontextbedingungen der Politik jener Zeit infolge der (in Europa einzigen) siegreichen bürgerlichen Revolution von 1847/1848. Es wurde oben bereits darauf aufmerksam gemacht, dass infolge der französischen Besatzung und der entsprechend aufgezwungenen oder zumindest beeinflussten Institutionenbildung die Abneigung aus der Zeit des Ancien Régime gegen gerichtliche Kontrollen der Verwaltung gestärkt und mit der Theorie der Gewaltenteilung neu legitimiert worden war,1389 ohne dass sich freilich eine Instanz wie der französische Conseil d'Etat hätte in einem evolutionären Prozess zu einem relativ unabhängigen Verwaltungsgericht ausbilden können. 1390 Diese schweizerische Skepsis gegenüber einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltung lässt sich über die Zeit der Regeneration und der Gründung des Bundesstaates, als die Verwaltung mehr durch politische Prozesse als durch Gerichtsbarkeiten kontrolliert werden sollte, bis hin zur zögerlichen Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bund verfolgen, wobei primär ein Machtverlust der politischen Instanzen, vor allem der zumeist vom Volk gewählten Regierung, gegenüber den eigenständigeren und auf längere Dauer politisch weniger kontrollierbaren Gerichten befürchtet wurde.1391 Die in der Regenerationszeit und sodann im frühen Bundesstaat primär von der deutschen Rechtswissenschaft übernommene Fiskustheorie überantwortete zwar den ordentlichen Gerichten eine beschränkte Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung. Diese ging aber auch nur soweit, als es die Harmonisie-

1389 1390 1391

336

Vgl. auch KÖLZ 2004: 852. Hierzu Kap. I.D.4: 61. Dies zeigt sich noch ganz deutlich in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes, vom 20. Dezember 1911, BB1. 1 9 1 1 V 322.

rung einer - freilich pekuniär orientierten - Marktteilnahme mit der politischen Rationalität erforderte. Konzeption des

Bundesstaats

Die Konzeption des Bundesstaats von 1848 und der erneuerten Bundesverfassung von 1874 schloss an der aus der Helvetik ererbten Skepsis gegenüber gerichtlichen Eingriffen in politische Prozesse an und stand darüber hinaus auch konzeptionell einer Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit entgegen. Mit der erfolgreichen bürgerlichen Revolution von 1847/48 und dem Sieg über die konservativen Kantone wurde die Institutionenbildung des Bundesstaates durch die Vereinigung der demokratischen und der liberalen Bewegung dominiert.1392 Trotz rhetorischer Zugeständnisse an die konservativen Kantone in Verfassung und Staatsideologie1393, bestimmten die Bürgerlichen den Aufbau der neuen politischen Institutionen, insbesondere auch jener der Verwaltung.1394 Somit ging es mit der Bundesstaatsgründung nicht wie in Deutschland um eine Ausbalancierung der Macht, sondern darum, die bürgerlich-liberale Herrschaft im souveränen Nationalstaat auf Dauer zu stellen und in einem Selbstbeschränkungsprozess der bürgerlich dominierten Politik das liberal-bürgerliche Gesellschaftssystem zu konstituieren. Die Verfassung des jungen Bundesstaates war in weitgehender Absenz wissenschaftlicher Vertreter und in pragmatischer Weise in kurzer Zeit erstellt worden.1395 Ein Teil des theoretischen Fundaments erhielt die Bundesverfassung ex post im auf die Verfassungsgebung folgenden wissenschaftlichen Diskurs, wobei die repräsentative theoretische Konzeption des liberalen Republikaners, Bundesrats und Staatsrechtlers Jakob Dubs (1822-1879) als Beispiel angeführt werden kann:1396 Dubs veröffentlichte sein Öffentliches Recht von 1877/78, als die Idee des demokratischen und liberalen Bundesstaates in der Schweiz bereits verwirklicht war und auf festerem Boden stand. Vor diesem Hintergrund schrieb Dubs, dass die staatliche Tätigkeit und Macht theoretisch unbeschränkt sei, man also „von keinem Lebensgebiete sagen könne, dass es dem Staate verschlossen bleiben müsse". Darüber hinaus aber sei es die Aufgabe der vernünftigen Politik, „die Einhaltung von Mass und Ziel und eines gewissen Gleichgewichts" zu verwirklichen.1397 Diese weitge1392 1393

1394 1395 1396 1397

Hierzu unter vielen FLEINER 1929/1941: 235; zum Ganzen auch KÖLZ 1992: 573 f. Zu den Beratungen im Rahmen der Gestaltung der ersten Bundesverfassung vgl. KÖLZ 1992: 575 und 578. KÖLZ 1992: 547 ff. Zu den Hintergründen wiederum KÖLZ 1992: 543 ff. Zu Dubs vgl. die Biografie von ZEHENDER 1880; ferner KÖLZ 2004: 31. DUBS 1 8 7 8 : 16.

337

hende Souveränität des Staats lag für den liberalen Republikaner Dubs allein in der Politik. Der Staat umfasste also mit seinem Anspruch absoluter Souveränität nicht die ganze Gesellschaft, sondern nur einen Teil, womit Dubs die Souveränitätslehre mit der liberalen Konzeption in Übereinstimmung brachte. Diese Beschränkung einer souverän verstanden Politik erfolgte in diesem Konzept jedoch allein als Selbstbeschränkungsprozess der Politik. Ausserhalb der selbstverfassten und selbstbeschränkten Politik konnte sodann die Freiheit der Individualität, die Freiheit anderer gesellschaftlicher Ordnungsbildungen bestehen, die nicht erst durch den Staat hervorgebracht wurden, sondern von Natur aus bestanden; und der Staat beschränkte sich entsprechend in seiner souveränen Macht darauf, in diese von Natur aus bestehende Freiheit einzugreifen. Die Freiheit dieser Bereiche - so Dubs Appell - habe die Politik zu respektieren und das diese Freiheit schützende Recht zu gewährleisten.1398 Im Sinne dieser Konzeption einer sich selbst beschränkenden souveränen Politik ist es nur konsequent, dass Dubs - der notabene sein öffentliches Recht von 1888/78 als bereits erfahrener Staatsmann veröffentlichte 1399 - die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich ablehnte und vielmehr auf die Professionalisierung der Verwaltung und die politische Beteiligung des Volks setzte, um eine vernünftige Selbstbeschränkung herbeizuführen. Es war denn auch insbesondere dieses bei Dubs klar erkennbare politische Primat, das in verschiedener Hinsicht der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit entgegen stand. Dies lässt sich auch daran ablesen, in welcher Weise das Recht primär zur staatlichen und damit politischen Veranstaltung wurde: Besonders deutlich trat der Vorrang des Politischen vor dem Recht im massgeblich von Dubs beeinflussten1400 Art. 113 der Bundesverfassung von 1874 in Erscheinung, nach welchem das Bundesgericht verfassungswidrige Bundesgesetze nicht ausser Kraft setzten konn-

1398 1399 ,40

°

1401

338

DUBS 1878: 151,206. HlS 1939: 2. H i e r z u BURCKHARDT 1 9 1 4 , A r t . 1 1 4 B V : 7 8 6 f f .

Art. 113 BV 1874 lautete folgendermassen: „In allen diesen Fällen [d. h. vor allem der Verfassungsgerichtsbarkeit] sind jedoch die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemein verbindlichen Beschlüsse sowie die von ihr genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht maßgebend." Dieser Vorrang des Politischen äussert sich auch in aller Deutlichkeit in der Grösse und vor allem Menge der Kodifikationswerke jener Zeit selbst im Bereich des Privatrechts.

Aufbau der Bundesverwaltung

und Verhältnis zur gerichtlichen

Kontrolle

Die offensichtliche konzeptionelle Divergenz zwischen einer gerichtlichen Kontrolle der unter politischer Rationalität stehenden Verwaltung und dem erwähnten politischen Selbstbeschränkungsprozess (durch regelmässige Wahlen der Regierung sowie durch die bürgerliche Verfassungsgebung) äusserte sich ferner auch in der Folge des Aufbaus der Bundesverwaltung. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde, selbst als das Stimmvolk bereits die entsprechende Verfassungsgrundlage angenommen hatte, massgeblich von leitenden Beamten und vom Bundesrat ange1402 sichts des drohenden Machtverlusts der Verwaltung verzögert, wobei das lange Festhalten des Bundesgerichts an der Fiskustheorie entgegen den politischen und rechtswissenschaftlichen Stimmungen einen gewissen Ausgleich darstellte.1403 Paradoxerweise war es zugleich jedoch die Überlastung des Bundesrates, infolge des Aufbaus der Bundesverwaltung einerseits und des Machtgewinns der Regierung in einer vermehrt interventionistisch ausgerichteten Verwaltung andererseits, die immer wieder als zentraler Grund für die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit angeführt wurde.' 404 Im Zuge des Aufbaus der Bundesverwaltung übernahm diese unter der Führung des Bundesrates zusehends die Umsetzung der ersten politischen Aufgabe im Bundesstaat, die Einheit der vielfaltigen Nation zu gewährleisten. So wurde zum Beispiel wie bereits erläutert1405 die Eisenbahn als nationales Projekt von wirtschaftlicher, militärischer und gesellschaftlicher Bedeutung erkannt und unter der Führung der Verwaltung zunehmend politisiert - zunächst mit gesetzlichen Vorgaben an Aufbau und Betrieb, und schliesslich durch die - vor allem mit Vertrag umgesetzte - Verstaatlichung. Die Verträge und Vergleiche basierten im Wesentlichen auf Rückkaufsklauseln der in der Vergangenheit abgeschlossenen Konzessionen und wurden den Privaten vor dem Hintergrund eines drohenden Verfahrens vor Bundesbehörden und Bundesgericht angetragen. Angesichts der immensen politischen Bedeu-

D i e s betont auch KÖLZ 2 0 0 4 : 853 ff.

Hieraufist zurückzukommen: unten Kap. III.D.2.c): 340 und Kap. III.D.2.d): 348. Dieses Argument der Überlastung wurde immer wieder auch vom Bundesrat selbst angeführt: Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 4. Juni 1894 betreffend Organisation und Geschäftsgang des Bundesrates, BB1. 1894 II 766, vor allem 797; Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes, vom 20. Dezember 1911, BB1. 1911 V 322. Des Weiteren auch Bundesrichter Leo Weber anlässlich der Verhandlungen des schweizerischen Juristenvereins: VERHANDLUNGEN DES SCHWEIZERISCHEN JURISTENVEREINS 1 8 9 7 : 8 3 6 .

Kap. II.C.3.b): 161.

339

tung und der Komplexität der Sache drängte die Bundesverwaltung jeweils in Zusammenarbeit mit dem Bundesgericht auf eine einvernehmliche Lösung.1406 Diese Vorgehensweise darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesverwaltung in ihrem weitgehend uneingeschränkten Souveränitätsbereich in autoritärer Art und Weise agierte,1407 was sich etwa daran ablesen lässt, dass Burckhardt (notabene selbst ein vehementer Kritiker von Subordinationsverträgen) in seinen Aufzeichnungen zur Staats- und verwaltungsrechtlichen Praxis des Bundesrates von 1903 bis 1930 kaum je von Verträgen zwischen Staat und Privaten berichtete.1408 Das Gleiche gilt für die früheren Aufzeichnungen von Ullmer und von Salis für die Jahre 1848-1864, respektive 1874-1893. 1409 Kurz: Die Zeichen der Zeit standen über die Jahrhundertwende hinaus gerade nicht auf (vertragliche) Kooperation mit Privaten und auf gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns. Darin war diese Situation mit den Problemen des deutschen Konstitutionalismus und den erwähnten Folgen vergleichbar, womit denn auch angedeutet ist, wieso die schwergewichtige Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts durchaus auf die Situation der Schweiz, zumindest auf der Ebene des Bundes, passte.1410 c)

Funktionale Äquivalente zur Verwaltungsgerichtsbarkeit

In der mehr politischen als rechtswissenschaftlichen Debatte um die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde oft angeführt, dass die Verwaltung gänzlich ohne Einschränkung bleibe und Richter in eigener Sache sei. 14 ' 1 Obwohl diese Kritik aufgrund der soeben aufgezeigten konzeptionellen Divergenzen des jungen

1406

V g l . h i e r z u BURCKHARDT/VON SALIS 1 9 3 0 - 1 9 3 2 , B d . 5 : N 3 1 3 0 ff.

1407

Vgl. hierzu auch unten Kap. 1II.D.2.C): 340. Mit Ausnahme der soeben erwähnten Abtretungsverträge mit den Eisenbahngesellschaften und dem Vorschlag, Vereinbarungen im Zuge des Enteignungsverfahrens zuzulassen, um den als immer drückender empfundenen administrativen Aufwand zu verringern: hierzu sogleich Fn. 1448: 350.

1408

1409

ULLMER 1 8 6 2 - 1 8 6 6 ; VON SALIS 1 8 9 1 - 1 8 9 3 .

1410

Vgl. oben Kap. III.C.2: 273 und Kap. III.C.3: 275. Fast jede Botschaft des Bundesrates zu diesem Thema setzte mit diesem Einwand auseinander, so etwa bereits in der Debatte um die Politisierung der zunächst privaten Eisenbahnen: vgl. Botschaft des Bundesrathes vom 16. Juni 1871 zum revidirten Bundesgesetz über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft (BB1. 1871 II 647, 652 f.); des Weiteren die Botschaft des Bundesrates betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes vom 20. Dezember 1911 (BB1. 1911 V 322, 333); Botschaft des Bundesrates vom 27. März 1925 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die eidgenössische Verwaltungs- und Disziplinarrechtspflege, BB1. 1925 II 181, 202; Botschaft des Bundesrates vom 24.September 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde, BB1. 1965 II 1265, 1281.

1411

340

Bundesstaates und der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine gewisse Plausibilität hatte, dürfen die funktionalen Äquivalente der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der politisch ausgerichteten Konzeption des bürgerlich-liberalen Staats nicht unterschlagen werden, die darüber hinaus einen massgeblichen Einfluss auf die Kooperationsform der Verwaltung ausübten. Auf diese funktionalen Äquivalente ist in der Folge genauer einzugehen. Politische

Beteiligung

Wie soeben erwähnt basierte der junge schweizerische Bundesstaat auf einem politischen Primat, das sich jedoch sogleich selbst - vor allem im Prozess der Verfassungsgebung - jene Schranken auferlegte, die für eine selbstorganisierte bürgerliche Gesellschaft konstitutiv waren. Von hervorragender Bedeutung in dieser Selbstbeschränkung des Politischen war die bereits während der liberalen Regenerationszeit in zahlreichen Kantonen institutionalisierte politische Beteiligung des Volkes: Unter Einfluss der rousseauschen Lehre der uneingeschränkten Volkssouveränität, französischer und (mindestens indirekt) amerikanischer Vorbilder sowie in Übereinstimmung mit der reformatorischen Selbstbestimmungs- und Selbstverantwortungsethik stand das Volk als Einheit der Gesetzgebung und zugleich als den Gesetzen unterworfene Multitude im Mittelpunkt. Das Volk sollte institutionell dazu befähigt werden, selbst über die Einhaltung der von ihm erlassenen Gesetze zu wachen - zum Ersten durch entsprechende Kontrollmöglichkeiten des Parlaments als direkte Volksvertretung gegenüber der (notabene nicht in der deutschen Konsequenz als Berufsbeamtentum organisierten)1412 Verwaltung1413, zum Zweiten durch Volksrechte1414 und zum Dritten - mehr in den Kantonen als im Bund durch die regelmässig zu erneuernde Volkswahl der leitenden Beamten und der Regierung1415, die überdies bereits durch die Form der Kollegialbehörde eine Art

1412

FLEINER

1413

So stand nach Art. 74 Ziff. 14 und 15 der Bundesverfassung von 1848 der vereinigten Bundesversammlung die Oberaufsicht über die eidgenössische Verwaltung und Rechtspflege zu, und es urteilte über Beschwerden von Kantonen oder Bürgern gegen Verfugungen des Bundesrats. Dies wurde in Art. 85 Ziff. 11 und 12 der Bundesverfassung von 1874 übernommen, wobei die vereinigte Bundesversammlung nun über „Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesrates über Administrativstreitigkeiten" zu urteilen hatte, die nach Art. 113 durch ein Gesetz genauer zu bezeichnen waren. Vielsagend ist das Eintreten für Volksrechte und die gleichzeitig vehemente Ablehnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch den Rechtswissenschaftler und Bundesrat Dubs, dem es primär um den Machterhalt der Regierung ging: siehe hierzu KÖLZ 2004: 32 ff.; vgl. bereits soeben bei Fn. 1396: 337. Weniger im Bund und vor allem direkter in den Kantonen.

,414

1415

1916/1941.

341

Checks and Balances erfuhren. 1416 Aber auch im Bund wurde die demokratische Legitimation der gewählten Volksvertreter auf die Wahl des Bundesrates übertragen, indem diese die Regierungsvertreter vornehmlich aus den eigenen Reihen wählten und regelmässig im Amt zu bestätigen hatten.1417 In dieser Konzeption der Volkssouveränität wurde somit die Legitimation von politischer Macht derart direkt durch die Beteiligung der Machtunterworfenen an der Macht hervorgebracht, dass eine gerichtliche Überprüfung der Verwaltung, so das Argument, zugleich eine Einschränkung ebendieser Volkssouveränität bedeutet hätte. Und gerade infolge dieses gleichen Arguments, die uneingeschränkte Macht des Souverän würde geschmälert, kamen die schweizerischen Verwaltungsrechtler denn auch zum Schluss, Kooperationen zwischen Staat und Privaten seien unzulässig, soweit sie nicht direkt durch den Souverän mit Gesetz abgesegnet worden sei1418 en. Das Volk war also in der Schweiz nicht nur an der Gesetzgebung beteiligt, sondern es verkörperte - wie der König im Ancien Régime - die Gesetzgebung. Das Volk ist der Souverän. Dabei muss allerdings eine bedeutende Nuance in der schweizerischen Ausprägung der Volkssouveränität beachtet werden: Im Rahmen der Verfassungsgebung im Jahr 1848 resultierte weniger unter theoretischer Anleitung denn als pragmatischer Kompromiss ein Mittelweg zwischen der von den DemokratischLiberalen geforderten Souveränität der Volksnation im Bund auf der einen Seite und der Forderung der Konservativen nach Bewahrung der Souveränität der Kantone auf der anderen Seite: Gemäss Art. 1 der Bundesverfassung von 1848 vereinigte der Bund die Völkerschaften der souveränen Kantone. Die in die Verfassung derart aufgenommene Souveränität der Kantone galt allerdings gemäss Art. 3 nur insoweit, als sie nicht durch die Bundesverfassung beschränkt wurde und die Rechte der Kantone nicht der Bundesgewalt übertragen worden war. Gerichtseigene

Äquivalente

Diese Konzeption, geprägt vor allem vom politischen Primat des Volkes und der kompromissbehafteten Souveränität der Kantone im vereinigten nationalen Bundesstaat, wirkte sich auch nachhaltig auf das institutionelle Verhältnis von Verwaltung und Gerichten aus. Anstelle einer Verwaltungsgerichtsbarkeit vermochten sich lediglich Äquivalente in der Straf-, Zivil- und Verfassungsgerichtsbarkeit festzuset-

1416

Hierzu FLEINER 1929/1941: 244 f.

1417

KÖLZ 2 0 0 4 : 4 8 5 , mit V e r w e i s auf FINK 1 9 9 5 .

1418

Sogleich unten Kap. III.D.3: 354.

342

zen - mit jeweils spezifischer Ausprägung. Im Einzelnen lässt sich dies beispielhaft am Stand der Verfassungs- und Gesetzgebung zur Jahrhundertwende ablesen:1419 -

Ein erstes funktionales Äquivalent zur Verwaltungsgerichtsbarkeit ergab sich bereits daraus, dass ein Verstoss gegen Verwaltungsanweisungen als Übertretung galt und somit einer strafrechtlichen Kontrolle durch ordentliche Gerichte bis hin zum Bundesgericht unterstand.1420 Dieses funktionale Äquivalent zur Verwaltungsgerichtsbarkeit richtete sich jedoch offensichtlich am Polizeistaat oder am liberalen Nachtwächterstaat aus und trug wenig zur rechtlichen Verfassung des Wohlfahrtsstaates bei.

-

Zum Zweiten urteilte das Bundesgericht als Zivilgericht in verschiedenen Fällen über Streitigkeiten zwischen Staat und Privaten. Auf die spezifisch schweizerische Ausprägung dieser Gerichtsbarkeit ist sogleich im Rahmen einer Rechtsprechungsanalyse zurückzukommen.1421 Diese Bundeszivilgerichtsbarkeit unterteilte sich in zwei Bereiche: Einerseits urteilte das Bundesgericht nach Art. 48 Ziff. 2 ganz generell als Zivilgerichtsinstanz zwischen Korporationen oder Privaten als Kläger und dem Bund als Beklagtem ab einem Hauptwert des Streitgegenstands von Fr. 3000. Dabei wurde der Begriff der Zivilstreitigkeit bis über die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahr 1929 hinaus im Sinne der Fiskustheorie weit ausgelegt.1422 So wurden insbesondere zahlreiche Fragen der Staatshaftung1423 und ganz allgemein fiskalische Ansprüche gegen den Bund

1420 1421 1422 1423

Massgebend ist damit insbesondere die Revision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (AS 13 455; BB1. 1893 I 1107). Hierzu FLEINER 1 9 1 6 / 1 9 4 1 : 1 5 5 . Unten Kap. lII.D.2.d): 348. Zur Fiskustheorie siehe bereits Kap. II.C.3.b): 161. Vgl. etwa BGE 12 463, 472 f. (1886; Bank in Wyl gegen Post). Oft wurden Staatshaftungsregelungen bewusst mit dem Zweck erlassen, in bestimmten Fällen die Privaten dem Schutz unabhängiger Gerichte zu unterstellen. Hierauf wies BGE 55 II 107, 115 (1929; Wäffler gegen Eidgenossenschaft) hin, um den Unterschied zu den Ansprüchen aus Vertrag zu begründen. Zu diesem Fall sogleich unten Fn. 1554: 371. Zu den Haftpflichtgesetzen vgl. zum Beispiel zum Post- und Telefonverkehr Art. 11 BG betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtsuntemehmungen und der Post vom 28. März 1905, AS 21 378; BB1. 1905 II 968; Art. 100 ff. BG betreffend das schweizerische Postwesen vom 5. April 1910, AS 26 1015; BB1. 1910 II 677; Art. 41 ff. BG betreffend den Postverkehr vom 2. November 1921, AS 37 376; BB1. 1921 IV 780; Art. 35 ff. BG betreffend den Telegraphenund Telephonverkehr vom 14. Oktober 1922, AS 39 13; BB1. 1922 III 415.

343

als Zivilstreitigkeit qualifiziert, was vom Bundesgericht noch in BGE 55 II 107 (1929; Wäffler gegen Eidgenossenschaft) bestätigt wurde. 1424 Andererseits urteilte das Bundesgericht ebenfalls infolge der Fiskustheorie im Rahmen der Zivilrechtspflege als Beschwerdeinstanz in explizit aufgeführten Fällen gegenüber den Entscheidungen und Verfügungen eidgenössischer Behörden, insbesondere in bestimmten Expropriationsstreitigkeiten sowie betreffend Zwangsliquidation von Eisenbahnen.1425 Wie die nachfolgende Analyse der Rechtsprechung des Bundesgerichts zeigen wird, erfolgte die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung primär über diese fiskustheoretisch beeinflusste Zivilgerichtsbarkeit des Bundesgerichts. 1426 -

Zum Dritten beurteilte das Bundesgericht als Verfassungsgericht unter anderem „Beschwerden betreffend Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Bürger, sowie solche von Privaten wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen", wobei allerdings zwei gewichtige Einschränkungen bestanden: Wichtige, zu jener Zeit eminent politische Fragen wie insbesondere Beschwerden wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit waren dem Bundesrat zur Beurteilung zugewiesen. 1427 Zudem blieben - unbeachtet jeder Verfassungswidrigkeit - gemäss Art. 113 der Verfassung von 1874 die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze für das Bundesgericht massgebend, und gemäss

1425

1426 1427

344

„Die Beklagte hat, trotzdem sie das zwischen den Parteien streitige Rechtsverhältnis als ein öffentlichrechtliches bezeichnet, die Kompetenz des Bundesgerichts als einziger Instanz gemäss Art. 48 Ziff. 2 OG mit Recht nicht bestritten. Denn es handelt sich zweifellos um einen vermögensrechtlichen Anspruch eines Privaten gegen den Bund und der Prozess über einen solchen muss nach der bundesgerichtlichen Praxis als zivilrechtliche Streitigkeit betrachtet werden.": BGE 55 II 107, 111 (1929; Wäffler gegen Eidgenossenschaft). Art. 55 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) gemäss Revision von 1893, BB1. 1893 I 1107, 1125: „II. Civilrechtspflege. 2. Das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz gegenüber den Entscheidungen und Verfügungen eidgenössischer Behörden. 55. Das Bundesgericht beurteilt nach Maßgabe der Bundesgesetzgebung Beschwerden gegen das Verfahren und die Entscheidungen eidgenössischer Behörden, insbesondere: 1) in Expropriationsstreitigkeiten nach Anleitung des Bundesgesetzes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850 ... 2) bei der Zwangsliquidation von Eisenbahnen nach Anleitung des Bundesgesetzes betreffend die Verpfändung und Zwangsliquidation der Eisenbahnen vom 24. Juni 1874." Sogleich Kap. III.D.2.d): 333. Art. 175 i. V. m. Art. 189 des Organisationsgesetzes von 1893. Andere Ausnahmen von der Verfassungsgerichtsbarkeit betrafen unter anderem die militärische Ausrüstung, das Jesuitenverbot und das Schulwesen der Kantone.

Organisationsgesetz1428 konnten selbst die weiteren Rechtsakte des Bundes wie Verordnungen und Verfugungen der Bundesregierung und der Bundesverwaltung nicht auf Verfassungsmässigkeit überprüft werden. Im Vordergrund stand der Schutz der verfassungsmässigen Rechte gegenüber den Kantonen. 1429 Die Verfassungsgerichtsbarkeit war denn auch von Beginn weg als Instrument zur Absicherung des Bundesstaates gegenüber den Kantonen verstanden worden, wobei den Bürgern sozusagen die institutionelle Last Überbunden wurde, Verstösse der Kantone vor Bundesgericht zu tragen. Man könnte meinen, mit der starken legitimatorischen Kraft des eng auf den Volkssouverän zurückgeführten Gesetzes müsste es dem Einzelnen auch möglich sein, eine Gesetzesabweichung der Bundesverwaltung zu rügen. Eine solche Hess sich aber mit der soeben erläuterten Souveränitätslehre, die die Souveränität in den Völkern der Kantone lokalisierte, nur für die Kantone, nicht aber für den Bund einfordern. Auf Bundesebene war der Einzelne somit nicht mehr Teil des Souveräns, sondern nur noch auf seine spezifischen Bedürfhisse zurückgeworfener Bürger, der vor dem grossen Projekt der nationalen Einheit - umgesetzt und verkörpert durch den Bundesrat und die Bundesverwaltung - zurückzutreten hatte.1430 Verfassungsgerichtsbarkeit:

Verbot materieller

Rechtsverweigerung

Bereits für das französische Verwaltungsrecht wurde vermerkt, dass die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags parallel lief mit der Abkehr von einer eng verstandenen Gesetzesbindung, und die nunmehr funktional verstandene Gesetzesbindung wiederum nicht von der erweiterten gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungsermessens getrennt werden kann.1431

1428

1429

1430

Art. 178 Ziff. 1 OG 1893 (vgl. oben Fn. 1425: 344). Infolge der eminent kontrovers geführten politischen Debatte um die Politisierung und letztlich Verstaatlichung der Eisenbahnen erfolgte eine gewichtige Einschränkung: Streitigkeiten zwischen dem Bundesrate und einer Eisenbahngesellschaft über die Aufstellung der Jahresbilanz der Gesellschaft konnten vor das Bundesgericht gebracht werden: Art. 180 Ziff. 2 OG 1893. Dieser Fokus auf den Schutz der verfassungsmässigen Rechte ergibt sich nach Fleiner, „aus der besonderen Natur des Verfassungsgesetzes und aus der politischen Verehrung, die ihm in der Schweiz zuteil wird." FLEINER 1929/1941: 244. Jüngst zu dieser noch heute offenen Lücke im Rechtsstaat KÜLZ 2004: 821 ff., der vor allen auf die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und das entsprechende Vollmachtenregime hinweist. Siehe zum Ganzen aus zeitgenössischer Sicht die Monographie von GIACOMETTI 1933: vor allem 10 ff. und 84 ff.; ausführlich zur Evolution von Art. 113 Abs. 3 BV AUER 1984 und OETER 1 9 9 0 .

,43

'

Oben Kap. III.B.3: 216.

345

Obwohl die Schweiz auf Bundesebene über keine Verwaltungsgerichtsbarkeit im engeren Sinn verfugte, leitete das Bundesgericht bereits mit BGE 10 311 (1884; Alois Kaufmann) ein entsprechendes Institut zur Überprüfung von Verwaltungsermessen aus der in Art. 4 der Bundesverfassung von 1874 garantierten Rechtsgleichheit ab. Eine sogenannte materielle Rechtsverweigerung liege vor, wenn eine kantonale Behörde „... in einer Weise verfährt, welche einer eigentlichen Rechtsverweigerung gleichkommt, d. h. klar nachgewiesenes Recht willkürlich missachtet und somit nicht nach (richtigen oder unrichtigen) Gründen, sondern nach blosser Willkür entscheidet ..." 1432 Ansatzpunkt dieser Art von Ermessensprüfung waren somit die verfassungsmässigen Rechte der Bürger - notabene wie soeben erläutert gegenüber den Kantonen und nicht gegenüber dem Bund. Diese Rüge auf materielle Rechtsverweigerung erinnert an die in Frankreich eingesetzte institutionelle Kontrolle der Verwaltung auf gesetzesmässiges Handeln:1433 Das Bundesgericht formulierte in BGE 30 I 485 (1904; Wegelin gegen Regierungsrat Appenzell A.-Rh.), dass eine materielle Rechtsverweigerung dann vorliege, wenn aus vorgeschobenen Gründen klares Recht bei Seite gesetzt werde.1434 Es ist in der Tat, wie Kölz jüngst vermerkte, bemerkenswert, dass das Bundesgericht ein derartiges, auf die Gedanken der Regeneration und den Liberalismus zurückführendes Rechtsinstitut mit naturrechtlichen Anleihen1435 zu einer Zeit in die Verfassung hinein interpretierte, als die Parlamente und Verwaltungen im Zuge des Gesetzespositivismus an Macht gewannen und sich, so Kölz weiter, „zunehmend besitzstandorientiert und etwas cäsaristisch" gebärdeten.1436 Im Resultat wurden mit dem Verbot materieller Rechtsverweigerung, später als Willkürverbot bezeichnet, vor allem die verfahrensmässigen Rechte der Einzelnen gegenüber der Verwaltung gestärkt, was - zumindest aus heutiger Sicht - bei Kooperationen mit der Verwaltung von grösster Bedeutung ist.1437 Mit der alleinigen Ausrichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit auf die Kantone reduzierte sich freilich die unmittelbare Bedeutung dieses Rechtsinstitutes, wobei es allerdings infolge der 1929 endgültig verwirklichten Bundesverwaltungsgerichtsbarkeit unmittelbar zu einem tragenden Grundsatz der gerichtlichen Überprüfung der Verwaltung werden 1432 1433 1434 1435

S. 312. Oben Kap. III.B.3.b): 220. S. 489. Ähnlich BGE 36 I 352, 365 (1910; de Diesbach gegen Fribourg). Zum ideengeschichtlichen Kontext des Verbots formeller Rechtsverweigerung, die eng mit der Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit selbst verknüpft war, siehe GLACOMETTI 1933.

1436

KÖLZ 2 0 0 4 : 8 1 0 f.

1437

Dabei konnte das Bundesgericht bereits an eine analoge, freilich weniger weit gehende Praxis des Bundesrates, mit welchen dieser die kantonalen Verwaltungen diszipliniert hatte, a n k n ü p f e n : v g l . : ULLMER 1 8 6 2 - 1 8 6 6 , B d . 1, N 17.

346

konnte. So führte das Bundesgericht in BGE 55 I 275 (1929; Keller & Locher gegen Post) anlässlich einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus: „Wenn nämlich Art. 10 VDG anordnet, der Beschwerdeführer könne nur geltend machen, der angefochtene Entscheid beruhe auf einer Verletzung von Bundesrecht, so schliesst dies nur die freie Überprüfung des Ermessens, das die Verwaltung darf walten lassen, aus, nicht aber die Prüfung der Frage, ob ein Ermessensmissbrauch oder eine Ermessensüberschreitung, somit eine Verletzung von Bundesrecht, vorliegt."1438 Ermessensmissbrauch und Ermessensüberschreitung setzte das Bundesgericht dabei zwar weiterhin nicht allein in Beziehung zum Gesetz. Gradmesser war dem Bundesgericht, dass sich ein durch die Verwaltung festgelegtes Erfordernis „mit guten Gründen rechtfertigen lässt", „willkürliche, schikanöse und unsachliche Bestimmungen zu vermeiden [sucht]" und dazu dient, „nach gewissen formalen, eine Willkür möglichst ausschliessenden Gesichtspunkten" eine Entscheidung zu treffen. 1439 Allerdings richtete das Bundesgericht letztlich diese Kriterien, etwa ob ein Verwaltungshandeln sachgemäss sei, doch in funktionaler Weise auf das Gesetz aus. Dieser Übergang eines verfassungs- und sogar naturrechtlich inspirierten Rechtsinstituts zu einem gesetzespositivistischen Institut und damit der Wechsel von der Sorge um die Rechtsgleichheit der Bürger zur Sorge um die Gesetzmässigkeit und hierarchische Einordnung der Verwaltung, wurde denn auch von der Lehre jener Zeit wie etwa hier von Giacometti gefordert: „Als Ausprägung der Unverbrüchlichkeit der Bundesverfassung kommt sodann in Frage das sich aus dem Gewaltentrennungs- und dem Rechtsgleichheitssatze ergebende sonstige materielle Legalitätsprinzip im Sinne der inhaltlichen Rechtmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung überhaupt. Das materielle Legalitätsprinzip bindet vollziehende und richterliche Behörden an generelle abstrakte Normen und schützt damit den Einzelnen gegen Willkürakte der Justiz und Verwaltung."1440 Neben der grossen Einschränkung des Anwendungsbereichs auf kantonale Rechtsakte fallt somit beim Willkürverbot auch der zunehmende Fokus auf die Gesetzmässigkeit der Verwaltung ins Gewicht. Während es bei einer Kooperation mittels Vertrag und der Überprüfung entsprechenden vertragsbezogenen Ermessens der Verwaltung um gegenseitige Rechte und Pflichten gehen müsste, richtete sich der 1438 1439 1440

BGE 55 I 275, 279 f. (1929; Keller & Locher gegen Post). BGE 55 I 275, 281 f. (1929; Keller & Locher gegen Post). GIACOMETTI/FLEINER 1949: 33; ähnlich bereits FLEINER 1923: 287. Zielgrösse ist der formelle Rechtsstaat.

347

Fokus auch der schweizerischen Variante der Ermessenskontrolle zusehends darauf, ob die Verwaltung im Rahmen ihrer gesetzlich begründeten Zuständigkeit und im Rahmen der gemäss Gesetz festgelegten Ziele handle. Fazit: Funktionale Äquivalente zur Verwaltungsgerichtsbarkeit passen nicht zur vertraglich kooperierenden Verwaltung Im Gegensatz zum - im Rahmen des langen Kampfes um die Verwaltungsgerichtsbarkeit - überzeichneten Bild, dass die Verwaltung weitgehend als Richter in eigener Sache ohne Einschränkung bleibe, lassen sich also im jungen schweizerischen Bundesstaat eine Vielzahl funktionaler Äquivalente zur gerichtlichen Überprüfung der Verwaltung ausmachen. Diese Äquivalente waren allerdings nicht primär auf eine interventionistische und kooperierende Verwaltung zugeschnitten. Im Rahmen des Konzeptes politischer Selbstbeschränkung ging es primär um die Verpflichtung der (vor allem: kantonalen) Verwaltung auf die Willensäusserung des Volkssouveräns und um eine politische ex-post Kontrolle der Instanzen durch stetig zu erneuernde Wiederwahl und parlamentarische Aufsicht, nicht aber darum, eine neutrale Instanz zur Vermittlung zwischen zwei Parteien, der Verwaltung auf der einen und dem privaten Vertragspartner auf der anderen Seite, zu schaffen. Die strafrechtliche Überprüfung von Verstössen gegen Anordnungen der Verwaltung hatte ihrerseits ihre Wurzeln in der Absicherung gegen den Polizeistaat, und die Verfassungskontrolle griff sowohl in der Sache wie auch im auf Kantone beschränkten Anwendungsbereich zu kurz. Allein die Zivilgerichtsbarkeit vermochte, wie in einer Analyse der Rechtsprechung des Bundesgerichts sogleich vertieft zu zeigen sein wird,1441 kooperative Beziehungen zwischen Staat und Privaten rechtlich bis zu einem gewissen Grad zu stabilisieren. d)

Ablösung der Fiskustheorie und Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Abbau der Fiskustheorie und daraus folgendes

Legitimationsdefizit

Bereits vor und insbesondere nach der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert verstärkte sich der politische1442 und wissenschaftliche 1443 Druck zur Ablösung der fiskustheoretischen Relikte, wobei jedoch die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf sich warten liess.1444 Zugleich war wie erwähnt die Verfassungsge-

1441 1442 1443 1444

348

Unten Kap. III.D.4: 361. Siehe bereits Kap. Il.CJ.b): 161. Oben Kap. IlI.D.2.d): 348. Zum Ganzen vgl. unter vielen KLENER 2004; KÖLZ/HÄNER 1998: N 164 f.

richtsbarkeit auf die Kontrolle der Kantone beschränkt, womit also mit der Zivilgerichtsbarkeit die einzige griffige gerichtliche Kontrollmöglichkeit gegenüber der zunehmend interventionistischen Verwaltung unter Druck geriet. Als Ersatz wurde zunächst, als der Aufbau der Bundesverwaltung im Zentrum des Interesses stand, nachhaltig auf die verwaltungsinterne Beschwerde hingearbeitet. 1445 Damit musste aber in Anbetracht einer rasant anwachsenden Bundesverwaltung und des markanten Machtgewinns des Bundesrats im Zuge der interventionistischen Politik ein Legitimitätsdefizit sichtbar werden. Gustav Vogt (1829-1901) artikulierte dieses Legitimationsdefizit in seinem einflussreichen Referat anlässlich der Verhandlungen des schweizerischen Juristenvereins von 1897: „Abgesehen von den Fällen, in welchen eine Partei Rechtsansprüche gegen den Bund auf dem Civilwege verfolgen kann, fehlt es in unserein Bundesstaate gänzlich an einem Rechtsschutze, den der einzelne gegen die eidgenössische Verwaltung anrufen könnte." 1446 Von zentraler Bedeutung für kooperative Verhältnisse zwischen Staat und Privaten war dabei der Vorwurf, die Verwaltung sei zugleich Partei und Richter. Hierzu äusserte sich wiederum Vogt in aller Klarheit: „Jetzt ist der Bundesrat zugleich Partei und Richter; wie kann ein gegen die eidgenössische Verwaltung Streitender von ihm einen unbefangenen Rechtsspruch erwarten? Der Bundesrat hat wohl öfter Recht, als es die Beteiligten glauben. Wird von einer anderen Stelle, die Zutrauen erweckt und verdient, die streitige Rechtsfrage entschieden, so wird eine solche Gerichtsbarkeit der eidgenössischen Verwaltung viel häufiger eine Stütze sein und ihr zur Rechtfertigung vor der öffentlichen Meinung dienen, als ihr Hemmnisse in den Weg legen. Der Unzufriedene wird nicht mehr die Behörde beschuldigen können, sondern nur noch das Gesetz, kraft dessen er unterliegt." 1447 Im Fazit stimmten auch andere Redner an den Verhandlungen des Juristenvereins von 1897 mit Vogt überein. Hervorgehoben wurde aber, wie zum Beispiel von Bundesrichter Leo Weber, primär die Überlastung des Bundesrates

1445

Vgl. insbesondere PAUL SPEISER 1889a; b.

1446

VOGT 1897: 8 2 2 f. Ähnlich bereits VOGT 1890: 5 6 6 ff.

1447

VOGT 1897: 825.

angesichts der

349

explodierenden Geschäftslast der Exekutive. 1448 Dieses Argument scheint in der Tat bestimmend für den Bundesrat und die höheren Chargen der Verwaltung gewesen zu sein, die nichts desto trotz angesichts des drohenden Machtverlusts der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eher feindlich gesinnt waren. 1449 Druck auf die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit

und

politische

Widerstände Massgeblich auf die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit drängte allerdings das massiv angewachsene Heer von unteren und mittleren Beamten, die sich davon einen besseren Schutz vor Disziplinarmassnahmen erhofften. Insbesondere in der Folge des Falles Späni, eines vom Bundesrat disziplinierten Telegrafenbeamten, forderte selbst die Bundesversammlung den Bundesrat auf, sich vertiefte Gedanken zur Einfuhrung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit zu machen. 1450 Die politischen Widerstände gegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit blieben allerdings zunächst bestimmend. Angeführt wurde vor allem das alte, letztlich bis in die Zeit des Absolutismus zurückführende Argument, die Gerichte könnten die Bundesverwaltung schwächen und in der Erfüllung ihres nationalen Auftrags, den Zusammenhalt und den Wohlstand der gesamten Nation zu gewährleisten, behindern.1451 In dieser Hinsicht schien denn etwa für Vogt und Burckhardt der Ausbau einer verwaltungsinternen oder zumindest verwaltungsnahen Beschwerdemöglich-

1448

1449

1450

1451

350

1897: 836. Dieses Argument der Überlastung wurde notabene auch im Entwurf des Bundesrates zu einem neuen Enteignungsgesetz angeführt: Um die Geschäftslast und insbesondere die Verfahrensdauer zu vermindern, sollten Vereinbarungen mit den zu Enteignenden zugelassen werden: BURCKHARDT/VON SALIS 1930-1932, Bd. 5: 3315; Botschaft des Bundesrates vom 21. Juni 1926, BB1. 1926 II 1. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 4. Juni 1894 betreffend Organisation und Geschäftsgang des Bundesrates, BB1. 1894 II 766, vor allem 797; Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes, vom 20. Dezember 1911, BB1. 1911 V 322. „Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen und darüber zu berichten, ob nicht eine eidgenössische Verwaltungsgerichtsbehörde geschaffen werden soll, welche endgültig über solche Beschwerden zu urteilen hätte, die von Beamten und Angestellten der Bundesverwaltung gegen Verfügungen und Erlasse des Bundesrates oder anderer Bundesorgane wegen Verletzung verfassungs- und bundesgesetzmässiger Rechte erhoben werden.": zitiert nach der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Revision der Bundesverfassung zur Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichtes, vom 20. Dezember 1911, BB1. 1911 V 322: 325. Zum Ganzen vgl. KÖLZ 2004: 854. Hierzu Kap. I.D.2.d): 46. VERHANDLUNGEN DES SCHWEIZERISCHEN JURISTENVEREINS

keit ähnlich dem frühen französischen Conseil d'Etat politisch vorteilhafter und theoretisch mit dem schweizerischen System besser zu vereinbaren.1452 Als dem Argument, das Verwaltungsgericht würde die Verwaltung zu sehr schwächen, mit zunehmend markantem Machtgewinn ebendieser Verwaltung der Boden entzogen wurde, wendeten die Gegner der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Warnungen gegen eine unkontrollierte Verwaltung nun gegen die Einfuhrung der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit würde den Behördenapparat weiter aufblähen und verkomplizieren. Dieser damals als gewichtig eingestufte Einwand führte letztlich zum Kompromiss, dass die staatsrechtliche Abteilung des Bundesgerichts die Verwaltungsgerichtsbarkeit übernehmen müsse, was diese ihrerseits eine unkontrolliert anwachsende Geschäftslast befurchten Hess.1453 Fritz Fleiner (1867-1937): vergeblicher Kampf für die Einführung einer 'wahren' Verwaltungsgerichtsbarkeit Fritz Fleiner machte - wie kürzlich Roger Müller in seiner Monografie zu Fritz Fleiner ausfuhrlich dokumentierte1454 - die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Schweiz massgeblich zu seinem eigenen zunächst wissenschaftlichen und sodann politischen Projekt. Er plädierte in aller Klarheit für die Einführung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit,1455 und in Basel, wo Fleiner seit 1897 eine Professur für öffentliches Recht hielt, setzte er sich sofort mit Erfolg für deren Verwirklichung ein: Im Jahr 1905 führte der Kanton Basel-Stadt und im Jahr 1909 der Kanton Bern die Verwaltungsgerichtsbarkeit ein.1456 Bezeichnenderweise verfügten diese beiden Kantone über verhältnismässig wenig ausgeprägte funktio-

Prägnant äusserte sich wiederum Vogt in seinem Fazit zu den Verhandlungen des schweizerischen Juristenvereins von 1897: „Rein juristisch betrachtet, verdient die in Satz 8 skizzierte Reform [i.e. Einfuhrung eines verwaltungsunabhängigen Verwaltungsgerichtshofs ähnlich den süddeutschen Staaten] den Vorzug. Aber die soeben in litt, b und c von Satz 10 bezeichneten Aufgaben [i.e. Beratung des Bundesrates in Rechtsfragen und Mitwirkung an der Gesetzgebung], die an sich von hervorragender Wichtigkeit sind, kann man einem Gerichtshof für öffentliches Recht nicht fuglich auferlegen; dazu steht er zu hoch, dem Bundesrate ebenbürtig da. Ein in die Verwaltung eingereihtes Juristen-Kollegium eignet sich dazu weit besser.": VOGT 1897: 829; ähnlich BURCKHARDT 1931: 797; Kritik an dieser Argumentation kam dagegen von FLEINER 1929/1941: 244. 1453

Z u m G a n z e n FLEINER 1921: 13.

1454

ROGER M U L L E R 2 0 0 6 : 3 0 5 f f .

1455

FLEINER 1 9 0 1 .

1456

Knappe Übersichten finden sich bei KÖLZ/HÄNER 1998: N 156 ff., vor allem 175; KIENER 2004 und KÖLZ 2004: 851 ff.

351

nale Äquivalente zur Verwaltungsgerichtsbarkeit und eine mangelhaft ausgeprägte Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte von der Regierung. 1457 Im Kern übernahm Fleiner die gegen die Monarchie gewandte deutsche Semantik des Rechtsstaates und übertrug sie auf die schweizerische Situation,1458 wobei die Zusammenhänge zwischen dem Aufgabenzuwachs der vermehrt interventionistischen Verwaltung und den damit zunehmend überforderten funktionalen Äquivalenten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere den politischen Selbstbeschränkungsmechanismen, im vornehmlich politischen Schlagabtausch oft zu kurz kamen. 1459 Wenn Fleiner meinte, die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei in der Demokratie nicht weniger nötig als in der Monarchie, weil jeder Bürger die Möglichkeit haben solle, die Gesetzmässigkeit einer ihn belastenden administrativen Verfügung von einem Gericht überprüfen zu lassen,1460 dann offenbart sich nichts anderes als die Gleichsetzung von Recht und Gesetz. Die Überprüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts geht in dieser Notion denn auch nicht weiter als auf die Einhaltung des Gesetzes, was sich etwa daran zeigt, dass nach Fleiner die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts am Ermessen der Verwaltung ihre Grenzen finde.1461 Infolge fehlender Verfassungsgerichtsbarkeit einerseits und rasantem Machtgewinn der zunehmend interventionistischen Verwaltung andererseits erschien Fleiner das Legitimationsdefizit der Bundesverwaltung als besonders offensichtlich. 1462 Dieser Meinung hatte sich das schweizerische Volk in der Abstimmung vom 23. Dezember 1914 angeschlossen und die verfassungsrechtliche Basis für eine Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen (Art. 114 BV 1874). Nach einem langwierigen Abwehrkampf des Bundesrates und der höheren Bundesverwaltung, welche schliesslich auch noch vom Bundesgericht sekundiert wurden, 1463 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Bundesgesetz über die Verwaltungs- und Disziplinarrechts-

1457

1458

1459

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1463

352

Im Detail P A U L SPEISER 1889a: 118: „Demnach ist [in Basel] die oberste Gerichtsinstanz mit der Regierung enge verbunden, und es ist die Kompetenz der Gerichte in Administrativsachen ausgeschlossen." Zu Fleiners Kampf für den Rechtsstaat im Allgemeinen und für die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Besonderen siehe m. w. H. R O G E R M Ü L L E R 2006: 305 ff. Wo die neuartigen Aufgaben der Verwaltung angesprochen wurden, dominierte das politisch-polemische Element: vgl. FLEINER 1921/22: 177. FLEINER 1928: 248. Hierzu m. w. H. R O G E R M Ü L L E R 2006: 300. Zu Überprüfen ist freilich, ob die Ausübung des Ermessens sich an die Grenzen der Gesetze hält. FLEINER 1913: 244 ff. Siehe unter vielen Schriften Fleiners Plädoyer in der NZZ: FLEINER 1921. Im Detail R O G E R M Ü L L E R 2006: 305 ff. Hierzu oben Fn. 1453: 351; vgl. auch R O G E R M Ü L L E R 2006: 311 ff.

pflege vom 11. Juni 1928 auf den 1. März 1929 Kraft gesetzt, 1464 wobei allerdings entgegen Fleiners erbittertem Widerstand die äusserst einschränkende Enumerati1465 onsmethode und nicht die Generalklausel zum Zuge kam. Der Katalog von Fällen, die der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterstehen sollten, erwähnte die Verwaltungsverträge nicht. Tatsächlich wurde im Bereich vertraglicher oder vertragsähnlicher Verhältnisse nur der Entzug von Konzessionen und Bewilligungen sowie gewisse Entscheide des Postdepartements, der Oberpost und der Obertelegrafendirektion, die nicht dem verwaltungsinternen Beschwerdegang unterlagen, der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterstellt. 1466 Damit war der Kampf um die Einführung einer 'wahren Verwaltungsgerichtsbarkeit' (Fleiner)1467 im Bund vorerst verloren. Nicht nur der Möglichkeitsrahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern auch jener des verwaltungsrechtlichen Vertrags änderte sich mit den wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten der Dreissigerjahre. Das vermehrt autokratische Auftreten der Verwaltung äusserte sich letztlich in einem ausgreifenden Gebrauch des Notverordnungsrechts durch den Bundesrat. Dieser Gefahr für die Verfassungsordnung wurde letztlich, in konsequenter Fortsetzung der oben skizzierten Eigenarten des schweizerischen Bundesstaates, mit dem Ausbau direktdemokratischer Beteiligungsmechanismen begegnet, zunächst aber nicht mit einem Ausbau von Verwaltungsgerichtsbarkeit und auch nicht mit einer vermehrten Kooperation mit Privaten in einem vertraglichen Sinn. 1468 So wurde denn in zahlreichen Kantonen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr verwirklicht. Zum Beispiel führten Zürich erst im Jahr 1959 und der Rest der Kantone im Jahr 1969 auf Druck der Europäischen Konvention fiir Menschenrechte die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. 1469 Und erst auf massivem Druck der sogenannten Mirrage-Affaire hin wurde schliesslich im Jahr 1968 die Verwaltungsgerichtsbar-

1464 [465

1466 1467 1468 1469

AS 44 779. Hierzu unter vielen FLEINER 1917; 1921; jüngst hierzu ROGER MÜLLER 2006: 317 ff. m. w. H. Anhang zum Verwaltungs- und Disziplinarrechtspflegegesetz, Ziff. III und XII. H i e r z u ROGER MÜLLER 2 0 0 6 : 3 1 8 , Fn. 2 4 2 . Z u m G a n z e n AUER 1984: N

161 ff.; OETER

1990.

Zur Evolution der Gerichtsbarkeit im Kanton Zürich vgl. HAUSER 1981; des Weiteren die Übersichten bei K Ö L Z / H Ä N E R 1998: N 164 ff.; K Ö L Z 2004: 851 fT. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Evolution, dass mit dem Anspruch gemäss Art. 6 Abs. 1 EMRK auf gerichtliche Beurteilung bei - äusserst weit verstandenen - zivilrechtlichen Ansprüchen die Fiskustheorie eine Auferstehung feiert. Zu Art. 6 Abs. 1 EMRK siehe unter Vielen die Übersicht bei HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN 2006: N 1720 f. m. w. H.

353

keit im Bund neu geordnet und insbesondere die Generalklausel eingeführt, allerdings eingeschränkt durch einen langen Negativkatalog.1470 Auf die entsprechenden Auswirkungen des dargelegten institutionellen Kontextes im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf die rechtlichen Kooperationsformen zwischen Staat und Verwaltung ist in der Folge genauer einzugehen. 3.

Variationen der Lehre im Zeichen der Emanzipation Verwaltungsrechts

des

Fritz Fleiners Anleihen bei Otto Mayer Nach einer primär durch punktuelle politische Bedürfnisse angetriebenen Abkehr von der Fiskustheorie1471 konstituierte sich - vor allem unter Anleitung von Fritz Fleiner1472 - die schweizerische Verwaltungsrechtswissenschaft als fortgesetzter Diskurs um Abgrenzung und Leitprinzipien des Rechts der Verwaltung in den Zwanzigerjahren in enger Anlehnung an die deutsche Lehre und insbesondere an Otto Mayer.1473 Giacometti und Burckhardt folgten Fleiner mit bedeutenden Beiträgen zum Verwaltungsrecht im Allgemeinen und zum öffentlichrechtlichen Vertrag im Speziellen.1474 Diese enge Anlehnung an die deutsche Lehre gilt aber nur insofern auch für die Debatte um den verwaltungsrechtlichen Vertrag, als die zentralen Positionen Otto Mayers zwar aufgenommen und weitergeführt wurden, die darauf folgende Gegentendenz unter Anleitung vor allem von KELSEN 1913, APELT 1920 und BUDDEBERG 1925 aber vorerst weitgehend unberücksichtigt blieben.1475 Im Rahmen der deutschen Diskussion um den verwaltungsrechtlichen Vertrag hatte Fleiner bereits in seinen Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts mit Mayer

1471 1472

1473

1474

1475

Botschaft des Bundesrates vom 24. September 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde, BB1. 1965 II 1265: vor allem 1273; zum Ganzen vgl. KIENER 2004: N 6 ff. Hierzu Kap. II.C.3: 154, vor allem 161 ff. So explizit GIACOMETTI 1 9 2 4 : 1 ff. jüngst dazu R O G E R M Ü L L E R 2 0 0 6 : 2 1 0 ff.; relativierend, mit Hinweis auf den Deutschland-gefalligen Zeitgeist in der Schweiz KÖLZ 2004: 831 ff. So explizit FLEINER 1913: 183 Fn. 30: „Die in den folgenden Ausfuhrungen [zu den Anspruch- und pflichtbegründenden Staatsakten] ... vertretene Auffassung deckt sich im wesentlichen mit derjenigen von Otto Mayer, Anschütz u. a. m.". Ebenfalls unter expliziter Anlehnung an Mayer: GIACOMETTI 1924: 12, 19 f., 46. Burckhardt dagegen bezog sich mehr auf die französische Lehre: B U R C K H A R D T 1924: 42 ff. B U R C K H A R D T 1 9 2 4 ; GIACOMETTI 1 9 2 4 .

So gehen etwa B U R C K H A R D T 1924 und GIACOMETTI 1924 nicht auf die Ausführungen von 1920 ein. Fleiner entledigte sich Kelsens unbequemen Einwänden (siehe oben Kap. III.C.4.c): 288) mit einem einzigen Fussnotensatz: FLEINER 1928: 47 Fn. 6. Erst Baechi setzte sich vertieft mit den Schriften Kelsens und Apelts auseinander: BAECHI 1934.

APELT

354

und gegen Laband argumentiert, die Bestellung zum Staatsbeamten sei kein Vertrag.1476 Darüber hinaus anerkannte Fleiner durchaus, dass es ein öffentlichrechtliches Institut des Vertrags gebe; er bezog sich dabei jedoch primär auf den koordinationsrechtlichen Verwaltungsvertrag zwischen verschiedenen Einheiten der Staatsverwaltung.1477 In der Beziehung zwischen hoheitlichem Staat und Privaten stellten dagegen, so Fleiners Verdikt, die meisten von der Praxis als Verträge bezeichneten Verwaltungsakte einseitige Verfugungen dar, deren Rechtmässigkeit allerdings durch die Zustimmung der Betroffenen bedingt sei. Aufgrund der zentralen Stellung des Gesetzespositivismus in seiner Theorie1478 vermochte Fleiner dennoch den Vertrag als mögliche Rechtsform zwischen Staat und Privaten nicht ganz auszuschliessen: Verträge könne es nämlich dort geben, wo der Gesetzgeber mit einer expliziten gesetzlichen Grundlage auf das einseitige Vorgehen verzichtet habe.1479 Dieser Meinung folgte das Bundesgericht explizit in BGE 41 II 299 (1915; Kraftwerk Laufenburg gegen Staat Aargau).1480 Zaccaria Giacometti (1893-1970)

und Walther Burckhardt

(1871-1939)

Insbesondere Giacometti und Burckhardt übernahmen Fleiners Fokus auf den koordinationsrechtlichen Vertrag und radikalisierten Fleiners Position zugleich. Giacometti drückte seine ablehnende Haltung gegenüber dem Vertrag zwischen Staat und Privaten folgendermassen in pointierter Weise aus: „[Der] Vertrag, dieses typische Rechtsgeschäft des Privatrechts, [kann] auf dem Boden des öffentlichen Rechts überhaupt nicht gedeihen ... Der öffentlichrechtliche Vertrag ist eine contradictio in adjecto; denn das öffentliche Recht regelt vorab die Beziehungen zwischen der Staatsgewalt und dem Einzelnen; er setzt also die Ungleichheit der Rechtssubjekte voraus, während der Vertrag ... seinem Wesen nach auf der Gleichordnung der Parteien beruht. 1913: 183 f. Desgleichen in einem Vortrag zum Verwaltungsvertrag, zusammengefasst von einem H.L.: F L E I N E R 1910. Ablehnend für den Staatsdienst bereits E S C H E R 1903: FLEINER

8 5 ; FLEINER 1 9 2 3 : 2 6 0 ; G I A C O M E T T I 1 9 2 4 : 11 ff. 1477

1478

F L E I N E R 1913: 199 ff.; ebenso F L E I N E R 1910: 352. Dabei ging es Fleiner bei der gesetzmässigen Verwaltung als Errungenschaft des Verfassungsstaates zugleich um Legitimation der Herrschaft und um Schutz der bürgerlichen Gesellschaft insbesondere durch Gewährleistung von Individualrechten und Rechtsgleichheit: FLEINER 1 9 1 3 : 1 2 1

1479

1480

ff.

F L E I N E R 1 9 1 0 : 3 5 2 . Siehe zum weiten Kontext der deutschen Lehre bereits oben 1 I 1 . C . 5 : 2 9 1 . Hierzu auch R O G E R M Ü L L E R 2 0 0 6 : 1 0 0 ff. g 214 f : Vor allem wurde eine Schiedsklausel insofern als unzulässig bezeichnet, als sie sich auf die Festlegung eines Wasserzinses bezog, für welchen jede gesetzliche Grundlage fehlte. FLEINER 1 9 1 3 : 2 0 1

ff.; ebenso

355

Ein Vertrag somit, der nach den Gesichtspunkten der Ungleichheit der Rechtssubjekte gestaltet ist, stellt in Wirklichkeit einen Verwaltungsakt dar."1481 Dieses Urteil bezog Giacometti sowohl auf die öffentlichrechtliche Erfassung des Staatsdiensts wie auch auf den Bereich der Konzession und der Enteignung. Giacometti ging es dabei zuvorderst um die Entwicklung des schweizerischen Verwaltungsrechts, das den Anschluss an das moderne, rein öffentlichrechtliche Verwaltungsrecht Deutschlands verloren habe und nun erst aus den Strukturen des Polizeistaats befreit und von dessen zivilrechtlichen Reminiszenzen gesäubert werden müsse, wobei sich insbesondere die fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit als wesentliches Hinderais zeige.1482 In expliziter Übereinstimmung mit Giacometti betonte auch Burckhardt die unlösbaren Widersprüche des Vertrags als öffentlichrechtliche Rechtsform zwischen Staat und Privaten.1483 Während dem Privaten die Freiheit rechtsgeschäftlicher Betätigung zukomme, bestehe das Ermessen der Behörden nur im pflichtgemässen - d.h. für Burckhardt: rechtsgemässen - Gebrauch.1484 Wesentlich ist also nicht, dass der Staat unter Einsatz seiner Rechtsautorität das sachlich Richtige vollziehen sollte,1485 sondern dass die Frage nach dem sachlich Richtigen vom Gesetz erfasst wird. Damit sollte die Verwaltung wie auch deren Beziehung zu Privaten nach Burckhardt voll und ganz vom Recht erfasst werden, und somit bestand entsprechend kein Spielraum für Verhandlungen mit Privaten.1486 Dies galt selbst für die durch Gesetz explizit als Vertrag bezeichneten Dienste des Staats etwa im Betrieb von Eisenbahnen, Abgabe von Wasser und Elektrizität und selbst im Betrieb einer Sparkasse - mit der Folge, dass die Zivilgerichte nur über die Erfüllung des von den Parteien so bezeichneten Vertrags entscheiden sollten, nicht aber über die Regeln über den Vertragsschluss. Denn es sei in diesem Sinne ein Widerspruch, ... „... wenn sich das öffentliche Interesse mit dem privaten 'vertragen' muss, um sich durchsetzen zu können. Die Verwirklichung mag durch solchen Opportunismus tatsächlich erleichtert werden und die Vertragsform mag dem

1481

GIACOMETTI

1482

GIACOMETTI 1 9 2 4 : 4 6 f f . , v . a . 4 8 .

1483

B U R C K H A R D T 1 9 2 4 : 7 2 f . , F n . 1.

1924:17.

1484

B U R C K H A R D T 1 9 2 4 : 4 0 f., 7 1 .

1485

V g l . IMBODEN 1 9 5 8 : 3 1 a z u B U R C K H A R D T 1 9 2 4 : 7 0 .

1486

Kritisch zu diesem Rechtsbegriff, mit welchem, so Burckhardt, der Staat die gesamte gesellschaftliche Tätigkeit übernommen habe, siehe DARMSTAEDTER 1930: 81. Darmstaeter unterstellt Burckhardts Rechtsbegriff eine Nähe zur faschistischen Idee.

356

Praktiker willkommen sein. Ihrem Wesen nach steht sie aber mit dem öffentlichen Recht in unlöslichem Widerspruch." 1487 Das Bedürfnis der modernen Interventionsverwaltung war auch für die Rechtswissenschaft unüberhörbar geworden, was sich bereits am Umfang der Erörterungen von Giacometti und Burckhardt aus dem Jahr 1924 zeigt, mit welchen der Vertrag von dem eben erst gewonnenen, auf den souveränen Rechts- und Nationalstaat ausgerichteten Verwaltungsrecht ferngehalten werden sollte. Im Gegensatz zu jenem Teil der deutschen Lehre, der im Gefolge von Otto Mayer den Vertrag ebenfalls vom Verwaltungsrecht fernhalten wollte, aber dabei immer noch den Polizeistaat und nicht den modernen Interventionsstaat vor Augen hatte, erkannten nun allerdings Fleiner wie auch Giacometti und Burckhardt die politischen Zeichen der Zeit durchaus. Insbesondere Giacometti befasste sich ausfuhrlich mit den neuen Problemen der Leistungsverwaltung.1488 Nur sollten diese neuen Phänomene unter Aufrechterhaltung der eben erst durch die deutsche Lehre gewonnenen Reinheit des Verwaltungsrechts angegangen werden. Die von dieser Reinheit abweichenden, und im diesem Sinne aus heutiger Sicht wegweisenden Ausfuhrungen von Apelt wurden hiermit ignoriert, obwohl sie etwa infolge einer in der Sache zwar ablehnenden, aber darüber hinaus durchaus wohlwollenden Rezension von Otto Mayer bekannt sein mussten.1489 Giacometti und Burckhardt folgten damit nicht nur dem Ideal des reinen Verwaltungsrechts, sondern auch in der deutschen und französischen Theorie vorherrschenden Bild des Staats als im Verhältnis zum Privaten hierarchisch gegliederte Ordnung mit gesellschaftlicher Gesamtverantwortung - ohne dass Giacometti allerdings Fleiners Pragmatismus in jenen Bereichen übernommen hätte, in welchen sich die Zentrifugalkräfte der Gesellschaft nicht mehr bändigen Hessen.1490 Burckhardt allerdings, hinter den prägnanten Worten, dass es sich nur um den „Schein eines privatrechtlichen Verhältnisses" handle, differenzierte durchaus in dem Fall, da der Gesetzgeber ein Rechtsverhältnis dem privatrechtlichen Vertrag zuwies: Damit würde, so die bereits erwähnte Lösung Burckhardts, die Erfüllung des Vertrags vom Privatrecht und den Zivilgerichten erfasst, nicht aber die Willensbildung der durch den Rechtsstaat gebundenen Verwaltung. Burckhardt harmonisierte somit ein striktes Verständnis rechtsstaatlicher Legitimation mit den praktischen und politisch anerkannten Bedürfnissen der Verwaltung einerseits und der Gesetzeslegi-

1487

BURCKHARDT 1 9 2 4 : 7 0 .

1488

GIACOMETTI 1 9 2 4 : 3 8 f f .

1489

APELT 1 9 2 0 ; MAYER 1 9 2 1 , v o r a l l e m 2 4 7 .

1490

Soeben bei Fn. 1478: 355.

357

timation andererseits - und zwar wie es in einer frühen Phase bereits der Conseil d'Etat getan hatte.1491 Lehre in den Zwanziger- und Dreissigerjahren An der grundsätzlich ablehnenden Position der Lehre zum verwaltungsrechtlichen Vertrag, die sich aber mit politischen Entscheiden, die moderne Leistungsverwaltung auf das Feld des Vertrags vorzulassen, zu arrangieren suchte, blieb es bis zum Zweiten Weltkrieg. Es folgten im Wesentlichen weitere Varianten der erwähnten Konstruktionen in verschiedenen Dissertationen, etwa von RUTH SPEISER 1922 und in den von Fleiner betreuten Arbeiten von JEDLICKA 1928 und BENKÖ 1931. 1492 Der Grundtenor blieb der gleiche: Der Vertrag zwischen Staat und Privaten sei auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts - wie es bereits Giacometti ausgedrückt hatte eine Systemwidrigkeit,1493 und einzig wo der Gesetzgeber das Rechtsverhältnis explizit dem Vertrag zugewiesen hatte, befassten sich die Arbeiten - quasi auf Geheiss Fleiners - mit den Folgen dieser Systemwidrigkeit und suchten diese, wie es bereits Burckhardt vorgemacht hatte, zu begrenzen. Neu befassten sich diese Arbeiten - gerade infolge der faktischen Verhältnisse, d. h. vermehrter gesetzlicher Ausnahmen und zunehmender Kooperation der Verwaltung - ausfuhrlicher mit jenen Sachverhalten, die für eine effiziente Verwaltungsfuhrung unerlässlich schienen. Abkommen über die Höhe der Steuerlast und Vereinbarungen über Enteignungen kamen nun als Kategorie öffentlichrechtlicher Verträge in Frage,1494 ohne dass damit allerdings jene theoretischen Positionen zugleich angegangen worden wären, die bislang die Aufnahme des Vertrags in öffentliches Recht erschwert hatten: Die Bedeutung der erforderlichen gegenseitigen Willens Übereinstimmung wurde weiterhin mit dem Hinweis auf die fehlende Gleichgerichtetheit entwertet und im Wesentlichen darauf reduziert, die Zuständigkeit der Verwaltung zu erwei-

1491 1492 1493

1494

Hierzu Kap. Il.C.l.b): 114. Analog auch RUCK 1939,1:84 ff. Siehe insbesondere RUTH SPEISER 1922: 1; JEDLICKA 1928: 111; so auch später RUCK 1939, I: 8 4 f. Vgl. etwa betreffend Steuerabkommen RUTH SPEISER 1922: 48 ff.; JEDLICKA 1928: 66 ff.; BENKÖ 1 9 3 1 : 3 3 u n d 4 9 u n d b e t r e f f e n d E n t e i g n u n g s v e r t r ä g e n RUTH SPEISER 1 9 2 2 : 6 8 f.; JEDLICKA 1 9 2 8 : 7 3 f.

358

tern und in ein durch die Rechtsautorität des Staats weitgehend vorgeformtes Rechtsverhältnis einzutreten.1495 Walter Baechis von Fritz Fleiner betreute Dissertation

von 1933

Erst mit der von Fleiner betreuten Dissertation von Baechi von 1933 1496 wurde die harmonische Ablehnung der jungen schweizerischen Lehre gegenüber dem verwaltungsrechtlichen Vertrag gestört und dem verwaltungsrechtlichen Vertrag eine neue theoretische Basis geschaffen, an welche die eigentliche Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags später, nach dem Zweiten Weltkrieg direkt anknüpfen konnte.1497 Baechi griff im Wesentlichen auf die Argumentationen von Apelt und Buddeberg zurück und kritisierte die Relativierung des Elementes der Willensübereinstimmung durch die herrschende Lehre. Denn sobald eine Zustimmung nötig werde, wirke jene des Privaten ebenso konstitutiv wie der Willensakt der Behörde. 1498 Dies gilt in der Tat zumindest dann, wenn man der von Kelsen angebahnten Unterscheidung des Staats als Rechtsautorität und des Staats als Rechtssubjekt folgt, welche die Gleichordnung von Staat und Privaten wieder ermöglichte. 1499 Der Vertrag als geäusserte Willenseinigung von zwei oder mehr Personen zur Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung entspricht dann diesem zweiseitigen Charakter, und wie die Beteiligten ausserhalb des sie bindenden Rechtsverhältnisses zueinander stehen, bleibt - in Abkehr vom bislang stets angefahrten Erfordernis der

1496 1497

1498

1499

Hierin wurde insbesondere an die deutsche Lehre des Verwaltungsaktes auf Unterwerfung angeknüpft: siehe oben III.C.5.c): 3 0 1 ; JEDLICKA 1 9 2 8 : 1 1 0 formulierte es folgendermassen: „Wo ein Verwaltungsakt nur mit Zustimmung des Bürgers ergehen darf, da liegt rein äusserlich betrachtet der Schein eines Vertrags vor. Aber die Willensübereinstimmung ist in diesen Fällen nur nötig ffir Eingehung des Rechtsverhältnisses, während der Inhalt von der Verwaltung einseitig festgelegt wird und die Verwaltung infolgedessen grundsätzlich nicht an den Inhalt gebunden wird, d. h. wenn das öffentliche Interesse es erfordert, so darf sie Aenderungen im Bestände des Verhältnisses treffen." Publiziert 1934 in gekürzter Fassung in der Zeitschrift für öffentliches Recht, Band 14. IMBODEN 1958: 31 f.; STERN 1958: 157; Z W A H L E N 1958: 557a, dessen Nawiasky zugeschriebenen Aussagen auf die Linie Baechi, Apelt und Kelsen zurückfuhren. Interessanterweise kritisierte Baechi die gegenteilige Meinung als Relikt des Polizeistaates, während bislang notabene die privatrechtslastige Vertragstheorie als Überrest des Polizeistaates abgetan wurde, so etwa bei Giacometti, durch dessen Werk sich dieser Vorwurf wie ein roter Faden zieht: siehe GIACOMETTI 1924: 12, 19, 22, 30 und 47. Auf Seite 12 fährte Giacometti dies genauer aus: „Im Verfassungsstaate fehlen nun die gesetzlichen Grundlagen für diese Zwangsdienstpflicht. So greift man jetzt zur Erklärung des Beamtenverhältnisses auf den alten Staatsdienstvertrag zurück, der aber nunmehr als öffentlichrechtlicher Vertrag erscheint. Die daraus entspringenden vermögensrechtlichen Beziehungen werden dabei unter dem Einfluss polizeistaatlicher Anschauungen wie bis dahin als privatrechtliche betrachtet." BAECHI 1934: 77 ff.; zu Kelsen siehe oben Kap. III.C.4.c): 288.

359

Gleichordnung - unerheblich.1500 In gewisser Weise konnte Baechi dabei an Burckhardt anknüpfen, der zwar die Rechtsform des Vertrags für das öffentliche Recht strikte ablehnte, aber dennoch die Nähe zum Vertrag nicht verkannte. Burckhardt hatte sich folgendermassen geäussert: „Ob man das Ganze Vertrag nenne oder nicht, ist gleichgültig, aber ein vertragsmässiges Moment ist dabei: die freie Zustimmung eines Teiles, der Privatperson. Ihre Zustimmung ist in der Tat gleich frei und gleich wesentlich wie die Zustimmung einer Vertragspartei zum Vertrag. Und das ist gerade das Eigentümliche, Erklärungsbedürftige, an diesem öffentlichrechtlichem Rechtsverhältnis, dass es, obschon durch das öffentliche Interesse beherrscht, nur zustande kommt, wenn eine Privatperson es will; nach der Willkür also einer Privatperson, die keine Verantwortung für die Wahrung des öffentlichen Interesses trägt."1501 Auf der Grundlage der von Baechi weit konzipierten Vertragstheorie und einer bereits von Apelt vorgegebenen funktionalen Abgrenzung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht gab es somit kein Hindernis mehr, auch die bisher stark politisch besetzten Rechtsverhältnisse wie die öffentlichrechtliche Anstellung wieder als Vertrag zu qualifizieren - nun aber als rein öffentlichrechtliche Konstruktionen.1502 Durchzusetzen vermochte sich diese Position freilich erst viel später, als die Verträge in der Lehre vor allem nach Imbodens und Zwahlens Ausführungen von 1958 und einer analogen Lehre in Deutschland weitere Akzeptanz gewonnen hatten und die Politik - in Zuge von politischen Affären 1503 - mit der Ausdehnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit1504 weitere Möglichkeitsbedingungen für den verwaltungsrechtlichen Vertrag geschaffen hatte.

ff. und

1500

BAECHI 1 9 3 4 : 6 4

1501

BURCKHARDT 1 9 2 8 : 6 0 f.

88

ff.; ähnlich bereits

JEDLICKA 1 9 2 8 : 4 0 .

1502

BAECHI 1 9 3 4 : 1 1 1 .

1503

Angesprochen wird damit die Mirrage-Affaire von

1964.

Im Überblick

HÄFELIN/MÜLLER

2 0 0 2 : 1452 ff. 1504

360

Bundesgesetz über die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 20. Dezember 1968 (AS 1969 737, vor allem 767; BB1. 1968 II 1200, v. a. Art. 97 ff.); hierzu Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde vom 24. September 1965 (BB1. 1965 II 1265).

4.

Rechtsprechung undfehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit: Fiskustheorie zum Verwaltungsrecht

von der

Konvergenzen und Irritationen zwischen Lehre und Rechtsprechung im Übergang zum 20. Jahrhundert Im letzten Drittel des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts folgte das Bundesgericht im Grossen und Ganzen der Tendenz von Lehre und Gesetzgebung, jene Kooperationen zwischen Staat und Privaten mehr und mehr mit öffentlichem Recht zu erfassen, die nicht unzweifelhaft dem Privatrecht zuzuordnen waren.1505 Darauf wurde bereits vertieft eingegangen.1506 Diese lange Abkehr von einer Fiskustheorie, die noch ihre Institutionalisierung im liberalen Bundesstaat von 1848 gefunden hatte, erfolgte dabei je nach politischer Bedürfnislage früher oder später: Im Konzessionswesen manifestierte sich der Druck der Politik früh und mit grosser Vehemenz, während etwa die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten wohl nicht zuletzt im Kontext des Aufbaus einer eidgenössischen Verwaltung noch während längerer Zeit als zivilrechtliche Ansprüche aufgefasst wurden. 1507 Die Lehre begrüsste die von den Gerichten vollzogene Abkehr von den 'Reminiszenzen des Polizeistaates' (Giacometti),1508 wurde allerdings auch nach der Jahrhundertwende durch zahlreiche Abweichungen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung von einer stringent öffentlichrechtlichen Lehre irritiert.1509 Insbesondere Burckhardt nahm in prägnanter Weise zu diesen Irritationen Stellung.1510 Er erkannte einerseits, dass die Divergenzen primär in jenen Rechtsverhältnissen auftraten, die massgeblich auf der Zustimmung des Privaten beruhten, und dass andererseits die Unstimmigkeiten auf einem Konflikt zwischen, wie er es ausdrückte, „Rechtsgefuhl" und dem „Bedürfnis nach einem folgenrichtigen Aufbau der Rechtssätze" beruhten, wobei sich Burckhardt massgeblich für letztere Position einsetzte:

1505

Etwa in BGE 41 II 299, 315 f. (1915; Kraftwerk Laufenburg gegen Staat Aargau) und 4 9 I 160, 185 (1923; Elektrizitätswerk Lonza gegen Kanton Wallis II) stellte sich das Bundesgericht ganz grundsätzlich gegen die Erfassung derartiger Kooperationen mit (zivilrechtlichem) Vertrag; ähnlich 49 I 555, 570 f. (1923; Kanton Obwalden gegen Elektrizitätswerk Luzern-Engelberg)

1506

Zum Ganzen Kap. II.C.3.a): 154.

1507

Hierzu Kap. II.C.3.b): 161.

1508

Oben Fn. 1482: 356.

'509

Prägnant sind vor allem GIACOMETTI 1924 und BURCKHARDT 1924.

,5

BURCKHARDT 1 9 2 4 ;



1928.

361

„Durch diese Kompromisse wird das Rechtsgefühl beschwichtigt: es kann dem Beamten oder Konzessionär also doch nicht nachträglich genommen werden, was ihm fest zugesichert worden war; aber das theoretische Bedürfnis bleibt unbefriedigt, nämlich das Bedürfnis nach einem folgenrichtigen Aufbau der Rechtssätze. Zuerst wird gelehrt, das ganze Rechtsverhältnis gehöre dem öffentlichen Recht an, was doch heisst, dass es unter dem bestimmenden Einfluss des öffentlichen Interesses steht und nach diesem abgeändert werden kann; sodann aber sollen gewisse Ansprüche, nämlich die vermögensrechtlichen Ansprüche des Beamten oder die Ersatzansprüche des Konzessionärs ohne Rücksicht auf die veränderten Forderungen des öffentlichen Interesses, unantastbar sein. ... Die sachliche Schwierigkeit... ist doch die, dass die Anstellung der Beamten im öffentlichen Interesse und deshalb nach zwingenden Normen geschieht, dass aber die Änderung dieses Verhältnisses auf Ansprüche stösst, die ohne die Zustimmung der beteiligten Parteien nicht aufgehoben werden können."1511 Just in diesen Irritationen zwischen Lehre und Rechtsprechung zeigten sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Zeichen der Zeit. Diese drängten das Recht dazu, die kooperierende Verwaltung mit gesellschaftsadäquaten Rechtsformen zu verfassen. Die zu suchende Gesellschaftsadäquanz war jedoch nicht leicht zu eruieren, denn gegenläufigen Kontextanforderungen von Politik, wissenschaftlicher Gesellschaftstheorie und Wirtschaft drängen auf entsprechende Rücksichtnahme. Dies ist zunächst anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichts genauer zu erläutern und zum Schluss mit der soeben dargestellten Lehre in Beziehung zu setzen. Rechtsprechung des Bundesgerichts ... zum Staatsdienst Obwohl das Beamtenverhältnis von Bundesgericht bereits vor der Jahrhundertwende als Gewaltverhältnis und damit als öffentlichrechtlich qualifiziert worden war,1512 griff das Bundesgericht zugleich noch auf die Zivilgerichtsbarkeit und das Zivilrecht zurück, um Vermögensrechte des Beamten zu stabilisie-

1511

B U R C K H A R D T 1 9 2 8 : 5 8 f.

1512

Siehe bereits Prägnant ist ferner BGE 49 I 535, 544 (1923; Frey gegen Thurgau), nach welchem auch die Festlegung der Entlohnung in einem Vertrag nichts an der Rechtsnatur einer Beamtenanstellung als öffentliches Recht ändere.

362

ren.1513 Und nachdem mit BGE 41 II 175 (1916; Landjäger Schönmann gegen Kanton Bern) ein Bekenntnis zur grundsätzlich öffentlichrechtlichen Erfassung des Beamtenverhältnis abgelegt wurde,1514 wies das Bundesgericht in BGE 46 I 143 (1920; Wüthrich gegen Staat Bern) obiter daraufhin, dass es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag handeln könnte, auf jeden Fall aber wohlerworbene Rechte aus dem Beamtenverhältnis entstünden, die der Eigentumsgarantie und damit der bundesgerichtlichen Beurteilung unterstellt seien und nur gegen Entschädigung entzogen werden könnten.1515 Demgegenüber betonte das Bundesgericht sodann in BGE 50 I 69 (1924; Instituteurs primaires gegen Canton de Genève), dass der Gesetzgeber in casu die Anstellungsdauer und im Allgemeinen das Regime, unter welchem die Beamten stehen, jederzeit ändern könne, ohne dass der Staat notwendigerweise entschädigungspflichtig werde.1516 ... zur Benutzung öffentlicher

Anstalten

Einen ähnlichen Verlauf nahm die Rechtsprechung zum Verhältnis von öffentlichrechtlichen Anstalten zu ihren Benutzern. Nach BGE 12 463 (1886; Bank in Wyl gegen Post) ging es bei einem abhanden gekommenen Poststück um eine Klage aus privatrechtlichem Vertrag.1517 In BGE 34 II 143 (1908; Brunner gegen Postverwaltung) wurde sodann die Rechtsnatur zwischen der Post und den Benutzern offen gelassen, zugleich aber darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber im Anschluss an die bundesgerichtliche Rechtsprechung eine Zuweisung zur Zivilgerichtsbarkeit vorgenommen habe: „...Indessen hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung von jeher die Ansprüche vermögensrechtlicher Natur von Privaten an staatliche Anstalten als zivil-

1513 15,4

1515

15,6 1517

Hierzu Fn. 713: 169 und Fn. 725 :172. im Überblick insbesondere BURCKHARDT 1928. Zur Debatte stand allerdings nur die Frage, ob das Beamtenverhältnis fortbestehe und damit weiter Sold geschuldet sei. Nur gestützt auf diese Frage allein, so das Bundesgericht, lasse sich die Entlassung nicht mit als zivilrechtliche Streitigkeit beim Bundesgericht anfechten auch wenn die Klage der Form nach auf einen pekuniären Anspruch gehe: vor allem 180 f. Ähnlich: BGE 55 II 208 (1929; Müller gegen Staat Wallis) und 63 11 36 (1937; Meier gegen kant. Pensionskasse Schaffhausen). Vor allem S. 149 f. Hierzu kritisch BURCKHARDT 1928: 58. Unter anderen Vorzeichen bezeichnete das Bundesgericht auch in BGE 53 II 408, 412 (1927; Héritiers de Jérôme Roten gegen Banque cantonale du Valais) als Vertrag: Direktoren und andere leitende Personen einer Kantonalbank seinen mit öffentlichrechtlichen Vertrag mit dem Staat verbunden, und entsprechend komme nicht die Verjährung nach Haftpflichtrecht (Art. 60 OR), sondern eine Verjährungsfrist analog zum privatrechtlichen Vertrag von zehn Jahren zur Anwendung. S. 77 f. Vor allem S. 472.

363

rechtliche Streitigkeiten betrachtet, und dadurch, dass das PRG die Kompetenz des Bundesgerichtes aufgestellt hat, gibt es zu erkennen, dass es ebenfalls diese Streitigkeiten als Zivilrechtsstreitigkeiten ansieht, oder sie doch als solche behandelt wissen will." 1518 In BGE 39 I 187 (1913; Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft Basel gegen St. Gallen) bezeichnete das Bundesgericht das Benutzungsverhältnis ein weiteres Mal als privatrechtlichen Vertrag, fugte allerdings - obiter - ein neuartiges Element hinzu: den Kontrahierungszwang.1519 Schliesslich wies BGE 41 I 241 (1915; GemeindeElektrizitätswerk Kerns gegen Obwalden) auf einen möglichen Wechsel der Rechtsprechung im Rechtsverhältnis von Benutzern zu einem Elektrizitätswerk hin: „...Elektrizitätswerke aber, die vom Staat oder von einer Gemeinde geschaffen werden, um einer ganzen Landesgegend die Vorteile der elektrischen Beleuchtung zuteil werden zu lassen, sind gewiss nicht rein gewerbliche oder kommerzielle Unternehmungen, sondern erfüllen in erster Linie, auch wenn sie daneben dem betreibenden Gemeinwesen einen Gewinn abwerfen sollten, einen öffentlichen Zweck. Die Frage welchem Rechtsgebiete die Beziehungen zwischen ihnen und ihren Kunden angehören, dem Privat- oder öffentlichen Rechte, kann daher nicht allgemeingiltig [sie], sondern nur von Fall zu Fall an Hand der dafür in Betracht kommenden konkreten Umstände gelöst werden." 1520 Nachdem auch BGE 52 I 44 (1926; Ernst Birch gegen Elektrizitätswerk Küsnacht) ein weiteres Mal die Rechtsnatur der Anstaltsbenutzung offen gelassen hatte und auf den möglichen Wechsel der Rechtsprechung hingewiesen hatte,1521 folgte das Bundesgericht von hier an - als notabene der Gesetzgeber bereits weitgehende Haftungsregelungen im Sinne eines funktionalen Äquivalentes zur Zivilgerichtsbarkeit erlassen hatte1522 - der von der Verwaltungsrechtslehre vorgeschlagenen Abgrenzung relativ treu und qualifizierte in der Regel die Benutzerbeziehung zu öffentlichen Diensten wie Gemeindewasserwerken und Krankenhäusern ebenso wie Ansprüche an staatliche Unterstützungspflichten als ein öffentlichrechtliches

1518 1519 1520 1521 1522

364

S. 145. Vor allem S. 198. S. 249 f. Vor allem S. 50 ff. Hieraufwies denn auch BGE 55 II 107, 115 (1929; Wäffler gegen Eidgenossenschaft) hin, um den Unterschied zu den Ansprüchen aus Vertrag zu begründen. Zu diesem Fall sogleich unten Fn. 1554: 371. Zu den Haftpflichtgesetzen vgl. oben Fn. 1423: 343.

Rechtsverhältnis Staats.1523

oft mit Hinweis auf die öffentliche Fürsorgepflicht des

Interessant ist dabei die Begründung der Abgrenzung des Verwaltungs- vom Zivilrecht: Zum einen wurde in funktionaler Weise nach dem Kriterium des öffentlichen Zwecks vom Privatrecht abgegrenzt1524 und zum anderen danach, ob die gegenseitigen Rechte und Pflichten von beiden Seiten frei geregelt werden konnten,1525 respektive ob das Rechtsverhältnis durch staatlichen Zwang zustande gekommen war. 1526 Bezeichnenderweise griff das Bundesgericht im Falle des Staatsdienstes sodann aber wieder auf die Unterscheidung nach Anleitung der Souveränitätslehre zurück, wobei allerdings die Zweckorientierung durchaus mitgetragen wurde: Massgebend sei „... le rapport particulier de Subordination qui existe entre lui et l'Etat, c'est le fait qu'il est au service de l'Etat." [Hervorhebung im Original]1527 Das Leitprinzip der Souveränitätslehre äusserte sich insbesondere im durch das Bundesgericht zitierten dictum Fleiners, dass nur derjenige Beamter sei, den der

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Siehe BGE 34 II 792 (1908; Itel gegen Baladingen); 48 II 415, 417 (1922; Müller gegen Luzern); 50 II 293, 298 (1924; Tschuy gegen Eidgenossenschaft): Ansprüche auf Subventionen; siehe auch bereits prägnant BGE 18 382, 391 (1892; Albert K. gegen Baselstadt) zum Fall einer Einweisung in die Irrenanstalt: „Der Staat, welcher einen Kranken nach Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen in eine öffentliche Irrenanstalt aufnimmt, schliesst nicht einen privatrechtlichen Vertrag mit demselben oder seinen Gewalthabern ab; er verpflichtet sich nicht zu einer privatrechtlichen Leistung gegenüber dem Kranken oder seinen Verwandten, sondern er gewährt in Kraft der bestehenden Gesetze, welche die Irrenpflege zur Staatsaufgabe erheben, öffentlich-rechtliche Fürsorge." Weiterhin als Privatrecht erfasst wurden allerdings Kautionen, die von Benutzern öffentlicher Dienste geleistet wurden, sofern denn Raum für eine auf den konkreten Fall abstellenden Einigung etwa betreffend die Form der Kaution verblieb: vgl. z. B. BGE 56 III 238, 245 (1930; Konkursmasse Wolfensberger & Widmer AG gegen Eidgenössische Telephonverwaltung). BGE 34 II 792 (1908; Itel gegen Baladingen); 40 II 83, 85 f. (1914; Kappeler gegen Einwohnergemeinde Turgi); 43 II 541, 546 (1917; Barbezat gegen Commune de Fleurier): „... ce sont des branches de l'administration publique poursuivant un but d'utilité générale et que, à ce titre, elles sont soumises au droit public."; 44 II 52, 54 (1918; Marziano gegen Hôpital cantonal de Genève). BGE 41 I 241, 248 ff. (1915; Gemeinde-Elektrizitätswerk Kerns); BGE 56 III 238, 245 (1930; Konkursmasse Wolfensberger & Widmer AG gegen Eidgenössische Telephonverwaltung). Unter vielen BGE 44 II 308, 312 (1918; AG der Eisen- und Stahlwerke gegen Brandassekuranzanstalt des Kanton Schaffhausen), mit Hinweis auf den Zweck des allgemeinen Wohls, das die zwangsweise Aufnahme in die Versicherung rechtfertige. BGE 47 II 38, 45 (1921; Mayer gegen Etat de Neuchâtel) und 54 II 120, 122 (1928; Dr Pozzi contre Commune d'Orsières). In letzterem BGE ging es konkret um drei Walliser Gemeinden, die mit einem Arzt einen Vertrag über wöchentliche, allen Dorfbewohnern zugängliche Arztbesuche in den Gemeinden schlössen. Das Bundesgericht qualifizierte dies als privatrechtlichen Vertrag.

365

Staat zwangsweise zur Erfüllung seiner Amtspflichten anhalten könne, 1528 und entsprechend vermochte das Bundesgericht zunächst nur eine Alternative zwischen privatrechtlichem Vertrag und Verfugung (als rechtliche Entsprechung der hierarchischen Organisation im Rahmen des Staatsapparats) zu unterscheiden.1529 ... zum

Konzessionsverhältnis

Als besonders hartnäckig erwiesen sich gewisse Irritationen im Fall des Konzessionsverhältnisses

- zwischen Praxis und Rechtsprechung einerseits und zwischen

Rechtsprechung und Lehre. Entgegen jeder vorausgegangenen Vertragsverhandlung und jeder Bezeichnung als Vertrag durch die Parteien1530 bekannte sich zwar auch hier das Bundesgericht weiterhin1531 dazu, dass es sich in aller Regel um ein 'rein' öffentlichrechtlich zu erfassendes Verhältnis, „un acte de souveraineté", handle, 1532 wobei es zunehmend

1923: 237; zitiert in BGE 54 II 120, 123 (1928; Dr Pozzi contre Commune d'Orsières). BGE 54 II 120, 123 (1928; Dr Pozzi contre Commune d'Orsières): „... il peut, comme un particulier, conclure des contrats de droit privé (par ex. des contrats d'entreprise ou de travail); il peut aussi créer un service public spécial et nommer un fonctionnaire ou un employé pour remplir cet office." BGE 47 I 222, 226 (1921; Elektrizitätswerk Lonza gegen Kanton Wallis I): „Die 'Convention' vom 8. Juni 1918 ist aber ... ein Verwaltungsakt, wenn schon der äussern Form nach ein Vertrag vorliegt." Zur frühen Rechtsprechung siehe Kap. II.C.3.b): 161. BGE 63 II 46, 48 (Raoul de Graffenried-Villars gegen Etat de Fribourg); ebenso BGE 39 I 187, 198 f. (1913; Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft Basel gegen St. Gallen); 40 II 83, 85 f. (1914; Kappeler gegen Einwohnergemeinde Turgi).; 43 II 443, 448 f. (1917; Gemeinde Tinzen gegen Froté & Cie); 47 I 222, 226 (1921; Elektrizitätswerk Lonza gegen Kanton Wallis); 50 I 397, 403 f. (1924; Elektrizitätswerk Olten-Aarburg gegen Solothurn II). In BGE 38 I 61, 63 (1912; Elektrizitätskommission Rheineck) wurden die Äusserungen und Verträge einer Elektrizitätskommission als privatrechtliche qualifiziert, da diese Kommission - auch in der Vergabe von Konzessionen - keine Amtsgewalt ausübe, d.h. keine allgemeingültigen Gebote und Verbote erlassen könne. FLEINER

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neben dem souveränen Akt 1533 auch das öffentliche Interesse als für die Zuweisung bedeutend herausstrich.1534 Gleichwohl erfasste es Nebenabreden insbesondere zu Steuerprivilegien1535 und Schiedsklauseln 1536 als Teil eines Vertrags. Dieser begründete nach der Praxis des Bundesgerichts wohlerworbene Rechte, die der Beurteilung des Bundesgerichts unterstanden.1537 In Anbetracht der seit den Ausfuhrungen von Giacometti und Burckhardt herrschenden massiven Kritik der Lehre an den 'polizeistaatlichen

1533

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1536 1537

Zentrales Argument fur die öffentlichrechtliche Rechtsnatur war zumeist, dass eine öffentliche Instanz wie die Regierung nach erfolgter Verhandlung und Einigung mit dem Konzessionär noch die Zustimmung - als ein Siegel des Souveräns - gab: So zum Beispiel in BGE 47 I 222, 226 (1921; Elektrizitätswerk Lonza gegen Kanton Wallis). So etwa in BGE 40 II 83, 85 f. (1914; Kappeler gegen Einwohnergemeinde Turgi); ebenso BGE 43 II 541, 546 (1917; Barbezat gegen Commune de Fleurier); 50 I 397, 403 f. (1924; Elektrizitätswerk Olten-Aarburg gegen Solothurn II). In BGE 47 I 242 (1921; Stutz gegen Elektrizitätswerk Küsnacht) dehnte das Bundesgericht sogar das öffentliche Interesse, die Bevölkerung mit Elektrizität zu versorgen, auf ein staatliches Monopol auf elektrische Installationen und den Verkauf von elektrischen Geräten fur den Heimbereich aus. Vgl. oben bei Fn. 1524: 365. BGE 31 I 260 (1905; Compagnie du chemin de fer Bulle-Romont); 38 II 737 (1912; Compangie genevoise des Tramways électriques à Genève); 43 II 132 (1917; Lampugnani contro Municipo di Lugano); vgl. aber 57 I 351, 359 f. (1931; Siedelungsgenossenschaft Freidorf gegen Staatssteuerrekurskommission Baselland): Ohne Verknüpfung mit Konzession gelte ein klarer Vorrang neuerer Gesetze vor Steuervereinbarungen. BGE 41 II 299, 309 ff. ( 1915 ; Kraftwerk Laufenburg gegen Staat Aargau). Nicht aber in BGE 38 II 361, 364 (1912; Wasserwerk Gemeinde Meggen), wo ein vertraglich eingeräumtes Steuerprivileg als Frage des kantonalen öffentlichen Rechts qualifiziert wurde, und zwar selbst wenn das Obligationenrecht zu Anwendung komme, denn „... so kann es sich dabei jedenfalls nur um eine analoge Rechtanwendung handeln . . . " Dann aber gerade gegenteilig in BGE 38 II 735, 737 (1912; Compangie genevoise des Tramways électriques à Genève). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch BGE 48 I 581, 599 f. (1922; Meyenberg gegen Zug), in welchem es um die Gesetzesbeständigkeit einer blossen Polizeierlaubnis ging, die nun mit Gesetz in eine entschädigungspflichtige Konzession umgewandelt werden sollte. Das Bundesgericht harmonisierte in feinfühliger Weise die wirtschaftlichen Anforderungen der Privaten mit dem Anspruch des Staats, jederzeit in souveräner Weise mit Gesetz die Rechtslage ändern zu können: „Die Entstehung eines solchen [selbständigen und entschädigungspflichtigen Rechtes] wird, als Folge bestimmter darauf gerichteter Schritte, allerdings anzunehmen sein, falls der Anstösser von dem ihm zustehenden Ansprüche auf Nutzung mit behördlicher Bewilligung tatsächlich durch Erstellung der dazu nötigen Anlagen oder Abtretung an einen Dritten Gebrauch gemacht hat, da es unmöglich der Wille des Gesetzes gewesen sein kann, auch in diesem Falle die Stellung des Werkinhabers oder Zessionars zu einer bloss prekären zu gestalten, und ihn damit der Möglichkeit ihrer entschädigungslosen Entziehung durch einfache Änderung der Gesetzgebung trotz der für Errichtung der Anlagen oder für den Erwerb der 'konzedierten' Abtretung gebrachten Opfer auszusetzen, nachdem er unter Umständen seine ganze wirtschaftliche Existenz darauf aufgebaut hat."

367

Reminiszenzen' der bundesgerichtlichen Rechtsprechung1538 fühlte sich das Bundesgericht denn auch gezwungen, einen Grund für diesen - am Stand der öffentlichrechtlichen Lehre gemessenen - Anachronismus anzugeben: „Quant à la notion du différend de droit civil selon l'Art. 48 OJ, elle ne concorde pas nécessairement avec la définition doctrinale ... C'est une notion traditionnelle qui remonte à la Constitution de 1848 (Art. 97 et 101) et qui s'explique en première ligne par la volonté du législateur d'assurer au justiciable la protection d'une juridiction indépendante ,.." 1539 Dabei wurde unter anderem auch auf die Folge der Fiskustheorie verwiesen, dass vertragsähnliche Beziehungen zwischen Staat und Privaten, auch wenn durch einseitigen Hoheitsakt begründet, vor den Zivilgerichten verfolgbare Ansprüche auslösen könnten.1540 Das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesgerichtspflege sei also, so die Kernargumentation des Bundesgerichts, historisch zu interpretieren: Der Bundesstaat von 1848 und 1874 habe somit gewisse zivilgerichtliche Garantien für pekuniäre Rechten geben wollen, was insbesondere bei Rechtsverhältnissen gelte, in welche der Private, analog zum Vertrag, freiwillig eintrete: „En particulier ... on doit ... envisager comme telles [des actions de droit civil], d'une manière générale, les actions en dommages-intérêts contre la corporation publique. Il en est ainsi tout d'abord lorsque le citoyen se plaint d'une atteinte portée à ses droits individuels, soit par des actes illicites d'agents de l'Etat, soit par des actes licites qui pourraient impliquer cependant pour l'Etat l'obligation de réparer le dommage causé. Mais on fait figurer également dans cette catégorie les cas où la demande se fonde sur un rapport juridique de nature particulière, créé par un acte souverain et unilatéral, mais dans lequel le citoyen entre librement et qui, à cet égard, est analogue à un contrat [sic]; on se rattache ainsi à la conception suivant laquelle, en raison de cette

1538

1539

368

Siehe BGE 62 II 291, 294 f. (1936; Fédération suisse des ouvriers sur métaux et horlogers gegen Etat de Neuchâtel). Unten anderen hierzu kritisch B u r c k j h a r d t 1928: 59. BGE 62 II 291, 295 (1936; Fédération suisse des ouvriers sur métaux et horlogers contre Etat de Neuchâtel). Der erwähnte Art. 48 OG lautete folgendermassen: „II. Civilrechtspflege. 1. Das Bundesgericht als einzige Civilgerichtsinstanz. 48. Das Bundesgericht beurteilt als einzige Instanz, civilrechtliche Streitigkeiten: ... 2) zwischen Korporationen oder Privaten als Klägern und dem Bunde als Beklagten, sofern der Streitgegenstand einen Hauptwert von wenigstens Fr. 3000 hat ...": Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (AS 13 455; BB1 1893 1120). BGE 49 II 404, 417 (1923; Brennerei-Genossenschaft Aesch-Dornach gegen Eidgenossenschaft).

analogie, l'acte souverain peut, nonobstant son caractère, faire naître en faveur du citoyen certains droits privés ..," 1 5 4 1 Somit folgte das Bundesgericht der vom historischen, liberalen Gesetzgeber verordneten Fiskustheorie weiterhin. Der repräsentative Stand der Bundesrechtsprechung kann anhand B G E 65 I 290 (1939; Kraftwerk Wäggital) dargelegt werden. Zur Debatte stand ein vereinbartes Steuerprivileg im Rahmen einer Wasserrechtskonzession, das vom Bundesgericht folgendermassen verortet wurde: „Man hat es dabei mit einer Regelung zu tun, die in der Konzession getroffen wurde im Hinblick auf die Person des Unternehmers. Sie ist nicht bloss äusserlich mit der Konzession verbunden worden, sondern war Gegenstand besonderer Verhandlungen bei der Vorbereitung der Konzession und bildet einen wesentlichen Bestandteil des Verleihungsverhältnisses."' 542 In diesem Verbund mit der Konzession, so das Bundesgericht weiter, folge das Steuerprivileg der öffentlichrechtlichen Beurteilung. 1543 Dass es fur ein derartiges Steuerprivileg keine gesetzliche Grundlage gebe, sei nicht relevant, denn das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage schütze den Bürger vor dem Staat und nicht umgekehrt. 1544 Wesentlich war fur das Bundesgericht vielmehr, dass der Private aufgrund behördlicher Zusicherungen in das Rechtsverhältnis eingetreten war, was sich in den gegenseitigen Rechten und Pflichten widerspiegle: „Das Bundesgericht hat stets den Standpunkt eingenommen, dass durch eine Konzession ein Rechtsverhältnis begründet wird mit gegenseitigen Rechten und Pflichten der Verleihungsbehörde auf der einen und des Beliehenen auf der andern Seite, und dass der Beliehene, der ein Werk im Vertrauen auf die Verbindlichkeit einer Konzession und der darin enthaltenen Zusicherungen errichtet hat, darauf Anspruch erheben kann, dass die Verleihungsbehörde ihm gegenüber die Konzessionsbestimmungen einhält.... Dies gilt besonders [sie] auch bezüglich der finanziellen Leistungen, die in der Konzession festgelegt

1541

B G E 6 3 II 4 6 , 4 9 f. ( 1 9 3 7 ; Raoul de Graffenried-Villars contre Etat de Fribourg), so bereits 6 2 II 2 9 1 , 2 9 7 ( 1 9 3 6 ; Fédération suisse des ouvriers sur métaux et horlogers contre Etat de Neuchâtel), in welchem gegenüber der hoheitlichen Verfugung (in casu Subvention) abgegrenzt wurde: „ C e qu'on a donc eu en vue à l'art. 4 8 O J ce sont des liens juridiques noués d'un commun accord après pourparlers et non de purs et simples actes d'autorité discrétionnaires pour lesquels l'intéressé n'est m ê m e pas consulté, tout ce qu'il peut faire étant de se soumettre aux conditions posées." Ähnlich bereits 4 6 I 143 ( 1 9 2 0 ; Wüthrich gegen Staat Bern); im Resultat auch 5 5 II 107, 101 ( 1 9 2 9 ; Wäffler gegen Eidgenossenschaft).

1542

S. 2 9 7 .

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S. 2 9 8 .

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S. 3 0 0 .

369

sind, so für den Wasserzins; es muss aber auch für die Besteuerung gelten, wenn die Konzession hierüber etwas sagt."1545 Folglich, so die Lösung des Bundesgerichts, komme dem Privaten ein unter der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie stehendes wohlerworbenes Recht zu.1546 Damit war das Bundesgericht terminologisch und inhaltlich äusserst nahe an die Idee des Vertrags getreten: der konstitutiven Rolle der freien (weil gleichgeordneten) Willensübereinkunft. Darüber hinaus schützte das Bundesgericht im Resultat wenn auch paradoxerweise mit der Eigentumsgarantie1547 - das gegenseitige Vertrauen auf die Stabilisierung der in einem gemeinsamen Projekt verbundenen unterschiedlichen Bedürfnisse. Diese konstitutive Rolle der Willenserklärung gleichwertiger Parteien und der daraus folgenden Kompatibilisierung unterschiedlicher Interessen in einem gemeinsamen Projekt liess sich auch in BGE 61 I 65 (1935: Wasserkonzession Gornergratbahn) nicht mehr unterdrücken. Hier hatte das Bundesgericht in einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine Konzessionsvereinbarung in einem Punkt zu ergänzen, den die Parteien nicht vorausgesehen hatten. Konkret ging es darum, dass im Rahmen einer bereits über dreissig Jahre alten Wasserkonzession die Verwertung des nun eingetretenen Stromüberschusses nicht geregelt worden war. Das Bundesgericht bezeichnete das Konzessionsverhältnis als „ein Akt des öffentlichen Rechts",1548 und ging sodann an die Ergänzung des „Vertrags", wobei es sich in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen Lehre und Praxis fragte, „wie disponiert worden wäre, wenn damals [bei Vertragsschluss] das Problem der Verwendung des überschüssigen Stromes sich so gestellt hätte, wie es dann später und speziell in neuester Zeit sich darbot". 1549 Dabei berücksichtige es gleichermassen die privaten und die öffentlichen Interessen und versuchte diese zu kompatibilisieren: Einerseits sei es „unwirtschaftlich", den Stromüberschuss nicht zu verwerten, andererseits aber habe die Gemeinde ein Interesse an der langfristigen Rentabilität des Gemeindewerkes, das nun durch den Stromüberschuss konkurrenziert werden könnte. Die Lösung fand das Bundesgericht in einer zusätzlichen Vergütung für die Verwertung des überschüssigen Stroms und gewissen Einschränkungen, an wen der überschüssige Strom verkauft werden durfte. 1550

1545

1546 1547 1548

1549 1550

370

S. 302; ähnlich bereits BGE 57 I 329, 335 (1931; Elektrizitätswerk Olten-Aarburg AG gegen Solothurn III). Zu aktuellen Auswirkungen wohlerworbener Rechte siehe STRUB 2 0 0 1 . Zu diesem Paradox jüngst m. w. H. W E B E R - D Ü R L E R 2002. S. 74. g

-J-J

s! 77 f.

Damit zeigt sich deutlich, dass sich die Reinheit einer verwaltungsrechtlichen Dogmatik ä la Otto Mayer, also ohne Zuhilfenahme von verwaltungsunabhängiger Gerichtsbarkeit und Vertragsrecht je länger je weniger durchhalten Hess - und dies gerade auch im Bereich des Konzessionswesens, welches in der Schweiz schon früh von Politik und Lehre im Kontext nationaler Infrastrukturprojekte zu einer öffentlichrechtlichen Erfassung gedrängt worden war. In diesem Bereich, in welchem es offensichtlich im gegenseitigen Interesse des Staats und Privater darauf ankam, deren unterschiedliche Bedürfnisse auf Dauer zu stabilisieren, wurden die pekuniären Interessen der Wirtschaft dem Schutz der unabhängigen Gerichtsbarkeit unterstellt und vom Bundesgericht in fiskustheoretischer Tradition geschützt. 155 ' Und dass - wie die soeben angeführten Fälle zeigen - gerade im technischen Bereich der Staat oft auf die Expertise und Finanzkraft der Privaten angewiesen war, führte zu Verhandlungslösungen, die sich nur schwer als einseitigen, hoheitlich erlassenen Rechtsaktes deuten Hessen, weshalb das Bundesgericht denn auch immer wieder in vertragliche Terminologie verfiel. 1552 ... zum öffentlichrechtlichen

Hinterlegungsvertrag

Eine ausserordentlich deutlich hervortretende Variation dieses Bedürfnisses, kooperative Rechtsverhältnisse des Staats mit Privaten in vertraglichen Bahnen zu stabilisieren, stellte die Praxis des Bundesgerichts zum öffentlichrechtlichen Hinterlegungsvertrag dar. Hier Hess sich das Rechtsverhältnis ganz offensichtlich nicht als ein herrschaftliches, befehlsförmiges deuten. Neben einer gewissen Gleichgeordnetheit und Eigenständigkeit der Parteien legte allerdings auch das anvisierte Ergebnis die Vertragsform nahe. Dies zeigt sich besonders deutlich an BGE 55 II 107 (1929; Wäffler gegen Eidgenossenschaft): Eine schweizerische Bürgerin hatte im März 1918 in der schweizerischen Gesandtschaft in Petersburg Wertpapiere deponiert, die sodann infolge eines Raubüberfalles auf die Gesandtschaft im November 1918 verloren gingen. Das Bundesgericht nahm die Klage nach Art. 48 Ziff. 2 OG als vermögensrechtlichen Anspruch eines Privaten gegen den Bund im

1552

Dies manifestiert sich selbst im Willen der Politik: Vgl. Art. 55 OG gemäss Revision von 1893, BB1. 1893 I 1107, 1125: „II. Civilrechtspflege. 2. Das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz gegenüber den Entscheidungen und Verfügungen eidgenössischer Behörden. Art. 55: Das Bundesgericht beurteilt nach Maßgabe der Bundesgesetzgebung Beschwerden gegen das Verfahren und die Entscheidungen eidgenössischer Behörden, insbesondere: 1) in Expropriationsstreitigkeiten nach Anleitung des Bundesgesetzes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850 ... 2) bei der Zwangsliquidation von Eisenbahnen nach Anleitung des Bundesgesetzes betreffend die Verpfändung und Zwangsliquidation der Eisenbahnen vom 24. Juni 1874." Besonders deutlich BGE 65 I 290, 297 (1939; Kraftwerk Wäggital).

371

Rahmen der Zivilgerichtsbarkeit an die Hand. Die Eidgenossenschaft als Beklagte argumentierte nun aber, es bestünde im öffentlichen Recht keine Bestimmung zu einem derartigen Rechtsverhältnis, weshalb einzig die allgemeine Haftbarkeit der Beamten zur Anwendung käme. Diese Berufung auf fehlende Normierung lehnte das Bundesgericht in aller Deutlichkeit mit Verweis auf den Vertragscharakter ab: „Diese Verweisung auf das Verantwortlichkeitsgesetz ist zweifellos da am Platze, wo es sich lediglich um die Frage handelt, ob und wie derjenige, welcher durch eine fehlerhafte Handlung eines Beamten oder einer Behörde zu Schaden gekommen ist, Vergütung dieses Schadens fordern könne. Sie reicht aber nicht hin, eine befriedigende Lösung der Haftungsfrage in denjenigen Fällen zu geben, wo bereits eine Bindung des Staates selbst vorliegt, d. h. wo nicht nur in dessen Namen eine schadenstiftende Handlung vorgenommen worden ist, sondern ein Rechtsgeschäft, aus welchem nicht der handelnde Beamte, sondern der Staat selbst Verpflichtungen übernommen hat." 1553 Folglich qualifizierte das Bundesgericht den Sachverhalt als öffentlichrechtlichen Vertrag mit der Begründung, dass erstens übereinstimmende Willensäusserungen vorlägen und zweitens der Staat nicht in der Art eines Betriebes die Wertpapiere zur Verwahrung übernommen habe, sondern ohne Entgelt in einer Hilfsaktion zugunsten in ihrem Vermögensbesitz bedrohter Landsleute.1554 Eine Haftung aus öffentlichrechtlichem Vertrag lehnte das Bundesgericht sodann in casu - in Übereinstimmung mit den vertragsrechtlichen Regeln 1555 - mit der Begründung ab, die Wertpapiere seien aufgrund höherer Gewalt abhanden gekommen. 1556

... zum Vertrag im Rahmen eines drohenden oder laufenden Enteignungsverfahrens Eine spezielle Variation dieses Themas, kooperative Rechtsverhältnisse des Staats mit Privaten mit vertraglicher Terminologie und vertraglichen Konzepten zu erfas-

1553 1554 1555

1556

372

S. 114. S. 112 f. Vgl. Art. 119 Abs. 1 des schweizerischen Obligationenrechts: „Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen." S. 115 f. Vgl. auch BOE 47 II 144 (1921; Bernhard gegen Eidgenossenschaft): In diesem gleich gelagerten Fall einer Wertsendung, die ein schweizerischer Bürger einer schweizerischen Gesandtschaft in Russland im Zuge der Revolutionswirren übergeben hatte und welche abhanden gekommen war, schloss das Bundesgericht allerdings auf einen zivilrechtlichen Vertrag, wobei mangels grober Fahrlässigkeit die Haftung der Eidgenossenschaft ebenfalls abgelehnt wurde.

sen, bilden Vereinbarungen, die im Zuge einer Enteignung zwischen der enteignenden Behörde und dem zu Enteignenden geschlossen werden. Das Bundesgericht kam etwa in BGE 52 I 35 (1926; Gemeinde Niedergestein gegen Berner Alpenbahngesellschaft) nicht umhin, diese Vereinbarungen als Verträge zu bezeichnen, denn eine solche Vereinbarung wurde selbst nach der Einleitung des formellen Enteignungsverfahrens ausserhalb der strikten einseitigen Verordnungen des Gesetzes getroffen, um präzisere Lösung zu finden und Verwaltungsaufwand zu sparen. Diese Verträge seien aber, nachdem das formelle Enteignungsverfahren eingeleitet worden sei, aufgrund der Anwendung von obrigkeitlicher Gewalt, respektive der Drohung mit obrigkeitlicher Gewalt als öffentlichrechtliche Verträge aufzufassen und einem im Enteignungsgesetz speziell vorgesehen Verwaltungsverfahren unterstellt.1557 Fazit: Anstösse zur Emergenz des verwaltungsrechtlichen unter Anleitung des Bundesgerichts

Vertrags

Wie ist nun diese 'opportunistische' (Giacometti)1558 und 'widersprüchliche' (Burckhardt)1559 Rechtsprechung des Bundesgerichts im Kontext jener Zeit zu deuten? Insgesamt wird anhand der dargelegten Rechtsprechung klar, dass sich - trotz starker Widerstände der Lehre - Überreste der Fiskustheorie punktuell dort weiter hielten, wo die Fiskustheorie entweder durch den Gesetzgeber sanktioniert worden war oder wo ein dauerhaftes Verhältnis wie zumeist im Konzessionswesen oder auch im Staatsdienst auf gegenseitige Akzeptanz und gerichtliche Stabilisierung der jeweils unterschiedlichen beteiligten Perspektiven angewiesen war. Das Bundesgericht drückte dies in BGE 46 I 143 (1920; Wüthrich gegen Staat Bern) deutlich aus: „... gegen die fortdauernde Behandlung von Streitigkeiten über Besoldungsansprüche der Beamten als Zivilstreitigkeiten durch die kantonalen Gerichte ... [ist] nichts einzuwenden, wenn sie einerseits einer solchen traditionellen Auffassung entspricht, andererseits eine unabhängige, ausserhalb des Orga-

1557

S. 36 ff.

1558

GIACOMETTI 1 9 2 4 : 2 1 .

1559

BURCKHARDT 1 9 2 4 : 7 0 .

373

nismus der gewöhnlichen Verwaltungsbehörden stehende andere Instanz für die Beurteilung nicht besteht."1560 Dieser Argumentation schoss sich auch der Bundesrat explizit an.1561 Gerade in diesem Fall der notwendigen Übernahme wechselseitiger Perspektiven liess sich auch die vertragliche Terminologie je länger je weniger unterdrücken. Mit einer mehr und mehr auf den Zweck staatlicher Wohlfahrtsbildung und weniger auf das hoheitliche Subordinationsverhältnis im Rahmen staatlicher Ordnungsbildung fokussierten Dogmatik einerseits sowie im Zuge der Stabilisierung des Verwaltungsrechts im Austausch von Theorie und Verwaltungsgerichtspraxis andererseits fand schliesslich der Vertrag auch im öffentlichen Recht eine - wenn auch sehr zögerliche - Aufnahme unter massgeblicher Anleitung durch das Bundesgericht. Denn damit nahm die Rekonstruktion des Vertrags im öffentlichen Recht, die viel später vor allem durch die Schriften von IMBODEN 1958 und ZWAHLEN 1958 sowie durch parallele Vorgänge in Deutschland und Frankreich angetrieben wurde, erst einen Anfang. Die Trennung von Politik von Recht, ausgelöst im Höhepunkt des Absolutismus und realisiert insbesondere in der grossen Revolution, und die nachfolgende 'capture' des Rechts im modernen Nationalstaat sowie die weitgehende Fokussierung des privatrechtlichen Vertragsrechts auf die Wirtschaft wirkten allerdings vorerst weiterhin nach und einer Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags entgegen: Einerseits wurden wie oben erwähnt kooperative Verhältnisse der Verwaltung zum Beispiel zum Beamten oder zu Anstaltsbenutzern weiterhin im Kontext des gesellschaftseinigenden und hierarchisch strukturierten Staats weitgehend auf ein Gewaltverhältnis reduziert, und andererseits wurden den politischen Dimensionen von privatrechtlichen Verträgen mit staatlicher Beteiligung nicht genügend Rechnung getragen. Ein Beispiel für Letzteres liefert das Submissionsverhältnis, das vom Bundesgericht auf den vertraglichen Charakter und vor allem auf dessen Zweisei-

S. 150. Analog mit Bezug auf das Konzessionsverhältnis meinte das Bundesgericht in BGE 48 I 197, 206 (1922; Elektrizitätswerk Olten-Aarburg gegen Solothurn I) zur Einführung einer Beschwerde ans Bundesgericht in Streitigkeiten um den Wasserzins, dass dies auf dem Gedanken beruhe, „... dass zwischen der der Verleihungsbehörde und dem Beliehenen durch die Verleihung ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten entsteht, einem durch Vertrag begründeten Verhältnis vergleichbar, und der Beliehene deshalb einen rechtlich geschützten Anspruch darauf hat, dass die Verleihungsbehörde ihm gegenüber die hat, dass die Verleihungsbehörde ihm gegenüber die Verleihungsbestimmungen einhalte 1561

BURCKHARDT/VON SALIS 1 9 3 0 - 1 9 3 2 , B d . 3 : N 9 7 2 III.

1562

V g l . SALZWEDEL 1 9 5 8 ; STERN 1 9 5 8 .

1563

V g l . LAUBADERE 1 9 5 6 .

374

tigkeit sowie den Ausschluss von Drittpartien beschränkt wurde. In BGE 60 I 366 (1934; Jäggi AG gegen Solothurn) führte das Bundesgericht Folgendes aus: „Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde können nach Art. 178 OG und feststehender Praxis nur Hoheitsakte einer staatlichen Behörde sein, d. h. solche Willensäusserungen, durch die einer Person in verbindlicher und erzwingbarer Weise ein Handeln, Unterlassen oder Dulden auferlegt wird. Nur ein solcher Akt erfüllt den Begriff der 'Verfugung' im Sinne der angeführten Gesetzesvorschrift, wie der Parallelismus mit dem allgemein verbindlichen Erlasse, d.h. der Rechtssätze aufstellenden allgemeinen Anordnung zeigt .... Darunter fällt aber der Zuschlag einer öffentlichen Arbeit an einen privaten Unternehmer auf Grund vorangegangener Ausschreibung (Submission) und die Verweigerung dieses Zuschlags an einen anderen Bewerber, der sich auf die Ausschreibung hin ebenfalls gemeldet hatte, nicht. Auch wenn es sich auf Seite des Staats um eine Verwaltungshandlung im weiteren Sinne handeln mag, so liegt doch im Verhältnis zu den Bewerbern darin keine Äusserung staatlicher Befehlsgewalt, sondern lediglich der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags (Werkvertrags) mit dem angenommenen Bewerber und die Ablehnung der entsprechenden Angebote der übrigen Eingabesteller ... Damit ist aber bereits auch gesagt, dass eine Willensbetätigung in Frage steht, die ausser den Wirkungsbereich der staatsrechtlichen Beschwerde, den Kreis der einer Aufhebung durch den Staatsgerichtshof zugänglichen Akte fallt." 1564

5.

Beginnende Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Wechselwirkung zwischen Rechtsprechung und Lehre

Eine Analyse der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung zur Kooperation zwischen Staat und Privaten vermag zu zeigen, dass sich infolge des Jahrhundertwechsels zum 20. Jahrhundert die Verselbstständigung des Verwaltungsrechts und die entsprechende Ablösung von zivilrechtlichen Rückständen, vor allem die Ablösung von der Fiskustheorie, verstärkten. Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Privaten, bei welchen die Verwaltung auf die Kooperation des Privaten angewiesen war, wurden - ähnlich wie in Deutschland die grossen Verwaltungsrechtler unter Anleitung von Otto Mayer gefordert hatten - vermehrt allein mit öffentlichem Recht erfasst. Auch wenn sich allerdings die schweizerische Lehre, d. h. vor allem Fleiner und sodann Burckhardt und Giacometti, relativ klar gegen die Rechtsform des Vertrags

,564

S. 369

375

in der verwaltungsrechtlichen Beziehung zwischen Staat und Privaten aussprachen, so Hessen sich die Elemente der Vertragslehre und ganz allgemein das Zivilrecht in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung doch nie vollständig vom emergierenden Verwaltungsrecht fernhalten. Insbesondere im Bereich der Konzession und in der Anstaltsbenutzung Hess sich die kooperative Beziehung zwischen Verwaltung und Privaten nicht allein mit dem Hinweis auf Souveränität und Gesetz stabilisieren, sondern in den Urteilsbegründungen nahm das Bundesgericht, nicht zuletzt in einem Ausgleich zur fehlenden Verwaltungsgerichtsbarkeit, immer wieder zu zivilund vertragsrechtlichen Terminologien und Konzepten Zuflucht. Hierin äusserte sich gleichsam, was von Burckhardt als blosses 'Rechtsgefühl' abgetan wurde: 1565 der Druck eines 'lebenden Rechts' im Sinne von Eugen Ehrlich.1566 D. h. infolge der zunehmend interventionistischen Verwaltung und ihrem gesteigerten Anspruch, die Gesellschaft zu verfassen, griff die Verwaltung wenn nötig auch auf Kooperationen mit Privaten zurück, womit schliesslich auch die Gerichte vermehrt mit spezifischen Arrangements in der Form von Einigungen und zwischen Staat und Privaten irritiert wurden. Eugen Ehrlich (1862-1922) bietet sich an dieser Stelle zugleich aus verschiedenen Gründen als Referenz an: Erstens war Ehrlich ein massgebender Vertreter jenes Teils der Rechtswissenschaft, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Gleichsetzung von Staat und Recht in Frage stellte. Zweitens wies Ehrlich mit seinem 'lebenden Recht' daraufhin, dass an den Rändern des Staats das Recht nicht begriffswesentlich von diesem ausgehen müsse. Jene Prozesse der Genese von Recht, die Ehrlich in der ländlichen, multikulturellen Burkowina erkannte, lassen sich analog auch für Kooperationen zwischen Staat und Privaten erkennen. Denn auch in diesem Randbereich eines in hierarchischer Weise über die Gesellschaft gebietenden Staats Hessen sich kooperative Rechtsformen der Herrschaft nicht einfach mit dem Konzept des souveränen Nationalstaats unterdrücken.1567 Und drittens basiert nach Ehrlich die Ordnung des Rechts auf den vier „Tatsachen des Rechts": Übung, Herrschaft, Besitz und Willenserklärung. Gerade die Elemente Herrschaft und Willenserklärung hatte Hobbes bezeichnenderweise aus seinem Rechtsbegriff verdrängt, und gerade aufgrund des Wechselspiels von Herrschaft und Willenserklärung Hess sich der Vertrag zwischen Staat und Privaten letztlich nicht unterdrücken.1568

1565

Oben Fn. 1511: 362.

1566

EHRLICH 1 9 8 7 / 1 9 0 3 .

1567

Zur Erinnerung: Im souveränen Nationalstaat bündeln sich jene Kompetenzen, mit welchen der Staat zur Verfolgung seiner zentralen Aufgabe, Einheit und Wohlstand der Gesellschaft zu verwirklichen, über die gesamte Gesellschaft samt Recht verfugen kann.

1568

EHRLICH 1 9 1 3 .

376

Widerwillig hatte die schweizerische Lehre ausnahmsweise Verwaltungsverträge aufgrund expliziter gesetzlicher Grundlage zugelassen. Die in der Schweiz besonders dominante Souveränitätslehre, gestützt durch die rousseausche Notion der unbeschränkten Volkssouveränität, zwang die Lehre zu diesem Zugeständnis. Die gleiche Souveränitätslehre wirkte zugleich aber auch in massgeblicher Weise darauf hin, dass sich die Form des verwaltungsrechtlichen Vertrags zwischen Staat und Privaten nicht stabilisieren konnte, wie sich besonders im Bereich des Staatsdienstes an der Rechtsprechung des Bundesgerichts deutlich ablesen lässt: Entweder kooperiert der Staat auf dem Feld des Privatrechts von Gleich zu Gleich, weil er sich in seiner unbeschränkten Rechtsmacht auch auf diese Ebene (man könnte sagen: hinunter) begeben kann, oder aber der Staat erfüllt seine Aufgabe hoheitlich und in einem reinen Unterordnungsverhältnis zu den Privaten - Souveränität und Vertrag schliessen sich in dieser Konzeption aus. In Anbetracht dieser starken Souveränitätslehre, wie sie von Fleiner und insbesondere von Giacometti und Burckhardt vertreten wurde, und in Anbetracht der fehlenden Verwaltungsgerichtsbarkeit vermochte nur sehr zögerlich eine konsistente und vor allem systematische Praxis und Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Verschlaufung von Rechtsprechung und Lehre zu entstehen, wobei allerdings wie gezeigt die 'alten' funktionalen Äquivalente für eine gewisse Stabilisierung von Kooperationen zwischen Staat und Privaten sorgten. An den besprochenen Bundesgerichtsurteilen fällt denn auch auf, dass das Bundesgericht bis weit ins 20. Jahrhundert hinaus regelmässig auf traditionelle zivilrechtliche und zivilgerichtliche Grundsätze zurückgriff, um Kooperationen zwischen Staat und Privaten rechtlich zu stabilisieren und sich hierzu unter anderem explizit auf die historische Institutionalisierung der Fiskustheorie im jungen schweizerischen Bundesstaat und implizit auf die fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit berief. E.

Rückblick und Ausblick: Auswirkungen der Zentrifugalkräfte der Gesellschaft auf das Paradox des modernen Nationalstaats

1.

Re-Entry des Vertrags ins Verwaltungsrecht staatlichen Paradoxes

und neue Entfaltung

des

Entfaltung des staatlichen Paradoxes im Polizeistaat In weiten Teilen des 19. Jahrhunderts blieb, wie gesehen, wenig Raum für den Vertrag als rechtlich verfasste Kommunikationsform zwischen Verwaltung und Privaten - dies im Kontext von nationalem Drang nach politischer Souveränität, von professionalisierter und hierarchisierter Verwaltung, von Realisierung eines 377

umfassenden Binnenmarkts, auf welchem der allmächtige Staat zunächst nur begrenzt als gleichgerichtete Partei erscheinen konnte, sowie von Bemühungen, eine eigenständige Verwaltungswissenschaft respektive Verwaltungsrec/zfawissenschaft zu errichten. Gerade aber mit der Überwindung ständischer Reminiszenzen durch den modernen Nationalstaat, der zwecks Einigung und Wohlstand der Gesellschaft zur absoluten Souveränität, d.h. vor allem zur Zentralisierung aller Macht drängte, gelangte zugleich auch das Paradox des modernen Nationalstaats zum Bewusstsein: Zur Einigung der Gesellschaft und zur Verwirklichung von allgemeinem Wohlstand verfugt der Staat zwar über alle Macht, ist aber doch auf Kooperationen mit den Machtunterworfenen angewiesen. Dies wurde erstmals im Polizeistaat am Staatsdienst deutlich, denn der Staat war (und ist freilich noch heute) zum Zwecke 'wirkungsvoller Policey' 1569 auf willige Staatsdiener angewiesen, und eben dieser gute Wille lässt sich nicht erzwingen. Dieses Paradox wurde zunächst im Wesentlichen auf zwei Arten bewältigt: Es wurde entweder in den rechtsfreien Raum politischer Macht verdrängt und zum Beispiel mit Nationalethos invisibilisiert oder - unter zunehmendem liberalem Einfluss und mit dem Effekt der Kompatibilisierung mit der emergierenden modernen Marktwirtschaft - mit Hilfe eines Rückgriffs auf Privatrecht und unabhängige Zivilgerichte unter dem Titel der Fiskuslehre entfaltet.1570 Entfaltung des staatlichen Paradoxes im Wohlfahrtsstaat

interventionistischen

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich im Recht die Emergenz weiterer Variationen zur Bearbeitung dieses nationalstaatlichen Paradoxes beobachten, um die wachsenden kooperativen Bedürfnisse des Staats, der sich zunehmend um den Aufbau einer modernen Sanitär- und Verkehrsinfrastruktur bemühte, mit den entsprechend sich verändernden Legitimationsanforderungen zu versöhnen: Mit der Emergenz der unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zunächst in Frankreich und sodann in Deutschland und schliesslich in der Schweiz die zunehmend eigenständige und mit grossen Vorbehalten verknüpfte Rekonstruktion des Vertrags im öffentlichen Recht zu beobachten. Die Verwaltungsrechtswissenschaftler und Ge-

1569

1570

378

„Wenn man nun erwäget, in was für einer Menge von Umständen das Wohl der besondern Familien mit dem allgemeinen Besten zusammenhängt; so siehet man leicht, dass darzu sehr viele innerliche Verfassungen und Einrichtungen erfordert werden.": JUSTI 1760a, I, Einleitung: 4. Hierzu Kap. II: 95.

richte kamen ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Frankreich und später in Deutschland und der Schweiz nicht mehr darum herum, die vertraglichen Konzepte auch im öffentlichen Recht zu thematisieren und vermehrt Teile der privatrechtlichen Vertragslehre im öffentlichen Recht zu rezipieren, während der Gesetzgeber hierzu mit ganz wenigen Ausnahmen schwieg. Diese Situation lässt sich bereits in den grossen Schriften jener Zeit zum Verwaltungsvertrag von Dareste und Otto Mayer erkennen.1571 Dennoch unterschieden sich die Situationen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz massgeblich: ... in Frankreich Nach liberal gefärbten wissenschaftlichen Impulsen insbesondere von Cormenin und von Dareste erfolgte in Frankreich die Aufnahme des contrat administratif unter Anleitung des Conseil d'Etat und des Tribunal des conflits. Nicht ohne Grund ereignete sich die verwaltungsrechtsinterne Rekonstruktion des Vertrags gerade kurz nachdem die Verwaltungsgerichte sowohl formell wie auch materiell an Unabhängigkeit gegenüber der Regierung - notabene vor allem während des Projekts der Dezentralisierung der Verwaltung - gewonnen hatten und nachdem diese Verwaltungsgerichte vor allem mit dem Fall Blanco1572 die Verwaltung von der Fiskustheorie und damit vom Einfluss der Zivilgerichte in grösserem Ausmass befreit, zugleich aber auch in grösserem Ausmass als bisher dem Recht unterstellt hatten: Sollte das Verwaltungsrecht unter Anleitung des Conseil d'Etat die Verwaltung durch legitimierendes Recht verfassen, musste nun auch eine Rechtsform für die kooperativen Verbindungen zwischen Verwaltung und Privaten gefunden werden. Denn nur damit konnten die neuartigen Fragen der gegen Ende des 19. Jahrhunderts massiv vergrösserten und zunehmend proaktiven weil zunehmend um aktuelle Grossaufgaben wie Sanitäts- und Verkehrs infrastruktur bemühten Verwaltung zu rechtlichen Fragen und damit legitimer Verwaltung führten. Abgesehen von der Terminologie verblieb allerdings im Verwaltungsrecht des Conseil d'Etat zunächst wenig vom traditionellen Vertragskonzept, was denn auch von Otto Mayer, der den verwaltungsrechtlichen Vertrag zwischen Staat und Privaten für das deutsche Recht mit nachhaltigem Einfluss ablehnte, genau registriert wurde. Gleichwohl wurde mit der Einführung des Terminus 'Vertrag' das französische Verwaltungsrecht derart geprägt, dass sich die aus dem Privatrecht bekannten Fragen um Bedeutung und vor allem Beständigkeit der übereinstimmenden Wil-

1571

DARESTE 1 8 6 2 ; M A Y E R 1 8 8 8 .

1572

Entscheid des Tribunal des conflits v o m 8. Februar 1873 in Sachen Blanco, recueil 1er Supplement 61. Vgl. oben Kap. III.B.3.C): 224.

379

lensäusserungen und die Frage nach den Rechten der vom Vertrag ausgeschlossenen Dritten nun auch im Verwaltungsrecht mit aller Vehemenz stellten.1573 ... in Deutschland Auch an der regen Debatte um den Initialakt zur Bestellung des Staatsdieners in den deutschen Verwaltungsrechtswissenschaften wurde deutlich, dass sich das Paradox des modernen Nationalstaates mit der zunehmend ausdifferenzierten Gesellschaft radikalisiert hatte und sich auf Dauer weder im rechtsfreien Raum invisibilisieren, noch mit überkommenen vormodernen Konzepten umgehen liess; im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde von fuhrenden deutschen Rechtswissenschaftlern wie Otto Mayer und Paul Laband eine eigentümliche Erscheinung im deutschen Recht beobachtet, die nicht in die sich verfestigende Dichotomie öffentliches Recht versus Privatrecht passen wollte: Die Staatsbeamten wurden in der Praxis immer weniger in der Form eines einseitigen Akts der Staatsgewalt in den Dienst aufgenommen, sondern es wurden gegenseitige Rechte und Pflichten festgelegt, und es wurde der Terminus Vertrag verwendet. Wie fundamental das sich erst konstituierende junge System des deutschen Verwaltungsrechts1574 durch die „Vertrag" genannte Kooperation des Staats mit den (zukünftigen) Staatsangestellten irritiert wurde, zeigt sich bei Mayer in aller Deutlichkeit: Solche Verträge, so Mayer, seien im System des öffentlichen Rechts „überhaupt nicht denkbar".1515 Der sich gegenüber dem Privatrecht erst langsam verselbstständigende Rechts- und Wissenschaftsbereich des Verwaltungsrechts fühlte sich durch die Praxis der Politik, ihre Beamten zunehmend durch „Vertrag" in Staatsdienst zu berufen, respektive für diese Praxis den Begriff des Vertrags in Anspruch zu nehmen, in dieser Ausdifferenzierung in Frage gestellt.1576 Mit seinen Vorbehalten gegenüber der verwaltungsrechtlichen Rezeption des Vertrags drückte Otto Mayer pointiert seine Bedenken darüber aus, dass gerade zu jenem Zeitpunkt privatrechtliches Gedankengut in das junge Verwaltungsrecht eingeführt wurde, als dieses sich zu verselbstständigen suchte, und zwar durch die

1573 1574

Prägnant ist vor allem DUGUIT 1907. Zum Ganzen siehe oben Kap. III.B: 207. Massgebend für ein wissenschaftlich angeleitetes System des Verwaltungsrechts war Otto Mayer, vor allem mit seinem Hauptwerk zum deutschen Verwaltungsrecht: MAYER 1895/96. Dieses wurde bereits in der Vorstudie zum französischen Verwaltungsrecht erkennbar: MAYER 1886.

1575

MAYER 1 8 8 8 , 4 0 u n d 4 2 .

1576

Zur Emanzipation des öffentlichen Rechts im Allgemeinen und des Verwaltungsrechts im Besonderen siehe bereits MAYER 1888, 26 f. Ähnlich GIERKE 1874: 166. Jüngst mit einem Fokus auf Fritz Fleiner ROGER MÜLLER 2006.

380

Abgrenzung gegen aussen von der - von den deutschen Juristen immer noch primär polizeistaatlich gedachten - Politik und gegen Innen vom Privatrecht, das bisher eine beschränkte Legitimationsfunktion für die Verwaltung übernommen hatte. Mit der Ausrichtung auf das alte polizeistaatliche Problem der rechtlichen Erfassung des Staatsdienstes vermochte allerdings die junge deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft lange keine adäquaten Variationen für die neuen Probleme des Interventionsstaates hervorzubringen. Dass dieser emergierende Interventionsstaat und damit auch die Kooperationen zwischen Staat und Privaten von der deutschen Rechtswissenschaft lange ignoriert wurden, liegt wohl zunächst daran, dass sich die junge Verwaltungsrechtswissenschaft mit der juristischen Methode eine Sichtbeschränkung auferlegte, die die Ablösung von den Pressionen der Politik erst ermöglichte, zugleich aber auch das Blickfeld auf die Überwindung des alten Polizeistaates beschränkte und damit die neuen Fragestellungen nicht derart erfassen konnte, dass in diesem Bereich stabile Selektionen resultiert hätten. Sodann war auch die bereits vor der Jahrhundertwende einsetzende Verwaltungsgerichtsbarkeit war derart kompromissbehaftet und apolitisch ausgestaltet worden, dass sie sich ebenfalls auf die alten Formen der Polizei ausrichtete und aus dem neuartigen Interventionsstaat zunächst nur sehr beschränkt neues Fallmaterial und damit neue Impulse generieren konnte. Erst infolge des Ersten Weltkrieges, als die interventionistische Art der Verwaltung, in die Gesellschaft auszugreifen, unübersehbar geworden war, rekonstruierten junge Wissenschaftler wie Apelt und Buddeberg den Vertrag als eigenständige Rechtsform des Verwaltungsrechts.1577 Sichtbar wird somit im französischen wie auch im deutschen Verwaltungsrecht nichts weniger als ein spannungsgeladener Re-Entry der zu jener Zeit zivilistisch verstandenen Vertragsform in das junge moderne System des Verwaltungsrechts. Im Wesentlichen erfolgte dieser Re-Entry zu einem Zeitpunkt, als sich die Zentrifugalkräfte der modernen Gesellschaft weiter verschärften und damit das Verwaltungsrecht geradezu zum Re-Entry gezwungen wurde, um das Paradox des modernen interventionistischen Nationalstaates bewältigen respektive neu entfalten zu können und um schliesslich die Ausdifferenzierung des modernen öffentlichen Rechts nicht zu gefährden. In Frankreich stand in dieser Hinsicht der - durch die Verwaltung anzuleitende - Aufbau einer modernen Infrastruktur im Vordergrund, während in Deutschland eine methodisch selbstbeschränkte Rechtswissenschaft und eine politische beschränkte Verwaltungsgerichtsbarkeit thematisch auf den Aufbau einer bundesweiten modernen Bürokratie respektive die Bestellung zum

1577

APELT 1 9 2 0 ; BUDDEBERG

1925.

381

Staatsdienst fokussiert blieben und damit zunächst die neuen Fragestellungen des Interventionsstaates nicht zu thematisieren vermochten.1578 ... in der Schweiz In der Schweiz vermochte sich infolge des politischen Primats im jungen Bundesstaat und infolge der verspäteten Einführung einer äusserst schwachen Form der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowohl die Eigenständigkeit des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft wie auch die Fragestellung nach einer verwaltungsrechtseigenen Figur des Vertrags nur punktuell zu etablieren. Dennoch zeigt sich auch für die Schweiz, dass die Infrastrukturleistungen im Hinblick auf eine moderne Industriegesellschaft wie auch die Bestellung zum Staatsdienst im Zuge des Aufbaus einer Bundesverwaltung neue Kooperationen zwischen der Verwaltung und Privaten hervorbrachten und damit eine Lehre irritierten, die an der alten, vor allem aus Deutschland rezipierten Theorie eines souveränen Staats, der die Integration und Wohlfahrt der Gesamtgesellschaft aus eigener Macht (unter anderem) mit Recht hervorbringt, festhielt.1579 Re-Entry als Folge von Irritationen in Recht und Wissenschaft Der Re-Entry des Zivilrechts in das junge moderne Verwaltungsrecht wurde durch verschiedene Kontextanforderungen ans Recht ausgelöst und setzte zugleich eine Anpassung der politischen Legitimationsmechanismen voraus: Denn die verwaltungsrechtliche Rezeption des Vertrags zwischen Staat und Privaten rührte an den Fundamenten der damaligen Staatstheorie und des Verwaltungsrechts, die sich aufeinander bezogen:1580 Dass die Verwaltung auf Kooperation mit Privaten angewiesen sein sollte und diese Kooperation mit der rechtlichen Institution des Vertrags zu stabilisieren suchte, stellte herrschende Prinzipien in Politik, Recht und Wirtschaft in Frage: -

erstens die souveräne Gewalt des Nationalstaats, was bereits Hegel mit aller Deutlichkeit festgestellt hatte;1581

-

zweitens die Prinzipien der Gesetzeslegitimation und Gesetzesbindung, nach welchen politische Macht nicht nur zugunsten des direkt von der Staatsgewalt

1578 1579 1580

1581

382

Zum Ganzen siehe oben Kap. III.C: 269. Zum ganzen siehe unten Kap. I I I . D : 330. Zu dieser Wechselwirkung siehe V E S T I N G 2004a, der darauf hinweist, dass das Verwaltungsrecht das Verhältnis von Staat und Staatsrecht zum Ausgangspunkt nehme. H E G E L 1820/1973: § 278; vgl. auch M A Y E R 1888, 38.

bezeichneten Subjekts eingedämmt wird, sondern auch zugunsten von Dritten;' 582 -

und drittens das marktwirtschaftliche Prinzip der Gleichgeordnetheit der Parteien. 1583

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war also die Grundproblematik deutlich sichtbar geworden: Die Politik ist zur Erfüllung ihres grossen Auftrags der Moderne - gesellschaftliche Einheit und allgemeiner Wohlstand - darauf angewiesen, dass ihr hierzu alle Macht, also unteilbare Souveränität, zukommt, womit zugleich die Autopoiesis der Politik abgesichert wird. Allerdings ist die Politik zur Erfüllung ihrer Funktion auch auf Kooperationen mit gesellschaftlichen Bereichen angewiesen, die sich dieser politischen Macht entziehen. Auf die soeben erwähnten Problemstellungen, die sich aus dieser Anlage der ausdifferenzierten Gesellschaft ergeben, fanden zwar die Gerichte und die Rechtswissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits schlüssige Antworten. Nur - mit der zunehmenden und bis heute ungebrochenen Fragmentierung der Gesellschaft in voneinander unabhängige Diskurse radikalisieren sich diese Fragestellungen weiter. Dies kann in der Folge am endgültigen Durchbruch des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Deutschland und der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt werden. 2.

Durchbruch Weltkrieg

des verwaltungsrechtlichen

Vertrags nach dem

Neue wissenschaftliche und institutionelle des verwaltungsrechtlichen Fast zeitgleich erschienen in den Fünfzigerjahren mit

Zweiten

Möglichkeitsbedingungen Vertrags LAUBADERE 1 9 5 6

für Frank-

reich, FORSTHOFF 1956; 1958, STERN 1958 und SALZWEDEL 1958 f ü r Deutschland

sowie IMBODEN 1958 und ZWAHLEN 1958 für die Schweiz1584 bedeutende wissen-

Damit stand die Gleichheit als Errungenschaft der Französischen Revolution zur Debatte. Dies gilt sowohl bei einem Souveränitätsbegriff, der wie bei Rousseau auf dem Volk ruht wie auch bei einem solchen, der die Exekutive ins Zentrum stellt. Vgl. ROUSSEAU 1795 mit JUSTI 1771, 464 ff. und HEGEL 1820/1973: § 278. In seiner bekannten Schrift zur Souveränität von 1922 macht Carl Schmitt bekanntlich darauf aufmerksam, dass der Begriff der Souveränität nicht nur dadurch in Frage gestellt wird, dass die Politik Leistungen aus der selbstorganisierten Gesellschaft bezieht, sondern bereits dadurch, dass die Politik hier auf die stabilisierende Leistung des Rechts angewiesen sein soll: SCHMITT 1922. 1583 1584

Hierzu Kap. II.D: 183. Imboden und Zwahlen ging die Dissertation von GRÄTZER 1953 voraus.

383

schaftliche Abhandlungen zum verwaltungsrechtlichen Vertrag. In Frankreich konsolidierte der verwaltungsrechtliche Vertrag seine Position und weitete sie weiter aus, während sich der verwaltungsrechtliche Vertrag in Deutschland und der Schweiz nachhaltig in der Lehre festzusetzen vermochte. Dies lag daran, dass einerseits die Rechtswissenschaft nicht mehr darum herum kam, dogmatische Variationen für einen bedeutenden Lebensbereich zu generieren, in welchen sich die Verwaltung ohne legitimatorische Absicherung ausgedehnt hatte.1585 Und andererseits wurde bald darauf - zwecks Stärkung des Rechtsstaats und in Abgrenzung zum totalitären Hitler-Regime1586 - in Deutschland und sodann auch in der Schweiz mit der Ausweitung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und insbesondere mit dem weitgehenden Wechsel von der Enumerationsmethode zur Generalklausel die institutionelle Voraussetzung geschaffen, damit Streitfalle zwischen der kooperierenden Verwaltung und ihrem privaten Vertragspartner von einer unabhängigen Instanz nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen beurteilt werden konnten.1587 In welche Richtung suchte nun die Rechtswissenschaft die Evolution des verwaltungsrechtlichen Vertrags zu leiten? Die Antwort hierzu fällt für Frankreich, Deutschland und die Schweiz ähnlich aus: Frankreich: Konsolidierung

des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

In Frankreich waren seit den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts zahlreiche Abhandlungen zu einzelnen Ausprägungen des Verwaltungsvertrags, vor allem zum Konzessionswesen und zur Submission, erschienen.1588 Einen Überbau hatte diese Lehre mit Jezes grossem Werk zu den Verwaltungsverträgen von 1927-1934 erhalten.1589 Laubadere schloss nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen drei Bänden von 1956 zu den 'contrats administratifs' an diese verstärkte Produktion von Wissenschaft und Gerichten an und suchte sie zu systematisieren, ohne jedoch die Zunahme von

1586

1587

Vgl. hierzu die Warnungen von Weber: oben bei Fn. 843: 206. BULLINGER 1986:136 ff. Auf den Zusammenhang von verwaltungsgerichtlicher Generalklausel und Verwaltungsvertrag verwies bereits SALZWEDEL 1958: 13 ff. Für Deutschland wurde im Zuge von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, der eine vollständige Gerichtsbarkeit verlangt, die Generalklausel eingeführt: vgl. hierzu BULLINGER 1986: 136 ff. Für die Schweiz massgebend ist insbesondere die Botschaft des Bundesrates vom 24. September 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde, BB1. 1965 II 1265, 1283 ff.

1588

V g l . d i e Literaturverweis bei LAUBADERE 1 9 5 6 , 1 : N 10.

1589

JEZE 1 9 2 7 - 1 9 3 4 .

384

Verwaltungsverträgen zu reflektieren. Entsprechend verfasste Laubadere eine Dogmatik, die sich in gewissen neuralgischen Punkten an den vergangenen Problemstellungen ausrichtete. Er verpasst es damit bis zu einem gewissen Grad, seine Theorie für aktuelle und zukünftige Probleme offen zu halten. So herrscht zum Beispiel bei Laubadere - ähnlich wie etwa bei Stern - ein enger Vertragsbegriff, der ganz auf die Begründung von Obligationen und damit auf die Kompatibilisierung der beiden Gesellschaftsbereiche Politik und Wirtschaft gerichtet blieb.1590 Folglich bekundete Laubadere zum Beispiel grosse Mühe, die Verträge der individuellen Daseinsvorsorge oder Verträge zwischen Staat und Soldaten in diesen Vertragsbegriff einzuordnen.1591 Die vom Conseil d'Etat angeführte Vertragsterminologie in den Rechtsbeziehungen zu Soldaten musste er, um die Konsistenz seiner Theorie zu wahren, sogar als fehlgeleitet bezeichnen.1592 Darüber hinaus charakterisierte sich Laubaderes Theorie, wie bereits bei seinen Vorgängern, durch eine weitgehende Ausrichtung auf die Interessen der Verwaltung und durch ein Schwergewicht auf der Seite des Verwaltungsrechts gegenüber dem Privatrecht.1593 Deutschland: Stärkung des Rechtsstaats und Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags Im nationalsozialistischen Deutschland hatte sich insbesondere bereits STEFFEN 1938 für eine umfassende Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrags ganz nach den praktischen Bedürfnissen des Staats ausgesprochen. Damit stand allerdings seine Schrift nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem zumindest implizit vorgebrachten Vorbehalt, sich zu stark auf ein autoritäres Regime ausgerichtet zu haben.1594 Immerhin wiederholte und bekräftigte PETERS 1949 nach dem Krieg in gewisser Weise Steffens Resultate: Mit zahlreichen Beispielen belegte Peters die faktische Existenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags und schloss daraus, dass sich damit auch im öffentlichen Recht eine derartige Institution des Vertrags bilden sollte.1595 In der Folge widmete Forsthoff in seinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts dem verwaltungsrechtlichen Vertrag verhältnismässig viel Raum. 1596 Forsthoff stellte

LAUBADÈRE 1956, I: N 1. Diese Tendenz zeigt sich bereits beim Vertragsbegriff von DARESTE 1 8 6 2 . 1591

V g l . LAUBADÈRE 1 9 5 6 , 1 : N 8.

1592

L A U B A D È R E 1 9 5 6 , 1 : 8 F n . 1.

1593

LAUBADÈRE 1 9 5 6 , 1 : N 3.

1594

V g l . STERN 1 9 5 8 : 1 1 9 f.

1595

PETERS 1949: 153 ff., vor a l l e m 154 f.

1596

FORSTHOFF 1 9 5 8 : 2 4 9 f f .

385

zwar fest, dass zusammen mit dem Positivismus auch die daran geknüpften Bedenken gegen den verwaltungsrechtlichen Vertrag verschwunden seien. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Aufgaben der Verwaltung könne sich somit der allgemeine Grundsatz pacta sunt servanda auch im Verwaltungsrecht zwischen Staat und Privaten entfalten. Im Einzelnen aber, gerade etwa in der Frage der Rechtsbeständigkeit, stellte Forsthoff doch wieder massgeblich auf das Gesetz und die öffentlichen Interessen ab.1597 Auch SALZWEDEL 1958 und STERN 1958 stellten in Deutschland die massive Ausweitung des verwaltungsrechtlichen Vertrags fest. 1598 Hauptproblem sei dabei „eine eigenartige Zwiespältigkeit" (Salzwedel) zwischen Verwaltungspraxis und Verwaltungsrecht, denn bislang sei der verwaltungsrechtliche Vertrag von Lehre und Rechtsprechung weitgehend stillgeschwiegen oder als Systemwidrigkeit abgetan worden. Beide plädierten vor diesem Hintergrund wie Forsthoff für die Ausweitung der Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrags auch auf Subordinationsverhältnisse zwischen Staat und Privaten.1599 Stern nahm zur Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags einen apriorischen Vertragsbegriff zur Grundlage, der seine Geltung weder aus einer (staatlich zentrierten) Normativität, noch aus einer utilitaristischen Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Verwaltung beziehen sollte. Der Vertrag gelte in einer Rechtsgemeinschaft vielmehr, weil ihm dieses Geltungselement inhärent sei, denn er führe die Parteien zusammen, ordne sie sich unter, indem er für den durch ihn erfassten und geregelten Kreis Normen schaffe, an die die Parteien gebunden seien.1600 Gleichzeitig schloss aber Stern auch an der normativen Lehre an, indem er die zunehmenden Dispositivnormen des öffentlichen Rechts als implizite Ermächtigung zum Vertragsschluss erkannte.1601 Damit ist ähnlich wie bei Forsthoff eine eigentümliche Spannung festzustellen, indem einerseits für die Begründung der Zulässigkeit von einem rigiden Positivismus Abstand genommen wird, andererseits aber spätestens für die konkreten Regelungen wieder auf diesen Bezug genommen wird. Mit dieser Konstruktion strebte Stern ein Zweifaches an: -

Erstens wollte er mit der Identifizierung des Vertrags als apriorische Rechtsform diesen aus dem privatrechtlichen Bias herauslösen. Er scheiterte hier aber inso-

So auch in der 10. A., als die gesetzliche Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz in Aussicht stand: FORSTHOFF 1 9 7 3 : 2 8 2 f. 1598

SALZWEDEL 1 9 5 8 : 1 f.; STERN 1 9 5 8 : 1 4 7 f f .

1599

SALZWEDEL 1 9 5 8 : 7 u n d 18; STERN 1 9 5 8 : 1 0 6 f f .

1600

STERN 1 9 5 8 : 1 2 7 f f .

1601

STERN 1 9 5 8 : 1 3 7 .

386

fern, als dass er den Vertragsbegriff sodann weitgehend wirtschaftlich als Austausch von geldwerten Leistungen und Gegenleistungen vor dem Hintergrund des Marktes definierte. Somit konnte Stern die zentralen Differenzen zum zivilrechtlichen Vertrag, die gerade in einem nichtwirtschaftlichen Element bestehen können, nicht erfassen.1602 -

Zweitens wollte Stern Prinzipien schaffen, die an den bisherigen Strukturen des Rechts anschliessen und zugleich die Tore für den verwaltungsrechtlichen Vertrag und damit die Erweiterung des Rechtsstaats öffnen würden. Dies versuchte er mit einer Kombination von Gesetzespositivismus und apriorischer Rechtslehre, wobei allerdings diese beiden Teile kaum verknüpft wurden, sondern sich eher fremd gegenüberstehen. Sterns Konzeption ist dennoch in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen; sie bildet eine bis heute weitgehend gültige Übergangssemantik. Stern erkannte, dass die Form des verwaltungsrechtlichen Vertrags (noch) nicht ohne Anschluss an die alten Leitprinzipien zu haben war, also nicht ohne Anschluss an den zivilistischen und damit weitgehend wirtschaftlichen Vertragsbegriff und auch nicht ohne Legitimation durch Gesetzesbindung. Zugleich erkannte Stern aber auch, dass angesichts der radikalisierten Problemstellung des allerorts kooperierenden Staats diese nicht mehr allein mit alten Konzepten gelöst werden konnten.1603 Schweiz: Anstrengungen zur Harmonisierung von Gesetzesbindung und verwaltungsrechtlichem Vertrag

Für die Schweiz ging es mit den Werken von Zw AHLEN 1958 und IMBODEN 1958 anlässlich des Schweizerischen Juristentags überhaupt erst darum, sich der Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrags in Kooperationen zwischen Staatsverwaltung und Privaten zu versichern. Entsprechend vermerkte Zwahlen als Berichterstatter der Romandie zum Ende seiner 200-seitigen Ausfuhrungen, seine Schlussfolgerung, der Verwaltung stünde nicht nur die unilaterale Verfugung und der bilaterale privatrechtliche Vertrag, sondern auch der verwaltungsrechtliche Vertrag zur Verfugung, werde wohl manchen Leser überraschen. Die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags rechtfertige sich dadurch, dass angesichts der neuartigen Verwaltung die traditionellen Handlungsformen der Verwaltung einerseits dem Privaten zuwenig Rechtssicherheit böten und andererseits verhindern würden, dass

1602

STERN 1 9 5 8 : 1 2 2 .

1603

Zur Legitimation des Verwaltungsvertrags sogleich unten Kap. III.E.3: 390 und Kap. III.E.4: 401.

387

die Verwaltung ihre legitimen Bedürfnisse in Recht umsetzen könne. 1604 Zwahlen stellte somit seine Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags unter ein zweifaches Ziel: -

Einerseits sollte der neuartigen Verwaltung eine adäquate Rechtsform zur Verfugung gestellt werden, mit welcher sie ihre Projekte mit Recht stabilisieren konnte.

-

Und andererseits sollte gerade dadurch diese neuartige Verwaltung unter die legitimierende und die Privaten schützende Kraft des Rechts gebracht werden.1605

Von einer - wenn auch verhältnismässig lockeren - Bindung an das Gesetz vermochte sich Zwahlen nicht zu lösen: Zulässig sei der verwaltungsrechtliche Vertrag, wenn kein Gesetz entgegenstünde und die Vertragsform nicht gegen Sinn und Zweck der Gesetze Verstösse. Allerdings distanzierte sich Zwahlen in bemerkenswerter Weise von der allgemeinen Tendenz der Verwaltungsrechtslehre, der Verwaltung eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Rechtsform oder gar eine ausgeweitete Wahl von Rechtsformen zur Verfugung zu stellen. Er drängte - ähnlich wie die deutsche Lehre - darauf, die Gefahr der Instrumentalisierung des Vertrags durch die Verwaltung mit einer weitergehenden Bindung des verwaltungsrechtlichen Vertrags an Rechtsprinzipien zu bannen,1606 und er suchte - mit Blick auf das französische Recht - das Bedürfnis der Verwaltung, ihre Projekte dem wechselhaften politischen Willen anzupassen, mit dem wirtschaftlichen Desiderat nach pekuniärer Stabilität zu harmonisieren.1607 Imboden, Ko-Referent der Deutschschweiz am Juristentag neben Zwahlen, stand dagegen dem verwaltungsrechtlichen Vertrag kritischer gegenüber. Er stellte eine Flucht in den Verwaltungsvertrag1608 fest, die einerseits in der fehlenden Ausbildung einer öffentlichrechtlichen Haftpflichtordnung und andererseits in einer überspitzten Lehre der Veränderbarkeit der Verfugung begründet liege. Eine zulässige Anwendung des Verwaltungsvertrags zwischen Staat und Privaten sah Imboden immerhin da, wo die „rechtssatzmässige Bestimmung der Verwaltung ... in einzelnen klar begrenzbaren Bereichen eingeschränkt oder aufgehoben [ist]", so etwa bei der administrativen Hilfstätigkeit, der staatlichen Organisationsgewalt und im Be-

1604

ZWAHLEN 1958: 492a f. und 656a ff.

1605

ZWAHLEN 1958: 6 5 7 a .

1606

ZWAHLEN 1958: 492a f. und 658a f.

1607

ZWAHLEN 1958: 5 5 9 a f.

1608

Noch Fleiner hatte explizit von einer Flucht vor dem Verwaltungsvertrag gesprochen: FLEINER 1 9 1 0 : 3 5 1 .

388

reich des Wirtschaftsrechts. 1609 Für diese zulässigen Bereiche verlangte Imboden vom Gesetzgeber, dass er vor allem da, wo typisierte Vertragsinhalte zur Anwendung kommen, diese Inhalte gesetzlich vorgebe. Darüber hinaus stand Imboden vor allem der Schiedsgerichtsklausel in Verwaltungsverträgen kritisch gegenüber. Insgesamt zeigt sich, dass Imboden zwar den Konflikt zwischen dem traditionellen Rechtsstaatsgedanken samt dem Prinzip der Gesetzesbindung auf der einen Seite und der kooperierenden Verwaltung und dem Verwaltungsvertrag auf der anderen Seite deutlich erkannte, diesen Konflikt aber in der Tradition von Fleiner dadurch zu beheben suchte, dass er den Vertrag unter das Prinzip der Gesetzesbindung brachte. Denn: „Das Gesetz ist der Ausdruck eines allseitig verpflichtenden, in sich geschlossenen rechtlichen Gefuges; ja, es soll - der Idee des Rechtsstaates nach überhaupt der alleinige Ordnungsfaktor sein."1610 Der Vertrag sollte also nach Imboden an möglichst konkrete gesetzliche Grundlagen gebunden und von diesen die Zulässigkeit abhängig gemacht werden, und diese Gesetzesbindung sollte von staatlichen Rechtsmittelinstanzen, und nicht von Schiedsgerichten, kontrolliert werden. Politisches Bias des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

Im Überblick zeigt sich damit einerseits, dass sich die Lehre, begleitet von der Ausweitung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und insbesondere vom Wechsel von der Enumerationsmethode zur Generalklausel, gegenüber dem verwaltungsrechtlichen Vertrag öffnete - und zwar unter massgeblichem Druck der Praxis, deren Legitimationsdefizit offensichtlich geworden war. Zugleich aber entwickelte sich die Lehre des verwaltungsrechtlichen Vertrags innerhalb der bereits im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründeten Pfadabhängigen des souveränen Nationalstaats und dessen Anspruchs, die Gesellschaft mit aller notwendigen Macht zu Einheit und allgemeinem Wohlstand zu fuhren. Damit verblieb der verwaltungsrechtliche Vertrag in einem markanten politischen Bias - mit Folgen für die Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags sowie dessen Funktion und Legitimation - bis heute. Im Wesentlichen ging es darum, unter dem Druck der Realien mit der Vertragsform die Zuständigkeit der Verwal-

1609

IMBODEN 1 9 5 8 : 2 1 3 a .

16,0

IMBODEN 1 9 5 8 : 2 1 1 a .

389

tung über das Gesetz hinaus zu erweitern und die Verwaltung zugleich unter der Legitimation des Gesetzes zu halten. Der zentrale Stellenwert der Gesetzeslegitimation wurde dabei von der Lehre nicht wesentlich angetastet, immerhin aber deren dogmatische Stellung in Anbetracht der ausgeweiteten Verwaltungsgerichtsbarkeit relativiert. Allerdings bestand der Auftrag der Verwaltungsgerichtsbarkeit in dieser Sicht wiederum weitgehend darin, die brüchig gewordene Gesetzesbindung im Auge zu behalten.1611 Damit setzte sich die im 19. Jahrhundert angelegte Pfadabhängigkeit des politischen Bias des Verwaltungsvertrags fort;1612 dieser blieb weitgehend auf die Sicht und Bedürfnisse der Verwaltung ausgerichtet. Folgt man allerdings der in dieser Arbeit festgestellten Tendenz, dass die Zentrifugalkräfte der modernen Gesellschaft sich laufend radikalisieren und dem Vertrag zwischen Verwaltung und Privaten gerade die Funktion zukommt, die sich damit öffnenden Gräben zu überbrücken und der Vertrag letztlich die Aufgabe von Politik und Verwaltung zumindest teilweise übernimmt, die Einheit der Gesellschaft (oder präzisier: deren Evolutionsfähigkeit)1613 zu gewährleisten, dann bleibt nichts übrig, als erneut einen Graben zwischen Rechtslehre und Praxis und ein entsprechendes Legitimationsdefizit der Verwaltung festzustellen. Dies ist im Folgenden in aller Kürze zu verdeutlichen. 3.

Legitimationsdefizit

von

Verwaltungsverträgen

Ausrichtung der heutigen Lehre Nimmt man die aktuelle Literatur zum Verwaltungsvertrag zum Massstab, dann geht es heute darum, der Verwaltung die zunehmend divergenten Interessenstrukturen der Gesellschaft „für die eigene Programmverwirklichung dienstbar zu ma-

1611

Einzig Zwahlen und Stern mit seinem Verweis auf die apriorische Natur des Vertrags deuten hier die legitimierende Wirkung von stabilen Rechtsprinzipien als funktionales Äquivalent von Gesetzesbindung an. ZWAHLEN 1958: 658a f.; STERN 1958: unter anderem 123.

1612

V g l . e t w a JELUNEK 1892: 1 9 2 ff.

1613

Zu dieser Perspektive grundlegend TEUBNER 1998; jüngst AMSTUTZ/ABEGG/KARAVAS 2006.

390

chen"1614 und zugleich diese kooperierende Verwaltung in den sicheren Hafen der traditionellen demokratisch-rechtsstaatlichen Legitimationsmechanismen, Gesetzesbindung einerseits 1615 und erweiterte Grundrechtsbindung andererseits1616, zurückzuführen. Zu verwirklichen sind diese beiden Postulate mit einer materiellen und prozessualen Normverdichtung, die auf die Bedürfnisse der Verwaltung auszurichten ist.1617 Diese heutige Ausrichtung der Lehre vermag sich auf eine lange, durch Otto Mayer und Fritz Fleiner gefestigte Tradition zu stützen, die im Wesentlichen mit einem wissenschaftlich durchdrungenen Verwaltungsrecht den Polizeistaat und eine monarchische, respektive eine sich monarchisch gebärdende Regierung zu überwinden suchte. 1618 Die heutige Legitimationskrise

der kooperierenden Verwaltung greift

jedoch tiefer, als dass man diese heute allein mit den aus dem Abwehrkampf gegen

1614

1615

So explizit MÄCHLER 2005: 618; siehe auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN 2006. Nach diesen Autoren kommt es bei der Zulässigkeit der subordinationsrechtlichen Verträgen darauf an, ob der Vertrag die „zur Erreichung des Gesetzeszweckes geeignetere Handlungsform ist als die Verfügung". Es geht also um die Verwirklichung politischer Programme nicht nur durch Gesetzesnormen, sondern auch durch die nach politischen Kriterien eingesetzte Rechtsform. Siehe auch KLEIN 2003: 73. Klein tritt dafür ein, „der Verwaltung im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessens eine Freiheit bei der Wahl der öffentlichrechtlichen Handlungsformen zu gewähren . . . " Differenzierend dagegen ERRASS 2010 6 7 ff. und 7 6 ff. Zur Forderung nach Rekonfiguration der Gesetzesbindung anstelle vieler SCHMIDT-ABMANN 2 0 0 1 ; MÄCHLER 2 0 0 5 : 3 8 5 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN 2 0 0 6 : N 1 0 6 9 ff. Ä h n l i c h l a u t e t

1616 1617

auch die Forderung für das amerikanische Recht: FREEMAN 2000: 213. Für die Schweiz zum Beispiel SCHEFER 2002; HÄNER 2002. S o e t w a j ü n g s t d a s P o s t u l a t v o n WALDMANN 2 0 0 7 : 23; ä h n l i c h GEORG MÜLLER 2 0 0 7 : 3 6 f.

Grundlegend fürs prozessuale Recht MÄCHLER 2005. Grundlegend für Deutschland ist das P r o g r a m m v o n SCHMIDT-ABMANN 2 0 0 1 : 6 7 f. 1618

Oben Kap. III.C.3: 275 und Kap. III.D.2: 333. Dass gerade letzteres nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Schweiz gilt, mag vielleicht überraschen. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen des jungen schweizerischen Bundesstaates gerade nicht darauf angelegt waren, die Regierung und Verwaltung des Bundesstaates zu beschneiden, sondern vielmehr für eine Konvergenz der Kantone zu sorgen hatten. In diesem Kontext stehen zum Beispiel die Ausführungen des Bundesrats und Rechtsgelehrten Jakob Dubs (1822-1879): Im Sinne der Konzeption einer sich allenfalls selbst beschränkenden souveränen Politik ist es nur konsequent, dass Dubs die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich ablehnte und vielmehr auf Professionalisierung der Verwaltung und die politische Beteiligung des Volks setzte: DUBS 1878: 14, 151 und 206. Besonders deutlich trat der Vorrang des Politischen vor dem Recht im massgeblich von Dubs beeinflussten Art. 113 der Bundesverfassung von 1874 in Erscheinung, nach welchem das Bundesgericht verfassungswidrige Bundesgesetze nicht ausser Kraft setzten konnte. Hierzu bereits BURCKHARDT 1914, Art. 114 BV: 786 ff. Zu Dubs vgl. die Biografie von ZEHENDER 1880; ferner KÖLZ 2004: 31. Kritisch zum Abwehrkampf des Bundesrates gegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit siehe FLEINER 1921: vor allem 13.

391

den Polizeistaat vor allem für den Gegenstand des Staatsdienstes1619 gewonnenen Mitteln oder der jüngst in Mode gekommenen Abschiebung der Probleme ins Privatrecht angehen könnte. Dies ist genauer zu erläutern: Einfluss liberaler Theorien nach dem Zweiten Weltkrieg und das wirtschaftliche Bias des privatrechtlichen Verwaltungsvertrags Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwar die liberalen politischen Theorien wieder aufgenommen, zugleich aber der Anspruch des Staats bestätigt, für die gesamte Gesellschaft verantwortlich zu sein.1620 In diesem Zusammenhang relativierte sich der ehemals vorherrschende Status des Beamten als privilegierter, wenn nicht gar einziger Kontakt zwischen Staat und Gesellschaft1621 in dem Sinne, als die zahlreichen Leistungen des Staats zunehmend durch (staatseigene oder staatsfremde) Betriebe erbracht wurden, die von der zentralen Verwaltung getrennt waren. Dies führte zu einem erweiterten Drang zur Rechtsform des Vertrags. Ob, auf welche Weise und in welchem Ausmass dabei die Regeln des öffentlichen Rechts und insbesondere die Grundrechtsbindung auf diese Träger öffentlicher Leistungen anzuwenden seien, ist bis heute heftig umstritten.1622 Gerade in der Tradition des kontinentalen Rechtssystems scheint der privatrechtliche Vertrag bei Kooperationen zwischen Staat und Privaten den politischen Anliegen infolge seines wirtschaftlichen Bias wenig Beachtung schenken zu können. Dies war mit ein Grund für die Emergenz des verwaltungsrechtlichen Vertrags im Übergang zum zwanzigsten Jahrhundert gewesen,1623 war bereits früh als Problem im Submissionswesen zu erkennen1624 und erscheint heute bei der zunehmenden Auslagerung von Verwaltungsaufgaben auf Private in neuer radikalisierter

1620

1621

Vgl. nur die Gewichtung im grundlegenden Werk von MAYER 1888. Gerade etwa in der ordoliberalen Theorie erweist sich die Marktordnung als eine politische Veranstaltung: grundlegend bereits BÖHM 1933. Siehe SHEEHAN 1994: 397 ff. zu dieser vor allem deutschen Konzeption des 19. Jahrhunderts - die später von Fritz Fleiner rezipiert wurde: ROGER MÜLLER 2006. Grundlegend ist die Ablehnung des kooperierenden Staats zum Ende des 18. Jahrhunderts: v g l . e t w a JUSTI 1 7 6 1 , I: 3 4 6 ; GÖNNER 1 8 0 8 : 1 3 0 f f . ; HEFFTER 1 8 2 9 : 1 0 6 f f . ; DAHLMANN

1847: 277; BLUNTSCHLI 1852: 422. Unter anderem führte gerade diese Konzeption zur grundsätzlichen Ablehnung des verwaltungsrechtlichen Vertrags: MAYER 1888: 41 ff.; FLEINER 1 9 1 3 : 1 8 3 ; GIACOMETTI 1 9 2 4 : 1 6 . 1622

1623 1624

392

SCHEFER 2002; HÄNER 2002; AMSTUTZ/ABEGG/KARAVAS 2006; Kälin/Lienhard/Wyttenbach/Baldegger 2007. Vgl. auch BGE 109 Ib 146 und hierzu ABEGG 2006b, m. w. H. Oben Kap. III.C.5.b): 293. Zum Beispiel BGE 60 I 366, 369 (1934; Jäggi AG gegen Solothurn); vgl. oben bei Fn. 1564: 375.

Form.1625 Dringend zu beantworten ist hier die Frage, wie diese politischen Kontextbedingungen vom Privatrecht in die eigene Rationalität aufgenommen und zwecks Stabilisierung der Kooperation zwischen Staat und einer anderen gesellschaftlichen Rationalität umgesetzt werden können.1626 Politisches Bias des verwaltungsrechtlichen

Vertrags

Ein oft angeführter Lösungsansatz wäre freilich, diese für die Politik problematischen und in der Regel als privatrechtlich qualifizierten Verträge zu öffentlichrechtlichen Verwaltungsverträgen zu machen.1627 Doch neben der offenen Frage nach der politischen Verantwortlichkeit privater Leistungserbringer bei privatrechtlichen Verträgen fällt auf dieser Seite bei öffentlichrechtlichen Verträgen das politische Bias als Problem ins Gewicht.1628 Noch augenfälliger, aber von gleicher Natur, sind die Legitimationsprobleme eines politisch instrumentalisierten Vertrags im Beispiel der Angehörigen der amerikanischen Nationalgarde, deren Verträge unter Anwendung einer präsidialen Notstandsklausel derart abgeändert wurden, dass ein mar-

1625

1626

1627

Diese Fragen stellen sich etwa in BGE 109 Ib 146 (1983; Schweizerischer TreuhänderVerband gegen Schweizerische Nationalbank) und 129 III 35 (2003; Post gegen Verein gegen Tierfabriken). Vgl. meine ausführliche Analyse dieses Problems anhand BGE 109 Ib 146 (1983; Schweizerischer Treuhänder-Verband gegen Schweizerische Nationalbank) in ABEGG 2006b. Vgl. etwa als Reaktion auf BGE 109 Ib 146 (1983; Schweizerischer Treuhänder-Verband g e g e n S c h w e i z e r i s c h e Nationalbank): GEORG MÜLLER 1984; RHINOW 1985a.

1628

Bereits Forsthoff wies daraufhin, dass auf die mit Vertrag bei diesen Betrieben Angestellten zuweilen beamtenspezifische Lösungen wie Streikverbot angewandt werde, zum Teil aber auch nicht: FORSTHOFF 1973: 35 ff.

393

kant längerer Dienst und ein mehrjähriger Einsatz in einem fernen Kriegsgebiet anstelle des vereinbarten heimischen Katastrophenschutzes resultierte.1629 Letztlich lässt sich diese Debatte um die Stabilisierung des Staatsdienstes bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen, denn dahinter liegt nichts weniger als das grundlegende Paradox des modernen Staats verborgen, der alle Macht zur Einigung der Gesellschaft beansprucht, zugleich aber von Beginn weg immer wieder auf die Kooperation mit ebendieser Gesellschaft, die dem Staat zum Wohle aller unterworfen wird, angewiesen ist: Bereits im 18. und 19. Jahrhundert erkannten die deutschen Rechtswissenschaftler, dass sich alle alten Privilegien und Garantien abschaffen lassen, ausser jene der Beamten. Denn auf deren guten Willen, der selbst mit aller Macht nicht erzwungen werden kann, war der moderne Staat von Beginn weg angewiesen.1630 Allein, seit der Ablösung der Fiskustheorie durch die Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts hängt die Kompatibilisierung der staatlichen Interessen mit den existenziellen Interessen des Beamten am Faden des Positivismus. Gerade diese Vermischung von staatlicher Rechtsmacht und dem Status der Verwaltung als Rechtssubjekt hatte bereits Kelsen heftig kritisiert, womit er seinen reinen Positivismus von einem Positivismus abgrenzte, der auf die Förderung bestimmter politischer Zustände gerichtet war.1631 Kelsen war mit seiner Kritik aber nicht wesentlich durchgedrungen.1632 Mit der langen und ereignisreichen Evolution der rechtlichen Erfassung des Staatsdienstes vor Augen kann es jedoch heute, da die Rechtsnatur des Staatsdienstes weitgehend kontingent geworden ist, tatsächlich im Sinne von

1630 1631 1632

394

Einerseits verfugen die USA aktuell - und vor allem seit den Erfahrungen des Vietnamkrieges (1959-1975) - über keine Wehrpflicht, womit die Soldaten mit Vertrag mit freiem Willen in den Dienst und damit in den Machtbereich des Staats treten. Dies gilt auch für Angehörige der National Guard, die ursprünglich mit Vertrag zu einer militärischen Ausbildung und der Verpflichtung auf einen einjährigen Katastropheneinsatz in den USA ausgebildet wurden. Nach Nine-Eleven verlegte die Administration Bush mit Hilfe einer Notstandsklausel im über hundertseitigen Vertragswerk das Einsatzgebiet in den Irak und nach Afghanistan und verlängerte die Einsatzdauer über die explizite Vertragsdauer hinaus auf mehrere Jahre Kriegseinsatz - mit dem Effekt, dass die Schwierigkeit (und der Preis), neue Mitglieder der National Guard zu rekrutieren, massiv angestiegen ist. - In der US Army Regulation 601-210 vom 16. Mai 2005 findet sich auf Seite 93 f. folgende Klausel in § 9 - 1 3 (5): „... Members ... may be involuntarily ordered to AD in time of war or national emergency declared by the President or Congress of the United States or under any other conditions authorized by law in effect at time of enlistment, or which may later be enacted." Die Regulation findet sich unter www.army.mil/usapa/epubs/pdf/r601_210.pdf zum Download, letztmals besucht am 20.6.07. Kap. II: 13. vor allem 88 ff. Prägnant und nach wie vor aktuell: KELSEN 1913. Oben Kap. III.C.4.C): 288.

Kelsen nicht mehr darum gehen, einen auf die Bedürfhisse der Politik ausgerichteten Vertrag allein mit der ebenfalls stark politisch gefärbten Legitimation durch Gesetz zu stabilisieren. Mit der Erkenntnis, dass es gerade im Staatsdienst darum geht, der Politik eine machtferne Ressource dadurch zu sichern, dass deren Bedürfnisse mit den politischen Bedürfnissen harmonisiert werden, steht vielmehr die Stabilisierung dieses Rechtsverhältnisses durch ein unabhängiges Drittes im Zentrum: Recht und unabhängige Gerichtsbarkeit. Ein ähnlicher Befund drängt sich für den Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung auf: Unter dem Leitprinzip des souveränen Nationalstaats hatten Deutschland und weitgehend auch die Schweiz zunächst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die neuartige, interventionistisch agierende Verwaltung des Wohlfahrtstaats nicht rechtlich zu erfassen vermocht. Die Rekonstruktion des verwaltungsrechtlichen Vertrags war zwar in Frankreich zum Ende des 19. Jahrhunderts unter Anleitung eines unabhängigeren Conseil d'Etat infolge der neuen Infrastrukturleistungen in wegweisender Art auf die Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft ausgerichtet worden: konkret auf die Kompatibilisierung des wirtschaftlichen Interesses an langfristiger pekuniärer Planbarkeit mit dem politischen Interesse, die Projekte langfristig zu betreiben und doch den stetig wechselnden Bedürfnissen der Politik anzupassen. Dabei blieb allerdings erstens ein markantes politisches Bias innerhalb des contrat administratif bestehen, und zweitens wurde die Kooperationsbedürftigkeit des Wohlfahrtsstaats noch nicht in ihrer Grundanlage und ihrer vollen Dimension erfasst.1633 Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zwar insbesondere in der deutschen Lehre erkannt, dass sich die Aufgabe der Verwaltung, die existenzielle Absicherung jedes Einzelnen garantieren zu wollen, angesichts einer weitreichenden Migration in die Städte radikalisiert.1634 Es wurde aber bis heute kaum je gesehen,1635 dass der interventionistische Wohlfahrtsstaat ganz prinzipiell und somit auch zu-

1633

Vgl. vor allem oben Kap. M.BJ.a): 216.

1634

M a s s g e b l i c h sind insbesondere SALZWEDEL 1958: 3 und FORSTHOFF 1973: 35 ff.

1635

Dies erhellt sich bereits daraus, dass diese Form von Kooperation in den aktuellen Standardwerken zum verwaltungsrechtlichen Vertrag nicht behandelt wird: vgl. zum Beispiel M A U R E R 2 0 0 9 : 3 5 9 ff.; RICHER 2 0 0 6 . M Ä C H L E R 2 0 0 5 e t w a v e r w e i s t i n F n . 8 8 ( S . 3 4 ) d a r -

auf, dass Sozialhilfe mit Verfugung zuzusprechen sei.

395

nehmend in Bereichen wie der Sozialhilfe oder der Invalidenversicherung Kooperation der Gesellschaft angewiesen ist.1636

auf die

Auch in diesem Bereich der kooperierenden Verwaltung geht es im Kern nicht allein darum, den Zuständigkeitsbereich einer vermehrt proaktiven und sich vom Gesetz lösenden Verwaltung zu erweitern und sie sodann mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit doch wieder unter die Legitimation des Gesetzes zu bringen, 1637 sondern es geht darum, mit Hilfe eines neutralen dritten Elements, dem Vertrag unter unabhängiger Gerichtsbarkeit, eine labile Beziehung zwischen zwei höchst unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen zu stabilisieren, die in einem konkreten Projekt aufeinander angewiesen sind. Dies war bei der wirtschaftlichen Rationalität, auf welche die Verwaltung zur raschen Realisierung von grossen Infrastrukturprojekten schon früh angewiesen war, bald erkannt worden. 1638 Das Gleiche gilt aber auch für die neuartigen Verträge in der erweiterten Daseinsvorsorge, etwa bei Verträgen mit Sozialhilfebezügern. Diese Verträge erinnern stark an den von Laband beschriebenen verwaltungsrechtlichen Vertrag, der ein Gewaltverhältnis abbilde.1639 Erstens sind diese der Verwaltung unterworfenen Sozialhilfebezüger nun derart divers und damit der Verwaltung fremd geworden und zweitens ist auch die Welt, in welcher ihre Existenz zu sichern wäre und in welche sie zu 'integrieren' wären, der Verwaltung derart fremd geworden, dass die Verwaltung auf das Wissen und die fortgesetzte Kooperation der Sozialhilfebezüger einerseits und der Gesellschaft andererseits angewiesen ist, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Richtet man den Blick zudem auf neue Phänomene, wie etwa dass in den französischen Vororten die Verwaltung Verträge mit Eltern, Elterngruppen oder religiösen Personen schliesst, um der Gewalt durch Jugendliche Herr zu werden,1640 dann wird offensichtlich, dass ein politisches Bias des Verwaltungsvertrags einer Kooperation oft abträglich ist: Welcher aussichtsreicher Vermittlungsversuch zwischen den rebellierenden Jugendlichen und der Politik in der Banlieue könnte sich schon als verlängerter Arm der Politik zu erkennen geben? So setzt denn die französische

1636

1637

1638 1639 1640

396

In diese Richtung gehen immerhin LADEUR 2002; ZUMBANSEN 2003; VESTING 2004a. Vesting fokussiert meines Erachtens allerdings zu sehr auf die Folgen der Auflösung des Territoriums und sieht damit zuwenig die Auflösung der Souveränität im Innern. Beispiele bietet PÄRLI 2007. Zum Ganzen siehe auch  K E R S T R 0 M A N D E R S E N 2004 und V I N C E N T JONES 2005. So aber wohl jüngst zum Beispiel M Ä C H L E R 2 0 0 5 : 3 8 5 f.; kritisch dazu mit Hinweisen auf den historischen Kontext der Lehre der Gesetzesbindung VESTING , vor allem 2 4 8 f. Dies gilt insbesondere für Frankreich: Vor allem Kap. II: 95 und Kap. III.B.4.c): 248. Hierzu oben Kap. III.C.5.c): 301. Vgl. zum Beispiel bei CESARI 2006; Bericht in La Liberté vom 12. Januar 2007, 2, Enfin, la banlieue sera paisible ...

Politik sinnigerweise unter anderem auch auf die Vermittlung des in der Bevölkerung angesehenen Militärs: Militärische Sozialarbeiter in Uniform wie ein gewisser Richoufftz, sogenannter „général des banlieues", suchen die Jugendlichen mit einem sogenannten „contrat moral" auf ein bestimmtes Verhalten zu verpflichten. 1641 Freilich wird zuweilen angeführt, dass mit diesen Verträgen kein eigentlicher Vertrag im Rechtssinne, sondern eine neue Art Contrat Social abgebildet, respektive angestrebt werde. Allerdings ist heute die Neuauflage des Contrat Social, in welchem die Gesellschaft ihre Macht zugunsten eines zentralisierten Staats abgibt, der im Gegenzug fur Einheit, Sicherheit und Wohlstand sorgt, illusorisch geworden. Denn die Gesellschaft vermag nicht mehr in dieser zentralisierten Macht aufzugehen, sich gleichsam zu einem Gesamtstaat zu formen. Zu gross sind die Gräben der verschiedenen gesellschaftlichen Rationalitäten, etwa zwischen den existenziellen Bedürfnissen der Banlieue-Bewohner, der religiösen Rationalität der Imane und der französischen Verwaltung. 1642 Und so schlägt die angestrebte neue politische Einheit durch einen neuen Contrat Social immer mehr in eine Vielzahl einzelner Verwaltungsverträge um, mit welchen die Verwaltung sich ad hoc und immer wieder von Neuem um jene machtfernen Ressourcen bemühen muss, die sie zur Erfüllung ihrer grossen Aufgabe, Einheit und Wohlstand der ganzen Bevölkerung herzustellen, benötigt. 1643 Dies zeigt sich exemplarisch und besonders prägnant im französischen 'Contrat d'accueil et d'intégration', mit welchem jeder Einwanderer sich im Gegenzug fur bestimmte Sozialdienstleistungen - zur Respektierung der fundamentalen Werte des Landes, der Einhaltung der Gesetze und zur Teilnahme an bestimmten sprachlichen und kulturellen Schulungen verpflichtet. 1644 Der grosse gesellschaftsübergreifende Contrat Social splittert sich also in viele kleine Verträge auf, womit denn gerade nicht die vom Contrat Social angestrebte umfassende und zentralisierte Staatsgewalt zum Wohle Aller realisiert wird, sondern das Eingeständnis offen zu Tage liegt, dass die heutige Politik die Versprechungen des

Prägnant hierzu das Blog von Emmanuel de Richoufftz, des von der Regierung eingesetzten sogenannten „général des banlieues": http://general.de.richoufftz.over-blog.com/, zuletzt besucht am 20.6.07; vgl. auch jüngst das Interview in der Internetzeitschrift Linternaute vom November 2005: http://www.linternaute.com/actualite/interviews/05/generalrichoufftz/general-richoufftz-chat.shtml, zuletzt besucht am 20.6.07. 1642

Hierzu ebenfalls CESARI 2006.

1643

Vgl. unter anderem den Bericht in La Liberté vom 12. Januar 2007, 2, Enfin, la banlieu sera paisible ... Code de l'entrée et du séjour des étrangers et du droit d'asile, Artikel 311-9. Dass dieses Phänomen keineswegs auf Frankreich beschränkt bleibt, zeigt sich etwa an Art. 54 des neuen Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) vom 16. Dezember 2005, angenommen in der Volksabstimmung vom 24. September 2006, BB1. 2005 7365.

1644

397

Contrat Social nicht mehr von sich selbst aus, souverän, erfüllen kann, sondern nur noch in stets zu erneuernden ad-hoc Kooperationen mit der Gesellschaft. 1645 Staat als Kontingenzproblem

und die Frage der Legitimation

Endgültig radikalisiert werden die Probleme des souveränen und zugleich auf mannigfaltige Kooperation angewiesenen Staats, wenn sich kaum mehr identifizieren lässt, welche der Vertragsparteien denn die Seite des Staats vertritt und sich damit der Begriff Staat in Luft aufzulösen droht. Diese Auflösungstendenzen sind bereits in der Konzeption des modernen Staats selbst angelegt, und zwar in der Kontingenz der Ausrichtung auf das Wohl der Gesellschaft, welches gerade auch dadurch erreicht werden kann, dass das Wohl des Einzelnen gefördert oder eine Förderung ganz unterlassen wird. Denn die egoistischen Handlungen des Einzelnen können ebenso wie die politische Intervention und die staatliche Zurückhaltung oder gar Abstinenz zum Gesamtwohl beitragen, oder eben nicht.1646 Die Bearbeitung dieses Problems - massgeblich unter dem Begriff der Legitimation - setzte bereits früh im 19. Jahrhundert etwa mit der Erkenntnis ein, dass die moderne Wirtschaft, wie sie paradigmatisch von Adam Smith als gesellschaftsumfassendes Phänomen beschrieben wurde, angewiesen ist auf einen in autoritativer Weise durch den souveränen Nationalstaat gesetzten und damit wirtschaftlich neutralen Rahmen und zugleich auf die Abstinenz des souveränen Staats als Marktakteur. Ausdruck davon, dass sich Politik und Recht auf diese Situation (und insbesondere auf den neuen Legitimationsbedarf für staatliche Kommunikationen, die mit der Emergenz dieses Kontingenzproblems offensichtlich nicht mehr mit der hoheitlichen Ausrichtung auf das Gemeinwohl allein zu legitimieren waren) einstellten, war zunächst insbesondere die Fiskustheorie, nach welcher der Staat sich immer dann unter die Aufsicht der unabhängigen Zivilgerichte begeben musste, wenn - vereinfacht gesagt - fiskalische Interessen und damit potentiell der Marktmechanismus berührt wurden.1647 Zusammen mit der von den Liberalen propagierten lokalen Selbstverwaltung und der damit einhergehenden zunehmenden Erbringung von öffentlichen Leistungen durch Private, stellte sich schliesslich die Frage, wie die eminenten Interessen des Staats auch hier gewahrt werden könnten. Die historische Antwort darauf wurde zuerst in Frankreich unter massgeblicher Anleitung des Conseil d'Etat in Recht

1645

1646 1647

398

Dass der heutige Staat selbst die Sicherheit nicht mehr aus eigener Macht herstellen kann, wurde bereits oben angesprochen: Fn. 55: 16. Kap. II.B.l: 97. Hierzu im Detail Kap. II: 95.

umgesetzt: Diese Kooperationen wurden zwar vermehrt dem öffentlichen Recht unterstellt, zugleich aber mit neu aus dem Zivilrecht rezipierten Formen und unter einer mehr denn je von der Politik unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit stabilisiert. 1648 Im Zuge neuer Kommunikations- und Verkehrstechniken sowie im Zuge des verwirklichten Arbeitsmarkts, der die Menschen in ihren örtlichen und sozialen Bindungen und Absicherungen freisetzte und gewaltige Migrationsströme auslöste, radikalisierte sich die Kooperation von Verwaltung und Privaten derart, dass sich bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts 1649 , sodann in der Folge des Aufschwungs liberaler Theorien nach dem Zweiten Weltkrieg und in der Tat auch heute infolge sogenannter Staatsaufgabenverwesentlichung 1650 die Frage weitgehend kontingent geworden ist, ob erstens ein Privater oder eine Verwaltungseinheit öffentliche Leistungen hervorbringt und ob diese Leistung zweitens dem Staat, einer spezifischen Gruppe oder einer Einzelperson zugutekommt. Prägnant in diesem Sinne ist, um einen aktuellen Fall zu zitieren, BGE 129 III 35 (2003; Post gegen Verein gegen Tierfabriken), in welchem die immer noch eng mit dem Staat verbundene Post rein wirtschaftliche Argumente ins Feld führte, während der private Verein auf seinen öffentlichen Auftrag zur demokratischen Meinungsbildung verweisen konnte. Und in BGE 109 Ib 146, 155 (1983; Schweizerischer Treuhänder-Verband gegen Schweizerische Nationalbank) kooperierten zwar auf Drängen des Bundesrates, aber weitgehend ohne gesetzliche Legitimation, die privaten Banken mit der als spezialrechtliche Aktiengesellschaft konstituierten und von der Politik weitgehend unabhängigen Nationalbank, um eine neue Rahmenordnung für den Finanzplatz Schweiz zu errichten. 1651 Über die Rechtsnatur, öffentliches Recht oder Privatrecht, lässt sich gerade im letzten Fall zwar trefflich streiten. Es scheint aber nur konsequent, derartige Fälle, in welchen die Politik massgeblich auf die Kooperation anderer Gesellschaftsbereiche angewiesen ist, mit Privatrecht zu stabilisieren. 1652 Damit stellt sich allerdings im privatrechtlichen, von einem wirtschaftlichen Bias

1649

Oben Kap. III.B: 207. In diesem Sinne stellen denn die frühen Forderungen von CHAUVEAU 1841-44 nach einer Stärkung des Verwaltungsrechts und dessen Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Verwaltung einerseits und die Bemühungen von DARESTE 1862, der Verwaltung mit der analogen Anwendung von Zivilrecht mehr Legitimität zu verschaffen, keinen Widerspruch, sondern eine Ergänzung dar. Siehe hierzu auch Kap. I,D.2.f): 53. Vgl. den Entscheid des Tribunal des conflits vom 22. Januar 1921 in Sachen Société c o m merciale de l'Ouest africain, recueil 91 : bei Fn. 978: 239.

1650

GEORG MÜLLER 2 0 0 5 .

1651

Hierzu im Detail ABEGG 2006b. Dies war denn auch die heftig angefeindete Lösung des Bundesgerichts in B G E 109 Ib 146, 155 (1983; Schweizerischer Treuhänder-Verband gegen Schweizerische Nationalbank).

1652

399

geprägten Vertragsrecht die Frage nach der Wahrung der politischen Interessen und der Legitimation von Machtanwendung insbesondere auf Dritte, nicht am Vertrag Beteiligte, in neuer Schärfe.1653 Gerade dieses Problem der Legitimierung von Verträgen zwischen Staat und Privaten erscheint zwar besonders offensichtlich auf der privatrechtlichen Seite. Denn die rechtliche Stabilisierung eines Projekts (immer in Verknüpfung mit einer Absicherung dieser rechtlichen Stabilisierung durch staatliche Gewalt), das über die Interessensphäre der Vertragsparteien hinausreicht und Dritte betrifft, ist allein mit dem freien Willen der Beteiligten dann nicht zu legitimieren, wenn das Projekt nicht der vergesellschaftenden Rationalität des Preismechanismus im selbststeuernden Markt folgt. Denn die Legitimation der Marktkräfte liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die durch zwei Vertragspartner ausgehandelte Übereinkunft sich unter Berücksichtigung aller anderen äquivalenten potentiellen Übereinkünfte bildet.1654 Ohne eine derartige Legitimation durch den Marktmechanismus ist diese Machtausübung auf Dritte, um Habermas Definition von Legitimität zu folgen, 1655 nicht auf ein Element des Unverfügbaren (in casu den Preismechanismus) und schon gar nicht auf die Beteiligung dieser Drittpersonen (etwa durch freie Zustimmung am Vertrag oder an der Urne) an ebendieser Machtausübung zurückzuführen.1656 Aber auch wenn in einem Fall wie BGE 109 Ib 146, 155 (1983; Schweizerischer Treuhänder-Verband gegen Schweizerische Nationalbank) das Verhältnis von Banken und Nationalbank als öffentlichrechtlicher Vertrag qualifiziert worden wäre, hätte nach traditioneller Lehre immer noch infolge fehlender Gesetzesgrundlage ein markantes Legitimationsdefizit geherrscht. Und wenn es richtig ist, dass die markant zunehmende Verwendung der Vertragsform bei Kooperationen zwischen Staat und Privaten gerade mit den sich radikalisierenden Zentrifugalkräften der modernen Gesellschaft zu tun hat, folglich die Verwaltung immer flexibler und proaktiver agieren muss und sich nicht mehr allein mit dem Gesetz legitimieren lässt, dann stellt sich diese Frage nach einer Aktualisierung der Legitimationsmechanismen iur

1654

1655 1656

400

In diese Richtung deutet auch BENZ 1994. Ob in dieser Situation der Begriff des Staats immerhin noch, wie Willke vermerkt, als Reflektion der Politik und zur Aufrechterhaltung der Selbstlegitimation zu dienen vermag, muss bezweifelt werden: WILLKE 1992: 33 ff. Zum Einfluss des Marktmechanismus auf die Evolution von Verträgen zwischen Staat und Privaten siehe Kap. I.C.2: 27 und Kap. II.D: 183. Hierzu LUHMANN 1993a: 448 ff. Grundlegend HABERMAS 1992. Hierzu Fn. 66: 19. Siehe hierzu bereits WEBER 1921-1922/1980, 123.

Verträge zwischen Staat und Privaten auf der ganzen Breite, also auch für die öffentlichrechtlichen Verwaltungsverträge.1657 4.

Lösungsansätze für eine aktualisierte Legitimation des Vertrags zwischen Staat und Privaten Bedarf nach neuen Legitimationsmechanismen für Kooperationen zwischen Staat und Privaten

Im Konzept des kontinentalen Rechtsstaats wird die Legitimationsproblematik durch ein in die Gesellschaft ausgreifendes Beteiligungsverfahren invisibilisiert und mit der Bindung staatlicher Instanzen an dasselbe Recht, das in diesem Beteiligungsverfahren zustande gekommen ist, gemildert. Kontingent bleibt dabei allerdings, wie die Geschichte zeigt, einerseits die Art und Intensität des Beteiligungssystems und andererseits die Art und Intensität der Rechtsbindung.'658 Mit der Möglichkeit der Mitsprache der Unterworfenen und der Bindung der Gewaltenträger an das Recht wird einerseits die drohende Zwangsanwendung, die hinter dem Recht lauern muss, erträglich gemacht und andererseits der Schein des Unverfugbaren erzeugt, d.h. instrumenteil gefertigtes Recht erscheint nicht mehr als solches, vielmehr erscheint es als dem unmittelbaren Gesetzgeber entzogen und von der Gesellschaft erzeugt, die sich dem selben Recht unterwirft.1659 Aus einer historischevolutorischen Perspektive diente die dahinter stehende Einheit von Politik und Recht im modernen Nationalstaat dazu, die bisher mangelhafte Rechtsdurchsetzung einerseits und die fehlende Steuerungsfähigkeit einer komplexen Gesellschaft andererseits zu überwinden. Besonders prägnant kam dies in der französischen Revolution und insbesondere mit der Trennung von Verwaltung und ordentlicher Gerichtsbarkeit zum Ausdruck,1660 entsprechendes lässt sich jedoch auch in den Theorien von Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720-1771) finden.1661 Mit der weitgehenden Gleichsetzung von Politik und Recht konnte nun die Politik zur besseren Durchsetzbarkeit und zur zeitlichen Stabilisierung ihre Kommunikationen ganz

1658

1659

Die sogenannte Privatisierung, auf welche in aller Regel fokussiert wird, erscheint damit nur als eine punktuelle Erscheinung dieser Zentrifugalkräfte. Vgl. unter vielen FREEMAN 2000: 160 ff. Siehe vor allem oben Kap. III.B.3: 216 für Frankreich, Kap. III.C.4: 280 für Deutschland und Kap. III.D.2: 333 für die Schweiz. Zur sogenannt legalen Herrschaft siehe bereits WEBER 1921-1922/1980: 125. Hierzu bereits Fn. 66: 19. Grundlegend HABERMAS 1992; jüngst für das Verwaltungsrecht SCHMIDT-ABMANN 2 0 0 1 : 6 5 f f .

1660 1661

Kap. I.D.2: 32. Kap. I.E.3: 77.

401

nach Bedarf in die Form des Rechts kleiden, vor allem im Prozess der Gesetzgebung oder mit dem Erlass von Verwaltungsverfügungen, die dem gerichtlichen Urteil nachgebildet worden waren. Allerdings hing mit der Positivierung des Rechts die Überzeugungskraft der in Recht gegossenen Politik und des mit dem staatlichen Gewaltmonopol gestützten Rechts massgeblich von einer diesseitigen Legitimation ab. Diese wurde zunächst - entsprechend dem hierarchisch gedachten und für die Einheit der Gesellschaft zuständigen Staat - im Souverän gesucht. Mitsprache in politischen Angelegenheiten durch nichtpolitische Rationalitäten, etwa durch unabhängige Gerichte oder durch Kooperationen mit Privaten, galt es als Relikte des Ständestaates gerade zu überwinden.1662 In dieser Konstellation zeigt sich, dass der Vertrag einerseits und die Legitimation durch Gesetz andererseits in dem Sinn inkompatibel sind, als die vertragliche Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft den Legitimationsmechanismus des Souveräns und später auch des demokratischen Rechtsstaats, der die Souveränität vom monarchischen Herrscher übernimmt, 1663 geradezu aufzulösen droht: Will sich die staatliche Verwaltung auf andere Gesellschaftsbereiche mittels Kooperation einlassen, so wird damit die staatliche Souveränität (d. h. der Anspruch, Einheit und Wohlstand der Gesellschaft gerade dadurch hervorzubringen, dass alle Macht im Staat monopolisiert wird) in Frage gestellt.1664 Zwar konnte dieses Problem im Rechtsstaat derart gemildert werden, dass erstens die Bindung an den Souverän konsequent in die Gesetzesbindung überfuhrt wurde und zweitens diese Gesetzesbindung - gerade durch ihre offene textuale Struktur - eine Lockerung dann erfuhr, als Verwaltungsgerichte über eine weiter interpretierte Gesetzesbindung wachen konnten.1665 Eine grundsätzliche Inkompatibilität von Kooperationen zwischen Staat und Privaten auf der einen Seite und den Legitimationsmustern des modernen Staats auf der anderen Seite liess sich damit aber nicht beseitigen: Denn will oder muss die Verwaltung mit Privaten zur Erfüllung ihrer Aufgaben kooperieren, so muss sie bis zu einem gewissen Grad auch über die entsprechende Freiheit verfügen, die Ziele und Mittel dieser Kooperation auszuhandeln. Die Verwaltung bestimmt hier zumindest potenziell nicht nur über den Weg zum politischen Ziel,

LUHMANN 1993a: 414 ff. Die Legitimation durch den Souverän zieht sich wie ein roter Faden durch die ersten beiden Kapitel dieser Arbeit: siehe vor allem Kap. I.D: 31. 1663

Kap. I.D.2.C): 41; vor allem 46.

1664

Hierzu vor allem Kap. I.E: 67. In der Evolution des Conseil d'Etat zeigt sich denn auch deutlich, dass es weniger um die individuellen Rechte der Bürger, sondern in erster Linie darum ging, die Verwaltung und allfällige Kooperationen unter der Souveränität zu halten: Kap. Il.C.l.a): 108 und Kap. III.B.3: 216. Zum Text des Gesetzes vgl. jüngst AMSTUTZ 2007.

1665

402

sondern bestimmt immer mehr auch über das Ziel selbst, womit die Gesetzmässigkeit der Verwaltung als (für die selbstorganisierten Gesellschaftsbereiche zentraler) Garant rechtsstaatlich gebändigter Sozialgestaltung und (für die Gesellschaft im Allgemeinen) Mittler demokratischer Legitimation in der Form eines elaborierten Beteiligungsverfahrens in Frage gestellt ist.1666 Wenn nun aber angesichts der sich radikalisierenden Dynamik der Verträge zwischen Staat und Privaten und deren Funktion, die auseinanderdriftende Gesellschaft ad hoc und immer wieder von Neuem punktuell zusammenzuhalten, die Gesetzesbindung allein nicht genügende Legitimation hervorzubringen vermag, dann muss ein anderer Weg gefunden werden, um die politischen Kontextanforderungen zu berücksichtigen und insbesondere Legitimation zu erlangen. Heute sind vor allem drei Ansätze zur Lösung dieses Legitimationsproblems auszumachen. Der erste beruht auf der traditionellen Rechtsstaatstheorie (ausgeführt am Beispiel Di Fabios), der zweite auf der Demokratietheorie ä la Habermas und der dritte erschliesst sich aus der Evolutionstheorie. Die dogmatischen Folgerungen dieser drei Theorien im Detail auszuformulieren, muss Aufgabe weiterer Forschung sein. In der Folge kann immerhin - zum Abschluss - skizzenhaft formuliert werden, wie diese Theorien eine Rekonstruktion des Vertrags zwischen Staat und Privaten anleiten würden. Rechtsstaatliche

Legitimationsmechanismen

Verfechter rechtsstaatlicher Legitimationsmechanismen wie zum Beispiel Udo Di Fabio stehen der Selbstregulierung der Gesellschaft und Kooperationen zwischen Staat und Privaten in der Regel grundsätzlich positiv gegenüber. Di Fabio beklagt jedoch den Konturverlust des verwaltungsrechtlichen Vollzugsbegriffs. Denn die Schaffung von Selbstregulativen und Kooperationen diene massgeblich der Verbesserung und Entlastung des Verwaltungsvollzugs bis hin zu seiner Substituierung; die Erfullungsverantwortung für öffentliche Zwecke werde auf Private verlagert.1667 Mit etwas wehmütigem Blick auf den Vollzug als traditionelle Aufgabe der staatlichen Verwaltung, die als solche eine klare rechtsstaatliche Legitimation erfahren kann, schlägt Di Fabio als Zukunftsstrategie im Wesentlichen vor, den Vollzugsbegriff zu weiten und hybride Organisationsstrukturen „als neue Verwaltungswirklichkeit in das Verwaltungsrecht zurückzuführen", 1668 womit die traditionelle Legitimitätsübertragung durch die Funktionssynthese öffentliches Recht /

1666

SCHMIDT-AßMANN 2 0 0 1 : 6 5 f f .

1667

D I FABIO 1 9 9 7 : 2 4 0

1668

DI FABIO 1997: 241 f. und 252. In ähnlicher Weise jüngst für die USA BAMBERGER 2006.

ff.

403

Politik unter dem Titel Rechtsstaat in den Augen Di Fabios wiederhergestellt würde.1669 Von Di Fabios konkreten Regelungsvorschlägen seien Folgende erwähnt: Die Kooperation zwischen Staat und Privaten sei als teilweisen Grundrechtsverzicht zu deuten, der jedoch wegfalle, wenn die private Selbstregulierung in existenzielle Abhängigkeit von der Politik gerate.1670 Zudem dürfe die Gewährleistungsverantwortung des Staats gegenüber betroffenen Dritten, die allzu häufig das Risiko von Fehlallokationen und Fehlinvestitionen tragen müssten, nicht entfallen. Sobald der Staat mit Finanzzuweisungen oder Rahmenbedingungen öffentliche Zwecke in die Selbstregulierung trage, richteten sich entsprechende subjektive Rechte gegen den Staat, die diesen zur Einwirkung auf die Selbstregulative oder auf die Kooperationen verpflichten.1671 Hinter Di Fabios Vorschlägen steht die Sorge um die „moderne Errungenschaft" der Dichotomie von Privatrecht und öffentlichem Recht und der daraus hervorgegangenen Absicherungen der freien Gesellschaft von den expansiven Tendenzen der Politik. Denn mit Hilfe selbstregulativer Steuerung vermöge der Staat die freie Gesellschaft - so die zentrale Argumentation Di Fabios, die direkt auf Max Weber zurückfuhrt - „zugleich tiefer und kraftvoller zu gestalten". Und: „Selbstregulierung verkürzt und verlängert den Arm der Staatsgewalt zugleich; vergrössert und verkleinert damit den Raum grundrechtlicher Freiheitsausübung."1672 Diese Sorge Di Fabios lässt sich allerdings im Lichte der vorliegenden Untersuchungen nicht vollständig bestätigen: Di Fabios Analyse greift in dem Sinne zu kurz, als die Problematik staatszentriert gedacht wird, als ob der Staat respektive die Politik noch darüber befinden und verfugen könnte, wie die Gesamtgesellschaft zu verfassen sei, und als ob der Staat noch in jedem Fall als solcher zu identifizieren wäre. Tatsächlich ist jedoch der Politik diese Fähigkeit in der polykontexturalen Gesellschaft weitgehend abhanden gekommen. Die Politik weiss ebenso wenig wie das Recht im Einzelnen um die Eigengesetzlichkeiten anderer gesellschaftlicher Subsysteme, geschweige denn um deren Reaktionen auf Irritationen aus der Umwelt, und die Politik verfugt auch nicht über die Ressourcen, diese diversen gesellschaftlichen Subsysteme aus eigener Kraft in einer Einheit zusammenzuhalten. Dieses grundlegende Paradox des modernen Staats zeigt sich gerade am Beispiel

Di Fabio spricht von Gewahrleistungs- oder Auffangverantwortung: Di FABIO 1997: 251. 1670

DI FABIO 1 9 9 7 : 2 5 6 f.

1671

Dì FABIO 1997: 262 ff, vor allem 270 f.

1672

Di FABIO 1997: 252; zu Weber vgl. oben bei Fn. 843: 206.

404

des Staatsdienstes von Beginn weg.1673 Aus diesem Grund ist die Politik, und sind auch die anderen gesellschaftlichen Subsysteme, zunehmend auf Kooperationen mit den jeweils anderen fremd gewordenen Rationalitäten angewiesen. Und gerade aus diesem Grund kann heute die Politik den grossen Contrat Social, mit welchem der Staat alle Macht zentralisieren und damit Sicherheit und Wohlstand für alle hervorbringen sollte, nicht mehr erfüllen. Damit zerfällt dieser grosse Gesellschaftsvertrag in eine Vielzahl kleiner Verträge zwischen der politischen Rationalität, die ihre Ansprüche nicht aufgegeben hat, und der Gesellschaft, die trotz allem auf die Leistungen der Politik angewiesen ist.1674 Es wird zwar heute angesichts allseits thematisierter Terrorgefahr bereits die Rückkehr des souveränen Staats ä la Hobbes festgestellt, der zumindest auch die Kraft besässe, die mit dem Contrat Social versprochene Sicherheit einzulösen.1675 Hobbes Formel lautete, Friede und Abwehr des Unabwägbaren könne durch staatliche Einheit, d. h. Konzentration der Macht im Staat erreicht werden, der den Frieden für eine Multitude der Gesellschaft herstelle, in welcher dann auch die derart politisch verfasste Liberalität gedeihe.1676 Doch bereits das ungeahnte Ausmass des „contracting out" von internen Sicherheitsleistungen und auswärtigen Kriegsdienstleitungen weist auf das Gegenteil hin, dass nämlich der Staat selbst das (zumindest für den Liberalismus) grundlegendste Versprechen der Sicherheit nicht im Alleingang erfüllen kann und sich der Contrat Social nicht nur betreffend Wohlstand sondern gerade auch im sensiblen Bereich der Sicherheit auflöst. 1677 Denn trotz der angekündigten Rückkehr des Leviathans vermag heute die Politik ihre gesellschaftliche Funktion der Einheitsstiftung nicht mehr zu erfüllen - zumindest nicht alleine aus sich selbst heraus. Gleiches gilt auch für die Religion, die quasi als Vorgängerin der Politik Glück auf Erden und im Himmel einerseits sowie Vermeidung des Schreckens des Lebens und der Hölle andererseits durch Glauben versprach, d. h. dadurch, dass die Menschen ihr Leben Gott in die Hand geben und derart ihre religiöse gesellschaftliche Einheit auf Erden und freilich auch im Himmel finden.1678 Der von Willke prognostizierte Supervisionsstaat, in welchem zwar die Politik nicht mehr im Alleingang die Kollektivgüter der Gesellschaft produziert, sondern immerhin noch eine Art Oberhoheit über diese Produktion hält,1679 fuhrt zwar in die

1673 1674 1675 1676 1677 1678 1679

Kap. II.E: 189. Soeben oben bei Fn. 1639: 396. Unter vielen etwa BREDEKAMP 2006: 159 ff. Fn. 115: 33 und Kap. I.D.2.c): 41. Vgl. Fn. 55: 16. Hierzu im Kontext des Leviathan BREDEKAMP 2006: 160. WILLKE 1 9 9 2 : 3 3 5 ff.

405

richtige Richtung, aber doch an der Radikalität des emergierenden Kooperationsstaates vorbei: Die Einheit der Gesellschaft ist infolge des allseits fehlenden Zugangs über die Gräben der fragmentierten Gesellschaft hinweg nicht (oder: nicht mehr) durch Macht und durch Religion zu erreichen, sondern nur noch ansatzweise als punktuelle und momenthafte Einheit einer fragmentierten Gesellschaft, in welcher sich angesichts des Schreckens des Terrors einerseits und der Angst vor dem Unabwägbaren andererseits einzelne gesellschaftliche Elemente jeweils punktuell zur Erreichung von Glück und Friede zusammenschliessen. Folglich würde sich die Strategie, das öffentliche Recht und damit das politische Bias des Verwaltungsvertrags auf Kooperationen zwischen Staat und Privaten auszuweiten, als Irrweg erweisen. Vielmehr sind die jeweiligen Rationalitäten, die sich gegenüberstehen und aufeinander angewiesen sind, gegeneinander abzusichern, damit der Vertrag als strukturelle Kopplung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen seine überbrückende Funktion erfüllen kann. 1680 Die traditionelle Notion der Grundrechte führt in dieser Konstellation denn auch nicht weiter: Wenn im Zuge der Reorganisation der Beziehung zwischen Staat und selbstorganisierter Gesellschaft Private staatliche Aufgaben übernehmen, können auch sie sich auf Grundrechte berufen. Hier, bei einem Streit zwischen Privaten um Bereitstellung und Bezug von öffentlichen Leistungen, enden konfligierende Grundrechte in relativierender Abwägung. Grundrechte können allerdings rekonfiguriert werden, d. h. auf die neue Situation ausgerichtet werden. Wo Di Fabio bei expansiven Tendenzen des Politischen die Grundrechte (wieder) einfuhrt, müssten die Grundrechte vor dem Hintergrund der polykontexturalen Gesellschaft von der Politikzentriertheit gelöst werden und die Politik ebenso von den expansiven Tendenzen der Wirtschaft abgesichert werden, wie dies umgekehrt der Fall ist. Im Einzelnen: Erstens kann im Sinne Di Fabios ganz grundlegend und im Rahmen der traditionellen Grundrechtsanwendung die Wirkung politischer Kommunikation auf die gesellschaftliche Seite der Kooperation grundrechtlich überprüft werden: So ist zunächst zu fragen, ob der Druck zur Selbstregulierung oder der Druck zur Kooperation gegen Grundrechte verstösst. Da für die private Selbstregulierung und für Kooperationen zwischen Staat und Privaten die freie Zustimmung konstitutiv ist, stellen Regeln und Pflichten, die der Selbstregulierung durch staatliche Verwaltungseinheiten einseitig aufgedrängt werden, potenziell einen Grundrechtsverstoss dar, der sich entsprechend zu rechtfertigen hat.1681 Dabei gilt es auch die graduelle Evoluti-

1680

Hierzu grundlegend TEUBNER 1998. In diesem Sinn für Verwaltungsverträge bereits BUDDEBERG 1 9 2 5 .

1681

406

D I FABIO 1 9 9 7 : 2 5 6 f.

on jener Kooperationen und Selbstregulierungen im Auge zu behalten, die durchaus zu Beginn im Rahmen der Grundrechte bleiben, später jedoch die Schwelle zur Grundrechtsverletzung überschreiten kann. Oder anders gesagt: Eine graduelle Steigerung von Kooperations- und Selbstregulierungspflichten rechtfertigt eine Grundrechtsverletzung nicht ohne weiteres. Sodann ist zweitens auch an Di Fabios Befund festzuhalten, dass die Politik dann nicht aus der Gewährleistungsverantwortung entlassen werden darf, wenn sie sich an der Erbringung öffentlicher Leistungen durch Private beteiligt oder darauf einwirkt. Die entsprechenden politischen Kommunikationen müssen zumindest von betroffenen Dritten einer Überprüfung zugeführt werden können, weshalb auch der Begründung des Verwaltungsentscheides höhere Priorität zukommen muss.1682 Damit ist allerdings nicht gesagt, dass jede entsprechende Gerichtsentscheidung direkt auf eine Kooperation zwischen Staat und Privaten durchschlagen würde: Eine allfällige privatrechtliche Rationalität, die grundsätzlich die Bipolarität der Vertragspartner unter Ausschluss von Drittinteressen stabilisiert, müsste beachtet werden. 1683 Neben der Möglichkeit, von den politischen Akteuren Schadersatz zu fordern, kann zudem bei entsprechendem Urteil auch eine Pflicht der politischen Akteure entstehen, auf diese Kooperationen einzuwirken.1684 Als Erweiterung einer solchen monokausalen Anwendung der Grundrechte gegenüber der Politik ist - in einem zweiten Schritt - durch das Recht von den beteiligten Systemen eine neuartige Anwendung der Grundrechte einzufordern: eine polykontexturale Anwendung der Grundrechte. Denn wenn der Politik die verfassungsmässige Gestaltung der polykontexturalen Gesamtgesellschafit - trotz Aufrechterhaltung dieses Anspruchs - nicht mehr zugetraut und zugemutet werden kann und sie folglich in Kooperationen mit ebendieser Gesellschaft diese Funktion zu erfüllen sucht, dann ist in der Konsequenz von jedem gesellschaftlichen Subsystem eine entsprechende Selbstbeschränkung einzufordern, die die juridische Entfesselung und gleichzeitig die Zügelung systemspezifischer Rationalität gegenüber innerer spontaner Ordnung und gegenüber anderen Gesellschaftssektoren zum Ziel hat.1685 Diese Forderung kann den mit der Politik kooperierenden Rationalitäten auf verschiedenen Wegen von den politischen Aufsichtsinstanzen und den Gerichten auf-

1682

So auch LUHMANN 1983/1969: 215 ff.

1683

H i e r z u GAUCH 2 0 0 3 .

1684

Vgl. auch Dl FABIO 1997: 270 f.

1685

TEUBNER 2 0 0 3 .

407

getragen werden.1686 Was damit gemeint ist, kann zunächst mit Hilfe der Demokratietheorie und sodann mit einer evolutorisch-reflexiven Theorie weiter ausgeführt werden. Demokratische

Legitimationsmechanismen

Die soeben erwähnte inhaltliche Selbstbeschränkung, etwa der Wirtschaft, wird oft unter dem Titel demokratischer Legitimationsmechanismen diskutiert. Im Kern sollen dabei die massgeblich von der bürgerlichen Kritik am absolutistischen Staat hervorgebrachten politischen Selbstbeschränkungsmechanismen, die notabene zum Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert für die Emergenz des Vertrags zwischen Staat und Privaten mit verantwortlich zeichneten,1687 auf gesellschaftliche Diskurse wie vor allem die Wirtschaft übertragen werden. Damit empfiehlt sich diese Theorie insbesondere dafür, erstens ein wirtschaftliches Bias von Verträgen zwischen Staat und Privaten zu beheben und zweitens die Verwaltungsverträge mit neuer demokratischer Legitimation zu versorgen. Skizzenartig soll wiederum dargelegt werden, wie demokratische Legitimationsmechanismen für die vorliegende Problematik rekonfiguriert werden könnten: Nach Habermas folgt aus der Verselbständigung des Verwaltungshandelns in der Verwaltung selbst oder in Kooperation von Verwaltung und Privaten, dass die Verwaltung ihre Neutralität gegenüber normativen Gründen aufgeben und eigene Programme - oft nach Gesichtspunkten der Effizienz - entwickeln muss, nach denen sie in den Fragen der Normenbegründung und Normenanwendung selbst entscheidet. Hierfür fehlen ihr aber nicht nur jegliche Legitimationsbedingungen, sondern auch die Voraussetzungen, solche Kommunikationsprozesse zu absolvieren und Gründe zu entwickeln. Beides - Legitimationsbedingungen und Voraussetzungen für Normbegründung und Normanwendung - sei nur mit einer Institutionalisierung rechtsstaatlicher und vor allem demokratischer Prinzipien in der kooperierenden Verwaltung zu gewinnen.1688 Habermas begreift im Wesentlichen den demokratischen Rechtsstaat als die über legitimes Recht laufende Institutionalisierung von Verfahren und Kommunikationsvoraussetzungen zur diskursiver Meinungs- und Willensbildung, die wiederum

1686

Vgl. statt anderer die Übersicht bei S C H U P P E R T / B U M K E 2000: 29 ff.; hierzu nun auch A M S T U T Z / A B E G G / K A R A V A S 2006. Zu den dogmatischen Regelungen, die eine derartige Funktion übernehmen und sich im Laufe der Zeit im Privatrecht eingenistet haben siehe

1687

Kap. II: 95.

1688

HABERMAS 1 9 9 2 : 5 1 9 ff.

ABEGG 2 0 0 4 b : 282 ff.

408

legitime Rechtsetzung ermöglichen. Indem die Institutionalisierung über Recht laufe, werde private Autonomie gesichert. Und durch das Zusammenwirken von institutionalisierter Meinungs- und Willensbildung mit informeller öffentlicher Kommunikation werde gesamtgesellschaftliche Integration (Solidarität) erreicht. Zentrales Problem der kooperierenden Verwaltung sei nun allerdings - so Habermas weiter - die vermehrte Loslösung instrumentalisierten Rechts von legitimiertem unverfügbarem Recht.1689 Folglich könne nicht zum alten Konzept des Rechtsstaats zurückgekehrt werden, denn mit dem reflexiven Umgang mit alternativen Handlungs- und Rechtsformen lasse sich nicht mehr am generell-abstrakten Gesetz als zentralem Bestandteil der rechtsstaatlichen Bindungs- und Legitimationswirkung anknüpfen. 1690 Zu suchen sei somit eine neue Form von Rechtsstaatlichkeit, die die Verfügbarkeit von (Legitimations-) Gründen und die Art des Umgangs mit ihnen regle.1691 Nach Habermas sollte heute - anstelle des autonomen Marktteilnehmers im liberalen Rechtsstaat1692 oder des Klienten der sozialstaatlichen Verwaltung 1693 - der Staatsbürger in den Legitimationsprozess eintreten. Dieser beteilige sich an politischen Diskursen, in welchen herzustellende Voraussetzungen an gleicher Freiheit und damit Massstäbe für Gleich- und Ungleichbehandlung gebildet werden. Legitimationsbedürftige Verwaltungshandlungen müssten folglich mit Begründungsdiskursen ergänzt werden, wobei die Meinungs- und Willensbildung freilich nicht durch die üblichen Prozesse der Gesetzgebung laufen könnten, sondern ihre Legitimation anderweitig erhielten - etwa durch Begründungen vor einem justizkritischen öffentlichen Forum, das über Rechtsexperten hinausgehe und problematische Grundsatzentscheidungen zum Gegenstand öffentlicher Kontroversen machen könne. Konkret gehe es um die Legitimation bei der Gewichtung kollektiver Güter, die Legitimation bei der Wahl zwischen konkurrenzierenden Mitteln und Zielen sowie um die normative Beurteilung von Einzelfällen, die nicht unter bestehende generell-abstrakte Gesetzesregelungen zu bringen waren.1694 Neuartiges Verwaltungshandeln, das sich vom traditionellen demokratischen Rechtsstaat löst, kann also nach Habermas Legitimation in anderer Weise erhalten.

1689 1690

Hierzu bereits Fn. 66: 19. Dies gilt, wie Vesting zurecht aufzeigt, zumindest insofern, als dass das Gesetz mit dem parlamentarischen Gesetz gleichgesetzt wird: VESTING .

1691

HABERMAS 1 9 9 2 : 5 2 7 ff.

1692

Zur Legitimation von Verträgen zwischen Staat und Privaten durch den Marktmechanismus einerseits und die freie Zustimmung siehe Kap. II.D: 183. Soeben Kap. III.E.3: 390. HABERMAS 1992: 90 ff, vor allem 105, und 527 ff.

1693 1694

409

Diese Legitimation erfolgt aber einzig dadurch, dass das Verwaltungshandeln die nun fehlenden normativen Gründe mit einer inneren, oder man könnte auch sagen: auf die Gesellschaft ausgeweiteten Demokratisierung ergänzt. Diese ausgeweitete Demokratisierung kann sich (zusätzlich zum Rechtsschutz) je nach Bereich aus der Verwaltungsbeteiligung ergeben, d.h. der verwaltungsinternen Institutionalisierung von Ombudsformen, gerichtsanalogen Verfahren, Anhörungen und Veröffentlichungen, Entscheidungsteilnahme von Betroffenen oder von Stellvertretern und so weiter. Folglich ist auch dem Abbau des Rechtsschutzes zu begegnen, etwa mit der Ausweitung des Gesetzesvorbehalts und des Begriffs des Eingriffs, mit der Ausweitung und Rekonfiguration des Grundrechtsschutzes, mit der Einsetzung ideeller Rechtsschutzstellvertreter sowie mit dem Ausbau kollektiver Rechtsschutzformen. Wie bereits im Konzept des Sozialstaates gilt, dass der Einzelne, respektive der Adressat des Verwaltungshandelns in jenen Stand gesetzt werden muss, in welchem er seine Interessen ausbilden, wahrnehmen und in den Entscheidungsprozessen zur Geltung bringen kann.1695 Aus Sicht der in diesen Untersuchungen formulierten Erkenntnisse ist hier allerdings Vorsicht geboten, denn das Polykontexturale der modernen Gesellschaft (d. h. die sich radikalisierende Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene, nach einer jeweils unterschiedlichen Eigenlogik funktionierenden Subsysteme) gilt es als Errungenschaft und Wesen der Moderne dem heutigen Gesellschaftsmodell zugrunde zu legen. Ob in der Ausdifferenzierung der Gesellschaft bereits - wie bei Teubner - ein normativer Grundsatz liegt,1696 oder ob der Beobachter diese Ausdifferenzierung seinem Gesellschaftsmodell zugrunde legen muss, um ein adäquates Bild zu erhalten, auf das er sich sodann ausrichten kann,1697 kann hier offen bleiben. Denn schon indem die polykontexturale Gesellschaft als Gesellschaft des Rechts erkannt wird, können Gefahren einer einseitigen Regulierung der Gesellschaft durch die Politik, die auch bei der Umsetzung von Habermas Vorschlägen drohen, erkannt und vermieden werden. 1698 Im diesem Sinne ist also vor allzu direkten Eingriffen in komplexe evolutorisch ausgebildete Strukturen fremder Subsysteme zu warnen. 1699 Insbesondere müssten die lange gereiften Erkenntnisse des

1695

HABERMAS 1992: 527 ff.; ähnlich auch GRIMM 1991: 414.

1696

TEUBNER 2000; hier trifft sich Di Fabio mit Teubner: Di FABIO 1997: 262.

1697

AMSTUTZ/ABEGG/KARAVAS 2 0 0 6 .

1698

Die Gefahren der einseitigen Politisierung eines Rechtsverhältnisses, das verschiedene Rationalität zusammenbringt, ist letztlich ein Kernthema der Evolution von Verträgen zwischen Staat und Privaten: vgl. unter anderem Kap. II.E: 189. In diesem Sinne warnt auch Schneider vor einer allzu direkten Politisierung von PolicyNetzwerken. Er fordert vielmehr eine Stärkung der traditionellen demokratischen Prozesse

1699

der Gesetzgebung: VOLKER SCHNEIDER 2000: 342 f.

410

Interventionsstaates zu denken geben: Selbstorganisierte Diskurse wie jene der Wirtschaft lassen sich nicht derart zielgerichtet durch politische Prozesse steuern, dass immer die politisch anvisierten Effekte resultieren,1700 sondern vielmehr erlangen diese politischen Programme in der intersystemischen Übersetzung ein Eigenleben und können durchaus auch ins Gegenteil umschlagen.1701 Vielmehr muss es - aus einer evolutionstheoretischen Sichtweise - darum gehen, mit Recht die jeweilige innersystemische Neuausrichtung von Funktion, Leistung und Reflexion derart zu unterstützen, dass die verschiedenen Systeme möglichst optimal auf intensive, komplexe und gar widersprüchliche Umweltanforderungen reagieren können, ohne ihre Eigenrationalität zu gefährden. 1702 Darauf und auf die zentrale Rolle des Vertrags in diesem Programm ist sogleich zurückzukommen. Zunächst ist allerdings mit Habermas am Befund festzuhalten, dass zahlreiche Formen der Kooperation zwischen Staat und Privaten die Anforderungen der Politik an eine legitime Regelung nicht erfüllen: So knüpft zwar etwa die Wirtschaft an die Politik an, vollzieht aber innerhalb der konkreten Kooperation, soweit sie der wirtschaftlichen Rationalität zugeordnet wird, den Re-Entry des Politischen nicht oder in nur ungenügender Weise. Wie können also diese Anforderungen der Politik gegenüber der Wirtschaft unterstützt werden, ohne dabei den interventionistischen Illusionen zu verfallen und ohne die Eigenrationalität von selbstorganisierten Diskursen zu gefährden? Darauf vermag eine evolutorisch-reflexive Theorie eine Antwort zu geben. Evolutorisch-reflexive

Legitimation

In den bisherigen Ausführungen wurden die morphogenen Strukturen1703 vertraglicher Arrangements zwischen Verwaltung und Privaten als evolutorische Strategie zur Anpassung an die polykontexturale Gesellschaft identifiziert. Derartige morphogene Strukturen, die durch Recht zu unterstützen sind, erleichtern es also den verschiedenen Gesellschaftssystemen, sich auf einander einzulassen. Im Fokus steht damit ein Gesellschaftsvertragsrecht. Dabei sind die innerhalb dieser Strukturen aufeinander prallenden Rationalitäten durch rekonfigurierte Grundrechte gegeneinander abzusichern.

1700 1701 1702 1703

Prägnant beschrieben etwa in TEUBNER 1984. AM historischen Beispiel des Mietrechts siehe OESTMANN 2003. Hierzu grundlegend LUHMANN 1975. Mit Morphogenese ist vor allem die Feedbackschlaufe zwischen den strukturellen Kopplungen und der systeminternen Selektion, die das System in seiner Umwelt neu positioniert, bezeichnet: oben Fn. 963: 235 und Fn. 1100: 272.

411

Die schwierige Frage ist nun, wie die unterschiedlichen Systeme, unterstützt durch Recht, bei Kooperationen dazu gebracht werden können, die Ausdifferenzierung ihrer Umweltsysteme sowie deren wichtigste Anforderungen an ein punktuelles Equilibrium zu berücksichtigen. Oder konkreter: Wie kann einerseits die Politik dazu gebracht werden, die Selbstorganisation nichtpolitischer Diskurse zu respektieren (als Re-Entry dieser Selbstorganisation, etwa der Wirtschaft, in die Politik) trotz stetig wechselnden politischen Programmen, die es umzusetzen gilt, und trotz fortbestehender Gewährleistungsverantwortung für die Einheit der Gesellschaft? Und wie können andererseits die selbstorganisierten nichtpolitischen Diskurse wie insbesondere die Wirtschaft dazu gebracht werden, auf die politischen Anforderungen und insbesondere auf das Bedürfnis der Politik nach Legitimität von politischer Machtanwendung einzugehen (als Re-Entry der Politik in die Rationalität selbstorganisierter Systeme) - insbesondere wenn bei Kooperationen zwischen Staat und Privaten der traditionelle Weg der Gesetzgebung, wie selbst Habermas vermerkt,1704 nicht mehr zum Ziel fuhrt und gleichzeitig auch das Recht in einer polykontexturalen Gesellschaft weder über Wissen noch Möglichkeiten verfugt, den am Vertrag beteiligten Diskursen konkrete und wirksame Regelungen zu implantieren.1705 Über diese Unsicherheit um das richtige Recht kann ein prozeduraler Ansatz, wie er etwa von Wiethölter beschrieben wird, hinweghelfen, indem er - ähnlich wie Habermas fordert - die Integration der Gesellschaft des Rechts durch die Beteiligung der Gesellschaft an der Recht-Fertigung des Rechts immer wieder aufs Neue hervorzubringen verspricht und hiermit gleichzeitig eine neuartige Legitimation hervorbringt:1706 Wenn die Aufgabe, im Prozess von Kooperationen zwischen Staat und Privaten gesellschaftsadäquate und zugleich legitimierte Normen zu produzieren, nicht mehr allein mittels Privatautonomie an die Wirtschaft und mittels Gesetzgebung an die Politik delegiert werden kann, dann verschiebt sich das Gewicht der Legitimationsmechanismen - wie anhand der vorliegenden Untersuchung bereits vermehrt festgestellt - auf die Gerichte.1707 Gerade mit einem prozeduralen Ansatz müssen sich die Gerichte nun mehr als bisher auf die ausdifferenzierte polykontexturale

1704 1705

1706 1707

412

Oben bei Fn. 1691: 409. Dies wird zuweilen vergessen, wenn die mittlerweile bekannten Konzepte eines prozeduralen oder reflexiven Rechts diskutiert werden: vgl. etwa STRULIK 2000: 322 ff., mit einer interessanten Optik auf die reflexive Steuerung des internationalen Bankensektors. Grundlegend WIETHÖLTER 1 9 8 2 . Exemplarisch zeigte sich diese Evolution erstmals in der Emergenz des französischen verwaltungsrechtlichen Vertrags: oben Kap. III.B: 207.

Gesellschaft einlassen. In der schwierigen Aufgabe, die rechtlichen Bedürfnisse der polykontexturalen Gesellschaft zu finden, werden die Gerichte zwar durch die Nachbarwissenschaften des Rechts unterstützt: Recht ist erstens über Rechtstheorie als Reflexionsmechanismus des Rechts und zweitens in eng beschränkter normativer Weise über (zumeist politisch) eingesetzte Generalklauseln sowie Normenverweise mit den Nachbarwissenschaften (wie Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtspsychologie, usw.) strukturell gekoppelt. Den am Konflikt beteiligten Systemen, wie der Wirtschaft, der Familie oder der Politik, steht jedoch die Wissenschaft - und sei es auch die Wirtschafts-, Familien- oder Politikwissenschaft - ähnlich fern wie das Recht. Wenn es nun, wie oben festgestellt, darum geht, die Möglichkeiten der sich fremd gewordenen Subsysteme der Gesellschaft zu fördern, sich gegenseitig wahrzunehmen und auf jeweilige Anforderungen der Umweltsysteme einzugehen, dann gilt es den Blick nicht nur auf die strukturellen Kopplungen wie den Vertrag zu lenken, die es den Systemen ermöglichen, sich als Umwelt des jeweils anderen Systems wahrzunehmen, sondern auch die Strukturen im Auge zu behalten, anhand welcher Systeme auf Anforderungen aus ihrer Umwelt unter Berücksichtigung ihrer Eigenrationalität reagieren. Werden diese morphogenen Strukturen vom einen System derart bedroht, dass andere Systeme ihre Operationen und Strukturen nicht mehr an die sich verändernde Umwelt anpassen können, soll das Recht diese morphogenen Strukturen schützen, d.h. zum Beispiel durch eine gerichtlich festgesetzte Kontrahierungspflicht, wenn wie in BGE 109 Ib 146, 155 (1983; Schweizerischer Treuhänder-Verband gegen Schweizerische Nationalbank) politische Legitimationsanforderungen an eine durch die Wirtschaft erstellte Marktordnung aufgrund struktureller Mängel nicht einbezogen werden. In BGE 129 III 35 (2003; Post gegen Verein gegen Tierfabriken) auferlegte denn das Bundesgericht in der Tat der Wirtschaft eine Kontrahierungspflicht, sofern für den politischen Meinungsbildungsprozess vitale Strukturen betroffen sind.' 708 Dogmatisch können solche Entscheide, die eine Austarierung der systemintemen Relation von Funktion, Leistung und Reflexion fördern sollen und einen Re-Entry zum Beispiel der politischen Anforderungen in die wirtschaftliche Rationalität verlangen (oder auch vice versa), in sogenannten Nischen angesetzt werden:1709 Zunächst ist in der mit der beobachteten Rationalität gekoppelten Teilrechtsordnung, also in casu dem privatrechtlichen oder dem verwaltungsrechtlichen Vertragsrecht, nach möglichen Nischen zu suchen, in welchen sich Variationen mit

1708

Hierzu m.w.H. AMSTUTZ/ABEGG/KARAVAS 2006.

1709

Dieses Modell wurde für das Wirtschaftsrecht entwickelt: AMSTUTZ 2001: 326 ff.

413

kompatibilisierendem Inhalt bilden können. Zumeist ist eine solche Nische in der Form einer Vorbehaltsnorm zu finden, die im Sinne einer Signalnorm auf die Kollisionsproblematik hinweist. Solche Kollisionsnormen sind in der Regel offen gefasst, um die evolutorische Dimension der Koexistenz von Systemen erfassen zu können. Traditionell wurden solche Kollisionsnormen im Vermögensrecht auf die Kompatibilität von Wirtschaft und menschlicher Existenzsicherung ausgelegt. Sie sind jedoch in ihrer Anlage genügend offen formuliert, dass sie ganz generell diese kompatibilisierende Funktion übernehmen können. Angeführt seien am Beispiel des schweizerischen Obligationenrechts die Generalklauseln der guten Sitten (Art. 19 f. OR), der Persönlichkeitsrecht (Art. 27 f. ZGB), zu Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) sowie zur Anwendung des Rechts (Art. 1 ZGB). 1710 Sind Nische und Kollisionsnorm eruiert, gilt es sodann die teilrechtsspezifische Rationalität, welche die Konsistenz innerhalb der Teilordnungen herstellt, auszumachen. Nur so werden einerseits der Grund der Kollision und andererseits die äussere Form der Evolutionsfahigkeit erkennbar. Diese teilrechtsspezifische Rationalität ist anhand der tragenden Präzedenzfalle abzulesen (Empirie), denn sie ist nicht bereits im Vornherein festgeschrieben, sondern wird in den Anwendungsfällen konstruiert.1711 Mit einem solchen Entscheid soll jedoch nicht nur die morphogene Struktur im unter Beurteilung stehenden Fall geschützt werden, sondern gerade durch die grobe Struktur des Entscheides auch ein komplexer Prozess der 'sozialen' Rechtssetzung im Zusammenspiel von Recht, Wissenschaft und den am Konflikt beteiligten Systemen ausgelöst werden. In einer derartigen 'sozialen' Rechtssetzung werden die beteiligten Systeme unter Anleitung der gerichtlichen Erwägungen dazu angestossen, neue Variationen zu generieren. Sodann werden diese Variationen von der Rechtswissenschaft auf ihre dogmatische Konsistenz überprüft. Allenfalls werden sie den Gerichten wiederum zur Selektion vorgelegt, möglicherweise wiederum zurückgewiesen, und so weiter - bis eine stabilisierungsfähige Selektion gefunden wird. Kurz: Es geht darum, den Konflikt an die beteiligten Systeme zurückzuweisen - freilich unter Hinweis auf die zu suchende Lösung und die entsprechenden Möglichkeitsbedingungen. Hier trifft sich diese evolutorisch-prozedurale Theorie mit der deliberativen Theorie, nach welcher die Gerichte den privaten Akteuren zu normativen Zielvorstellungen verhelfen, die das Ergebnis gelungener Lernprozesse sind, ohne den Grundsatz der Selbstbeschränkung aufzuheben. Denn die privaten Akteure sind selbst dazu berufen, diese normativen Zielvorstellungen durch experimentelle Formen der

Vgl. hierzu jüngst die methodischen Bemerkungen von GAUCH 2005. 17,1

414

Z u m G a n z e n : ABEGG 2 0 0 5 C .

Selbstorganisation zu finden. In diesem Modell sieht die deliberative Theorie Chancen für eine durch Privatrecht verwirklichte transnationale Demokratie auf globaler Ebene.1712 Sie bleibt allerdings vornehmlich auf die alte Gefahr der (primär politischen) Macht fixiert und kann folglich auf ihrer handlungstheoretischen Basis den zahlreichen ausdifferenzierten Gesellschaftsrationalitäten und den entsprechend unterschiedlichen Gefahrenlagen sozialer Sektoren nicht vollständig Rechnung tragen. Mit einem einfachen „so nicht" und relativ vagen Anforderungen an die Dogmatik im Sinn der oben festgehaltenen normativen Anforderungen soll also ein Prozess freigesetzt werden, mit welchem in prozeduraler Weise unter Ausnützung evolutorischer Strukturen empirisch abgestützte Lösungen gesucht werden, die den strengen normativen Anforderungen des Rechts gehorchen und gleichzeitig in jenen Rationalitäten, die den Konflikt an das Recht herangetragen haben, Beachtung finden. Insbesondere liegt es nach einem Gerichtsentscheid vor allem an dem mit Recht gekoppelten Wissenschaftsbereich, dogmatische Variationen zu finden. Zugleich obliegt es auch den betroffenen Systemen, ihre Praxis derart anzupassen, dass sie den Anforderungen der Gerichte, der Rechtswissenschaft und den Kontextanforderungen der am Konflikt beteiligten Systeme in Zukunft genügen. In künftigen Fällen werden die Gerichte die in diesem Prozess neu generierten Variationen, und gegebenenfalls auch die Variationen von Politik durch Gesetzgebung, auf ihre Selektionsfähigkeit vor allem im Lichte der bisherigen Rechtsprechung und auf ihre Stabilisierungsfahigkeit im Lichte von Rechtsdogmatik und Rechtsprinzipien überprüfen. Über die Jahre wird sich in diesem Zusammenspiel zwischen Recht (d.h. vor allem den Gerichten), Wissenschaft und den am Konflikt beteiligten Systemen zeigen, welche selektierten Strukturen nach der Rationalität des Rechts im eng geschnittenen Anschlusszwang der Rechtsdogmatik auf Dauer so stabilisiert werden können, dass ein punktuelles Equilibrium zwischen den konfligierenden Systemen einerseits und zwischen den konfligierenden Systemen und Recht andererseits entsteht. Zum Schluss ist darauf hinzuweisen, dass mit diesem prozeduralen Verfahren die verschiedenen am Konflikt beteiligten Systeme zusammen mit Recht in evolutorischer Weise am Ort struktureller Kopplungen auf einander abgeglichen werden und damit eine Ko-Evolution der Systeme sichergestellt wird, welche die Ausdifferenzierung der konfligierenden Systeme gegenseitig fördert - im Sinne von Konstitutionalisierung und Kompatibilisierung der jeweiligen Systeme hin zu ihren Um-

1712

GERSTENBERG 2 0 0 0 : 1 5 6 ; d e s w e i t e r e n NEYER/JOERGES 1 9 9 7 ; GERSTENBERG 1 9 9 7 ; 2 0 0 3 . 415

Weltsystemen.1713 Diese durch die Rechtsprechung ausgelöste prozedurale und reflexive Rechtsfortbildung, die neuartigen Problemstellungen wie dem Vertrag zwischen politischer Verwaltung und nichtpolitischen Akteuren in der heutigen polykontexturalen Gesellschaft angemessen ist und Normativität in formeller Weise unter Ausnützung der strukturellen Kopplungen von Recht und anderen gesellschaftlichen Systemen findet, bewegt sich auffallend parallel zur festgestellten Funktion des Rechts, die morphogenen Strukturen samt struktureller Kopplungen zwischen den beteiligten Systemen derart zu schützen, dass sich die verschiedenen Rationalitäten gegenseitig wahrnehmen, aufeinander reagieren und sich in ihrer Ausdifferenzierung garantieren können. Oder anders gesagt: Die materielle, normative Forderung nach dem Schutz morphogener Strukturen konfligierender gesellschaftlicher Subsysteme, um die Evolutionsfahigkeit (oder, wie Wiethölter es nennt: Entwicklungs-Dynamiken) sicherstellen zu können, lässt sich in der Form der beschriebenen prozeduralen und evolutorischen Rechtsprechungsmethode an den Orten der strukturellen Kopplungen zwischen Recht und den verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen gewinnen.1714 In diesem Sinn beteiligt das Recht ähnlich wie es den demokartisehen Pfadabhängigkeiten und insbesondere dem schweizerischen Institutionenarrangement entspricht und etwa von Habermas gefordert wird - die Gesellschaft des Rechts an der Rechtsfindung und schützt die ausdifferenzierte Gesellschaft - ähnlich wie im rechtsstaatlichen Modell, das in Frankreich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts emergierte - unter Bewahrung der zentralen rechtsstaatlicher Funktion der Gerichte.

1713

Ä h n l i c h WIETHÖLTER 2 0 0 3 .

1714

Vgl. auch WIETHÖLTER 2003.

416

IV. Inhaltsübersicht A.

Überblick

Die vorliegende Untersuchung zur Evolution des Verwaltungsvertrags befasst sich mit drei (idealtypisch verstandenen) Epochen: -

einer ersten Zeit, als der Vertrag im Zuge des 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts in der entstehenden Rechts- und Verwaltungswissenschaft als mögliche Rechtsform des Kontaktes zwischen Staat und Privaten erschien und sodann zum Ende des 18. Jahrhunderts wieder verschwand;

-

einer zweiten Epoche vor allem während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Kooperationen zwischen Staat und Privaten grundsätzlich nicht mit Vertrag erfasst werden konnten, zugleich aber bereits am Beispiel des Staatsdienstes klar wurde, dass der Staat nicht über die ganze Gesellschaft allein mit Macht verfugen konnte;

-

und einer dritten Epoche, die das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts und das 20. Jahrhundert umfasst, als im Zuge neuer Staatsaufgaben im Bereich der Sanitär- und Verkehrsinfrastruktur und später im Bereich der Existenzsicherung offensichtlich wurde, dass der Staat auf Kooperationen mit Privaten angewiesen ist, und hierbei in Frankreich und sodann auch in Deutschland und der Schweiz zunächst der privatrechtliche und später der verwaltungsrechtliche Vertrag (wieder) Aufnahme in eine rechtswissenschaftlich fundierte und stabilisierte Dogmatik fanden.

B.

Vertrag im Kontext von Herrschaftsmobilisierung, Souveränitätstheorie und emergierendem Binnenmarkt

Im 17. und vor allem im 18. Jahrhundert, der erwähnten ersten Epoche, erschien der Vertrag als eine mögliche Rechtsform in der Beziehung zwischen Staat und Privaten. Die Emergenz dieses Vertrags lief dabei offensichtlich parallel zum Abbau von politischen Herrschaftsrechten und Privilegien ausserhalb der Verwaltung (Kap. I.B: 18). Spätestens im Übergang zum 19. Jahrhundert fand jedoch der Verwaltungsvertrag keinen Platz mehr in den entstehenden Rechtswissenschaften Deutschlands und Frankreichs. Dieser Ausschluss des Vertrags zwischen Staat und Privaten, der sich auch in den von der Verwaltung verwendeten Handlungsformen manifestiert, wurde vor allem von folgenden zwei Seiten begünstigt:

417

-

Erstens erfolgte im Vertragsrecht während des 18. Jahrhunderts eine Verschiebung vom Erfordernis des (sozial und nicht primär wirtschaftlich interpretieren) Leistungsgleichgewichts zum Erfordernis der gleichgerichteten Parteien. Max Weber hob später in aller Deutlichkeit hervor, dass dahinter insbesondere der Kontext des entstehenden Binnenmarktes steht, für dessen Funktionieren die gleichgerichteten und auf gleicher Augenhöhe stehenden Marktteilnehmer konstitutiv sind. Im entstehenden Vermögensrecht, das sich primär auf den Markt ausrichtete, hatten folglich staatliche Sonderpositionen keinen Platz mehr, was sich in der Ablehnung von monarchischen Machtsprüchen ebenso zeigt wie in der Lehre der gleichgerichteten Marktteilnehmer und Vertragspartner (Kap. I.C: 24 und I.E: 67).

-

Zweitens lehnte es die kontinentale Staatstheorie im Gefolge von Bodin, Hobbes und Rousseau prinzipiell ab, dass der Staat durch Verträge gegenüber seinen Untergebenen gebunden werde, ja dass er überhaupt Verträge mit seinen Untergebenen abschliessen könne. Die Staatstheorie betonte vielmehr die Allmacht des Staates, die Gesellschaft zu einen und zu allgemeiner Wohlfahrt zu fuhren. Diese Trennung des hoheitlich handelnden Staates von der kooperierenden Gesellschaft ging dabei einher mit der Ablösung der Staatsverwaltung vom Einfluss unabhängiger Zivilgerichte, fast zeitgleich vollzogen in Frankreich mit und durch die grosse Revolution und in Deutschland mit und durch den Zusammenbruch des alten Reiches (Kap. I.D: 31).

C.

Das Paradox des modernen Staates und dessen Bearbeitung ...

Vor allem im Kontext der erwähnten modernen Staatstheorie, die den Staat als ,Klammer der Gesellschaft' versteht, und infolge der neuen Ausrichtung des Vertragsrechts auf den sich ausdehnenden Marktmechanismus, erschienen im derart gefassten Nullpunkt der Moderne (und weit darüber hinaus) der hoheitliche Staat und vertragliches Handeln als unvereinbar: Die in eine grosse Multitude auseinandergebrochene Civitas schloss den grossen Sozialvertrag, womit die souveräne Herrschaft des Staates und somit auch die Gesellschaft selbst begründet wurde. Rechtliche Verträge mit den damit Unterworfenen abzuschliessen, hätte diese absolute Souveränität, mit welcher die vormoderne und ständische Fragmentierung überwunden werden solle, gerade in Frage gestellt. Damit war aber auch das grundlegende Paradox des modernen Staates begründet, dass nämlich der Staat über alle Macht verfügt, um die Gesellschaft zu einen und zu allgemeiner Wohlfahrt zu führen, hierzu zugleich aber auf die Kooperation mit eben dieser Gesellschaft angewiesen ist (vor allem Kap U.E., 189). 418

D.

... mit Nationalethos und Fiskustheorie

Bereits im Übergang zum 19. Jahrhundert und während weiten Teilen des 19. Jahrhunderts, der zweiten untersuchten Epoche, wurde dieses Paradox am Gegenstand des Staatsdienstes offensichtlich: Denn das ,MenschenmateriaP lässt sich wohl zum Dienst zwingen, nicht aber der gute Wille des Staatsdieners. Gelöst wurde das Problem während des 19. Jahrhunderts zuweilen mit Nationalethos, sodann aber vor allem mit der Verdoppelung des Staates in einen hoheitlichen und einen fiskalen Staat, womit ausgewählte Elemente des Staatsdienstverhältnisses mit zivilrechtlichen und vertragsnahen Elementen unter der Fiskustheorie rechtlich stabilisiert werden konnten, ohne dabei die Lehre von der absoluten Souveränität des Staates in Frage stellen zu müssen (Kap. II.B: 97, II.C: 108 und U.E.: 189). Zugleich aber radikalisierte sich die Selbstbezüglichkeit des souveränen Staates, der sich in seine eigenen massgeschneiderten Rechtsformen kleidete, konkret in die Form des Gesetzes und der Verfugung - ohne sich dabei einer neutralen dritten Instanz, den unabhängigen Gerichten und der entsprechenden Rechtskontrolle, unterstellen zu wollen. Unter diesen Vorzeichen einer dominanten Souveränitätstheorie und fehlender unabhängiger Rechtskontrolle musste im sich ausbildenden öffentlichen Recht der Verwaltungsvertrag weiterhin als .Widerspruch in sich selbst' erscheinen, wie es noch 1924 Giacometti ausdrückte (Kap. II.D: 183).

E.

... mit Vertrag

Ein weiteres Mal zeigte sich das Paradox des modernen Staates, der mit aller Macht die Gesellschaft zusammenhalten muss, aber zugleich auf Kooperation mit der Gesellschaft angewiesen ist, mit dem wohlfahrtsstaatlichen Interventionsstaat, der dritten untersuchten Epoche. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernahm der Staat zunehmend die Verantwortung für jene grossen sanitären und verkehrstechnischen Infrastrukturprojekte, die durch die neuen technischen Errungenschaften, die Anforderungen des Binnenmarktes und eine vermehrt materiell verstandene Demokratie angetrieben wurden. Zugleich war der Staat allerdings mit dieser Aufgabe überfordert, sowohl was die Finanzen als auch das Know-how betraf (Kap. III.A.: 197). Entsprechende Kooperationen mit der Wirtschaft wurden zunächst mit den erwähnten zivilrechtlichen Elementen der Fiskustheorie stabilisiert, was allerdings den Bedürfhissen der Staatsverwaltung nicht entsprach, ihre Projekte den stetig wechselnden politischen Programmen neu anpassen zu können. Das in Entstehung begriffene deutsche Verwaltungsrecht - ganz auf die Überwindung des Polizeistaates ausgerichtet und weitgehend ohne substanzielle Verwaltungsgerichtsbarkeit - vermochte auf diese Problemstellung zunächst kaum zu reagieren 419

(Kap. III.C: 269). Gleiches gilt auch für die Schweiz, deren Lehre der deutschen Wissenschaft folgte, während das Bundesgericht weiterhin einer punktuell extensiven Interpretation der Fiskuslehre folgte (Kap. III.D: 330). In Frankreich vermochte sich allerdings eine Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrags auszubilden, welche die Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen an Planungssicherheit und politischen Interessen an der politikgeleiteten Dauerhaftigkeit des Service public zum Thema machte. Konstitutiv war dabei insbesondere die Ausbildung einer verstärkt unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, welche mit einer vermehrt funktionalen Sichtweise die Verwaltung von den verbleibenden zivilrechtlichen Fesseln befreite, sie aber zugleich auch vom Einfluss der Politik löste und mehr denn je dem Recht unterstellte (Kap. HI B: 207). Auch wenn die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs mit staatlichen Interventionen in die selbstregulierte Gesellschaft in mannigfaltiger Weise die Rechtsentwicklung des Interventionsstaates und in gewisser Weise auch des Verwaltungsvertrags prägte, vermochte sich in der Schweiz und in Deutschland der verwaltungsrechtliche Vertrag zwischen Staatsverwaltung und Privaten vorerst nicht durchzusetzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war aber infolge verschärfter Migration und der neuen Aufgabe der Existenzgewährleistung die interventionistische Verwaltung in verschärftem Mass auf die Kooperation mit Privaten angewiesen. Und dieses ausgewiesene faktische Verwaltungsbedürfnis im Verbund mit einer ausgeweiteten Verwaltungsgerichtsbarkeit vermochte schliesslich den verwaltungsrechtlichen Vertrag auch in Deutschland und in der Schweiz hervorzubringen (Kap. III.E: 377).

420