Die Evangelien und die Apostelgeschichte: Studien zu ihrer Theologie und zu ihrer Geschichte 9783161500411, 9783161515309, 3161500415

Andreas Lindemann versammelt 16 exegetisch-theologische Aufsätze zu den Evangelien und zur Apostelgeschichte, die währen

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German Pages 422 [431] Year 2009

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Studien zum Markusevangelium
Einleitung
»Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden…«: Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr
I. Vorläufige Beobachtungen zur literarischen Einheitlichkeit und zur möglichen historischen Authentizität von Mk 2,23–28
II. Versuch einer Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28
III. Interpretation der mit den traditionsgeschichtlichen Stufen verbundenen theologischen Implikationen
IV. Theologische Wertung der Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr.
Jesus und der Sabbat: Zum literarischen Charakter der Erzählung Mk 3,1–6
1.
2.
3.
4.
5.
Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8) und ihre Auslegung als allegorisches Gleichnis
Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a: Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem
Jesus und das epilepsiekranke Kind: Zur Auslegung der Wundererzählung Mk 9,14–29
I.
II.
III.
IV.
V.
Die Kinder und die Gottesherrschaft: Markus 10,13–16 und die Stellung der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft und im Urchristentum
I
II
III
Die Osterbotschaft des Markus: Zur theologischen Interpretation von Mark. 16,1–8
I
II
III
IV
V
II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk
Einleitung
Die Logienquelle Q: Fragen an eine gut begründete Hypothese
Vorbemerkung
I. Zum Problem des äusseren Umfangs der Logienquelle
II. Zum Problem der Rekonstruktion des Q-Textes
III. Das Problem der literarischen Gattung der Logienquelle
IV. Das Verhältnis der Logienquelle zum »historischen Jesus«
V. Zusammenfassung
Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk: Beobachtungen zu Reden, Wundererzählungen und Mahlberichten
I. Jesu Antrittsrede in Nazareth und die Pfingstpredigt des Petrus in Jerusalem
1. Die Eröffnung der Nazareth-Szene (Lk 4,16–21)
2. Die Eröffnung der Jerusalem-Szene (Apg 2,14–36)
3. Die Reaktion der Hörer in Nazareth (Lk 4,22–30) und in Jerusalem (Apg 2,37–41)
4. Ergebnis des Vergleichs
II. Wundererzählungen und Wundersummarien
1. Gelähmtenheilungen durch Jesus (Lk 5,17–26), durch Petrus (Apg 3,1–10; 9,32–35) und durch Paulus (Apg 14,8–13)
2. Totenerweckungserzählungen: Der Jüngling zu Nain (Lk 7,11–17), Tabitha in Joppe (Apg 9,36–42), Eutychos in Troas (Apg 20,7–12)
3. Wundersummarien
III. Abendmahl und Mahlgemeinschaft im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte
Die Anfänge des christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien in der Apostelgeschichte: (Apg 2,42–47; 4,32–37; 5,12–16)
I. Apg 2,42–47
II. Apg 4,32–35.36–37
III. Apg 5,12–16
IV. Zusammenfassung
Der »äthiopische Eunuch« und die Anfänge der Mission unter den Völkern nach Apg 8–11
I.
II.
III.
III. Studien zum Johannesevangelium
Einleitung
Gemeinde und Welt im Johannesevangelium
I
II
III
Mose und Jesus Christus: Zum Verständnis des Gesetzes im Johannesevangelium
1. Einleitung
2. Mose im Johannesevangelium
4. Mose und Jesus Christus. Zur Auslegung von Joh 1,17
IV. Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien
Einleitung
Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien«
I.
II.
III.
IV.
Wunder und Wirklichkeit: Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen
I.
II.
III.
IV.
Jesus, Israel und die Völker: Zum Jesusbild der neutestamentlichen Evangelien
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Register
1. Stellen
2. Autoren
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Die Evangelien und die Apostelgeschichte: Studien zu ihrer Theologie und zu ihrer Geschichte
 9783161500411, 9783161515309, 3161500415

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber/Editor Jörg Frey (München) Mitherausgeber/Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) Hans Josef Klauck (Chicago, IL.)

241

Andreas Lindemann

Die Evangelien und die Apostelgeschichte Studien zu ihrer Theologie und zu ihrer Geschichte

Mohr Siebeck

Andreas Lindemann, geboren 1943; Studium der Ev. Theologie in Tübingen und Göttingen; 1975 Promotion; 1977 Habilitation; 1978–2009 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel; seit 2009 im Ruhestand; seit 2007 Direktor der Evangelischen Forschungsakademie; 2009/2010 Präsident der SNTS.

e-ISBN PDF 978-3-16-151530-9 ISBN 978-3-16-150041-1 ISSN 0449-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von pagina in Tübingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort

Die in diesem Band enthaltenen Aufsätze entstanden in den Jahren 1978 bis 2009, also während meiner Lehrtätigkeit an der Kirchlichen Hochschule in Bethel; sie spiegeln einen Teil meiner exegetischen Arbeit in diesem vergleichsweise langen Zeitraum. Die Anlässe waren vielfältig: Einladungen zu Vorträgen oder zur Mitarbeit an Festschriften, Beteiligung an exegetischen Arbeitsgemeinschaften oder kirchlichen Gremien. Entsprechend vielfältig und verstreut waren auch die ursprünglichen Publikationsorte. Ich habe mich sehr gefreut, dass Herr Kollege Jörg Frey (München) sich sofort dazu bereit erklärte, die Aufsätze als Sammelband in die von ihm herausgebene Reihe aufzunehmen; ihm und auch Dr. Henning Ziebritzki vom Verlag Mohr Siebeck danke ich dafür herzlich. Dr. David du Toit, von 1997 bis 2003 Wissenschaftlicher Assistent in Bethel, jetzt Professor für Neues Testament in München, hat mich zu der Aufsatzsammlung ermutigt und bei der Auswahl freundschaftlich und kritisch beraten. Die bereits früher publizierten Aufsätze sind unverändert wieder abgedruckt, lediglich die Zitierweise wurde vereinheitlicht; für die großzügig erteilte Genehmigung zum Wiederabdruck danke ich den beteiligten Verlagen. Am Anfang der vier Kapitel steht jeweils eine »Einleitung«, in der ich vor allem auf Literatur eingehe, die zu den Themen der einzelnen Aufsätze seit deren Erstveröffentlichung erschienen ist. Zwei der Aufsätze wurden für die jetzt vorliegende Publikation neu bearbeitet; der abschließende, bisher unveröffentlichte Aufsatz verdankt sich einer Gastvorlesung, die ich in der Universität Augsburg halten und dort zur Diskussion stellen konnte. Die Aufsätze in diesem Band sind ganz überwiegend textbezogene exegetische Studien; ich habe mich freilich immer darum bemüht, die theologische Bedeutung solch exegetischer Arbeit herauszustellen und insbesondere den unmittelbaren Zusammenhang dieser traditionell als »historisch-kritisch« bezeichneten Bibelauslegung mit der kirchlichen Verkündigung sichtbar zu machen. Die sorgfältige Auslegung der biblischen Schriften kann, davon bin ich überzeugt, den Glauben nicht gefährden; sie soll im Gegenteil dazu beitragen, dass sich der Glaube seiner selbst bewußt wird und im Lichte der biblischen Überlieferung besser zu verstehen lernt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags Mohr Siebeck danke ich für die – mir seit langem vertraute – gute Zusammenarbeit. Ein ganz besonderer

VI

Vorwort

Dank gilt dabei auch an dieser Stelle Frau Tanja Mix, die mit großer Sorgfalt und Geduld für die Herstellung des Buches Sorge trug. Bethel, im Juni 2009

Andreas Lindemann

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

I Studien zum Markusevangelium Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

»Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden …« Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr. . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Jesus und der Sabbat Zum literarischen Charakter der Erzählung Mk 3,1–6 . . . . . . . . .

40

Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8) und ihre Auslegung als allegorisches Gleichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem

70

Jesus und das epilepsiekranke Kind Zur Auslegung der Wundererzählung Mk 9,14–29

93

. . . . . . . . . .

Die Kinder und die Gottesherrschaft. Markus 10,13–16 und die Stellung der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft und im Urchristentum . . 109 Die Osterbotschaft des Markus Zur theologischen Interpretation von Mark. 16,1–8 . . . . . . . . . . 135

II Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Die Logienquelle Q Fragen an eine gut begründete Hypothese . . . . . . . . . . . . . . 164

VIII

Inhaltsverzeichnis

Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk Beobachtungen zu Reden, Wundererzählungen und Mahlberichten . . . 186 Die Anfänge des christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien in der Apostelgeschichte (Apg 2,42–47; 4,32–37; 5,12–16) . . . . . . . . 213 Der »äthiopische Eunuch« und die Anfänge der Mission unter den Völkern nach Apg 8–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

III Studien zum Johannesevangelium Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Gemeinde und Welt im Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . 260 Mose und Jesus Christus Zum Verständnis des Gesetzes im Johannesevangelium

. . . . . . . . 288

IV Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien« 316 Wunder und Wirklichkeit Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen. . . . . . . . . . . 346 Jesus, Israel und die Völker Zum Jesusbild der neutestamentlichen Evangelien

. . . . . . . . . . 368

Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Register 1. Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 2. Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

I Studien zum Markusevangelium

Einleitung Die Aufsätze zu Texten des Markusevangeliums stammen aus den Jahren 1979 bis 1999 und sind unverändert abgedruckt; nur der Aufsatz zu Mk 9,14–29 wurde für den vorliegenden Band grundlegend aktualisiert. Die Exegese der synoptischen Evangelien, insbesondere des Markusevangeliums, ging in den vergangenen drei Jahrzehnten in unterschiedlicher Weise den Weg von der »diachronen« zur »synchronen« Betrachtungsweise.1 Dass sich die Auslegung eines Textes auf die vorliegende Endfassung konzentrieren muß, ist in der älteren Exegese vielleicht nicht immer deutlich genug gesehen worden, es ist aber im Grunde selbstverständlich. Andererseits jedoch zwingt die genaue Lektüre einer in den neutestamentlichen Evangelien erzählten Szene dazu, nach dem Ursprung und der »Geschichte« dieser Erzählung zu fragen.2 Wer etwa den Textabschnitt Mk 2,1–3,6 liest, darf darin durchaus eine literarisch »synchron« zu erfassende Schilderung von Ereignissen aus dem Leben Jesu sehen; aber dass die in 2,18–22 und in 2,23–28 beschriebenen Situationen in keinem direkten Zusammenhang miteinander stehen, ist unmittelbar evident. So ist die Frage nach der besonderen Funktion der einzelnen Erzählung nach wie vor methodisch berechtigt, ja unvermeidlich. Dass eine ausschließlich »synchrone« Auslegung der Texte diesen nicht wirklich gerecht wird, zeigt die Rezeption des Markusevangeliums in den beiden später verfaßten Evangelien des Lukas und des Matthäus: Gewiß kann man den Versuch machen, die beiden Großevangelien ohne Rückgriff auf Markus zu interpretieren; aber Lukas und Matthäus hatten ja bewußt das Markusevangelium als ihre (hauptsächliche) »Vorlage« übernommen und es dabei – mehr oder weniger – verändert, und wir würden auf ein Mittel zum Verstehen der Arbeit dieser Evangelisten verzichten, wollten wir diesen Prozeß übersehen. Alle Wahrscheinlichkeit spricht nun aber für die Annahme, dass auch Markus Vorlagen übernommen und sie im einzelnen sowie auch durch die Gesamtanlage seines Werkes neu gedeutet hat. 1 Vgl. dazu A. Lindemann, Literatur zu den Synoptischen Evangelien 1992–2000, ThR 69 (2004) 182–186 (zu »Methodenfragen«) und 369–423 (zur Mk-Literatur). Zum Ansatz einer darüber hinaus gehenden »kanonischen« Exegese vgl. Melanie Köhlmoos, Kanon und Methode. Zu einer Zwischenbilanz der »kanonischen Auslegung«, ThR 74 (2009) 135–146, vor allem in Auseinandersetzung mit den einzelnen Beiträgen in dem Band: E. Ballhorn/G. Steins, Der Bibelkanon in der Bibelauslegung, Stuttgart 2007. 2 Vgl. meine Überlegungen in: Literaturbericht zu den Synoptischen Evangelien 1978–1983, ThR 49 (1984) 311–371, hier: 370 f.

2

I. Studien zum Markusevangelium

Der einleitende Aufsatz »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden …« geht auf meine Antrittsvorlesung an der Kirchlichen Hochschule Bethel 1979 zurück. Die eingangs diskutierte Frage nach dem Verhältnis von historischer Analyse und theologischer Auslegung scheint mir unverändert aktuell zu sein; insbesondere auch das Problem der gegenwärtigen »Verbindlichkeit« biblischer Aussagen ist nach wie vor ein Thema der hermeneutischen Reflexion.3 In der Auslegung von Mk 2,23–28 habe ich wie selbstverständlich die »formgeschichtliche Methode« angewandt. Sie ist seither vielfach ins Kreuzfeuer der Kritik geraten4, und es gibt seit den 1980er Jahren sehr unterschiedliche Auslegungen der Perikope vom Ährenraufen am Sabbat; einige sollen im folgenden kurz referiert werden. Walter Schmithals führt die von ihm als literarisch einheitlich angesehene Erzählung Mk 2,23–27 (!) auf die von ihm vermutete »Grundschrift« des Markusevangeliums zurück. Der Erzähler sage, dass die Sabbatheiligung, verstanden als »Werke des Gesetzes«, nicht »auf das eigene oder das allgemeine Heil, sondern allein auf das Wohl des Menschen hin« geschieht; »deshalb«, so die Folgerung, »dürfen die Jünger entgegen den pharisäischen Normen auch am Sabbat Ähren ausraufen, wenn sie ihren Hunger stillen möchten«.5 Aber der Mk-Text spricht nicht vom Hunger der Jünger, er motiviert deren Verhalten in keiner Weise. Nach Schmithals kommt in dem abschließenden Wort in V. 28, das »in einer gewissen Spannung« zu V. 27 stehe, der Evangelist selber zu Wort, der dabei bewußt mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs »Menschensohn« spiele, zum einen im Sinne des Hoheitstitels, zum andern in der allgemeinen Bedeutung »Mensch«.6 Dieter Lührmann dagegen sieht in V. 28 betont »eine christologisch begründete Folgerung« aus V. 27: »Der Schluß vom Menschen überhaupt auf den Menschensohn ist also ein Schluß a minore ad maius.«7 Wolfgang Weiß betont, die Aussage, der Sabbat sei »um des 3 Vgl. Rudolf Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese des Neuen Testaments (1925), in: ders., Neues Testament und christliche Existenz. Theologische Aufsätze, hg. von A. Lindemann (UTB 2316), Tübingen 2002, 13–38; Ulrich H. J. Körtner, Einführung in die theologische Hermeneutik, Darmstadt 2006, 75–105 (zur Biblischen Hermeneutik); vgl. auch U. H. J. Körtner, Dogmatik als konsequente Exegese? Zur Relevanz der Exegese für die Systematische Theologie im Anschluß an Rudolf Bultmann, in: ders., Hermeneutische Theologie. Zugänge zur Interpretation des christlichen Glaubens und seiner Lebenspraxis, Neukirchen-Vluyn 2008, 97–119. 4 Ein wichtiger Beitrag zu dieser Problematik ist der Aufsatz von Walter Schmithals, Kritik der Formkritik, ZThK 77 (1980) 149–185; vgl. dazu meine Überlegungen aaO. (s. Anm. 2), 223–276, hier: 232–234. 5 Walter Schmithals, Das Evangelium nach Markus. Kapitel 1–9,1 (ÖTK 2/1), Gütersloh und Würzburg 1979, 186. 6 Schmithals (s. die vorige Anm.), 190 f.: Für die Leser des Mk sei ›Menschensohn‹ (verhüllender) Christus-Titel, aber »die Zeitgenossen bzw. die unmittelbar angeredeten Pharisäer … mußten den Begriff ›Menschensohn‹ … auf den in [V.] 27 genannten Menschen überhaupt beziehen«. Ähnlich argumentiert Paul-Gerhard Klumbies, Der Mythos bei Markus (BZNW 108), Berlin/New York 2001, 178 f.: »Der Menschensohn erscheint damit als ein Mensch wie andere. Er verfügt über kein Sonderrecht, sondern an seinem Verhalten wird das dem Menschen Zustehende wie Gebotene deutlich.« Klumbies spricht von einem »fließenden Übergang« zwischen der titularen Selbstbezeichnung Jesu und ihrer Anwendung auf die Menschen im Sinne der Grundbedeutung von bar-nascha (179). 7 Dieter Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 1987, 65.

Einleitung

3

Menschen willen geschaffen«, fuße »nicht auf anthropologischer Reflexion, sondern gründet auf dem Gedanken, daß Gottes Schöpfung zum Guten hin ausgerichtet ist. Die Freiheit dem Sabbat gegenüber ist daher durch die Freiheit der Schöpfung gegenüber begrenzt.«8 Manche neuere Auslegungen gehen auf die Möglichkeit einer diachronen Analyse des Textes nicht ein, übersehen dabei aber Probleme, die der Argumentationsgang der Erzählung aufwirft. Für Detlev Dormeyer ist das Markusevangelium eine »Idealbiographie« Jesu, die sich – nicht nur in 2,23 ff. – an der David-Überlieferung orientiere. Aber Dormeyer trägt schon in das Referat der Szene Elemente ein, die dem Text fern liegen; so schreibt er, es könne sich beim Ährenraufen der Jünger »um Hunger, aber auch um Probieren der Ernte handeln«, und er meint, in V. 25 f. verweise Jesus auf »die Übertretung seines Vorfahren Davids, der aufgrund von todesbedrohendem Hunger die Schaubrote des Tempels ißt. Todesnot verdrängt den Sabbat.« Entgegen dem alttestamentlichen Text 1 Sam 21,7 werde überdies in Mk 2,25 f. »die Interaktion zwischen David und den Begleitern in den Mittelpunkt« gerückt, und so werde David »nachträglich zum Vorbild für Jesu Lehrrolle innerhalb seiner Jünger gestaltet«.9 Nach Joel Marcus ist die Tatsache, dass Jesus nicht eine, sondern zwei Antworten auf den Vorwurf der Pharisäer gibt, kein Indiz für den sekundären Charakter von 2,25 f. Auch wenn Markus gegenüber dem Hoheitstitel »Sohn Davids« zurückhaltend sei, wie 12,35–37 erkennen lasse, zeige die Perikope 2,23–28 Jesus deutlich in einer königlichen Rolle, denn die Wendung hÍrjanto oëdoÁn poieiÄn in V. 23 »creates the impression that a path is being cleared for Jesus, as would be done in preparation for a royal visit«.10 Aber sollen die Leser von Mk 2,23 das Ährenraufen der Jünger wirklich als eine Form des Baus einer Prachtstraße deuten? Eve-Marie Becker diskutiert die unterschiedlichen Vorschläge »zur historischen Rekonstruktion des Überlieferungsprozesses« und kommt zu dem Ergebnis, dass sich auf dem Wege der Überlieferungs- und der Formgeschichte »kaum konsensfähige Beobachtungen zu dem hinter Mk 2,23 ff. stehenden Traditionsstrang« gewinnen lassen. Sie selber sieht einen »Traditionsstrang« in Mk 1–3, der auf lokalgeschichtlichen Angaben basiere, »die mit der Topographie und der Geschichte Kapernaums nicht in Widerspruch stehen«; so lasse sich die in 2,23 vorgestellte Situation »lokalgeschichtlich in der Umgebung von Kapernaum verorten«.11 8 Wolfgang Weiss, »Eine neue Lehre in Vollmacht«. Die Streit- und Schulgespräche des Markus-Evangeliums (BZNW 52), Berlin/New York 1989, 47 f. Das Logion V. 27 nehme zum Sabbatgebot Stellung und stehe »auf der Grenze zwischen Weisheits- und Gesetzeswort« (aaO., 50). 9 Detlev Dormeyer, Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener (SBB 43), Stuttgart 1999, 96. Jesus werde bei Mk freilich erst in 10,47 f. »ausdrücklich als Nachfahre Davids« benannt. 10 Joel Marcus, Mark 1–8. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB), New York 2000, 245. Die Wendung oëdoÁn poieiÄn bedeute üblicherweise »to create a road«, und »royal visits were often prepared for by roadworks« (aaO., 239). 11 Eve-Marie Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie (WUNT 194), Tübingen 2006, 285. 295. Die Abfolge der fünf Szenen in Mk 2,1–3,6 sei »formgeschichtlich, d. h. durch die gemeinsame Struktur und Thematik der Infragestellung des Auftretens und Wirkens Jesu in Galiläa durch verschiedene jüdische Gruppen verbunden. Ob diese Abfolge vor Markus oder erst durch Markus selbst entstanden ist, ist für die Bestimmung des Traditionsstranges und seiner Tendenzen unerheblich«; allerdings sei es möglich, »dass Mk 2 f. als zusammenhängende Sammlung oder Traditionsverbund bereits im Umfeld von Kapernaum entstanden ist« (aaO., 295 Anm. 285).

4

I. Studien zum Markusevangelium

David S. du Toit sucht nach der »Argumentationsstruktur«, die der Antwort Jesu auf den Vorwurf der Pharisäer zugrundeliegt. Kern sei die Aussage in V. 25 f., wo Jesu Argument darauf basiere, »dass die vorliegende Situation in dem David-Ereignis eine Analogie hat«; auch wenn sich »die Situationen nicht eins-zu-eins entsprechen«, insofern die Jünger nicht hungern, Jesus selbst an dem anstößigen Vorgang nicht beteiligt ist und David und die Seinen nicht das Sabbatgebot verletzt haben.12 Entscheidend sei, dass Jesus mit der von ihm vorgenommenen Analogie eher allgemein »das anstößige Verhalten seiner Jünger in einen umfassenden Zusammenhang dessen [stelle], was nicht erlaubt ist«13; dass solches Tun dennoch zugelassen werde, folge aus der Entsprechung zwischen Jesus und David: Die Jünger sind ebenso wie die Männer um David »Begleiter eines Trägers des Gottesgeistes«, und so werde implizit »wohl mit einer argumentatio a minore ad maius argumentiert: Wenn es schon Davids Begleitern erlaubt war, die von Gott eingesetzte Ordnung übertreten zu dürfen, dann umso mehr denen von Jesus, weil er größer als David ist«.14 Aber dass der mk Jesus seine Autorität von David herleitet, ist unwahrscheinlich; und eine logische Folgerung a minore ad maius läßt der Text in V. 25 f./27 nicht erkennen. Richtig scheint mir du Toits Beobachtung zu sein, der Schriftbeweis in V. 25 f. stelle eine Brücke dar zu den vorangegangenen Perikopen, während in V. 27 »vom Grundsätzlichen her« argumentiert und so auf 3,1–6 vorausverwiesen werde.15 Ich würde allerdings gerade umgekehrt argumentieren: Angesichts des in 2,27 Gesagten konnte der Evangelist eine die Situation im ganzen noch weiter polemisch zuspitzende Szene ergänzend anfügen (3,1–5.6). Peter Dschulnigg, der betont, seine Exegese lege »alles Gewicht auf die Endgestalt«, fügt hinzu, dass »deren Abfolge im Übrigen auch die vermeintliche Textgenese wiedergeben dürfte«.16 Eine instruktive Auslegung der Ährenraufen-Perikope in Mk 2,23–28 und den synoptischen Parallelen als Beispiel für den Umgang mit der Sabbathalacha im Neuen Testament bietet Lutz Doering.17 Er meint, in 2,27 liege »mit hoher Wahrscheinlichkeit« ein authentisches Logion Jesu vor, wonach Gott den Sabbat wegen des Menschen und für ihn eingesetzt hat.18 Die dazu in V. 23 f. erzählte Szene sei Gemeindebildung, wie vor allem der Wechsel der handelnden Personen zeige: »An der Verantwortlichkeit Jesu für das Verhalten seiner Jünger kann seine Verantwortlichkeit für das Verhalten der Gemeinde erzählerisch vorgestellt werden.«19 Das Menschensohn-Wort V. 28 sei angefügt worden, um zu zeigen, dass das Sabbatgebot der Autorität des Menschensohns untersteht. Danach habe dann entweder ein vormarkinischer Redaktor oder aber Markus selbst die Schriftargumentation in V. 25 f. eingefügt; hier könne die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass der Austausch der Schaubrote am Sabbat erfolgte (Lev 24,8).20

12 David du Toit, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen (WMANT 111), Neukirchen-Vluyn 2006, 70 f. 13 Du Toit, Herr (s. die vorige Anm.), 71. 14 Du Toit, Herr, 72 f. 15 du Toit, Herr, 74). 16 Peter Dschulnigg, Das Markusevangelium (ThHK NT 2), Stuttgart 2007, 104. 17 Lutz Doering, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum (TSAJ 78), Tübingen 1999, 408–440. 18 Doering, Schabbat, 416. 19 Doering, Schabbat, 412.413. 20 Doering, Schabbat, 431. Eine jüdische Tradition datiere Davids Verhalten in 1 Sam 21,7 auf den Sabbat (ebd., Anm. 185).

Einleitung

5

Der Aufsatz »Jesus und der Sabbat« zu Mk 3,1–6 entstand zwanzig Jahre später; die veränderte Forschungslage kommt vor allem in der zitierten Literatur zur Geltung. Im Zusammenhang des Gesprächs zwischen Christen und Juden21 wird der Frage nach der Rolle Jesu im Kontext des Judentums seiner Zeit besonderes Gewicht beigemessen, und dabei gilt das Thema »Sabbat« und in diesem Zusammenhang vor allem auch Jesu Heiltätigkeit am Sabbat als besonders bedeutsam. Nun fällt ja auf, dass in 3,1–6 anders als in der vorangegangenen Perikope nicht in den Konflikt eingeführt wird, sondern dieser als gegeben vorausgesetzt ist (3,2). Die kleine Studie macht deshalb den Versuch, die ganze Szene als eine auf die literarische Arbeit des Evangelisten zurückgehende Konfliktgeschichte zu verstehen. Paul-Gerhard Klumbies erklärt unter Hinweis auf Lührmanns Auslegung, die Auseinandersetzung um den Sabbat sei zur Zeit des Mk kein aktuelles Problem mehr; wenn »formgeschichtlich orientierte Exegese« dies nicht sehe, bleibe die Frage, »ob sich der Wert der Erzählungen für die Adressaten der vorliegenden Evangelienschrift nicht in der Wiedergabe eines überholten Problems erschöpft«.22 Auf der Ebene des Markusevangeliums sei das Thema jedenfalls nicht der Sabbat, sondern der mk Jesus konfrontiere »die Christen seiner Gegenwart damit, daß sich der Mensch stets vor der Entscheidung befindet, Gutes oder Böses zu tun«; hier erhebe Jesus nun »eine eigene Norm«, die dann »die innerste Ursache seines Todes« werde.23 Aber wenn für die Leser das Thema »Sabbat« tatsächlich gar nicht mehr aktuell war, dann mußten sie die von Jesus in V. 4 genannte Alternative und die Reaktion in V. 6 als eine letztlich unverständliche, jedenfalls maßlose Übertreibung ansehen.24 Wilfried Eckey meint, der Begriff synagvgh sei bei Markus im Sinne von »Bürgerversammlung« zu verstehen, da der archäologische Befund einen Rückschluß auf Synagogengebäude in Galiläa nicht zulasse25; aber 3,6 (eÆjeluoÂntew) spricht doch eher dafür, dass die betreffenden Menschen ein Gebäude verlassen. Eckey stellt fest, bei den in 3,2 genannten Kritikern denke der Leser an die in 2,24 genannten Pharisäer, »alle übrigen Versammlungsteilnehmer werden ausgeblendet«.26 Das scheint mir durchaus ein Argument zugunsten der Annahme zu sein, dass die ganze Erzählung redaktionell auf Markus zurückgeht. 21 Vgl. meinen Aufsatz: Israel im Neuen Testament, WuD 25 (1999) 167–192, der im Rahmen meiner Beteiligung an dem von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) erarbeiteten Lehrgesprächsdokument »Kirche und Israel« entstand. Das Dokument ist wiedergegeben bei Helmut Schwier (Hg.), Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden (Leuenberger Texte 6), Frankfurt/Main 2001. 22 Klumbies, Mythos (s. Anm. 6), 184. Lührmann, Markus (s. Anm. 9), 65 meint allerdings nicht, das Thema sei »nicht mehr aktuell«, sondern es sei »nicht mehr strittig«; das schließt ja nicht aus, dass man davon erzählt, es sei zur Zeit Jesu anders gewesen. 23 Klumbies, Mythos, 185. 24 Du Toit, Herr (s. Anm. 12), 74 sieht in 3,1–6 in Verbindung mit 2,27 einen »Hinweis auf die in der Schöpfung verankerte Heilsfunktion des Sabbats für den Menschen« und damit »eine prinzipielle Relativierung aller Sabbatgebote«. 25 Wilfried Eckey, Das Markusevangelium. Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 22008, 136 (vgl. 93 zu Mk 1,21). 26 Eckey, Markus (s. die vorige Anm.), 137.

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I. Studien zum Markusevangelium

Peter Dschulnigg27 schreibt, die in 3,1 eröffnete Erzählung beginne »mit einem Ortsund Personenwechsel«. Aber die Formulierung in 3,2 setzt doch voraus, dass nicht ein anonymes Publikum, sondern die in 2,24 eingeführten Pharisäer Jesus »beobachten«. Der Text ist nach Dschulnigg »ein Mischgebilde von Wundergeschichte und Streitgespräch«; dies »sowie einzelne auffallend konkrete Züge« sprächen »eher gegen eine sekundär und ideal gestaltete Szene« und stattdessen für eine Überlieferung, »die von lebendiger Erinnerung mitgeprägt ist«. Allerdings schließe 3,1–6 »vortrefflich« an 2,23–28 an, so dass man annehmen könne, »dass beide Schabbatgeschichten schon vor ihrer Einfügung in das Mk miteinander in dieser Abfolge überliefert worden sind«. Jesu Gegner würden in V. 2 nicht näher identifiziert, doch es seien wohl Pharisäer gemeint; da die Lähmung der Hand nicht lebensgefährlich war, »dürfte Jesus ihrer Meinung nach erst nach Ablauf des Schabbats heilen, was aber bei einem charismatischen Wanderpropheten, der nicht ortsfest war, problematisch sein konnte«. Dass Markus den Lesern die Vorstellung vermitteln will, Jesus werde sich noch während des Sabbats sogleich wieder auf Wanderschaft begeben, ist wenig wahrscheinlich; die Szene läßt einen Termindruck beim Wundertäter nicht erkennen.28

Jürgen Wehnert hat gemeint, die in meinem Aufsatz vertretene Annahme sei »angesichts der sonst feststellbaren Arbeitsweise des Mk eine wohl überzogene Hypothese«29; aber gerade angesichts der besonderen Stellung von 3,1–6 sowohl in der direkten Verbindung mit 2,23–28 als auch als Abschluß des Erzählgangs in 2,1–3,6 scheint mir diese Analyse der Textenstehung der Arbeitsweise und der Intention des Evangelisten am ehesten gerecht zu werden. Der Aufsatz »Die Erzählung vom Sämann und der Saat« ging ursprünglich auf eine im gemeindlichen Kontext gehaltene Bibelarbeit zu Mk 4,1 ff. zurück; zugleich ist er ein Niederschlag der in einer Projektgruppe der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie mehrere Jahre hindurch geführten Debatte zum Thema Formgeschichte, an der auch die inzwischen verstorbenen Kollegen Henning Paulsen und Walter Schmithals teilnahmen. Der mehrfache Szenenwechsel innerhalb von Mk 4, insbesondere auch innerhalb von Mk 4,1–20, spricht dafür, dass auch bei »synchroner« Exegese die Frage nach einer Geschichte der Tradition und der Redaktion des Textes nicht von vornherein abgewiesen werden sollte. Zu der Frage, ob in Mk 4,3–8 eine Erzählung vorliegt oder ein möglicherweise schon immer allegorisch bzw. metaphorisch gemeintes Gleichnis, betont Petra von Gemünden in ihrer auch mit antikem Bildmaterial ausgestatteten Auslegung, es sei schon auf der Ebene der Parabel in V. 3–8 »die Realität nicht direkt abgebildet, sondern kontrafaktisch durchbrochen«. So werde in V. 5f. die Zeitspanne zwischen Aussaat und Wachstum nicht reflektiert, und zugleich sei es auch »unwahrscheinlich, daß sich alle vier Bodenarten auf demselben Acker befinden«.30 Die von mir in Anknüpfung an G. Lohfink vertretene Annahme, die in 27

Dschulnigg, Markusevangelium (s. Anm. 16), 107–111, Zitate 107.108.109. Es wäre auch ein Mißverständnis, wollte man annehmen, 3,7 solle zeitlich umittelbar an 3,1–6 anschließen. 29 Jürgen Wehnert, Festschriften zum Neuen Testament (I), ThR 73 (2008) 404–434, hier: 434. 30 Petra von Gemünden, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. 28

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V. 8 genannten Ertragszahlen seien durchaus nicht unrealistisch, weist von Gemünden zurück: Der genannte Ernteertrag übersteige »bei weitem den Bereich des Möglichen, wenn man ihn – dem usus und der Erzählung entsprechend – auf den Ertrag des Ackers bezieht«, denn es gehe ja nicht um die einzelnen Körner, sondern um die Saatmengen.31 Aber die Differenzierung – dreißig-, sechzig-, hundertfältig – setzt doch eine Perspektive voraus, in der mit einem unterschiedlichen Ertrag gerechnet wird; ginge es um den Ertrag des Ackers insgesamt, so müßte man ja annehmen, dass das »gute Land« nochmals aufgeteilt ist.32 Von Gemünden meint, in der Auslegung des Gleichnisses, also im »Wechsel von der erzählten zur besprochenen Welt«, bleibe »eine Reihe von Metaphern ungedeutet wie z. B. der Sämann (V. 3; V. 14), das Aufpicken der Vögel, das Versengt- und Ersticktwerden (V. 6) sowie das Aufgehen und Wachsen des Samens (V. 8), die Frucht bzw. das karpoforeiÄn (V. 20)«. Mithin werde das Gleichnis in der Auslegung »nicht als Allegorie behandelt und Zug für Zug ausgedeutet. Nur einige Bildelemente werden aufgegriffen und analog zur prophetisch-apokalyptischen Traumdeutung aktualisierend ausgelegt«.33 Aber schon V. 14 (oë speiÂrvn toÁn loÂgon speiÂrei) zeigt doch, dass der Sämann zwar nicht mit einer bestimmten Person identifiziert wird, dass aber doch von jemandem die Rede ist, der »das Wort sät«, der also die christliche Botschaft verkündigt. Von Gemündens Hinweis, das Gleichnis sei, V. 11 entsprechend, möglicherweise immer schon als basileiÂa-Gleichnis zu verstehen gewesen34, setzt voraus, dass der in V. 8 genannte Ertrag hyperbolisch und letztlich geradezu »apokalyptisch« gemeint ist. Kristina Dronsch folgert aus der Bildfeldtradition des alttestamentlich-jüdischen Hintergrunds von Mk 4,3 ff., es sei von vornherein Gott als der Säende zu denken. Die Parabel sei »ganz auf die Deutung hin angelegt, in der die komprimierte Konzentration der einzelnen metaphorischen Elemente sich fortsetzt, aber nun einen explizit gemeinschaftskonstitutiven Bezug erhält, der sich in der Fokussierung auf den Rezeptionsprozess realisiert«.35 Es handle sich weder um einen alltäglichen Vorgang, noch liege ein Reich-GottesGleichnis vor; »vielmehr veranschaulicht die Erzählung die gute Ordnung der Schöpfung«.36 Diese Auslegung entspricht meinen eigenen Erwägungen; aber gerade dann ist doch die Diskrepanz zwischen der Parabel und ihrer Deutung unübersehbar, denn der Deutung liegt offensichtlich daran, den Mißerfolg des Säens zu erklären, während der Erfolg als nahezu bedeutungslos erscheint. Die Tatsache, dass in der Auslegung in V. 15 ff. Eine Bildfelduntersuchung (NTOA 18), Göttingen und Freiburg/Schweiz 1993, 217 mit Anm. 215. 31 Von Gemünden, Vegetationsmetaphorik (s. die vorige Anm.), 218 mit Anm. 83. 32 Zu der »von dem Gleichnistext besprochenen Wirklichkeit« und überhaupt zum Text im ganzen vgl. Ulrich Mell, Die Zeit der Gottesherrschaft. Zur Allegorie und zum Gleichnis von Markus 4,1–9 (BWANT 144), Stuttgart 1998, vor allem 82–109. Mell sieht lediglich in der Zahl »einhundert« (anstelle der zu erwartenden Zahl »neunzig«) eine leichte hyperbolische Spitze (aaO., 108). Das mag übertrieben sein; aber richtig ist der Hinweis, für eine »ins Wunderhafte gesteigerte Hyperbolik … weit höhere Zahlen zur Verfügung« gestanden hätten (ebd., Anm. 301). 33 Von Gemünden, Vegetationsmetaphorik (s. Anm. 30), 223. 34 Von Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 228. 35 Kristina Dronsch, Vom Fruchtbringen (Sämann mit Deutung), in: Ruben Zimmermann (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 297–312, hier: 305. 36 Dronsch, Vom Fruchtbringen (s. die vorige Anm.), 307 unter Verweis auf F. Vouga, Die Parabeln Jesu und die Fabeln Äsops. Ein Beitrag zur Gleichnisforschung und zur Problematik der Literarisierung der Erzählungen der Jesus-Tradition, WuD 26 (2001) 149–164, hier 162.

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die Metaphorik wechselt, insofern zunächst das Wort »gesät« wird, dann aber die Menschen, bestätigt die Annahme, dass an eine strikte Allegorese mit einer definitiven »Identifizierung« des jeweiligen Saatguts offensichtlich nicht gedacht ist.

Der Aufsatz »Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a« nimmt ebenfalls die Diskussion in der bereits erwähnten Projektgruppe auf. Im Kontext der Debatte um »Diachronie« und »Synchronie« wird versucht, einen Zwischenweg zu gehen: Im Zentrum steht die Auslegung des vorliegenden Textes, aber es wird nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es Indizien für die Annahme einer Geschichte der Tradition geben könnte. Gerade bei der Exegese des Textabschnitts 4,35–6,6a wurde mir deutlich, dass die klassische Theorie vom »Messiasgeheimnis« als dem eigentlichen Schlüssel zur Theologie bzw. Christologie des Markusevangeliums zumindest insofern problematisch ist, als insbesondere den »Schweigegeboten« ein deutlich geringeres Gewicht zukommt als dies üblicherweise angenommen wird.37 In der aktuellen Diskussion über das Verhältnis von Wunderbegriff und Medizin werden auch Hinweise zur Auslegung der Erzählung von der gynhÁ oyËsa eÆn rëyÂsei aiÏmatow in 5,25–34 gegeben. Wolfgang Stegemann betont, die Angabe in 5,25 sei »allenfalls die Beschreibung eines Symptoms«, das »nicht biomedizinisch, sondern sozial verstanden« werde; da die Frau ihr Vermögen bei Ärzten verschwendet habe, bedeute ihre Krankheit »eine gravierende Entwertung ihres sozialen Status«, und so stehe »die soziale Dimension ihres Krankseins … im Mittelpunkt«. »Auch die Schilderung des Heilungserfolgs wird beherrscht durch soziale bzw. soziokulturelle Aspekte. Jesus sagt zu ihr: Geh hin in Frieden, sei gesund von deiner Geißel (5,34).« Das sei so zu verstehen: »Die Frau hat für ihre Zukunft wieder soziale Integrität, im umfassenden ›Schalom‹ zu erwarten.«38 Stegemann folgert aus dieser und anderen Heilungserzählungen, dass Jesus weder als Arzt noch als Magier, sondern vielmehr als »Volksheiler« aufgetreten sei.39 Aber inwiefern diese Definition zum Verständnis der Beschreibung des Handelns Jesu in den im Markusevangelium erzählten Heilungsgeschichten hilfreich sein könnte, wird (mir) nicht deutlich; eher zeigt sich darin ein »rationalistischer Wunderbegriff«, insofern der Versuch gemacht wird, Jesu heilendes Wirken in das Raster eines modernen Verständnisses vom »Heilen« einzuordnen. Auch Reinhard von Bendemann betont, bei der »Interpretation von Krankheiten in der frühchristlichen Literatur« sei zu beachten, »dass von einem ›ontologischen‹, d. h. objektiven (im Sinn von zeit- und kulturunabhängigen) Krankheitsbegriff nicht ausgegangen werden darf«; so werde, wie er meint, »der blutenden Frau in Mk 5,25 … ein Uterusleiden zugeschrieben, so, als verfügten die neutestamentlichen Autoren bereits über ein organo-

37 Vgl. Josef Ernst, Das sog. Messiasgeheimnis – kein »Hauptschlüssel« zum Markusevangelium, in: J. Hainz (Hg.), Theologie im Werden. Studien zu den theologischen Konzeptionen im Neuen Testament, Padeborn 1992, 21–56. 38 Wolfgang Stegemann. Dekonstruktion des rationalistischen Wunderbegriffs. Plädoyer für eine kulturanthropologische Deutung der Wundergeschichten, in: Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel. Festschrift für Luise Schottroff zum 70. Geburtstag, hg. von F. Crüsemann u. a., Gütersloh, 2004, 67–90, hier 78. 39 Stegemann, Dekonstruktion (s. die vorige Anm)., 84–88. »Jesus war eine Art Volksheiler (folk healer) oder auch traditioneller Heiler.«

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logisches Wissen um den weiblichen Zyklus«.40 Aber zweifellos setzt die Erzählung voraus, dass es sich bei der Krankheit der Frau um eine in der Öffentlichkeit nicht sichtbare Blutung handelt; dafür spricht der Gesamduktus der Erzählung, vor allem aber die Tatsache, dass sie selbst es ist, die ihre Heilung konstatiert (V. 29)41; ein exaktes Wissen um die organischen Ursachen einer solchen Blutung braucht damit natürlich nicht verbunden zu sein. Zutreffend stellt von Bendemann fest, dass der Evangelist »das, was Jesus an der kranken Frau bewirkt, terminologisch nicht vom Wirken des Arztes« unterscheidet, inÄ suai verwendet: »Das, was Jesus hier – sofern er in V. 29 das durchaus übliche Verb iÆa wenngleich auf eine unter schulmedizinischen Vorzeichen extravagante Weise – vollbringt, ist von außen und im Ergebnis betrachtet nichts anderes als das, was ärztlicher Zielsetzung entspricht: die Herbeiführung von Heilung und Gesundheit.«42 Wilfried Eckey bietet in einem Exkurs mit Blick auf die Aussagen über die Krankheit und den Tod der Tochter des Jairus Information über die Kindersterblichkeit im Römischen Reich.43 Auch wenn Jesu Wort in V. 39 m. E. nicht »metaphorisch« gemeint ist, wie auch Eckey meint44, weil Jesus ja nicht den Tod als Schlaf deutet, sondern ausdrücklich von einem Gegensatz spricht (toÁ paidiÂon oyÆk aÆpeÂuanen aÆllaÁ kaueyÂdei), wird vor allem die in V. 38 beschriebene Szene durch die von Eckey gebotenen Quellentexte sehr hilfreich illustriert.

Der Aufsatz »Jesus und das epilepsiekranke Kind« basiert auf einem Vortrag, der im Rahmen des Jubiläums zum 25jährigen Bestehen der Epilepsie-Klinik Mara in Bethel am 3. Juli 1987 gehalten wurde45; für die Veröffentlichung im vorliegenden Band wurde er erheblich überarbeitet und erweitert, insbesondere auch mit Blick auf die neuere exegetische Diskussion. Nach wie vor scheint es mir besonders bedeutsam zu sein, dass in dieser Erzählung die Epilepsie so exakt beschrieben wird, dass eine geradezu medizinische Diagnose möglich ist46, auch wenn in der mk Fassung der Erzählung keiner der in der antiken Medizin für diese Krankheit verwendeten Begriffe verwendet wird.47 Die Genauigkeit der Schilderung ist kein

40 Reinhard von Bendemann, Christus der Arzt – Krankheitskonzepte in den Therapieerzählungen des Markusevangeliums, in: Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, hg. von J. Pichler und Chr. Heil. In Zusammenarbeit mit Th. Klampfl, Darmstadt 2007, 105–129, hier: 110. von Bendemann geht ausführlich auf den Topos vom Versagen der Ärzte in 5,26 ein (112–117). 41 Jesus spricht in V. 34b nicht ein »Heilungswort«, sondern er bestätigt die vom Erzähler bereits als erfolgt konstatierte Heilung aÆpoÁ thÄw maÂstigow. 42 Von Bendemann, Christus der Arzt (s. Anm. 40), 117. 43 Eckey, Markus (s. Anm. 25), 203–205. 44 So aber Eckey, Markus, 211: »Mit Jesu Ankunft, die Gottes Lebensmacht präsentiert, wird der Todesschlaf als vorläufig offenbar.« 45 Der Vortrag ist unter dem Titel »Jesus und das epileptische Kind. Die Wundererzählung Markus 9,14–29« abgedruckt in: Medizinisches und Theologisches zur Epilepsie. Neue Forschungsergebnisse aus dem Epilepsiezentrum (Bethel-Beiträge 38), Bielefeld 1988, 130–140. 46 Dies stellte auch der Epileptologe Dieter Janz in seinem Festvortrag sehr betont heraus; vgl. Dieter Janz, Epilepsie metaphysisch betrachtet. Eine Deutung der biblischen Geschichte von dem epileptischen Jungen und von Raffaels »Transfiguration«, aaO. (s. die vorige Anm.), 152–165. 47 In Mt 17,15 bezeichnet der Vater seinen kranken Sohn als »mondsüchtig«, d. h. dieser Evangelist weiß jedenfalls genau, um welche Krankheit es sich handelt.

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Indiz für die historische Zuverlässigkeit des Berichteten; aber sie ist doch ein Zeichen dafür, dass die Erzählenden ein besonderes Interesse hatten, die Krankheit identifizierbar zu beschreiben. Insofern trägt es wenig aus, wenn darauf hingewiesen wird, dass »Epilepsie« in der Antike nicht exakt dem entspreche, was heute darunter verstanden wird. Zur Thematik des Aufsatzes »Die Kinder und die Gottesherrschaft« ist gerade in den letzten Jahren sehr viel höchst informative Literatur erschienen, die vor allem den kultur- und sozialgeschichtlichen Hintergrund der geschilderten Szene näher zu beleuchten vermag.48 Der Begriff »Kind« spielt im Neuen Testament nicht nur als Metapher eine erhebliche Rolle49, sondern es sind auch reale unmündige Kinder in der antiken Literatur (und nicht zuletzt auch in der Ikonographie) ein wichtiges Thema.50 In Auseinandersetzung auch mit meinem Aufsatz äußert sich Ulrich Heckel eingehend zu der Frage, ob das eigentliche Thema in Mk 10,13–16 der Segen ist oder ob es in der Erzählung zumindest indirekt auch um die Taufe von Kindern gehen könnte.51 Vor dem Hintergrund der Taufdebatte, so meint Heckel, verlange der Text »eine ausführlichere Analyse, als es von einer rein exegetischen Frage nach dem Verständnis des Segens im Neuen Testament gefordert wäre«52; das ist ein wenig überraschend, denn immerhin handelt es sich um den einzigen Text in der synoptischen Überlieferung, in dem von einem segnenden Handeln des irdischen Jesus die Rede ist. Heckel stellt fest, dass der »Wortlaut des Segens« in 10,16 nicht überliefert ist; da die Kinder zuvor in V. 15 »nur in dem verallgemeinernden Singular ›wie ein Kind‹ als Paradigma zum Vergleich herangezogen« seien, fungiere die Handauflegung folglich »nicht als begleitende Geste zu einem Segenswort für die Kinder, sondern wendet sich als demonstrativer Akt an die Jünger. Im Erzählgang erscheint die Segnung als prophetische Zeichenhandlung, die zeigen soll, dass gerade die Kinder von Gott angenommen sind.«53 Aber ein Segenswort ist in der Szene nicht zu erwarten, denn das entscheidende Wort hatte Jesus ja in V. 14b. 15 als Reaktion auf das Verhalten der Jünger (V. 14a) bereits gesprochen, und als er in V. 16 die in V. 13 erbetene Handlung tatsächlich ausführt, übersteigt der Vollzug die Bitte bei weitem. Wie hätte dann an dieser Stelle ein begleitendes Ä n der Segenswort Jesu lauten sollen? Heckel geht auf V. 14a nicht ein; aber gerade das eÆpitima

48 Vgl. zuletzt die Beiträge in dem Band: Marcia J. Bunge (ed.), The Child in the Bible, Grand Rapids 2008. 49 Vgl. Christine Gerber, Paulus und seine »Kinder«. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe (BZNW 136), Berlin/New York 2005. 50 Vgl. Marc Kleijwegt/Rita Amedick, Art. Kind, RAC 20, Stuttgart 2004, 865–947. Vgl. ferner den reich illustrierten Band von Annika Backe-Dahmen, Die Welt der Kinder in der Antike, Mainz 2008. 51 Ulrich Heckel, Der Segen im Neuen Testament. Begriff, Formeln, Gesten. Mit einem praktisch-theologischen Ausblick (WUNT 150), Tübingen 2002, 53–62. Heckel fügt noch zwei Exkurse an, die sich mit den kirchengeschichtlichen Entwicklungen im Blick auf die »Vereinnahmung« des »Kinderevangeliums« zugunsten der Säuglingstaufe (63–67) und mit der seit Karl Barths Kritik an der Kindertaufe aufgekommenen Debatte um die Kindersegnung als selbständiger gottesdienstlicher Handlung (68–76) befassen. 52 Heckel, Segen (s. die vorige Anm.), 54. 53 Heckel, Segen, 58.

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Jünger bedarf der Erklärung, und da liegt die Annahme nun doch sehr nahe, dass es um einen grundsätzlichen Widerspruch ging. Wilfried Eckey nennt 10,13–16 eine »Lehrszene«; sie sei »wahrscheinlich von Gemeinden weitergegeben worden, in denen es zu Konflikten über den Kinderkatechumenat und die Kindertaufe gekommen war«, und dabei habe man sich daran erinnert, dass Jesus Kinder gesegnet und das Amen-Wort (V. 15) gesprochen hatte. Das sonst kaum zu erklärende Verhalten der Jünger lasse einen Gemeindekonflikt erkennen, »in dem der Widerstand gegen die Aufnahme von Kindern« unter Berufung auf Jesus überwunden wurde; die Szene sei »ein indirekter Hinweis auf die Praktizierung der Kindertaufe in der Gemeinde des Markus«.54 Peter Dschulnigg will einer solchen Schlußfolgerung entgehen: »Die abweisende Reaktion der Jünger ist nicht vorbildlich, vielleicht weist sie auf ihre geringe Wertschätzung von Kindern hin, möglicherweise wollen die Jünger ihren prophetischen Lehrer aber auch in vermeintlich guter Absicht vor Belästigung schützen.«55 Aber von solch psychologisierenden Motiven für das Verhalten der Jünger ist im Text nichts zu erkennen. Zur Frage, ob paidiÂon in V. 15 Akkusativ oder Nominativ ist, ob also das Kind als Modell für das Annehmen des Gottesreiches gilt oder ob Jesus dazu aufruft, ein Kind aufzunehmen, meint Dschulnigg: »Vielleicht will Markus mit seiner mehrdeutigen Formulierung gerade beide Verstehensweisen offen halten.«56 Judith M. Gundry versteht das Logion in V. 15 vor biblischem Hintergrund: Jesu Wort sei »an echo of Old Testament traditions in which Israel is depicted as the smallest, as an infant or a child, at the point when God elected and redeemed the nation«. Wenn Jesus seine Jünger lehre »that they must receive the kingdom of God ›as a little child‹ in order to enter it«, so sei dies »strikingly reminiscent of the prophetic critique of Israel having forgotten her former state of radical dependence on God«. Der prophetische Text, auf den die Aussage anspiele, sei Ez 16,3–14.57

Seit der Publikation des Aufsatzes »Die Osterbotschaft des Markus«58 sind zahlreiche Untersuchungen zu der Perikope und insbesondere auch zum Problem des Mk-Schlusses erschienen. Dass der in der Kanonsgeschichte rezipierte Schluß des Markusevangeliums in 16,9–20 nicht der ursprüngliche Text ist, wird allgemein anerkannt; wichtige Arbeiten sind erschienen, die diesen Abschnitt gerade unter der Annahme der Nicht-Authentizität als eigenständigen theologischen Text interpretieren.59 Nach wie vor umstritten ist, ob 16,8 tatsächlich der vom

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Eckey, Markus (s. Anm. 25), 328.329.330. Dschulnigg, Markus (s. Anm. 16), 272. Er verweist dazu auf 2 Kön 4,27. 56 Dschulnigg ebd. 57 Judith M. Gundry, Children in the Gospel of Mark, with Special Attention to Jesus’ Blessing of the Children (Mark 10:13–6) and the Purpose of Mark, in: Bunge (ed.), Child (s. Anm. 47), 143–176, hier 171.172. 58 Der Aufsatz geht auf die Vorlesung zurück, die ich im Sommersemester 1977 im Rahmen des Berufungsverfahrens in Bethel gehalten hatte. 59 Paul L. Danove, The End of Mark’s Story. A Methodological Study (Bibl.-Interpr. S 3), Leiden 1993; James A. Kelhoffer, Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark (WUNT II/112), Tübingen 2000. Vgl. zu beiden Büchern meinen Bericht in ThR 69 (2004) 406–409. 55

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Evangelisten intendierte Schluß des Werkes ist oder ob ein ursprünglich anderer Schluß absichtlich oder unabsichtlich entfernt wurde. Robert H. Gundry nennt zahlreiche Gründe für die Annahme, das Markusevangelium sei nicht mit 16,8 abgeschlossen worden, sondern V. 8 eröffne »a new pericope, the rest of which is now lost«: Die Ansagen in 14,28 und 16,7 müßten erfüllt werden; in V. 8 sei ein adversatives de zu erwarten, wenn Markus habe sagen wollen, dass die Frauen der Weisung des neaniÂskow von V. 7 nicht Folge leisteten; die Tatsache der Fortsetzung der Erzählung im Lukas- und im Matthäusevangelium »favors common dependence on a lost continuation in Mark«; der in V. 8 erwähnte Ortswechsel (eÍfygon aÆpoÁ toyÄ mnhmeiÄoy) sei ein Indiz für den Beginn einer neuen Perikope; Hinweise auf Furcht (eÆfoboyÄnto gaÂr) stünden im Markusevangelium häufiger in der Mitte einer Perikope als an deren Ende. Die Schreiber, die den Text nach V. 8 sekundär ergänzten, hätten vermutlich gewußt »that Mark did not originally end there«, und es sei doch unwahrscheinlich »that scribes fabricated inauthentic endings apart from that knowledge«. Wenn schon die Schreiber der Handschriften den Schluß mit V. 8 als unbefriedigend empfanden, dann gelte dies um so mehr für Markus selber.60 Aber Lukas und Matthäus folgen der Mk-Vorlage bis 16,8a, und dann ersetzen sie die Notiz über das Schweigen der Frauen (Mk 16,8b) durch die gegenteilige Aussage – und zwar auf unterschiedliche Weise; sie besaßen also über Mk 16,8 hinaus keine gemeinsame Vorlage. Aus der Tatsache, dass die beiden späteren Evangelisten und die Schreiber der Mk-Handschriften den Schluß des Evangeliums in V. 8b als »unbefriedigend« empfanden, ist nicht zu folgern, dies müsse auch für Markus selber gegolten haben.61 R. T. France hält die Annahme, Mk könne mit 16,8 geendet haben, für »modern« oder vielleicht sogar »post-modern«62; über die Gründe für das Fehlen des ursprünglich intendierten Schlusses könne man freilich nur spekulieren.63 V. 8 könne keinesfalls der intendierte Schluß gewesen sein, denn es sei zur Zeit der Abfassung des Markusevangeliums den Lesern doch bekannt gewesen »that the message of the empty tomb was delivered and that the disciples did meet with Jesus (whether in Galilee or elsewhere would depend on which traditions you were following)«.64 Aber das wußte, wie 16,7 und zuvor 14,28 zeigen, ja auch schon Markus selber; gerade deshalb stellt sich ja die Frage, warum er dessen ungeachtet nicht davon erzählt. France sieht richtig, dass mit V. 8 jedenfalls nicht ein neuer Erzählgang eröffnet wird: »By writing v. 8 Mark seems to have made things difficult for himself in adding a sequel.«65 Die einfachste Schlußfolgerung aus dieser Beobachtung ist doch, dass eine solche Fortsetzung offensichtlich gar nicht beabsichtigt war. Udo Schnelle meint, die Annahme, dass 16,8 der von Markus beabsichtigte Schluß des Evangeliums war, sei das Ergebnis »historisch-kritischer Auslegung im 20. Jh.«; er stellt

60 Robert H. Gundry, Mark. A Commentary on His Apology for the Cross, Grand Rapids 1993, 1009–1012. 61 Der Autor von Mk 16,9–20 setzt ja erkennbar die Erscheinungserzählungen aus dem Lukasund dem Matthäusevangelium voraus; vgl. zu den sekundären Mk-Schlüssen Eckey, Markus (s. Anm. 25), 530–535. 62 R. T. France, The Gospel of Mark (NIGTC), Grand Rapids 2002, 673 mit Anm. 14 63 France ebd: »It is possible that it was never written because of adverse circumstances, illness, or death«, aber es sei auch möglich, dass der Schluß auf einer sehr frühen Stufe der handschriftlichen Überlieferung verloren ging. 64 France, Mark (s. Anm. 62), 684. 65 France ebd.

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fest: »Ob damit zugleich der Verstehenshorizont der markinischen Gemeinde angemessen erfasst wird, muss fraglich bleiben.«66 Matthijs J. de Jong hat unter einem ganz anderen Gesichtspunkt als dem von mir vorgeschlagenen gezeigt, dass 16,8 »a satisfying ending« des Mk sein kann67: Der ihm bekannten Überlieferung von der Auferstehung und den Erscheinungen Jesu habe der Evangelist mit dem Hinweis auf das leere Grab ein bis dahin unbekanntes Element hinzugefügt. Von den Erscheinungen des Auferstandenen berichtete er deshalb nicht, weil dies jenseits seiner Erzählintention lag, von Jesu irdischem Wirken zu sprechen. Mit der Rede vom leeren Grab und vom Verschwinden des Körpers habe Markus ein Erzählmotiv »mostly at home within the concept of assumption to heaven« aufgenommen; dann aber brauchte er eine Erklärung dafür, warum dies bislang unbekannt geblieben war, und da lautete seine Antwort, die Frauen hätten nicht davon erzählt, weil sie sich fürchteten. »Understood this way, the ending of Mark’s gospel cannot be qualified as being either abrupt or open or disappointing. Quite the contrary, Mark 16:1–8 proclaims and seeks to prove Jesus’ vindication. 16:8 is an explanatory note accompanying the main message of passage as found in 16:6.« Ob Markus tatsächlich die Grabeserzählung als notwendigen »Beweis« für die Auferstehungsbotschaft angesehen hat, scheint mir zumindest fraglich zu sein; richtig ist aber de Jongs Feststellung: »Mark’s main message is presented in verse 6, and verse 8 is an explanatory note to it.«68

Schon aus methodischen Gründen ist es geboten zu prüfen, ob der handschriftlich überlieferte älteste Mk-Text, der mit 16,8 endet, unverständlich ist und sich also die Hypothese eines nachträglichen Textverlusts nicht vermeiden läßt, oder ob die Möglichkeit besteht, den überlieferten Text als sinnvoll zu verstehen. Wie hätte eine von Markus beabsichtigte Fortsetzung über V. 8 hinaus aussehen können? Der Evangelist hätte entweder sagen müssen, dass die Frauen nach einiger Zeit ihr Schweigen brachen; oder er hätte neue Personen einführen müssen, die zum Grab gekommen wären und die dann entweder dem neaniÂskow begegnet wären und dessen Botschaft annahmen und weitergaben oder aber das leere Grab als Beweis für Jesu Auferstehung ansahen. Ausgeschlossen sind solche Möglichkeiten natürlich nicht; aber sie sind erheblich weniger »befriedigend« als die Annahme, der überlieferte Text sei tatsächlich so vom Evangelisten verfaßt worden. Walter Schmithals hat seine schon in meinem Aufsatz referierte These untermauert, in der dem Evangelium zugrundeliegenden »Grundschrift« sei im Anschluß an 16,8 die Verklärungsszene (9,2*–10*), danach die Jüngerberufung (3,13*–19*), verbunden mit 16,15–18, und schließlich als endgültiger Abschluß

66 Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 62007, 249. Es müsse »ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der ursprüngliche Markusschluss verlorenging«. 67 Matthijs J. de Jong, Mark 16:8 as a Satisfying Ending to the Gospel, in: R. Buitenwerf/H. W. Hollander/J. Tromp (eds.), Jesus, Paul, and Early Christianity. Studies on Honour of Henk Jan de Jonge (NT. S 130), Leiden 2008, 123–147. 68 De Jong (s. die vorige Anm.), 147.

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16,19–20 gefolgt69, denn V. 8b könne sich »nur auf eine ursprüngliche Fortsetzung der Ostergeschichte beziehen, die im erhaltenen Text des Markusevangeliums fehlt«. Die ursprünglich »österlichen« Erzählungen habe der Evangelist in das Leben des irdischen Jesus übertragen, um zu zeigen, dass schon der Irdische der Messias war. Offenkundig sei Markus der Meinung gewesen, »daß das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu, dessen historisch wie theologisch fundamentalen Charakter er freilich verwischt, durch die Grabesgeschichte 16,1–8 mitsamt dem redaktionellen Hinweis in 16,7 hinreichend abgedeckt sei«.70 Insofern stimmt Schmithals’ literarkritische Hypothese am Ende doch mit der Auslegung überein, dass 16,8 der von Markus tatsächlich intendierte Schluß des Evangeliums ist. Das Stichwort »Osterbotschaft« im Titel meines Aufsatzes zielt darauf, den kerygmatischen Charakter der mk Grabeserzählung hervorzuheben. Zwar würde ich jetzt die Nähe zum Gedanken des »Messiasgeheimnisses« und des mit diesem verbundenen Schweigegebots weniger stark betonen als damals, insofern die mk Wundererzählungen ja keineswegs durchgängig mit einem Schweigegebot enden oder ein solches enthalten; aber das faktische Schweigen der Frauen entspricht doch dem, was zuvor in nicht wenigen Wundererzählungen zum Ausdruck gebracht worden war. Entscheidend ist, dass das Thema der Schlußszene des Markusevangeliums nicht »das leere Grab« ist, so sehr der Evangelist sich dies als ein »Faktum« vorgestellt haben wird; Markus hat vielmehr die Absicht gehabt, den Beginn der Botschaft von der Auferstehung Jesu erzählerisch darzustellen, und das ist ihm gerade mit dem Text 16,1–8 eindrücklich gelungen.71

69 Walter Schmithals, Das Evangelium nach Markus. Kapitel 9,2–16,18 (ÖTK 2/2), Gütersloh und Würzburg 1979, 715–752. 70 Schmithals, Markus (s. die vorige Anm.), 751. 71 France, Mark (s. 62), 671 meint, die »moderne« These von der »’open-ended’ story« ohne Erscheinungsgeschichten sei »a task left for the preacher«. Aber Mk 16,1–8 kann sehr wohl Text einer Osterpredigt sein; vgl. Andreas Lindemann, Auferstehung. Gedanken zur biblischen Überlieferung, Göttingen 2009, 63–72.

»Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden . . .« Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr.*

Die Exegese neutestamentlicher Texte steht vor zwei Aufgaben: Sie muß als erstes eine historische Analyse des jeweils zu interpretierenden Textes geben, d. h. sie muß nach seinen Entstehungsverhältnissen und nach seiner Funktion im ursprünglichen Umfeld fragen. Sie hat aber als zweites auch die Aufgabe, den gegenwärtigen Hörer (oder Leser) unmittelbar mit dem Text zu konfrontieren, d. h. sie muß angesichts des Textes die Wahrheitsfrage stellen: Ist das, was der Text sagt, gegenwärtig theologisch »wahr«, d. h. können wir ihm theologische Verbindlichkeit zusprechen? Obwohl beide Aufgaben gleichermaßen von Bedeutung sind, wird der Exeget im allgemeinen sehr viel mehr von der historischen Analyse des Textes beansprucht als von dessen theologischer Interpretation. Diese Vernachlässigung der »theologischen Exegese« hat mit dazu beigetragen, daß das Interesse an den exegetischen Disziplinen, zumindest am »Neuen Testament«, spürbar nachgelassen hat. Zwar wird, wer über Inhalt und Wesen christlichen Glaubens verbindlich sprechen – und predigen! – will, in der Regel darum bemüht sein, wenigstens in den Grundpositionen eine gewisse Übereinstimmung mit Aussagen des Neuen Testaments zu demonstrieren; aber solches Bemühen kann ohne weiteres verbunden sein mit einer versteckten oder sogar offenen Ablehnung der eigentlichen exegetischen Arbeit am Neuen Testament. Kirche und Theologie erwarten von der Exegese gegenwärtig allenfalls Informationen über historische Sachverhalte; aber sie rechnen kaum damit, von ihr verbindliche theologische Aussagen zu hören. Exegese wird weithin begriffen als ein esoterisches Unternehmen, bei dem man sich unter Aufbietung höchst verfeinerter Methoden darum zu bemühen scheint, mehr oder weniger überzeugende Hypothesen zu mehr oder weniger wichtigen Problemen und Scheinproblemen zu entwerfen. Vielfach drängt sich – oft nicht ohne Grund – der Eindruck auf, * Umgearbeitete Fassung meiner am 10. 1. 1979 unter dem Titel »Zum Problem der theologischen Wahrheit in der neutestamentlichen Exegese (anhand einer Auslegung von Markus 2,23–28 und Parallelen)« gehaltenen Antrittsvorlesung.

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I. Studien zum Markusevangelium

Exegese sei zum Selbstzweck geworden, Unverbindlichkeit und damit letztlich theologische Belanglosigkeit des Ergebnisses sei bei der exegetischen Arbeit von vornherein einkalkuliert. Nun fehlt es nicht an Versuchen, die Exegese aus dieser Sackgasse herauszuführen und sie mit Kirche und Theologie im ganzen wieder enger zu verbinden1. Solche Versuche sind nicht nur legitim, sie sind sogar dringend geboten. Es besteht freilich die Gefahr, daß sich die Annäherung von Theologie und Exegese im wesentlichen auf Kosten der letzteren vollzieht – dann nämlich, wenn der Exeget bereit ist, hinter bisher Erreichtes zurückzugehen, um beispielsweise mit weniger »Kritik« vermeintlich »positivere« Ergebnisse vorlegen zu können. Am deutlichsten zeigt sich diese Tendenz bei der Debatte um den »historischen Jesus«: Seit das Interesse an Jesus in der Kirche (und auch außerhalb) erheblich zugenommen hat, bemüht man sich darum, exegetische Methoden zu entwickeln, die das Bedürfnis nach umfassenden Rekonstruktionen von Leben und Lehre Jesu besser befriedigen, als das mit den herkömmlichen Methoden möglich zu sein schien2. Nun wird man gewiß kaum sagen können, daß das Instrumentarium der klassischen historisch-kritischen Methode nicht noch verbesserungsfähig wäre; aber das Bemühen um eine solche Verbesserung, insbesondere das Bemühen um eine exegetisch verantwortete theologische Interpretation, darf keinesfalls dazu führen, daß sich die Exegese dazu bereit findet, in ihrer Arbeit auf eine vorgegebene aktuelle Interessenlage Rücksicht zu nehmen. Exegese ist historische und theologische Auslegung der biblischen Texte mit dem Ziel, diese Texte für die Gegenwart verständlich zu machen; es muß aber unter allen Umständen dabei bleiben, daß nicht den Bedürfnissen der Gegenwart, sondern dem Text selbst der Primat zukommt. Gefragt wird im folgenden nach der theologischen Verbindlichkeit der Perikope vom Ährenraufen am Sabbat. Aufgrund welcher Kriterien kann gesagt werden, diesem Text sei die Qualität einer theologisch verbindlichen Aussage zuzusprechen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der historischen Analyse dieser Perikope?

1 Vgl. etwa nur P. Stuhlmacher, Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese, in: ders., Schriftauslegung auf dem Wege zur biblischen Theologie, Göttingen 1975, 50–58; F. Hahn, Exegese, Theologie und Kirche, ZThK 74 (1977) 25–37. 2 Diese Forderung erhebt etwa J. Roloff, Auf der Suche nach einem neuen Jesusbild. Tendenzen und Aspekte der gegenwärtigen Diskussion, ThLZ 98 (1973) 561–572, vor allem 570 f. – Gegen einen »fast prinzipiellen kritischen Skeptizismus« und »hypertrophe(n) Kritizismus« wendet sich Stuhlmacher, Thesen, 54.58. Stuhlmacher will jetzt die bisherige »Bibelkritik« durch eine »Hermeneutik des Einverständnisses mit den biblischen Texten« ersetzen (ders., Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik [GNT 6], Göttingen 1979, 205–225). Im Blick auf die Jesusüberlieferung bedeutet »Einverständnis« dabei offenbar vor allem die Bereitschaft, die Tradition für historisch zuverlässig zu halten – bis hin zur undiskutierten Behauptung der Authentizität von Mk 14,61 f. (aaO., 22 f.).

»Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden . . .«

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Die Ährenraufen-Perikope ist im wesentlichen aus zwei Gründen gewählt worden: Erstens ist das Thema dieses Textes die Frage nach der Anerkennung und nach der Auslegung vorgegebener Normen – ein Problem also, das zu jeder Zeit Relevanz besitzt. Zweitens weist der Vergleich der drei überlieferten Fassungen der Perikope darauf hin, daß das mit diesem Text angesprochene Problem im Urchristentum unterschiedlich, ja geradezu gegensätzlich gelöst worden ist, wobei die Analyse zeigen wird, daß dies nicht nur für die nachmarkinische Überlieferungsgeschichte gilt, sondern auch für die vormarkinische Tradition. Infolgedessen verbindet sich mit der Frage nach der Verbindlichkeit des Textes von vornherein zugleich die Frage, in welcher Weise der Überlieferungsprozeß dieser Perikope im Rahmen der urchristlichen Theologiegeschichte theologisch zu beurteilen ist.

I. Vorläufige Beobachtungen zur literarischen Einheitlichkeit und zur möglichen historischen Authentizität von Mk 2,23–28 Zahlreiche Exegeten halten es für wahrscheinlich oder sogar für sicher, daß hinter der in Mk 2,23–28 überlieferten Erzählung ein bestimmtes Ereignis aus dem Leben Jesu steht3. In der Tat ist die hier geschilderte Szene historisch durchaus vorstellbar: Warum sollte Jesus nicht an einem Sabbat gemeinsam mit seinen Jüngern einen Spaziergang entlang einem Getreidefeld gemacht haben? Und wenn man diesen – nach jüdischem Sabbatverständnis in gewissen Grenzen durchaus erlaubten4 – Spaziergang als solchen für möglich hält, dann kann man sich jedenfalls auch vorstellen, daß es dabei zu der in V. 23b erwähnten – grundsätzlich erlaubten5, am Sabbat freilich verbotenen6 – Handlung der Jünger und zu dem in V. 24 überlieferten Vorwurf der zufällig denselben Weg gehenden Pharisäer gekommen ist. Jesus hätte dann seine Jünger gegen den pharisäischen Vorwurf verteidigt und ihr Verhalten sogar ausdrücklich gerechtfertigt (V. 25–28). Offenbar gibt dieser Text also eine Episode aus dem Leben Jesu wieder und zeigt, welche Haltung Jesus zum alttestamentlichen Gesetz, speziell zum Gebot der Sabbatheiligung eingenommen hat. Darüber hinaus und vor allem enthält der Text aber offenbar nicht nur eine historische Information über Jesu Lehre, son-

3 Für Historizität treten u. a. ein: E. Haenchen, Der Weg Jesu. Eine Erklärung des MarkusEvangeliums und der kanonischen Evangelien, Berlin 1966, 122; J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil. Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 21973, 265 f.; L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments. Erster Teil. Jesu Wirken in seiner theologischen Bedeutung, hg. von J. Roloff, Göttingen 1975, 146 f. 4 Belege und Erläuterungen bei P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Band II, München 51969, 590–594. 5 Dtn 23,26. 6 Belege bei Billerbeck, Band I, 617.

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dern er gibt den Christen aller Zeiten, insbesondere durch den in V. 27 überlieferten Ausspruch Jesu, einen gleichsam »überzeitlich« gültigen Maßstab zur Beurteilung des Sabbatgebots und damit zur Beurteilung von Normen überhaupt an die Hand: Indem Jesus die enge pharisäische Interpretation des Gesetzes verwirft und an ihre Stelle eine neue Humanität und Liberalität setzt, sind die Christen ermächtigt zur humanen Anwendung religiöser – und gewiß auch nichtreligiöser – Normen, und sie sind aufgerufen, die damals den Jüngern von Jesus gewährte Freiheit gegenwärtig zu praktizieren. Wenn das so stimmt, dann scheint also die Frage nach der theologischen Verbindlichkeit der Perikope vom Ährenraufen bereits mit dem Hinweis auf ihre historische Authentizität beantwortet zu sein: Weil Jesus selbst so gehandelt und gesprochen hat, dürfen die Christen diese seine Worte und sein Tun unmittelbar in eigenes Reden und Handeln umsetzen. Jedoch: Gewisse Züge der Perikope, zumindest in ihrer bei Markus überlieferten Form, zwingen zu der Frage, ob dieser Text tatsächlich als direkte und zuverlässige Wiedergabe eines bestimmten Ereignisses aus dem Leben Jesu anzusehen ist. 1. Es heißt am Anfang (V. 23a), daß er – also Jesus – am Sabbat durch die Saaten geht, doch es sind dann allein die Jünger, die die Ähren ausreißen (V. 23b). Trotzdem wenden sich (V. 24) die Pharisäer mit ihrer Kritik ausschließlich an Jesus, und er allein antwortet ihnen (V. 25–28) – freilich ohne dabei auf die konkrete Situation Bezug zu nehmen. Von den Jüngern, deren Tun die Debatte doch ausgelöst hat, ist in der Erzählung überhaupt nicht mehr die Rede. Daß sie aber eine derartige Diskussion über ihr Verhalten lediglich schweigend über sich hätten ergehen lassen, kann man immerhin bezweifeln. 2. Es fällt auf, daß in diesem gewöhnlich als »Streitgespräch« charakterisierten Text von einer Reaktion der Pharisäer auf die Argumentation Jesu nichts berichtet wird. Das ist erstaunlich; denn schon Jesu Hinweis auf das in 1 Sam 21 berichtete Verhalten Davids dürfte die schriftkundigen Pharisäer kaum überzeugt haben. Selbst wenn sie darüber hinweggesehen hätten, daß der in jener Erzählung erwähnte Priester nicht Abjathar, sondern dessen Vater Ahimelech war, so hätten sie doch sicherlich nicht die Behauptung akzeptiert, jenes Geschehen am Heiligtum von Nob sei mit dem hier zur Diskussion stehenden Vorgang vergleichbar: Zum einen ging es damals nicht um eine Verletzung des Sabbatgebots; und zum andern war bei David und seinen Begleitern ausdrücklich eine besondere Notsituation vorausgesetzt – ein Umstand, der beim Ährenraufen der Jünger (jedenfalls nach dem Wortlaut des markinischen Textes) nicht gegeben war. Historische Pharisäer hätten also in einem »Streitgespräch« mit Jesus den Schriftbeweis von V. 25 f. vermutlich nicht schweigend hingenommen. 3. Die zweite Antwort Jesu, der Sabbat sei »um des Menschen willen geworden und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (V. 27), ist eine sehr allgemein gehaltene Sentenz im Stil eines weisheitlichen Spruches; mit dem konkreten

»Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden . . .«

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Problem des Ährenraufens steht das Wort in keinem unmittelbaren Zusammenhang. 4. Der abschließende Satz Jesu (V. 28) enthält gegenüber der Aussage von V. 27 eine bemerkenswerte inhaltliche Akzentverschiebung: Es ist nicht mehr davon die Rede, daß »der Mensch« das Kriterium für die Interpretation des Sabbatgebots ist, sondern es ist gesagt, daß der »Menschensohn«, also Christus, Herr des Sabbats ist. Daß beide Logien ursprünglich in derselben Situation gesprochen wurden, ist wenig wahrscheinlich. Diese Beobachtungen führen zu der Konsequenz, daß die Exegese von Mk 2,23–28 jedenfalls nicht ohne weiteres von der Annahme ausgehen kann, hier liege ein genauer Bericht von einem tatsächlich so geschehenen Ereignis vor; vielmehr sprechen die Inkongruenz zwischen der Szene einerseits und der Wortüberlieferung andererseits sowie insbesondere die drei unterschiedlichen Antworten Jesu für die Vermutung, daß die jetzt vorliegende Perikope auf einen längeren Traditionsprozeß zurückgeht, in dessen Verlauf ihr Inhalt mehrfach verändert worden ist. Der synoptische Vergleich mit dem Matthäus- und dem Lukasevangelium zeigt darüber hinaus, daß dieser Traditionsprozeß auch nach der Abfassung des Markusevangeliums noch nicht zum Abschluß gekommen war. Natürlich ist die Frage nach der Authentizität der Erzählung damit keineswegs schon endgültig beantwortet. Denn es ist ja nicht auszuschließen, daß die Analyse der Traditionsgeschichte der Perikope eine ältere Textfassung zutage fördert, die letztlich doch auf einem historischen Geschehen basiert. Es ist insbesondere möglich, daß zwar nicht alle in V. 25–28 überlieferten Worte Jesu authentisch sind, aber doch vielleicht eines von ihnen, nämlich das aller christologischen Züge entbehrende Wort von V. 27. Das Problem der Historizität des Textes wird deshalb im Zusammenhang der formgeschichtlichen Analyse noch einmal erörtert werden müssen (s. S. 25 f.).

II. Versuch einer Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 Die formgeschichtliche Analyse der Erzählung vom Ährenraufen ist außerordentlich umstritten. Da praktisch alle denkbaren Hypothesen bereits mit guten Argumenten vertreten worden sind7, ist es wenig sinnvoll, die Debatte an dieser 7 Vgl. F. Neirynck, Jesus and the Sabbath. Some Observations on Mark II. 27, in: J. Dupont (Hg.), Je´sus aux origines de la christologie (BEThL 40), Leuven 1975, 227–270 (Forschungsübersicht aaO., 227–253). AaO. 253 f.: »There is no consensus, either with regard to the content of the sentence [sc. Mk 2,27], or regarding the literary connections of the verse, or regarding its origin. In present-day criticism it becomes difficult to imagine a possible solution which had not yet been defended . . . by most serious authors.«

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Stelle umfassend darzustellen. Ich beschränke mich vielmehr darauf, die m. E. wahrscheinlichste Hypothese darzustellen und sie gegenüber bisher vorgebrachten Einwänden zu verteidigen. J. Gnilka8 hat herausgestellt, daß sich die Analysen der Perikope – bei aller Vielfalt im Detail – letztlich in zwei Gruppen einteilen lassen: Man betrachtet entweder V. 23 f.27 als ursprünglich und sieht dann in V. 25 f. und V. 28 spätere Zusätze9; oder man versteht V. 23–26 als ursprüngliche Einheit und nimmt an, V. 27 f. seien – gemeinsam oder nacheinander – angefügt worden10. Gegen die zweite Lösung spricht vor allem die Beobachtung, daß der Hinweis auf das Verhalten Davids (V. 25 f.) als ursprüngliche Reaktion Jesu auf den von den Pharisäern erhobenen Vorwurf der Sabbatschändung (V. 24) kaum einleuchtet, weil das David-Beispiel auf den Sabbat ja überhaupt nicht Bezug nimmt11. Man könnte diesem Einwand entgegenhalten, daß immerhin eine Analogie der äußeren Situation zu bestehen scheine – David und seine Jünger hungerten und dasselbe sei auch bei den Jüngern offensichtlich der Fall; es ist aber zu beachten, daß von einer xreiÂa der ährenraufenden Jünger nichts gesagt ist, ja, daß nicht einmal Hunger als Motiv für ihr Tun genannt wird12. Vor allem aber geht es in 8 J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. 1. Teilband. Mk 1–8,26 (EKK II/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1978, 119. 9 H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (StUNT 8), Göttingen 1971, 76 f.; A. J. Hultgren, The Formation of the Sabbath Pericope in Mark 2:23–28, JBL 91 (1972) 38–43 (die im folgenden vorgetragene Analyse kommt derjenigen Hultgrens sehr nahe); K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr historischer Hintergrund im Judentum und im Alten Testament. Teil I: Markus und Parallelen (WMANT 40), Neukirchen-Vluyn 1972, 580. Berger rechnet bei diesem und weiteren Streitgesprächen (aaO., 576) generell mit folgendem Entstehungsprozeß: »1. Weisheitliche Sentenz, 2. Verankerung im Leben Jesu durch die Frage der Pharisäer nach der Gemeindepraxis, 3. Einführung des Schriftbeweises unter Ausweitung der Fragestellung, 4. Kommentierung der Sentenz.« Ich würde im Falle von Mk 2,23–28 lediglich die Punkte 3. und 4. umkehren. 10 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 5 1961, 14; A. Suhl, Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium, Gütersloh 1965, 82; J. Roloff, Das Kerygma und der irdische Jesus. Historische Motive in den Jesus-Erzählungen der Evangelien, Göttingen 1970, 58; R. Pesch, Das Markusevangelium. I. Teil. Einleitung und Kommentar zu Kap. 1,1–8,26 (HThK II/1), Freiburg 1976, 179; Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 120. 11 Es gibt zwar eine jüdische Auslegungstradition, derzufolge sich das in 1Sam 21 berichtete Ereignis an einem Sabbat abgespielt hat (vgl. Billerbeck, Band I, 618 f.); doch die rabbinische Diskussion erwähnt den Wochentag ausdrücklich, und sie behauptet insbesondere, das Brot sei am Sabbat gebacken worden (war es das Ziel der Debatte, den heiligen Charakter der erwähnten Schaubrote zu bestreiten?). Derartige Erwägungen sind in Mk 2 gerade nicht vorausgesetzt. 12 Dies wird von den Exegeten nur selten beachtet. Vgl. z. B. Haenchen, Weg (s. Anm. 3), 119: »Voraussetzung für diese Geschichte ist aber, daß die Jünger großen Hunger haben und anscheinend längere Zeit nichts mehr zu essen bekommen haben« (ähnlich Pesch, Markus I [s. Anm. 10], 180). Argumentiert man tatsächlich auf der Ebene solcher historisierend-psychologischen Erwägungen, dann müßte man eigentlich beachten, daß das Essen von Körnern aus frisch abgerissenen Ähren kaum hungerstillend ist – bei David und seinen Begleitern ging es immerhin um ganze Brote. Überdies zeigt schon die Tatsache, daß bei Mt und Lk das Essen ausdrücklich erwähnt ist, daß es dort jedenfalls nicht als »selbstverständlich« vorausgesetzt angesehen wird.

»Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden . . .«

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V. 23 f. um ein Tun der Jesus begleitenden Jünger, an dem Jesus selbst gerade nicht beteiligt ist – V. 25 f. antworten auf den Vorwurf der Pharisäer hingegen mit dem Hinweis auf ein Verhalten Davids, dessen Begleiter nur am Rande erwähnt werden. Man könnte dem wiederum entgegenhalten, es bestehe dennoch eine Analogie, nämlich in der hier wie dort beanspruchten Autorität: Was David durfte, darf auch Jesus. Aber dabei wäre stillschweigend vorausgesetzt, daß Jesus die Jünger zu ihrem Tun aufgefordert oder zumindest dabei ermutigt hat, ohne sich aber – wie David – dabei selbst der Gesetzesverletzung schuldig zu machen13. Eine derartige Überlegung liegt dem Text jedoch fern. Wahrscheinlicher ist deshalb die oben zuerst genannte Lösung: V. 23 f.27 bildeten gemeinsam ein Apophthegma, V. 28 und V. 25 f. wurden nacheinander als »Kommentare« hinzugefügt14. Offen bleiben kann dabei vorläufig die Frage, ob das Logion V. 27 immer schon mit der Szene V. 23 f. verbunden war (organisches Apophthegma) oder ob dieses Logion als isoliertes Wort Ausgangspunkt der ganzen Tradition gewesen ist, so daß die szenische Rahmung als traditionsgeschichtlich sekundär betrachtet werden muß (unorganisches Apophthegma). Gegen diese Lösung werden vor allem zwei Einwände erhoben: Zum einen wird darauf hingewiesen, daß doch im Streitgespräch die Gegenfrage (V. 25 f.) als Reaktion Jesu durchaus stilgemäß sei; und zum andern wird betont, daß V. 25 f. und V. 23 f. in sprachlicher Hinsicht eng aufeinander bezogen seien – beides spreche für die Annahme einer ursprünglichen Einheit V. 23–2615. Diese Argumente sind aber nicht überzeugend. Erstens ist zu beachten, daß es jedenfalls für die unorganischen Apophthegmata gerade kennzeichnend ist, daß Jesus auf einen Vorwurf oder auf ein Problem mit einer kurzen Sentenz und nicht mit einer Gegenfrage antwortet16. Und zweitens läßt sich die im Text zweifellos vorliegende sprachlich enge Verknüpfung zwischen V. 25 f. und V. 23 f.17 gerade mit dem sekundären Charakter von V. 25 f. erklären: Der spätere »Kommentator« hat sich darum bemüht, die von ihm eingefügte Antwort Jesu zumindest sprachlich der vorgegebenen Szene anzupassen18.

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Vgl. Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 122: »Wie David als Mann Gottes zu diesem freien Handeln autorisiert(!) war, so kann Jesus die Freiheit geben(!), die sich im Essen der Jünger(!) ausdrückt.« Wenn Jesus – Gnilka hält die Szene für wahrscheinlich historisch – dies gemeint haben sollte, warum hat er es dann nicht gesagt? 14 Zur Frage, ob V. 25 f. oder V. 28 zuerst angefügt wurde, s. u. 15 Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 120. 16 Vgl. nur Mk 2,15–17 (dazu Bultmann, Geschichte [s. Anm. 10], 16). 17 Pesch, Markus I (s. Anm. 10), 179 und Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 120 verweisen auf oyÆk eÍjestin (V. 24/V. 26b) und poieiÄn (V. 24/V. 25); Pesch weist außerdem darauf hin, daß in V. 23 f. der Plural taÁ saÂbbata, in V. 27 dagegen der Singular gebraucht ist. 18 Überhaupt ist zu fragen, wie weit mit der sprachlichen Gestalt des Textes argumentiert werden darf, wenn man nicht annehmen will, auch die frühen Fassungen der Perikope hätten schon in schriftlicher Fixierung vorgelegen. Andernfalls kann die sprachliche Gestalt in den Formulierungen auf den ersten »Schreiber« zurückgehen (vgl. dazu u. Anm. 53).

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I. Studien zum Markusevangelium

Es ist m. E. also wahrscheinlich, daß die Perikope ursprünglich V. 23 f.27 umfaßte und V. 28 sowie V. 25 f. nachträglich angefügt wurden. Diese Vermutung soll im folgenden Abschnitt weiter erhärtet werden.

III. Interpretation der mit den traditionsgeschichtlichen Stufen verbundenen theologischen Implikationen 1. Die Interpretation des vermutlich ursprünglichen Apophthegmas Mk 2,23 f.27 kann zunächst nicht davon absehen, daß V. 27 zumindest in formaler Hinsicht ein in sich selbst verständliches Logion ist; in der Regel wird denn auch erklärt, es handle sich um eine ursprünglich ohne Rahmung überlieferte selbständige Sentenz19. Unterstützt wird diese These durch die Tatsache, daß das Logion in sehr ähnlicher Form auch im rabbinischen Judentum begegnet20. Weitgehende Einigkeit besteht auch in der Annahme, daß das Logion authentisch ist, also auf den historischen Jesus zurückgeht21. In der Tat enthält es keine ausdrückliche Bezugnahme auf die Person Jesu, d. h. es zwingt nichts zu der Annahme, es müsse sich hier um Gemeindebildung handeln22. Umstritten ist allerdings die Frage, welchen Sinn das Logion ursprünglich gehabt hat. W. Grundmann erklärt im Anschluß an eine ältere Formulierung von E. Lohmeyer, der in V. 27 hergestellte neue Bezugspunkt der Sabbatordnung sei »der Mensch in seiner Einsamkeit und Freiheit vor Gott«23 – eine Interpretation, gegen die von neueren Auslegern heftig polemisiert wird24. Nach Meinung von E. Haenchen will V. 27 sagen, daß Gottes Ordnung dem Menschen helfen und nicht etwa ihn belästigen will: Der Mensch »darf die Sabbatordnung übertreten, wenn sie sich zu seinem Schaden statt zu seinem Nutzen auswirkt«25. Für R. Pesch proklamiert Jesus in V. 27 »nicht die Autonomie des Menschen, aber das Heil des 19

Bultmann, Geschichte (s. Anm. 10), 14; Gnilka, Markus (s. Anm. 8), 120. Billerbeck, Band I, 623 (s. dazu u. S. 24). 21 Vgl. Gnilka, Markus (s. Anm. 8), 123. 22 S. aber u. S. 24. 33. 23 W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus (ThHK 2), Berlin 51971, 70; vgl. E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (KEK I/2), Göttingen 161963, 66 (s. jedoch die folgende Anm.). 24 Vgl. H. Hübner, Das Gesetz in der synoptischen Tradition. Studien zur These einer progressiven Qumranisierung und Judaisierung innerhalb der synoptischen Tradition, Göttingen 1973, 123 Anm. 54: »Das ist doch wohl eine ziemlich individualistische Verengung der Botschaft Jesu«; ferner Roloff, Kerygma (s. Anm. 10), 60 Anm. 33; Gnilka, Markus (s. Anm. 8), 123 Anm. 30. Lohmeyer selbst hatte seine ursprüngliche Formulierung freilich längst korrigiert (Lohmeyer, Markus [s. die vorige Anm], Ergänzungsheft [hg. von G. Sass 21963], 9): Gemeint sei in V. 27 »›der Mensch‹ in seiner weltanfänglichen Freiheit vor Gott«. Diese Freiheit »ist jetzt Gesetz und Wirklichkeit: die Ordnung des Weltanfanges ist die des Weltendes«. Lohmeyer will also – darin durchaus modern – V. 27 eschatologisch interpretieren. 25 Haenchen, Weg (s. Anm. 3), 121. 20

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Menschen als Ziel des Willens und der Verfügungen Gottes. Das Sabbatgebot ist nicht durch religiöse, das Interesse Gottes artikulierende Interpretation richtig ausgelegt, sondern durch humane, das Interesse Gottes am Heil des Menschen erkennende Auslegung«26. Alle diese Deutungen stimmen darin überein, daß sie V. 27 in erster Linie als Kritik an jüdischer, speziell pharisäischer Gesetzesinterpretation ansehen. Demgegenüber meint J. Roloff, das Logion sei durchaus als eine »Formulierung des Selbstverständnisses der rabbinischen Schriftauslegung« zu verstehen; erst mit dem Wort von V. 28 trete an die Stelle schriftgelehrter Sabbatordnung deren neue, von der Vollmacht des Menschensohnes bestimmte Interpretation27. Unstrittig ist, daß das Logion die fortdauernde Gültigkeit des Sabbatgebots voraussetzt; es geht um die Frage, in welcher Form dieses Gebot im Leben des Menschen Anwendung finden soll. Festzustehen scheint auch, daß die Wendung toÁ saÂbbaton . . . eÆgeÂneto nicht das bloße Vorhandensein des Sabbats meint, sondern sich auf Gottes Handeln bezieht28. Was bedeutet es nun, wenn gesagt wird, Gott habe den Sabbat um des Menschen willen gemacht? Betrachtet man, wie es meist geschieht, das Logion tatsächlich isoliert, d. h. losgelöst von seinem gegenwärtigen Kontext, so scheint es gegenüber dem jüdischen, oder richtiger gesagt: gegenüber dem göttlichen Gebot der Sabbatheiligung den Gedanken einer grundsätzlichen Autonomie des Menschen zu propagieren: Die Form der Einhaltung des biblischen Gebots soll offenbar von den jeweils vorgegebenen menschlichen Bedürfnissen abhängig gemacht werden. Man könnte fast sagen, der Sprecher dieses Logions vertrete eine konsequente Anthropozentrik, durch die der Mensch letztlich zum Maßstab des göttlichen Gebots erhoben wird. Gott als der Geber des Gebots wäre in diesem Zusammenhang verstanden als der Urheber der dem Menschen jetzt zugesprochenen ethisch-religiösen Autonomie. Eine derartige Deutung übersieht freilich, daß das Logion keinesfalls als isolierte quasi dogmatisch-abstrakte Weisheitssentenz entstanden sein kann. Wie insbesondere die negative Formulierung in V. 27b zeigt, handelt es sich bei dem ganzen Satz nicht um die Beschreibung einer gleichsam überzeitlichen Wahrheit; vielmehr muß im Hintergrund immer schon ein polemischer Zusammenhang gestanden haben. Offenbar hatte der Sprecher die Absicht, ein bestimmtes Sabbatverständnis zurückzuweisen, das nach seiner Auffassung den Menschen zum Objekt des Sabbats machte. 26 Pesch, Markus I (s. Anm. 10), 185. Hier sind die Kategorien freilich nicht deutlich: Welches »Interesse Gottes« abgesehen von seinem Interesse am Heil des Menschen könnte gemeint sein? Die Unterscheidung von »religiös« und »human« läßt sich bei den hier zur Debatte stehenden Texten kaum anwenden. 27 Roloff, Kerygma (s. Anm. 10), 60 f. (Zitat 61). 28 Vgl. Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 123 Anm. 27. Nach Goppelt, Theologie (s. Anm. 3), 146 ist V. 27 im Kontext der Verkündigung Jesu »nicht allgemein human, sondern eschatologisch gemeint«.

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Diese Erkenntnis zwingt zu methodischen und zugleich inhaltlichen Konsequenzen: Wenn das Logion V. 27 ursprünglich tatsächlich die konkrete Antwort auf ein konkretes Problem der Gesetzesauslegung war, dann hängt sein Sinn ja ganz entscheidend von der Situation ab, in der es gesprochen wurde. Das zeigt gerade die im Midrasch Mekhilta zu Exodus überlieferte rabbinische Parallele (Billerbeck I 623). Hier wird das Bibelwort »Beobachtet den Sabbat, denn er ist heilig für euch« (Ex 31,14) zitiert und dann von R. Schim’on b. Menasja mit den Worten interpretiert: »Euch ist der Sabbat übergeben und nicht seid ihr dem Sabbat übergeben.« Formal und in der Sache entspricht dies zweifellos dem in Mk 2,27 überlieferten Logion. Gleichwohl erklären christliche Exegeten stets, das Wort habe bei R. Schim’on einen ganz anderen Sinn als bei Jesus: Der jüdische Rabbi habe »nur solche Fälle im Auge, in denen bei akuter Lebensgefahr dem Menschen am Sabbat geholfen werden muß«, Jesus dagegen bestreite »die Allverbindlichkeit der Sabbattora«29. Diese Exegese basiert aber auf einer methodischen Inkonsequenz: Sie setzt in der Deutung des Wortes von R. Schim’on den in Mekh überlieferten Kontext voraus30, während sie im Fall des Logions Mk 2,27 darauf verzichtet, nach dem ursprünglichen Kontext zu fragen31. Es läßt sich doch aber keineswegs a priori ausschließen, daß Jesus das Wort ursprünglich in einer Situation verwendet32 hat, die der in jenem Midrasch-Text vorausgesetzten entsprach. Das bedeutet: Der Sinn des Logions Mk 2,27 läßt sich nicht erfassen, wenn man nicht die Situation kennt, in der es gesprochen wurde. Und das wiederum bedeutet zugleich, daß die ganze Debatte darüber, ob das Logion dem historischen Jesus zuzuschreiben ist oder nicht, im Grunde gegenstandslos ist – die Frage nach Authentizität und Bedeutung des Logions Mk 2,27 führt zwangsläufig zu der Frage nach dem Sinn und der Authentizität der Szene Mk 2,23 f.27. 2. Es ist bereits angedeutet worden, daß die in V. 23 f. geschilderte Szene gewisse innere Diskrepanzen enthält. Während in V. 23a nur von Jesus die Rede ist (der Name wird, wie meist in den Perikopenanfängen, nicht genannt), heißt es in 29 So Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 123. Vgl. H. Braun, Jesus. Der Mann aus Nazareth und seine Zeit (ThTh 1), Stuttgart 1969, 81: »In jüdischen Texten ist das Wort . . . ein einsamer Vogel auf dem Dach und hat nie ein sabbatkritisches Verhalten gezeitigt.« Jesus dagegen sage: »Der Sabbat und seine Beobachtung ist nicht religiöser Selbstzweck; der Mensch ist der Zweck des Sabbats.« 30 Es ging um die Frage, woher es sich aus der Schrift erweisen lasse, daß die Rettung eines Menschenlebens den Sabbat verdrängt. Unter den verschiedenen Antworten findet sich auch der Satz des R. Schim’on. 31 Gerade wenn Gnilka meint, V. 27 sei »durchaus in sich selbst sinnvoll« (Markus I, 122), setzt er ja voraus, daß die ursprüngliche Situation, in der Jesus das Wort sprach (Gnilka zweifelt nicht an seiner Authentizität), unbekannt ist. Entweder hat sich diese Situation aus unbekannten Gründen in den Überlieferung nicht erhalten, oder sie wurde durch die Ährenraufen-Szene bewußt verdrängt. Gnilka, Markus I, 120 fragt nicht zu Unrecht, ob V. 27 (er fügt hinzu: auch V. 28) als »das abschließende Fragment einer verlorengegangenen Perikope zu gelten« habe (vgl. auch Bultmann, Geschichte [s. Anm. 10], 14 f.). 32 Daß Jesus das Logion selbst gebildet hat, kann man m. E. ausschließen, ebenso christlichen Ursprung des Wortes; andernfalls wäre sein Auftauchen im Judentum kaum zu erklären.

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V. 23b nur von den Jüngern, sie hätten begonnen, »auf dem Weg33 die Ähren auszureißen«. Eigenartigerweise wird dabei nicht gesagt, warum sie das tun34; von Hunger ist jedenfalls nicht die Rede35. »Die Pharisäer« wenden sich nun aber mit ihrem als Frage formulierten Vorwurf, die Jünger täten Verbotenes am Sabbat (V. 24), nicht etwa an die Gesetzesübertreter selbst36, sondern an deren Meister, der an ihrem Tun gänzlich unbeteiligt ist37. Dabei verlangen sie offenbar eine Begründung für die Sabbatverletzung (ti poioyÄsin;), d. h. der Text scheint vorauszusetzen, daß sich das Handeln der Jünger jedenfalls prinzipiell rechtfertigen ließe38. Was bedeuten diese Beobachtungen im Blick auf Sinn und Authentizität des berichteten Vorgangs? R. Bultmann ist der Meinung, hier liege keine historische, sondern eine »ideale Szene« vor: »Die Gemeinde legt die Rechtfertigung ihrer Sabbatpraxis Jesus in den Mund«39. Demgegenüber treten die meisten neueren Ausleger dafür ein, daß die Perikope in ihrem (freilich unterschiedlich bestimmten) Grundbestand als zuverlässige Wiedergabe eines tatsächlich geschehenen Ereignisses anzusehen sei. Als wichtiges Argument für diese Annahme gilt gerade 33 Zu oëdoÁn poiei Än vgl. Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 121 Anm. 16: Es dürfe nicht mit oëdopoieiÄn »einen Weg bahnen« verwechselt werden. Anders B. Murmelstein, Jesu Gang durch die Saatfelder, Angelos 3 (1930) 111–120, der von V. 24 her argumentiert (aaO., 117): Der Vorwurf der Pharisäer laute nicht, die Jünger täten etwas, was am Sabbat zu tun verboten ist, sondern: ›Deine Jünger tun etwas Verbotenes am Sabbat‹, indem sie sich nämlich durch das Ausreißen von Ähren einen Weg bahnen. Diese Deutung hat allenfalls die syntaktische Struktur von V. 24 für sich (Matthäus und Lukas haben denn auch geändert), sie hat aber die Logik des Textes gegen sich: V. 23 f.27 (und auch V. 23–28 insgesamt) handeln von einem an sich zulässigen Tun, das nur am Sabbat untersagt ist – andernfalls wären vor allem V. 27 f. sinnlos. 34 Dies spricht gegen die Erklärung von Gnilka, Markus I, 120, »das Verhalten der Jünger [habe] . . . mit der ihnen von Jesus eingeräumten Freiheit zu tun«. Jesus nimmt zu ihrem Verhalten ja erst Stellung, als er von den Pharisäern dazu aufgefordert wird. – An die von Haenchen, Weg (s. Anm. 3), 119 genannte Alternative (»Die Jünger reißen die Ähren natürlich nicht zum Vergnügen ab . . ., sondern um die Körner zu essen.«) ist im Text nicht gedacht. 35 S. o. Anm. 12. 36 Hier hat Lukas (6,2) jedenfalls im Blick auf die Logik der Handlung mit Recht geändert. Vgl. zur Sache Pesch, Markus I (s. Anm. 10), 183: »Daß Jesus für seine Jünger haftbar gemacht wird (V. 24), ist historisch plausibel und öfter belegt (vgl. 2,18; 7,5).« Aber daß etwas »historisch plausibel« ist, bedeutet noch nicht, daß es auch tatsächlich historisch ist. Und die Szenen 2,18–20; 7,1 ff.5 ff. handeln ebenso wie 2,23 ff. von der Frage nach der Gültigkeit des Kultgesetzes, was eher auf eine Entstehung in der Gemeinde als auf Authentizität im Blick auf Jesus hinweist. 37 Haenchen, der die Szene im ganzen für historisch hält, meint (Haenchen, Weg [s. Anm. 3], 122 Anm. 4), die Gemeinde werde »den ursprünglich auch gegen Jesus erhobenen Vorwurf nur in dieser auf die Jünger begrenzten Form überliefert haben, weil ihr eine Kritik an Jesus unerträglich schien«. Aber zahlreiche synoptische Texte erwähnen pharisäische Kritik an Jesus (Mk 2,1–12; 3,1–6 usw.). Haenchen sieht jedoch richtig, daß die im Text geschilderte Szenerie – die Pharisäer richten ihre ausschließlich das Verhalten der Jünger betreffende Kritik ausschließlich an Jesus – konstruiert ist; methodisch fragwürdig ist nur sein Versuch, gegen den Text eine andere, historisch wahrscheinlichere Szenerie zu suchen. 38 Hier hat Matthäus (12,2) geändert. 39 Bultmann, Geschichte (s. Anm. 10), 14: »Die Komposition ist Gemeindebildung.«

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die in V. 23 vorausgesetzte Szenerie. So fragt etwa E. Haenchen, warum denn die Gemeinde auf »dieses ziemlich ausgefallene Beispiel« hätte kommen sollen40: »War es die Sabbatpraxis der Gemeinde, am Sabbat ährenraufend durch die Felder zu gehen?«41 Auch R. Pesch erklärt, »Ährenraufen am Sabbat« sei »der palästinischen Gemeinde bei fortdauernder Sabbatobservanz gewiß kein Problem« gewesen und werde deshalb »als Anlaß zur generellen Abhandlung der Sabbatfrage nicht erfunden sein«42. Aber die Verbindung von V. 27 mit der Szene V. 23 f. zeigt, daß das Ährenraufen exemplarisch gemeint ist: Ohne jede Begründung vollziehen die Jünger eine zwar sehr geringfügige, gleichwohl am Sabbat aber verbotene Arbeit. Offensichtlich geht es nicht speziell um das Ährenraufen als solches; vielmehr reflektiert die Gemeinde mit der Beschreibung dieses Tuns der Jünger generell ihre eigene Sabbatpraxis43 und darüber hinaus wohl zugleich ihr Gesetzesverständnis insgesamt. Sie beantwortet die von außen oder auch aus den eigenen Reihen heraus gestellte Frage ti poioyÄsin; mit Hilfe des von ihr jedenfalls auf Jesus zurückgeführten Wortes V. 27, das in diesem Kontext nicht nur das Ährenraufen (und schlechterdings nichts anderes) freigibt, sondern das durch die Wendung diaÁ toÁn aÍnurvpon den Sabbat grundsätzlich einer neuen Norm unterstellt. Jesus rechtfertigt damit eine Sabbatverletzung, für die es sonst keinerlei entschuldigendes Motiv gibt, und er macht deutlich, daß er den Jüngern, und das heißt für dieses Apophthegma konkret: den Christen, die Verantwortung für ihr Tun abgenommen hat. Die Annahme, es handle sich bei V. 23 f.27 um eine künstlich geschaffene Szene, die die beschriebene Tendenz zum Ausdruck bringen will, ist mithin als die wahrscheinlichere anzusehen. 3. Dieser Text ist durch V. 28 erweitert worden. Oft wird behauptet, im Vergleich zu V. 27 sei die Aussage von V. 28 eine Abschwächung, da nun nicht mehr von der Freiheit »des Menschen«, sondern nur noch von der Vollmacht des »Menschensohnes« die Rede sei44. Bisweilen wird vorgeschlagen, aÍnurvpow in 40 Haenchen, Weg (s. Anm. 3), 122. Nach Haenchens Auffassung (aaO., 120) sind lediglich V. 25 f. »zu Unrecht eingefügt«. Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 122 spricht von der »originellen Situation«, urteilt aber insgesamt doch vorsichtiger: Es sei »nicht auszuschließen, daß V. 23–26 eine Episode aus dem Leben des irdischen Jesus aufbewahrt haben«. 41 Haenchen, Weg (s. Anm. 3), 122 Anm. 4. 42 Pesch, Markus I (s. Anm. 10), 183 Anm. 21. 43 Roloff, Kerygma (s. Anm. 10), 55 meint, man dürfe aus der Tatsache, daß Jesus nach dem Verhalten seiner Jünger gefragt wird, nicht den Schluß ziehen, es handle sich um Gemeindebildung; »gerade in diesem Falle hätte man sich wesentlich wirkungsvoller auf die Sabbatverletzungen Jesu selbst berufen können«. Aber das Gegenteil ist richtig: Die Gemeinde kann ihre Praxis im Grunde doch nur dann nach außen und nach innen rechtfertigen, wenn sie zeigen kann, daß Jesus ein analoges Verhalten seiner Jünger explizit verteidigt hat. Vgl. Roloff ebd.: Die Situation entspricht »genau dem, was wir sonst vom rabbinischen Lehrer-Schüler-Verhältnis wissen . . . Das Verhalten der Schüler erlaubte auch gewisse Rückschlüsse auf die Lehre des Meisters.« In der Tat – und eben deshalb konnte es die Gemeinde als legitim ansehen, ihre Haltung auf Jesus zurückzuführen. 44 Vgl. vor allem E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische

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V. 27 und yiëoÁw toyÄ aÆnurvÂpoy in V. 28 miteinander zu identifizieren: Der Begriff des Menschensohns habe in V. 28 ursprünglich gar keine christologische Bedeutung gehabt45, und nur so lasse sich auch erklären, daß V. 28 eine Folgerung (vÏste) aus V. 27 ist; es sei im übrigen wahrscheinlich, daß beide Logien auf Jesus zurückgingen46. Diese Deutung ist aber mit Recht abgelehnt worden – es ist ja für V. 27 und V. 28 gerade charakteristisch, daß »Mensch« und »Menschensohn« unterschieden werden47. Damit aber stellt sich um so nachdrücklicher die Frage, welchen Sinn die konsekutive Anknüpfung von V. 28 an V. 27 hat – man kann sich ja eigentlich nicht vorstellen, daß das Herr-Sein des Menschensohns über den Sabbat eine Konsequenz der Aussage ist, der Sabbat sei »um des Menschen willen« gemacht48. J. Gnilka vermutet, vÏste stamme von dem vormarkinischen Redaktor, der die Perikopen in 2,15–28 miteinander verbunden habe; möglicherweise stehe v Ï ste anstelle eines ursprünglichen gaÂr49. Jedenfalls beziehe es sich nicht auf V. 27, sondern auf die gesamte Perikope50. Von demselben Redaktor stamme auch das kai in V. 28, das die Sabbatperikope in besonderer Weise mit dem Abschnitt 2,15–22 verbinde: Der Menschensohn ist »auch« Herr des Sabbats, »wie er es in der Festsetzung der voraufgehenden Entscheidungen ist«51. Diese Erklärung scheint, unabhängig von der Hypothese einer vormarkinischen Sammlung in Mk 252, richtig zu sein. V. 28 wird in der Tat verständlich als Kommentar zur ganzen Perikope V. 23 f.27: Ein Erzähler (oder Kommentator)53 zieht aus der geschilVersuche und Besinnungen I, Göttingen 1964, 207: V. 28 gehe darauf zurück, daß die Gemeinde »wohl ihrem Herrn, nicht aber jedermann die von ihm ergriffene Freiheit zubilligen konnte«; sie nehme diese Freiheit »nur in Ausnahmefällen in Anspruch, nicht in der von ihm geschenkten Grundsätzlichkeit und uneingeschränkten Verantwortung«. Ähnlich H. Braun, Spätjüdischhäretischer und frühchristlicher Radikalismus. Jesus von Nazareth und die essenische Qumransekte. II: Die Synoptiker (BHTh 24/II), Tübingen 21969, 70 Anm. 1. 45 So Roloff, Kerygma (s. Anm. 10), 61 f.; Jeremias, Theologie (s. Anm. 3), 249; vgl. schon Bultmann, Geschichte (s. Anm. 10), 14 f. Die entgegengesetzte These vertritt übrigens F. W. Beare, »The Sabbath was made for Man?«, JBL 79 (1960) 130–136: V. 27 beziehe sich nicht auf »den Menschen«, sondern meine ebenso wie V. 28 den Menschensohn. 46 Pesch, Markus I (s. Anm. 10), 185. 47 So mit Recht Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 124 (mit Anm. 34). Vgl. zur Sache auch C. Colpe, Art. oë yiëoÁw toyÄ aÆnurvÂpoy, ThWNT VIII (1969) 455 (insbesondere Anm. 371). 48 Matthäus wie Lukas haben den Text verständlicherweise geändert. 49 Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 121 Anm. 13. Zur Hypothese einer vormarkinischen Sammlung vgl. Gnilka, aaO., 131 f. und vor allem Kuhn, Sammlungen (s. Anm. 9), 53–98. 50 Gnilka, Markus I, 124. 51 Gnilka, Markus I, 121. 52 Als Begründung für diese Hypothese wird immer wieder darauf verwiesen, daß in Mk 2,1–3,6 (oder, wie Gnilka meint: in 2,15–28) thematisch und formal gleichartige Perikopen zusammengestellt sind. Es scheint mir aber methodisch angemessener, diese Zusammenstellung einem bekannten Redaktor (»Markus«) zuzuschreiben als einem im übrigen völlig unbekannten. Vgl. dazu D.-A. Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums (BZNW 42), Berlin 1975, 33 f. 53 Der Stil von V. 28 spricht für die Vermutung, daß es sich hier um den »Kommentar« zu

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derten Szene und insbesondere aus V. 27 den Schluß, daß der Menschensohn »Herr auch des Sabbats« ist54. Damit hat die Sabbatperikope eine neue Tendenz erhalten: Das in V. 23 f.27 dargestellte neue Sabbatverständnis, das den Sabbat als Gottes Gabe »um des Menschen willen« begriff, wird nun christologisch untermauert. Nicht die Situation des Menschen für sich genommen entscheidet über die Auslegung des Sabbatgebots, sondern ins Zentrum rückt jetzt der Gedanke, daß Christus Vollmacht auch über den Sabbat besitzt. V. 28 zeigt, daß die christliche Gemeinde die Szene von V. 23 f.27 in christologischem Kontext sehen will; und er unterstreicht insbesondere, daß es sich bei dem in V. 27 formulierten Logion wirklich um ein »Herrenwort« handelt. Insofern ist V. 28 nicht eine Abschwächung, sondern im Gegenteil eine Bestätigung der Gültigkeit des in V. 23 f.27 Gesagten. 4. Mit der Einfügung von V. 25 f. erhält der Text nun eine deutlich veränderte Argumentationsebene: Jesus beruft sich in seiner Antwort auf den Vorwurf der Pharisäer zunächst nicht auf Gottes Ordnung »um des Menschen willen« (V. 27), sondern er verweist als erstes auf einen (freilich nur vermeintlichen) Präzedenzfall aus dem Alten Testament – David hat einst im Heiligtum die Schaubrote gegessen, obwohl dies vom Gesetz her den Priestern vorbehalten war. Diese Bezugnahme auf die Bibel verdankt sich offensichtlich schriftgelehrter Überlegung der Gemeinde55; die Frage oyÆdeÂpote aÆneÂgnvte . . .; unterstellt den Pharisäern, sie kennten die Bibel nicht. Dabei ist anzunehmen, daß dieser »Schriftbeweis« nicht auf eine tatsächlich mit dem pharisäischen Judentum geführte Debatte zueinem bereits schriftlich vorliegenden Text handeln könnte; dies wäre dann ein Argument entweder für die – aus anderen Gründen nicht sehr wahrscheinliche – Hypothese einer vormarkinischen Sammlung oder für die Annahme, daß V. 28 erst von Markus selbst angefügt wurde. Für markinische Verfasserschaft spräche der enge sachliche Zusammenhang mit 2,10, wo es um die eÆjoysiÂa des Menschensohns geht: Der Menschensohn hat »Vollmacht zur Sündenvergebung« und ist »Herr auch in bezug auf den Sabbat«. Da aber in 2,10 und 2,28 eine unterschiedliche Terminologie vorliegt (2,10: eÆjoysiÂa, 2,28: kyÂriow), wird man doch nicht mit bewußter redaktioneller Arbeit zu rechnen haben. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, daß das erweiterte Apophthegma V. 23 f.27 f. in schriftlicher Form vorgelegen hat, die vom »Autor« von V. 28 hergestellt worden war. Ob diese Einheit isoliert oder in einem – nicht näher zu erfassenden – Kontext tradiert wurde, läßt sich nicht sagen. 54 Zu beachten ist die syntaktische Struktur von V. 28: Das nominale Prädikat ky  riow steht voran, das dazu gehörende Genitivattribut steht am Schluß (»Sperrung«), wodurch beide Begriffe besonders betont werden. Die Aussage, daß der Menschensohn kyÂriow sei, ist also vorausgesetzt, und sie wird hier nun auch im Blick auf den Sabbat behauptet. Daraus ergibt sich, daß V. 28 nicht als isoliertes mündlich tradiertes Logion existiert haben kann, sondern – auch unabhängig von v Ï ste und kai – als Kommentar zu einem voranstehenden Text formuliert worden sein muß (insofern spricht auch nichts für die Vermutung, es habe in V. 28 ursprünglich gaÂr statt vÏste gestanden). 55 Von daher wird auch die eingangs betonte Diskrepanz zwischen der Szene V. 23 f. und der »schriftgelehrten« Antwort V. 25 f. verständlich: Der Hinweis auf David soll indirekt die Szene korrigieren und insbesondere den Eindruck beseitigen, es handle sich beim Ährenraufen der Jünger um eine reine Willkürhandlung. – Diese Beobachtung stützt im übrigen die Vermutung, daß das Apophthegma V. 23 f.27 f. in schriftlicher Fassung vorlag (s. o. Anm. 53).

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rückgeht – die Gründe für diese Vermutung sind eingangs genannt worden; vielmehr wird das David-Beispiel in erster Linie der Selbstvergewisserung der Gemeinde gedient haben: Es geht um die biblische Bestätigung eines von der Gemeinde längst praktizierten Handelns, nicht um dessen Legitimierung vor fremder Instanz56. V. 25 f. sind aber zugleich auch ein Indiz dafür, daß die in V. 27 gegebene »humane« und die in V. 28 hinzugefügte christologische Begründung für die Neuinterpretation des Sabbatgebots als nicht ausreichend empfunden wurden. 5. Markus hat das ihm überkommene Apophthegma V. 23–28 offenbar im wesentlichen unverändert übernommen57. Formal bestand seine Tätigkeit als Redaktor lediglich darin, die Perikope in den Rahmen der von ihm in 2,1–3,6 zusammengestellten Texte einzufügen. Inhaltlich bedeutete dies freilich, daß der Leser des Evangeliums erfährt, wer jener Menschensohn ist, der als Herr auch des Sabbats bekannt wird: Es ist derselbe, von dessen Vollmacht zum Wunder und zur Sündenvergebung in 2,1–12 und von dessen Umgang mit Zöllnern und Sündern in 2,13–17 die Rede gewesen war, und der sein neues Sabbatverständnis noch einmal in 3,1–6 zur Geltung bringen wird. 6. Der Evangelist Matthäus hat an dem ihm von Markus überkommenen Text indessen erhebliche Korrekturen vorgenommen. Gleich am Anfang der Perikope Mt 12,1–8 heißt es, die Jünger hätten gehungert und deshalb die Ähren ausgerissen und gegessen (V. 1b). Damit erst ist der Hinweis auf die David-Erzählung (V. 3f.) wirklich überzeugend, weil nun nämlich das Handeln der Jünger eine akzeptable Motivation erhalten hat und bis zu einem gewissen Grade entschuldbar geworden ist – hier wie dort gilt jetzt die Regel: Not kennt kein Gebot. Dazu paßt es dann, daß Matthäus in V. 5–7 den Schriftbeweis erheblich ausgebaut hat; er unterstreicht auf diese Weise Jesu Rückbezug auf die Autorität der Bibel und kann zugleich zeigen, daß die Pharisäer von Jesus mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden. In V. 5 wird dabei zunächst auf die Tatsache verwiesen, daß es auch im Rahmen strengster Sabbatobservanz eine vom Gesetz selbst gebotene Sabbatverletzung durch die am Tempel tätigen Priester gibt; verbunden ist dies freilich in V. 6 mit der eine solche Argumentation im Grunde doch wieder spren-

56 Insofern muß die Frage gestellt werden, ob man V. 23–28 mit Recht als »Streitgespräch« bezeichnet und ob überhaupt Streit- und Schulgespräche tatsächlich einen unterschiedlichen »Sitz im Leben« haben. Gewiß sind die literarischen Formen zu unterscheiden; aber es läßt sich doch kaum sagen, daß das hier vorliegende Apophthegma wirklich aus einer Debatte mit nichtchristlichen Juden hervorgegangen ist. 57 Roloff, Kerygma (s. Anm. 10), 59 führt die Verbindung der (s. E. authentischen) Worte V. 27 f. und V. 23–26 auf Markus zurück. Suhl, Funktion (s. Anm. 10), 85 vermutet, die Worte kaiÁ oië met’ ayÆtoyÄ in V. 25 stammten von Markus, der auf diese Weise an das in V. 26 vorgegebene kaiÁ toiÄw syÁn ayÆtv Äì oyËsin habe anknüpfen wollen (vgl. auch Gnilka, Markus I, 120 Anm. 9). Diese These setzt freilich voraus, daß man V. 25 f. als Schluß des ursprünglichen Apophthegmas ansieht und nicht als ohnehin sekundären »Kommentar«.

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genden christologischen Bemerkung, daß »hier Größeres ist als der Tempel«58. In V. 7 wird dann Hos 6,6a zitiert (eÍleow ueÂlv kaiÁ oyÆ uysiÂan, wörtlich nach LXX), verknüpft mit dem Vorwurf, die Pharisäer wüßten gar nicht, was dieses Wort bedeutet. Unklar ist jedoch, inwiefern sich dieses Zitat auf die vorausgesetzte Situation bezieht – das Ährenraufen der Jünger kann man doch schlecht als eÍleow bezeichnen. R. Hummel meint, hier werde auf V. 9–14 vorausgewiesen: Matthäus denke an die Christen, die am Sabbat Werke der Barmherzigkeit vollbringen und deshalb von den Juden verurteilt werden59. Näher liegt aber die Annahme, daß sich das Hosea-Zitat auf die Pharisäer beziehen soll: Wenn sie schon am Sabbat Opfer zulassen, obwohl Gott Opfer eigentlich gar nicht will, dann müßten sie doch um so mehr im Blick auf die hungernden Jünger (V. 1) die Barmherzigkeit walten lassen, die Gott nun tatsächlich von ihnen fordert60. Am auffälligsten – neben der Lukas entsprechenden Streichung des markinischen V. 27 (s. u.) – ist die Tatsache, daß Matthäus die Sabbat-Perikope in einen gegenüber Markus stark veränderten Kontext eingefügt hat: Unmittelbar vor der Szene vom Ährenraufen stehen bei Matthäus nicht wie im Markusevangelium die kritischen Worte Jesu über das Fasten, sondern die Worte über die Mühseligen und Beladenen, denen der »Heilandsruf« verheißt: »Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht«. Indem Matthäus die beiden Sabbatperikopen aus ihrem ursprünglichen markinischen Kontext herauslöst (Mk 2,1–22 = Mt 9,1–17) und ihnen einen neuen Platz im Anschluß an 11,25–30 gibt, will er offenbar deutlich machen, daß er sie als eine Illustration dessen versteht, was das »sanfte Joch« in einer konkreten Situation tatsächlich bedeutet61. 7. Der Evangelist Lukas hat demgegenüber bei der Übernahme der Perikope den ihm von Markus her vorgegebenen Kontext beibehalten (Mk 2,1–3,6 = Lk 5,17–6,11); ihren Wortlaut hat aber auch er nicht unerheblich korrigiert. Drei Aspekte fallen besonders ins Auge: Erstens sind bei Lukas Sabbat-Szene und David-Erzählung deutlicher als in der Mk-Fassung aneinander angeglichen; es wird einerseits gesagt, die Jünger hätten die ausgerissenen Körner – nach ent-

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Vgl. zu dieser Wendung Mt 12,41.42. R. Hummel, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium (BEvTh 33), München 1963, 43. 60 Vgl. Berger, Gesetzesauslegung (s. Anm. 9), 582 f.: Matthäus wirft den Juden vor, sie verstünden »nichts von dem prinzipiellen Gegensatz zwischen Kult und Liebe«. S. zur Sache auch E. Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2), Göttingen 131973, 180, der mit Recht auf Mt 9,13 verweist. 61 U. Luck, Weisheit und Christologie in Mt 11,25–30, WuD 13 (1975) 35–51 interpretiert Mt 11,28–30 vor dem Hintergrund von Sir 51,23–30. Während Sirach Mut machen wolle zum Gesetz, stehe für Matthäus fest, daß nicht das Gesetz, sondern allein Jesus Ruhe schenkt. AaO., 50: »Sein Joch wird nicht leicht dadurch, daß der Mensch das Joch übernimmt, das sich dann in den Königsmantel und die Freudenkrone verwandelt (Sir 6,23–31), sondern es ist leicht, weil es sein Joch ist, das er selbst trägt.« (Hervorhebung im Original!) So richtig diese Interpretation ist, so sehr muß doch der Zusammenhang von 11,28–30 mit 12,1–8 bedacht werden. 59

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sprechender Verarbeitung – gegessen (V. 1), und es wird andererseits der bei Mk V. 25 gegebene Hinweis, bei David habe eine akute Notsituation vorgelegen (xreiÂan eÍsxen) gestrichen. Damit rückt der Text deutlicher als bei Markus in den Kontext kasuistischen Denkens; Lukas verfolgt, ähnlich wie unabhängig von ihm Matthäus, das Ziel, den Schriftbeweis plausibler zu machen und seinen Charakter als überzeugendes und bindendes Argument stärker hervortreten zu lassen. Zweitens sind es bei Lukas unmittelbar die Jünger, an die sich die Pharisäer mit ihrer Kritik wenden62. Hinter dieser Korrektur steht möglicherweise die Einsicht des Lukas, daß es hier ja tatsächlich um ein Verhalten der Gemeinde geht, die unmittelbar mit der dieses Verhalten betreffenden Kritik konfrontiert wird; wahrscheinlicher dürfte freilich sein, daß Lukas lediglich die logische Stringenz der Erzählung verbessern will: Die Jünger verletzen das Sabbatgebot und werden selbst dafür gerügt. Besonders auffällig ist schließlich drittens die Tatsache, daß bei Lukas (ebenso wie bei Matthäus) das Logion Mk 2,27 fehlt. Da man ausschließen kann, daß es in den Mk-Text erst nachträglich als Glosse interpoliert wurde63, muß man entweder annehmen, daß Lukas und Matthäus hier von einer gemeinsamen zweiten Quelle abhängig sind, oder man muß vermuten, daß beide das Logion unabhängig voneinander aus wahrscheinlich sachlichtheologischen Gründen gestrichen haben. Gegen die These, die Perikope vom Ährenraufen habe in der bei Markus erhaltenen Fassung und in einer Q-Fassung existiert64, spricht nun freilich schon die Beobachtung, daß sich die Übereinstimmungen des Mt- und des Lk-Textes gegen Markus – abgesehen eben vom Problem Mk 2,27 – auf Kleinigkeiten beschränken65, so daß sich eine von Markus unabhängige zweite Fassung des Apo62

Es antwortet aber Jesus – die Jünger werden nicht mehr erwähnt. Vgl. Bultmann, Geschichte (s. Anm. 10), 14. – H. Aichinger, Quellenkritische Untersuchung der Perikope vom Ährenraufen am Sabbat, in: A. Fuchs (Hg.), Jesus in der Verkündigung der Kirche (SNTU A/1), Linz 1976, 110–153 nimmt an (146 f.), »ein unbekannter Redaktor« vor Matthäus und Lukas habe das Logion aus dem Mk-Text gestrichen; Aichinger will von einem »Deutero-Markus« sprechen, auf dessen Konto die Gemeinsamkeiten von Lk und Mt gegen Mk gingen (aaO., 141–147). Unter diesen Umständen wäre freilich schon die Textgeschichte (zumindest der Ährenraufen-Perikope) kaum zu erklären: Die dem Lukas bzw. dem Matthäus vorliegenden Exemplare des Mk müßten bereits auf den redaktionell bearbeiteten Mk-Text (Dmk) zurückgehen; unmittelbar darauf müßte die Lesart des Dmk völlig untergegangen sein (Ausnahme lediglich: der »westliche« Text, d. h. insbesondere Codex D), während die gesamte übrige Textüberlieferung auf der ursprünglichen markinischen Fassung der Perikope basieren würde. 64 So Hübner, Gesetz (s. Anm. 24), 117–119; in der Q-Fassung stand nach Hübner das David-Beispiel im Zentrum, Mk V. 27 fehlte. AaO., 120 f. gibt Hübner eine Skizze der von ihm rekonstruierten höchst komplizierten Überlieferungsgeschichte. – Eine ganz andere Lösung schlägt F. Gils, »Le sabbat a e´te´ fait pour l’homme et non l’homme pour le sabbat« (Mc, II, 27), RB 69 (1962) 506–523 vor: Mt und Lk seien von einer älteren Vorlage abhängig. Markus selbst habe V. 27 in die Perikope eingefügt (so erkläre sich auch der »Hiatus« zwischen V. 27 und V. 28; aaO., 523). 65 In Mt 12,1/Lk 6,1 wird ausdrücklich gesagt, daß die Jünger tatsächlich essen; in Mt 12,2/Lk 63

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phthegmas jedenfalls nicht rekonstruieren läßt. Das Fehlen von Mk 2,27 bei Lukas und bei Matthäus muß also auf eine absichtliche Textkorrektur zurückgehen: Zwar ist Jesus auch für die beiden Seitenreferenten des Markus der »Herr des Sabbats«; aber dieser Gedanke konkretisiert sich für sie eben nicht in der Aussage, daß der Sabbat »um des Menschen willen« gemacht sei. Zur Deutung dieses Befundes werden zwei entgegengesetzte Erklärungen vorgeschlagen: Viele Exegeten äußern die Vermutung, die Aussage des Logions Mk 2,27 sei den beiden nachmarkinischen Evangelisten offensichtlich als zu liberal erschienen66; andere meinen dagegen, die Streichung sei möglicherweise gerade deshalb erfolgt, weil in dem Logion »die Sabbatbeobachtung wohl relativiert ist, aber immerhin noch als selbstverständlich vorausgesetzt erscheint«67. Lukas wie Matthäus hätten das Herr-Sein Jesu als einziges Argument genannt, weil sie fürchteten, das Logion Mk 2,27 könne »judaisierenden oder judaistischen Kreisen eine Handhabe geben: Daß ›der Sabbat um des Menschen wegen‹ da sei, ist eine Feststellung, die immerhin zugunsten einer christlichen Sabbatfeier mißbraucht werden konnte«68. Für diese Interpretation spricht die Tatsache, daß das Logion Mk 2,27 für sich genommen zweifellos in der von H. Schürmann »judaistisch« genannten Weise gedeutet werden kann69; man darf aber nicht übersehen, daß Lukas und Matthäus es ja keineswegs isoliert vorfanden, sondern im Kontext einer Szene, die jede »judaistische« Interpretation von vornherein unmöglich machte: Die Jünger verletzen ohne Not das Sabbatgebot und werden unter Hinweis auf den diaÁ toÁn aÍnurvpon »gewordenen« Sabbat freigesprochen. Indem Matthäus und Lukas diesen Argumentationsgang streichen und gleichzeitig den Rückbezug auf

6,2 wird das markinische eÍlegon durch das sprachlich elegantere eiËpon ersetzt (vgl. eiËpen in V. 3); und in Mt 12,4/Lk 6,4 wird die markinische Wendung oyÆk eÍjestin fageiÄn eiÆ mhÁ toyÁw iëereiÄw durch ein verstärkendes moÂnoiw bzw. moÂnoyw erweitert. Umgekehrt fehlen bei Lk und Mt in V. 1 das markinische oëdoÁn poieiÄn, in V. 3 das markinische xreiÂan eÍsxen und in V. 4 die Zeitangabe eÆpiÁ ÆAbiauaÁr aÆrxiereÂvw. Es handelt sich bei diesen Abweichungen durchweg um verständliche Verbesserungen. 66 Vgl. G. Barth, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm/G. Barth/H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium (WMANT 1), Neukirchen-Vluyn 51968, 85 Anm. 1: »War der Spruch für Mt. zu frei, fürchtete er dadurch eine Stärkung der antinomistischen Position?« Barth hält es allerdings für denkbar, daß V. 27 in der Lukas und Matthäus vorliegenden Mk-Fassung gar nicht gestanden habe (vgl. o. Anm. 63). Vgl. auch Schweizer, Matthäus (s. Anm. 60), 180: Mk V. 27 »ist dem Matthäus wohl auch als allzu liberal gegenüber dem Gottesgesetz erschienen«. Modifiziert Roloff, Kerygma (s. Anm. 10), 77 (zu Mt): V. 27 habe schon bei Markus gar nicht die ihm oft beigelegte fundamentale Bedeutung gehabt, und deshalb sei sein Fehlen bei den Seitenreferenten gar nicht so gravierend. Das Logion wurde wahrscheinlich deshalb ausgelassen, weil es »im Sinne einer libertinistischen Auflösung aller Ordnungen ›um des Menschen willen‹ mißverstanden werden konnte«. 67 G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchung zur Theologie des Matthäus (FRLANT 82), Göttingen 21966, 33 Anm. 1. 68 H. Schürmann, Das Lukasevangelium I. Kap. 1–9,50 (HThK III/1), Freiburg 1969, 304. 69 Das zeigt die rabbinische Parallele (s. o. S. 24).

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den biblischen »Präzedenzfall« verstärken, machen sie deutlich, daß ihnen die Aussage von Mk 2,27 tatsächlich doch »zu weit« gegangen war70.

IV. Theologische Wertung der Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr. Eingangs dieser Überlegungen ist die Forderung erhoben worden, es müsse in der neutestamentlichen Exegese neben die historische Analyse des Textes auch die Frage nach seiner »Wahrheit«, d. h. nach seiner theologischen Verbindlichkeit treten. Die Rekonstruktion der Traditionsgeschichte der Sabbatperikope hat gezeigt, daß eine unmittelbare Antwort auf die Frage nach der Wahrheit dieses Textes nicht möglich ist, weil wir gar nicht ohne weiteres sagen können, welche der vorliegenden Fassungen bzw. rekonstruierten Traditionsschichten denn eigentlich als »der Text« der Sabbatperikope anzusehen ist. Sind es die am Ende des Überlieferungsprozesses stehenden Fassungen bei Lukas oder Matthäus? Oder ist es die Fassung der Mk-Redaktion als die älteste kanonisierte? Oder ist es das ursprüngliche Apophthegma Mk 2,23 f.27? Nicht selten wird erklärt, die Relevanz einer theologischen Aussage, ihre Verbindlichkeit, hänge ab von ihrer Authentizität, also von der Annahme, daß sie auf den historischen Jesus zurückgeht. Wenn das richtig wäre, dann käme theologische Verbindlichkeit allenfalls dem Logion Mk 2,27 zu, weil allein hier eine Rückführung auf den historischen Jesus als zumindest denkbar erschien. Doch dies Verfahren hätte erhebliche Konsequenzen: Es war ja deutlich geworden, daß das Logion als isolierte Sentenz in ganz unterschiedlicher Weise deutbar ist und daß sich sein Sinn allein aus dem Zusammenhang ergibt, in dem es steht; dieser Zusammenhang ist aber – gerade wenn das Wort tatsächlich auf Jesus zurückgehen sollte – nicht überliefert, d. h. es läßt sich nicht feststellen, wie Jesus das Logion verstanden wissen wollte. Vielmehr läßt sich Mk 2,27 immer nur interpretieren vor dem Hintergrund des von den urchristlichen Tradenten geschaffenen Zusammenhangs, und dieser Zusammenhang ist im Laufe der Überlieferungsgeschichte mehrfach verändert worden. Will man nun das pauschale Urteil vermeiden, die Traditionsgeschichte der Sabbatperikope als Geschichte der Auslegung des Logions Mk 2,27 sei die Geschichte einer sich immer mehr steigernden Verfälschung71, so bieten sich offenbar drei prinzipiell denkbare Wege der Interpretation an:

70 Überdies ist zu berücksichtigen, daß zumindest im Umkreis des Lukas das Problem einer von »Judaisten« geforderten christlichen Sabbatfeier kaum aktuell gewesen sein dürfte. 71 Dieser Gedanke steht ja im Grunde hinter einer Position wie der von Käsemann (s. o. Anm. 44).

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1. Man könnte die These vertreten, jede der verschiedenen Fassungen der Sabbatperikope sei in der jeweils gegebenen geschichtlichen Situation gleichermaßen theologisch legitim gewesen. Mit dem ursprünglichen Apophthegma V. 23 f.27 als ältester Auslegung von Mk 2,27 hätte die Gemeinde sagen wollen, daß Jesus die Menschen aus ihrer inhumanen Bindung an das Gesetz befreit und sie in eine von ihm selbst ermöglichte neue Freiheit führt. Die von Matthäus hergestellte Textfassung würde demgegenüber die Tendenz verfolgen, die Christen vor Libertinismus und ethischer Willkür zu warnen; Matthäus würde die Christen also in einer ganz anderen Situation daran erinnern, daß auch in Christus die Forderung des Gesetzes gilt – freilich unter der Prämisse von 11,30. Wenn das tatsächlich so ist, dann hätten die Tradenten also eigentlich gar nicht versucht, das Logion von Mk 2,27 jeweils in ihre Situation hinein, d. h. geschichtlich zu interpretieren; sie hätten im Gegenteil ihr eigenes immer schon vorgegebenes Gesetzesverständnis jeweils in die Perikope hineingelegt und den Text entsprechend formuliert72. Die theologische Konsequenz bestünde darin, daß keiner der Textfassungen Verbindlichkeit zugesprochen werden könnte; im Gegenteil: Der heutige Ausleger wäre ausdrücklich dazu ermächtigt, je nach Situation und je nach eigenem vorgegebenem Standort einmal die eine und einmal die andere Textfassung heranzuziehen und jeweils als »Evangelium« zu verkündigen. Er hätte die Möglichkeit, je nach aktuellem Bedürfnis vor Zügellosigkeit oder aber vor Gesetzlichkeit zu warnen, ohne für seine Entscheidung Kriterien nennen zu müssen – denn er könnte in jedem Fall behaupten, er befinde sich in Übereinstimmung mit der urchristlichen Tradition. 2. Ein zunächst scheinbar völlig entgegengesetzter hermeneutischer Ansatz könnte darin bestehen, daß der Exeget versucht, diejenige inhaltliche Tendenz herauszuarbeiten, die allen Textfassungen gemeinsam ist; dieser gemeinsamen Tendenz wäre als der gleichsam »überzeitlichen« allgemeinen Wahrheit dann theologische Verbindlichkeit zuzusprechen. Im Fall der Sabbatperikope läge die »Wahrheit« dann in der Aussage, daß Jesus seinen Jüngern das Ährenraufen am Sabbat erlaubt hat – allein in diesem Punkt sind sich nämlich alle Tradenten wirklich einig. Gegen diesen Ansatz spricht aber die Beobachtung, daß die Tradenten ja gar kein Interesse daran gehabt haben, das bloße Faktum des von Jesus gebilligten Ährenraufens als solches darzustellen; vielmehr liegt das Gewicht der Darstellung in allen Textfassungen auf der von Jesus jeweils gegebenen Begründung für seine Erlaubnis. Würde also der Exeget keinem der Texte, sondern stattdessen der 72 Vgl. dazu Haenchen, Weg (s. Anm. 3), 121, der zur Streichung von Mk 2,27 bei Matthäus und Lukas erklärt, hier folgten die beiden Seitenreferenten des Markus »einfach dem gemeinsamen Empfinden ihrer Zeit«. Haenchen sieht hierin aber offenbar kein besonderes Problem.

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in ihnen dargestellten äußeren Szene – sei sie nun historisch oder nicht – theologische Verbindlichkeit zusprechen, so würde er sich damit vom Text völlig lösen – seine auf diese Weise zustandegekommene »Auslegung« wäre in Wahrheit ein neuer Text. Die Konzentration der Exegese auf eine den Texten zugrundeliegende allgemeine »Wahrheit« erweist sich tatsächlich also als ein Akt höchster theologischer Willkür. 3. Angesichts dieser Ergebnisse bleibt m. E. nur eine angemessene Interpretationsmöglichkeit: Die Frage nach der theologischen Verbindlichkeit der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr. muß direkt verbunden werden mit dem Problem der theologischen Legitimität der Überlieferungsgeschichte dieser Perikope. Neutestamentliche Exegese kann weder davon ausgehen, daß jeder Text in gleicher Weise theologisch »wahr« und insofern verbindlich ist, noch darf sie freilich mit der Prämisse arbeiten, jede Veränderung theologischer Tradition, zumal jede Veränderung von Jesus-Tradition, sei eo ipso schon »Abfall« von der Wahrheit. Die Frage muß vielmehr lauten: Inwieweit kann die Überlieferungsgeschichte der Sabbatperikope als Geschichte einer theologisch legitimen Auslegung des Logions von Mk 2,27 angesehen werden? Wenn das Logion Mk 2,27 zunächst tatsächlich als isolierte Sentenz überliefert worden ist73, so bedeutet dies, daß mit seiner Hilfe sowohl eine totale Emanzipation des Menschen vom Sabbatgebot (nicht freilich dessen formale Aufhebung) wie auch umgekehrt eine ausgeprägt kasuistische Interpretation dieses Gebots begründet werden konnte74. Indem die Gemeinde ein Apophthegma als szenische Rahmung des Logions formulierte, tat sie dies also in der richtigen Erkenntnis, daß das Logion einen eindeutigen Sinn nur im Kontext einer Szene erhält, die einen durch dieses Logion gelösten Konflikt zum Inhalt hat. So wie Jesus in dem Apophthegma Mk 3,1–675 eine Heilung vornimmt, die keineswegs dringend geboten war, erzählt das Streitgespräch Mk 2,23 f.27 von einer Erntearbeit am Sabbat, die einerseits als äußerst geringfügig angesehen werden konnte, die andererseits aber gerade auch deshalb nicht durch den Hinweis auf eine vorliegende Notsituation zu entschuldigen war. Die Banalität der äußeren Szene macht deutlich, daß es in V. 23 f.27 nicht um eine lediglich kasuistische, sondern tatsächlich um eine prinzipielle Neubewertung des Verhältnisses zwischen dem Sabbatgebot Gottes und dem Menschen geht: Ein durch nichts motiviertes Ährenraufen ist schlechterdings kein »Kasus«, der einen Verstoß gegen das Sabbatgebot hätte rechtfertigen können.

73

S. dazu o. Anm. 31. Die erste Deutung wird durch den Wortlaut durchaus nahegelegt: »Der Mensch« erscheint als der Maßstab für die Einhaltung des Gesetzes. Die kasuistische Deutung ist dann möglich, wenn man das diaÁ toÁn aÍnurvpon streng auf den Menschen insgesamt, d. h. auf sein Leben bezieht. 75 Zur Gattungsbestimmung vgl. Koch, Bedeutung (s. Anm. 52), 50–52. 74

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Im Kontext von V. 23 f. bedeutet das Logion V. 27 eine neue Bestimmung des durch das biblische (Sabbat-)Gebot begründeten Verhältnisses zwischen Gott und Mensch: Der Sabbat wird nicht als Selbstzweck, das mit ihm verknüpfte Gebot wird nicht mehr primär als eine dem Menschen von außen gestellte Forderung begriffen, sondern Sabbat und Sabbatgebot erscheinen als Gabe Gottes »um des Menschen willen«. Das Ährenraufen ist die Konkretion dieser neuen auf den Menschen bezogenen Deutung des Gebots, so daß also die Frage, welche Form der Sabbatobservanz von der hinter Mk 2,23 f.27 stehenden Theologie vertreten wurde, mit der Aussage beantwortet werden kann: »Erlaubt« ist alles, wovon gesagt werden kann, es geschehe »um des Menschen willen«. Was bedeutet angesichts dessen nun die Anfügung von V. 28? Zwei Thesen stehen sich gegenüber: E. Käsemann meint, die Gemeinde habe die von Jesus angebotene Freiheit nicht mehr jedem zubilligen können – »die Größe seiner [sc. Jesu] Gabe ließ sie erschrecken«76. Demgegenüber sagt E. Lohse, das Wort von V. 28 stelle nicht etwa eine Einschränkung, sondern im Gegenteil eine Radikalisierung von V. 27 dar: Hier bekenne sich »die christliche Gemeinde zum Menschensohn Jesus, der als der kyÂriow auch über Gültigkeit oder Aufhebung des Sabbats zu befinden hat«77. Beide Thesen stimmen in der Annahme überein, daß die Anfügung nicht primär der Interpretation, sondern insbesondere der inhaltlichen Umdeutung des zugrundeliegenden Apophthegmas gedient habe. Tatsächlich aber scheint der »Kommentator«, der V. 28 formuliert und angefügt hat78, die Absicht gehabt zu haben, die bisher allein auf »den Menschen« bezogene Aussage des Apophthegmas christologisch zu untermauern. V. 27 und V. 28 interpretieren sich nämlich gegenseitig: Das Wort über den Menschensohn zeigt, daß das Logion V. 27 und die ganze Szene V. 23 f.27 nicht als Aufruf zur totalen Autonomie des Menschen verstanden werden dürfen, sondern daß das durch sie ermöglichte Handeln definitiv als Konsequenz des Glaubens an den »Menschensohn« begriffen werden muß. Umgekehrt bedeutet die »den Menschen« betreffende Aussage V. 27 als Voraussetzung des christologischen Worts V. 28, daß das Bekenntnis zum Menschensohn einen sehr konkreten Inhalt hat und jedenfalls davor geschützt ist, als bloß formale Aussage – etwa: »Christus ist der Herr über den Sabbat«79 – mißverstanden zu werden. Das erweiterte Apophthegma V. 23 f.27 f. zeigt, daß sich Christi Herr-Sein konkretisiert in der Ermöglichung einer auf den Menschen bezogenen Anwendung des Gesetzes.

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Käsemann, Problem (s. Anm. 44), 207. E. Lohse, Jesu Worte über den Sabbat, in: ders., Die Einheit des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1973, 66. 78 S. o. Anm. 53.54. 79 Ein derartiges »Logion« hat m. E. nie existiert. 77

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Erst in dieser Fassung des Streitgesprächs ist aus dem Bericht von einem vermeintlich oder tatsächlich geschehenen, in jedem Fall aber eben vergangenen Ereignis eine theologisch verbindliche Botschaft geworden, denn erst jetzt redet der Text explizit von Gott und vom Menschen in ihrer durch Christus ermöglichten Beziehung zueinander – erst jetzt ist das Streitgespräch als Interpretation des christlichen Glaubens anzusehen. Die Einfügung des Schriftbeweises (V. 25 f.) hat offensichtlich den Sinn gehabt, die in V. 23 f.27 f. ausgesprochene Wahrheit zusätzlich abzusichern: Die höchste schriftlich fixierte Autorität der frühen Kirche wird als Zeugin für die Legitimität christlicher Lehre und christlichen Verhaltens ins Feld geführt. Dahinter steht aber eine tiefe Unsicherheit; die Gemeinde (oder ein weiterer »Kommentator«) ist offenbar im Zweifel darüber, ob die Autorität Jesu als des Sprechers des »den Menschen« betreffenden Logions V. 27 sowie der kommentierende christologische Hinweis auf Jesu Herr-Sein V. 28, der inzwischen gewiß ebenfalls als ein Wort Jesu verstanden wird, tatsächlich ausreichend sein können für eine derart tiefgreifende Neuinterpretation des Gesetzes, wie sie in der Ährenraufen-Erzählung zum Ausdruck kommt. Gelöst wird dieses Problem nun dadurch, daß beiden Worten der Hinweis auf einen biblischen Präzedenzfall vorgeordnet wird, oder richtiger gesagt: dadurch, daß ein solcher Fall eher künstlich konstruiert wird. Kasuistisches Denken hat damit einen stärkeren und im Grunde dann den entscheidenden Einfluß gewonnen: Die den AT-Text paraphrasierende Wendung xreiÂan eÍsxen kaiÁ eÆpeiÂnasen ayÆtoÁw kaiÁ oië met’ ayÆtoyÄ beleuchtet nun das Ährenraufen der Jünger und läßt es als eine Linderung von Not erscheinen80; für diesen Fall gilt nun, daß der Sabbat »um des Menschen willen« geworden ist. Zugleich wird durch den Hinweis auf die Schrift das in V. 28 ausgesprochene Herr-Sein Christi interpretiert und relativiert: Der Menschensohn gründet sein Wort zuerst und vor allem auf eine ihm vorgegebene Autorität. Markus hat die Perikope offenbar unverändert übernommen; seine Redaktion zeigt aber, daß für ihn nicht die in V. 25 f., sondern die in V. 27 f. sichtbare Tendenz von entscheidender Bedeutung ist. Insbesondere die von Markus angefügte Perikope 3,1–6 enthält nämlich eine 2,23 f.27 f. kongruente Aufsprengung kasuistischer Reflexion: Die Frage, ob es am Sabbat erlaubt sei, Leben zu retten oder zu töten, wird von Jesus gestellt gerade angesichts eines Falles, in dem es ganz offensichtlich überhaupt nicht um Leben oder Tod geht81. Jesu Verhalten an diesem Sabbat, so sagt Markus durch seine in 2,1–3,6 sichtbare Redaktion, war also nicht 80 Von daher deuten nun die Kommentare; vgl. Gnilka, Markus I (s. Anm. 8), 121: »Obwohl nur der Hunger als Motiv für das Verhalten der Jünger in Frage kommt [!], wird dies nicht eigens genannt, ergibt sich aber [!] aus dem Vergleich mit David.« Zu beachten ist, daß Gnilka V. 23–26 als das alte Apophthegma ansieht. 81 Natürlich ist diese Aussage wie überhaupt die ganze Perikope (abgesehen wohl von V. 6) traditionell; aber Markus hat sie mit der Perikope vom Ährenraufen verbunden und damit das Gewicht beider verstärkt.

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eine besondere Ausnahme; es war im Gegenteil Konsequenz einer von Jesus grundsätzlich vertretenen und damit auch der christlichen Gemeinde grundsätzlich ermöglichten Interpretation des Gesetzes. Durch das Apophthegma Mk 2,23 f.27 f. und letztlich auch durch die Perikope 2,23–28 im Rahmen von 2,1–3,6 war die Frage nach der Funktion des Gesetzes im Beziehungsfeld von Gott, Mensch und Welt82 neu gestellt und mit dem durch das Logion V. 27 konkretisierten Hinweis auf Christi Herr-Sein über den Sabbat (V. 28) beantwortet worden. Bei Lukas und noch stärker bei Matthäus zeigt sich demgegenüber ein anderer Akzent. Beide haben die mit der Einfügung der David-»Parallele« bereits vormarkinisch eingeleitete Tendenz zur kasuistischen Interpretation der Sabbatperikope nachdrücklich verstärkt. Charakteristisch für ihre redaktionelle Arbeit ist dabei vor allem die Behandlung der beiden Aussagen von Mk 2,27 und 2,28: Indem beide V. 27 streichen, V. 28 hingegen stehen lassen, reduzieren sie das Wort von Christi Herr-Sein über den Sabbat auf eine nur noch formale und jedes konkreten Inhalts entbehrende Sentenz. Der Ausbau der Kasuistik und die Streichung von Mk 2,27 zeigen, daß der nach wie vor betonte Glaube an Christi Herr-Sein über den Sabbat im Grunde nur noch eine veränderte Gesetzespraxis ermöglicht, aber nicht mehr Basis für eine christologisch begründete grundsätzliche Neuinterpretation des Gesetzes ist. Insbesondere Matthäus macht durch die Streichung von Mk 2,27 und durch den von ihm geschaffenen neuen Kontext der Perikope deutlich, daß für ihn das durch Jesus ermöglichte Sabbatverständnis de facto nichts anderes ist als die volle Bestätigung des alten, nun freilich »liberalisierten« Gesetzes. Durch die Verknüpfung mit dem Wort vom »sanften Joch« und der »leichten Last« (11,28–3083) sowie vor allem auch durch die tiefgreifende Umgestaltung der Perikope Mk 3,1–6 in Mt 12,9–1484 wird die Perikope vom Ährenraufen zum Zeichen dafür, daß die bisher unbedingte Geltung des Gesetzes durch eine Neuinterpretation ersetzt worden ist, die eben in besonderen Fällen Ausnahmen vorsieht. Lukas scheint demgegenüber an der Ablehnung der kasuistischen Interpretation des Gesetzes festzuhalten, wie seine Übernahme von Mk 3,4 (= Lk 6,9) zeigt; tatsächlich aber setzt der Dritte Evangelist einen neuen Akzent gegenüber seiner markinischen Vorlage, indem er zwischen dem bei der Heilungserzählung und dem bei der Ährenraufen-Perikope sichtbar werdenden Sabbatverständnis einen auffallenden Unterschied macht: Während das von Jesus im Zusammen82 Gott als Urheber des Gesetzes und Schöpfer des Menschen (V. 27), die Welt als der Ort, wo sich dieses Verhältnis zu bewähren hat. 83 S. o. Anm. 61. 84 In V. 11.12a wird der Schluß a minori ad maius eingefügt, um im Rahmen schriftgelehrter Argumentation die Heilung der erstorbenen Hand zu rechtfertigen; und die bewußt hyperbolische Alternative in Mk 3,4 wird durch ein eher plakatives vÏste eÍjestin toiÄw saÂbbasin kalv Ä w poieiÄn ersetzt.

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hang der Heilung für die Sabbatverletzung vorgebrachte Argument grundsätzÄì sabbaÂtvì aÆgalich formuliert ist und insofern für jedermann gilt (eiÆ eÍjestin tv uopoih Ä sai ktl.), wird in der Ährenraufen-Perikope das analoge »jedermann« betreffende Logion gestrichen. Lukas unterscheidet also das banale Ährenraufen und -essen, das den Jüngern nur deshalb erlaubt wird, weil Jesus »Herr des Sabbats« ist, sorgfältig von der Heilung des Kranken, die am Sabbat generell vollzogen werden darf (6,9). Offenbar sah Lukas im Fall des Ährenraufens, insbesondere wohl aufgrund von Mk 2,27, die Gefahr einer mißbräuchlichen Interpretation des Gebots; im Fall der Krankheit eines Menschen ging er hingegen davon aus, daß dessen Heilungsbedürftigkeit allen anderen Normen vorzuordnen sei85. Die Streichung des Logions Mk 2,27 in der matthäischen und in der lukanischen Fassung der Ährenraufen-Perikope mag auf die konkrete und auch verständliche Sorge beider Evangelisten zurückzuführen sein, das diaÁ toÁn aÍnurvpon könne den Menschen zum Maß aller theologischen wie ethischen Normen erheben. Ihre Redaktion hat aber tatsächlich dazu geführt, daß das so überaus wichtige gegenseitige Interpretationsverhältnis der Aussagen in Mk 2,27 und 2,28 zerrissen wurde: Das christologische Logion ist nun nichts anderes als die lediglich formale Proklamation, daß der Menschensohn »Herr des Sabbats« ist – die gegenwärtig für die Christen gültige auf »den Menschen« bezogene Konsequenz dieser Proklamation ist bewußt ausgeschieden worden. Deshalb kommt unter den kanonischen Fassungen der Ährenraufen-Perikope allein dem Mk-Text theologische Verbindlichkeit zu.

85 Eine solche ethische Uminterpretation der beiden Sabbatperikopen (die Verletzung des Gebots ist generell erlaubt, wenn sie dem Nächsten dient) scheint mir im Kontext der lukanischen Theologie durchaus plausibel zu sein. Daß die Streichung des Logions Mk 2,27 der theologischen Absicht des Lukas zuwiderliefe (so Aichinger, s. o. Anm. 63), wird man jedenfalls nicht sagen können.

Jesus und der Sabbat Zum literarischen Charakter der Erzählung Mk 3,1–6 1. Die von der Heilung des Mannes mit der verkrüppelten Hand erzählende Perikope Mk 3,1–6 gilt neben der Erzählung vom Ährenraufen am Sabbat (Mk 2,23–28) als wesentlicher Beleg für Jesu Haltung zum Sabbatgebot, in Auseinandersetzung vor allem mit dem Pharisäismus. In seiner »Geschichte der synoptischen Tradition« behandelt R. Bultmann diese Perikope als ersten Text überhaupt1; dabei definiert er sie formgeschichtlich als Streitgespräch, dessen Anlaß eine Heilung Jesu ist. Bultmann meint, der Evangelist habe den in Mk 3,1–5 überlieferten Text als »organisches Apophthegma« unverändert aus der Tradition übernommen und lediglich am Anfang »das aufreihende paÂlin« sowie am Schluß den ganzen V. 6 redaktionell hinzugefügt2. Die Möglichkeit, V. 4 als ursprünglich isoliertes (Jesus-)Logion zu verstehen, wird von Bultmann diskutiert; er kommt zu einem negativen Ergebnis, da die Frageform »als die typische Form des Gegenarguments dem in V. 2 enthaltenen Vorwurf« entspreche und also V. 4 nicht selbständig tradiert worden sein könne. Aufgrund von Inhalt und Sprache der Perikope nimmt Bultmann an, daß der Text in der »palästinensischen Urgemeinde« formuliert worden sei. In historischer Hinsicht wird die Erzählung Mk 3,1–6 weithin als zuverlässig angesehen, insofern sie tatsächlich die Haltung Jesu zum Sabbat erkennen lasse3. Nach J. Gnilka zeigt sich hier Jesu Auffassung, »daß der Sabbat als Tag Jahves gerade auch auf das Heil des Menschen ausgerichtet ist«; eine Verweigerung der Heilung am Sabbat hätte deshalb bedeutet, »sich gegen das Heil des Menschen und damit gegen den Willen Gottes« zu richten4. Das von Jesus als Frage for1 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 1995 (mit einem Nachwort von G. Theissen), 9; dort alle folgenden Zitate. 2 Bultmann sieht in der Aussage von V. 6 »das biographische Interesse« des Evangelisten, das der Gattung fremd sei und der Pointe der Überlieferung nicht entspreche. 3 Vgl. etwa R. Pesch, Das Markusevangelium (HThK II/1), Freiburg 1976, 195: »Der Text ist eine wichtige und zuverlässige Quelle über Wirken, Selbstverständnis und Wirkung (Gegnerschaft) Jesu.« Da das (authentische) Jesuslogion V. 4 situationsbezogen formuliert sei, müsse auch die Szene »als überliefert gelten«. 4 J. Gnilka, Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte, Freiburg 1993, 222. 10

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mulierte Wort in V. 4 »paßt in seiner Schärfe völlig zu ihm«5. J. Becker meint, der Erzählung Mk 3,1–6 liege eine erst nachträglich zum Sabbatkonflikt umgestaltete Wundertradition zugrunde, die ursprünglich nur V. 1b und 5c umfaßt habe; die Erweiterung der Szene sei im Anschluß an 2,23–28 nach dem Grundsatz erfolgt, daß bei Thoraverletzungen »nach einer ersten solennen Verwarnung (2,23ff) ein zweiter Fall gleicher Art als vorsätzliche Tat gilt, die nicht mehr entschuldbar ist«6. Bei der Umgestaltung der Wundertradition seien die zuvor in 2,24 erwähnten Pharisäer abermals zu Akteuren gemacht worden; zugleich werde Jesus »als eine demonstrativ provozierende Person gezeichnet«. Becker sieht in 3,4 ebenso wie in 2,27 authentische Jesus-Tradition, wobei die Aussage in 2,27 von derjenigen in 3,4 her gedeutet werden müsse, »also von der Zuwendung zum Nächsten« her7. Auch G. Theißen/A. Merz halten Mk 3,4 (ebenso wie 2,27) für eine authentische Aussage Jesu; im Unterschied zu Becker verneinen sie freilich, Jesus falle »mit seinen Sabbatkonflikten aus dem Rahmen des damaligen Judentums heraus«8: In Mk 2,27 argumentiere er von der Schöpfung her; und die in 3,4 formulierte Alternative »Töten« oder »Heilen« am Sabbat9 enthalte möglicherweise den an die in 1 Makk 2,39–41 überlieferte Entscheidung anknüpfenden logischen Schluß vom Recht auf Selbstverteidigung am Sabbat (und damit zum Töten) auf das Recht zur Heilung am Sabbat. Zu erklären sei Jesu Verhalten in beiden Fällen von den konkret gegebenen Umständen her: Das Ährenraufen passe »gut in die Situation von Wandercharismatikern, die nicht immer für ihr Essen am Sabbat gezielt Vorsorge treffen können«10, und die Krankenheilung am Sabbat sei für

5 Ebd. Die Perikope Mk 3,1–5(6) im ganzen sieht Gnilka aber nicht als sonderlich alt an, s. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus Band 1: Mk 1,1–8,26 (EKK II/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1978, 125. 6 J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin/New York 1996, 375. Becker bezieht sich (ebenso wie Pesch, Markus [s. Anm. 3], 190) auf J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil. Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 21973, 265 f., der u. a. auf die in bSanh 40b–41a diskutierte Bestimmung verweist, jemand, der die Thora verletze, müsse vor einer Verurteilung zunächst verwarnt worden sein. 7 Ebd. 8 G. Theissen/A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996, 329. 9 Bei Becker, Jesus (s. Anm. 6), 375, heißt es: »Es ist nicht vorstellbar, daß ein Jude der damaligen Zeit eine solche Argumentation [sc. wie in Mk 2,27; 3,4] angenommen hätte. Sie mißachtet nämlich das spezielle Recht, wie es für den Sabbat gilt. Man wird die Tradition also Jesus zuweisen können.« 10 Theißen/Merz nehmen an, daß das sowohl in der lk Sondergutüberlieferung (Lk 13,15 f.; 14,5) wie auch in Mt 12,11 f. begegnende Argument (Hilfe für Tiere ist am Sabbat erlaubt) von Jesus selber benutzt wurde. – Daß die Jünger durch das Ausraufen der Ähren ihren Hunger hätten stillen wollen, sagt der Mk-Text allerdings gar nicht (in Mt 12,1 liegt eine bewußte Korrektur vor). Vor allem ist auch zu beachten, daß bei Mk nicht gesagt wird, die Jünger hätten die Ähren (bzw. die Körner) gegessen (hier hat Mt ebenfalls korrigiert). Das Thema des Konflikts von Mk 2,23–28 ist die durch nichts zu entschuldigende oder auch nur zu »erklärende« Erntearbeit der Jünger.

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einen Wanderprediger durchaus »natürlich« – »denn am nächsten Tag ist er möglicherweise schon an einem anderen Ort!«11 Daß das Logion Mk 2,27 wenn nicht im Wortlaut so doch jedenfalls in seiner Tendenz auf Jesus zurückgeführt werden bzw. von ihm gebraucht worden sein kann, läßt sich wahrscheinlich machen12; daß das auch für die Szene Mk 2,23–28 als ganze gilt, kann man schon deshalb bezweifeln, weil es dort ja die Jünger sind, die ohne Not das Sabbatgebot verletzen, was dann von Jesus pauschal gerechtfertigt wird13. Hier dürfte also eine als »Gemeindebildung« entstandene und dann wahrscheinlich schon vormarkinisch erweiterte Überlieferung vorliegen14. Nach Lührmann ist zu vermuten, daß die »christologische Schlußfolgerung« in V. 28 »wohl von Mk angefügt« und mutmaßlich auch von ihm formuliert worden ist15. Ein ganz anderes Urteil ist nun aber über Mk 3,1–6 zu fällen: Zum einen kann es sich bei 3,4, anders als bei 2,27, kaum um ein ursprünglich selbständig tradiertes Logion handeln16, zum andern aber scheint diese Perikope als ganze vom Kontext her entworfen worden zu sein und überhaupt keine eigenständige Überlieferung zu enthalten. In der Forschung ist schon gelegentlich die These vertreten worden, die innerhalb der Perikope 2,23–28 enthaltene Tradition sei bereits vormarkinisch mit der innerhalb der Perikope 3,1–5 enthaltenen Tradition verbunden gewesen17. Meines Erachtens ist es noch wahrscheinlicher, daß die Erzählung Mk 3,1–6 vollständig aus der Feder des Evangelisten stammt; diese Vermutung soll im folgenden näher begründet werden.

2. Die Erzählung Mk 3,1–6 enthält, ähnlich wie diejenige in 2,1–12, die Verbindung einer Konfliktszene18 mit einem Wunder19. Aber anders als in 2,1–12, wo sich die ursprüngliche Wundererzählung und die sekundär eingefügte Konfliktszene 11

Theissen/Merz, Jesus (s. Anm. 8), 329 f. S. dazu u. Anm. 72. Vgl. zur Diskussion A. Lindemann, »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden«. Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr., WuD NF 15 (1979) 79–105, vor allem 86–91 (in diesem Band: 15–39, 22–26). 13 Der Mt-Text unterscheidet sich in wesentlichen Punkten grundlegend von der Mk-Vorlage (vor allem »hungern« die Jünger bei Mt, und sie essen; Jesus greift angesichts dessen außer auf 1 Sam 21 insbesondere auch auf Hos 6,6 zurück); die Mt-Fassung darf nicht unversehens zum Auslegungsschlüssel für den Mk-Text gemacht werden, wie es in der Exegese oft geschieht. 14 Vgl. meine Überlegungen in dem in Anm. 12 genannten Aufsatz (das Ansätze zur Kasuistik zeigende »Schriftargument« in V. 25.26 wurde ergänzend angefügt, um den als provozierend empfundenen Charakter von V. 27 abzuschwächen). 15 D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 1987, 64. 16 S. dazu die weiteren Erwägungen u. bei Anm. 49. 17 Vgl. D. J. Doughty, The Authority of the Son of Man (Mk 2,1–3,6), ZNW 74 (1983) 161–181, hier 177. 18 Der Begriff »Konfliktszene« trifft m. E. besser als »Streitgespräch« den in den entspre12

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deutlich voneinander unterscheiden lassen20, liegt in 3,1–6 eine literarisch einheitliche Erzählung vor21. Lührmann betont, der Text enthalte zwar durchaus »typische Elemente einer ›Wundergeschichte‹«, nämlich in V. 1 die Beschreibung des Falles, in V. 3.5ba die Heilung und in 5bb deren Bestätigung; aber er hält es mit Recht für nicht möglich, daß sich »literarkritisch zwei Überlieferungsschichten voneinander abheben lassen«22. Bevor mit Hilfe einer formgeschichtlichen und redaktionskritischen Analyse der redaktionelle Charakter der Perikope aufgewiesen werden soll, muß die Struktur des in Mk 3,1–6 erzählten Handlungsfadens nachgezeichnet werden23; dabei soll dieser Text zugleich mit dem Erzählfaden der Perikope Mk 2,23–28 verglichen werden24. Zu Beginn (V. 1a) berichtet der Erzähler (im Aorist) von einer Handlung der Hauptperson (»er ging wieder in die Synagoge«); das entspricht 2,23a, wo gesagt ist, daß »er am Sabbat durch die Saaten ging«. Von wem die Rede ist, wird nicht ausdrücklich gesagt. Der Name Jesu war seit 2,19 nicht mehr genannt worden; aber im Anschluß an 2,28 ist natürlich klar, daß von dem die Rede ist, der soeben chenden Texten geschilderten Vorgang; vgl. A. J. Hultgren, Jesus and His Adversaries. The Form and Function of the Conflict Stories in the Synoptic Tradition, Minneapolis 1979. 19 Zur Forschungsdiskussion über die formgeschichtliche Analyse der Perikope Mk 3,1–6 vgl. W. Weiss, »Eine neue Lehre in Vollmacht«. Die Streit- und Schulgespräche des Markus-Evangeliums (BZNW 52), Berlin und New York 1989, 106–126. Weiß selber sieht in dem Text ein ursprüngliches Streitgespräch bzw. eine »gemischte Chrie« (121; vgl. dazu 320–329), in dem die Heilung einer verkrüppelten Hand als ideale Szene verwendet worden sei (117). Der Evangelist habe V. 6 angefügt und ferner V. 2b, 5a und 5ba eingefügt sowie V. 1 redaktionell bearbeitet. 20 Zur Analyse s. Lührmann, Markus (s. Anm. 15), 56 f. Lührmann vermutet mit Recht, daß V. 5b–10 vom Evangelisten formuliert wurden; so schon D.-A. Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums (BZNW 42), Berlin 1975, 49 f. 21 J. Sauer, Traditionsgeschichtliche Überlegungen zu Mk 3,1–6, ZNW 73 (1982) 183–203, meint dagegen ähnlich wie Becker, Jesus, auch in 3,1–6 habe eine ursprüngliche Wundererzählung (bestehend aus V. 1b und 5b) vorgelegen, die sekundär zum Streitgespräch erweitert worden sei; hier spiegele sich »eine im Rahmen urchristlicher Praxis durchaus denkbare konkrete Auseinandersetzung zwischen heidenchristlichen Wundercharismatikern und strengen Judenchristen um die Frage, ob auch am Sabbat ein nicht lebensgefährlich Kranker einer exorzistischen Heilbehandlung unterzogen werden dürfe oder nicht«. S. dazu u. bei Anm. 66. 22 Lührmann, Markus (s. Anm. 15), 66. In V. 6 sieht Lührmann den von Mk geschaffenen Abschluß nicht nur der Erzählung 3,1–5, sondern zugleich des gesamten Komplexes 2,1–3,5. Nach W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus (ÖTK 2/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1979, 192 f., stammt die Erzählung aus der von Schmithals als Basis des Mk vermuteten Grundschrift, wobei freilich V. 2 und 6 sowie die Wendung met’ oÆrghÄw in V. 5 auf den Evangelisten zurückgingen. Es handle sich der literarischen Form nach um »ein Apophthegma, dessen Szene eine Wundergeschichte bildet; das entscheidende Wort des Lehrgesprächs liegt in [V.] 4 als rhetorische Frage vor« (193). 23 Vgl. zum Folgenden R. Zwick, Montage im Markusevangelium. Studien zur narrativen Organisation der ältesten Jesuserzählung (SBB 18), Stuttgart 1989, 282–289. 24 Zur Parallelität im Aufbau von 2,23–28 und 3,1–6 vgl. S. Kuthirakkattel, The Beginning of Jesus’ Ministry According to Mark’s Gospel (1,14–3,6): A Redaction Critical Study (AnBib 123), Rom 1990, 76 f.

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als »Sohn des Menschen« bezeichnet worden war25. Der Hinweis darauf, daß er »in die Synagoge« ging, zeigt an, daß sich das Folgende in einem (schon bekannten, paÂlin) abgeschlossenen und überschaubaren Raum abspielen wird. In V. 1b wechselt das Subjekt: Dort (eÆkeiÄ), d. h. in der Synagoge, hielt sich ein durch eine gelähmte oder verkrüppelte Hand behinderter Mensch26 auf. In ähnlicher Weise waren in 2,23b die Jünger eingeführt worden, doch hatten sie – anders als der aÍnurvpow in 3,1b – schon seit 2,14 eine besondere Rolle gespielt. In V. 2 erscheint eine dritte Personengruppe, nämlich »sie«; das entspricht formal dem Auftreten der Pharisäer in 2,24. Dabei weiß der Erzähler, was »sie« tun (parethÂroyn)27; und er weiß darüber hinaus vor allem auch, welche Absicht sich bei ihnen damit verbindet (Ïina ktl.)28. In V. 3a wendet sich Jesus, jetzt präsentisch formuliert (leÂgei29), an den aÍnurvpow, wobei der in wörtlicher Rede wiedergegebene Befehl (eÍgeire ktl.) in V. 3b implizit auf die Anwesenheit der »sie« von V. 2 Bezug nimmt (eiÆw toÁ meÂson), ohne daß jene dabei aber im eigentlichen Sinne eine Rolle spielen. Übergangslos spricht Jesus in V. 4a, wiederum präsentisch formuliert (leÂgei), »sie«30 an und stellt ihnen eine doppelte Alternativfrage; diese Frage nimmt offenkundig in erster Linie auf ihr in V. 2 geschildertes Verhalten und jedenfalls nicht unmittelbar auf den anwesenden aÍnurvpow Bezug. In V. 4b erfährt man durch eine äußerst knapp formulierte Aussage (im Aorist), daß sie auf diese Frage hin schwiegen (auch in V. 2 hatten sie nicht gesprochen). Man könnte sagen, daß dieses »Schweigen« dem völligen Fehlen einer Reaktion der Pharisäer auf Jesu Aussagen in 2,25–27(28) entspricht. Daraufhin erfolgt in V. 5a eine auf das Schweigen der Umstehenden bezogene Reaktion Jesu. Dabei wird zunächst (V. 5aa) das mitgeteilt, was als äußerlich sichtbar vorgestellt ist (periblecaÂmenow ayÆtoyÂw; möglicherweise ist auch die Gefühlsregung met’ oÆrghÄw als nach außen hin erkennbar gedacht31; dann (V. 5ab) folgt der Hinweis auf das, was jedenfalls der Erzähler »weiß«, nämlich Jesu Be25 Dabei spielt es keine Rolle, ob man die Aussage von 2,28 als einen an die Erzählung angefügten Kommentar des Erzählers oder noch als Teil der wörtlichen Rede Jesu (2,27.28) versteht. 26 Es wird nicht ausdrücklich gesagt, ob es sich bei dem a Í nurvpow um einen Mann handelt; allerdings ist bei Mk stets klar gesagt, wenn von einer Frau die Rede ist. 27 Man braucht nicht anzunehmen, daß im Verb parathrei Än der Zug des womöglich für alle sichtbaren lauernden Blicks enthalten ist. Der Erzähler weiß einfach, daß sie ihn beobachten, ohne daß dies äußerlich direkt wahrnehmbar sein müßte. 28 In 2,24 äußern sich die Pharisäer dagegen in wörtlicher Rede. 29 In 2,25 wird die an die Pharisäer gerichtete Antwort Jesu ebenfalls mit dem präsentischen kaiÁ leÂgei eingeleitet. 30 In der vorangegangenen Perikope führt der Erzähler das Logion 2,27 ebenfalls neu ein, obwohl dort, anders als in 3,3.4, die Adressaten gar nicht wechseln (kaiÁ eÍlegen ayÆtoiÄw bezieht sich auf die schon in 2,25.26 angesprochenen Pharisäer); ursprünglich knüpfte V. 27 offenbar direkt an V. 24 (eÍlegon ayÆtv Äì) an. 31 Vgl. dazu Zwick, Montage (s. Anm. 23), 287 f.

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wertung des Schweigens als pvÂrvsiw thÄw kardiÂaw ayÆtv Ä n. In V. 5b schließen sich vier sehr kurze Sätze an, die die Handlung rasch vorantreiben: Jesus wendet sich (Präsens: leÂgei) an den aÍnurvpow (vgl. V. 3a) und gibt ihm einen weiteren Befehl (vgl. V. 3b). Der befolgte (jetzt Aorist) diesen Befehl (der Subjektwechsel bei eÆjeÂteinen ist nicht ausdrücklich markiert, aber selbstverständlich vorausgesetzt), und seine Hand (hë xeiÁr ayÆtoyÄ steht betont am Schluß) wurde wiederhergestellt. In V. 6 erfährt man beiläufig, daß die in V. 2 eingeführten »sie« oië FarisaiÄoi sind32; sie fassen – nachdem sie die Synagoge verlassen haben – gemeinsam mit den Herodianern einen gegen Jesus (kat’ ayÆtoyÄ) gerichteten Beschluß, den der Erzähler jedenfalls inhaltlich zu referieren vermag33.

3. Die Erzählung Mk 3,1–6 knüpft formal und inhaltlich an 2,23–28 an. Man muß sogar sagen, daß sie das dort erzählte Geschehen voraussetzt und ohne dieses im Grunde gar nicht wirklich verständlich ist; sie weist darüber hinaus deutliche Beziehungen zum weiteren Kontext des Markusevangeliums auf. Die folgende nach den Kriterien der formgeschichtlichen und redaktionskritischen Methode vorgehende Analyse soll diese These näher belegen. Der am Anfang stehende Hinweis auf Jesu Gang in die Synagoge (3,1a) erinnert durch paÂlin gezielt an 1,21b (eiÆseluvÁn eiÆw thÁn synagvghÂn), weshalb man vermuten kann, daß abermals an die Synagoge von Kapharnaum gedacht werden soll. Ob sich mit dem Gang in die Synagoge eine bestimmte Absicht verbindet, wird im Unterschied zu 1,21 (eÆdiÂdasken) nicht gesagt. Auch fehlt, anders als in 1,21, eine Zeitangabe; doch ist von 2,23–28 her klar, daß die Szene jedenfalls im jetzigen Kontext am Sabbat spielt34. Die Erwähnung des sich eÆkeiÄ aufhaltenden aÍnurvpow (3,1b) entspricht der Einführung des »Besessenen« in 1,23; der Hinweis auf die Behinderung des Mannes35 läßt nach den Erzählungen in 1,21–2,12 von vornherein eine Wundertat Jesu und also dementsprechend eine Wundererzählung erwarten. In 3,2 geschieht jedoch etwas im Rahmen einer Wundererzählung völlig Untypisches: Es werden Menschen erwähnt, die Jesu zu erwartendes Verhalten kri-

32 Möglich wäre auch, daß die Pharisäer nur als eine Gruppe innerhalb der »sie« von V. 2 zu denken sind; dann bliebe allerdings völlig offen, wie die anderen in der Synagoge anwesenden Menschen reagieren. 33 In gewisser Weise kann man 3,6 mit 2,28 parallelisieren, insofern in beiden Aussagen Schlußfolgerungen aus dem vorangegangenen Geschehen gezogen werden. 34 In 3,2 wird die Zeitangabe »am Sabbat« dann explizit angefügt. 35 Wie man sich die »verdorrte« Hand vorzustellen hat, zeigt das Strafwunder 1 Kön 13,4–6 (V. 4 LXX: eÆjeraÂnuh hë xeiÂr); vgl. auch die analogen, sehr knapp erzählten Wunderberichte bei Philostrat (VitApoll III 39) und Tacitus (Hist IV 81).

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tisch beobachten36, und zwar – wie ausdrücklich gesagt wird – in der Absicht, ihn »anklagen« zu können. Die Wendung kaiÁ parethÂroyn ayÆtoÁn eiÆ ist in einer Wundererzählung ebenso ungewöhnlich, wie es die kritischen Überlegungen der Schriftgelehrten in 2,6 gewesen waren. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, daß Jesus in 3,1, anders als zuvor in 2,5, weder etwas gesagt noch gar etwas getan hatte, wodurch das parethÂroyn ayÆtoÂn in 3,2 plausibel gemacht würde. Überdies erfahren wir, wiederum anders als in 2,6, nicht, wer die kritischen Beobachter überhaupt sind; man könnte vermuten, daß es sich analog zu eÆjeplhÂssonto in 1,22 einfach um weitere in der Synagoge anwesende Menschen handelt, doch es ist sehr unwahrscheinlich, daß sämtliche Synagogenbesucher Jesus derart skeptisch begegnen37. Die Unklarheit wird jedoch sofort beseitigt, wenn man 3,2 vom Kontext her, d. h. im Zusammenhang mit 2,23–28 liest: Die Leute von 3,2 sind offenkundig die Pharisäer, die nach ihrer Kritik am Verhalten der Jünger Jesu (2,24) und insbesondere nach Jesu Reaktion darauf (2,25–27) nun kritisch prüfen wollen, ob womöglich auch er selber das Sabbatgebot verletzen wird. Dabei ist 3,2 ganz aus der Perspektive des Erzählers formuliert; denn das in V. 2 geschilderte Tun ist nach außen hin ebensowenig wahrnehmbar, wie es die kritischen Gedanken der grammateiÄw in 2,6 gewesen waren. Daß ihre mit der Beobachtung des Verhaltens Jesu verbundene Absicht (Ïina kathgorhÂsvsin ayÆtoyÄ) auf eine für eine Verurteilung notwendige zweite Thoraverletzung zielt38, ist dabei wenig wahrscheinlich; in 2,23–28 war ja nicht Jesus der aktiv Handelnde gewesen. Vermutlich ist der Ïina-Satz also nicht rechtsgeschichtlich, sondern vom erzählerischen Rahmen des Evangeliums her zu erklären: Die Leser sollen sich fragen, ob Jesus das Wunder tun und wie die Reaktion der kritischen Beobachter dann aussehen wird39. Erst jetzt (3,3) ergreift Jesus die Initiative40, wobei der Erzähler betont ausführlich sagt, daß es der in V. 1 eingeführte Mann ist, den Jesus an36 Zur Bedeutung von parathreÂv s. H. Riesenfeld, Art. threÂv ktl., in: ThWNT VIII (1969) 146–148. 37 Im Rahmen einer Wundererzählung hätte dieser Erzählzug gar keinen Ort; und auf der redaktionellen Ebene des Mk wäre es zumindest sehr überraschend, wenn die Bewohner Kapharnaums nach den in 1,21–34; 2,1–12 geschilderten Ereignissen sich nun Jesus gegenüber derart kritisch verhielten. Schmithals, Markus I (s. Anm. 22), 192 meint deshalb, V. 2 habe in der »Grundschrift« des Mk (aus der der genannte Textabschnitt im wesentlichen stamme) noch gefehlt und sei erst vom Evangelisten eingefügt worden. In der ursprünglichen Erzählung 3,1.3–5* seien, anders als in der ursprünglichen Erzählung der »Grundschrift« 2,23–27, »nicht mehr die Pharisäer Jesu Gesprächspartner . . ., sondern die Synagogengemeinde als ganze, die als solche keineswegs pharisäisch gesonnen ist.« (193) Wenn diese Analyse richtig sein sollte, müßte man allerdings fragen, welchen Anlaß die Doppelfrage in V. 4 hat. 38 S. Anm. 6. 39 Diese Frage ist keineswegs als durch V. 2 schon entschieden anzusehen; immerhin hatten die Schriftgelehrten in 2,6 eine gravierende Feststellung getroffen (blasfhmeiÄ), daraus dann aber doch keine Konsequenzen gezogen, sondern möglicherweise im Gegenteil in das dojaÂzein toÁn ueoÂn (2,12) mit eingestimmt. 40 Zum präsentischen leÂgei vgl. 2,5.

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spricht41. Erstaunlicherweise folgt aber weder ein Heilungswort noch, wie in 2,5b, ein Wort des Zuspruchs, sondern lediglich die Aufforderung eÍgeire eiÆw toÁ meÂson; im Rahmen des Erzählablaufs ist dies deutlich als ein Verzögerungselement zu werten, d. h. V. 3 dient in erster Linie dazu, die Spannung zu erhöhen42: Für die Anwesenden und insbesondere für die Leser des Markusevangeliums wird die Frage noch dringlicher, ob Jesus den Mann jetzt, also am Sabbat (V. 2), heilen wird oder nicht. Jesus bleibt auch in 3,4 der Handelnde bzw. Redende. Seine an »sie« (ayÆtoiÄw), d. h. an die Pharisäer, gerichtete Frage eÍjestin toiÄw saÂbbasin aÆgauoÁn poihÄsai ktl. läßt sich geradezu als direkte Reaktion auf die von den Pharisäern in 2,24 getroffene Feststellung ti poioyÄsin toiÄw saÂbbasin oÊ oyÆk eÍjestin poihÄsai lesen: Die Pharisäer wissen, was »am Sabbat zu tun erlaubt« ist und was nicht, und so stellt ihnen Jesus eine entsprechende Frage43. Allerdings fragt Jesus nicht, ob man (oder auch: er) am Sabbat heilen dürfe; seine im parallelismus membrorum formulierte Frage enthält vielmehr eine Alternative, die sich gar nicht unmittelbar auf den konkreten Anlaß bezieht44. Die Antwort auf die erste Alternativfrage (aÆgauoÁn poih Ä sai hà kakopoih Ä sai) müßte nämlich eigentlich lauten, daß dem biblischen Gebot zufolge das »Tun« am Sabbat überhaupt zu unterlassen ist45, daß also beide von Jesus genannten Möglichkeiten nicht in Betracht kommen. Das gilt noch deutlicher für die zweite von Jesus formulierte Frage: Die Alternative cyxhÁn sv Ä sai hà aÆpokteiÄnai stellt sich im gegebenen Fall gar nicht, da die zur Diskussion stehende mögliche Heilungshandlung Jesu keinesfalls lebensrettend und eine unterlassene bzw. zeitlich aufgeschobene Heilung jedenfalls nicht »tötend« wäre46. Wenn die Pharisäer als Reaktion auf Jesu Fragen schweigen (V. 4b), so ist das erzählerisch mithin kaum plausibel; »historischen« Pharisäern wäre die generelle Zurückweisung der beiden von Jesus mit seinen ironischen Fragen aufgestellten Alternativen ohne weiteres möglich gewesen.

41 Die kleine Variante th Á n jhraÁn xeiÄra eÍxonti statt eÆjhrammeÂnhn eÍxvn thÁn xeiÄra ist von zahlreichen Handschriften korrigiert worden. 42 e Í geire meint nach Schmithals, Markus I (s. Anm. 22), 194, daß Jesus den Kranken vom Tode zur Auferstehung des Lebens ruft; eiÆw toÁ meÂson sei als symbolische Handlung zu sehen: »der Gelähmte ist der Repräsentant aller; sie alle, die dem Gesetz unterworfen sind, sollen sich in ihm wiedererkennen.« Zu beachten ist, daß nach der Analyse von Schmithals V. 2 nicht zum ursprünglichen (»Grundschrift«-)Text gehört (s. die folgende Anm.). 43 Auf den Zusammenhang von 3,4 und 2,24 verweist auch Schmithals, Markus I (s. Anm. 22), 193. 44 Nach F. Vouga, Je ´ sus et la loi selon la tradition synoptique, Genf 1988, 56, handelt es sich um eine ironische Frage. 45 Vgl. die LXX-Fassung von Ex 20,10 bzw. Dtn 5,14: oyÆ poih  seiw eÆn ayÆth Ä (sc. dem Sabbattag) pa Ä n eÍrgon. 46 Nach Vouga, Je ´ sus (s. Anm. 44), 56 f., ist die zweite Alternativfrage in V. 4 redaktionell mk; im Stichwort aÆpokteiÄnai sieht Vouga mit Recht einen Vorverweis auf V. 6 (s. dazu u.).

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Bei V. 4 kann es sich nicht um ein ursprünglich selbständiges Jesuslogion handeln, da diese doppelte Frage jedenfalls auf einen Kontext angewiesen ist47. Wollte man versuchen, aus V. 4 ein Logion zu rekonstruieren, so müßte man annehmen, daß ein solches Logion ursprünglich als positive Aussage formuliert gewesen war48, etwa: »Es ist erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun, nicht Böses« bzw. »Es ist erlaubt, am Sabbat Leben zu retten, nicht, zu töten«. Zumindest das erste der beiden hypothetisch gewonnenen Logien hätte, im Unterschied zum Logion von 2,27, faktisch die Preisgabe des Sabbatgebots bedeutet, da »Gutes tun« dann unterschiedslos an jedem Tag geboten wäre, während Böses tun weder am Sabbat noch an einem anderen Tag »erlaubt« ist; die besondere Rolle des Sabbats wäre in einem solchen Logion bewußt negiert worden. Das zweite Logion bliebe in jedem Fall auf einen Kontext angewiesen49. Von daher legt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Annahme nahe, daß V. 4 gerade mit den beiden zugespitzten Negativaussagen (»Böses tun«, »töten«) von vornherein mit Blick auf die erzählte Szene, und zwar insbesondere auch schon mit Blick auf V. 6, formuliert worden ist: Nach dem von Jesus vollbrachten Heilungswunder beschließen die Pharisäer, Jesus zu vernichten – d. h. sie sind es, die am Sabbat Böses tun und die jedenfalls planen zu töten50. In 3,5 wird zunächst auffallend ausführlich Jesu Reaktion auf das Schweigen der Pharisäer geschildert. periblecaÂmenow ist eine typisch markinische, vermutlich an allen Stellen der Redaktion zuzuweisende Wendung51. Vom »Zorn« Jesu dagegen redet das Markusevangelium sonst zwar nicht52; aber der Begriff paßt im Kontext sehr gut, weil Jesus, wie es dann weiter heißt, Trauer empfindet über die pvÂrvsiw th Ä w kardiÂaw ayÆtv Ä n (vgl. 6,52; 8,17; ferner sklhrokardiÂa in 10,5). Lührmann betont, die Verhärtung der Herzen liege darin, »daß sie sich dem Anspruch Jesu, der Herr auch über den Sabbat ist (2,28), entziehen.«53 Mit dieser Auslegung 47 Weiss, Lehre (s. Anm. 19), 119, meint, V. 4 sei ein selbständiges (freilich nicht authentisches, 123) Logion gewesen und die Frageform »aus der Verwendung von V 4 in der lebendigen Debatte der Gemeinde« zu erklären. Aber für die Annahme, V. 4 sei ursprünglich einmal nicht als Frage formuliert gewesen, gibt es kein Indiz. 48 Für die Authentizität plädiert E. Lohse, Jesu Worte über den Sabbat, in: ders., Die Einheit des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1973, 62–72, hier 68 f. In Lohses Argumentation wird dabei aus der Frage unversehens eine Aussage: »Jesus verkündet mit diesem gegen jede gesetzliche Frömmigkeit gerichteten Spruch die erbarmende Liebe Gottes, die er den Kranken und Elenden nicht nur im Wort, sondern auch in der heilenden und helfenden Tat erweist« (69; Hervorhebung von mir). 49 Die Aussage »Es ist am Sabbat erlaubt, Leben zu retten«, würde immer schon auf den Kontext einer Diskussion darüber verweisen, ob Lebensrettung am Sabbat erlaubt ist oder nicht. 50 Vgl. die oben Anm. 46 erwähnte These von Vouga. 51 Vgl. 3,34; 9,8; 10,23; 11,11, außerdem periebleÂpeto in 5,32. Sonst begegnet das Verb im NT nur noch Lk 6,10, d. h. in der unmittelbaren Parallele zu Mk 3,5. 52 In 1,41 dürfte die westliche Lesart (oÆrgisueiÂw statt splagxnisueiÂw) trotz ihres Charakters als lectio difficilior sekundär sein. 53 Lührmann, Markus (s. Anm. 15), 66.

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ist der Bezug zum weiteren Kontext richtig gesehen; aber es besteht vor allem auch ein Bezug zum unmittelbaren Kontext, nämlich zu V. 4 und damit auch zu V. 6: Die »Verhärtung des Herzens« der Pharisäer wird sogleich darin manifest werden, daß sie sich gerade dafür entscheiden, am Sabbat tatsächlich Böses zu tun. Das Urteil pvÂrvsiw bezieht sich jedenfalls nicht einfach auf das Schweigen der Pharisäer, als wolle Jesus in erster Linie Kritik daran üben, daß sie ihre Meinung nicht offen aussprechen54. Jetzt folgt eine zweite Anrede an den aÍnurvpow; er erhält den Befehl, eine bestimmte – am Sabbat zweifellos erlaubte – Handlung zu vollziehen, und nachdem er das getan hat, ist seine Hand wiederhergestellt. Man kann fragen, ob Jesu Wort in V. 5b als Heilungswort55 bzw. als eine auf die bevorstehende Demonstration des Wunders bezogene Anweisung56 anzusehen ist; war der Mann bislang außerstande gewesen, seine Hand auszustrecken, so daß die Ausführung des Befehls (eÆjeÂteinen) schon das Wunder ist? Oder soll man sich vorstellen, daß erst die von dem Mann ohne weiteres ausgestreckte Hand »wiederhergestellt« wird? Die Formulierung eÆjeÂteinen kaiÁ aÆpekatestaÂuh hë xeiÁr ayÆtoyÄ spricht eher für die zweite der beiden möglichen Deutungen. Entscheidend ist, daß die bloße Aufforderung eÍkteinon thÁn xeiÄra das Wunder bewirkt, womit unterstrichen wird, daß Jesus zwar am Sabbat geheilt (V. 2) hat, daß dabei aber das Sabbatgebot nicht durch ein unerlaubtes »Tun« verletzt wurde. Gleichwohl verlassen die Pharisäer die Synagoge (V. 6)57 und fassen gemeinsam mit den (bislang nicht erwähnten) »Herodianern«58 den Beschluß59, Jesus zu vernichten60. Diese Notiz steht formal an der Stelle einer Akklamation, wie sie im Munde des bei einem Wunder anwesenden Publikums oft begegnet (vgl. Mk 2,17 f. und 2,12); das in 3,1–5 vorausgesetzte Publikum bestand aber offenbar ausschließlich aus denen, die Jesus anzuklagen beabsichtigten (V. 2)61; und sie reagieren genau so, wie es zu erwarten gewesen war. 54 Schmithals, Markus I (s. Anm. 22), 195, sieht in dem Mann mit der gelähmten Hand den Repräsentanten aller Anwesenden; diese erkennen sich in ihm wieder, »denn sie alle versetzt Jesu Frage, ob man am Sabbat Gutes oder Böses tun dürfe (4), in verlegenes Schweigen.« Das trifft den Sinn der Erzählung gewiß nicht; der Mann mit der gelähmten Hand gehört sicherlich nicht zu denen, die durch ihr Schweigen Jesu Zorn auf sich ziehen. Es bestätigt sich, daß V. 4 (und die Fortsetzung) unverständlich wird, wenn man V. 2 aus der Erzählung streicht (s. Anm. 37). 55 Vgl. demgegenüber in 1,41 das Wort an den Aussätzigen: kauariÂsuhti. 56 Vgl. dagegen die Anrede an den Gelähmten in 2,11: e Í geire aËron toÁn kraÂbattoÂn soy ktl. 57 eÆjeluo  ntew in V. 6 kontrastiert dem eiÆsh Ä luen von V. 1. 58 Das vieldiskutierte Problem, ob eine solche Kooperation historisch wahrscheinlich oder auch nur möglich ist, geht am Interesse des Textes vorbei (s. u.). 59 symboy  lion eÆdiÂdoyn ist im Vorgriff auf 15,1 (symboyÂlion poihÂsantew) formuliert; die Lesart der Codices D und U (eÆpoiÂhsan statt eÆdiÂdoyn) unterstreicht diesen Bezug noch (a und C lesen zwar ebenfalls eÆpoiÂhsan, in 15,1 dann aber eëtoimaÂsantew). 60 a Æ poleÂsvsin begegnet wieder in 11,18: oië aÆrxiereiÄw kaiÁ oië grammateiÄw . . . eÆzhÂtoyn pv Ä w ayÆtoÁn aÆpoleÂsvsin. 61 Vgl. dazu oben Anm. 32.

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Daß ergänzend zur »Religionspartei« der Pharisäer nun auch die politische Gruppe der Anhänger des galiläischen »Königs« (6,14) Herodes Antipas auf den Plan tritt, ist als ein Vorausverweis auf das Kommende zu lesen: Nicht nur werden in 12,13 »einige« der Pharisäer und der Herodianer (in Jerusalem!) Jesus mit der Frage nach der Steuer für den Kaiser konfrontieren, Ïina ayÆtoÁn aÆgreyÂsvsin loÂgvì, sondern schon vorher werden die Leser über die Hinrichtung Johannes des Täufers durch Herodes informiert werden (6,14–29); d. h. spätestens dort werden sie aus dem Text erfahren, daß die Herodianer über reale Macht verfügen62.

4. Lührmann und andere Exegeten halten es für wahrscheinlich, daß innerhalb des Abschnitts Mk 2,1–3,6 eine kleine vormarkinische Sammlung von Konfliktszenen verarbeitet ist; sie habe vermutlich mit 2,15 begonnen, was nach Lührmann daran erkennbar ist, daß an die Stelle der Schriftgelehrten als der für Markus typischen Gegner Jesu63 nun in 2,16 »die Schriftgelehrten der Pharisäer« und schließlich in 2,18 und in 2,24 »die Pharisäer« getreten sind64. Unabhängig von der Frage, ob diese Analyse zutrifft oder der Abschnitt 2,1–3,6 auf die markinische Redaktion zurückgeht, erweisen sich die Erzählungen 2,1–12 einerseits und 3,1–6 andererseits als bewußt vom Evangelisten Markus gestaltete Rahmung, die den Sinn hat, Jesu in den Konfliktszenen dargestellte Vollmacht zur Sündenvergebung, zum Umgang mit »Zöllnern und Sündern«, zur Frage der Fastensitte und zur Auslegung des Sabbatgebots nicht nur zu behaupten, sondern unter Beweis zu stellen. In der einleitenden Erzählung ergänzt Markus eine ursprüngliche Wundererzählung, die gut an 1,21–45 anschließt, so durch ein Streitgespräch, daß das Wunder nun dazu dienen kann, Jesu eÆjoysiÂa zur Sündenvergebung für alle Anwesenden im eigentlichen Sinne des Wortes sichtbar (Ïina deÁ eiÆdh Ä te . . .)65 zu machen. Als Abschluß bildete der Evangelist eine analoge Erzählung, in der aber das Wunder eigentlich keinen Beweischarakter besitzt, sondern im Gegenteil von den Gegnern als eben jene Thoraverletzung aufgefaßt wird, auf die sie gewartet hatten (3,2) und die nach ihrer Auffassung einen Todesbeschluß zu rechtfertigen vermag (3,6)66. 62 Auch in 8,15 werden die Pharisäer und Herodes nebeneinander genannt, und es wird vor ihrem »Sauerteig« gewarnt. 63 Vgl. die programmatische Notiz in 1,22, ferner 2,6. Zur Sache vgl. D. Lührmann, Die Pharisäer und die Schriftgelehrten im Markusevangelium, ZNW 78 (1987) 169–185. 64 Lührmann, Markus (s. Anm. 15), 56. 65 Es ist keineswegs auszuschließen, daß nach der Intention des Erzählers der positive »Chorschluß« in 2,12 (eÆjiÂstasuai paÂntaw) die anwesenden grammateiÄw (2,6) einschließt (s. Anm. 39). 66 Man kann fragen, ob 3,6 möglicherweise eine ähnliche Funktion hat wie zuvor vielleicht auch 2,7: Wenn Jesus in 2,5b in pass. Formulierung zu dem Gelähmten sagt aÆfiÂentai soy aië aëmartiÂai, dann hat nicht er die Sünden vergeben, und dennoch behaupten die anwesenden

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Gewiß ist es denkbar, daß die in 3,1–6 geschilderte Szene der wunderbaren Beseitigung einer körperlichen Behinderung von Markus nicht »frei erfunden« wurde. Die Sätze V. 1b und 5b ergäben durchaus eine »vollständige«, stilgemäße Wundererzählung67; allerdings wäre eine derart knappe Notiz über ein Wunder innerhalb der Jesusüberlieferung formgeschichtlich ohne Parallele – selbst die Szene in Mk 1,30 f. ist ausführlicher erzählt68. So kann man entweder annehmen, daß der Evangelist eine ihm überlieferte, ursprünglich ausführlicher erzählte Wundergeschichte für den von ihm angestrebten Zweck erheblich verkürzt hat; oder man kann vermuten, daß er sich bei der Bildung der Szene 3,1–6 im Blick auf die Darstellung des Wunders bewußt auf eine sehr knappe Andeutung beschränkt hat. Berücksichtigt man die relative Breite der übrigen Wundererzählungen im Markusevangelium, so ist die zweite Annahme die deutlich wahrscheinlichere69. Dabei hat der Evangelist die Art der Behinderung des Mannes offensichtlich mit größtem Bedacht gewählt: Eine »verdorrte« Hand kann einerseits nicht als lebensbedrohlich gelten70 (und der Wechsel vom partizipialen eÆjhrammeÂnh zum Adjektiv jhra scheint überdies anzudeuten, daß es sich nicht um eine akut eingetretene Lähmung, sondern um eine bereits vor längerer Zeit erworbene, freilich nicht angeborene Behinderung handelt). Andererseits ist die Hand aber der zum »Tun« wichtigste, und das heißt zugleich: der im Zusammenhang der Sabbatproblematik sinnfälligste Körperteil des Menschen71. Beide Schriftgelehrten, Jesus habe Gott gelästert; in 3,6 beschließen die Gegner Jesu Tod, obwohl er keine »Arbeit« getan hat, die am Sabbat zu tun nicht erlaubt gewesen wäre. Die Diskussion darüber, ob und in welchem Umfang ein Arzt am Sabbat heilen darf, trifft auf die Szene 3,1–5 nicht zu, denn Jesus handelt nicht als Arzt, sondern er heilt als Wundertäter durch sein bloßes Wort. 67 h Î n aÍnurvpow eÆjhrammeÂnhn eÍxvn thÁn xeiÄra. kaiÁ [oë ÆIhsoyÄw] leÂgei tv Äì aÆnurvÂpv´ ì eÍkteinon thÁn xeiÄra. kaiÁ eÆjeÂteinen kaiÁ aÆpekatestaÂuh hë xeiÁr ayÆtoyÄ. Nach B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996, 239 Anm. 2, ist ein solcher Text »eigenständig tradierfähig« (das Logion in 3,4 hält Kollmann [aaO., 249], für authentisch). Bei der in Anm. 35 erwähnten Überlieferung bei Philostrat handelt es um eine äußerst knappe Notiz über die Heilung einer gelähmten Hand im Rahmen eines im übrigen etwas ausführlicher erzählenden Sammelberichts. Ähnliches gilt für das bei Tacitus überlieferte, dem Kaiser Vespasian zugeschriebene Wunder. 68 Dieser Vergleich findet sich auch bei J. Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit. Untersuchungen zum Werdegang von Mk 2,1–3,6 (AASF. DHL 40), Helsinki 1985, 241. Kiilunen kommt zu dem Ergebnis, Mk 3,1b. 5 habe keinen »überlieferungsgeschichtlichen Eigenwert«; wohl aber spiegele 3,1–6 im ganzen »eine konkrete Konfliktszene in der Wirksamkeit des historischen Jesus« wider (246). 69 Das schließt nicht aus, daß er Überlieferungen analog den in Anm. 35 erwähnten gekannt hat; zumindest gilt das für den biblischen Text. 70 Die Schwiegermutter des Simon wird, jedenfalls nach dem mk Kontext, am Sabbat vom Fieber geheilt; diese Heilung kann aber durchaus als eine lebensrettende gedacht sein (vgl. Lührmann, Markus [s. Anm. 15], 52: Fieber »ist zwar keine genaue Diagnose, wohl aber bedeutet es dem antiken Leser mehr als uns, daß sie in Lebensgefahr ist«). 71 Darauf verweist auch Schmithals, Markus I (s. Anm. 22), 194, der das Ganze dann aber wieder symbolisch deutet: »Ein Mensch mit gelähmter Hand ist also ein zum Handeln unfähig

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Aspekte zeigen, daß es gar nicht erforderlich war, die Heilung unmittelbar am Sabbat zu vollziehen72. Insofern entspricht die ganze dargestellte Situation dem vorangegangenen Ährenraufen am Sabbat. Gleichwohl ist die markinische Erzählung 3,1–6 nicht einfach die Darstellung einer unnötigen Provokation der Pharisäer durch Jesus. Vielmehr bildet die Szene »In der Synagoge« insofern die notwendige Ergänzung zur Szene »In den Saaten«, als es nun um Jesu eigenes Verhalten am Sabbat geht: Hatte Jesus in 2,23–28 die Sabbatverletzung der Jünger legitimiert (2,27), verbunden mit der an 2,10 anknüpfenden Folgerung, er, der »Menschensohn«, sei Herr auch über den Sabbat73, so will Markus nun zeigen, daß Jesu eigene Praxis dem entspricht. Der Jesus aber, von dem Markus in 3,1–6 erzählt, provoziert nicht – etwa dadurch, daß auch er eine gänzlich unnötige Handlung vollzieht, um so seine Überlegenheit über das Sabbatgebot zu demonstrieren; sondern er vollbringt ein Wunder, das einem körperlich behinderten Menschen hilft. Diesem Wunder wird zwar nicht ausdrücklich im Text, wohl aber indirekt durch den Kontext der zuvor in Mk 2 geschilderten Szenen ein Legitimationscharakter zugesprochen74. Durch 3,6 zeigt Markus dann aber, daß gerade diese Tat – möglicherweise im Unterschied zum Sündenvergebungswort in 2,5b75 – von Jesu Gegnern nicht mehr toleriert wird. Im betonten Gegensatz zur Aussage von 3,6 wird dann im folgenden (3,7 f.) vom Evangelisten mitgeteilt, daß eine aus der gesamten näheren und weiteren Umgebung kommende Volksmenge (polyÁ plhÄuow) gerade auf Jesu Tun (oÏsa eÆpoiÂei) positiv reagiert habe.

5. Historisch dürfte es durchaus wahrscheinlich sein, daß sowohl die in 2,23–28 verarbeitete vormarkinische Erzählung als auch die im Anschluß daran von Markus redaktionell geschaffene Szene 3,1–6 zum Verhalten Jesu nicht im Widerspruch stehen; dafür spricht schon die mutmaßliche Authentizität des Logions in 2,27. Die erzählten Konkretionen (Ährenraufen der Jünger Jesu, Heilung einer gewordener Mensch. Stellt Jesus ihn in die Mitte der Synagogengemeinde, so soll sich jeder als ein solcher zum Handeln unfähig gewordener Mensch verstehen, der sein Handeln unter die Normen des ›Gesetzes‹ stellt.« 72 Der Hinweis von Theißen/Merz, am nächsten Tag könne der wandernde Wundertäter schon wieder weitergezogen sein (s. o. Anm. 11), beachtet nicht, daß der Wundertäter am Sabbat nicht wandert und daß er die Heilung auch am Abend nach dem Ende des Sabbats hätte vollziehen können (vgl. Mk 1,32–34). 73 S. Anm. 25. 74 Insofern ist die Zuordnung von 3,1–5(6) zu den »Normenwundern« sachgemäß, vgl. G. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien (StNT 8), Gütersloh 1974, 120. 75 S. o. Anm. 66.

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gelähmten Hand durch Jesus selber) sind demgegenüber erkennbar fiktional: In 2,23–28 stehen »die Jünger« offensichtlich für die Gemeinde, die einerseits die überkommenen Auslegungsnormen des Sabbatgebots nicht mehr einhält, die aber andererseits nun doch glaubt, dies rechtfertigen zu müssen76; in 3,1–6 kam es Markus offenbar darauf an, den Gedanken auszuschließen, es könne ein Widerspruch oder auch nur eine Spannung bestehen zwischen Jesu Rechtfertigung des Jüngerverhaltens und seinem eigenen Tun. So hat der Evangelist die Erzählung 3,1–6 zum einen deshalb gebildet, weil er den mit 2,1 begonnenen Abschnitt inhaltlich und formal angemessen zum Abschluß bringen wollte. Die Szene verdankt sich zum andern aber offenbar demselben Interesse, das Markus veranlaßt hatte, zwischen die aus der Tradition stammenden Erzählungen in 1,21–31 einerseits und 1,40–45 andererseits mit 1,32–34.35–39 ein (zweifaches) Summar einzuschieben: Die Szene 3,1–6 beschreibt zwar vordergründig betrachtet nur einen einzelnen Vorgang und erscheint deshalb als eine einzelne Erzählung; faktisch aber hat sie zugleich den Charakter eines Summars, insofern sie zeigt, daß der seit 2,16 prinzipiell bestehende Konflikt zwischen Jesus und den Pharisäern jetzt auf die Spitze getrieben worden ist. Dementsprechend wird im folgenden weder im Zusammenhang der Diskussion über »Rein und Unrein« (7,1–23) noch im Rahmen der Konfliktszenen in 8,11–13; 10,1–9; 11,27–12,27 eine der Notiz in 3,6 entsprechende Aussage wiederholt werden; vielmehr begegnet eine solche Aussage erst wieder unmittelbar zu Beginn der Passionserzählung (14,1), so daß man 3,6 geradezu als ein den Handlungsfaden des ganzen weiteren Evangeliums bestimmendes Signal zu verstehen hat77. In der Debatte um die Möglichkeit der Anwendung der formgeschichtlichen Methode bei der Exegese der synoptischen Evangelien vertritt W. Schmithals immer wieder nachdrücklich die These, es habe eine mündliche Stufe der synoptischen (Erzähl-)Tradition nie gegeben, sondern Ausgangspunkt der (angeblichen) »Tradition« sei in Wahrheit eine von vornherein literarisch entworfene »Grundschrift«, die vom Evangelisten Markus verarbeitet (und weithin fehlgedeutet) worden sei78. Demgegenüber geht D. Lührmanns Auslegung des Markusevangeliums von der Annahme aus, daß die formgeschichtliche Analyse der einzelnen im Markusevangelium enthaltenen Textabschnitte sinnvoll und eine

76 Ob die auf die Auslegung der Thora bezogenen Konflikterzählungen Auseinandersetzungen innerhalb des (Juden-)Christentums spiegeln oder aber eine Debatte zwischen Judenchristen und anderen Juden, läßt sich kaum sagen. 77 In gewisser Weise kann man die drei Leidensankündigungen 8,31; 9,31; 10,32–34 als auf 3,6 bezogen lesen, auch wenn in ihnen weder von den Pharisäern noch von den »Herodianern« die Rede ist. 78 Vgl. W. Schmithals, Kritik der Formkritik, ZThK 77 (1980) 149–185; ders., Vom Ursprung der synoptischen Tradition, ZThK 94 (1997) 288–316. Vgl. vor allem auch den in Anm. 22 genannten Kommentar zum Markusevangelium.

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jedenfalls annähernd zu erreichende Rückführung auf vormarkinische Überlieferung kontrollierbar möglich ist79. Der im vorstehenden Aufsatz unternommene Versuch, die Erzählung Mk 3,1–6 als eine rein redaktionelle, also im eigentlichen Sinne »literarische« Bildung des Evangelisten zu lesen, könnte als ein Plädoyer zugunsten der Hypothese von Schmithals angesehen werden; tatsächlich aber stimmt die vorgetragene Argumentation im Gegenteil mit Lührmanns Annahme der grundsätzlichen Richtigkeit der formgeschichtlichen Methode überein: Diese Methode ermöglicht es in überprüfbarer Weise, »Tradition« und »Redaktion« voneinander zu trennen, d. h. die aus der Tradition übernommenen Texte von denen zu unterscheiden, die in Anlehnung an solch traditionelle Überlieferung redaktionell geschaffen, also literarisch gebildet worden sind.

79 Vgl. die grundsätzlichen Ausführungen in der Einleitung von Lührmanns Markuskommentar, vor allem 12–15 (»Die Quellen«) und 15–20 (»Das Werk«).

Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8) und ihre Auslegung als allegorisches Gleichnis Die als selbstverständlich geltende Annahme, daß die in den synoptischen Evangelien als parabolai überlieferten Erzählungen Jesu durchweg metaphorisch als Gleichnisse (bzw. Parabeln) vom Reich Gottes verstanden werden müßten, ist von Franc¸ois Vouga in Zweifel gezogen worden1. Er begründet dies unter anderem mit der – zutreffenden – Beobachtung, daß die Bezugnahmen auf die basileiÂa toyÄ ueoyÄ in den Gleichniseinleitungen sich häufig als traditionsgeschichtlich sekundär erweisen lassen, woraus er dann die – nun freilich hypothetische – Annahme ableitet, diese Einleitungen seien immer sekundär; die jetzt als Gleichnisse erscheinenden Reden Jesu seien ursprünglich »dramatische Geschichten«, die »im Grotesken der Tragikomödie und in der Diskordanz von kleinen narrativen Skizzen das Schicksal von lächerlichen und ernsten Personen in Szene setzen«2. Das so verstandene »Gleichnis« zeichnet sich nach Vouga dadurch aus, »daß jeder Verweis außerhalb der tragikomischen Handlung, die es darstellt, fehlt«; der Erzähler stelle vielmehr »in dramatischer Hinsicht die Existenzmöglichkeiten dar, die für den Hörer oder den Leser gegenwärtig und möglich sind, solange dieser sich selbst im Augenblick versteht. Genauer: die Konfiguration der Handlung ist eine Inszenierung der anthropologischen Möglichkeiten, in denen sich die Existenz gewinnt oder verliert«3. Auch wenn man diese These nicht mit allen ihren Konsequenzen akzeptiert4, bleibt die Feststellung jedenfalls richtig, daß es in der Jesusüberlieferung sehr viele »Gleichnisse« bzw. »Parabeln« gibt, die einen expliziten Bezug zur Gottesherrschaft tatsächlich nicht aufweisen. Das aber bedeutet zugleich, daß sie nicht erkennen lassen, sie müßten überhaupt metaphorisch – eben als »Gleichnisse« – ausgelegt werden. Bemerkens-

1

F. Vouga, Jesus als Erzähler. Überlegungen zu den Gleichnissen, WuD 19 (1987) 63–85. AaO., 76.82. 3 AaO., 83 mit Bezug auf die Gleichnisauslegung von D. O. Via. 4 Beispielsweise ist es m. E. schwer vorstellbar, daß der Bezug der Verkündigung Jesu zur (als nahe vorgestellten) Gottesherrschaft insgesamt traditionsgeschichtlich sekundär sein soll, wie Vouga annimmt (vgl. aaO., 82: »So hat Jesus also nicht das Gottesreich angekündigt«); gerade das weitgehende Fehlen christologischer Bezüge in der Entfaltung der Reich-Gottes-Aussagen Jesu in den synoptischen Evangelien spricht eher für eine vorösterliche Tradition als für die Annahme einer rein auf die Gemeinde zurückgehenden Konstruktion. 2

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werterweise gilt das auch für die erste der in der markinischen Gleichnisrede Mk 4 überlieferten Erzählungen, die Geschichte vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8)5. In der Rahmenhandlung wird diese Erzählung zwar ausdrücklich als Beispiel für Jesu Lehren eÆn parabolaiÄw vorgestellt (VV. 2.10.13); aber der eigentliche Text, Jesu wörtliche Rede, setzt in V. 3 als reine Erzählung ein und enthält, anders als die beiden Gleichnisse Mk 4,26–29 und 4,30–32, keine gleichnistypische Einleitung. Dieser Sachverhalt muß bei der Auslegung von Mk 4,3–8 berücksichtigt werden. Nun wird allerdings in der Forschung bisweilen bezweifelt, daß der Textabschnitt Mk 4,3–8 traditionsgeschichtlich vom Kontext isoliert und also für sich ausgelegt werden dürfe. So meint Gerhard Sellin, das Gleichnis gehöre derselben literarischen Ebene an wie seine Deutung in V. 14–20; die erzählte Handlung sei also immer schon von ihrer allegorischen Interpretation her zu lesen gewesen6. Überdies mache auch die unmittelbare Rahmung (V. 3a und V. 9) dem Rezipienten von vornherein deutlich, »daß der Sinn versteckt sein soll«7. Nach der Analyse von Walter Schmithals bildet sogar der gesamte Abschnitt Mk 4,2–10.13–20 eine literarisch ursprüngliche Einheit als Teil der nach Schmithals dem Markusevangelium zugrundeliegenden »Grundschrift«; in dieser sei die Szene 4,2 ff. unmittelbar auf 3,35 gefolgt8. M. E. ist Schmithals’ Kritik an der von der formgeschichtlichen Methode vorausgesetzten Annahme, man könne bei Mk mehr oder weniger »sicher« zwischen Tradition und Redaktion(en) unterscheiden, nicht völlig unberechtigt9; das bedeutet aber nicht, daß eine solche Unterscheidung bei Mk generell unmöglich wäre. Gerade in Mk 4 lassen sich »Schichten« zwar nicht immer exakt voneinander abheben; aber im ganzen ist die Annahme gut begründet, daß wir es mit (teilweise schon vormarkinisch »redaktionell« verarbeiteten) Einzeltraditionen zu tun haben, die ihre endgültige Gestalt freilich erst durch Markus als den Verfasser des Evangeliums erhiel5 Zur Problematik der Überschrift gerade dieser (Gleichnis-)Erzählung vgl. etwa die Sammlung bei G. Lohfink, Das Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3–9), BZ 30 (1986) 36–69, hier 48 f. Der von mir gewählte Titel hat keine programmatische Funktion, sondern soll nur den Inhalt der Erzählung knapp wiedergeben. 6 G. Sellin, Textlinguistische und semiotische Erwägungen zu Mk 4.1–34, NTS 29 (1983) 508–530, hier 519. 7 AaO., 523. 8 W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus. Kapitel 1–9,1 (ÖTK 2/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn, 1979, 229–242. Nach Schmithals’ Analyse gehen die »Parabeltheorie« in V. 11 f. und die pluralische Formulierung taÁw parabolaÂw in V. 10 auf den Evangelisten zurück; in der »Grundschrift« hätte V. 10 ursprünglich so gelautet: kaiÁ hÆrvÂtvn ayÆtoÁn oië periÁ ayÆtoÁn thÁn parabolhÂn. Ähnliche Rekonstruktionen des »ursprünglichen« Texts von V. 10, die dessen Wortlaut mit dem von V. 13 ausgleichen sollen, finden sich in der Forschung auch sonst. 9 Vgl. A. Lindemann, Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a. Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem, in: C. Breytenbach/H. Paulsen (Hg.), Anfänge der Christologie. FS Ferdinand Hahn, Göttingen 1991, 185–207 (in diesem Band 70–92).

Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8)

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ten10. Insbesondere die These, daß die Auslegung der »Sämannsparabel« in Mk 4,14–20 eine V. 3–8 gegenüber traditionsgeschichtlich sekundäre Stufe repräsentiert, besitzt ein sehr hohes Maß an Wahrscheinlichkeit11. Mit Dieter Lührmann12 nehme ich an, daß die drei Textstücke in Mk 4,3–8; 4,26–29 und 4,30–32 ursprünglich selbständige, mündlich tradierte Einheiten waren; diese wurden dann (in griechischer Sprache) »redaktionell« zusammengestellt, wobei im Rahmen der so entstandenen kleinen Sammlung die Auslegung des ersten dieser Stücke in 4,13.14–20 entstand, und zwar offensichtlich bereits schriftlich13. Mit großer Wahrscheinlichkeit erst das Werk des Evangelisten sind die in V. 1.2 erzählte, das Ganze eröffnende Rahmenhandlung und die Verbindung mit den Bildworten in V. 21–2514. Sofern auch die Erwähnung der »Zwölf« in V. 10 auf Markus zurückgeht15, müßte die in V. 10–12 erzählte Szene schon als Teil der vormarkinischen »Redaktion« existiert haben, ohne daß der Wortlaut sicher zu rekonstruieren wäre. Sollten diese Annahmen im wesentlichen zutreffen, so bedeutet dies, daß Mk 4,3–8 ursprünglich weder eine Parabel noch ein Gleichnis ist, sondern daß es sich um eine nicht-metaphorische Erzählung handelt, die zunächst einmal als solche interpretiert werden muß. Die methodische Notwendigkeit einer solchen Auslegung besteht auch dann, wenn man sich auf einen Interpretationsansatz rein auf der Ebene der »Synchronie« beschränken wollte; denn die erzählte Handlung setzt ja voraus, daß es Hörer gibt, die allein den Wortlaut von Mk 4,3–8(9) verÄ w oë oÍxlow »hört«16. nehmen. Es ginge also darum, das nachzuzeichnen, was pa Die Erzählung beginnt (V. 3) damit, daß in wenigen Worten von der alles Folgende auslösenden Handlung berichtet wird: »Siehe17, der18 Sämann ging 10 Vgl. dazu vor allem Ph. Sellew, Oral and Written Sources in Mark 4.1–34, NTS 36 (1990) 234–267. M. E. gilt Ähnliches auch für Mk 7; »der komplizierte Aufbau läßt eine längere Überlieferungsgeschichte hinter dem Mk-Text vermuten« (D. Lührmann, Das Markusevangelium [HNT 3], Tübingen 1987, 125). 11 Vgl. Lohfink, Gleichnis (s. Anm. 5), 48 und vor allem J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 71965, 75–77. 12 Lührmann, Markus (s. Anm. 10), 81. 13 Vgl. Sellew, Sources (s. Anm. 10), 255. 14 So auch Lührmann, Markus (s. Anm. 10), 81. 15 Jedenfalls ist der betonte Rückbezug auf Mk 3,14–19 deutlich. 16 Vgl. zum Folgenden Lohfink, Gleichnis (s. Anm. 5), der sehr exakt die literarische Gestalt von Mk 4,3–8 nachzeichnet (»die Rahmung des Gleichnisses in den VV. 3a und 9 dürfte sekundär sein«, aaO., 45). Lohfink fragt zu Beginn (aaO., 36), ob das Gleichnis überhaupt von der Basileia sprechen wolle (zu seiner Antwort s. u.), und er erörtert ausführlich das Problem, ob eine Parabel oder ein Gleichnis vorliegt (aaO., 50–52); aber er diskutiert nicht, ob es sich möglicherweise ursprünglich gar nicht um ein Gleichnis handelt. 17 Anders als das voranstehende a Æ koyÂete ist die Demonstrativpartikel iÆdoy zwar Aufmerksamkeit fordernder Imperativ, aber nicht Hinweis auf einen möglichen Doppelsinn des Folgenden. 18 Nach E. Klostermann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 51971, 40 ist der bestimmte Artikel hier nicht anders zu deuten als bei taÁ peÂteina (V. 4) oder taÁw aÆkaÂnuaw (V. 7)

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aus19, um zu säen20.« Alles Weitere ist dann die mehr oder weniger zufällige Äì speiÂrein) Konsequenz dieser einen Handlung. Der Erzähler berich(eÆgeÂneto eÆn tv tet, was mit dem gesäten Saatgut geschah, wobei zwischen den einzelnen geschilderten Vorgängen und der Art der Schilderung selbst eine unmittelbare Wechselbeziehung besteht – die Schilderung wird immer ausführlicher, je mehr Zeit in der »erzählten Welt« zwischen der Aussaat und der Konstatierbarkeit des Ergebnisses verstreicht21, wobei dieses Ergebnis selbst dann am Ende jeweils sehr knapp festgehalten wird22. Die in V. 4b–8 geschilderten unterschiedlichen »Schicksale« des Saatguts werden in einer Weise erzählt, als handele es sich dabei um etwas völlig Erwartbares und jedenfalls Normales: Ein Teil des Saatguts (oÊ meÂn) fiel beim Säen »auf den Weg« (V. 4b). Um welche Art »Weg« es sich handelt, wird nicht gesagt, und es spielt auch überhaupt keine Rolle23; jedenfalls ist die oëdoÂw so fest, daß »die Vögel« – die das Aussäen offenbar begleiten – die dorthin gefallenen Samenkörner ohne weiteres aufpicken und fressen können24. Die sehr knappe Formulierung und die allgemeine Erfahrung sprechen dafür, daß dies alles – auch wenn ein eyÆuyÂw fehlt – Ä dew, relativ rasch erfolgte25. Ein weiterer Teil des Saatguts fiel (V. 5a) auf toÁ petrv wobei der oÏpoy-Satz sogleich verdeutlicht, was man sich darunter vorzustellen hat26. Diesen Bodenverhältnissen entspricht das weitere Geschehen (V. 5b. 6): Zunächst ging das Saatgut in der leichten Ackerkrume rasch (eyÆuyÂw) auf; doch dann kam die Sonne, und die Saat »verbrannte«. Schließlich verdorrte sie, weil sie oder thÁn ghÄn thÁn kalhÂn (V. 8), d. h. es ist nicht angezeigt, daß es um einen bestimmten Sämann geht. 19 eÆjh Ä luen enthält auch auf der Mk-Ebene sicher keine Anspielung darauf, daß Jesus selbst schon mehrfach »ausgegangen« war (1,38; 2,13); gegen H.-J. Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten (NTA NF 13), Münster 1978, 198, der annimmt, daß der Sämann schon »in der Verkündigung Jesu die Funktion haben konnte, indirekt auf die Bindung des eschatologischen Geschehens an seine Person anzuspielen«. 20 Oft wird behauptet, schon das Stichwort speiÂrein besitze als solches metaphorischen Sinn; aber wo vom »Säen« metaphorisch gesprochen wird (was in der Tat häufig der Fall ist), wird in der Regel die Deuteebene ausdrücklich genannt (s. u. Anm. 37). Außerdem gibt es natürlich auch einen völlig nicht-metaphorischen Gebrauch dieses Wortes. 21 Zur Ausnahme in V. 5.6 s. u. 22 V. 4: kateÂfagen ayÆto  ; V. 6: eÆjhraÂnuh; V. 7: karpoÁn oyÆk eÍdvken; ausführlicher V. 8: eÆdiÂdoy karpoÁn aÆnabaiÂnonta kaiÁ ayÆjanoÂmena kaiÁ eÍferen . . . 23 Lohfink, Gleichnis (s. Anm. 5), 52 (mit Anm. 63) spricht vom »Wege ohne genaue Begrenzung« und polemisiert gegen Schmithals, bei dem von der »harten Straße« die Rede ist. Aber immerhin erwähnt der Text einen offenbar doch identifizierbaren »Weg«, auf dem die Saat liegenbleibt. 24 Die Schilderung spricht eigentlich eher gegen die – gern »landeskundlich« begründete – Annahme, daß erst nach dem Säen gepflügt wurde und der Sämann das Saatgut also absichtlich auf den Weg warf; das »Kommen« der Vögel wird jedenfalls als ein völlig natürlicher (und im Grunde geradezu erwartbarer) Vorgang erzählt. 25 Die Deutung in V. 15 sagt es dann ausdrücklich: eyÆuyÁw e Í rxetai oë satana Ä w. 26 Vgl. dazu Klostermann, Markus (s. Anm. 18), 40: Es handelt sich nicht um einen steinigen Acker, sondern um von dünner Erdschicht bedeckten Fels.

Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8)

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keine Wurzeln hatte schlagen können. An dieser Stelle ist die Schilderung sehr ausführlich und genau27; aber Überflüssiges oder Falsches wird nicht gesagt, und es besteht kein Anlaß, einzelne Worte oder Satzteile als »sekundär« zu streichen28. Ein weiterer Anteil des Saatguts fiel »in die Dornen«29 (V. 7a). Auch hier verdeutlicht die Fortsetzung, wie man sich dies vorzustellen hat; die Dornen sind zunächst offenbar noch gar nicht sichtbar, sondern erst als sie – wie es ausdrücklich heißt – »aufwuchsen«30, »erstickten« sie die gesäten Samen, die auf diese Weise ohne Frucht blieben. Die Dornen und die Saat wachsen also gemeinsam, und es zeigt sich erst allmählich, daß die Dornen das gesäte Getreide überwuchern, so daß die Saat zwar aufging, aber keine volle Ähren ausgebildet wurden31. Hier wird das Ergebnis also erst recht spät sichtbar. Die Schilderung des Vorgangs ist kürzer als zuvor in V. 5.6, auch wenn der beschriebene Vorgang selbst mehr Zeit beansprucht; aber wieder gilt, daß alles für das Verständnis Nötige gesagt wird. Weitere Anteile32 des Saatguts fielen auf das gute Land (V. 8). 27 Das doppelte dia Á toÁ mhÁ eÍxein in V. 5.6 ist sprachlich vielleicht weniger gut gelungen (Lk hat denn auch korrigiert); aber traditionsgeschichtliche Hypothesen (die durchweg voraussetzen, daß sekundäre Korrekturen die ursprünglichen Texte verschlechtern) sind daraus nicht abzuleiten. Anders Lohfink, Gleichnis (Anm. 5), 38–41, der in V. 4–8 eine auch sprachlich (durch die Wortzahl) ausgedrückte Klimax findet, die durch den jetzigen Wortlaut von V. 5.6 gestört sei; zwar finde sich die regelmäßig wiederkehrende Grundstruktur – Situierung der Saat, Kommen der Opponenten, Zerstörung der Saat – auch in V. 5 f., aber die mehrfachen Begründungen (oÏpoy Ä w, letzteres formuliert als Nachahmung des oyÆk eiËxen gh Ä n pollhÂn und diaÁ toÁ mhÁ eÍxein baÂuow gh ursprünglichen diaÁ toÁ mhÁ eÍxein rëiÂzan) seien abundierend und dabei »nicht einmal geschickt formuliert« (aaO., 39). Sekundär seien auch die Wendungen kaiÁ eyÆuyÁw (!) eÆjaneÂteilen und eÆkaymatiÂsuh. Aber mit Ausnahme von eyÆuyÂw ist keines der hier gebrauchten Worte besonders typisch markinisch (auch oÏpoy ist nicht typisch mk, sondern begegnet nur bei Lk/Apg auffallend selten; zu Lohfink aaO., 40 Anm. 8). Auch H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditionsund redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (FRLANT 120), Göttingen 1978, 101 sieht in V. 5.6 erklärende Zusätze, die »die schön durchgeführte formale Struktur« des ursprünglichen Jesus-Gleichnisses (vgl. aaO., 108) stören. 28 Auch zwischen eÆkaymatiÂsuh und eÆjhra  nuh besteht keine Konkurrenz; denn erst das zweite Verb bezeichnet das definitive Ende der Saat (so auch Lohfink, Gleichnis, 39). 29 »Unter die Dornen säen« ist in Jer 4,3 bildliche Redewendung für ein sinnloses und vor allem gefährliches Tun, vor dem die Männer von Juda gewarnt werden (LXX: mhÁ speiÂrhte eÆp’ aÆkaÂnuaiw); von daher könnte die Aussage in V. 7 vielleicht doch eine implizite Warnung enthalten. Aber der speiÂrvn »sät« ja nicht eiÆw taÁw aÆkaÂnuaw, sondern etwas von der Saat fällt zufällig dorthin. Jedenfalls zeigt Jer 4,3, daß es sich um eine geläufige Erfahrung handelt. 30 Zu a Æ nabaiÂnv vgl. V. 8 und dann auch 4,32. 31 Vgl. dazu Lohfink, Gleichnis (s. Anm. 5), 47: »Die Halme bleiben ohne Ähren, oder die Ähren bleiben ohne Körner.« Nach Weder aaO. (Anm. 27) 101 ist V. 7c »überschüssig und zudem eine Vorwegnahme der Pointe (V. 8!)«. Aber das Ziel des Sämanns war doch gewesen, daß die Saat Frucht bringt, und V. 7c stellt fest, daß dies hier nicht der Fall war. 32 Zum Wechsel in den Plural vgl. Lohfink, aaO., 44; penibel könne man übersetzen: »andere Teilmengen . . .«. Nach Weder, Gleichnisse (s. Anm. 27), 108 impliziert der Plural, daß nun an den Rest der Saat gedacht sei: »Wo immer Samen ausgesät werden, da ist gewiß, daß sie Frucht bringen. Denn der größte Teil fällt ja auf gute Erde und hat Erfolg; daß einiges Wenige dabei erfolglos ist, ändert nichts am guten Ausgang.« Daher sei der Sinn des Gleichnisses keineswegs »unerkennbar« (s. dazu unten bei Anm. 40); vielmehr sei gemeint, daß Jesus der Macht seines Wortes vertraut und

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Jetzt wechselt die Schilderung auch in formaler Hinsicht: Das Ergebnis wird nun zuerst genannt (eÆdiÂdoy karpoÂn)33, und erst danach wird der von der Aussaat bis zum erntereifen Getreide führende Prozeß näher beschrieben (aÆnabaiÂnonta kaiÁ ayÆjanoÂmena), bevor dann abschließend mitgeteilt wird, wieviel die Saat trug34. Schon die gestaffelten Zahlenangaben zeigen hier, daß es sich nicht um den Gesamtertrag (= das x-Fache der Aussaat) handeln kann und daß der Erzähler den Zuhörern infolgedessen auch nicht signalisieren will, die Zahlen grenzten an ein Wunder35. Vielmehr wird ganz nüchtern-realistisch festgestellt, daß auch die mit Erfolg gesäte Saat Ähren von unterschiedlicher Qualität hervorbrachte. Welchen Sinn hat diese Erzählung? Diese Frage ist außerordentlich umstritten und hat in der Exegese zu vielfältigen Antworten geführt36. Dabei wird in der Regel angenommen, daß der Text jedenfalls metaphorisch verstanden werden müsse. So verweise schon die Erwähnung des »Säens« als solche auf die Verkündigung37, und meist wird auch von vornherein ein Bezug zum Reich Gottes gesehen38. Methodisch schlüssig ist dies aber nur dann, wenn man den Kontext von Mk 4,3–8 als authentische und ursprüngliche Auslegung des Textes versteht39; andernfalls erweist sich die Interpretation als Reich-Gottes-Gleichnis bzw. -Parabel als eine petitio principii bzw. als eine Folge der von der Deutung in zum Hören ermutigt (aaO., 110). Aber über die Mengenverhältnisse der Saat ist im Text überhaupt nichts gesagt. 33 Lohfink,aaO., 42 f. sieht mit Recht eine »chiastisch angeordnete Antithese« zwischen karpoÁn oyÆk eÍdvken (V. 7) und eÆdiÂdoy karpoÂn. 34 Lohfink, aaO., 44 f. macht mit Recht darauf aufmerksam, daß e Ê n – eÊn – eÊn einfach besagt: »Ein Teil« trug so viel, »ein (anderer) Teil« so viel usw. 35 Lohfink, aaO., 52–57 begründet empirisch und vor allem auch mit antiken literarischen Belegen, daß gerade diese Zahlenangaben höchst realistisch sind, weil sie das Phänomen der »Bestockung« (Verzweigung der Getreidesaat unter der Erdoberfläche) voraussetzen: »Mk 4,8 gibt also mit zwei- bzw. dreihalmiger Bestockung einen realistischen Durchschnitt an, der höchstwahrscheinlich den Werten des palästinischen Berglandes auf das genaueste entsprach« (aaO., 56). Nach Klauck, Allegorie (s. Anm. 19), 191 wäre auch bei solcher Auslegung »der Blickwinkel immer noch ungewöhnlich, da er von der harten Realität, die im Endeffekt einen viel geringeren Gesamtertrag kennt, förmlich ablenkt«; aber der Text spielt einfach auf die Erfahrung an, daß die Saat unterschiedlich trägt, und hat den Gesamtertrag gar nicht im Blick. 36 Vgl. Chr. Dietzfelbinger, Das Gleichnis vom ausgestreuten Samen, in: E. Lohse/Chr. Burchard/B. Schaller (Hg.), Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde. FS Joachim Jeremias, Göttingen 1970, 80–93, hier 83–89. 37 Ein metaphorischer Gebrauch von speiÂrein ist in der Bibel und sonst durchaus geläufig; aber in der Regel wird – wie auch in Mk 4,14 – durch das Objekt angezeigt, an welches »Säen« dann zu denken ist (vgl. Hi 4,8 LXX: oië speiÂrontew oÆdyÂnaw; Spr 11,18 hebr. Text: »Und wer sät hqÄdÄc «, vgl. Spr 22,8; Hos 10,12 LXX: speiÂrate eëaytoiÄw eiÆw dikaiosyÂnhn u. ö.). 38 Vgl. etwa den Argumentationsgang bei Weder, Gleichnisse (s. Anm. 27), 110: Die (ursprünglich zum Gleichnis gehörende) Rahmung V. 3a. 9 zeige, daß es um das Hören geht, und »das Saatmotiv hat die metaphorische Bedeutung von etwas Wirkendem, etwas Geschehendem«, woraus sich ergebe, daß das »Säen« im Gleichnis »als Metapher für die Verkündigung Jesu verstanden werden konnte«, für »sein Wort von der Basileia (vgl. Mk 1,14 f.) und das Geschick, das es unter den Zuhörern erfährt«. 39 Die Auslegung von Schmithals (s. o. Anm. 8) ist also durchaus konsequent.

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V. 14–20 ausgehenden Suggestivkraft. Zweifellos konsequenter ist es, den ursprünglichen Sinn des »Sämanns-Gleichnisses« für »unerkennbar« zu halten, wie es Rudolf Bultmann und andere getan haben40. Neu und sehr bedenkenswert ist die von Gerhard Lohfink vorgeschlagene Auslegung. Er sieht m. E. richtig, daß der Text »das negative Schicksal der ausgestreuten Saat in einer dreifachen Steigerung« schildert – die Lebensdauer der Saat währe jeweils immer länger, wodurch dann aber der Kontrast zwischen Mißerfolg und Erfolg immer schärfer hervortrete41. Der Erzähler sei »ein höchst nüchterner Beobachter« gewesen, der »mit Liebe zum Detail und geradezu biologischer Exaktheit schilderte«; vermutlich war es Jesus selbst. Es handele sich nicht um eine Parabel, sondern um ein Gleichnis im engeren Sinne, »das seine Argumentationskraft aus der normalen Erfahrung des Alltags schöpft«42. »Zumindest redaktionell gesehen« sei es ein Reich-Gottes-Gleichnis43, doch es gebe »überhaupt keinen Grund, diese Kennzeichnung sachlich in Frage zu stellen«44. Lohfink bestreitet jedoch, daß die Aussaat ursprünglich mit der Verkündigung des Wortes gleichzusetzen gewesen sei; denn im Alten Testament werde die Metapher »Säen« nicht für das Verkündigen gebraucht, sondern sie diene dazu, von Gott zu sprechen, der das Gottesvolk »sät«45. So liege im Rahmen der Verkündigung Jesu der folgende Gedanke vor: »Das Werk Gottes wird gelingen. Das endzeitliche Gottesvolk wächst schon heran und es bringt seine Frucht«46. »Das Gleichnis redet aller Wahrscheinlichkeit nach von der Restitution des endzeitlichen Israel, das von Gott neu ausgesät wird und trotz aller Bedrohungen durch mächtige Opponenten und trotz aller Verluste, die ihm diese Opponenten zufügen, zu einem zahlreichen Volk heranwächst«; damit aber rede es »von der sich durchsetzenden Basileia«, weil bei Jesus »das Kommen der Gottesherrschaft und die Restitution des wahren endzeitlichen Israel in fester Korrelation« stünden: »Die 40 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 1961, 216: Ist die Parabel Trost oder Mahnung, »oder ist in der ursprünglichen Parabel überhaupt nicht auf das Wort reflektiert«? Ferner E. Linnemann, Gleichnisse Jesu. Einführung und Auslegung, Göttingen 51969, 184: »Von der Gottesherrschaft ist im ganzen Gleichnis nicht die Rede . . . Noch viel weniger ist gesagt, daß Gottes Herrschaft durch das Wort komme. Vom Wort ist nur in der Deutung die Rede, und dort wird aus ihm nicht – ›wie aus der Saat die Ernte‹ – das Gottesreich, sondern die Frucht des Herzens.« Vgl. auch H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (StUNT 8), Göttingen 1971, 112: »Sieht man von der Deutung in V. 14–20 ab, ist der Sinn des Gleichnisses völlig unerkennbar. Von der basileiÂa toyÄ ueoyÄ kann es jedenfalls kaum handeln.« AaO., 114: »Wir müssen und können also darauf verzichten, das Gleichnis unabhängig von V. 14–20 auszulegen.« 41 Lohfink, Gleichnis (s. Anm. 5), 47. 42 AaO., 57. »Ein anderes Ergebnis ist bei einem Gleichnisstoff aus der Landwirtschaft auch gar nicht zu erwarten.« 43 Ebd. 44 AaO. 58. 45 AaO. 59 f. 46 AaO. 62. 5

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Herrschaft Gottes soll sich gerade dadurch in der Welt durchsetzen, daß Israel zum wahren Gottesvolk wird«47. Es sei falsch, das Gleichnis (und damit die Gottesherrschaft) allein unter der Perspektive des »Kontrasts« zu sehen; schon die Partizipien in V. 8 widersetzten sich dem Versuch, den Gedanken des Wachstums und der Entwicklung in dem Gleichnis ignorieren zu wollen48: »Die Basileia bricht nicht erst an, wenn am Ende das wahre Gottesvolk aufstrahlt, sondern sie kommt bereits mit der Aussaat und sie kommt schon mit der endzeitlichen Bedrängnis des Gottesvolkes«49. Viele der exegetischen Beobachtungen Lohfinks sind zweifellos richtig50. Aber auch seine Interpretation setzt undiskutiert voraus, was zunächst bewiesen werden müßte – daß es sich bei Mk 4,3–8 um einen immer schon metaphorisch zu deutenden Text handelt. Die oben dargelegte Exegese hatte aber ergeben, daß die Erzählung an keiner Stelle die Notwendigkeit einer solchen Deutung zu erkennen gibt. Die Geschichte vom Sämann und der Saat ist verständlich und sinnvoll als eine Erzählung, die den Adressaten am Beispiel einer (Getreide-)Aussaat detailliert und zugleich realistisch die Wirklichkeit der Welt unter einer bestimmten Perspektive vor Augen führen will. Der Erzähler schildert die Welt und die in ihr herrschenden Gegebenheiten, indem er den Zusammenhang von menschlichem Tun, äußeren faktischen Umständen und daraus resultierenden Konsequenzen an einem konkreten Beispiel beschreibt. In dieser so »erzählten« Welt gibt es keine Wunder, es geschieht nicht einmal Unvorhersehbares. Die Welt ist vielmehr so eingerichtet, daß der Mensch zwar einerseits bei seiner Arbeit mit mannigfaltigen Formen des Mißerfolgs und Scheiterns rechnen muß51, daß er aber andererseits 47

AaO. 63. AaO. 65. 49 AaO. 66. 50 Problematisch ist m. E. seine These, es handele sich bei Mk 4,3–8 gar nicht um den Text des erzählten Gleichnisses, denn »eine Form dieser Art« sei »eher Gliederung und Grundmuster für eine Erzählung als die Erzählung selbst«; vielmehr liege »eine mnemotechnisch ausgerichtete Basisform für urchristliche Lehrer und Katecheten« vor, wobei es freilich möglich sei, »daß bereits Jesus solche reduzierten und bis aufs letzte durchkonstruierten Formen verwendete, um seine Jünger für die Verkündigung zu schulen und vorzubereiten« (Lohfink, aaO., 49; Hervorhebung im Original). Für einen solchen »Schulbetrieb« bei Jesus bzw. in der Jesus-Bewegung fehlt jeder direkte Beleg (anders als etwa in der rabbinischen Tradition); außerdem gilt die Beobachtung, daß der schriftlich überlieferte Wortlaut eines Gleichnisses bzw. einer Erzählung Jesu nicht identisch sein wird mit dem Wortlaut auf der mündlichen Überlieferungsstufe, für sehr viele entsprechende Texte. Gerade die präzisen Beobachtungen Lohfinks zur Sprachgestalt von Mk 4,3–8 machen im übrigen die Annahme wahrscheinlich, daß dieser Wortlaut erst das Ergebnis des literarischen Arbeitsprozesses ist. 51 Lohfink, aaO., 62 sieht m. E. richtig, daß die drei genannten »Opponenten, welche die Saat in verschiedenen Phasen ihres Wachstums bedrohen«, stellvertretend für auch manch andere mögliche Opponenten ausgewählt wurden (Lohfink verweist darauf, daß in EvThom log 9 noch zusätzlich vom Wurmfraß die Rede ist). Ausbleibender Regen (so eine von Lohfink, aaO., 62 Anm. 87 genannte Möglichkeit) hätte freilich die gesamte Aussaat getroffen und konnte infolgedessen nicht genannt werden. 48

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auch sicher sein kann, das mit seiner Arbeit angestrebte Ziel werde er letztlich doch nicht verfehlen. Dabei ist selbstverständlich, daß sich jedenfalls bei dem gewählten Beispiel des Säens das Ergebnis nicht sofort einstellt, weil sich solche natürlichen Prozesse allmählich vollziehen52. Daß die Erzählung gerade vom Säen berichtet, dürfte exemplarisch gemeint sein – von analogen Erfahrungen auf anderen Arbeitsfeldern könnte ja ganz ähnlich gesprochen werden; man wird aber vermuten dürfen, daß der gewählte Bereich dem Erzähler (und wohl auch den Adressaten) besonders gut vertraut war. Jedenfalls setzt die Erzählung voraus, daß die Rezipienten das Erzählte als realistische Beschreibung eines normalen Vorgangs hören und im Rahmen ihres eigenen Erfahrungsbereichs verstehen können. Dabei ist das Erzählziel im Grunde offen: Die Erzählung stellt es den Hörern frei, ob sie die geschilderten Fehlschläge oder aber den geschilderten Erfolg als eigentliche Erzählintention wahrnehmen wollen. Diese Offenheit, die bei der Deutung der Erzählung als Reich-Gottes-Gleichnis als hermeneutischer Mangel erscheinen muß und infolgedessen zu den aus der Forschung bekannten Unsicherheiten in der Bestimmung der »Pointe« führt53, ist auf der Ebene der reinen Erzählung gerade ein entscheidender Gewinn: Der Erzähler will nicht speziell Erfolg oder Mißerfolg beschreiben (so daß das eine immer nur die Folie des anderen wäre), sondern ihm geht es um das facettenreiche Ganze der Welt. Die Erzählung vom Sämann und der Saat zielt offenbar nicht darauf, beim Hörer Überraschungen auszulösen oder Widerspruch zu wecken. Noch weniger verfolgt sie ein paränetisches Ziel; denn weder ist der (nur in V. 3 erwähnte) Sämann ein Vorbild, noch werden die Hörer ermahnt, »gutes Land« zu sein. Die Erzählung zielt vielmehr auf die Zustimmung, den Beifall der Hörer, oder richtiger: sie setzt eine solche Zustimmung einfach als eine erfahrungsbedingte und selbstverständlich gegebene voraus54. So liegt die Vermutung nahe, daß die Erzählung in den Zusammenhang weisheitlichen Denkens gehört: Der Erzähler beschreibt die Realität der Welt, wie sie nun einmal ist – mit ihren Gefährdungen und mit ihren Chancen55. Gewiß ist denkbar, daß sich damit auch ein religiöses 52 Das bedeutet in jedem Fall, daß die Erzählung nicht intendiert, lediglich einen »Kontrast« zu zeichnen. Auch ist der »Zeitfaktor« nicht erst durch die sekundäre Deutung ins Spiel gebracht worden (gegen Weder, Gleichnisse [s. Anm. 27], 112), sondern er gehörte immer schon zur hier erzählten Welt; es ist m. E. methodisch falsch, um der vorausgesetzten Hypothese willen die Zeitbezüge als »sekundär« zu tilgen (so Weder, aaO., 108 in seiner Textrekonstruktion). 53 Vgl. die Übersicht etwa bei J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. Band I: Mk 1–8,26 (EKK II/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1978, 159 f. 54 Vgl. A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu. Zweiter Teil. Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien, Tübingen 21910, 535: Man sage sich als Hörer dieser Parabel: »So wird es bei der Aussaat immer gehen.« 55 Vgl. etwa Pred 11,6: »Früh am Morgen säe deinen Samen, und bis zum Abend laß deine Hand nicht ruhen, denn du weißt nicht, was glückt – ob dieses oder jenes, oder ob beides zugleich gelingt« (Zürcher Bibel 1931). Den Zusammenhang von Mk 4,3–8 mit weisheitlichem Denken hat vor allem U. Luck, Das Gleichnis vom Säemann und die Verkündigung Jesu, WuD 11 (1971) 73–92 herausgestellt. Er stellt zunächst mit Recht fest (aaO., 75), daß das Gleichnis »keinerlei

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Moment verbindet: Die so beschriebene Welt ist Gottes Schöpfung; die hier dargestellte Wirklichkeit verdankt sich dem Willen Gottes. Aber expliziert wird ein derartiger religiöser Bezug nicht; die Erzählung bewegt sich ausschließlich auf der Ebene der allgemein erfahrbaren Welt, und das unterscheidet sie von einer im übrigen durchaus vergleichbaren Aussage wie Mt 5,45 (vgl. 1Kor 3,6 f.). Vielleicht ist es gerade die Absicht des Erzählers, den Hörer mit der (nicht offen ausgesprochenen) Frage zu konfrontieren, ob er in dieser so erzählten Welt Gott am Werk sehen will oder nicht. Dies macht es schwierig, eine Entscheidung darüber zu fällen, wer der Erzähler war; nichts spricht speziell für Jesus, aber es spricht auch nichts gegen die Annahme, daß die Erzählung vom Sämann und der Saat auf ihn zurückgeht. Auf der Ebene des zu Beginn in V. 3a und vor allem am Ende durch V. 9 erweiterten Textes verändert sich die Erzählung, und zwar nicht nur ihre Intention, sondern auch ihre Gattung. Die jetzt das Ganze rahmenden Imperative aÆkoyÂete und aÆkoyeÂtv zeigen an, daß aus einer Beschreibung erfahrbarer Weltwirklichkeit nun eine Rede geworden ist, die in besonderer Weise der Aufmerksamkeit und damit offenkundig auch der Deutung bedarf. Vor allem der abschließende »Weckruf« V. 956 signalisiert den Adressaten jetzt, daß sich das Verstehen der Erzählung vom Sämann und der Saat durchaus nicht von selbst versteht; sie sollen vielmehr erkennen, daß die erzählten Vorgänge über sich selbst hinausweisen. Dem entspricht es, daß die so neu gedeutete Erzählung nun tatsächlich als ein allegorisch auszulegender Text interpretiert wird (V. 14–20)57. Dabei zeigt die vom Ausleger wiederholt verwendete klassische Formel der Allegorese oyÎtoi (deÂ) eiÆsin, daß er sich der hermeneutischen Implikationen seiner Interpretation voll bewußt war58. Die Einzelheiten dieser allegorischen Auslegung der Erzählung sind oft untersucht worden59, so daß hier Hinweise auf wenige Aspekte genügen. Hinweis für eine praktische Anwendung des Gesagten« gibt, übernimmt dann aber doch wie selbstverständlich die Annahme, daß es um die Gottesherrschaft geht (aaO., 80). Ähnlich Lührmann, Markus (s. Anm. 10), 85, der den Realismus der Erzählung zumindest in der Beschreibung der Widrigkeiten sieht, dann aber ebenfalls folgert, es gehe um die »Verkündigung der Nähe der Gottesherrschaft unter den Bedingungen dieser Welt«. 56 Dieser Ruf begegnet sehr ähnlich in den Sendschreiben der Johannes-Offenbarung (Apk 2,7 u. ö.). »Die Sentenz macht überall, wo wir sie finden (in den Sendschreiben und 13,9; 21,7; 22,2) darauf aufmerksam, daß in der Nachbarschaft ein Prophetenspruch steht, und daß zu erwarten ist, daß nur wenige Auserwählte ihn hören, d. h. ihm gehorchen« (H. Kraft, Die Offenbarung des Johannes [HNT 16a], Tübingen 1974, 58). Das dürfte im Prinzip auch für Mk 4,9 gelten. 57 Zum Problem einer Analyse des Zwischenstücks V. 10–13 s. u. Wahrscheinlich ist die allegorische Deutung immer schon in irgendeiner Weise »szenisch« eingeleitet worden; aber sie ist auch verständlich, wenn sie unmittelbar an V. 9 angeschlossen worden sein sollte. 58 Vgl. Klauck, Allegorie (s. Anm. 19), 201. Die Allegorese stehe »in der Tradition des prophetisch-apokalyptischen Traum- und Visionsdeuteschemas« (unter Hinweis auf Dan 4,17–19). 59 Vgl. etwa F. Hahn, Das Gleichnis von der ausgestreuten Saat und seine Deutung (Mk iv. 3–8,14–20), in: E. Best/R. McL. Wilson (Hg.), Text and Interpretation. FS Matthew Black, Cambridge 1979, 133–142.

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Es fällt vor allem auf, daß keineswegs alle Einzelzüge der Erzählung gedeutet werden60; zunächst (V. 14) wird das Säen gedeutet (aber z. B. nicht der Sämann), dann (V. 15–19) folgt die Deutung des unterschiedlichen Geschicks des letztlich vergeblich gesäten Saatguts und schließlich (V. 20) die Deutung der mit Erfolg gesäten Saat, wobei aber die Zahlenangaben über den Ertrag am Ende ohne jede Deutung bleiben. Am Anfang (V. 14.15) ist die Deuteebene in sich kohärent: Gesät wird das Wort, es hören oië paraÁ thÁn oëdoÂn, es kommt der Satan und nimmt das gesäte Wort sogleich weg. Mit V. 16 verschiebt sich die Deuteebene, insofern jetzt nicht mehr das Wort, sondern die Hörenden »die Gesäten« sind und das Geschick des Saatguts allegorisch mit dem Schicksal der hörenden Menschen gleichgesetzt wird. Besonders ausgeprägt ist dies allerdings nur in V. 16.17; hingegen wird in V. 18.19 wieder eine Gegenbewegung sichtbar: Zunächst sind noch die Menschen »die Gesäten« (V. 18), aber dann (V. 19) ist es das Wort, das »erstickt« wird und aÍkarpow bleibt61. Der Abstand zwischen dem »Bild« in der Erzählung und der allegorisch daraus gewonnenen »Sachhälfte« ist bisweilen auffallend groß62; häufiger macht sich die allegorische Deutung die Möglichkeit zunutze, daß bestimmte Worte sowohl in »eigentlicher« als auch in übertragener Bedeutung verwendet und ohne weiteres verstanden werden können63. Am auffallendsten ist, daß der Erfolg (V. 8) im Grunde überhaupt nicht gedeutet wird – V. 20b wiederholt zunächst das Stichwort karpoforeiÄn (vgl. V. 8: eÆdiÂdoy karpoÁn . . . kaiÁ eÍferen), ohne dessen möglichen allegorischen Sinn näher zu explizieren, und dann werden auch die Zahlenangaben wiederholt, ohne daß ihnen irgendeine nähere Bedeutung zugewiesen würde. Es liegt auf der Hand, daß diese Deutung darauf zielt, die Erzählung vom Sämann und der Saat als eine allegorische Beschreibung der Missionspredigt und deren Erfolg bzw. vor allem deren Mißerfolg zu interpretieren. Diese Interpretation ist aber ebensowenig wie die Erzählung selbst paränetisch gemeint64; ihre 60

Mit Recht betont von Hahn (s. die vorige Anm.), 139. Nach Schmithals, Markus I (s. Anm. 8), 232 ist die hier zu beobachtende Inkongruenz eine »bei Gleichnissen ganz gewöhnliche und von der Sache geforderte«; gemeint sei nämlich, »daß der Christ aus dem Wort geboren wird« und dann »selbst zu einem lebendigen Wort wird«. Aber die Inkongruenz ist ja besonders auffallend gerade dort, wo das Wort eben keine Frucht bringt. Nach Lohfink, Gleichnis (s. Anm. 5), 61 sind »hier zwei verschiedene Vorstellungsbereiche kontaminiert . . .: Daß der Sämann das Wort sät, ist gut griechisch gedacht. Daß hingegen Menschen in das Land gesät werden, ist ganz alttestamentlich« (vgl. schon Klauck, Allegorie [s. Anm. 19], 202 f.). Lohfink nennt (aaO., 59–61) als Belege Sach 10,9; Hos 2,25 und Jer 31,27 f. (= LXX 38,27 f.) sowie äthHen 62,8. 62 Signifikant bei der Übertragung der »Vögel« auf den »Satan«. 63 Zu nennen sind hier die Stichworte rëiÂza (V. 6/17), sympniÂgv (V. 7/19), karpo  w (V. 7 f./19 f.) und vor allem natürlich speiÂrv (V. 3/14). 64 Vgl. etwa die Argumente bei H. Räisänen, The ›Messianic Secret‹ in Mark (Studies of the New Testament and its World), Edinburgh 1990, 121, der darauf verweist, daß auch die Deutung keine Warnungen oder Imperative enthält. Anders Klauck, Allegorie (s. Anm. 19), 202, der erklärt, »die sittlichen Implikationen der Metapher vom Fruchtbringen« seien »so evident, daß nichts zu übersetzt werden braucht«. 61

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Intention ist vielmehr die Aussage, die Erzählung vom Sämann und der Saat, verstanden als eine allegorisch zu deutende Rede, wolle erklären, aus welchen Gründen die Predigt65 bei den Hörenden zu so unterschiedlichen Reaktionen führt. Auch die allegorische Deutung hält also daran fest, daß es in der Erzählung um Erfahrungen und um deren Bewältigung geht; nur konzentriert sich die Deutung jetzt ganz darauf, eine bestimmte, besondere Erfahrung nicht nur zu beschreiben, sondern zu erklären – das Schicksal der Missionspredigt und das Geschick einzelner Menschen(typen), die der Predigt begegnen66. Dies ist ein bemerkenswerter hermeneutischer Vorgang, der keineswegs von vornherein als ein Irrweg der Textauslegung angesehen werden darf: Die ursprünglich weisheitliche Erzählung, die am Beispiel einer Aussaat den Zusammenhang zwischen dem menschlichen Tun und dessen möglichen Folgen beschrieben und dabei die Interpretation der Intention im Grunde den Hörern überlassen hatte67, dient nun – verbindlich gedeutet – der verstehenden Erklärung des sonst als unverständlich erfahrenen Missionsprozesses. Vorausgesetzt ist dabei die Erfahrung der Gemeinde68, daß ihre Predigt (= das »gesäte« Wort) nicht immer und nicht überall in gleicher Weise Frucht bringt, sondern ihr Ziel oft verfehlt. Solcher Mißerfolg, so macht die allegorische Erklärung nun deutlich, liegt nicht am Verkündiger und schon gar nicht am gesäten Wort selbst, sondern er ist in erster Linie die Folge widriger äußerer Umstände. Die den Erfolg verÄ w (V. 15), uliÄciw hà divgmoÁw diaÁ toÁn loÂgon hindernden Mächte sind oë satana (V. 17)69 sowie weltliche Bedrängnisse, die das Wort zu überwuchern vermögen (V. 19). Dem entspricht es, daß »das gute Land« nicht gedeutet wird70; »gut« ist das Land dort, wo das Wort angenommen wird und dann eben auch Frucht bringt71.

65 Es wird ja weder oë speiÂrvn gedeutet noch die (in der Erzählung freilich auch nicht explizit genannten) Samenkörner, sondern der Säevorgang als solcher (»Säen« = »Säen des Wortes«). M. E. ist daher auch durchaus fraglich, ob man – selbst für die Mk-Ebene – so unumstößlich voraussetzen darf, daß der Sämann = Jesus ist, »der das Wort der Verkündigung hinausträgt« (so Klauck, Allegorie [s. Anm. 19], 198). 66 Es geht ja nicht darum, daß die Predigt womöglich überhaupt nicht »gehört« wird, sondern es wird erklärt, woran es liegt, daß »Hörer des Wortes« scheitern – unter Umständen sogar erst nach einiger Zeit. 67 S. o. bei Anm. 53. 68 Daß jedenfalls die Deutung nachösterliche Gemeindebildung ist, scheint mir evident zu sein. 69 Hier wird auch eine subjektive Ursache dafür genannt, warum die Verfolgung bei bestimmten Menschen zum Abfall vom Glauben führt: Sie sind proÂskairoi, ohne innere Wurzel. 70 In V. 20 wechselt der allegorische Schlüssel abermals – V. 20b wird nicht mit oy Î toi eiÆsin eingeleitet. 71 Auch dies macht deutlich, daß die Deutung nicht auf Paränese zielt. In der Deutung liegt, anders als in der Erzählung, das Gewicht allein auf der Erklärung für die verschiedenen Formen des Mißerfolgs, nicht auf der Beschreibung des Erfolgs.

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Die Erzählung vom Sämann und der Saat und ihre allegorische Deutung bildeten wahrscheinlich einmal eine gesonderte – schriftliche – Überlieferungsstufe72, vermutlich mit einem die Deutung einleitenden Übergangsstück (vgl. V. 10.13), dessen Wortlaut sich aber nicht rekonstruieren läßt73. Möglicherweise ist auf dieser Überlieferungsstufe der Begriff der parabolh eingeführt worden. Angesichts der Unsicherheiten beim Versuch einer hypothetischen Rekonstruktion jenes Übergangsstücks legt es sich nahe, V. 10–13 auf der Stufe des jetzigen Evangeliums zu interpretieren, ohne eine traditionsgeschichtliche Zuweisung von Satzteilen oder gar einzelnen Worten zu verschiedenen Schichten vorzunehmen74. Im »kleinen Kreis«75, also abseits von der in V. 1.2 erwähnten Menge, die die Erzählung vom Sämann und der Saat vernommen hatte, fragen Jesu Begleiter76 nach dem Sinn der parabolaiÂ77. Darauf gibt Jesus zunächst (V. 11.12) eine prinzipielle Antwort78, der dann eine spezielle Auslegung »dieser parabolh« (V. 13) folgt (V. 14–20). Durch V. 11.12 als grundsätzliche Antwort auf die (offenkundig ebenfalls grundsätzlich gemeinte) Frage nach »den parabolai« wird die hermeneutische Intention nochmals verändert. In jener »Parabeltheorie« wird ja nicht nur das Unverständnis- bzw. Verstockungsmotiv eingeführt, sondern hier wird vor allem erstmals behauptet, es bestehe ein Zusammenhang zwischen den parabolai (und also auch der jetzt als parabolh verstandenen Erzählung in V. 3–8) und dem mysthÂrion der Gottesherrschaft, dem nach Mk 1,15 zentralen Thema der Predigt Jesu79. Die Feststellung von V. 11 (yëmiÄn toÁ mysthÂrion deÂdotai) kann dabei nicht meinen, den (in V. 10 eingeführten) unmittelbaren Adressaten sei das 72 Vgl. Sellew, Sources (s. Anm. 10), 259: »This interpretive schema was developed in literary, scribal contexts of Jewish apocalyptic; the tabular structure of such a text as Mark 4.14–20 therefore almost certainly originated in a written source.« 73 Der jetzige Wortlaut wird kaum der ursprüngliche sein, weil V. 13 nicht auf V. 10 antwortet (vgl. die Korrektur bei Mt 13,10). 74 Nach Lührmann, Markus (s. Anm. 10), 86 sind V. 11 f. markinischer Einschub wobei V. 11 unmittelbar vom Evangelisten formuliert worden sei, obwohl mysthÂrion hapax im Mk ist. Nach Weder, Gleichnisse (s. Anm. 27), 103 wäre die Parabeltheorie dagegen schon vormarkinisch gewesen. – Instruktiv ist die eingehende Diskussion der Frage bei Chr. Tuckett, Mark’s Concerns in the Parables Chapter (Mark 4,1–34), Bib. 69 (1988) 1–26, hier 8–20; Tuckett kommt zu dem Ergebnis, daß jedenfalls viel von dem in V. 10–13 Gesagten mit dem Grundgedanken mk Redaktion, insbesondere mit dem Jüngerbild, zusammenstimme und daß von daher mk Redaktion des Abschnitts nicht unwahrscheinlich sei. 75 Das Motiv begegnet bei Mk öfter; besonders auffallend die Parallele in 7,17. 76 Es ist nicht deutlich, ob die Wendung oië periÁ ayÆto  n an 3,34 anknüpft, denn dieser Ausdruck bezeichnet dort eine konkret »um Jesus« versammelte Gruppe. Zu syÁn toiÄw dvÂdeka s. o. Anm. 15. 77 Zu dem hier verwendeten Plural vgl. die analoge Formulierung in V. 2a. 78 Es fällt auf, daß über die Frage der Begleiter Jesu nur referiert wird, während die Antwort in direkter Rede erfolgt; ob es jemals eine direkt formulierte Frage gegeben hat, läßt sich nicht sagen. 79 Der Bezug von Mk 4,3–8 zur basileiÂa toy Ä ueoyÄ ist also traditionsgeschichtlich spät; im Vergleich zu Mk 1,15 fällt überdies auf, daß die Gottesherrschaft nicht als eschatologische Größe verstanden ist.

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mysthÂrion bereits enthüllt und sie bedürften deshalb einer Deutung nicht mehr; dem würde ja die Fortsetzung in V. 13.14–20 sofort widersprechen. Vielmehr dient V. 11 dazu, die bestehende prinzipielle Differenz zwischen den Begleitern Jesu auf der einen Seite und »jenen draußen« auf der anderen Seite zu markieren: »Die draußen« hören, was Jesus erzählt; aber es erscheint ihnen als Reden eÆn parabolaiÄw, das nicht verstanden werden kann – es sei denn, man besäße den Schlüssel zum »Geheimnis«80. Die Tatsache, daß trotz der Aussage in V. 11 gerade den Begleitern Jesu die allegorische Deutung der Erzählung vom Sämann und der Saat gegeben wird, durch die diese Erzählung als eine parabolh der Gottesherrschaft enthüllt wird, besagt offenbar, daß die Deutung als Vollzug jenes deÂdotai von V. 1181 aufzufassen ist. Sofern die anderen »draußen« sind und bleiben, werden und können sie nicht verstehen (V. 12). Was bedeutet dies im Blick auf die Leser des Markusevangeliums in seiner Endgestalt? Die Antwort auf diese Frage gibt der Evangelist durch seine Komposition von Mk 4 insgesamt. Er eröffnet das Kapitel82 mit einer ausdrücklichen Reminiszenz auf die in 2,13 geschilderte Szene: »Wieder« beginnt Jesus paraÁ thÁn uaÂlassan zu lehren, und ähnlich wie zuvor schon in Kapharnaum (2,2) drängt eine überaus große Volksmenge heran (vgl. auch 3,20). Jesus sieht sich daraufhin veranlaßt, den schon in 3,9 gehegten Plan zu verwirklichen und sich in ein Schiff eÆn th Äì ualaÂsshì zu setzen, um von dort aus zur Menge am Ufer zu sprechen. Nach dieser in 4,1 sehr eingehend geschilderten »Inszenierung« folgt in V. 2 der für das Verständnis des Folgenden entscheidende Hinweis, Jesus habe nun vieles eÆn parabolaiÄw gelehrt, wodurch die Erzählung vom Sämann und der Saat als ein Beispiel für diese didaxh erscheint. Den Lesern des Markusevangeliums ist Jesu Reden eÆn parabolaiÄw schon von 3,23–27 her bekannt83; und die Stichworte didaÂskein bzw. didaxh wecken Erinnerungen an 1,22.27, wobei allerdings im Unterschied zur Szene in der Synagoge in Kapharnaum eine längere wörtliche Rede folgt84, die den Inhalt dieser »Lehre« wiedergibt. Im Anschluß an die öffentliche Rede wird den Begleitern Jesu, aber damit zugleich natürlich auch den Lesern des Evangeliums, gesondert mitgeteilt, daß in der soeben vernommenen 80 Das gilt unabhängig davon, wie man in V. 12 das mh  pote im Zitat aus Jes 6,9 f. auffaßt (vgl. P. Lampe, Die markinische Deutung des Gleichnisses vom Sämann Markus 4,10–12, ZNW 65 [1974] 140–150, hier 144, der mhÂpote als »vielleicht« deutet und so das »scharfe« Verstockungsmotiv vermeiden kann); in jedem Fall ist gesagt, daß »die draußen« unter den »jetzt« existierenden Bedingungen nicht verstehen (können). 81 Beachte die perfektische Formulierung yëmi Än deÂdotai. 82 Die Einleitung in V. 1 f. macht deutlich, daß für den Evangelisten hier ein neuer Textabschnitt beginnt; die Kapiteleinteilung ist also berechtigt. 83 Die pluralische Wendung eÆn parabolai Äw ist als solche also noch kein Indiz dafür, daß nun mehrere »Parabeln« folgen müßten; vgl. auch Mk 12,1. 84 Von 4,33.34 her legt sich nahe, daß man sich V. 3–9.21–25.26–29.30–32 (und offenbar weitere parabolaiÂ, die nicht wiedergegeben werden!) als zum oÍxlow gesprochen denken soll, während die Jünger jeweils die Interpretation mitgeteilt bekommen.

Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8)

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Erzählung vom Sämann und der Saat »das Geheimnis der Gottesherrschaft« verborgen ist. Die anschließende explizite Allegorese entschlüsselt das Geheimnis: Es besteht darin, daß die allgemein erfahrbare Weltwirklichkeit, wie sie in der Erzählung zur Sprache gebracht worden war, bei »richtiger«, d. h. allegorischer Betrachtungsweise, eine schlüssige Erklärung vermittelt für die Erfahrungen, die die Leser selbst und andere mit der Mission gemacht haben und immer wieder machen85. So wird durch die Allegorese die »erzählte« und erfahrene Welt gleichsam transparent für die verkündigte. Durch Mk 4,1–20 wird also die eingangs referierte These Vougas jedenfalls insoweit bestätigt, daß zumindest nicht alle in den synoptischen Evangelien als parabolai überlieferten Erzähltexte tatsächlich »Gleichnisse« bzw. »Parabeln« sind und unter allen Umständen auf Jesu Reden von der Gottesherrschaft hin interpretiert werden müssen. Der rekonstruierbare Prozeß der Neu-Interpretation der Erzählung vom Sämann und der Saat macht aber auch deutlich, daß die nachträgliche Umdeutung einer solchen Erzählung zu einem (allegorisch zu verstehenden) Gleichnis nicht lediglich als ein hermeneutischer und jedenfalls rückgängig zu machender Fehlgriff zu bewerten ist. Denn diese Umdeutung macht aus einer Schilderung der Wirklichkeit, zu der sich die Adressaten auch durchaus distanziert verhalten können, nun eine sie unmittelbar angehende, ihnen in ihrer eigenen Erfahrung unmittelbar helfende Mitteilung des mysthÂrion der Gottesherrschaft. Zwar nicht der Mk-Text, wohl aber die Lk-Parallele ist in der ersten Perikopenreihe als Text für die Predigt am Sonntag Sexagesimä vorgesehen. Lukas hat einiges anders gestaltet, als er es in der Mk-Vorlage vorgefunden hatte (die Übereinstimmungen sind aber erheblich größer als zwischen Mt und Mk); dennoch gelten wesentliche oben am Mk-Text gemachten Beobachtungen auch für die Lk-Fassung. Daher muß m. E. hermeneutisch und homiletisch gelten, daß der Predigt nicht die Erzählung vom Sämann und der Saat, sondern deren Fassung als allegorisch zu interpretierendes (und tatsächlich im Text so interpretiertes) Gleichnis zugrundezulegen ist. Das m. E. berechtigte »Verbot«, nicht-allegorische Texte zu allegorisieren bzw. allegorisch auszulegen, kann nicht bedeuten, daß allegorisch gemeinte neutestamentliche Texte (und der »Text« in diesem Sinne umfaßt eben auf der jetzt vorliegenden Ebene die Deutung mit) aufgrund »besserer« (historisch durchaus richtiger) Erkenntnis entallegorisiert werden müßten (das würde für andere allegorische Texte der Bibel in gleicher Weise gelten). Ob wir dann die wirklichkeits- bzw. erfahrungsbezogene Deutung der Erzählung unmittelbar auch auf die gegenwärtige Wirklichkeit beziehen können und dürfen, ist eine andere Frage.

85 Im Unterschied zu der im Erzähltempus Aorist überlieferten Erzählung V. 3–8 ist die Deutung in ihrer Grundstruktur präsentisch, also zeitlos formuliert.

Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem

Die Auslegung des Markusevangeliums steht gegenwärtig wieder zunehmend vor der Frage nach dem Anteil des Evangelisten an der Gestaltung des jetzt vorliegenden Textes. Hat »Markus« sich im wesentlichen darauf beschränkt, einzelne Traditionen miteinander zu verbinden bzw. größere vorgegebene Textkomplexe mehr oder weniger unverändert in einen neuen Kontext zu stellen? Oder hat der Evangelist wesentlichen Anteil an der literarischen Gestaltung der einzelnen Erzählabschnitte, so daß er nicht nur als »Redaktor«, sondern durchaus auch als »Erzähler« des Evangeliums anzusehen ist? Ferdinand Hahn hat angesichts einer sich ausbreitenden »synchronen« Exegese des Mk davor gewarnt, »eine differenzierte diachrone Analyse des verarbeiteten Traditionsgutes [zu] unterlassen« und gefordert, daß beides »in einem einheitlichen Methodenkonzept miteinander in eine sinnvolle Beziehung gesetzt« werden müsse.1 Diesen Ansatz aufnehmend soll am Beispiel des Abschnitts Mk 4,35–6,6a im folgenden versucht werden, nach dem Verhältnis zwischen der gestalterischen Kraft des Mk und den von ihm aufgenommenen Traditionen zu fragen. Die Exegese soll zeigen, daß Mk einerseits mit hoher Wahrscheinlichkeit einzelne Erzählungen übernommen, diese aber andererseits so verarbeitet hat, daß ein Wortlaut der Tradition nicht rekonstruierbar ist, sondern die Erzählungen insgesamt als Ergebnis der literarischen Tätigkeit des Mk erscheinen.2 Die vier Wundererzählungen in Mk 4,35–5,43 sind oft einem »überlieferten Komplex« zugewiesen worden,3 oder es wurden zumindest die Verbindung von 1 F. Hahn, Einige Überlegungen zu gegenwärtigen Aufgaben der Markusinterpretation, in: ders. (Hg.), Der Erzähler des Evangeliums. Methodische Neuansätze in der Markusforschung (SBS 118/119), Stuttgart 1985, 171–197, hier 196 f. 2 Viele der im folgenden gemachten Beobachtungen verdanken sich Hinweisen aus den Aufsätzen in dem in Anm. 1 genannten Sammelband. Wesentliche Anregungen kommen außerdem aus der Arbeit der Projektgruppe »Formgeschichte« innerhalb der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie. 3 So R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen

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Sturmstillung und Exorzismus (4,35–5,20) sowie die Verschachtelung der Erzählungen in 5,21–43 auf vormk Redaktion zurückgeführt.4 Freilich halten einige Exegeten auch die Redaktion im ganzen für mk,5 wobei dann jedoch der Anteil des Mk an der literarischen Ausgestaltung sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Analysen bedeutet nicht, daß die Fragestellung als solche unsachgemäß wäre. Offenbar ist aber eine exakte Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Redaktion kaum möglich. Die vier bzw. drei Erzählepisoden Mk 4,35–41; 5,1–20; 5,21–43 sind offensichtlich unter dem Gesichtspunkt zusammengestellt worden, daß hier von »Machttaten« Jesu berichtet wird; der anschließende Bericht 6,1–6a ist dementsprechend als eine Reflexion darüber anzusehen, daß und warum Jesus in Nazareth eine derartige Tat nicht vollbrachte. Man kann nun zwar einwenden, daß in der Erzählfolge 4,35–5,43 ein verbindender Gattungsbegriff nicht begegnet;6 aber für jeden Leser ist die prinzipielle Ähnlichkeit der einzelnen Erzählungen, trotz aller Differenzen, evident, und durch die Reflexion in 6,1–6a wird dies bestätigt. Die These, Wundererzählungen seien gar keine antike Erzählgattung, sondern »moderne Beschreibung eines antiken Wirklichkeitsverständnisses«,7 ist deshalb unbegründet.8 5 1961, 224. Bultmann meint, daß in 4,35 f. die redaktionelle Arbeit des Mk »nicht mehr reinlich auszuscheiden« sei (aaO., 230). Die Verflechtung der beiden Erzählungen in 5,21–43 sei ebenso wie die Verknüpfung in 5,21 nicht mk, sondern schon vorgegeben (aaO., 228). Auch nach M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 51966, 69, bilden die Erzählungen 4,35–5,43 einen »Zyklus«, der freilich weder vom ersten Erzähler noch erst von Mk geschaffen zu sein brauche (vgl. aaO., 220). Charakteristisch für die Argumentation in der älteren Forschung E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (KEK I/2) Göttingen 161963, 89: »Die drei Erzählungen haben Mk wohl schon in fester literarischer Gestalt vorgelegen, wie ihre sorgfältige Gliederung und ihre sprachliche Fügung im Einzelnen zeigt.« K. Kertelge, Die Wunder Jesu im Markusevangelium. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung (StANT 23), München 1970, 90, verweist einerseits auf den geographischen und chronologischen Zusammenhang der Erzählungen, andererseits auf die Unterschiede in Stil und Motivik gegenüber den vorangegangenen Erzählungen bei Mk und folgert daraus, daß der Evangelist den ganzen Abschnitt »inhaltlich und formal fast unverändert« übernommen habe. 4 J. Sundwall, Die Zusammensetzung des Markusevangeliums (AAAbo. H IX/2), A ˚ bo 1934, 29. 5 D.-A. Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums (BZNW 42), Berlin 1975, 36–39. Vgl. ferner J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, 1. Mk 1–8,26 (EKK II/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1978, 273 f. Eine Übersicht über den Forschungsstand bis 1970 gibt H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (StUNT 8), Göttingen 1971, 27 f. Kuhn führt den ganzen Komplex auf eine vormk Sammlung von insgesamt sechs Wundererzählungen zurück (aaO., 211–213). 6 Das in 6,2.5a verwendete Wort dy  namiw begegnet vorher bei Mk nur in 5,30 in einem anderen Sinn; es zeigt aber, daß Mk das zuvor Geschilderte als einen Bericht von den Erweisen der dyÂnamiw Jesu verstanden wissen will (vgl. Koch, Bedeutung [s. die vorige Anm], 67 f.). 7 K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 305. 8 Man kann das schon daran erkennen, daß Bergers Behauptung, Vorlagen zu Mk 5,21–43 seien »bekanntlich« die Erzählungen in 1 Kön 17,17–24 und 2 Kön 4,18–37 (so K. Berger,

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Die Abfolge der in Mk 4,35–5,43 detailliert geschilderten Ereignisse stimmt thematisch in auffallender Weise mit der summarischen Aufzählung von Wundertaten Abrahams bei Philo überein (Congr 93): »Er bewirkte anstelle von Sturm (Meeres) Stille und Gesundheit anstelle von Krankheit und Leben – um die Wahrheit zu sagen – anstelle von Tod«.9 Diese Analogie ist umso bemerkenswerter, als Philos Aufzählung keinerlei Anhalt an dem hier von ihm paraphrasierten Text Gen 14 hat. Sicher besteht kein literarischer Zusammenhang; aber möglicherweise dient die Nennung dieser herausragenden Taten der Kennzeichnung der umfassenden Überlegenheit des geschilderten Helden.10 Mk 4,35 bedeutet im Aufriß des Evangeliums einen markanten Einschnitt, vor allem in Hinsicht auf den geographischen Aspekt seiner Gliederung: Nach Abschluß einer längeren Rede paraÁ thÁn uaÂlassan (4,1–3411 fordert Jesus12 dazu auf, eiÆw toÁ peÂran zu fahren;13 damit kann nach dem Zusammenhang nur das »jenseitige« Ufer des »galiläischen Meeres«14 gemeint sein, das Jesus bislang nicht betreten hatte und das sich Mk offenbar als heidnisches Gebiet vorstellt.15 Die Erzählung des Handlungsbeginns in 4,36 knüpft an 4,1 an: Während der oÍxlow zurückbleibt, fahren die Jünger mit Jesus los,16 wobei die Wendung vëw hËn eÆn tv Äì ploiÂvì offenbar anzeigen soll, daß Jesus sich in demselben Boot befindet, von dem aus er seine »Lehre« vorgetragen hatte (4,1f.). Die Erwähnung der anderen Boote, Einführung in die Formgeschichte [UTB 1444], Tübingen 1987, 80), sich allein auf eine Analogie des erzählten Geschehens beziehen kann. Bildet ein von den in einer Erzählung dargestellten Personen als wunderbares Ereignis angesehenes Geschehen den Erzählhöhepunkt, so liegt eine Wundererzählung vor, ohne daß es einer einheitlichen und festen Sprachgestalt bedürfte. 9 oy Î tow aÆntiÁ xeimv Ä now galhÂnhn kaiÁ yëgeiÂan aÆntiÁ noÂsoy kaiÁ zvhÆn, eiÆ deiÄ taÆlhueÁw eiÆpeiÄn, aÆntiÁ uanaÂtoy pareskeyÂase. 10 Dabei spielt es keine Rolle, daß Philo Abrahams Überlegenheit in allegorisierender Weise als eine die Moral betreffende deutet. 11 Dieser Abschnitt bildet in mk Sicht eine Einheit. Zwar sind Jesus und die Jünger in 4,10–20 »allein«; aber die Bildworte in 4,21–25 und die beiden Gleichnisse in 4,26–32 gelten, wie 4,33 f. zeigt, als zu allen gesprochen, wobei 4,34b impliziert, Jesus habe den Jüngern jeweils eine 4,13–20 entsprechende Auslegung vorgetragen. 12 Der Name wird nicht genannt; zuletzt war er in 3,7 erwähnt worden, und seitdem ist klar, daß mit »er« immer Jesus gemeint ist. 13 Die Zeitangabe oÆciÂaw genomeÂnhw zur Markierung des Abschlusses eines Tages erinnert an 1,32. Das Folgende ist dementsprechend als nächtliches Geschehen zu denken (vgl. 4,38), während die Erzählung von 5,1–20 offenbar am nächsten Tag spielen soll. 14 Zur Bezeichnung des See Genezareth als ua  lassa jetzt ausführlich G. Theissen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition (NTOA 8), Freiburg/Schweiz und Göttingen 1989, 112–115. Theißen leitet aus der volkstümlichen Bezeichnung die These ab, die folgenden Wundererzählungen seien »in der Nähe dieses Sees geprägt« worden (aaO., 115); aber Mk bezeichnet den See ständig mit diesem Wort (was Theissen, aaO., 248 f. durchaus sieht). Mt übernimmt den Sprachgebrauch, der sich auch bei Joh findet. Daß Lk »konsequent« das mk uaÂlassa in liÂmnh ändere, wie Theißen meint, trifft nur für Lk 8,22 f.33 zu; im übrigen reduziert Lk die Szenen am See generell. 15 In 3,8 ist peÂran toy Ä ÆIordaÂnoy, nach Idumäa und vor Tyrus/Sidon genannt, eindeutig als nichtjüdisches Land gedacht. 16 Nur hier bei Mk sind die Jünger Subjekt und Jesus Objekt eines paralamba  nein.

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auf die im folgenden nicht wieder eingegangen wird, bleibt für uns rätselhaft.17 In 4,37 schildert der Erzähler in betont knapper Form das Aufkommen eines schweren Sturms, durch den das Boot voll Wasser schlägt. Erst jetzt (4,38) wird erwähnt, daß Jesus unterdessen schläft,18 wobei die Genauigkeit der Angabe der näheren Umstände auffällt.19 Die Jünger wecken Jesus.20 Sie bitten aber nicht etwa um eine wunderbare Rettung, sondern der Leser erfährt aus ihren Worten, daß sie die entstandene Situation als ihren unmittelbar bevorstehenden Untergang deuten;21 es ist sogar denkbar, daß Jesus als in das »wir« des aÆpollyÂmeua mit eingeschlossen vorzustellen ist.22 Mit 4,39 wechselt das Erzähltempus vom eher etwas hastigen Präsens zum Aorist; das eigentlich unnötige diergeueiÂw soll wohl suggerieren, daß Jesus zuerst einmal überhaupt »wach werden« muß – als so Äì aÆnemv Äì und wenig bedrohlich erscheint ihm die Lage. Die Wendung eÆpetiÂmhsen tv der »Schweigebefehl« an das Meer erinnern an 1,25 (vgl. 9,25), d. h. Wind und Meer sind als lebendige Wesen vorgestellt. Das bedeutet freilich nicht, daß formgeschichtlich »von einer gewissen Nähe der Sturmbeschwörung zu den Dämonenaustreibungen auszugehen« sei,23 sondern es zeigt, daß hier wie dort derselbe Autor formuliert. Auf Jesu Wort hin legt sich der Wind,24 und das Meer beruhigt sich, was mit dem sehr umfassenden Ausdruck galhÂnh megaÂlh, der sonst im Bibelgriechischen gar nicht begegnet,25 beschrieben wird. Erst jetzt wendet sich 17 D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 1987, 96: Dies steigere die Gefahr, insofern auch andere – nicht nur Jesus und die Jünger – von dem Kommenden betroffen sein werden. Aber warum ist dann in 4,37b nicht der Plural gesetzt? W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus, 1. Kapitel 1–9,1 (ÖTK 2/1), Gütersloh und Würzburg 1979, 255, sieht in den anderen Booten einen »Traditionssplitter« aus der von ihm angenommenen »Grundschrift«, den Mk in den im übrigen ganz von ihm redaktionell gebildeten V. 36 aufgenommen habe. Ähnlich im Grunde schon Bultmann, Geschichte (s. Anm. 3), 230: Die Erwähnung ist »alt . . . und infolge der Redaktion unverständlich geworden«. Welche Funktion könnten diese Boote »ursprünglich« gehabt haben? G. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien (StNT 8), Gütersloh 1974, 110 erwägt, in der Tradition sei möglicherweise vom Untergang dieser Boote berichtet worden. 18 Die coniugatio periphrastica (wie in Mk 2,18) beschreibt Jesu Schlaf als einen länger andauernden Zustand. 19 Mt und Lk haben hier erheblich korrigiert. Der technische Begriff pry  mna begegnet im NT bezeichnenderweise nur noch Apg 27,29.41; toÁ proskefaÂlaion (hapax legomenon im NT) ist offenbar »das (eine) Kissen« im Boot. 20 Die Anrede dida  skalow begegnet hier zum erstenmal bei Mk; vgl. aber didaÂskein und didaxh (zuletzt in 4,1 f.). 21 Anders dagegen die Mt-Parallele in 8,25: ky  rie, sv Ä son, aÆpollyÂmeua und in der Tendenz wohl auch Lk 8,24. 22 Die spätere Reaktion Jesu in 4,40 zielt jedenfalls sicher nicht darauf, daß die Jünger »nur an sich dachten und nicht bereit waren, untereinander und mit Jesus die Gefahr zu teilen« (so Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 196). 23 So Kertelge, Wunder (s. Anm. 3), 92. 24 Die Wendung eÆko  pasen oë aÍnemow verwendet Mk abermals in 6,51, wo der Sturm für die Jünger zwar hinderlich, aber nicht bedrohlich gewesen war. Gnilka, Markus I (s. Anm. 5), 196, verweist als Parallele auf Ps 107,28 f.; der LXX-Text zeigt allerdings gar keine Nähe zu Mk 4,39. 25 Vgl. aber galhno  w in 4 Makk 13,6 und vor allem galhÂnh bei Philo, Congr 93 (s. o. Anm. 9).

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Jesus an die Jünger.26 Die erste seiner beiden vorwurfsvollen Fragen (tiÁ deiloi eÆste . . .;) ergibt sich unmittelbar aus dem Zusammenhang; die zweite Frage dagegen kommt überraschend, weil von piÂstiw außer in 2,5 bei Mk noch gar nicht die Rede gewesen war. Jesus hatte aber in 1,15 dazu aufgerufen, »an das Evangelium zu glauben«; so ist denkbar, daß der Erzähler Jesus hier konstatieren lassen will, die Jünger seien bislang vergeblich Adressaten dieses Aufrufs gewesen.27 Die Jünger reagieren mit großer Furcht28 und fragen sich, wer »dieser« ist,29 womit die Episode schließt (4,41). Der Sturmstillungsperikope liegt eine in sich abgerundete Erzählung zugrunde – nichts weist darauf, daß es sich um einen Ausschnitt aus einem größeren Handlungsfaden handelt. Zu fragen ist aber, ob sich Tradition und mk Redaktion voneinander scheiden lassen. Nach D. Lührmann wäre der Dialog 4,38b. 40 mk und ebenso »weitgehend die Einleitung« in 4,35 f., die die Erzählung in den Kontext einbindet;30 ähnlich analysieren die meisten Exegeten. Dem läßt sich aber entgegenhalten, daß die Aussagen in 4,38a; 4,38b und 4,39 unmittelbar aufeinander bezogen sind; umgekehrt ist in 4,40 allenfalls die zweite der von Jesus gestellten Fragen »typisch mk«. Nicht zu Unrecht stellt K. Kertelge fest, innerhalb der Erzählung seien typisch mk Motive nicht zu finden. Allerdings sieht auch er in 4,40 (sowie vielleicht in 4,38b) »sekundäre« Interpretation – freilich nicht aus der Feder des Mk, sondern aus der eines früheren Bearbeiters; der Evangelist selbst sei sich des Unterschiedes zwischen der ursprünglichen Erzählung und ihrer nachträglichen Deutung »wohl kaum mehr bewußt gewesen«, sondern sei mit seiner Redaktion zur Intention des ursprünglichen Erzählers zurückgekehrt.31 Dann aber ist doch gerade die Annahme am wahrscheinlichsten, daß der Endredaktor Mk für die jetzt vorliegende Gestalt der Erzählung als ganzer verantwortlich ist, denn »Brüche« oder auch nur »Spannungen« sind nicht zu erkennen. Handelt es sich bei der Sturmstillungserzählung um eine Wundergeschichte oder um eine Epiphanieerzählung? Letzteres nimmt K. Berger an, der meint, es gebe eigentlich keinen Unterschied zur Seewandelerzählung Joh 6,16–21.32 Aber 26 Gnilka, Markus I (s. Anm. 5), 193, meint, der Jüngertadel in 4,40 scheine »zu spät zu kommen. Man erwartet ihn vor dem wunderbaren Eingreifen Jesu«. Aber die jetzige Abfolge entspricht der normalen Erzähldramatik: Erst nach dem Ende des Sturms ist Zeit zum Gespräch. 27 Wie anstößig der Vorwurf oy Í pv eÍxete piÂstin ist, zeigen die Korrekturen bei Lk (poyÄ hë piÂstiw yëmv Ä n; Schmithals, Markus I [s. Anm. 17], 256, hält diese Formulierung für »sachgemäß«) und bei Mt (oÆligoÂpistoi), aber auch der handschriftliche Befund bei Mk. Schmithals, aaO., 257, meint gegen die Textevidenz, die von A, C und Mehrheitstext bezeugte Lesart pv Ä w oyÆk eÍxete piÂstin (so Nestle25) sei die ursprüngliche, weil die von a, B, D, L usw. bezeugte Lesart eine der Grundschrift (!) »unangemessene Voraussetzung« enthalte. 28 Die figura etymologica eÆfobh  uhsan foÂbon begegnet bei Mk nur hier. Vgl. Jon 1,10.16 LXX. 29 Nach Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 257, ist 4,41b redaktionell mk und soll das Jüngerunverständnis markieren. Dagegen m. R. schon Bultmann, Geschichte (s. Anm. 3), 230. 30 Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 96. 31 Kertelge, Wunder (s. Anm. 3), 98. 32 Berger, Formgeschichte (s. Anm. 7), 305.

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die Differenz ist ganz deutlich: In Mk 4,35–41 steht die Not der Menschen im Vordergrund, und Jesus beendet diese tödliche Bedrohung; in Joh 6,16–21 (bzw. Mk 6,45–52) dagegen ist der Sturm für die Jünger zwar lästig, aber er gefährdet sie nicht. Furcht wird dort gerade nicht ausgelöst durch Jesu Abwesenheit (bzw. Schlaf), sondern durch sein Kommen; auf diese Furcht bezieht sich das für die Epiphanie charakteristische eÆgv eiÆmi´ mh fobeiÄsue, während die auf der Erzählebene nicht beantwortete Frage »Wer ist dieser?« (4,41) in einer Epiphanieerzählung ganz unpassend wäre. Die theologische Absicht der Sturmstillungserzählung zeigt sich weniger im erzählten Geschehen als vielmehr auf der Ebene der von den Beteiligten gesprochenen Worte. Der von den Jüngern Jesus gegenüber erhobene Vorwurf (4,38b) ist für die Leser des Mk nachvollziehbar, wenn und insofern sie selbst sich in einer analogen Bedrohungssituation befinden.33 Dementsprechend zielt Jesu Antwort in 4,40 im Grunde auf die Leser, die – obwohl Christen und daher also eigentlich »gläubig« – »noch keinen Glauben« haben.34 Die Offenheit der abschließenden Frage von 4,41 impliziert infolgedessen eine durchaus beabsichtigte Ambivalenz: Aufgrund des geschehenen Wunders könnte Jesus ähnlich wie etwa in 2,12 von den Jüngern als Wundertäter akklamiert werden;35 aber diese Reaktion soll offenbar den Lesern überlassen bleiben.36 Die folgende Erzählung 5,1–20 knüpft unmittelbar an den Bericht von der Überfahrt über den See Genezareth an; wieviel Zeit diese Reise in Anspruch genommen haben könnte, braucht nicht erörtert zu werden – es ist bei der Ankunft jedenfalls nicht Nacht. Berichtet wird vom Aufenthalt Jesu im Land der Gerasener; Jesu Begleiter werden nicht erwähnt.37 Schon in der Einleitung (5,1) macht der Erzähler deutlich, daß der Leser sich das Gebiet auf der anderen Seite des »Meeres« (vgl. 4,35) als ein fremdes »Land« vorzustellen hat.38 Bestätigt wird 33 Hierin liegt das Recht der stark symbolischen, im Grunde allegorischen Auslegung bei Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 258–264. Es ist aber unnötig, eine konkrete Gemeindesituation als Hintergrund anzunehmen (so m. R. auch Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 197). 34 Vgl. Koch, Bedeutung (s. Anm. 5), 98: Es wird »diejenige Haltung als Unglaube qualifiziert, die – nach Ostern! – die Abwesenheit des Herrn nur als Verlassensein der Gemeinde von ihrem Herrn zu verstehen vermag«. Freilich gilt eine derartige Interpretation auch dann, wenn man nicht damit rechnet, daß 4,38b. 40 »sekundär« mk sind. 35 Vgl. Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 97: Die Erzählung erhält »von ihrem Ende her etwas Zweideutiges«. 36 Nach Dibelius, Formgeschichte (s. Anm. 3), 92, impliziert die Frage, daß »Hörer oder Leser sich die Antwort selbst geben«, nämlich daß Jesus »die sichtbare Erscheinung Gottes auf Erden ist«. 37 Textkritisch spricht einiges dafür, mit Greevens Synopse in 5,1 h Ë luen statt hËluon (so Nestle-Aland26) zu lesen. Die singularische Formulierung ist zweifellos die »härtere« Lesart und durch Handschriften des ägyptischen Texttyps und des »Caesarea«-Textes nicht schlecht bezeugt; Zeugen für den Plural sind neben der Koine vor allem a* und B, die möglicherweise der Lk-Fassung gefolgt sein könnten. Mt hat in seinem Mk-Exemplar offensichtlich den Singular gelesen. 38 Vgl. die erneute Verwendung des Stichwortes xv  ra in 5,10 (vgl. 5,17). Das Gewicht des Ausdrucks xvÂra t. Ger. wird von D.-A. Koch, Inhaltliche Gliederung und geographischer Auf-

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dies später durch die betonte Markierung der Rückkehr in jüdisches Gebiet (5,21 f.)39 sowie durch das in der Erzählung geschilderte Geschehen selbst. Die reale historisch-politische bzw. geographische Situation spielt dabei offenbar keine Rolle; Mk jedenfalls denkt das »Land der Gerasener« als einen am Ostufer des Sees Genezareth gelegenen Teil der (heidnischen) Dekapolis.40 Als Jesus das Boot verlassen hat,41 begegnet ihm ein aÍnurvpow eÆn pneyÂmati aÆkauaÂrtvì. Die Kennzeichnung dieses Mannes entspricht der in 1,23 gegebenen, d. h. die Aussage enthält für den Leser das Signal, er müsse nun mit ähnlichen Ereignissen wie in Ä n mnhmeiÂvn der Synagoge von Kapharnaum rechnen.42 Daß der Mann eÆk tv kommt, ja, daß die Gräber geradezu seine Wohnung sind (5,3a), soll offensichtlich anzeigen, daß der Besessene eine »normale« Existenz unter den Lebenden gar nicht führt. Im Unterschied zur Erzählung in 1,23 ff. beginnt jedoch nicht sogleich die Handlung, sondern zunächst werden (5,3b–5) »Hintergrundinformationen« gegeben, die sich später als für das Verständnis der Handlung notwendig erweisen werden.43 Aus der Perspektive des »allwissenden Erzählers« heraus wird die Schwere der Besessenheit beschrieben, auffallenderweise freilich allein unter dem Aspekt, daß seine Mitmenschen den Kranken gewaltsam zu bändigen versucht hatten;44 die einzige Gewalttätigkeit, die der Kranke begeht, ist eine gegen ihn selbst gerichtete (katakoÂptvn eëaytoÁn liÂuoiw45). 5,6 nimmt 5,2 wieder riß im Markusevangelium, NTS 29 (1983) 145–166, hier: 162 Anm. 47, unterschätzt, wenn er ihn mit der Wendung taÁ meÂrh Dalmanoyua (8,10) in seiner Funktion gleichsetzt. Auch ist eine Schweineherde im jüdischen Galiläa undenkbar. Kochs Hinweis (aaO., 151), die Dekapolis fehle in der Liste in 3,7 f., trägt wenig aus, weil jene Liste ungenau ist (z. B. werden Judäa und Jerusalem nebeneinander genannt). Kochs Beobachtung, daß nach 8,26 keine Seeszene mehr folgt (aaO., 150), bleibt freilich richtig. 39 eiÆw toÁ peÂran nimmt 4,35; 5,1 wieder auf, hat aber jetzt einen anderen Akzent (pa  lin !). Ebenso wie im Anschluß an den »Ausflug« ins Heidenland in 7,24–8,9 wird die Rückkehr in Ä n aÆrjüdisches Gebiet durch eine typische Begegnung markiert (8,11: oiÆ FarisaiÄoi; 5,22: eiÎw tv xisynagvÂgvn). 40 Zu Gerasa s. den knappen Überblick bei Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 99. Nach Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 265 könnte es Mk gewesen sein, der eine in der »Grundschrift« ursprünglich richtige Ortsangabe in eine falsche umgeformt hat; Gnilka, Markus I (s. Ä n sei zu Anm. 5), 202, macht dafür einen Abschreiber verantwortlich – die Lesart Gergeshnv bevorzugen. 41 Von den Jüngern ist erst wieder in 5,31 die Rede; man kann sie vielleicht als unausgesprochen anwesend denken. 42 Das bestätigt sich in 5,6 ff. mit bis ins einzelne gehenden Übereinstimmungen mit der Exorzismus-Erzählung 1,23–26 (s. die Übersicht bei Kertelge, Wunder [s. Anm. 3], 104). Die Erwähnung eines »unreinen Geistes« ist zwingender Bestandteil einer solchen Erzählung (vgl. 1,23; 7,25; vgl. in 9,14 ff. den Wechsel von pneyÄma aÍlalon in den Worten des Vaters [9,17] zu pneyÄma aÆkaÂuarton in der Schilderung in 9,25). 43 Mt und Lk streichen diese Informationen (Lk trägt sie in 8,29b teilweise nach). Ohnehin ist die Geschichte vor allem bei Mt »stilreiner« erzählt als bei Mk. 44 Deshalb ist wohl auszuschließen, daß mit der Schilderung des Besessenen »das Wesen des Heidentums veranschaulicht werden soll« (so Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 203): die Leute, die dem Besessenen bislang entgegengetreten waren, waren ja auch Heiden. 45 Dies ist zu Recht betont bei Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 268.

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auf: Als der Mann Jesus sieht, läuft er ihm entgegen und schreit ihn an, wobei er dieselben Worte gebraucht wie der Besessene in der Synagoge von Kapharnaum (5,7 entspricht 1,24)46; der im Munde des Kranken47 begegnende Hoheitstitel yiëoÁw toyÄ ueoyÄ toyÄ yëciÂstoy ist offenbar eine bewußt intendierte hellenistische Umformung von oë aÏgiow toyÄ ueoyÄ (vgl. das Summar in 3,11)48. Man könnte fast meinen, daß die Anrede eine Antwort auf die in 4,41 gestellte Frage sein soll. Die beschwörende Bitte, Jesus möge ihn49 nicht quälen, ist vor dem Hintergrund der zuvor geschilderten Erfahrung des Kranken verständlich;50 überdies hat, wie eigenartigerweise erst jetzt gesagt wird, Jesus dem unreinen Geist bereits den Ausfahrbefehl51 erteilt.52 Jesus reagiert – nach dem Ausfahrbefehl! – auf die Bitte mit der für das Folgende anscheinend wichtigen Frage nach dem Namen des Dämons (5,9a)53, den dieser auch prompt gehorsam nennt – sogar mit einer Erläuterung.54 Mit einer weiteren Bitte,55 die nicht in wörtlicher Rede überliefert, son-

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Eine Anspielung auf 1 Kön 17,16 liegt nicht vor (vgl. Joh 2,4). Deutlicher noch als in 1,24 bleibt die Person des »ich« offen; der unreine Geist und der Mensch sind im Grunde identisch. 48 Vgl. F. Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum (FRLANT 83), Göttingen 21964, 297. yÏcistow ist aber auch eine häufige jüdische Gottesbezeichnung. 49 S. Anm. 47. 50 Daß der Dämon »eine Beschwörung« versucht, um – wenn auch ohnmächtig – »seine Macht zu zeigen« (so Lührmann, Markus [s. Anm. 17], 100; ähnlich viele andere), ist wenig wahrscheinlich; dem widerspricht schon der Inhalt der beschwörenden Bitte. Aus demselben Grund kann man auch nicht sagen, hier sei ironisch »der Dämon zum hilflosen Beschwörer gemacht« (so Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 205), was Mk mit seinem nachgetragenen V. 8 dann übersehen habe. Richtig Berger, Einführung (s. Anm. 8), 154. 51 e Í jelue eÆk wie in 1,25; 9,25. 52 V. 8 dient offenbar dazu, anzuzeigen, daß die Initiative entgegen dem Anschein (5,6 f.) von Jesus ausgegangen war. Gibt es einen zwingenden Grund für die Annahme, daß V. 8 sekundär von Mk in einen festen Zusammenhang eingeschoben wurde? Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 99, betont m. R. (gegen Koch, Bedeutung [s. Anm. 5], 63, und vor allem Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 265 f.274), daß 5,8 die Erzählung keineswegs stört, sondern daß im Gegenteil »gerade durch den Nachtrag die Spannung noch gesteigert wird«. Wäre V. 8 »sekundär«, so würde ein Ausfahrbefehl ganz fehlen; der Exorzismus ginge in der »ursprünglichen« Erzählung auf eine (dann erst in V. 12 geschilderte) eigene Initiative des Dämons selber zurück, was sehr unwahrscheinlich sein dürfte. 53 Gegen E. Klostermann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 51971, 49, liegt hier nicht das Motiv vor, man müsse den Namen des Dämons kennen, um ihn bannen zu können; 5,7 f. haben ja das Ergebnis schon vorweggenommen, und kein Leser nimmt an, der Befehl Jesu in V. 8 sei womöglich unzureichend gewesen. 54 Diese Erläuterung (o Ï ti polloi eÆsmen) zeigt, daß der Name legivÂn offenbar keine »tiefere«, womöglich politische Bedeutung hat. Vgl. TestSal 11,3, wo »Legion« die Gesamtheit der Dämonen bezeichnet. Die politische Deutung (im Anschluß an Theißen etwa bei Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 205) ist vor allem dann in sich widersprüchlich, wenn der Besessene »das Wesen des Heidentums« repräsentieren soll (s. o. Anm. 44). Sind die Gerasener nach der Vertreibung des »Legion« keine Heiden mehr? Kompliziert ist die Erwägung von Theissen, Lokalkolorit (s. Anm. 14), 116 f., zu 5,17: Die romfreundlichen heidnischen Gerasener hätten jemanden, »der 47

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dern referiert wird (5,10), erkennt der Dämon »Legion« Jesu Überlegenheit ausdrücklich an – er möchte nur nicht außer Landes getrieben werden. Nun wird, ähnlich wie zuvor in 5,3b–5, der Handlungsfortgang unterbrochen, und zwar durch eine Situationsschilderung, deren Bedeutung sich erst später erweisen wird; die in 5,11 erwähnte große von Hirten geweidete Schweineherde erscheint jüdischen wie nichtjüdischen Lesern sicher als ein weiteres Indiz dafür, daß man sich außerhalb jüdischen Landes befindet. Die seltsam doppelt formulierte zweite Bitte56 der Dämonen57 zeigt, daß ihnen die Freiheit der Entscheidung bereits genommen ist: Ohne Jesu ausdrücklichen Befehl können sie ihren Aufenthaltsort nicht mehr verändern. Nachdem Jesus (5,13) den entsprechenden Befehl gegeben hat58, fahren die Dämonen aus dem Menschen heraus59 und in die Schweine,60 woraufhin sich die Herde vom Berg ins Meer61 stürzt, in dem die zweitausend62 Schweine ertrinken.63 Die Hirten reagieren darauf mit Flucht; sie berichten in »der Stadt«64 und auf dem Land von dem Vorgefallenen, weshalb »man exorzistisch gegen eine ›Legion‹ vorging«, nicht in ihrem Lande haben wollen und Jesus deshalb fortgeschickt. Aber wie wären dann die Aussagen in 5,3–5 zu verstehen? 55 In 5,10 verwendet der Erzähler erstmals das Verb parakalei Än (außerdem dann in V. 12.17.18). Üblicherweise kommt dies Verb einmal, nämlich zu Beginn, in einer Wundererzählung vor (1,40; 5,23; 7,32; 8,22 vgl. 6,56). 56 peÂmcon h ë ma Ä w . . . Ïina . . . eiÆseÂluvmen. 57 Der Wechsel vom Singular pareka  lei (5,10) zum Plural parekaÂlesan (5,12) zeigt an, daß die Identität von Mensch und Dämon(en) (s. o. Anm. 47) jetzt aufgehoben wird. 58 eÆpeÂtrecen ayÆtoi Äw als Reaktion auf die Bitte peÂmcon ist m. E. nicht mit »er gewährte es ihnen« zu übersetzen (so Bauer/Aland, Wörterbuch, s. v. eÆpitreÂpv 1), sondern entsprechend der ebenso möglichen Bedeutung des Verbs mit »er befahl es ihnen«. Der Ausfahrbefehl braucht nach V. 8 natürlich nicht wiederholt zu werden. 59 Die Verwendung einer Form von eÆjeÂrxomai ist eines der wenigen konstitutiven Gattungselemente (vgl. 1,26; 7,29 f.; 9,26); der Erzähler signalisiert den Vollzug des Exorzismus, ohne daß darauf reflektiert sein müßte, woran man das Ausfahren äußerlich erkennt. 60 In V. 8 (e Í jelue), V. 12 (eiÆseÂluvmen) und V. 13 (eÆjeluoÂnta . . . eiÆsh Ä luon) liegt ein Spiel mit »ausfahren« und »hineinfahren« vor. 61 Die räumliche Nähe des »Meeres« ergibt sich zwanglos aus dem Kontext. 62 Die erst jetzt genannte Zahl bestätigt die Angabe des Dämons von 5,9; vgl. Dibelius, Formgeschichte (s. Anm. 3), 86. Freilich ist Dibelius’ Annahme, die Erzählung habe sich ursprünglich nicht auf Jesus, sondern auf einen jüdischen Exorzisten im Heidenlande bezogen und entbehre »des evangelischen Ethos« (aaO., 98), nur zu erklären mit dem Vorurteil, ein christlicher Erzähler könne doch nicht am Schicksal der Schweine und ihrer Eigentümer achtlos vorübergegangen sein. 63 Der Erzähler setzt dabei übrigens nicht ausdrücklich voraus, daß damit auch die Dämonen umgekommen seien (vgl. Klostermann, Markus [s. Anm. 53], 49); deren Schicksal interessiert im Grunde nicht mehr (so m. R. Dibelius, Formgeschichte [s. Anm. 3], 85). Keinesfalls soll gesagt werden, daß das Land nun von Dämonen frei sei (so Schmithals, Markus I [s. Anm. 17], 277). Gemeint ist wohl auch nicht, daß die Dämonen »um das Logis geprellt sind« (so Bultmann, Geschichte [s. Anm. 3], 224, im Anschluß an Wellhausen), denn dann müßte die Vorstellung die sein, daß die »besessenen« Schweine nun gegen den Willen der Dämonen handeln. Das gilt noch deutlicher gegenüber der Auslegung bei Gnilka, Markus I (s. Anm. 5), 206, so seien »die Dämonen für immer unschädlich gemacht«. Soll dies bedeuten, bei den anderen Dämonenaustreibungen im Mk sei das nicht der Fall?

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kommt«,65 um Näheres zu erfahren (5,14). Sie kommen (5,15) zu Jesus, dessen Name hier erstmals genannt wird, offenbar um Verwechslungen auszuschließen; der Wechsel in den Präsensstil soll wohl zeigen, daß sich die Ereignisse rasch vollziehen. Bei Jesus sehen sie den daimonizoÂmenow, und erst jetzt, also gleichsam mit den Augen der Neuankömmlinge,66 erfährt auch der Leser, daß jener Mann »normal« geworden ist,67 was Furcht auslöst.68 Die Augenzeugen erzählen69 nun ausführlich von dem Geschehen, dessen Einzelheiten der Leser bereits kennt und das deshalb nur mit einigen Stichworten angedeutet zu werden braucht (5,16). Die daraufhin ausgesprochene Bitte, Jesus möge ihr Gebiet verlassen,70 ist verständlich;71 und Jesus kommt der Aufforderung auch sofort nach (5,18a). Dagegen lehnt er den Wunsch des daimonisueiÂw, ihn begleiten zu dürfen,72 ab; der nunmehr Gesunde soll vielmehr zu Hause berichten, was oë kyÂriow ihm getan und wie er sich seiner erbarmt hat.73 Der Geheilte gehorcht, modifiziert aber den 64 Vorausgesetzt ist also, daß es nicht nur ein »Land der Gerasener« gibt, sondern auch die dazugehörende, nahegelegene Stadt. 65 Subjekt von h Ë luon iÆdeiÄn sind natürlich die Bewohner der Stadt und die Leute vom Lande. 66 5,15 nimmt literarisch geschickt 5,3b–5 wieder auf – die Heilung wird ebenso wie zuvor die Krankheit im Gegenüber zur Umgebung des Mannes dargestellt. 67 In 5,13 war eine Demonstration des Ausfahrens der Dämonen berichtet worden, ohne daß vom Schicksal des bisher Besessenen überhaupt die Rede gewesen war (ebenso 1,26; anders 9,27: aÆneÂsth). 68 Vorausgesetzt ist natürlich, daß alle den eÆsxhkv Á w toÁn legiv Ä na kennen; nach dem Bericht der Hirten hatten sie offenbar noch keinen Anlaß, zu erwarten, sie könnten den Besessenen gesund vorfinden (s. die vorige Anm.). Dementsprechend reagieren sie auf das ihnen ganz unvermutet begegnende Unheimliche. 69 Wer oië iÆdo  ntew sind, wird nicht gesagt, es können durchaus (einige der) Hirten sein. Jedenfalls zeigt die Formulierung in 5,16 (dihghÂsanto ayÆtoiÄw) eine bewußte Differenz zum objektlosen aÆphÂggeilan in 5,14; zu beachten ist auch der Wechsel von ti eÆstin toÁ gegonoÂw (V. 14b) zum pv Äw eÆgeÂneto (V. 16). 5,16 ist deshalb durchaus nicht als ungeschickte Wiederholung von 5,14b anzusehen (so Koch, Bedeutung [s. Anm. 5], 83), sondern als erzählerisch sehr geschickte Verfeinerung. 70 Ob an einen unmittelbaren Bezug zu 5,10 zu denken ist (so Lührmann, Markus [s. Anm. 17], 101), läßt sich schwer sagen, weil die Formulierungen im einzelnen stark differieren. 71 Nach Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 279, denken die Bewohner nicht an ihren materiellen Schaden, sondern sie fürchten sich angesichts der Manifestation göttlicher Gegenwart. 72 Zu Ïina met’ ayÆtoy Ä hËì vgl. die analoge Formulierung bei der Berufung der Zwölf in 3,14. Diese Übereinstimmung ist sicher kein Zufall: Mk signalisiert, daß der Geheilte ein Jünger Jesu werden will – und in gewisser Weise wird er es ja auch (V. 20). 73 oë ky  riow ist hier offensichtlich Gottesprädikat und bezeichnet ganz im traditionellen Sinn den Gott Israels, der sich durch Jesus im heidnischen Land als gnädiger Gott erwiesen hat. Dieser Inhalt des aÆpaggeÂllein schließt die Möglichkeit aus, Jesu Weisung sei so zu interpretieren, der Mann solle nur »in dem bereits eingegrenzten Personenkreis ›berichten‹« und V. 20 stehe dazu dann im Gegensatz (so Koch, Bedeutung [s. Anm. 5], 81; vgl. Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 206 f.). Die Erwähnung des Hauses und der Familie nimmt offenbar auf V. 3 Bezug: Der Geheilte erhält sein soziales Umfeld neu. Keinesfalls kann man den Auftrag aÆpaÂggeilon . . . oÏsa . . . als eine Art Schweigegebot deuten (gegen Theissen, Wundergeschichten [s. Anm. 17], 149 f., der freilich annimmt, auf der vormk Ebene – d. h. ohne den von ihm für redaktionell gehaltenen V. 20 – sei V. 19 noch nicht als Schweigegebot gemeint gewesen).

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Auftrag Jesu, indem er in der Dekapolis74 verkündigt,75 was Jesus für ihn getan hat,76 woraufhin »alle« sich verwundern.77 Auffallend ist das zweimalige, betonte Äì): Jesu Tat hat dem bisher vom »unreinen Geist« Dativobjekt (soi bzw. ayÆtv Beherrschten die Gabe geschenkt, eine menschliche Person zu sein. Jesus hat ihm also eine Identität gegeben, während seine Mitmenschen mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln (5,3b–5) nichts ausgerichtet oder eher noch das Gegenteil erreicht hatten. Wieder ist deutlich, daß in Mk 5,1–20 eine in sich abgeschlossene Erzählung vorliegt. Aber wieder ist auch fraglich, ob sich Tradition und Redaktion exakt voneinander unterscheiden lassen. Nach der Analyse D. Lührmanns stellen 5,1a. 2a. 18a eine mk Kontextverknüpfung dar; außerdem habe der Evangelist in 5,8 den in der Erzählung ursprünglich fehlenden ausdrücklichen Exorzismus nachgetragen.78 Tatsächlich ist aber lediglich das in 5,2a erwähnte Boot für die Erzählung unnötig; ansonsten setzt die erzählte Handlung sowohl die Nähe zum Wasser als auch insbesondere eine nichtjüdische Umgebung voraus. Der Ausfahrbefehl ist für eine Exorzismuserzählung konstitutiv79 und kann eigentlich niemals gefehlt haben. Andererseits zeigen gerade 5,19.20 typisch mk theologische und sprachliche Züge;80 und auch die starke Betonung des (fremden) »Landes« ist so wirklich sinnvoll nur im Kontext des ganzen Evangeliums, wenn der Leser weiß, daß Jesus zwar schon oft paraÁ thÁn uaÂlassan gewesen war, daß er sich aber bisher noch nie eiÆw toÁ peÂran begeben hatte. Offenbar liegt der Perikope eine Erzählung von einem Exorzismus und dem Untergang einer Schweineherde 74 Daß Gerasa zur Dekapolis gehört, wird als allgemeines Hintergrundwissen bei den Lesern vorausgesetzt. 75 h Í rjato khryÂssein wie in 1,45; anders als dort geht hier aber gerade kein Schweigebefehl voraus (vgl. 1,27 f.), wo sich ebenfalls kein solcher Befehl findet). Auffallend ist die Parallelität von 1,28 und 5,20: Hier wie dort erfolgt nach einem Exorzismus die öffentliche Predigt von Jesus im ganzen betreffenden Landstrich (Galiläa bzw. Dekapolis). 76 Dieser Wechsel ist für das Verständnis der Wunder bei Mk charakteristisch: In Jesu Taten wird (hier: nach seinen eigenen Worten) das Handeln Gottes offenbar; für die Verkündigung steht dann Jesus selbst im Mittelpunkt (vgl. 1,1 mit 1,14 f.). Das Nebeneinander weist also nicht auf eine Schichtung von Tradition und Redaktion hin (gegen Koch, Bedeutung [s. Anm. 5], 81 f.). 77 pa  ntew eÆuayÂmazon könnte wie ein redaktionell angefügter »Chorschluß« aussehen; aber in den bei Mk erzählten Exorzismen fehlt ein solcher in der Regel (er steht nur in der Erzählung 1,23 ff., während es in 9,14 ff. und 7,24 ff. Entsprechendes nicht gibt), so daß kein Anlaß zu der Annahme besteht, der Evangelist habe etwas »Fehlendes« nachgetragen. 78 Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 99. Vgl. J. Ernst, Das Evangelium nach Markus (RNT), Regensburg 1981, 154: Die älteste Schicht sei »eine im judenchristlichen Milieu beheimatete Austreibungsgeschichte« in V. 2b. 6.7.(8)9–11.14; es folgten noch zwei weitere vormk Entwicklungsstufen. Ernst betont freilich den stark hypothetischen Charakter solcher Analysen. 79 Mk 1,25; 9,25; vgl. 7,29b. 80 S. o. Anm. 75 und Anm. 76. Man kann 5,18–20 insgesamt freilich nur dann für einen »typisch mk«, »sekundären« Schluß halten, wenn man (mit Dibelius, Formgeschichte [s. Anm. 3], 70) V. 19 als Schweigegebot und V. 20 als dessen Durchbrechung deutet. Aber gerade V. 18, der alles Folgende auslöst, ist ohne Parallele bei Mk. Auch die These von Gnilka, Markus I (s. Anm. 5), 202, nur V. 20 sei redaktionell mk, hat wenig für sich.

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zugrunde; aber eine exakte Rekonstruktion dieser Erzählung ist nicht möglich.81 Welchen theologischen Sinn hat die Erzählung? Geht es möglicherweise thematisch um die Heidenmission? Auf der Ebene des Mk ist das zweifellos der Fall, wie 5,20 zeigt; vermutlich wird die Erzählung immer schon vom Aufenthalt Jesu in heidnischem Land gesprochen haben. Aber anders als in Mk 7,24–30 oder in Mt 8,5–13 par ist die Beziehung Jesus/Heiden nicht das konstitutive Thema. Wohl aber wird ausgesagt, daß Gottes in Jesus sichtbar werdende die Dämonen überwindende Macht an den Grenzen jüdischen Landes nicht haltmacht; Gottes Erbarmen (5,19) gewährt auch solchen Menschen ein neues Leben, die bis dahin nichts von ihm gehört bzw. sich nicht zu ihm bekannt hatten. Der folgende Abschnitt 5,21–43 ist eng mit dem vorangegangenen Text verflochten. 5,21 knüpft unmittelbar an 5,18a an; Jesus kehrt wieder an das jenseitige Ufer, d. h. in das von Juden bewohnte Gebiet (vgl. 5,22) zurück. Der oÍxlow polyÂw ist noch von 4,1.36 her vertraut;82 der Leser gewinnt fast den Eindruck, die Menge habe auf Jesus gewartet.83 Mit 5,22 beginnt eine neue Handlung: Ein vornehmer Mann84 mit dem biblischen Namen Jairus kommt und bittet Jesus kniefällig,85 er möge sein todkrankes Töchterchen86 durch Handauflegung87 retten,88 woraufhin Jesus, von der Menge begleitet, sofort mit ihm geht.89 Der Hinweis in 5,24b, die 81 Damit ist gerade nicht gemeint, daß die Erzählung schon vor Mk ihre endgültige Gestalt gefunden hätte, wie R. Pesch, Der Besessene von Gerasa. Enstehung und Überlieferung einer Wundergeschichte, SBS 56, 1972, 16 f., meint, der lediglich mit einem vormk Redaktor rechnet. Ähnlich Kertelge, Wunder (s. Anm. 3), 101–110, der mit einer längeren vormk Traditions- und Redaktionsgeschichte rechnet, dabei aber meint, der Evangelist habe die Erzählung unverändert übernommen, und seine Deutung ergebe sich nur aus der Stellung des Textes im Gesamtrahmen des Mk. 82 Nach Bultmann, Geschichte (s. Anm. 3), 229, war 5,21b ursprünglich die Einleitung zur Geschichte von der Haimorhoissa, weil diese die Volksmenge benötige. Aber dann läge eine höchst komplizierte, mehrfache Verschachtelung vor: V. 21b. 25–34/V. 22–24.35–43 und dazu dann noch V. 21a – und das alles vormk redaktionell. 83 Zu h Ë n paraÁ thÁn uaÂlassan vgl. 1,16; 2,13 und vor allem 4,1. Diese Parallelen legen die Annahme nahe, daß mit hËn Jesus gemeint ist. 84 Da eine Synagoge üblicherweise nur einen a Æ rxisynaÂgvgow hatte (W. Schrage, Art. synÄ n aÆ. wohl so zu interpretieren, daß es in der agvghÂ, ThWNT VII, 842–845), ist der Ausdruck eiËw tv Gegend (in dem Ort?) mehrere Synagogen gab, wodurch der Eindruck, Jesu befinde sich wieder in jüdischem Land, zusätzlich unterstrichen wird. 85 Dieser Gestus begegnet im Zusammenhang von Wundererzählungen bei Mk in 1,40 (textkritisch nicht ganz sicher) und vor allem in 7,25: Eine Mutter bittet für ihre kranke Tochter (!). 86 Zum Diminutiv uyga  trion und überhaupt zur geschilderten Situation vgl. Epikt Diss I 11,4, wo von der Sorge eines Familienvaters um das todkranke Töchterchen berichtet wird. 87 Eine solche Bitte begegnet im Rahmen einer Wundererzählung wieder in Mk 7,32; daß Jesus durch Handauflegung geheilt habe, wird dagegen mehrfach gesagt (zuvor in 1,41). 88 Das Verb sv Âìzein ist im Zusammenhang mit Heilungsgeschichten ganz ungewöhnlich; umso mehr fällt auf, daß es gleich in 5,28.34 wieder gebraucht wird und daß Mk es auch im Summar 6,56 und im Spott der Leute unter dem Kreuz (15,31) verwendet. 89 Der Gang der Handlung ist also ein anderer als in Joh 11, wo der Kranke stirbt, während sich Jesus gerade noch nicht auf den Weg gemacht hat (V. 6). Bemerkenswert ist, daß 5,23 der

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Leute hätten Jesus (körperlich) bedrängt, hat in diesem Zusammenhang keine Funktion;90 er dient vielmehr offensichtlich dazu, schon die nächste Szene vorzubereiten und plausibel zu machen (vgl. 5,31). Die Erzählung in 5,25–34 ist in vielerlei Hinsicht ganz ungewöhnlich:91 Anders als in allen anderen mk Wundererzählungen steht am Anfang nicht die Schilderung einer Handlung, sondern die ausführliche Beschreibung einer Person,92 einer an unstillbarer Menstruation leidenden Frau. Berichtet wird dies aus der Perspektive des »allwissenden Erzählers«,93 der nicht nur die verborgene Krankheit und die bisherigen medizinischen Heilungsbemühungen kennt, sondern der auch die vorangegangenen Überlegungen der Frau wiedergeben kann (5,27a. 28).94 Das einzige äußerlich sichtbare Geschehen ist die in 5,27b erwähnte Berührung,95 von der freilich selbst die unmittelbaren Begleiter Jesu nichts wahrnehmen (5,31). Das sofortige Aufhören der Blutung wird in 5,29a als (äußerlich ja nicht zu kontrollierendes) Faktum mitgeteilt; in 5,29b erfährt der Leser zusätzlich, daß die Frau diesen Vorgang – korrekt – als Heilung deutet. In 5,30 wird zum erstenmal seit 5,24a wieder Jesus als handelnde Person erwähnt; abermals ist es der Erzähler, der weiß, was Jesus gespürt hat (5,30a)96 – wahrnehmbar ist ansonneben Mk 1,29 ff.(und Mt 8,5–13 Q) einzige Fall ist, wo Jesus zu einem – konkret: zu einer! – akut Kranken gerufen wird. In allen anderen Fällen geht es um die Heilung von seit langer Zeit Erkrankten bzw. von Behinderten. Ist es Zufall, daß Jesus so selten als Arzt auftritt? 90 Es ist also schon hier deutlich, daß eine Verzögerung eintritt, die angesichts des vom Vater genannten Zustands des Kindes (V. 23: eÆsxaÂtvw eÍxei) verhängnisvolle Folgen haben kann. 91 Auf die erheblichen sprachlichen Differenzen zwischen den beiden Erzählungen macht Lohmeyer, Markus (s. Anm. 3), 104 aufmerksam. 92 In 5,25–27a stehen zunächst sieben Partizipien nebeneinander, bevor mit der finiten Verbform in 5,27b die Handlung beginnt. Nach Gnilka, Markus I (s. Anm. 5), 212, hat Mk die Erzählung hier »mit partizipialen Formen durchsetzt«; jedenfalls wirke die Vorstellung der Frau »wie eine nachgeholte Information«. Ähnlich schon Lohmeyer, Markus (s. Anm. 3), 101. 93 Die in 5,25 f. mit ausgesprochen polemischen Untertönen (s. Lührmann, Markus [s. Anm. 17], 104) erwähnten Fakten und auch das in 5,29 erwähnte Geschehen liegen nicht auf der Ebene des allgemein Wahrnehmbaren; vielmehr teilt sie der Erzähler den Lesern mit, während auf der Erzählebene niemand außer der betroffenen Frau selbst davon Kenntnis hat. Die Aussagen von 5,25 f. sind übrigens durchaus nicht für Wundererzählungen »typisch« (so Bultmann, Geschichte [s. Anm. 3], 229); die Dauer einer Krankheit wird im NT sonst nur noch in Joh 5 erwähnt (die von Bultmann, aaO., 236, genannten Parallelen treffen so nicht: Lk 13,11; Apg 3,2/4,22; 9,33; 14,8 sind redaktionell lk konzipiert, und Mk 9,21 sagt gerade nichts über die Dauer der Krankheit). Die Epidauros-Inschriften allerdings heben öfters die Krankheitsdauer hervor. 94 Das ist ohne jede Parallele in einer neutestamentlichen Wundererzählung; da es sich überdies um eine Frauenkrankeit handelt, könnte man vielleicht sogar erwägen, ob die Erzählung nicht ursprünglich auf eine Erzählerin zurückgeht. Für die Annahme, V. 28 sei mk (so erwogen von Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 213, und Lührmann, Markus [s. Anm. 17], 103), fehlt jedes Indiz; würde diese Reflexion fehlen, so wäre das Ganze als reines Zufallsgeschehen dargestellt. Das Wissen von Jesu Wunderkräften und der Heilkraft der Berührung teilt die Frau mit den Lesern des Mk (vgl. 3,10). 95 Erzählerisch geschickt wird zuerst in 5,27b die Handlung genannt und dann in V. 28 das dieser zugrundeliegende Motiv. 96 Auffallend ist, daß V. 30a das Wunder »erklärt«, während eine beschreibende Aussage über

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sten nur die von Jesus gestellte Frage (5,30b).97 Auf diese Frage reagieren die Jünger, die erstmals seit der Sturmstillungserzählung überhaupt erwähnt werden, in ausgesprochen »belehrender« Weise, indem sie auf die äußeren Umstände verweisen.98 Jesus aber, so deutet der Erzähler durch die Formulierung in 5,32 an, weiß jedenfalls, daß es eine Frau war, die ihn berührt hatte.99 Als Reaktion auf Jesu suchenden Blick kommt die Frau, die ihr Widerfahrnis ja mit Recht als Wunder gedeutet hatte,100 zu Jesus und sagt ihm »die ganze Wahrheit«, die die Leser der Erzählung ja schon kennen.101 Jesus in seiner Antwort deutet der Frau das Geschehen als »Rettung« (svÂìzein wie in 5,28102, die durch ihren Glauben bewirkt worden sei. Das Stichwort piÂstiw soy verbindet diese Erzählung direkt mit 4,40: Der Glaube, der den Jüngern in ihrer Notsituation gefehlt hatte, ist bei dieser Frau vorhanden. Wenn Jesus überdies ein ausdrückliches Heilungswort103 anfügt, so bedeutet dies nicht, daß die Feststellung der Frau in 5,29 unzureichend oder gar falsch gewesen wäre; vielmehr soll deutlich werden, daß

das Ausströmen der dyÂnamiw nicht gemacht wird; andererseits ist parallel formuliert eÍgnv tv Äì svÂmati (von der Frau) und eÆpignoyÁw eÆn eëaytv Äì (von Jesus). 97 Nach Dibelius, Formgeschichte (s. Anm. 3), 83, hätte Jesus nur »das Ausfließen des Kraftstromes« gefühlt, nicht aber die Berührung. Dem widerspricht Jesu Frage in V. 30b. 98 Die Jünger meinen natürlich nicht, viele hätten Jesus »mit ähnlichen Absichten wie die Frau« berührt (so Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 216); sie verweisen vielmehr einfach auf das (wie auch immer konkret zu denkende) Gedränge, denn von der Frau wissen sie doch gar nichts. 99 Nach Klostermann, Markus (s. Anm. 53), 52, wäre das Femininum allerdings einfach »vom Standpunkt des Schriftstellers aus« gebraucht. 100 Zur Verbindung von fobei Äsuai und treÂmein vgl. JosAs 10,1. Koch, Bedeutung (s. Anm. 5), 138 Anm. 8, verweist auf die Ähnlichkeit des Partizipialstils in 5,25–27 und 5,33. Freilich besteht eine deutliche Differenz darin, daß V. 25 ff. eine der erzählten Handlung vorausgehende Erwägung schildert, während in V. 33 die gegenwärtige Reaktion der Frau detailliert beschrieben wird. 101 Kann man sagen, daß sie damit das Wunder »öffentlich« bestätigt (so Lührmann, Markus [s. Anm. 17], 104)? Jedenfalls ist ausdrücklich Jesus Adressat der Worte der Frau (eiËpen ayÆtv Äì). Von einer »Öffentlichmachung des Heilungsgeschehens« in 5,30–34 spricht sehr betont M. Fander, Die Stellung der Frau im Markusevangelium. Unter besonderer Berücksichtigung kulturund religionsgeschichtlicher Hintergründe (MThA 8), Münster 1989, 54–56; sie meint, in V. 31–33 fordere Jesus die Frau auf, »öffentlich zu bekennen, was sie getan hat«, wodurch der Frau eine neue Dimension eröffnet werde, da die öffentliche Rede der Frau als unzulässig galt (aaO., 55). Aber gerade dann ist umso bemerkenswerter, daß die Frau in V. 33b von sich aus redet, ohne von Jesus dazu aufgefordert zu sein. 102 Nach T. Söding, Glaube bei Markus. Glaube an das Evangelium, Gebetsglaube und Wunderglaube im Kontext der markinischen Basileiatheologie und Christologie (SBB 12), Stuttgart 1985, 419, interpretiert das Verb svÂìzein »die Heilungen als Vor-Zeichen der vollendeten Basileia«; in der Heilung der Frau »realisiert sich die heilschaffende Nähe der Gottesherrschaft«. Es darf aber nicht übersehen werden, daß Mk nirgendwo direkt einen Zusammenhang von basileiÂa und Wunder herstellt (in Q begegnet eine solche Verbindung immerhin unter Bezugnahme auf die Exorzismen, Lk 11,20/Mt 12,28). 103 yëgih  w begegnet auffallenderweise nur hier in einer mk Wundererzählung (viele Handschriften haben das Wort in Mk 3,5 entsprechend der parallelen Mt-Fassung sekundär eingefügt). In den Epidauros-Inschriften ist yëgihÁw eÆjhÄlue oder yëgihÁw eÆgeÂneto dagegen eine sehr häufige Schlußformel.

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Jesus »das letzte Wort«104 hat und die Heilung tatsächlich als eine endgültige zu denken ist.105 Wichtig ist der »Friedensgruß«: Die zwölf lange Jahre währende Lebensphase, in der die Frau ganz auf ihre Krankheit fixiert war,106 ist zuende – sie kann wirklich davongehen eiëw eiÆrhÂnhn.107 Die Erzählung von der blutflüssigen Frau bildet ein Pendant zur Erzählung vom gerasenischen Besessenen: Beide Personen erhalten durch ihre Begegnung mit Jesus eine neue Existenz, nachdem ihre Mitmenschen mit ihren Möglichkeiten gescheitert waren. Während aber der Besessene sich passiv verhält, ja, der ihn beherrschende Dämon sich zunächst vor Jesus zu schützen versucht, ist die kranke Frau in höchstem Maße aktiv – bis dahin, daß sie Jesus gar nicht um ein Wunder bittet, sondern ihn geradezu zu einer solchen unfreiwilligen Tat »zwingt«.108 In 5,35 wird der Erzählfaden von 5,24 wieder aufgenommen; der gen. abs. suggeriert dem Leser, es sei während des Gesprächs zwischen der Frau und Jesus Zeit verstrichen.109 Leute aÆpoÁ toyÄ aÆrxisynagvÂgoy kommen und teilen ihm mit, seine Tochter sei gestorben. Ihr Vorwurf ti eÍti skyÂlleiw toÁn didaÂskalon; erinnert an die besserwisserische Rede der Jünger in 5,31; Jesus reagiert dementsprechend (5,36), wobei die an den Vater gerichtete Mahnung moÂnon piÂsteye einen Zusammenhang mit 4,40 und 5,34 herstellt.110 Von diesem Moment an ist klar, daß Jesus die Tochter retten wird – die Spannung richtet sich darauf, wie dies geschehen mag. Jesus sorgt dafür, daß der oÍxlow zurückbleibt und nimmt nur diejenigen Jünger mit, die unter den Zwölf an erster Stelle genannt worden waren (3,16 f.)111; das signalisiert wohl, daß nun mit einem besonderen Ereignis zu rech104

Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 296. V. 34 steht deshalb auch nicht (gegen Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 213) »in einer gewissen Spannung« zu V. 29. 106 Zu den sozialgeschichtlichen und religiösen Aspekten des Blutflusses vgl. die ausführliche Darstellung bei Fander, Stellung (s. Anm. 101), 182–199. Zu beachten ist freilich, daß diese Thematik für die Erzählung zwar wohl vorausgesetzt, in ihr aber nicht näher expliziert ist. Welche konkreten Folgen die Krankheit für diese Frau gehabt hatte, ist in V. 26 relativ ausführlich dargestellt. Daher ist m. E. auch fraglich, ob die Erzählung wirklich »einiges über die Haltung des Urchristentums zum Menstruationstabu« verrät, wie Fander (aaO., 198) meint. Richtig ist, daß der Ausdruck hë phghÁ toyÄ aiÏmatow ayÆthÄw in 5,29 sich wohl an Lev 12,7 LXX anlehnt. 107 Nach Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 213, wäre das Geständnis der Frau »an die Stelle des bestätigenden Chorschlusses« getreten. Aber ein Chorschluß steht immer am Ende einer Erzählung; und daß Jesus ursprünglich nur den Friedensgruß gesprochen habe, wie Gnilka meint, ist eine ganz unbegründbare Vermutung. 108 Insofern kann man nicht sagen, das Motiv der Berührung sei »typisch« (so Bultmann, Geschichte [s. Anm. 3], 229); denn nicht Jesus berührt die Kranke, sondern diese berührt ihn. Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund s. Hahn, Hoheitstitel (s. Anm. 48), 312 f. 109 Nach Klostermann, Markus (s. Anm. 53), 53, bezog sich e Í ti ayÆtoyÄ laloyÄntow ursprünglich auf Jairus. 110 Das Verb pistey  ein war bislang in einer mk Wundererzählung nicht gebraucht worden; es spielt dann nur noch eine wichtige Rolle in 9,23 f. 111 Die Eltern sind von Mk nicht »vergessen« worden (so Lührmann, Markus [s. Anm. 17], 105

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nen sein wird.112 In 5,38 schildert der Erzähler das in einem Trauerhaus übliche Klagen, überraschenderweise formuliert aus der Perspektive Jesu (uevreiÄ). Jesus kritisiert das Jammern und Weinen mit der Begründung, das Kind sei nicht gestorben, sondern schlafe, was die Trauernden für lächerlich halten.113 Jesus, begleitet von den Eltern des Kindes114 und den Jüngern (zu oië met’ ayÆtoyÄ vgl. 5,37115, geht in den Raum, in dem das Kind liegt. Auffallenderweise wird eine Feststellung, das Mädchen sei tatsächlich tot, vermieden;116 für den Leser steht in diesem Augenblick vielmehr die Aussage der Leute (5,35; vgl. 5,38) gegen die Aussage Jesu (5,39).117 Jesus ergreift die Hand des Kindes118 und spricht es in aramäischer Sprache an (was freilich sofort übersetzt wird). Ist dies die Auferweckung einer Toten? Tatsächlich begegnet das »rettende« Wort soiÁ leÂgv, eÍgeire

105); die Mutter ist selbstverständlich zu Hause bei dem todkranken Kind (V. 40), und daß der Vater nach wie vor bei Jesus ist, braucht nicht erwähnt zu werden. 112 Das wird sich in 9,2; 13,3 (dort zusätzlich Andreas entsprechend 1,16–20); 14,33 bestätigen. Bultmann, Geschichte [s. Anm. 3], 228, führt 5,37 auf eine vormk Redaktionsstufe zurück. 113 Nach Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 286 f., erfährt gerade auch der Leser aus dem Gelächter der Leute, »daß das Mädchen unzweifelhaft gestorben sei«. Dann ist freilich Jesu Äußerung in 5,39 unverständlich; da hier ausdrücklich eine Alternative formuliert ist, kann »Schlaf« in keiner Weise Euphemismus oder eschatologische Umdeutung von »Tod« sein. Joh 11,11 f. ist keine Parallele (gegen Klostermann, Markus [s. Anm. 53], 53). Wenn es für Jesus als den Gottessohn überhaupt kein Sterben gibt (so Gnilka, Markus I [s. Anm. 5], 217), dann ist seine Aussage oyÆk aÆpeÂuanen sinnlos; es kann auch nicht gemeint sein, daß Jesus auf die endzeitliche Totenauferweckung hinweise (so Ernst, Markus [s. Anm. 78], 165). Die in V. 39b formulierte Alternative ist kein semantischer Trick, sondern durchaus ernstgemeint. 114 Die Mutter wird erstmals erwähnt; soll der Eindruck vermieden werden, fünf Männer hätten sich ohne weibliche Begleitung dem »schlafenden« Mädchen genähert? 115 eÆkbalv Á n paÂntaw zielt nicht darauf, »daß man die Gottheit nicht beim Werke sehen darf« (so Bultmann, Geschichte [s. Anm. 3], 239); immerhin gibt es fünf (!) Augenzeugen. Überhaupt kann man weder sagen, die Absonderung von der Menge sei »typisch redaktionell« (mk Geheimnismotiv), noch sie sei »stilgemäß«; denn das Motiv fehlt häufig ganz. 116 Vgl. dagegen Lk 8,53b: eiÆdo  tew oÏti aÆpeÂuanen; ähnlich dann 8,55a: eÂpeÂstrecen toÁ pneyÄma ayÆth Ä w. A. Suhl, Die Wunder Jesu. Ereignis und Überlieferung, in: ders. (Hg.), Der Wunderbegriff im Neuen Testament (WdF 295), Darmstadt 1980, 464–509, hier: 474 f., erklärt, der Erzähler meine zwar »gewiß . . ., daß das Kind tatsächlich gestorben war«, doch sei immerhin »auffallend . . ., wie merkwürdig zurückhaltend das angedeutet wird«. Im Nachtrag (aaO., 509) betont Suhl, es gehe dem Evangelisten (!) eindeutig »um eine Totenauferweckung«. 117 In der Totenerweckungsgeschichte Lk 7,11–17 wird demgegenüber mehrfach vom Erzähler festgestellt, daß der Jüngling tot ist – bis hin zu der Formulierung kaiÁ aÆnekaÂuisen oë nekroÂw (V. 15). In der häufig als Parallele beigezogenen Erzählung Philostrat VitAp IV 45 wird von Anfang an betont, daß das Mädchen nur scheintot war (teunaÂnai eÆdokei und aÆfyÂpnise thÁn koÂrhn toyÄ dokoyÄntow uanaÂtoy), und dem Leser wird nahegelegt, die Erweckung rational zu deuten. Mit der Mk-Erzählung vergleichbar ist allenfalls Apg 20,7–12: Eutychos fällt aus dem Fenster kaiÁ hÍruh nekroÂw; Paulus stellt fest hÆ cyxh ayÆtoyÄ eÆn ayÆtv Äì eÆstin; und ganz am Ende der Erzählung, nachdem Paulus die Szene bereits verlassen hat, wird gesagt, man habe den Knaben lebend gebracht. – Denkbar wäre folgende Erwägung zu 5,39: Wenn Jesus auf den Plan tritt, verändert sich die Wirklichkeit; noch bevor er etwas getan hat, »ist« das Mädchen nicht mehr tot, sondern es »schläft« nur noch (diesen Hinweis verdanke ich Franc¸ois Vouga). 118 krath  saw th Ä w xeiroÂw wie in 1,31, wo im übrigen auch das Verb eÆgeiÂrein gebraucht wird.

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in der Totenerweckungsgeschichte vom Jüngling in Nain (Lk 7,14); aber mit eben denselben Worten wird auch dem Gelähmten befohlen, sich von seinem Bett zu erheben (Mk 2,11).119 Das Verb eÆgeiÂrein ist ebensowenig wie das in 5,42a folgende Verb aÆnistaÂnai zwingend im Sinne der Auferweckung bzw. Auferstehung zu deuten;120 und der Erzähler sagt auch keineswegs, daß »die Tote« dem Wort Jesu gefolgt sei.121 Merkwürdig nachklappend ist die Erläuterung in 5,42b; die Altersangabe besagt zum einen, daß das Mädchen kein Kleinkind ist,122 und die genannte Anzahl der Jahre steht zum andern sicher in einem direkten Zusammenhang mit 5,25.123 Beide Male ist die Information vom Erzähler direkt an die Leser gerichtet. Während sich nun die Augenzeugen des Geschehens entsetzen (5,42c),124 befiehlt Jesus ihnen, niemand solle »dies« erfahren;125 er gibt überdies Anweisung, dem Kind zu essen zu geben.126 Dieser Schweigebefehl ist ganz auffallend; es ist erst der zweite im Aufriß des Mk (zuvor nur in 1,44), denn in allen anderen Wundererzählungen in Mk 1–5 gab es einen derartigen Befehl nicht.127 Die Erweckung von Jairi Töchterchen wird als Vollzug eines Wunders erzählt;128 die Geschichte hat sogar Züge einer Totenerweckungserzählung. Dennoch läßt es der Erzähler für den Leser offenbar ganz bewußt in der Schwebe, ob das Mädchen wirklich tot gewesen war. Gerade weil Jesus ihren Zustand als 119

Vgl. auch periepaÂtei mit der entsprechenden Aussage in 2,9. Vgl. Mk 9,27, wo der epileptische Knabe nach dem Exorzismus eindeutig als nicht tot vorgestellt ist, und wo es dennoch heißt: hÍgeiren ayÆtoÁn kaiÁ aÆneÂsth. 121 So Gnilka, Markus I (s. Anm. 5), 218, der auch zuvor schon den Raum o Ï poy hËn toÁ paidiÂon als »Totenzimmer« bezeichnet. Vgl. dagegen die Darstellung in Lk 7 (s. o. Anm. 117). 122 So m. R. Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 105; anders läßt sich das ga  r kaum deuten. 123 Unbegründet ist die These von Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 288, die Zahl sei symbolisch gemeint und besage für den Leser, daß mit dem Mädchen eigentlich er selbst – der Leser – gemeint ist. Natürlich handelt es sich ebensowenig um ein »zufälliges Zusammentreffen« (so Klostermann, Markus [s. Anm. 53], 50). 124 eÆjiÂsthmi wie in 2,12; die figura etymologica entspricht formal der in 4,41 (einschließlich des Adjektivs meÂgaw). 125 toy Ä to kann nur die näheren Umstände des Geschehens meinen, nicht das Faktum, daß das Kind wieder aufgeweckt worden ist; zu beachten ist (gegen Koch, Bedeutung [s. Anm. 5], 67) die sprachliche Differenz zu den Schweigegeboten in 7,36 (. . . mhdeniÁ leÂgvsin) und 9,9 (. . . mhdeniÁ aÊ eiËdon dihghÂsontai). Nach Theissen, Wundergeschichten(s. Anm. 17), 153, zeigt das neutrische Objekt, daß Gegenstand des Geheimnisses hier ein Sachverhalt ist, nicht die Person Jesu. Der Hinweis auf das mk Messiasgeheimnis hilft aber im Grunde für die Interpretation kaum weiter; denn so regelmäßig wird ein Schweigegebot ja gar nicht eingesetzt. 126 Das Essen belegt, daß das Kind real lebt und kein Gespenst ist (vgl. Joh 21,5; Lk 24,41). 127 Ohnehin begegnet ein Schweigebefehl als Handlungsabschluß bei Mk außer an den in Anm. 125 genannten Stellen nur noch in 8,26, was bei der theologischen Interpretation des Mk nicht übersehen werden darf. Dabei wäre es bei vielen Wundererzählungen literarisch sehr einfach gewesen, ein Schweigegebot ein- oder anzufügen. 128 Jesu Äußerung in V. 39 ist jedenfalls nicht so zu deuten, als habe er ein besonderes medizinisches Wissen, das den Zustand des Mädchens als Scheintod durchschaut (anders in der in Anm. 117 erwähnten Apollonius-Erzählung). 120

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»Schlafen« deutet, werden die Leser vor die Frage gestellt, in welcher Weise sie diese Erzählung als eine Geschichte wiedergeschenkten Lebens verstehen wollen.129 Anders als bei der Erzählung von der blutflüssigen Frau ist nun alle Aktivität wieder ganz auf seiten Jesu – der zu rettende Mensch tut gar nichts. Bedeutsam ist auch ein weiterer Unterschied: Während die blutflüssige Frau (und möglicherweise auch der gerasenische Besessene) zum erstenmal im Leben oder zumindest nach sehr langem Leiden durch Jesus eine »Identität« erhält,130 bleibt das Mädchen die, die sie vor ihrem »Einschlafen« gewesen war;131 offenbar deshalb wird das soziale Umfeld des Kindes (Vater, Mutter, Trauergemeinde) so relativ ausführlich beschrieben.132 Lassen sich in 5,21–43 Tradition und Redaktion voneinander unterscheiden? Nach D. Lührmann sind die Kontextverknüpfung in 5,21 sowie 5,37 und der Schweigebefehl in 5,43a redaktionell; zu erwägen sei, ob »nicht auch die Rückblende« in 5,26 von Mk stammt. Überdies gehe die Verschachtelung beider Erzählungen wohl auf Mk zurück.133 Nach der Analyse von K. Kertelge wäre dagegen nur das Schweigegebot in 5,43 redaktionell mk.134 Nun kann in der Tat kaum ein Zweifel sein, daß es sich um zwei ursprünglich selbständige Wundererzählungen handelt; die Verknüpfung beider ist jedoch ganz ungewöhnlich eng135, und auch innerhalb der beiden einzelnen Erzählungen lassen sich literarisch »primäre« und »sekundäre« Schichten nicht voneinander abheben.136 So ist

129 Dies gilt für die jetzt vorliegende Erzählung. Die Hypothese von R. Pesch, Das Markusevangelium, I. Einleitung und Kommentar zu Kap. 1,1–8,26 (HThK II/I), Freiburg 1976, 312 f., es habe sich ursprünglich um eine Heilungswundererzählung gehandelt, die dann sekundär zur Totenerweckungserzählung umgeformt wurde, ist nicht begründbar. 130 Vgl. dazu jetzt die eindringende Auslegung bei Fander, Stellung (s. Anm. 101), 52–54. 131 Vgl. Lohmeyer, Markus (s. Anm. 3), 107: »Das Mädchen ›geht umher‹, als sei es nie krank gewesen und vollends nicht durch den Tod gegangen.« 132 Im Falle der blutflüssigen Frau erfahren wir Entsprechendes nicht; allenfalls könnte man aus 5,26 auf ein ursprünglich noch vorhandenes gewisses Vermögen schließen, aber direkt gesagt ist das auch nicht. 133 Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 103. Theissen, Wundergeschichten (s. Anm. 17), 151 f., sieht 5,42 f. als redaktionell gestaltet an; stelle man die beiden Verse um, so erhalte man die Tradition, in der sich das Schweigegebot direkt auf die rÁhÄsiw barbarikh bezogen habe. 134 Kertelge, Wunder (s. Anm. 3), 110. 135 Für K. L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Literarkritische Untersuchungen zur ältesten Jesusüberlieferung, 1919 (= Darmstadt 1964), 148, steht fest, daß Mk die beiden Erzählungen schon miteinander verbunden vorgefunden hat, »denn solche, dazu so reinlich durchgeführte Komposition ist nicht seine Art«; es handele sich freilich auch nicht um eine vormk Redaktion, sondern um die Wiedergabe des tatsächlichen Geschehensablaufs. 136 Der o Í xlow z. B. ist für die Erzählung 5,25–34 konstitutiv, wird aber dort nicht eingeführt, sondern vorausgesetzt; er verbindet überdies 5,21 mit 4,36 und 5,24 mit 5,37. Das Ganze erinnert, bis in den Wortlaut hinein, an das Summar in Mk 3,9 f. Ferner setzt 5,35 doch voraus, daß seit der Bitte des Vaters (V. 23) einige Zeit vergangen ist. Schließlich kann auch der Zusammenhang von piÂstiw (V. 34) und pisteyÂein (V. 36) weder bloßer Zufall noch umgekehrt eine »sekundär« hergestellte Verbindung sein.

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es wahrscheinlich, daß wir es mit einem Text zu tun haben, für dessen literarische Gestalt als ganze der Evangelist verantwortlich ist. Jesus verläßt nun das Gebiet am See Genezareth und kommt in seine Vaterstadt (6,1a), deren Name dem Leser ja aus 1,9 bekannt ist; der Begriff patriÂw ist wohl schon um des in 6,4 gebrauchten Sprichworts willen gewählt worden. Ausdrücklich heißt es jetzt, daß seine Jünger ihm folgen; das ist offenbar ein Vorgriff auf 6,7 ff., denn in der Nazareth-Perikope selbst spielen die Jünger keine Rolle. Das nun Folgende (6,2a. 2b) erinnert deutlich an 1,21b. 22a. Freilich wird die Reaktion der Hörer nicht mit einer objektiven Information aus der Perspektive des Erzählers begründet (so in 1,22b), sondern aus ihrem subjektiven Urteil heraus; dieses Urteil wandelt sich denn auch rasch vom zunächst noch PositiÄì (6,3fin). Jesus ven137 zum ganz Negativen,138 bis hin zum eÆskandaliÂzonto eÆn ayÆtv reagiert hierauf mit einer sprichwortartigen Sentenz (6,4). Der Erzähler fügt in 6,5 hinzu, Jesus habe dort keine dyÂnamiw zu tun vermocht – außer daß er wenige Kranke durch Handauflegung heilte.139 So habe er sich über ihre aÆpistiÂa gewundert (6,6a).140 In dieser Schlußbemerkung begegnet die Wortgruppe pist– zum viertenmal innerhalb des Erzählblocks 4,31–6,6a; die Frage nach Glauben/Unglauben erweist sich so als Klammer und einigendes Band des ganzen Abschnitts.141 Mk meint freilich sicher nicht, daß die Wunderkraft Jesu vom Glauben der Menschen abhängig ist142 – durch 4,40 ist dies im Gegenteil sogar ausgeschlossen.143 Aber offenbar kommen Menschen überhaupt erst aufgrund ihrer dann als piÂstiw zu bezeichnenden Beziehung zu Jesus in die Situation, von Jesus Wunder zu erwarten.144 Der Evangelist richtet also an seine Leser die Aufforderung, aufgrund ihrer piÂstiw bereit zu sein, auf Jesu Wunder zu hoffen. Der Kon137 Die Epitheta in 6,2a (sofiÂa, dyna  meiw) können vom Leser vom Inhalt des Mk her sofort nachvollzogen werden. 138 Die rhetorischen Fragen in 6,3 sind negativ wertend gemeint: Jesu Herkunft entspricht nicht seinem in (V. 2 beschriebenen) Auftreten. Das oyÆx oyËtow eÆstin knüpft an die Jüngerfrage in 4,41b (vgl. 5,7) an und impliziert natürlich eine in der Sache falsche Antwort (vgl. Lührmann, Markus, 108). 139 6,5b wirkt deutlich wie eine apologetische Korrektur, die aber nicht einer bestimmten Stufe zuzuweisen ist (vgl. Koch, Bedeutung, 152); vgl. Mk 6,13. 140 eÆuay  mazen erinnert deutlich an 5,20; das Verb begegnet sonst nie im Zusammenhang mit der Wunderthematik bei Mk. 141 Das Stichwort fehlt in der Erzählung 5,1–20; aber immerhin will der geheilte Besessene Jesus folgen, und er wird dann sein Verkündiger in der Dekapolis. Er ist also wohl indirekt auch als »gläubig« zu denken. 142 Das wird schon durch die Abfolge von 6,5 zu 6,6a deutlich: Das oyÆk eÆdy  nato ktl. wird von Jesus nachträglich als aÆpistiÂa interpretiert – nicht etwa wird umgekehrt die aÆpistiÂa objektiv vom Erzähler als die Ursache des »Unvermögens« dargestellt. 143 Der Gedankengang in 6,4–6a ist keineswegs »apologetisch«, wie Berger, Formgeschichte (s. Anm. 7), 313, meint; Apologetik läge nur vor, wenn hier eine historische Erinnerung nachträglich (um)gedeutet wäre. 144 Immerhin wenden sich auch in 4,38 die Jünger, und sei es mit einem Vorwurf, an den schlafenden Jesus.

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trast zwischen 4,31–5,43 und hier insbesondere 5,25–34 einerseits und 6,1–6a andererseits zeigt, daß Jesus sich nicht als Wundertäter anbietet; die ihm zugewandte piÂstiw der Menschen kann, wie die Erzählung von der blutflüssigen Frau zeigt, sogar stark genug sein, Jesus ohne seinen Willen zu einem Wunder zu veranlassen. In der Perikope Mk 6,1–6a bereitet die Unterscheidung zwischen Tradition und Redaktion ganz besondere Schwierigkeiten.145 Am nächsten liegt die Vermutung D. Lührmanns: Mit Ausnahme des traditionellen Logions in 6,4 entspricht alles andere »so sehr der markinischen Redaktion, daß eine weitergehende Scheidung . . . nicht möglich erscheint«.146 Ein entsprechendes Urteil gilt m. E. aber in ähnlicher Weise auch für die in 4,35–5,43 enthaltenen Erzähltexte. Die Frage, an welcher Stelle der Redaktor eingegriffen und wo er umgekehrt auf jeden Fall eine ihm im Wortlaut überkommene Tradition unverändert übernommen habe, läßt sich nicht beantworten. Die üblicherweise für typisch mk gehaltenen Schweigegebote fehlen (ausgenommen allenfalls 5,43a147; umgekehrt ist das sicher auch für Mk wichtige Motiv der piÂstiw nicht nur für den Gesamtzusammenhang konstitutiv, sondern auch für die Einzelerzählungen, so daß es sich nicht als redaktionelle »Zutat« abheben läßt.148 Der ganze Textabschnitt ist so vom Evangelisten geformt worden, daß eine präzise Beschreibung seines Anteils und dementsprechend eine Rekonstruktion der Tradition nicht möglich ist.149 In Mk 4,35–41;5,1–20;5,21 ff.35–43 und 5,25–34 liegen vier ursprünglich voneinander unabhängige Wundererzählungen vor, die von Mk ganz bewußt eben als Wundererzählungen zusammengestellt worden sind.150 Dabei gehören die vier Erzählungen im einzelnen verschiedenen »Typen« an, deren Gattungselemente sich freilich nicht exakt auflisten lassen: 145 Vgl. zur kontroversen Diskussion die knappe Übersicht bei Lührmann, Markus (s. Anm. 17), 106 (mit Literatur). 146 Lührmann, ebd. 147 Wenn, wie es meist geschieht, 5,43a für redaktionell mk gehalten wird, so muß die Frage beantwortet werden, warum in den übrigen drei Wundererzählungen dieses Abschnitts ein solcher Schweigebefehl fehlt. 148 Dies berührt sich mit der These von Berger, Formgeschichte (s. Anm. 7), 354 f., der Wunsch Jesu, verborgen zu bleiben, könne nicht Tradition oder Redaktion bei Mk zugewiesen werden. 149 Vgl. P. Dschulnigg, Sprache, Redaktion und Intention des Markus-Evangeliums. Eigentümlichkeiten der Sprache des Markus-Evangeliums und ihre Bedeutung für die Redaktionskritik (SBB 11), Stutgart 1984, 289: Wir müssen »mit einem beträchtlichen Assimilationsgrad der Überlieferung an die Sprache des Verfassers rechnen«. Schmithals, Markus I (s. Anm. 17), 284, meint, es gebe überhaupt keine »Tradition«, sondern nur die Dichtung der »Grundschrift«, auf die 4,36–5,43 zurückgehe. Aber gerade Schmithals findet dann immer wieder einzelne »störende« Anmerkungen, für die er den Evangelisten verantwortlich macht. 150 Nach Kertelge, Wunder (s. Anm. 3), 112, ist in allen vier Geschichten derselbe Erzähler (aber nicht Mk!) am Werk. M. E. gilt dies sicher nicht für die außerordentlich differierenden Erzählaspekte der einzelnen Überlieferungen, wohl aber für die jetzt vorliegende Textebene.

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Die Sturmstillungserzählung ist in der synoptischen Überlieferung im Grunde ohne formgeschichtliche Analogie. Die Erzählung vom gerasenischen Besessenen entspricht natürlich in gewisser Weise den Exorzismen in Mk 1,21–28 und 9,14–28 (vgl. 7,24–30); aber bis auf das allen gemeinsame Stichwort pneyÄma aÆkaÂuarton und den Befehl eÍjelue samt dem konstatierenden eÆjhÄluen sind die Übereinstimmungen gering, und eine formgeschichtlich eindeutige »Grundform« läßt sich nicht bestimmen. Die Geschichte von der blutflüssigen Frau ist am ehesten mit der Heilungserzählung Mk 1,40–45 zu vergleichen; aber im Grunde hat sie mit dieser und den übrigen Heilungserzählungen bei Mk nur dies gemeinsam, daß ein an einer langwierigen Krankheit bzw. Behinderung leidender Mensch auf wunderbare Weise gesund wird. Die Erzählung von der Tochter des Jairus entspricht am ehesten der knappen Erzählung in Mk 1,29–31; aber auch hier sind die Differenzen deutlich größer als die Übereinstimmungen.151 Welchen »Sitz im Leben« diese vier Erzählungen ursprünglich gehabt haben könnten, läßt sich nicht sagen.152 Sie lassen so etwas wie eine christologia gloriae (Stichwort: ueiÄow aÆnhÂr) nicht erkennen, und sie zeigen insbesondere auch nicht, daß etwa eine derartige Tradition mk umgedeutet worden wäre. Das heißt nicht, es habe überhaupt keinen »Sitz im Leben« gegeben, wie W. Schmithals im Zusammenhang mit seiner »Grundschrift«-Hypothese vermutet. Wir kommen aber über die Feststellung, daß die Erzähler mit diesen Geschichten Jesu Wirken für bedrohte und hilfebedürftige Menschen darstellen wollten, nicht hinaus.153 Insbesondere gilt das auch gegenüber der sich auf Mk 5,1–20 stützenden These von G. Theißen, es habe bei den Wundererzählungen eine »Konkurrenz von Volksund Gemeindeüberlieferung« gegeben,154 und die mk Geheimhaltungsgebote hätten dazu gedient, zwischen beiden einen Ausgleich zu schaffen: Den »fremde(n) Jesusüberlieferungen im ganzen Volk« sei von der mk Gemeinde ihre Historizität zwar zugestanden worden; aber ihre »Fremdheit« habe man eben damit 151 Der Vergleich dieser beiden Erzählungen zeigt übrigens, wie problematisch es ist, die »ursprüngliche« Fassung durch das Ausscheiden »unnötiger« oder »störender« Momente finden zu wollen: eine durch ein solches Verfahren gewonnene Erzählung 5,22.23.41.42 wäre durchaus eine »stilreine« Heilungsgeschichte mit großer Nähe zu 1,29–31. 152 Kuhn, Sammlungen(s. Anm. 5), 212 f., sieht als Träger der Überlieferung missionierende Wanderapostel, die eine ueiÄow –aÆnhÂr-Christologie vertraten und selber Wundertäter waren. Aber der »Sitz im Leben« in der Missionspropaganda ist ebensowenig belegbar wie die Existenz einer ueiÄow –aÆnhÂr-Christologie. 153 Kuhn, Sammlungen (s. Anm. 5), 212 f. bringt die Christologie der Wundererzählungen von Mk 4–6 mit der Christologie der Gegner des Paulus in 2 Kor 10–13 in Zusammenhang (vgl. Kuhn, ebd., 229 f.); aber das bleibt unbeweisbar. 154 Theissen, Lokalkolorit (s. Anm. 14), 106, teilt die einzelnen »Verkündigungsaussagen« in 5,14–20 so auf: In V. 14 und in V. 16 gebe es eine negative, in V. 20 eine positive Volksüberlieferung; die eigentliche Intention Jesu werde demgegenüber in V. 19 genannt und beschreibe den Verkündigungsauftrag, wie ihn die Gemeinde verstand.

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erklären wollen, daß solche Wundergeschichten gegen den ausdrücklichen Willen Jesu kursierten.155 Die Aussagen in Mk 5,14.16, auf die sich Theißen beruft, lassen einen solchen Schluß nicht zu; sie entsprechen vielmehr ganz der Logik des erzählten Handlungsablaufs. Gegen Theißens These spricht überdies, daß 5,14.16 entsprechende Aussagen in keiner anderen Wundererzählung begegnen. Wie ist es zu erklären, daß – allenfalls mit Ausnahme von 5,43a – keines der vier erzählten Wunder durch ein Schweigegebot kommentiert wird? K. Berger meint, Mk habe ein Schweigegebot »überall dort, wo es von der Geschichte her möglich ist, also nicht dort, wo ohnehin eine Vielzahl von Volk . . . oder auch alle Jünger . . . dabei sind«;156 Berger setzt dabei voraus, daß »die exorzistischen Befehle nicht von den anderen Schweigegeboten zu trennen« seien.157 Aber dieser Ansatz bereitet Schwierigkeiten: Zwar deutet der Evangelist die Schweigebefehle an die Dämonen tatsächlich in einem grundsätzlichen Sinn (vgl. 1,34 im Anschluß an 1,24; vgl. ferner 3,12); aber lediglich eine einzige Exorzismuserzählung hat überhaupt einen solchen Befehl – Verallgemeinerungen des Befundes sind also kaum möglich.158 Nach der Analyse G. Theißens sind »wahrscheinlich . . . alle Schweigegebote in Wundergeschichten traditionell«, während sie außerhalb von Wundergeschichten durchweg redaktionell seien.159 Aber der Befund in Mk 4,35–6,6a zeigt offenbar eine andere Tendenz: Die von Mk erzählten Wundertaten Jesu sind, wie das für den Erzählzusammenhang charakteristische Stichwort piÂstiw zeigt, eine offene Explikation dessen, woran zu glauben Jesus die Menschen in Galiläa (und damit zugleich: der Evangelist seine Leser) aufgerufen hat – das eyÆaggeÂlion. Dieses eyÆaggeÂlion bedeutet Rettung aus akuter Lebensgefahr, Befreiung von Dämonen, Heilung von langandauernder Qual und Rettung in tödlicher Krankheit. Dies wird ganz offen ausgesprochen – es geschieht nichts Geheimnisvolles und nichts, was verborgen bleiben müßte. Dort jedoch, wo Menschen sich der Botschaft Jesu gegenüber verschließen, geschehen solche 155

Theissen, Lokalkolorit, 108. Berger, Formgeschichte (s. Anm. 7), 356. Der Befund ist aber weniger einheitlich, als Berger es darstellt. In 7,32 ff.; 8,22 ff. wird der zu Heilende von der Öffentlichkeit abgesondert (und das anschließende Schweigegebot hat jeweils unterschiedliche Adressaten: in 7,36 ist es die plötzlich wieder anwesende Menge, in 8,26 der geheilte Blinde, während die, die ihn zu Jesus brachten, nicht mehr erwähnt werden); in 5,35 ff. bleibt eine begrenzte Öffentlichkeit bestehen. In 10,46 ff. dagegen fehlt das Motiv der Absonderung; und in 1,40 ff. ist der Schweigebefehl (V. 44) erzähllogisch durchaus motiviert. Man sieht nicht, warum den Jüngern oder auch den Synagogenbesuchern ein Schweigebefehl nicht hätte erteilt werden oder warum in 10,46 ff. das Absonderungsmotiv nicht hätte eingefügt werden können. 157 Berger, Formgeschichte, 354. 158 Auf die Rede des Dämons in 5,7 folgt kein Schweigebefehl; in 7,24–30 kommt Jesus mit dem Dämon gar nicht in Kontakt; in 9,14 ff. ist der Dämon als »stumm« vorgestellt, so daß ihm das Reden gar nicht verboten zu werden braucht. Denkbar wäre natürlich, daß in 5,1 ff. ein Schweigebefehl deshalb nicht nötig ist, weil keine Zeugen da sind und weil der Dämon/die Dämonen alsbald zusammen mit der Schweineherde verschwinden wird/werden. 159 Theissen, Wundergeschichten (s. Anm. 17), 152 f. 156

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Wundertaten nicht.160 Gewinnt man angesichts dessen nicht den Eindruck, daß die Wunder – ganz im Sinne der doch wohl von Mk formulierten Aussage in 2,10 – dazu dienen sollen, Jesu Messianität, seine Hoheit als Sohn Gottes (1,11) und als »Menschensohn« (2,10) zu beschreiben?

160 Insofern ist Zurückhaltung angebracht gegenüber der These von Koch, Bedeutung (s. Anm. 5), 185 (mit Anm. 7), Mk mache durch die Abfolge von 4,35–5,43/6,1–6a »unmißverständlich klar, daß die Machttaten nicht als unzweideutige Legitimationen Jesu dienen können«.

Jesus und das epilepsiekranke Kind Zur Auslegung der Wundererzählung Mk 9,14–29* Die Heilungserzählungen in den synoptischen Evangelien folgen im allgemeinen einem relativ festen Schema1: Jesus begegnet einem Menschen, der akut oder chronisch krank bzw. dauernd behindert ist oder der – wie es in der mythischen Sprache der Antike heißt – von einem »bösen Geist« beherrscht wird; gelegentlich wird ausdrücklich gesagt, wie schwer die Krankheit ist und wie sehr der oder die Betroffene darunter leidet. Jesus wird gebeten, zu helfen, und er tut es – sei es durch sein bloßes Wort, sei es durch eine direkte körperliche Berührung, manchmal sogar unter Verwendung seines Speichels.2 Oft steht am Ende eine Reaktion des Publikums, von Martin Dibelius als »Chorschluß« bezeichnet: Die Anwesenden preisen den Wundertäter, oder sie loben Gott, der eine solche Wundertat ermöglicht hat.3 Die rationalistische Fragestellung, ob das so geschilderte Geschehen als eine Durchbrechung der (von uns so bezeichneten) »Naturgesetze« anzusehen ist oder nicht, spielt für die Erzählungen offenbar keine Rolle.4 1 Dieser Aufsatz basiert auf einem am 3. Juli 1987 in Bethel gehaltenen Vortrag, der abgedruckt ist in: Medizinisches und Theologisches zur Epilepsie. Neue Forschungsergebnisse aus dem Epilepsiezentrum, Bethel-Beiträge 38, Bielefeld 1988, 130–140); für die vorliegende Veröffentlichung wurde der Text erheblich überarbeitet und erweitert. Zu Form und Inhalt der Wundererzählungen vgl. vor allem G. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien (StNT 8), Gütersloh 1974; zu den Wundererzählungen im Mk vgl. D.-A. Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums (BZNW 42), Berlin/New York 1975. Zum Verhältnis von Wunder und antiker Medizin vgl. R. und M. Hengel, Die Heilungen Jesu und medizinisches Denken (1959), in: A. Suhl (Hg.), Der Wunderbegriff im Neuen Testament (WdF 295), Darmstadt 1980, 338–373; D. Lührmann, Aber auch dem Arzt gib Raum (Sir 38,1–15), WuD NF 15 (1979) 55–78. Zur Hermeneutik der Wundererzählungen s. meinen Aufsatz: Wunder und Wirklichkeit. Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen (in diesem Band S. 346–367) und die dort genannte Lit. 2 So bei der Heilung des Taubstummen Mk 7,31–37 und bei der Blindenheilung Mk 8,22–26; Mt und Lk haben diese Erzählungen, offenbar wegen ihrer magischen Züge, ausgelassen bzw. stark korrigiert (vgl. Mt 15,30 f. mit Mk 7,32–37). 3 Vgl. etwa Mk 2,12 (… kaiÁ doja  zein toÁn ueoÁn leÂgontaw oÏti oyÏtvw oyÆdeÂpote eiÍdomen) und Mk Ä w paÂnta pepoiÂhken). 7,37 (kalv 4 Das scheint mir das entscheidende Mißverständnis bei W. Stegemann, Dekonstruktion des rationalistischen Wunderbegriffs. Plädoyer für eine kulturanthropologische Deutung der Wundergeschichten, in: Dem Tod nicht glauben. FS Luise Schottroff, hg. von F. Crüsemann/M.

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I. Von diesen typischen Erzählungen unterscheidet sich der in Mk 9,14–29 überlieferte Text in mancherlei Weise. Ungewöhnlich ist schon die Einleitung: Jesus, der sich – nur von wenigen Jüngern begleitet – auf einem Berg aufgehalten hatte, wo er »verklärt« worden war (Mk 9,2–8), und der nun wieder von diesem Berg herabgestiegen ist (9,9–13), trifft auf eine Volksmenge, die sich in aufgeregter Diskussion mit den übrigen Jesus-Jüngern befindet, die Jesus nicht begleitet hatten (9,14 f.). Neben dem oÍxlow polyÂw werden auch grammateiÄw erwähnt; es ist also von vornherein klar, dass die Szene konfliktträchtig ist.5 Jesus erkundigt sich nach dem Anlaß für die Diskussion (V. 16)6, woraufhin ihm ein Mann aus der Menge berichtet (V. 17), er habe seinen Sohn zu Jesus gebracht; dieser Sohn habe ein pneyÄma aÍlalon.7 Die Wirksamkeit dieses Geistes, so hört Jesus (und so erfahren es zugleich die Leser) aus dem Munde des Vaters, zeige sich darin, dass das Kind von ihm »gepackt« und »zu Boden gerissen« wird.8 Dabei habe der Junge Schaum vor dem Mund, knirsche mit den Zähnen und sei dann plötzlich »ganz starr« (V. 18a). Er habe, so schließt der Vater, den Jüngern Jesu gesagt9, sie möchten dieses pneyÄma austreiben, doch das hätten sie nicht vermocht. Mit der die Darstellung einleitenden Aussage des Vaters (»Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht«, V. 17b) scheint der Erzähler anzudeuten, dass der Sohn zwar in der Nähe ist, gegenwärtig aber keinerlei Anzeichen von »Besessenheit« erkennen läßt, denn sonst wäre ja die in V. 18a gegebene Beschreibung unnötig. Der Hinweis, die Jünger seien nicht imstande gewesen, den Geist aus-

Crüsemann/C. Janssen/R. Kessler, B. Wehn, Gütersloh 2004, 67–90 zu sein. Stegemann zitiert Bultmanns »berühmtes Diktum«, dass man nicht moderne medizinische Hilfsmittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Wunderwelt des Neuen Testaments glauben könne, und er stellt dagegen die durchaus auch moderne Erfahrung zumindest in anderen Weltgegenden, dass man das sehr wohl könne (73). Das Problem ist nicht, ob man »Wunder« für »möglich« hält, sondern wie Wundererzählungen interpretiert werden. Bultmanns Entmythologisierungsprogramm zielt auf das Verstehen der Texte, es geht nicht um die Frage, ob das Erzählte »tatsächlich geschehen« ist oder nicht. Über das antike Wunderverständnis sind wir ausschließlich durch Texte informiert; dass Menschen »in der Kultur Israels zur Zeit Jesu … Erfahrungen machten, die in unserer westlichen Welt allenfalls noch in Subkulturen möglich sind« (ebda), läßt sich nicht verifizieren. 5 Zur Rolle der grammatei Äw bei Mk vgl. D. Lührmann, Die Pharisäer und die Schriftgelehrten im Markusevangelium, ZNW 78 (1987) 169–185. 6 Jesu Frage ti syzhtei Äte proÁw ayÆtoyÂw; nimmt das Verb syzhteiÄn aus der Situationsschilderung in V. 14 auf. 7 Die Wendung e Í xonta pneyÄma aÍlalon unterscheidet sich von der in Mk 1,23 und 5,2 gebrauchten Formulierung: aÍnurvpow eÆn pneyÂmati aÆkauaÂrtvì. 8 Da das pney Ä ma »stumm« ist, zeigt sich seine Wirksamkeit, anders als etwa in Mk 5,2–5, nicht in unartikuliertem Schreien. 9 Die Wendung eiËpa ist auffällig; man würde eher ein Verb wie parakalei Än erwartet haben.

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zutreiben10, ist ungewöhnlich – Bemerkungen über nicht gelungene Wundertaten sind selten.11 Die Aussage des Vaters (hÍnegka toÁn yiëoÂn moy proÁw seÂ) paßt eigentlich nicht in den Handlungsablauf; Jesus war ja bis jetzt gar nicht anwesend. Meist wird deshalb gesagt, es sei gemeint, der Mann habe den Sohn »zu Jesus bringen wollen« und sich wegen dessen Abwesenheit gleichsam ersatzweise »an die Jünger gewandt mit der Bitte um Heilung«.12 Dieser Auslegung widerspricht Otfried Hofius aus sprachlichen13 wie aus theologischen Gründen: Der Fehler des Vaters sei es gewesen, dass er sich an Menschen und nicht an Jesus gewandt habe; darin zeige sich »der Unglaube des Vaters als des Repräsentanten der Volksmenge«, Ë und darüber führe Jesus mit seinem Ausruf in V. 19 Klage.14 Aber Jesu Worte v geneaÁ aÍpistow ktl. sind, wie Michael Wolter in der Auslegung der insoweit analogen Lk-Parallele feststellt, »nur als Reaktion … auf die Mitteilung über das Versagen der Jünger recht zu verstehen«.15 Nach den Aussagen in Mk 6,7.13 wäre es ja durchaus zu erwarten gewesen, dass die Jünger nicht anders als Jesus selber dazu imstande sein würden, das pneyÄma aÍlalon auszutreiben; darauf hatte der Vater nun aber vergeblich gehofft16, da sich angesichts dieses Geistes die Jünger als Exorzisten als offensichtlich überfordert erwiesen hatten.

10 Der in V. 18b geschilderte Vorgang, an den in V. 28b wieder angeknüpft wird, war zuvor nicht erzählt worden. Will Mk bewußt sagen, die vergeblichen Bemühungen der Jünger seien zeitgleich mit Jesu Verklärung auf dem Berg erfolgt? In seinem Bild transfigurazione (1518–1520) hat der italienische Maler Raffael im oberen Teil Jesu Verklärung dargestellt, während im unteren Teil der »epileptische Knabe« zu sehen ist. Offenbar will Raffael zeigen, dass sich Jesu Verklärung in demselben Moment vollzieht, in dem den Jüngern ohne Jesus die Heilung des Kindes mißlingt. Dass Mk diese Zeitgleichheit bewußt hat darstellen wollen, zeigt die Verknüpfung der beiden Wundererzählungen in 5,21–43. Eine Schwarz-Weiß-Abbildung des Gemäldes findet sich u. a. bei G. Bornkamm, PneyÄma aÍlalon. Eine Studie zum Markusevangelium, in: ders., Geschichte und Glaube. Zweiter Teil. Gesammelte Aufsätze IV (BEvTh 53), München 1971, 21–36 (nach 32). In dem oben S. 9 Anm. 46 erwähnten Vortrag von D. Janz wird dieser Aspekt ausdrücklich ins Zentrum gerückt. 11 Nach Mk 6,13 konnten die von Jesus zur Verkündigung ausgesandten Jünger »viele Dämonen« austreiben; andererseits vermochte Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth kein Wunder zu tun (Mk 6,5a; V. 5b schränkt diese, wohl als anstößig empfundene Aussage, ein), weshalb er sich über »ihren Unglauben« wundert (zum Stichwort »Unglaube« aÆpistiÂa s. u.). 12 So D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 1987, 161. 13 O. Hofius, Die Allmacht des Sohnes Gottes und das Gebet des Glaubens. Erwägungen zu Thema und Aussage der Wundererzählung Mk 9,14–29, in: ders., Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 3–23, hier: 8 Anm. 29: Der Aor. hÍnegka könne »keinesfalls die lediglich versuchte Handlung beschreiben«; eine Aussage über die vom Vater beabsichtigte Handlung hätte »zwingend die Wahl des Imperfekts (eÍferon) erforderlich gemacht«. 14 Hofius ebd., auch unter Berufung auf W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus. Kapitel 9,2–16,18, (ÖTK 2/2), Gütersloh und Würzburg 1979, 414. 15 M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 358. 16 Indem der Vater sagt h Í negka … proÁw seÂ, obwohl er sich ja zunächst an die Jünger gewandt hatte, zeigt er sein Jesus und dessen Jüngern gleichermaßen geltendes Vertrauen.

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Mit seiner Reaktion auf den Bericht des Vaters (V. 19: v Ë geneaÁ aÍpistow, eÏvw poÂte proÁw yëma Ä w eÍsomai; eÏvw poÂte aÆneÂjomai yëmv Ä n;) knüpft Jesus an die Worte in 8,12 und Äì tayÂthì th Äì moixaliÂdi kaiÁ aëmartvlv Äì) an. Der vor allem in 8,38 (… eÆn thÄì genea Vorwurf aÍpistow bzw. das Thema »Glaube/Unglaube« wird im Verlauf der Erzählung eine wesentliche Rolle spielen; und das Problem des Jüngerversagens wird dann ganz am Ende in V. 28 f. nochmals thematisiert werden.17 Hofius sieht in Jesu Frage »die Klage dessen, der seinem Ursprung und Wesen nach der himmlischen Welt angehört und sich angesichts des Unglaubens nach seiner wahren Heimat sehnt«; die Worte seien »nur auf dem Hintergrund der Präexistenzvorstellung« zu verstehen.18 Aber damit ist Jesu Ausruf wohl überinterpretiert, zumal von einer himmlischen »Herkunft« Jesu gar nicht die Rede ist. Jesus muß noch bei den Jüngern bleiben, weil diese offensichtlich nicht imstande sind, den in Mk 6,7 gegebenen Auftrag dauerhaft zu erfüllen. Daher befiehlt Jesus nun (V. 19b), den Jungen zu ihm zu bringen, was auch geschieht (V. 20a).19 Als das pneyÄma (sic! nicht etwa das Kind) Jesus sieht (V. 20b)20, geschieht akut das, was der Vater zuvor geschildert hatte: Der Geist »reißt« das Kind »zusammen«21, es stürzt auf die Erde und wälzt sich mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden (V. 20b. c). Jetzt wäre eigentlich zu erwarten, dass Jesus sein befreiendes, exorzistisches Wort spricht; so war jedenfalls der Gang der Handlung in den Erzählungen von den Exorzismen in der Synagoge von Kafarnaum (Mk 1,21–28; vgl. vor allem 1,25) und im Land der Gerasener gewesen (Mk 5,1–13; vgl. 5,8).22 Aber die Fortsetzung ist eine völlig andere: Jesus fragt den Vater, seit wann die Anfälle auftreten (V. 21a); die Frage ist geradezu »unterkühlt« und sehr distan-

17 Hier könnte es sich um nachträgliche kommentierende Einschübe des Evangelisten in die ihm überlieferte Wundererzählung handeln. Zur Unterscheidung von vormk Tradition und offensichtlich mk Redaktion vgl. Lührmann, Markusevangelium (s. Anm. 12), 160: Redaktionell sind jedenfalls V. 28.29, »aber auch weithin die Verbindung zum Kontext in 14–16«. Koch, Bedeutung (s. Anm. 1), 121 hält auch V. 19 für redaktionell mk. Ganz unwahrscheinlich ist die Vermutung von R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 101995, 225, hier seien zwei ursprünglich selbständige Wundererzählungen redaktionell miteinander verbunden worden. 18 Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 6. Vorausgesetzt sei der Gedanke, »daß der ›Sohn Gottes‹ (9,7) lediglich für eine befristete Zeit als Mensch auf Erden weilen wird«. 19 V. 20a (kaiÁ h Í negkan ayÆtoÁn proÁw ayÆtoÂn) nimmt auf V. 17a Bezug (hÍnegka toÁn yiëoÂn moy proÁw seÂ). 20 In 1,23 ff. und 5,2 ff. wird nicht ausdrücklich gesagt, dass es das pney Ä ma ist, welches Jesus »sieht«; die Formulierung in 5,6 (iÆdvÁn toÁn ÆIhsoyÄn aÆpoÁ makroÂuen eÍdramen …) legt die Vorstellung nahe, dass der Besessene die »sehende« und dann handelnde Person ist. 21 In V. 20 steht das Verb syspara  ssv anstelle von rëhÂssv (V. 18). 22 Auch in anderen Heilungserzählungen, die keine exorzistischen Züge tragen, ist dies der Normalfall; eine Ausnahme bildet lediglich die Erzählung Mk 7,24–30, wo aber in Jesu Diskussion mit der syrophönizischen Frau, der Mutter des »besessenen« Mädchens, nicht ein medizinisches, sondern ein theologisches Problem erörtert wird, die Frage (vermutlich der erzählenden Gemeinde), ob Jesu Hilfe auch Heiden gilt.

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ziert formuliert – immerhin stellt Jesus sie angesichts eines akuten Anfalls des Kindes!23 Der Vater gibt in V. 21b die Antwort: »Seit früher Kindheit«. Zuvor hatte er in V. 17 vom »Sohn« (yiëoÂw) gesprochen, in V. 24 wird dieser Sohn dann vom Erzähler als »Kind« (paidiÂon) bezeichnet; ein Rückschluß auf das anzunehmende Alter des Sohnes läßt sich also nicht ziehen.24 In V. 22a hebt der Vater zusätzlich die Gefahren hervor, die dem Jungen ständig drohen: Das pneyÄma warf ihn bei solchen Anfällen oft in die Nähe von offenem Feuer oder ins Wasser, um ihn umzubringen. Rudolf Pesch sieht darin Hinweise auf »Feuer- und Wassersucht (Pyromanie und Hydromanie)«25; aber diese Deutung ist wenig wahrscheinlich, der Vater beschreibt in seiner Antwort auf Jesu Frage vielmehr Begleiterscheinungen zu Anfällen der in V. 20 beschriebenen Art.26 Doch dann bricht der Vater seine Schilderung ab: »Aber wenn du etwas kannst, dann hilf uns, indem du dich über uns erbarmst«. Der traditionellen Auslegung, der Vater bringe damit seinen Zweifel oder gar seinen Unglauben gegenüber Jesu Fähigkeiten zum Ausdruck27, widerspricht Hofius: das ti sei als adverbieller Akkusativ zu verstehen, und so sei die Wendung eiÍ ti dyÂnhì eine eindringliche Bitte (»Wenn es dir irgend möglich ist«) und »keineswegs Ausdruck des Zweifels oder des skeptischen Vorbehalts«: »Indem der Vater Jesus um sein Erbarmen und seine Hilfe bittet, klammert er sich an die letzte Hoffnung, die ihm noch geblieben ist.«28 Damit ist freilich das Gewicht des einleitenden adversati23 Stegemann, Dekonstruktion (s. Anm. 4), 80 meint, es gehe »kaum um eine unserem Sinne diagnostische Fragestellung, vielmehr werden die Symptome geschildert, genauer wohl: Es geht darum, die Schwere des Falles darzulegen … Von einer Diagnose durch Jesus lässt sich kaum sprechen, vielmehr: Wir sind es, die nachträglich diagnostizieren. Jesus scheint die Symptomschilderungen des Vaters ohne jeden Einwand zu übernehmen, sie nicht zu hinterfragen.« Natürlich gibt Jesus keine Diagnose; er fragt, damit der Vater antworten kann und so die handelnden Personen und auch die Leser über den Grad der Krankheit informiert werden. 24 Die Tochter des Jairus wird ebenfalls als paidiÂon bezeichnet; sie ist zwölf Jahre alt (5,39–41), also nach damaligen Maßstäben noch gerade ein Kind; auch die Tochter der Syro-Phönizierin ist ein paidiÂon (7,28.30); vgl. ferner die in Mk 9,36 f. und 10,13–15 erwähnten Kinder (das Wort paiÄw fehlt bei Mk). Vgl. dazu: Die Kinder und die Gottesherrschaft. Markus 10,13–16 und die Stellung der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft und im Urchristentum (in diesem Band 109–134). 25 R. Pesch, Das Markusevangelium II. Kommentar zu Kap. 8,27–16,20 (HThK II/2), Freiburg 1977, 91. 26 B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996, 215 meint, in einer »ältesten Fassung« der mk Erzählung (s. u.) habe es sich »bei dem Gewässer von Mk 9,22par, das zumindest die zum Ertrinken notwendige Tiefe aufgewiesen haben muß, um den See Genezareth« gehandelt. Daher sei »die Heilung eines epileptischen Knaben durch Jesus als historischer Haftpunkt wahrscheinlich«. Über die Art des lebensbedrohenden Wassers ist nichts gesagt – im Augenblick eines körperlichen Zusammenbruchs kann man auch in einem sehr kleinen Gewässer zu Tode kommen. 27 So etwa Lührmann, Markusevangelium (s. Anm. 12), 161 f. 28 Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 9 f.12. Hofius nennt vier Belege aus der klassischen Grä-

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ven aÆlla nicht angemessen berücksichtigt; Hofius meint unter Verweis auf Mt 9,18, aÆlla diene lediglich »als Überleitung von dem Bericht über die Notlage zur Bitte«29, aber durch das aÆlla in Mt 9,18 (mt Fassung der Jairuserzählung) wird betont signalisiert, dass die Tochter zwar schon gestorben ist, der Vater aber Jesus aber trotzdem bittet, ihr die Hand aufzulegen, so dass sie lebt. In Mk 9,22 bringt der Vater durch das adversative aÆlla offensichtlich seinen Unwillen darüber zum Ausdruck, dass hier ein Gespräch über Schwere und Verlauf der Besessenheit seines Sohnes geführt wird, statt dass er Heilung erfährt. Richtig ist, dass der Vater erwartet, Jesus könne und werde tatsächlich helfen.30 Jesus reagiert geradezu gereizt (V. 23a): »Was soll das heißen – ›wenn du Äì pisteyÂonti, dann kannst‹?« Wenn er quasi als Antwort hinzufügt paÂnta dynataÁ tv wird damit, wie Hofius zutreffend feststellt, »nicht etwa einem einschränkenden ti (›etwas‹) ein ganz umfassendes paÂnta (›alles‹) entgegengesetzt, sondern der eiÆ–Satz [des Vaters in V. 22b] als ganzer wird als unangemessen bezeichnet«.31 Jesus sage dem Vater stattdessen, dass dem Glaubenden alles möglich ist. Der Sinn dieses Wort Jesu ist allerdings umstritten: Sieht Jesus sich selbst als »den Glaubenden« an, der alles vermag? Oder enthält das Wort die Aufforderung an den Vater, dass er »glauben« soll, denn »alles ist möglich zugunsten dessen, der glaubt«?32 Gegen die erste Deutung spricht, dass von der piÂstiw Jesu zumindest im Markusevangelium sonst niemals die Rede ist.33 Umgekehrt sprechen für die zweite Deutung jene Wundererzählungen, in denen Jesus dem Glauben rettende und damit heilende Kraft zuspricht (Mk 5,34; 10,52), und auch Jesu Wort in Mk 4,40, der noch fehlende Glaube der Jünger sei die Ursache für ihre Furcht vor dem Sturm gewesen. Für diese Deutung spricht offenbar auch die Reaktion des Vaters: Er »glaubt«, sieht sich aber zugleich der Hilfe bedürftig im Blick auf seine aÆpistiÂa (V. 24b). Hofius hält beide Auslegungen für unzureichend: Die Wendung paÂnta dyÂnata beziehe sich auf das »Vermögen« Jesu, in der Wendung tv Äì pisteyÂonti sei dagegen »einzig der ›Glaube‹ des Vaters im Blick«; da aber die geprägte Formel paÂnta dyÂnata selbstverständlich von Gottes Allmacht spreche, sei klar, dass die Worte im ganzen »auf Jesu göttliche eÆjoysiÂa« verweisen – gemeint sei mithin: »›Alles ist mir möglich – dir zugute, wenn du glaubst.‹«34 zität. Vgl. die Quellentexte bei: Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Band I/1.1. Texte zum Markusevangelium, hg. von U. Schnelle unter Mitarbeit von M. Lang und M. Labahn, Berlin/New York 2008, 454–456. 29 Hofius, Allmacht, 11 Anm. 47. 30 bohueÂv ist kein in Wundererzählungen übliches Verb; s. u. zu V. 24. 31 Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 12. 32 Vgl. das Referat der beiden Auslegungstypen bei Hofius, Allmacht, 12 f. 33 Das spricht dafür, piÂstiw bzw. pistey  ein nicht grundsätzlich im Sinn von »vertrauen« zu deuten; es geht bei piÂstiw um die Gottesbeziehung, und da gehören »Glaube« und »Vertrauen« unmittelbar zusammen. 34 Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 14.15 (Hervorhebungen im Orig.).

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Die Antwort, die der Vater dann in V. 24b gibt, werde oft theologisch überinterpretiert – die wörtliche Übersetzung »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« biete keine hinreichende Basis für die angemessene Exegese, denn die Wendung bvhÂuei moy th Äì aÆpistiÂaì sei als eine Metonymie zu beurteilen, besage also: »Hilf mir, dem Ungläubigen!«35 Die Aussage des Vaters sei »die Äußerung dessen, der sich – erstmals den Weg zum Glauben findend – darauf verläßt, daß Jesus ›alles möglich‹ ist«: »Der Vater erfleht die Hilfe Jesu, wie man Gott um Hilfe anruft, und er tut das in dem Wissen, daß er diese Hilfe in gar keiner Weise verdient hat.«36 In dieser Auslegung ist aber das Gewicht des ersten Satzes im Antwortruf des Vaters (pisteyÂv »Ich glaube«) zu gering eingeschätzt: pisteyÂv meint nicht, dass der Vater »erstmals den Weg des Glaubens« findet, sondern der Satz besagt, dass er wirklich »glaubt«. Und dann ist es doch kein Zufall, dass die unmittelbar folgende Aussage nicht personal formuliert ist (»hilf mir, dem Ungläubigen«), sondern dass der Vater explizit von seinem »Unglauben« (aÆpistiÂa) spricht. Der Vater steht in einem inneren Konflikt: Er glaubt an Jesu Wunderkraft, und er hat zugleich seinen zuvor in V. 22 geäußerten Unwillen, den er nun als Unglaube deutet, noch nicht überwunden. Dabei richtet er seine Bitte um die Überwindung dieses Unglaubens an Jesus, denn er ist es ja, an den er »glauben«, auf den er sein Vertrauen setzen möchte; es gibt also keine dieser Beziehung übergeordnete Instanz.37 Dementsprechend wird am Schluß auch nicht erzählt, der innere Konflikt des Vaters sei durch das von Jesus vollbrachte Wunder gelöst worden; vielmehr ist der Schrei des Vaters in V. 24b sein letztes Wort in der Erzählung – der Vater wird im folgenden überhaupt nicht mehr erwähnt.38 Nach diesem vergleichsweise langen Dialog in V. 21–24 folgt in V. 25 der Fortgang der äußeren Handlung: Jesus sieht, dass der oÍxlow (vgl. V. 14 f.), der Jesu Wortwechsel mit dem Vater des Kindes offenbar aus einigem Abstand wahrgenommen hatte, zusammenströmt39, und jetzt erst befiehlt er dem vom Erzähler nun erstmals als »unrein« bezeichneten Geist40, den Jungen zu verlassen. Eine gewisse Ironie steckt darin, dass Jesus den von ihm ausdrücklich als toÁ aÍlalon kaiÁ kvfoÁn pneyÄma bezeichneten Dämon anspricht, d. h. dieser muß nun offensichtlich hören. Dass durch das »herrscherliche« eÆgv betont hervorgehoben werden 35 Hofius, Allmacht, 17. Hofius verweist auf analoge Konstruktionen in Jdt 6,19 (eÆleÂhson th Án tapeiÂnvsin toyÄ geÂnoyw hëmv Ä n »Erbwarme dich über uns, dein erniedrigtes Volk«) und in Röm 8,26a, Ä n meine: »Der Geist steht uns, die wo die Aussage toÁ pneyÄma synantilambaÂnetai thÄì aÆsueneiÂaì hëmv

wir schwach sind, bei.« 36 Hofius, Allmacht, 18.19. 37 Zur Frage, ob Jesus nach der Darstellung in dieser Erzählung also »über die Allmacht Gottes verfügt« (so Hofius, Allmacht, 22), s. u. 38 Lk hat hier offenkundig eine erzählerische Lücke gesehen und deshalb in 9,42 ergänzt: kaiÁ aÆpeÂdvken ayÆtoÁn tv Äì patriÁ ayÆtoyÄ. 39 Das doppelte Kompositum eÆpisyntreÂxv ist ein Hapaxlegomenon. 40 Die Bezeichnung pney Ä ma aÍkauaÂrton begegnet in allen Exorzismuserzählungen bei Mk, unabhängig davon, ob noch ein weiterer Begriff verwendet wurde.

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soll, Jesus besitze eine gegenüber den Jüngern »einzigartige eÆjoysiÂa«41, ist möglich; näher liegt aber die Annahme, dass das eÆgv das Pendant zu der vorangegangenen ausführlichen Anrede an das stumme und taube pneyÄma ist. Jesus fügt seinem Ausfahrbefehl42 die weitere Anweisung an den Geist hinzu, er dürfe niemals zurückkehren; dieser in anderen Exorzismuserzählungen nicht begegnende Befehl43 ist hier überaus wichtig: Die Heilung darf keinesfalls als ein womöglich nur vorübergehender Zustand erscheinen. Der Erfolg dieser Anweisung kann innerhalb der Erzählung natürlich nicht kontrolliert werden; aber der Erzähler setzt es als selbstverständlich voraus, dass Jesu Befehl vollständig wirksam sein wird. Kaum hat Jesus gesprochen, wird das pneyÄma noch einmal in der zuvor vom Vater des Kindes beschriebenen Weise aktiv: Der dämonische Geist schreit auf, reißt das Kind heftig hin und her (pollaÁ sparaÂjaw)44, und dann »fährt er aus« (V. 26a); das Kind bleibt »wie tot«, also regungslos liegen, woraufhin die Umstehenden45 feststellen: »Es ist gestorben« (V. 26b). Durch die vorangegangene Aussage des Erzählers (vëseiÁ nekroÂw) ist aber den Lesern schon klar, dass die polloi sich irren; wenn Jesus also die Hand des Jungen ergreift, ihn »erweckt« (hÍgeiren ayÆtoÂn) und dieser daraufhin »aufersteht« (aÆneÂsth), so bringt diese Schlußaussage der Wundererzählung in V. 27 zwar in sprachlicher Hinsicht Züge einer Totenerweckungsgeschichte mit ein46, doch die Erzählung wird dadurch nicht zu einer solchen gemacht.47 Es bestätigt sich, dass die Erzählung formgeschichtlich als ein Exorzismus anzusehen ist.48 41

So Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 19. Der Befehl eÍjhlue eÆj ayÆtoyÄ ist wörtlich derselbe wie in Mk 1,25 (vgl. 5,8). Mk verwendet in den Exorzismuserzählungen durchweg eine Form von eÆjeÂrxesuai. 43 In der Q-Überlieferung begegnet aber im Zusammenhang der Beelzebul-Debatte die Geschichte von dem »vertriebenen« unreinen Geist, der nach einem längeren Irrweg wieder in »sein Haus« zurückkehrt und dort gemeinsam mit bösen Gefährten ärger agiert als vorher (Lk 11,24–26/Mt 12,43–45); vgl. dazu Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 15), 420–422. 44 Jetzt wird das Verb spara  ssv verwendet. 45 Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 19 versteht toyÁw polloyÁw leÂgein im Sinne von »die meisten Zeugen«; aber gemeint sind eher die Augenzeugen des Geschehens, die eben »zahlreich« sind. 46 Die Verben eÆgeiÂrein und a Æ nistaÂnai müssen ohnehin nicht zwingend in diesem Sinne gedeutet werden; vgl. Mk 2,11 f. In Mk 5,41 f. wird mit der Doppeldeutigkeit gespielt: Jesus sagt eÍgeire, und darauf heißt es eyÆuyÁw aÆneÂsth toÁ koraÂsion, aber Jesus hatte zuvor gesagt, das Mädchen sei keineswegs tot, sondern es schlafe; s. dazu: Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a. Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem (in diesem Band: 70–92, besonders 84–87). 47 Insofern geht die Auslegung von Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 19 zu weit: »Ausgesagt ist damit, daß hier der durch sein Machtwort das Wunder der Heilung vollzieht und den Besessenen für immer von dem sein Leben zerstörenden Dämon befreit, der die Macht über den Tod hat – eine Macht, die nach alttestamentlichem und frühjüdischem Denken einzig und allein Gott eignet.« 48 Stegemann, Dekonstruktion (s. Anm. 4), 80 f. meint, es sei »schwierig«, »im Zusammenhang der Heilungsgeschichten Jesu … überhaupt von Therapie zu sprechen«. Tatsächlich wird ja seit Theißen zwischen »Therapie« und »Exorzismus« deutlich unterschieden; andererseits dürfen 42

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II. Die Erzählung bricht mit V. 27 geradezu ab – weder ist von einem Kommentar des doch zahlreich answesenden Publikums noch von einer Reaktion des Vaters die Rede. Ohne Übergang wird in V. 28 gesagt, Jesus sei weggegangen eiÆw oiËkon, und dort hätten ihn seine Jünger kat’ iÆdiÂan gefragt, warum sie das pneyÄma nicht auszutreiben vermochten (hëmeiÄw oyÆk hÆdynhÂuhmen, vgl. die Aussage des Vaters in V. 18: oyÆk Íisxysan). Jesu Antwort in V. 29 (toyÄto toÁ geÂnow eÆn oyÆdeniÁ dyÂnatai eÆjelueiÄn eiÆ mhÁ eÆn proseyxh Äì) wird oft so gedeutet, als werde hier eine Anweisung für eine bestimmte exorzistische Praxis gegeben. Dieter Lührmann sieht einen Zusammenhang mit Mk 11,23 f.: Hier wie dort »konkretisiert sich der Glaube im Gebet, obwohl Jesus ja in der Geschichte keineswegs ein Gebet gesprochen hatte«, und Lührmann folgert, Markus nehme »also ein ursprünglich selbständiges Jesuswort auf, weil für ihn Glaube und Gebet eng zusammengehören«.49 Nach Hofius spricht Jesu Wort nicht vom Gebet des Wundertäters, sondern vom Beten des Wunderempfängers, und dementsprechend sei auch nicht vom Tun des Exorzisten (eÆkbaÂllein), sondern vom »Ausfahren« des Dämons die Rede (eÆjelueiÄn). Gemeint sei »die Anrufung Jesu, wie sie der Vater mit dem Ruf von V. 24b vollzogen hat«.50 Die Szene in V. 28 f. sei als organische Weiterführung und sinnvoller Abschluß des zuvor Berichteten zu begreifen.51 Gleichwohl sind V. 28 f. als redaktionell mk Erweiterung anzusehen, wie sowohl der Hinweis auf das »Haus« und die Wendung kat’ iÆdiÂan anzeigen.

III. Bei der »Besessenheit«, von der die Erzählung in Mk 9,14–27 berichtet, handelt es sich offensichtlich um Epilepsie52: Ausführlich und mit exakt beschreibenden Worten informiert zunächst der Vater Jesus (und damit zugleich die Leser des Textes) über die Erscheinungsformen der epileptischen Anfälle (V. 18a. 22a), und diese Schilderung hat offensichtlich das Ziel, die Besessenheit des Sohnes zwar als anfallsartig, aber zugleich als chronisch zu beschreiben.53 Sehr genau wird dann die Differenzen nicht zu scharf betont werden; in der Mt-Parallele heißt am Ende (17,18) ausdrücklich: kaiÁ eÆuerapeyÂuh oë paiÄw aÆpoÁ thÄw vÏraw eÆkeiÂnhw. 49 Lührmann, Markusevangelium (s. Anm. 12), 162. 50 Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 21. 51 Hofius ebd. 52 Das zeigt M. Wohlers, Heilige Krankheit. Epilepsie in antiker Medizin, Astrologie und Religion (MThSt 57), Marburg 1999, 21–23. 53 Dasselbe erzählerische Verfahren wählt Philostrat Vit Apoll III 38: Eine Mutter erzählt, ihr sechzehnjähriger Sohn sei »seit zwei Jahren von einem bösen Geist besessen, der das Wesen eines Spötters und Lügners habe« (Übers. Vroni Mumprecht). Ein solcher Zeitraum kann ja nur durch den Bericht einer anderen Person beschrieben werden.

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vor allem auch der Anfall geschildert, den das Kind im Moment seiner Begegnung mit Jesus erleidet (V. 20b), während von dem Geschehen während des letzten Anfalls nur noch kurz die Rede ist (V. 26a). Eine derart ausführliche Beschreibung des Krankheitsbildes der Epilepsie und eines akuten epileptischen Anfalls finden wir in der antiken Literatur sonst kaum.54 Das Corpus Hippocraticum informiert eingehend über die möglichen Ursachen und auch über die Heilungschancen der Krankheit, und der Arzt Aretaios beschreibt im 1. Jahrhundert n. Chr. den äußeren Ablauf epileptischer Anfälle55; aber eine so detaillierte, einen bestimmten Einzelfall beschreibende Schilderung, wie sie in Mk 9 überliefert ist, gibt es sonst offenbar nicht.56 Angesichts dessen fällt nun aber auf, dass in der Erzählung eine Bezeichnung der Krankheit fehlt; der Erzähler verwendet weder einen der damals gängigen medizinischen Begriffe57 noch den Ausdruck iëeraÁ noyÄsow (latein. morbus sacer).58 Stattdessen werden die Erscheinungsformen der Krankheit eindrücklich geschildert, wobei die Leser der Erzählung Details aus der Schilderung des sich aktuell vollziehenden Geschehens erfahren (V. 20b. 26a), das meiste jedoch hören sie – nicht anders als die in der Erzählung auftretenden Personen – aus der einleitenden Rede des Vater (V. 17b. 18a) und dann vor allem aus der Antwort des Vaters auf Jesu Frage nach der »Anamnese« (V. 21.22a). Dazu gehört insbesondere die Information, dass die Anfälle schon seit früher Kindheit auftreten (V. 21), es sich also um einen besonders schweren Fall handelt.59 Wie detailliert die in Mk 9 gegebene Beschreibung der epileptischen Anfälle ist, zeigt ein Vergleich mit den Paralleltexten im Matthäus- und im Lukasevan54 Stegemann, Dekonstruktion (s. Anm. 4), 79 hält die Diagnose »Epilepsie« für unzulässig; »denn diese Diagnose setzt – wenn ich recht weiß – in unserem biomedizinischen Paradigma den Einsatz eines EEG voraus, dessen Elektroden bekanntlich den handelnden Personen einer Erzählung schwer anzulegen sind«. Die antike Medizin sah sich aber durchaus imstande, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Epilepsie zu diagnostizieren; dass die heutige Medizin hier genauer urteilen kann, ist kein Gegenargument. 55 Der entsprechende Text des Corpus Hippocraticum findet sich griechisch und deutsch bei W. Müri (Hg.)., Der Arzt im Altertum, München 1979, 234–269 (Auszüge auch bei Lührmann, Das Markusevangelium [s. Anm. 12], 274–279); der Aretaios-Text bei Müri 272–280 und im Neuen Wettstein (s. Anm. 28), 445–447. Vgl. die umfassende Darstellung bei E. Lesky/H. Waszink, Art. Epilepsie, RAC 5, Stuttgart 1962, 819–831 und vor allem Wohlers (s. Anm. 52). 56 Darauf verweist zutreffend auch Pesch, Markusevangelium (s. Anm. 25), 95. Seine Folgerung, es handele sich also um »konkrete Tradition historischen Geschehens«, ist allerdings nicht zwingend; richtig dürfte sein, dass die Erzählung Erfahrungen mit epileptischen Anfällen voraussetzt. 57 Vgl. die Übersicht über die Terminologie bei Wohlers, Heilige Krankheit (s. Anm. 52), 19–23. 58 Die Bezeichnung »heilige Krankheit« wird im Corpus Hippocraticum ausdrücklich abgelehnt. In christlicher Zeit wurde sie für die Lepra gebraucht; vgl. H. Brakmann, Art. Heilige Krankheit, RAC 14, Stuttgart 1987, 63–66. 59 Im jugendlichen Alter kann nach dem Corpus Hipocraticum die Krankheit noch überwunden werden, später nicht mehr (vgl. Wohlers, Heilige Krankheit [s. Anm. 52], 177 f.).

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gelium.60 In der Mt-Fassung der Erzählung (17,14–20) verwendet der Vater sogleich in V. 15 einen der volkstümlichen Namen der Krankheit, indem er seinen Sohn als »mondsüchtig« bezeichnet (selhniaÂzetai)61; der Sohn leide darunter sehr Ä w paÂsxei), denn er falle »häufig ins Feuer und ins Wasser«.62 Offensicht(kaiÁ kakv lich genügt für Matthäus das Stichwort »mondsüchtig«; so kann er darauf verzichten, weitere Einzelheiten zu schildern. Vor allem ist bei Matthäus zunächst gar nicht von einem »Dämon« oder einem »unreinen Geist« die Rede63, man weiß Äì oë zunächst also nicht, wer es ist, den Jesus in V. 18a »bedroht« (eÆpetiÂmhsen ayÆtv ÆIhsoyÄw). Erst als es dann heißt kaiÁ eÆjh Ä luen aÆp’ ayÆtoyÄ toÁ daimoÂnion erfährt man, dass auch Matthäus als Ursache der »Mondsüchtigkeit« eine dämonische Macht ansieht. Abschließend wird ausdrücklich nochmals gesagt, der Knabe sei »von dieser Stunde an geheilt« worden (eÆuerapeyÂuh oë paiÄw aÆpoÁ thÄw vÏraw eÆkeiÂnhw); die Züge des Exorzismus sind bei Matthäus also fast ganz verschwunden, und man gewinnt überhaupt den Eindruck, dass die Erzählung »is in Matthew on its way to becoming a pronouncement story«.64 In der Fassung des Lukas (9,37–43a) bittet der Vater Jesus, er möchte seinen einzigen Sohn »ansehen« (deÂomai soy eÆpibleÂcai eÆpiÁ toÁn yiëoÂn moy ktl.), denn ein pneyÄma bemächtige sich seiner (lambaÂnei) und quäle ihn unter schlimmen Begleiterscheinungen (V. 39), die freilich wenig spezifisch geschildert werden.65 Als der Junge dann zu Jesus kommt, wird er von dem nun als daimoÂnion bezeichneten Geist attackiert (eÍrrhjen ayÆtoÁn toÁ daimoÂnion kaiÁ synespaÂrajen), woraufhin Jesus Äì pneyÂmati tv Äì aÆkauaÂrtvì) den »unreinen Geist« bedroht (eÆpetiÂmhsen deÁ oë ÆIhsoyÄw tv und den Jungen heilt (kaiÁ iÆaÂsato toÁn paiÄda). Durch die Jesu Handeln abschlie60 Der synoptische Vergleich beschränkt sich im folgenden auf die eigentliche Wundererzählung; Mt und Lk haben die Mk-Vorlage insgesamt erheblich gekürzt, dabei den mk Kontext aber im wesentlichen übernommen. 61 Hinter dieser Bezeichnung steht, ohne dass Mt dies bewußt gewesen sein wird, die Auffassung, der betreffende Mensch habe sich gegen die Mondgöttin Selene vergangen. S. dazu Wohlers, Heilige Krankheit (s. Anm. 52), 118–120. Vgl. den im Neuen Wettstein (s. Anm. 28), 453 f. abgedruckten Aretaios-Text. 62 Die Formulierung in Mt 17,15b polla  kiw gaÁr piÂptei eiÆw toÁ pyÄr kaiÁ pollaÂkiw eiÆw toÁ yÏdvr unterscheidet sich auffällig von der Formulierung in Mk 9,22a (kaiÁ pollaÂkiw kaiÁ eiÆw pyÄr ayÆtoÁn eÍbalen kaiÁ eiÆw yÏdata Ïina aÆpoleÂshì ayÆtoÂn). 63 Dementsprechend waren die Jünger nicht imstande gewesen, den Jungen zu heilen (oyÆk hÆdynhÂuhsan ayÆtoÁn uerapeyÄsai, V. 16). 64 W. D. Davies/D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to Saint Matthew. Volume II: Commentary on Matthew VIII–XVIII (ICC), Edinburgh 1991, 720. Das Ziel sei offenbar Jesu Wort in V. 20 über den »Glauben wie ein Senfkorn«, d. h. im Zentrum stehe nicht die Christologie, sondern Jüngerschaft und Glaube. »In Matthew the lesson is not what Jesus can do but what his followers can do.« 65 P.-G. Klumbies, Nuovo Testamento, origine della demonizzazione dell’epilessia, L’Invito 11 (1988) 13–16 betont allerdings, Lk wisse im Unterschied zu Mk, dass es sich bei dieser Besessenheit um Epilepsie handelt und deshalb sage der Vater in seiner Beschreibung der Anfälle in 9,39 ausdrücklich und korrekt, dass der Junge zu Beginn des Anfalls aufschreit (aaO., 15). Allerdings fehlt bei Lk in der Schilderung des akuten Anfalls jeder Hinweis auf einen Schrei.

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ßend beschreibende Wendung kaiÁ aÆpeÂdvken ayÆtoÁn tv Äì patriÁ ayÆtoyÄ kommt auch der Vater nochmals in den Blick; die Aussage erinnert an Lk 7,15 und damit auch an 1 Kön 17,25b.66 Ist die Schilderung der Krankheitssymptome und ebenso auch die Beschreibung der Heilung bei Lukas einerseits erheblich gestrafft worden, so bietet er andererseits in V. 43 einen »knappen Admirationsbericht«67 und schließt damit die Erzählung stilgemäß ab. Sowohl Matthäus als auch Lukas haben den bei Markus sehr breit dargestellten Dialog zwischen Jesus und dem Vater (Mk 9,21–24) gestrichen; schon deshalb erfährt der Leser hier sehr viel weniger Einzelheiten über die Krankheit als bei Markus.68 Bernd Kollmann vermutet, dass es »eine ältere, vorliterarische Version von Mk 9,14–29parr [gab], die den Mk 9,14a. 15c. 17–20.25a. 26a. 27/Mt 17,14–21/Lk 9,37–43 gemeinsamen Überlieferungsbestand umfaßte, ohne daß der exakte Wortlaut noch rekonstruierbar wäre«.69 Aber die Kürzungen bei Lukas und Matthäus gehen offenbar darauf zurück, dass beide, wenn auch auf unterschiedliche Weise, den besonderen Charakter der Besessenheit als Epilepsie weniger stark betonen wollten.

IV. Damit stellen sich im Blick auf die Auslegung von Mk 9,14–29 vor allem zwei Fragen: Warum wird die Epilepsie vom Erzähler auf einen »sprachlosen und tauben Geist« zurückgeführt? Und vor allem: Warum ist es gerade die Epilepsie, die so eingehend beschrieben wird – sehr viel ausführlicher als sonst Krankheiten im Zusammenhang neutestamentlicher Wundererzählungen beschrieben werden? In der griechischen Antike wurde die Epilepsie70 schon in sehr früher Zeit als »heilige Krankheit« bezeichnet71; das Wort »heilig« bezog sich auf die vermutete 66 Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 15), 359: »Der Sohn gehört jetzt nicht mehr dem (unreinen) Geist, sondern – wie es sein muss – seinem Vater.« 67 Wolter ebd. 68 Man kann fragen, ob dies Indizien für einen von Mk unabhängigen Text sind; die gemeinsamen Auslassungen sind erheblich, insofern Mk 9,15 f.20–24a. 25b–27 bei Mt und bei Lk keine Entsprechung haben, aber umgekehrt sind die positiven Gemeinsamkeiten gegen Mk sehr gering und lassen sich durchweg als stilistische oder logische Verbesserungen erklären. S. dazu Davies/Allison, Matthew (s. Anm. 64), 719. 69 Kollmann, Jesus und die Christen (s. Anm. 26), 211. Insbesondere bei Lk 9,37–43a könne Mk 9,14–29 »kaum die alleinige Vorlage« gewesen sein, da Lukas nicht zur Kürzung der mk Wundererzählungen neige (210). 70 Wohlers, Heilige Krankheit (s. Anm. 52), 9 f. betont, »daß ›Epilepsie‹, in einem nach heutigem Verständnis auch andere Erkrankungen umfassenden Sinn des Begriffs, in der Antike ein Kristallisationspunkt für die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Deutungen von Krankheit war«. Insofern kann es nicht darum gehen, das antike Verständnis von Epilepsie mit dem modernen Kenntnisstand zu vergleichen (vgl. oben Anm. 54). 71 Lesky (s. Anm. 55), 819 nennt als älteste Belege Heraklit und Herodot.

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Nähe zu einer Gottheit und sollte zum Ausdruck bringen, dass der oder die unter dieser Krankheit Leidende offensichtlich unter einem göttlichen Fluch steht. Eben deshalb polemisiert das Corpus Hippocraticum so scharf gegen den Begriff »heilige Krankheit«; Ursache der Epilepsie sei nämlich, wie bei jeder anderen Krankheit, die fyÂsiw. Vermutlich werde Epilepsie, so die medizinische Vorstellung, vererbt; die Annahme, eine Gottheit sei für diese Krankheit verantwortlich zu machen, müsse als geradezu gottlos bezeichnet werden.72 Das ist freilich eine Einsicht antiker medizinischer »Aufklärung«, während der antike Durchschnittsmensch wohl an der Vorstellung festhielt, hinter solch unbegreiflichen Vorgängen wie der Epilepsie seien überirdische Mächte, eben »böse Geister« oder Dämonen oder eben auch Götter am Werk. Der christliche Erzähler teilt im Prinzip diese Weltsicht. Für ihn ist der Urheber der Epilepsie aber natürlich nicht Gott, sondern im Gegenteil eine gottfeindliche und zugleich menschenfeindliche Macht, die den Menschen zeitweilig in ihren Besitz nimmt und ihm dabei seine personale Existenz raubt. Im epileptischen Anfall manifestiert sich diese Macht nicht in Schreien oder in wirren Reden wie bei einer »Geisteskrankheit«, sondern in einem nach dem kurzen Schrei zu Beginn des Anfalls73 im übrigen wortlosen Geschehen. Deshalb gilt der böse Geist dem Erzähler als »stumm«; und da der Kranke während des Anfalls und unmittelbar danach nicht ansprechbar ist, gilt der Geist auch als »taub«. Jesus in unserer Erzählung überwindet diese Taubheit durch sein Wort: Er redet den »tauben« Geist an, und dieser muß nun hören und gehorchen. In der Wundererzählung Mk 9,14–27.28 f. geht es nicht um eine medizinische Lehrmeinung, der zumal aus heutiger Sicht zu widersprechen oder über die allenfalls nachsichtig zu lächeln wäre. Der Erzähler schildert vielmehr mit geradezu bedrückender Anschaulichkeit das, was beim epileptischen Anfall eines Menschen zu sehen ist. Die Vorstellung, man habe es mit dem überfallartigen Angriff einer fremden, außermenschlichen Macht zu tun, ist dann weniger abwegig und primitiv, als man zunächst meinen möchte. Warum aber wird unter all den Krankheiten und Behinderungen, von deren Heilung durch Jesus die urchristliche Gemeinde erzählt, gerade die Epilepsie mit so minutiöser Genauigkeit dargestellt? Der Grund dafür ist wohl nicht die Tatsache, dass sich diese Krankheit für eine dramatische Erzählung besonders gut eignet. Vielmehr wird hier das Phänomen der Beherrschung durch ein böses pneyÄma, also die »Besessenheit«, hier besonders eindrücklich sichtbar: Im epilep72 Corpus Hippocraticum 1 (Müri [s. Anm. 55], 239): Diejenigen, die die Epilepsie auf den Einfluß des Göttlichen und Übernatürlichen zurückführen wollen, »sprechen nicht über Gottesfurcht, wie sie meinen, vielmehr über Gotteslästerung (aÆseÂbeia) und dass es Götter nicht gibt, und ihre Frömmigkeit gegenüber dem Göttlichen ist unfromm und unheilig«. 73 Dieser Schrei gehört zum »grand mal« des epileptischen Anfalls; Lk und Mt haben den Hinweis darauf gestrichen (vgl. aber Lk 9,39). Klumbies, Nuovo Testamento (s. Anm. 65) sieht den Schrei in Mk 9,26 als Begleiterscheinung des Ausfahrbefehls Jesu.

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tischen Anfall scheint der Mensch sein Personsein einzubüßen; er gerät, so wie es der Vater in der Erzählung beschreibt, bis an den Rand auch der physischen Vernichtung. Deshalb wird am Ende ausdrücklich gesagt, dass das Kind nach seiner Befreiung von der Macht des bösen Dämons zunächst tot zu sein scheint (V. 26) und dass dementsprechend die Heilung abschließend wie eine Totenauferweckung geschildert wird (V. 27) – als ein Akt der Neuschöpfung dieses Menschen. Diesen Aspekt hat Lukas in besonderer Weise wahrgenommen, wenn er die Geschichte von der Heilung des epileptischen Kindes mit nahezu derselben Bemerkung abschließt wie die Erzählung von der Auferweckung des Jünglings zu Nain: »Und er gab ihn seinem Vater« (bzw. in Lk 7,15: »seiner Mutter«).

V. Die Geschichte von der exorzistischen Heilung des an Epilepsie leidenden Kindes durch Jesus ist von Menschen erzählt worden, in deren Erfahrungsbereich Epilepsie vorkam, die aber dieser Krankheit hilflos und ratlos gegenüberstanden. Warum erzählten sie diese Geschichte? Gewiß nicht deshalb, weil sich das Geschilderte irgendwann einmal tatsächlich ereignet hatte. In diesem Fall hätte ja, ähnlich wie bei den Inschriften an den Tempeln des Gottes Asklepius in Epidauros, ein einziger Satz genügt: ›Jesus heilte an einem bestimmten Ort an einem bestimmten Tag einen Epileptiker von seiner Krankheit.‹74 Davon unterscheidet sich die Erzählung in Mk 9 grundlegend, insofern der Erzähler die allgemeine Erfahrung menschlichen Leidens intensiv wahrnimmt, wobei Erzähler wie Hörer ein konkretes Beispiel geradezu mit durchleben und mit durchleiden. Die Erzählung beschreibt eindringlich, wie diese Leiderfahrung im Gegenüber zu Jesus ausgebreitet werden darf, so wie es der Vater des Jungen getan hatte. Es ist ja höchst ungewöhnlich für eine Wundererzählung, dass sie zunächst mit dem Bericht von einem Fehlschlag beginnt (V. 18), dass später der um Hilfe bittende Mensch den Wundertäter anschreit und dessen Wunderkraft womöglich sogar anzweifelt, und dass er sich dabei zugleich an ihn als seine letzte Hoffnung klammert. Die anderen Wundererzählungen setzen voraus, dass die Menschen, die zu Jesus kommen, fest mit Jesu Hilfe rechnen. Und nicht selten sagt Jesus am Ende zu ihnen: »Dein Glaube hat dich gerettet.« Hier dagegen spricht der Vater ausdrücklich von seinem Unglauben. Offenbar liegt hier der besondere Sinn dieser 74 Vgl. dazu Theissen, Wundergeschichten (s. Anm. 1), 280: Die Inschriften am Tempel von Epidauros »sollen Hilfesuchenden Trost und Zuversicht geben, sollen die Erwartung steigern und Enttäuschungen auffangen«; man könnte denken, dass »die epidaurischen Priester zu versichern scheinen: Wunder kommen bei uns alle Tage vor«. Demgegenüber ist in den urchristlicher Wundererzählungen das Wunder »nicht Gegenstand einer mit kontinuierlichen Institutionen verbundenen Erwartung und Hoffnung, sondern ein aller Erfahrung widersprechendes paradoxes Ereignis«.

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Erzählung: Sie konfrontiert die Adressaten unmittelbar mit einer dämonischen Krankheit, und sie ruft dazu auf, diese Krankheit und die von ihr Betroffenen zu Jesus zu bringen. Kollmann weist darauf hin, dass in Mk 9,14–27 verglichen mit Mk 1,23–28 und 5,1–20 solche Züge fehlen, »die sich speziell einer Verwendung der Besessenenheilungsberichte in Missionszusammenhängen verdanken«; dies erkläre, »warum die Erzählung mit der Thematisierung wahren Glaubens (9,23 f.) wie mit der Ausgestaltung zur Jüngerunterweisung (9,28 f.) bald gemeindeinterne Lehrinteressen verfolgte«.75 Aber diese Deutung übersieht, dass die Erzählung in einer ganz ungewöhnlichen Weise zum »Mit-Leiden« auffordert: Die Adressaten sollen sich offenbar vor allem mit dem Vater des Kindes identifizieren, und sie sollen darauf vertrauen, dass auch sie sich in derart »aussichtslosen Fällen« an Jesus wenden dürfen. Damit trägt die Erzählung gewiss nicht »missionarischen« Charakter; aber um »gemeindeinterne Lehrinteressen« geht es – ungeachtet der Schlußszene in V. 28 f. – sicherlich auch nicht. Wenn der Evangelist in dem kleinen, wohl von ihm selbst stammenden Dialog zwischen Jesus und den Jüngern76 schreibt, dass »diese Art« von Geistern »nur durch Gebet« ausfährt, dann soll diese Aussage gewiß nicht als eine geradezu technische Anleitung für erfolgreiche Exorzismen verstanden werden77; es soll auch nicht das Gebet als ein probates therapeutisches Mittel gegen die Epilepsie empfohlen werden. Hofius betont, in V. 29b gehe es um das Gebet des Wunderempfängers, der Ausdruck eÆn proseyxhÄì bezeichne »nicht das Mittel, durch das die Heilung von Besessenen vollzogen wird, sondern den Grund bzw. die Voraussetzung dafür, daß sie überhaupt erfolgt«. Welches Gebet gemeint ist, sei von V. 24b her klar: »Es ist die Anrufung Jesu«, in der sich »der ›Glaube‹, d. h. das Zutrauen zu Jesus und seinem Erbarmen« bekunde.78 Aber von einem an Jesus gerichteten Gebet ist weder im Markusevangelium noch sonst in der synoptischen Überlieferung die Rede. Das Gebet ist für den Verfasser des Markusevangeliums Anrede an Gott – Bitte, aber nicht zuletzt auch Klage des Menschen.

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Kollmann, Jesus und die Christen (s. Anm. 26), 213. Deshalb stehe diese Erzählung »nicht innerhalb des Wunderzyklus 4,35–5,43, sondern im zweiten Hauptteil seines Evangeliums in paränetischem Kontext«. 76 V. 28 f. nehmen auf V. 18b Bezug; man kann fragen, ob diese Erwähnung der Jünger nicht von vornherein darauf angelegt ist, dass sie in der Erzählung abermals vorkommen. Aber zumindest die Stichworte »Haus« und kat’ iÆdiÂan verweisen deutlich auf die Redaktionsarbeit des Evangelisten. 77 Das scheint freilich die Intention der späteren Ergänzung der Aussage Jesu durch die Worte »und durch Fasten« gewesen zu sein. Hofius, Allmacht (s. Anm. 13), 21 Anm. 100 meint,es müsse offen bleiben, woran der Abschreiber bei den Worten kaiÁ nhsteiÂaì gedacht hat, an das Gebet und Fasten des Wundertäters oder »an das – durch Fasten zu unterstützende – Gebet des Wunderempfängers«; jedenfalls hatte dieser Abschreiber »ausschließlich die Situation der nachösterlichen Gemeinde vor Augen«. 78 Hofius, Allmacht 20 f.

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Auch Jesus selber wird ja als ein Mensch dargestellt, der sich im Gebet an Gott wendet.79 Im Kampf gegen die Macht der Epilepsie, so sagt der Evangelist, ist der Mensch auf Gott angewiesen. Wäre es völlig falsch zu sagen, dass diese Botschaft auch heute gilt?

79 Mk 1,35; 6,46; 14,32.35. Es scheint mir deshalb problematisch zu sein, wenn Hofius die Erzählung in Mk 9,14–29 dahin deutet, dass Jesus hier »göttliche Allmacht« besitze (Allmacht, 21; Hervorhebung im Orig.).

Die Kinder und die Gottesherrschaft Markus 10,13–16 und die Stellung der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft und im Urchristentum Kinder spielen in den urchristlichen Texten eine geringe Rolle. Zwar begegnen die griechischen Worte für »Kind« gar nicht selten im Neuen Testament1; aber sehr oft ist das betreffende Wort dabei im übertragenen Sinn2 oder ohne Rücksicht auf das Alter der erwähnten Person verwendet, so daß sich nur in den wenigsten Fällen sicher sagen läßt, der Text meine wirklich »Kinder« (nach dem damaligen Verständnis von »Kindheit«)3. Altersangaben begegnen nur an zwei Stellen: Von der Tochter des Jairus wird gesagt, das »Kind« (toÁ paidiÂon; Mk 5,39.41, vgl. Lk 8,54) sei zwölf Jahre alt gewesen (Mk 5,42, vgl. Lk 8,42)4; und geradezu sprichwörtlich ist der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2,42), den seine Mutter als teÂknon anspricht (2,48). Nach unseren Maßstäben sind sie noch Kinder; für das damalige Judentum aber lag hier gerade die Grenze, von der an jemand eben nicht mehr als Kind anzusehen war5. Fragt man nach dem Verhalten 1 teÂknon begegnet im NT 99mal, paidiÂon 52mal und pai Äw 24mal; breÂfow »Säugling« ist 8mal belegt (Angaben nach K. Aland, Vollständige Konkordanz zum Griechischen Neuen Testament, Band II. Spezialübersichten, Berlin 1978). Mit Ausnahme von breÂfow bezeichnet keines dieser Worte schon für sich genommen das »Kind« im eigentlichen Sinne. Insbesondere das häufige teÂknon läßt keinerlei Rückschlüsse auf das Alter der betreffenden »Kinder« zu. 2 Die Metapher »Kind« spielt im NT und auch sonst in religiöser Literatur eine große Rolle, wenn von der Gottesbeziehung des Menschen die Rede ist (vgl. K. Berger, Die Amen-Worte Jesu. Eine Untersuchung zum Problem der Legitimation in apokalyptischer Rede (BZNW 39), Berlin 1970, 44 f.). 3 Vgl. K. Aland, Die Stellung der Kinder in den frühen christlichen Gemeinden – und ihre Taufe (TEH NF 138), München 1967, 5; ders., Taufe und Kindertaufe, Gütersloh 1971, 30: Selbstverständlich gab es Kinder in den Gemeinden; »aber wir werden ihrer nicht wirklich ansichtig«. Einen Überblick über alle neutestamentlichen Texte gibt G. Haufe, Das Kind im Neuen Testament, ThLZ 104 (1979) 625–638; dabei werden auch Texte berücksichtigt, die im übertragenen Sinn vom Kind sprechen. 4 Die Zahl »zwölf« ist möglicherweise bewußt gewählt (s. die nächste Anm.); sie kann aber auch Zufall sein – auch die blutflüssige Frau, deren Heilung im Kontext der Auferweckungsgeschichte erzählt wird (5,25–34), war »zwölf Jahre lang« krank (V. 25). 5 Für Knaben galt im allgemeinen die Zeit zwischen dem vollendeten 12. und dem vollendeten 13. Lebensjahr als »der äußerste Termin, an dem die Gewöhnung auch an die schwereren Gebote einsetzen sollte. 3Esra 5,41 werden die Zwölfjährigen deshalb schon zu den Erwachsenen gerechnet« (P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch II, München

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Jesu bzw. der frühen christlichen Gemeinde Kindern gegenüber und nach der Rolle der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft, so wird man sich also auf diejenigen Texte zu konzentrieren haben, die wirklich eindeutig von Kindern sprechen.

I 1. In einigen Wundergeschichten wird von Kindern erzählt, die durch Jesus geheilt bzw. vom Tode erweckt wurden. So gilt der epileptische Knabe (Mk 9,14–29), für den sein Vater bittet, als paidiÂon (V. 24); aber auf die Frage, seit wann die Anfälle aufträten, antwortet der Vater: eÆk paidioÂuen, d. h. der Knabe ist jedenfalls kein kleines Kind mehr6. Die Tochter der Syrophönizierin (Mk 7,24–30) ist ebenso wie die Tochter des Jairus (s. o.) ein paidiÂon (V. 30); aber welcher Altersgruppe sie angehört, läßt sich nicht sagen. Zu beachten ist, daß die Wundererzählungen die Kinder in keinem Fall als Kinder in den Blick nehmen; sie sind im Gegenteil lediglich – z. T. sogar indirekte – Objekte des Heilshandelns Jesu. Vor allem in Mk 7,24–30; 9,14–29 spielen die kranken Kinder selbst so gut wie gar keine Rolle; betont wird allein das besondere Vertrauen der Mutter (7,28 f.) bzw. des Vaters (9,24) in die Wunderkraft Jesu7. Das gilt auch für die johanneische Fassung der Wundererzählung über den Hauptmann von Kapernaum (Joh 4,46–53 par. Lk 7,1–10/Mt 8,5–13 Q), in der nicht vom Knecht (Mt: paiÄw; Lk: doyÄlow und paiÄw) sondern vom Sohn die Rede ist (Joh 4,46.53: yiëoÂw; V. 49: paidiÂon; V. 51 allerdings doch paiÄw)8. In der ersten der beiden markinischen Speisungserzählungen Mk 6,34–44 wird die Zahl »Fünftausend« allein auf die Männer bezogen (V. 44); Matthäus fügt ausdrücklich hinzu, Frauen und Kinder seien nicht mitgezählt (Mt 14,21; am Schluß der zweiten Erzählung wird dieser Zusatz wiederholt [Mt 15,38], während Mk 8,9 keine solche Angabe enthält)9. Man kann daraus einerseits natürlich 5 1969, 145; Belege aaO., 144–147). Mädchen galten bis zum Alter von elf Jahren und einem Tag als Kinder (aaO., 10). 6 Zu eÆk paidio  uen bzw. eÆk paidoÂuen verzeichnet Bauer, Wörterbuch, 51968, s. v. paidioÂuen, 1197 f. als Belegstelle u. a. Mart Petri et Pauli 39; dort ist davon die Rede, daß Paulus sich eÆk paidoÂuen (latein. ex infantia sua) darum bemüht habe, dem Gesetz gehorsam zu sein. 7 Auch in Lk 7,11–17 geht es nicht primär um den neaniÂskow selbst, sondern um seine Mutter, die nur diesen einen Sohn hatte und obendrein noch eine Witwe war (V. 12). Folgerichtig liegt der Höhepunkt der Erzählung im Zitat aus 1Kön 17,23: kaiÁ eÍdvken ayÆtoÁn thÄì mhtriÁ ayÆtoyÄ (V. 15). 8 In der aus der Semeia-Quelle stammenden joh Fassung der Erzählung spielt die Aussage, daß der bittende Mann ein befehlsgewohnter Offizier ist, keine Rolle (vgl. Joh 4,49 f. mit Lk 7,8 f./Mt 8,9 f.); insofern wird die Umformung auf die Vater-Sohn-Beziehung (schon in der Quelle, nicht erst bei Joh) gegenüber der synoptischen Fassung sekundär sein. Im Stichwort paiÄw (Joh 4,51) schimmert die ursprüngliche Fassung durch. 9 Auch die aus der Semeia-Quelle stammende joh Fassung (Joh 6,1–13) redet ausdrücklich von fünftausend Männern (V. 10).

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schließen, daß (Frauen und) Kinder als Hörer und Begleiter Jesu vorgestellt sind; man muß aber zugleich beachten, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes »nicht zählen«10. Hier zeigt sich die für das Urchristentum allgemein zu beobachtende Tendenz: Kinder11 sind relativ unwichtig. 2. Paulus benutzt gelegentlich die Beziehung Eltern (bzw. Vater) – Kinder als Bild für seine eigene Beziehung zu den Gemeinden12; aber dabei schwingt der Aspekt mit, daß der Vater die Kinder beaufsichtigt13 und daß diese unmündig, unverständig sind14. Nur einmal ist wirklich von Kindern die Rede, als Paulus über die Ehe zwischen Christen und Heiden spricht und erklärt, die solchen Ehen entstammenden Kinder seien nicht »unrein«, sondern »heilig« (1Kor 7,14). Über die Auslegung dieser Textstelle wird sehr kontrovers diskutiert15, was anzeigt, wie wenig Konkretes sich über die Stellung der Kinder in den paulinischen Gemeinden sagen läßt16. 3. Dies ändert sich ein wenig in der deuteropaulinischen Literatur. Die älteste neutestamentliche Haustafel (Kol 3,18–4,1) geht ausdrücklich auf die Beziehung Kinder/Eltern (3,20) bzw. Väter/Kinder (3,21) ein, wobei die Kinder bemerkenswerterweise direkt angesprochen werden. Zwar ist über das Alter dieser teÂkna nichts gesagt; aber es kann sich jedenfalls nicht um schon erwachsene Kinder handeln, da sonst vor allem V. 21 kaum verständlich wäre17. Da der Kolosserbrief 10 Es hat natürlich keinen Zweck, zu fragen, wieviele Menschen denn nun »wirklich« von Jesus gespeist wurden. Die dem Erzähler wichtige Zahl bezieht sich eben nicht zufällig allein auf die Männer. 11 Die im AT keineswegs seltene Wendung »Frauen und Kinder« zur Kennzeichnung einer von den Männern zu unterscheidenden Gruppe begegnet im NT nur an den beiden genannten Mt-Stellen; das im folgenden über die Rolle der Kinder Gesagte darf also nicht auch auf die Rolle der Frauen übertragen werden. 12 1Thess 2,11; 2Kor 12,14. In Phil 2,22 bezieht Paulus dieses Bild auf seine Beziehung zu Timotheus; in 1Thess 2,7 vergleicht er sich sogar mit einer Kinder nährenden Amme. 13 Vgl. 1Kor 4,21. 14 1Kor 14,20; 2Kor 6,13; vgl. zu nh  piow 1Kor 13,11. 15 Die in Frage kommenden Deutungen referiert ausführlich G. Delling, Nun aber sind sie heilig, in: ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Göttingen 1970, 257–269; vgl. auch die beiden dann folgenden Aufsätze zum selben Text (aaO., 270–280. 281–287). 16 Die Stelle sagt nichts darüber aus, ob Kinder aus »Mischehen« in Korinth getauft wurden oder nicht. Hinter dem ganzen Abschnitt steht der – für das Judentum der Antike unerhörte – Gedanke, daß sich ein gläubiger Christ nicht einmal durch sexuellen Umgang mit seinem heidnischen Ehepartner religiös verunreinigt. Paulus hebt die Unterscheidung »rein – unrein« also faktisch auf, wenn er die nach dem Maßstab der Tora »unreinen« Kinder (vgl. Billerbeck III, 374) für dem Machtbereich Christi bzw. Gottes zugehörig erklärt. Ihm kommt es primär darauf an, die in Korinth offenbar erhobene Forderung einer religiös motivierten Scheidung von »Mischehen« zurückzuweisen. Vgl. dazu H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther (KEK V), Göttingen 21981, 154–156, vor allem 155. 17 Das in 3,21 formulierte »Erziehungsprinzip« kann sogar schon für die Beziehung zu kleinen Kindern gelten. Vgl. zur Stelle A. Lindemann, Der Kolosserbrief (ZBK NT 10), Zürich 1983, 65 f.

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in der eÆkklhsiÂa verlesen werden soll (4,16), liegt die Vermutung nahe, daß die in 3,20 angesprochenen teÂkna als unmittelbare Hörer der Gehorsamsforderung vorgestellt sind. Dieselben Kinder hören dann aber auch die an die Väter gerichtete Weisung 3,21, d. h. der Autor des Kolosserbriefes hat die Eltern-Kind-Beziehung nicht völlig undialektisch in einem reinen Befehl-Gehorsam-Schema dargestellt18. Im Epheserbrief ist dieser Aspekt wieder etwas abgeschwächt worden (Eph 6,1–4); sein Verfasser hat aber andererseits den Gedanken einer explizit christlichen Erziehung der Kinder eingebracht: paideiÂa und noyuesiÂa sollen auf Christus als den kyÂriow hin ausgerichtet sein19. In der Haustafel des 1. Petrusbriefes (2,18–3,7) kommt die Beziehung Eltern-Kinder merkwürdigerweise nicht zur Sprache20. Auch die Pastoralbriefe enthalten keine direkten Bezugnahmen auf Kinder. Es gehört zwar nach 1Tim 3,4.12 zu den unabdingbaren Kennzeichen der eÆpiÂskopoi und diaÂkonoi, daß sie ihre Kinder in Zucht halten (3,5 gibt dafür eine traditionelle21, auch heute gebräuchliche, freilich keineswegs zwingende Begründung); Tit 1,6 sagt dasselbe in Bezug auf die presbyÂteroi (die offenbar [V. 7] mit den eÆpiÂskopoi gleichzusetzen sind). Nach 1Tim 2,15; 5,14 ist es die Pflicht christlicher Frauen, Kinder zu gebären, was angesichts ideologisch-religiös motivierter Askese in der zeitgenössischen (auch christlichen) Gnosis keineswegs als bloße Repression gegenüber den Frauen ausgelegt werden muß22. Aber an keiner Stelle sagt der Verfasser der Pastoralbriefe unmittelbar etwas über die Kinder selbst, womöglich etwas über ihre Stellung zur oder gar in der christlichen Gemeinde. Etwas anders ist der Befund im etwa gleichzeitig oder vielleicht ein wenig früher als die Pastoralbriefe abgefaßten 1. Clemensbrief. In 1Clem 21,8 begegnet Äì paideiÂa; der Verfasser verdeutlicht ihn, indem er tapder Begriff hë eÆn Xristv einofrosyÂnh, aÆgaÂph aëgnh und foÂbow als Kennzeichen der wahren Gottesbeziehung des Menschen nennt23. Hier werden also erstmals inhaltliche Erziehungsziele genannt; man beschränkt sich nicht mehr auf den formalen Begriff des »Gehorsams«. Über das Alter der erwähnten neÂoi ist allerdings nichts gesagt. 18 Dasselbe gilt für die Sklaven-Herren-Paränese 3,22–4,1 (vgl. dazu Lindemann, aaO., 66–68). 19 Vgl. auch 1Clem 21,8; s. u. 20 N. Brox, Der erste Petrusbrief (EKK XXI), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1979, 126 verweist auf »den Eindruck von Zufälligkeit in der Anwendung des verfügbaren paränetischen Arsenals«. – Es ist zu beachten, daß zwar zwischen Kol und Eph, wahrscheinlich jedoch nicht zwischen 1Petr und den beiden Deuteropaulinen ein direkter literarischer Zusammenhang besteht. 21 Vgl. dazu M. Dibelius/H. Conzelmann, Die Pastoralbriefe (HNT 13), Tübingen 41966, 43 f. 22 Sicher anders zu beurteilen ist 1Tim 2,11–14. M. E. ist es denkbar, daß der sachlich parallele sekundäre Einschub in 1Kor 14,33b–36 auf den Verfasser des 1Tim zurückgeht (vgl. A. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum [BHTh 58], Tübingen 1979, 25 f. 137 f.). 23 Vgl. schon vorher 21,6: toyÁw neÂoyw paidey  svmen thÁn paideiÂan toyÄ foÂboy toyÄ ueoyÄ. Hier wird ein Grundgedanke der jüdischen Weisheit aufgenommen (Spr 15,33; Sir 1,27).

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In allen diesen Texten sind Kinder lediglich Objekte der Erziehung24. Sie sind Beispiele für unvernünftiges Verhalten. Selbst wenn sie, wie in den deuteropaulinischen Haustafeln, direkte Adressaten ethischer Weisung werden, so wird ihr Status als Kinder auch hier nicht positiv aufgenommen; sie sind keine eigenständigen Glieder der christlichen Familie und der christlichen Gemeinde.

II Die auf Kinder bezugnehmenden Aussagen in der Literatur der zeitgenössischen hellenistisch-römischen und jüdischen Umwelt des Urchristentums ergeben kein wesentlich abweichendes Bild25. 1. Im Hellenismus wird das Kind zwar nicht mehr, wie noch in der älteren Zeit, als ein im Grunde unzureichendes Wesen betrachtet26; aber es gilt doch nach wie vor als unfertig, als ein nhÂpion: »Es ist vom Leben der Älteren geschieden, deren Erfahrungen und Kenntnisse es nicht teilt«27. Deshalb kommt alles darauf an, durch Erziehung diesen Mangel so rasch und so gründlich wie möglich zu beseitigen28. Hellenistischen Autoren des 1./2. Jh. n. Chr., die sich ausdrücklich mit dem Thema »Kind« befassen, geht es dementsprechend primär um die Frage, wie Kinder am besten »aufgezogen« und »erzogen« werden, damit sie dann im eigentlichen Sinne fertige Menschen werden. C. Musonius Rufus, ein überwiegend in Rom wirkender stoischer Philosoph29, lehrt, wie in der Stoa üblich30, daß der Keim zur Tugend im Menschen

24 Ausführliche Information zur ganzen Thematik bei W. Jentsch, Urchristliches Erziehungsdenken. Die Paideia Kyriu im Rahmen der hellenistisch-jüdischen Umwelt (BFChTh 45/3), Gütersloh 1951. 25 Einen recht guten Überblick, auch mit Quellenhinweisen, gibt H.-R. Weber, Jesus und die Kinder, Hamburg 1980, 108–124. 26 Zur »Entdeckung« des Kindes im Hellenismus vgl. etwa C. Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus I, München 1967, 132. 27 H. Herter, Das unschuldige Kind, JAC 4 (1961) 146–162, hier 151. Vgl. zur Sache auch J. Leipoldt, Vom Kinde in der alten Welt, in: Reich Gottes und Wirklichkeit. Festgabe für Alfred Dedo Müller, Berlin 1961, 343–351. 28 Auch nach hellenistisch-römischer Anschauung dauert die Kindheit bei Mädchen bis zum 12. Lebensjahr (vgl. L. Friedländer, Sittengeschichte Roms I, Stuttgart 101922, 272 f.; dazu den Exkurs von M. Bang über das Heiratsalter von Mädchen, aaO. IV, 1921, 133–141), bei Knaben bis zum 16. (spätestens 17.) Lebensjahr, in dem die toga virilis erstmals feierlich angelegt wurde (vgl. H. Blanck, Einführung in das Privatleben der Griechen und Römer, Darmstadt 1976, 105 f.; für Mädchen gab es einen solchen Großjährigkeitsakt nicht: »Das Ablegen der Kindertracht geschah bei ihnen im Rahmen der Hochzeitszeremonie« [106]). 29 C. Musonii Rufi Reliquiae, hg. von O. Hense, Leipzig 1905. Deutsche Übersetzung von W. Capelle, Epiktet, Teles und Musonius. Wege zu glückseligem Leben (BAW. GR), Zürich 1948, 233–302). – Musonius (geb. 20/30 n. Chr., gest. um 100) war kein bedeutender Philosoph (vgl. H. Dörrie, Art. Musonius [1], KlP III, 1496 f.); aber gerade weil er sich, etwa im Unterschied zu

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bereits von vornherein angelegt sei und durch den Unterricht zur Entfaltung gebracht werde31. Musonius wendet sich scharf gegen eine absichtliche Beschränkung der Kinderzahl durch Empfängnisverhütung, Abtreibung oder Kindesaussetzung32; denn Kinderreichtum bringe großes öffentliches Ansehen, und es sei überdies im Leben höchst wertvoll, wenn ein Mensch viele Brüder habe33. Aussagen über kleine Kinder, über ihre Spiele oder auch nur über ihre körperliche und geistige Entwicklung, finden sich bei Musonius aber nicht, ebensowenig Erörterungen von Erziehungsproblemen. Musonius befaßt sich zwar ausdrücklich mit der Frage, ob ein Kind dem Vater in allen Dingen Gehorsam schuldig sei34, was er für den Fall verneint, daß der Vater den Sohn zu einer unehrenhaften Handlung veranlassen, ihn beispielsweise am Studium der Philosophie hindern will35. Aber dabei ist natürlich an den schon erwachsenen, jedoch noch nicht dem Machtbereich des pater familias entwachsenen Sohn gedacht. Charakteristisch für das Denken der Epoche ist die dem Plutarch zugeschriebene, aber nicht von ihm verfaßte Schrift »Über Kindererziehung«36. Ps-Plutarch betont, fyÂsiw, loÂgow und eÍuow bildeten die Voraussetzungen für den Erwerb der aÆrethÂ; dabei sei die fyÂsiw zwar die prinzipielle Voraussetzung (vgl. das zu Musonius Gesagte), doch sie bleibe auf das Lernen angewiesen (Mor 2 A-B)37. Nachdrücklich plädiert der Autor für das Stillen der Säuglinge durch die Mütter (statt durch Ammen), weil so die Liebe gleichsam »bis in die Fingerspitzen« reiche (Mor 3A)38. Kleine Kinder seien zunächst formbar wie Wachs und zugänglich für seinem Schüler Epiktet, auch mit Themen wie Ehe und Erziehung befaßte, ist er hier von Interesse. 30 Vgl. Herter, Kind (s. Anm. 27), 157 f. 31 Fragment 2 (Hense [s. Anm. 29], pp. 7,20–8,2). Musonius leitet daraus übrigens den Gedanken ab, daß Söhne und Töchter nicht unterschiedlich erzogen werden dürften (eiÆ paraplhsiÂvw paideyteÂon taÁw uygateÂraw toiÄw yiëoiÄw, Fragment 4 Hense aaO., 13–19). 32 Diese Praxis war sehr verbreitet und rechtlich zulässig (vgl. W. H. Gross, Art. Kinderaussetzung, KlP III, 214); stoische Philosophen bekämpften sie, und Tacitus verweist ausdrücklich auf ihr Fehlen bei den Juden (Hist V 5; s. u.). Aus der Angabe, bei den Germanen gebe es keine Beschränkung der Kinderzahl (Germania 19), kann man dagegen nicht unbedingt auf ein Verbot der Kindesaussetzung schließen. 33 Fragment 15 A. B (eiÆ pa  nta taÁ ginoÂmena teÂkna urepteÂon; Hense, aaO., 77–81). 34 Fragment 16 (eiÆ pa  nta peisteÂon toiÄw goneyÄsin; Hense, aaO., 81–88). Der Text spricht, trotz der Überschrift, allein von den Beziehungen des Vaters zum Sohn. 35 Dabei begegnet der aus Apg 5,29 bekannte Topos, daß man im Konfliktfalle Gott »mehr« zu gehorchen habe als den Menschen: aÆgauoÁn eiËnai keleyÂei toÁn aÍnurvpon oë noÂmow oë toyÄ DioÂw. toÁ de ge Äì peiÂuesuai ‹tv Äì› patriÁ tv Äì aÆnurvÂpvì eÏpesuai eiËnai aÆgauoÁn tv Äì filoÂsofon eiËnai tayÆtoÂn eÆstin. eiÆ dhÁ tv Äì DiiÂ, dh Ä lon vëw filosofhteÂon soi ma Ä llon, hÍ oyÍ (Hense aaO., p 87,6–11). meÂlleiw, eiÆ deÁ filosofoiÂhw, tv 36 periÁ paiÂdvn a Æ gvgh Ä w; Text und englische Übersetzung: F. C. Babbitt, Plutarch’s Moralia I (LCL), Cambridge,Mass. und London 21949, 3–69; deutsche Übersetzung: B. Snell, Plutarch. Von der Ruhe des Gemüts und andere philosophische Schriften (BAW. GR), Zürich 1948, 108–128. 37 Exemplifiziert wird dies am Bild des Säemanns, des Samens und des Ackers (Mor 2 B. E). 38 »Etwas eÆj oÆny  xvn tun« ist ein Sprichwort.

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jegliche Lehren; gerade deshalb sei es so wichtig, daß sie sogleich Gutes lernten und daß sie vor allem keine ungeeigneten Begleiter bekämen, deren schlechte Sitten sie annehmen würden (Mor 3 F–4 A). Besondere Sorgfalt müsse der Vater bei der Auswahl des paidagvgoÂw und des didaÂskalow walten lassen – ganz entgegen der von Ps-Plutarch scharf kritisierten tatsächlichen Praxis (Mor 4A– 5A)39. Mit beredten Worten schildert Ps-Plutarch die im späteren Alter sich zeigenden Folgen schlechter Erziehung (Mor 5B-C)40. Zentraler Gegenstand der Bildung ist die filosofiÂa, die für jegliches menschliches Verhalten den richtigen Maßstab liefert41; doch auch das körperliche Training ist wichtig (Mor 8C-E). Ps-Plutarch fordert, die Kinder durch Lob und Tadel, niemals aber mit Schlägen zu erziehen; völlig falsch sei es auch, die Kinder zu überfordern – Erholung und Feiertage seien im Gegenteil unverzichtbare Bestandteile vernünftiger Erziehung (Mor 9B-C). Mit Zurückhaltung äußert er sich schließlich über das Thema Knabenliebe, ohne freilich ein eindeutiges Urteil zu fällen (Mor 11D-F)42. Gewiß wird man aus den Aussagen des Musonius und des Ps-Plutarch nicht unmittelbar Rückschlüsse auf den tatsächlich praktizierten erzieherischen Umgang mit Kindern ziehen können; es läßt sich kaum sagen, wieweit diese Philosophen Selbstverständliches beschreiben oder umgekehrt bei der Schilderung von Mißständen die Realität verzeichnen. Deutlich ist aber in jedem Falle, daß das Nachdenken über Kinder sich nahezu ausschließlich auf den Aspekt der Erziehung und der Bildung beschränkt43; Kinderspiele und Spielzeug oder der Umgang mit Kindern ohne eine damit verbundene pädagogische Absicht werden nicht erwähnt. Das ist um so auffälliger, als nicht-»pädagogische« Literatur (Dichtung!) sowie insbesondere archäologische Funde und bildliche Darstellun-

39 Es mag daran erinnert werden, daß nach damaligem Sprachgebrauch der paidagvgo  w kein »Pädagoge« ist; er wird nicht mit der Erziehung des heranwachsenden Kindes beauftragt, sondern mit der bloßen Beaufsichtigung. Von der – auch nach Ps-Plutarch ungleich wichtigeren – Wahl des richtigen didaÂskalow handelt der Abschnitt Mor 4B–5A, in dem übrigens nachdrücklich u. a. vor falscher Sparsamkeit gewarnt wird. In Mor 9D werden die Väter aufgefordert, dem Unterricht der Kinder beizuwohnen. 40 Es fällt auf, daß im Unterschied zum vorangegangenen Teil der Abhandlung hier nur noch von den Söhnen und dann von ihrem (bei falscher Erziehung schändlichen) Verhalten als Männer die Rede ist; Mädchen kommen, anders als bei Musonius (s. o.), nicht mehr in den Blick. 41 Die Aufzählung in Mor 7D-E reicht von der durch die Philosophie ermöglichten Unterscheidung zwischen toÁ diÂkaion und toÁ aÍdikon bis zu dem Hinweis, man lerne durch die Philosophie auch, wie man sich gegenüber Freunden, Frauen, Kindern und Sklaven angemessen zu verhalten habe. 42 Der letzte Teil der Schrift (Mor 12A–14E) behandelt das Jünglingsalter bis zur Heirat. 43 Plutarch selbst in einem auch den heutigen Leser durchaus bewegenden Brief an seine Frau nach dem Tode der Tochter Apollonia hat auf diesen Aspekt zwar kaum Bezug genommen; aber wir erfahren aus diesem Brief nur wenig über das Kind selbst. Das Mädchen starb im Alter von zwei Jahren (Mor 610E); trotzdem nennt Plutarch als einen der Gründe für die Trauer der Mutter die Tatsache, daß es unverheiratet und kinderlos starb (Mor 611C).

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gen Spiele der Kinder und den Gebrauch von vielfältigem Spielzeug breit belegen44. 2. Nicht sehr viel anders ist das Bild, das man aus Texten des zeitgenössischen Judentums gewinnt. Der Talmud überliefert zwar relativ ausführliche Informationen über das jüdische Schulwesen; man erfährt auch, in welcher Weise sich auf den verschiedenen Altersstufen die Hinführung des Kindes zur Tora vollzog45. Aber das Kind selbst, seine besondere Rolle in Familie, Öffentlichkeit und religiöser Gemeinde, kommt nur sehr selten in den Blick46. Daß aus einer Ehe Kinder hervorgehen müssen, ist für das alttestamentliche Judentum selbstverständlich – viele biblische Erzählungen (Abraham!) und einzelne Texte belegen dies47. Infolgedessen gilt die Kinderlose, die doch noch Kinder bekommt, real (Ps 113,9) und im übertragenen Sinn (Jes 49,20) als Empfängerin einer kaum noch zu überbietenden Gnadengabe Gottes. Dieses Bild macht in der späteren Weisheit einer deutlichen Skepsis Platz. Sir 16,1.3 stellt fest, daß gottlose Söhne kein Anlaß zur Freude sind und daß es besser ist, kinderlos zu sterben als gottlose Kinder zu haben48. Nach Weish 4,1 ist aÆtekniÂa metaÁ aÆreth Ä w besser als die (ohnehin zum baldigen Verschwinden verurteilte) Nachkommenschaft aus illegitimem Beischlaf (3,16) – die kinderreiche Masse der Gottlosen ist ohne jeden Nutzen (4,3). Für Sirach kommt es nicht darauf an, überhaupt Kinder zu haben, sondern allein darauf, daß diese gut erzogen werden. maÂstigew kaiÁ paideiÂa »zu jeder Zeit« gehören dabei unabdingbar zur sofiÂa (22,6), wie denn überhaupt Schläge das entscheidende Erziehungsmittel sind (30,1–13; vgl. Spr 23,13 f.)49.

44 Ausführliche Information findet sich bei A. Hug, Art. Spiele, PW II/3 (1929) 1762–1774; ders., Art. Spielzeug, aaO., 1774–1778. – Nach Plato Leg I 643 c/d und Aristoteles Pol VII 15,4 f.(p 1336a) sollten die Spiele der kleinen Kinder dazu dienen, sie auf ihre späteren Aufgaben vorzubereiten. Lukian Somn 2 erzählt, er habe in seiner Freizeit aus Wachs naturgetreue Figuren angefertigt – und dafür von seinen Lehrern Schläge erhalten. 45 Vgl. dazu E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi II, Leipzig 4 1907, 491–497; H. G. Kippenberg/G. A. Wewers, Textbuch zur neutestamentlichen Zeitgeschichte (GNT 8), Göttingen 1979, 181 f. 46 Vgl. W. Stegemann, Lasset die Kinder zu mir kommen. Sozialgeschichtliche Aspekte des Kinderevangeliums, in: W. Schottroff/W. Stegemann (Hg.), Traditionen der Befreiung. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen. Bd. 1. Methodische Zugänge, München 1980, 114–144, hier 124: Es gibt »keine direkten Quellen über die Lage der Kinder im damaligen Palästina«. 47 Zahlreiche Nachkommenschaft ist geradezu der exemplarische Segen (Gen 22,17; 26,4 u. ö.), Kinderlosigkeit ist ein schwerer Fluch (Lev 20,20 f.; Hos 9,11 f.16 u. ö.) bzw. eine harte Strafe (vgl. 2Sam 6,16–23). 48 So der LXX-Text; der hebr. Text spricht von »gewalttätigen Kindern«, die »voll Trug« sind (G. Sauer, Jesus Sirach [JSHRZ III/5], Gütersloh 1981, 543); vgl. Sir 41,5–9 hebr. Text (aaO., 606 f.). 49 Ausdrücklich wird davor gewarnt, mit Kindern Späße zu machen und zu lachen (Sir 30,9b. 10a).

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Ausführlich äußert sich Philo von Alexandria50 zu unserem Thema. Auch für ihn ist die Zeugung von Kindern eine Selbstverständlichkeit – sie ist ein Gebot und zugleich eine Gabe Gottes für die wahrhaften Gottesverehrer (Praem Poen 108 f.). Gottesverehrung und die im fünften Gebot des Dekalogs geforderte Verehrung der Eltern lassen sich nach Philo kaum voneinander trennen, da die Eltern bei der Zeugung ja Diener Gottes (ueoyÄ yëphreÂtai) seien (Decal 111)51. Abtreibung und Kindesaussetzung sind deshalb uneingeschränkt als Mord anzusehen (Spec Leg III 110–119)52. In einer breiten Auslegung des fünften Gebotes (Spec Leg II 224–24153 stellt Philo fest, dieses Gebot nehme im Dekalog deshalb die Mittelstellung zwischen den auf Gott und den auf den Menschen bezogenen Geboten ein, weil die Eltern tatsächlich in der Mitte zwischen der göttlichen und der menschlichen fyÂsiw stünden: Zwar seien sie Menschen; doch es lasse sich auch von ihnen sagen, daß sie eine »Schöpfung aus dem Nichts« vollziehen (taÁ mhÁ oÍnta eiÆw toÁ eiËnai parhÂgagon; § 225). Die Eltern vermitteln ihren Kindern das Streben nach den aÆretai (§ 228) und ermöglichen es ihnen, gut zu leben (§ 229). Gott selbst hat ihnen dazu die aÆrxh (Herrschaft) übertragen (§ 231); sie sind infolgedessen befugt, ihre Kinder zu schelten, zu schlagen, sie unter Umständen sogar mit dem Tode zu bestrafen (§ 232)54. Die Eltern besitzen aber nicht nur aÆrxh und hëgemoniÂa über ihre Kinder, sondern auch despoteiÂa – d. h. ihr Verhältnis zu ihren Kindern ist letztlich kein anderes als das zu ihren Sklaven (§ 233). So überträfen die materiellen Aufwendungen für die Kinder bei weitem deren tatsächlichen Wert, weshalb die Ehrung55 der Eltern durch die Kinder nichts als eine pure Selbstverständlichkeit sei (§ 233 f.). Philo erwähnt ebenso wie Musonius (s. o.) das Problem, ob von den Kindern unter allen Umständen Gehorsam gegenüber den Eltern verlangt werden könne. Freilich steht für ihn fest, daß es einen wirklichen Konflikt hier kaum geben kann, 50 Philonis Alexandrini Opera quae supersunt, ed. L. Cohn/P. Wendland, I-VI, Berlin 1896–1915 [= 1962]). 51 Ehelicher Verkehr ohne Zeugungsabsicht ist infolgedessen verwerflich (Spec Leg III 113). 52 Philo spricht Spec Leg III 110 von der fysikh Á aÆpanurvpiÂa der diese Praxis übenden Völker, womit er eine gängige antijüdische Polemik (Belege bei H. Conzelmann, Heiden – Juden – Christen. Auseinandersetzungen in der Literatur der hellenistischrömischen Zeit (BHTh 62), Tübingen 1981, 116) zurückgibt. 53 Ähnlich auch Decal 106–120. 54 Philo bezieht sich hier auf die Weisung von Dtn 21,18–21. Vgl. dazu G. von Rad, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium (ATD 8), Göttingen 31978, 99: »Das Oberhaupt der Familie hat keine eigene Jurisdiktion über die erwachsenen Glieder seiner Familie; es muß den Fall der Ortsgerichtsbarkeit . . . übergeben. Nicht unwichtig ist, daß auch die Mutter als rechtsfähige Klägerin aufzutreten hat« – was übrigens auch Philo ausdrücklich erwähnt, obwohl er die Stelle ansonsten ungenau wiedergibt (nämlich ohne Hinweis auf die Richter). 55 In §§ 239–241 interpretiert Philo das Gebot aus Lev 19,3 LXX, Vater und Mutter zu fürchten (eÏkastow . . . fobeiÂsuv; LXX weichen hier vom hebr. Text ab); die Kinder seien ja noch dumm (aÍfrvn), und dagegen gebe es kein anderes Mittel als die Furcht (foÂbow).

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weil ein wahrer Vater seinem Kind oyÆdeÁn aÆlloÂtrion aÆrethÄw gebieten wird (§ 236). Diese Aussage bedeutet allerdings auch, daß Philo, so sehr er den Gehorsam der Kinder betont, ebenso die als ein Naturgesetz gegebene Verpflichtung der Eltern unterstreicht, angemessen für ihre Kinder zu sorgen (vgl. Op Mund 171). Philo ist insoweit ganz hellenistischer Philosoph, als Erziehung für ihn darin besteht, das Kind zu prägen. Die dabei vorausgesetzte Anthropologie ist aber nicht einheitlich. Nach Vit Mos II 147 ist der Mensch schon von Geburt an behaftet mit dem Sündigen (. . . symfyeÁw toÁ aëmartaÂnein); nach Sacr 15 begleiten das Kind von der Wiege an Torheit, Zügellosigkeit, Ungerechtigkeit und ähnliche Laster, bis diese Leidenschaften durch angemessene Erziehung endlich im reifen Alter zur Ruhe kommen. Andererseits kann Philo aber auch sagen, das Kind habe bis zum Alter von sieben56 Jahren eine reine Seele wie von Wachs, der die Eindrücke des Guten und des Bösen noch nicht fest eingeprägt seien57; jedenfalls bestehe immer wieder noch die Möglichkeit der Veränderung (Rer Div Her 294). In der zweiten Lebensaltersstufe zeuge die cyxh dann freilich teils aus sich selbst heraus, teils durch äußeren Einfluß Böses, durch das sie zunächst einmal ganz beherrscht werde (§ 295 unter Verweis auf Gen 8,21)58. Kleine Kinder sind noch ganz unvernünftig, weil die Natur sie noch nicht zu denkenden Wesen erzogen hat (oyÍpv gaÁr ayÆtoyÁw hë fyÂsiw logikoyÁw pepaiÂdeyke); selbst wenn sie oft handeln und reden wie vernünftige Menschen, geschieht dies jedenfalls nicht aÆpoÁ logikhÄw eÏjevw (Leg All III 210). Auch bei der Interpretation der philonischen Texte bleibt natürlich die Frage unbeantwortbar, wie sich seine Aussagen zur realen pädagogischen Praxis etwa im alexandrinischen oder überhaupt im Diaspora-Judentum verhalten. Sicher scheint nur zu sein, daß das Verbot der Kindesaussetzung oder -tötung nicht nur, wie in der Stoa, philosophisch aufgeklärte theoretische Norm war, sondern tatsächlich eingehalten wurde. Tacitus in seinem keineswegs judenfreundlichen Exkurs über jüdische Geschichte und jüdische Sitten (Hist V 2–5) hebt besonders hervor, daß die Juden sogar die Tötung nachgeborener Kinder (agnati) für nefas halten, wofür er freilich eine politische Begründung nennt, nämlich das Interesse des Judentums am Bevölkerungszuwachs. 56 Zur Siebenzahl vgl. Op Mund 105, wo das Leben in Abschnitte von jeweils sieben Jahren gegliedert wird (vgl. Aristot Pol p 1336b/1337a). 57 Vgl. Leg All II 53: Die Seele des unmündigen Kindes (h ë toyÄ nhpiÂoy paidoÁw cyxhÂ) hat weder am Guten noch am Bösen Anteil. Spec Leg III 119 spricht von der Unschuld neugeborener Kinder; dies ist hier allerdings keine prinzipielle theologischanthropologische Kategorie, sondern wird in der Absicht gesagt, jede Begründung für die Praxis des Kindesmordes oder der Kindesaussetzung als verlogen zurückzuweisen. Vgl. zu diesem in der Antike höchst aktuellen Thema (s. o. Anm. 32) den ganzen Abschnitt §§ 111–119, wo Philo, trotz der z. T. philosophischen Argumentation, inhaltlich ganz den Standpunkt der jüdischen Tradition vertritt. 58 Spec Leg I 313 wirft Philo den Barbarenvölkern vor, sie würden die Seele ihrer Kinder schon von der Wiege an töten (ja »verbrennen«; Hinweis auf Dtn 12,31), weil sie sie nicht zum einen, allein wahren Gott hinführen.

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Das rabbinische Judentum steht ganz in der durch die biblischen und z. T. auch durch die philonischen Aussagen beschriebenen Tradition. Es gibt zwar keine größeren talmudischen Texte, die sich speziell mit Kindern befassen; aber in vielfältigen Zusammenhängen kommt das Thema immer wieder einmal zur Sprache. Dabei geht es fast durchweg um die Hinführung zur Tora, deren das Kind, insbesondere natürlich der Knabe, von frühester Jugend an bedarf59. Der Mischna-Traktat Abot bestimmt (5,21), daß der fünfjährige Knabe zum Bibellesen und der Zehnjährige zum Mischnalernen angehalten wird; als Dreizehnjähriger ist er schließlich zur vollständigen Gebotserfüllung verpflichtet60. Kinder nehmen am Synagogengottesdienst teil und werden – zunächst zuhause, vom siebten Lebensjahr an dann in den nach 70 n. Chr. entstehenden Schulen – in die Bibel und in die jüdische Tradition eingeführt61. Unterschiedlich wird, wie schon bei Philo, die Frage beantwortet, von welchem Alter an die Sünde im Menschen herrscht. Nach dem – freilich relativ späten – Midrasch Tanchuma zur Genesis (4b) sündigt ein Kind erst im Alter von zehn Jahren, während es vorher sündlos ist62. Nach dem Mischna-Traktat Sanhedrin (91b) lehrte dagegen Rabbi (= R. Jehuda ha-Nasi), der »böse Trieb« herrsche über den Menschen bereits seit seiner Geburt63.

III Vor diesem Hintergrund müssen nun zwei Perikopen der synoptischen Überlieferung gesehen werden, die einen auffallenden Unterschied zu den bisher erörterten christlichen wie nichtchristlichen Texten aufweisen: Mk 9, 33–37 und Mk 10,13–16. Diese beiden Perikopen handeln nicht beiläufig, sondern im Gegenteil explizit und thematisch von Kindern, und zwar von Jesu Umgang mit ihnen. 1. Die Analyse der Perikope vom Rangstreit (Mk 9,33–37) bereitet erhebliche Schwierigkeiten; angesichts der sachlichen und formalen Verwandtschaft zu Mk

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Vgl. den Mischna-Traktat Sukka 42a Bar: ». . . wenn er sprechen kann, lehrt ihn sein Vater die Tora und das Schema« (Billerbeck IV/1, 196). 60 Texte bei Kippenberg/Wewers, Textbuch (s. Anm. 45), 181 f. 61 Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Passa-Haggada, in der die Unterrichtung der Kinder über den Sinn der Feier eine zentrale Rolle spielt (deutscher und kritisch edierter hebr. Text bei E. D. Goldschmidt, Die Pessach-Haggada, Berlin 1937). Zur Stellung des Kindes im Judentum vgl. W. Grundmann, in: J. Leipoldt/W. Grundmann (Hg.), Umwelt des Urchristentums I. Darstellung des neutestamentlichen Zeitalters, Berlin 31971, 178 f. Über Schulen und Schulkinder s. Billerbeck I, 774. 780 f. und vor allem S. Krauss, Talmudische Archäologie III, Hildesheim 1912, 213–239. 62 Text bei Billerbeck IV/1, 469; zur Datierung (»spätestens um 400«) s. H. L. Strack/G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, Darmstadt 71982, 282. 63 Text bei Billerbeck IV/1, 470. Rabbi starb vermutlich 217 (s. Strack/Stemberger, aaO., 87).

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10,13–16 stellt sich überdies die Frage, ob und in welcher Weise beide Texte traditionsgeschichtlich miteinander verbunden sind. R. Pesch hält es für denkbar, daß das Logion Mk 9,37 samt der Einleitung V. 36 vormarkinisch auf das Apophthegma Mk 10,13 f.16 folgte und erst von Markus an 9,33–35 angefügt wurde64. J. Gnilka meint, 9,36 sei eine unter dem Einfluß von 10,16 geschaffene Bildung des Evangelisten, der das Logion 9,37 habe einleiten wollen65. W. Schmithals erklärt, 9,33–35 sei »zum größten Teil ein farbloser Abklatsch« von 10,35 ff., für den Markus verantwortlich zu machen sei; durch 9,36 f. habe der Evangelist ein Logion aus der Spruchüberlieferung (V. 37b) gerahmt und so in Anlehnung an die aus der »Grundschrift« stammende Perikope 10,13–16 »ein wenig stilvolles Apophthegma« geschaffen66. Zweifellos ist der an die zweite Leidensankündigung 9,30–32 sich anschließende Abschnitt 9,33–37 insgesamt eine redaktionelle Bildung des Markus67. Dabei lassen sich 9,33–35 und 9,36 f. leicht voneinander trennen: Der Abschnitt V. 33–35 ist eine das Logion V. 35b apophthegmatisch rahmende Erzählung, die die zweite Leidensankündigung kontrastierend kommentieren soll68. Warum der Evangelist daran die Szene 9,36 f. anschloß, leuchtet zunächst kaum ein, da weder thematisch noch in der Begrifflichkeit ein Zusammenhang zu bestehen scheint. Der Sinn dieser Kombination wird aber klar, wenn man beachtet, daß die drei Ä tow, eÍsxatow, diaÂkonow) der Sache nach entscheidenden Stichworte von V. 35 (prv Ä toi sein wollten, werden aufgein V. 36 f. illustriert werden: Die Jünger, die prv fordert, am Kind, also am »Letzten«, als diaÂkonoi zu handeln. Man kann durchaus fragen, ob V. 36a dabei einen Vorbildcharakter des Kindes signalisiert69; aber 64 R. Pesch, Das Markusevangelium. II. Teil. Kommentar zu Kap. 8,27–16,20 (HThK II/2), Freiburg 1977, 105 f. Da das Wort in Mk 10,15 auf den Evangelisten zurückgeht, wurde nach dessen Einfügung die Verpflanzung von 9,36 f. an die jetzige Stelle »unumgänglich, weil sonst vëw paidiÂon zwangsläufig als Akkusativ verstanden worden wäre« (aaO., 133). Zur Interpretation von vëw paidiÂon s. u. 65 J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband. Mk 8,27–16,20 (EKK II/2), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1979, 55. 66 W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus. Kapitel 9,2–16,18 (ÖTK 2/2), Gütersloh und Würzburg 1979, 429. Schmithals’ Analyse entspricht weithin der These von E. Wendling, Die Entstehung des Marcus-Evangeliums. Philologische Untersuchungen, Tübingen 1908, 98–103, der den Abschnitt Mk 10,1. 13–23. 25. 31 dem »älteren Erzähler« (M1), die Abschnitte 9,33–37; 10,2–12 dem Evangelisten (»Redaktor«) zuweist; der von ihm angenommene »jüngere Erzähler« (M2) habe hier in den Text nicht eingegriffen. Zu Schmithals’ Urteil über Wendling (auf den er sich sehr häufig bezieht) vgl. aaO. 36 f. – Die in Anm. 64–66 genannten Kommentare werden im folgenden abgekürzt zitiert (Pesch Mk, usw.). 67 Markus läßt ja auf alle drei Leidensankündigungen bewußt Perikopen folgen, die exemplifizieren, was Nachfolge heißt und was nicht. 68 Es ist ganz unnötig, hier die angebliche schriftstellerische Ungeschicklichkeit des Markus zu beklagen; ihm kommt es allein darauf an, V. 35b als Antwort auf die Frage tiÂw meiÂzvn besonders herauszustellen. Dabei hat auch die nach V. 33 zunächst scheinbar überflüssige Einleitung V. 35a einen guten Sinn: Das Logion erhält auf diese Weise geradezu den Charakter eines durch Jesus mit lauter Stimme verkündeten Urteils. 69 Dieser Aspekt ist in der Mt-Parallele (18,3 f.) stark betont (s. u.).

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selbst wenn das der Fall sein sollte, so wäre dieser Gedanke jedenfalls nicht weiter ausgeführt – in erster Linie geht es hier um das Kind selbst. Die Geste der Umarmung des Kindes (V. 36b) scheint eine symbolische Vorwegnahme von V. 37 anzuzeigen: Jesus selbst hat das Kind, das »inmitten« der nach »Größe« fragenden Jünger steht, angenommen70. Das Logion V. 37, dessen zweiter Teil in der Q-Überlieferung eine gewisse Parallele hat, die freilich keinen Bezug auf Kinder enthält (Lk 10,16/Mt 10,40), ist nun gleichsam die nachösterliche71 Konkretion dieses Handelns Jesu: Jesus hat dieses Kind nicht nur angenommen, er hat sich mit diesem Kind geradezu »identifiziert«, so daß der, der ein solches Kind aufnimmt, damit Jesus selbst – und so (V. 37b) letztlich Gott – bei sich aufnimmt. Das Kind ist dabei keine Symbolfigur; das Jesuslogion ist in Bezug auf das Kind kein Gleichnis. Sondern der Text redet von Äì oÆnoÂmati moy. der wirklichen Aufnahme (oder Annahme) wirklicher Kinder eÆpiÁ tv In dieser Aussage ist das Kind ausschließlich in seinem Status als »letztes« Glied der sozialen Hierarchie im Blick. Ob man dabei speziell an ausgesetzte (dann also nicht jüdische) Kinder oder an Waisen zu denken hat, läßt sich kaum sagen; offenbar ist das Logion ganz bewußt sehr pauschal formuliert worden – es bezieht sich nicht nur auf Kinder in besonderen Notlagen, sondern auf alle Kinder72. Freilich fordert der Text nicht eine bestimmte Haltung oder »Gesinnung« gegenüber Kindern; er fordert vielmehr ein konkretes Verhalten, einen praktischen Dienst an ihnen (vgl. V. 35: diaÂkonow)73. Während die lukanische Fassung der kleinen Szene keine besonderen Akzente setzt74, hat Matthäus durch 18,3 f. eine beträchtliche Texterweiterung vorgenommen. V. 3 ist die matthäische Umformung des Logions Mk 10,1575; der Satz for70 Die Geste ist besonders emphatisch (Mt und Lk haben sie denn auch gestrichen) – sie begegnet nur noch in Mk 10,16. Ob sie – wie in der Kybeleverehrung (s. Bauer, Wörterbuch s. v. eÆnagkaliÂzomai) – ein Heilungshandeln Jesu andeuten soll, ist angesichts des Fehlens urchristlicher Parallelen zumindest fraglich. 71 Das eÆmeÁ deÂxetai meint die Aufnahme des erhöhten, nachösterlichen Christus (vgl. Mt 25,35 ff.). 72 Dieser Aspekt ist in der lk Fassung der Perikope noch deutlicher hervorgehoben, wenn es in 9,48 abstrahierend heißt: oÊw eÆaÁn deÂjhtai toyÄto toÁ paidiÂon, denn es geht natürlich nicht um »dieses« eine Kind. 73 Richtig betont von Stegemann in dem in Anm. 46 genannten Aufsatz. Stegemann will dann aber entsprechend seiner Zielsetzung (»sozialgeschichtliche Auslegung«) eine bestimmte soziale Situation rekonstruieren: Mk betone hier (und in 10,15; s. u.) die Notwendigkeit, auch angesichts »sozialer Friktionen« bestehende »soziale Bindungen aufrechtzuerhalten und neu gewonnene ernst zu nehmen« (138). Da in 10,28–30 nicht vom Verlassen des Ehepartners, wohl aber vom Verlassen der Kinder die Rede sei, könne man sich vorstellen, daß Ehepaare, die Christen wurden, ihre Kinder in der Großfamilie zurückließen (140). Diese Deutung geht über das im Text wirklich Erkennbare weit hinaus; wäre derartiges gemeint gewesen, so hätte es doch offen ausgesprochen werden können (bzw. müssen). 74 Daß die Lk-Parallele zu Mk 9,33–35 zumindest sprachlich erheblich verändert ist, kann hier außer Betracht bleiben. 75 In 19,13–15 hat Mt dieses Wort dementsprechend ausgelassen.

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muliert in präziser struktureller Analogie zu Mt 5,20 eine Einlaßbedingung für Ä n oyÆranv Ä n. Der matthäische Jesus verlangt von den Jüngern, daß die basileiÂa tv sie »umkehren«76 und werden wie die Kinder. Diese Formulierung ist oft sentimental verstanden (und dann gelegentlich kritisiert) worden. Da aber auch bei Matthäus die ganze Perikope auf der Jüngerfrage tiÂw meiÂzvn aufbaut, kann die in V. 3 darauf gegebene Antwort im Grunde gar nicht fehlgedeutet werden: Kinder sind ja das Gegenteil dessen, wonach die Jünger verlangt hatten. Umkehren und wie die Kinder werden heißt infolgedessen, auf den mit der Frage nach dem Rang (zumindest implizit) verbundenen Anspruch verzichten, heißt (V. 4), die Rolle der tapeinoi zu übernehmen. Mit der Wendung tapeinoyÄn vëw toÁ paidiÂon ist natürlich nicht gemeint, auch das Kind habe sich selbst erniedrigt; vielmehr verlangt dieses vom Evangelisten gebildete Logion (vgl. Mt 5,1977) vom Erwachsenen, er solle werden, was das Kind ist. Matthäus übernimmt dann aus seiner Vorlage das Äì oÆnoÂmati moy, d. h. auch für ihn verWort von der Aufnahme des Kindes eÆpiÁ tv bindet sich mit der geforderten »Umkehr« zugleich die Forderung, konkret an den Kindern zu handeln78. Es ist m. E. sogar wahrscheinlich, daß Matthäus, der den Abschnitt Mk 9,38–41 übergeht, das aus Mk 9,42 übernommene Stichwort mikroi (18,6) auf Kinder bezogen hat79. Dann würde das Verb skandaliÂzein ein konkretes Verhalten gegenüber den Kindern bezeichnen, das zum deÂxesuai im Widerspruch steht: Wer ein Kind, das dessen bedarf, nicht »aufnimmt«, der »bringt es zu Fall«80. 2. Noch deutlicher als in Mk 9,36 f. par. sind die Kinder in der Perikope von der Kindersegnung (Mk 10,13–16 par.) das unmittelbare Thema des Textes. Sie sind hier nicht nur exempla für ein von Erwachsenen gefordertes Verhalten (vgl. aber

76 Die Verwendung des Verbs streÂfein in dieser übertragenen Bedeutung ist ungewöhnlich und im NT nur hier belegt (zum Befund im griechischen AT vgl. G. Bertram, Art. streÂfv ktl., ThWNT VII, 714); eher begegnet das Kompositum eÆpistreÂfein (z. B. 2Kor 3,16), das in LXX häufig Wiedergabe von buw ist, und vor allem metanoeiÄn (Mk 1,15; Mt 3,2; 4,17 u. ö.; beide Verben kombiniert Apg 3,19). 77 Ob Mt 5,19 vom Evangelisten gebildet wurde oder aus der Tradition stammt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich; jedenfalls ist die Formulierung in 18,4b in Anlehnung an 5,19 entstanden. 78 Mk 9,37b wird von Mt gestrichen, weil diese Aussage bereits in dem Q-Logion Mt 10,40 enthalten war. 79 Vgl. den parallelen Aufbau von V. 5 (o Ê w eÆaÁn deÂjhtai eÊn paidiÂon toioyÄto) und V. 6 (oÊw d’aÍn skandaliÂshì eÏna tv Ä n mikrv Ä n toyÂtvn); das gegenüber der Mk-Vorlage eingefügte de unterstreicht die Antithetik beider Aussagen. – R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 51961, 152 u. a. vermuten, das Stichwort mikroi habe jedenfalls ursprünglich Kinder gemeint; das ist aber angesichts des üblichen Sprachgebrauchs bei mikroÂw eher unwahrscheinlich (vgl. auch Schmithals, Mk 433). Die Vermutung, Mt habe das Wort an dieser Stelle (vgl. dagegen Mt 10,42) so verstanden, ergibt sich allein aufgrund des durch den Evangelisten hergestellten Zusammenhangs. 80 skandaliÂzein braucht nicht nur im religiös-übertragenen Sinn verstanden zu werden (»zur Sünde verführen«); die Grundbedeutung ist »cause to stumble« (Liddell-Scott s. v.).

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V. 15); sondern es geht hier wirklich um sie selbst, insbesondere um ihre Stellung Jesus gegenüber. Daß trotzdem Erwachsene die handelnden Personen sind, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern ergibt sich aus der Stellung, die Kinder damals nun einmal haben. Die traditionsgeschichtliche Analyse von Mk 10,13–16 ist verhältnismäßig einfach. V. 15 läßt sich leicht als eine gegenüber der ursprünglichen Perikope sekundäre Erweiterung erweisen81; V. 13.14.1682 bilden dann ein geschlossenes Apophthegma, das durch V. 13b. 14a zumindest Züge eines Streit- oder Schulgesprächs besitzt83. Die Pointe liegt dabei nicht in dem Wort Jesu (V. 14), sondern in seiner Handlung an den Kindern (V. 16). Die Szene beginnt damit, daß »man« zu Jesus Kinder bringt, die er berühren soll84. Das Verb aÏptesuai wird bei Markus und auch darüber hinaus fast nur im Zusammenhang mit Wundergeschichten verwendet, woraus gelegentlich gefolgert wird, die Kinder würden hier mit Kranken bzw. mit Besessenen verglichen85. Aber es scheint, daß die Wendungen aÏptomai und tiÂuhmi thÁn xeiÄra (bzw. taÁw xeiÄraw) eÆpi promiscue gebraucht werden können86; deshalb liegt es sehr viel Ä n aÏchtai nicht eine Exorzismusbitte, sondern einen (in V. 16 näher, in Ïina ayÆtv dann ja auch erfüllten) Segenswunsch zu erblicken87. 81 Dafür sprechen der Neueinsatz a Æ mhÁn leÂgv yëmiÄn; die eine prinzipiellen Einlaßbedingung für die basileiÂa formulierende Grundsätzlichkeit der Aussage, die keinen direkten Bezug zur Situation der Szene erkennen läßt; und nicht zuletzt der gute Anschluß von V. 16 an V. 14. Vgl. Gnilka Mk II, 80. 82 Stegemann, Kinder (s. Anm. 46) 126 sieht als älteste Schicht V. 13a. 14c. 16 an; vormarkinisch sei hiermit 9,36 f. verbunden worden, während V. 13b. 14a. b. 15 redaktionell von Mk eingefügt wurden (130). Umgekehrt hält E. Best, Mark 10:13–16: The Child as Model Recipient, in: Biblical Studies. Essays in Honour of William Barclay, ed. by J. R. McKay/J. F. Miller, London 1976, 119–134, hier 128, V. 14c gerade für eine (gemeinsam mit V. 15) redaktionell eingefügte Erweiterung, weil darin »a theological statement« enthalten sei. 83 Man wird zu fragen haben, ob die von Bultmann getroffene Unterscheidung zwischen »Streitgespräch« und »Schulgespräch« mit Blick auf den »Sitz im Leben« wirklich sinnvoll ist. M. E. sind auch die Streitgespräche keine nach außen gerichteten Polemiken oder Apologien, sondern sie zielen darauf ab, innergemeindliche Konflikte zu klären; die unterschiedliche Erzählstruktur (Streit oder Belehrung) ist natürlich nicht zu bestreiten. Die Argumente von M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 51966, 65 gegen die Gattung »Streitgespräch« als ganze (»Das leitende Interesse haftet nicht am Gespräch, sondern an Wort oder Tat Jesu.«) tragen nichts aus; Streitgespräch heißt ja nichts anderes als: Konflikt, der in Erzählung umgesetzt und durch Jesus gelöst wird. – Bultmann zählt Mk 10,13–16 zu den »biographischen Apophthegmata«, was angesichts der Unbestimmtheit dieser Gattung im Grunde eine Verlegenheitslösung ist. 84 Es ist völlig müßig, darüber zu spekulieren, wer (Eltern, Mütter, Väter, Geschwister?) die Kinder bringt. Auch die Frage, ob prosfeÂrein besagt, daß die Kinder getragen werden (so natürlich Lk 18,15), ist unbeantwortbar und sachlich auch ohne Belang. 85 So nachdrücklich Stegemann, Kinder (s. Anm. 46), 127. 86 So deutlich in Mk 7,32. 33; vgl. auch die Mt-Parallele 87 In Mk 5,23; 6,5; 8,23 u. ö. ist »Hand auflegen« eine wunderwirkende Handlung; in Apg 8,17 f.(vgl. Dtn 34,9) ist es Mittel der Geistverleihung; in Apg 13,3; 1 Tim 4,14; 5,22 bezeichnet es eine Segenshandlung.

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Sehr merkwürdig ist, daß in V. 13b nicht Jesus selbst, sondern seine Jünger auf den an Jesus gerichteten Wunsch reagieren88: Sie machen »ihnen«89 Vorhaltungen90. Welche Gründe sie dafür haben, wird nicht gesagt. Man wird kaum annehmen dürfen, sie hätten Jesus davor bewahren wollen, durch die Kinder gestört zu werden91 – es war ja durchaus nicht unüblich, Kinder beispielsweise durch Rabbinen segnen zu lassen92. Die Jünger agieren anscheinend nur, um die nachfolgende Äußerung Jesu zu provozieren93. Jesus sieht ihr Tun und »wird unwillig« (V. 14a), d. h. es kommt zum Konflikt zwischen ihm und den Jüngern. Das Verb aÆganakteiÄn ist ausgesprochen scharf und signalisiert große Empörung94. So ist das nun folgende Wort (V. 14b. c) denn auch ausdrücklich an (bzw. gegen) die Jünger95 gerichtet: »Laßt die Kinder zu mir kommen! Hindert sie nicht! Denn solchen gehört die Gottesherrschaft.« Dieses Wort ist sorgfältig aufgebaut: Am Anfang stehen zwei imperativische Aussagen, die einander ergänzen; am Schluß steht eine Begründung. Der erste Imperativ wendet sich dagegen, daß die Jünger es ablehnen, Kinder zu Jesus »kommen« zu lassen; der zweite Imperativ weist sie an, die Kinder dabei nicht zu behindern96. Auffallend ist, daß die Kinder, die 88

Es ist der einzige Fall dieser Art in der synoptischen Überlieferung. Gemeint sind wohl nicht die Kinder, sondern die, die sie bringen. – Interessant ist das textkritische Problem: H. Greeven (A. Huck-H. Greeven, Synopse der drei ersten Evangelien, Tübingen 131981) bevorzugt die von den meisten Handschriften gegen den ägyptischen Text bezeugte Lesart toiÄw prosfeÂroysin; wenn man (mit Nestle-Aland26) diesen Text für eine sekundäre Verdeutlichung hält (so B. M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament [1971] 105), dann muß man natürlich fragen, warum in den Parallelen einhellig nur das nicht ganz klare ayÆtoiÄw bezeugt ist. Umgekehrt ist dieses schwer zu erklären, wenn in der MkVorlage toiÄw prosfeÂroysin stand. 90 Welches konkrete Verhalten sich damit verbindet, bleibt offen; denn die Bedeutungsbreite von eÆpitimaÄn ist groß (vgl. Bauer, Wörterbuch s. v.). 91 So Weber, Jesus und die Kinder (s. Anm. 25), 35, der fragt: »Waren diese Kinder rituell unrein? Oder sahen die Jünger – als typische Juden ihrer Zeit – Kinder als zu unbedeutend an, um die Zeit und die Aufmerksamkeit ihres Meisters in Anspruch zu nehmen?« Die erste Frage ist ohne jeden Anhalt am Text; die zweite enthält eine in dieser Form falsche Behauptung (s. die folgende Anm.). 92 Vgl. H. Braun, GPM 17 (1962/63) 259 (zu V. 16): »Jesus tut, was ein jüdischer Frommer auch tut.« – Ein Zusammenhang mit der Sitte, daß Rabbinen am Abend des Versöhnungstages in Jerusalem Kinder segneten (s. Anm. 122), besteht nicht (gegen J. Jeremias, Die Kindertaufe in den ersten vier Jahrhunderten, Göttingen 1958, 61; positiv aufgenommen von W. Schenk, Der Segen im Neuen Testament. Eine begriffsanalytische Studie (ThA XXV), Berlin 1967, 66 f.). Umgekehrt ist dann natürlich auch nicht zu erkennen, daß den Jüngern ein derartiger Vergleich mit Rabbinen unziemlich erschien. 93 Damit deutet sich bereits an, daß der ganze Text eine »ideale Szene« ist (s. u.). Vgl. Best, Mark 10:13–16 (s. Anm. 82), 130: Der Widerstand der Jünger gehört zum Handlungsablauf – die Perikope »would have been pointless without it«. Diese Beobachtung spricht auch gegen die Analyse von Stegemann (s. o. Anm. 82). 94 Vgl. Mt 21,15: Die Hohenpriester sind »unwillig« über Jesu Tempelreinigung. – Es ist kein Zufall, daß die Seitenreferenten zu Mk 10,14 diesen Zug gestrichen haben. 95 Das Fehlen von ayÆtoi Äw bei den Seitenreferenten zeigt an, daß die Aussage von ihnen als prinzipielle Sentenz aufgefaßt wurde. 96 Insofern kann man keinesfalls sagen, ohne V. 15 handele die Perikope »nicht von gebotenem 89

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zunächst (V. 13) bloße Objekte des Handelns anderer gewesen waren, in Jesu Wort aÍfete . . . eÍrxesuai zu handelnden Subjekten (eÍrxesuai!) werden. Auffällig ist auch die Wortwahl beim zweiten Imperativ mhÁ kvlyÂete ayÆtaÂ: Das Verb kvlyÂein begegnet in der Apostelgeschichte zweimal mit Blick auf die Taufe97, und an einigen anderen Stellen hat es jedenfalls ein besonderes theologisches GeÄ n der Jünger (V. 13) nun als ein kvlyÂein gedeutet wird, wicht98. Indem das eÆpitima soll der beschriebene Konflikt also offenbar bewußt weiter zugespitzt werden: Es geht grundsätzlich darum, ob Kindern der Zugang zu Jesus gewährt werden soll oder ob er ihnen im Gegenteil verweigert wird. Diese Beobachtung hat Auswirkungen auf die Bestimmung des »Sitz im Leben« der Perikope (s. u.). Den beiden Imperativen folgt in V. 14c die Begründung, »solchen« (oder: »diesen«)99 gehöre die basileiÂa toyÄ ueoyÄ. In der Verkündigung Jesu und im Urchristentum ist die Rede von der Herrschaft Gottes100 ein bestimmter Modus des Redens von Gott überhaupt. basileiÂa toyÄ ueoyÄ besagt bei Jesus, daß Gottes Souveränität in Jesu Verkündigung und in seinem Wirken bereits zeichenhaft gegenwärtig sichtbar geworden ist (vgl. Lk 11,20/Mt 12,28 Q), daß ihre vollkommene Verwirklichung aber noch aussteht (vgl. nur Mt 6,10/Lk 11,2 Q). Jesus verkündet die nahe Gottesherrschaft in Gleichnissen; denn nur so, nicht in »eigentlicher« Rede, kann angemessen von Gott gesprochen werden. Gottes nahe Herrschaft – das ist Gottes souveräne Liebe, seine freie Zuwendung zum Menschen; sie bedeutet für diesen Menschen Freude und Heil. Dabei richtet sich die Rede von der Gottesherrschaft gerade an diejenigen Menschen, die der (religiösen) Leistung ermangeln101, die für Gottes Heil gerade nicht »vorbereitet« sind102 und denen Gott deshalb geradezu »nachgeht«103. Zu denen, die der religiösen Qualität ermangeln, gehören insbesondere auch die Kinder – das war ja soeben durch die Handlungsweise der Jünger (V. 13b) deutlich geworden. Jesu Wort schließt nun diese so negativ beurteilten Kinder Tun, sondern ›von dem, was Jesus einmal Kindern tat‹« (so Pesch Mk II, 131 unter Zitierung von Lohmeyer). 97 Apg 8,36; 10,47; in diesen Rahmen gehört wohl auch 11,17. 98 Gott hat Paulus daran »gehindert«, Rom zu besuchen (Röm 1,13; vgl. Apg 16,6); die Pharisäer »verhindern« den Zugang der Menschen zur Gottesherrschaft (Lk 11,52); die Korinther sollen das vom Geist eingegebene Zungenreden nicht »verhindern« (1Kor 14,39). 99 In der Forschung wird gelegentlich erwogen, im ursprünglichen Apophthegma habe an Ä n toyÂtvn gestanden; die jetzige Fassung sei erst im Zuge der Einfüdieser Stelle ursprünglich tv gung von V. 15 formuliert worden (so z. B. Pesch Mk II, 132; Gnilka Mk II, 80). Aber zwischen oyÎtow und toioyÎtow braucht gar kein Bedeutungsunterschied zu bestehen (Bl-Debr-Rehkopf § 304,2; vgl. auch Best [s. Anm. 82], 129). 100 Das Folgende nimmt Ergebnisse meiner Arbeit an dem für die TRE vorgesehenen Artikel »Herrschaft Gottes. Im NT« auf [Art. Herrschaft Gottes/Reich Gottes IV. Neues Testament und spätantikes Judentum, TRE XV (1986) 196–218]. 101 Das wird besonders deutlich in den Gleichnissen »vom Verlorenen« (Lk 15, z. T. par Mt). 102 Lk 18,9–14; vgl. auch die Gleichnisse vom »Finden« Mt 13,44 ff. 103 Mt 20,1–15, besonders V. 1. 3. 6!

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ausdrücklich ein in den Kreis104 derer, denen die basileiÂa »gehört«. Eine direkte Parallele zur Wendung toioyÂtvn eÆstiÁn hë basileiÂa findet sich nur in den Makarismen in Mt 5,3/Lk 6,20 und Mt 5,10; dort liegt ein eschatologischer Sinn vor: Den gegenwärtig Armen bzw. Verfolgten wird die Teilhabe an der künftigen Gottesherrschaft verheißen105. Auch in Mk 10,14c liegt die eschatologische Deutung am nächsten106, wobei die Aussage aber sicher nicht meint, diese Kinder würden noch im Laufe ihres Lebens – und das hieße dann ja wohl: als Erwachsene! – den Anbruch der basileiÂa miterleben107. Vielmehr besagt das Wort, daß auch Kinder Anteil haben werden an der durch Gott selbst aufgerichteten basileiÂa, wie sie von Jesus gegenwärtig verkündigt wird; eben deshalb ist es unter allen Umständen unzulässig, die Kinder vom Zugang zu dem die basileiÂa ansagenden Jesus auszuschließen. Diese Heilszusage wird abschließend (V. 16) bestätigt durch ein in seiner Art einzigartiges Tun Jesu: Er segnet die Kinder. Es ist der einzige Text der synoptischen Überlieferung, der davon erzählt, daß der irdische Jesus Menschen segnete108, sie also unmittelbar dem Herrschaftsbereich Gottes zuwies109 und über ihnen zugleich Gott im Lobpreis anrief (vgl. zu diesem Aspekt des Segnens Mk 6,41). Dieser Segen vollzieht sich in zwei ausdrücklich erwähnten sinnfälligen Handlungen: Jesus umarmt die Kinder (vgl. Mk 9,36) und legt ihnen die Hände auf110. Die Verwendung von drei Verben zur Beschreibung der einen Tat Jesu111 zeigt an, daß die Annahme der Kinder durch Jesus weit über das hinausgeht, Ä n aÏchtai V. 13); dem Wort worum er anfangs gebeten worden war (. . . Ïina ayÆtv Jesu in V. 14 entspricht also ein konkretes Tun. V. 16 bestätigt darüber hinaus, daß es in dieser Perikope tatsächlich allein um die Beziehung Jesu zu den Kindern 104 Selbst wenn man toioy Ä tow = oyÎtow interpretiert (s. Anm. 99), ist die Aussage natürlich nicht exklusiv zu verstehen, als hätten ausschließlich Kinder Anteil an der basileiÂa; dem widerspräche ja schon der Befund in den übrigen basileiÂa-Texten. 105 Der eigentlichen Seligpreisung folgt in Mt 5,4–9 jeweils eine eindeutig futurisch formulierte Verheißung; also werden V. 3b. 10b ebenso zu verstehen sein. 106 E. Klostermann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 51971, 101: eÆstiÂn ist »doch wohl futurisches Präsens«. 107 So offenbar Pesch Mk II, 132: »Die Kinder, die Träger der kommenden Generation, werden Gottes Herrschaft kommen sehen.« 108 Nach Lk 24,50 f. segnet der Auferstandene vor der Himmelfahrt die Jünger. – In der Mt-Parallele zu Mk 10,16 fehlt das Stichwort »segnen«; bei Lk fehlt der ganze Vers. 109 Nach Gen 1,22. 28 hat Gott die Schöpfung »gesegnet«. Vgl. zum Ganzen C. A. Keller/G. Wehmeier, Art. Órb segnen, THAT I (1971) 353–376. 110 H. Windisch, Zum Problem der Kindertaufe im Urchristentum, ZNW 28 (1929) 118–142, hier 119, versteht die segnende Handauflegung als eine »magische kraftübertragende Handlung«; sie sei »ein sakramentaler Akt«, »eine wirkliche Vorstufe (sic!) zur Kindertaufe«. Zum Problem Taufe s. u. 111 Darauf macht Dibelius, Formgeschichte (s. Anm. 83), 158 aufmerksam. Schenk, Segen (s. Anm. 92), 71 meint, durch die Geste der Umarmung werde das Segnen der Kinder »in den Schatten gestellt«; dem widerspricht schon die sprachliche Struktur: Der finiten Verbform kateyloÂgei sind die beiden anderen Verben partizipial zugeordnet.

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geht – über die Reaktion der Jünger auf seine Handlungsweise braucht deshalb gar nichts mehr gesagt zu werden. Das ursprüngliche Apophthegma Mk 10,13.14.16 ist, so könnte man sagen, eine Auslegung des Wortes von V. 14c: Kindern gehört die basileiÂa Gottes112. Jesu Worte an die Jünger und sein Verhalten den Kindern gegenüber zeigen ihn als den, der an der Stelle Gottes handelt, der Gottes Willen in bezug auf die Kinder sichtbar macht. Jesus demonstriert, daß die Kinder als Kinder von Gott »angenommen« werden, d. h. Jesus praktiziert hier im Namen der basileiÂa toyÄ ueoyÄ das, was er in Mk 9,36 f. von seinen Jüngern verlangt hatte. Das Apophthegma Mk 10,13 f.16 ist in dieser Form sicher Gemeindebildung bzw. das Werk eines Erzählers. Es ist dabei zwar durchaus denkbar und sogar wahrscheinlich, daß der Szene die Erinnerung an ein allgemeines Verhalten Jesu Kindern gegenüber oder vielleicht auch der Rückbezug auf eine auffällige Begebenheit im Leben Jesu zugrundeliegt113. Aber auch unter dieser Voraussetzung muß danach gefragt werden, welches Interesse Erzähler und Tradenten hatten, eine solche Erinnerung zu bewahren – man muß also in jedem Fall fragen nach dem »Sitz im Leben« dieser Tradition bzw. des Traditionsprozesses. Der Text vermittelt zunächst einmal die Aussage, daß Kinder in einer bestimmten Beziehung zu Jesus stehen dürfen, wobei ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt wird zwischen Jesus und der Gottesherrschaft (V. 14c). Der Text signalisiert nun aber in V. 13b. 14a zugleich, daß es im Blick auf die Frage, wie denn eine solche Beziehung der Kinder zu Jesus nachösterlich konkret aussehen könne, in der Gemeinde eine Auseinandersetzung gab, einen Konflikt, in dem die Kinder »Objekt« waren, zu dem sie selbst aber nicht Stellung beziehen konnten. An welchem innergemeindlichen Problem könnte sich ein derartiger Konflikt entzündet haben? Was bedeutet es in der Realität der nachösterlichen Gemeinde, wenn man hier die Frage diskutiert: Darf man Kinder zu Jesus bringen – oder müssen sie im Gegenteil daran »gehindert« werden, zu Jesus zu kommen114? Was kann nach Ostern mit den Formulierungen »Kinder zu Jesus bringen« oder »Kinder zu Jesus kommen lassen« gemeint gewesen sein? Es wird in der christlichen Gemeinde kaum zum tiefgreifenden Konflikt darüber gekommen sein, ob Kinder beim Gottesdienst anwesend sein durften oder nicht; von der jüdischen Tadition und Praxis her mußte ihre Teilnahme auch am 112 Dies impliziert nicht eine traditionsgeschichtliche Hypothese etwa der Art, daß in diesem Spruch der eigentliche Ursprung des Apophthegmas zu finden wäre. 113 Die Frage der »Historizität« des Berichteten ist im Grunde ganz unwesentlich. »Authentisch« könnte ja ohnehin allenfalls die wörtliche Rede Jesu in V. 14b. c sein – die auffällige Wortwahl in der Erzählung selbst ist auf jeden Fall »Gemeindebildung« bzw. verdankt sich einem Erzähler. 114 Wenn Aland, Stellung (s. Anm. 3), 12 in der Perikope Mk 10,13 ff. die Aussage findet, die Kleinkinder im Bereich der Gemeinde seien bereits »im Besitz des Heils«, so ist das völlig richtig; nur ist nicht beachtet, daß es offensichtlich Glieder dieser Gemeinde gab, die eben die Richtigkeit dieser Aussage bestritten (vgl. Schmithals Mk, 445).

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christlichen Gottesdienst selbstverständlich sein. Es kann auch kaum derart kontrovers diskutiert worden sein, ob es erlaubt sei, Kinder über Jesus zu belehren oder ob im Gegenteil ein solches Kinder-Katechumenat »verhindert« werden müsse115. Wirklich konfliktträchtig kann im Zusammenhang des Themas »Die Kinder und Jesus« bzw. »Die Kinder und die Gottesherrschaft« in der nachösterlichen Gemeinde eigentlich nur ein Problem gewesen sein: Durften Kinder unabhängig von ihrem Alter zur christlichen Gemeinde gehören, durften sie also auf den Namen Jesu getauft werden? Oder mußte eine solche Taufe »verhindert« werden? Die Debatte über »die Kindertaufe im Urchristentum«116, die in den sechziger Jahren ihren Höhepunkt erlebte und inzwischen abgeebbt ist117, befaßte sich natürlich auch mit der Perikope Mk 10,13–16. Dabei räumten die Befürworter der These einer urchristlichen Praxis der Kindertaufe durchaus ein, daß dieser Text selbstverständlich nicht unmittelbar von der Taufe redet; sie verwiesen aber auf bestimmte Formulierungen, die im Zusammenhang mit der Taufe zu verstehen seien. So wurde insbesondere das Stichwort kvlyÂein immer wieder von einer – so freilich nicht nachzuweisenden – Taufliturgie her erklärt118; die Ersetzung von paidiÂa durch breÂfh in Lk 18,15 wurde als Indiz für die Säuglingstaufe verstanden119; und auch das Fehlen der Handauflegung in der lukanischen Textfas115 Haufe, Kind (s. Anm. 3), 627 hält es für möglich, daß der Text »als Rechtfertigung einer wahrscheinlich umstrittenen Praxis kirchlichen Kinderkatechumenats zu verstehen« sei; mit V. 14 würden hiergegen vorgebrachte »innergemeindliche Bedenken . . . niedergeschlagen«. Das ist angesichts des Befundes in der Umwelt unwahrscheinlich. – Keinesfalls geht es in dieser Perikope um die Aufnahme unversorgter Kinder in die christliche Familie oder Gemeinde – 10,14.16 verfolgen eine deutlich andere Tendenz als 9,36 f. (vgl. Anm. 137). 116 Über die Debatte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gibt einen guten Überblick J. Schneider, Die Taufe im Neuen Testament, Stuttgart 1952, 9–18 (mit negativem Ergebnis: Keine Kindertaufe im Urchristentum). 117 Die exegetisch-historische Debatte fiel weithin zusammen mit einer nachdrücklichen Problematisierung der volkskirchlichen Praxis der Säuglingstaufe, vor allem im kirchlichen Raum selbst. Aland, Taufe (s. Anm. 2), 27 meint (1971), die Debatte sei abgeschlossen mit der communis opinio, daß sich die Kindertaufe im NT »mindestens nicht mit Sicherheit« nachweisen lasse. Aber das ist doch kaum ein Ergebnis, mit dem man sich auf Dauer zufriedengeben kann. – Aland hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Karl Barths Tauflehre m. R. immer wieder darauf verwiesen, daß aus der urchristlichen Taufpraxis in keinem Fall unmittelbare kirchenrechtliche bzw. dogmatische Konsequenzen abgeleitet werden können (aaO., 42–45); die entgegengesetzte Tendenz verfolgt der baptistische Theologe G. Beasley-Murray in seinem Buch: Die christliche Taufe. Eine Untersuchung über ihr Verständnis in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1968 (korrekter ist der englische Originaltitel: Baptism in the New Testament). Er tritt am Ende seiner Darstellung für die »Rehabilitierung der biblischen Taufe« ein und stellt den »Großkirchen« die Frage, ob »eine Rückkehr zur Taufe der Glaubenden als der normalen christlichen Taufe wirklich unvorstellbar« sei (509). 118 So vor allem O. Cullmann, Die Tauflehre des Neuen Testaments. Erwachsenen- und Kindertaufe (AThANT 12), Zürich 1948, 72. 119 Jeremias, Kindertaufe (s. Anm. 92), 67; dazu kritisch W. Michaelis, Lukas und die Anfänge der Kindertaufe, in: Apophoreta. FS Ernst Haenchen (BZNW 30), Berlin 1964, 187–193.

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sung wurde mit deren liturgischer Verwendung im Taufgottesdienst in Verbindung gebracht120. Alle diese Argumente ließen sich entkräften121, so daß die historische Forschung gegenwärtig im allgemeinen davon ausgeht, die Kindertaufe sei in urchristlichen Texten nicht belegt und infolgedessen vermutlich auch nicht praktiziert worden. Überraschend ist es, daß in der Debatte über das Thema der »Sitz im Leben« der vormarkinischen Perikope Mk 10,13 f.16 kaum explizit erörtert worden ist122. Welche Funktion hatte diese Erzählung? Zu welchem Zweck war sie entstanden, und warum wurde sie weiter tradiert? Nach der hier vorgetragenen Exegese spiegelt sich in dem Apophthegma die Situation einer Gemeinde wider, in der es zu Konflikten über die Zulässigkeit der Taufe von Kindern gekommen war. V. 13a deutet möglicherweise an, daß eine solche Taufe von einigen Angehörigen der Gemeinde als eine Neuerung eingeführt werden sollte; V. 13b zeigt jedenfalls den Widerstand gegenüber derartigen Bestrebungen an123. Dem Erzähler des Apophthegmas war natürlich nicht daran gelegen, ausführlich die Argumente der Taufgegner zu referieren – offenbar hatten diese die geltende kirchliche Praxis durchaus auf ihrer Seite124. Dem Erzähler kam es vielmehr allein darauf an, zu zeigen, daß Jesu Heilspredigt, daß die Verheißung der Teilhabe an der Gottesherrschaft – entgegen anderer Meinung! – auch den Kindern galt (V. 14.16)125. Dabei war es klar, daß Jesus keinesfalls eine Art »Taufbefehl« in den Mund gelegt werden konnte – die christliche Taufe wird ja nirgendwo im Neuen Testament auf den irdischen Jesus zurückgeführt (vgl. Mt 120

Vgl. Jeremias, Kindertaufe, 67 f., Anm. 4. Vgl. etwa zuletzt G. Barth, Die Taufe in frühchristlicher Zeit (BThSt 4), NeukirchenVluyn 1981, 143 f. 122 Das Stichwort »Sitz im Leben« im Zusammenhang mit Mk 10,13–16 begegnet bemerkenswerterweise bei J. Jeremias, Mc 10,13–16 Parr. und die Übung der Kindertaufe in der Urkirche, ZNW 40 (1941) 243–245 (hier: 243), ohne daß diese Thematik jedoch weiter ausgeführt würde. Nach der Intention der diese Erzählung überliefernden Gemeinde fragt auch Jentsch, Erziehungsdenken (s. Anm. 24), 212, ohne jedoch auf den im Text sichtbar werdenden Konflikt einzugehen. – Schenk, Segen (s. Anm. 92), 66 f. meint, der ursprüngliche historische »Sitz im Leben« sei, wie von Jeremias gezeigt, die oben (Anm. 92) erwähnte für Jerusalem bezeugte Sitte (der Beleg, der nichtkanonische Talmud-Traktat Soferim [18,5], ist vermutlich spät zu datieren; vgl. Strack/Stemberger, Einleitung [s. Anm. 62], 217); diese Sitte ist aber allenfalls als Parallele – oder auch als Vorbild für das (erzählte oder reale) Handeln Jesu – anzusehen. In keinem Fall würde sie den »Sitz im Leben« indizieren, d. h. sie würde nicht erklären, warum es in der christlichen Gemeinde an dieser Stelle zum Konflikt kam. 123 Schmithals Mk, 445 f. verweist auf die vermutete Situation der von ihm angenommenen Grundschrift, in die ein solcher Konflikt passe. Es ging möglicherweise um »die Taufe von Kindern (jeden Alters) beim Übertritt ihrer Eltern«. Schmithals meint, die »Grundschrift« sei »vermutlich als Handbuch für die Mission unter den Gottesfürchtigen verfaßt worden« (aaO., 46). 124 Vgl. G. Klein, Bibelarbeit über Markus 10,13–16, in: G. Krause (Hg.), Die Kinder im Evangelium, PSA 10 (1973) 12–30, hier: 24: Die Jünger erscheinen in V. 13b als »die Amtsträger, die über die Zulassung der Menschen zu Jesus verfügen«. 125 Dagegen Gnilka Mk II, 81 f.: Das Verhältnis zu den Kindern sei »kein aktuelles Gemeindeproblem« gewesen; und das Problem Kindertaufe sei »für diese frühe Zeit nicht zu erwarten« (Gnilka führt das Wort in V. 14 und die Szene als ganze auf Jesus selbst zurück). 121

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28,19 und den sekundären Mk-Schluß 16,16). Vielmehr schlug sich die theologische Aussage, die Gottesherrschaft »gehöre« auch den Kindern, in der Mahnung nieder, daß die Kinder am Zugang zu Jesus nicht gehindert, konkret: daß ihnen die Zugehörigkeit zur Gemeinde – mit allen damit verbundenen Konsequenzen – nicht verwehrt werden dürfe. Für die Tradenten des Apophthegmas war diese Argumentation überzeugend; andernfalls wäre der Text überhaupt nicht in dieser Form überliefert worden. Vermutlich wird also die Gruppe, der sich das Apophthegma verdankt, die Taufe von Kindern praktiziert, sie zumindest zugelassen haben. Das sagt allerdings noch nichts aus über eine allgemeine Praxis der Kindertaufe in der Kirche des 1. Jahrhunderts; sie ist nicht ausgeschlossen, sie läßt sich aber auch nicht zweifelsfrei belegen126. Ich halte es allerdings für überwiegend wahrscheinlich, daß die Kindertaufe in den meisten Gemeinden im allgemeinen doch praktiziert wurde. Dafür spricht einmal die Tatsache, daß Kinder jüdischer Eltern (bzw. einer jüdischen Mutter) von Geburt an als Juden galten127, während man »Christ« erst durch die Taufe wurde. Dafür spricht ferner die in der heidnischen Umwelt übliche religiöse Praxis der Weihe von Kindern, und zwar nicht nur in den Mysterienreligionen128. Dafür spricht vor allem aber auch die Beobachtung, daß dort, wo die Kindertaufe erstmals eindeutig belegt ist, ein Konflikt über diese Frage nicht erkennbar wird. Wäre die Kindertaufe im letzten Drittel des 2. Jh. eine Neuerung gewesen, so würde sich dieser Sachverhalt doch wohl in jedem Fall in der theologischen Argumentation niedergeschlagen haben129. Doch selbst wenn diese 126 Windisch, Problem (s. Anm. 110), 123: »Das Taufen von erwachsenen und halberwachsenen Kindern liegt durchaus schon im Horizont des NT. Nur für die Säuglingstaufe hat das NT kein direktes Zeugnis.« 127 Die Beschneidung war kein Akt der formellen Aufnahme des Kindes ins Judentum, sondern »erster Vollzug eines Pflichtgebots an dem Neugeborenen« (A. Oepke, Art. paiÄw ktl., ThWNT V, 646); sie ist insoweit der christlichen Taufe nicht vergleichbar. – Wenn, wie doch wohl wahrscheinlich, neugeborene Knaben in judenchristlichen Gemeinden beschnitten wurden, so kann man es für denkbar halten, daß das Thema Kindertaufe erstmals in gemischten Gemeinden virulent wurde. Rückschlüsse auf den geographischen Ort oder den näheren Zeitpunkt dieser Entwicklung sind aber in keinem Fall möglich. 128 Zur Beteiligung des Kindes am Gottesdienst und am Kult im Judentum und in anderen antiken Religionen vgl. Windisch, Problem (s. Anm. 110), 124 ff. – Wäre das völlige Schweigen zu dieser Thematik in den neutestamentlichen Schriften erklärbar, wenn sich das Christentum an dieser Stelle grundlegend von der in der Umwelt geübten Praxis unterschieden hätte? Vgl. zur Weihe neugeborener Kinder Blanck, Privatleben (s. Anm. 28), 90.103 f. 129 Eine Übersicht über die in Frage kommenden Quellenbelege gibt Jeremias, Kindertaufe (s. Anm. 92), 11–22; vgl. die von H. Kraft besorgte Quellensammlung: Texte zur Geschichte der Taufe, besonders der Kindertaufe in der alten Kirche (KlT 174), Berlin 21969. – Der früheste eindeutige Beleg ist Tertullian, De baptismo 18,5, wo Mk 10,14 zitiert, dann freilich gegen seinen Sinn ausgelegt wird (veniant ergo dum adolescunt . . . fiant Christiani cum Christum nosse potuerint). Die Stelle zeigt deutlich, daß Tertullian eine gängige Praxis kritisiert, nicht etwa eine Neuerung (so m. R. J. Jeremias, Nochmals: Die Anfänge der Kindertaufe . . . [TEH NF 101],

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Überlegungen falsch sein sollten, würde die oben vorgetragene Interpretation der Kindersegnungsperikope Mk 10,13 f.16 dadurch nicht berührt. V. 15 stellt gegenüber dem ursprünglichen Apophthegma eine Neuinterpretation dar. Das als Amen-Rede konstruierte Wort Jesu formuliert eine nicht mehr für Kinder, sondern für jeden Menschen geltende Einlaßbedingung für die Gottesherrschaft; oder richtiger: Es formuliert für bestimmte Menschen den Ausschluß aus der basileiÂa. Die Struktur eines solchen Wortes war vorgegeben130; das Wort selbst scheint aber nicht ein ursprünglich isoliertes Logion gewesen zu sein131, sondern es wurde offenbar erst mit Blick auf V. 14, insbesondere V. 14c, konzipiert. Es versucht, die Wendung »diesen/solchen gehört die basileiÂa« verallgemeinernd zu interpretieren: Man besitzt die basileiÂa, hat Anteil an ihr, indem man sie »empfängt« bzw. »annimmt«132. Der Ausdruck deÂxesuai thÁn basileiÂan ist im Neuen Testament ohne Parallele133, was die Vermutung stützt, es handle sich bei V. 15 um eine ad-hoc-Bildung134. Das Wort schließt denjenigen München 1962, 55). – Höchst problematisch scheint mir die These von K. Aland, die Säuglingstaufe sei überflüssig, »solange man im Zeitalter der eschatologischen Naherwartung lebt, das in seinen Ausstrahlungen sicher bis tief ins 2. Jahrhundert reicht« (K. Aland, Die Säuglingstaufe im Neuen Testament und in der alten Kirche. Eine Antwort an Joachim Jeremias [TEH NF 86], München 1961, 77 f.). Ein solcher Zusammenhang zwischen Kindertaufe und Naherwartung ist nicht nachzuweisen und ja von der Sache her auch unwahrscheinlich. Überdies ist zu beachten, daß es außer allenfalls in den ersten Jahrzehnten des Christentums ein »Zeitalter der eschatologischen Naherwartung« nicht gegeben hat; spätestens nach dem Jahre 70 gab es nebeneinander die Vorstellung eines nahen Endes und zugleich die Abwehr eben dieser Vorstellung (vgl. nur die etwa gleichzeitig und nicht weit voneinander entfernt entstandenen Schriften Apg und Apk). 130 S. o. zu Mt 18,3 f. 131 Anders Bultmann, Geschichte (s. Anm. 79), 32, der V. 15 für ein ursprünglich freies Logion hält. Pesch Mk II, 133, Anm. 9 hält V. 15 für authentisch; als Indizien nennt er: Die einleitende Amen-Formel; die semitisierende Fassung des relativen Konditionalsatzes; oyÆ mh in der Apodosis; die inhaltliche Paradoxie und die Spannung von Gegenwart und Zukunft in der Aussage über die basileiÂa toyÄ ueoyÄ. Das sind aber keine »Echtheits«-Kriterien. 132 Richtig J. Blinzler, Kind und Königreich Gottes (Markus 10,14 f.), in: ders., Aus der Welt und Umwelt des Neuen Testaments. Ges. Aufsätze 1 (SBB), Stuttgart 1969, 41–53, hier 47 f. Von V. 14c her schließt Blinzler, daß vëw paidiÂon nicht Akkusativ sein kann. 133 Es wird von daher immer wieder versucht, deÂxesuai nicht auf die basileiÂa selbst, sondern auf die Botschaft von der Gottesherrschaft zu beziehen (vgl. den Ausdruck deÂxesuai toÁn loÂgon 1 Thess 1,6; 2,13; Apg 8,14; 11,1; 17,11); so z. B. H. Windisch, Die Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes, ZNW 27 (1928) 163–192, hier 164 f., Anm. 3 und Klein, Bibelarbeit (s. Anm. 124), 29. Aber das ist eine m. E. unzulässige Notlösung. Pesch Mk II, 134, der V. 15 für authentisch hält, erklärt deÂxesuai vom Bild des Suchens und Findens der basileiÂa her. – Sprachlich identisch mit deÂxesuai thÁn basileiÂan toyÄ ueoyÄ ist der rabbinische Ausdruck Õimw xuklm lBÈqÇ, der aber offenbar überall, wo er begegnet, direkt oder indirekt mit dem Hinweis auf die Tora verknüpft ist (Belege bei Billerbeck II, 176 f.; vgl. J. Weiss, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen 31964, 7). 134 Die Wendung eiÆseÂrxesuai eiÆw ayÆth  n ist dagegen ganz traditionell; die Inkongruenz von deÂxesuai und eiÆseÂrxesuai geht offenbar auf die Kontextbezogenheit von V. 15 zurück. Vgl. dazu J. I. H. McDonald, Receiving and Entering the Kingdom. A Study of Mark 10:15, StEv VI (TU 112), Berlin 1973, 328–332. »If one does not receive the kingdom in child-like manner, one cannot enter into the privileges and responsibilities of life under the sovereignty of God, in this world or beyond« (331). McDonald interpretiert V. 15 ganz von rabbinischen Aussagen her, die

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vom Zugang zur basileiÂa aus, der diese nicht annimmt vëw paidiÂon. Die Wendung vëw paidiÂon läßt fragen, in welcher Weise das »Kind« hier verstanden ist und welche Funktion der Vergleich hat, d. h. ob paidiÂon Akkusativ (wie in Mk 9,37) oder Nominativ (wie in Mt 18,3 f.)135 ist: Wird hier die Gottesherrschaft selbst, oder wird der die Gottesherrschaft annehmende Mensch mit einem Kind verglichen? Die zweite Frage läßt sich relativ leicht beantworten: Die akkusativische Deutung von paidiÂon ist zwar sprachlich möglich, inhaltlich ist sie aber sinnlos136. Denn sie müßte entweder implizieren, daß die Aufnahme eines Kindes völlig selbstverständlich ist und deshalb ohne weiteres als Analogon für die Annahme der basileiÂa dienen kann – das aber ist schon von 9,37 her ganz unwahrscheinlich. Oder sie würde darauf abzielen, daß man, entsprechend der in 9,37 aufgestellten Forderung, ein Kind bei sich aufnehmen soll137; doch davon steht nichts im Text, der ja zweifellos vom Annehmen der basileiÂa spricht. Die akkusativische Deutung übersieht außerdem, daß man die eschatologische basileiÂa Gottes nicht in gleicher Weise bei sich »aufnehmen« kann, wie man ein der Hilfe bedürftiges Kind aufzunehmen hat. Gemeint ist also offenbar: Der Mensch soll die basileiÂa so annehmen, wie auch ein Kind sie annimmt138. Was aber heißt dann vëw paidiÂon inhaltlich? Welche Vorstellung vom Kind steht hinter V. 15, in dem das Kind ja nun doch »Modellcharakter« hat? Die Antwort ergibt sich aus dem Kontext der Erzählung selbst: Jesus hat (V. 14c) den Kindern die basileiÂa zugesprochen – gegen äußere Widerstände. Dies gilt, sagt V. 15, für jeden Menschen: Er empfängt die basileiÂa aufgrund des Zuspruchs Jesu, nicht anders. Die Kinder in der Perikope Mk 10,13 ff. sind weder arm noch verlassen, sie sind nicht »unschuldig«139 und sagen auch nicht zu Gott vertrauensvoll ›Vater‹140; die Kinder in

vom Gehorsam des Kindes gegenüber der Tora sprechen; in Mk 10 müsse deshalb an Kinder im Alter von 13 Jahren gedacht sein (332). 135 Gelegentlich wird die Mt-Fassung als hinreichendes Argument für die nominativische Deutung des Mk-Textes genannt (so z. B. Weber, Jesus und die Kinder [s. Anm. 25], 52 f.); aber das ist methodisch natürlich nicht möglich. 136 Ausführlich erörtert und schließlich abgelehnt wird diese Interpretationsmöglichkeit von McDonald, Kingdom (s. Anm. 134) 328 f. und von Best, Mark 10:13–16 (s. Anm. 82), 131 ff. 137 So mit großem Nachdruck zuletzt wieder Stegemann, Kinder (s. Anm. 46), 133–136, der freilich auf die hierüber bereits geführte exegetische Debatte nicht eingeht. Gemeint sei nicht, daß man sich, wenn die basileiÂa kommt, zu ihr so verhalten müsse, als würde man ein Kind aufnehmen. »Sondern indem er jetzt ein Kind aufnimmt, schafft er eine Voraussetzung seines Eingehens in die Königsherrschaft Gottes« (135). Das steht nun allerdings keinesfalls im Text. 138 Die Debatte, ob es beim deÂjhtai . . . v ë w paidiÂon um das allgemeine Verhalten von Kindern oder speziell um ihr Verhalten gegenüber der basileiÂa geht, ist allenfalls sinnvoll, wenn man V. 15 isoliert betrachtet. Vom Kontext her ist klar, daß es um das Verhalten der Kinder der basileiÂa toyÄ ueoyÄ gegenüber geht. – Anderen Dingen gegenüber sind Kinder ja ohnehin schon sehr früh nicht allein »Empfangende«, sondern durchaus Fordernde. 139 So Windisch, Problem (s. Anm. 110), 119. Er meint von daher, V. 15 zeige eher die Überflüssigkeit als die Notwendigkeit der Kindertaufe an (130). 140 So Gnilka Mk II, 81.

Die Kinder und die Gottesherrschaft

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dieser Perikope sind vielmehr Menschen, die sich nicht selbst dagegen wehren können, daß man ihnen den Zugang zu Jesus und damit den Anteil an der Gottesherrschaft verweigert; allein Jesus selbst hat durch sein Verhalten ihnen diesen Zugang ermöglicht141. Im Verhältnis zu Jesus und damit im Verhältnis zur Gottesherrschaft ausschließlich passiv Empfangende zu sein – das ist offenbar der Sinn der singulären Wendung deÂxesuai thÁn basileiÂan vëw paidiÂon142. Markus hat durch die Anfügung der Perikope vom Reichen (10,17–31) noch einen weiteren Akzent hinzugefügt: Der Gottesherrschaft vëw paidiÂon begegnen heißt von 10,21.25 her möglicherweise auch: ohne Besitz. Es kann jedenfalls kein Zufall sein, daß die Perikope von der Kindersegnung, die in der markinischen Fassung in der Formulierung einer Einlaßbedingung für die basileiÂa gipfelt143, ihre Fortsetzung findet in einem breit angelegten Apophthegma, in dem es zunächst implizit (V. 17–22), dann explizit (V. 23–27) ebenfalls um Bedingungen für den Einlaß in die basileiÂa geht. Durch den, vermutlich von Markus selbst formulierten, Satz V. 15 ist der ursprüngliche »Sitz« der Perikope, das Thema Kindertaufe, fast ganz aus dem Blick geraten – man kann also keinesfalls sagen, Markus bezeuge die Kindertaufe144. Geblieben ist aber, daß der Text von einer konkreten Begegnung Jesu mit Kindern erzählt und dabei sagt, daß diese Kinder von Jesus als Kinder angenommen, und das heißt nicht zuletzt auch: ernstgenommen wurden. Es ist durchaus denkbar und sogar wahrscheinlich, daß sich der irdische Jesus selbst Kindern gegenüber in dieser Weise verhalten hat145. Mindestens ebenso wichtig aber ist die Tatsache, daß die dieses Apophthegma tradierende nachösterliche Gemeinde Jesu das Bild des die Kinder gegen den Widerstand der Jünger annehmenden und sie segnenden Jesus bewahrt hat und im Kontext des

141 Richtig insoweit Blinzler, Kind (s. Anm. 132), 51: Das Kind ist verstanden als »Typus der Ohnmacht«; es ist »das unterste Wesen in der Rangordnung der menschlichen Gesellschaft«. 142 Stegemann, Kinder (s. Anm. 46), 134 hält diese Interpretation für ausgeschlossen, weil die Kinder in der Perikope nicht als solche dargestellt seien, die die basileiÂa aktiv »annehmen«; doch auch an einen rein passiven »Empfang« könne nicht gedacht sein, da das Eingehen in die basileiÂa bei Mk sonst gar nicht »gnadenhaft« vorgestellt sei. Diese Auslegung berücksichtigt nicht, daß der Text ja auch bei der akk. Deutung von vëw paidiÂon in jedem Fall vom »Annehmen/Empfangen der Gottesherrschaft« spricht – diese Formulierung muß also in jedem Fall erklärt werden. 143 Nach V. 15 klappt Jesu Handeln in V. 16 deutlich nach; es ist nicht unverständlich, daß Lk den Vers gestrichen und Mt ihn ganz erheblich verkürzt hat. 144 Natürlich läßt sich auch das Gegenteil nicht erweisen. 145 Dafür könnte auch die aus der Q-Überlieferung stammende Metapher von den spielenden Kindern (Mt 11,16 f./Lk 7,31 f.) sprechen; es ist auffallend, daß Jesus die (negative) Reaktion der Menschen auf Johannes’ und seine eigene Predigt von dieser Ebene her illustriert. Im Unterschied zu Mk 10,13–16 läßt sich bei diesem Logion Gemeindebildung m. E. nicht wahrscheinlich machen.

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Evangeliums noch bewahrt146, und daß sie sich damit einen Maßstab hat setzen lassen für das eigene Verhalten Kindern gegenüber147.

146 Schmithals Mk, 448: »Was Gott angenommen hat, darf der Mensch nicht verstoßen oder verachten. Die Kinder sind vollwertige Glieder der ›christlichen Gesellschaft‹.« 147 Die Konsequenzen, die daraus zu ziehen wären, können hier nur angedeutet werden. Zu denken ist u. a. an die Beteiligung von Kindern beim Abendmahl und an die Konfirmation schwerstbehinderter Kinder bzw. Jugendlicher; jedenfalls kann von Mk 10,13–16 her nicht das »Verstehen« zum entscheidenden Kriterium gemacht werden. Auch die nicht geringe Skepsis der traditionellen Gemeinden gegenüber »Familien- und Jugendgottesdiensten« sollte nicht nur aus Gründen der »Attraktivität« der Kirche, sondern um einer an Mk 10,13–16 orientierten Ekklesiologie willen korrigiert werden. Die Kindersegnungsperikope ist auf alle Fälle mißverstanden, wenn sie – wie weithin üblich – zum liturgischen Text erstarrt nur der Rechtfertigung der kirchlichen Taufpraxis dient, im übrigen aber ohne Auswirkungen bleibt.

Die Osterbotschaft des Markus Zur theologischen Interpretation von Markus 16,1–8 Das Markus-Evangelium unterscheidet sich von den anderen synoptischen Evangelien in auffälliger Weise dadurch, daß am Anfang und am Schluß Berichte fehlen, die Lukas und Matthäus offensichtlich als für den Inhalt ihrer Schriften wesentlich angesehen haben: Der zweite Evangelist berichtet nicht von Geburt und Kindheit Jesu; und sein Buch enthält – ausweislich der ältesten erhaltenen Handschriften – keine Erzählungen von Erscheinungen des Auferstandenen. Das Fehlen einer Geburtsgeschichte wird vermutlich damit zu erklären sein, daß Markus1 entsprechende Traditionen nicht gekannt hat. Das Fehlen der Erscheinungsgeschichten dagegen läßt sich nicht so ohne weiteres mit dieser Annahme begründen; denn Mark 14,28 und 16,7 scheinen jedenfalls anzudeuten, daß es im Umkreis des Evangelisten bzw. seiner Tradition entsprechende Erzählungen gegeben hat. Dann aber stellt sich die Frage, warum Markus in seinem Evangelium auf die Erscheinungen zwar ankündigend hinweist, gleichzeitig aber darauf verzichtet, von ihnen als von einem tatsächlich geschehenen Ereignis zu berichten.

I Es liegt auf der Hand, daß das Problem des Markus-Schlusses theologisch ein erhebliches Gewicht besitzt. W. Schmithals hat m. R. betont, daß dieser Schluß nicht etwa aus formal-literarischen Gründen »abrupt« genannt werden muß, sondern deshalb, »weil integrierende, und zwar gerade die fundamental integrierenden Teile des kerygmatischen Erzählzusammenhangs von Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen dem Evangelium anscheinend von Anfang an gefehlt haben«.2 Verständlicherweise ist deshalb in der Forschung immer wieder versucht worden, eine ursprüngliche Fortsetzung des Evangeliums über 16,8 hinaus wahrscheinlich zu machen. Zwar wird ganz überwiegend anerkannt, daß der in Mark 1 Unter »Markus« ist im folgenden der Redaktor und Autor des ältesten Evangeliums verstanden – unabhängig davon, daß wir seinen Namen nicht kennen. 2 W. Schmithals, Der Markusschluß, die Verklärungsgeschichte und die Aussendung der Zwölf, ZThK 69 (1972) 380.

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16,9–20 überlieferte Text nicht vom Evangelisten stammt, sondern sekundär angefügt wurde;3 aber es gibt zahlreiche Exegeten, die vermuten, der ursprüngliche Markus-Schluß sei auf einer frühen Stufe der Textüberlieferung »weggebrochen« worden und dann verlorengegangen.4 So meinte R. Bultmann, der Schluß des Markus-Evangeliums habe in Galiläa lokalisierte Erscheinungsberichte enthalten, die »in starkem Widerspruch zu den späteren Osterlegenden gestanden« hätten und die deshalb absichtlich beseitigt worden seien;5 ähnlich äußern sich auch M. Hengel6 und H. R. Balz.7 Derartige Erwägungen führen aber in ein unlösbares Dilemma: Ganz offensichtlich endete bereits das Matthäus und Lukas vorliegende Exemplar des Markus-Evangeliums bei 16,8; die Hypothese einer theologisch (»dogmatisch«) motivierten Streichung der markinischen Erscheinungsgeschichte(n) basiert jedoch auf der Annahme, daß der »ursprüngliche« Markus-Schluß erst zu einem Zeitpunkt beseitigt wurde, als die Ostererzählungen der anderen Evangelien bereits bekannt waren – ohne den Vergleich mit Lukas und/oder Matthäus konnte die Auffälligkeit des Markus-Schlusses ja gar nicht bewußt werden. Überdies ist es methodisch natürlich höchst problematisch, Vermutungen über den Inhalt der angeblich verlorengegangenen markinischen Erscheinungserzählung(en) anzustellen; derartige Vermutungen entziehen sich ja jeder Kontrolle. Aus diesem Grunde beschränken sich viele Exegeten auf die einfache, freilich exegetisch wie theologisch zutiefst unbefriedigende Behauptung, das Markus3 Die Vermutung, daß 16,9–20 ursprünglicher Bestandteil des Markus-Evangeliums sein könne, äußert aufgrund einer wenig überzeugenden textgeschichtlichen und sprachlichen Analyse des Abschnitts W. R. Farmer, The Last Twelve Verses of Mark, Cambridge 1974. Überzeugende Gegenargumente stellt z. B. K. Aland, Der Schluß des Markusevangeliums, in M. Sabbe (Ed.), L’E´vangile selon Marc. Tradition et re´daction (BEThL 34), Leuven 1974, 454 f. zusammen; Aland konstatiert, es finde sich »kein ernstzunehmender Verteidiger« der Ursprünglichkeit von 16,9–20 (aaO., 455). 4 E. Linnemann, Der (wiedergefundene) Markusschluß, ZThK 66 (1969) 255–287 vertritt die These, dieser Schluß sei gar nicht verloren; vielmehr sei ursprünglich auf Mark 16,1–8 der jetzt in Matt. 28,16–17 und Mark 16,15–20 erhaltene Text gefolgt. Aber diese Annahme ist schon aus textkritischen Gründen unhaltbar; vgl. K. Aland, Der wiedergefundene Markusschluß? Eine methodologische Bemerkung zur textkritischen Arbeit, ZThK 67 (1970) 1–13. 5 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 51961, 309 Anm. 1. Der redaktionelle V. 7 habe den Sinn gehabt, die folgende galiläische Erscheinungserzählung mit der Grabesgeschichte zu verknüpfen (aaO., 311–312). 6 M. Hengel, Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen, in: O. Betz/M. Hengel/P. Schmidt (Eds.), Abraham unser Vater. Juden und Christen im Gespräch über die Bibel. FS Otto Michel (AGSU 5), Leiden 1963, 252: Angesichts des Vorrangs, den Maria Magdalena bei Markus genieße, sei es nicht undenkbar, daß der ursprüngliche Markusschluß von einer »Erscheinung vor Maria Magdalena berichtete, die dann wegen ihrer Priorität für schwer tragbar gehalten« und also weggebrochen wurde. 7 H. R. Balz, Art. fobeÂv ktl., ThWNT IX, 1973, 207, 15–18: Wahrscheinlich berichtete der ursprüngliche Schluß von einer galiläischen Erscheinung vor Petrus; seine Beseitigung sei damit zu erklären, daß er »zwar dem alten Kerygma der hell(enistischen) Gemeinden 1 Kor 15,5, nicht aber der inzwischen veränderten Stellung des Petrus innerhalb der Gemeindeleitung entsprach«.

Die Osterbotschaft des Markus

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Evangelium sei offenkundig unvollständig erhalten, ohne daß sich über den ursprünglichen Schluß noch etwas sagen lasse.8 Die Annahme, 16,8 könne unter gar keinen Umständen der Schluß des Markus-Evangeliums sein, wäre – wie jeder Konjekturvorschlag – aber erst dann diskutabel, wenn sich der erhaltene Text des Evangeliums schlechterdings nicht sinnvoll interpretieren ließe. Daß auch von der Textüberlieferung her die Vermutung, das Evangelium sei ursprünglich über 16,8 hinausgegangen, überaus unwahrscheinlich ist, hat K. Aland mehrfach ausführlich dargelegt. Ein »Abbruch« hinter 16,8 hätte schon beim Exemplar des Verfassers selbst erfolgt sein müssen, da andernfalls die Textüberlieferung nicht zu erklären sei: »Wer im ursprünglichen Markusevangelium noch Text nach 16,8 ansetzt kann eigentlich nur so argumentieren, daß er diesen vor oder bei der Herstellung der ersten Abschriften um eines inhaltlichen Anstoßes willen gestrichen sein läßt. Dabei muß er dann voraussetzen, daß der Redaktor eine Abrundung des neuen Schlusses entweder nicht für nötig hielt oder dazu nicht fähig war.«9 Die Interpretation des Markus-Evangeliums hat also von der Annahme auszugehen, daß 16,8 der vom Evangelisten gewollte Schluß des Evangeliums ist. Für die Frage nach der »Osterbotschaft« des Markus bedeutet dies, daß begründet werden muß, warum das Evangelium mit dem Bericht von der Auffindung des leeren Grabes, der Ankündigung einer Erscheinung in Galiläa und dem Hinweis auf das Schweigen der Frauen endet. Hat Markus, trotz der Andeutungen in 14, 28 und 16,7, womöglich doch keine Kenntnis von tatsächlich erfolgten Erscheinungen gehabt? Oder wollte er die Grabesgeschichte bewußt an die Stelle der Erscheinungsberichte setzen? War er etwa der Meinung, das leere Grab sei als Auferstehungsbeweis geeignet und ausreichend?

II In der Forschung werden für die Interpretation des Markus-Schlusses bei 16,8 im wesentlichen drei Möglichkeiten erwogen: (1) Markus berichte deshalb nicht von Erscheinungen des Auferstandenen, weil er eine entsprechende Erzähltradition (noch) gar nicht gekannt habe. 8 Vgl. H. Grass, Ostergeschehen und Osterberichte, Göttingen 21962, 86: »Auch das MarkusEvangelium wird ursprünglich eine Erscheinungsgeschichte gehabt haben.« Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 348: »16,7 f. verlangen eine Fortsetzung«. G. Strecker, Rez. von H. Weinacht, Die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Markusevangelium, ThLZ 102 (1977) 35: »Die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß 16,8 nicht den vom Endredaktor ursprünglich beabsichtigten Schluß des zweiten Evangeliums darstellt!« 9 Aland, Der wiedergefundene Markusschluß? (s. Anm. 4), 9.

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(2) Markus folge in der gesamten Passionsgeschichte einer vorgegebenen Quelle, die mit der Erzählung von der Grablegung Jesu und der damit unmittelbar verbundenen Grabesgeschichte (15,42–16,8) endete; er habe keinen Anlaß gesehen, dem noch etwas hinzuzufügen. (3) Markus habe Erscheinungserzählungen sehr wohl gekannt, sie jedoch bewußt verschwiegen, weil sie seinen theologischen Anschauungen widersprochen hätten. ad (1). Die These, Markus habe Erzählungen von Erscheinungen des Auferstandenen nicht gekannt, wird u. a. von U. Wilckens vertreten; der Evangelist habe, so meint Wilckens, über Ostern ebensoviel gewußt wie der Apostel Paulus (1 Kor 15,5), »nämlich lediglich die Tatsache der Erscheinung als solche«.10 Durch die von ihm selbst in die vorgegebene Grabesgeschichte eingefügte Aussage von V. 7 habe er versucht, »die wichtige Kunde von der Erscheinung des Auferstandenen im Erzählungszusammenhang der Ostergeschichte« zu verankern, während dann Matthäus und Lukas »das Bedürfnis« gehabt hätten, »den bloßen Hinweis durch eine Erzählung auszuführen«.11 Diese These aber vermag nicht zu erklären, warum Markus eine Erscheinung lediglich ankündigt, sie aber nicht – wie es Paulus ja tut – als geschehenes Ereignis mitteilt. Die Auskunft, er habe eine entsprechende Erzähltradition nicht gekannt,12 reicht als Begründung hierfür jedenfalls nicht aus; Markus wäre ohne weiteres imstande gewesen, wenn schon nicht eine ausführliche Erzählung so doch zumindest eine summarische Aussage über die Erscheinungen des Auferstandenen (etwa im Stil von 1 Kor 15,4.5) zu formulieren, sofern er daran ein Interesse gehabt hätte. Es ist aber ohnehin ganz unwahrscheinlich, daß es rund vierzig Jahre nach der Entstehung der Urgemeinde noch keine Erscheinungserzählungen gegeben haben sollte bzw. daß eine derartige Tradition dem ältesten Evangelisten völlig unbekannt geblieben wäre. Wenn also bei Markus von Erscheinungen des Auferstandenen ausschließlich im Futur die Rede ist, so kann das nicht als bloßer Zufall oder gar als schriftstellerisches Unvermögen erklärt werden; vielmehr ist nach einer theologischen Erklärung zu suchen. ad (2). Diese Forderung ist insbesondere auch R. Pesch gegenüber anzumelden; er vertritt die These, das Markus-Evangelium ende deshalb mit 16,8, weil die vormarkinische Passionsquelle dort ihren Abschluß gehabt habe. Daß der Evangelist Erscheinungserzählungen kannte, sei unwahrscheinlich; jedenfalls schließe »die Ankündigung der Bestätigungsvision« in 16,7 (Pesch hält diesen Vers nicht für redaktionell) eine solche Kenntnis nicht notwendig ein. Vielmehr verweise die Erwähnung Galiläas an dieser Stelle auf den Beginn des Evangeliums 10 U. Wilckens, Auferstehung. Das biblische Auferstehungszeugnis historisch untersucht und erklärt (ThTh IV), Stuttgart 1970, 50. 11 Wilckens (s. die vorige Anm.), 51. 12 So Aland, Schluß (s. Anm. 3), 469: Es sei zu beachten, »daß, als Markus schrieb, die anderen Auferstehungsberichte eben noch nicht literarisch vorlagen«.

Die Osterbotschaft des Markus

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(1,16–20) zurück, nämlich auf »die Sammlung der Jünger in Galiläa. . . Damit ist der aktuelle Anspruch des ganzen »Evangeliums« unterstrichen, das Jesu Leben, Tod und Auferweckung verkündigt.«13 Entsprechend seiner grundsätzlichen Tendenz, den Evangelisten insbesondere auch in theologischer Hinsicht ganz im Schatten vormarkinischer Redaktoren zu sehen, verzichtet Pesch nahezu völlig darauf, die Perikope Mark 16,1–8 im Kontext der Theologie des Markus zu interpretieren. Die Auskunft, Markus folge einfach seiner Quelle, wenn er das Evangelium mit V. 8 enden lasse, erklärt ja noch nicht, aus welchem Grunde er dieses Vorgehen für theologisch sachgemäß hielt. ad (3). Markus hat, diese Vermutung scheint mir angesichts von 14,28 und 16,7 unabweisbar zu sein, Tradition von Erscheinungen des Auferstandenen in Galiläa gekannt bzw. davon zumindest gewußt.14 Warum aber berichtet er nicht ausdrücklich darüber? E. Bickermann hat vermutet, das Schweigen des Markus sei darauf zurückzuführen, daß er die Tatsache des leeren Grabes bereits als hinreichenden Beweis für Jesu Auferweckung angesehen habe; eine zusätzliche Bestätigung sei für ihn nicht akzeptabel gewesen.15 Aber die Grabesgeschichte ist, gerade in ihrer jetzigen exponierten Stellung am Schluß des Evangeliums, weit davon entfernt, das leere Grab als einen »Beweis« für die Auferweckung Jesu anzusehen – schon V. 8 widerspricht einer solchen Auslegung. Die Motive, die Markus veranlaßt haben, seinem Evangelium einen derart abrupt »offenen« Schluß zu geben, müssen vielmehr theologischer Natur gewesen sein.

III Die Grabesgeschichte Mark 16,1–8 geht zumindest in ihrem Kernbestand sicher auf vormarkinische Tradition zurück.16 Ob sie formgeschichtlich gesehen eine 13 R. Pesch, Das Markusevangelium. II. Teil. Kommentar zu Kap. 8,27–16,20 (HThK II/2), Freiburg 1977, 540. 14 Hält man 14,28 und/oder 16,7 für Bestandteile der Tradition, so darf man immerhin vermuten, daß der Evangelist von der Erfüllung der dort ausgesprochenen Verheißung gewußt hat. Hält man, wie es die meisten Exegeten tun, beide Verse für redaktionell, so sind sie sogar ein sicherer Beleg dafür, daß Markus Erscheinungstradition gekannt hat. 15 E. Bickermann, Das leere Grab, ZNW 23 (1924) 281–292. Bickermann meint, das leere Grab, das in der antiken Literatur sonst durchweg fester Topos von Entrückungsgeschichten sei (Beispiele aaO., 283–286; vgl. jetzt auch Pesch, Markus II [s. Anm. 13], 522–526), gelte erstmals bei Markus als Beweis für eine Auferstehung; die Gemeinde, in der die Grabesgeschichte geformt worden sei, habe an Jesu Entrückung und noch nicht an seine Auferstehung geglaubt (aaO., 290–292). 16 In dieser Beurteilung sind sich die Exegeten überwiegend einig; vgl. zuletzt Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 519–521. Anders V. Taylor, The Gospel According to St. Mark, London 21966, 602 f. Da sich keine Spuren einer semitischen Vorlage fänden und da das Vokabular ganz markinisch sei, stamme die Perikope vom Evangelisten; so auch N. Q. Hamilton, Resurrection Tradition and the Composition of Mark, JBL 84 (1965) 419.

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Einheit bildet,17 oder ob sie von Anfang an Teil eines größeren Überlieferungskomplexes war,18 läßt sich kaum mit Sicherheit entscheiden; für die hier angestrebte theologische Interpretation spielt diese Frage aber auch nur eine untergeordnete Rolle. R. Pesch meint zwar, »ohne Kenntnis der Grablegungserzählung wären dem Hörer oder Leser fundamentale Erzählvoraussetzungen in 16,1–8 vorenthalten bzw. unverständlich«,19 was letztlich bedeuten würde, daß man die Perikope gar nicht isoliert interpretieren könnte; aber tatsächlich setzt die Grabesgeschichte doch nur voraus, daß der Leser überhaupt von Jesu Tod und Begräbnis weiß. Es ist deshalb jedenfalls nicht unmöglich, Mark 16,1–8 als selbständige Überlieferungseinheit anzusehen und entsprechend zu interpretieren. Drei namentlich genannte Frauen besuchen das Grab des hingerichteten Jesus; sie finden dort einen »Jüngling« und erfahren aus seinem Mund, Jesus sei auferweckt worden. Sie erhalten eine Botschaft, die sie den Jüngern weitergeben sollen; doch sie fliehen entsetzt vom Grabe und bewahren Stillschweigen. Die in Vv. 1–4 geschilderte Handlung ist im Sinne der Intention der Erzählung durchaus folgerichtig: Da der Erzähler – wahrscheinlich aus apologetischen Gründen – ein Interesse daran hat, daß die Frauen zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung der Sabbatruhe an das Grab kommen, muß er für ihren Besuch ein einigermaßen einleuchtendes Motiv nennen; und hier bietet sich im Grunde nur die Absicht an, den Toten unmittelbar nach Sonnenaufgang, d. h. so früh wie möglich, salben zu wollen.20 Der gegen die Logik der Erzählung vorgebrachte Einwand, ein solches Verhalten sei am dritten21 Tag nach der Grablegung schon aus klimatischen Gründen widersinnig,22 übersieht, daß es dem Erzähler ja allein auf dieses eine Ziel ankam.23 Die These, das Salbungsmotiv sei nur im Zusammenhang der vorangegangenen Grablegungsgeschichte verständlich,24 ist keineswegs zwingend und m. E. nicht einmal wahrscheinlich: 16,3 setzt voraus, daß das Begräbnis Jesu als bereits endgültig vollzogen vorgestellt ist; und umgekehrt ist auch in 15,46 nicht angedeutet, die Maßnahmen des Josef von Arimathia hätten lediglich vorläufigen Charakter. 17

So vor allem Bultmann, Geschichte (s. Anm. 5), 311–312. So Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2) und Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 519–521. Beide rechnen damit, daß die Perikope fester Bestandteil der Passionserzählung gewesen ist. 19 Pesch, aaO., 520. 20 Ein einfacher Besuch des Grabes aus Gründen der Pietät wäre zu so früher Morgenstunde jedenfalls weniger wahrscheinlich. 21 Daß zwischen Grablegung und Besuch der Frauen dieser zeitliche Abstand liegt, wird durch die Wendung diagenomeÂnoy toyÄ sabbaÂtoy automatisch angesagt. Es ist vorausgesetzt, daß Jesus nicht am Sabbat gekreuzigt wurde. 22 So E. Klostermann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 51971, 160. 23 Dennoch ist es natürlich zu verstehen, daß Matthäus geändert hat (28,1b). 24 Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 529: »Die Frauen holen gleichsam nach (h Æ goÂrasan aÆrvÂmata), was Josef von Arimatäa unterlassen hat (15,46: aÆgoraÂsaw sindoÂna).« 18

Die Osterbotschaft des Markus

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Mit der formalen Logik kollidiert zweifellos das Gespräch der Frauen (V. 3); aber die in der Tat reichlich spät gestellte Frage, wer denn den Stein wegwälzen könne, dient doch allein dazu, das Wunderbare der dann in V. 4 beschriebenen Tatsache des offenen Grabes nachdrücklich hervorzuheben.25 Markus hat seine Vorlage in Vv. 1–4 offenbar unverändert übernommen; man könnte allenfalls fragen, ob die Namen der Frauen (V. 1) von ihm eingetragen wurden, die Perikope also ursprünglich von namenlosen Frauen erzählte.26 Aber für eine sichere Antwort fehlen die Kriterien; die Beobachtung, daß die in 15,40.47; 16,1 aufgeführten Namen nicht völlig miteinander übereinstimmen, läßt sich jedenfalls in beiden Richtungen interpretieren. Das erste Ereignis am Grab (V. 5) ist das Erschrecken der Frauen. Sie erschrecken aber nicht etwa angesichts des leeren Grabes – von dem ist noch gar nicht die Rede –,27 sondern sie geraten in Entsetzen angesichts eines dort sitzenden weißgekleideten neaniÂskow. Einige Exegeten meinen, dieser neaniÂskow sei derselbe, der nach 14,51–52 bei Jesu Verhaftung »nackt« geflohen war; beide Erzählungen gingen also auf dieselbe Tradition zurück.28 W. Schenk leitet dann daraus die Überlegung ab, die Grabesgeschichte sei ursprünglich überhaupt keine Epiphanieerzählung gewesen; diesen Charakter habe sie erst durch das von Markus eingeführte Verb eÆkuambeÂv erhalten, wodurch aus dem »Jüngling« nun ein »Engel« geworden sei.29 Die Hinweise auf das Entsetzen der Frauen (Vv. 6.8) scheidet Schenk infolgedessen als redaktionell aus.30 Doch für diese Annahme spricht wenig: Das im Ablauf der Erzählung durchaus überraschende Auftauchen des neaniÂskow im weißen Gewand läßt die Grabesgeschichte von vornherein als eine Epiphanieerzählung erscheinen; das Entsetzen der Frauen ist von daher also völlig stilgemäß.31 Die Hypothese eines Zusammenhangs zwischen 14,51–52 und 16,5 entbehrt im übrigen jeder Grundlage. Die Fortsetzung in V. 6 a entspricht dem Stil der Epiphanieerzählung: Der neaniÂskow reagiert auf das Entsetzen der Frauen mit dem beruhigenden mhÁ 25 In Lk 24,2 ist der logische Anstoß beseitigt; zugleich aber ist dadurch der Erzählung auch die Spannung genommen. 26 Das hält sogar R. Pesch, Der Schluß der vormarkinischen Passionsgeschichte und des Markusevangeliums: Mk 15,42–16,8, in: M. Sabbe (Ed.), L’E´vangile selon Marc (s. Anm. 3) 384 für denkbar; vgl. ders., Markus II (s. Anm. 13), 529. 27 Wieder hat Lukas (24,3) »geglättet«. 28 So Hamilton, Resurrection Tradition (s. Anm. 16), 417, und W. Schenk, Der Passionsbericht nach Markus. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Passionstraditionen, Gütersloh 1974, 263–264. 29 Schenk ebenda. 30 Schenk, aaO., 265. 31 Den Charakter der Perikope als Epiphanieerzählung bestreitet auch W. C. Allen, St. Mark 16.8. »They Were Afraid.« Why?, JThS 47 (1946) 46–49 mit der These, das Verb in 16,5 habe gar nichts mit »Erschrecken« oder »Furcht« zu tun, sondern meine »erstaunen, wundern«. Aber diese Interpretation wird schon durch V. 6a widerlegt.

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eÆkuambeiÄsue und mit der Bemerkung ÆIhsoyÄn zhteiÄte, die sein übernatürliches

Wissen zum Ausdruck bringt.32 Zugleich aber gewinnt die Erzählung an dieser Stelle eine neue theologische Dimension: Die Rede, in der der neaniÂskow den Frauen das Schicksal Jesu mitteilt, würde als Hauptsatz formuliert lauten: ÆIhsoyÄw . . . oë NazarhnoÁw oë eÆstayrvmeÂnow hÆgeÂruh, d. h. sie folgt deutlich der Struktur des christlichen Bekenntnisses.33 Das bedeutet zweierlei: Einerseits ist das Bekenntnis als Offenbarung dargestellt, d. h. es verdankt sich nicht sich selbst oder der religiösen Eingebung der Frauen am Grab, sondern einer von außen kommenden Mitteilung;34 andererseits aber ist eben diese Mitteilung so formuliert, daß sie für den Leser keine übernatürlichen Züge enthält: Das, was der neaniÂskow hier als erster ausspricht, ist dasselbe, was die Christen zu allen Zeiten aussprechen: »Jesus, der Gekreuzigte, ist auferweckt.«35 Wichtig für die Interpretation von V. 6b ist das Textgefälle: Die Aussage (ÆIhsoyÄw) hÆgeÂruh steht an der Spitze; erst dann kommt auch das leere Grab in den Î de´ Íide oë Blick – und zwar für den Leser ebenso wie für die Frauen (oyÆk eÍstin v toÂpow ktl.). Die Tendenz ist also nicht: Das Grab ist leer, also ist Jesus auferstanden;36 sondern sie ist gerade entgegengesetzt: Jesus ist auferweckt – er ist nicht hier – das Grab ist also leer.37 Daß diese Darstellung alsbald anstößig erschien, zeigt die Parallele bei Matthäus: In 28,6 begründet der Satz hÆgeÂruh gaÂr die vorangehende Mitteilung oyÆk eÍstin v Î de, während in Mark 16,6 der demonstrative Hinweis auf das leere Grab (iÆde oë toÂpow oÏpoy eÍuhkan ayÆtoÂn) lediglich eine Illustration des vorangegangenen kerygmatischen Satzes (oë eÆstayrvmeÂnow hÆgeÂruh) ist. 32 Daß die Frauen Jesus »suchen«, war ja zuvor nicht gesagt worden. – Das zhtei Äte soll Î de vorbereiten. außerdem offenbar das folgende oyÆk eÍstin v 33 Besonders auffällig ist die Verwendung des Verbs stayroy Ä n, das außerhalb des eigentlichen Kreuzigungsberichts bei Markus nur hier begegnet. 34 Dieser Aspekt ist hervorgehoben bei Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 533: Es werde »die Unerschwinglichkeit des auf Offenbarung beruhenden Glaubens betont«. Vgl. auch L. Schenke, Auferstehungsverkündigung und leeres Grab. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung von Mk 16,1–8 (SBS 33), Stuttgart 1968, 109: V. 6 wolle zeigen, daß der Kirche das Wissen um Jesu Auferstehung »durch göttliche Offenbarung kundgetan worden« sei. 35 Daß dieses Bekenntnis göttlichen Ursprungs ist (s. die vorige Anmerkung), gilt dem Erzähler als evident – entsprechender äußerer Attribute bedarf es gar nicht. 36 Gegen Bultmann, Geschichte (s. Anm. 5), 311: Markus meine, »daß durch das leere Grab die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu erwiesen wird« und gegen E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (KEK I/2), Göttingen 161963, 355: »Weil also das Grab leer ist, darum ist der Schluß einzig möglich und gesichert: Er ist auferstanden.« Richtig gesehen ist das Textgefälle von Wilckens, Auferstehung (s. Anm. 10), 64; Grass, Ostergeschehen (s. Anm. 8), 21; vor allem Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 533: »Die Auferstehungsbotschaft wird keineswegs als Schlußfolgerung aus dem ›leeren Grab‹ vorgetragen, vielmehr die Nichtauffindbarkeit Jesu im Grab als ›Folge‹ seiner Auferweckung (durch Gott) vorgestellt.« 37 Man könnte diese Interpretation mit dem Hinweis auf das häufig begegnende Gesetz des »Achtergewichts« in Frage stellen. Aber von hÆgeÂruh bis Íide oë toÂpow ktl. zeigt sich deutlich eine abfallende und keine aufsteigende Linie.

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V. 6b hat in der neueren Diskussion zu tiefgreifenden Spekulationen Anlaß gegeben. L. Schenke vermutet, der Hinweis auf »die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte«, sei eine strikt ortsgebundene Aussage, »wie sie im oder am leeren Grab Jesu verkündet und bekannt wurde«.38 W. Schenk meint, der Satz sei erst vom Evangelisten eingefügt worden, d. h. »die ursprüngliche Perikope kannte weder das leere Grab, noch berief sie sich darauf«; vielmehr gelte: »Markus muß als sein Erfinder angesprochen werden.«39 Aber beide Überlegungen sind unbegründet: Die ganze Erzählung setzt – gegen Schenk – auch unabhängig von V. 6b voraus, daß das Grab leer ist, der Leichnam Jesu also fehlt; der ausdrückliche Hinweis auf den toÂpow hat dann aber die Funktion einer bestätigenden Demonstration, ist im Kontext der Epiphanieerzählung also durchaus stilgemäß.40 Es ist deshalb kaum anzunehmen, daß hinter dieser Aussage eine gleichsam aktuelle Proklamation steht, die, wie Schenke meint, ursprünglich »ganz ortsgebunden« gewesen wäre.41 Die Erzählung setzt mit V. 6 eindeutig voraus, daß das Grab, das die Frauen am Morgen nach dem Sabbat besuchen, tatsächlich leer ist. Aber ebenso eindeutig erkennt der Leser, daß dieses Faktum für den Erzähler lediglich sekundäre Bedeutung besitzt: Der Hinweis auf das leere Grab tritt zum Bekenntnis hinzu, setzt es also voraus, und ist nicht etwa dessen Grundlage. Offenbar war sich der Erzähler der Tatsache bewußt, daß das leere Grab für sich genommen in unterschiedlichster Weise hätte verstanden, und d. h. vor allem: mißverstanden werden können; die späteren apologetisch motivierten Legenden (vgl Matt. 28,11–15 und vor allem das Petrus-Evangelium) sind dafür ein deutlicher Beweis. Die Erzählung Mark 16,1–8 beugt dieser Gefahr von vornherein vor, indem sie den Hinweis auf das leere Grab formal und in der Sache der kerygmatischen Proklamation der Auferweckung nachordnet. »Der Gekreuzigte ist auferweckt« – mit diesem Satz könnte die Perikope und zugleich auch das ganze Evangelium durchaus als abgeschlossen gelten. Dennoch leuchtet ein, daß eine Fortsetzung folgt: Der Proklamation des Bekenntnisses schließt sich die Aufforderung an, es weiterzusagen. Der Befehl yëpaÂgete eiÍpate ktl. entspricht von daher durchaus dem logischen Ablauf der Erzählung und braucht nicht als redaktionell angesehen zu werden.42 Der Inhalt der Botschaft, die die Frauen weitersagen sollen, ist aber dann doch überraschend: Sie sollen den

38 Schenke, Auferstehungsverkündigung (s. Anm. 34), 80. Vgl. aber immerhin Schenke, aaO., 105: »Ohne Verbindung mit dem Offenbarungswort bleibt das Zeichen [sc. das leere Grab] dunkel.« 39 Schenk, Passionsbericht (s. Anm. 28), 266. 40 Der Erzähler hätte auch formulieren können: »Und sie sahen die Stelle. . .«; aber es ist m. E. kein Zufall, daß die Schilderung der Situation lediglich in der Rede des neaniÂskow erfolgt. 41 Schenke, Auferstehungsverkündigung (s. Anm. 34), 86. 42 Merkwürdig ist allenfalls das V. 7 eröffnende a Æ llaÂ; man würde eher eine konsekutive Konjunktion (etwa oyËn) erwarten. Aber der adversative Charakter von aÆlla darf wohl auch nicht gepreßt werden.

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Jüngern und Petrus43 eine Erscheinung Jesu in Galiläa ankündigen und sie auffordern, dorthin zu gehen, wohin er ihnen »vorangeht«. Einfacher wäre es jedenfalls, wenn den Frauen gesagt würde, sie sollten die Jünger zum Grab führen, damit auch sie »die Stelle sehen, wo man ihn hingelegt hatte«.44 Wenn aber dieser doch sehr naheliegende Gedanke in Mark 16,7 gerade nicht ausgesprochen ist, so scheint dahinter eine bestimmte theologische Absicht zu stehen: Offenbar will der Erzähler den Blick des Lesers vom Grab weglenken; nicht das Grab soll im Mittelpunkt der Auferstehungsbotschaft stehen, sondern jener Ort, wo man Jesus als den Auferstandenen »sieht« – und das ist für die hier erhaltene Tradition Galiläa. Der Erzähler von Mark 16,7 weiß also von Erscheinungen oder jedenfalls von einer Erscheinung in Galiläa. Ä w eiÆw thÁn GalilaiÂan´ eÆkeiÄ Mit der an die Jünger gerichteten Botschaft proaÂgei yëma ayÆtoÁn oÍcesue, kauvÁw eiËpen yëmiÄn ist dreierlei impliziert: Einmal soll den Jüngern auf diese Weise gesagt werden, daß Jesus auferstanden ist; denn nur der Auferstandene kann nach Galiläa »gehen« und dort »gesehen« werden. Zum zweiten wird betont, daß das dort bevorstehende »Sehen« Jesu eigener Ankündigung entspricht, d. h. der Erzähler weiß von entsprechenden Aussagen Jesu.45 SchließÄ w ktl. zum Ausdruck gelich wird drittens durch die Formulierung proaÂgei yëma bracht, daß die Jünger sich in Galiläa als Gemeinde versammeln sollen,46 d. h. diese Tradition setzt die Existenz einer galiläischen »Urgemeinde« voraus.47 In der Forschung wird überwiegend die Ansicht vertreten, V. 7 sei nicht Bestandteil der vormarkinischen Tradition, sondern redaktionelle Bildung des Evangelisten. In der Tat ist diese Annahme dann zwingend, wenn man annimmt, 16,8 sei nicht der ursprüngliche Schluß des Evangeliums. V. 7 hätte dann die Funktion, die auf V. 8 folgenden in Galiläa lokalisierten Erscheinungsberichte mit der Grabesgeschichte zu verknüpfen.48 Endete aber das Evangelium immer schon mit 16,8, so muß V. 7 zumindest in der Tendenz als integrierender Bestandteil der Perikope betrachtet werden: Erstens besitzt die Aufforderung eiÍpate toiÄw mauhtaiÄw ayÆtoyÄ ktl. geradezu die Funktion eines Verkündigungsauftrags, der in 43 Die gesonderte Erwähnung des Petrus entspricht der gemeinchristlichen Tradition; vgl. vor allem 1 Kor 15,5; Lk 24,34. 44 Vgl. Joh 20,1–2. 45 Im Kontext des Markus-Evangeliums ist natürlich an 14,28 und darüberhinaus wohl auch an die Leidens- und Auferstehungsweissagungen gedacht. 46 Nur unter dieser Voraussetzung läßt sich die Stelle sinnvoll interpretieren. Es kann jedenfalls nicht gemeint sein, die Jünger sollten sich nach Galiläa begeben, dort den Auferstandenen sehen und dann sogleich nach Jerusalem zurückkehren, um hier eine Gemeinde zu gründen. Vgl. auch Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 534, der diese Interpretation allerdings an die Hypothese bindet, daß 16,7 zur selben vormarkinischen Quelle gehört wie Mk 14,27 f. 47 Das bedeutet nicht, daß Galiläa hier »propagiert« werden soll. M. R. urteilt L. Brun, Die Auferstehung Christi in der urchristlichen Überlieferung, Oslo 1925, 19: Hinter der Erwähnung Galiläas steht kein »besonderes Interesse der Tradenten«, sondern »einfach eine gegebene Kunde«. 48 So z. B. Bultmann, Geschichte (s. Anm. 5), 309–311.

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den Kontext der Epiphanieerzählung unmittelbar hineingehört. Zweitens läßt sich umgekehrt kein Motiv dafür finden, weshalb Markus in eine Erzählung, in der ursprünglich überhaupt nicht von Erscheinungen die Rede gewesen wäre, eine derartige auf Galiläa bezogene Ankündigung eingefügt haben sollte.49 Markus hat zwar die Wirksamkeit des irdischen Jesus überwiegend (jedoch keineswegs ausschließlich) nach Galiläa gelegt; aber das ist kein hinreichender Grund für die Annahme, er müsse auch den Auferstandenen unbedingt mit Galiläa in Verbindung gebracht haben.50 Dies wäre allenfalls dann zu erwägen, wenn Markus tatsächlich von Erscheinungen und also von der Bildung einer (bzw. der) Urgemeinde in Galiläa berichten würde.51 Mit einem ganz anderen Argument wollten E. Lohmeyer und dann zunächst auch W. Marxsen V. 7 als redaktionell erweisen: Das in V. 7 erwähnte »Sehen« des Auferstandenen beziehe sich nicht auf dessen Epiphanie, sondern auf seine Parusie.52 Nach Lohmeyer hätte Markus also sein Evangelium mit »der himmlischen Ankündigung der Parusie des Herrn« enden lassen wollen,53 während Marxsen meinte, in V. 7 zeige sich die aktuelle Situation des Evangelisten, der während des Jüdischen Krieges die Gemeinde auffordere, nach Galiläa zu ziehen, um dort Jesu Parusie zu erwarten.54 Inzwischen hat Marxsen seine These ein Stück weit revi49 Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2), 382 nennt ein mögliches Motiv: Markus wisse um »die fehlende Fortsetzung seines Evangeliums« und wolle deshalb »seine Leser, die über den fehlenden Markusschluß nicht weniger erstaunt gewesen sein dürften als wir, auf das Faktum der in den fehlenden Berichten erzählten Ereignisse« hinweisen. Doch diese These erklärt weder, warum Markus gerade auf Galiläa hinweist, noch, warum er das »Faktum« nicht als geschehen anzeigt, sondern sich darauf beschränkt, es anzukündigen. 50 Dieser Einwand gilt auch gegenüber der These, Markus habe die Konzentration der Kirche auf Jerusalem mißbilligt (so Schenke, Auferstehungsverkündigung [s. Anm. 34], 51 A 71) bzw. die Gründung der Urgemeinde in Jerusalem vollkommen abgelehnt (so B. Steinseifer, Der Ort der Erscheinungen des Auferstandenen. Zur Frage alter galiläischer Ostertraditionen, ZNW 62 (1971) 255 f. Würde der Evangelist sich dann mit einer so vorsichtigen Andeutung seiner Kritik begnügt haben? 51 Steinseifer hält es für sicher, daß Markus keine galiläischen Erscheinungstraditionen gekannt hat, »denn die hätten ja ausgesprochen gut in sein Konzept gepaßt«; eine entsprechende Jerusalemer Tradition, sofern er sie überhaupt kannte, hätte er nach Meinung Steinseifers jedenfalls bewußt unterdrückt (vgl. die vorige Anmerkung). – Die Möglichkeit, daß Markus eine Erscheinungserzählung selbst hätte formulieren können, erwägt Steinseifer nicht. 52 Lohmeyer, Markus (s. Anm. 36), 356: »Sehen« sei in 16,7 ebenso zu verstehen wie in 14,62; vgl. 13,26; 9,1. Vgl. W. Marxsen, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums (FRLANT 67), Göttingen 21959, 74. 53 Lohmeyer, Markus (s. Anm. 36), 359: »Könnte es einen Schluß dieses Werkes geben, der dem Inhalt des Evangeliums und dem ältesten urchristlichen Glauben reiner entspräche?« Zur Kritik vgl. W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigung Jesu (AThANT 6), Zürich 1945, 44 f. 54 Marxsen, Evangelist (s. Anm. 52), 74. Er erwägt (aaO., 75 f.), zwischen 16,7 und der von Euseb (Hist. Eccl. III 5,3) berichteten Flucht der Gemeinde nach Pella bei Ausbruch des Jüdischen Krieges könne ein Zusammenhang bestehen. Modifiziert findet sich diese These dann bei Hamilton, Resurrection Tradition (s. Anm. 16), 421: Nach der Zerstörung Jerusalems sei die Gemeinde gezwungen gewesen, die Parusie außerhalb der Stadt zu erwarten.

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diert;55 er hält jedoch weiterhin daran fest, daß V. 7 redaktionell sei und sich nicht auf Erscheinungserzählungen im traditionellen Sinne beziehe.56 Die einfachste Erklärung bleibt m. E. die Annahme, daß V. 7 zu der Markus vorgegebenen Überlieferung gehört; man kann allerdings fragen, ob die Wendung kauvÁw eiËpen yëmiÄn auf Markus selbst zurückgeht, der damit eine direkte Anknüpfung an 14,27–28 herstellen wollte.57 Aber ein sicheres Urteil läßt sich nicht fällen. Der abschließende V. 8 paßt zunächst ebenfalls ganz in den Rahmen der erzählten Handlung: Die Frauen fliehen entsetzt angesichts der ihnen widerfahrenen Epiphanie. troÂmow kaiÁ eÍkstasiw sind natürlich nicht die Reaktion auf den Inhalt der Botschaft von Vv. 6.7;58 das Entsetzen ist auch nicht, wie M. Hengel meint, Reaktion auf das leere Grab, das die Verzweiflung der Frauen über den Tod Jesu nur noch verstärkt habe:59 »Wenn das leere Grab in der Urgemeinde bei der Bezeugung der Auferstehung Jesu keine wesentliche Bedeutung hatte, so hängt dies eben damit zusammen, daß die Entdeckung desselben bei den Frauen zunächst nicht Freude, sondern Entsetzen hervorgerufen hatte, daß es nicht zu einem Zeichen des Glaubens sondern des Unglaubens geworden war.«60 Vielmehr knüpft die Wendung eiËxen. . .ayÆtaÁw troÂmow kaiÁ eÍkstasiw an Vv. 5b.6a (eÆkuambeiÄsuai) an, ist also für die Epiphanieerzählung durchaus stilgemäß. Dem entspricht schließlich auch der am Schluß genannte Grund, weshalb die Frauen »niemandem etwas sagen«: Die Aussage eÆfoboyÄnto gaÂr paßt zu troÂmow kaiÁ eÍkstasiw, gehört also zum Stil der Erzählung und ist ein angemessener Perikopenschluß. Aber ist V. 8 auch als Schluß des ganzen Evangeliums »angemessen«? Wenn hier nicht nur die Grabesperikope schließt, sondern wenn mit dem Hinweis auf das Schweigen der einzigen Osterzeugen das Evangelium insgesamt endet, dann ist doch die Frage zwingend, ob ein solcher Schluß eigentlich theologisch sinnvoll ist oder nicht. Was bedeutet es, wenn in V. 7 die Frauen beauftragt werden, den Jüngern eine überaus bedeutsame Botschaft auszurichten, und wenn es dann sogleich anschließend und endgültig heißt, daß sie niemandem etwas davon sagen? Die Seitenreferenten haben hier massiv korrigiert (Matt. 28,8b; Luk. 24,9), 55 W. Marxsen, Einleitung in das Neue Testament. Eine Einführung in ihre Probleme, Gütersloh 41978, 144. 56 Marxsen, Einleitung (s. die vorige Anm), 145 sieht V. 7 jetzt eher symbolisch: »Der Auferstandene ist der Gemeinde (immer schon) nach ›Galiläa‹ vorausgegangen . . . Immer dort und immer dann, wenn sie seinen Weg geht, geschieht geheime Epiphanie. Dabei ›sieht‹ man Jesus.« 57 Anders Pesch. 58 Allen, St. Mark 16,8 (s. Anm. 31), 47, will e Í kstatiw mit »astonishment« übersetzen. Vgl. dagegen D.-A. Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums (BZNW 42), Berlin 1975, 29, und Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 535. 59 Hengel, Maria Magdalena (s. Anm. 6), 253; er meint, darin spiegele sich die historische Situation nach der Kreuzigung Jesu getreu wider. 60 Hengel, aaO., 254 (Hervorhebung von mir; Hengel rechnet mit einer Fortsetzung des Evangeliums über 16,8 hinaus).

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und auch moderne Exegeten halten es für unerträglich, V. 8 im Wortsinn stehen zu lassen.61 Die meisten Ausleger nehmen an, der Hinweis auf das Schweigen der Frauen solle nachträglich den Primat der Jünger für die Osterverkündigung sichern. So meint H. Graß, V. 8 unterstreiche »die Selbständigkeit der apostolischen Zeugen«: »Nicht durch das Gerede von Frauen«, so meine der Erzähler, »ist der Osterglaube angeregt worden und entstanden, sondern durch Erfahrungen, die glaubwürdige Männer, völlig unbeeinflußt von Frauengeschwätz, in den Ostertagen machten«.62 H. v. Campenhausen vermutet, V. 8 solle die Jünger davor schützen, in den Hintergrund gedrängt zu werden63 – eine Deutung, die ähnlich auch U. Wilckens64 und zuletzt R. Pesch65 vertreten. Campenhausen meint außerdem, in V. 8 könne ja nur gemeint sein, daß die Frauen zunächst geschwiegen hätten: »Spätestens das Bekanntwerden der galiläischen Erscheinungen und die Entstehung der glaubenden Gemeinde muß ihnen dann doch die Zunge gelöst haben.«66 Derartige Deutungen übersehen, daß die Frauen in der Perikope insgesamt sehr positiv gesehen werden,67 während von den Jüngern ja nur indirekt die Rede ist; sie setzen außerdem voraus, daß V. 8 eben doch nicht das letzte Wort des Evangelisten sein könne. Es ist aber durch nichts angedeutet, daß später doch noch die Jünger die ersten Träger der Osterverkündigung geworden seien; der Text sagt auch nicht, daß die Frauen ihr Schweigen später aufgegeben oder gar, wie K. Aland meint,68 den Jüngern gegenüber von Anfang an überhaupt nicht geschwiegen hätten. Natürlich ist dies logisch vorausgesetzt; aber wenn Markus davon gerade nicht ausdrücklich spricht, wenn er die ihm vorgegebene Erzählung unverändert, und d. h. insbesondere: ohne eine V. 7 ausfüllende Ergänzung, übernahm und ihr eine sehr exponierte Stelle in seinem 61 Vgl. Aland, Schluß (s. Anm. 3), 465: Die Frauen schwiegen »selbstverständlich nicht den Christen, sondern den Außenstehenden gegenüber«; die Fortsetzung der Perikope bei Matthäus setze »das in Mark. Angelegte fort«. 62 Grass, Ostergeschehen (s. Anm. 8), 22. Ähnlich schon L. Brun, Der Auferstehungsbericht des Markusevangeliums, ThStKr 87 (1914) 385 und O. Linton, Der vermißte Markusschluß, ThBl 8 (1929) 231. 63 H. von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab (SAH), Heidelberg 31966, 39. Er räumt aber ein, daß dieser Aspekt nicht deutlich erkennbar sei. 64 Wilckens, Auferstehung (s. Anm. 10), 52 f.: V. 8 bringe zum Ausdruck, daß erst die Erscheinung des Auferstandenen zur Verkündigung ermächtige: Petrus – und eben nicht die Frauen – habe als erster die Botschaft verstanden. 65 Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 536: Durch den gewollten Widerspruch zwischen V. 7 und V. 8 erreiche der Erzähler »die Relativierung der Rolle der Frauen und die Wahrnehmung der Rolle der Jünger als der primären Botschafter der Auferstehung Jesu«. 66 Campenhausen, Ablauf (s. Anm. 63), 27 (ähnlich schon L. Brun, Bemerkungen zum Markusschluß, ThStKr 84 [1911] 168 f.). Campenhausen sieht hinter V. 8 überdies noch ein apologetisches Motiv (aaO., 37): Markus könne auf diese Weise zeigen, daß die Jünger mit dem leeren Grab überhaupt nichts zu tun gehabt hätten, der Vorwurf des Diebstahls der Leiche Jesu (Mt 28,11–15) mithin gegenstandslos sei. 67 Vgl. dazu den oben genannten Aufsatz von Hengel. 68 S. oben Anm. 61.

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Evangelium zuwies, dann ist gewiß nicht anzunehmen, daß die von ihm damit verbundene theologische Intention hinter oder neben dem Text gesucht werden muß. Die redaktionsgeschichtliche Interpretation von Mark 16,1–8 muß davon ausgehen, daß V. 8 der vom Evangelisten beabsichtigte Schluß seines Buches ist und daß hinter der damit hervorgerufenen Spannung zwischen V. 7 und V. 8 eine theologische Absicht steht. Dieser Forderung wollen M. Dibelius und B. Steinseifer gerecht werden, indem sie hinter der auffälligen Stellung des V. 8 markinische Apologetik vermuten. Dibelius, ähnlich dann auch H. Graß und S. Schulz, sieht vor allem ein ätiologisches Motiv: Der Evangelist wolle einen Grund dafür angeben, »warum man bisher nichts vom leeren Grabe gewußt habe« – nämlich deshalb, weil die Frauen gar nichts davon erzählt haben.69 Diese Interpretation ist sehr unwahrscheinlich: Sollte Markus den letzten Satz seiner Vorlage tatsächlich nur deshalb zum Schlußsatz seines Evangeliums gemacht haben, um die Tradition vom leeren Grab in den christlichen Legendenschatz einzuführen? Und überdies: Kann man die Formulierung oyÆdeniÁ oyÆdeÁn eiËpan überhaupt allein auf das leere Grab beziehen, wie Dibelius es offenbar will? Diese Bemerkung umfaßt doch offenkundig den ganzen zuvor geschilderten Vorgang, d. h. es ist nicht nur an das leere Grab, sondern auch und wohl in erster Linie an die Botschaft des Engels (Vv. 6.7) gedacht.70 Steinseifer, der hinter V. 7 markinische Kritik an der Jerusalemer Urgemeinde sieht,71 versteht V. 8 apologetisch: Der Evangelist wolle erklären, warum die Jünger entgegen dem ausdrücklichen Befehl des Auferstandenen nicht nach Galiläa gegangen, sondern in Jerusalem geblieben seien – sie wußten gar nichts von diesem Befehl.72 Aber diese Deutung erledigt sich, da V. 7 einschließlich des Hinweises auf Galiläa der Tradition und nicht dem Evangelisten zuzurechnen ist.73

IV Der literarisch gesehen zweifellos abrupte Schluß des Markus-Evangeliums geht nicht auf apologetische bzw. ätiologische Motive des Evangelisten zurück und schon gar nicht auf sein erzählerisches Unvermögen; sondern dahinter steht eine theologische bzw. christologische Absicht, die mit der Auferstehungsverkündigung des Markus insgesamt zusammenhängt. Um dies zu verdeutlichen, sind in 69 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 31966, 162. Vgl. Grass, Ostergeschehen (s. Anm. 8), 22 und sehr pointiert S. Schulz, Die Stunde der Botschaft. Einführung in die Theologie der vier Evangelisten, Hamburg 21970, 141. 70 Vgl. Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2), 385. 71 S. o. Anm. 50 u. Anm. 51. 72 Steinseifer, Ort (s. Anm. 50), 255. 73 S. oben 144–146.

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aller Kürze diejenigen Texte im Evangelium zu untersuchen, wo von der Auferstehung Jesu die Rede ist. (1) In den Leidensankündigungen heißt es jeweils abschließend, der Menschensohn werde »nach drei Tagen auferstehen«. Die Aussagen sind futurisch formuliert (8,31: deiÄ. . .metaÁ treiÄw hëmeÂraw aÆnasthÄnai; 9,31; 10,34: metaÁ treiÄw hëmeÂraw aÆnasthÂsetai), wie es ihrer Stellung im Evangelium entspricht: Jesus kann sein Leiden und seine Auferstehung selbstverständlich nur als bevorstehendes Ereignis ansagen. Der Leser aber sieht sich damit spätestens von 8,31 an der Botschaft von der Auferstehung Jesu konfrontiert – doch diese Botschaft wird ihm nicht als Information über eine geschehene Tatsache mitgeteilt, sondern er erfährt sie im Modus der Verheißung. Zugleich macht Markus durch seine Redaktion deutlich, daß für ihn das Gewicht nicht primär auf der Auferstehungsankündigung liegt, sondern auf dem mit dieser verbundenen Wort vom Leiden. In offensichtlich exemplarischer Weise wehrt er in 8,32–33 ein Mißverständnis der Auferstehungsbotschaft ab, das diese vom Leiden trennen will. Insgesamt dreimal noch wird dann die Auferstehungsankündigung durch Hinweise auf die Leidensnachfolge gleichsam interpretierend überlagert (8,34–9,1; 9,33–37; 10,35–40), wodurch Markus deutlich macht, daß Jesus auch und gerade als der Auferstandene der Leidende ist. Die Hinweise auf die Leidensnachfolge bewahren vor dem Mißverständnis, die Auferstehung sei eine Überwindung des Leidens. (2) In ähnlicher Weise wird dies auch in der Verklärungsgeschichte 9,2–13 sichtbar: Der »Verklärung« Jesu und seiner Proklamation als Gottessohn folgt in 9,9 zunächst das Schweigegebot.74 In V. 10 läßt Markus75 dann die Jünger fragen: ti eÆstin toÁ eÆk nekrv Ä n aÆnasth Ä nai; und in dem angefügten Gespräch über Elia (9,11–13) wird über den Menschensohn gesagt, daß er pollaÁ paÂuhì kaiÁ eÆjoyuenhuh Äì. Hier zeigt sich, wie Markus »Auferstehung« verstanden wissen will: Die Verklärung Jesu hält er offenbar für vieldeutig, sonst würde er nicht die Frage nach der Auferstehung angeschlossen haben; diese Frage aber findet ihre jedenfalls indirekte Antwort im Hinweis auf das Leiden (V. 13). Zugleich ist V. 10 aber auch ein Vorverweis auf das Schlußkapitel, wo die hier gestellte Frage explizit 74 G. Strecker, Die Leidens- und Auferstehungsvoraussagen im Markusevangelium (Mk 8,31; 9,31; 10,32–34), ZThK 64 (1967) 38, meint im Anschluß an W. Wrede, die in V. 9 ausgesprochene zeitliche Befristung bedeute, daß für Markus das Messiasgeheimnis nach Ostern aufgehoben sei: »Die Verborgenheit gilt bis zur Erfüllung, danach ist sie aufgehoben, die Jünger verstehen nun, und öffentliche Kundmachung der Messianität ist erlaubt.« Tatsächlich steht für Markus fest, daß Jesus nachösterlich als der Christus bekannt wird (vgl. schon 1,1); aber da ja das ganze Evangelium selbst nachösterlich ist, wäre es falsch, anzunehmen, der Evangelist wolle mit dem Messiasgeheimnis auf einen historisch längst überholten Sachverhalt aufmerksam machen. Vielmehr gilt die theologische Intention des Motivs nach Ostern unverändert weiter, wie insbesondere die Tatsache zeigt, daß der Auferstandene im Evangelium eben nicht in Erscheinung tritt. 75 Mk 9,10 ist nach Bultmann, Geschichte (s. Anm. 5), 358, redaktionell (ebenso z. B. E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus [NTD 1], Göttingen 1967, 105); anders Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 78.

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beantwortet wird: Die Auferstehung, nach der in 10,10 gefragt ist, wird nach 16,6.7 erfahrbar im Hören auf das Wort, daß der Gekreuzigte auferweckt ist. Markus versieht also auch die Erzählung von der Verklärung mit einer theologischen »Korrektur« im Sinne der Leidenschristologie; das von ihm offenbar befürchtete Mißverständnis, es sei möglich, unmittelbar Zugang zum erhöhten Christus zu gewinnen, wird durch seine Redaktion nachdrücklich zurückgewiesen.76 W. Schmithals hat in diesem Zusammenhang eine Hypothese aufgestellt, auf die hier wegen ihrer möglichen weitreichenden Konsequenzen näher einzugehen ist. Er vermutet, die Verklärungsgeschichte (9,2–8) sei ursprünglich eine Ostererzählung, und zwar ein Erscheinungsbericht, gewesen.77 In der dem Markus vorliegenden Quelle78 sei dieser Bericht unmittelbar auf die Grabesgeschichte (16,1–8) gefolgt; der in 9,2 erwähnte Zeitraum von sechs Tagen habe sich auf das in 16,8b berichtete Schweigen der Frauen bezogen, das andauere, »bis Jesus selbst, dem damit die alleinige Initiative bleibt, sich nach sechs Tagen offenbart«.79 Gegen diese Hypothese80 sind erhebliche Bedenken geltend zu machen: (a) Schmithals greift bei der Rekonstruktion der dem Markus vorliegenden Quelle mehrfach auf die Parallelen (Matt. 17,1–8; Luk. 9,28–36) zurück, weil er annimmt, die Seitenreferenten hätten die vormarkinische Quelle noch gekannt und benutzt.81 Gegen eine solche – von Schmithals durchaus beabsichtigte – Modifizierung der Zwei-Quellen-Theorie82 ist prinzipiell zunächst gar nichts einzuwenden; man vermißt aber eine Erklärung dafür, warum weder Matthäus noch Lukas in ihren Ostererzählungen irgendetwas von ihrer Kenntnis des vormarkinischen Osterberichts verraten.83 (b) Schmithals nimmt an, in 9,9 sei ursprüng76 Das betont m. R. U. B. Müller, Die christologische Absicht des Markusevangeliums und die Verklärungsgeschichte, ZNW 64 (1973) 191. 77 Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2). Vgl. schon Bultmann, Geschichte (s. Anm. 5), 278 und die dort genannte ältere Literatur. 78 Die vormarkinische Quelle umfaßte nach Schmithals die Abschnitte Mark 16,1–8; 9,2–8; 3,13–19 und 16,15–20 (den rekonstruierten Text bietet Schmithals, Markusschluß, 408 f.). 79 Schmithals, Markusschluß, 386. Die ursprüngliche Formulierung habe gelautet: »Nach sechs Tagen erschien Jesus dem Simon und führte ihn auf einen hohen Berg.« 80 Ich beschränke mich hier auf eine Kritik der Mk 9,2–8 betreffenden Analyse von Schmithals. 81 Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2), 389. 392. Seiner Meinung nach kannten aber nicht nur Matthäus und Lukas diese Quelle, sondern auch der spätere Redaktor des Markus-Evangeliums, der den Abschnitt 16,9–20 sekundär anfügte und dabei 16,15–20 jener Quelle entnahm (aaO., 404 f.). Schmithals vermutet schließlich sogar, daß selbst der Verfasser des 2 Petr die Verklärungsgeschichte noch in ihrer ursprünglichen Gestalt als Ostererzählung gekannt habe (aaO., 396): Der Verfasser habe in 1,16–18 die ursprünglich berichtete Erscheinung vor Petrus allein (s. o. Anm. 79) ebenso wie Markus sekundär in eine Erscheinung vor mehreren Jüngern umgeformt (2 Ä w) – m. E. eine für Pseudo-Petrus sehr schwer vorstellbare Korrektur seiner Quelle. Petr 1,18: hëma Ist es nicht doch einfacher anzunehmen, der Verfasser des 2 Petr habe sich in 1,16–18 auf einen der synoptischen Texte bezogen? 82 Schmithals, Markusschluß, 411. 83 Schmithals setzt den folgenden Überlieferungsprozeß voraus: Matthäus und Lukas haben

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lich die Proklamation des Auferstandenen zum Gottessohn ausgesagt worden; das würde bedeuten, daß in der Quelle die durchaus nicht kongruenten christologischen Formulierungen von 16,6 (ÆIhsoyÄw. . .hÆgeÂruh) und von 9,7 (oyÎtoÂw eÆstin oë yiëoÂw moy) unmittelbar aufeinander gefolgt wären, was kaum vorstellbar ist.84(c) Schmithals selbst weist auf den Zusammenhang von 9,7 und 1,11 hin und führt beide Texte auf dieselbe Quelle zurück. Aber in die Reihe der GottessohnAussagen gehört ja auch 15,39 – nach Schmithals ebenfalls Bestandteil der vormarkinischen Quelle.85 Zwischen 1,11; 9,7 und 15,39 besteht aber ein deutlicher Zusammenhang, wobei die letzte Textstelle den Höhepunkt darstellt; diese Kette wäre zerstört, wenn nicht 15,39, sondern 9,7 am Schluß gestanden hätte.86 Es ist aus diesen Gründen unwahrscheinlich, daß die Verklärungsgeschichte im Zuge einer vormarkinischen Quelle wirklich die Fortsetzung der Grabesgeschichte gewesen ist; die von Schmithals hypothetisch rekonstruierte Quelle hat vermutlich nicht existiert,87 und das bedeutet, daß uns der Inhalt der dem Markus bzw. seiner Tradition bekannten Erscheinungserzählung(en) unbekannt bleibt. (3) Auch in 14,28 ist von der Auferstehung Jesu die Rede. Es sieht auf den ersten Blick so aus, als unterbreche V. 28 den glatten Gedankengang in Vv. 27/29,88 und deshalb nehmen viele Exegeten an, der Vers gehe auf die Redaktion des Evangelisten zurück;89 aber diese Konsequenz ist methodisch fragwürdig: Warum werden sprachliche Ungeschicklichkeiten stets dem Evangelisten angelastet? V. 28 bezieht sich unmittelbar auf die vorangegangene Aussage, daß die Jünger alsbald »in Verwirrung geraten« würden wie Schafe ohne Hirten; denn er enthält die diese Bedrohung der Gemeinde90 aufhebende Verheißung, Jesus werbeide die markinische Verklärungsgeschichte als Teil der ursprünglichen vormarkinischen Osterquelle erkannt und sie mit Hilfe dieser Quelle modifiziert. In ihren eigenen Ostererzählungen (Grabesgeschichte, Erscheinungsberichte, Missionsbefehl) nahmen sie dagegen auf diese Osterquelle keinerlei Bezug – m. E. eine überaus unwahrscheinliche Hypothese. 84 Man kann nicht einwenden, die Aussage von 16,6 sei ja nur den Frauen bekannt geworden, und deshalb habe es einer erneuten Proklamation, diesmal dem Petrus gegenüber (9,7), bedurft. Dem Leser, an den sich das Ganze doch wohl gerichtet hätte, waren beide Aussagen bekannt. 85 Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2), 383. 86 Die Richtigkeit der These Schmithals’ vorausgesetzt, würde sich folgende Tendenz zeigen: (a) Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns in aller Öffentlichkeit; (b) Offenbarung der Richtigkeit dieses Bekenntnisses an die Frauen; (c) Information an Petrus über denselben Sachverhalt. 87 Unabhängig von diesem Urteil halte ich zahlreiche Einzelheiten der theologischen Interpretation der Verklärungsgeschichte und ihrer markinischen Redaktion bei Schmithals für überzeugend. 88 Es ist eigentlich erstaunlich, daß nur ein – noch dazu sehr abgelegener – Textzeuge, nämlich das sog. Fajjum-Fragment (vgl. E. Hennecke/W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen. I. Band. Evangelien, Tübingen 31959, 74), den Vers gestrichen hat. 89 So z. B. Campenhausen, Ablauf (s. Anm. 63), 37 Anm. 147, der 16,7 dann durchaus konsequent für traditionell hält. Nach Schmithals, Markusschluß (s. Anm. 2), 381, sind sowohl 14,28 als auch 16,7 redaktionell, weil sie »ohne einsichtigen Sinn einen unlösbaren Erzählfaden« unterbrächen. 90 V. 27 für sich genommen wäre eine Aussage über das Ende der Gemeinde noch vor ihrer Konstituierung.

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de vorangehen nach Galiläa, er werde also selbst die Gemeinde sammeln und die Gefährdung der Jünger beenden.91 Es ist deshalb wahrscheinlich, daß auch 14,28 (ebenso wie 16,7) zur Tradition gehört und daß diese Tradition Berichte von Erscheinungen Jesu in Galiläa gekannt hat. (4) Wichtig für die markinische Christologie ist schließlich 14,61–62, wo zwar nicht direkt, aber doch implizit von der Auferstehung Jesu die Rede ist: Der angekündigte kommende Menschensohn ist ja der auferstandene Christus. Es ist aber gerade dieses Selbstbekenntnis zu seiner Hoheit, das Jesus in den Tod führt,92 d. h. Markus rückt an dieser Stelle in besonders eindeutiger Weise die Christologie in den Horizont der Passion, und er bewahrt so die Auferstehungsbotschaft davor, im Sinne einer »theologia gloriae« mißverstanden zu werden.93

V Vor diesem Hintergrund kann nun verständlich werden, warum Markus sein Evangelium mit der Ankündigung von Erscheinungen des Auferstandenen abgeschlossen und die entsprechenden Erzählungen offenbar absichtlich verschwiegen hat. Die in ihrem Wortlaut von Markus praktisch unverändert übernommene Grabesgeschichte erweist sich durch die exponierte Stellung, die sie durch die Redaktion erhielt, als das eigentliche und einzige Osterzeugnis des Evangelisten. Denn jetzt erscheint das Wort des neaniÂskow an die Frauen (V. 6) als der authentische und endgültige Ursprung der Osterbotschaft; in der Aussage ÆIhsoyÄw hÆgeÂruh, mit der zum ersten und einzigen Mal bei Markus von Jesu Auferweckung als von einem geschehenen Ereignis die Rede ist, steckt für Markus offenbar alles, was im Kontext seiner Christologie über Ostern überhaupt gesagt werden konnte. Der, dessen Leiden und Sterben vom Evangelisten durch den Aufriß seines Buches immer deutlicher ins theologische Zentrum des »Evangeliums« gerückt wurde, ist damit ein für allemal als der bezeugt, der auferweckt, d. h. von Gott angenommen worden ist. 91 Die Antwort des Petrus in 14,29 ist dann durchaus vergleichbar mit dem in 8,32 dargestellten Verhalten: Er bedarf des vorangehenden Jesus nicht, da er glaubt, ungefährdet zu sein. 92 14,61 f. gehören ebenso wie dann noch stärker 15,39 in den theologischen Kontext des Messiasgeheimnisses: Im Verhör und unter dem Kreuz kann Jesu Messianität nicht mehr mißverstanden werden. 93 Schulz, Stunde (s. Anm. 69), 76, versteht Markus gerade als Verfechter einer solchen »theologia gloriae«: »Der Gottessohn, der Gottmensch, man kann geradezu sagen, der Auferstandene geht ans Kreuz.« Vgl. ders., Die Mitte der Schrift. Der Frühkatholizismus im Neuen Testament als eine Herausforderung an den Protestantismus, Stuttgart 1975, 222 f.: »Aus der theologia crucis [sc. des Paulus] beginnt [sc. bei Markus] eine theologia gloriae zu werden.« Ein größeres Mißverständnis der markinischen Christologie ist m. E. kaum vorstellbar; vgl. zur Sache Koch, Bedeutung (s. Anm. 58), 176–179.

Die Osterbotschaft des Markus

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Von daher leuchtet unmittelbar ein, daß Markus auf die Wiedergabe von Erscheinungserzählungen geradezu verzichten mußte. Eine solche Erzählung hätte die Botschaft des neaniÂskow an die Frauen völlig in den Hintergrund gedrängt, weil sie von Jesu Auferweckung als von einer gleichsam objektiv geschehenen Tatsache berichtet hätte. Dadurch, daß die Frauen – und die Leser – von Jesu Auferweckung allein durch das Wort des neaniÂskow erfahren, macht Markus klar, daß diese Auferweckung keinesfalls Gegenstand eines Tatsachenberichts ist, sondern Gegenstand, besser: Inhalt der auf Glauben angewiesenen Verkündigung.94 Indem Markus sein Evangelium mit der Grabesperikope enden ließ, konnte er deutlich machen, daß die ersten Osterzeugen, nämlich die Frauen am Grab, der Auferstehung Jesu nicht anders begegnet sind als die späteren Christen: Diese wie jene hören das Wort ÆIhsoyÄw hÆgeÂruh (V. 6), und sie sind aufgefordert, diesem Wort Glauben zu schenken und entsprechend zu handeln (V. 7). In diesen Kontext gehört für Markus auch der durch seine jetzige Stellung so stark betonte V. 8: Das Schweigen der Frauen, ursprünglich stilgemäßer Bestandteil der Epiphanieerzählung, stellt im Zusammenhang des Evangeliums sicher, daß die Osterverkündigung von V. 6 dem Leser tatsächlich unmittelbar gesagt wird und nicht etwa vermittelt durch eine von den Frauen ausgehende sekundäre Verkündigung.95 Indem es heißt, daß die Frauen »niemandem etwas sagen«, empfängt der Leser die Osterbotschaft gleichsam direkt aus dem Munde des neaniÂskow, d. h. Markus macht auf diese Weise deutlich, daß alle Menschen auf dasselbe Wort hin zum Glauben gerufen werden und nicht auf eine abgeleitete Tradition angewiesen sind.96 Mit Recht hat W. Schmithals erklärt, zwischen dem Fehlen der Erscheinungsberichte einerseits und dem Messiasgeheimnis andererseits bestehe ein Zusammenhang. Er meint allerdings, der Evangelist vertrete die »Theorie von den vorösterlichen geheimen und schließlich (14,62) öffentlichen Epiphanien«, und er habe deshalb solche Erzählungen, die »Jesu Messianität überhaupt erst österlich

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Wenn ich ihn richtig verstehe, dann vertritt auch E. Güttgemanns, Linguistische Analyse von Mk 16,1–8, Ling. Bibl XI (1972) 13–53, diesen Standpunkt: Jesu Auferstehung, so schreibt Güttgemanns (aaO., 45), sei für Markus »kein ›Inhalt‹ für die ›Erzählung‹, sondern nur für die ›Rede‹«; und er fährt dann fort: »Die Kommunikationsrelation der Adressaten [sc. der Frauen] zum Protagonisten [sc. Jesus] wird nicht ›erzählt‹, sondern durch die direkte Rede des Mittlers [sc. des neaniÂskow] ›besprochen‹, weil der Protagonist als ›Objekt‹/›Subjekt‹ nur in der ›Rede‹ einer adäquaten Kommunikation zugänglich ist. Das ›Evangelium‹ erhält nicht die ›Erzählung‹, sondern die ›Rede‹ als adäquate ›Form‹ zugeordnet. Dies ist m. E. auch der Grund, warum der Erzähler nach Mk 16,8 keine ›Erzählung‹ mehr zu bringen braucht.« 95 Noch viel weniger ist natürlich an eine von den Jüngern ausgehende Verkündigung gedacht. 96 Vgl. Brun, Auferstehungsbericht (s. Anm. 62), 384: »Auch die späteren Hörer und Leser der Erzählung werden somit nicht angewiesen, ihre Gedanken beim leeren Grabe kreisen zu lassen, sondern ihr Blick wird aufwärts zu dem Auferstandenen und vorwärts auf die künftigen Erscheinungen desselben gerichtet.« Die letzte Bemerkung trifft den Kern m. E. freilich nicht.

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I. Studien zum Markusevangelium

epiphan werden lassen« (z. B. die jetzt in 9,2–8 erhaltene Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus) ins Leben Jesu zurückverlegen müssen.97 Das würde bedeuten, daß ursprünglich das Leben Jesu unmessianisch dargestellt worden wäre und Markus diesem »Mangel« hätte abhelfen wollen. Tatsächlich aber dürfte das Gegenteil der Fall sein: Durch das Christologumenon des Messiasgeheimnisses hat Markus die offen auf Jesu Messianität hinweisenden Traditionen theologisch gleichsam »begrenzt«; er hat damit zugleich deutlich gemacht, daß das eigentliche Wesen der Messianität Jesu nicht in diesen »offenen« Hoheitsaussagen sichtbar wird, sondern nur im Kontext des Leidens und des Kreuzes. Besonders deutlich zeigt sich diese Tendenz im Zusammenhang der Wundererzählungen: Die diesen Erzählungen – im Handlungsablauf bisweilen geradezu widersinnig – angehängten »Schweigegebote«98 wollen dem Mißverständnis wehren, die Wunder als solche machten die Messianität Jesu offenbar. Dabei hat D.-A. Koch auf einen höchst bedeutsamen Sachverhalt aufmerksam gemacht: »Je stärker«, so schreibt Koch, in den aus der vormarkinischen Tradition überkommenen Erzählungen »die Momente der Epiphanie und der Offenbarung werden, desto stärker werden auch die Gegengewichte, die Markus in seine Darstellung einbringt«.99 Der Schluß des Markus-Evangeliums entspricht genau der hinter diesem Vorgehen des Evangelisten stehenden theologischen Intention: Das »Moment der Epiphanie und der Offenbarung« ist ja bei der Auferweckung Jesu noch weit stärker vorhanden als bei den vergleichsweise »kleinen« Wundern der die vorösterliche Zeit betreffenden Tradition. Wenn also Markus schon bei diesen Wundergeschichten seine »Gegengewichte« anzubringen sich veranlaßt sah, um wieviel mehr mußte ihm dies dann bei dem »großen Wunder« der Auferweckung des Gekreuzigten als notwendig erscheinen. Hier war er stärker als an jeder anderen Stelle seines Evangeliums von seinem christologischen Ansatz her gezwungen, eine »theologia gloriae« abzuwehren, die Jesu Leiden und Kreuzestod als eine bloße Durchgangsstation auf dem Weg zur Herrlichkeit hätte ansehen können.

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Schmithals, Markuschluß (s. Anm. 2), 410. Die Debatte, ob die Schweigegebote und damit ein Kernstück des ganzen Messiasgeheimnisses redaktionell seien oder aber bereits in der Tradition vorgegeben waren, wird neuerdings wieder mit großer Intensität geführt. Kritik gegenüber der These vom spezifisch markinischen Konzept äußert zuletzt nachdrücklich Pesch, Markus II (s. Anm. 13), 40 f., der behauptet: »Markus hat keine erkennbar eigenständige christologische Konzeption.« Anders und m. E. zutreffend Koch, Bedeutung (s. Anm. 58), 84 f. und vor allem 186–188. 99 Koch, Bedeutung, 191. Koch verweist auf das unterschiedliche Gewicht der Geheimhaltung einmal im Zusammenhang der Heilungen (»öffentliche Wirkung … nur z. T. begrenzt«), zum andern im Bereich der »Natur«wunder (»ohne jede öffentliche Auswirkung«) und drittens bei den Exorzismen (»die direkten Offenbarungen werden … ohne jede Einschränkung mit Schweigen belegt«). 98

Die Osterbotschaft des Markus

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Diese Abwehr vollzieht sich in zwei Schritten: Einmal darin, daß der Evangelist das Messiasgeheimnis nicht etwa am Ostermorgen aufbricht, sondern in paradoxer Weise bereits am Karfreitag: Die öffentliche Proklamation Jesu als Sohn Gottes geschieht durch das Bekenntnis des römischen Hauptmanns unmittelbar unter dem Kreuz angesichts seines Todes (15,39).100 Zum andern aber dadurch, daß das Messiasgeheimnis auch nach Karfreitag noch gewahrt wird, eben durch das Fehlen eines Erscheinungsberichts. Es wäre unsinnig gewesen, hätte Markus im Rahmen eines solchen Erscheinungsberichts den Auferstandenen ein Schweigegebot aussprechen lassen; infolgedessen treten nun das Schweigen der Frauen und das Verschweigen der Erscheinungsberichte insgesamt an die Stelle des sonst üblichen Schweigegebots.101 Dieser Tendenz entspricht schließlich auch V. 7: Im Sinne der Redaktion des Markus weist die Erwähnung künftiger Erscheinungen in Galiläa gerade auf das hin, was nicht erzählt wird. Zugleich bedeutet dieser Hinweis aber, daß Jesu Ankündigung von 14,28 in Erfüllung geht,102 daß er die Jünger aus der Zerstreuung wieder zusammenführt. Durch seine literarisch sehr einfache, zugleich aber theologisch sehr reflektierte redaktionelle »Bearbeitung« der Grabesgeschichte hat Markus deutlich gemacht, daß für ihn Glaube an Jesus Christus nicht die Folge eines Sehens des Auferstandenen ist und schon gar nicht die Anerkennung, womöglich das »Fürwahr-halten« eines Berichts darüber – man kann nicht auf fremde Erfahrung hin glauben. Glaube im Sinne des Markus-Evangeliums ist Folge des Hörens der Botschaft, daß der Gekreuzigte auferweckt ist (16,6). Mit dieser Botschaft, die die Frauen am Grab in derselben Weise empfangen wie die Leser des Evangeliums, findet das Buch seinen Abschluß.103 Hiernach gab es für den Evangelisten, wie es in 16,8 heißt, wirklich nichts mehr zu sagen.

100 Welche Bedeutung 15,39 theologisch hat, kann man sehr deutlich erkennen, wenn man eine späte Parallele zum Vergleich beizieht: Im Petrus-Evangelium (11,45) ist zwar das Wort des römischen kentyrivÂn übernommen worden; aber bezeichnenderweise wird es angesichts der – allgemein beobachteten – Auferstehung ausgesprochen und nicht, wie bei Markus, unter dem Kreuz. 101 Auf diesen Sachverhalt macht auch M. Horstmann, Studien zur markinischen Christologie. Mk 8, 27–9, 13 als Zugang zum Christusbild des zweiten Evangeliums (NTA NF 6), Münster 21973, 133, aufmerksam. Mit Recht unterstreicht sie die theologische und nicht bloß »historische« Funktion des Messiasgeheimnisses bei Markus (gegen G. Strecker, Zur Messiasgeheimnistheorie im Markusevangelium, StEv III (TU 88) Berlin 1964, 87–104. 102 Dies würde auch dann gelten, wenn kauv Á w eiËpen yëmiÄn nicht redaktionell sein sollte (vgl. oben 146). 103 Vgl. die Argumentation von J. Wellhausen, Das Evangelium Marci übersetzt und erklärt, Berlin 1903, 146: Wer nach 16,8 etwas vermißt, der hat »16,4 nicht verstanden. Es fehlt nichts; es wäre schade, wenn noch etwas hinterher käme«. Eine Erscheinungsgeschichte könnte nach Wellhausen jedenfalls »nur an Stelle der jetzigen Auferstehungsgeschichte gestanden haben und nicht auf sie gefolgt sein«.

II Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

Einleitung Der erste der vier hier abgedruckten Aufsätze entstand im Zusammenhang des 49. Colloquium Biblicum Lovaniense, das im Jahre 2000 unter dem Thema »The Q-Source and the Historical Jesus« stattfand und bei dem ich den Eröffnungsvortrag zu halten hatte. Die von mir gestellten »Fragen« haben nicht das Ziel, neue Zweifel an der Hypothese der Existenz der Logienquelle zu wecken oder alte Zweifel zu bestärken; aber angesichts der Sicherheit, mit der in der Forschung bisweilen Aussagen über Umfang, Gattung, Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Logienquelle gemacht werden1, scheinen mir einige kritische Fragen nicht ganz unberechtigt zu sein. Nach wie vor nicht wirklich beantwortet ist die Frage nach dem Eröffnungstext der Logienquelle. Viele Rekonstruktionen von Q nehmen aufgrund der Übereinstimmungen in Lk 3,7–9.16 f.; 4,1–13/Mt 3,7–10.11 f.; 4,1–11an, die Logienquelle habe mit der Verkündigung des (namentlich nicht eingeführten) Täufers begonnen, und dann sei die Versuchungsgeschichte Jesu gefolgt; daraus ergibt sich dann die Vermutung, Q müsse auch von Jesu Taufe gesprochen haben.2 Aber eine derartige Einleitung entspricht kaum der übrigen literarischen Gestalt von Q, sie erinnert vielmehr an den Beginn des Markusevangeliums. So halte ich vorläufig an meiner Erwägung fest, die Bergpredigt/Feldrede in ihrem auf Q zurückzuführenden Grundbestand könne als Eröffnungstext der Logienquelle angesehen werden.3 1 Während des Leuven Colloquiums wurde u. a. eine neue »kritische« Textausgabe der Logienquelle vorgestellt: James M. Robinson/Paul Hoffmann/John S. Kloppenborg (eds.), The Critical Edition of Q. Synopsis including the Gospels of Matthew, Mark and Thomas with English, German, and French Translations of Q and Thomas (Hermeneia), Minneapolis und Leuven, 2000. Vgl. dazu Andreas Lindemann, Literatur zu den Synoptischen Evangelien 1992–2000 (II). Die Logienquelle Q, ThR 69 (2004) 241–272, hier 244 f. 2 Vgl. The Critical Edition (s. die vorige Anm.), 18–21. Ähnlich die Übersicht bei Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 61007, 220 f. Zurückhaltender hinsichtlich der Versuchungsgeschichte sind Petr Pokorny´/Ulrich Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick (UTB 2798), Tübingen 2007, 340; dass die Taufe Inhalt von Q gewesen sein könnte, wird hier nicht gesagt. Unterschiedliche Positionen zum Beginn von Q referiert Martin Ebner, Die Spruchquelle Q, in: ders./Stefan Schreiber (Hgg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 2008, 87 f. 3 Ebner (s. die vorige Anm.), 88 hälte dies für »bedenkenswert«, da sich »ein unmittelbarer Bogen zum Schluss Q 22,28.30« ergäbe, wo vom Gericht über die zwölf Stämme Israels gespro-

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

Eine zweite Frage bezieht sich auf das Problem der Rekonstruktion des Wortlauts von Q. Vor allem bei den umfangreicheren Gleichnissen, die nur im Lukasund im Matthäusevangelium überliefert sind, zeigen sich nicht nur im Wortlaut, sondern auch im Bildfeld so starke Differenzen, dass es kaum möglich ist, den Q-Text zu ermitteln und dann auszulegen.4 In dem von Ruben Zimmermann herausgegebenen »Kompendium der Gleichnisse Jesu«5 steht das Kapitel »Parabeln in der Logienquelle Q« am Anfang, dann folgen die in den Evangelien überlieferten Gleichnisse. Die als Q-Gleichnisse aufgeführten Texte sind meist kurze Bildworte oder metaphorisch angelegte Vergleichsworte.6 Das etwas ausführlicher erzählte Gleichnis von den Kindern in Lk 7,31 f./Mt 11,16 f. mit seiner Anwendung in Lk 7,33–35/Mt 11,18 f. ist in beiden Evangelien nahezu wortgleich überliefert und geht also auf die Logienquelle zurück; kaum sicher zu beantworten ist aber die für das Verständnis des ursprünglichen Q-Textes wichtige Frage, ob die Schlußwendung über die sofiÂa von deren Rechtfertigung »durch alle ihre Kinder« (so Lk 7,35) oder »durch ihre Werke« (so Mt 11,19) sprach.7 Dagegen ist die Parabel vom Hausherrn und dem Dieb (Lk 12,39 f./Mt 24,43 f.) und die Parabel vom treuen und untreuen Hausverwalter (Lk 12,42–46/Mt 24,45–51) nahezu wortgleich überliefert, ausgenommen die Zwischenfrage des Petrus in Lk 12,41 und die Schlußwendung in Mt 24,51c; das zugrundeliegende Bild ist in beiden Textfassungen dasselbe, so dass Rekonstruktion und Auslegung einer Q-Fassung durchaus sind; dasselbe gilt auch für die Parabel vom Sauerteig (Lk 13,20 f./Mt 13,33) sowie für die Parabel vom verlorenen Schaf Lk 15,4–7/Mt 18,12–14.8 In der von Gabi Kern zusammengestellten Übersicht über die der Logienquelle zugeordneten Gleichnisse9 wird die Parabel vom Gastmahl als »Q 14,16–23« eingeordnet; aber

chen ist; das gelte freilich auch, wenn Q mit der »Gerichtsansage des Täufers Q 3,7–9« begonnen hätte. »Außerdem ergibt sich mit der Täuferpredigt am Anfang ein in sich sinnvoller und offensichtlich geplanter Aufbau des ersten Teils der Spruchquelle, der nach Ebner bis zum Abschnitt Jesus und der Täufer (Lk 7,18…35/Mt 11,2…19) reicht. 4 Vgl. die Kritik von Jens Schröter, Bemerkungen zur gegenwärtigen Q- Forschung, in: ders., Jesus und die Anfänge der Christologie. Methodologische und exegetische Studien zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens (BThSt 47), Neukirchen-Vluyn 2001, 93–97. AaO., 97: »Die Einsicht in den hypothetischen Charakter des Q-Dokumentes darf nicht nur am Anfang der Behandlung von Q eingestanden werden, um dann dazu überzugehen, Q so zu behandeln, als hätten wir es mit einem eindeutig ekonstruierbaren – zufällig nur etwas eigenartig überlieferten – Text zu tun.« 5 Ruben Zimmermann u. a., Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007. 6 So gelten etwa Lk 6,39.40.41 f.43–45.47–49 (jeweils mit der Mt-Parallele) als einzelne Parabeln. 7 Nach Peter Müller, Vom misslingenden Spiel (Von den spielenden Kindern) Q 7,31–35 (Mt 11,16–19/Lk 7,31–35), in: Zimmermann, Kompendium (s. Anm. 5), 100–111, hier: 108 bezieht sich die Rede von den eÍrga in Mt 11,19 einerseits zurück auf Mt 11,2 und andererseits voraus Ä n teÂknvn ayÆth Ä w ist danach also die ursprüngliche. auf Mt 11,20 ff. Die lk Wendung aÆpoÁ paÂntvn tv 8 Auffallend ist die in den Situationsschilderungen vorausgesetzte unterschiedliche Szenerie: In Lk 15,4 wird vom Hirt gesprochen, der ein Schaf verliert und daraufhin die anderen in der Wüste zurückläßt, in Mt 18,12 ist von dem einen Schaf die Rede, das sich verirrt, so dass der Hirt die übrigen in den Bergen zurückläßt. 9 Gabi Kern, Parabeln in der Logienquelle Q. Einleitung, in: Zimmermann, Kompendium, 60.

Einleitung

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in dem betreffenden Kapitel fehlt die Auslegung dieses Gleichnisses. Luise Schottroff legt Mt 22,1–14 und Lk 14,12–24 jeweils an ihrem Ort aus, folgert aber in der Auslegung der Lk-Fassung aus den Übereinstimmungen, dass die Parabel auf Q zurückgeht: »Ihr inhaltlicher Schwerpunkt ist nur aus dem Gesamtbild der Logienquelle zu vermuten«, die »ähnlich wie Lk 14,12–24 dem Evangelium der Armen verpflichtet zu sein« scheint.10 Nun ist aber gerade dieser Akzent, der sich aus Lk 14,12–14 und Lk 14,21.23 ergibt, im Matthäusevangelium ohne Parallele, so dass von daher eine ursprüngliche Zugehörigkeit zu Q weniger wahrscheinlich ist. In ihrer Auslegung von Mt 22,1–14 geht Schottroff auf die Möglichkeit einer Q-Fassung der Parabel nicht ein.11

Eine vergleichbare Problematik ergibt sich bei der Parabel »Von den anvertrauten Geldern«. Christian Münch bietet eine im einzelnen nicht näher begründete Rekonstruktion des Q-Textes und legt diesen Text dann als »Gerichtsparabel« aus; Matthäus habe diesen Aspekt nicht zuletzt auch durch seinen Kontext aufgenommen, während sich die von Lukas erzählte »ganz eigene Version der Geschichte« von 19,11 her auf den irrigen Glauben beziehe, »die Herrschaft Gottes würde sofort in Erscheinung treten«.12 Die Rekonstruktion einer Q-Fassung der Parabel läßt sich aber nicht plausibel machen, und damit gelingt auch eine inhaltliche Auslegung nicht wirklich. Nach wie vor unbeantwortet ist die Frage der Gattung von Q; die Differenzen kommen schon in der Debatte um die Terminologie zum Ausdruck, ob Q lediglich als eine »Quelle« (source) oder aber als ein »Evangelium« (gospel) anzusehen sei. Udo Schnelle schlägt in gewisser Weise einen Kompromiß vor: »Die biographischen und narrativen Elemente sowie der Gesamtaufriss von Q zeigen, dass die Logienquelle sich in Richtung ›Evangelium‹ entwickelte und ihre Integration in das Lukas- und Matthäusevangelium folgerichtig war. Weil den einzelnen Überlieferungen des Lebens und Wirkens Jesu eine so große Bedeutung beigemessen wird, kann die Logienquelle als ›Proto-Evangelium‹ bezeichnet werden, auch wenn es sich dabei nicht im strengen Sinn um eine Gattungsbezeichnung handelt.«13 Aber eine solche Gattungsbestimmung setzt im Grunde die Existenz der tatsächlich überlieferten Evangelien voraus; denn der einigermaßen sicher rekonstruierbare Text von Q läßt ein besonderes Interesse an Leben und Wirken Jesu eigentlich nicht erkennen. Jens Schröter kommt denn auch zu dem Ergebnis, »der Nicht-Mk-Stoff bei Mt und Lk weis[e] keine deutlichen Indizien auf, die Q entweder als Spruchsammlung oder als narratio klassifizieren würden«; kritisch merkt er an, es werde häufig der Versuch gemacht, »entweder 10 Luise Schottroff, Von der Schwierigkeit zu teilen (Das große Abendmahl). Lk 14,12–24 (EvThom 64), in: Zimmermann, Kompendium, 593. 11 Vgl. Luise Schottroff, Verheißung für alle Völker (Von der königlichen Hochzeit). Mt 22,1–14, in: Zimmermann, Kompendium, 479–487. 12 Christian Münch, Gewinnen oder Verlieren (Von den anvertrauten Geldern). Q 19,12 f.15–24.26 (Mk 13,34/Mt 25,14–30/Lk 19,12–27), in: Zimmermann, Kompendium, 240–254, hier:252.253. 13 Schnelle, Einleitung (s. Anm. 2), 231.

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

Texte auszugliedern, um Q (bzw. vermutete Vorstufen) als Spruchsammlung zu bestimmen, oder aber weitere Texte Q zuzuschreiben, um ihm den Charakter einer Jesuserzählung zu verleihen«.14 Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Q und dem historischen Jesus wird so unterschiedlich beantwortet, dass auch nur der Versuch einer Anzeige der Forschungstendenzen vergeblich bliebe. Der Prozeß der sich im Laufe der Zeit verändernden »Erinnerung« an Jesus hat natürlich nicht an einer bestimmten Stelle womöglich erst nachösterlich eingesetzt; aber die Traditionen der Logienquelle führen uns nicht näher an die Verkündigung Jesu heran als das Markusevangelium oder auch als das (nicht-redaktionelle) Sondergut bei Lukas und bei Matthäus. Man wird bei der Rekonstruktion der Logienquelle kaum über die Feststellung hinausgelangen können, dass es Jesus-Überlieferung gab, die nicht Markus, wohl aber Matthäus und Lukas zur Verfügung stand und von ihnen unabhängig voneinander mit dem Markusevangelium als »Vorlage« literarisch verbunden wurde. Die zusätzliche Annahme, in dieser Überlieferung ließen sich unterschiedliche literarische »Schichten« aufweisen, bleibt spekulativ und läßt sich jedenfalls nicht verifizieren.15 Dagegen scheint die Vermutung, die Logienquelle habe in zwei Textfassungen existiert, die jeweils Lukas oder Matthäus zur Verfügung standen, gut begründet zu sein; nicht jede Abweichung zwischen Matthäus und Lukas innerhalb des Q-Materials läßt sich auf eine redaktionelle Entscheidung eines der Evangelisten zurückführen. Über die von mir gestellten Fragen hinaus wären m. E. noch mindestens zwei Fragen bedeutsam: Zum einen ist zu fragen, ob zwischen dem Markusevangelium und der Loqienquelle Berührungen bestehen, wofür ja die erkennbaren Doppelüberlieferungen sprechen könnten; aber sobald man mit der Möglichkeit einer direkten literarischen Beziehung rechnet, gerät die Basis der gesamten Q-Hypothese in Gefahr. Lohnend wäre es zum andern, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Matthäus und Lukas unabhängig voneinander auf denselben Gedanken kamen, den Stoff des Markusevangelium und den ihnen (jeweils) bekannten Q-Stoff in einer erstaunlich ähnlichen Weise miteinander zu verbinden. Wieder entsteht das Problem, dass die Annahme einer wechselseitigen literarischen Beziehung zwischen Matthäus und Lukas die Basis der Q-Hypothese tangiert. Der Arbeit während der Biblischen Studientage in Leuven 1998, die unter dem Thema »The Unity of Luke-Acts« standen, verdankt sich der Aufsatz »Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk«; der Begriff »Luke-Acts« bringt die Annahme der (literarischen) »Einheit« zwischen beiden Teilen des lukanischen Doppelwerks zum Ausdruck.16 Der Aufsatz versucht, an einigen Beispielen ana14 15 16

Schröter, Bemerkungen (s. Anm. 4), 102 f. Vgl. Schröter, Bemerkungen, 103. Vgl. dazu Jens Schröter, Actaforschung seit 1982. III. Die Apostelgeschichte als Ge-

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loge Texte, nämlich Reden und Wundergeschichten, aus dem Lukasevangelium und aus der Apostelgeschichte miteinander zu vergleichen und dabei Differenzen sowie Übereinstimmungen herauszuarbeiten. Erkennbar ist ein deutliches Überbietungsmoment: Die vom Geist Gottes bzw. vom Geist Jesu nachösterlich geleitete Gemeinde ist in ihrem öffentlichen Wirken überaus erfolgreich, erfolgreicher, als es der irdische Jesus gewesen war. In einem Anhang soll der auffällige Befund erklärt werden, warum Lukas in der Apostelgeschichte stets nur vom »Brotbrechen« spricht, ohne dass deutlich wird, ob damit das eucharistische Mahl gemeint ist. Die Problematik wird deutlich in den divergierenden Ausführungen von Jacob Jervell. Er stellt zu Apg 2,42 fest, die hier erwähnte klaÂsiw toyÁw aÍrtoyw habe »kaum etwas mit dem Abendmahl als Sakrament zu tun«, sondern entspreche, wie auch 2,46 zeige, »den täglichen Gemeinschaftsmahlen im Judentum«; es gehe um Sättigung, die freilich »kultischen Charakter« trage, »weil das alltägliche Leben in frommen jüdischen Kreisen kultisch bestimmt war«.17 Zu Apg 20,7 schreibt Jervell dann jedoch, »Brotbrechen« sei »ein Ausdruck, der bei Lukas das eucharistische Mahl bezeichnet«, wobei »das tägliche Begehen … nicht ausgeschlossen« sei.18 Vieles spricht für die Vermutung, dass Lukas das im Evangelium sehr pointiert geschilderte Abschiedsmahl Jesu mit der Abfolge Kelch-BrotKelch (Lk 22,14–20) als eine einmalige, nicht zu wiederholende Handlung ansieht, während die Gemeinde, der Weisung in 22,19 entsprechend, nur das Brotbrechen (und -essen) »zum Gedächtnis« Jesu wiederholen soll. Man mag das »kultisch« nennen; aber es ist jedenfalls etwas anderes als das Mahl, an dessen »Stiftungsworte« Paulus in 1 Kor 11,23–25 die Gemeinde erinnert. Der Aufsatz »Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien der Apostelgeschichte« wurde ursprünglich in englischer Sprache veröffentlicht; in der deutschen Übersetzung sind jetzt einige ergänzende Literaturhinweise eingefügt worden. Die kleine Studie versucht einer Antwort auf die Frage näher zu kommen, ob Lukas mit der in den Summarien geschilderten Gemeindewirklichkeit seinen Lesern ein tatsächlich gar nicht erreichbares »Ideal« vor Augen führen will, oder ob es sich um ein Modell handelt, an dem sich die zeitgenössischen Gemeinden grundsätzlich immer noch orientieren sollen. Liest man die Summarien in ihrem Kontext, so legt sich die Annahme nahe, dass letzteres der Fall ist. Dass es sich um spezifische Verhältnisse in Jerusalem handelt, die an anderen Orten gar nicht praktiziert werden könnten, wird – abgesehen von dem Hinweis auf den Tempel (2,46) – von Lukas nicht gesagt. Inschichtswerk, ThR 72 (2007) 383–419 (hier 383–402: Die Apostelgeschichte als Teil des lukanischen Doppelwerkes). Ferner Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas (WUNT 236), Tübingen2009, 261–289. 17 Jacob Jervell, Die Apostelgeschichte (KeK III), Göttingen 1998, 155. 18 Jervell, Apg (s. die vorige Anm.), 502.

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sofern ist es nicht unproblematisch, wenn Jervell feststellt, die von Lukas so beschriebene Gemeinde sei »gewissermassen eine Partei im Gottesvolke, die aber durch ihre Lebensführung das wahre, eschatologische Israel repräsentiert«.19 Der Aufsatz »Der ›äthiopische Eunuch‹ und die Anfänge der Mission unter den Völkern nach Apg 8–11« erschien in der Festschrift für Eckhard Plümacher, die inzwischen von J. Schröter in seinem Forschungsbericht eingehend besprochen wurde.20 Über die vorausgesetzten »Realia« in der von Lukas in Apg 8,26–40 so plastisch erzählten Szene – etwa die Frage des Kaufpreises einer Jesaja-Rolle – informiert jetzt Rainer Metzner.21 Unter Hinweis auf ältere Literatur meint er, man könne in dem Eunuchen einen Proselyten oder einen Gottesfürchtigen sehen: »Lukas denkt vermutlich an einen frommen Heiden, der aus einem sehr weit entfernten Land kommt«, wobei es biblische Texte gibt, die »belegen, daß Äthiopien und Eunuchen in der Perspektive alttestamentlicher Heilsverheißung berücksichtigt waren«.22 Durch seine Taufe werde das Verbot, einen Kastraten in die Gemeinde Gottes aufzunehmen (Dtn 23,2), als überholt erwiesen, ohne dass der Eunuch »an die Erfüllung der Kulttora (Sabbatobservanz, Opfer) gebunden« wäre.23 Metzner meint, Lukas sei »zwar zurückhaltend in der Schilderung des christlichen Existenzwandels des Äthiopiers«, doch weise das Stichwort xaiÂrvn »auf die grundlegende Wende hin, die die Taufe des Mannes bewirkt hat«. Der Leser der Apostelgeschichte dürfe »davon ausgehen, daß der Bekehrte in seiner Heimat von seinem neuen Leben (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15) Zeugnis ablegen wird. Auch wenn nicht ausdrücklich gesagt wird, ›daß der Eunuch dorthin das Evangelium gebracht hat‹, so deutet der Text doch an, ›daß es dorthin auf dem Wege ist‹.« Mehr noch: »Dem Erzähler genügt die verschwiegene Andeutung eines missionarischen Impulses für das weit entfernte Land in Afrika, das in der Sicht von Apg 1,8 zum (südlichen) ›Ende der Erde‹ gehört und das nun seine Hände zu Gott ausstrecken darf (Ps 68,32). Bis in das abgelegene Äthiopien also ist die frohe Botschaft gekommen, so will der Erzähler mitteilen, und die Heilsankündigung von 1,8 für das Ende der Erde (vgl. Jes 52,10) – einschließlich Äthiopiens (vgl. Zeph 3,10) – scheint sich hier bereits andeutend zu erfüllen. Den Rest darf sich der Leser angesichts der in der Apostelgeschichte erzählten Breitenwirkung des Evangeliums selbst denken.«24

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Jervell, Apg, 157. Jens Schröter, Actaforschung seit 1982. II. Sammelbände. Text- und Rezeptionsgeschichte, ThR 72 (2007) 293–345, hier 331–333. 21 Rainer Metzner, Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar (NTOA 66), Göttingen 2008, 374–383. 22 Metzner, Die Prominenten (s. die vorige Anm.), 377, unter Hinweis auf Ps 68,32; Jes 56,3–6; Zeph 3,10 und Sap 3,14 f. 23 Metzner, Die Prominenten, 381. 24 Metzner, Die Prominenten, 382 unter Verweis auf E. Dinkler. 20

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Aber diese Auslegung entspricht kaum dem lukanischen Konzept über die Hinführung der Kirche zur »Heidenmission«. Den Beginn der »Heidenmission« bereitet Lukas in Apg 10 sehr umfassend vor, und dann spricht er in Apg 11,19–24 betont von der erstmaligen Verkündigung unter den »Griechen« in Antiochia. Dass bereits in 8,39 eine »verschwiegene Andeutung« vorliegen und das in 1,8 genannte Ziel der Missionsgeschichte (eÏvw eÆsxaÂtoyw thÄw ghÄw) »andeutend« erwähnt sein könnte, scheint mir ausgeschlossen zu sein. Lukas macht den Eunuchen weder stillschweigend zu einem Missionar, noch läßt er mit der Weiterreise des Mannes in seine ferne Heimat eine unausgesprochene »Breitenwirkung« des Evangeliums beginnen. Die Schlußnotiz in 8,39 und der Fortgang der Apostelgeschichte zeigen, dass der äthiopische Eunuch zwar als Einzelperson »fröhlich« geworden ist, dass er aber nicht als Leitfigur für eine neue (und gar schon den Schluß vorwegnehmende) Epoche der Kirchengeschichte anzusehen ist.

Die Logienquelle Q Fragen an eine gut begründete Hypothese Vorbemerkung Die folgenden Überlegungen enthalten Fragen, die sich mir gestellt haben im Zusammenhang der Exegese von Texten, die im allgemeinen der Logienquelle zugeschrieben werden. Meine Fragen gehen von der Grundannahme aus, daß die Logienquelle tatsächlich einmal als schriftlicher Text existiert hat. Die Richtigkeit der Q-Hypothese ist also prinzipiell vorausgesetzt; denn diese Hypothese ist, zumal in Verbindung mit der These der Mk-Priorität, die beste und das heißt insbesondere auch: die einfachste Erklärung für den in der synoptischen Überlieferung im ganzen zu beobachtenden Textbefund1. Ich möchte allerdings fragen, ob nicht manche Aussagen in der Forschung zur Logienquelle über das hinausgehen, was sich von den Texten her wirklich begründet verifizieren läßt. Die Annahme, daß es die Logienquelle als einen von Lukas und von Matthäus verwendeten schriftlichen Text gegeben hat, ist eine Hypothese. Auf deren Grundlage können die Texte der synoptischen Evangelien zwar sehr gut analysiert und interpretiert werden; es ist aber zu fragen, wo die Grenzen der aus der Q-Hypothese abzuleitenden weiteren exegetischen Vermutungen liegen. Die im folgenden gestellten Fragen beziehen sich auf vier Themenbereiche: Es geht zunächst in Abschnitt I. um das Problem des äußeren Umfangs der Logi1 Daß Mk von den Verfassern des Mt und des Lk »benutzt« und deren jeweils neu konzipierten Schriften zugrundegelegt wurde, läßt sich in hohem Maße wahrscheinlich machen. Lk 1,1 f. spricht für die Annahme, daß Lk Quellen verarbeitet hat, und der Textvergleich mit Mk zeigt dann, daß eine dieser Quellen eben Mk war; L. Alexander, The Preface to Luke’s Gospel. Literary convention and social context in Luke 1.1–4. and Acts 1.1 (SNTS MS 78), Cambridge 1993, 115 bezweifelt allerdings, daß dies aus Lk 1,1 abgeleitet werden könne: »Luke never says that his predecessors had produced written documents«. Jedenfalls setzt jede Hypothese, die etwa die Abhängigkeit des Mk von Mt oder/und Lk annimmt, erhebliche literarische und dann doch auch theologische Mißgriffe des Mk voraus, die zwar nicht kategorisch für unmöglich zu erklären sind, die angesichts des literarischen Charakters des Mk aber doch als wenig wahrscheinlich zu gelten haben (vgl. die schlüssige Argumentation am Beispiel von Mk 13 bei C. M. Tuckett, Response to the Two-Gospel-Hypothesis und F. Neirynck, Note on the Eschatological Discourse, in: D. L. Dungan (ed.), The Interrelations of the Gospels (BEThL 95), Leuven 1990, 47–76 und 77–80, vor allem 63–76. Die Hypothese der Mk-Priorität scheint mir im ganzen leichter begründbar zu sein als die Q-Hypothese.

Die Logienquelle Q

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enquelle im ganzen und dann in Abschnitt II. um das Problem der Textrekonstruktion im einzelnen. Gefragt wird in Abschnitt III. nach der literarischen Gattung von Q, insbesondere danach, ob die Logienquelle im literarischen Sinne als ein »Evangelium« bezeichnet werden kann. Schließlich soll in Abschnitt IV. nach dem Verhältnis von Q zum historischen Jesus gefragt werden2.

I. Zum Problem des äusseren Umfangs der Logienquelle Die übliche Annahme, daß die Logienquelle3 keine Passionsgeschichte und auch keine andere darauf hinweisende Überlieferung enthielt, hat alle Wahrscheinlichkeit für sich. Zum einen haben Mt und Lk im Bereich der Passionserzählung über Mk hinaus offenbar keine gemeinsame Quelle benutzt; zum andern würde ein solcher Erzähltext zu dem anderen der Logienquelle im allgemeinen zugewiesenen Stoff kaum passen. Den Schluß von Q bildete also offenbar das eschatologisch-apokalyptische Logion in Lk 22,28–30/Mt 19,284. Wie aber wurde der Q-Text eingeleitet? Üblicherweise wird unter der Voraussetzung, daß der Mt und Lk gemeinsame Nicht-Mk-Stoff der Logienquelle zuzuweisen ist, angenommen, Q sei mit der in Lk 3,7–9/Mt 3,7–10 überlieferten Gerichtspredigt eröffnet worden5. Im jetzigen Kontext (Lk 3,1–6/Mt 3,1–6) handelt es sich dabei um eine Predigt Johannes des Täufers, und darauf verweist auch die Erwähnung des Taufens (Lk 3,7a) bzw. der Taufe (Mt 3,7a). Man kann aber fragen, ob die Verbindung zwischen dem Wortlaut der Gerichtspredigt und der Person des Täufers immer schon gegeben war. Denn innerhalb der Predigt 2 Die Literatur zu Q ist derart umfangreich, daß sie im Rahmen der im folgenden gestellten Fragen nicht annähernd vollständig berücksichtigt werden kann. Einen sehr guten Überblick über die unterschiedlichen Positionen geben die Beiträge in R. A. Piper (ed.), The Gospel Behind the Gospels. Current Studies on Q (NTSup 75), Leiden 1995. Zur älteren Forschung vgl. W. Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin/New York 1985, 215–229; ferner A. Lindemann, Literaturbericht zu den Synoptischen Evangelien 1978–1983, ThR 49 (1984) 223–276.311–371, hier: 257–263; Ders., Literatur zu den Synoptischen Evangelien 1984–1991, ThR 59 (1994) 41–100.113–185.252–284, hier: 77–88. 3 Zur Problematik des mißverständlichen Begriffs »Logienquelle« s. D. Lührmann, Q: Sayings of Jesus or Logia? in Piper, The Gospel (s. Anm 2), 97–116. 4 Vgl. dazu J. Verheyden, The Conclusion of Q: Eschatology in Q 22,28–30, in: A. Lindemann (ed.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus (BEThL 158), Leuven 2001, 695–718. Einen umfassenden Forschungsüberblick bietet Chr. Heil (ed.), Q 22:28,30. You Will Judge the Twelve Tribes of Israel (Documenta Q. Reconstructions of Q Through Two Centuries of Gospel Research Excerpted, Sorted and Evaluated), Leuven 1998. 5 Zwar bestehen schon in Lk 3,3a (kaiÁ h Ë luen eiÆw pa Ä san thÁn periÂxvron toyÄ ÆIordaÂnoy) und Mt Ä sa hë ÆIoydaiÂa kaiÁ pa Ä sa hë periÂxvrow toyÄ ÆIordaÂnoy) Übereinstimmungen im Wortlaut; aber 3,5 (pa diese »minor agreements« gegen Mk sind im ganzen derart gering, daß weder die Zuweisung an eine gemeinsame Quelle als möglich erscheint, noch eine angemessene Einbettung der Ortsangabe in einen verständlichen Kontext gelingt, sofern man die Angabe nicht von Mk 1,4–6 her stillschweigend ergänzt.

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selber verweist keine Aussage unmittelbar auf Johannes als Sprecher6. Nach Bultmann lief die Gerichtspredigt in christlicher Tradition um, und er meint, die Worte seien dem Täufer in den Mund gelegt worden, »weil man ein Stück seiner Bußpredigt berichten wollte«: »Es wird also als bloßer Zufall zu beurteilen sein, daß Jesus nicht der Sprecher dieser Drohworte ist«7. Da es sich bei Q insgesamt ja zweifellos um eine Sammlung von Aussagen Jesu handelt, ist es zumindest erstaunlich, wenn diese Sammlung eröffnet wurde mit der längeren Rede eines anderen Sprechers, der den Lesern dabei gar nicht vorgestellt wird. Zwar ist im folgenden (Lk 3,16.17/Mt 3,11.17) ausdrücklich vom Taufen die Rede; doch gerade in Lk 3,16b/Mt 3,11 besteht eine starke Nähe zu Mk 1,8a. 7, so daß hier eine Abhängigkeit von Mk sehr wahrscheinlich ist8. Ist es als völlig ausgeschlossen anzusehen, daß die eschatologische Gerichtspredigt als eine Einzelüberlieferung existiert haben könnte und so von Matthäus und von Lukas unabhängig voneinander zur Ergänzung der markinischen Täufer-Perikope verwendet wurde? Daß es von Mk und von Q unabhängige Täuferüberlieferungen gegeben hat, zeigen immerhin Lk 1,5–25.57–80 und zumindest Teile der Täuferaussagen im Johannesevangelium9. Richtig ist natürlich, daß die Logienquelle eine Verbindung zwischen Jesus und dem Täufer kennt (Lk 7,18–35/Mt 11,2–19); aber dieser Text scheint eine täuferische Tradition nicht zu enthalten10, sondern er spricht primär von Jesu Bild des Täufers11. Jedenfalls verbinden sich gewisse Schwierigkeiten mit 6 Das für die Täuferpredigt charakteristische scharfe Wort in Lk 3,9b/Mt 3,10b stimmt wörtlich mit Mt 7,19 überein, und dort handelt es sich um ein Wort Jesu. Vgl. P. Böhlemann, Jesus und der Täufer. Schlüssel zur Theologie und Ethik des Lukas (SNTS MS 99), Cambridge 1997, 160–165. 7 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 10 1995, 123. 8 Lediglich meÂn – de und das Präsens baptiÂzv in Mt 3,11a/Lk 3,16a sowie kaiÁ pyri in Mt 3,11b/Lk 3,16b haben keine Mk-Parallele, darüber hinaus natürlich Lk 3,17/Mt 3,12 im ganzen. Vgl. N. Walter, Mk 1,1–8 und die »Agreements« von Mt 3 und Lk 3. Stand die Predigt Johannes des Täufers in Q? in: F. Van Segbroeck/C. M. Tuckett / G. Van Belle /J. Verheyden (eds.), The Four Gospels 1992. FS Frans Neirynck (BEThL 100), Leuven 1992, Vol. I, 457–478. 9 Vgl. J. Ernst, Johannes der Täufer. Interpretation – Geschichte – Wirkungsgeschichte (BZNW 53), Berlin/New York 1989, 113–139. 186–216. AaO., 206: Daß der vierte Evangelist »die Darstellung des Täufers in der Logienquelle oder bei Markus gekannt hat, muß wegen der gravierenden Unterschiede . . . in Frage gestellt werden«. Könnte nicht auch die »Standespredigt« des Täufers in Lk 3,10–14 ein Beleg dafür sein, daß es Täufer-Überlieferung auch außerhalb von Q und Mk gegeben hat? Vgl. dazu F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. 1. Teilband Lk 1,1–9,50 (EKK III/1), Neukirchen-Vluyn und Zürich 1989, 173 und Bultmann, Geschichte (s. Anm. 7), 155, die es für möglich halten, daß Lukas selber diese Standespredigt formuliert hat. Aber was wäre dann seine Intention gewesen, diese Aussagen dem Täufer und nicht Jesus zuzuweisen? 10 Vgl. K. Backhaus, Die »Jüngerkreise« des Täufers Johannes. Eine Studie zu den religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Christentums (PaTSt 19), Paderborn 1991, 135: Die Perikope »sucht ein ureigenes Problem der Gemeinde zu bewältigen, die sich zu Jesus als ihrem Herrn bekennt und doch auch an Johannes, dem so unterschiedlichen Propheten, stark interessiert ist«. 11 Vgl. dazu N. Walter, Wer machte Johannes den Täufer zum Vorläufer Jesu? In: S. Maser/ E. Schlarb (Hg.), Text und Geschichte. FS Dieter Lührmann (MThSt 50), Marburg 1999, 280–293, hier: 284.

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der Annahme, die Logienquelle, die doch Worte Jesu überliefert, sei mit der Gerichtspredigt des Täufers eröffnet worden, ohne daß der Name dieses später nur noch indirekt zu Wort kommenden Predigers auch nur erwähnt wurde12. Noch problematischer als die Annahme, Q sei mit der Täuferpredigt (Lk 3,7–9.16–17/Mt 3,7–12) eröffnet worden, ist die Vermutung, daß unmittelbar anschließend die Erzählung von der Versuchung Jesu (Lk 4,1–13/Mt 4,1–11) gefolgt sei. Das gilt zumindest dann, wenn man voraussetzt, es habe jedenfalls im Eröffnngsabschnitt der Logienquelle einen logischen Textaufbau gegeben. Der Gedankensprung von der Gerichtspredigt (des Täufers) unmittelbar zur Erzählung von der Versuchung Jesu durch den Teufel wäre ausgesprochen groß13. Angesichts dessen scheint die Erwägung zunächst durchaus einleuchtend zu sein, auch Q könne, ebenso wie Mk, einen Hinweis auf die Taufe Jesu enthalten haben14. Gegen diese Annahme spricht aber, daß die Paralleltexte zur Tauferzählung Mk 1,9–11 so gut wie keine Indizien für eine von Mk unabhängige zweite Überlieferung erkennen lassen – jedenfalls sind die ohnehin nur in Mt 3,16/Lk 3,21 f. vorhandenen minor agreements gegen Mk 1,10 minimal15, und sie lassen sich ohne Schwierigkeit als jeweils redaktionelle Korrekturen des Mk-Textes erklären. Es gibt also keine textlichen Indizien für die These, Q habe von der Taufe Jesu gesprochen16.

12 Vgl. D. Lührmann, Die Redaktion der Logienquelle. Anhang: Zur weiteren Überlieferung der Logienquelle (WMANT 33), Neukirchen-Vluyn 1969, 56: Es ist »ungewiß . . ., ob Q mit dem Auftreten des Täufers begonnen hat oder ob diese Sprüche an anderer Stelle in Q gestanden haben, da sich Lk und Mt die Mk-Vorlage als Rahmen dieser Q-Tradition anbieten mußte«. Vgl. auch den in Anm. 11 genannten Aufsatz von N. Walter. 13 Vgl. D. Catchpole, The Beginning of Q: A Proposal, NTS 38 (1992) 205–221, hier: 206 f. Catchpole selber nimmt an, Elemente des Eröffnungstextes von Q seien in Mk 1,2–5 bewahrt, dazu gehöre insbesondere das Zitat aus Jes 40,3, das den Charakter von Q als »prophetic text« belege. 14 Vgl. die Textrekonstruktion bei J. M. Robinson / P. Hoffmann/J. S. Kloppenborg (eds.), The Critical Edition of Q. Synopsis including the Gospels of Matthew and Luke, Mark and Thomas with English, German and French Translations of Q and Thomas, Minneapolis und ì . . . o . . . oyÆrano . . . kaiÁ .. toÁ pneyÄma . . . Leuven 2000, 18.20: Q 3,21 f. [[ÆIhsoy .. baptisue . . . nevxuh eÆp’ ayÆtoÂn . . . yië . . .]]. 15 Eine wirkliche Textanalogie besteht nur zwischen Mt 3,16 (h Æ nevÂìxuhsan) und Lk 3,21b ì Ä nai); vëw peristeraÁn eÆp’ ayÆtoÂn weicht nur in der Wortstellung geringfügig von Mk 1,10 ab (aÆnevxuh und entspricht im übrigen Joh 1,32. J. Lambrecht, John the Baptist and Jesus in Mark 1.1–15: Markan Redaction of Q?, NTS 38 (1992) 357–384 hält es allerdings für möglich, daß der Text von Mk 1,1–15 nicht unerheblich durch Q beeinflußt ist. 16 Anders D. Zeller, Kommentar zur Logienquelle (SKK NT 21), Stuttgart 1984, 23; er folgert aus der Versuchungserzählung, entweder habe Q eine Tauferzählung gekannt, die bei Mt und Lk »weitgehend durch die Mk-Vorlage verdrängt« worden wäre, oder »die ursprünglich mit der Taufe verbundene Notiz von der Versuchung Jesu« habe sich »zu einer didaktischen Erzählung verselbständigt, die die judenchristlich-hellenistische Q-Redaktion in ihre Logiensammlung übernahm«, wobei sich die jetzige Stellung bei Mt und Lk dem Vorbild des Mk verdanke. Beide Annahmen sind m. E. mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.

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Zweifellos weisen die beiden Fassungen der Versuchungsgeschichte (Lk 4,1–13 und Mt 4,1–11) so eindeutige Parallelen auf, daß die Rückführung auf eine gemeinsame Quelle die plausibelste Annahme ist17. Wenn es nun aber als wenig wahrscheinlich angesehen werden kann, daß in der Logienquelle die Versuchungsgeschichte Jesu unmittelbar auf die Gerichtspredigt des Täufers folgte, dann wäre zu erwägen, ob nicht diese Erzählung der ursprüngliche Eröffnungstext von Q gewesen sein könnte; in ihr wäre dann gezeigt worden, daß und wie der Sprecher der folgenden Aussprüche zunächst eine persönliche Bewährungsprobe zu bestehen hatte18. Gegen diese Vermutung spricht allerdings, daß die Auseinandersetzung des Teufels mit Jesus eine Vorgeschichte voraussetzt; insbesondere die vom Teufel Jesus gegenüber verwendete Anrede »Sohn Gottes« ist nur sinnvoll, wenn diese Bezeichnung mit Blick auf Jesus schon vorher eingeführt worden war19. In der Tauferzählung war dies natürlich der Fall; doch es gibt gerade in Lk 3,22b/Mt 3,17 keine signifikante Abweichung von Mk 1,11, d. h. es fehlen Indizien für einen entsprechenden Q-Text. Wenn es einen der Versuchungsgeschichte vorausgehenden, also auf sie hinführenden Q-Text offenbar nicht gegeben hat und wenn diese Erzählung gewiß auch nicht an einer anderen, »späteren« Stelle in der Abfolge des Q-Textes gestanden haben kann, dann stellt sich die Frage, ob diese Erzählung möglicherweise überhaupt nicht als zur Logienquelle gehörig anzusehen ist20. Es kommt ja 17 Gleichzeitig bestehen allerdings sehr auffällige Differenzen zwischen der Mt- und der Lk-Fassung, die sich weder traditionsgeschichtlich noch durch die Annahme erklären lassen, ein ursprünglich weitgehend einheitlicher Text sei redaktionell von Mt oder Lk korrigiert worden. Auffallend ist insbesondere die unterschiedliche Abfolge der zweiten und der dritten Versuchung, die bei Mt und bei Lk jeweils einen guten Sinn gibt, ohne daß man sieht, wie »der« ursprüngliche Text ausgesehen haben könnte und warum er korrigiert wurde. Vgl. A. Lindemann, Die Versuchungsgeschichte Jesu nach der Logienquelle und das Vaterunser, in: D.-A. Koch/G. Sellin/A. Lindemann (Hg.), Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum. FS Willi Marxsen, Gütersloh 1989, 91–100. In diesem Aufsatz hatte ich die Versuchungsgeschichte Lk 4,1–13/Mt 4,1–11 allerdings noch undiskutiert Q zugerechnet. Überwiegend wird in der Exegese angenommen, die Textfolge bei Mt sei die ursprüngliche. Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband. Mt 1–7 (EKK III/1), Neukirchen-Vluyn und Zürich 1985, 159 f., ebenso Bovon, Lukas (s. Anm. 9), 193. 18 Vgl. C. M. Tuckett, The Temptation Narrative in Q, in: F. Van Segbroeck u. a., The Four Gospels 1992 (s. Anm 8), Vol. I, 479–507. AaO., 506 f.: »By placing such a mythical story at the start of the collection, the Q editor has succeeded in showing Jesus as one who is obedient to scripture, and in unmasking the true, i. e. demonic, nature of the possible aspirations of some of those to whom the Q tradition is addressed.« So berühre sich die Erzählung mit der Einleitung des Mk, »setting the stage and defining the terms in which the subsequent story, told in in more straightforward ›historical‹ terms, is to be understood.« Tuckett versteht die Versuchungsgeschichte als Protest gegen einen politischen Messianismus. 19 Das gilt unabhängig davon, ob die konditionale Aussage eiÆ yIoÁw eiË toy Ä ueoyÄ »titular« zu verstehen ist (»Wenn du der Sohn Gottes bist«) oder aber in einem offenen Sinne (»Wenn du [ein] Sohn Gottes bist«); in jedem Falle müßte von einer Beziehung Jesu zu Gott vorher gesprochen worden sein. 20 So schon Lührmann, Redaktion (s. Anm 12), 56: Die Erzählung »fällt so sehr aus dem

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hinzu, daß die Versuchungsgeschichte sowohl gattungsmäßig wie inhaltlich ein Fremdkörper innerhalb der übrigen Q zugeschriebenen Überlieferung ist: Weder die Begegnung Jesu mit dem Teufel und die damit verbundene Szenerie noch die in den Worten des Teufels implizierte Christologie entsprechen dem Charakter der übrigen Q-Texte. In der Q-Exegese wird daraus die Erwägung abgeleitet, die Versuchungsgeschichte sei einer späteren Textschicht zuzuweisen21; dann aber ist zu fragen, woher dieser spätere Q-Redaktor die Überlieferung übernahm, aus welchen Gründen er den literarischen Charakter von Q in dieser nicht unerheblichen Weise veränderte, und warum es weitere Ergänzungen dieser Art offenbar nicht gibt22. Auf einem recht sicheren Boden bei der Antwort auf die Frage nach dem Eröffnungstext der Logienquelle würden wir stehen, wenn wir annehmen dürften, Q habe mit dem Text begonnen, der der Rede in Lk 6,20–49/Mt 5–7 zugrundeliegt. Dann hätte am Anfang von Q die unmittelbare Anrede an die Adressaten des Textes gestanden (MakaÂrioi oië ptvxoiÂ, oÏti yëmeteÂra eÆstiÁn hë basileiÂa toyÄ ueoyÄ, Lk 6,2023), wobei als selbstverständlich vorausgesetzt gewesen wäre, daß der Sprecher hier wie im folgenden durchgängig Jesus ist24. Den Makarismen als dem Eingangstext der Logienquelle würde als Schlußaussage der eschatologische Ausblick mit der erneuten Anrede an die Adressaten rhetorisch gut entsprechen: Zu Beginn und am Schluß von Q wäre von der Verheißung der basileiÂa die Rede, die unmittelbar den Lesern des Q-Textes gilt (Lk 22,28: yëmeiÄw de eÆste oië diamemenhkoÂtew met’ eÆmoyÄ . . . eÆn th Äì basileiÂaì moy25), während am Ende Israel gegenüber indirekt die Warnung vor dem Gericht ausgesprochen wird26. Die in dem SchlußRahmen des sonstigen Q-Stoffes, daß ich vermuten möchte, daß Lk und Mt sie unabhängig voneinander aus anderer Tradition übernommen haben. Sollte sie jedoch aus Q stammen, so ist auch hier die Einordnung am Anfang des Evangeliums eventuell bedingt durch die Mk-Parallele.« Vgl. auch den in Anm. 11 genannten Aufsatz von N. Walter. 21 Vgl. J. S. Kloppenborg, The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections (Studies in Antiquity and Christianity), Philadelphia 1987, 246–262. AaO., 317: »The most recent addition to Q seems to have been the temptation story, added in order to provide an aetiology and legitimation for Q’s radical ethic, but introducing at the same time a biographical dimension into the collection.« Vgl. auch den in Anm. 18 genannten Aufsatz von Tuckett. 22 Die These von Kloppenborg (s. Anm 21), 327: »The temptation sequence in a sayings collection serves to demonstrate the trustworthiness of the sage, and hence, to undergird and buttress his teachings« beantwortet diese Fragen nicht hinreichend. 23 Oder – sofern der Mt-Fassung der Vorzug zu geben sein sollte, was aber weniger wahrscheinlich ist – die Verheißung der basileiÂa für die Armen. Die Näherbestimmung in Mt 5,3 (oië ptvxoiÂ) tv Äì pneyÂmati stellt in jedem Fall eine mt Ergänzung dar. 24 Sollte Q einen Einleitungstext enthalten haben (vgl. in den Textrekonstruktionen den Hinweis auf »Q 3,0«: ». . . »ÆIhsoyÄ . . .«), so wäre dieser jedenfalls in den vorliegenden Texten restlos verschwunden. 25 In Mt 19,28 wird das Stichwort paliggenesiÂa mt Korrektur sein. W. D. Davies/ D. C. Allison, The Gospel According to Saint Matthew. Volume III. Commentary on Matthew XIXXXVIII (ICC), Edinburgh 1997, 57 nehmen an, daß der zugrundeliegende Gedanke gleichwohl auf Jesus selbst zurückgeht. 26 Lk 22,30a: kaiÁ kauh  sesue eÆpiÁ uroÂnvn taÁw dvÂdeka fylaÁw kriÂnontew toyÄ ÆIsrahÂl; Mt 19,28b:

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logion bei Mt wie bei Lk gleichermaßen bezeugte Anrede yëmeiÄw könnte dafür sprechen, daß in der Einleitung die das yëmeiÄw enthaltende lk Textfassung tatsächlich den ursprünglichen Q-Wortlaut wiedergibt.

II. Zum Problem der Rekonstruktion des Q-Textes Die Q-Hypothese geht methodisch von der Annahme aus, der Logienquelle sei dasjenige Textmaterial zuzuweisen, das sich bei Mt und bei Lk gemeinsam findet, ohne daß es dazu eine Mk-Parallele gibt. Damit verbinden sich unmittelbar zwei Konsequenzen: Zum einen muß angenommen werden, daß Mk und Q literarisch voneinander unabhängig sind; zum andern ist vorauszusetzen, daß zwischen Mt und Lk gegenseitige literarische Beeinflussungen nicht bestehen. Während die Annahme der wechselseitigen literarischen Unabhängigkeit von Mt und Lk von den Texten her tatsächlich überaus plausibel ist27, scheint die Frage einer möglichen gegenseitigen Beeinflussung von Mk und Q noch nicht wirklich beantwortet zu sein. Das zeigt insbesondere der diffizile Befund bei der Beelzebul-Kontroverse in Mk 3,22–27/Lk 11,14–23/Mt 12,22–3028. Generell ist die Annahme, daß der bei Mt und Lk verarbeitete Mk-Text im wesentlichen mit dem uns bekannten Mk-Text identisch war, die zur Erklärung des Befundes im ganzen nach wie vor beste und vor allem einfachste Hypothese29; hier jedoch gelingt es nicht, die literarischen Beziehungen zwischen den drei Textfassungen mit der Annahme zu erklären, es habe unabhängig voneinander sowohl eine Mkwie auch eine Q-Fassung der Überlieferung gegeben, die dann von Mt und von

kauhÂsesue kaiÁ yëmeiÄw eÆpiÁ dvÂdeka uroÂnoyw kriÂnontew taÁw dvÂdeka fylaÁw toyÄ ÆIsrahÂl. Vgl. dazu die in

Anm. 4 genannte Literatur. 27 Anders M. D. Goulder, Luke. A New Paradigm. Vol. I/II (JSNT. S 20), Sheffield 1989, der in Lk eine Kombination aus Mt und Mk sieht. Zur Kritik vgl. Lindemann, Literatur 1984–1991 (s. Anm. 2), 254 f. Die Analysen in A. J. McNicol (ed.), Beyond the Q Impasse – Luke’s Use of Matthew. A Demonstration by the Research Team of the International Institute for Gospel Studies, Valley Forge 1996 beschränken sich darauf, die Differenzen zwischen Mt und Lk zu beschreiben, ohne einen Versuch, zu erklären, warum Lk beispielsweise die mt Bergpredigt so stark verkürzt oder die eschatologische Rede Mt 23–25 auf mehrere andere Texte verteilt haben könnte. Auf die Parallelen zu Mk gehen die Verfasser gar nicht ein (Lk 4,31 f. wird als Zusammenfassung von Mt 4,13; 7,28 f. dargestellt, die Parallele in Mk 1,21 f. wird gar nicht erwähnt, aaO. 87 f.). 28 Dieser Text wird, mit an sich durchaus bedenkenswerten Argumenten, als Ausgangspunkt für eine Deuteromarkus-Hypothese, gewählt. Vgl. A. Fuchs, Die Entwicklung der Beelzebulkontroverse bei den Synoptikern. Traditionsgeschichtliche und redaktionsgeschichtliche Untersuchung von Mk 3,22–27 und Parallelen, verbunden mit der Rückfrage nach Jesus (SNTU, B 5), Linz 1980. 29 Die anderen Hypothesen können im Einzelfall manche Fragen vielleicht besser beantworten als die klassische Zwei-Quellen-Theorie, sie werfen aber durchweg sehr viel mehr neue grundsätzliche Fragen auf, die dann schlecht beantwortet werden oder unbeantwortet bleiben.

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Lk jeweils miteinander kombiniert wurden30. Die Rekonstruktion eines in sich kohärenten Q-Textes scheint kaum möglich zu sein; denn zwar stammt das eigentliche Beelzebul-Logion Lk 11,19 f./Mt 12,27 f. zweifellos aus Q31, aber das unmittelbar folgende Bildwort über den Starken (Lk 11,21 f./Mt 12,29) weist nahezu überhaupt keine Parallele zwischen Mt und Lk auf, während zwischen der Mt-Fassung und Mk 3,27 fast völlige Übereinstimmung besteht32. In Lk 11,23/Mt 12,30 folgt dann aber wieder ein Q-Logion (»Wer nicht mit mir ist . . .«) ohne Mk-Parallele33; es bildet bei Lk den Schluß der ganzen Szene, während die unmittelbare Fortsetzung bei Mt (12,31a) zunächst noch Mk (3,28a) folgt34. Ist es denkbar, daß Mk den Q-Text kannte, und daß er die Logien von Lk 11,19 f./Mt 12,27 f. und Lk 11,23/Mt 12,30 bewußt überging35? Wie war es möglich, daß Q und Mk ungefähr zur selben Zeit sowohl von Mt als auch von Lk rezipiert wurden? Warum kamen beide Evangelisten, unabhängig voneinander, auf den Gedanken, diese beiden Texte – unter Zugrundelegung des mk Erzählfadens, im einzelnen aber auf sehr unterschiedliche Weise – miteinander zu kombinieren? Natürlich läßt sich diese Frage nicht definitiv beantworten. Zu fragen ist aber, ob entgegen der ursprünglichen methodischen Voraussetzung womöglich doch keine völlige literarische Unabhängigkeit zwischen beiden Texten besteht. W. Schmithals nimmt an, daß Mk und Q gemeinsam auf einer Schriftrolle überliefert worden seien36. Wo und warum aber hätte man sich dazu veran30 So aber Lührmann, Redaktion (s. Anm. 12), 42 f. Dagegen meint R. Laufen, Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums (BBB 54), Königstein/Ts. und Bonn 1980, 132, Lk habe an dieser Stelle keineswegs Q und Mk miteinander verschmolzen, sondern er gebe »den Text der Logienquelle sehr getreu« wieder. 31 Die einzige wirkliche Differenz ist pney  mati / daktyÂlvì. 32 S. dazu Lührmann, Redaktion (s. Anm. 12), 33: »Daß auch Q dieses zweite Bildwort enthalten hat, ist unwahrscheinlich, da Lk und Mt in keinem einzigen Punkt übereinstimmen, ohne daß diese Übereinstimmung auf die Mk-Vorlage zurückginge.« Vgl. H. T. Fleddermann, Mark and Q. A Study of the Overlap Texts ( BEThL 122), Leuven 1995, 52–55 folgert aus der Rezeption des Q-Textes im Kontext von Mt 12,29, daß Mt auch in diesem Logion Q folgt. Zur Diskussion vgl. F. Neirynck, The Sayings Source Q and the Gospel of Mark, in: H. Lichtenberger (ed.), Geschichte – Tradition – Reflexion. III: Frühes Christentum. FS Martin Hengel, Tübingen 1996, 125–145, hier: 127 f. 33 In Mk 9,40 findet sich im Rahmen des »Schulgesprächs« Mk 9,38–41 die entgegengesetzte Aussage (»Wer nicht gegen uns ist . . .«), und dieses Logion war von Lk in 9,50 übernommen worden, während Mt es übergeht, offensichtlich aufgrund der Spannung zwischen beiden Logien. Mt hat die Szene vom fremden Exorzisten (Mk 9,38–41) im Unterschied zu Lk (Lk 9,49 f.) nicht; aber er bringt das Schlußlogion aus Mk 9,41 in Mt 10,42 fast wörtlich als Abschluß der Jüngerrede Mt 10,1–11,1, während dieses Logion bei Lk fehlt. 34 Mt12,32a entspricht dann aber Lk 12,10, stammt also aus Q. 35 Eine solche Annahme würde allerdings die Basis der Q-Hypothese erheblich schwächen. 36 W. Schmithals, Zur Geschichte der Spruchquelle und der Tradenten der Spruchüberlieferung. Das siebenfache Wehe Lk 11.37–54 par., NTS 45 (1999) 472–497. Er rechnet mit mehreren »Schichten« in der Q-Überlieferung und vermutet, der für die Messiasgeheimnistheorie verantwortliche Endredaktor von Mk und der für eine spezifisch christologische Redaktion von Q verantwortliche Redaktor seien identisch gewesen (aaO., 496).

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laßt gesehen, diese beiden so unterschiedlichen Texte gemeinsam abzuschreiben und zunächst als voneinander unabhängige Schriften zu tradieren, so daß sie in dieser Form sowohl Lk wie auch Mt zugänglich waren37? Warum blieb Mk nach der Abfassung der beiden Großevangelien erhalten, Q dagegen nicht? Da die Logienquelle offensichtlich einer anderen literarischen Gattung angehört als Mt und Lk, hätte man sich durchaus vorstellen können, nicht Q wäre verloren gegangen, sondern das durch Mt und Lk erheblich erweiterte, dabei zugleich aber auch praktisch vollständig rezipierte Mk. Aber auch wenn man an der im ganzen zweifellos einfachsten Annahme der gegenseitigen literarischen Unabhängigkeit von Mk und Q festhält, bleiben für die Rekonstruktion des Q-Textes nicht unerhebliche Unsicherheiten. Dies betrifft sowohl die Frage, welche Texte der Logienquelle zuzuweisen sind, d. h. die Frage nach dem Umfang der Logienquelle im ganzen, aber auch das Problem der Rekonstruktion des Q-Wortlauts im einzelnen. Die bei Lk und bei Mt gemeinsam vorhandene und bei Mk fehlende Überlieferung braucht durchaus nicht mit der Logienquelle im ganzen mehr oder weniger identisch gewesen zu sein; vielmehr ist grundsätzlich mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Texte, die jetzt als mt bzw. lk »Sondergut« erscheinen, tatsächlich doch aus Q stammen und sich aus irgendwelchen Gründen beim jeweils anderen Evangelisten nicht finden38. Es ist auch möglich, daß es Q-Texte gab, die sowohl von Mt wie auch von Lk nicht übernommen wurden, wie dies vereinzelt ja auch bei Texten aus Mk der Fall ist. Mt und Lk sind mit den ihnen zur Verfügung stehenden Quellen ja durchaus kritisch umgegangen. Darüber hinaus gibt es nicht wenige Beispiele für erhebliche Differenzen zwischen der Mt- und der Lk-Fassung eines der Logienquelle zugerechneten Textes, die fragen lassen, ob es überhaupt einigermaßen sichere Anzeichen für die Annahme der Existenz einer einzigen, für beide Evangelien im wesentlichen identischen, ursprünglichen Q-Fassung und Kriterien für deren mögliche Rekonstruktion gibt. Ein besonders signifikantes Beispiel ist die Parabel von den anvertrauten Talenten (Lk 19,12–27/Mt 25,14–30): Einerseits ist es durchaus wahrscheinlich, daß den beiden Fassungen ursprünglich ein Basistext zugrundelag; andererseits aber sind die jetzt bestehenden Differenzen derart erheblich, daß die Versuche, den Wortlaut der Q-Fassung zu rekonstruieren, mit größten Unsicherheiten behaftet sind39. 37 In der Forschung werden sowohl die chronologische Priorität des Mk wie auch die Priorität von Q angenommen. P. Hoffmann, QR und der Menschensohn. Eine vorläufige Skizze, in: F. van Segbroeck u. a., The Four Gospels 1992 (s. Anm 8), Vol. I, 421–456 datiert die Q-Redaktion »um 70« (aaO., 456), U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 3 1999, 201 sieht Indizien für einen sehr viel früheren Zeitraum (zwischen 40 und 50). 38 Vgl. E. K. Broadhead, The Extent of the Sayings Tradition (Q), in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 719–728. 39 Vgl. dazu A. Denaux, The Parable of the Talents/Pounds (Q 19,12–27). A Reconstruction of the Q Text, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 429–460.

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Angesichts solcher Differenzen in der Überlieferung der Q-Texte bei Mt und Lk, die nicht als mt bzw. lk Redaktion erklärt werden können, scheint es sinnvoll und methodisch geboten zu sein, zwischen zwei voneinander abweichenden Fassungen der Logienquelle – QMt und QLk – zu unterscheiden. Es bleibt dann aber die Frage, ob es sich dabei um literarisch umfassende und theologisch motivierte Q-Rezensionen handelt. In diesem Fall müßte es zunächst eine »ursprüngliche« Textfassung von Q gegeben haben, die ihrerseits das Ergebnis eines vorausliegenden Traditionsprozesses gewesen wäre; es müßte dann zu zwei voneinander unabhängigen redaktionellen Rezensionen dieser ursprünglichen Textfassung gekommen sein. Machen die zwischen QMt und QLk zu erkennenden Differenzen eine solche These wahrscheinlich? Vielleicht liegt die Annahme näher, daß die Differenzen weniger auf umfassende theologisch motivierte Redaktion(en) zurückzuführen sind, sondern ihre Ursache eher in einem wenig genauen, oder vielleicht besser: in einem als »kreativ« zu bezeichnenden Arbeiten der Schreiber der Texte haben. Selbst wenn es im Einzelfall sinnvoll sein mag, die Differenzen im Textbefund des Q-Stoffes bei Mt und bei Lk mit Hilfe der Annahme einer bewußt theologisch akzentuierten Redaktion zu erklären, so müßte doch eine solche Redaktion durchgängig nachgewiesen werden können. Das aber scheint kaum möglich zu sein. Die sich daraus ergebende Unsicherheit in der Bestimmung des Umfangs und des genauen Textbestandes der Logienquelle hat erhebliche Konsequenzen, und zwar insbesondere im Blick auf die Aufgabe, zu einer systematischen Darstellung der Theologie der Logienquelle zu gelangen.

III. Das Problem der literarischen Gattung der Logienquelle Sollte die Logienquelle mit der Täuferpredigt eröffnet und mit der Erzählung von der Versuchung Jesu durch den Teufel fortgesetzt worden sein, und hätte sie dazwischen womöglich auch von der Taufe Jesu berichtet40, dann hätte Q zumindest im Eröffnungsteil weitgehend dem Anfang des Mk entsprochen; fehlen würden lediglich Entsprechungen zur »Überschrift« (Mk 1,1) und zu dem vom Täufer berichtenden erzählenden Text in Mk 1,4–641. Hingegen hätte es in Q eine verglichen mit Mk 1,12–13 erzählerisch erheblich stärker ausgestaltete Fassung der Versuchungsszene gegeben. Ist eine solche Annahme wirklich wahrscheinlich? Sollte die Logienquelle, deren literarischer Charakter sich im folgenden ja 40

S. o. Abschnitt I. Der erste der beiden Schriftverweise in Mk 1,2 f. begegnet in Q im Rahmen der Täuferanfrage (Lk 7,27/Mt 11,10). Zum Verhältnis von Mk 1,2–8 zu den Parallelen vgl. N. Walter, Mk 1,1–8 (s. Anm. 8), 469 f.; er nennt gute Gründe für die Annahme, daß es eine analoge Q-Überlieferung nicht gegeben hat. Ob sich daraus ergeben muß, daß der Mt und Lk vorliegende Mk-Text von unserem Mk-Text abwich, wie Walter animmt, ist eine andere Frage. 41

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ganz erheblich von dem des Mk unterscheidet, dennoch in nahezu derselben Weise wie dieses eingeleitet worden sein? Es bestünde eine starke Spannung innerhalb der Logienquelle, wenn anzunehmen wäre, daß in einem zunächst mit stark erzählerischen Elementen eingeleiteten Text im folgenden nahezu alle diese Elemente fehlen würden. In der Forschung wird zunehmend mit der Möglichkeit unterschiedlicher »Schichten« oder »Stufen« innerhalb der Redaktion(en) der Q-Überlieferung gerechnet (Q1 und Q2, gelegentlich auch auch Q3)42. Mit Hilfe eines solchen Modells sollen nicht nur die Differenzen im Wortlaut der Q-Texte bei Lk und Mt, sondern auch inhaltliche Spannungen zwischen einzelnen Aussagen erklärt werden; dementsprechend wird die zu Q nicht recht passende Versuchungsgeschichte einer späteren Redaktionsschicht zugewiesen43. Die Bestimmung der literarischen Gattung der Logienquelle kann aber nur vom jetzt identifizierbaren Text ausgehen. Wenn schon die Annahme der Existenz von Q eine – wenn auch sehr gut begründete – Hypothese ist, dann muß die Frage erlaubt sein, ob es methodisch wirklich vertretbar ist, diese Hypothese zu erweitern durch die zusätzliche Annahme, es ließen sich die im Verlaufe einer längeren oder kürzeren Traditionsund Redaktionsgeschichte entstandenen Veränderungen des ohnehin nur hypothetisch rekonstruierbaren Q-Textes wirklich im einzelnen aufweisen. Ausgehend vom Problem der Zugehörigkeit von Lk 4,1–13/Mt 4,1–11 zu Q ist zu fragen, ob Q der Gattung nach als ein Evangelium zu bezeichnen ist. Dabei dient der Begriff »Evangelium« allein zur Bezeichnung derjenigen literarischen Gattung, als deren ältestes Dokument wir das Werk des Markus kennen; er ist nicht in einem qualitativen Sinne gemeint44. Die Frage ist einfach, ob man Mk und Q derselben literarischen Gattung zuweisen kann. Der Autor des Mk war ein theologischer Schriftsteller, der die ihm bekannte Jesus-Überlieferung nicht lediglich additiv nebeneinanderstellte, sondern sie zugleich in nicht unerheblichem Ausmaß redigierte, dadurch auch inhaltlich veränderte und dem so entstehenden Gesamtwerk ein bestimmtes theologisches Profil

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So schon S. Schulz, Q – die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich 1972, und jetzt insbesondere Kloppenborg, Formation (s. Anm. 21). Ähnlich D. C. Allison, The Jesus Tradition in Q, Harrisburg PA 1997, 1–66. Auch Schmithals (s. Anm. 36) rechnet zu Lk 11,37–54 par mit mehreren literarischen Erweiterungen eines ursprünglichen Weisheitswortes, die überdies zeitgeschichtlich eingeordnet werden könnten. Kritisch dazu P. Hoffmann, Mutmaßungen über Q. Zum Problem der literarischen Genese von Q, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 225–288. 43 S. oben am Ende von Abschnitt I. 44 Dies scheint in dem in der älteren Forschung vorgeschlagenen Begriff ›Halbevangelium‹ anzuklingen. A. D. Jacobson, The First Gospel. An Introduction to Q (Foundations & Facets), Sonoma CA, 1992, 31 erklärt: »There is now no longer any reason to deny to Q the status of gospel.« Die Gründe für dieses Urteil liegen aber primär darin, daß beispielsweise »the marginalization of Q as simply one more piece of early Christian ethical teaching« verhindert werden soll.

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gab. Mk ist eine Erzählung45, die durchgängig berichtet von einer in der »Überschrift« 1,1 vorgestellten Hauptperson – Jesus von Nazareth46, der einem bestimmten Schicksal entgegengeht. Jesus spricht und handelt nicht etwa in einem mythischen oder zeitlosen Kontext, sondern im Rahmen der allgemeinen (»Welt«-) Geschichte47 und zugleich im Horizont der von ihm selber ausgerufenen Nähe des Gottesreiches (Mk 1,14 f.)48. Jesus steht von Anfang an in vielfältigen Beziehungen: Er beruft »Schüler« (Mk 1,16–20), er vermag vielen Menschen zu helfen (»Wundererzählungen«), wird aber auch in Konflikte verwickelt (»Streitgespräche«). Sein erstmals schon sehr früh (3,6) und dann noch mehrfach (8,31; 9,31; 10,32–34 u. ö.) ausdrücklich angekündigtes gewaltsames Ende wird in der Passionserzählung (11,1–15,47) sehr eingehend geschildert, verbunden mit einer zwar nur andeutend, aber doch deutlich genug ausgesprochenen das irdische Leben Jesu transzendierenden Zukunftsperspektive (9,9; 14,28; 16,7). Ein ähnlich zielgerichteter die Hauptperson betreffender Handlungsaufbau ist in Q gar nicht, eine vergleichbar zielgerichtete Anordnung des Spruchmaterials ist nur an wenigen Stellen zu erkennen49. Daher kann Q nicht wirklich als ein »Evangelium« im Sinne der literarischen Gattung bezeichnet werden50. Zu den Ausnahmen von der Regel gehört, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit schon im Q-Text der Rede Jesu in Lk 6,20–49 bzw. Mt 5–7 die Erzählung vom Hauptmann von Kapharnaum unmittelbar folgte, verknüpft durch eine redaktionelle Notiz51. Hier liegt also eine Verbindung zwischen einer Rede und einem stärker erzählerische Elemente enthaltenden Text vor52. Daß dann in Q die Täu-

45 Vgl. die Beiträge in F. Hahn (ed.), Der Erzähler des Evangeliums. Methodische Neuansätze in der Markusforschung (SBS 118/119), Stuttgart 1985. 46 Lediglich die Erzählung vom Tod Johannes des Täufers (6,14–29) ist eine Art Exkurs, durch den Mk aber die Zeitspanne zwischen Aussendung und Rückkehr der Jünger bei der »Mission« erzählerisch geschickt überbrückt. 47 Es kommen nicht nur historische Personen wie der Tetrarch Herodes Antipas, der Hohepriester Kaiphas und der römische Präfekt Pilatus vor, sondern es werden auch zeit- und kulturgeschichtliche Hintergrundinformationen gegeben, die zu kennen nach dem Urteil des Evangelisten für das Verstehen notwendig ist (vgl. etwa Mk 7,3 f.). 48 Vgl. dazu J. Dechow, Gottessohn und Herrschaft Gottes. Der Theozentrismus des Markusevangeliums (WMANT 86), Neukirchen-Vluyn 2000. 49 Dies bedeutet keineswegs, daß die Stoffanordnung in Q, soweit sie erkennbar ist, willkürlich zu nennen wäre; aber die Abfolge der Textstücke hätte durchaus auch einem anderen Muster folgen können. 50 Kloppenborg, Formation (s. Anm. 21), 262: »Of course, Q is not a ›Gospel‹. It is still primarily a speech or sayings collection«. 51 In Lk 7,1a/Mt 7,28a; 8,5 wird, wenn auch mit unterschiedlichem Wortlaut, das Ende der Rede markiert (Lk 7,1a: eÆpeidhÁ eÆplhÂrvsen paÂnta taÁ rhÂmata ayÆtoyÄ eiÆw taÁw aÆkoaÁw toyÄ laoyÄ Mt 7,28a: kaiÁ eÆgeÂneto oÏte eÆteÂlesen oë ÆIhsoyÄw toyÁw loÂgoyw toyÂtoyw), worauf der Hinweis auf das Hineingehen nach Kapernaum folgt (Lk 7,1b: eiÆshÄluen eiÆw KafarnaoyÂm; Mt 8,5: eiÆseluoÂntow deÁ ayÆtoyÄ eiÆw KafarnaoyÂm); für diese redaktionellen Übergänge hat es offenbar eine Q-Vorlage gegeben. 52 Freilich wirkt der Text Lk 7,1–10/Mt 8,5–13 literarisch eher wie ein Dialog und weniger wie eine Wundererzählung.

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ferfrage unmittelbar folgt (Lk 7,18–35/Mt 11,2–11.16–19), ist erzählerisch sinnvoll; die Frage, ob Jesus oë eÆrxoÂmenow ist, kann durchaus als unmittelbare Reaktion auf das Heilungswunder in Kapharnaum verstanden werden53. Dennoch wirft die Perikope auf der Ebene des Q-Textes Probleme auf, insofern es zu den in der Antwort (Lk 7,22/Mt 11,4 f.) erwähnten Geschehnissen in den vorangegangenen Abschnitten der Logienquelle kaum eine Entsprechung gegeben hatte. Könnte in Q gemeint gewesen sein, daß sich die erwähnten Wunder gegenwärtig, also in Anwesenheit der Boten des Johannes, ereigneten54 und daß jedenfalls nicht auf sie »zurückgeblickt« wird? Mt und Lk haben die von Jesus in seiner Antwort erwähnten Wundertaten als die Erfüllung biblischer Verheißungen aufgefaßt55, und sie haben daher entsprechende Wundererzählungen vorangestellt. Dementsprechend ist die ganze Szene bei Mt im Aufriß des Evangeliums verhältnismäßig spät eingeordnet; bei Lk dagegen wurde in 7,21 eine redaktionelle summarische Notiz unmittelbar vorgeschaltet, wodurch die Aussage in 7,22 einen bestätigenden Charakter erhielt. Weitere Spuren erzählerischer Elemente finden sich in Q im übrigen kaum, am deutlichsten noch in der – freilich sehr knappen – Einleitung zur Beelzebul-Debatte (Lk 11,14/Mt 12,22). Daraus ist zu folgern, daß die Logienquelle der literarischen Gattung nach wirklich eine »Redenquelle«56 war und jedenfalls nicht ein Text, der derselben literarischen Gattung zuzuweisen ist wie das Markusevangelium57. Mit Blick auf die Frage nach ihrer literarischen Gattung wird die Logienquelle oft mit dem Thomasevangelium verglichen. Das Thomasevangelium besitzt aber nicht nur eine ausdrückliche Einleitung (incipit bzw. Logion 1), in der der SpreÄ n) und der Schreiber (»Didycher (»Jesus, der lebendige«, POxy 654: ÆIhsoyÄw oë zv mos Judas Thomas«) genannt werden, worauf dann sogar eine hermeneutische Notiz folgt (»Wer die Bedeutung dieser Worte findet, wird den Tod nicht 53 Bei Lk waren die Leser über die Tatsache der Gefangenschaft des Täufers schon früh informiert worden (3,18–20), und sie wissen auch, daß er und Jesus sich niemals direkt begegnet waren. So folgt nach den Wundern in 7,1–10 und 7,11–16 (vgl. V. 17!) bei Lk mit durchaus logischer Konsequenz die aus Q stammende Täuferfrage (7,19: syÁ eiË oë eÆrxoÂmenow hà aÍllon prosdokv Ä men;); die analoge Frage erscheint im Mt-Text 11,2–6 im Anschluß an die Aussendungsrede wesentlich weniger klar motiviert. 54 Vgl. Mt 11,4b: a Æ paggeiÂlate ÆIvaÂnnhì aÊ aÆkoyÂete kaiÁ bleÂpete und auch Lk 7,22: aÆpaggeiÂlate ÆIvaÂnnhì aÊ eiÍdete kaiÁ hÆkoyÂsate. 55 Es handelt sich ja um eine Kombination biblischer Zitate (Jes 29,18 und vor allem Jes 35,5 f.; 42,18), durch die Jesus als der eschatologische Heilbringer erwiesen werden soll. Vgl. 4Q 521. 56 Dieser Begriff trifft den Textbefund möglicherweise besser als das Wort »Logien« oder »Spruchsammlung«, das den Eindruck erwecken könnte, Q sei nicht mehr als eine Aneinanderreihung von inhaltlich womöglich ganz disparaten Einzelsprüchen. Vgl. Kloppenborg, Formation (s. Anm. 21), p. 262. 57 J. Schröter, Erinnerung an Jesu Worte. Studien zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q und Thomas (WMANT 76), Neukirchen-Vluyn 1997, 460 f. sieht Mk als eine »biographische Erzählung«, und er bezeichnet das Thomasevangelium als »Spruchsammlung«; in Q erkennt er eine Überschneidung beider Gattungen. Die Bezeichnungen »Spruchevangelium« oder »Sayings Gospel« sieht Schröter als »wenig hilfreich« an (aaO., 461 Anm. 3).

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schmecken.«); vielmehr wird im Thomasevangelium nahezu jedes der dann folgenden Logien ausdrücklich eingeleitet durch die Notiz »Jesus sagte« (oder: »Jesus sagt«, leÂgei ÆIhsoyÄw)58. Dagegen scheint Q analoge Angaben kaum enthalten zu haben; zwar finden sich apophthegmatische Elemente in Lk 9,57a/Mt 8,19a59, ausdrückliche Einleitungen der Worte Jesu darüber hinaus vielleicht auch in Lk 10,2a/Mt 9,37a und Lk 10,21a/Mt 11,25a, doch es gibt hier keine so klaren Übereinstimmungen zwischen dem Lk- und dem Mt-Text, daß sich der Q-Wortlaut wirklich identifizieren ließe. Dieser Befund scheint die Annahme zu bestätigen, daß Q der Gattung nach als eine – zweifellos geordnete – Sammlung von »Reden« und einzelnen Aussagen Jesu zu beschreiben ist; die Logienquelle war kein im Sinne etwa des Mk als »Evangelium« zu bezeichnender Text, sondern eine redigierte schriftliche Dokumentation von Worten Jesu. Aus dieser Bestimmung des besonderen literarischen Charakters von Q ergeben sich Konsequenzen für die Frage nach dem Abfassungszweck und damit auch für die Frage nach dem »Sitz im Leben« der Logienquelle: Ist sie das spezifische Textzeugnis einer »Q-Gemeinde«, also einer theologisch eigenständigen Gruppe innerhalb (oder auch am Rande) des Urchristentums? Zur Verdeutlichung drei Beispiele: a) Zeigen die Makarismen in Lk 6,20–23 par das Selbstverständnis einer Gruppe, deren Mitglieder sich verstehen als die hier als makaÂrioi Angesprochenen? Die Antwort auf diese Frage könnte mit davon abhängig sein, ob auch die Weherufe Lk 6,24–26 Q zuzuordnen sind oder nicht60. Hätte man nämlich Lk 6,20–26 im ganzen als ursprünglichen Q-Text anzusehen, dann wäre die Annahme, daß hier an zwei einander gegenüberstehende Gruppen gedacht ist, wahrscheinlicher, als wenn allein die Makarismen in Q gestanden haben sollten: Diejenigen, die sich als die makaÂrioi sehen, würden denen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören, die Weherufe gesagt sein lassen. b) Spricht das Gastmahlgleichnis (Lk 14,16–24/Mt 22,2–10) für die Annahme, daß diejenigen, welche die Einladung zum deiÄpnon Gottes nicht ausgeschlagen haben, möglicherweise die Trägergruppe der Q-Überlieferung sind? In diesem Fall wäre es sogar denkbar, daß die in Mt 22,11–14 vorgenommene redaktionelle Ergänzung der (vermutlich von Mt selber stark allegorisierten) Parabel als eine direkte Polemik 58 Zum Text des koptischen Thomasevangeliums aus Nag Hammadi s. H.-G. Bethge in K. Aland (ed.), Synopsis Quattuor Evangeliorum, Stuttgart 151996, 517–546. Zu den Fragmenten des ThEv aus Oxyrhynchus s. D. Lührmann, Fragmente apokryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache (MThSt 59), Marburg 2000, 106–131. 59 Jemand spricht Jesus an, worauf dieser antwortet; in Lk 9,59 f./Mt 8,21 f. liegt der umgekehrte Fall vor. 60 Bovon, Lukasevangelium (s. Anm. 9), 298 nimmt an, daß die Weherufe lk redaktionell gebildet wurden. Anders Lührmann, Redaktion (s. Anm. 12), 54. D. Kosch, Die eschatologische Tora des Menschensohnes. Untersuchungen zur Rezeption der Stellung Jesu zur Tora in Q (NTOA 12), Freiburg/Schweiz und Göttingen 1989, 245 führt die Weherufe auf QLk zurück (wobei er die beiden Mt und Lk vorliegenden Fassungen von Q als »Rezensionen« ansieht, aaO., 32).

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gegen das Selbstbewußtsein der Angehörigen der Q-Gruppe gemeint war: Mt würde sagen, daß keineswegs alle, die der Einladung gefolgt waren, nun auch wirklich als eÆklektoi anzusehen sind. c) Steht hinter den Worten, die vom Haß gegen Vater und Mutter sprechen (Lk 14,26 f./Mt 10,37 f.), die Erfahrung einzelner Menschen, die in der Nachfolge Jesu stehen? Oder geht es um eine Gruppe, deren Mitglieder die bisherigen gesellschaftlichen Bindungen aufgegeben haben (Lk 9,57–62/Mt 8,19–22) und die sich nun als eine von der Umwelt abgesonderte Gemeinschaft sehen61? Eine sichere Antwort scheint mir bei keinem der drei genannten Textbeispiele möglich zu sein. Für die Annahme, daß die Logienquelle tatsächlich eine Gemeinde und deren Leben als mehr oder weniger feste Gruppe im Blick hat, scheint es unmittelbare Textindizien nicht zu geben; von »gruppeninternen« Beziehungen jener Menschen, an die sich Jesus mit seinen Aussagen wendet, ist nirgends ausdrücklich die Rede62. Das Fehlen eines solchen expliziten »Gruppenbezuges« wird besonders deutlich, wenn man die Anweisungen zur Praxis der Umkehr in Lk 17,3 f./Mt 18,15.21 f. mit dem daraus dann in Mt 18,15–22 redaktionell entwickelten Text vergleicht: Im Unterschied zu dem zu vermutenden Q-Text ist in der von Mt geschaffenen Textfassung die Existenz einer Gemeinde sofort erkennbar63. Angesichts dessen scheint es mir eine durchaus offene Frage zu sein, ob aus der Tatsache der Existenz von Q bereits unmittelbar auf die Existenz einer entsprechenden Trägergruppe mit einem eigenen theologischen bzw. ekklesiologischen Profil zurückzuschließen ist64.

IV. Das Verhältnis der Logienquelle zum »historischen Jesus« In welchem Verhältnis steht die Logienquelle zum historischen Jesus, präziser formuliert: Inwieweit können die Q-Texte als historisch zuverlässige JesusÜberlieferung eingeschätzt werden? In der Ursprungssituation der Q-Hypothese war man davon überzeugt gewesen, im überlieferten Stoff der Logienquelle begegne uns der »historische Jesus« nahezu unmittelbar65. Diese Annahme ging 61

Vgl. Lk 10,2–12/Mt 10,7–16. Das Wort mauhthÂw begegnet in Q offenbar nur in der Sentenz Lk 6,40/Mt 10,24 (oyÆk eÍstin mauhthÁw yëpeÁr toÁn didaÂskalon) und vielleicht in der Einleitung zur Bergpredigt/Feldrede Lk 6,20/Mt 5,1), sonst aber jedenfalls nicht. 63 Dies würde auch dann gelten, wenn in Mt 18,17 der (zweifellos redaktionell eingebrachte) Begriff eÆkklhsiÂa fehlte. 64 M. Sato, Q und Prophetie. Studien zur Gattungs- und Traditionsgeschichte der Quelle Q (WUNT II/29), Tübingen 1988 sieht in Q ein »Prophetenbuch«, wobei die Tradenten in der Q-Bewegung nicht nur die Worte Jesu bewahrten, sondern auch selber »Jüngerprophetie« praktizierten (vgl. die Zusammenfassung aaO., 409–411). 65 Vgl. den Beitrag von D. Lührmann, Die Logienquelle und die Leben-Jesu-Forschung, in Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 191–206. 62

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in erheblichem Maße auf die These zurück, der Q-Stoff sei jedenfalls nur wenig theologisch »redigiert«, mithin, historisch betrachtet, kaum »verfälscht«. Die Annahme, Q sei die wichtigste Quelle für den historischen Jesus, begegnet auch in der gegenwärtigen Jesusforschung66. Aber steht die Logienüberlieferung in Q wirklich näher beim historischen Jesus, als dies für die bei Mk verarbeitete JesusÜberlieferung oder für das Sondergut gilt67? Mit Ausnahme der Hinweise auf die Exorzismen Jesu lassen die Q-Texte den Wundern gegenüber Zurückhaltung erkennen68. Das dürfte durchaus Anhalt an den historischen Gegebenheiten haben. Die Erzählung von der Heilung des Dieners (paiÄw bzw. doyÄlow) des Hauptmanns von Kapharnaum (Lk 7,1–10/Mt 8,5–13) versteht Jesus als den vollmächtig handelnden Menschen, auf dessen bloßes Wort hin etwas geschieht; dabei scheint der Q-Text am eigentlichen Wundergeschehen selber nur wenig interessiert zu sein69. Die auf die Täuferfrage syÁ eiË oë eÆrxoÂmenow; gegebene Antwort in Lk 7,22/Mt 11,4 f. spricht in Anlehnung an biblische Aussagen – freilich nicht im wirklichen Zitat – von wunderbaren Heilungen70 sowie davon, daß Armen die frohe Botschaft zugesprochen und derjenige makaÂriow genannt wird, der an Jesus (eÆn eÆmoiÂ) nicht Anstoß nimmt71. In der 66 Vgl. G. Theissen/A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996, 45: »Q ist zweifellos die wichtigste Quelle zur Rekonstruktion der Lehre Jesu.« Es heißt aber weiter: »Doch auch hier begegnen die authentischen Überlieferungen von Jesus in, mit und unter den Worten ihm nachfolgender Generationen. Auch aus den Q-Überlieferungen lassen sich deshalb ganz verschiedene Jesusbilder rekonstruieren.« 67 Vgl. dazu J. S. Kloppenborg, The Sayings Gospel Q and the Quest of the Historical Jesus, HThR 89 (1996) 307–344 und die sich anschließenden Diskussionsbeiträge von H. Köster (aaO., 345–349) und R. Cameron (aaO., 351–354). 68 Vgl. aber M. Hüneburg, Jesus als Wundertäter. Zu einem vernachlässigten Aspekt des Jesusbildes in Q, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 635–648. 69 Vgl. die »Demonstration«, die sich in Lk 7,10 auf die Aussage beschränkt: ey Î ron toÁn doyÄlon yëgiaiÂnonta (vgl. Mt 8,13: kaiÁ iÆaÂuh oë paiÄw eÆn th Äì v Ï raì eÆkeiÂnhì; sehr viel breiter dagegen in Joh 4,51–53). Die Aussagen des Hauptmanns in Lk 7,7 f./Mt 8,8 f. über die Wirkungen des Sprechens könnten möglicherweise ein Indiz dafür sein, daß sich für diese Erzählung die Therapie nicht wesentlich vom Exorzismus unterscheidet. Lk hat das mirakulöse Element im folgenden erheblich gesteigert, indem er die Sondergut-Erzählung von der Auferweckung des toten Jünglings zu Nain unmittelbar anschließt (7,11–17); dies ist ja der einzige eindeutig von der Auferweckung eines Toten erzählende Text in der synoptischen Überlieferung. 70 S. dazu oben Abschnitt III. 71 Der Abschnitt Lk 7,18–23 ist ein besonders schönes Beispiel für das lk Vorgehen bei der Verarbeitung von Q-Tradition: Während Mt von den in der Antwort Jesu genannten unterschiedlichen Wundertaten (Mt 11,5: tyfloiÁ aÆnableÂpoysin kaiÁ xvloiÁ peripatoyÄsin, leproiÁ kauariÂzontai kaiÁ kvfoiÁ aÆkoyÂoysin, kaiÁ nekroiÁ eÆgeiÂrontai kaiÁ ptvxoiÁ eyÆaggeliÂzontai) bereits erzählt hatte, gab es bei Lk (Lk 7,22: tyfloiÁ aÆnableÂpoysin, xvloiÁ peripatoyÄsin, leproiÁ kauariÂzontai kaiÁ kvfoiÁ aÆkoyÂoysin, nekroiÁ eÆgeiÂrontai, ptvxoiÁ eyÆaggeliÂzontai) bisher keinen erzählten Exorzismus Jesu, sondern nur eine summarische Erwähnung (Lk 4,41), und es gab insbesondere auch noch keine Blindenheilung. Also fügt Lk in 7,21 vorab eine entsprechende Notiz ein (eÆn eÆkeiÂnhì thÄì vÏraì

eÆueraÂpeysen polloyÁw aÆpoÁ noÂsvn kaiÁ mastiÂgvn kaiÁ pneymaÂtvn ponhrv Ä n kaiÁ tyfloiÄw polloiÄw eÆxariÂsato bleÂpein), durch die das aus Q übernommene Jesus-Wort im Kontext jedenfalls plausibler wird (vom lk Erzähltext dennoch nicht abgedeckt ist die Aussage kvfoiÁ aÆkoyÂoysin). Die ab-

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»Aussendungsrede« wird den Adressaten nicht nur der Verkündigungsauftrag gegeben, sondern sie sollen auch Kranke heilen72; aber schon die diesen Aspekt dann erheblich verstärkende offensichtlich redaktionelle Fortsetzung bei Mt73 zeigt, daß der zugrundeliegende Q-Text tatsächlich nicht mehr enthalten hatte als eine schmale Andeutung. Ähnliches gilt für die dynaÂmeiw, die nach Lk 10,13/Mt 11,21 in Chorazin und Bethsaida geschehen waren; der Q-Text sagte offenbar nichts darüber, worum es sich bei diesen Machttaten im einzelnen gehandelt hatte. Diesen wenigen in Q enthaltenen knappen Hinweisen auf wunderbare Taten Jesu bzw. der Jünger entspricht, soweit wir zu erkennen vermögen, keine erzählende Überlieferung. Anscheinend kam es für Q in erster Linie darauf an, Jesu Auftreten als Zeichen für den Anbruch der eschatologischen Heilszeit zu sehen74, und dazu paßt das Wort von der in den Exorzismen Jesu bereits gegenwärtigen basileiÂa toyÄ ueoyÄ (Lk 11,20/Mt 12,28). Schilderungen der wunderbaren Ereignisse, auch der exorzistischen Taten Jesu, gibt es in den der Logienquelle zugerechneten Texten nicht75. Daß sich unter den in Q tradierten Logien selbstverständlich auch historisch zuverlässige Jesusüberlieferung befindet, duldet keinen Zweifel. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Bedingungen für die Sammlung des Stoffes der JesusÜberlieferung im Bereich der Tradition der Logienquelle im ganzen prinzipiell andere waren als im Bereich der schließlich zu Mk führenden Tradition. Die Tatsache, daß die Texte der Logienquelle eine explizite Christologie kaum zu enthalten scheinen76, bedeutet nicht, daß die hier bewahrte Jesusüberlieferung im historischen Sinne »authentischer« sein müßte als andere Jesustradition77. Welches Jesusbild aber lassen die Texte der Logienquelle erkennen? Deutlich ist, daß schließende Aussage ptvxoiÁ eyÆaggeliÂzontai, auf der Q-Ebene wohl Anknüpfung an Lk 6,20/Mt 5,3, stellt auf der Lk-Ebene eine sehr auffällige Wiederaufnahme des in der Nazareth-Perikope verwendeten Zitats (pneyÄma kyriÂoy eÆp’ eÆmeÁ oyÎ eiÏneken eÍxrisen me eyÆaggeliÂsasuai ptvxoiÄw) dar. 72 Lk 10,9: uerapey  ete toyÁw . . . aÆsueneiÄw; Mt 10,8: aÆsuenoyÄntaw uerapeyÂete. 73 Mt 10,8: a Æ suenoyÄntaw uerapeyÂete, nekroyÁw eÆgeiÂrete, leproyÁw kauariÂzete, daimoÂnia eÆkbaÂlÄì (d. h. in der lete´ dvreaÁn eÆlaÂbete, dvreaÁn doÂte. Dagegen Lk 10,9: kaiÁ uerapeyÂete toyÁw eÆn ayÆth Ä w hë basileiÂa toyÄ ueoyÄ. Stadt) aÆsueneiÄw kaiÁ leÂgete ayÆtoiÄw´ hÍggiken eÆfÆ yëma 74 S. o. Abschnitt III. 75 Selbst in der Beelzebul-Szene wird der die Kontroverse auslösende Exorzismus nur zu Beginn eher beiläufig erwähnt, wobei eine Rekonstruktion des Q-Textes kaum möglich ist. Während in Lk 11,14 die für Exorzismen typische Begrifflichkeit verwendet ist (eÆkbaÂllvn . . . eÆjeluoÂntow . . .), heißt es in Mt 12,22 eÆueraÂpeysen ayÆtoÂn. Statt wie bei Lk von einem daimoÂnion ist bei Mt vom daimonizoÂmenow tyfloÁw kaiÁ kvfoÂw die Rede. 76 Vgl. J. Schlosser, Q et la christologie implicite, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 289–316. 77 Schröter, Erinnerung (s. Anm. 56), 485 meint, die Geschichte der Verkündigung Jesu müsse als die Geschichte ihrer Rezeption nachgezeichnet werden, wobei auszugehen sei von denjenigen »Bestandteilen der Jesusüberlieferung, die sich im gemeinsamen Bestand von Mk und Q verifizieren lassen«. Vgl. auch J. Schröter, Die Frage nach dem historischen Jesus und der Charakter historischer Erkenntnis, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 207–254.

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sich das Wirken Jesu sehr betont auf Israel konzentriert; Menschen aus der Völkerwelt (»Heiden«) spielen anscheinend keine Rolle, und dies wird man im ganzen als mit den historischen Gegebenheiten übereinstimmend ansehen dürfen. Sowohl das Wort in Lk 7,9/Mt 8,10, wonach Jesus in Israel die ihm von dem Hauptmann entgegengebrachte piÂstiw nicht gefunden hat, wie auch die kritische Konfrontation der Bewohner von Tyrus und Sidon (Lk10,13 f./Mt 11,21 f.) bzw. der »Königin des Südens« und der Niniviten (Lk 11,31 f./Mt 12,42.41) mit den Israeliten könnten sogar eher auf einen Konflikt zwischen den an Jesus glaubenden Juden und dem übrigen Israel verweisen als auf eine unmittelbar bestehende »positive« Beziehung Jesu zu den »Heiden«78. Welche Christologie lassen die Texte der Logienquelle erkennen79? Daß Jesus als der Sprecher der Q-Worte zu gelten hat, ist durchgängig vorausgesetzt und deshalb kaum explizit ausgesprochen, geschweige denn in besonderer Weise betont. Jesus hat als Sprecher der Makarismen keine spezifische Funktion; die Seligpreisungen tragen ihre Verheißung und ihre Wahrheit in sich selbst, sie gewinnen diese Wahrheit offenbar nicht daraus, daß es Jesus ist, der sie ausspricht80. In Lk 6,46–49/Mt 7,21.24–27 wird gegen Menschen polemisiert, die in Jesus zwar den kyÂriow sehen, die aber nicht tun, was er ihnen gebietet. Man kann fragen, ob es nach dem Jesusverständnis von Q geradezu falsch ist, in Jesus den kyÂriow zu sehen und ihn mit diesen Titel anzurufen. Ist Jesus für die Logienquelle in erster Linie der Lehrer, und wird damit jede andere, insbesondere jede hoheitliche Christologie als unsachgemäß zurückgewiesen? Die Logienquelle spricht von Jesus als dem yiëoÁw toyÄ aÆnurvÂpoy. Unabhängig von der Frage, ob Jesus selber den Begriff »Menschensohn« verwendet und womöglich auf seine eigene Person bezogen hat81, wird er in der synoptischen Überlieferung sehr wahrscheinlich als eine in Anlehnung an Dan 7 gebrauchte hoheitliche Bezeichnung verstanden. Gilt das auch für Q? Gab es eine ältere Fassung der Logienquelle, in der Jesus zunächst allein der (Weisheits-) Lehrer war, und erhielt Jesus erst auf der Stufe einer traditionsgeschichtlich zweiten »Schicht« als »der Menschensohn« hoheitliche Züge? Jedenfalls bezeichnet Q den irdischen Jesus als »Menschensohn«82, ohne ihn damit als eine aus dem Jenseits, »vom Himmel« gekommene Gestalt zu verstehen (vgl. Lk 9,58/Mt 8,20)83. 78

Es fällt auf, daß selbst bei der Erzählung vom Hauptmann von Kapharnaum der Aspekt, daß er ein Heide ist, in Q kaum betont ist (anders die erkennbar redaktionell lk Aussagen in Lk 8,3–7). 79 Vgl. dazu C. M. Tuckett, Q and the History of Early Christianity. Studies on Q, Edinburgh 1996, 209–237. 80 Anders Sato, Q und Prophetie (s. Anm. 58), 95: Das Besondere sei gerade die herausragende Gestalt des Sprechers Jesus selbst. 81 Dazu A. Vögtle, Die ›Gretchenfrage‹ des Menschensohnproblems. Bilanz und Perspektive (QD 152), Freiburg 1994. Ferner C. M. Tuckett, The Son of Man and Daniel 7: Q and Jesus, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 371–394. 82 Das gilt ebenso für Mk; Joh dagegen verbindet zumindest an einer Stelle den Menschensohntitel mit der Vorstellung des aus dem Himmel herabgestiegenen Gesandten (Joh 3,13).

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Wie sieht nach Q die Beziehung zwischen Jesus und den jüdischen Gruppen aus? In Lk 11,39–52 par Mt 23 werden Vorwürfe gegen die Pharisäer und gegen die nomikoi erhoben, wobei es von ihnen heißt, sie praktizierten eine nur äußerliche Frömmigkeit. Wird damit gesagt, daß sie gar nicht anders handeln können als in dieser so negativ beschriebenen Weise? Oder werden Pharisäer und Gesetzeslehrer implizit dazu aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern? Lediglich im zweiten Fall könnte man in diesen Aussagen historisch zuverlässige Jesusüberlieferung sehen, während im ersten Fall die Annahme wahrscheinlicher ist, daß sich hier die Nachfolger Jesu prinzipiell von den Pharisäern abgrenzen84. In Lk 12,11 f./Mt 10,19 f. wird den Adressaten verheißen, in der bevorstehenden Situation einer gegen sie vorgebrachten Anklage werde das pneyÄma aÏgion für ihre wirksame Verteidigung sorgen. Wer ist hier als das Gegenüber gedacht, wo vollzieht sich eine derartige Anklage? Haben wir es mit authentischen Jesuszeugnissen zu tun? Oder spiegelt sich hier die Erfahrung derer, die diese Überlieferung bewahren? Die Logienquelle enthält klare Handlungsmaximen (»Liebet eure Feinde«, Lk 6,27–36; »der gute Baum bringt gute Früchte«, Lk 6,43–45; man soll Jesu Worte tun, Lk 6,46–49). Aber die aktuell geführte Debatte über die Auslegung der Normen, die von der Tora geboten werden, spielt in diesem Zusammenhang eine eher untergeordnete Rolle. So wird in Lk 14,5/Mt 12,11 als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Rettung eines Tieres am Sabbat erlaubt ist, obwohl dies im zeitgenössischen Judentum durchaus unterschiedlich gesehen wurde85. Umgekehrt wird nach Lk 16,18/Mt 5,32 Ehescheidung ohne jede Diskussion mit Ehebruch gleichgesetzt, was den die Ehescheidung betreffenden Vorschriften der 83 Im Zusammenhang der Gerichtsaussage des ähnlich auch in Mk 8,38 belegten Logions vom Bekennen und Verleugnen ist der Titel »Menschensohn« in apokalyptischem Sinne gebraucht (Lk 12,8 diff Mt 10,32); in der »Q-Apokalypse« wird im Zusammenhang der Erwartung der endzeitlichen Ereignisse von den »Tagen des Menschensohnes« gesprochen (Lk 17,22.24). 84 Vgl. D. Zeller, Jesus, Q und die Zukunft Israels, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 351–370. 85 Vgl. dazu die Position der Qumrangemeinde CD XI,13–17: »Niemand leiste einem Vieh Geburtshilfe am Sabbattag. Und fällt es in eine Zisterne oder in eine Grube, soll man es nicht am Sabbat heraufholen. Niemand begehe den Sabbat an einem Ort nahe den Nichtjuden am Sabbat. Niemand entweihe den Sabbat wegen Besitz und Gewinn am Sabbat. Und jede Menschenseele, die in eine Wasserstelle und in ein Bassin fällt, die hole niemand mit einer Leiter oder mit einem Strick oder einem Gerät herauf.« (J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer. Band I: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11 [UTB 1862], München 1995, 24). Dagegen Schab 128b: »R. Jehuda sagte im Namen Rabhs: Wenn ein Vieh in einen Wassergraben fällt, so hole man Kissen und Polster und lege sie ihm unter, und wenn es dann heraufkommt, so ist nichts dabei.« Diskutiert wird, ob das Vieh zur Rettung auch Futter erhalten darf: »Ist es mit der Fütterung möglich, so bleibe es bei der Fütterung, wenn aber nicht, so hole man Kissen und Polster und lege sie ihm unter.« Damit würden die Kissen allerdings der weiteren Benutzbarkeit am Sabbat entzogen; das Gegenargument lautet: »Die Entziehung der Benutzbarkeit ist nur rabbanitisch [verboten], die Tierquälerei aber biblisch, und das biblische Verbot verdrängt das rabbanitische.« (Der Babylonische Talmud. Neu übertragen durch L. Goldschmidt, Erster Band, Berlin 1929, 835 f.)

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Tora (vgl. Dtn 24,1–4) durchaus nicht entspricht86. Es scheint, als sei das Gesetz für die Q-Texte keine für die Lösung aktueller Probleme strikt verbindliche Größe; dem entspricht es, daß das Wort noÂmow, soweit wir erkennen können, nur in Lk 16,16/Mt 11,13 begegnet, und zwar nicht mit Blick auf die halachische Tora, sondern als Bezeichnung für die Heiligen Schriften (»Gesetz und Propheten«)87. Wie stellen die Texte der Logienquelle Jesu Verständnis der Geschichte Israels dar? Leider bleibt das Logion in Lk 16,16/Mt 11,12 f. für uns ganz rätselhaft – und dies schon deshalb, weil die Rekonstruktion eines ursprünglichen Wortlauts dieses Logions nicht gelingt88. Im ganzen jedenfalls scheint die Geschichte unter einem eher negativen Vorzeichen in den Blick zu kommen: Nach Lk 11,48–52/Mt 23,31.32a. 34–36 haben »eure Väter« die Propheten getötet, und man wird deren Blut nun vom »jetzigen Geschlecht« fordern. Nach Lk 13,34/Mt 23,37 hat Jerusalem alle von Gott gesandten Propheten verworfen und getötet, womit indirekt auch vom gewaltsamen Geschick Jesu gesprochen und dieses heilsgeschichtlich eingeordnet wird. Ob wir es hier mit in der Substanz authentischer oder aber mit »nachösterlicher« Jesusüberlieferung zu tun haben, ist nicht sicher zu erkennen89. Wo ist der geographische Ort der in der Logienquelle enthaltenen JesusÜberlieferung? Aus den Weherufen gegen die galiläischen Städte Chorazin, Betsaida und Kapharnaum (Lk 10,13–15/Mt 11,20–24) könnte man folgern, daß Q im Umfeld dieser Städte entstand und daß es Konflikte gab zwischen den für diese Überlieferung Verantwortlichen und den Bewohnern der genannten Städte90. Möglich ist aber auch, daß hier authentische Überlieferung bewahrt ist, die Jesu eigene kritische Haltung gegenüber diesen Städten belegt. Jedenfalls fällt auf, daß im Unterschied zu Q bei Mk Galiläa, mit Ausnahme von Nazareth (Mk 6,1–6a), ausgesprochen positiv dargestellt ist; Kapharnaum und dessen unmittelbare Umgebung erscheint geradezu als der regelmäßige Aufenthaltsort Jesu (Mk 1,21–38; 2,1–4,34; 9,33–50).

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Vgl. dazu J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin und New York 1996, 364–368, der wohl m. R. voraussetzt, daß diese Position in der Sache auf Jesus selber zurückgeht. 87 Vgl. Kosch, Tora (s. Anm. 59), für den diese Position von Q Anhalt am historischen Jesus hat (vgl. aaO., 473–478). 88 Zur Analyse vgl. H. Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip. Untersuchung zur Ethik Jesu (FzB 34), Würzburg 21981, 80–96. 89 Schmithals, Geschichte (s. Anm. 36), 481 meint, es lasse sich »über die Authentizität der Logien, Spruchreihen und Gleichnisse . . . im einzelnen schwerlich etwas Zuverlässiges sagen, doch dürfte die in ihnen ausgesagte Botschaft als solche insgesamt authentisch sein«. 90 Zur Kritik an dieser oft zu selbstverständlich vertretenen Annahme vgl. M. Frenschkowski, Galiläa oder Jerusalem? Die topographischen und politischen Hintergründe der Logienquelle, in: Lindemann (ed.), Sayings Source (s. Anm 4), 535–560; er nimmt mit guten Gründen an, Q sei eher in der Jerusalemer Urgemeinde bzw. in Pella, wohin die Gemeinde vor Beginn des Jüdischen Krieges ausgewandert sei, entstanden.

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Welche »Theologie«, d. h. welche Rede von Gott zeigt sich in den Q-Texten? In Lk 6,36/Mt 5,48 wendet sich Jesus an die Hörer mit der Aufforderung zur Barmherzigkeit, verbunden mit dem Hinweis darauf, daß Gott barmherzig ist91. Dies ist unmittelbar verbunden mit der Warnung vor dem Richten92. Der barmherzige Gott ist also zugleich der Richter, der diejenigen, die ihrerseits barmherzig sind, nicht richten wird. Dabei zeigt die Breite, in der das Thema in Lk 6,37 f.41 f./Mt 7,1–5 erörtert wird, daß die aus diesem Gottesverständnis zu ziehenden Konsequenzen besonders betont werden sollen93. Während in den genannten Texten im Reden von Gott die eschatologische Perspektive eine wesentliche Rolle spielt, gibt es andere Q-Texte, die in ihrem Gottesverständnis ganz weisheitlich bestimmt sind. Dazu gehören der Hinweis auf Gottes Fürsorge sowohl in Lk 12,2–12/Mt 10,26–33 (»ohne den Willen Gottes fällt kein Sperling vom Himmel«, »die Haare auf eurem Haupt sind alle gezählt«) als auch in Lk 12,22–31/Mt 6,25–33 (Gott sorgt für den Menschen, was sich an seiner Fürsorge für die Vögel und für die Feldblumen ablesen läßt94). Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehört das Vaterunser-Gebet, in dem sich weisheitliches Gottesverständnis und eschatologische Hoffnung miteinander verbinden, zur authentischen Jesusüberlieferung. Jesus sagt den Menschen, daß sie sich im Gebet an Gott wenden dürfen, weil sie wissen, was sie ihm zu sagen und worum sie ihn zu bitten haben (Lk 11,2–4/Mt 6,9–13); verbunden ist dies mit der Verheißung der Gebetserfüllung (Lk 11,9–13/Mt 7,7–11)95. Dort, wo Jesus selber Gott anruft als den Vater und Weltenherrn (Lk 10,21/Mt 11,25: paÂter, kyÂrie toyÄ oyÆranoyÄ kaiÁ thÄw ghÄw), verbindet sich dies im Kontext (Lk 10,21–24/Mt 11,25–27; 13,16 f.) mit der an das Johannesevangelium erinnernden, in exklusiver Weise gebrauchten, Selbstbezeichnung Jesu als »der Sohn«96. Damit scheint Jesus geradezu ein Offenbarungsmonopol zu beanspruchen, wozu auch paßt, daß die durch ihn vermittelte Gotteserkenntnis weit hinausgeht über diejenige »vieler Propheten und vieler Könige« (Lk 10,23 f./Mt 13,16 f.)97. Ist Jesus hier oë yiëoÂw im Gegenüber zu Gott als oë pathÂr, womöglich im Sinne einer dem Johannesevangelium entsprechenden Präexistenzchristologie? 91 In dem Aufruf giÂnesue oiÆktiÂrmonew kauv Á w kaiÁ oë pathÁr yëmv Ä n oiÆktiÂrmvn eÆstiÂn hat kauvÂw wie auch an vielen anderen Stellen nicht nur die Funktion des Vergleichs, sondern auch begründenden Charakter. Das lk oiÆktiÂrmvn dürfte gegenüber dem mt teÂleiow ursprünglich sein. 92 Lk 6,37: kaiÁ mh Á kriÂnete, kaiÁ oyÆ mhÁ kriuh Ä te´ kaiÁ mhÁ katadikaÂzete, kaiÁ oyÆ mhÁ katadikasuh Ä te. 93 Nach Becker, Jesus (s. Anm. 86), 308–310 entspricht dies der authentischen Verkündigung Jesu. 94 In Lk 12,31 ist in diesem Zusammenhang vom Gottesreich die Rede (plh Á n zhteiÄte thÁn basileiÂan ayÆtoyÄ, kaiÁ tayÄta prosteuhÂsetai yëmiÄn), aber man sieht nicht, daß hier der futurischeschatologische Sinn im Blick ist. 95 S. dazu Becker, Jesus (s. Anm. 86), 329–337. 96 Lk 10,22/Mt 11,27: pa  nta moi paredoÂuh yëpoÁ toyÄ patroÂw moy, kaiÁ oyÆdeiÁw ginvÂskei tiÂw eÆstin oë Äëì eÆaÁn boyÂlhtai oë yiëoÁw aÆpokalyÂcai. yiëoÁw eiÆ mhÁ oë pathÂr, kaiÁ tiÂw eÆstin oë pathÁr eiÆ mhÁ oë yiëoÁw kaiÁ v 97 Vgl. Becker, Jesus (s. Anm. 86), 135 f.

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Oder ist Jesus für Q »der Sohn« aufgrund seiner Rolle als Offenbarer Gottes, der als solcher »der Vater« ist98?

V. Zusammenfassung Ausgangspunkt für meine Fragen war die Feststellung, daß es keinen wirklich plausiblen Grund gibt, die Existenz der Logienquelle zu bestreiten: Die üblicherweise der Logienquelle Q zugewiesenen Texte bei Lk und bei Mt verdanken sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einer lediglich mündlichen Überlieferung, sondern sie gehen auf eine schriftliche Quelle zurück. Aber können wir wirklich mehr sagen, als daß Q eine schriftliche Sammlung von hauptsächlich aus Aussagen Jesu bestehender Überlieferung war, die von den Verfassern des Lk und des Mt auf unterschiedliche Weise in den literarisch vorgegebenen Erzählfaden des Markusevangeliums integriert wurde? Theologische und literarische Tendenzen der Q-Texte lassen sich benennen und auch systematisch beschreiben. Aber es bleibt die Frage, ob eine umfassende literarische Analyse und theologische Auslegung der Logienquelle, die der Analyse und Interpretation der synoptischen Evangelien vergleichbar wäre, wirklich möglich ist.

98 Zur Diskussion über eine religionsgeschichtliche Herleitung insbesondere der SohnesVorstellung in diesem Q-Text s. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 2. Teilband. Mt 8–17 (EKK I/2), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1990, 208–210.

Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk Beobachtungen zu Reden, Wundererzählungen und Mahlberichten* I. Jesu Antrittsrede in Nazareth und die Pfingstpredigt des Petrus in Jerusalem Die Frage nach Form und insbesondere Funktion der Reden in der Apostelgeschichte des Lukas ist in der Forschung oft gestellt und seit Martin Dibelius1 im ganzen wohl auch sachgemäß (wenn auch natürlich im einzelnen auf unterschiedliche Weise) beantwortet worden2. Im Blick auf das Evangelium des Lukas kann man dagegen von »Reden« im eigentlichen Sinne kaum sprechen3, ganz anders als etwa beim Matthäusevangelium. Der einzige explizit als Rede eingeleitete Textabschnitt ist die weitgehend unverändert aus der Logienquelle Q übernommene »Feldrede« (Lk 6,20–49)4; sie ist aber, im Unterschied zur Berg-

* Der folgende Aufsatz geht auf das für das deutschsprachige Seminar beim 47. Colloquium Biblicum Lovaniense 1998 vorgelegte Diskussionspapier zurück. Die im Seminar vorgetragenen kritischen Anfragen, insbesondere die von Dietrich-Alex Koch in seinem response-paper gegebenen Hinweise, wurden dankbar berücksichtigt. 1 M. Dibelius, Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung, in Ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, ed. H. Greeven (FRLANT 60), Göttingen 1951, 120–162. Es kam Dibelius entscheidend auf die Feststellung an, daß die Reden der Apg als Werk des Schriftstellers Lukas aufzufassen sind. 2 Vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse bei U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5), NeukirchenVluyn 31974, vor allem 187–189, ferner M. L. Soards, The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Concerns, Louisville, KY 1994, 182–208. 3 Eine ähnliche Beobachtung läßt sich bei einer anderen Erzählgattung machen: Während Lukas im Evangelium mehrfach von Gastmahlgesprächen Jesu berichtet (5,27–39; 7,36–50; 11,37–54; 14,1–24; 22,14–38), fehlt diese Form in der Apostelgeschichte vollständig (Hinweis von D.-A. Koch). 4 Die »Feldrede« stammt offenbar nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach dem Kontext aus Q; denn der in Lk 7,1 erkennbare redaktionelle Übergang vom Schluß der Rede (6,49) hin zur Erzählung vom Hauptmann von Kapharnaum (7,2–10) entspricht Mt 7,28, was den Schluß zuläßt, daß beide Texte schon in Q aufeinander folgten und dabei redaktionell miteinander verknüpft waren. Vgl. dazu die knappe Skizze bei D. Lührmann, Die Redaktion der Logienquelle. Anhang: Zur weiteren Überlieferung der Logienquelle (WMANT 33), Neukirchen-Vluyn 1969, 53–56.

Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk

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predigt bei Matthäus und vielleicht auch anders als in Q selbst, von Lukas jedenfalls nicht als eine »programmatische« Rede gedacht, wie schon ihre vergleichsweise späte Stellung im Aufriß des Lk erkennen läßt5. Im lukanischen Reisebericht (9,51–18,14) gibt es zwar längere Abschnitte, in denen Jesus redet; aber hier handelt es sich schon angesichts des größeren Zusammenhangs nicht wirklich um »Reden«, da sich Jesus ja beständig »auf dem Wege« befindet. So dient beispielsweise die »Aussendungsrede« in Lk 10,2–16 lediglich dazu, Jesu Besuche in den nächsten Städten vorzubereiten (vgl. V. 1 aÆpeÂsteilen ayÆtoyÁw aÆnaÁ dyÂo [dyÂo] proÁ prosvÂpoy ayÆtoyÄ eiÆw pa Ä san poÂlin kaiÁ toÂpon oyÎ hÍmellen ayÆtoÁw eÍrxesuai); auch die in Lk 11 und 12 vorhandenen längeren Redestücke haben offenbar nicht die Funktion von Reden im literarischen bzw. rhetorischen Sinne, denn sie werden im Gegenteil durch dialogische Elemente unterbrochen – man könnte geradezu sagen: aufgelockert6. Am ehesten scheint noch der mehrere Gleichnisse enthaltende Abschnitt Lk 15–16 der Gattung »Rede« zu entsprechen; doch auch hier wird durch kleine eingestreute Hinweise angezeigt, daß Jesu Worte im Sinne des Evangelisten nicht als rhetorisch geschlossene Rede aufzufassen sind7. Ähnliches gilt für die lukanische Aufnahme sowohl der Q-Apokalypse in 17,22–37 als auch der Mk-Apokalypse in 21,5–368. Angesichts des in den beiden Teilen des lukanischen Werkes derart differierenden Befundes kann man die Frage stellen, ob die literarische Gattung »Rede« von Lukas womöglich bewußt der nachösterlichen Situation zugewiesen wird, weil sie für ihn im wesentlichen für »Missionspredigt« steht. Eine Ausnahme von der Regel bildet im Evangelium die Szene der »Antrittspredigt« Jesu in Nazareth (Lk 4,16–30)9. Zwar wird man auch diesen Text kaum 5 Lukas hat die Feldrede erst im Anschluß an Mk 3,19 in den Mk-Faden eingefügt; nach dem dann in Lk 7,1–8,3 verarbeiteten Q- und Sondergutmaterial nimmt er von Lk 8,4–8 an den Mk-Faden (4,1–9) – mit einigen kleineren Umstellungen – wieder auf. Bei Mt dagegen steht die Bergpredigt (Mt 5–7) im Aufriß des Mk-Fadens schon hinter Mk 1,39, wobei überdies die Erzählungen aus Mk 1,21–28 entweder ganz ausgelassen oder hinter die Bergpredigt verschoben wurden. 6 Auffällig ist etwa die Stellung des Vaterunser-Gebets, das in Lk 11,2–4 als Antwort auf eine entsprechende Bitte der Jünger gelehrt wird, während es innerhalb der Bergpredigt eine sehr herausgehobene Stellung besitzt. In dem in Lk 11 dann folgenden Text (V. 5–54) gibt es zwar nahezu keine Handlung; aber der redende Jesus wird immer wieder kurz unterbrochen (11,14.27.29a. 37.38.45). Ähnliches läßt sich auch in Lk 12 beobachten, wo der Evangelist geradezu gezielt den Redefluß Jesu durch knappe Zwischenbemerkungen unterbricht (12,13.16. 22.41.54). 7 Vgl. 15,11; 16,1. In 16,14 ist offenbar bewußt ein dialogisches Element eingefügt worden (hÍkoyon deÁ tayÄta paÂnta oië FarisaiÄoi filaÂrgyroi yëpaÂrxontew kaiÁ eÆjemykthÂrizon ayÆtoÂn). Vor allem ist auch zu beachten, daß 15,1–3 nicht als Einleitung einer längeren »Rede« erscheint und daß umgekehrt am Ende jeder Hinweis auf einen »Redeschluß« fehlt (vgl. 17,1.5 f.). 8 Am Ende (17,37a) wird die apokalyptische Rede als »Gespräch« erwiesen; ebenso findet sich in der Übernahme der Mk-Apokalypse in 21,29 ein Neueinsatz (kaiÁ eiËpen ayÆtoiÄw), für den es in der Mk-Parallele kein Vorbild gibt (vgl. Mk 13,28). 9 Vgl. zu diesem Text die eingehende Studie von U. Busse, Das Nazareth-Manifest Jesu. Eine

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

als eine Rede im eigentlichen Sinne bezeichnen können; aber im Kontext des Evangeliums ist doch deutlich, daß Lukas die von Jesus gesprochenen Worte sehr wohl als eine Rede Jesu verstanden wissen will; das wird schon durch ihre programmatische Stellung zu Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu sichtbar10, insbesondere auch dadurch, daß der ganze Abschnitt Lk 4,14–30 eine Umarbeitung der Vorlage Mk 1,14 f. darstellt11. Lukas übernimmt in 4,14 zunächst aus Mk 1,14a die Ortsangabe ›Galiläa‹ und aus Mk 1,14b den Hinweis auf Jesu Verkündigungstätigkeit; die knappe markinische Notiz, die den »Wortlaut« der ersten Predigt Jesu in Galiläa wiedergibt (Mk 1,15), ersetzt er dagegen durch die breit erzählte Gottesdienst-Szene 4,16–30, für die es bei Mk in dieser Form kein Vorbild gibt12. Angesichts der Tatsache, daß auch in der Apostelgeschichte mit der Pfingstpredigt des Petrus in Jerusalem eine Redeszene am Anfang des öffentlichen Wirkens der christlichen Apostel steht (2,14–41), dürfte es sich lohnen, beide Texte trotz ihrer Unterschiedlichkeit miteinander zu vergleichen13. Lk 4,16–30 4,16

Orts- und Situationsangabe

4,17 4,18.19 4,20 4,21a 4,21b

Einleitung der Leseszene Bibelzitat(e) Jes 61 (58) Ausleitung der Leseszene Predigteinleitung Predigt

4,22 Reaktion der Hörenden 4,23–27 Jesu Antwort

Apg 2,14–41 (42) 2,1–13 2,14.15 2,16 2,17–21

Orts- und Situationsangabe Situationsbezogene Redeeröffnung Einleitung des Bibelzitats Bibelzitat Joel 3,1–5 LXX

2,22–24 2,25–28 2,29–31 2,32.33 2,34.35 2,36 2,37 2,38.39

Christuskerygma des Petrus Bibelzitat Ps 15,8–11 LXX Auslegung des Zitats Christuskerygma Bibelzitat Ps 109,1 LXX Anklage des Petrus gegen die Hörer Reaktion der Hörenden Antwort des Petrus: Buße und Taufe

Einführung in das lukanische Jesusbild nach Lk 4,16–30 (SBS 91), Stuttgart 1977. Ferner M. Korn, Die Geschichte Jesu in veränderter Zeit. Studien zur bleibenden Bedeutung Jesu im lukanischen Doppelwerk (WUNT II/51), Tübingen 1993, 56–85. Zur Forschungsgeschichte C. J. Schreck, The Nazareth Pericope: Luke 4,16–30 in Recent Study, in: F. Neirynck (ed.), L’E´vangile de Luc. The Gospel of Luke (BEThL 32), Leuven 21989, 399–471. 10 Vgl. Busse, Nazareth-Manifest (s. die vorige Anm.), vor allem 47–54. 11 Vgl. vor allem J. Delobel, La re ´ daction de Lc., IV, 14–16a et le »Bericht vom Anfang«, in: F. Neirynck (ed.), L’E´vangile de Luc (s. Anm. 10), 113–133. 306–312. 12 Natürlich berührt sich Lk 4,16–30 mit Mk 6,1–6a: s. dazu Busse, Nazareth-Manifest (s. Anm. 10), 62–67; aber die mk Überlieferung von der Verwerfung Jesu in Nazareth hat bei Lk eine so tiefgreifende Veränderung erfahren, daß man von einer »Parallele« nicht mehr sprechen kann. 13 Vgl. dazu G. Muhlack, Die Parallelen von Lukas-Evangelium und Apostelgeschichte (Theologie und Wirklichkeit 8), Frankfurt am Main 1979, 117–139. Sie bezieht dann auch die »Antrittspredigt« des Paulus im pisidischen Antiochia (Apg 13,16–41.46 f.) in den Vergleich mit ein.

Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk Lk 4,16–30

4,25–27 Biblische Beispiele 4,28–30 Jesu Vertreibung aus Nazareth

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Apg 2,14–41 (42)

2,40 Wiederholung der Predigt 2,41.42 Massentaufe. Gemeindeleben

Der erste Vergleich zwischen beiden Texten ist ernüchternd: Sieht man genau hin, so erweist sich die in Nazareth gehaltene Rede, die Jesu öffentliches Auftreten einleitet, als aus nur einem einzigen Satz bestehend (V. 21b), während die Pfingstpredigt des Petrus in Jerusalem zu den längsten Reden in der Apostelgeschichte gehört, vergleichbar der (Antritts-)Rede des Paulus in Antiochia Pisidiae (13,6–41)14. Der Vergleich im einzelnen läßt dann freilich neben erheblichen Unterschieden vor allem auch auffällige Strukturanalogien erkennen. 1. Die Eröffnung der Nazareth-Szene (Lk 4,16–21) Nach Lk 4,16a kommt Jesus während seiner als überaus erfolgreich dargestellten, im einzelnen aber nicht geschilderten Lehrtätigkeit in den Synagogen Galiläas (4,14.15) nach Nazareth, seiner Vaterstadt (2,4.51), wo er »nach seiner Gewohnheit« in die Synagoge geht (4,16b). Lukas beschreibt nun zunächst Elemente eines synagogalen Gottesdienstes15, bei dem Jesus die Gelegenheit wahrnimmt, einen biblischen Text zu verlesen (4,16c)16. Die am Anfang stehende Orts- und Situationsangabe ist also vergleichsweise ausführlich. Auch die Einleitung der sich anschließenden eigentlichen Leseszene ist sorgfältig gestaltet (V. 17): Man reicht Jesus das »Buch« des Propheten Jesaja, das er »aufrollt«17 und in dem er eine bestimmte Textstelle »findet«18, die dann in V. 18.19 zitiert wird (Jes 61,1 f.; 58,6). Das Zitat nach LXX ist im Wortlaut fast korrekt: Zwar ist aus Jes 61,1 die Zeile iÆaÂsasuai toyÁw syntetrimmeÂnoyw thÄì kardiÂaì entfallen19, und als vorletzte Zeile ist ein (leicht variierter) Satz aus Jes 58,6 eingefügt, bevor das Zitat mit Jes 61,2a abgeschlossen wird; aber Lukas setzt durch

14

Nur die Stephanusrede in Apg 7 ist deutlich länger. S. dazu, insbesondere auch zu den historischen Problemen des Gottesdienstablaufs, Busse, Nazareth-Manifest (s. Anm. 10), 107–112. 16 An den näheren »liturgischen« Einzelheiten ist Lukas hier nicht interessiert. Vgl. in der Sache den Exkurs »Der altjüdische Synagogengottesdienst« bei (H. L. Strack-)P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, IV/1, München 51969, 153–188. 17 a Æ naptyÂssv »öffnen (sc. eine Buchrolle)« ist im NT nur hier gebraucht, ebenso in V. 20 dann ptyÂssv. 18 Die Überlegung von F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. 1. Teilband: Lk 1,1–9,50 (EKK III/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn, 1989, 211, es sei »auch möglich, daß sie [sc. die Textstelle] für diesen Tag vorgesehen war oder daß sie Jesus durch das Los zugeteilt wurde«, geht m. E. an der Zielrichtung des lk Textes vorbei. 19 In den Codices A U C sowie in den Handschriften des Mehrheitstextes sind diese Worte nachgetragen. 15

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

die Art seiner Darstellung voraus, daß jedenfalls die Leser annehmen sollen, es handele sich bei dem verlesenen Prophetenwort wirklich um eine Textstelle und nicht um ein Mischzitat, das Jesus in dieser Form gar nicht hätte »finden« können20. Daß Jesus das Schriftwort (toÁ gegrammeÂnon) auch tatsächlich verliest, wird nicht gesagt, ist aber wohl doch vorausgesetzt; wichtig ist allerdings die Beobachtung, daß sich durch die Art der Zitierweise der biblische Text als unmittelbare Anrede an die Leser des Evangeliums erweist21. Mit V. 20a wird die Leseszene ausgeleitet: Jesus rollt das Buch zusammen, gibt es dem Synagogendiener und setzt sich. Die Wendung eÆkaÂuisen signalisiert bereits (was durch V. 20b dann bestätigt wird), daß Jesus »lehren« will, daß er also den Text auszulegen beabsichtigt22. Alle Anwesenden blicken gespannt (V. 20b) auf ihn23, und Jesus spricht sie an (V. 21a)24: »Heute ist dieses Schriftwort (hë grafhÂ) erfüllt in euren Ohren«, d. h. es ist Realität geworden im Augenblick des gegenwärtigen Hörens (V. 21b)25. Damit ist Jesu »Rede« aber auch schon abgeschlossen, denn in V. 22 folgt bereits die Schilderung der Reaktion der Hörenden. Offenbar meint Lukas, daß mit V. 21b alles Notwendige gesagt ist. 2. Die Eröffnung der Jerusalem-Szene (Apg 2,14–36) Der Vergleich des Berichts über die »Rede« Jesu (Lk 4,16–21a. 21b) mit dem Bericht von der ersten Predigt des Petrus in Jerusalem (Apg 2,14–41) zeigt als erstes, daß in Apg 2,1–13 eine für das Verständnis des folgenden wichtige Ortsund Situationsangabe vorangeht, die sehr viel ausführlicher gestaltet ist als die entsprechende Angabe in Lk 4,16: Am Tag der pentekoÂsth26 haben sich »alle«, d. h. die in 1,13 f. genannten Mitglieder der Jesus-Gruppe, versammelt; sie erfahren die Ausgießung des pneyÄma aÏgion (2,2–4) entsprechend der in 1,8 ausgesprochenen 20 Zur Frage der traditionsgeschichtlichen Herkunft dieser Textfassung vgl. R. Albertz, Die »Antrittspredigt« Jesu im Lukasevangelium auf ihrem alttestamentlichen Hintergrund, ZNW 74 (1983) 182–206. 21 Zur Interpretation vgl. P. F. Esler, Community and Gospel in Luke-Acts. The Social and Political Motivations of Lucan Theology (SNTS MS 57), Cambridge 1987 (21996), 180–182. 22 Vgl. Lk 5,3 kauiÂsaw . . . eÆdiÂdasken. Vgl. auch Mt 5,1 (Jesus »hält« die Bergpredigt im Sitzen) und vor allem Mt 23,2. Es fällt auf, daß Lukas die Verwendung des Verbs didaÂskein an dieser Stelle vermeidet, obwohl er es sonst häufig verwendet (zuletzt 4,13). Zum »sitzenden Lehren« vgl. Billerbeck, Kommentar, I (s. Anm. 17), 997. 23 Das Verb a Æ teniÂzv ist im Lk-Evangelium nur noch 22,56 belegt (die Magd im Hof des Hohenpriesters »blickt gespannt« auf Petrus), oft aber in der Apg. Die Wendung paÂntvn oië oÆfualmoi könnte bewußt »biblische Sprache« sein, vgl. Ps 144,15 LXX. 24 Die Wendung h Í rjato (deÁ) leÂgein (proÁw ayÆtoyÂw) ist bei Lk nicht selten (Lk 7,24.49; 11,29 u. ö.). 25 Es ist wenig wahrscheinlich, daß sich die Aussage auf die Taufszene Lk 3,22 bezieht. Da Lukas Jesus von Anfang an mit dem Geist in Verbindung bringt (vgl. 1,35; 2,26 f.; 4,14), denkt er wohl auch in 4,21b nicht an einen gesonderten Akt der »Geistverleihung« an Jesus. 26 Zur biblischen Sprache in Apg 2,1 vgl. H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7), Tübingen 21972, 30.

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Verheißung Jesu. Dabei sind auch zahlreiche Bewohner Jerusalems anwesend (2,5 f.), die das Geschehen gegensätzlich interpretieren (V. 7–12 einerseits, V. 13 andererseits). Angesichts dessen beginnt Petrus zu reden (V. 14a); er steht dazu auf (staueiÂw), wodurch deutlich wird, daß das Folgende nicht als »Lehre«, sondern als »öffentliche Rede« zu verstehen ist27. Die dann zur eigentlichen Rede hinführende Einleitungswendung ist im übrigen recht umständlich gestaltet28. Die Rede selbst wird in V. 14ba mit einer ausdrücklichen Anrede an das Publikum eingeleitet, wobei Petrus auf die zuvor in V. 5 geschilderte Situation Bezug nimmt. In V. 14bb folgt eine feierliche Redeeröffnung: Die Wendung gnvstoÁn (yëmiÄn) eÍstv reflektiert biblische Sprache und ist so oder ähnlich in der Apg des öfteren belegt29; eÆnvtiÂzomai ist zwar im NT hapax legomenon, wird aber in LXX, auch als Impt. mit taÁ rëhÂmata moy, häufiger gebraucht30. Auch der zweite Teil der Eröffnung der Rede (V. 15) nimmt sehr konkret auf die Situation Bezug: Petrus verweist auf die frühe Stunde und sieht darin ein Argument gegen den in V. 13 ausgesprochenen Trunkenheitsvorwurf. Da die eigentliche Rede bis dahin aber noch gar nicht begonnen hat, kann man sagen, daß im Grunde der ganze Abschnitt Apg 2,1–15 einerseits und Lk 4,16 andererseits einander entsprechen. Das Redecorpus wird in 2,16 eröffnet mit der Hinführung zu dem langen Schriftzitat in V. 17–21; insofern liegt eine Entsprechung zwischen Apg 2,16 und Lk 4,17 vor, auch wenn es sich dort um eine vom Erzähler geschilderte Szene, hier dagegen um einen Teil der Rede handelt. Ein wesentlicher Unterschied liegt natürlich von vornherein darin, daß in Apg 2 das Schriftwort nicht »gefunden« zu werden braucht, da die »Erfüllung« ja als bereits geschehen dem Zitat vorangegangen war – man könnte geradezu von einem »Erfüllungszitat« sprechen. Wird in Lk 4,17, der Gottesdienstszene entsprechend, der biblische Text als das Geschriebene (toÁ gegrammeÂnon) bezeichnet (vgl. 4,21b hë grafhÂ), so heißt die biblische Überlieferung in Apg 2,16 das Gesprochene (toÁ eiÆrhmeÂnon), wobei der Prophet als das »Medium« erscheint, durch das Gott spricht (diaÁ toyÄ profhÂtoy31; vgl. V. 17 leÂgei oë ueoÂw). Lukas setzt voraus, daß der aus Joel 3,1–5 LXX übernommene Text in Apg 2,17–21 als korrektes Zitat zu gelten hat32. Beide Redeszenen sind also in 27

Vgl. die entsprechende Angabe in Apg 17,22; 21,40. Zu eÆpaiÂrein thÁn fvnhÂn vgl. Apg 14,11; 22,22. Auch das Verb aÆpofueÂggesuai wird im NT nur in der Apg gebraucht. 29 Die Wendung wird in der Apg offenbar vor allem dann eingesetzt, wenn eine besonders wichtige »Botschaft« ausgesprochen werden soll; vgl. 4,10 (Petrus wendet sich an das Synedrium), 13,38 (Rechtfertigungsbotschaft des Paulus am Ende seiner Rede in Antiochia Pisidiae) und 28,28 (Paulus an die Juden in Rom). Zur »biblischen Sprache« vgl. Ez 36,32 LXX: leÂgei kyÂriow Ä n oëdv Ä n yëmv Ä n, oiËkow Israhl. kyÂriow, gnvstoÁn eÍstai yëmiÄn, aiÆsxyÂnuhte kaiÁ eÆntraÂphte eÆk tv 30 Vgl. z. B. Gen 4,23; Hiob 32,11; Ps 5,1 u. ö. 31 Vgl. Apg 3,18.21 u. ö. 32 Die Änderung zu Beginn (V. 17: eÆn tai Äw eÆsxaÂtaiw hëmeÂraiw statt metaÁ tayÄta) berücksichtigt, daß der ursprüngliche Kontext nicht mitzitiert ist, und sie ist sachlich insofern durchaus korrekt; der ausdrückliche Hinweis, daß Gott redet (leÂgei oë ueoÂw), entspricht der Tatsache, daß der zitierte Text Joel 3 Teil einer längeren Gottesrede ist. Reine Präzisierungen ohne inhaltliche Änderung 28

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starkem Maße durch die Bibel bestimmt. Dabei setzt die Rede Jesu ein mit dem gleichsam »vorgegebenen« Wort, das der Deutung bedarf; in der Rede des Petrus dagegen dient das vom Propheten gesagte Gotteswort dazu, ein bereits geschehenes Ereignis sachgemäß zu interpretieren. Eine Entsprechung zu Lk 4,20.21a gibt es in Apg 2 nicht. Vielmehr schließt sich an das Schriftwort sogleich der zweite Teil der Petruspredigt an, der 2,22–36 umfaßt und der eigentlichen »Rede« Jesu in Lk 4,21b entspricht. Dieser Teil der Rede ist in sich klar gegliedert. Petrus »erzählt« in dem in besonderer Weise durch die Anrede aÍndrew ÆIsrahliÄtai eingeleiteten Redeabschnitt V. 22–28 zunächst in kerygmatischer Form vom Christusgeschehen (V. 22–24)33 und fügt zur Interpretation das Zitat aus Ps 15,8–11 LXX an34; es liegt also grundsätzlich dasselbe Verfahren vor wie zuvor in V. 1–13 und in V. 14–21. Das Zitat wird aber nun seinerseits interpretiert (V. 29–31): Es zeige, sagt Petrus, daß der »Patriarch« David als Prophet die aÆnaÂstasiw Jesu vorhergesehen habe (V. 31). Sachlich ist hier bemerkenswert, daß der lukanische Petrus zwar das Grab Davids erwähnt, daß er aber nicht auf das (leere) Grab Jesu hinweist, obwohl das von der geschilderten Situation her doch unmittelbar nahegelegen hätte; Lukas setzt offenbar voraus, daß für die Osterverkündigung in Jerusalem die Frage des (leeren) Grabes bedeutungslos war35. Nach dem Zitat und seiner Auslegung folgt in Apg 2,32.33 abermals eine kerygmatische, zu V. 22–24 parallele Aussage; dabei nehmen V. 32 und V. 33b die Oster- und Himmelfahrtserzählung aus Lk 24 bzw. Apg 1 sowie den Beginn der Pfingsterzählung Apg 2 auf, wobei der jetzt ausdrücklich eingeführte Zeugenbegriff an Apg 1,8 anknüpft; die Aussage in V. 33a, daß Christus »zur Rechten Gottes erhöht« worden sei, ist dagegen aus den zuvor und anschließend zitierten Schriftworten (V. 25 und 34) gewonnen. In V. 33b erwähnt Petrus dann mit direkter Hinwendung zu den Hörern erneut das Pfingstgeschehen. In Apg 2,34.35 schließt sich ein drittes ausdrücklich eingeleitetes Schriftzitat an (Ps 109,1 LXX)36, das vorab bereits dadurch kommentiert wird, daß gesagt wird, David selber sei nicht der in den Himmel Hinaufgestiegene. Schließlich folgt in 2,36 als Höhepunkt und Abschluß die direkte Botschaft an die Adressaten, daß der Jesus, den »ihr« gekreuzigt habt, von Gott zum kyÂriow und zum xristoÂw gemacht wurde, und daß »das ganze Haus Israel« dies erkennen solle37. Zu all dem gibt es in Lk sind die Ergänzungen kaiÁ profhteyÂsoysin in V. 18 fin sowie die Einfügungen von aÍnv, shmeiÄa und kaÂtv in V. 19. 33 Vgl. dazu Korn, Geschichte (s. Anm. 10), 234–236. 34 Das Zitat folgt korrekt LXX, nur die letzte Zeile ist nicht übernommen. 35 Das ist m. E. auch der historisch wahrscheinlichste Befund. 36 Dies Psalmwort wird im NT überaus häufig zitiert, in der Apg aber nur hier (vgl. Lk 20,42 f. in der Parallele zu Mk 12,36). 37 Die Unterscheidung zwischen pa Ä w oiËkow ÆIsrahÂl und »ihr« (yëmeiÄw eÆstayrvÂsate) zeigt übrigens, daß nach Lukas nicht »die Juden«, sondern die Bewohner Jerusalems für Jesu Kreuzigung verantwortlich waren.

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4 verständlicherweise keine Parallele; denn das Zitat aus Jes 61 ist ja in der Person Jesu selber umfassend »erfüllt«, und einer näheren Explikation bedarf es deshalb also nicht. 3. Die Reaktion der Hörer in Nazareth (Lk 4,22–30) und in Jerusalem (Apg 2,37–41) In der Nazareth-Szene Lk 4 schließt sich an Jesu kurze Rede V. 21b unmittelbar der Bericht von der Reaktion der Hörer an (Lk 4,22), auf die eine überaus kritische Antwort Jesu erfolgt (V. 23.24–27). Die Auslegung des »Dialogs« V. 22 f. bereitet Schwierigkeiten. Ulrich Busse meint, Lukas schildere in V. 22 »die im Grunde positive, aber in gewisser Hinsicht auch zweideutige und oberflächliche Reaktion der Zuhörer«38. Dann aber erscheint Jesu Antwort als durchaus unangemessen39. Will man diese Annahme vermeiden, so spricht alles dafür, daß Lukas von vornherein eine negative Reaktion der Bewohner Nazareths beschreiben will. Dementsprechend ist schon die einleitende Wendung paÂntew eÆmartyÂroyn ayÆtv Äì kaiÁ eÆuayÂmazon im Sinne des Lukas offenbar nicht »positiv« gemeint, sondern im Sinne eines ungläubigen Staunens zu verstehen, entsprechend der (empörten) Frage: »Wie kann der Sohn Josephs [!] so von sich reden?«40. Ganz anders sieht dagegen die Reaktion der Hörer der Pfingstpredigt in Apg 2,37 aus: Ihre Antwort auf die Predigt des Petrus ist nicht ungläubige Skepsis, sondern sie fragen ti poihÂsvmen41. Die Jerusalemer Hörer des Petrus verstehen also, im Gegensatz zu den Hörern Jesu in Nazareth, daß die Botschaft, die sie vernommen haben, nicht in den ihnen (scheinbar) längst bekannten Erfahrungshorizont eingeordnet werden kann, sondern daß diese Botschaft etwas von ihnen fordert, nämlich ein Tun, und das meint: ein gegenüber ihrem bisherigen Handeln verändertes Tun, nach dem sie wirklich fragen müssen. Die Hörer in Jesu Vaterstadt 38 Busse, Nazareth-Manifest (s. Anm. 10), 37. Für diese Auslegung spreche auch die »eindeutige Wortwahl« mit den positiven Begriffen martyreiÄn und uaymaÂzein. Ähnlich Bovon, Lukas I (s. Anm. 19), 213. 39 Das sieht auch Busse, Nazareth-Manifest, 38: »Die Erwiderung Jesu ist nach dem eben noch gespendeten Beifall auf den ersten Blick merkwürdig brüsk«. 40 martyrei Än meint dann nicht »Beifall spenden«, sondern einfach »bezeugen«; und uaymaÂzein drückt die kritische Verwunderung und keineswegs Zustimmung aus. Die zweifellos positive Wendung eÆpiÁ toiÄw loÂgoiw thÄw xaÂritow toiÄw eÆkporeyomeÂnoiw eÆk toyÄ stoÂmatow ayÆtoyÄ gibt nicht die Worte der Bewohner Nazareths wieder, sondern mit ihnen charakterisiert Lukas selber das von Jesus Gesagte. Das martyreiÄn kaiÁ uaymaÂzein der Nazarener äußert sich dagegen in ihrer Feststellung, er sei (nur) der Sohn Josephs. 41 T. Bergholz, Der Aufbau des lukanischen Doppelwerkes. Untersuchungen zum formalliterarischen Charakter von Lukas-Evangelium und Apostelgeschichte (EHS XXIII/545), Frankfurt am Main 1995, 85, sieht die Parallele zu Lk 4,22b in Apg 2,7: »In beiden Fällen werden die Redenden ihrer Herkunft nach erkannt, mit der impliziten Folgerung: so jemand kann nicht solche Worte sprechen«. Diese Auslegung übersieht die unmittelbare Fortsetzung der wörtlichen Rede in Apg 2,8–11; Apg 2,7 steht überdies im Kontext an einer ganz anderen Stelle als Lk 4,22b.

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Nazareth dagegen meinen, sie wüßten längst, wer Jesus ist, und sie wüßten also auch, daß er keineswegs dazu berechtigt ist, das verlesene Schriftwort auf sich selbst zu beziehen. Dementsprechend fallen die Antworten, die Jesus und Petrus jeweils geben, sehr unterschiedlich aus: Jesus übt Kritik an seinen Hörern (Lk 4,23 f.), eben weil ihre Reaktion auf seine Rede ihre (letztlich dem Prophetenwort widersprechende!) Skepsis beweist. Dabei weist er sie darauf hin, daß es für die soeben wieder bestätigte Regel, wonach der Prophet nichts gilt in seiner patriÂw, biblische Vorbilder bzw. Belege gibt; Jesus zitiert diese Belege zwar nicht, er weist auf sie aber in V. 25–27 referierend hin. Im übrigen erklärt er, in Nazareth, anders als in Kapharnaum, kein Wunder zu tun42. Dagegen nimmt Petrus in seiner Antwort (Apg 2,38 f.) die Frage der Hörer »Was sollen wir tun?« positiv auf: Die Adressaten haben alle Chancen zur Umkehr und zur Vergebung der Sünden, denn sie sind es ja, denen die Verheißung gilt. Lukas ergänzt die wörtliche Rede des Petrus durch den referierenden Hinweis (V. 40a), Petrus habe den Hörern gegenüber auch noch auf andere Weise Zeugnis abgelegt; abschließend läßt er nochmals in wörtlicher Rede (V. 40b) die Aufforderung zum Ergreifen der Rettungschance folgen (svÂuhte). Die Jesus-Szene in Nazareth endet mit einer Niederlage Jesu, nämlich seiner Vertreibung aus der Stadt (V. 28–30); allenfalls mag es als ein »Wunder« gedeutet Ä n dawerden, daß Jesus dem Anschlag souverän entgeht und er diaÁ meÂsoy ayÆtv vonschreitet43. Die Petrus-Szene in Jerusalem dagegen endet mit einem grandiosen Triumph des Redners: An einem einzigen Tag nimmt eine große Zahl von Menschen seine Botschaft an, läßt sich taufen und wird (sc. zur Jesus-Gruppe) »hinzugetan« (proseteÂuhsan) – und zwar sind es, wie mit schönem Achtergewicht gesagt wird, »etwa dreitausend Seelen« (2,41). 4. Ergebnis des Vergleichs Die beiden Redeszenen in Lk 4 und in Apg 2 sind von Lukas offensichtlich bewußt parallel gestaltet worden: Beide leiten das öffentliche Auftreten der im folgenden dargestellten Hauptpersonen ein; in beiden Reden geht es darum, das geschilderte Geschehen und die damit verbundenen Personen umfassend zu deu42 Daß schon an dieser Stelle Taten in Kapharnaum erwähnt werden, widerspricht der Textfolge; denn Jesus wird erst in 4,31 in diese Stadt kommen und dann dort erstmals ein (Heilungs-) Wunder tun. 43 Vgl. zu diesem Motiv Joh 8,59 und vor allem Apg 14,19 f. Busse, Nazareth-Manifest (s. Anm. 10), 46 meint, V. 30 stelle »einen großartigen Ausklang« dar: »Wie Lukas die durch den Schlußteil der Rede aufgestaute Wut in szenische Aktion umsetzt, so dramatisch läßt er Jesus ohne Schaden, ja vielmehr ebenso souverän, wie er aufgetreten ist, Nazareth verlassen.« Dagegen verweist Korn, Geschichte (s. Anm. 10), 83 f. zutreffend darauf, daß »von der Errettung Jesu nur ganz allgemein erzählt« wird; vgl. R. C. Tannehill, The Mission of Jesus according to Luke IV, 16–30, in: E. Grässer u. a. (eds.), Jesus in Nazareth (BZNW 40), Berlin 1972, 51–75, hier: 61.

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ten; beide Reden beziehen sich auf das Wirken des göttlichen Geistes. Beide Reden lassen sich auch hinsichtlich ihrer Stellung im Kontext miteinander vergleichen, denn sowohl in Lk 4 als auch in Apg 2 folgt auf die Rede ein Summar. Im Evangelium handelt es sich um die aus Mk 1,21 f. übernommene knappe Einleitung zur ersten Exorzismus-Erzählung (4,31 f.); Lukas will dabei im Unterschied zu Mk die Notiz über Jesu Lehren eÆn toiÄw saÂbbasin nicht als Einleitung zur folgenden Wundererzählung verstanden wissen, sondern er formuliert offenbar gezielt eine grundsätzliche Aussage über Jesu andauernde – und offenbar erfolgreiche – Predigttätigkeit in Kapharnaum44. In der Apostelgeschichte dient das der Predigtszene folgende Summar in ähnlicher Weise dazu, grundsätzlich die Lebenswirklichkeit der auf wunderbare Weise so groß angewachsenen Gemeinde zu beschreiben; Lukas will hier deutlich machen, daß sich gegenüber der in 1,14 geschilderten Situation in der Praxis der gemeindlichen Lehr- und Lebensformen nichts ändert45. Ein Unterschied zwischen beiden Texten liegt natürlich darin, daß im Evangelium das Summar mit einer präzisen Angabe über Jesu (nach V. 30 verständliche) Wanderung nach Kapharnaum eingeleitet wird (eÆporeyÂeto kaiÁ kauh Ä luen eiÆw KafarnaoyÁm poÂlin th Ä w GalilaiÂaw), während in der Apostelgeschichte natürlich kein Ortswechsel stattfindet. Die zu diskutierende Frage lautet: Warum läßt Lukas Jesu öffentliches Wirken mit einem derartigen Fehlschlag beginnen, das nachösterliche öffentliche Wirken des Petrus (bzw. der Jünger Jesu überhaupt) dagegen mit einem so überaus großen Erfolg? Die Feststellung, Lukas habe sich einfach an die Nazareth-Überlieferung gehalten, wie er sie in Mk 6,1–6a vorfand, reicht als Antwort keinesfalls aus. Denn zum einen hätte Lukas zweifellos die Freiheit gehabt, seine Vorlage an dieser Stelle zu korrigieren bzw. gar nicht erst zu übernehmen, wenn sie nicht in sein Konzept gepaßt hätte. Und zum andern ist zu beachten, daß Lukas sich ja nicht darauf beschränkt hat, Mk 6,1–6a mit allenfalls geringen Veränderungen zu »übernehmen«; er hat vielmehr die dortige Szene erheblich ausgebaut. Er hat ihr insbesondere auch durch ihre neue Plazierung zu Beginn (!) der Darstellung des öffentlichen Wirkens Jesu einen besonders prominenten Platz im Aufriß des Evangeliums gegeben46. 44 Diese Veränderung gegenüber der Mk-Vorlage kommt durch verhältnismäßig einfache schriftstellerische Mittel zustande: Statt eyÆuyÁw . . . eÆdiÂdasken (Mk 1,21) heißt es in Lk 4,31 hËn didaÂskvn; das Erstaunen der Hörenden (eÆjeplhÂssonto) bezieht sich nicht mehr auf die aktuelle Verkündigung Jesu in der Synagoge, sondern darauf, daß »sein Wort« eÆn eÆjoysiÂaì erging (Lk 4,32 diff. Mk 1,22). 45 Das Summar Apg 2,42.43–47 knüpft bewußt an die Beschreibung der ursprünglich kleinen Gruppe aus 1,14 an (hËsan proskarteroyÄntew . . .). Vgl. A. Lindemann, The Beginnings of Christian Life in Jerusalem According to the Summaries in the Acts of the Apostles, in J. V. Hills (ed.), Common Life in the Early Church. FS Graydon Snyder, Downers Grove, IL, 1998, 202–218 (deutsche Übersetzung unter dem Titel: Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien der Apostelgeschichte, in diesem Band 213–229). 46 Zum Verhältnis von Lk 4,14–44 und Mk 6,1–6 vgl. Busse, Nazareth-Manifest (s. Anm. 10), 62–67.

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Wie schon erwähnt, reagieren die Zuhörer sowohl in Lk 4 (V. 22) als auch in Apg 2 (V. 37) auf das Gehörte mit einer Frage. Im Evangelium handelt es sich dabei um eine rein rhetorische Frage, die tatsächlich (scheinbares) »Wissen« anzeigt: Der »Sohn Josephs«47 kann doch gar nicht die Erfüllung der prophetischen Verheißung sein. Dementsprechend vertreiben die Bewohner Nazareths Jesus aus ihrer Stadt und versuchen sogar, ihn hinzurichten (V. 29). Damit verweist die Reaktion der Hörer Jesu also bereits auf das Ende der im Evangelium erzählten (Lebens-)Geschichte Jesu – die künftige Katastrophe ist bereits vorgezeichnet48. In der Apostelgeschichte dagegen zeigt die von den Zuhörern gestellte Frage deren existentielle Sorge; und dementsprechend wird die Antwort, die sie von Petrus erhalten, von ihnen auch sofort in die Tat umgesetzt. Auch dies ist zu verstehen als Vorausverweis auf den Fortgang der im zweiten Teil des lukanischen Werkes erzählten Geschichte: Die Gruppe derer, die die von den Aposteln verkündigte Botschaft hören und glaubend annehmen, wird beständig wachsen – unaufhaltsam und ohne überhaupt an ein definitives Ziel zu gelangen49 Mit der Beobachtung, daß die ganze Szene in Nazareth – und zwar sowohl das biblische Zitat als auch dessen Auslegung in Jesu »Rede« wie auch die Reaktion der Hörer und Jesu Antwort darauf – als vorwegnehmende Beschreibung des weiteren irdischen Wirkens Jesu verstanden werden kann, ist deren Funktion im Rahmen des lukanischen Doppelwerks im ganzen aber noch nicht vollständig erfaßt. Die in Lk 4,16–30 beschriebene Szene enthält vielmehr auch schon einen Vorausverweis auf die Geschichte der nachösterlichen Kirche: Zwar werden sich die in 4,18–19 zitierten Verheißungen aus Jes 61 schon in dem einen Jahr des Auftretens Jesu50 erfüllen; aber der in den in 4,25–27 referierten biblischen Beispielen betonte Akzent, daß durch das Jesusgeschehen das Heil den Fremden zukommt51, wird erst in der Apostelgeschichte verwirklicht werden. Wenn Jesus 47 Das ist möglicherweise der Grund, weshalb Nazareth ausdrücklich als die patriÂw Jesu bezeichnet wird: Die Bewohner dieser Stadt »wissen« natürlich, wessen Sohn Jesus ist. 48 So auch Korn, Geschichte (s. Anm. 10), 83: »Die Steigerung der Ablehnung bis zur Tötungsabsicht ist wohl das Werk des Lukas, um der Ablehnung Jesu durch die Menschen in der Synagoge von Nazareth typische Bedeutung zu geben. Umgekehrt wird von hier aus die Passion Jesu als Verwerfung des durch ihn repräsentierten Heils gedeutet«. Unzutreffend scheint mir freilich die Erwägung zu sein, diese Verwerfung des Evangeliums setze sich in der Apostelgeschichte fort. 49 Der von Lukas in der Apostelgeschichte erzählte Missionserfolg und also die Geschichte der Kirche wird im Gegensatz zur Geschichte des irdischen Jesus, keinen wirklichen »Abschluß« und also kein erzählbares Ende haben. Das berühmte Schlußwort der Apostelgeschichte (aÆkvlyÂtvw) signalisiert, daß die Mission gar nicht behindert werden kann; vgl. M. Wolter, Die Juden und die Obrigkeit bei Lukas, in: K. Wengst – G. Sass (eds.), Ja und nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels. FS Wolfgang Schrage, Neukirchen-Vluyn 1998, 277–290, vor allem 280.289. Wolter meint, das aÆkvlyÂtvw beziehe sich auf die Juden als Gegenüber, nicht auf den römischen »Staat«. 50 Mit der Übernahme der Wendung khry  jai eÆniaytoÁn kyriÂoy dektoÂn in V. 19 scheint Lukas anzudeuten, daß er sich Jesu Auftreten als ein Jahr dauernd vorstellt. 51 Vgl. dazu Esler, Community (s. Anm. 22), 34 f.

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die Bewohner Nazareths auf die Wundererzählungen von Elia (1 Kön 17) und Elisa (2 Kön 4) hinweist, dann stellt er dabei nicht das Wunder in den Mittelpunkt, sondern er spricht von der Herkunft derer, denen durch das Wunder geholfen wurde: Elia wurde während der Hungersnot im Lande zu niemandem geschickt außer allein zu einer Witwe aus dem »in der Gegend von Sidon gelegenen Sarepta«; Elisa heilte unter allen Aussätzigen in Israel »niemanden außer Naeman, den Syrer«. Berücksichtigt man, daß Lukas die Überlieferung von der Syro-Phönizierin (Mk 7,24–30) nicht übernommen hat, dann läßt sich das in Lk 4,25–27 Gesagte nicht anders denn als ein gezielter Vorausverweis auf die erst in der Apostelgeschichte dargestellte Entwicklung verstehen52. Will Lukas nur aus einem lediglich »biographischen« Interesse heraus berichten, daß Jesus in seiner patriÂw erfolglos gewesen sei? Das ist ebenso unwahrscheinlich wie die Annahme, Lukas habe den Bericht in Apg 2 allein aus »historischem« Interesse geschrieben. Vielmehr ist anzunehmen, daß Lukas mit den beiden Szenen »theologisch« sagen will, zwar habe Jesu irdisches Wirken ebenso begonnen, wie es dann endete, nämlich mit einer Katastrophe, das Wirken der durch den von Jesus verheißenen Geist geleiteten Kirche hingegen sei von Anfang an in höchstem Maße erfolgreich gewesen.

II. Wundererzählungen und Wundersummarien Der Vergleich zwischen den im Evangelium des Lukas und den in der Apostelgeschichte erzählten Wundergeschichten soll sich auf wenige Texte beschränken, wobei das Auswahlkriterium ganz äußerlich die Übereinstimmung der Motive ist: In beiden Teilen des lukanischen Werkes wird von Gelähmtenheilungen und von Totenerweckungen erzählt. Ein knapper Vergleich der in beiden Teilen des lukanischen Werkes enthaltenen Wundersummarien schließt sich an53.

52 Anders Busse, Nazareth-Manifest (s. Anm. 10), 43 f., der meint, diese Auslegung nähere sich »bedenklich einer Überinterpretation«. Wenig später stellt Busse dann fest: »Die Elias- und Elischatypologie des Lukas im Sinne einer umfassenden heilsuniversalistischen Aussage schließt zwar die kommende Heidenmission der Kirche mit ein, aber der Evangelist stellt hier letzteres noch nicht in den Mittelpunkt, weil es seinen Gedankengang stören, der möglichen Entwicklung vorgreifen und sie frühzeitig präjudizieren würde«. Die Schlußbemerkungen gehen über das im Text Erkennbare hinaus. 53 Zur Quellenfrage und zu formgeschichtlichen Problemen s. F. Neirynck, The Miracle Stories in the Acts of the Apostles, in: Ders., Evangelica. Gospel Studies – E´tudes d’E´vangile. Collected Essays, ed. F. Van Segbroeck (BEThL 60), Leuven 1982, 835–880. Vgl. auch A. George, Les re´cits de miracles. Caracte´ristiques lucaniennes, in: Ders., E´tudes sur l’œuvre de Luc (Sources bibliques), Paris 1978, 67–84.

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1. Gelähmtenheilungen durch Jesus (Lk 5,17–26), durch Petrus (Apg 3,1–10; 9,32–35) und durch Paulus (Apg 14,8–13) 54 a. Die Erzählung Lk 5,17–2655 entspricht im ganzen der Vorlage Mk 2,1–12, einschließlich des Kontexts; vorausgeht die Heilung des Aussätzigen (Lk 5,12–16/Mk 1,40–45), es folgen die Berufung des Levi und das Zöllnergastmahl (Lk 5,27–32/Mk 2,13–17). Zu den auffallendsten lukanischen Änderungen gehört, daß die »Gegner« Jesu schon gleich zu Beginn erwähnt werden (V. 17)56 und nicht erst dort, wo sie aktiv in das Geschehen eingreifen (V. 21 diff. Mk 2,6). Die sehr ungewöhnliche Art der Annäherung des Gelähmten erfolgt dagegen nahezu unverändert entsprechend der Mk-Vorlage57. Auch der durch das Sündenvergebungswort Jesu ausgelöste Konflikt mit den »Gegnern« wird in fast gleicher Weise wie bei Mk geschildert. Die Art der einleitenden Frage in V. 21b ist gegenüber Mk 2,7 allerdings signifikant verändert: Die – jetzt ausgesprochene und Ä n gedachte – kritische Frage lautet bei Lukas tiÂw nicht nur eÆn taiÄw kardiÂaiw ayÆtv eÆstin oyÎtow; sie zielt damit bewußt auf die Person Jesu, während sich die entsprechende Überlegung bei Mk (ti oyÎtow oyÏtvw laleiÄ;) auf Jesu Handeln bzw. Sprechen bezog. Der folgende Abschnitt V. 21b–24 entspricht nahezu wörtlich der Vorlage Mk 2,7b–11. Dagegen ist die »Demonstration« des Wunders (V. 25) gegenüber Mk 2,12a umformuliert worden, zum einen durch das von Lukas gern gebrauchte Adverb paraxrhÄma und zum andern vor allem dadurch, daß zunächst der »in sein Haus«58 gehende Geheilte selber Gott preist. Der »Chorschluß«, in dem »alle« das Gotteslob wiederholen (V. 26), entspricht dann mit einigen Erweiterungen59 im wesentlichen wieder der Mk-Vorlage (2,12b). b. Vergleicht man mit dieser von Lukas aus dem Markusevangelium übernommenen Erzählung von einer Gelähmtenheilung die drei (!) entsprechenden Er-

54

Vgl. zum folgenden Muhlack, Parallelen (s. Anm. 14), 15–36. Vgl. dazu U. Busse, Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas (FzB 24), Stuttgart 1977, 115–134. 56 Die Pharisäer und die nomodida  skaloi (dagegen Mk 2,6: tineÁw tv Ä n grammateÂvn) werden sehr eingehend vorgestellt; Lukas will offenbar betonen, daß man »überall« an Jesus interessiert ist. Der Hinweis auf die Jesu Heiltätigkeit ermöglichende dyÂnamiw kyriÂoy soll offenbar unter der Perspektive gelesen werden, daß auch die Gegner Jesu diese »Kraft« wahrnehmen. 57 Lukas hat den etwas umständlichen mk Bericht über das durch »Aufgraben« erfolgende Abdecken des Daches (aÆpesteÂgasan thÁn sthÂghn . . . eÆjoryÂjantew) durch den knappen Hinweis auf die »Ziegel« (diaÁ tv Ä n keraÂmvn) ersetzt. Ob er damit tatsächlich eine »Anpassung der Erzählung an das griechisch-römische Lokalkolorit« beabsichtigte (so Busse, Wunder, 133 f.), oder die Aussage lediglich vereinfachen wollte, läßt sich kaum sagen; jedenfalls hat Matthäus diesen Teil seiner Mk-Vorlage ersatzlos gestrichen (vgl. 9,2). 58 In der Wendung a Æ ph Ä luen eiÆw toÁn oiËkon ayÆtoyÄ in 5,25b liegt ein »minor agreement« mit Mt 9,7 vor; nach Jesu vorangegangenem Befehl yÏpage (Lk poreyÂoy) eiÆw toÁn oiËkoÂn soy lag diese Korrektur gegen Mk aber nahe. 59 Bemerkenswert ist vor allem das Stichwort para  doja, das sonst im NT nicht begegnet. Vgl. Busse, Wunder (s. Anm. 56), 123 f. 55

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zählungen in der Apostelgeschichte, so zeigen sich einerseits signifikante Analogien, andererseits aber auch bemerkenswerte Differenzen (s. die Übersicht auf der folgenden Seite): 1. In der von einer Wundertat des Petrus60 am Jerusalemer Tempel sprechenden Erzählung Apg 3,1–10 wird die Person des Gelähmten sehr breit eingeführt; im Grunde spricht Lukas in V. 2–5, mit Ausnahme von V. 4, ausschließlich von ihm. Er wird ausführlich vorgestellt mit Informationen, die über das auf der Erzählebene Wahrnehmbare weit hinausgehen (V. 2). Er ist es dann auch, der die Handlung eröffnet (V. 3); und der Erzähler weiß sogar, was der Gelähmte angesichts Ä w) »erwartet« (V. 5 prosdokv Än der Aufforderung des Petrus (V. 4 bleÂcon eiÆw hëma . . . labeiÄn), auch wenn sich dies dann sogleich als Mißverständnis erweist (vgl. die Aussage des Petrus in V. 6a). Erst in V. 6 wird eindeutig Petrus der Handelnde. Sein Wort wird in V. 6a bewußt mit diÂdvmi eingeleitet, als Kontrast zum zweimaligen labeiÄn in V. 3.5. Der Gelähmte »empfängt« von Petrus nicht Silber oder Äì oÆnoÂmati ÆIhsoyÄ Gold, sondern der Apostel »gibt« ihm etwas ganz anderes eÆn tv XristoyÄ; erst dann folgt das eigentliche Heilungswort (V. 6b)61. Die Heilung geschieht nicht allein durch das Wort des Petrus, sondern zusätzlich durch eine helfende Handlung (V. 7a). In der anschließenden Demonstration der Heilung (V. 7b. 8a) verwendet Lukas wie in Lk 5,25 das Adverb paraxrhÄma; und es findet sich dabei vor allem auch wieder der Topos des ausdrücklichen Gotteslobs durch den Geheilten62. Bemerkenswert ist der ungewöhnlich breite »Chorschluß« Ä w oë laoÂw die in V. 2 geschilderten Verhältnisse ja genau kannte (V. 9f.): Da pa (V. 10a), haben uamboÂw und eÍkstasiw jetzt besonderes Gewicht (V. 10b). 2. Die Heilung des Gelähmten in Lydda ebenfalls durch Petrus (Apg 9,32–35) wird völlig anders erzählt: Petrus kommt im Verlauf seiner Reisen63 nach Lydda, wo bereits Christen (aÏgioi) wohnen. Er »findet« dort einen Mann, der seit acht Jahren unter einer Lähmung leidet und »bettlägerig« ist64. Anders als in den Wundererzählungen meist üblich, wird der Gelähmte jetzt mit seinem Namen 60 Neben Petrus wird auch Johannes erwähnt (V. 1.3.4); der aber an der eigentlichen Handlung nicht beteiligt ist (vgl. vor allem V. 4). Möglicherweise handelt es sich um eine von Lukas nachträglich vorgenommene Ergänzung einer ursprünglich nur von einem Wundertäter sprechenden Erzählung. Vgl. Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 27), 39. 61 Ob im Heilungswort V. 6b die Worte e Í geire kai zu lesen sind oder nicht, läßt sich kaum sagen. Das Fehlen in den Codices a B D wiegt schwer, aber da zur Schilderung der Heilungshandlung in V. 7 auch die Formulierung hÍgeiren folgt, wird man es doch wohl zu lesen haben. 62 Die Wendung aiÆnv Ä n toÁn ueoÂn (das Verb aiÆneÂv begegnet im NT ganz überwiegend bei Lukas) paßt zur erzählten Szene; der Geheilte begleitet Petrus und Johannes nun auf deren Weg in den Tempel (V. 8, vgl. V. 1). 63 Die Reisennotiz dierxo  menon diaÁ paÂntvn (9,32a) bezieht sich offenbar auf die in 9,31 genannten Gebiete Judäa, Galiläa und Samaria, in denen die Kirche (nach der Bekehrung des Paulus) »Frieden« hatte. 64 Lukas verwendet hier (9,33) das Wort kra  battow, das er in der Parallele zu Mk 2,1–12 gerade vermieden und durch kliÂnh bzw. kliniÂdion ersetzt hatte; im Wundersummar Apg 5,15 (s. u.) spricht er von Kranken, die eÆpiÁ klinariÂvn kaiÁ krabaÂttvn lagen.

5,25 5,26

5,24b

5,21–24

5,17 5,18.19 5,20

Demonstration Chorschluß. Reaktion des Publikums: Gotteslob

Situation Exposition Reaktion Jesu: Sündenvergebungswort Diskussion mit den Gegnern (V. 17a) Heilungswort

Lk 5,17–26

3,6b 3,7a 3,7b.8 3,9.10

3,4–6a

3,1 3,2 3,3

Heilungswort Heilungsgeste Demonstration Chorschluß: Reaktion des Publikums

»Mißverständnis«

Situation Exposition Handeln des Bettlers

Apg 3,1–10

9,34c 9,35

9,34b

9,34a

9,32 9,33

Demonstration Reaktion der Stadtbewohner: Bekehrung

Heilungswort

Hinweis auf Christus

Situation Exposition

Apg 9,32–35

Heilungswort

Stummer »Dialog«

Exposition

14,10b Demonstration 14,11–13 Reaktion des Publikums: »Vergottung«

14,10a

14,9

14,8

Apg 14,8–13

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201

eingeführt (V. 33 Aeneas) und dann auch entsprechend von Petrus angeredet Ä tai se (V. 34). Die das wunderwirkende Wort des Petrus einleitende Aussage iÆa ÆIhsoyÄw XristoÂw (V. 34a) ist ohne jede Parallele; dagegen ist das in V. 34b folgende eigentliche Heilungswort (aÆnaÂsthui) jedenfalls nicht ungewöhnlich65, und dem entspricht dann die Schilderung der Demonstration (V. 34c eyÆueÂvw aÆneÂsth). Durch die Wendung kaiÁ eiËdan ayÆtoÁn paÂntew oië katoikoyÄntew (V. 35a) wird ähnlich wie in Apg 3,10a angezeigt, daß Aeneas und also auch sein Schicksal in der Stadt bekannt ist; anders als in Jerusalem wird aber jetzt das Wunder Anlaß zur Bekehrung »aller« in der Stadt Lydda und in der Saron-Ebene Wohnenden (V. 35b)66. 3. Die Erzählung von der Heilung des Gelähmten durch Paulus in Lystra (Apg 14,8–13) scheint demgegenüber von Lukas offenbar bewußt als eine Art Kurzfassung der Erzählung von Apg 3,1–10 gestaltet worden zu sein67. Zwar geht jetzt die Situations- und Ortsangabe der eigentlichen Erzählung voraus (nach 14,6b. 7 befinden sich Paulus und Barnabas nach ihrer Flucht aus Ikonion in Lystra); aber die Exposition (V. 8) entspricht dann weithin derjenigen in 3,268. Vor allem fällt auf, daß in 14,9, ähnlich wie in 3,3–5, die »Initiative« von dem Gelähmten ausgeht: Er hört Paulus reden (V. 9a), der dann seinerseits den Gelähmten »sieht«. Äì] kaiÁ iÆdvÁn ktl.) entDie hiervon in V. 9b gegebene Beschreibung (aÆteniÂsaw [ayÆtv spricht zwar nicht inhaltlich, wohl aber im Duktus der Erzählung im wesentlichen der Schilderung in 3,4, insofern die Leser erfahren, was die Beteiligten jeweils »denken«69. Das nun unmittelbar folgende Heilungswort 14,10a entspricht dem Kontext70. Wenn ausdrücklich gesagt wird, Paulus habe megaÂlhì fvnhÄì gesprochen, so könnte diese Kennzeichnung den Sinn haben, das folgende Geschehen (14,11–13) von vornherein als besonders absurd erscheinen zu lassen: Paulus spricht sein wunderwirkendes Wort mit lauter Stimme und also jedenfalls nicht etwa in »geheimnisvoller« Weise; und dennoch meinen die Lystrer, sie 65 ÆAnista  nai ist in Wundererzählungen häufig gebraucht (Mk 5,42; 9,27; Lk 17,19 u. ö.); die impt. Wendung aÆnaÂsthui ist dabei aber selten, vgl. Apg 14,10 (s. u.). Zu strv Ä son eëaytv Äì vgl. Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 27), 68: Das Wort dient schon als solches der (bevorstehenden) Demonstration; der seit acht Jahren im Bett Liegende soll selber sein Bett in Ordnung bringen. 66 ÆEpistreÂfein eiÆw toÁn ky  rion ist als Reaktion des Publikums sonst nicht belegt, so daß man von einer »stilgemäßen« Wirkung eigentlich nicht sprechen kann (zu Conzelmann, Apostelgeschichte, 68). 67 Anders Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 27), 87, der unter Verweis auf Dibelius meint, es handele sich um eine »Einzelgeschichte«, und »die Ähnlichkeit beider Vorgänge« ergebe sich »durch den durchschnittlichen Stil der Wundergeschichte«. 68 Neben der Wiederholung der Ortsangabe eÆn Ly  stroiw findet sich in V. 8 die, z. T. etwas umständlich formulierte, Information darüber, daß der Mann von Geburt an gelähmt ist. 69 Die Wendung e Í xei piÂstin toyÄ svuh Ä nai ist offenbar bewußt doppeldeutig gemeint: Der Gelähmte hat den »Glauben gerettet zu werden« (bzw. das »Vertrauen, geheilt zu werden«). Vielleicht will Lukas auf diese Weise sagen, daß sich beides nicht voneinander trennen lasse. 70 Zu a Æ naÂsthui vgl. 9,34b (s. o. Anm. 66).

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hätten es mit Göttern zu tun71. Dementsprechend fallen die »Chorschlüsse« gegensätzlich aus: Während das Volk am Tempel in Jerusalem (ebenso wie in die Volksmenge in Kapharnaum) Gott ob des Wunders des Petrus (bzw. Jesu) preist (Apg 3,9 f.; Lk 5,26) und die Bewohner von Lydda und Saron sich sogar »zum Herrn« bekehren (Apg 9,35), mißverstehen die Menschen in Lystra und insbesondere der Priester des Zeus das Wunder auf groteske Weise, so daß Paulus und Barnabas viel rhetorisches Geschick aufbieten müssen (14,14–18), um die Lystrer allmählich von ihrem Opferwahn abzubringen72. Die Wundererzählung in Apg 14,8–13(18) enthält also ein starkes Element der Verspottung derer, in deren Mitte das Wunder geschah. 2. Totenerweckungserzählungen: Der Jüngling zu Nain (Lk 7,11–17), Tabitha in Joppe (Apg 9,36–42), Eutychos in Troas (Apg 20,7–12) 73 a. Die nur im lukanischen Sondergut überlieferte Erzählung von der Auferweckung des Jünglings zu Nain durch Jesus (Lk 7,11–17) ist der einzige Text in der synoptischen Tradition, der eindeutig als Totenerweckungserzählung bezeichnet werden kann. Denn bei der in Mk 5,22–24.35–43 überlieferten und sowohl von Matthäus (9,18 f.23–26) wie auch von Lukas (8,40–42.49–56) übernommenen Erzählung von der »Auferweckung« der Tochter des Jairus bleibt offen, ob das Mädchen wirklich tot ist, wie die aus dem Hause des Jairus entsandten Boten und dann auch die dort anwesenden Trauernden sagen74, oder ob sie – wie Jesus sagt – schläft75. Zwar heißt es in Lk 8,53b anders als bei Mk im Zusammenhang der Verspottung Jesu (kategeÂlvn ayÆtoyÄ) ausdrücklich, die Trauernden hätten »gewußt, daß sie gestorben war« (eiÆdoÂtew oÏti aÆpeÂuanen); aber damit scheint auch bei Lukas nicht eine »objektive« Tatsache, sondern lediglich ein subjektives »Wissen« der Anwesenden ausgesagt zu sein, dem das Wort Jesu (oyÆk aÆpeÂuanen) entgegensteht76. Demgegenüber ist die Erzählung Lk 7,11–17 ohne Zweifel als Totenerweckungserzählung zu lesen77.

71

Denkbar wäre, daß Lukas die Lykaonier als des Griechischen nicht mächtig erscheinen lassen will; darauf könnte V. 11 hindeuten. Die Worte der »Apostel Barnabas und Paulus« in V. 15–17 scheinen von ihnen dann aber doch verstanden zu werden. 72 Ein ähnlicher Zug findet sich auch in Apg 28,6, dort jedoch ohne eine derart explizit kritisch-ironische Tendenz. 73 Vgl. zum folgenden Muhlack, Parallelen (s. Anm. 14), 55–71. 74 In Mk 5,35 wird der Tod der Tochter mitgeteilt, was Lk (8,49) übernommen hat, im Unterschied zu Mt, der die Erzählung aber ohnehin erheblich gekürzt hat. Die Trauerszene im Hause (Mk 5,38b) findet sich sowohl bei Mt als auch bei Lk nahezu unverändert. 75 Der »Dialog« zwischen Jesus und der Menge (oyÆk a Æ peÂuanen aÆllaÁ kaueyÂdei. kaiÁ kategeÂlvn ayÆtoyÄ) wird von Lukas und von Matthäus wörtlich aus Mk 5,39b. 40b übernommen (in Mt 9,24 sind lediglich die Worte gaÂr und toÁ koraÂsion eingefügt). 76 Vgl. dazu A. Lindemann, Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a. Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem, in C. Breytenbach/

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Die Erzählung beginnt in V. 11 mit einer sehr genauen Situationsschilderung: Jesus befindet sich nach seinem mit einem Heilungswunder (7,1–10) verbundenen Aufenthalt bei Kapharnaum78 auf dem Wege in die sonst in der Jesus-Überlieferung nicht erwähnte Stadt Nain; man erfährt ausdrücklich, daß er von einer größeren Anzahl (iëkanoiÂ) seiner Jünger sowie einem oÍxlow polyÂw begleitet wird (V. 11b). Als sie sich »dem Stadttor«79 nähern, begegnet ihnen ein Leichenzug (V. 12a). Der Erzähler informiert die Leser darüber, daß der Verstorbene der einzige Sohn seiner verwitweten Mutter gewesen sei (V. 12b), und er hebt hervor, daß auch sie, ähnlich wie Jesus, von einem oÍxlow iëkanoÂw begleitet wird (V. 12c). Die Erzählung betont in der Exposition also die Anwesenheit einer überaus großen Menschenmenge als »Öffentlichkeit«; und die ausdrückliche Erwähnung der Mutter des Toten deutet offenbar schon darauf hin, daß sie im Fortgang der Erzählung eine wichtige Rolle spielen wird. Als Jesus, vom Erzähler als oë kyÂriow eingeführt, die Mutter sieht, hat er Mitleid mit ihr und spricht sie an: mhÁ klaiÄe (V. 13). Das ist im Duktus der Erzählung geradezu als ein Verzögerungselement aufzufassen, weil der Sinn der Aufforderung zunächst offen bleibt80. Jesus geht dann näher heran und berührt die Totenbahre81; erst jetzt (V. 14) spricht er den Toten an: neaniÂske, soiÁ leÂgv, eÆgeÂruhti. Der Gestus der Berührung und vor allem das wunderwirkende Wort entsprechen der Schilderung und teilweise sogar der Formulierung in Mk 5,4182. Ein grundlegender Unterschied besteht allerdings darin, daß Jesus in Mk 5,41/Lk 8,54 die Hand des Kindes ergreift, während er in Lk 7,14 nicht den Leichnam, sondern lediglich die Bahre berührt. Ungewöhnlich ist in V. 15 die Demonstration: Der Tote (oë nekroÂw) richtet sich auf und beginnt zu reden. Der Erzähler spielt dann offensichtlich bewußt auf die Elia-Erzählung von H. Paulsen (eds.), Anfänge der Christologie, FS Ferdinand Hahn, Göttingen 1991, 185–207, hier: 200–202 (in diesem Band 70–92). 77 Zur Analyse vgl. Busse, Wunder (s. Anm. 56), 161–175. 78 Es ist bemerkenswert, daß Lukas in 7,11 die beiden Szenen miteinander verknüpft durch die Äì eëjh Ä w, die an das programmatische kauejh Ä w des Prologs (1,3) erinnert, in einem Wendung eÆn tv wirklich »chronologischen« Zusammenhang aber nur selten gebraucht wird (Lk 9,37 thÄì eëjhÄw hëmeÂraì; in Apg 21,1; 25,17; 27,18 hat die Angabe keine besondere Bedeutung). Zu dem im ganzen fünfmal bei Lk/Apg belegten kauejhÄw vgl. vor allem Lk 8,1. 79 Die Erwähnung dieses Details ist in der Überlieferung ohne Parallele; ein Stadttor wird im NT sonst nur noch in Apg 9,24 im Zusammenhang der Gefährdung des Paulus in Damaskus erwähnt. 80 Dieser Zug erinnert an die oft als Parallele zitierte Szene bei Philostrat VitApoll IV 45: Apollonius begegnet einem Leichenzug und kündigt den Trauernden an, er wolle ihre Tränen trocknen; dort heißt es dann aber, die Menge habe angesichts dieser Ankündigung eine tröstende Ansprache erwartet. Vgl. B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996, 266–268. 81 Die erst an dieser Stelle verspätet eingeschobene Bemerkung, die Träger seien stehengeblieben, stellt ein weiteres Verzögerungsmoment dar. 82 In Mk 5,41 heißt es krath  saw th Ä w xeiroÁw toyÄ paidiÂoy (ebenso Lk 8,54), Jesu Anrede an das Mädchen (toÁ koraÂsion, soiÁ leÂgv, eÍgeire) hat Lukas in seiner Textfassung geändert (Lk 8,54 hë paiÄw, eÍgeire).

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der Auferweckung des Sohnes der Witwe von Sarepta (1 Kön 17) an83; denn es heißt ausdrücklich, daß Jesus ihn seiner Mutter »gab«84. Im Chorschluß (V. 16) wird – jedenfalls aus der Perspektive des Evangelisten – zunächst insofern nicht ganz sachgemäß von Jesus gesprochen, als dieser von der Menge (nur) als profhÂthw meÂgaw apostrophiert wird85; dann aber sprechen die Menschen in biblischer Sprache vom eÆpiskeÂptein Gottes über sein Volk86. Abschließend (V. 17) heißt es auffälligerweise, die Kunde davon87 sei »in ganz Judäa« ergangen, obwohl Nain in Galiläa liegt88. Die Totenerweckungserzählung in Lk 7,11–17 hat also zum einen die Funktion, zu erklären, daß und auf welche Weise Jesu Ruhm gemehrt wurde; zum andern aber ist durch die relativ enge Bindung an 1 Kön 17 ein starker biblischer Bezug erkennbar, der mit dazu beiträgt, daß die für Lukas auch sonst charakteristische »soziale« Komponente89 in besonderer Weise unterstrichen wird. b. In der Apostelgeschichte überliefert Lukas zwei Totenerweckungserzählungen90. Die erste Erzählung (Apg 9,36–42)91 beginnt mit einer Personalnotiz über eine in der Stadt Joppe lebende Jüngerin92 namens Tabitha93 (V. 36a); die Leser erfahren von ihrem »sozialen« Handeln, das hohes Lob erhält (V. 36b). Die eigentliche Erzählhandlung beginnt damit, daß berichtet wird, sie sei »in jenen Tagen« krank geworden, gestorben und im »Obergemach« aufgebahrt worden (V. 37). Nun ruft man Petrus, der sich in der »nahegelegenen«94 Stadt Lydda 83 Ein Bezug zu dieser Erzählung war bereits in der Nazareth-Szene (Lk 4,25 f.) hergestellt worden, freilich nur zum ersten Teil (Hungersnot im Lande, V. 1–16) und gerade nicht zum zweiten Teil (V. 17–24). 84 3 Regn 17,23 kaiÁ kath  gagen ayÆtoÁn aÆpoÁ toyÄ yëperv Äìoy eiÆw toÁn oiËkon kaiÁ eÍdvken ayÆtoÁn th Äì mhtriÁ Äì oë yiëoÂw soy. ayÆtoyÄ, kaiÁ eiËpen Hlioy BleÂpe, zh 85 Vgl. dazu Bovon, Evangelium nach Lukas I (s. Anm. 19), 364 f. (mit Anm. 61). 86 Vgl. Ruth 1,6 LXX: Während der Hungersnot kehren Naemi und ihre beiden SchwiegerÄì Mvab, oÏti eÆpeÂskeptai töchter aus Moab »in das Land« zurück, weil sie erfahren hatten eÆn aÆgrv kyÂriow toÁn laoÁn ayÆtoyÄ doyÄnai ayÆtoiÄw aÍrtoyw. Vgl. im übrigen Bovon, Evangelium nach Lukas I, 104 (zu Lk 1,68). 87 Zu lo  gow oyÎtow in solchem Zusammenhang vgl. Lk 4,36. 88 Nach H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17), Tübingen 51964, 35 Anm. 1 zeigt sich hier die lk Unkenntnis der geographischen Gegebenheiten Palästinas. Dem widerspricht Bovon, Evangelium nach Lukas I, 365 mit der These, ÆIoydaiÂa meine bei Lukas »ganz Palästina«. Dagegen sprechen aber die Aussagen in Lk 2,4 und 5,17. Erwähnt wird in 7,17 neben Judäa, freilich ohne nähere Spezifizierung, die »ganze Umgebung« (paÂshì thÄì perixvÂrvì). 89 Vgl. dazu G. Stählin, Art. xh  ra, ThWNT IX, Stuttgart 1973, 428–454, hier: 439. 90 Zum Vergleich der Erzählungen s. Bovon, Evangelium nach Lukas I (s. Anm. 19), 357. 91 Diese Erzählung weist sehr deutliche Parallelen zu 1 Kön 17,17–24 bzw. 2 Kön 4,19 f.30–37 auf; vgl. die Übersicht bei A. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 1–12 (ÖTK 5/1), Gütersloh und Würzburg 1981, 238. 92 Das Wort mauh  tria ist im NT nur hier belegt. 93 Die griech. Übersetzung des hebr. Namens wird hinzugefügt (»Gazelle«); vgl. dazu Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 27), 68. 94 Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt ca. 13 km, etwa drei Wegstunden; vgl. Conzelmann, Apostelgeschichte, 69.

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aufhält; er solle unverzüglich nach Joppe kommen (V. 38). Daß sich mit diesem Ruf eine bestimmte Absicht verbindet, sagt die Erzählung nicht. Petrus ist zwar als Wundertäter in der Apostelgeschichte bereits bekannt, nicht zuletzt durch die unmittelbar vorangegangene Heilung des gelähmten Aeneas (9,32–35); aber daß er die Fähigkeit besitzt, Tote zu erwecken, ist kaum zu erwarten95. Der Fortgang der Ereignisse (V. 39) steht dann in einem eigenartigen Kontrast zur anfänglich geschilderten »Eile« (V. 38): Zwar wird Petrus sogleich nach seiner Ankunft in Joppe in den Raum geführt, wo die tote Tabitha aufgebahrt liegt; aber es ergeht nicht etwa die Bitte um ein Wunder, sondern man zeigt ihm Kleidungsstücke, die Tabitha hergestellt hatte96. Insofern paßt die in V. 39 geschilderte Szene weniger zur Exposition einer Wundererzählung als vielmehr zum Bericht von einem Beileidsbesuch, in dessen Verlauf der Besucher erfährt, warum gerade in diesem Fall der Tod so besonders schmerzlich ist. Erst in V. 40a kommt es zur Wunderhandlung: Nachdem Petrus alle Anwesenden aus dem Raum geschickt hat97, kniet er nieder und betet; danach spricht er unter Hinwendung zu dem Leichnam das wunderwirkende Wort aus (TabiuaÂ, aÆnaÂsthui). Die Differenz zu der in Lk 7,14 beschriebenen Handlung Jesu ist deutlich: Jesus sprach sein Wort eÆgeÂruhti aus eigener Vollmacht (vgl. V. 13 oë kyÂriow eÆsplagxniÂsuh); Petrus dagegen betet zunächst, d. h. er bittet Gott um dessen Beistand, bevor er die tote Tabitha anredet. Die anschließende Demonstration (V. 40b. 41) ist vergleichsweise breit ausgestaltet: Zunächst wird der eigentliche Vorgang der Erweckung sehr viel deutlicher nachgezeichnet, als das in Lk 7 der Fall gewesen war98, und dann wird auch das Publikum nochmals sehr betont erwähnt (V. 41b). Einen »Chorschluß« im eigentlichen Sinne gibt es zwar nicht; es wird aber berichtet (V. 42), daß das Geschehen in ganz Joppe bekannt geworden sei, und hier heißt es nun ausdrücklich, »viele« seien zum Glauben an den kyÂriow gekommen99. Lukas will offensichtlich betonen, daß das von Petrus vollbrachte Wunder nicht etwa dessen Ruhm gedient, sondern im Gegenteil die »Ehre« des kyÂriow gemehrt habe.

95 Selbst in Joh 11 wird Jesus zum kranken Lazarus gerufen, während dieser noch lebt, und dasselbe gilt für die kranke Tochter des Jairus; Tabitha dagegen ist bereits gestorben, als Petrus gerufen wird. 96 Durch V. 39b wird also die eingangs in V. 36b gegebene Charakterisierung der Tabitha näher illustriert. 97 Die Wendung eÆkbalv Á n deÁ eÍjv paÂntaw entspricht beinahe wörtlich Mk 5,40; in der Parallele dazu rückt Lukas aber diesen Topos an eine andere Stelle und nimmt vor allem sprachlich eine deutliche Veränderung vor (Lk 8,51 oyÆk aÆfhÄken eiÆselueiÄn tina . . . eiÆ mhÁ ktl.). 98 Das »Aufwachen« der Tabitha wird zunächst »objektiv« (h Í noijen toyÁw oÆfualmoyÁw ayÆth Ä w) und dann nochmals aus ihrer Perspektive (iÆdoyÄsa toÁn PeÂtron) geschildert, wozu Lk 7,15 gar keine Parallele bietet, identisch aber ist die abschließende »objektiv« wichtige Notiz aÆnekaÂuisen. In V. 41a wird die Schilderung noch ein Stück fortgesetzt. 99 Vgl. schon unmittelbar zuvor 9,35b. Daß ein Wunder Glauben ausgelöst habe, wird auch im Anschluß an die Auferweckung des Lazarus gesagt (Joh 11,45), während dieser Zug in der synoptischen Überlieferung nirgends begegnet.

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Lukas erzählt von einer weiteren Auferweckung, die in Troas lokalisiert ist (Apg 20,7–12). In dieser Erzählung wird zu Beginn die Situation außerordentlich breit geschildert (V. 7–9): Der Erzähler beschreibt einen in einem »Obergemach«100 stattfindenden Gottesdienst, der durch eine lange Predigt des Paulus zeitlich sehr ausgedehnt wird. Ein neaniÂaw namens Eutychos fällt in tiefen Schlaf, stürzt aus dem Fenster und wird »tot aufgehoben« (hÍruh nekroÂw). Auch die Fortsetzung ist ungewöhnlich: Paulus geht hinab, »legt sich auf ihn«101 und stellt, beinahe wie ein Arzt, fest, daß hë cyxhÁ ayÆtoyÄ in dem Jüngling ist (V. 10). Dann geht er wieder hinauf, wo der Gottesdienst bis zum Morgengrauen fortgesetzt wird. Anschließend verläßt Paulus die Stadt (V. 11), ohne sich um das Schicksal des Eutychos noch weiter zu kümmern102, d. h. er setzt voraus, daß die Auferweckung des Eutychos selbstverständlich eintritt. Daß im Sinne der Erzählung Eutychos nach seinem Sturz tatsächlich tot und nicht etwa scheintot oder nur betäubt ist, kann – anders als im Fall der Jairus-Tochter – nicht bezweifelt werden: Das nekroÂw-Sein wird in V. 9 vom Erzähler konstatiert und nicht wie in Mk 5,35.38–40/Lk 8,49.52 f. lediglich von den in der Erzählung auftretenden Personen behauptet; und auch die Verwendung des Begriffes cyxh spricht dafür, daß vom »Leben« (und nicht etwa nur vom Bewußtsein) des Eutychos die Rede Äì ist103. Dementsprechend hat die »Diagnose« des Paulus hë gaÁr cyxhÁ ayÆtoyÄ eÆn ayÆtv eÆstin in 20,10 eine andere Funktion als das Wort Jesu oyÆk aÆpeÂuanen aÆllaÁ kaueyÂdei in Mk 5,39/Lk 8,52: Paulus spricht damit faktisch bereits das wunderwirkende Wort aus, dem ein weiteres infolgedessen nicht zu folgen braucht. Die Demonstration erfolgt dann aber zeitlich versetzt (V. 12), was den Effekt im Grunde sogar noch steigert; die Erzählung hat es als geradezu selbstverständlich vorausgesetzt, daß sich der tote Jüngling entsprechend dem Wort des Paulus als lebendig Ä nta) erweisen wird. (hÍgagon zv Das Wunder von Troas führt, anders als das Wunder in Joppe, nicht zum Glauben – schon deshalb nicht, weil ja alle Anwesenden Gläubige sind. Wohl aber führt es dazu, daß sie getröstet werden oyÆ metriÂvw104. Diese Schlußbemerkung ersetzt den »Chorschluß«; dieser kann fehlen, weil nach dem von Paulus Ä n ein Anlaß bereits gesprochenen wunderwirkenden Wort angesichts des paiÄw zv zum Erstaunen oder auch nur zu einem besonderen Gotteslob gar nicht mehr besteht.

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Vgl. dazu Apg 1,13. Zu eÆpeÂpesen ayÆtv Äì vgl. abermals die Elia-Erzählung in 1 Kön 17 (V. 21 LXX kaiÁ eÆnefyÂshsen tv Äì paidariÂvì triÁw kaiÁ eÆpekaleÂsato toÁn kyÂrion kaiÁ eiËpen KyÂrie oë ueoÂw moy, eÆpistrafhÂtv dhÁ hë cyxhÁ toyÄ paidariÂoy toyÂtoy eiÆw ayÆtoÂn). 102 In V. 12.13 heißt es mit deutlicher Unterscheidung: »Sie brachten den pai Äw lebendig und wurden getröstet« (V. 12), »wir dagegen reisten ab« (V. 13). 103 Vgl. den in Anm 102 zitierten Text. 104 Es ist erzählerisch sehr geschickt, daß Lukas diese Notiz ganz an den Schluß stellt (V. 12b) und sie nicht etwa schon auf die »beruhigenden« Worte des Paulus in V. 10 folgen läßt. 101

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Der Vergleich der im ganzen drei Totenerweckungserzählungen im lukanischen Doppelwerk ergibt also, daß sie nach Form und Erzählzweck erheblich differieren. Auffällig ist aber die ihnen allen gemeinsame starke Bindung an die biblische Überlieferung von Elia und Elisa; diese verdankt sich möglicherweise der lukanischen Redaktion und entspricht jedenfalls den Interessen der Theologie des Lukas, ohne daß man deshalb schon annehmen müßte, daß eine dieser Erzählungen überhaupt als »redaktionell« von Lukas geschaffen zu gelten hätte. 3. Wundersummarien Sowohl im Evangelium als auch in der Apostelgeschichte finden sich Summarien, in denen der Erzähler mehr oder weniger »pauschal« von der Wundertätigkeit Jesu bzw. dann der Apostel berichtet. Bei der Anwendung dieses Stilmittels folgt Lukas dem im Markusevangelium vorgegebenen Verfahren. Sowohl in Lk 4,40 f. als auch in Lk 6,17–19 übernimmt er die Summarien aus seiner Mk-Vorlage; in der Apostelgeschichte setzt er das im Evangelium begonnene literarische Vorgehen fort. a. Die Stellung des ersten Summars im Evangelium (Lk 4,40 f.) entspricht im Aufriß ganz der Stellung des entsprechenden Summars in Mk 1,32–34105. Auch im Duktus der Darstellung gibt es keine gravierenden Änderungen106: Es wird gesagt, daß Jesus Kranke heilte (entsprechend der Heilungserzählung Lk 4,38 f.) und daß aus vielen Menschen Dämonen ausfuhren (entsprechend der Exorzismuserzählung Lk 4,31–37). Die Bemerkung, die daimoÂnia hätten geschrien syÁ eiË oë yiëoÁw toyÄ ueoyÄ (V. 41a), hat Lukas offensichtlich aus dem zweiten Mk-Summar (3,11) nach vorn gezogen107; das von Jesus ausgesprochene Sprechverbot entspricht dann aber wieder fast wörtlich der unmittelbaren Parallele Mk 1,34b. Überraschend ist die Einfügung des Elements der Handauflegung (V. 40b)108; denn diesen Heilgestus hatte Lukas in den vorangegangenen Wundererzählungen nicht erwähnt; man kann fragen, ob hier ein Vorgriff auf Mk 6,5 vorliegt109. 105 Die Erzählung von der Heilung der Schwiegermutter des Simon geht voran (Lk 4,38 f./Mk 1,29–31), und es folgen der Aufbruch aus Kapharnaum und der knappe Bericht von der Predigttätigkeit Jesu in Galiläa (Lk 4,42–44/Mk 1,35–39) sowie die Erzählung von der Heilung des Aussätzigen (Lk 5,12–16/Mk 1,40–45); lediglich in 5,1–11 ist die Berufung des Simon eingefügt, die nach 4,38 f. eigentlich merkwürdig »deplaziert« ist. 106 Abgesehen von einigen sprachlichen Korrekturen ist die stärkste Veränderung die Streichung von Mk 1,33; dem entspricht dann, daß auch in Lk 5,17 der Hinweis auf die Tür (Mk 2,2) fehlt. 107 In der vorausgegangenen Exorzismus-Erzählung Lk 4,31–37 hatte der Dämon, ebenso wie bei Mk, von Jesus als dem aÏgiow toyÄ ueoyÄ gesprochen. 108 Es heißt ausdrücklich, Jesus habe »jedem einzelnen von ihnen« die Hände aufgelegt und sie so geheilt. 109 Der Topos ist in Mk 6,5 in der summarischen Schlußnotiz über Jesu Aufenthalt in Nazareth ausdrücklich verwendet worden (eiÆ mhÁ oÆliÂgoiw aÆrrvÂstoiw eÆpiueiÁw taÁw xeiÄraw eÆueraÂpeysen); in der lk Fassung der Nazareth-Perikope ist dies natürlich ganz entfallen.

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b. Das zweite Summar des Evangeliums (Lk 6,17–19) steht in der Textfolge ebenfalls an derselben Stelle wie bei Mk (3,7–12), mit dem Unterschied allerdings, daß die Berufung der Zwölf nach der Darstellung des Markus erst nach dem Summar erfolgte (3,13–19), nach Lukas dagegen vorher (Lk 6,12–16). Dieses zweite Summar hat im Lukasevangelium zugleich die Funktion, zur »Feldrede« hinzuführen (6,20–49)110, denn Lukas hebt betont bevor, die »große Volksmenge« sei gekommen, um ihn zu hören 111 und um sich von Krankheiten (Lk 6,18a/ Mk 3,10) und von unreinen Geistern heilen zu lassen (Lk 6,18b/Mk 3,11). Nicht zufällig scheint zu sein, daß Lukas den Schluß des Summars umgestaltet hat: Während bei Mk zum Abschluß (3,12) die Aussage wiederholt wird, Jesus habe den Dämonen befohlen, ihn nicht »offenbar« zu machen, ist in Lk 6,19 betont davon die Rede, daß Jesus alle geheilt habe. c. In der Apostelgeschichte sind die Wundersummarien, vor allem Apg 5,12–16; 19,11.12, verglichen mit den Summarien im Evangelium in ihrer Wirkung erheblich gesteigert. Am auffälligsten ist, daß sie vor allem im Blick auf das mirakulöse Element durchgängig über das zuvor in den Einzelüberlieferungen Erzählte hinausgehen. Sie haben offensichtlich nicht nur die Funktion, bereits Erzähltes gleichsam zu »multiplizieren«; sie dienen vielmehr darüber hinaus auch dazu, das in den vorangegangenen Erzählungen sichtbar gewordene »Wunderbare« noch zusätzlich zu steigern. So heißt es innerhalb des Summars Apg 5,12–16, man habe Kranke auf die Straße gebracht, damit der Schatten des Petrus auf sie falle (V. 15)112. Und abschließend wird dann festgestellt, es seien aus den rings um Jerusalem liegenden Städten Kranke und von unreinen Geistern Besessene gebracht worden, die alle geheilt wurden (V. 16). Ein vergleichbares Element enthält das kurze Paulus betreffende Summar in Apg 19,11 f., wenn gesagt wird, daß dessen soydaÂria und simikiÂnuia heilkräftig gewesen seien113. Die »summarischen« Notizen über die Wunder des Stephanus (6,8)114 und über die Wundertätigkeit des Philippus in Samaria (8,6–8 bzw. 8,13)115 haben überhaupt keinen 110 Auch bei Mt geht der Bergpredigt ein Summar unmittelbar voran (4,23–25 entsprechend Mk 1,39). 111 Lukas erreicht diese gegenüber Mk inhaltlich erhebliche Korrektur durch eine minimale Textänderung. Statt plhÄuow polyÁ aÆkoyÂontew oÏsa eÆpoiÂei hËluon proÁw ayÆtoÂn (Mk 3,8) heißt es in Lk 6,18 oiÊ hËluon aÆkoyÄsai ayÆtoyÄ kaiÁ iÆauhÄnai aÆpoÁ tv Ä n noÂsvn ayÆtv Ä n. 112 Die Codices D und E (sowie ein Teil der lateinischen Überlieferung) fügen – mit unterschiedlichem Wortlaut – hinzu, daß die Betreffenden dann auch tatsächlich geheilt wurden; der ursprüngliche Text sagt dies nicht ausdrücklich, setzt es aber natürlich voraus. 113 Auch in den Summarien findet sich der Aspekt, daß die Wunder »durch die Hände« der Apostel bzw. des Paulus geschehen, daß also nicht sie selber die eigentlichen »Wundertäter« sind (5,12 diaÁ deÁ tv Ä n xeirv Ä n tv Ä n aÆpostoÂlvn eÆgiÂneto shmeiÄa kaiÁ teÂrata pollaÁ eÆn tv Äì lav Äì; 14,3 shmeiÄa kaiÁ Än teÂrata giÂnesuai diaÁ tv Ä n xeirv Ä n ayÆtv Ä n; 19,11 dynaÂmeiw te oyÆ taÁw tyxoyÂsaw oë ueoÁw eÆpoiÂei diaÁ tv xeirv Ä n PayÂloy). 114 Apg 6,8 SteÂfanow deÁ plh  rhw xaÂritow kaiÁ dynaÂmevw eÆpoiÂei teÂrata kaiÁ shmeiÄa megaÂla eÆn tv Äì lav Äì. 115 Vgl. Apg 8,6 f. bleÂpein ta Á shmeiÄa aÊ eÆpoiÂei. polloiÁ gaÁr tv Ä n eÆxoÂntvn pneyÂmata aÆkaÂuarta

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Anhalt an einer Einzelüberlieferung. Dagegen hat die kurze Barnabas und Paulus betreffende Notiz in 14,3 (Gott habe bewirkt, daß shmeiÄa kaiÁ teÂrata giÂnesuai diaÁ tv Ä n xeirv Ä n ayÆtv Ä n) die für ein Summar übliche Funktion; es läßt sich allerdings kaum entscheiden, ob die Aussage im Rückgriff auf die Erzählung von der Begegnung des Paulus mit Bar-Jesus auf Zypern (13,6–12) formuliert ist oder ob sie der Vorbereitung der Erzählung von der Gelähmtenheilung in Lystra (14,8–13) dient. Die Notiz über die Heilungswunder des Paulus auf der Insel Melite (28,9) schließt sich unmittelbar an die (äußerst knapp erzählte) Wunderüberlieferung von 28,8 an116. Die Wundersummarien der Apostelgeschichte haben offensichtlich ein eigenes Gewicht: Die ausführlich erzählten Einzelgeschichten sollen nicht nur verallgemeinert, sondern sie sollen darüber hinaus auch inhaltlich ergänzt werden. Da es um das Ansehen der vom Geist Gottes geleiteten kirchlichen Verkündigung geht, ist das Mirakelhafte sowohl im Vergleich zur Überlieferung im Evangelium wie auch im Vergleich zu den in der Apg überlieferten Einzelerzählungen bewußt und nachdrücklich gesteigert. Zugleich aber wird immer wieder betont, daß die Apostel die Wunder nicht aus eigener Kraft vollbracht hätten, sondern daß es im Grunde Gott selber ist, der »durch ihre Hand« geheilt hat.

III. Abendmahl und Mahlgemeinschaft im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte Die Untersuchung der Mahlüberlieferungen im lukanischen Doppelwerk führt vor ein auffälliges Problem: Das in der Apostelgeschichte an einigen Stellen (2,42.46; 20,7.11) erwähnte für die christliche Gemeinde charakteristische Mahl wird stets mit dem Begriff »Brotbrechen« (klaÂsiw toyÄ aÍrtoy bzw. das verbale kla Äìn aÍrton) bezeichnet. Welche Handlung will Lukas damit bezeichnen? Liegt eine Kurzbezeichnung für das Abendmahl (Eucharistie) vor, und setzt Lukas also voraus, daß das von ihm erwähnte »Brot(brechen)« neben dem Essen des Brotes auch den Kelchgenuß mitumfaßt, ohne daß dies ausdrücklich erwähnt zu werden braucht? Oder handelt es sich bei der klaÂsiw toyÄ aÍrtoy gar nicht um das »Abendmahl« im kultischen Sinne, d. h. denkt Lukas möglicherweise an ein bloßes Gemeinschaftsmahl, in dessen Verlauf die Teilnehmenden dann zwar sicherlich auch etwas tranken, der »Kelch« jedoch eine eigene, ausdrücklich zu erwähnende Bedeutung nicht besaß?

bov Ä nta fvnh Äì megaÂlhì eÆjhÂrxonto, polloiÁ deÁ paralelymeÂnoi kaiÁ xvloiÁ eÆuerapeyÂuhsan; 8,13 Der »Zauberer« Simon »sieht« te shmeiÄa kaiÁ dynaÂmeiw megaÂlaw ginomeÂnaw. Vgl. dazu D.-A. Koch,

Geistbesitz, Geistverleihung und Wundermacht. Erwägungen zur Tradition und zur lukanischen Redaktion in Act 8,5–25, ZNW 77 (1986) 64–82. 116 Diese Erzählung erinnert ihrerseits an das Summar Lk 4,38 f. (vgl. Mk 1,29–31).

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Möglicherweise kommt man einer Antwort auf diese Frage näher, wenn man die Wiedererkennungsszene in der Emmaus-Erzählung Lk 24,13–35 mit einbezieht. Dort wird berichtet, daß die beiden Jünger den auferstandenen Jesus erst erkennen, als er sich mit ihnen zur Mahlzeit niederläßt, das Brot bricht, ein Gotteslob ausspricht und ihnen dann das Brot gibt (V. 30 f., vgl. V. 35). Man könnte zunächst meinen, Lukas wolle hier eine Szene schildern, die sich an den Bericht vom Abendmahl (Lk 22,14–23) anschließt117. Es darf aber nicht übersehen werden, daß in Lk 24,30 im Zusammenhang des Mahlgebets vom »Lobpreis« Gottes gesprochen ist (eyÆloÂghsen), Lukas aber in seiner Fassung der Abendmahlsworte in 22,17.19 gerade nicht das Verb eyÆlogeiÄn, sondern das Verb eyÆxaristeiÄn verwendet, und zwar abweichend von Mk 14,22118. Man kann angesichts dieses Befundes zumindest Zweifel haben, ob Lukas wirklich meint, die Szene in 24,30 sei als Anspielung auf das Abendmahl (22,14–20) zu lesen119. Näher liegt deshalb die Annahme, daß ein Zusammenhang besteht zwischen der Emmaus-Szene und der lukanischen Fassung der Erzählung von der Speisung der Fünftausend. Lukas hat von den beiden Speisungserzählungen Mk 6,30–44 und Mk 8,1–10 nur die erste in seine Darstellung übernommen (Lk 9,12–17) und dort in 9,16 entsprechend der Vorlage Mk 6,41 ebenso wie in 24,30 eyÆloÂghsen verwendet. Angesichts dessen legt sich die Folgerung nahe, daß die Wiedererkennungsszene Lk 24,30 an das Speisungswunder anknüpft und nicht an das Abendmahl120. Dann aber kann man es ebenso für möglich und vielleicht sogar für wahrscheinlich halten, daß sich auch die für die Apostelgeschichte typische Rede vom »Brotbrechen« gar nicht auf ein an Lk 22 anknüpfendes Abendmahl (Eucharistie) bezieht, sondern Lukas auch hier an die Fortsetzung jener Mahlgemeinschaft denkt, die in der Speisungserzählung symbolisch vorabgebildet worden war. Der Kelch des Letzten Mahls Jesu würde dann bei der Beschreibung der gemeindlichen Mahlhandlung weder »fehlen« noch läge eine »verkürzte« Redeweise vor; vielmehr würde gelten, daß bei dem hier gemeinten

117 Vgl. W. Wiefel, Das Evangelium nach Lukas (ThHK 3), Berlin 1988, 411, der zunächst eine enge Anlehnung an Lk 9,16 feststellt, dann jedoch die Erwägung anschließt: »Vielleicht ist aber auch an eine Neuaufnahme des eucharistischen Mahles (vgl. 22,19) gedacht, das im Brotbrechen beim Gemeinschaftsmahl der Apostelzeit seine Fortsetzung findet«. Anders W. Schmithals, Das Evangelium nach Lukas (ZBK NT 3/1), Zürich 1980, 235: »Ein spezifischer Bezug zum Abendmahl (von Wein ist keine Rede) oder zum eschatologischen Mahl (vgl. 13,28 f.; Off. 3,20) dürfte dabei (auch bei Lukas) nicht intendiert sein (vgl. V. 35)«. 118 Dagegen steht in der von Paulus überlieferten Fassung der Mahlworte in 1 Kor 11,24 ebenso wie in Lk 22,19 eyÆxaristhÂsaw. Auch in Apg 27,35 schreibt Lukas eyÆxariÂsthse; dort ist allerdings von einer gewöhnlichen Mahlzeit die Rede. 119 Gegen einen Bezug zum Abendmahl spricht auch, daß die beiden »Emmaus-Jünger« offenbar nicht zu den aÆpoÂstoloi gehören, die sich nach Lk 22,14 mit Jesus zum Mahl versammelt hatten; freilich nennt Lukas sie dyÂo eÆj ayÆtv Ä n (24,13), d. h. ihr genauer Status wird von ihm nicht festgelegt. 120 Vgl. Wiefel, Evangelium nach Lukas (s. Anm. 118), 411.

Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk

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Mahl der Kelch gar nicht im eigentlichen Sinne als Teil des Mahlvollzugs zu verstehen ist. Nun ist es ja für die lukanische Darstellung des letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern in Lk 22 besonders charakteristisch, daß hier eine Form vorliegt, die sich sowohl von der bei Paulus wie auch von der bei Markus anzutreffenden Überlieferung deutlich unterscheidet: Nach dem – sicher ursprünglichen – »Langtext«121 nimmt Jesus zuerst den Kelch (22,17 f.), bricht dann das Brot (22,19) und läßt metaÁ toÁ deipnhÄsai nochmals einen Kelch folgen. Durch diesen vorangestellten (zweiten bzw. »ersten«) Kelch ist die Form des letzten Mahls Jesu dem Passamahl etwas angenähert, allerdings ohne daß es dadurch wirklich zu einem Passamahl geworden wäre122. Nun ist es aber für die hier diskutierte Frage von erheblicher Bedeutung, daß die lukanische Fassung des Mahlberichts ebenso wie die von Paulus überlieferte Fassung zwar einen Wiederholungsbefehl enthält mit derselben Formulierung, die sich auch in 1 Kor 11,24.25 findet (toyÄto poieiÄte eiÆw thÁn eÆmhÁn aÆnaÂmnhsin), daß dieser Befehl bei Lukas aber nur das Brot betrifft (22,19), nicht jedoch einen (oder gar beide) Becher, während die von Paulus zitierte verwandte Fassung sowohl beim Brot als auch beim Kelch einen Wiederholungsbefehl enthält123. Daraus ergibt sich die Frage: Meint Lukas möglicherweise, daß die in Lk 22,14–20 erzählte Handlung Jesu als ein einmaliger und durchaus nicht als ein in dieser Form kultisch zu wiederholender Vorgang anzusehen ist? Dann wäre, wie es in 22,19 explizit gesagt wird, tatsächlich nur »das Brotbrechen« die nach Jesu Weisung kultisch zu vollziehende Handlung – und so geschieht es nach der Darstellung der Apostelgeschichte dann ja auch tatsächlich. Das in Lk 22,14–20 geschilderte Geschehen würde dagegen im Sinne des Lukas durchaus nicht als »Stiftung« einer regelmäßig zu wiederholenden Handlung aufzufassen sein, sondern es bliebe ein in jeder Hinsicht singuläres Ereignis. Eine ergänzende Erwägung spricht für die Wahrscheinlichkeit dieser Vermutung: Es wäre im Grunde ja höchst erstaunlich, wenn Lukas einerseits im Evangelium von einer im übrigen analogielosen Form der Stiftung der christlichen Mahlfeier berichtet haben sollte, dieser Aspekt dann andererseits aber in den Hinweisen der Apostelgeschichte auf die entsprechende gemeindliche Feier gänzlich übergangen worden wäre124.

121 Zum Problem s. H. Feld, Das Verständnis des Abendmahls (EdF 50), Darmstadt 1976, 18–21; ferner ausführlich J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 31960, 133–153. 122 Der schon in Mk 14,14.16 hergestellte Bezug zum Passamahl ist von Lukas in 22,15 noch zusätzlich verstärkt worden, und dem entspricht dann auch der zweite Kelch; bei einem Passamahl werden allerdings vier Becher getrunken. 123 In der in Mk 14,22–24 überlieferten Fassung der Abendmahlsworte fehlt jeder Wiederholungsbefehl. 124 Das würde gelten, wenn Lukas die in 22,14–20 geschaffene Form redaktionell selber geschaffen haben sollte (so Feld, Verständnis [s. Anm. 122], 30), aber auch dann, wenn er sie aus

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

Das in Lk 22,14–20 geschilderte Mahl ist nach der lukanischen Darstellung offensichtlich als einmalig und unwiederholbar gedacht; nur bei der klaÂsiw toyÄ aÍrtoy hat Jesus ausdrücklich eine Wiederholung angeordnet. Dementsprechend ist mit den in der Apostelgeschichte erwähnten Mahlzeiten, bei denen das »Brot gebrochen« wird, offenbar nicht eine lediglich »abgekürzt« bezeichnete kultische Wiederholung des letzten Abendmahls Jesu gemeint und auch nicht eine communio sub una; vielmehr denkt Lukas an jene – bewußt vom Geschehen beim letzten Mahl mit den Jüngern abweichende – Form der Mahlfeier, wie sie Jesus mit seinem Wiederholungsbefehl in Lk 22,19 selber angeordnet hatte. Diese Mahlfeier ist in der Speisung der Fünftausend vorweggenommen und dann beim österlichen Mahl mit den beiden Emmaus-Jüngern erstmals begangen worden.

einer im übrigen unbekannten Tradition übernommen hätte (so Jeremias, Abendmahlsworte [s. Anm. 122], 148).

Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien der Apostelgeschichte (Apg 2,42–47; 4,32–37; 5,12–16) Die neutestamentlichen Texte sagen im allgemeinen wenig über das alltägliche Leben der Menschen in der Zeit des entstehenden Christentums. Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten, durch die das Leben des einzelnen Christen bestimmt wurde, werden in den Briefen und in den erzählenden Texten kaum erwähnt, und so wissen wir lediglich indirekt etwas über das gewöhnliche Alltagsleben.1 Die Verfasser der christlichen Erzähltexte hatten offenkundig nicht die Absicht, die Leser im einzelnen über die vorausgesetzten sozialen Verhältnisse in der von ihnen erzählten Welt zu informieren; die Verfasser der Briefe waren naturgemäß nicht daran interessiert, die jeweiligen Adressaten über deren eigene soziale Situation zu informieren oder eine bestimmte Haltung zu den aktuellen sozialen Gegebenheiten einzunehmen. Eine gewisse Ausnahme stellen zum einen die Briefe des Paulus nach Korinth dar2 und zum andern die erzählenden Darstellungen im Doppelwerk des Lukas.3 So geht Lukas als einziger Evangelist auf die Frage ein, wie sich die Jesus-Bewegung zu finanzieren vermochte (Lk 8,1–3), und in der Apostelgeschichte informiert er an immerhin drei Stellen zumindest summarisch über Aspekte des Alltagslebens der »Urgemeinde« (Apg 2,42–47; 4,32–35.36–37; vgl. 5,12–16). Die Frage, ob und bis zu welchem Grade diese Summarien als historisch zuverlässig angesehen werden können, wird in der Forschung kontrovers diskutiert; dies soll aber im folgenden nicht Gegenstand der Untersuchung sein.4 Eben1 Es gibt keine unmittelbaren archäologischen Zeugnisse für die im NT erwähnten Gemeinden; eine »soziologische« Analyse des Lebens im frühen Christentum ist deshalb kaum möglich. Das Problem wird sehr genau beschrieben von G. F. Snyder, Ante Pacem. Archeological Evidence of Church Life before Constantine, Macon 1985, 7–11. 2 Der Erste Korintherbrief und die beiden »Kollektenbriefe« (2 Kor 8 und 9) bieten einiges an Information, aber wenig im Detail. Vgl. die Beiträge in R. Bieringer (Hg.), The Corinthian Correspondence (BEThL 125), Leuven 1996, und vor allem H. D. Betz, 2 Korinther 8 und 9. Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, Gütersloh 1993. 3 Der Name »Lukas« wird im folgenden als Bezeichnung für den im übrigen unbekannten Verfasser des dritten Evangeliums und der Apg verwendet. 4 Vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KeK 3) Göttingen 141965, 155–158; H. Zimmermann, Die Sammelberichte der Apostelgeschichte, BZ NF 5 (1961) 71–82; G. Theissen, Ur-

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

so kann die Frage, ob Lukas hier über literarische Quellen verfügte oder ob er die Summarien im wesentlichen frei formulierte, hier unbeantwortet bleiben.5 Gefragt wird vielmehr nach der literarischen Funktion dieser Summarien im Rahmen der Apostelgeschichte und insofern auch nach ihrer theologischen Bedeutung: Warum bietet Lukas nicht nur ein Summar im Zusammenhang seiner Darstellung der Anfangsgeschichte der nachösterlichen Jesus-Bewegung in Jerusalem, sondern deren drei, die zwar teilweise miteinander übereinstimmen, teilweise aber auch in deutlicher Spannung zueinander stehen bzw. einander ergänzen? Will man diesen Befund nicht einfach mit der Annahme erklären, Lukas habe eben unterschiedliche Traditionen vorgefunden und in seine Darstellung eingefügt, dann muß man den Versuch machen, die drei Texte vom Ganzen des lukanischen Werks her zu erklären.6 Schon ein oberflächlicher Vergleich zeigt, dass sich das dritte Summar (5,12–16) deutlich von den beiden ersten unterscheidet; dennoch hat es im wesentlichen die gleiche narrative Funktion7, und es wird deshalb in die Untersuchung mit einbezogen.8

I. Apg 2,42–47 In Apg 2 erzählt Lukas zunächst vom »Pfingstereignis« (2,1–13), und er läßt dann eine Predigt folgen, in der Petrus dem Publikum die zuvor geschilderten Ereignisse erklärt. In der Mitte dieser Predigt stehen das Zitat von Joel 3,1–5 LXX in Apg 2,17–21 und das Zitat von Ps 15,8–11 LXX in 2,25–28. Ziel der Predigt ist die Botschaft von der Erhöhung des gekreuzigten Jesus, die, wie Petrus betont, dem Zeugnis Davids in Ps 109,1 LXX entspricht, das in 2,34–35 zitiert wird.9 Auf ihre Frage »Was sollen wir tun?« erhalten die Hörer als Antwort die Aufforderung, christlicher Liebeskommunismus. Zum »Sitz im Leben« des Topos aÏpanta koinaÂ, in: T. Fornberg/D. Hellholm (Hgg.), Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Rextual and Situational Contexts (FS Lars Hartman), Boston und Oslo 1995, 689–712, vor allem 689–691. Theissen entwickelt gegen den kritischen Konsens den Gedanken, dass es die »Hellenisten« in Jerusalem waren, die die Vorstellung vom aÏpanta koina vertreten hatten und dass nach der Vertreibung dieser Gruppe aus Jerusalem das Experiment schnell endete; es sei freilich indirekt fortgesetzt worden in Form der paulinischen Kollekte für Jerusalem (aaO., 706–710). Vgl. zur neueren Forschung jetzt vor allem J. Schröter, Actaforschung seit 1982. V. Theologische Einzelthemen, ThR 73 (2008) 150–196, hier: 174–190. 5 S. dazu Zimmermann (s. die vorige Anm.) und R. Pesch, Die Apostelgeschichte (EKK 5/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1986, 129 f. (zu Apg 2,42–47). 6 Vgl. die Fragestellung bei S. J. Noorda, Scene and Summary. A Proposal for Reading Acts 4,32–5,16, in: J. Kremer (Hg.), Les Actes des Apoˆtres. Traditions, Re´daction, The´ologie (BEThL 48), Gembloux und Leuven 1979, 475–483, vor allem 479. 7 Noorda (s. die vorige Anm), 480 sieht 4,32–5,16 als eine narrative Einheit an, ebenso wie 2,1–47 und 3,1–4,31. Er betont m. R., dass die »summary reports« als Teil der Erzählkomposition der Apg zu lesen sind und nicht als »interruptions« der Einzelerzählungen. 8 Vgl. zum folgenden die Synopse der drei Summarien S. 216/217. 9 Zur Analyse der Rede und zu ihrem Kontext s. M. L. Soards, The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Concerns, Louisville 1994, 31–38.

Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem

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Buße zu tun, sich auf den Namen Jesu taufen zu lassen und so gerettet zu werden aus »diesem verkehrten Geschlecht« (V. 34–40).10 »An diesem Tage« (V. 41, hier besteht ein direkter Bezug zu V. 1), so erzählt Lukas dann, seien dreitausend Menschen getauft worden. Damit ist die Schilderung des »Pfingstereignisses« abgeschlossen; würde die Erzählung nun unmittelbar mit 3,1–10 fortgesetzt werden, so würde man keine Lücke wahrnehmen. Aber Lukas bietet seinen Lesern im Anschluß an die Notiz in 2,41 statt einer einzelnen Erzählung einen summarischen Überblick über das Leben (»way of life«) der Getauften in Jerusalem (2,42–47). Ob der neue Abschnitt schon mit V. 42 beginnt oder aber erst mit V. 43, läßt sich kaum entscheiden11: Einerseits wird in V. 42 kein neues Subjekt genannt, so dass man annehmen könnte, dass es um die in 1,12–15 erwähnten 120 Gläubigen und dann auch um die soeben getauften dreitausend Menschen geht12; dann würde das Summar mit V. 43 beginnen, also mit der Reaktion der Umgebung auf die zuvor in 2,142 geschilderten Begebenheiten (eÆgiÂneto … foÂbow). Andererseits aber hat Lukas mit V. 41 die Schilderung spezifischer individueller Erfahrungen offensichtlich beendet, und sein Bericht geht über zu den organisatorischen Voraussetzungen und zur materiellen Basis der eben entstandenen großen Gruppe13; das spricht für die Annahme, dass das Summar mit V. 42 beginnt. Die erste Aussage in 2,42a bezieht sich auf das beständige Festhalten an der Ä n aÆpostoÂlvn); Lukas »Lehre der Apostel« (hËsan proskarteroyÄntew thÄì didaxhÄì tv macht dadurch deutlich, dass die in 1,26 (vgl. 2,37) bereits erwähnten zwölf Apostel unverändert die Einheit und Kontinuität der Lehre Jesu zu sichern vermögen.14 Die zweite Feststellung (… kaiÁ thÄì koinvniÂaì) bezieht sich auf die Gemein10 L. T. Johnson, The Literary Function of Possessions in Luke-Acts (SBLDS 39), Missoula 1977, 184 verweist auf die Parallelität zwischen Apg 2,37–41 und Lk 3,10–11; er fügt hinzu: »What Luke has to say about possessions in the following verses [42] falls within the context of conversion.« Es ist aber doch ein Unterschied, ob Johannes der Täufer die Bereitschaft zum Besitzverzicht als Teil der Buße in Verbindung mit der Taufe fordert, oder ob Petrus als Antwort auf die Frage ti poihÂsvmen; Umkehr und Taufe fordert und Lukas dann die soziale Realität der Getauften beschreibt. 11 In der 25. Auflage des Novum Testamentum Graece von Nestle-Aland beginnt ein neuer Absatz mit 2,43, in der 26. und der 27. Auflage dagegen mit 2,42. 12 In der Literatur begegnet fast durchweg die Formulierung, Lukas beschreibe hier das Leben der »christlichen Gemeinde«, aber man darf nicht übersehen, dass Lukas es vermeidet, der beschriebenen Gruppe einen bestimmten Namen zuzuweisen (das Wort eÆkklhsiÂa begegnet erstmals in 5,11). 13 Es ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, dass die Zahl »dreitausend« völlig unrealistisch ist; wichtig ist, dass Lukas sie verwendet, um zu zeigen, dass sich der in 2,42–47 beschriebene »way of life« nicht etwa auf eine kleine, sondern im Gegenteil auf eine ausgesprochen große Gruppe von Menschen bezieht. 14 Das Wort didaxh  erschien im lukanischen Werk bis dahin lediglich in Lk 4,32 (entsprechend Mk 1,22); in Apg 1,1 wurde das Wirken Jesu mit den Verben poieiÄn und didaÂskein charakterisiert, d. h. mit didaxh ist bis dahin das Lehren Jesu gemeint. Im folgenden Teil der Apostelgeschichte bezeichnen das Substantiv didaxh in 5,28; 13,12 (didaxhÁ toyÄ kyriÂoy); 17,19 sowie das Verb didaÂskein die Lehrtätigkeit der Apostel bzw. des Paulus.

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

schaft, die – wenn auch ohne diesen Begriff – schon in 1,13 f. beschrieben worden war; auf diese Weise kann Lukas zeigen, dass es ungeachtet des starken Anwachsens der Gruppe der Getauften unverändert möglich ist, an der bestehenden Struktur festzuhalten. Apg 2,42–47

Apg 4,32–37

42

ËHsan deÁ proskarteroyÄntew th Äì didaxh Äì tv Ä n aÆpostoÂlvn kaiÁ th Äì koinvniÂaì, th Äì klaÂsei toyÄ aÍrtoy kaiÁ taiÄw proseyxaiÄw. 43 eÆgiÂneto deÁ paÂshì cyxh Äì foÂbow, polla te teÂrata kaiÁ shmeiÄa diaÁ tv Ä n aÆpostoÂlvn eÆgiÂneto. 44

paÂntew deÁ oië pisteyÂontew hËsan eÆpiÁ toÁ ayÆtoÁ kaiÁ eiËxon aÏpanta koinaÁ

(eÍxontew xaÂrin proÁw oÏlon toÁn laoÂn). 45

kaiÁ taÁ kthÂmata kaiÁ taÁw yëpaÂrjeiw

eÆpiÂpraskon kaiÁ diemeÂrizon ayÆtaÁ pa Ä sin kauoÂti aÍn tiw xreiÂan eiËxen´ 46 kauÆ hëmeÂran te proskarteroyÄntew oëmouymadoÁn eÆn tv Äì iëerv Äì, klv Ä nteÂw te katÆ oiËkon aÍrton, metelaÂmbanon trofh Äw eÆn aÆgalliaÂsei kaiÁ aÆfeloÂthti kardiÂaw 47 aiÆnoyÄntew toÁn ueoÁn kaiÁ eÍxontew xaÂrin proÁw oÏlon toÁn laoÂn. oë deÁ kyÂriow prosetiÂuei toyÁw svìzomeÂnoyw kauÆ hëmeÂran eÆpiÁ toÁ ayÆtoÂ.

32 ToyÄ deÁ plhÂuoyw tv Ä n pisteysaÂntvn hËn kardiÂa kaiÁ cyxhÁ miÂa, kaiÁ oyÆdeÁ eiÎw ti tv Ä n yëparxoÂntvn ayÆtv Äì eÍlegen Íidion eiËnai aÆllÆ hËn ayÆtoiÄw aÏpanta koinaÂ. 33 kaiÁ dynaÂmei megaÂlhì aÆpediÂdoyn toÁ martyÂrion oië aÆpoÂstoloi th Ä w aÆnastaÂsevw toyÄ kyriÂoy’IhsoyÄ, xaÂriw te megaÂlh hËn eÆpiÁ paÂntaw ayÆtoyÂw. 34 oyÆdeÁ gaÁr eÆndehÂw tiw hËn eÆn ayÆtoiÄw´ oÏsoi gaÁr kthÂtorew xvriÂvn hà oiÆkiv Ä n yëph Ä rxon, pvloyÄntew eÍferon taÁw timaÁw tv Ä n pipraskomeÂnvn 35 kaiÁ eÆtiÂuoyn paraÁ toyÁw poÂdaw tv Ä n aÆpostoÂlvn, diediÂdeto deÁ eëkaÂstvì kauoÂti aÍn tiw xreiÂan eiËxen.

(xaÂriw te megaÂlh hËn eÆpiÁ paÂntaw ayÆtoyÂw) 36

ÆIvshÁf deÁ oë eÆpiklhueiÁw Barnaba Ä w aÆpoÁ tv Än aÆpostoÂlvn, oÏ eÆstin meuermhneyoÂmenon yiëoÁw paraklhÂsevw, LeyiÂthw, KyÂpriow tv Äì geÂnei, 37 yëpaÂrxontow ayÆtv Äì aÆgroyÄ pvlhÂsaw hÍnegken toÁ xrh Ä ma kaiÁ eÍuhken proÁw toyÁw poÂdaw tv Än aÆpostoÂlvn.

Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem

Apg 5,12–16

12

DiaÁ deÁ tv Ä n xeirv Ä n tv Ä n aÆpostoÂlvn eÆgiÂneto shmeiÄa kaiÁ teÂrata pollaÁ eÆn tv Äì lav Äì. kaiÁ hËsan oëmouymadoÁn aÏpantew eÆn th Äì stoa Äì Solomv Ä ntow, 13 tv Ä n deÁ loipv Ä n oyÆdeiÁw eÆtoÂlma kolla Ä suai ayÆtoiÄw,

aÆllÆ eÆmegaÂlynen ayÆtoyÁw oë laoÂw.

14

ma Ä llon deÁ prosetiÂuento pisteyÂontew tv Äì kyriÂvì, plhÂuh aÆndrv Ä n te kaiÁ gynaikv Ä n,

15

v Ï ste kaiÁ eiÆw taÁw plateiÂaw eÆkfeÂrein toyÁw aÆsueneiÄw kaiÁ tiueÂnai eÆpiÁ klinariÂvn kaiÁ krabaÂttvn, Ïina eÆrxomeÂnoy PeÂtroy kaÃn hë skiaÁ eÆpiskiaÂshì tiniÁ ayÆtv Ä n. 16 synhÂrxeto deÁ kaiÁ toÁ plh Ä uow tv Ä n peÂrij poÂlevn’IeroysalhÁm feÂrontew aÆsueneiÄw kaiÁ oÆxloymeÂnoyw yëpoÁ pneymaÂtvn aÆkauaÂrtvn, oiÏtinew eÆuerapeyÂonto aÏpantew.

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II. Studien zur Logienquelle und zum lukanischen Doppelwerk

Zum gemeinsamen religiösen Leben gehört nach 2,42b drittens auch das »Brotbrechen«. Die Wendung klaÂsiw toyÄ aÍrtoy bezieht sich unmittelbar zurück auf Lk 24,35: Das »Brechen des Brotes« war für die Emmaus-Jünger das Erkennungszeichen des auferstandenen Jesus gewesen; nun zeigt dieselbe Wendung, dass auch die ungleich größere Gruppe an der aus der Jesus-Tradition bekannten Praxis festzuhalten vermag. Die Frage, ob sich das »Brotbrechen« auf das Herrenmahl im Sinne von 1 Kor 11,23–25 bezieht oder auf ein andere gemeinschaftliche Mahlzeit, braucht hier nicht erörtert zu werden15; in jedem Fall handelt es sich um eine mit der Person Jesu verbundene Handlung, die auch nach Pfingsten weiterhin praktiziert wird.16 Das vierte ausdrücklich erwähnte Kennzeichen der Gruppe sind die proseyxaiÂ; wieder ist der Hinweis auf die Kontinuität entscheidend, und zwar sowohl die Kontinuität mit der bereits begonnenen nachösterlichen Praxis (vgl. Apg 1,14) als auch mit der Gebetspraxis Jesu (Lk 3,21; 5,16; 6,12; 9,18.28; 11,2–4). So zeigt Lukas in Apg 2,42, dass alles was für die kleine Gruppe der Gläubigen unmittelbar nach Ostern wichtig war, unverändert gültig ist auch für die ungleich größere Gruppe nach »Pfingsten«. Dementsprechend ist es kein Zufall, dass der Bezug zur »Lehre der Apostel« so stark hervorgehoben wird, denn für Lukas leitet sich alles andere davon ab. Nimmt man von 2,42 her die Parallel-Texte Apg 4,32–37 und 5,12–16 in den Blick, so verwundert es nicht, dass es dort keine Analogien zu den Aussagen von 2,42 gibt: Durch eine Wiederholung der in 2,42 getroffenen Feststellungen hätte Lukas deren Gewicht deutlich vermindert; stattdessen soll das in 2,42 Gesagte programmatisch sein für die gesamte folgende Darstellung. Die Einheit und der wahre Glauben der Gemeinde werden erst nach dem »Abschied« des Paulus (20,29–31) bedroht sein, und dann muß Paulus zur »Wachsamkeit« aufrufen. Nachdem er in 2,42 die »Innenansicht« der Gemeinschaft der Glaubenden beschrieben hat, wechselt Lukas in 2,43 die Perspektive: Welchen Eindruck Ä sa cyxhÂ) in Jerusamacht die Gruppe auf ihre Umgebung? »Jeder Mensch« (pa lem ist von Furcht erfüllt. Natürlich meint foÂbow nicht »Angst«, sondern vielmehr »Furcht« bzw. »Ehrfurcht«, wie es einem Offenbarungsereignis entspricht 15 Zu den (späteren) bildlichen Darstellungen des Brotes oder auch das Mahls s. Snyder, Ante Pacem (Anm 1), 64 f. 16 Man kann fragen, ob Lukas mit einer nachösterlichen Wiederholung des in Lk 22,15–20 dargestellten Mahls rechnet und ob er also dieses Mahl abgekürzt mit der Wendung klaÂsiw toyÄ aÍrtoy bezeichnet, ohne den Kelch bzw. die beiden Kelche ausdrücklich zu erwähnen. Lukas beschreibt Jesu letztes Mahl mit den Seinen betont als Passamahl, wie die Erwähnung der zwei Kelche zeigt; den Wiederholungsbefehl (toyÄto poieiÄte eiÆw thÁn eÆmhÁn aÆnaÂmnhsin) gibt Jesus aber nur im Zusammenhang des Brots (Lk 22,19; vgl. 1 Kor 11,24), beim Kelch dagegen gibt es weder einen Wiederholungsbefehl (vgl. dagegen 1 Kor 11,25b) noch eine Entsprechung zu der Aussage eÍpion eÆj ayÆtoyÄ paÂntew in Mk 14,23 (vgl. Mt 26,27: piÂete eÆj ayÆtoyÄ paÂntew). Meint Lukas möglicherweise, dass das letzte Mahl Jesu in der in Lk 22,15–20 beschriebenen Weise etwas Einmaliges war und gerade nicht wiederholt werden soll? S. dazu oben 209–212.

Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem

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(vgl. Lk 1,12; 2,9; 7,16 u. o.).17 Der unmittelbare Anlaß für diese Furcht wird erst nachträglich genannt, nämlich das Wunderwirken der Apostel. Der knappe Hinweis auf pollaÁ teÂrata kaiÁ shmeiÄa ist durchaus überraschend, denn bis dahin war in der Apostelgeschichte von Wundern gar nicht berichtet worden. Das in 2,19 zitierte Gotteswort aus dem Joel-Buch enthielt aber die Aussage, Gott (»Ich«) werde teÂrata tun im Himmel und shmeiÄa auf Erden; so erscheint 2,43b als Erfüllung dieser Ankündigung18, und dementsprechend sind die Apostel nicht als die unmittelbaren »Wundertäter« vorgestellt, sondern als die, durch welche die Ä n aÆpostoÂlvn eÆgiÂneto). Auf dieser Basis folgt unmittelWunder geschehen (diaÁ tv bar anschließend in 3,1–10 die erste ausgeführte Wundererzählung innerhalb der Apostelgeschichte; durch die allgemein gehaltene Notiz in 2,43 erreicht es Lukas, dass das Wunder der Heilung des Gelähmten als eines unter vielen Wundern verstanden wird. Auch zu der Aussage in 2,43 gibt es im zweiten Summar in 4,32–37 keine Parallele. Lukas scheint es zu genügen, pauschal auf das Wunderwirken der Apostel hingewiesen und dies dann durch eine Wundererzählung beispielhaft konkretisiert zu haben. In dem dritten Summar (5,12–16) hingegen zeigt sich eine deutliche Veränderung: Die Aussagen dort konzentrieren sich auf das Wunderwirken der Apostel, wobei 2,43 nahezu wörtlich in 5,12 wieder aufgenommen wird.19 Lukas sah offenbar die Notwendigkeit, im Anschluß an die Erzählung von Ananias und Sapphira in 5,1–11, auch von Heilungen zu sprechen, und so folgen auf die Erzählung von den beiden Strafwundern nun Hinweise auf die Hilfewunder »durch die Hände der Apostel« (5,12 und dann vor allem 5,15 f.). In 2,44a stellt Lukas fest, dass paÂntew oië pisteyÂontew20 »fest zusammenhielten« (hËsan eÆpiÁ toÁ ayÆtoÂ)21; die in 1,15 und 2,1 geschilderte Situation hat sich also nicht 17 Vgl. H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7), Tübingen 21972, 37: »Furcht vor der heiligen Gemeinde«, unter Hinweis auf 1QH IV 26. 18 Der Begriff shmei Äa war in Apg 2,19 verwendet worden, obwohl er in Joel 3,3 LXX nicht begegnet; möglicherweise hat Lukas den Wortlaut des Zitats im Blick auf die Aussage in 2,43 geändert. 19 Die Wendung dia Á tv Ä n aÆpostoÂlvn (2,42b) wird in 5,12a modifiziert: diaÁ tv Ä n xeirv Ä n tv Än aÆpostoÂlvn. 20 Lukas erwähnt hier erstmals explizit diejenigen, deren Leben er beschreibt. Einige Manuskripte, darunter B und a, lesen anstelle des Partizip Präsens pisteyÂontew den Aorist pisteyÂsantew (»die gläubig Gewordenen«); die breiter bezeugte Lesart pisteyÂontew bezeichnet einfach »die Glaubenden«, d. h. letztlich »die Christen«. 21 B. J. Capper, Community of Goods in the Early Jerusalem Church, ANRW 2.26.2, Berlin 1995, 1738–1740 sieht in der Wendung eÆpiÁ toÁ ayÆto hier und auch in 2,47 (prosetiÂuei … eÆpiÁ toÁ ayÆtoÂ) ein Indiz für eine semitisch-sprachige Quelle: eÆpiÁ toÁ ayÆto »is the Semitic equivalent of dxi«, dem in der Gemeinschaftsregel 1QS sehr oft begegnenden Begriff; dementsprechend »an early Semitic source behind these two verses would have read: ›All the believers belonged to the dxi,and selling their property and possessions distributed them (i. e. the proceeds) to all …‹« (1740). Von hier aus schließt Capper auf die historische Zuverlässigkeit der in Apg 1–6 beschriebenen Gemeindesituation: Die ersten Christen in Jerusalem übernahmen die Bestimmungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Eigentum von den Essenern in Qumran. Nach R. Riesner, Das Jerusalemer

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grundsätzlich verändert. Aber dann folgt in V. 44b ein ganz neuer Akzent: »Sie hatten alles gemeinsam« (eiËxon aÏpanta koinaÂ). Die Wendung aÏpanta koina bringt ein klassisches Freundschaftsideal zum Ausdruck.22 Wie Lukas die Wendung verstanden wissen will, sagt er in 2,4523: Die Glaubenden verkauften ihren Grundbesitz (taÁ kthÂmata) und ihr sonstiges Eigentum (taÁw yëpaÂrjeiw24 und verteilten den Erlös entsprechend den Bedürfnissen eines jeden. Hier sind die von Lukas gebrauchten Verbformen von entscheidender Bedeutung: Die Imperfektwendungen eÆpiÂpraskon und diemeÂrizon zeigen, dass die Glaubenden nicht etwa mit einem Schlag all ihr Eigentum aufgeben, sondern dass sie in jedem einzelnen Bedarfsfall etwas verkaufen, um den Bedürftigen helfen zu können.25 Der Gedanke ist also offenbar nicht, dass es eine Gemeinschaftskasse mit gemeinschaftlichem Zugriff gibt, sondern dass diejenigen, die über ein den üblichen Bedarf übersteigendes Vermögen verfügen, einen Teil davon zugunsten Bedürftiger ver-

Essenerviertel und die Urgemeinde, ANRW 2.26.2, Berlin 1995, 1775–1922 paßt dies zur räumlichen Nähe zwischen der Urgemeinde und dem Essener-Viertel in Jerusalem. Aber Lukas hatte die Wendung eÆpiÁ toÁ ayÆto schon in Apg 1,15 und 2,1 gebraucht, sicherlich ohne Benutzung irgendeiner Quelle (vgl. auch 1 Kor 7,5 und vor allem 11,20; 14,23). In der LXX wird eÆpiÁ toÁ ayÆto als Wiedergabe von dbl gebraucht (»für sich, gesondert«, Ex 26,9); in Ri 6,33 liest die LXX synhÂxuhsan eÆpiÁ toÁ ayÆto für hebr. udxi upsan, wobei dxi hier nicht technisch gebraucht ist (ähnlich Ps 2,2). Die Wendung eÆpiÁ toÁ ayÆto als solche sagt jedenfalls nichts aus über die Eigentumsverhältnisse derer, die sich in dieser Weise versammeln. 22 Die Kommentare bieten zahlreiche entsprechende Belege sowohl aus der klassischen griechischen Philosophie (Plato, Aristoteles) als auch aus der späteren hellenistischen Philosophie, einschließlich Philo; vgl. etwa Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 17), 37, ferner Theissen (s. Anm. 4), 696 f. Zur Frage, ob Lukas selber die Wendung geprägt hat oder ob er sie bereits in älterer christlicher Tradition vorfand s. Theissen 696–700. 23 Das kai am Anfang von 2,45 ist offenbar epexegetisch zu verstehen. Die Forschung sieht oft einen Gegensatz oder zumindest eine Spannung zwischen 2,44 und 2,45, da V. 45 offensichtlich kein Gemeinschaftseigentum voraussetzt. Aber vermutlich will Lukas in 2,45 zeigen, wie das aÏpanta koina tatsächlich aussah. A. C. Mitchell, The Social Function of Friendship in Acts 2:44–47 and 4:32–37, JBL 111 (1992) 255–272 betont nachdrücklich, dass das mit der Wendung koinaÁ taÁ fiÂlvn zum Ausdruck gebrachte Prinzip in der Antike höchst unterschiedlich interpretiert werden konnte: »Authors like Aristotle, Cicero, Seneca and Plutarch used the friendship maxim to uphold the social order of their day. They did not use it to advocate reform and social leveling. If anything their interpretations of the maxim support social distinctions« (264). Lukas scheint dementsprechend weniger das Problem der sozialen Ordnung im Blick zu haben: »Luke had more in mind than alluding to a primitive Christian utopia when he incorporated elements of the Greco-Roman friendship ideal in his summary descriptions of the early Jerusalem community. The context of the maxims aÏpanta koina and cyxhÁ miÂa directs their function toward the practical problem of how property will be held in his community and how those who have it will benefit those who do not by adopting a new view of friendship« (272). Der Begriff fiÂlow begegnet in der Apostelgeschichte freilich nur in 27,3: Der centurio Julius zeigt sein »menschenfreundliches« Handeln (filanurvÂpvw) dadurch, dass er während eines Zwischenaufenthalts in Sidon Paulus zu seinen Freunden (proÁw toyÁw fiÂloyw) gehen läßt. 24 Dieses Wort begegnet im NT sonst nur noch in Hebr 10,34. 25 Die Wendung kauo  ti aÍn tiw xreiÂan eiËxen ist iterativisch gemeint, »immer wenn es jemand nötig hatte«.

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kaufen.26 Dieser Aspekt des ersten Summars wird dann im zweiten (4,32–35) umfassender präzisiert, wobei bestimmte Feststellungen sogar wörtlich wiederholt werden.27 In 2,46 stellt Lukas eine Verbindung mit dem Anfang des Summars in 2,42 und auch mit dem Abschluß des Evangeliums (Lk 24,53) her: Die Glaubenden versammeln sich täglich gemeinsam im Tempel28, das »Brotbrechen« geschieht in den Häusern der Glaubenden. Dass die Glaubenden den Tempel besuchen, war zuvor nicht erwähnt worden; in der Erzählung in 3,1–10 wird es dann näher illustriert werden. Die Formulierung zu Beginn von V. 46a könnte zu der Vermutung Anlaß geben, die Glaubenden hätten sich als Gruppe (oëmouymadoÂn) im Tempel versammelt; ob dies überhaupt realistisch sein kann, wäre dabei für Lukas ohne Bedeutung.29 Entscheidend ist jedenfalls, dass die Glaubenden Juden sind, die selbstverständlich den Tempel besuchen, dass sie zugleich aber eine besonÄ ntew … dere, identifizierbare Gruppe bilden. Die zweite Feststellung in V. 46a (klv aÍrton) präzisiert genauer, was in V. 42 mit klaÂsiw toyÄ aÍrtoy gemeint gewesen war: Gemeint ist nicht eine kultische Handlung, die an einen bestimmten Ort gebunden wäre, sondern gemeint sind gemeinsame Mahlzeiten, die in privaten Häusern stattfinden; dabei ist daran zu erinnern, dass Lukas eine sehr große Zahl von Mahlteilnehmern voraussetzt. Dass es sich um nicht-kultische Mähler handelt, geht aus V. 46b hervor (metelaÂmbanon trofhÄw); der nachdrückliche Bezug auf die (eschatologische) »Freude« (aÆgalliÂasiw) und auf die »Einfalt des Herzens« (aÆfeloÂthw kardiÂaw)30 zeigt aber die religiöse Dimension der Zusammenkünfte »in den Häusern«. In 2,47a wird das in 2,46a entworfene Bild durch die Bezugnahme auf das Gotteslob ausgeweitet: Die Glaubenden preisen Gott (nicht Christus) und erweisen sich so wiederum als gläubige Juden.31 Das führt zu der besonderen Anerkennung, die sie seitens der gesamten Bevölkerung genießen – die jüdische Öffentlichkeit in Jerusalem nimmt also das fromme und geradezu beispielhafte Leben der »Glaubenden« wahr.32 Das Summar schließt in 2,47b mit der Feststellung, Christus (oë kyÂriow) habe ì  menoi »hinzugefügt«. Damit nimmt Lukas 2,40 (svÂuhte) und täglich weitere svzo 26 Codex D liest in 2,45 ausdrücklich: aiÁ o Ï soi kthÂmata eiËxon hà yëpaÂrjeiw, damit der Eindruck vermieden wird, alle Christen könnten wohlhabend gewesen sein. 27 Vgl. die Wendungen a Ï panta koina und kauoÂti aÍn tiw xreiÂan eiËxen sowie das Verb pipraÂskv. 28 Das Verb proskartereÂv wird wiederholt, freilich insofern mit veränderter Bedeutung, als es nun lokal gemeint ist. 29 Es ist zu beachten, dass Lukas von einer Gruppe spricht, die nach 2,41 immerhin mehr als dreitausend Menschen umfaßte. 30 Es besteht kein Anlaß, diese Mahlzeiten über die lukanische Formulierung hinaus weiter auszudeuten. 31 Vgl. nochmals Lk 24,53: eyÆlogoy Ä ntew toÁn ueoÂn. 32 Bemerkenswert ist die Korrektur im Codex D, der ko  smow schreibt anstelle von laoÂw, und der darüber hinaus in V. 47b auch das Stichwort eÆkklhsiÂa verwendet; auf diese Weise wird »die Kirche« als identifizierbare und benennbare Größe erstmals in die Erzählung einführt.

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2,41 (proseteÂuhsan …) auf, unterstreicht aber zugleich, dass die so »Hinzugefügten« die Struktur der bestehenden Gruppe nicht verändern (eÆpiÁ toÁ ayÆtoÂ, wie in ì Â menoi (vgl. 1 Kor 1,18) ist natürlich der Ge2,44).33 In der Bezeichnung oië svzo danke enthalten, dass die eschatologische Erlösung nur jenen zuteil wird, die in Beziehung zu Christus stehen (vgl. Apg 4,12); aber die Formulierung zeigt auch, dass die Genannten in keiner Weise eine besondere Gruppe – womöglich außerhalb des Judentums – darstellen. Von daher erklären sich dann die Tempelszenen in Apg 3 und die Schilderung des Verhörs vor dem Sanhedrin in Apg 4.34 Ein weiterer Hinweis auf die wachsende Zahl der Glaubenden folgt in 4,4. Im Zusammenhang der von Petrus im Tempel gehaltenen Predigt nennt Lukas ähnlich wie in 2,41 eine wiederum sehr große Zahl von gläubig gewordenen Hörern, nämlich »fünftausend Männer«. Auch in dem dritten Summar 5,12–16, das hauptsächlich von Wundern spricht, wird Lukas das kontinuierliche Anwachsen der Zahl der Glaubenden betonen (5,14), während es in dem zweiten Summar 4,32–35 keine Parallele zu 2,46.47 gibt; es scheint, als habe das zweite Summar eine deutlich andere Funktion als das erste. Das Summar in Apg 2,42–47 soll zeigen, dass es ungeachtet des riesigen Anwachsens der Zahl der Getauften (2,41) eine ungebrochene Kontinuität gibt, von der Zeit des vorösterlichen Jesus und der ersten nach-österlichen Situation bis zur Gegenwart: Unverändert gelten die Bewahrung der Lehre, die Gemeinschaft, das gemeinschaftliche Mahl (»Brot brechen«) entsprechend der Weisung Jesu sowie die Gebete zusammen mit der Macht der durch die Apostel vollbrachten Wunder – all dies nach außen sichtbare und erkennbare Zeichen derer, die sich hatten taufen ì Â menoi sind. Unverändert ist ihr Status als Juden, die lassen und die deshalb oië svzo regelmäßig den Tempel besuchen und Gott loben. Der gemeinsame Besitz, also die Bereitschaft, auf Eigentum zu verzichten um den Bedürftigen zu helfen, ist eines der Zeichen der Glaubenden (2,44–47); aber es ist nicht das entscheidende Kennzeichen. Vor allem aber es dies nicht diejenige Praxis, die in besonderer Weise von außen wahrgenommen worden wäre. Sowohl in 2,42.43 wie in 2,46.47 wird die Wirkung des Lebens und der Glaubenspraxis der Getauften ausdrücklich erwähnt, in 2,44.45 dagegen gibt es hierzu keine Parallele. Man kann fragen, ob Lukas vielleicht gerade den Eindruck vermeiden will, das Bemühen um soziale Gleichheit sei für Außenstehende besonders attraktiv gewesen.35 Das Summar in Apg 2,42–47 zeichnet ein umfassendes Bild des Lebens der Gemeinschaft; es blickt nicht in die Vergangenheit zurück, sondern es schaut 33

Zu eÆpiÁ toÁ ayÆto s. oben Anm. 21. Die große Zahl der (meist späten) Handschriften, die am Ende von 2,47 thÄì eÆkklhsiÂaì lesen, zeigt, dass dieser für Lukas entscheidende Gedanke inzwischen vergessen worden war. 35 Nach der satirischen Beschreibung durch Lukian (Peregr. 13) war es für die Christen geradezu charakteristisch, dass sie diejenigen finanziell unterstützten, die in materielle Schwierigkeiten geraten waren, so dass ein entsprechend gerissener Mann auf diese Weise schnell reich werden konnte. 34

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nach vorn, denn abgesehen von der Erwähnung der »Lehre der Apostel« und des »Brotbrechens«, womit Lukas bereits Erwähntes wieder aufnimmt, werden alle anderen Aussagen in diesem Summar erst in den folgenden Abschnitten der Apostelgeschichte narrativ illustriert werden. So stellt dieses Summar den Leser vor die Frage, wie das, was zunächst nur andeutungsweise beschrieben worden war, konkret und in einzelnen vorzustellen ist.

II. Apg 4,32–35.36–37 Das zweite Summar unterscheidet sich vom ersten deutlich schon hinsichtlich des Kontexts. Lukas plaziert es nicht etwa im Anschluß an 4,4, was angesichts der Entsprechung von 4,4 und 2,41 ja durchaus nahegelegen hätte; er verweist in 4,4 vielmehr auf den großen missionarischen Erfolg, der auf die Predigt des Petrus und auf die Festnahme in der Halle Salomos folgte; sodann beschreibt er (4,5–22) das Verhör des Petrus vor dem Hohen Rat sowie die Versammlung der Íidioi und ihr Gebet (4,23–30).36 Er schließt in 4,31 mit dem Hinweis auf die Ausgießung des Geistes und die dann folgende Predigt metaÁ parrhsiÂaw. Das in 4,23–30 Erzählte ist insofern unrealistisch, als gemäß 4,4 mindestens fünftausend Männer beteiligt gewesen sein müßten; aber das ist für Lukas kaum von Bedeutung. Die Einleitung des zweiten lukanischen Summars in 4,32 ist anders als in 2,42 nicht formuliert im Blick auf das, was sich bereits ereignet hatte, sondern dieses Summar beschreibt, indem es den Fortgang der Erzählung unterbricht, die gegenwärtige Situation. Thema ist nun nicht das Leben der Gemeinschaft in seiner Gesamtheit, sondern der Blick richtet sich auf einen einzigen Punkt, nämlich auf die Frage, wie in der Gemeinschaft mit dem Eigentum verfahren wird. Die entsprechende Praxis wird in 4,32–35 zunächst knapp beschrieben, und zwar in der Tendenz des früheren Summars (2,44–45), und sodann wird sie narrativ illustriert, zuerst durch ein positives Beispiel (Barnabas, 4,36 f.) und dann durch ein negatives (Ananias und Sapphira, 5,1–11). Das Summar beginnt mit einem neuen Element, das es in 2,44 f. nicht gegeben hatte: In 4,32a wird die beschriebene Gruppe nun einleitend explizit identifiziert Ä n pisteysaÂntvn. Gemeint sind offensichtlich alle, durch die Wendung plhÄuow tv von deren »Hinzukommen« in den ersten vier Kapiteln der Apostelgeschichte gesprochen worden war.37 Dabei betont Lukas durch die Formulierung hËn kardiÂa kaiÁ cyxhÁ miÂa die innere Einheit derer, »die zum Glauben gekommen waren«, und damit ist diese Wendung38 von entscheidender Bedeutung für das ganze 36

Vgl. dazu Soards, Speeches (Anm 9), 47–50. Aber auch hier vermeidet Lukas immer noch den Begriff eÆkklhsiÂa. 38 miÂa cyxh  hat die gleiche Bedeutung wie koinaÁ taÁ fiÂlvn »Freunden ist alles gemeinsam«. Ähnlich sind iÆsoÂthw filoÂthw »Freundschaft meint Gleichheit« und goÂny knhÂmhw eÍggion »das Knie ist näher als die Wade« (ein griechisches Sprichwort, vgl. Aristoteles Eth Nic 9.8 p 1168b. 6–8). 37

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Summar. Prägnant wird zusammengefaßt, was zuvor ausführlicher in 2,42–44a und 2,46–47a gesagt worden war.39 Das eigentliche Thema wird dann in V. 32b eingeführt: Die Glaubenden sehen ihren Besitz nicht als ihr persönliches Eigentum (Íidion eiËnai) an.40 Dabei scheint der Gedanke nicht zu sein, dass taÁ yëpaÂrxonta (»Besitztümer«) aufgegeben werden, sondern dass – weil der individuelle Besitz allen zur Verfügung steht – jede private Verfügungsgewalt über das Eigentum zurückgewiesen wird. Das entspricht der Mahnung in der »Zwei-Wege-Lehre« (Did 4,8 und Barn 19,8): »Du sollst nicht sagen: ›Das gehört mir‹« (oyÆk eÆreiÄw Íidia eiËnai). Die positive Wendung hËn ayÆtoiÄw paÂnta koina entspricht 2,44; insgesamt paßt die Schilderung zu der lukanischen Beschreibung der finanziellen Praxis der Frauen, von denen Jesus Ä n yëparxoÂntvn ayÆtoiÄw). begleitet wurde (Lk 8,3: dihkoÂnoyn ayÆtoiÄw eÆk tv Überraschenderweise folgen auf die Einleitung in V. 32b nicht die in V. 34 f. gemachten Aussagen; vielmehr fügt Lukas in V. 33 zunächst einen knappen Hinweis auf die missionarische Predigt der Apostel ein, wofür es im ersten Summar keine Parallele gegeben hatte. Dort waren die durch die Apostel vollbrachten teÂrata kaiÁ shmeiÄa erwähnt worden; jetzt sagt Lukas, die Apostel hätten mit großer dyÂnamiw von der Auferstehung Zeugnis abgelegt. Dies bestätigt die Beobachtung, dass das Summar 4,32–35 ungleich stärker als 2,42–47 die Beschreibung eines neuen Status der Verhältnisse beschreiben will. Lukas möchte den Leserinnen und Lesern offenbar vor Augen führen, dass sich die in V. 32 und dann in V. 34–35 beschriebene Realität der Proklamation der Auferstehung Jesu verdankt. Dem entspricht es, dass 4,33 ebenso wie zuvor 2,43a und 2,47 mit einem weiteren Hinweis auf die äußeren Wirkungen dieser Proklamation endet: xaÂriw te megaÂlh hËn eÆpiÁ paÂntaw ayÆtoyÂw. xaÂriw megaÂlh meint nicht »(Gottes) große Gnade«, sondern das »große Wohlwollen« oder die »große Anerkennung«, die den Aposteln von den Außenstehenden gezollt wurde.41 Der Grund dafür (gaÂr)42 wird in V. 34a genannt: Es gab unter all den tausenden Die Verbindung von kardiÂa und cyxh ist biblische Sprache (Dtn 6,5). D. L. Mealand, Community of Goods and Utopian Allusions in Acts II–IV, JThS n. s. 28 (1977) 96–99 sieht hinter der griechischen Tradition, die Apg 4,32 entspricht, weniger ein Freundschaftsideal als vielmehr ein utopisches Modell. 39 Abermals sind abweichende Lesarten bemerkenswert: Im Codex D (und bei Cyprian) wird betont, dass es keine diaÂkrisiw (»Unterscheidung«) gegeben habe, Codex E schreibt »kein xvrismoÂw« (Abspaltung). Hier spiegelt sich jeweils kirchliche Realität, die Lukas vermutlich auch schon kennt, auf die er aber an dieser Stelle ganz sicher nicht einmal in einer Anspielung hinweisen will. 40 Vgl. F. W. Horn, Glaube und Handeln in der Theologie des Lukas (GTA 26), Göttingen 1983, 40: »Der Privatbesitz bleibt erhalten, die Besitzenden betrachten ihn aber nicht als Privat-, sondern als Gemeineigentum.« Horn gibt Beispiele für den Gegensatz zwischen Íidiow und koinoÂw. 41 Nach Haenchen, Apostelgeschichte (Anm 4), 188 Anm 5 will Lukas in Apg 4,33 »nicht von der Beliebtheit beim Volk sprechen«, wie Lk 2,40 zeige. Aber dort spricht Lukas ausdrücklich von der xaÂriw ueoyÄ (»Gnade Gottes«); als Parallele zu Apg 4,33 kommt Apg 2,47 am nächsten. Zum Verständnis von xaÂriw in der Apg ohne weitere Näherbestimmung vgl. Apg 7,10. 42 R. B. Hays, The Moral Vision of the New Testament. A Contemporary Introduction to

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von Glaubenden nicht eine einzige bedürftige Person. Mit anderen Worten, auch wenn Lukas dies nicht ausdrücklich sagt: Die Weisung in Dtn 15,4 (»Arme wird es bei dir nicht geben«), gelesen als eine Verheißung, ist Wirklichkeit geworden.43 Wie dies erreicht wurde, beschreibt Lukas in 4,34b–35a: Diejenigen, die Ländereien oder Immobilien besaßen, verkauften sie und übergaben den Erlös den Aposteln.44 V. 35b (diediÂdeto …) ist offenbar so zu verstehen, dass die Apostel das so zusammengelegte Geld dann an die jeweils Bedürftigen weitergaben.45 Lukas wiederholt in 4,34b das Schlüsselverb pipraÂskv aus 2,45 und in 4,35 die wichtige Wendung kauoÂti aÍn tiw xreiÂan eiËxen. Er fügt aber auch zwei Präzisierungen hinzu: Zum einen vermeidet Lukas nun die ungenaue Formulierung aus 2,45 taÁw yëpaÂrjeiw eÆpiÂpraskon, durch die der Eindruck entstehen konnte, man habe jeglichen Besitz, auch den lebensnotwendigen, aufgegeben, und er spricht stattdessen nun ausdrücklich vom Grundstückseigentum.46 Zum andern gibt Lukas anstelle der Ä sin (»sie verebenfalls sehr pauschalen Formulierung in 2,45 diemeÂrizon ayÆtaÁ pa teilten es an alle«) nun eine vergleichsweise genaue Beschreibung des Verfahrens, wie man mit dem durch den Verkauf der Grundstücke erworbenen Geld umging: Ä n aÆpostoÂlvn, und er wiederholt in den Er schreibt kaiÁ eÆtiÂuoyn paraÁ toyÁw poÂdaw tv beiden folgenden Erzählungen diese Formulierung (4,37 und 5,2). Gemeint ist, dass den Aposteln das Recht zukam, das betreffende Geld zu verwalten47; dieses wurde also nicht etwa einfach verteilt, sondern die höchste Autorität, der Kreis der Apostel, übernahm dafür die Verantwortung. Das entspricht natürlich dem, was schon in 2,45 gesagt worden war (»wie es jeder nötig hatte«); aber es ist eben auch garantiert, dass jeder Mißbrauch ausgeschlossen ist.48 Wichtig ist überdies New Testament Ethics, San Francisco 1996, 123 hebt mit Recht das gaÂr in V. 34 hervor; gleichwohl versteht er er xaÂriw megÂalh im Sinne von »grace of God«: »The absence of needy persons in the community is itself the warrant for the preceding theological claim that ›great grace was upon them all‹.« 43 In Dtn 15,4 wird festgestellt, dass im Zusammenhang mit dem Erlaßjahr niemand im Volk in Ä n eyÆloghÂsei se kyÂriow oë ueoÂw Not sein soll (vgl. die LXX-Fassung: oyÆk eÍstai eÆn soiÁ eÆndehÂw oÏti eyÆlogv Äìë kyÂriow oë ueoÂw soy diÂdvsiÂn soi eÆn klhÂrvì kataklhronomh soy eÆn th Äì gh Äì h Ä sai ayÆthÂn). 44 Gelegentlich wird ein Widerspruch darin gesehen, dass nach 4,34 die Häuser verkauft wurden, andererseits aber in 12,12 vom »Haus der Maria« die Rede ist; aber Lukas schreibt in 4,34 nicht, dass man jeden Hausbesitz aufgegeben habe. 45 Über die organisatorischen Bedingungen dieses Verfahrens macht sich Lukas keine Gedanken. 46 Die xvriÂai (»Ländereien, Grundstücke«) und die oiÆkiÂai sind vermutlich nicht als die Wohnstätten der Verkäufer anzusehen; Lukas dürfte kaum gemeint haben, dass die Glaubenden ihre Wohnungen verkauften und obdachlos wurden. 47 Vgl. dazu J. M. Bassler, God and Mammon. Asking for Money in the New Testament, Nashville TN 1991, 124 f. Biblische Beispiele für die Wendung »etwas jemandem zu Füßen legen« sind 2 Sam 22,39; Ps 8,7; Ps 110,1. Theissen, Liebeskommunismus (s. Anm 4), 694 Anm 23 verweist auf eine bemerkenswerte Parallele bei Cicero, In Flaccum 68: Beschlagnahmtes Gold »wurde ante pedes praetoris abgewogen«. 48 Das logische Subjekt der passivischen Wendung diediÂdeto wird nicht genannt; die vorangegangene Bezugnahme auf die Apostel macht es aber wahrscheinlich, dass Lukas von ihrer direkten Beteiligung an dem Vorgang sprechen will.

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der Wechsel vom allgemeinen pa Ä sin in 2,45 zum betont singularischen eëkaÂstvì in 4,35: Lukas will offensichtlich betonen, dass »jeder einzelne« bzw. »jede einzelne« die Bedürftigkeit zu belegen hatte, bevor er oder sie das Geld von den Aposteln bekommen konnte. So bietet das zweite Summar in Apg 4,32–35 eine überaus genaue Beschreibung der »sozialen« Dimension des gemeinsamen Lebens der Glaubenden. Dabei ist auffällig, dass sich der Blick auf diejenigen richtet, die geben, nicht auf die, die empfangen. Lukas denkt also eher an jene, die über Besitz verfügen, als an die Bedürftigen.49 Die beiden auf das Summar folgenden Erzählungen entsprechen diesem Rahmen: Barnabas, so wird knapp erzählt, verkaufte ein Stück Land, nicht etwa seinen gesamten Besitz, und er übergab den Erlös den Aposteln, was nicht weiter kommentiert wird, sondern als offenbar selbstverständlich gilt (4,36 f.). Ananias und Sapphira hingegen behalten heimlich einen Teil des durch einen ähnlichen Verkauf erlangten Geldes; sie müssen sterben, weil sie versucht hatten, den Heiligen Geist Gottes zu täuschen (5,1–10).

III. Apg 5,12–16 Das dritte Summar unterscheidet sich von den beiden vorangegangenen dadurch, dass hier das Thema »Eigentum« überhaupt keine Rolle spielt. Stattdessen stehen die Wunder ganz im Vordergrund; im ersten Summar war davon nur andeutend die Rede gewesen, im zweiten Summar hatte das völlig gefehlt. In 5,12a ist zunächst allgemein von shmeiÄa kaiÁ teÂrata die Rede (vgl. 2,43), doch Lukas sieht sich offenbar veranlaßt, nach dem Strafwunder in 5,1–11 einen ausdrücklichen Hinweis auf Heilungswunder folgen zu lassen (5,15 f.). Äì lav Äì, womit er ofLukas schreibt in 5,11, die Wunder seien geschehen eÆn tv fenbar unterstreichen will, dass die Apostel sich jetzt bewußt nach außen wenden, über den Kreis der eigenen Gruppe hinaus, und dass sie dies eben auch durch ihre Wundertätigkeit tun.50 Die an 3,11 erinnernde Erwähnung der »Halle Salomos« in 5,12 zeigt, dass Lukas an die Erzählung von der Heilung des Gelähmten Ä ntow in Verbindung mit der anknüpfen will; diese Erwähnung der stoaÁ Solomv Äì iëerv Äì läßt diese Halle als 2,46 entsprechenden Formulierung oëmouymadoÁn eÆn tv einen Ort erscheinen, wo sich alle treffen können.51 49

Auf diesen Aspekt wird unten nochmals eingegangen werden. Die Wunder haben bis zu einem gewissen Grade eine missionarische Funktion, wie zuvor schon die Worte des Petrus in 3,6 und der Kommentar des Erzählers in 3,8 gezeigt hatten. 51 Die Frage, wo diese »Halle Salomos« lag, ist an dieser Stelle ohne Bedeutung; in jedem Fall vermittelt Lukas seinen Lesern den Eindruck, dass es sich um ein Gebiet innerhalb des Tempelareals handelt. Johnson, Literary Function (Anm. 10), 195 Anm 1 und 3 nimmt an, dass mit aÏpantew »alle Apostel« gemeint seien und dass Lukas in Apg 5,13 sagen will, niemand habe es gewagt, sich ihnen (im physischen Sinn) zu nähern: »All the uses of kollaÂv in Acts (8:29; 9:26; 50

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Die übrigen Besucher des Tempels wagen nicht, sich anzuschließen (5,13a), während die Reaktion des Volkes sehr positiv ist52, wobei Lukas mit der Wendung eÆmegaÂlynen ayÆtoyÁw oë laoÂw (5,13b) die Aussagen in 2,47 (eÍxontew xaÂrin …) und in 4,33 (xaÂriw te megaÂlh hËn eÆpiÁ paÂntaw ayÆtoyÂw) aufnimmt. In diesem Zusammenhang gibt dann die Aussage in 5,14, die Gruppe der pisteyÂontew sei weiter gewachsen, einen sehr guten Sinn (vgl. 2,47), nachdem im zweiten Summar ein solcher Hinweis ja gefehlt hatte. Lukas schreibt in 5,14b ausdrücklich, dass es sich um »Männer und Frauen« handelte, womit die an Lk 9,14 erinnernde Formulierung in Apg 4,4, die von »fünftausend Männern« geÄì sprochen hatte, eine gewisse Korrektur erfährt. Die Formulierung pisteyÂontew tv kyriÂvì ist wichtig: Sie vertrauen auf den Herrn, und dies hat zur Folge (v Ï ste am Anfang von 5,15), dass man die Kranken und die Gelähmten zu den Aposteln bringt in der Hoffnung auf Heilung. Dabei wird ein entscheidend neuer Akzent abschließend in 5,16 gesetzt: Menschen aus der Umgebung Jerusalems bringen Kranke herbei, damit auch sie geheilt werden; damit wird das in 2,5–11 Gesagte unterstrichen: Die Aktivität der Apostel ist nicht auf Jerusalem beschränkt. Das dritte Summar sagt beinahe gar nichts über das Leben derer, die an Jesus glauben; es konzentriert sich in erster Linie auf die äußeren Wirkungen der wunderbaren Taten der Apostel, die ihrerseits natürlich wesentlich zum weiteren Anwachsen der Zahl der Glaubenden beitragen. Aber ebenso wie die beiden ersten Summarien hebt auch das dritte die Einheit derer hervor, die ihren Glauben an Jesus bekennen – das Stichwort oëmouymadoÂn begegnet in 5,12b ebenso wie 10:28; 17:34) make perfectly good sense when understood as indicating physical proximity. The element of ›spiritual allegiance‹ discerned in 17:34 is supplied by pisteyÂv. Luke’s use of kollaÂv in the story of the Lost Son (Luke 15:15) indicates physical attachment but hardly an allegiance of mind and heart.« Johnson fügt hinzu, dass »the verse further emphasizes the majesty of the Apostles, lending them an aura of the numinous.« 52 D. R. Schwartz, Non-Joining Sympathizers (Acts 5.13–15), Bib 64 (1983) 550–555 versteht die Feststellung in 5,13a aus dieser Perspektive: Wegen des Schicksals von Ananias und Sapphira fürchteten sich viele »to cleave to the community as full members, namely by sharing their property«; in 5,13b und vor allem in 5,14 würde Lukas dann sagen, dass »many did associate themselves with the Christian community of Jerusalem, much as the well-known ›fearers of heaven‹ (or ›fearers of the Lord‹ or ›sympathizers‹) associated with contemporary ancient Judaism« (554). Damit scheint mir die knappe Notiz des Lukas freilich überinterpretiert zu sein. Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm 17), 47: »oië loipoi sind – im Unterschied zu den v 12 genannten Christen – die Nichtchristen« (unter Verweis auf den Wechsel von oië eÍjv in Mk 4,11 zu oië loipoi in Lk 8,10). Anders Pesch, Apostelgeschichte (s. Anm 5), 206: Die loipoiÂ, »von denen keiner wagt, sich den Aposteln anzuschließen, müssen die übrigen Gemeindemitglieder sein, die sich an der verbotenen öffentlichen Predigt nicht beteiligen«; aber diese Erklärung ist durch 4,31 ausgeschlossen. Am nächsten liegt die Annahme von A. Weiser, Die Apostelgeschichte (ÖTK 5/1), Gütersloh und Würzburg 1981, 150: Die loipoi sind die Nichtchristen, »die es nicht wagten, sich den Christen beizugesellen«, womit eine räumliche Distanz gemeint sei, »nämlich die ehrfurchtsvolle Scheu, nicht als Unbefugte an den Zusammenkünften der Christen teilzunehmen.« Dies ist, gegen Johnson (s. die vorige Anm.), die Bedeutung von kollaÄsuai zumindest in Apg 8,29; 9,26; 10,28 (anders nur in 17,34, aber selbst dort könnte gemeint sein, dass sich »einige« dem Paulus anschlossen und ihm folgten, als er den Areopag verließ).

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zuvor in 2,46, und damit ist dasselbe gemeint, was in 4,32 mit der Wendung kardiÂa kaiÁ cyxhÁ miÂa ausgesagt worden war.

IV. Zusammenfassung Die beiden ersten Summarien in der Apostelgeschichte (2,42–47 und 4,32–35) unterscheiden sich erheblich voneinander. Es macht aber wenig Sinn, die beiden Texte auf Spannungen und Widersprüche hin zu untersuchen und daraus womöglich Hypothesen über die Geschichte der Tradition oder Vermutungen über die Historizität der dargestellten Ereignisse abzuleiten. Die Summarien beziehen sich im Kontext des Gesamtentwurfs der Apostelgeschichte auf unterschiedliche Phasen der Geschichte der »Glaubenden« in Jerusalem, und sie beschreiben insofern unterschiedliche Aspekte des Lebens der Gemeinschaft. Klar ist, dass Lukas nicht eine »Gütergemeinschaft« porträtiert, womöglich entsprechend der Gemeinschaft an Besitz (und Produktion) der Essener, wie man sie in den nahe Qumran gefundenen Schriften oder in der Beschreibung des Josephus (BellJud II 122 f.) findet.53 Lukas behauptet weder im ersten noch im zweiten Summar, »die Glaubenden« (oië pisteyÂontew) oder, präziser formuliert, die »gläubig Gewordenen« (pisteyÂsantew) hätten alles persönliche Eigentum aufgegeben und das Geld in einen gemeinsamen »Topf« getan; die zweimal erscheinende Wendung aÏpanta koina soll durchaus nicht den Eindruck erwecken, jeder und jede einzelne habe das Eigentum und insbesondere auch die Verfügungsgewalt darüber aufgegeben. Theißen findet einen Widerspruch zwischen 4,32 und 4,34 f., insofern der erste dieser beiden Texte »Besitzgemeinschaft ohne Privatbesitz« erkennen lasse, der zweite hingegen »Gemeinschaftsbesitz, der auf privaten Zuwendungen basiert«.54 Theißen hält es im Ergebnis für historisch möglich, dass »der ›urchristliche Liebeskommunismus‹ … eine Reformidee der Jerusalemer Urgemeinde selbst gewesen sein« könnte: »Die Idee wäre in diesem Falle nicht der immer hinter ihr zurückbleibenden Realität erst gefolgt (so die übliche Sicht), sondern sie könnte ihr vorausgegangen sein.«55 Aber die inneren Widersprüche verschwinden, wenn man in den Summarien jeweils die konkreten Einzelheiten des Umgangs mit dem Besitz als nähere Explikation der Grundaussage aÏpanta koina versteht: Lukas sagt, es habe die Bereitschaft zum Verzicht auf solchen Besitz gegeben, der nicht lebensnotwendig war, soweit dadurch die Lebensgrundlage 53 Vgl. H.-J. Klauck, Gütergemeinschaft in der klassischen Antike, in Qumran und im Neuen Testament, in: ders., Gemeinde-Amt-Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 69–100, vor allem 74–89. 54 Theissen. Liebeskommunismus (s. Anm 4), 704. 55 Theissen aaO., 707. Zum Problem des erstmals von Ernst Troeltsch entdeckten »Liebeskommunismus« vgl. G. Brakemeier, Der »Sozialismus« der Urchristenheit. Experiment und neue Herausforderung (KVR 1535), Göttingen 1988, 12 f.

Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem

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für andere geschaffen werden konnte. Besonderes Gewicht liegt auf dem Aspekt, dass Besitz zugunsten Bedürftiger aufgegeben wurde; dieses Bild verbindet sich mit dem Gesichtspunkt, der im zweiten Summar sowie in den angrenzenden Erzählungen eingeführt wird, das so zusammengekommene Geld sei von den Aposteln sachmäß verwaltet worden. Die Frage nach dem historischen Hintergrund der Aussagen der Summarien ist zweifellos von Interesse; aber sie kann kaum beantwortet werden. Natürlich ist es wahrscheinlich, dass die aus Galiläa nach Jerusalem gekommenen Nachfolger Jesu nicht über ein Einkommen verfügten, das ihnen das Leben in der Hauptstadt ermöglicht hätte und dass sie deshalb gezwungen waren, von den Ortsansässigen »Beiträge« einzufordern, wie es Haenchen erwogen hat.56. Aber der einzige Bericht über einen Menschen, der tatsächlich einen solchen »Beitrag« leistet, spricht von einem Juden aus der Diaspora; es läßt sich zumindest nicht ausschließen, dass es sich – entgegen der Erzählweise – um einen besonderen Einzelfall handelte.57 Vor allem aber ist daran zu erinnern, dass wir über die Größe und über die soziale Zusammensetzung der Gruppe der Christen in Jerusalem absolut nichts wissen. Auch die Frage, ob sich Lukas bei der Gestaltung der Summarien auf ältere Tradition bezog, läßt sich nicht wirklich beantworten. Theißen folgert aus der auffallend großen Zahl der hapax legomena, Lukas könne wie schon im Evangelium so nun auch in der Apostelgeschichte die Summarien nicht »als ›frei schaffender Künstler‹« formuliert haben.58 Aber dieses Argument ist zumindest problematisch: Denn die Summarien in der Apostelgeschichte, die das Leben der Glaubenden porträtieren, sind im Rahmen des lukanischen Doppelwerks absolut einzigartig; es ist deshalb leicht vorstellbar, dass Lukas hier um eine ganz besonders elaborierte Sprache bemüht war. Es scheint aber möglich zu sein, der Lösung des oft diskutierten Problems näher zu kommen, ob Lukas mit seinen beiden Summarien eine bindende Norm für die Kirche seiner Zeit beschreiben oder ob er lediglich zeigen wollte, dass die Jerusalemer Gemeinschaft in den frühen Tagen der Kirche dem typischen Ideal – dem griechischen ebenso wie dem jüdischen – entsprochen habe.59 Lukas beschreibt ja gerade nicht die Strukturen einer kleinen »Urgemeinde« mit nur we56

Haenchen, Apostelgeschichte (Anm. 4), 192. Theissen, Liebeskommunismus (s. Anm. 4), 703 meint unter Hinweise auf eine Erwägung von M. Hengel, der aus Zypern stammende Barnabas verdanke »seine Erwähnung möglicherweise der Tatsache, daß er der bekannteste Fall außerhalb Jerusalems war«. Auch Klauck, Gütergemeinschaft (Anm. 52), 97 weist auf diese Möglichkeit hin. 58 Theissen aaO., 702 f. Horn, Glaube und Handeln (s. Anm 40), 36–39 kommt zu einem anderen Ergebnis: »Die Sammelberichte sind durch lk Sprache ausgewiesen, ein vorlk Bestand läßt sich sprachlich nicht eruieren« (38). 59 Dies ist die These von Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 17), 37: »Übrigens ist diese Lebensform von Lk nicht als Norm für die Gestaltung der Kirche in der Gegenwart dargestellt. Sie soll gerade die Einmaligkeit der idealen Urzeit vor Augen führen.« 57

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nigen Mitgliedern, sondern er gibt eine Skizze der sozialen Verfassung einer »Großgruppe« mit mehreren tausend Mitgliedern. Das so gezeichnete Bild soll also offenbar nicht nur für kleine Gemeinden gültig sein, sondern auch für »große Kirchen«. Die Bereitschaft, zugunsten von Bedürftigen Besitz aufzugeben, ist für Lukas also wohl nicht das Kennzeichen einer längst untergegangenen »idealen« Vergangenheit; Lukas erwartet vielmehr, oder richtiger: er setzt voraus, dass diese Bereitschaft überall und zu allen Zeiten besteht.60 Im übrigen zeigt die weitere Näherbestimmung der Aussagen von 2,44–45 durch das zweite Summar in 4,34–35, dass Lukas keineswegs das naive Bild eines »idealen Kommunismus« zeichnet, als würde dieser unter Menschen wie den pisteyÂontew oder »denen, die gerettet werden« ohne besonderen Aufwand funktioniert haben.61 Lukas läßt die Leser im Gegenteil wissen, dass die Verteilung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel einer sorgfältigen Aufsicht bedurfte, mit der Folge, dass die Apostel selber sich dieser Aufgabe annehmen mußten. Insofern enthält dieses Portrait indirekt eine bindende Weisung62 für die ganze weitere Geschichte der Jesus-Gruppe bzw. »Kirche«; das wird nicht zuletzt dadurch klar, dass Lukas im weiteren Fortgang der Apostelgeschichte das ganze Thema erst wieder in der Milet-Rede des Paulus zur Sprache bringt.63 Die Leser sollen verstehen, dass das, was in den beiden ersten Summarien gesagt wird, als dauerhaft gültig anzusehen ist. Lukas entwirft ein realistisches Bild, ungeachtet des »utopischen« Rahmens, und insofern verlangt er – zumindest grundsätzlich – dessen Verwirklichung auch in der weiteren Zukunft. 60 Zur paränetischen Funktion der Summarien vgl. Horn, Glaube und Handeln (s. Anm 40), 43–47. 61 Vgl. Klauck, Gütergemeinschaft (s. Anm. 53), 97: »Es gab, so die These, in der Jerusalemer Urgemeinde, die wir uns nicht zu groß vorstellen dürfen, eine praktizierte Gütergemeinschaft auf charismatisch-enthusiastischer Grundlage. Charismatisch heißt, sie war freiwillig, nicht erzwungen, und sie orientierte sich am Besitzverzicht Jesu und an seinem Liebesgebot. Arme, denen der Verzicht nach Jesu Willen zugute kommen sollte, hatte man in den eigenen Reihen genug. Enthusiastisch bedeutet, daß sie von der drängenden Erwartung des nahen Ende bestimmt war, die aus der apokalyptisch gedeuteten Ostererfahrung resultierte. In diesem Horizont wurde die Vorsorge für die Zukunft bedeutungslos, eine ausgebaute Organisation erübrigte sich. Daß dies nicht auf Dauer gutgehen konnte, verwundert nicht. Erste Schwierigkeiten zeigt der Streit um die Witwenversorgung (6,1) an«. Ob diese These historisch zutreffend oder auch nur wahrscheinlich ist, kann hier offen bleiben; Lukas jedenfalls beschreibt die Wirklichkeit der Jerusalemer Gemeinde keineswegs aus dieser Perspektive: Die Zahl der gläubig Gewordenen ist vergleichsweise groß, von einer »drängenden« Naherwartung spricht Lukas nirgends. 62 Der in Apg 6,1–6 beschriebene Vorgang impliziert für Lukas nicht die Auflösung der in 4,35 beschriebenen organisatorischen Kontrolle seitens der Apostel durch die Einsetzung der sieben »Diakonen«. 63 Vgl. Apg 20,35. Theissen, Liebeskommunismus (s. Anm. 4), 695 folgert aus Apg 20,32–35, dass Lukas »einen innergemeindlichen Bedarfsausgleich nicht (allein) durch Spenden wohlhabender Gemeindeglieder« erwartet, sondern »als Ergebnis menschlichen Fleißes«; so werde die Gemeinde »unabhängig von reichen Spendern«; ein Beispiel sei Tabitha, »die Barmherzigkeit nur durch ihre Handarbeit ausüben« konnte (ebd, Anm. 25). Aber dies scheint mir zu »modern« gedacht zu sein und trifft m. E. auch nicht den Sinn dessen, was in Apg 9,36–39 über Tabitha gesagt wird.

Der »äthiopische Eunuch« und die Anfänge der Mission unter den Völkern nach Apg 8–11 Die Ausweitung der »christlichen« Predigt, die anfangs allein unter Juden geschieht, hin zur missionarischen Predigt auch unter Menschen aus den »Völkern« wird in der lukanischen Apostelgeschichte mehrfach erzählt, und zwar auf durchaus unterschiedliche Weise und vor allem verbunden mit unterschiedlichen Personen. Herausragend ist dabei die Erzählung von der Begegnung des Petrus mit dem »gottesfürchtigen« Cornelius in Caesarea (10,1–11,18); daneben steht die knappe Notiz über die Christusverkündigung in Antiochia (11,19–21), die sich zunächst ausschließlich an Juden gewandt habe, dann aber auch an die »Griechen« ( ëEllhnistaiÂ). Beiden voran geht aber die Erzählung von der Taufe eines aÆnhÁr AiÍuioc durch Philippus in der eÍrhmow zwischen Jerusalem und Gaza (8,26–40).1 Nach der lukanischen Darstellung scheint das mit den Namen Petrus und Cornelius verbundene Ereignis den eigentlichen Beginn der »Heidenmission« zu markieren, worauf dann eine entsprechende Mission auch in Antiochia möglich wurde. Welche Bedeutung aber hat dann das Geschehen um den Mann aus Äthiopien? Ist er als Jude bzw. als Proselyt oder zumindest als »Gottesfürchtiger« zu denken? Oder ist er ein Heide, der gleichsam zur »Unzeit« getauft wird? Oder bleibt, wie es oft gesagt wird, der religiöse Status des Mannes »in der Schwebe«2?

I. In Apg 10,1–11,18, dem ausführlichsten der drei genannten Berichte, wird Cornelius eingehend vorgestellt. Er ist zweifellos als ein Römer zu denken; er ist eëkatontaÂrxhw der in Caesarea stationierten italischen Kohorte.3 Er wird be1 Vgl. dazu F. Avemarie, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte. Theologie und Geschichte (WUNT 139), Tübingen 2002, 340–398, zur sprachlichen Analyse 352–367. 2 Eine solche Formulierung findet sich in zahlreichen Auslegungen des Textes; vgl. zuletzt etwa Avemarie, Tauferzählungen, 391. 3 Vgl. dazu H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7), Tübingen 21972, 69 f.; ferner Avemarie, Tauferzählungen, 381–384. Avemarie hält es für möglich, dass Cornelius eine historische Gestalt ist; sollte er eine fiktive Gestalt sein, »so ist diese Fiktion immerhin von bemerkenswerter Sensibilität für das zeitgeschichtlich Stimmige« (384). Der geschichtliche Kern der

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schrieben als ein frommer (eyÆsebhÂw) Mann, als ein foboyÂmenow toÁn ueoÂn; ausdrücklich wird gesagt, er sei dies »zusammen mit seinem ganzen Haus«.4 Wenn weiter gesagt wird, dass er dem (jüdischen) Volk (laoÂw) in großem Umfang Almosen gebe und dass er ohne Unterlaß (diaÁ pantoÂw) zu Gott bete, so soll damit offenbar unterstrichen werden, dass Cornelius eine besonders intensive Form der Frömmigkeit praktiziert.5 Dieser Mann erfährt nun vom Engel Gottes eÆn oëraÂmati, dass seine Gebete und seine Almosen bei Gott »in Erinnerung gekommen« sind (aÆneÂbhsan eiÆw mnhmosyÂnhn). Er erhält den Auftrag, einen gewissen Simon mit Beinamen Petrus aus Joppe nach Caesarea zu rufen (V. 3–6); ein Grund hierfür wird ihm nicht genannt. Cornelius sorgt dafür, dass dieser Auftrag ausgeführt wird (V. 7f.). Während sich die Boten der Stadt Joppe nähern, hat Petrus während eines Gebets um die Mittagsstunde eine Vision (V. 10: eÆgeÂneto eÆp’ ayÆtoÁn eÍkstasiw; in V. 17 als oÏrama bezeichnet), in deren Verlauf unreine Speisen unter Berufung auf den Willen Gottes für »rein« erklärt werden (V. 9–16; V. 15b: aÊ oë ueoÁw eÆkauaÂrisen, syÁ mhÁ koiÂnoy). Während Petrus noch über die Bedeutung dieser Vision nachdenkt (V. 17a), kommen die Boten des Cornelius zu dem Haus des Petrus (V. 17b. 18), und dieser empfängt sie auf Weisung des pneyÄma (V. 19–21). Die Boten berichten ihm von dem eëkatontaÂrxhw und stellen ihn als einen aÆnhÁr diÂkaiow vor, der beim ganzen Volk der Juden gut beleumundet sei; dabei weist die von ihnen verwendete Begrifflichkeit die Sprecher deutlich als Nicht-Juden aus.6 Am nächsten Tag zieht eine größere Delegation von Joppe nach Caesarea (V. 23b. 24a), und dort kommt es alsbald zur unmittelbaren Begegnung zwischen Petrus und Cornelius (V. 23b–33).7 Am Ende spricht Petrus die Einsicht aus, dass Gott »die Person nicht ansieht« (V. 34), dass vielmehr eÆn pantiÁ eÍunei jeder Mensch, der Gott fürchtet und Gerechtigkeit tut, ihm willkommen ist (V. 35).8 Dabei knüpft Petrus mit seiner Formulierung eÆrgazoÂmenow dikaiosyÂnhn deutlich an die von den Boten des Cornelius gebrauchte Wendung aÆnhÁr diÂkaiow (V. 22) an; das Wesen dessen, was »gerecht« ist, wird also offenbar als für Juden wie für Nicht-Juden in gleicher Weise geltend angesehen.9 Petrus stellt sodann den Inhalt Tradition sei »eher früh anzusetzen«, jedenfalls »mit hinreichendem Abstand zum Apostelkonzil« (393). 4 Zu syÁn pantiÁ tv Äì oiÍkvì ayÆtoyÄ in 10,2 vgl. die Aussage über den (christlichen) Glauben des Crispus in 18,8 (syÁn oÏlvì tv Äì oiÍkvì ayÆtoyÄ), außerdem die Formulierungen in 16,15.31. 5 B. Wander, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen (WUNT 104), Tübingen 1998, 187: Cornelius wird so »als Prototyp eines ›Gottesfürchtigen‹« ausgewiesen. 6 Vgl. neben dem ungewöhnlichen e Í unow tv Ä n ÆIoydaiÂvn auch den Wechsel von aÍggelow toyÄ ueoyÄ in dem Bericht (V. 3) zu aÍggelow aÏgiow in der wörtlichen Rede der Boten (V. 22). 7 In 10,27 wird ausdrücklich gesagt, dass Petrus (in das Haus des Cornelius) hineingeht (eiÆshÄluen), in deutlichem Unterschied zur lukanischen Schilderung der (Nicht-)Begegnung zwischen Jesus und dem Hauptmann in Kapharnaum (Lk 7,1–10). 8 Vgl. dazu Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm 1), 341 f. 9 Vgl. J.-W. Taeger, Der Mensch und sein Heil. Studien zum Bild des Menschen und zur Sicht der Bekehrung bei Lukas (StNT 14), Gütersloh 1982, 62 f. und generell 56–68.

Der »äthiopische Eunuch« und die Anfänge der Mission unter den Völkern

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des den Israeliten (toiÄw yiëoiÄw ÆIsrahÂl) gepredigten Evangeliums dar (V. 36–43), wobei er ausdrücklich erwähnt, dass sich der den Verkündigern von Gott gegebene Auftrag sich (allein) auf das jüdische Volk bezieht (V. 42: parhÂggeilen hëmiÄn khryÄjai tv Äì lav Äì). Am Ende (V. 43) deutet er aber an, nach dem Zeugnis der Propheten sei eine Ausweitung »auf jeden an ihn Glaubenden« (paÂnta toÁn pisteyÂonta eiÆw ayÆtoÂn) immerhin möglich. Noch während Petrus spricht, fällt der Heilige Geist auf die Hörenden, woraufhin die jüdischen Gläubigen (oië eÆk peritomh Ä w pistoiÂ) in Erstaunen darüber geraten, dass die Gabe des Heiligen Geistes auch auf »die Völker« (kaiÁ eÆpiÁ taÁ eÍunh) ausgegossen ist und sie diese nun in Zungen reden (laloyÄntvn glvÂssaiw) und Gott preisen hören (V. 44–46a). Angesichts dessen erklärt Petrus, es gebe keinen Grund, »diesen« (toyÂtoyw) die Taufe zu verweigern (V. 46b–47), die sie dann auch empfangen (V. 48). Cornelius spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle mehr – seit der Schilderung seines Zusammentreffens mit Petrus (V. 25–33) ist er gar nicht mehr erwähnt worden. Insbesondere in V. 44–48 geht es nicht um die Person des Cornelius, sondern ganz allgemein um »die Heiden«.10 Das bestätigt sich im folgenden. Nach 11,1 erfahren die Apostel und oië aÆdelfoi in Judäa, dass »auch die Völker« das Wort Gottes angenommen haben.11 Allerdings wird, als Petrus nach Jerusalem kommt, von den Judenchristen (oië eÆk peritomhÂw) kritisch vermerkt, dass er mit Unbeschnittenen gemeinsam gegessen habe (11,2 f.), woraufhin Petrus zunächst seine Vision schildert (V. 5a: eiËdon eÆn eÆkstaÂsei oÏrama), die sich ja gerade auf die Speisegebote bezogen hatte (V. 5b–10), und dann von den sich hieran anschließenden Ereignissen berichtet (V. 11–16). Es scheint kein Zufall zu sein, dass Petrus in V. 12–14 zwar ausdrücklich von einem »Mann« und von dessen Widerfahrnis spricht, dass der Name des Mannes aber nicht genannt wird12; wiederum besteht also offenkundig kein Interesse an der Person des Cornelius. Das Thema ist (V. 15) die Geistausgießung auf »sie«, d. h. die Heiden13, entsprechend der Verheißung Jesu in Apg 1,5, an die sich Petrus ausdrücklich erinnert (V. 16); angesichts dessen wäre die Verweigerung der Taufe ein sinnloser Versuch des kvlyÄsai toÁn ueoÂn gewesen (V. 16 f.). Die Anwesenden stellen daraufhin fest, dass Gott auch den Heiden (kaiÁ toiÄw eÍunesin) die Umkehr zum Leben gegeben hat (V. 18)14, womit implizit die Handlungsweise des Petrus als legitimiert erwiesen ist. Der lange Bericht in Apg 10,1–11,18 setzt also zwar wie eine von Cornelius erzählende Personalüberlieferung ein; dann aber ist nicht mehr Cornelius im 10 Es fällt auf, dass der Erzähler in V. 45 ohne weiteres von ta Á eÍunh spricht, während er in der wörtlichen Rede des Petrus diesen Begriff vermeidet (… toyÂtoyw). 11 Vgl. 8,14 (Konstatierung des Missionserfolgs des Philippus in Samaria durch die Jerusalemer Apostel). 12 In 11,12 (kaiÁ eiÆsh  luomen eiÆw toÁn oiËkon toyÄ aÆndroÂw) fällt das Fehlen des Namens besonders auf. 13 Der Begriff e Í unh kommt freilich in dem ganzen Bericht nicht vor. 14 Erstmals findet sich e Í unh innerhalb der wörtlichen Rede.

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Blick, sondern es wird generell von den Hörenden auch aus den eÍunh gesprochen, die den Geist und deshalb auch die Taufe empfangen. Die ausführlich geschilderten Umstände zeigen, dass sich das Geschehen nicht etwa einer Entscheidung des Petrus verdankt, sondern dem unmittelbaren und übernatürlichen Eingreifen Gottes.15

II. Zwischen Apg 11,18 und 11,19 liegt ein deutlicher Einschnitt. Mit der Einleitungswendung in V. 19a knüpft der Erzähler ausdrücklich an 8,4 an; damit signalisiert er, dass das im folgenden (11,19–24) geschilderte Geschehen als in zeitlicher Nähe zu den unmittelbar vorher dargestellten Ereignissen zu denken ist.16 War in 8,5–25 im Anschluß an den Hinweis auf die Vertreibung und »Zerstreuung« (8,4: oië … diaspareÂntew) von der Missionstätigkeit des Philippus in Samaria und von der Bestätigung dieser Mission durch die Jerusalemer Apostel Petrus und Johannes erzählt worden, so ist jetzt (11,19) von eben diesen diaspareÂntew die Rede17, die bis nach Phönikien, Zypern und Antiochia gelangt seien; Adressaten ihrer Verkündigungstätigkeit (laloyÄntew toÁn loÂgon) sind allein Juden (ÆIoydaiÄoi). Unter den nach Antiochia gekommenen Jerusalemer Vertriebenen befanden sich aber auch Männer, die aus Zypern und aus der Kyrene stammten; diese, so heißt es knapp und ohne Namensnennung in V. 20, predigten auch den ëEllhnistai Jesus als den kyÂriow. Wer diese ëEllhnistai hier genau sind, läßt sich nicht sagen18; Lukas hatte den Begriff erstmals in 6,1 verwendet und dort damit eindeutig »hellenistische«, also griechischsprachige Juden(christen) gemeint, und denselben Sinn hat das Wort auch in 9,29, wo die ëEllhnistai als Adressaten der Predigt des Saulus in Jerusalem genannt werden. Demgegenüber wird nun aber in 11,19 f. zwischen den ÆIoydaiÄoi und den ëEllhnistai explizit unterschieden; vermutlich sind letztere also als »Griechen«, also als Nicht-Juden, zu denken19, auch wenn Lukas in der Regel von ÏEllhnew spricht, wenn er »grie15 Auch in 15,8 f., wo Petrus während des »Apostelkonzils« an die Ereignisse in Caesarea erinnert, wird der Name Cornelius nicht genannt, sondern Petrus spricht von den eÍunh und davon, dass »zwischen uns und ihnen« kein Unterschied bestehe. 16 Eine genauere Bestimmung der von Lukas gedachten zeitlichen Zuordnung der Geschehnisse ist nicht möglich; soll man sich die Ereignisse von 11,19–24 als zeitgleich mit dem in 10,1–11,18 Berichteten vorstellen? Jedenfalls setzt 11,25 f. den Bericht von 9,1–30 voraus. 17 Mit der gegenüber 8,4 sehr viel detaillierteren Einleitung in 11,19 berücksichtigt Lukas, dass die Schilderung in 8,1–3 im Text weit zurückliegt und an sie erinnert werden muß. 18 In der handschriftlichen Überlieferung ist neben ëEllhnista  w (so u. a. B D2 E C und der Mehrheitstext = Nestle-Aland27) auch ÏEllhnaw (so p74a2 A D*) bezeugt; die Lesart von a*(eyÆaggeliÂstaw) ist ein offenkundiger Schreibfehler. 19 Dass ÆIoydai Äoi in 11,19 »Judäer«, also Bewohner von Judäa, meint (so ja offenkundig in 10,39), wird man ausschließen können.

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chische« Nicht-Juden meint.20 Das bedeutet, dass in 11,20 ganz beiläufig der Beginn der Heidenmission in Antiochia konstatiert wird, ohne dass eine direkte Verbindung zu dem zuvor in 10,1–11,18 dargestellten Vorgang hergestellt wird. Ä n gewesen, und Erläuternd heißt es in V. 21, »die Hand des Herrn« sei met’ ayÆtv damit gilt die Heidenmissionspredigt in Antiochia offensichtlich als vom kyÂriow bestätigt.21 Die Mission unter den ëEllhnistai in Antiochia wird von Jerusalem in ähnlicher Weise kommentiert wie zuvor die Mission des Philippus in Samaria22; allerdings wird diesmal keiner der Apostel entsandt, sondern »nur« Barnabas, der zu seiner Freude in Antiochia das Wirken der xaÂriw Gottes sieht (V. 22–24). Von der Petruserzählung 10,1–11,18 unterscheidet sich die Darstellung des Geschehens in Antiochia dadurch, dass hier der Beginn der Heidenmission nicht als unmittelbar von Gott selbst initiiert erscheint, sondern sich einer nicht näher begründeten und offenbar auch nicht einer Begründung bedürfenden Entscheidung der Verkündiger verdankt.23 V. 21 zeigt dann aber, dass diese Entscheidung durchaus die Zustimmung des kyÂriow gefunden hatte. Dementsprechend ist die Entsendung des Barnabas nach Antiochia (V. 22) nicht als ein Akt kritischer Kontrolle zu verstehen, sondern sein Besuch dient dazu, die begonnene Arbeit der Heidenmission zu bestätigen und zu unterstützen. Anders als die in Samaria tätigen Apostel (8,25) kehrt Barnabas denn auch nicht »zur Berichterstattung« nach Jerusalem zurück, sondern er reist nach Tarsus weiter, um Saulus von dort abzuholen (11,25.26a). Indem Lukas die Ereignisse von 11,19–24 im unmittelbaren Anschluß an 10,1–11,18 berichtet, entsteht freilich trotz der Parallelität von 8,4 und 11,19 der Eindruck, dass die Entwicklung in Antiochia die Vorgänge in Caesarea und deren in Jerusalem erfolgte Bestätigung voraussetzt und dass diese einer besonderen Legitimation allein deshalb nicht mehr bedarf.24 20 So Apg 14,1; 16,1; 18,4; 19,10.17; 20,21, vgl. 21,28. Das Gegenüber von ÏEllhnew und ÆIoydaiÄoi begegnet auch bei Paulus, beispielsweise Röm 1,16. 21 Ob ky  riow dabei Christus-Titel ist oder aber Gottesbezeichnung, läßt sich kaum sagen. In Apg 4,28.30 ist mit xeiÂr soy im Gebet die Hand Gottes gemeint, umgekehrt dürfte sich xeiÁr kyriÂoy

in 13,11 eher auf die strafende Hand Christi beziehen. 22 Die Aussage in 11,22 (ÆHkoy  suh deÁ oë loÂgow eiÆw taÁ v Ë ta th Ä w eÆkklhsiÂaw … eÆjapeÂsteilan … ) erinnert deutlich an 8,14 (ÆAkoyÂsantew deÁ oië eÆn ëIerosolyÂmoiw aÆpoÂstoloi … aÆpeÂsteilan …). 23 Nach V. 20 stammen sie ausdrücklich nicht aus Judäa bzw. Jerusalem, wohl aber sind sie als Juden vorzustellen. Die aÍndrew KyÂprioi könnten aufgrund der unmittelbar zuvor (11,19) erwähnten Missionstätigkeit Christen geworden sein, Menschen aus der Kyrene befanden sich nach 2,10 unter den Hörern der Pfingstpredigt und nach 6,9 in der Synagoge, in der Stephanus disputierte. Es bereitet vom Aufbau der Apg her also keine Schwierigkeiten, solche Männer nun als in Antiochia aktive Missionare zu sehen. 24 Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm 1), 391 meint, dass »die heilsgeschichtliche Folgerichtigkeit nicht das schlechthin maßgebliche Kriterium gewesen sein kann, nach dem Lukas seinen Stoff anordnete«, weil sonst die »Geschichte des Äthiopiers hinter die des Kornelius eingereiht« worden wäre. Aber im Verhältnis von 10,1–11,18 und 11,19–24 ist jedenfalls klar, dass hier eine unumkehrbare Abfolge vorliegt.

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III. Wie verhält sich dazu nun der Bericht in 8,26–40, demzufolge ein aÆnhÁr AiÆuiÂoc von Philippus die Taufe empfangen habe? Da diese Taufe nach dem Aufriß der Apstelgeschichte zeitlich noch vor der Taufe des Cornelius und der Seinen durch Petrus geschah, scheint – sofern der »Äthiopier« nicht als ein Jude zu denken ist – seine doch offensichtlich »verfrüht« erfolgte Taufe das theologische Programm des Buches zu stören. Es ist erwogen worden, hier könne eine Personaltradition vorliegen, die mit der Petrus/Cornelius-Tradition konkurriert habe25; bisweilen wird zusätzlich angenommen, Lukas habe, möglicherweise unabhängig vom ursprünglichen Sinn der Überlieferung, in dem aÆnhÁr AiÆuiÂoc einen Proselyten gesehen26 oder ihn zumindest als einen »Gottesfürchtigen« aufgefaßt, ohne dies jedoch explizit auszusprechen. Häufig heißt es, der religiöse Status des Mannes bleibe bewußt in der Schwebe: »Die Bezeichnung ›Äthiopier‹ erweckt zwar die Vorstellung eines Heiden, aber seine Wallfahrt nach Jerusalem und die Jesaja-Lektüre lassen ihn als dem Judentum nahestehend, da er jedoch Eunuche ist, nicht als Volljuden erscheinen.«27 Eine solche recht ungenaue Bestimmung ist wenig befriedigend; deshalb soll im folgenden gefragt werden, ob nicht eine genauere Beschreibung des Status jenes aÆnhÁr AiÆuiÂoc möglich ist. Die Erzählung Apg 8,26–40, deren traditionsgeschichtlicher Ursprung hier offen bleiben kann28, ist klar aufgebaut29: Am Anfang (V. 26) steht die Anweisung 25 So etwa E. Dinkler, Philippus und der ANHR AIUIOC (Apg 8,26–40). Historische und geographische Bemerkungen zum Missionsablauf nach Lukas (1975), in: Ders., Im Zeichen des Kreuzes. Aufsätze, hg. von O. Merk und M. Wolter (BZNW 61), Berlin 1992, 305–315, hier: 308. Nachdrücklich aaO. 315: »Ungewollt läßt Lukas den schwarzhäutigen Heiden vor dem Römer eine Bekehrung und Taufe erfahren, Afrika vor Europa [16,11 ff.] die Botschaft von Jesus Christus hören.« Zur Frage, ob der anhÁr AiÆuiÂoc wirklich für »Afrika« steht, oder ob er nicht eher als Individuum aufzufassen ist, s. u. 26 So nachdrücklich J. T. Sanders, The Jews in Luke-Acts, London 1987, 252 f. Der Sinn dieser Erzählung liege für Lukas darin, die Konversion eines Proselyten zu schildern; zwar hätten sich nach Apg 2,11 ja auch Proselyten unter den Hörern des Petrus in Jerusalem befunden, aber »Luke has not specifically recounted a proselyte conversion, and it is important for him to do so at this point« (252). Dabei habe für Lukas insbesondere die Aussage von Jes 54,4.6 eine entscheidende Rolle gespielt. 27 So beispielsweise A. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 1–12 (ÖTK 5/1), Gütersloh und Würzburg 1981, 212. Dies verdanke sich der Gesamtkomposition der Apg: Die Taufe dieses Mannes stehe »zwischen der Juden- und Samariter-Mission einerseits und der Heidenmission andererseits«, sie bedeute »Expansion des Evangeliums«, ohne »unsachgemäß der Heidenmission vorzugreifen«. 28 Eine genaue Bestimmung des Verhältnisses von »Tradition« und lukanischer Redaktion gelingt nicht; daher ist auch die Rekonstruktion eines möglicherweise historischen Vorgangs nicht möglich. Anders G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 111, der unter Hinweis auf die »Konkretheit der Tradition« und die Spannung zu Apg 10 meint, diese »legendarische Bekehrungsgeschichte« reflektiere »die historische Tatsache, dass zu den Missionserfolgen der Hellenisten und des Phil-

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des aÍggelow kyriÂoy an Philippus (der zuletzt in 8,13 erwähnt worden war), er solle zu der von Jerusalem nach Gaza führenden Straße gehen.30 Sehr knapp wird festgestellt, Philippus sei dieser Anweisung nachgekommen (V. 27aa). Unmittelbar anschließend wird in V. 27ab mit deutlicher Betonung (kaiÁ iÆdoyÂ) eine zweite Person in die Erzählung eingeführt: Der Erzähler spricht von einem aÆnhÂr, der hinsichtlich seiner »Nationalität« (AiÆuiÂoc) und vor allem hinsichtlich seiner Funktion (eyÆnoyÄxow ktl.) vorgestellt wird. Er erwähnt sodann sein soeben abgeschlossenes Handeln (V. 27bb) und schildert anschließend die aktuelle Situation (V. 28). Dabei fällt auf, dass zwar einerseits sehr viel Hintergrundwissen zur Person jenes Mannes geliefert wird, dass aber andererseits ein Name nicht genannt wird.31 V. 29 knüpft an V. 26.27a an: Es ergeht eine Weisung des pneyÄma an Philippus, wobei inhaltlich V. 28 (Stichwort aÏrma) vorausgesetzt ist; äußerst knapp wird konstatiert, dass Philippus die Weisung ausführt (V. 30aa). Bis V. 39a bestimmt dann die Beziehung zwischen den beiden Personen das Geschehen. Die Schilderung beginnt damit, dass gesagt wird, Philippus höre den aÆnhÂr AiÆuiÂoc das Jesaja-Buch lesen (V. 30ab; vgl. V. 28b) und dass er ihn auf diese Lektüre hin anspricht; die erzählte Handlung und insbesondere der Dialog zwischen den beiden Personen ist dabei ganz stringent aufgebaut. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Wortlaut des Jes-Zitats als perioxhÁ thÄw grafhÄw erst in V. 32 f. nachgetragen wird, obwohl es doch dieser Text gewesen war, dessen Lesung Philippus gehört (hÍkoysen, V. 30ab) und ihn zu seiner Frage (V. 30b) veranlaßt hatte, die von dem aÆnhÁr AiÆuiÂoc in V. 31 beantwortet worden war. Dieser einem ippus die Bekehrung eines äthiopischen Eunuchen gehört hat«. Auch A. von Dobbeler, Der Evangelist Philippus in der Geschichte des Urchristentums. Eine prosopographische Skizze (TANZ 30), Tübingen 2000, 177 meint, die Erzählung gehe »wahrscheinlich auf eine konkrete historische Begebenheit« zurück. 29 R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband Apg 1–12 (EKK V/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1986, 290 meint, die Erzählung scheine »konzentrisch konstruiert zu sein«; V. 32.33 bildeten das Zentrum, darum herum V. 30–31 und V. 34–35 als Dialog über die Textauslegung, V. 28–29 und V. 36.38 als Schilderung der vom Geist herbeigeführten Begegnung und der Taufe, schließlich V. 26–27 und V. 39–40a als Einführung der Personen und dann ihrer Trennung voneinander. Aber V. 28 spricht ausschließlich von dem aÆnhÁr AiÆuiÂoc und noch nicht von der Begegnung mit Philippus. 30 Die genaueren Einzelheiten sind hier nicht von Bedeutung. Es braucht nicht darüber nachgedacht zu werden, auf welchem Weg Philippus von Samaria (8,5–13) zu der erwähnten Straße gelangen soll. Pesch, Apostelgeschichte [s. die vorige Anm], 287 hält es für möglich, dass die Erzählung ursprünglich vom Apostel Philippus, einem der Zwölf (Mk 3,18/Lk 6,14), gesprochen habe; dieser habe sich von Jerusalem aus am Mittag (kataÁ meshmbriÂan) auf den Weg gemacht. »Als Erzählung vom Apostel Philippus konnte unsere Erzählung, die Lukas an die jetzige Stelle rückte, der Kornelius-Erzählung (historisch) nachgeordnet gewesen sein« (288); vermutlich handele es sich ursprünglich um eine zweite Heidenbekehrung (289). B. Kollmann, Philippus der Evangelist und die Anfänge der Heidenmission, Bib. 81 (2000) 551–565, hier: 559 Anm 42 nennt dies »völlig spekulativ«. 31 Vgl. Chr. R. Matthews, Philip – Apostle and Evangelist. Configurations of a Tradition (NT. S 105), Leiden 2002, 76 f., der daraus folgert, dass nicht der eyÆnoyÄxow, sondern Philippus im Zentrum stehe: »The story is properly designated a ›Philip tradition‹« (77).

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logischen Handlungsfaden nicht ganz entsprechende Textaufbau hat offenkundig das Ziel, den Spannungsbogen zu steigern.32 Der eigentliche Dialog zwischen den beiden Männern umfaßt lediglich V. 34–35. Anschließend (V. 36.38a33 liegt die Initiative zunächst ausschließlich bei dem aÆnhÁr AiÆuiÂoc34, dann handeln in V. 38ba beide gemeinsam, und nur in V. 38bb ist Philippus das Subjekt des das Geschehen beschreibenden Satzes (eÆbaÂptisen ayÆtoÂn). V. 39a knüpft an V. 38ba an, aber die Erzählung berichtet nur noch vom Handeln des aÆnhÁr AiÆuiÂoc, während Philippus lediglich Objekt des Wirkens des nunmehr wieder eingreifenden pneyÄma kyriÂoy ist (vgl. V. 40a: F. eyëreÂuh …). Erst mit V. 40b wird Philippus wieder zur eigenständig handelnden Person, doch er schwindet sogleich wieder aus dem Blickfeld und wird erst in 21,8 wieder erwähnt.35 Welchen Status hat jener aÆnhÁr AiÆuiÂoc, den Philippus an der einsamen Straße von Jerusalem nach Gaza trifft? Hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Stellung wird er in V. 27ab außerordentlich genau charakterisiert: Er ist ein eyÆnoyÄxow, ein dynaÂsthw KandaÂkhw mit der Kontrolle über deren Finanzen (eÆpiÁ paÂshw th Ä w gaÂzhw ayÆth Ä w); zu dem »Namen« KandaÂkh wird erläuternd hinzugefügt, sie sei die basiliÂssa AiÆuioÂpvn. Über den Mann erfährt man, dass er nach Jerusalem gereist war, um »anzubeten« (proskynhÂsvn). Alle diese Angaben werden vom »allwissenden« Erzähler eingebracht; sie dienen als Hintergrundinformation für das Verständnis des folgenden Berichts, obwohl insbesondere die hohe Stellung des Mannes in seiner Heimat für die weitere Erzählung offenbar ohne Bedeutung ist.36 Nach V. 28 befindet sich der Mann auf dem Heimweg, und dabei liest er, auf seinem Wagen sitzend37, das Buch des Propheten Jesaja.38 Gerade angesichts die32 Vgl. etwa Mk 9,33 f. Die Erwägung von G. Schneider, Die Apostelgeschichte I. Teil. Einleitung. Kommentar zu Kap. 1,1–8,40 (HThK V/1), Freiburg 1980, 504, möglicherweise habe erst Lukas dieses Zitat sekundär eingefügt und »in der überlieferten Erzählung« sei vielleicht »auf V. 31 sogleich V. 35 gefolgt«, dann natürlich ohne die Einleitungswendung kaiÁ aÆrjaÂmenow aÆpoÁ thÄw grafh Ä w tayÂthw, ist unbegründet 33 Zu dem textgeschichtlich sekundären V. 37 s. u. 34 In V. 38ba steigen beide Männer zum Wasser (kateÂbhsan a Æ mfoÂteroi eiÆw toÁ yÏdvr), die Aussage über die Taufe in V. 38bb ist dann mit Blick auf Philippus aktivisch formuliert (kaiÁ eÆbaÂptisen ayÆtoÂn). 35 In 21,8 ist er ausdrücklich einer »der Sieben« (6,5), zusätzlich charakterisiert durch die Bezeichnung eyÆaggeliÂsthw, die im NT sonst nur noch in Eph 4,11 und 2 Tim 4,5 belegt ist. Vgl. dazu Matthews, Philip (s. Anm 31), ferner von Dobbeler, Der Evangelist Philippus (s. Anm 28), 217–248 und den in Anm 30 erwähnten Aufsatz von Kollmann. 36 Allerdings wird dadurch das erst in V. 28 erwähnte und für die Erzählung wichtige Fahren auf einem Wagen plausibel. 37 a Ï rma in der Apg nur hier (V. 28 f.38), im NT sonst nur noch Apk 9,9. Vgl. zur möglichen Konstruktion des hier erwähnten Wagens C. K. Barrett, The Acts of the Apostles. Vol. I. Preliminary Introduction and Commentary on Acts I-XIV (ICC), Edinburgh 1994, 426 f. (»the vehicle being probably little more than a flat board on wheels«, daher auch die Verwendung von eÆpiÂ). 38 Auch der Hinweis darauf, welches Buch er liest, ist aus der Perspektive des Erzählers gegeben.

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ser doch überaus genauen Beschreibung des Mannes fällt auf, dass sein religiöser Status mit keinem Wort erwähnt wird: Ist er als aÆnhÁr AiÆuiÂoc gleichwohl als ein Jude vorzustellen – sei es als geborener Jude, sei es als Proselyt? Oder ist er, so wie später Cornelius, ein Gottesfürchtiger? Oder ist er einfach ein »Heide«? Durch die Bezeichnung als AiÆuiÂoc wird der Mann als in der Perspektive der Apostelgeschichte jedenfalls aus sehr fernen Landen stammend erwiesen; der etwas später folgende Hinweis auf seine hohe Stellung am Hofe der KandaÂkh zeigt dabei, dass das Adjektiv AiÆuiÂoc nicht nur auf sein Herkunftsland verweisen soll, sondern dass Äthiopien zugleich auch als sein Wohnort zu denken ist.39 Im Neuen Testament wird von »Äthiopien« nur hier gesprochen. Hingegen ist im ÏUK) bzw. vom AiÆuiÂoc (hebr. iw ÏÇUK) des Alten Testament vom Land AiÆuiÂopia (hebr. w öfteren und in unterschiedlichen Zusammenhängen die Rede: Nach Gen 2,13 fließt einer der Paradiesesströme »um ganz Äthiopien«; mehrfach wird »Äthiopien« im Zusammenhang politischer bzw. militärischer Konflikte erwähnt (2 Kön 19,9; Jes 37,9 u. ö.), bisweilen neben dem für Israel allerdings ungleich wichtigeren Ägypten (Jes 20; 45,14; Nahum 3,9), von dem es in Ez 29,10 heißt, es reiche »bis an die Grenzen Äthiopiens« (dvÂsv ghÄn AiÆgyÂptoy eiÆw eÍrhmon … kaiÁ eÏvw oëriÂvn AiÆuioÂpvn). Zum Vergleich für den Wert der Weisheit wird neben Edelmetallen und Schmuck aus vielen anderen Ländern auch topaÂzion AiÆuiopiÂaw (hebr.w ÏUK-tdÅjÂPÇ) genannt (Hi 28,19). In Jes 18,140 und Zeph 3,1041 ist »Äthiopien« geradezu sprichwörtliches Beispiel für ein weit entferntes Land, und dieser Gedanke steht wohl auch im Hintergrund, wenn in Ps 67,32 LXX davon gesprochen wird, »Äthiopien« werde seine Hand nach Gott ausstrecken.42 Dabei ist mit AiÆuiÂopia bzw. w ÏUK nicht das Gebiet des heutigen Äthiopien gemeint, sondern das Gebiet des heutigen Sudan43. In einem längeren Exkurs über »Äthiopien« berichtet Diodor von Sizilien (III 2–10) unter anderem, die Äthiopier44 sähen sich als »die ersten aller Menschen«, denn sie seien nicht von irgendwoher eingewandert, sondern stammten aus dem eigenen Land (ayÆtoÂxuonew oÆnomaÂzontai); außerdem Ä n oÏlvn geÂnesin) wegen der Nähe zur sei bei der Entstehung der Welt (kataÁ thÁn tv Sonne und der deshalb herrschenden Hitze das Land dort zuerst trocken geworden und habe so Leben hervorbringen können. Schließlich sehe sich »Äthiopien« auch als die Wiege aller menschlichen Religiosität45; von hier sei nämlich die 39

Vgl. dagegen etwa Barnabas in Jerusalem; er war KyÂpriow tv Äì geÂnei (4,36). LXX: oyÆaiÁ ghÄw ploiÂvn pteÂrygew eÆpeÂkeina potamv Ä n AiÆuiopiÂaw. 41 LXX: eÆk pera  tvn potamv Ä n AiÆuiopiÂaw oiÍsoysin uysiÂaw moi. 42 LXX: h Ï joysin preÂsbeiw eÆj AiÆgyÂptoy AiÆuiopiÂa profuaÂsei xeiÄra ayÆth Ä w tv Äì uev Äì. 43 Philo Mos I 99 spricht im Zusammenhang der in Ex 7,19–21 erzählten Strafe davon, der ganze Fluß aÆp’ AiÆuiopiÂaw aÍxri ualaÂsshw sei in Blut verwandelt worden, und nach Philo Flacc 43 Ä n oëriÂvn AiÆuiopiÂaw. Ähnlich Pausanias I 33,4. Vgl. reicht die römische Provinz Ägypten meÍxri tv Dinkler, aaO (Anm 25), 310–312, ferner G. Lanczkowski, Art. Aethiopia, RAC Suppl. I, Stuttgart 1985, 94–134, vor allem 106–111. 44 Die folgenden Zitate aus Diod Sic III 2,1–4. 45 parÆ ayÆtoi Äw prvÂtoiw katadeixuh Ä nai ueoyÁw tima Ä m kaiÁ uysiÂaw eÆpiteleiÄn. 40

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eyÆseÂbeia zu allen Menschen gelangt, wofür als Beleg auf Homer zu verweisen sei.46 Dabei stehe Äthiopien unverändert in der Gunst der Götter, da das Land niemals von fremden Mächten erobert worden sei. Philostrat berichtet von Apollonius, dieser sei auch nach Äthiopien gelangt (Vit Apoll VI 1 f.); er spricht in diesem Zusammenhang von goldhaltigem Boden und von den dort lebenden schwarzhäutigen Menschen.47 Die Belege aus biblischer und aus zeitgenössischer hellenistischer Literatur machen es überaus wahrscheinlich, dass der in Apg 8,27 eingeführte Mann in jeder Hinsicht als ein Fremder gedacht werden soll; durch das Atttribut AiÆuiÂoc ist er auch in ethnischer Hinsicht deutlich als »Äthiopier« ausgewiesen und nicht etwa als ein dort lebender Mensch anderer Herkunft; vermutlich soll man ihn als dunkelhäutig denken48, ohne dass dies allerdings explizit gesagt wird.49 Schwierigkeiten bereitet die weitere Angabe, der Mann sei ein eyÆnoyÄxow.50 Dieses Wort begegnet im NT außer in Apg 8,27 ff.51 nur noch in der Mt-Fassung der Perikope von der Ehescheidung (Mt 19,1–12). Dort sind in V. 12a und V. 12b eindeutig Männer gemeint, die aus unterschiedlichen Gründen zeugungsunfähig sind; in V. 12c wird hingegen von eyÆnoyÄxoi »um des Himmelreiches willen« Ä n oyÆranv Ä n) gesprochen, wobei (oiÏtinew eyÆnoyÂxisan eëaytoyÁw diaÁ thÁn basileiÂan tv der Sinn dieser Aussage offenbar schon in der Überlieferung selber als schwer faßbar gilt (oë dynaÂmenow xvreiÄn xvreiÂtv).52 Falls der geläufige Sprachgebrauch 46 Ilias I 423 f.: »Zeus ist nämlich hinab zum Okeanos zu den Aithiopen Gestern speisen gegangen, von allen Göttern begleitet« (Übers. H. Rupe´). 47 Die Bewohner an der Grenze zwischen Ägypten und Äthiopien seien weniger schwarz als Ä llon die Äthiopier, aber dunkler als die Ägypter (melaiÂnontai gaÁr oiÆ meÁn hÎtton AiÆuioÂpvn, oië deÁ ma AiÆgyptiÂvn, VI 2). 48 Vgl. Dinkler, Philippus (s. Anm. 25), 312: »Der Gebildete der Zeit [konnte]mit a Æ nhÁr AiÆuiÂoc eine bestimmte Vorstellung verbinden«. AaO., 306: »Gewiß hat Lukas niemals Rassenfragen im Sinn, auch ist er nicht im strengen Sinn ethnologisch interessiert«, doch wenn man die heilsgeschichtliche Dimension betrachte, sei es offenbar kein Zufall, dass zuerst ein Afrikaner und dann erst der römische Centurio Cornelius bekehrt wurde. 49 Wenn J. Jervell, Die Apostelgeschichte (KEK III), Göttingen 1998, 270 betont, die mit Äthiopien verbundene »exotische Faszination« spiele »in der Erzählung überhaupt keine Rolle«, so ist das einerseits richtig, wenn er aber hinzufügt, Äthiopien sei »hier nur auf Grund seiner Beziehung zu Jerusalem wichtig«, so ist das zumindest einseitig, denn von einer Beziehung des Landes zu Jerusalem ist nicht die Rede. Es geht um eine Person, und diese wird durch die Angabe aÆnhÁr AiÆuiÂoc durchaus als »exotisch« ausgewiesen. 50 Jervell ebd. spricht sogar von einer »crux interpretum«. 51 Nach 8,27 dann als ständige Bezeichnung des Mannes in V. 34.36.38 f. 52 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 3. Teilband. Mt 18–25 (EKK I/3), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1997, 108–111. Luz hält es für wahrscheinlich, dass im ursprünglichen Jesuslogion in 19,12c an Menschen gedacht war, die als »vom Gottesreich ergriffene Menschen auf ihr Eheleben verzichteten«; möglicherweise sei aus Mk 12,25 zu schließen, dass »ein bestimmtes Verständnis des Gottesreichs Jesu eigene zolibatäre Lebensform und den Familienverzicht seiner Jünger« prägte (111). Ähnlich W. D. Davies/D. C. Allison, The Gospel According to Saint Matthew. Volume III. Commentary on Matthew XIX–XXVIII (ICC), Edinburgh 1997, 23: »Members of this class are not literal castrates nor impotent by nature. They are indeed unmar-

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auch in Apg 8 vorauszusetzen ist, dann handelt es sich bei dem »äthiopischen Mann« also um einen Kastraten. Bedeutet dies, dass der Mann damit aufgrund der Bestimmung in Dtn 23,1 f. unzweideutig als Nicht-Jude erwiesen ist?53 Oft wird oft darauf hingewiesen, dass in der LXX der Begriff eyÆnoyÄxow als Übersetzung des hebr. sirÇsÄ auch Bezeichnung für einen Hofbeamten sein könne, und dies offenbar unabhängig von dem körperlichen Status des betreffenden Mannes.54 Zweifellos kann aber mit eyÆnoyÄxow auch der entmannte Hofbeamte gemeint sein. Wenn in 2 Kön 20,17 f. das Wort Jesajas gegen Hiskia überliefert wird, ihm würden die Söhne, die er zeugen werde, genommen werden, und sie würden dann ÕisÇirÇsÄ (eyÆnoyÄxoi) im Palast des Königs von Babel sein, dann scheint die Erwähnung der Zeugung der Söhne (dilÇuT) deren späterem Schicksal bewußt kontrastiert zu sein.55 Der in Esth ÏÇNÄhÅ rmÈw Ï ´ (»Harems2,3 erwähnte Hofbeamte, der als ein sirÇsÄ die Funktion eines Õiw aufseher«) innehat, ist sicherlich ein Eunuch, und dasselbe dürfte auch für die in Esth 2,14; 4,4 f. genannten Männer gelten. In Gen 39,1 wird Potifar nicht nur als sirÇsÄ (eyÆnoy Ä xow) bezeichnet, sondern es wird zusätzlich auch seine spezifische Funktion am Hofe des Pharao genannt (»Oberkoch« oder möglicherweise »Chef ÊÅ56; LXX: aÆrximaÂgeirow), so dass man es für durchaus der Leibgarde«, ÕixÇBÄJÅhÅ rw möglich halten kann, die Bezeichnung sirÇsÄ meine nicht sein »Amt«, sondern er sei wirklich als zeugungsunfähig vorzustellen.57 Eindeutig um Kastraten geht es jedenfalls, wenn in Jes 56,3 f.; Sap 3,14; Sir 20,4; 30,20 von ÕisÇirÇsÄ bzw. von eyÆnoyÄxoi die Rede ist. Dabei ist Jes 56,3.4 von besonderem Interesse. Hier wird gesagt, der sirÇsÄ solle nicht von sich sagen: »Siehe, ich bin ein dürrer Baum«; Gott werde nämlich jenen ÕisÇirÇsÄ (eyÆnoyÄxoi), die Gottes Sabbate halten und die Gottes tirb (diauhÂkh) bewahren, Anteil geben an der Äì oiÍkvì moy kaiÁ eÆn tv Äì teiÂxei moy), und sie würden Heilsgemeinde (dvÂsv ayÆtoiÄw eÆn tv ÏÈuÄ diÄ (LXX: toÂpon oÆnomastoÂn) erhalten (V. 5). Offenin dieser Gemeinde dann Õw sichtlich soll mit dieser Zusage der in Dtn 23,2 ausgesprochenen Norm widersprochen werden, derzufolge »kein an den Hoden Zerstoßener und Verschnittener« in den huhi lhq (LXX: eÆkklhsiÆa kyriÂoy) kommen solle.58 Was bedeutet dies ried, but not because they cannot take a wife but rather because they will not – because the duty placed upon them by the kingdom of heaven is such that it is best discharged outside the confines of marriage.« 53 Vgl. Dtn 23,1 bzw. 23,2. S. dazu unten. 54 Verwiesen wird u. a. auf Gen 39,1; 40,2.7; 1 Sam 8,15. 55 Vgl. Test XII Juda 23,4: eÆktemoy Ä sin eÆj yëmv Ä n eiÆw eyÆnoyÄxoyw taiÄw gynaijiÁn ayÆtv Ä n; diese Formulierung ist eindeutig. 56 Vgl. C. Westermann, Genesis. 3. Teilband Genesis 37–50 (BK I/3), Neukirchen-Vluyn 1982, 57: xBÄJÅ meine »eigentlich Schlächter oder Koch«. 57 Das würde auf die von seiner Frau zu Joseph angestrebte Beziehung ein besonderes Licht werfen. Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten von »Eunuch« bzw. »zeugungsunfähig« vgl. R. Muth, Art. Kastration, RAC 20, Stuttgart 2001, 285 ff., hier vor allem 315 f. 58 E. Nielsen, Deuteronomium (HAT I/6), Tübingen 1995, 220 f.: »Gemeint sind solche, die freiwillig einer Fruchtbarkeitsgottheit dieses Opfer der Selbstverstümmelung gebracht haben«;

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für den religiösen Status des in Apg 8,27 ff. erwähnten eyÆnoyÄxow? Fraglich ist, ob die Bestimmung von Dtn 23,2 in nachexilischer Zeit tatsächlich praktiziert wurde, so dass der aÆnhÁr AiÆuiÂoc als eyÆnoyÄxow schon allein deshalb weder als geborener Jude noch als Proselyt gedacht sein kann und vermutlich auch nicht als »Gottesfürchtiger«.59 Denn zwar steht das prophetische Gotteswort in Jes 56,3.4 in direktem Widerspruch zu der Torabestimmung in Dtn 23,260, aber daraus läßt sich kein sicherer Schluß ziehen für die zur Zeit des entstehenden Urchristentums tatsächlich geübte Praxis61 und erst recht nicht dafür, welche Vorstellung der Erzähler mit der Charakterisierung des aÆnhÁr AiÆuiÂoc als eines eyÆnoyÄxow verbindet.62 Bisweilen wird erwogen, in der ursprünglichen Tradition der Erzählung sei der heidnische Status des äthiopischen Mannes betont gewesen63, während dann Lukas demgegenüber den Aspekt des Eunuchen betont habe, um so zu zeigen, dass die Bestimmung von Dtn 23,2–9 »jetzt überholt« sei und »die Verheißung

durch diese Verbot würden »eigentlich auch die an den königlichen Höfen angestellten ÕisÇirÇsÄ, insofern sie Eunuchen waren (so wahrscheinlich 2 R 8,6; 9,32; 24,12.15), von der ›Gemeinde Jahwes‹ ausgeschlossen«. Gemeint sei mit huhi lhq ursprünglich die Versammlung der israelitischen oder judäischen Landbesitzer, zu denen die Kastraten nicht gehören durften, weil sie auf Nachkommen verzichten mußten. Später sei der Begriff auf die gesamte Volksgemeinde ausgeweitet worden, und daraus resultiere dann »der prophetische Protest Jes 56,3 ff. gegen die Ausschließung der Eunuchen von der Tempelgemeinde Jerusalems in früh-nachexilischer Zeit«. 59 S. dazu unten. 60 Vgl. dazu H. Donner, Jesaja LVI 1–7: Ein Abrogationsfall innerhalb des Kanons – Implikationen und Konsequenzen, in: J. A. Emerton (ed.), Congress Volume Salamanca 1983 (VT. S 36), Leiden 1985, 81–95. Es handele sich um den einzigen Fall von »aktueller Abrogation«: »Ein Passus des schriftgewordenen Gotteswillens« werde »durch einen von Jahwes Autorität erfüllten und getragenen Prophetenspruch außer Kraft gesetzt« (91 f.). Vgl. dazu Chr. Bultmann, Der Fremde im antiken Juda. Eine Untersuchung zum sozialen Typenbegriff ›ger‹ und seinem Bedeutungswandel in der alttestamentlichen Gesetzgebung (FRLANT 153), Göttingen 1992,207–211. Bultmann meint, eine direkte literarische Beziehung zwischen Dtn 23,2 und Jes 56,1–7 lasse sich nicht nachweisen; das Gesetz Dtn 23,2–9 habe in der Diaspora keine Geltung gehabt, und Jes 56 bestätige »jetzt für den jerusalemisch-judäischen Bereich die sakralrechtliche Wirklichkeit, die sich ohne eine Einschränkung durch das dtn Gesetz entwickelt hat« (211). Von Dobbeler, Der Evangelist Philippus (s. Anm 28), 116 f. verweist auf SapSal 3,14 f., wo offenbar die Verheißung von Jes 56 aufgenommen werde (»Selig ist auch ein Entmannter, der nichts Unrechtes tut und nichts Böses gegen den Herrn erdenkt; dem wird für seine Treue eine auserlesene Gabe und ein besseres Los im Tempel des Herrn gegeben werden …«); es sei daher falsch, der Philippus-Mission ein christliches Proprium hinsichtlich der Öffnung der Gemeinde für Fremde und Eunuchen zuzuweisen. 61 Vgl. die Anweisungen in der Mischna Jab VIII sowie die sich daran anschließende Diskussion in der Gemara bJab 70a–76a, die jedenfalls die prinzipielle Geltung von Dtn 23,2 voraussetzt. 62 Nach W. Schmithals, Die Apostelgeschichte des Lukas (ZBK. NT 3.2), Zürich 1982, 84 handelt es sich »um einen Quasi-Israeliten, der als Verschnittener nicht beschnitten werden konnte«, er ist »ein halber Israelit, der ein voller Israelit gerne werden möchte, aber nicht werden kann«. 63 S. o. zu der Überlegung, der Erzählung liege eine Konkurrenzüberlieferung zur CorneliusTradition zugrunde.

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Jes 56,3–5 … sich erfüllt« habe.64 Aber Jes 56 wird in Apg 8,26–40 nicht erwähnt, und der Eunuch wird weder Mitglied der Gemeinde noch erhält er den in Jes 56,3 f. angekündigten Zugang zum Heiligtum; die Erzählung deutet insbesondere auch nicht an, dass der Mann die in Jes 56,3–5 genannten Voraussetzungen für die Zugehörigkeit eines Kastraten zur Heilsgemeinde erfüllt habe.65 Dass es sich bei dem Mann aber dennoch um einen Kastraten handeln und der Begriff eyÆnoyÄxow nicht als ein Titel aufgefaßt werden soll, wird deutlich durch die ergänzende sehr genaue Angabe, er sei dynaÂsthw KandaÂkhw basiliÂsshw AiÆuioÂpvn, die ja noch weiter präzisiert wird durch den Hinweis, er habe die Aufsicht über deren gesamten »Schatz« (gaÂza).66 Die Annahme, dynaÂsthw habe als Erläuterung von eyÆnoyÄxow »für unkundige Leser« zu gelten, ist unbegründet67, zumal dynaÂsthw kein Titel im eigentlichen Sinne ist, sondern generell jemanden bezeichnet, der herrscherliche Funktion ausübt.68 Als ein dynaÂsthw ist der Mann eÆpiÁ paÂshw gaÂzhw ayÆth Ä w gestellt, d. h. er hat in »Äthiopien« die Stellung eines Finanzoder Schatzministers inne. Der Hinweis auf die KandaÂkh, die als basiliÂssa AiÆuiÂopvn bezeichnet wird, läßt KandaÂkh als einen Namen erscheinen. Dies war in der Antike generell die Annahme jener Autoren, die die Kandake erwähnen69, aber 64 Schneider, Apostelgeschichte (s. Anm 32), 500. Vgl. dazu aber den in Anm 60 erwähnten Hinweis von Dobbelers. 65 Nach Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm 49), 275 ist in der Erzählung »die jüdische, gesetzliche Frömmigkeit des Äthiopiers … betont: er pilgert nach Jerusalem, betet im Tempel und liest in der heiligen Schrift«. Selbst wenn diese Deutung zutreffen sollte, entspräche diese Art der Gesetzesobservanz nicht Jes 56,3–5: Dort wird dem Eunuchen zunächst Trost zugesprochen (mhÁ legeÂtv oë eyÆnoyÄxow oÏti eÆgv eiÆmi jyÂlon jhroÂn), und dann ist im Wort Gottes von denjenigen Eunuchen die Rede, die die Grundnormen jüdischer Existenz einhalten, wobei auf den Sabbat und auf den »Bund« verwiesen wird (taÂde leÂgei kyÂriow toiÄw eyÆnoyÂxoiw oÏsoi aÃn fylaÂjvntai taÁ saÂbbata moy kaiÁ eÆkleÂjvntai aÊ eÆgvÁ ueÂlv kaiÁ aÆnteÂxvntai th Ä w diauhÂkhw moy); ihnen wird die Zugehörigkeit zur Gemeinde zugesprochen. 66 So auch Dinkler, Philippus (s. Anm 25), 312. 67 Pesch, Apostelgeschichte (s. Anm. 29), 289 meint, die Bezeichnung des Mannes als eyÆnoyÄxow sei »angesichts des imponierenden Missionserfolgs des Philippus« nur verständlich, wenn sein Status als hoher Beamter betont wird und er nicht, »was doch eher als peinlich zu gelten hätte, als ›der Verschnittene, der Kastrat‹ erinnert wird«. Wo hier die »Peinlichkeit« läge, ist nicht deutlich. Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 49), 271 meint sogar, Lukas habe dynÂasthw hinzugefügt, »um den Mann nicht als Kastraten zu bezeichnen«; aber dann hätte er ihn gerade nicht als eyÆnoyÄxow bezeichnen dürfen. 68 Das Wort dyna  sthw steht in der LXX für viele verschiedene hebr. Begriffe, darunter in Jer 34 Ê (der griech. weicht vom hebr. Text im ganzen erheblich ab). In Gen 50,4 (41),19 offenbar für rw steht dynaÂstai Farav für hebr. hy ÊrÂPÅ tiBÈ, d. h. die Übersetzer begreifen die dynaÂstai als den Hofstaat. In 1 Tim 6,15 wird Gott als oë makaÂriow kaiÁ moÂnow dynaÂsthw bezeichnet, in Lk 1,52 wird von Gott gesagt kaueiÄlen dynaÂstaw aÆpoÁ uroÂnvn, wobei die anschließende Gegenaussage yÏcvsen tapeiÂnoyw anzeigt, dass die uroÂnoi hier nicht allzu wörtlich aufgefaßt zu werden brauchen und dementsprechend auch nicht die dynaÂstai. 69 Vgl. A. Lohwasser, Art. Kandake, DNP 6, Stuttgart 1999, 243. Cassius Dio 54,4 f. berichtet von einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den »Äthiopiern« und Rom, die damit geendet habe, dass »Kandake« zum Abschluß eines Vertrages gezwungen wurde; derselbe Vorgang bei Augustus Res gestae V 26.

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tatsächlich handelt es sich um die titulare Bezeichnung der Mutter des Königs bzw. der Mutter des Thronfolgers im Reich Meroe¨ am Oberlauf des Nils.70 Insofern ist die Angabe in Apg 8,27 nach heutigem Kenntnisstand zwar nicht historisch korrekt, sie entspricht aber dem damaligen allgemeinen Wissen im hellenistisch-römischen Raum. E. Plümacher hat deshalb mit Recht betont, dass die Erzählung ein Beispiel dafür ist, wie Lukas »seine Darstellung gelegentlich durch die Verwendung von Bildungselementen stofflicher Art auszuschmücken sucht«.71 Dieser vom Erzähler so eindringlich und genau vorgestellte aÆnhÁr AiÆuiÂoc war nach Jerusalem gekommen, um dort »anzubeten«72, und er befindet sich nun (V. 28)73 auf der Rückreise. Wie ist proskyneiÄn, bezogen auf den Ort Jerusalem und damit auf den jüdischen Tempel, zu verstehen, wenn doch der Mann offensichtlich kein Jude ist?74 Soll er, obwohl Lukas das mit keinem Wort andeutet, doch als ein »Gottesfürchtiger« gedacht sein? Wie wäre das dann konkret zu denken: Nimmt Lukas an, dass es im Lande der »Äthiopier« jüdische Gemeinden gab, denen sich der dynaÂsthw als ein foboyÂmenow toÁn ueoÂn angeschlossen hatte? Oder hatte er auf einer früheren »Dienstreise« das Judentum kennengelernt und bemühte sich nun darum, die jüdische Glaubens- und Lebenspraxis zu verwirklichen? Es ist wenig wahrscheinlich, dass Lukas den Mann so sehen möchte; denn dann hätte er dies wie in allen anderen Fällen doch wohl ausdrücklich gesagt.75 Aber ist es denkbar, dass Lukas annimmt, der Mann habe auch als »Heide« nach Jerusalem hinaufziehen können in der Absicht, dort »anzubeten«? Das

70 Vgl. vor allem Dinkler, Philippus (s. Anm. 25), 312–314, ferner A. Lohwasser, Art. Meroe¨, DNP 8, Stuttgart 2000, 8. 71 E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte (StUNT 9), Göttingen 1972, 12. AaO. 13: »Spätestens seit der neronischen Nilquellen-Expedition (61–62 n. Chr.) war das Interesse an Nachrichten über Äthiopien so gestiegen, dass seine Befriedigung literaturfähig geworden war und dass man über dieses Thema selbst dann schreiben konnte, wenn man sachlich Neues dazu nicht mehr beizutragen hatte.« Auch Dinkler, Philippus (s. Anm 25), 314 betont, hier werde »ein Stück Bildungsgut der Zeit verwendet«. Ob es aber darum geht, »den Radius der christlichen Mission universal zu gestalten«, soll noch untersucht werden; keinesfalls wird man sagen können, Lukas habe »die Phantasie des Lesers in eine zauberhafte Welt« führen wollen. Ein Finanzminister ist eine sehr nüchtern-profane Gestalt. 72 Zum Part. Fut. proskynh  svn s. F. Blass/A. Debrunner/F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 161984, § 351,1 (»selten und beinahe auf die Apg beschränkt«). 73 Zur Bedeutung der conj. periphr. s. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK III), Göttingen 51965, 260 Anm. 7; Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 49), 272. 74 Dann ist er selbstverständlich auch kein Proselyt. Anders Taeger, Der Mensch und sein Heil (s. Anm 9), 210: »Im Sinne des Lukas kann der Äthiopier nur ein Proselyt sein«, was freilich nicht aus dem Text selber erschlossen werden könne, sondern »nur aus der Gesamtschau der Apg heraus – aus dieser allerdings zwingend«. 75 Anders J. Roloff, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen 1981, 140: »Auch wenn dieser Begriff fehlt, kann doch kein Zweifel daran sein, dass der Eunuch durch sein Verhalten faktisch als ›Gottesfürchtiger‹ gezeichnet werden soll.« Aber warum sagt Lukas das dann nicht?

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Verb proskyneiÄn hat unterschiedliche Bedeutungen: Es kann das »fußfällige Verehren« einer Gottheit oder auch eines Menschen bezeichnen76, aber auch die Verehrung Gottes, ohne dass dabei an eine bestimmte Körperhaltung zu denken ist.77 Konnte ein Nicht-Jude sinnvollerweise eine nicht touristisch, sondern religiös motivierte Reise nach Jerusalem unternehmen, wenn ihm doch am Tempel lediglich der »Vorhof der Völker« zugänglich war78, wie es gerade die Apostelgeschichte sehr handgreiflich schildert (21,28 ff.)? In Joh 12,20 wird jedenfalls ohne weiteres vorausgesetzt, dass »Griechen« (ÏEllhnew) nach Jerusalem kommen konnten, um beim Fest »anzubeten« (Ïina proskynhÂsvsin eÆn thÄì eëorthÄì), wobei der Evangelist nicht andeutet, dass diese ÏEllhnew als Proselyten79 oder auch nur als »Gottesfürchtige«80 zu denken wären.81 Dass Besuche am Jerusalemer Heiligtum zur Zeit des zweiten Tempels durchaus nicht prinzipiell unvorstellbar waren, belegen jüdische Quellen. So heißt es im Mischna-Traktat Scheqalim (I 5), wenn ein Nichtjude oder ein Samaritaner den Schekel (d. h. die Tempelsteuer) entrichte, so werde dies nicht akzeptiert, ebensowenig deren Opfer – wohl aber »gelobte und freiwillige Spenden«.82 Josephus erzählt (Ant III 318), Menschen von »jenseits des Euphrat« hätten lange Reisen unternommen, um in Jerusalem Gott zu opfern; entsprechend der von Mose gegebenen Weisung seien diese Opfer aber nicht akzeptiert worden, da die betreffenden Menschen mit den »väterlichen« gesetzlichen Bestimmungen nicht vertraut gewesen seien.83 Josephus berichtet jedoch auch, Alexander der Große 76 Lk 4,7/Mt 4,9; Apg 10,25 u. o. Vgl. W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch, Berlin 1988, hg. von K. und B. Aland, 1434–1436. 77 Joh 12,20; Apg 24,11. Im außerneutestamentlichen Griechisch ist dieser Sprachgebrauch der häufigere. 78 Man könnte phantasieren: Der Äthiopier hatte angenommen, er könne im Tempel beten, doch mußte er dann feststellen, dass ihm dies verwehrt wurde. Aber die Wendung proskynhÂsvn impliziert doch wohl, dass er seine Absicht hatte verwirklichen können. 79 So aber R. E. Brown, The Gospel according to John. Vol. I (i-xii) (AncB), London 1978,466: Griechen stehe für »Gentiles (in this instance, proselytes), not Helle¯nistai or Greek-speking Jews«. Brown verweist auf Joh 7,35, aber dort sind die ÏEllhnew ja zweifellos Heiden (Brown, 314: »We understand the term to refer to the pagan Gentiles of the Roman Empire who were influenced by Greek culture, and thus to be broader than Greek nationality«). Warum sollte der Begriff in Joh 12,20 anders gemeint sein? 80 So R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK II), Göttingen 101964, 323 Anm. 6. R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium II. Teil. Kommentar zu Kap. 5–12 (HThK IV/2), Freiburg 21977, 478 meint, die Wendung Ïina proskynhÂsvsin spreche dafür, »dass es sich um sog. ›Gottesfürchtige‹ handelt, die das Paschalamm nicht mitessen durften«. Er verweist auf Jos Bell VI 427 (s. dazu unten Anm 83). 81 Eher sind sie als Nicht-Juden vorzustellen, die gerade deshalb sich bei den Jüngern um eine Vermittlung bemühen, um, zu Jesus zu gelangen und gar nicht erst versuchen, sich ihm unmittelbar zu nähern. Jesus kommt im Johannesevangelium ja niemals unmittelbar mit »Heiden« in Kontakt. 82 »Die Regel ist: Was gelobt und gespendet wird, nimmt man von ihnen an, was aber nicht gelobt und gespendet wird, nimmt man von ihnen nicht an«, unter Verweis auf Esra 4,3. 83 In Jos Bell IV 272 ff. sagt Simon, ein Idumäer, in einer Rede, Jerusalem habe allen Fremden 6

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habe im Jerusalemer Tempel in Gegenwart des Hohenpriesters sogar die Proskynese vollzogen84 und Gott ein Opfer dargebracht85; diese Notiz ist unabhängig von der Frage der historischen Zuverlässigkeit des Berichteten für das Verständnis von Apg 8,27 durchaus bedeutsam. S. Safrai folgert aus solchen Belegen jedenfalls, dass das Judentum zur Zeit des zweiten Tempels eine erhebliche Anziehungskraft ausgeübt und »einen integralen Bestandteil des Lebens und Denkens dieser Epoche« ausgemacht habe und dass also weithin »ein Interesse bestand, es aus der Nähe kennenzulernen«.86 Offensichtlicht werden zu jener Gruppe von Menschen, die anläßlich der großen jüdischen Feste nach Jerusalem an das berühmte Heiligtum reisten, ohne selber Juden bzw. Proselyten zu sein, im Vierten Evangelium offenbar die ÏEllhnew von 12,20 und in der Apostelgeschichte der in 8,27 eingeführte aÆnhÁr AiÆuiÂoc gerechnet, ohne dass über die Form der von ihnen in Jerusalem praktizierten Gottesverehrung Näheres gesagt wäre. Der in 8,27 so eingehend beschriebene Mann befindet sich auf der Heimfahrt (V. 28a); man erfährt (V. 28b), dass er »den Propheten Jesaja liest«, d. h. er besitzt ein Exemplar einer Jesaja-Rolle, das er in Jerusalem erworben haben könnte.87 Dass ihn diese Lektüre nun doch als einen »Gottesfürchtigen« ausweisen soll, deutet Lukas durch nichts an; vielmehr legt sich, faßt man die in V. 27.28 gegebenen Informationen zusammen, eine andere Deutung nahe: Lukas denkt den aÆnhÁr AiÆuiÂoc als einen aus einem fernen Land stammenden, wohlhabenden, wenn nicht gar reichen und jedenfalls einflußreichen hohen Beamten, der daran interessiert war und über die Mittel verfügte, den jüdischen Kult unmittelbar am Jerusalemer Tempel kennenlernen und das Judentum von dessen Quellen her studieren zu können.88 Über die Religion, die der Mann in seiner Heimat praktiziert89, ist damit nichts gesagt; sein Besuch in Jerusalem braucht jedenfalls nicht zum Gottesdienst offengestanden (aÏpasi toiÄw aÆllofyÂloiw … eiÆw urhskeiÂan); vgl. Bell VI 427, wo erwähnt wird, dass Nicht-Juden (aÆllofyÂloi), die sich während eines Passafestes in Jerusalem zum Gottesdienst (urhskeiÂa) eingefunden hatten, nicht am Opfer teilnehmen durften. 84 Jos Ant XI 331: proseky  nhsen toÁ oÍnoma kaiÁ toÁn aÆrxiereÂa prv Ä tow eÆspaÂsato. 85 Jos Ant XI 336: a Æ neluvÁn eÆpiÁ toÁ iëeroÁn uyÂei meÁn tv Äì uev Äì. 86 S. Safrai, Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels (FJZD 3), Neukirchen-Vluyn 1981, 110. Zur Pilgerfahrt von Nicht-Juden vgl. den ganzen Abschnitt aaO., 105–111: »Es liegt nahe, dass die Zeit der Wallfahrtsfeste vielen Heiden, die dem Judentum bereits nahegekommen waren, die Gelegenheit bot, demselben vollends beizutreten« (107). Denkbar sei, dass es auch Heiden gab, »die Erstlingsfrüchte an den Tempel brachten. Sicher durften sie diese nicht vor dem Altar schwingen, denn der Zutritt zu demselben war ihnen untersagt, aber sie könnten sie den Priestern übergeben haben« (109). Rabb. Belege bei Safrai, aaO., 111 Anm. 79. Vgl. zum ganzen den Exkurs bei E. Schürer, Geschichte des Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi II, Leipzig 2 1907, 357–363 über »die Beteiligung der Heiden am Kultus zu Jerusalem«. 87 Etwas weitgehend ist die Erwägung von Pesch, Apostelgeschichte (s. Anm. 29), 291, der Leser dürfe »sich gern vorstellen«, dass die Verstehensschwierigkeiten, von denen in V. 31 die Rede sein wird, »auch daher rühren, dass er den Text zum ersten Mal liest«. 88 Barrett, Acts (s. Anm 37), 426 faßt die Charakterisierung des Mannes in der Feststellung zusammen: »He was certainly a rare bird.« 89 Vgl. oben (bei Anm. 44) den Bericht des Diod Sic zur besonderen Frömmigkeit der »Äthiopier«.

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zu bedeuten, dass er sich von seinen »heidnischen« Göttern abgewandt haben müßte. Nach der vorangegangenen breiten Hinführung mit ihren sehr eingehenden Hintergrundinformationen über die Person des aÆnhÁr AiÆuiÂoc wird in V. 29 der nach V. 27aa unterbrochene Bericht von dem sich aktuell vollziehenden Geschehen fortgesetzt: Nun sagt das pneyÄma (nicht wie in V. 26 der aÍggelow kyriÂoy) zu Philippus, er solle sich dem (in V. 28 bereits erwähnten) Wagen nähern. Als Philippus das tut (V. 30a), hört er90, dass der Mann, wie schon aus V. 28 bekannt, »den Propheten Jesaja liest«; er fragt ihn, ob er das Gelesene auch verstehe (V. 30b). Der Angeredete verneint, da ihn ja niemand »führe« (V. 31a).91 Auf Einladung des aÆnhÁr AiÆuiÂoc steigt Philippus auf dessen Wagen (V. 31b), und erst jetzt wird der gelesene Text vom Erzähler im Wortlaut mitgeteilt (V. 32 f.); es handelt sich um Jes 53,7b–8a.92 Unmittelbar im Anschluß an das Zitat reagiert der aÆnhÁr AiÆuiÂoc93 mit der an Philippus gerichteten Bitte94, er möge ihm sagen, von wem der Text spreche (V. 34). Dass er damit »sofort die richtige Frage stellt«, ist keineswegs »wunderbar«95; denn die beiden von ihm genannten Interpretationsmöglichkeiten sind von vornherein naheliegend.96 Als Antwort predigt Philippus, ausgehend von dieser Textstelle, das Evangelium von Jesus (eyÆhggeliÂsato 90 Der geläufigen Auskunft, die Stelle sei ein Beleg für das in der Antike übliche laute Lesen, widerspricht C. Burfeind, Wen hörte Philippus? Leises Lesen und lautes Vorlesen in der Antike, ZNW 93 (2001) 138–145, vor allem 142–144. Leises Lesen sei das Übliche gewesen; wenn Lukas also davon spreche, dass Philippus das Lesen des aÆnhÁr AiÆuiÂoc gehört habe, sei anzunehmen, dass »an einen Mann, der sich vorlesen ließ, gedacht ist« (143, Hervorhebung im Orig.), was ganz dazu passe, dass der Mann als reich und mächtig beschrieben ist. Dass der Mann nicht allein ist, geht aus V. 38 hervor; dass er aber zusätzlich noch einen Vorleser bei sich hat, läßt sich dem Text jedenfalls nicht entnehmen. 91 oëdhgeÂv im übertragenen Sinne Joh 16,13, sonst Lk 6,39/Mt 15,14 und Apk 7,17. 92 Das Zitat entspricht praktisch wörtlich dem LXX-Text (der vom hebr. Text deutlich abweicht); vgl. Barrett, Acts (s. Anm 37), 430. 93 Zu a Æ pokriueiÁw … eiËpen s. Blass-Debrunner-Rehkopf, Grammatik, § 420; die Wendung setzt nicht voraus, dass zuvor eine Frage gestellt worden war; bis V. 32 f. hatte es sich ja nicht einmal um wörtliche Rede gehandelt. 94 Die Wendung deÂomai soy sollte nicht überbewertet werden; gemeint ist nicht »ich flehe dich an« (so aber Pesch, Apostelgeschichte [s. Anm 29], 293), sondern es wird eine höfliche Bitte ausgesprochen (vgl. Apg 21,39; 26,3). 95 So aber Dinkler, Philippus (s. Anm 25), 309. Auch Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm 3), 63 meint, der Eunuch frage, »wie der ideale nichtchristliche Bibelleser fragen soll, aber erst der christliche kann« (Hervorhebung im Orig.). Nach Roloff, Apostelgeschichte (s. Anm. 75), 141 hat hier »ein hermeneutisches Schema des Urchristentums seinen Niederschlag gefunden«. 96 Der Hinweis von Roloff, ebenda, es lägen »keine Ich-Aussagen vor, die man auf den Propheten selbst beziehen könnte«, wird antiken Texten nicht gerecht; sehr häufig spricht ein Erzähler von sich in der 3. Person. Dass die jüdische Deutung, derzufolge in dem Gottesknecht Israel zu sehen sei, nicht als Möglichkeit genannt ist, erstaunt nicht; es fragt ja ein Heide, und der Text spricht dem Wortlaut nach eindeutig von einer einzelnen Person. Im übrigen schließt die Frage nicht die Möglichkeit aus, dass in der Antwort auch auf eine Gruppe verwiesen werden könnte.

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ayÆtv Äì toÁn ÆIhsoyÄn, V. 35); und als sie an ein Wasser (eÆpi ti yÏdvr) kommen, läßt der aÆnhÁr AiÆuiÂoc den Wagen anhalten, und Philippus tauft ihn (V. 38).

Es fällt auf, dass der zitierte Jes-Text von Philippus gar nicht explizit interpretiert wird, d. h. es scheint inhaltlich nahezu bedeutungslos zu sein, von welchem Text die Jesus-Predigt ausgeht97; entscheidend ist offenbar, dass sie grundsätzlich an einen biblischen Text anknüpfen kann98, was nach der Emmauserzählung freilich nicht verwundert (vgl. Lk 24,27; ähnlich 24,44–46). Es fällt ferner auf, dass die Initiative zu der Taufe von dem äthiopischen Eunuchen ausgeht.99 Dabei ist unausgesprochen vorausgesetzt, dass der Eunuch in der Predigt des Philippus auch über das Wesen und die äußere Form der Taufe belehrt worden war. Mit seiner Frage ti kvlyÂei me baptisuhÄnai; bezieht sich der Eunuch aber nicht auf einen möglicherweise vorhandenen Hinderungsgrund für die Taufe; vielmehr stellt er eine im Kontext rein rhetorisch gemeinte Frage, die einer Antwort gar nicht bedarf.100 Dass Lukas voraussetzt, Philippus habe dem Taufbegehren zugestimmt101, ist natürlich richtig, wie schon das gemeinsame Hinabsteigen vom Wagen und das dann folgende schlichte eÆbaÂptisen ayÆtoÂn zeigt; aber es fällt doch auf, dass von einer ausdrücklichen Zustimmung nicht explizit gesprochen ist.102 97 Pesch, Apostelgeschichte (s. Anm 29), 292 meint, es sei »wie ein neues Wunder«, dass eine Passage aus dem Lied vom leidenden Gottesknecht zitiert werde, das »ein für die urkirchliche Christologie zentraler Text« sei; aber gerade dieser Textabschnitt wird lediglich an dieser Stelle zitiert und sonst im NT nirgends. Zur Auslegung von Jes 53,7 f. im Judentum und Urchristentum vgl. von Dobbeler, Der Evangelist Philippus (s. Anm 28), 147–177, der freilich nicht hinreichend beachtet, dass die Stelle in Apg 8 eben nicht »ausgelegt« wird. 98 Man braucht daher auch nicht im einzelnen zu überlegen, warum Lukas gerade diesen Abschnitt ausgewählt hat und noch weniger ist es nötig, die hier fehlende lukanische Textauslegung selber nachzuholen; vgl. M. Rese, Alttestamentliche Motive in der Christologie des Lukas (StNT 1), Gütersloh 1969, 99 f.: Es kann »nur von einer hermeneutischen Verwendung der Schrift geredet werden«, nicht aber etwa davon, dass Philippus die Schrift »im Schema von Weissagung und Erfüllung ausgelegt« habe; Rese meint dann aber doch, der Fortfall von Jes 53,8d in dem Zitat zeige möglicherweise, »dass in der Christologie des Lk die Sühnedeutung des Todes Jesu zurücktritt«. 99 Nach Schneider, Apostelgeschichte (s. Anm. 32), 506 »bittet der Eunuch den Evangelisten um die Taufe«, doch das sagt der Text durchaus nicht. Weiser, Apostelgeschichte (s. Anm. 27), 210 schreibt offenkundig irrtümlich von dem »Befehl des Philippus [!], den Wagen anzuhalten«. 100 Ähnlich fragt Petrus in Apg 10,47 und 11,17. Vgl. Barrett, Acts (s. Anm. 37), 432: Die Frage des Eunuchen »seems to be a fairly common idiom whose meaning differs little from Why not?« Nach Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm 1), 66 ist es »eine plausible Erklärung für 8,36«, dass der Eunuch, »wenn er denn ein Heide war, in diesem Umstand ein Hindernis für seine Taufe sehen konnte«. Das deutet der Text aber durch nichts an. 101 So etwa Pesch, Apostelgeschichte (s. Anm 29), 294. 102 Die sekundäre Ergänzung des Textes (V. 37) zeigt, dass hier später ein Defizit gesehen wurde; etliche Minuskeln, die grundsätzlich der von Codex E bezeugten Lesart folgen, die vom Glauben bzw. vom Bekenntnis des Eunuchen spricht, erwähnen ausdrücklich die Zustimmung des Taufenden (eiÆ pisteyÂeiw … eÍjestin). Dagegen enthält Iren Haer III 12,8 über den ursprünglichen Apg-Text hinaus nur das Bekenntnis des Täuflings (Credo filium Dei esse Iesum), d. h. Irenäus ist kein früher Zeuge für die von E und Minuskeln bezeugte Lesart dieses Textes.

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Unmittelbar nach der Taufhandlung entrückt der Geist des Herrn103 den Philippus; dabei wird als Ziel Asdod genannt104, von wo aus Philippus dann aber seine Missionstätigkeit auf die übliche Weise »in allen Städten« fortsetzt, bis er nach Caesarea gelangt.105 Der »äthiopische« Eunuch seinerseits sah Philippus nicht mehr, denn106 er setzte seinen Weg fort, und zwar »mit Freuden« (xaiÂrvn).107 Stellt die Episode 8,26–40 im Aufriß der Apostelgeschichte womöglich den eigentlichen Beginn der Heidenmission dar, da doch Lukas den aÆnhÁr AiÆuiÂoc offensichtlich als einen »Heiden« denkt, dieser also der erste Nicht-Jude ist, der nach der Darstellung in der Apg die christliche Taufe empfängt? Für eine Antwort auf diese Frage trägt es wenig aus, auf eine möglicherweise verarbeitete Tradition zu verweisen und diese für mögliche innere Widersprüche im Gesamtaufriß der Apostelgeschichte verantwortlich zu machen108; denn die Episode muß ja in jedem Fall als im Kontext von Apg 8–11 sinnvoll plaziert verstanden werden können.109 Der äthiopische Eunuch hat als »Heide« einen religiösen Status, der in dieser Form innerhalb der Apostelgeschichte erst wieder bei der (»ersten«) Missionsreise des Barnabas und des Paulus in den Blick genommen werden wird, in Antiochia Pisidiae (13,44–49). Die grundlegende Differenz liegt darin, dass der 103 pney Ä ma kyriÂoy in V. 39a wirkt wie eine Kombination von V. 26 (aÍggelow kyriÂoy) und V. 29 (toÁ pneyÄma); etliche Handschriften, darunter Ac, haben die Aussage über das pneyÄma dahin modifiziert, dass der Geist »auf den Eunuchen gefallen« sei, und sie sprechen dann wie in V. 26 vom aÍggelow kyriÂoy der Philippus entrückt habe. Vgl. Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm 1), 270 f., der aufgrund der äußeren Kriterien die kürzere Lesart für die ursprüngliche hält. 104 eyëreÂuh eiÆw ÍAzvton unterstreicht den übernatürlichen Vorgang. 105 Welcher Missionar zuerst in Caesarea ist, Philippus oder aber Petrus (10,24), sagt Lukas nicht; anders Schmithals, Apostelgeschichte (s. Anm 62), 86: »Nach Cäsarea kommt Philippus allerdings erst, nachdem Petrus dort das Werk der Heidenmission in Gang gesetzt hat (10,1 ff.).« Richtig ist, dass Lukas von einer Missionstätigkeit des Philippus in Caesarea nicht erzählt. 106 Das ga  r in V. 39b wird in der Exegese gelegentlich mit Erstaunen registriert (Lüdemann, Das frühe Christentum [s. Anm 28], 109, ähnlich Weiser, Apostelgeschichte [s. Anm 27], 211); aber es wird nur gesagt, der Eunuch habe Philippus nicht mehr gesehen, denn er sei weiter gezogen (eÆporeyÂeto gaÁr thÁn oëdoÁn ayÆtoyÄ), während Philippus entrückt wurde (so m. R. Barrett, aaO. [Anm 37], 434). Von daher ist es übrigens wenig wahrscheinlich, dass die Aussage oyÆk eiËden aytoÂn … als eine bewußte Anspielung auf 2 Kön 2,12 anzusehen ist (kai Elisaie eëvÂra … kaiÁ oyÆk eiËden aytoÂn eÍti), denn dort sieht Elisa ja, wie Elia auf einem Feuerwagen in den Himmel fährt, während der Eunuch sich nach seiner Taufe gar nicht mehr um Philippus zu kümmern scheint. 107 Zum Motiv der Freude vgl. G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas (ThHK V), Berlin 1983, 212, der vor allem auf Apg 16,34 verweist. 108 Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm 3), 63 meint, diese Geschichte sei »offenbar in Hellenistenkreisen als erste Bekehrung eines Heiden erzählt« worden und habe mit der Bekehrung des Cornelius konkurriert; Lukas habe sie »so eingeordnet, dass sie nunmehr Präludium zu dieser ist«. Die Bedeutung der Erstbekehrung sei durch das wiederholte Motiv der göttlichen Lenkung eindrücklich gemacht worden. Aber dass es sich um eine erste Bekehrung handelt, ist, anders als in der Cornelius-Erzählung, durch nichts angedeutet. Roloff, Apostelgeschichte (s. Anm 75), 139 meint sogar, die Erzählung habe »in den Kreisen der Hellenisten« dazu gedient, »die Mission unter ›Gottesfürchtigen‹ zu legitimieren und zugleich ihren Vollzug zu normieren«. 109 Schmithals, Apostelgeschichte (s. Anm 62), 84 sieht die ganze Erzählung als redaktionell lukanisch an (Lukas als der erste Erzähler).

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aÆnhÁr AiÆuiÂoc als Individuum auftritt; sein Geschick ist also gerade nicht »typisch für die Bekehrung einer Gruppe von Menschen«, die durch diese Erzählung legitimiert werde.110 Denn weder werden die nach V. 38 vorauszusetzenden Begleiter des Mannes getauft111, noch wird gar angedeutet, dass er nun seinerseits eine missionarische Tätigkeit, womöglich in seiner Heimat »Äthiopien«, aufnimmt.112 Die abschließende Wendung in V. 39a (eÆporeyeto … xaiÂrvn) zeigt ihn einfach als einen Menschen, der aufgrund seines Getauftseins Grund zur Freude hat und der so seinen Weg fortsetzen kann.113 Die Erzählung spricht zwar nicht vom Glauben des Getauften und nicht einmal davon, dass er die in V. 35 erwähnte Evangeliumspredigt des Philippus »angenommen« hatte; aber da er es ist, der in V. 36 nach V. 31a abermals die Initiative ergreift, wird sein Wunsch, getauft zu werden, doch implizit als Zeichen seines Glaubens gewertet werden dürfen.114 Im Sinne der Apostelgeschichte ist der Eunuch als ein Mensch mit religiösem Interesse zu verstehen. Dieses Interesse hatte weder am Heiligtum in Jerusalem und noch durch die Lektüre des prophetischen Textes eine angemessene Antwort 110 So aber Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm 49), 274. Nach den Samaritanern folgen nun, so Jervell, »die Proselyten«, die zwar »rechtlich als Juden gelten«, von Lukas aber doch von den »(echten) Juden« getrennt würden (275). Nunmehr bestehe die Kirche »aus frommen Juden und Proselyten«. Jervell folgt hinsichtlich der Frage der Tradition dann der oben (Anm 108) referierten These Conzelmanns. 111 Vgl. dagegen 10,44–48; 16,33. 112 Dies wird in der Exegese vielfach angenommen. Dinkler, Philippus (s. Anm 25), 309: »Auf der Grenze zwischen Asien und Afrika … wird das ›Wunder‹ der Durchbrechung des jüdischen Partikularismus innerhalb der Urkirche nun Wirklichkeit, wenn auch der Vollzug des Weges gen Aithiopien nur angedeutet bleibt.« Ähnlich aaO. 312. Modifiziert aaO., 314: Es geht Lukas nicht um die Christianisierung des äthiopischen Reiches, »sondern der Akzent liegt auf der Bekehrung eines nichtjüdischen Äthiopen und der Fortsetzung seines Weges in Richtung auf seine Heimat am Ende der Welt«. Pesch, Apostelgeschichte (s. Anm 29), 294 meint, Irenäus und Euseb hätten »die Intention des Textes wohl richtig verstanden, als sie ihn [sc. den Eunuchen] als ersten Missionar seiner Heimat bezeichneten«. Bei Iren Haer III 12,8 heißt es geradezu, der Mann sei in die Regionen Äthiopiens geschickt worden, um dort den von den Propheten gepredigten Einen Gott und die Inkarnation seines Sohnes zu verkündigen (missus est in regiones Aethiopiae, praedicaturus … deum quidem unum per prophetas praedicatum, huius vero filium fecisse secundum hominem …). Vor allem das missus zeigt, wie weit sich diese Darstellung vom Apg-Text und ganz offenkundig auch von dessen Intention entfernt. Vgl. Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm 1), 67: »Der Äthiopier wird nicht in die Jüngergemeinde aufgenommen, sondern kehrt in seine ferne Heimat zurück, und da nach seiner religiösen Zugehörigkeit nicht explizit gefragt wird, liefert die Begebenheit nicht einmal einen zweifelsfreien Präzedenzfall.« 113 Es ist wenig wahrscheinlich, dass Lukas in der Bekehrung des a Æ nhÁr AiÆuiÂoc die »Erfüllung« der Verheißung von Ps 68(67),32 sieht, wo gesagt wird, Ägypten und Äthiopien würden zur Verehrung des Gottes Israels gelangen (hÏjoysin preÂsbeiw eÆj AiÆgyÂptoy AiÆuiopiÂa profuaÂsei xeiÄra ayÆth Ä w tv Äì uev Äì). Dinkler, Philippus (s. Anm 25), 314 meint mit Blick sowohl auf Ps 68,32 wie auch Jes 56,3–5 (s. o.), »die Nichterwähnung der alttestamentlichen Stellen« spreche »nicht gegen einen solchen Bezugshintergrund«. 114 So m. R. Schille, Apostelgeschichte (s. Anm 107), 211, der auf die Auslegung Bengels verweist: intus fides, foris aqua praesto erat.

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gefunden; »fröhlich« wurde er erst durch die Jesus-Predigt des Philippus, die freilich gerade an seine Bibellektüre anknüpft, und durch seine Taufe.115 Darum brauchte Lukas keinerlei Bedenken zu haben, diese so ausführlich von der Taufe eines Heiden berichtende Erzählung schon an dieser Stelle zu bringen und dennoch den eigentlichen Beginn der Heidenmission (unter »Gottesfürchtigen«!) erst in 10,1 ff. folgen zu lassen.116 Im Gegenteil: Die Erzählung konnte im Aufriß der Apg überhaupt nur hier, jedenfalls vor 10,1–11,18, zu stehen kommen; denn nach der Bekehrung des Saulus und zumal nach der Darstellung des Beginns einer geregelten Heidenmission hätte eine so stark an einer Einzelperson interessierte Erzählung gar keinen angemessenen Platz mehr gehabt. Lukas versteht den aÆnhÁr AiÆuiÂoc offensichtlich als Modell für die an einzelnen Menschen aus den »Völkern« gerichtete Missionspredigt. Lukas will zeigen, dass das religiöse Interesse, die religiöse »Neugier«, durchaus ein Punkt sein kann, an den die Predigt anknüpft. Insofern berührt sich die Erzählung sachlich mit der Szene aus dem Athener Areopag (17,16–34), wo ja in ähnlicher Weise geschildert wird, wie die christliche Predigt sich positiv auf ein religiöses Interesse der Menschen beziehen kann.

115 Zur Logik von V. 35 vgl. bis in die Formulierung hinein Lk 24,27. Auf die Entsprechungen zwischen der Emmaus-Erzählung und der Erzählung in Apg 8,26–40 wird häufig verwiesen; vgl. dazu von Dobbeler, Der Evangelist Philippus (s. Anm 28), 109–111, der allerdings m. R. betont, dass das verbindende Element eigentlich nur »die zentrale Bedeutung [sei], die in den beiden Geschichten der christologischen Schriftauslegung für das Verständnis des gewaltsamen Todes Jesu beigemessen wird«. 116 Vgl. Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm 1), 67, der meint, es habe in der Absicht des Lukas gelegen, »der Bekehrung des Kornelius durch Petrus die durch Philippus vermittelte Bekehrung eines anderen voranzustellen, der vielleicht, wenn auch keineswegs sicher, ebenso ein Heide war«. Die Unklarheit scheine »im weiteren Kontext der Erzählung einen guten Sinn zu haben«.

III Studien zum Johannesevangelium

Einleitung Der Aufsatz unter dem Titel »Gemeinde und Welt im Johannesevangelium«, ein Beitrag zu der 1980 erschienenen Festschrift für Günther Bornkamm, nimmt die Ende der 1960er Jahre von Ernst Käsemann in seiner Studie »Jesu letzter Wille nach Johannes 17« angestoßene Diskussion zur Christologie des Johannesevangeliums auf, an der sich vor allem auch Günther Bornkamm selber beteiligt hatte, worauf Käsemann umgehend reagierte.1 Käsemanns These, das Johannesevangelium vertrete einen »naiven Doketismus«, war eine historisch-exegetische Feststellung, sie enthielt aber zugleich auch einen theologischen Vorwurf. Dem entsprechend bezog sich die Debatte häufig auf Grundfragen der Theologie des Vierten Evangeliums insgesamt. In meinen Überlegungen stelle ich die Frage, ob nicht einer doketische Christologie eine in ähnlicher Weise »doketische« Anthropologie und auch eine entsprechende Ekklesiologie, also ein Verständnis der Gemeinde als einer Größe außerhalb der Welt, entsprechen müßte: Wenn der johanneische Christus gar nicht wahrhaft Mensch war, dann kann seine Gemeinde nicht wahrhaft Teil der Welt sein; das Johannesevangelium müßte einen Dualismus vertreten, der jegliche Zuwendung der Gemeinde zur Welt als unmöglich ansieht. Takashi Onuki2 hat in seiner 1984 publizierten Monographie zu unserem Thema erklärt, die johanneische Gemeinde interessiere »sich nicht für die Lage der Welt vor dem Offenbarungsgeschehen, ja besser: vor dem Gekommensein Jesu«, sondern für sie sei die Welt »durchweg die Welt nach dem Offenbarungsgeschehen«.3 Das bedeute aber, dass die nachösterliche Verkündigung der Gemeinde »ein erneuter Anruf des in ihr sich selbst verkündigenden Jesus Christus an die Welt« ist: »Mit diesem Anruf will er sie herausführen aus dem Zustand des Ge1 S. die Literaturangaben unten 260 Anm. 1 und 2. Ausgehend von der Frage nach der johanneischen Eschatologie wird die im Anschluß an Käsemanns Erwägungen geführte exegetischtheologische Diskussion von Jörg Frey, Die johanneische Eschatologie. Band I. Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus (WUNT 96), Tübingen 1997, 160–170, vor allem 166 f. referiert. Zur direkten Auseinandersetzung mit Käsemann vgl. auch Esther Straub, Kritische Theologie ohne ein Wort vom Kreuz. Zum Verhältnis von Joh 1–12 und 13–20 (FRLANT 203), Göttingen 2003, 18–24. 2 Takashi Onuki, Gemeinde und Welt im Johannesevangelium. Ein Beitrag zur Frage nach der theologischen und pragmatischen Funktion des johanneischen »Dualismus« (WMANT 56), Neukirchen-Vluyn 1984. 3 Onuki, Gemeinde (s. die vorige Anm.), 213.

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III. Studien zum Johannesevangelium

richtetseins und der Finsternis hinein in die Gemeinde und ins dort gegenwärtige Heil, kurz: ins Licht.« Dabei richte sich dieser Anruf »keineswegs allein an die zum Heil prädestinierten und in der Welt verborgenen oder zerstreuten Gotteskinder«, sondern er richte sich »ausnahmslos an jeden einzelnen …, damit also auf die gerichtete Welt selbst«.4 Onukis Buch schließt mit der Feststellung: »Resignation vor der ungläubigen Welt war ausgeschlossen.«5 Jürgen Becker hat in der 1991 erschienenen 3. Auflage seines JohannesKommentars einen Exkurs zur Frage »Doketische Christologie im Joh?« neu eingefügt.6 Darin zeigt er, dass das theologiegeschichtlich als »Doketismus« bezeichnete Problem und der damit verbundene innergemeindliche Streit zwar im Ersten Johannesbrief seinen Niederschlag gefunden hat7, dass aber das Johannesevangelium keine Spuren davon erkennen läßt. Zwar sei für die dem Brief theologisch nahestehende »Kirchliche Redaktion« des Johannesevangeliums »die These einer Frontstellung gegen den Doketismus historisch denkbar«, doch in den entsprechenden Texten lasse sich dies nicht nachweisen.8 In meinem Aufsatz gehe ich von der Annahme aus, das Johannesevangelium sei in seiner vorliegenden Form literarisch gewachsen (»Diachronie«). Allerdings spreche ich statt von einer womöglich als Zensur vorzustellenden »Kirchlichen Redaktion« von einem »Herausgeber«, auf den die Endgestalt des Evangeliums zurückgeht. Die Annahme eines Wachstumsprozesses des Evangeliums wird in unterschiedlicher Weise vielfach vertreten.9 Ein neuer Ansatz ist dabei die vor allem von Jean Zumstein vorgetragene Interpretation, wonach sich eine »re-lec4

Onuki, Gemeinde, 215. Onuki, Gemeinde, 218. 6 Jürgen Becker, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 11–21 (ÖTK 4/1.2), Gütersloh und Würzburg 31991, 745–752. 7 Becker, Joh (s. die vorige Anm.), 750 f. Becker nimmt m. R. an, dass die JohBriefe nach dem JohEv verfaßt wurden. 8 Becker, Joh, 751. 752: »Wer also in Joh 6,51–58; 11,33c. 35; 19,34 f.; Joh 20 … die Leiblichkeit Jesu als sakramentale, irdische und postmortale Wirklichkeit ausgezeichnet findet, hat noch keinen aktuellen antidoketischen Grundzug begründet.« Sicher tauche das Problem erst im 1 Joh auf. 9 Vgl. dazu Konrad Haldimann/Hans Weder, Aus der Literatur zum Johannesevangelium 1985–1994. Erster Teil: Historische Situierung und diachrone Analysen, ThR 67 (2002) 328–348.425–456. – Eine über einen sehr langen Zeitraum sich erstreckende Entstehungsgeschichte von den ersten Quellen bis zur abschließenden späten »Lieblingsjünger-Redaktion« hat Walter Schmithals, Johannesevangelium und Johannesbriefe. Forschungsgeschichte und Analyse (BZNW 64), Berlin/New York 1992 rekonstruiert; vgl. dazu Andreas Lindemann, Das Johannesevangelium in neuer Sicht. Zu einem neuen Buch von Walter Schmithals, RKZ 133 (1992) 301–309, ferner die kritische Darstellung bei Frey, Eschatologie I (s. Anm. 1), 381–387. Auch Martin Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag zur Apokalypse von Jörg Frey (WUNT 67), Tübingen 1993 vermutet, freilich auf andere Weise, dass das Joh sich zwar nicht unterschiedlichen Autoren verdankt, aber doch das Ergebnis eines längeren Prozesses der Arbeit »des Gründers und Schulhaupts der johanneischen Schule« ist (aaO., 2). Vgl. dazu Andreas Lindemann, Die johanneische Frage und der Versuch einer Antwort. Zu einem Buch von Martin Hengel, RKZ 136 (1995) 75–81. 5

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ture«, also eine Selbstinterpretation von Aussagen innerhalb des Evangeliums, beobachten lasse.10 Dass zumindest das Kapitel Joh 21 nachträglich an das ursprünglich mit 20,30 f. abgeschlossene Werk angefügt wurde, wird nach wie vor von vielen für evident gehalten.11 Andere sehen dagegen Joh 1–21 für literarisch völlig kohärent an12 – eine These, die jetzt mit besonderem Nachdruck von Hartwig Thyen in seinem Kommentar vertreten wird.13 Aber die Argumentation insbesondere Zumsteins zugunsten eines Redaktionsprozesses, der insbesondere in Joh 21 sichtbar werde, scheint mir nach wie vor überzeugend zu sein14, und es ist auch wahrscheinlich, dass die Korrektur der Aussage über Jesu Tauftätigkeit in Joh 4,1 f. sowie der Schlußabschnitt der »Brotrede« in Joh 6,51c–58 mit seinen deutlichen Bezugnahmen auf das eucharistische Mahl nachträglich in das Evangelium eingefügt wurden; weitere größere literarkritische Operationen sind dagegen m. E. nicht unbedingt erforderlich.15 Im Blick auf die Frage nach dem »naiven Doketismus« spielt vor allem die Auslegung von Joh 1,14 in Verbindung mit 3,16 eine wesentliche Rolle.16 Klaus Wengst meint, die Aussage in 1,14 (»das Wort ward Fleisch«) legitimiere »nicht die christlich beliebt gewordene Redeweise von der ›Menschwerdung Gottes‹«; Johannes spreche vielmehr »von der Fleischwerdung des Wortes« in der Weise, wie er in 1,1 f. zwischen Gott und Wort »einen differenzierten Zusammenhang aufgewiesen« hatte. Wengst gelangt so zu folgender Auslegung: »Gott teilt sich wirklich in der Konkretheit des Menschen Jesus von Nazaret mit, aber es bleibt indirekte Mitteilung, vermittelt durch Auftreten und Schicksal dieses Men-

10 Jean Zumstein, Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, Zürich 1999. 11 Vgl. die Problembeschreibung bei Frey, Eschatologie I (s. Anm. 1), 446–451. Klaus Wengst, Das Johannesevangelium. 1. Teilband: Kapitel 1–10 (ThKNT 4/1), Stuttgart 2000, 30 f. sieht Joh 21 als einen Nachtrag zum fertigen Evangelium an, ebenso Udo Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig 32004, 13 f. Beide legen Joh im übrigen »synchron« aus. 12 Vgl. Christian Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21 (WUNT II/69), Tübingen 1994, vor allem 313–344. Zur Forschung vgl. Konrad Haldimann/Hans Weder, Aus der Literatur zum Johannesevangelium 1985–1994. Zweiter Teil: Synchrone Analysen, ThR 69 (2004) 75–115. 13 H. Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005. Joh ist für ihn ein »intertextuelles Spiel« mit den synoptischen Evangelien; diese sind die »Quellen« des Joh. 14 Vgl. Zumstein, Erinnerung (s. Anm. 10), 192–216. Zumstein betont m. R., dass Joh 21 keine Korrektur der Theologie des Evangelisten enthält, »sondern deren Legitimität aufzeigen« will (aaO., 214). 15 Das gilt insbesondere auch für die Frage einer »Umstellung« der Kap. 5 und 6 und für das Nebeneinander von »präsentischer« und »futurischer Eschatologie« in 5,24–29. Vgl. dazu D. R. Sadananda, The Johannine Exegesis of God. An Exploration into the Johannine Understanding of God (BZNW 121), Berlin/New York 2004, 74–79. In 5,24 ff. sei vom ewigen Leben der Glaubenden die Rede, 5,28–29 dagegen »speak about the concern of the community for those who do not believe«; es sei nicht nötig, hier mit zwei einander entgegengesetzten eschatologischen Vorstellungen zu rechnen. 16 Vgl. dazu Thyen, Johannesevangelium (s. Anm. 13), 90: Über die sachgemäße Interpretation des Joh wird »bereits durch die Auslegung des nur diese fünf Worte umfassenden lapidaren Satzes kaiÁ oë loÂgow saÁrj eÆgeÂneto entschieden«.

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III. Studien zum Johannesevangelium

schen.«17 Damit aber ist das Gewicht der Wendung saÁrj eÆgeÂneto unterschätzt; denn das aus 1,14 zu gewinnende Bild des inkarnierten loÂgow geht über die von Wengst offenbar implizierte Vorstellung, Jesus sei ein Prophet, deutlich hinaus. Udo Schnelle sieht bei Wengst denn auch m. R. eine »bewußte Minimierung der joh. Christologie«, eine Auslegung, die »bereits an Joh 1,1 und 1,18« scheitere.18 Schnelles eigene Auslegung, Jesu Menschlichkeit sei bei Johannes »ein Prädikat seiner Göttlichkeit. Jesus ist Mensch geworden und zugleich Gott geblieben: Gott im Modus der Inkarnation«19, scheint mir freilich umgekehrt über das im Text Gesagte hinauszugehen.20 Die anschließende Aussage: Jesus »wurde Mensch ohne Abstand und Unterschied, Mensch unter Menschen. Zugleich ist er Gottes Sohn, auch zu ihm ohne Abstand und Unterschied«, trifft aber m. E. das in 1,14 und überhaupt in der Christologie des Johannesevangeliums Gemeinte.21 Richtig ist der Hinweis von Thyen, dass 1,14 nicht »antidoketisch« gemeint ist.22 In 3,16 spricht der Evangelist von Gottes Liebe zum koÂsmow. Wengst meint, der in 3,16 erwähnte Weg Jesu sei »äußerst partikular. Doch weil er der Liebe Gottes zur Welt entspringt, zielt er auf größte Weite«, und Wengst fährt dann fort: »Wir können den Vers heute so lesen: Durch diesen Weg Jesu findet die – nicht-jüdische – Welt zum Gott Israels; und indem sie so von Gott gefunden ist, geht sie nicht verloren.«23 Für die Annahme, bei Johannes seien mit koÂsmow nur die eÍunh gemeint, spricht aber gar nichts; es wäre im Sinne des Vierten Evangeliums geradezu ein Ausschluß Israels vom Heil ausgesagt, wenn in 3,16 Israel nicht als zum koÂsmow gehörend verstanden wäre.24

Wesentliche Aussagen zu unserem Thema finden sich in Jesu Abschiedsgebet Joh 17. Jürgen Becker, der dieses Kapitel als einen »vierten Nachtrag« zu der ursprünglich nur 13,31–14,31 umfassenden Abschiedsrede ansieht25, verweist darauf, dass die Aussage in 17,18 (Jesus hat die Seinen eiÆw toÁn koÂsmon gesandt) oft fehlgedeutet werde: Man verstehe »V 18 gern als Mission in der Welt und für sie und möchte mit Hilfe von V 18 den deterministisch-exklusiven Kirchenbegriff aus Joh 17 überhaupt aufsprengen«. Wer von 3,16 her die Sendung Christi so verstehe, könne »kraft der Analogisierung von Christi Sendung und der Jünger 17 Wengst, Johannesevangelium I (s. Anm. 11), 61 f. Wengst stellt unmittelbar darauf m. R. fest, es gehe »dem Evangelisten nicht um die Vergöttlichung Jesu – und schon gar nicht um die Vergottung der an ihn Glaubenden«. Wird diese dogmatische Auslegung von Joh 1,14 in der gegenwärtigen Exegese vertreten? 18 Schnelle, Johannesevangelium (s. Anm .11), 48 f. Anm. 108. 19 Schnelle, Johannesevangelium, 48. 20 Dass Jesus Gott sei, sagt Joh nicht – und gerade der Kontext von 20,28 (Thomas sagt: oë kyÂrioÂw moy kaiÁ oë ueoÁw moy) bestätigt dies: … Ïina pisteyÂhte oÏti ÆIhsoyÄw eÆstin oë xristoÁw oë yiëoÁw toyÄ ueoyÄ (20,31) vgl. dazu Sadananda. Exegesis (s. Anm. 15), 14–19. 21 Schnelle, Johannesevangelium (s. Anm. 11), 48. Vgl. Sadananda, Exegesis, 196: 1,14 »marked a contemporary revolution in the understanding of God. It spoke of God risking Himself to be a human!« 22 Vgl. Thyen, Johannesevangelium (s. Anm. 13), 91. 23 Wengst, Johannesevangelium I (s. Anm. 11), 138. 24 Vgl. Sadananda, Exegesis (s. Anm. 15), 228. 25 Zweifellos ist die Spannung zwischen 14,31 und 15,1 unübersehbar und damit die Möglichkeit des ursprünglich direkten Übergangs von 14,31 zu 18,1 nicht ausgeschlossen; aber Joh 15–17 weisen kein so spezifisches theologisches Profil auf, dass die Annahme einer sekundären Ergänzung oder »re-lecture« unabweisbar wäre.

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Sendung in V 18 entsprechend deuten«, aber damit trage man »in Joh 17 ein, was das Gebet gerade nicht sagt. Man muß vielmehr die Sendung Christi aus Joh 17 selbst inhaltlich bestimmen und dann die Analogie ziehen.«26 Doch selbst wenn Joh 17 tatsächlich auf einen späteren Autor zurückgehen sollte, so wäre von diesem doch gleichwohl 3,16 sachlich vorausgesetzt. In der ganz ähnlich tendierenden Aussage in Joh 17,20 f. (… Ïina oë koÂsmow pisteyÂhì …) sieht Becker einen weiteren »Nachtrag«; denn dass »die Welt glauben soll, daß Jesus Gesandter des Vaters ist, deckt sich weder mit dem Gebet überhaupt noch mit V 23«.27 Aber es scheint mir methodisch problematisch zu sein, Joh 17 zuerst zu isolieren und dann von daher auszulegen, statt vom gegebenen Zusammenhang auszugehen.28

Der Aufsatz »Mose und Jesus Christus. Zum Verständnis des Gesetzes im Johannesevangelium«, geschrieben für die Festschrift für Jürgen Becker, verdankt sich nicht zuletzt der innerchristlichen Debatte über das Verhältnis von Christentum und Judentum. In dieser Diskussion spielt bisweilen die Frage eine Rolle, ob durch die Aussage in Joh 1,17: »Das Gesetz ist durch Mose gegeben (eÆdoÂuh), die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden (eÆgeÂneto)« ein Nacheinander oder sogar Nebeneinander von Mose und Christus ausgesagt wird, oder ob das von einigen Handschriften gelesene adversative de zwar vielleicht nicht textgeschichtlich ursprünglich ist, wohl aber die Aussageabsicht des Johannesevangeliums angemessen wiedergibt. Klaus Wengst sieht die beiden Aussagen in 1,17 »ganz parallel formuliert«; das jeweils den Schluß bildende Prädikat »in einer grammatisch passiven Form« weise »auf Gott als logisches Subjekt«29: »Gott ist gnädig Gebender durch Mose und durch Jesus Christus.«30 Zwar könne das in V. 17b verwendete Verb giÂnomai die Bedeutung »entstehen« haben, doch könne es auch »kommen« bedeuten, wie durch 1,6.15 belegt werde. Aber durch diese Auslegung ist die in 1,17 offenkundig bewußt eingeführte Differenz zwischen den beiden Aussagen unzulässig eingeebnet, insofern mit eÆdoÂuh einerseits und eÆgeÂneto andererseits etwas Unter-

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Becker, Johannesevangelium (s. Anm. 6), 627. Becker, Johannesevangelium, 628. Der Zusatz stehe freilich nahe beim Evangelisten und zugleich im Abstand zu der in Joh 17 zu Wort kommenden Kirchlichen Redaktion (629). Aber ist es dann nicht am nächstliegenden, den ganzen Text ein und demselben Autor (dem »Evangelisten«) zuzuweisen? 28 Vgl. zur Auslegung Christina Hoegen-Rohls, Der nachösterliche Johannes. Die Abschiedsreden als hermeneutischer Schlüssel zum vierten Evangelium (WUNT II/84), Tübingen 1996, 230–255, näherhin: 244–247. Vgl. auch J. Zumstein, L’E´vangile selon Saint Jean (13–21) (CNT Ivb), Gene`ve 2007, 179: »le monde est invite´ a` rejoindre le cercle des disciples.« 29 Wengst, Johannesevangelium I (s. Anm. 11), 71.72. 30 Wengst, Johannesevangelium I, 72. Dass Mose in 1,17 erwähnt wird, gehe darauf zurück, dass schon in 1,14.16 von »Gnade und Treue« gesprochen worden war; es legte sich von daher »nahe, nun auch ausdrücklich von der Gabe der Tora durch Mose zu sprechen«, auch wenn das Gewicht der Aussage für den Evangelisten »natürlich« auf dem zweiten Satz von 1,17 liege. 27

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schiedliches ausgesagt wird: Jesus Christus hat Gnade und Wahrheit eben nicht »gegeben«, sondern er »verkörpert« sie.31 Nach Udo Schnelle ist 1,17 »antithetisch aufgebaut«; es werde »der Absolutheitsanspruch der Offenbarung Gottes in Jesus Christus proklamiert und zugleich die heilsmittlerische Funktion des Mose relativiert, die sich auf die bloße Übergabe des Gesetzes beschränkt«. Hier wie dort sei von »einem Akt Gottes« die Rede, doch stehen »die ›Mittler‹ Mose und Jesus Christus in einem strikten Gegensatz«.32 Es gebe also »keine heilsgeschichtliche Kontinuität«, sondern »die Christen stehen unter der Gnade und der Wahrheit, nicht unter dem Gesetz«.33 Aber diese Auslegung ist insofern problematisch, als sie eine definitive Differenz zwischen »Juden« und »Christen« voraussetzt, die es so für das Johannesevangelium offensichtlich nicht gibt. Richtig ist jedoch, dass in 1,17 nicht so etwas wie eine »Zwei-Wege-Lehre« zum Heil vertreten wird, als sei die Tora durch Mose dem Volk Israel gegeben und »Gnade und Wahrheit« der übrigen Menschheit durch Christus vermittelt worden. Eine differenzierte Untersuchung des Mosebilds im Johannesevangelium hat Stefan Schapdick vorgelegt.34 Er sieht in 1,17 Indizien »einer internen jüdisch/judenchristlichen Auseinandersetzung darüber …, was Offenbarung ist und wo für Israel und die gesamte Menschheit das Heil gefunden werden kann«; letztlich gehe es »um die mögliche oder nicht mögliche Vermittlung christlicher mit der jüdischen Identität«. Vor allem aus Joh 4 lasse sich erkennen, dass für die joh Gemeinde »ihr Glauben an die Gottesoffenbarung Jesu keinerlei Gegensatz zur jüdischen Tradition« bildet; der Christus-Glaube sei für sie im Gegenteil »der einzige Weg, diese zu bewahren«.35 Das verbinde sich aber »mit der Intention totaler Inanspruchnahme«, und zwar unter dem Postulat: »Der Gott Israels, der Gott des Mose, ist der Gott des fleischgewordenen Logos von Joh 1,1.14.« Was das inhaltlich bedeute, gehe allerdings erst aus den weiteren Aussagen im Johannesevangelium hervor.36 Schapdick interpretiert die einzelnen Texte, wo von Mose gesprochen wird, in ihrem größeren Rahmen, und kommt zu dem Ergebnis: »Der Gott Israels ist der Gott der Christusgläubigen; der Gott des Mose ist daher niemand anderes als der Gott Jesu«; dementsprechend habe das Johannesevangelium »überhaupt kein Interesse, die religiöse Autorität bzw. Bedeutung des Mose in Frage zu stellen bzw. das Gesetz abzuschaffen«, doch dabei bestimme »sich die Funktion des Mose bzw. des Mose-Gesetzes im Wesentlichen durch die Zeugenschaft für die Gottesoffenbarung Jesu«.37

31 Auch in 1,15 heißt eÆgeÂneto im Munde des Täufers nicht, der von ihm Bezeugte sei »vor mir gekommen«, sondern die Aussage verweist auf die Präexistenz. In 1,6 bezieht sich eÆgeÂneto … aÆpestalmeÂnow auf das Auftreten des von Gott gesandten Menschen; man kann daraus nicht folgern, giÂnomai heiße allgemein »kommen« im Sinne etwa von eÍrxomai. 32 Schnelle, Johannesevangelium (s. Anm. 11), 52. 33 Schnelle, Johannesevangelium, 53. 34 Stefan Schapdick, Autorität ohne Inhalt. Zum Mosebild des Johannesevangeliums, ZNW 97 (2006) 177–206. 35 Schapdick, Autorität (s. die vorige Anm.), 184. 36 Schapdick, Autorität, 185 f. 37 Schapdick, Autorität, 202 f. Mose »legt Zeugnis ab für Jesus« (aaO., 203).

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Schapdick kommt zu dem Ergebnis, dass das Johannesevangelium an Mose selber oder »an bestimmten Sachinhalten des Mose-Gesetzes … kaum spezifisches Interesse« zeige, und so sei dieses Mosebild »relativ inhaltsleer«38, Mose sei eine »Autorität ohne Inhalt«. Aber damit ist der Akzent unterschätzt, auf den Schapdick selber m. R. hinweist: Wenn Mose und das Gesetz in der Sicht des Johannesevangeliums wirklich »Zeuge« ist für die Christusoffenbarung, dann entspricht das zwar nicht dem Selbstverständnis der Tora, aber als »inhaltsleer« wird man diese Zeugenfunktion kaum bezeichnen dürfen.

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Schapdick, Autorität, 205.206.

Gemeinde und Welt im Johannesevangelium I 1. Eines der zahlreichen umstrittenen Themen in der Diskussion über die theologische Interpretation des Johannesevangeliums ist die von E. Käsemann sehr nachdrücklich verfochtene These, das vierte Evangelium vertrete in seiner Christologie einen »naiven Doketismus«1. Diese These ist vor allem deshalb bedeutsam, weil sie nicht lediglich einen Teilaspekt der johanneischen Theologie betrifft, sondern diese als ganze. In seiner Kritik an Käsemann hat G. Bornkamm2 denn auch mit Recht betont, es reiche nicht aus, dem hier entworfenen geschlossenen Bild der Theologie des Joh einfach »diese und jene Einzelaussage, die sich doch auch im Evangelium finde«, entgegenzuhalten3. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn es stimmen sollte, daß das joh Reden von Jesus – und sei es auch nur: »naiv« – doketistisch ist, dann ist jedenfalls zu erwarten, daß sich diese Tendenz auch in anderen Bereichen theologischen Redens im Joh zeigt. Ein besonders geeigneter Prüfstein scheint dabei die Ekklesiologie zu sein: Lehrt der Evangelist, Jesus sei der über die Erde schreitende, aber nicht in sie eingehende Gott, so müßte er ähnlich auch von der Gemeinde dieses Jesus reden – und Käsemann behauptet, daß es sich in der Tat so verhält. Auch in der Ekklesiologie setzte sich »jener naive, also noch nicht reflektierte und grundsätzlich bekannte4 Doketismus fort, den wir für die johanneische Christologie behaupteten«5. Zur Begründung dieser These macht Käsemann zunächst einmal darauf aufmerksam, daß Joh offenbar überhaupt »keine explizite Ekklesiologie zu entwikkeln scheint«6; die Kirche werde vielmehr »seltsam betont unter dem Blickwinkel 1 E. Käsemann, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen 1966, 51 f.132–135 (in der 3., 1971 erschienenen und vor allem im Anmerkungsteil erweiterten Auflage: 61–64. 154–156; im folgenden werden jeweils beide Auflagen berücksichtigt). 2 G. Bornkamm, Zur Interpretation des Johannes-Evangeliums. Eine Auseinandersetzung mit Ernst Käsemanns Schrift »Jesu letzter Wille nach Johannes 17«, EvTh 28 (1968) 8–25; wieder abgedruckt in: Ders., Geschichte und Glaube I. Gesammelte Aufsätze III (BEvTh 48), München 1968, 104–121 (hiernach zitiert). Mit Bornkamms Widerspruch gegen die Doketismus-These setzt sich Käsemann in der 3. Auflage (vor allem 62–64 Anm. 69) auseinander. 3 AaO. 111. 4 1. Auflage: »behauptete«. 5 AaO. 83 (3. Auflage: 98; vgl. die vorige Anm.). 6 AaO. 53 (65).

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ihrer einzelnen Glieder gesehen«7. Dem Fehlen der Kreuzestheologie bei Joh korrespondiere eine entsprechende Ekklesiologie: »Weil8 für Johannes das Kreuz der Sieg Jesu über die Welt ist, so äußert sich die Macht der Auferstehung für ihn nicht mehr primär darin, daß die Gemeinde fähig und willig wird, Jesus das Kreuz nachzutragen.«9 Es fehle »die tiefe Paradoxie, daß Auferstehungsmacht nur im Schatten des Kreuzes erfahren wird und Auferstehungswirklichkeit irdisch den Platz unter dem Kreuze bedeutet«10. Hierdurch sei auch die Bestimmung des Verhältnisses der Gemeinde zur Welt geprägt: Joh spreche von einer christlichen Gemeinde, »welche selbst im Bewußtsein ihrer Sendung dem Irdischen gegenüber keine Solidarität verspürt«11. Die Welt sei für Joh infolgedessen nicht der Horizont des Handelns Gottes und nicht der Raum, auf den sich die Botschaft vom Kommen des Heils in Jesus Christus bezieht; sie komme in den Blick lediglich als »Gegenspielerin der Kirche«, als das, »was nach Wundern begehrt, sich jedoch dem Worte Jesu nichthörend verschließt«12. Wohl nehme der Evangelist die Bedrohung der Gemeinde durch die Welt ernst – anders als etwa bei den korinthischen Schwärmern sei sie durchaus »dem satanischen Ansturm ausgesetzt«; Joh verkünde aber dabei zugleich den schon errungenen Sieg und begründe dies »mit der Gottheit Christi«13. Die Gemeinde, so meint Käsemann, sei für Joh infolgedessen der Ort, wo »das Ärgernis der Erde überwunden« werde: »Die eschatologische Schöpfung existiert nur in der Scheidung von der Welt.«14 Auch für Joh sei zwar die Welt von Gott geschaffen und so »der Schauplatz der göttlichen Geschichte«; aber dennoch gelte, daß man »aus der Welt errettet werden [muß] . . . durch das Hören und die Annahme des Wortes«15. Käsemann kommt schließlich zu dem Urteil, man werde »dieses geradezu erschreckende Selbstverständnis der johanneischen Gemeinde gnostisierend nennen müssen und hier den naiven Doketismus auch der johanneischen Ekklesiologie am deutlichsten wahrnehmen«16. G. Bornkamm hat in seiner, sich freilich bewußt auf einige Punkte beschränkenden17, Kritik der Position Käsemanns dieser Darstellung der joh Ekklesiologie nicht explizit widersprochen. Aber sein am Ende seiner Überlegungen stehender genereller Hinweis, daß »auch die unbestreitbar ›gnostischen‹ Züge im Evangelium« – zu denen das Verständnis von Gemeinde und Welt offenbar zu 7

AaO. 74 (88). 1. Auflage: »Wie«. 9 AaO. 94 (111; vgl. die vorige Anm.). 10 Ebd. 11 AaO. 117 (137). 12 AaO. 86 (101). 13 AaO. 95 f. (112). 14 AaO. 100 (117). 15 AaO. 113 (131). 16 AaO. 124 (145). 17 AaO. (Anm. 2) 111. 8

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rechnen wäre – »nicht eigentlich gnostisch verstanden werden wollen«18, hat implizit Konsequenzen für die Beurteilung der joh Ekklesiologie: Auch Bornkamm erklärt, daß für Joh »die Welt als pure Welt das Impure ist und allein die durch das Wort erschlossene und im Glauben ergriffene Verbindung mit Gott und Jesus rettet«; aber, so fährt er fort, diese Aussage werde eben »auch der Welt an den Glaubenden paradigmatisch vorgehalten«19. Insofern Joh in Jesus das Licht der Welt sehe, mache er deutlich, daß die Welt von dem, was an den Glaubenden geschieht, mitbetroffen, daß auch sie angeredet ist. »Auch die johanneische Esoterik also hat einen proklamatorischen Sinn.«20 Mit der Skizzierung dieser beiden Positionen ist das Problem bezeichnet, um das es im folgenden geht: Ist das joh Verständnis der Beziehung zwischen Gemeinde und Welt durch das Urteil »naiver Doketismus« zutreffend erfaßt? Oder enthalten Ekklesiologie und Kosmologie des Joh möglicherweise im Gegenteil Indizien für die Annahme, daß die Doketismusthese insgesamt als unzutreffend anzusehen ist? 2. Bevor das Thema jedoch erörtert werden kann, ist eine methodologische Vorbemerkung nötig: Jede Exegese des Joh sieht sich in besonderer Weise dem Problem der Literarkritik konfrontiert. Praktisch alle Exegeten stimmen nämlich in dem Urteil überein, daß der jetzt vorliegende Text des Joh keinesfalls als »ursprünglich« anzusehen sei, sondern sich einer sekundären Redaktion verdanke. Allerdings: Auf diese eher formale Feststellung beschränkt sich der Konsens auch schon; denn darüber, was denn als »ursprünglicher Text« des Joh anzusehen wäre, gehen die Meinungen weit auseinander. Insbesondere ein erheblicher Teil gerade derjenigen Texte, die für die Interpretation des Kirchenverständnisses von Bedeutung sind, gilt vielfach als nachträglich in das Evangelium eingefügt21, so daß man beinahe sagen könnte, aus Joh lasse sich die Ekklesiologie allenfalls der nachjohanneischen Kirche, nicht aber die des Evangelisten selbst bzw. die seiner Gemeinde erheben22. Dies zwingt zu kurzen grundsätzlichen Bemerkungen im Blick auf die literarkritische Analyse des Joh.

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AaO. 119 f. AaO. 120 (Hervorhebung von mir). 20 Ebd. 21 Vgl. beispielsweise G. Richter, Zum gemeindebildenden Element in den johanneischen Schriften, in: Ders., Studien zum Johannesevangelium, hg. v. J. Hainz (BU 13), Regensburg 1977, 383–414, bes. 385. Richter weist hier Joh 10,16; 13,34 f.; 15,1–16,33 und 17,6–26 einer »sekundären (antidoketistischen) Redaktion« zu. Auch nach J. Becker, Beobachtungen zum Dualismus im Johannesevangelium, ZNW 65 (1974) 71–87, hier: 82 gehören Kap. 15–17 nicht zum ursprünglichen Bestand des Joh. 22 So stellt Richter, Studien, 385 Anm. 15, knapp fest: »Wenn Käsemann Joh 17 auch unter dem Aspekt der Ekklesiologie behandelt . . ., sollte man nicht außer acht lassen, daß Joh 17 (außer VV. 1–5) nicht vom Evangelisten stammt, sondern vom sekundären Redaktor!« Zu fragen ist dann allerdings, welche Konsequenzen dies für die Auslegung des Evangeliums hat (s. u.). 19

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R. Bultmann23 hatte angenommen, der Evangelist habe, unter Verarbeitung von älterer Tradition und vor allem von zwei großen Quellen, das »ursprüngliche« Joh geschaffen, es jedoch nicht mehr selbst ediert. Diese Aufgabe sei vielmehr von einem »kirchlichen Redaktor« wahrgenommen worden; ihm sei die jetzt vorliegende (Un-)Ordnung des Textes zu verdanken, und er habe überdies auch die Theologie des »ursprünglichen« Joh durch Einfügungen im Sinne der kirchlichen »Dogmatik« nicht unerheblich korrigiert. Von daher ergaben sich für die Literarkritik des Joh zwei wesentliche Aufgaben: Erstens die Wiederherstellung der ursprünglichen Textordnung; zweitens die Ausscheidung der vom Redaktor eingeschobenen sekundären Erweiterungen. Erst der so rekonstruierte Text war nun Gegenstand der eigentlichen Exegese. Bultmanns Vorgehen hatte einen nicht zu übersehenden Nachteil: Es führte dazu, daß nicht der vorliegende Text des Joh, sondern die hypothetisch hergestellte Textrekonstruktion interpretiert wurde. Es hatte aber auch einen großen Vorteil: Es unterschied relativ klar zwischen dem »ursprünglichen« Joh und den sekundär eingefügten »redaktionellen« Erweiterungen. Die literarisch sekundären Stücke galten ebensowenig als Bestandteile des Joh wie analog die Glossen im Röm oder der Abschnitt 6,14 bis 7,1 im 2Kor als Teile dieser Paulusbriefe24. Die neuere Exegese hat die Hypothese der Textumstellungen – m. E. mit Recht – überwiegend verworfen. Sie erklärt die formalen und die inhaltlichtheologischen Spannungen innerhalb des Joh nun vielmehr mit der Annahme einer weitreichenden nachjohanneischen Redaktion, die nicht nur gelegentlich korrigierende Anmerkungen, sondern ganze Kapitel in den Text eingefügt habe. G. Richter, dessen Position hier als für diesen Ansatz repräsentativ dargestellt werden soll25, unterscheidet in der Redaktionsgeschichte des Joh drei Stufen: 1. Das eigentliche Evangelium sei die stark umgearbeitete, z. T. erheblich korrigierte Fassung einer älteren judenchristlichen Grundschrift26. 2. Ein »antidoketistischer Redaktor« habe das Evangelium, das nach Richter eine starke Tendenz hin zum

23 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK II), Göttingen 181964 (zitiert: Bultmann, Joh). 24 Bultmann macht dies in seinem Kommentar schon durch die abweichenden Drucktypen deutlich, die er bei der Interpretation der redaktionellen Stücke verwendet. 25 Ich beziehe mich im folgenden Referat vornehmlich auf den in Anm. 21 genannten Aufsatz. Vgl. aber auch G. Richters Aufsatz: Präsentische und futurische Eschatologie im 4. Evangelium, in: Studien (s. Anm 21), 346–382, bes. 354–358. 26 Richter, Studien, 404. Die Grundschrift war »ausschließlich eine Apologie der Messianität Jesu gegenüber dem Judentum und der Täufergemeinde« (vgl. auch G. Richter, Der Vater und Gott Jesu und seiner Brüder in Joh 20,17. Ein Beitrag zur Christologie im Johannesevangelium, in: Studien [s. Anm 21], 266–280, bes. 266–268); das Evangelium sah dann in Jesus »nicht mehr den Prophet-Messias . . ., sondern den vom Himmel herabgekommenen Sohn Gottes«. Richter nimmt an, daß es wegen des Dissens in der Christologie zur Spaltung innerhalb der Gemeinde gekommen sei, wobei er es offen läßt, »ob das Judenchristentum die Neuerer ausschloß oder ob diese von sich aus sich vom Judenchristentum lossagten« (aaO., 406).

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Doketismus besaß, einer grundsätzlichen Revision unterzogen27. 3. Die Endredaktion schließlich sei für die jetzt vorliegende Gestalt des Evangeliums verantwortlich28. Eine solche Analyse29 hat den Vorteil, einen längeren Abschnitt der Theologiegeschichte der joh Gemeinde(n) – wenn auch weithin hypothetisch – erhellen zu können, indem sie Joh als deren durch zahlreiche Zusätze immer wieder erweitertes bzw. korrigiertes theologisches Grunddokument zeichnet. Ein erheblicher Nachteil besteht aber darin, daß nun letztlich gar nicht mehr gesagt werden kann, welche Schicht des Joh überhaupt noch Gegenstand theologischer Auslegung – und damit nicht zuletzt auch: Text der Predigt – sein kann. Kommt es etwa darauf an, das von allen späteren Ergänzungen »gereinigte« ursprüngliche Evangelium zu interpretieren? Dann wäre – Richters Analyse vorausgesetzt – eine Untersuchung der Ekklesiologie des Joh von vornherein zum Scheitern verurteilt, da alle ekklesiologisch relevanten Texte »redaktionell« sind. Oder ist es doch sachgemäß, die durch die Endredaktion hergestellte Fassung des Joh auszulegen? Dann wäre allerdings zu fragen, warum man nicht ebenso wie in der Synoptikerexegese diesen Endredaktor als den »Evangelisten« bezeichnet30 und im übrigen mit mehreren vorausliegenden Überlieferungsschichten rechnet. Richter selbst ist am Schluß seines Aufsatzes über die Eschatologie im Joh31 kurz auf diese Thematik eingegangen. Er meint, man mache es sich jedenfalls zu leicht, wenn man sich bei der Auslegung ohne weiteres auf den Standort des antidoketistischen Redaktors beziehe32. Andererseits sei aber auch die Position des Evangelisten – der eine ausschließlich präsentische Eschatologie vertreten habe – trotz der von ihr ausgehenden Faszination »gefährlich«33. Richters Vorschlag lautet deshalb, »den historischen Tatbestand offen darzulegen«34. Aber was bedeutet 27 Richter, Studien, 409. Diesem Redaktor weist Richter nicht nur antidoketische Aussagen wie 1,14 und die auf Eucharistie (6,51c–58) und futurische Eschatologie (5,28 f. usw.) zu beziehenden Texte zu, sondern auch praktisch alle ekklesiologisch zu interpretierenden Abschnitte (aaO. 410; s. o. Anm. 21). Der Redaktor sei der Verf. des 1Joh (und möglicherweise des 2Joh). 28 Richter, Studien, 385. Dem Endredaktor sind z. B. Kap. 21 und die ein Amtsverständnis zeigenden Texte (etwa 20,22 f.) zuzuschreiben. 29 Richter (Studien, 358) verweist darauf, daß diese (oder eine ähnliche) Sicht der Entstehungsgeschichte des Joh in der Forschung immer mehr Zustimmung finde. 30 Diesen Vorschlag macht in der Tat H. Thyen, Aus der Literatur zum Johannesevangelium (3. Fortsetzung), ThR NF 42 (1977) 218: Der »Redaktor« ist der vierte Evangelist. Vgl. auch ders., ThR NF 44 (1979) 113 f. 31 S. o. Anm. 25. 32 Richter, Studien, 381: »Mit dieser Sowohl-als-auch-Eschatologie« werde man allerdings den liturgischen (!) Texten gerecht; man werde überdies »auch den Beifall jener konservativen Mentalität finden, die am liebsten nur das hören will, was sie ohnehin schon weiß und glaubt«. 33 Richter, Studien, 382. Hätte der antidoketistische Redaktor gegenüber der Einseitigkeit des Evangelisten nicht für Ausgleich gesorgt, dann wäre Joh (in seiner ursprünglichen Gestalt) »wahrscheinlich ein ausschließlich gnostisch-häretisches Evangelium geworden beziehungsweise geblieben« (Hervorhebung von mir). 34 Richter, Studien, 381.

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das? Kann sich die Auslegung tatsächlich darauf beschränken, die verschiedenen Überlieferungsstufen mehr oder weniger beschreibend nachzuzeichnen35? Löst sich damit »das Johannesevangelium« als literarische – und als theologische – Größe im Grunde nicht völlig auf? Es scheint als habe H. Thyen einen akzeptablen Ausweg aus dem Dilemma gewiesen; er stellt – im Widerspruch gegen Bultmanns hypothetische Textumstellungen – mit Recht fest, daß sich das »ursprüngliche Evangelium« gar nicht mehr herstellen lasse: »Darum ist es Pflicht des Interpreten, unter der Arbeitshypothese, daß die vorliegende Textfolge nicht Zufallsprodukt, sondern Ergebnis überlegter Planung ist, das überlieferte Evangelium auszulegen.«36 Diese »Arbeitshypothese« ist aber nicht nur im Blick auf die Textfolge, sondern auch im Blick auf die Frage der nachjohanneischen Redaktion sinnvoll. M. E. erweist es sich dann, daß Bultmanns Hypothese der »kirchlichen Redaktion« weiterhin bedenkenswert bleibt. Ich unterscheide – ohne das hier näher ausführen zu können – zwischen dem Autor des vierten Evangeliums und dem für die Edition sowie für gewisse, vor allem die Eschatologie betreffende Korrekturen verantwortlichen Herausgeber37. Ich berücksichtige also im folgenden diejenigen Texte nicht, die m. E. erst von diesem Herausgeber in das Evangelium eingefügt worden sind.

II Die Untersuchung gliedert sich in drei größere Abschnitte: Gefragt wird zunächst nach dem Verständnis von »Welt« im Prolog und dann im übrigen Text des Joh; im zweiten Teil geht es um das Verständnis der Gemeinde, und der dritte Abschnitt behandelt die vor allem in Joh 15–17 erkennbar werdende Zuordnung beider Größen zueinander.

35 Gerade Richters »Überlegung zur Aktualisierung der eschatologischen Aussagen« bei Joh (Studien, 381 f.) scheint einen anderen Ausweg kaum zuzulassen. Er erklärt zwar, man könne »aus der Tatsache, daß der Evangelist gegenüber der Tradition des Judenchristentums den alten Mythos vom Eschaton als einer kosmischen Katastrophe durchbrochen hat, lernen, daß es auch heute bei der eschatologischen Verkündigung nicht auf das Wie des Endes ankommt, sondern nur auf das Daß«; aber er fügt (aaO., 382 Anm. 131) sogleich hinzu, der Evangelist habe lediglich diesen einen Mythos durch einen anderen ersetzt. Damit aber reduziert sich doch das, was wir wirklich »lernen« können, tatsächlich auf die Feststellung, Inhalt der eschatologischen Botschaft sei »die Gemeinschaft mit Gott, die Vollendung des Menschen bei Gott« (aaO. 382). Bedarf es dazu einer Interpretation des Joh? 36 H. Thyen, Aus der Literatur zum Johannesevangelium, ThR NF 39 (1974) 289–330, hier: 308 (vgl. auch oben Anm. 30). 37 Auf diesen Herausgeber ist m. E. die Anfügung von Kap. 21 zurückzuführen, ferner die meisten Texte, die Bultmann dem »Redaktor« zuweist. Im übrigen halte ich – gegen Bultmann – die überlieferte Textanordnung des Joh im wesentlichen für die vom Evangelisten gewollte.

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1. Von »Welt« redet Joh bereits in den ersten Sätzen seines Evangeliums: Der »Prolog« (1,1–18)38 ist weithin eine Beschreibung der zwischen dem göttlichen Logos und der Welt bestehenden Beziehung. Zwar ist in der Schöpfungsaussage (V. 3) der Begriff koÂsmow vermieden; aber das betont am Anfang stehende Stichwort paÂnta schließt den Gedanken eines Schöpfungsdualismus aus: Es gibt nichts39, was nicht durch den Logos geschaffen worden wäre. V. 4 erweitert diese Aussage: In allem Geschaffenen war der Logos Leben, d. h. der Logos ist nicht nur Schöpfungsmittler, sondern er ist Gottes ständige Präsenz in der Schöpfung40. V. 5 scheint dem nun freilich zu widersprechen: Es ist zwar weiterhin die Schöpfung, in der der Logos als »Licht« präsent ist (faiÂnei); aber diese Schöpfung wird nun als Finsternis qualifiziert, die das Licht zurückweist. Die vom Evangelisten verwendete Vorlage macht damit deutlich, daß die Welt immer schon als eine gottfeindliche anzusehen ist: In der Begegnung mit dem Licht erweist sie sich als das, was sie ist, als Finsternis; und sie ist entschlossen, dies auch zu bleiben (oyÆ kateÂlaben)41. V. 942 nimmt V. 4.5a auf: Vom Logos allein kann gesagt werden, er sei das Licht, das den Menschen erleuchtet. Die Nachbemerkung eÆrxoÂmenon eiÆw toÁn koÂsmon macht einerseits deutlich, daß das Licht »in die Welt kommt«, also nicht zu ihr gehört43; sie stellt andererseits aber klar, daß der Logos eben nicht bei sich selbst bleibt, sondern als Licht in die Welt kommt. In V. 10 hat der Evangelist eine wichtige kommentierende ZwischenbemerÄì koÂsmvì hËn hat offenbar den Sinn, die kung eingefügt. Seine Feststellung eÆn tv Aussage von V. 9 als eine bestehende Realität zu bestätigen: Die Beziehung zwischen Logos und Welt muß nicht hergestellt werden, sondern sie besteht immer 38 Hier wird natürlich keine detaillierte Analyse des Joh-Prologs vorgelegt. M. E. sind der (christlichen) Vorlage zuzuweisen: V. 1.3–5.9.11.14a. b. c. e.16; der Evangelist hat V. 2.6–8.10. 12a. b.14d. 15.18 angefügt, überwiegend in kommentierender Absicht; auf den Herausgeber gehen schließlich V. 12c. 13 und V. 17 zurück. – Ein sehr ausführliches Referat der neueren Prologexegese gibt H. Thyen, Aus der Literatur zum Johannesevangelium, ThR NF 39 (1974) 53–69. 222–252. 39 oyÆdeÁ e Ï n steht ebenso betont am Schluß wie paÂnta am Anfang des Satzes. Vgl. zur Satzabgrenzung K. Aland, Über die Bedeutung eines Punktes. Eine Untersuchung zu Joh. 1,3.4, in: Ders., Neutestamentliche Entwürfe (ThB 63), München 1979, 351–391. 40 Die Vorlage sprach in V. 1.3 f. vom präexistenten Logos in seiner strukturellen Beziehung zu Gott und zur Welt. Anders vor allem L. Schottroff, Der Glaubende und die feindliche Welt. Beobachtungen zum gnostischen Dualismus und seiner Bedeutung für Paulus und das Johannesevangelium (WMANT 37), Neukirchen-Vluyn 1970, 230 ff. 41 Vgl. zu dieser Interpretation E. Haenchen, Probleme des johanneischen »Prologs«, in: Ders., Gott und Mensch. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1965, 114–143 (hier: 130 f.); Chr. Demke, Der sogenannte Logos-Hymnus im johanneischen Prolog, ZNW 58 (1967) 45–68 (hier: 57). M. E. ist in V. 5 noch vom Präexistenten die Rede. 42 Der Evangelist (nicht der spätere Editor) fügte V. 6–8 ein: Der Täufer legt Zeugnis ab vom Licht, das in der Finsternis scheint, von ihr aber abgelehnt wird. Indirekt wird so die »Notwendigkeit« der Inkarnation (V. 14) vorbereitet. 43 Das Part. eÆrxo  menon ist auf toÁ fv Ä w zu beziehen, nicht auf aÍnurvpon, weil sonst eine Tautologie vorläge.

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schon; Logos und Welt gehören insofern zusammen, als (V. 10b; vgl. V. 3) die Welt durch den Logos geschaffen ist. V. 10c schließlich kommentiert V. 5b: Die Welt hat den Logos, dem sie sich doch verdankt, nicht (an)erkannt. Damit gilt in den Augen des Evangelisten für den präexistenten Logos44 dasselbe, was auch dem geschichtlichen Jesus widerfahren wird: Die Ablehnung durch die Welt. Mit V. 11 endete in der vorjohanneischen Vorlage das Reden vom Präexistenten: Er war in seiner Schöpfung präsent45, aber die Schöpfung nahm ihn nicht an46. Wieder hat der Evangelist eine gerade im Blick auf unser Thema wichtige Bemerkung angefügt: Er spricht in V. 12 (a. b) von denen, die den Logos annahmen. Es wäre falsch, hier nun nach der geschichtlichen Konkretion zu fragen, also etwa zu erörtern, an welche Menschen der Evangelist gedacht haben könnte. Er will mit seiner Bemerkung vielmehr deutlich machen, was Annahme des Logos real bedeutet, nämlich Empfang des Geschenks der Kindschaft Gottes47. Damit hat der Evangelist zum letzten Mal vor V. 14 gesagt, worin für ihn die Funktion des Logos besteht: In der Herstellung der Beziehung zwischen Gott und Mensch48. Es ist dieser in seinem auf die Welt bezogenen Wirken vorgestellte präexistente Logos, von dem in V. 14 gesagt wird, er sei saÂrj geworden49. Dabei liegt das Gewicht deutlich auf der Verbform eÆgeÂneto: War der Logos in seinem Wesen bisher immer konstant geblieben, so wird jetzt gesagt, daß er ein neues Sein erhielt: Er »wurde«50, was er bis jetzt nicht war, nämlich saÂrj, also ein Bestandteil 44 Würde, wie oft angenommen wird, V. 10 vom irdischen Jesus reden, so hätte V. 14 keinen rechten Sinn. 45 eiÆw ta Á Íidia hËluen verdeutlichte in der Vorlage das eÆrxoÂmenon eiÆw toÁn koÂsmon. 46 Nach R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium I (HThK 4,1), Freiburg 31972 (zitiert: Schnackenburg, Joh I), 236, hat der »Hymnus« an den Präexistenten, der Evangelist hingegen schon an den Inkarnierten gedacht (taÁ Íidia meine dann möglicherweise das jüdische Volk, oder auch die Menschheit als ganze). – V. 11 ist im übrigen interessant im Blick auf die Frage einer Beziehung des Textes zur Gnosis: Stünde wirklich gnostisches Denken im Hintergrund, dann läge die schärfste denkbare antignostische Polemik vor: Daß oië Íidioi den Logos nicht aufnehmen, zerstört die Substanz der gnostischen Soteriologie. M. E. meint taÁ Íidia/oië Íidioi aber einfach die Schöpfung. 47 In V. 12c. 13 gibt dann der Herausgeber eine detaillierte Interpretation des Begriffes teÂkna ueoyÄ. 48 Haenchen, Probleme (s. Anm. 41), 139, meint, in V. 12 (und V. 13) rede der Redaktor; in V. 12a (eÍlabon ayÆtoÂn), V. 12b (teÂkna ueoyÄ geneÂsuai) und V. 12c (toiÄw pisteyÂoysin ktl.) werde im Grunde immer dieselbe Aussage wiederholt: »Hier häuft jemand – zur Beschreibung der Gemeinde – Begriffe, die teils aus der Gemeindetradition, teils aus dem JohEv stammen, ohne daß er sie wirklich in einer durchsichtigen Beziehung zueinander darstellen kann.« Aber jedenfalls von V. 12a zu V. 12b zeigt sich ein sehr deutlicher Gedankenfortschritt: Der Logos gibt denen, die ihn aufnehmen, die eÆjoysiÂa, Kinder Gottes zu werden. 49 Ich beschränke mich hier auf eine knappe Darlegung meiner eigenen Interpretation. Umfassende Information bietet G. Richter, Die Fleischwerdung des Logos im Johannesevangelium, in: Studien (s. Anm. 21), 149–198. 50 Käsemann, Jesu letzter Wille (s. Anm. 1) 23 (28): Meint V. 14a wirklich mehr, als daß das Wort »in die Menschenwelt hinabstieg, mit dem Irdischen in Berührung kam und so Begegnung

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der Welt51; und er manifestierte dies dadurch, daß er »bei uns«, d. h. in der Welt, geschichtlich existierte52. Die Fortsetzung (V. 14c) betont einerseits nachdrücklich, daß es sich um die Inkarnation eben des Logos handelt – deshalb ist die Rede von seiner doÂja. Andererseits aber zeigt die Verwendung der 1. Pers. Pl., daß für die hier sprechende Gemeinde der geschichtlichen Konkretion des Logos nun auch die eigene geschichtliche Wirklichkeit entspricht53. V. 1654 bringt den Abschluß der Vorlage und beendet gleichzeitig auch den hier interessierenden Gedankengang: Wir sahen seine doÂja, weil55 wir aus seiner Fülle Gnade empfangen haben. Das in V. 14 beschriebene »Sehen« der doÂja ist also kein objektives distanziertes Sehen; es bezieht sich nicht auf Taten und Ereignisse, die jedermann zugänglich offen zutage liegen. Sondern das Sehen selbst ist eine Folge dessen, daß »wir« Gnade empfingen. Damit ist festgestellt, daß »wir« als die Glaubenden nicht mehr als skotiÂa qualifiziert sind, sondern daß »wir« als Empfänger der Gnade dazu befähigt sind, die doÂja des fleischgewordenen Logos zu sehen. Was bedeutet dies für das Verständnis der Welt im Prolog des Joh? Fraglos ist die Welt als solche negativ gesehen, indem sie als »Finsternis« gekennzeichnet wird und als Schöpfung, die ihren Schöpfer nicht annimmt. Aber schon die Vorlage macht deutlich, daß der Logos selbst diese unüberbrückbare Distanz überwunden hat, indem er »Fleisch« wurde. Die jetzt im Bekenntnis56 laut werdende Aussage, daß »wir« die doÂja sahen, weil wir Gnade empfingen, meint, daß der in saÂrj verwandelte Logos die Distanz ganz und gar aufgehoben hat. Zwar stand der Logos auch vor der Inkarnation in Relation zur Welt. Aber Welt war dabei geradezu dadurch definiert, daß sie ihn nicht annahm. Die Begegnung des Logos mit der Welt vollzog sich als Schöpfung (V. 3.10b), als Akt der Gabe des Lebens und des Lichts (V. 4.9); aber auf der Seite der Welt gab es nichts als die radikale

mit ihm möglich wurde«? Dagegen m. R. Richter, Studien, 154 f. Vgl. zur Diskussion um den Sinn des eÆgeÂneto auch H. Thyen, Aus der Literatur zum Johannesevangelium, ThR NF 42 (1977) 219 f., und ThR NF 44 (1979) 123 f. 51 Die m. E. nach wie vor eindrucksvollste Interpretation der Stelle gibt Bultmann, Joh 39 f. (mit 40 Anm. 2!). 52 skhnoy Ä n ist nicht auf einen vorübergehenden Aufenthalt (»zelten«) zu deuten; es gibt außer Joh 1,14 nur vier neutestamentliche Belege für das Verb (alle in der Apk), wobei zumindest an drei Stellen ein dauerndes Wohnen gemeint ist (Ausnahme vielleicht Apk 21,3). 53 Im eÆueasa  meua spricht die glaubende Gemeinde, die allein die doÂja des Fleischgewordenen sieht. Es wird von hier aus nochmals verständlich, warum der Evangelist in V. 12 gerade nicht von »uns« redet. 54 V. 15 ist wieder Anmerkung des Evangelisten, die sich zu V. 14 verhält wie V. 6–8 zu V. 5: Predigte dort der Täufer vom Licht, so hier vom Inkarnierten (oyËtow . . .). 55 o Ï ti war in der Vorlage unmittelbar nach V. 14 kausal aufzufassen. Aber auch der Evangelist hat es so verstanden. 56 Demke, Der sogenannte Logos-Hymnus (s. Anm. 41), 61.64, meint, in V. 14.16 erfolge die Antwort der Irdischen auf den Gesang der Himmlischen. Richtig ist jedenfalls, daß V. 14.16 im Bekenntnisstil formuliert sind.

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Ablehnung des Logos (V. 5.10c. 11)57. In dem Menschen Jesus erhält nun diese Begegnung des Logos mit der Welt eine neue Qualität: Als der Logos saÂrj wird, wird er »gesehen«. Nicht weil der Mensch in sich selbst etwa einen göttlichen Funken entdeckte, sondern weil der Logos im Eingehen in die Welt saÂrj wurde, sahen »wir«58 seine doÂja. Der Prolog des Joh schildert also von V. 14–16 her die Beziehung zwischen Logos und Welt als eine vom Logos her aufgehobene Feindschaft. Diese Aufhebung wird konkret in denen, die die doÂja »sehen«. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich auch in den weiteren Texten des Evangeliums, die von der Beziehung des Inkarnierten zur Welt sprechen. Schon die erste auf den irdischen Jesus bezogene Akklamation Johannes des Täufers preist ihn als das »Lamm Gottes«59, das »die Sünde der Welt fortschafft«. Sünde ist im Joh nicht die einzelne Verfehlung gegen Gott, sondern Sünde ist, wie 8,34 zeigt, eine menschliche Grundbefindlichkeit. Wenn also von Jesus gesagt wird, daß er »die Sünde der Welt« fortträgt, so ist dies verstanden als ein Akt vollkommener Rettung der Welt60. Dem entspricht das Bekenntnis der Samariter in 4,42: Jesus ist oë svthÁr toyÄ koÂsmoy, d. h. das Heilshandeln, das der Gegenstand dieses Bekenntnisses ist, bezieht sich auf die Welt61. Der in diesem Zusammenhang eindrucksvollste Text ist 3,16–18, wo es explizit heißt, Gott habe den koÂsmow geliebt. Käsemann wehrt sich dagegen, von dieser einen Stelle aus das Weltverständnis des Evangeliums insgesamt deuten zu wollen: »Man hat nach dem Kontext allen Anlaß, in ihr eine traditionelle und von dem Evangelisten aufgegriffene Formel zu erblicken. So dient sie [als Summarium und Überleitung] auch nur dazu, die Herrlichkeit der Sendung Jesu zu betonen, also das Wunder der Fleischwerdung.«62 Aber diese Argumentation ist wenig überzeugend: Erstens gibt es keine wirkliche Begründung für die Annahme, es handle sich in 3,16 um eine traditionelle Formel63; und falls sich doch zeigen ließe, daß eine solche vorliegt, wäre der Tatbestand eigentlich nur um so 57 Man muß natürlich fragen, ob V. 12 dieser Deutung nicht widerspricht. Aber es fehlt jede Möglichkeit, das oÏsoi deÁ eÍlabon zu konkretisieren, und es ist m. E. zweifelhaft, ob der Evangelist eine solche Konkretion überhaupt beabsichtigte; wahrscheinlich wollte er gegenüber der Negation jetzt die Position beschreiben. Daß der Logos »Licht« war (V. 5.9), ist ja auch nicht geschichtlich konkret erfahren worden, wie der Text selbst ausdrücklich sagt. 58 Keinesfalls wäre es richtig, zwischen der Welt einerseits und dem »wir« von V. 14.16 einen Dualismus zu behaupten. Daß »wir« aus der zuvor beschriebenen Welt ausgeschieden wären, wird mit keinem Wort angedeutet. 59 Vgl. zu diesem Begriff Schnackenburg, Joh I, 285–288. 60 Daß der Evangelist hier an den Kreuzestod denkt, zeigt der Terminus a Æ mnoÂw. Vgl. zur Stelle Schottroff, Der Glaubende (s. Anm 40), 283. 61 Käsemann, Jesu letzter Wille (s. Anm 1), 107 (125), bestreitet, daß die Prädikation »Erlöser der Welt« den joh Christus adäquat charakterisiere. Selbst wenn das zutreffen sollte: Kann man sie deshalb ganz übersehen? 62 Käsemann, Jesu letzter Wille, 107 (124 f.; die in [ ] stehenden Worte nur in der 3. Aufl.). 63 So auch Schottroff, Der Glaubende (s. Anm 40), 284.

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bedeutsamer, daß der Evangelist gerade eine derartige Aussage aus seiner Tradition übernahm. Viel wichtiger scheint mir aber zweitens die Beobachtung zu sein, daß V. 16 ausdrücklich als Begründung für V. 14 f. formuliert ist64: Hatte es dort geheißen, das Heilsgeschehen habe das Ziel, jedem Glaubenden das ewige Leben zu schenken, so sagt V. 16, warum dies geschieht – eben »weil Gott die Welt geliebt hat«65; und diese Liebe zeigte sich in der Hingabe66 des Sohnes. Damit ist klar, daß man 3,16 nicht einfach als eine »nirgends wiederholte«67 und also offenbar nebensächliche Aussage bezeichnen darf; vielmehr hat dieser Satz eine wichtige Funktion im Rahmen der ganzen Darstellung des Heilsgeschehens in 3,14–21, denn er nennt das »Motiv«, von dem sich Gott in seinem Handeln leiten ließ. Käsemann hat durchaus mit Recht darauf hingewiesen, daß 3,16 von 1,14 her zu sehen ist, daß sich beide Sätze gegenseitig interpretieren. Aber kann man dann sagen, 3,16 diene »nur« dazu, das Wunder der Fleischwerdung zu betonen? Wenn 3,16 und 1,14 aufeinander zu beziehen sind, dann heißt dies doch, daß die Inkarnation als Gottes Liebe zur Welt gedeutet wird und daß umgekehrt eben diese Liebe zur Welt sich in der Inkarnation konkretisiert hat. Es darf natürlich nicht übersehen werden, daß als Zweck dieses Geschehens in 3,16b die Rettung genannt wird »für jeden, der glaubt«. Es ist also nicht die Welt als ganze, sondern es sind die Glaubenden, denen das Heil zuteil wird. Käsemann spricht von der »Spannung zwischen Universalismus und Prädestination«, und er stellt fest: »Wird Jesus als Erlöser der Welt tituliert, der die Welt retten, nicht richten will, so sind es doch nur die Glaubenden, die Erwählten, die Seinigen, die faktisch errettet werden. Darf man sagen, daß sie die Welt repräsentieren, weil Gottes Ziel der Kosmos sei?«68 Aber daß »nur die Glaubenden« gerettet werden, daß das Heil an den Glauben gebunden ist, ist ein Hauptsatz nicht nur der joh Soteriologie, sondern beispielsweise auch der paulinischen Rechtfertigungslehre. Und ebenso gilt für Joh wie für Paulus, daß sich der Glaube – nach seinem eigenen Selbstverständnis – nicht sich selbst verdankt, sondern Gottes Tat ist; man hat insofern tatsächlich mit vollem Recht von »Prädestination« zu sprechen. Entscheidend ist doch aber, Ä w oë pisteyÂvn daß der Kreis der Glaubenden nicht beschränkt ist, sondern daß pa zumindest potentiell wirklich der koÂsmow ist. Es ist also tatsächlich die »Spannung zwischen Universalismus und Prädestination«, die Joh in 3,16 zum Ausdruck 64 Die Aussagenreihe V. 14b. 15 entspricht in ihrer Struktur V. 16; zu beachten ist das ga  r am Anfang von V. 16. 65 Der Aor. meint natürlich nicht, daß diese Liebe nicht mehr besteht; es geht um das geschichtlich konkrete Heilsergebnis. 66 Ob man e Í dvken auf die Inkarnation oder auf die Passion deutet, ist sachlich gleichgültig; es ist in jedem Fall das Ganze des Heilsereignisses gemeint. 67 So Käsemann (s. Anm. 62). 68 Käsemann, Jesu letzter Wille, 112 (130). Mit der im Sinne Käsemanns natürlich verneinend zu beantwortenden Frage ist Bultmanns Interpretation von Joh 17,9 (Bultmann, Joh, 382) bestritten. S. zu dieser Stelle unten bei Anm. 132.

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bringt, wenn er die aus Gottes Liebe zur Welt resultierende Gabe des ewigen Lebens betont (wie in V. 15) an die Bedingung des Glaubens bindet69. Aber das besagt doch nichts anderes, als daß Gottes Liebe zur Welt darin besteht, daß jeder Mensch als potentiell Glaubender angesprochen ist; 3,16 redet also von einer Prädestination, die sich im Glauben selbst allererst realisiert70. Daß dies der Sinn jener Stelle ist, zeigt der folgende Satz: Die Sendung des Sohnes eiÆw toÁn koÂsmon dient nicht dem Gericht, sondern der Rettung der Welt. Das Stichwort svÂìzein bezeichnet dabei das umfassende Heil, also das Gegenteil des aÆpoÂllysuai (V. 16)71. Und wiederum gilt (V. 18), daß diese Rettung an den Glauben gebunden ist. Damit ist klar: Nicht der Sohn richtet die Welt, sondern diese richtet sich selbst, sofern sie sich dem Sohn gegenüber als Nicht-glaubende erweist. Von Gott her gesehen bedeutet die Sendung des Sohnes jedenfalls allein Rettung und nicht Gericht. Gericht ist also nicht etwa Strafe für den Unglauben, sondern Unglaube ist selbst Gericht, weil und indem er Gottes Rettung für sich zurückweist72. Eine jedenfalls auf den ersten Blick völlig andere Aussage findet sich am Ende der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen: »Zum Gericht (kriÂma) bin ich in diese Welt gekommen« (9,39). Wie verhält sich dies zu 3,16 und vor allem 3,17? Der Ïina-Satz V. 39b macht deutlich, daß Jesu Kommen eine Umkehrung der bisher geltenden religiösen Normen73 bedeutet. kriÂma ist dann also nicht 69 Darin liegt das relative Recht der These, 1Joh 4,9.14 f. sei nicht eine Einengung von Joh 3,16, sondern eine Präzisierung (so etwa Schottroff, Der Glaubende [s. Anm 40], 288). Der m. E. aber doch nicht zu übersehende Abstand zwischen beiden Texten liegt jedoch darin, daß der Vf. des 1Joh bewußt nur noch aus der Sicht der Gemeinde formuliert. Das hÆgaÂphsen oë ueoÁw toÁn koÂsmon hat eben in 1Joh kein Äquivalent. 70 Vgl. zur Sache R. Bultmann, Gnade und Freiheit, in: Ders., Glauben und Verstehen II, Tübingen 31961, 149–161. 158: »Im Glauben vollzieht sich die Erwählung, nicht dahinter und nicht davor.« 71 Vgl. die analoge Aussage in 6,33, wo es heißt, daß Jesus »der Welt« Leben gibt. Was zvh  ist, erfährt die Welt allein bei Jesus, womit in der Sache 1,4 aufgenommen ist. Vgl. ferner 8,12; 9,5; 12,46. Zutreffend stellt Schottroff, Der Glaubende, 283, fest, daß die Welt nicht nur Schauplatz des erlösenden Redens Jesu ist, sondern »das Objekt seiner Zuwendung«. Käsemann, Jesu letzter Wille (3. Aufl.), 135 Anm. 18b, will dem nicht widersprechen, betont aber, die Wirkung des Heilsangebots sei doch gerade die Scheidung zwischen der Welt und den Glaubenden. Käsemann wirft Joh also faktisch vor, nicht den Gedanken der Allversöhnung zu vertreten. 72 Der folgende Abschnitt 3,19–21, der mit einem Definitionssatz eingeleitet ist (ay Ï th de eÆstin . . .), wird in der Exegese sehr unterschiedlich beurteilt: Becker, Beobachtungen (s. Anm. 21), 78–81, sieht in ihm ein judenchristliches Traditionsstück, das die Rechtfertigung nach den Werken vertrete und das vom Evangelisten nur deshalb übernommen worden sei, um den Gerichtsgedanken zu illustrieren. Nach Bultmann, Joh, 113–115, redet hier der Evangelist selbst, allerdings möglicherweise unter Verwendung eines kleineren Quellenstücks. Richter, Studien (s. Anm 21), 399, weist den Abschnitt dem sekundären Redaktor zu, da hier der »charakteristische praktisch orientierte – ›verwirklichte‹ – Dualismus« erscheine. M. E. stellen V. 19–21 eine sachgemäße, wenn auch in der Diktion veränderte Fortsetzung von V. 16–18 dar: Der Evangelist verbindet den Unglauben mit den bösen Werken der Menschen und wiederholt (V. 20 f.) explizit den bisher nur implizit ausgesprochenen Prädestinationsgedanken. 73 Daß die Begriffe bleÂpein und tyflo  w in diesem Sinne gemeint sind, zeigt sich spätestens in V. 40 f.

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Verurteilung oder Bestrafung der Sünder; sondern kriÂma heißt, daß Sünder in ihrer Sünde Vergebung erfahren. Indem (V. 41) die Pharisäer zu »sehen« behaupten, d. h. indem sie die Vergebung zurückweisen, wird für sie Jesu Kommen kriÂma, »bleibt« ihre Sünde74. Die in 9,39 ausgesagte Beziehung zwischen Jesus und der Welt entspricht also ganz der Tendenz von 3,16–18: Liebe und das Angebot der Vergebung gelten allen – das Gericht vollzieht sich in der Reaktion der Welt auf dieses Angebot75. Die Beziehung Jesu zur Welt wird in besonderer Weise auch in 7,4.7 thematisiert. Nach 7,4 f. ist die Aufforderung seiner Brüder an Jesus, er solle sich »der Welt« offenbaren, ein Indiz für ihren Unglauben. Das Stichwort koÂsmow meint hier auf den ersten Blick natürlich auch einfach die allgemeine Öffentlichkeit, wie sich ja überhaupt das Reden der Brüder auf der Ebene dessen, was »man« üblicherweise tut, bewegt. Spätestens Jesu Antwort (V. 7) zeigt aber, daß es für den Evangelisten dieses gleichsam vordergründig »neutrale« Verständnis der Welt letztlich nicht gibt: Welt ist immer schon qualifiziert als die Macht, die Jesus haßt, weil er ihr die Wahrheit über ihr Wesen bezeugt. Damit wird klar, warum in der Aufforderung »Zeige dich der Welt« der Unglaube spricht: Die Beziehung zwischen Jesus und der Welt kann nur eine solche sein, in der Jesus die Welt überführt, wie es um sie steht (vgl. 16,8) – eben darin »zeigt sich« Jesus ja der Welt. In der Aufforderung der Brüder steckt also faktisch die Ablehnung der Art, in der sich Jesus tatsächlich »zeigt«. In denselben sachlichen Rahmen gehört auch 14,19.22: Wenn die Welt Jesus nicht mehr »sieht«, so meint dies, daß für sie Jesu Kreuz sein endgültiger Tod ist; sie wird und sie kann ihn nicht mehr »sehen«, weil sie ihn nicht liebt (V. 23)76. Es steht für Joh also fest, daß die Welt Jesus ablehnt, ja, »Welt« ist geradezu durch den Gegensatz zu Jesus als solche konstituiert und definiert. Zugleich aber ist es gerade diese Welt, der Jesu Sendung gilt, die der Gegenstand der Liebe des Vaters ist. Beide Aussagen sind nicht gegeneinander aufzurechnen, sondern aufeinander zu beziehen: Gottes Liebe gilt der Welt, gerade weil sie ihn und seinen Offenbarer haßt und also ohne diese Liebe Gottes verloren ist77. Der Widerstand 74

Vgl. zur Stelle auch J. Blank, Krisis. Untersuchungen zur johanneischen Christologie und Eschatologie, Freiburg 1964, 262 f. 75 Stärker mythologisch findet sich derselbe Gedanke in 12,31: Das Gericht über diese Welt ist die Entmachtung ihres aÍrxvn – Jesu Erhöhung (V. 32) bedeutet dann das Heil für »alle«, wobei die Wendung paÂntaw eëlkyÂsv von 6,44 her zu deuten ist. 76 Warum die Jünger ihn zu »sehen« vermögen, sagen der o Ï ti-Satz (V. 19b) und dann vor allem V. 23 f. Vgl. dazu Bultmann, Joh, 478 f. S. Schulz, Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), Göttingen 12(1)1972, 190, differenziert: Im uevreiÄn von 14,19 gehe es um die Ankunft des Geistes (hier zitiere der Evangelist älteres Sprachgut); erst der von Joh selbst stammende oÏti-Satz beziehe sich auf Ostern. Aber – unabhängig von der Frage der traditionsgeschichtlichen Analyse – der kausale Nachsatz zeigt doch, daß zumindest im jetzigen Kontext auch V. 19a auf die Ostererfahrung zu beziehen ist. Es gibt für Joh kein objektives, der Welt zugängliches Sehen des Auferstandenen, wie Joh 20 dann bestätigen wird. 77 Genau dies ist ja in 3,16 ausdrücklich gesagt worden (. . . mh Á aÆpoÂlhtai).

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der Welt gegen Gott wird darin überwunden, daß die Welt im Glauben an Jesus Gott anzunehmen vermag. Tut sie es nicht, so bleibt sie, was sie ist; sie verwirft damit sich selbst, denn von Gott her gibt es jedenfalls keine aktive Verwerfung. 2. Wie redet Joh von der Gemeinde, die dieser Welt gegenübersteht? Der wichtigste auf diese Frage antwortende Text ist 13,1–17, weil hier sowohl die Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern (die natürlich die Gemeinde repräsentieren) als auch die Beziehung der Jünger untereinander angesprochen ist78. In V. 1–579 wird geschildert, daß Jesus bei seinem letzten Mahl den Jüngern seine Liebe eiÆw teÂlow erweist, indem er ihnen die Füße wäscht. Dabei heißt es in V. 1, daß Jesus »aus dieser Welt« zum Vater geht, während die Jünger betont als die Seinen, die »in der Welt« sind, bezeichnet werden80. Der von Petrus ausgesprochene Einwand gegen Jesu Handeln (V. 6) dient dazu, eine erste christologische Deutung einzuführen (V. 7–10): In der an den Jüngern vollzogenen Handlung symbolisiert sich das Wesen von Jesu Messianität81, das eben darin besteht, die Jünger ein für allemal82 zu reinigen. Die Gemeinde versteht sich also als diejenige Gruppe in der Welt (V. 1), die durch Jesu Handeln »rein« geworden ist83. In V. 12–1784 folgt dann die zweite, ekklesiologische Deutung des Geschehens, wobei V. 13 den Übergang markiert: Jesus ist der didaÂskalow und kyÂriow, woraus 78 R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium III (HThK IV/3), Freiburg 31979, 10–15, gibt eine literarkritische Analyse von Joh 13,1–30, in der er – von kleineren kommentierenden Zusätzen abgesehen – vor allem V. 12b–18a nicht dem Evangelisten, sondern einer sekundären Redaktion zuweist. 79 Auf literarkritische Probleme innerhalb dieses Abschnitts braucht hier nicht eingegangen zu werden. 80 Die Wendung oië Íidioi oië eÆn tv Äì koÂsmvì hat möglicherweise eine doppelte Bedeutung: a) Die Seinen, die in der Welt sind (wobei von einer zeitlichen Begrenzung – fast alle Exegeten ergänzen ein »noch« – nicht die Rede ist); b) diejenigen in der Welt, die die Seinen sind. Das absolut gebrauchte oië Íidioi begegnet bei Joh sonst nur in 1,11 in ganz anderem Sinn; dort sind oië Íidioi die Geschöpfe, die den Logos, der in seine Schöpfung (taÁ Íidia) kam, nicht annahmen. 81 G. Richter, Die Fußwaschung Joh 13,1–20, in: Studien (s. Anm 21), 42–57 (hier: 43 f.), betont m. R. nachdrücklich, daß es in V. 7–10 nicht etwa um Petrus geht, sondern allein um Jesus. 82 Diesen Sinn hat das präsentische yëmei Äw kauaroi eÆste. Schnackenburg, Joh III (s. Anm. 78), 25, sieht in dem kaiÁ yëmeiÄw . . . die Anwendung des kleinen Gleichnisses V. 10a auf die Jünger; die Fußwaschung symbolisiere die Wirkung des Sterbens Jesu. Problematisch sei dann allerdings, »daß die Jünger gegenwärtig (nicht erst nach dem Tod Jesu) für rein erklärt werden« (Hervorhebung von R. S.). Aber das ist ja gerade der Sinn der Stelle: Die zeichenhafte Handlung bildet das ab, was im Tode Jesu real geschieht. 83 Damit ist deutlich, daß das historisierende a Æ ll’ oyÆxiÁ paÂntew und der dies erläuternde V. 11 als sekundär anzusehen sind: Der Herausgeber des Evangeliums hat Jesu Worte auf die unmittelbare Situation bezogen und sich des anwesenden Judas erinnert. M. E. unmöglich ist es jedenfalls, allein V. 11 einer sekundären Schicht zuzuweisen; denn das aÆll’ oyÆxiÁ paÂntew verlangte immer schon eine Fortsetzung. Schnackenburg, Joh III, 26, findet demgegenüber in V. 10b. 18. 21.26a. b eine vom Evangelisten angestrebte immer deutlicher werdende Kennzeichnung des Verräters. Richtig scheint mir aber nur zu sein, daß die Nennung des Namens bewußt an den Schluß gesetzt ist. 84 Ob es sich hier tatsächlich um ein fertig vorformuliertes älteres Traditionsstück handelt, das vom sekundären Redaktor nachträglich eingefügt wurde (so Richter, Studien, 55; Schnacken-

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folgt, daß sein Handeln für die Jünger vorbildhaft ist (V. 15: yëpoÂdeigma). Damit trägt es aber zugleich auch verpflichtenden Charakter (oÆfeiÂlete), d. h. sein Nachvollzug ist weder in das Belieben der Jünger gestellt, noch kann er als eine besondere Leistung verstanden werden. Das Stichwort aÆllhÂlvn macht dabei im übrigen deutlich, daß hier nicht an ein spezielles Verhalten der »Amtsträger«85 zu denken ist, sondern daß die Fußwaschung wirklich als Bild für den Umgang der Christen untereinander gelten soll86. Der Akzent der Aussage zeigt sich in V. 15b: kauvÁw eÆgvÁ . . . kaiÁ yëmeiÄw . . . KauvÂw hat sowohl vergleichenden wie auch begründenden Charakter87, d. h. das beispielhafte Handeln Jesu ermöglicht ein entsprechendes Handeln der Jünger untereinander88. V. 16 erläutert dies mit einem dem synoptischen Spruchgut nahestehenden Logion89; V. 17 schließt den Gedankengang mit einer Seligpreisung ab. Es ist natürlich kein Zufall, daß der Evangelist mit der zweifach gedeuteten Fußwaschungsszene die Abschiedsreden und damit auch die Passion (13,1!) eröffnet: Jesu Handeln an den Jüngern wird gedeutet als sein durch ihn selbst ihnen ermöglichter letzter Auftrag; 13,14 f. sind in diesem Sinne quasi das Grundgesetz90, das der aus der Welt scheidende Jesus den in der Welt bleibenden Seinen Ä n in V. 1 gar hinterläßt. Möglicherweise hat der Evangelist das doppelte aÆgapa nicht nur auf Jesu Handeln als solches bezogen, sondern gerade auch auf die in V. 7–10.12–17 gegebenen Deutungen, die damit unmittelbar als Akte der Liebe erwiesen werden sollen. Das Liebesgebot wird in 13,34 f. noch einmal wiederholt91. Wieder spricht Jesus von der Liebe, die die Jünger untereinander üben sollen. Käsemann folgert burg, Joh III, 26 f.) ist mir zumindest fraglich. Die von Schnackenburg z. B. beanstandete Wendung eiÆmiÁ gaÂr am Ende von V. 13 (»wegen des sonst gewählten eÆgv eiÆmi auffällig«) erklärt sich doch ohne weiteres aus dem Kontext. Richtig ist natürlich, daß in 13,16 älteres Spruchgut vorliegt (vgl. Mt 10,24); aber dies kann auch vom Evangelisten aufgenommen worden sein. 85 So Richter, Studien, 55, unter Hinweis auf V. 15 f. 86 Man kann hier natürlich monieren, daß die Beziehung zur Welt nicht im Blick ist. Aber dann wäre das Bild jedenfalls gesprengt. 87 Vgl. Schnackenburg, Joh III (s. Anm. 78), 28; vgl. R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium II (HThK IV/2), Freiburg 21977, 374 (zu 10,15). 88 Man kann an dieser Stelle ohne weiteres nach paulinischem Vorbild von dem im Indikativ begründeten »Imperativ« (eÆpoiÂhsa – poihÄte) sprechen (vgl. dazu G. Baumbach, Die Funktion der Gemeinde in der Welt in johanneischer Sicht, ZdZ 21 (1967) 161–167, hier: 165). Schon deshalb ist die Formulierung, es handele sich um eine »moralisierende« bzw. »moralische« Deutung (so Schnackenburg, Joh III, 27 Anm. 63 bzw. 29) kaum angemessen. 89 Eine direkte Abhängigkeit etwa von Mt 10,24 liegt nicht vor. – Wäre hier übrigens von der »Herablassung zu den Untergebenen« die Rede, wie Richter (s. Anm. 85) meint, dann wären die Begriffe kyÂriow und oë peÂmcaw auf die »Vorgesetzten« zu beziehen, was ganz unmöglich ist. Es soll lediglich gesagt werden, daß das, was der kyÂriow/peÂmcaw tut, auch dem doyÄlow/aÆpoÂstolow wohl ansteht. 90 Vgl. 15,12. In 13,34 f. wird die in der Liebe Jesu zu den Jüngern begründete (kauv  w) Aufforderung zur Liebe tatsächlich als die den Jüngern gegebene eÆntolhÁ kainh bezeichnet (s. dazu u.). 91 Die Zuordnung dieser Verse zum ursprünglichen Joh wird heute vielfach bestritten (vgl. Schnackenburg, Joh III, 59).

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daraus, hier werde die Feindesliebe, die Liebe zur »Welt«, ausdrücklich ausgeschlossen92. Aber V. 34 redet positiv von der Liebe, nicht negativ-abgrenzend. Ä te aÆllhÂloyw antwortet nicht auf die Frage »Wen muß ich Die Aufforderung aÆgapa lieben?«93; sie enthält vielmehr eine Bestimmung der Existenz der Gemeinde in ihrer Situation nach dem Weggang Jesu (V. 33)94. V. 35 macht dabei klar, daß die Welt keineswegs aus dem Blick gerät: Als die, die einander lieben, sprechen die Jünger zur Welt, denn an ihrer Liebe werden sie von »allen« als Jünger Jesu »erkannt« werden. Damit aber ergeht durch die Liebe die Einladung an »alle«, d. h. an die Welt, ebenfalls zu dieser durch die Liebe bestimmten Gemeinschaft zu gehören. Nicht völlig übersehen werden darf im Zusammenhang unseres Themas Joh 10. Zwar ist Richter zuzustimmen, wenn er betont, es gehe in diesem Kapitel »nur darum, wer Jesus ist, also um die Christologie«, während sich ekklesiologische Aussagen »nur indirekt, als Schlußfolgerung aus der christologischen Verkündigung« ergäben95. Aber gerade darin liegt ja offenbar die besondere Bedeutung dieses Textes, daß hier die Christologie mit deutlichem Blick auf die Jünger entfaltet wird96. Dabei ist zu beachten, daß es sich bei diesem Text nicht um ein ursprünglich selbständiges Gleichnis handelt, das traditionsgeschichtlich sekundär gedeutet worden wäre; vielmehr ist das Bild (V. 1–5) von vornherein auf die in V. 7ff. folgende Interpretation hin konzipiert worden97. Offensichtlich ganz bewußt sind alle Selbstaussagen Jesu mit Blick auf die Jünger (d. h. im Bild: auf die Schafe) formuliert, ja, sie sind nur von daher überhaupt sinnvoll98. Am deutlichsten wird dies, wenn in V. 11b. 15b. 17 der »gute Hirt« geradezu definiert wird von den Schafen her, für die er sein Leben gibt99. Die Gemeinde versteht sich also 92 Käsemann, Jesu letzter Wille (s. Anm. 1), 107 (124), sieht »eine unverkennbare Einschränkung . . ., wie wir sie auch aus der Qumrangemeinde kennen«. 93 Noch weniger geht es um die Frage: »Wen braucht man nicht zu lieben?« 94 Insofern schließt sich V. 34 durchaus sinnvoll an V. 33 an. Anders J. Becker, Die Abschiedsreden im Johannesevangelium, ZNW 61 (1970) 220, und Schnackenburg (s. Anm. 91). 95 Richter, Studien, 386. 96 Vgl. Schnackenburg, Joh III, 239: Das Bild ist »nicht einseitig auf die Person des Hirten fixiert«; »der Hirt Christus ist nicht ohne seine, ohne Gottes Herde zu denken«. 97 Richter, Studien, 386, weist den Kern von Joh 10 der von ihm behaupteten »Grundschrift« (s. Anm 26) zu. M. E. kann man annehmen, daß Joh 10 (ausgenommen V. 16; s. dazu u.) unter Verwendung traditionellen Bildmaterials vom Evangelisten formuliert wurde. 98 Die Aussagen eÆgv  eiÆmi hë uyÂra (V. 7.9) und eÆgv eiÆmi oë poimhÂn (V. 11) sind ja innerhalb desselben Bildes nicht gut vorstellbar. Verständlich werden sie im Zusammenhang mit V. 2 f.: In Bezug auf die Schafe gehören Tür und Hirt zusammen, bilden sie im Grunde eine Einheit. 99 Richter (s. Anm 97) hält V. 16 für die einzige wirklich ekklesiologische Aussage in diesem Abschnitt und weist ihn – ebenso wie Bultmann, Joh, 292 – dem sekundären Redaktor zu. Anders Schnackenburg, Joh II (s. Anm. 87), 376. Auffällig ist, daß in V. 16 jedenfalls implizit eine Deutung von ayÆlh gegeben wird und daß V. 17 unmittelbar an V. 15 anknüpft, ohne V. 16 zu berücksichtigen. Gegen die Annahme Schnackenburgs, daß V. 16 und V. 17 f. je für sich eine Erweiterung der vorangegangenen Bildworte darstellen, spricht das V. 17 einleitende diaÁ toyÄto, das nur in Anknüpfung an V. 15 einen Sinn hat. Auffällig ist ferner die Schlußbemerkung miÂa

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als die Schar derer, die im Glauben erkannt haben, daß ihnen das Opfer des Hirten gilt. Zugleich aber weiß sie, daß sie durch diesen Hirten dazu aufgerufen ist, »Herde« zu sein und diese Gemeinschaft in der Liebe zu bewahren. 3. Erst jetzt kann die Frage erörtert werden, in welcher Weise Joh die Beziehung der so durch das Heilswerk Jesu konstituierten und vom Liebesgebot bestimmten Gemeinde zur Welt schildert. Im Grunde ist dies das Thema des ganzen Abschnitts Joh 15–17, der von manchen Exegeten – bisweilen mit eben dieser Begründung! – dem sekundären Redaktor zugesprochen wird100. Aufgrund der in Abschnitt I kurz dargestellten Voraussetzungen gehe ich aber von der Annahme aus, daß die drei Kapitel als Bestandteil des vom Autor konzipierten Evangeliums anzusehen sind101. Unter Verwendung der Bildrede vom Weinstock wiederholt der Evangelist in 15,1–17 im wesentlichen schon bekannte Aussagen aus Joh 13 f. Das Gewicht liegt auf der Betonung der Einheit Jesu mit den Jüngern, in der Aufforderung, in ihm zu »bleiben« (V. 4–7). Auffällig ist dabei eine von V. 7 an deutlich erkennbare Akzentverlagerung: Mehrfach werden Bedingungssätze formuliert (eÆaÂn . . .; V. 7.10.14), die offenbar die Einhaltung bestimmter Gebote als Voraussetzung für den Empfang des Heils bezeichnen102. Sieht man näher hin, dann erkennt man freilich auch hier eine deutliche Vorordnung des Indikativs vor den »Imperativ« (V. 3f.). Dabei enthält V. 4 den hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis des ganzen Absatzes und vor allem der Bedingungssätze: Die Aussage, die Ranke bringe nicht Frucht, »wenn« sie nicht am Weinstock »bleibt«, meint ja nicht, daß das »Bleiben« eine von der Ranke zu erfüllende Bedingung ist – sie beschreibt vielmehr einfach ein Faktum. Die Anwendung V. 4b. 5 zieht die Konsequenz: Das Bleiben bei Jesus ist nicht eine geforderte Leistung, sondern Realität. Entsprechend ist V. 6 nicht als Warnung oder gar als Drohung aufzufassen103, sondern als Beschreibung des negativen Gegenbildes zu V. 5; und dasselbe gilt für V. 9f. Wäre es anders, würden also die Jünger durch die eÆaÂn-Sätze tatsächlich mit einer ihnen gegenüberstehenden Bedingung konfrontiert, dann hätte der Nachsatz V. 11 keinen Sinn. Es gilt aber: Das, was Jesus hier gesagt hat, ist für die Jünger xaraÂ. poiÂmnh, eiÎw poimhÂn, die nicht der sonstigen Tendenz der Hirtenrede entspricht und tatsächlich eher ein schon fortgeschrittenes ekklesiologisches Problembewußtsein widerspiegelt. 100 Vgl. Schnackenburg, Joh III, 102. 190. 101 Bultmann, Joh, 349–351, weist den Text ebenfalls dem Evangelisten zu, schlägt jedoch erhebliche Textumstellungen vor, um vor allem logische Spannungen im Aufbau zu mildern. M. E. besteht aber keine sachlich-theologische Notwendigkeit zu solchen Umstellungen – der vorliegende Text läßt sich als sinnvolle Komposition verstehen. 102 Darauf verweist sehr nachdrücklich Becker, Abschiedsreden (s. Anm 94), 232 f. Er folgert (235 f.), daß ein »kirchlicher Nachtrag« eines Paräneten vorliegt, dem »das solus Christus aus Joh 13–14 nicht mehr [genügte]. Damit schreitet er in Richtung auf eine frühkatholische Kirchlichkeit.« 103 Gegen Bultmann, Joh, 413.

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V. 12–17 schärfen in immer neuen Variationen das Liebesgebot ein; aber alles Ä w. Das ethische Gebot ist steht dabei unter dem Vorzeichen kauvÁw hÆgaÂphsa yëma also nicht etwa isoliert aufzufassen, noch weniger ist es eine (womöglich einem Redaktor zuzuschreibende sekundäre) Einschränkung der Heilszusage; es folgt vielmehr unmittelbar aus dem in der Liebe sich realisierenden Handeln Jesu104. Explizit thematisiert ist das Problem der Beziehung der Gemeinde zur Welt in 15,18–25. Im Zentrum steht die Aussage, daß die Jünger von der Welt gehaßt werden, weil sie nicht »aus der Welt« sind. Es ist kaum sachgemäß, hier von einem »verkirchlichten Dualismus«105 zu sprechen; denn immerhin ist der für das Verständnis konstitutive christologische Rahmen zu bedenken: Wenn die Welt die Jünger haßt, so ist dies eine Folge ihres Hasses Christus gegenüber (V. 18). Da die Reaktion der Welt auf Jesu Kommen, sofern sie Welt blieb und nicht gläubig wurde, Haß war, muß dieser Haß nun auch seine »Freunde«, d. h. die Gemeinde treffen. V. 19 erläutert dies mit dem Hinweis darauf, daß die Christen ja nicht eÆk toyÄ koÂsmoy sind. Wieder zeigt sich der spezifisch joh Präexistenzgedanke: Die Christen sind nicht etwa von Natur aus »nicht aus der Welt«; vielmehr hat Jesus sie aus der Welt erwählt, d. h. ihr Status ist ausschließlich eine Folge des Handelns Jesu106. Damit aber zeigt sich, daß die Stelle keineswegs im Widerspruch zu 3,16 steht107, sondern daß sie im Gegenteil sogar von dorther gedeutet werden kann: Die Jünger (= die Gemeinde) sind diejenigen, die auf die Sendung Jesu mit Glauben reagierten, die also die Botschaft von Gottes Liebe zur Welt im Glauben annahmen. »Die Welt« muß darauf mit Haß antworten, weil sie ja Gottes Liebe nicht nötig zu haben glaubt (vgl. 9,40 f.). Bemerkenswert ist, daß V. 20 an 13,16 erinnert und wiederum aus diesem Logion eine ekklesiologische Konsequenz zieht: Wird der kyÂriow verfolgt, so gilt dies um so mehr auch für den doyÄlow. V. 21–25 qualifizieren die Haltung der Welt als Sünde. Sünde ist die negative Antwort auf die in Jesus begegnende Offenbarung Gottes108, also Unglaube. 104 Diese dialektische Struktur begegnet immer wieder; vgl. etwa noch V. 14 f.: Zunächst heißt es, die Jünger seien Jesu »Freunde«, wenn sie tun, was er gebietet; dann aber wird der Ausdruck fiÂloi nicht etwa an die zu erbringende Leistung gebunden, sondern an die Offenbarung (oÍti paÂnta . . . eÆgnvÂrisa yëmiÄn). 105 So Becker, Beobachtungen (s. Anm. 21), 84. 106 Diesen christologischen Ansatz übersieht Becker, Beobachtungen, 85, wenn er formuliert: »Die Gemeinde ist nicht aus der Welt, weil sie Christi Wort und Werk angenommen hat.« Der Akzent ist in 15,19 gerade anders gesetzt. 107 Anders wiederum Becker, Abschiedsreden (s. Anm. 94), 239: Der ko  smow sei in 15,18 ff. (und 16,7 ff.) weder »unter die Botschaft von der Krisis aus Joh 5 gestellt«, noch sei er »Gegenstand der Liebe Gottes wie 3,16, noch kommt er als Schöpfung Gottes ins Blickfeld (Joh 1), sondern die Welt ist festgelegt auf ihren sündigen Haß und ihre daraus resultierende Verurteilung«. Zu beachten ist aber, daß einerseits schon in 3,16 die Heilsverheißung nicht der Welt als solcher, sondern den Glaubenden gilt, und daß analog in 15,19 gesagt wird, Jesus habe die Jünger »aus der Welt erwählt«. Und in 16,8–11 heißt es schließlich, daß der aÍrxvn toyÄ koÂsmoy toyÂtoy gerichtet ist – nicht die Welt als solche. 108 Dieser theologische Horizont ist stark betont (V. 21b. 23.24b).

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Der folgende Abschnitt 15,26–16,4a beschreibt »die Aufgabe der Jünger unter dem Haß der Welt« (Bultmann). Dabei wird als Aufgabe das martyreiÄn genannt, das an das martyreiÄn des von Jesus zu den Jüngern gesandten Parakleten anknüpft109. »Zeugnis« impliziert freilich von vornherein einen auf die Welt bezogenen Horizont, d. h. der Ort und der Adressat des martyreiÄn ist die Welt, ohne daß dies ausdrücklich gesagt zu werden braucht – wem gegenüber sollte sonst »Zeugnis« abgelegt werden? In 16,1 gibt der Evangelist die Begründung dafür, weshalb von 15,18 an vom Haß der Welt die Rede gewesen war: Die Jünger sollen auf das Kommende vorbereitet sein. V. 2f. zeigen aber, daß damit tatsächlich bereits die Gegenwart der Gemeinde in der Welt reflektiert ist110, d. h. die Gemeinde hat schon sehr konkret an sich selbst erfahren, worin der Haß der Welt besteht111. Von entscheidender Bedeutung ist nun die Fortsetzung (V. 4b–11): Jesus redet von seinem Weggang aus der Welt, und angesichts von V. 2f. wäre es durchaus naheliegend, wenn hier nun die tröstende Verheißung stünde, daß auch die Jünger nicht in der Welt bleiben werden. Statt dessen wird aber in V. 7 gesagt, daß Jesus den Parakleten zu ihnen senden wird – d. h. die Jünger werden gerade durch diese Ankündigung darauf verwiesen, daß sie in der Welt zurückbleiben. Daß der Ort der Gemeinde tatsächlich die Welt ist, bestätigt V. 8: Der zu den Jüngern gesandte Paraklet wendet sich an die Welt – er »konfrontiert«112 sie mit dem, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist. Wie dies jeweils zu verstehen ist, wird explikativ kommentierend in V. 9–11 gesagt; und wie der Vorgang konkret vorzustellen ist, macht die Erinnerung an 15,26 f. deutlich: Die Funktion des Parakleten ist es, die Welt mit der Tatsache zu konfrontieren, daß ihre Sünde darin besteht, nicht an Jesus zu glauben; aber der Ort, wo dies manifest wird, ist die Gemeinde (15,27: kaiÁ yëmeiÄw deÁ martyreiÄte). Anders gesagt: Die faktisch glaubende Gemeinde deckt den Unglauben der Welt auf113. Indem der Paraklet die Welt 109 Auf die mit dem Stichwort »Paraklet« verbundenen inhaltlichen und religionsgeschichtlichen Probleme gehe ich nicht ein. Für den Evangelisten repräsentiert der Paraklet Jesu fortdauernde Präsenz in seiner Gemeinde. Offenbar war der Titel in der joh Gemeinde bekannt und brauchte deshalb nicht explizit eingeführt und gedeutet zu werden. Der Evangelist übernahm ihn, um mit seiner Hilfe sagen zu können, in welcher Weise Jesus nachösterlich bei der Gemeinde ist. 110 e Í rxetai v Ï ra ist nicht lediglich als eine sekundär aufgenommene joh Wendung aufzufassen (so Schnackenburg, Joh III, 139); der Ausdruck entspricht auch sachlich dem Kontext des Evangeliums. In 12,23; 17,1 bezieht sich vÏra eÆlhÂlyuen auf Jesu Tod, in 16,2 geht es um die »Ankündigung« der Übernahme des Todesgeschicks Jesu durch die Jünger. 111 Zugespitzt könnte man sagen, daß 16,2 f. das Weltverständnis des Joh besonders scharf widerspiegeln: Die Welt ist in ihrem Haß gegen die Gemeinde Gottes so verblendet, daß sie meint, mit diesem Haß Gott selbst zu dienen. Joh versteht die Welt also keineswegs als areligiös – die Verfolgung der Christen durch die Welt signalisiert freilich die Pervertiertheit dieser Religiosität. 112 Dies ist m. E. der Sinn des eÆleÂgjei. 113 Entsprechend wären V. 10 f. zu interpretieren: Die Welt in ihrer Sünde wird mit der Tatsache konfrontiert, daß »Gerechtigkeit« (offensichtlich als Gegenbegriff zu »Sünde« verstanden) gebunden ist an Jesu Weggang zum Vater; und sie erfährt das »Gericht«, indem sie damit kon-

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damit konfrontiert, was von Gott her Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist, ist gesagt, daß es der Inhalt des in 15,26 f. beschriebenen martyreiÄn ist, der Welt zu sagen, wer sie vor Gott eigentlich ist. Die Welt ist also als ungläubige festgestellt; aber sie bleibt als solche das Ziel der Ansage des Willens Gottes. Besonders wichtig ist dabei V. 11: Indem der Paraklet der Welt sagt, daß der Satan114 verurteilt ist, teilt er ihr jedenfalls implizit mit, daß sie von dessen Anspruch befreit ist115. Und insofern ist 16,11 eine sachliche Bestätigung der Aussage von 3,16116. Thema von 16,12–15 ist die Zukunft der Offenbarung in der Gemeinde: Der Paraklet, hier als toÁ pneyÄma thÄw aÆlhueiÂaw bezeichnet, ist die fortdauernde Präsenz Jesu als des Offenbarers Gottes in der Welt; er tut den Glaubenden im je geschichtlichen Augenblick Gottes Willen kund, indem er ihnen ihre eigene Zukunft verständlich macht117. Dies alles wird nun noch einmal in 16,16–33 entfaltet118: Thema ist die Zukunft der Jünger in der Situation des Von-Jesus-Verlassen-Seins und die Verheißung, sie würden ihn nach kurzer Zeit (mikroÂn) wieder »sehen«. Über die Dauer des mikroÂn ist nichts gesagt; V. 20 macht aber klar, daß jedenfalls nicht an den Zeitraum zwischen Karfreitag und Ostern gedacht ist – was die Jünger in dieser Zeit tun, ist für Joh nicht Gegenstand der Reflexion119. Jesus läßt durch seinen Weggang die Jünger in lyÂph zurück; die Welt aber empfindet Freude, weil sie ihn endgültig beseitigt zu haben glaubt. Faktisch aber ist – und das macht V. 20b deutlich – die lyÂph der Jünger ebensowenig eine angemessene Reaktion auf Jesu Weggang, wie die xara der Welt: Beide haben nicht begriffen, was es heißt, daß Jesus »weggeht«

frontiert wird, daß der aÍrxvn der Welt gerichtet ist, der Unglaube also eine letztlich unmögliche Existenzweise darstellt, weil die die Welt normierende Größe entmachtet ist. 114 Dieser ist offenbar gemeint; vgl. Joh 12,31; 2Kor 4,4. 115 H. Hegermann, Er kam in sein Eigentum. Zur Bedeutung des Erdenwirkens Jesu im vierten Evangelium, in: Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde. FS Joachim Jeremias, hg. v. E. Lohse, Göttingen 1970, 112–131, hier: 118, fragt, ob 16,8–11 »eine Verheißung für die Welt« enthalten, und er antwortet, jedenfalls sei »die heilvolle Zuspitzung des Überführens das Wahrscheinliche« (Hervorhebung von mir). Das darf freilich nicht so gedeutet werden, als führe das eÆleÂgxein in die Buße. 116 Glauben besteht also darin, die Verurteilung des a Í rxvn zu erfahren (vgl. D. Lührmann, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976, 67); für die Glaubenden gibt es den Satan nur im Modus des Verurteiltseins. 117 Das ist offenbar der Sinn der Wendung ta Á eÆrxoÂmena aÆnaggeleiÄ. 118 Ob 16,4b–15 und 16,16–33 je für sich ganz selbständige Kompositionen sind (so Becker, Abschiedsreden [s. Anm. 94], 238 f.), braucht hier nicht erörtert zu werden. 119 Gegen Becker, Abschiedsreden (s. Anm 94), 242, der den ganzen Abschnitt ja dem sekundären Redaktor zuweist und 16,16 auf die Ostererscheinungen beziehen will. Eher könnte man noch behaupten, daß der Redaktor an die bei Joh sonst fehlende Parusie gedacht hat. M. E. ist aber gar nicht an einen bestimmten überschaubaren Zeitraum, sondern generell an Zukunft überhaupt gedacht: Es geht um die Gemeinde, die in der Welt von Trauer beherrscht wird; doch Jesus verheißt ihr, daß dieser Zustand nicht endgültig ist.

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(vgl. V. 5f.)120. In der künftigen Begegnung mit Jesus121 wird die Trauer der Jünger in Freude verwandelt werden – und zwar in eine Freude, der die Welt122 nichts entgegenzusetzen hat. Konkret erfahren wird diese Freude in der in V. 23 f.25.28 angekündigten Erhörungsgewißheit des Gebets. Dieser Teil der Rede Jesu endet in V. 28 mit einem Hauptsatz joh Christologie123: Jesus ist vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen. Von Jesu Kommen in die Welt wird sonst unter ausdrücklicher Nennung des Zweckes (Ïina . . .) gesprochen124; hier fehlt eine derartige Erläuterung, aber offenbar nicht, um darüber zu schweigen125, sondern deshalb, weil diese Erläuterung in der Aussage des Textes schon gegeben ist: V. 28a bezeichnet das Ganze des Heilsereignisses, es bedarf keines weiteren Kommentars. V. 28b vertieft den Gedanken durch den Hinweis auf Jesu Fortgang zum Vater. Dabei ist zu beachten: Das was hier angekündigt wird, ist tatsächlich die reale Situation der Gemeinde – Jesus hat sie in der Welt zurückgelassen (vgl. V. 20). Es kommt darauf an, daß die Jünger Jesu Gang aus der Welt als Gang hin zum Vater begreifen126. Daß dieser Glaube, den die Jünger mutig bekennen (V. 30), angefochten bleibt, macht Jesu Antwort deutlich (V. 31 f.). V. 33 schließt den Abschnitt ab: Jesus verheißt den Jüngern, daß sie »in ihm« Frieden haben werden127, und das bedeutet, daß sie die Ankündigung in V. 32 (skorpisuhÄte eÏkastow eiÆw taÁ Íidia) nicht als Katastrophe betrachten sollen. »In Jesus«, nicht in sich selbst haben die Glaubenden Frieden. Es scheint kein Zufall zu sein, daß dem eÆn eÆmoiÁ eiÆrhÂnhn eÍxhte das eÆn tv Äì koÂsmvì uliÄcin eÍxete entspricht. Gerade nach Joh bleiben die Glaubenden »in der Welt«, auch wenn sie »in Christus« sind. Die uliÄciw, die sie in der Welt erfahren, wird nicht mystisch-enthusiastisch und auch nicht »doketistisch« überspielt, sondern sie wird als Realität akzeptiert: In der Welt erfährt der Glaubende uliÄciw, in Jesus aber erfährt er – als Glaubender! – eiÆrhÂnh. Warum das so ist, sagt der Schlußsatz von V. 33: Die Gewißheit des Glaubens resultiert daraus, daß 120 Darin steckt freilich kein an die Jünger gerichteter Vorwurf; das Bild von V. 21 zeigt vielmehr, daß die lyÂph nicht ein subjektiv zu bewältigendes Problem, sondern objektive Notwendigkeit ist. 121 In V. 22b heißt es bewußt nicht mehr wie in V. 17.19 o Í cesue me, sondern: oÍcomai yëma Ä w. Es handelt sich um eine christologische Aussage. 122 oyÆdeiÁw aiÍrei meint natürlich die Welt. 123 Man kann von daher fragen, ob es wirklich sachgemäß ist, zu 16,16 ff. von einer »Verlagerung des Schwergewichtes von der Christologie auf die Ekklesiologie« zu sprechen (so Bekker, Abschiedsreden [s. Anm. 94], 246). Und überdies: Ist die Thematisierung der Ekklesiologie als solche schon Indiz für sekundäre Redaktion? 124 Vgl. 9,39; 12,46; 18,37. 125 Andernfalls hätte V. 29 (ny Ä n eÆn parrhsiÂaì laleiÄw) wenig Sinn. 126 16,28 zeigt, daß die theologisch motivierte Frage nach dem »historischen Jesus« zumindest von Joh her abzuweisen ist; denn sie bedeutet implizit den Wunsch, Jesus solle die Welt nicht »verlassen« haben, sondern zumindest in der historischen Erinnerung gegenwärtig sein. Bei Joh redet der zum Vater gegangene, nicht der »historische« Jesus. 127 Die Formulierung ist im Zusammenhang mit 14,27 zu sehen.

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Jesus den koÂsmow besiegt hat, d. h. der Glaubende weiß, daß die ihm real begegnende uliÄciw von einem schon besiegten koÂsmow ausgeht. Im Grunde enthält 16,33 eine Kurzfassung der gesamten joh Theologie: Die Realität der Welt wird nicht geleugnet; aber der Glaube weiß, daß diese Realität nicht letzte Wahrheit ist, sondern daß Jesus die Welt besiegt hat und daß die Glaubenden deshalb »in ihm« Frieden haben. Die Abschiedsreden schließen mit dem Gebet Jesu (Joh 17)128. Dabei sagt Jesus (V. 2), der Vater habe ihm Macht über alle Menschen gegeben, um allen, die Gott ihm »gab«, ewiges Leben zu schenken. R. Schnackenburg deutet die eÆjoysiÂa paÂshw sarkoÂw auf die »Vollmacht . . ., über Leben und Tod zu entscheiden, Heil oder Gericht zu bewirken«129. Und in der Tat sagt der Text nicht, daß »alles Fleisch« das ewige Leben erhalten werde, sondern Leben wird nun denen zuteil, die der Vater ihm »gab« – also den Glaubenden. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Text eben allein von diesen redet, d. h. eine Verteilung von »Leben und Tod«, »Heil oder Gericht« ist gerade nicht im Blick. In V. 6–11 wird der Gedanke weiter vertieft: Jesus hat den Namen Gottes denen geoffenbart, die Gott ihm eÆk toyÄ koÂsmoy gegeben hat (V. 6). Auf den ersten Blick scheint hier ein definitiver Dualismus vorzuliegen; aber die Fortsetzung (soiÁ hËsan) zeigt, daß sie auch, solange sie noch nicht aus der Welt herausgenommen waren, schon zu Gott gehörten – d. h. V. 2 und V. 6 unterstreichen Gottes (und Jesu) Anspruch auf die ganze Welt. Natürlich: Der Evangelist unterscheidet – wie alle Theologie – zwischen Glaube und Unglaube (V. 3.7 f.); aber der Horizont ist nicht von vornherein auf die Gläubigen beschränkt130. Daß in einem in der christlichen Gemeinde formulierten Text so ungeschützt gesagt wird, Jesus habe den Jüngern die Festigkeit ihres Glaubens bescheinigt (V. 6: toÁn loÂgon soy ththÂrhkan), mag verwundern und sogar als anstößig erscheinen; Schnackenburg spricht denn auch davon, daß sich hier »das Selbstbewußtsein der Gemeinde« verrate131. Aber das ist im Grunde doch eine psychologische Kategorie, die dem theologischen Ansatz des Joh nicht gerecht wird. Joh versteht ja den Glauben und so auch das »Halten« des Wortes Gottes nicht als eine von der Gemeinde erbrachte und ihr eigene Qualifikation, sondern als eine von Jesus geschenkte Gabe.

128 Bultmann, Joh, 350 f., stellt das Gebet an den Anfang der Abschiedsreden (im Anschluß an 13,1–30). Schnackenburg, Joh III, 189, meint, diese »Verpflanzung« verbiete sich »schon deshalb, weil ein solcher Gipfel an das Ende aller Reden gehört«. Aber das ist im Grunde eine Frage des Geschmacks. – Die überaus vielfältigen Probleme der Analyse von Joh 17 müssen hier unerörtert bleiben; vgl. Schnackenburg, Joh III, 189–192, und die dort genannte Literatur. 129 Schnackenburg, Joh III, 194, unter Verweis auf Joh 5,20–27. 130 Schnackenburg, Joh III, 201, spricht zu V. 6 von einer »esoterische(n) Blickweise, die in V. 9 dazu führt, die ›Welt‹ von der Fürbitte auszunehmen«; andererseits lasse sich aber doch in V. 23 »eine Öffnung für die Welt erkennen«. Muß man diese Spannung so stehen lassen? 131 Ebd.

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In V. 9 sagt Jesus ausdrücklich, daß er allein für die Jünger (= die Gemeinde) bittet, nicht aber für die Welt. Die richtige Interpretation dieses Satzes ist für unser Thema von erheblicher Bedeutung. Denn es sieht so aus, als bestätige sich hier endlich Käsemanns These, daß die Sendung Jesu letztlich eben doch nicht der Welt als solcher gilt. Ist hier der Widerspruch zu 3,16 nicht unübersehbar132? Zunächst einmal ist an das zu 3,16 Gesagte zu erinnern: Gottes in der Sendung Jesu sich konkretisierende Liebe gilt der Welt – aber dies eben insofern, als damit allen das Angebot des Glaubens gemacht wird, dessen Annahme ewiges Leben und damit Rettung vor dem Verderben bewirkt. Joh 17 ist formuliert von der Voraussetzung her, daß sich in der Antwort auf das Gekommensein Jesu der Unglaube konstituiert hat. Eine Fürbitte für die Welt könnte dann faktisch nur eines bedeuten: Bitte um Bekehrung der Welt. Eine solche Bitte aber wäre gerade vor dem Hintergrund von 3,16 sinnlos: Das Angebot des Glaubens ist ja ergangen, und es besteht unverändert (vgl. 17,20.23) fort133. Warum aber sagt der Evangelist dann überhaupt, daß Jesus nicht für die Welt bittet? Der Kontext (vgl. schon V. 11) macht doch ohne weiteres klar, daß das Gebet ohnehin allein den Jüngern zugute kommen soll; niemand würde etwas vermissen oder auch nur mißverstehen können, wenn V. 9b fehlen würde. Aber offenbar geht es gar nicht primär darum, den Gedanken eines theoretisch möglichen Gebetes periÁ toyÄ koÂsmoy abzuweisen; die Absicht ist vielmehr, das Gewicht des Gebetes für die Gemeinde zu verstärken: V. 11 wird ja die Trennung Jesu von seinen Jüngern (= der Gemeinde) betonen; Jesus ist nicht mehr in der Welt – jene aber sind in der Welt, d. h. sie sind bedroht (im Sinne von 16,33). Allein aus diesem Grunde wird so nachdrücklich gesagt, der scheidende Jesus bete wirklich ausschließlich um die Bewahrung der Jünger und nicht für die Welt. Der eigentliche Inhalt des Gebets (V. 11b) ist die Bitte, daß die Jünger »eins« sein möchten – so wie der Vater und Jesus »eins« sind134. V. 12 unterstreicht die Notwendigkeit dieser Bitte: Bisher wurde die Existenz der Jünger in der Welt

132 So J. Becker, Aufbau, Schichtung und theologiegeschichtliche Stellung des Gebetes in Johannes 17, ZNW 60 (1969) 56–83 (hier: 79 f.). Eine Aussage wie die von 3,16 sei »wahrscheinlich bewußt vermieden, denn es gibt nach Joh 17 keine Bezugspunkte mehr von der Gemeinde zur Welt (allenfalls negativ den Abfall)«. Dem widerspricht V. 18, den Becker freilich ebenfalls seiner These entsprechend auslegen will. 133 Vgl. Schottroff, Der Glaubende (s. Anm 40), 285: »Durch Jesu Angebot konstituiert sich die Welt als gottfeindliche, für die er nicht bittet.« 134 Diese Aussage des Evangelisten wird von Käsemann, Jesu letzter Wille, 121 (142), kritisiert: »Einheit gibt es für unser Evangelium nur himmlisch und darum in Antithese zum Irdischen, für das Vereinzelungen, Unterschiede und Gegensätze charakteristisch sind.« Gerade mit Blick auf die »Integration« der Gemeinde »in die Einheit von Vater und Sohn« spricht Käsemann vom »erschreckenden Selbstverständnis« der johanneischen Gemeinde, das »gnostisierend« zu nennen sei (aaO., 124 bzw. 145). Immerhin ist zu beachten, daß Jesus für diese Einheit betet, d. h. sie scheint für den Evangelisten jedenfalls nicht unmittelbar und unverrückbar zu konstatierende Realität zu sein.

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gesichert durch die Anwesenheit Jesu135 – jetzt aber (V. 13) muß um ihre vollkommene Freude gebetet werden (vgl. 15,11), weil diese Existenz gefährdet ist. Und warum das so ist, sagt V. 14: Nachdem die Jünger von Jesus Gottes Wort empfangen haben, werden sie von der Welt gehaßt, eben weil sie als Gläubige136 nicht eÆk toyÄ koÂsmoy sind137. Von hier aus ist nun verständlich, warum in V. 15 ausdrücklich gesagt wird, die Jünger (= die Gemeinde) sollten nicht aus der Welt herausgenommen werden: Hier soll der – an sich ja sehr naheliegende – Gedanke abgewehrt werden, es könne oder müsse der Haß der Welt von den Jüngern mit Weltflucht beantwortet werden. Beides gehört für Joh unmittelbar zusammen: Daß die Jünger nicht eÆk toyÄ koÂsmoy sind, daß sie aber nicht eÆk toyÄ koÂsmoy herausgenommen werden sollen. Vielleicht kann man sogar sagen, daß die Funktion der Gemeinde darin besteht, ihr Nicht-aus-der-Welt-Sein gerade in der Welt zu demonstrieren. In welche Gefährdung die Gemeinde jedenfalls gerät, zeigt der Nachsatz, die Bitte um die Bewahrung vor dem Bösen. Schnackenburg konstatiert an dieser Stelle eine erhebliche Differenz, die zwischen »unserer Öffnung für die säkularen Bereiche und die heutige, überwiegend nichtchristliche Gesellschaft« auf der einen und »der Haltung jener joh Gemeinde« auf der anderen Seite besteht; die Formel »in der Welt, aber nicht von der Welt« stamme »aus einem dualistisch gefärbten Denken und aus der Situation einer bedrängten und in sich gekehrten Gemeinde«138. Diese Interpretation wird dem Text aber nicht gerecht: Die Gegenwart des Joh war ungleich mehr als unsere Zeit bestimmt durch eine nichtchristliche Gesellschaft; und wenn der Evangelist in einem religiösen Kontext, der sehr wohl auch ganz andere Lösungen des Problems ermöglicht hätte (Qumran!), nachdrücklich betont, daß die Gemeinde eben nicht aus der Welt herausgeht, dann ist dies weitaus mehr als nur eine »Öffnung für die säkularen Bereiche«. Mehr noch: Indem der Evangelist die Aussage von 17,15 als ein Gebet Jesu formuliert hat, betont er mit unüberbietbarem Nachdruck, daß die Gemeinde ihren Ort in der Welt nicht etwa einem Verhängnis verdankt, sondern im Gegenteil dem ausdrücklichen Willen ihres Herrn139. Es war gewiß eine »bedrängte«, aber ganz sicher nicht eine »in sich gekehrte« Gemeinde, in der diese Ekklesiologie formuliert wurde140. 135 136 137 138

eÆgvÁ (betont!) eÆthÂroyn ayÆtoyÁw . . . kaiÁ eÆfyÂlaja. Nichts anderes meint ja der Satz eÆgvÁ deÂdvka ayÆtoiÄw toÁn loÂgon soy. Das abschließende kauvÁw eÆgvÁ ktl. ist wieder vergleichend und begründend zugleich.

Schnackenburg, Joh III, 209. Käsemann, Jesu letzter Wille, 115 (135), argumentiert m. E. gegen die Tendenz von 17,15, wenn er erklärt, die Jünger gehörten »letztlich sowenig in die Welt, daß der scheidende Christus . . . ausdrücklich seinen Willen bekunden muß, sie nicht aus der Welt genommen zu sehen«. An der Intention des Textes vorbei geht m. E. auch die Paraphrase von Becker, Beobachtungen (s. Anm 21), 82, die Jünger sollten »z. Z. noch in der Welt bleiben« (Hervorhebung von mir). 140 Noch weniger kann man m. E. mit H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 31976, 387, sagen, die joh Gemeinde bekomme »das Aussehen einer Sekte, 139

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V. 16 wiederholt V. 14 fast wörtlich141; die Bitte in V. 17 entspricht in der Sache weitgehend der Bitte vom Anfang (V. 11b). V. 18 aber stellt eine weitere Steigerung dar: Jesus ist vom Vater in die Welt gesandt worden – und in gleicher Weise und eben deshalb (kauvÂw!) hat Jesus die Jünger in die Welt gesandt. Die Welt bleibt also auch nach dem Weggang Jesu der Botschaft konfrontiert; im Tun, ja in der bloßen Existenz142 der Gemeinde in der Welt bleibt Jesu eigene Sendung in die Welt gegenwärtig. Schnackenburg urteilt, dies sei zwar »kein solcher missionarischer Elan . . . wie bei Paulus«, aber immerhin »eine grundsätzlich andere Haltung als in gnostisch-esoterischen Gruppen«143. Doch es geht an dieser Stelle gar nicht um Intensität und Ausmaß missionarischen Handelns144; Schlüssel für das Verständnis ist vielmehr wiederum die Interpretation des kauvÂw145: Die Sendung der Jünger in die Welt hat dieselbe Funktion wie Jesu Kommen – mit dem einzigen, freilich entscheidenden Unterschied, daß jene in diesem begründet ist146. Die Aussage von 17,18 bedeutet also, daß das Wort von 3,16 weiterhin gilt: Gott wendet sich, jetzt in Gestalt der von Jesus beauftragten Jünger (= Gemeinde), der Welt zu und schenkt den Glaubenden ewiges Leben147. Es läßt sich nicht sagen, welche praktisch-organisatorischen Konsequenzen die joh Gemeinde daraus gezogen hat; es wäre aber falsch, aus diesem Nichtwissen den Schluß zu ziehen, es habe derartige Konsequenzen gar nicht gegeben148. die im Rückzug aus der Welt ihr religiöses Leben pflegt«. Vgl. aber die Fortsetzung bei Conzelman, ebd.: »Wenn die Kirche als in sich geschlossene Bruderschaft lebt, so ist doch ihr Dasein die ständige Konfrontation der Offenbarung mit der Welt, an die damit das Angebot des Glaubens ergeht.« 141 Becker, Aufbau (s. Anm 132), 74, sieht in V. 16 eine sekundäre Dublette zu V. 14b. 142 Darauf weist der Aor. a Æ peÂsteila hin: Die Jünger »sind« immer schon in die Welt gesandt – einen expliziten Missionsauftrag gibt es nicht. Vgl. aber 20,21 (dazu Schnackenburg, Joh III, 212 Anm. 59). 143 Schnackenburg, Joh III, 212. 144 Außerdem kann unser Mangel an konkreten historischen Kenntnissen hinsichtlich der Missionstätigkeit der joh Gemeinde(n) kein Argument gegen die Ernsthaftigkeit der Aussage von V. 18 sein. 145 Dies sieht Käsemann, Jesu letzter Wille, 116 (135) richtig, wenn er den hier formulierten Missionsgedanken mit der Inkarnation parallelisiert; unzutreffend ist nur seine Interpretation, Inkarnation meine »nicht das völlige Eingehen in die Erde, sondern die Begegnung des Himmlischen und des Irdischen«, und entsprechend gelte die Sendung der Jünger nicht der Welt, sondern den Erwählten (so unter Berufung auf 11,52). Aber in 11,52 dürfte doch an die Heiden gedacht sein (vgl. Schnackenburg, Joh III, 142). 146 Wie bedeutsam die in V. 18 anvisierte Aufgabe ist, zeigt V. 19. 147 Becker, Beobachtungen (s. Anm 21), 82 erklärt, die Sendung der Jünger in die Welt impliziere »nicht die Missionierung der Welt, so daß diese in genere Objekt der Heilsbotschaft wäre«; vielmehr entspreche diese Sendung der Sendung Christi, »d. h. wie Gott ihn sandte (V. 25) zur Sammlung der Prädestinierten, so soll die Kirche dieses Werk in der Abwesenheit Jesu fortsetzen, bis auch sie ihrem vorangegangenen Herrn in die Ewigkeit folgt (V. 24)«. In der Tat ist die Welt nicht als solche (»in genere«) Empfängerin des Heils; sie hört die Botschaft (V. 18), die sie zum Glauben ruft (V. 20 f.23). Glaubt sie – so ist sie nicht mehr Welt. 148 Sollten die Analysen hinsichtlich einer umfangreichen nachjohanneischen Redaktion des Joh zutreffen, so wären sie jedenfalls auch ein Beleg für die konkreten Folgen von 17,18. Denn die

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Die Aussage von V. 20 ergibt sich folgerichtig aus V. 18149: Die Sendung der Gemeinde in die Welt führt dazu, daß durch ihr Wort auch andere glauben; und auch diesen gilt deshalb Jesu Fürbitte150. Das Ziel wird dabei in fast denselben Worten wie in V. 11 beschrieben (V. 21): Alle sollen »eins« sein151. Man kann fragen, ob hinter der Betonung dieses Ziels die Tatsache steht, daß zur Zeit der Abfassung des Textes die Einheit gerade nicht realisiert war152; Käsemann meint jedenfalls, wenn kirchliche Einheit hier aus dem Verhältnis des Sohnes zum Vater abgeleitet werde, so bedeute dies, daß das Problem »nicht fixiert, sondern in fromme Nebel gehüllt« werde153. Aber ein solches Urteil ist schon deshalb fragwürdig, weil wir ja den konkreten historischen Hintergrund des Textes praktisch überhaupt nicht kennen154. Nochmals wird betont (V. 21b), daß der Horizont unseres Textes die Welt ist: Die Einheit der Gemeinde, um die Jesus bittet, soll die Welt zum Glauben veranlassen155. Wie wichtig dem Evangelisten diese Aussage ist, zeigt die Tatsache, daß er sie in V. 23 in anderer Terminologie wiederholt: Der koÂsmow soll »erkennen«, daß Gott Jesus gesandt und (darin?) die Jünger geliebt hat156. Damit ist freilich die Scheidung zwischen Gemeinde und Welt nicht aufgehoben, wie V. 25 abschließend zeigt: Die Welt hat Gott nicht erkannt, die Jünger aber haben erkannt, daß Jesus von Gott gesandt wurde157. Annahme, die Redaktionsgeschichte des Joh mit ihren vielfältigen theologischen Implikationen habe sich über Jahrzehnte hinweg im kleinsten Kreis vollzogen (so Richters These [Studien, 404–407]), ist doch außerordentlich unwahrscheinlich. 149 Becker, Aufbau (s. Anm 132), 74 f. erklärt, durch V. 20 f. werde der regelmäßige Aufbau des Gebets gestört (vgl. seine Analyse aaO., 69), und sie seien deshalb – in dem nach Becker ohnehin nachjohanneischen Text – nochmals sekundär. Reicht ein solches Argument wirklich aus? 150 Es ist nicht ausdrücklich gesagt, daß diese durch das Wort der Jünger gläubig Gewordenen zuvor »Welt« waren. V. 20 bestätigt aber die oben gegebene Auslegung von V. 9: Die Welt ist nicht als solche Objekt der Fürbitte; aber sie wird es, soweit und indem sie gläubig wird – und damit aufhört, Welt zu sein. 151 Man könnte versucht sein, pa  ntew quasi auf die Menschheit zu beziehen: Alle Welt soll in Jesus geeint werden. Aber solcher Deutung widerspricht die Fortsetzung (. . . Ïina oë koÂsmow pisteyÂhì ktl.). 152 Vgl. die von Schnackenburg, Joh III, 216, angestellten Überlegungen. 153 Käsemann, Jesu letzter Wille (s. Anm 1), 104 (121). 154 So m. R. Schnackenburg (s. Anm 152). Vgl. auch das in Anm. 144 Gesagte, das hier analog zu wiederholen wäre. 155 Schnackenburg, Joh III, 218: Hier »meldet sich das missionarische Interesse der joh Gemeinde zu Wort, das trotz aller Distanz zur Welt und trotz des dualistischen Welt-Begriffes nicht untergeht« (Hervorhebung von mir). Diese m. E. zu zurückhaltende Formulierung wird der Tatsache nicht gerecht, daß der letzte Ïina-Satz »ein wirklicher Finalsatz« (so Schnackenburg, ebd.) ist; Der Glaube der Welt ist tatsächlich das Ziel der Gemeinde. 156 ginv  skein ist hier natürlich nicht ein abstraktes Erkennen und noch weniger ein nachträgliches (»zu spät«) Erkennen; vielmehr ist es vom pisteyÂein her zu interpretieren (vgl. Bultmann, Joh, 394 Anm. 6). 157 Die an dieser Stelle im ersten Augenblick überflüssig wirkende Formulierung eÆgv Á de se

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J. Becker hat zu Joh 17 erklärt, hier sei der joh Dualismus »auf einen ungebrochen prädestinatianischen Kirchenbegriff und auf die Abkapselung der Gemeinde von der Welt reduziert«158. Selbst die Christologie sei verkirchlicht, da die Sendung Jesu nur noch den Seinen gelte und ohne weltweite Bedeutung sei: »Sein Kommen ist nur partielles ekklesiologisches Ereignis.«159 Aber diese Interpretation läßt sich m. E. nicht halten. Es fällt im Gegenteil auf, daß gerade im Rahmen eines Textes, der schon von seiner Gattung und von seiner Stellung im Kontext des Evangeliums her Raum für esoterische Selbstbeobachtung geboten hätte, der Blick relativ oft zur Welt hin geöffnet wird. Gerade 17,18 und die sich daraus ergebenden Aussagen 17,20 f.160 und 17,23 machen deutlich, daß sich die Gemeinde zwar von der Welt geschieden, aber auch und gerade deshalb zugleich zu ihr gesandt weiß.

III Welche Schlußfolgerungen ergeben sich? Kann man tatsächlich sagen, Joh vertrete – wenn auch »naiv« – eine »doketistische Ekklesiologie«? Joh spricht von einer Gemeinde, die Verfolgungen ausgesetzt ist und die darin die gottfeindliche »Welt« am Werk sieht. Der Evangelist – und dabei ist er sicher Sprecher seiner Gemeinde – antwortet hierauf mit dem Aufruf zur gegenseitigen Liebe, die der von Christus her erfahrenen Liebe entsprechen und in ihr begründet sein soll. Liebe konstituiert also Gemeinschaft, und deshalb kann es für Joh eine Liebe zur Welt im Sinne der in der Bergpredigt geforderten Feindesliebe nicht geben. Die Jünger sollen und können die Welt nicht lieben; aber das heißt keineswegs, daß die Welt nicht mehr Ort und Adressat des Handelns der Gemeinde wäre. Die Gemeinde versteht sich gerade nicht als grundsätzlich schon aus der Welt genommen, sondern sie weiß und betont, daß sie in der Welt ist und daß ihr In-derWelt-Sein dem ausdrücklichen Willen Christi entspricht. Sie begreift ihr eigenes Dasein als Anrede an die Welt und darin als Fortsetzung des Dienstes Jesu; die Welt soll erkennen, daß Jesus der von Gott gesandte Offenbarer ist – diesen »Missionsauftrag« hat die Gemeinde von Jesus empfangen. Wohl hat Jesus die Jünger »aus der Welt erwählt«; aber diese Erwählung führt gerade nicht in Passivität, sondern sie ermöglicht im Gegenteil eine auf die Welt bezogene Aktivität der Gemeinde. eÍgnvn besagt, daß »alle Glaubenserkenntnis . . . ihren Grund [hat] in seiner Gotteserkenntnis« (Bultmann, Joh, 400). 158 Becker, Aufbau (s. Anm 132), 81. 159 Becker, Aufbau, 82 f. (Zitat 83). 160 M. E. liegt darin ein wesentlicher Nachteil von Beckers Exegese, daß er diese seiner Deutung widersprechenden Aussagen aus überwiegend formalen Gründen für sekundär erklärt, ohne daß er etwa einen direkten Widerspruch zu anderen Aussagen innerhalb von Joh 17 behaupten könnte.

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Die joh Gemeinde versteht sich in der Tat nicht als Gemeinde unter dem Kreuz; aber sie versteht sich als Gemeinde dessen, der zum Vater ging und die Jünger in der Welt zurückließ. Dies wird konkret erfahren im Haß der Welt und eben gerade nicht in einer religiösen Hochstimmung, die die Welt schon hinter sich gelassen zu haben glaubt. So sind vielleicht nicht explizit, aber ganz sicher doch in der Sache zumindest Aspekte der Kreuzestheologie festgehalten; und deshalb kann man keinesfalls sagen, die Gemeinde führe nach Joh im Grunde nur eine Scheinexistenz in der Welt161. Gottes Liebe gilt der Welt, die zum Glauben gerufen wird und die insofern freilich nicht mehr »Welt« bleiben soll. Diese Liebe ereignete sich in der Sendung des Sohnes; und sie ereignet sich in der Sendung der Gemeinde. Gemeinde ohne diesen Bezug zur Welt gibt es für Joh nicht.

161 Bei aller Zurückhaltung gegenüber dem Begriff Kreuzestheologie bei Joh sollte immerhin nicht übersehen werden, daß in 20,20.25.27 die Zeichen von Jesu Kreuzestod in besonders betonter Weise als Erkennungsmerkmale des Auferstandenen herausgestellt werden, was sonst nur noch – viel weniger ausgeprägt – in Lk 24,39 begegnet. Daß das Motiv aus der Tradition stammt (so Bultmann, Joh, 535 f.), spielt für die theologische Bewertung keine Rolle.

Mose und Jesus Christus Zum Verständnis des Gesetzes im Johannesevangelium 1. Einleitung Der Prolog des Johannesevangeliums endet in 1,18 mit der programmatischen Aussage, niemand habe jemals Gott gesehen, und allein der jetzt als monogenhÁw yiëoÂw1 bezeichnete fleischgewordene loÂgow habe authentische Kunde von Gott gebracht; mit dieser an eine Überschrift erinnernden Aussage stellt sich das Vierte Evangelium dar als die verbindliche »Exegese« Gottes.2 Unmittelbar zuvor findet sich in 1,17 eine Gegenüberstellung von »Gesetz« einerseits, »Gnade und Wahrheit« andererseits, verbunden mit den Namen »Mose« und »Jesus Christus«. Welchen Sinn hat diese Gegenüberstellung? Handelt es sich um eine Antithese, oder liegt im Gegenteil der Gedanke einer heilsgeschichtlichen Kontinuität zwischen oë noÂmow und hë xaÂriw kaiÁ hë aÆlhÂueia vor und besteht dementsprechend auch eine Kontinuität zwischen Mose und Jesus? Die Antwort auf diese Frage ist von erheblicher Bedeutung für die Auslegung des Johannesevangeliums im ganzen und darüber hinaus für die historische Rekonstruktion der Beziehung zwischen der johanneischen Gemeinde und der Synagoge.3 Bisweilen wird schon aus dem 1 Zur Textkritik in Joh 1,18 vgl. die Argumentation zugunsten der oben zitierten, breit bezeugten Lesart bei D. R. Sadananda, The Johannine Exegesis of God. An Exploration into the Johannine Understanding of God, Diss. Bethel 1997, 192 f. [BZNW 121, Berlin/New York 2004, 210 f.] Neben rein textkritischen Argumenten führt Sadananda vor allem auch ein wesentliches theologisches Argument an: »The Fourth Evangelist uses the Logos metaphor to describe God’s relationship with the world whereas the Father-Son metaphor to describe Jesus’ relationship with God. Here in v. 18 the Fourth Evangelist is not out to prove that Jesus is the ueoÂw, instead he articulates and defines his mission as the unique Son!« 2 Vgl. den Titel der in Anm. 1 zitierten Arbeit. 3 Es bedarf keiner näheren Begründung, daß es sich um eine Frage handelt, die nach dem historischen Textsinn sucht und die also mit exegetischen Mitteln zu beantworten ist. Die Frage, ob Joh »antijudaistisch« (oder gar »antisemitisch«) ist oder nicht, kann allenfalls nach der Erhebung des Textbefundes diskutiert werden. Die Problematik wird sichtbar in dem Aufsatz von J. Schoneveld, Die Thora in Person. Eine Lektüre des Prologs des Johannesevangeliums als Beitrag zu einer Christologie ohne Antisemitismus, KuI 6 (1991), 40–52, der die Hypothese vertritt, der loÂgow des Prologs sei als »Thora« zu verstehen, Jesus sei für Joh dementsprechend die fleischgewordene Tora (für »die Völker«, 51). Kritisiert werde bei Joh lediglich die Legitimität der Toraauslegung des pharisäischen Judentums (48 f.). Zur kritischen Auseinandersetzung vgl. die nach wie vor aktuellen Ausführungen von E. Grässer, Die antijüdische Polemik im Johannes-

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Fehlen einer Adversativpartikel in Joh 1,17 der Schluß gezogen, das mit Mose verbundene »Gesetz« und die mit Jesus Christus verbundenen Heilsgaben »Gnade und Wahrheit« könnten überhaupt nicht in Antithese zueinander stehen.4 Das aber ist eine zumindest vorschnelle Antwort auf das exegetische Problem. Denn wenn im Anschluß an die Aussage über die aus der »Fülle« des inkarnierten loÂgow empfangene xaÂriw (1,16) als Begründung (oÏti) der Hinweis auf das durch Mose »gegebene« Gesetz und auf die durch Jesus Christus »gewordene« Einheit von Gnade und Wahrheit folgt, dann ist jedenfalls klar, daß der noÂmow offenbar nicht auf die Seite Christi und die xaÂriw sowie die aÆlhÂueia offenbar nicht auf die Seite des Mose gehört. Ob sich damit tatsächlich – wie es der Wortlaut nahelegt – ein Gegensatz verbindet, oder ob die beiden Größen in einer anderen, im einzelnen dann noch näher zu beschreibenden Weise zueinander in Beziehung stehen, kann von 1,17 allein her nicht geklärt werden. Vielmehr ist zu fragen, wie »Mose« und »das Gesetz« im Johannesevangelium im ganzen gedeutet werden. Im folgenden sollen dazu alle entsprechenden Textstellen interpretiert werden. Von den so gewonnenen Ergebnissen her soll dann eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der programmatischen Aussage in 1,17 gesucht werden.5

2. Mose im Johannesevangelium Der Name des Mose begegnet im Johannesevangelium außer in 1,17 noch elfmal, dazu noch einmal innerhalb der sekundär eingefügten Erzählung 7,53–8,11. Auf Mose verweisen sowohl »die Juden« bzw. deren Repräsentanten als auch Jesus. 2.1. Der erste hier zu untersuchende Text ist Joh 1,45. In Joh 1,35–42 war zunächst erzählt worden, wie zwei Jünger Johannes des Täufers von Jesus berufen werden, ein Mann namens Andreas und eine weitere namentlich nicht genannte Person. Andreas »findet«6 dann zuerst seinen Bruder Simon und sagt ihm: »Wir haben den Messias gefunden«. Am nächsten Morgen »findet« Jesus den Philippus (1,43), und dieser »findet« seinerseits Nathanael und sagt zu ihm Äì noÂmvì und die Propheten geschrieben (1,45): »Wir haben den, von dem Mose eÆn tv haben, gefunden,7 Jesus, den Sohn Josephs aus Nazareth.« Auch wenn hier die evangelium (1964/65), in: Ders., Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament (WUNT 35), Tübingen 1985, 135–153. 4 So, neben vielen, auch A. Obermann, Die christologische Erfüllung der Schrift im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur johanneischen Hermeneutik anhand der Schriftzitate (WUNT II/83), Tübingen 1996, 54 Anm. 83 (vgl. auch unten Anm. 99). 5 Vgl. Obermann, Erfüllung (s. Anm. 4), 50–62, der von seinem Thema her über no  mow und Mvysh Ä w hinaus auch das Wortfeld grafh / grafai untersucht (38–50). 6 Zu diesem sehr betont eingesetzten Motiv des »Findens« vgl. Obermann, Erfüllung (s. Anm. 4), 368–370. 7 Obermann, Erfüllung, 370, fragt, warum Philippus hier den Plural verwendet; von Joh 1,43 an sei jedenfalls nicht nur an Simon (1,41) zu denken, sondern es sei anzunehmen, »daß es nach

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III. Studien zum Johannesevangelium

Kategorie »Verheißung und Erfüllung« nicht vorliegt, ist doch vorausgesetzt, daß Mose und die Propheten8 eine Kenntnis von Jesus gehabt haben, die ihren Schriften entnommen werden kann. Dabei wissen die Leser des johanneischen Textes bereits, daß Jesus »das Lamm Gottes ist, das die Sünde der Welt trägt« (1,29; vgl. 1,36), daß er der ist, der eÆn pneyÂmati aëgiÂvì tauft (1,33), ja, daß er »der Sohn Gottes« ist (1,34). Dies alles war in 1,41 in dem Titel MessiÂaw, also xristoÂw, zusammengefaßt worden. Die in 1,18 getroffene Feststellung, Jesus sei der einzige authentische »Exeget« Gottes, bedeutet also durchaus nicht, daß alles frühere Reden wertlos genannt werden müßte: Mose9 und die Propheten als die Repräsentanten Israels, so behauptet Philippus, haben von Jesus als dem Messias gesprochen; deshalb kommt ihnen bzw. ihren Schriften eine unmittelbare Bedeutung zu. Dem Ä w ÆIsrahliÂthw bezeichnen und entspricht es, daß Jesus den Nathanael als aÆlhuv Nathanael seinerseits Jesus als den Sohn Gottes und eben darin als den »König von Israel« apostrophieren kann.10 Durch den Vorausverweis auf Jesus als den Messias bleibt das biblische Israel von zentraler Bedeutung – aber eben auch nur dadurch. 2.2. Joh 3,14.15: Das in Joh 3,1 beginnende Gespräch Jesu mit Nikodemus11 geht nach dem letzten Wortwechsel (3,9.10) in einen Monolog Jesu über, während dessen der Gesprächspartner gleichsam unbemerkt aus der Erzählung verschwindet. Jesus spricht in 3,13 von sich selber in den Kategorien von »Abstieg und Aufstieg«, wobei er den schon in 1,51 eingeführten Hoheitstitel »Menschensohn« verwendet. Dieser Titel wird in 3,14 wiederholt, und zwar im Kon-

Meinung des Evangelisten unter ›den Juden‹ einzelne oder auch eine an unserer Stelle nicht näher genannte Gruppe gibt, die die Schrift christologisch angemessen versteht und als schriftverständige gelten kann«. Aber das »wir« in 1,45 bezeichnet im Kontext doch wohl einfach die Gruppe der immerhin schon drei Personen, die sich Jesus angeschlossen haben. 8 M.-E ´ . Boismard, Moses or Jesus. An Essay in Johannine Christology (BEThL 84-A), Leuven 1993, 25 f. verweist m. R. darauf, daß es nicht heißt »Gesetz und Propheten« (vgl. dagegen Mt 7,12; 11,13; 22,40; Röm 3,21). Dennoch dürfte auch hier »die Schrift«, d. h. die (jüdische) Bibel als ganze gemeint sein. A. Obermann, Erfüllung 51 f. findet auch einen Hinweis auf die Ketubim, führt das aber nicht aus. Auf den dritten Bibelteil (»Psalmen«) wird innerhalb des NT nur in Lk 24,44 ausdrücklich hingewiesen. 9 R. Brown, The Gospel According to John. Volume 1. i-xii (AncB), London 31978, 86 sieht hier eine Anspielung auf Dtn 18,15–18; ebenso Boismard, Moses (s. Anm. 8), 25–30. Daß Joh eine deutliche Nähe zu den Samaritanern aufweist, ist angesichts von Joh 4 unübersehbar; aber daß das Vierte Evangelium in dem (später belegten) samaritanischen Sinne in Jesus den endzeitlichen »Propheten wie Mose« gesehen hat, wie Boismard meint, ist wenig wahrscheinlich. Die Feststellung, Mose habe »von Jesus gesprochen«, dürfte also eher pauschal gemeint sein und sich nicht auf einen spezifischen Text beziehen. 10 Bemerkenswert ist allerdings, daß von demselben Philippus, der in Joh 1,45 die Wahrheit über die biblisch verheißene Messianität Jesu ausspricht, in 14,8 f. gesagt wird, er habe Jesus nicht wirklich »erkannt«. 11 Vgl. dazu J. Becker, J 3,1–21 als Reflex johanneischer Schuldiskussion, in: Ders., Annäherungen. Zur urchristlichen Theologiegeschichte und zum Umgang mit ihren Quellen, hg. von U. Mell (BZNW 76), Berlin 1995, 127–137.

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text einer nun bewußt paradoxen »Erhöhungs«christologie: Mose hat »die Schlange« in der Wüste erhöht,12 und in gleicher Weise »muß« der Menschensohn von Gott »erhöht« werden,13 damit, wie es dann in V. 15 heißt, »jeder Glaubende« ewiges Leben habe.14 Die Aussage von Joh 3,14 f. setzt bei den Lesern des Johannesevangeliums die Kenntnis der Erzählung von Num 21,6–9 voraus; dabei ist allerdings zu beachten, daß das für den johanneischen Text entscheidende Verb yëcoyÄn in Num 21 nicht vorkommt.15 Die Struktur der Aussage in Joh 3,15 entspricht derjenigen in Num 21,8 f. LXX;16 aber gerade angesichts dessen zeigt sich, daß das gegenwärtige Christusgeschehen das damalige Geschehen eÆn thÄì eÆrhÂmvì überbietet: Anders als das Sehen auf die Schlange schafft der auf das Christusgeschehen bezogene Glaube nicht einfach Leben, sondern er gewährt »ewiges Leben«. Zwar entspricht die bevorstehende »Erhöhung« des Menschensohnes dem einstigen Handeln des Mose; aber die daraus resultierende Folge überbietet die damaligen Folgen bei weitem.17 Das tertium comparationis liegt im yëcoyÄn, allerdings nicht in dem Begriff als solchen, der ja weder in Num 21 noch im Kreuzigungsbericht des Joh verwendet wird, sondern in dem erzählten jeweiligen Geschehen, das in Joh 3,14 als »Erhöhung« bezeichnet wird.18 Bedeut12 Vgl. dazu J. Frey, »Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat . . .«. Zur frühjüdischen Deutung der ›ehernen Schlange‹ und ihrer christologischen Rezeption in Johannes 3,14 f., in: M. Hengel/H. Löhr (Hgg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum (WUNT 73), Tübingen 1994, 153–205, vor allem 177–203. 13 Die pass. Wendung dei Ä yëcvuh Ä nai verweist auf Gott als den Handelnden. 14 Die Zuweisung der präpositonalen Wendung eÆn ayÆtv Äì ist unklar. Nach J. Becker, Das Äì auf eÍxhì Evangelium nach Johannes. Kapitel 1–10 (ÖTK 4/1), Gütersloh 31991, 171 geht eÆn ayÆtv und ist nicht Objekt zu oë pisteyÂvn (vgl. V. 16: oë pisteyÂvn eiÆw ayÆtoÂn); zahlreiche Handschriften haben geändert (P66 L: eÆp’ ayÆtv Äì; P63vid a A U und der Mehrheitstext: eiÆw ayÆtoÂn; A: eÆp’ ayÆtoÂn). Ist eÆn ayÆtv Äì tatsächlich im Sinne des paulinischen »in Christus« zu verstehen? Oder könnte nicht doch eine V. 16 entsprechende Aussage vorliegen (vgl. Mk 1,15)? 15 Das betont auch Frey, »Mose« (s. Anm. 12), 194. Frey führt die Verwendung von yëcoy Ä n auf den Einfluß von Jes 52,13 zurück; so auch schon R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium. I. Teil. Einleitung und Kommentar zu Kap. 1–4 (HThK IV/1), Freiburg 31972, 409. 16 Gottes Zusage an Mose lautet: pa Ä w oë dedhgmeÂnow iÆdvÁn ayÆtoÁn (sc. die Schlange) zhÂsetai. Nachdem Mose dann die eherne Schlange gemacht hatte, geschah es entsprechend (. . . kaiÁ eÆpiÂblecen eÆpiÁ toÁn oÍfin toÁn xalkoyÄn kaiÁ eÍzhì; vgl. dazu Frey, »Mose«, 183 f.). Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß zwar in Joh 19,37 vom »Sehen« (oÍcontai) auf den Gekreuzigten, in 3,15 Ä w oë pisteyÂvn); die häufige Aussage, das tertium comparationis jedoch vom Glauben die Rede ist (pa zwischen beiden Vorgängen sei »der Blick zum Erhöhten« (so neben vielen auch Obermann, Erfüllung [s. Anm. 4], 321), trifft den Befund nicht. Ob das »Sehen« in Joh 19,37 als heilschaffendes gemeint ist, kann man angesichts des Kontexts jedenfalls fragen. 17 Es fällt auf, daß in Barn 12,5–7, wo – unabhängig von Joh (s. dazu Becker, Joh I, 170) – dieselbe alttestamentliche Erzählung verwendet wird, eine Typologie der Entsprechung begegnet und der für Joh entscheidende Aspekt des Überbietenden gerade fehlt. Justin erwähnt nur, daß Mose auf Gottes Weisung einen tyÂpow stayroyÄ gemacht und zum Volk gesagt habe: eÆaÁn prosÄì svuhÂsesue (apol. I 60,3); zu fragen ist übrigens auch bleÂphte tv Äì tyÂpvì toyÂtvì kaiÁ pisteyÂhte, eÆn ayÆtv hier, ob sich eÆn ayÆtv Äì auf pisteyÂhte oder auf svuhÂsesue bezieht (vgl. oben Anm. 14). 18 Daß yëcoy Ä n in Joh 3,14 sich auf die Kreuzigung bezieht, geht aus 8,28 und vor allem aus 12,32 f. hervor (vgl. 19,6). Becker, Joh I, 171 stellt zu 3,14 m. R. fest: »Das Kreuz als Leidens-

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sam ist der Wechsel vom einfach berichtenden yÏcvsen bei Mose hin zum theologisch qualifizierten yëcvuhÄnai deiÄ im Blick auf Christus; hier zeigt sich, daß eine Mose-Christus-Typologie nicht im Blick ist. Zwar war das, was Mose einst in der Wüste getan hatte, eine Vorabbildung dessen, was nach Gottes Plan mit Jesus als dem Menschensohn geschehen muß (3,14); aber die in 3,15 sich anschließende Heilszusage ist in dieser Form in der biblischen Tradition ohne Entsprechung. 2.3. Mose wird erneut erwähnt in Joh 5,45–47. Es handelt sich um den Schluß einer längeren Rede Jesu, die mit Joh 5,31 begonnen hatte,19 und der in 5,19–30 eine weitere Rede vorausgegangen war. Die Adressaten der beiden Reden sind »die Juden«, die Jesus wegen seiner Sabbatheilung am Teich Bethesda verfolgen (5,16) und ihn dann aufgrund seiner Aussage in 5,17 zu töten versuchen (V. 18). In 5,38 f. spricht Jesus davon, daß sie die grafai durchforschen, dabei aber übersehen, daß diese Schriften gerade von ihm Zeugnis ablegen. Sie glauben, durchaus zu Recht, daß sie in den Schriften »ewiges Leben haben«; aber sie erkennen nicht deren Zeugnischarakter, weigern sich, zu Jesus zu kommen, und verfehlen so die zvh (5,40).20 Jesus »hat erkannt«, daß sie die Liebe Gottes nicht in sich haben (V. 42) und daß sie nicht nach der doÂja suchen, die vom einzigen Gott kommt (V. 44). Aus dieser Feststellung aber, so fährt Jesus nun in V. 45 fort, sollten sie nicht den Schluß ziehen, er werde sie (künftig) beim Vater anklagen; vielmehr, so behauptet Jesus, ist ihr Ankläger (bereits gegenwärtig) Mose,21 auf den sie doch symbol spielt hier keine Rolle« (kritisch dazu U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes [ThHK 4], Leipzig 1998, 74 Anm. 75), wobei gilt: »Die Erhöhung Christi ist die Herrschaft des Lebens. Sie geschieht durch den anstößigen Kreuzestod hindurch« (Becker ebd.). 19 Zur Gliederung dieser Rede vgl. Becker, Joh I, 301 f. Die Frage, ob im »ursprünglichen« Joh auf 5,47 tatsächlich der Abschnitt 7,15–24 folgte, was nach den Maßstäben unserer Erzähllogik zweifellos einen guten Sinn gäbe, kann hier offenbleiben. 20 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK II), Göttingen 181964, 201 sieht in Joh 5,39 f. die Offenbarungsredenquelle verarbeitet, in der mit der Aussage von V. 39a (eÆraynaÄte taÁw grafaÂw, oÏti yëmeiÄw dokeiÄte eÆn ayÆtaiÄw zvhÁn aiÆvÂnion eÍxein) und V. 40 (kaiÁ oyÆ ueÂlete eÆlueiÄn proÂw me Ïina zvhÁn eÍxhte) »eine Abweisung der jüdischen Religion überhaupt« ausgesagt sei; der Evangelist habe dann V. 39b (kaiÁ eÆkeiÄnai eiÆsin aië martyroyÄsai periÁ eÆmoyÄ) eingefügt, »wie er in gleichem Sinne nachher die Quelle um V. 45–47 erweitert hat«. Auch wenn man der quellenkritischen Analyse nicht folgt, ist die Beobachtung (aaO., 201 f.) richtig, daß der Hinweis auf den Zeugnischarakter der Schrift »die Anklage noch verschärft: eben in der Schrift redet ja der loÂgow Gottes; durch sie war also die Möglichkeit gegeben, für die Offenbarung offen zu stehen. Denn in ihr erklingt Gottes Forderung, und durch sie wird damit die Armut des Menschen aufgedeckt«. 21 Bultmann, Joh 205 Anm. 1 betont m. R., der Verweis auf Mose als Ankläger sei nicht mythologisch, sondern im Sinne der Aussage von Joh 5,38 f. aufzufassen. Ob die Wendung eÍstin oë kathgorv Ä n präsentisch oder futurisch zu verstehen ist, läßt sich kaum sicher sagen (vgl. F. Blass/A. Debrunner/F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, § 339). Nach Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 3397 spricht kathgorhÂsv in V. 45a dafür, auch die Ä n als »endzeitlich gemeint« aufzufassen. Denkbar ist aber auch, partizipiale Wendung oë kathgorv daß durch die Aussage in V. 45b die in V. 45a erwähnte Vermutung im ganzen korrigiert werden soll: Nicht Jesus wird es sein, der »die Juden« anklagt, sondern Mose ist bereits gegenwärtig ihr Ankläger. Brown, John I (s. Anm. 9), 226 verweist in diesem Zusammenhang auf die in Dtn 31,26 der Tora zugeschriebene Aufgabe (laboÂntew toÁ bibliÂon toyÄ oÏmoy toyÂtoy uhÂsete ayÆtoÁ eÆk plagiÂvn th Ä w kibvtoyÄ th Ä w diauhÂkhw kyriÂoy toyÄ ueoyÄ yëmv Ä n, kaiÁ eÍstai eÆkeiÄ eÆn soiÁ eiÆw martyÂrion); vgl. 31,19.

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ihre Hoffnung setzen.22 Inwiefern sich für »die Juden« mit Mose »Hoffnung« verbindet, wird nicht gesagt: Ist gemeint, daß er als der Gesetzgeber den Juden »das Gesetz zum Lebensgewinn« gab, ist Mose für sie also »der Heilsgarant«?23 Oder steht im Hintergrund die Vorstellung von Mose als einem himmlischen Fürsprecher?24 Das Verb eÆlpiÂzein scheint generell auf eine eschatologische Funktion des Mose zu verweisen, allerdings wohl nicht so, daß eine »Parusie« des Mose erwartet wird, sondern so, daß aus »Mose«, also aus der Tora, die Hoffnung wahren Lebens abgeleitet wird.25 Da nun Jesus tatsächlich der eschatologische Heilbringer ist, erfüllt er die der Tora zu entnehmende Hoffnung. Dies wird in V. 46 ausdrücklich festgestellt: Mose hat nämlich von Jesus geschrieben (periÁ gaÁr eÆmoyÄ eÆkeiÄnow eÍgracen), und wenn »die Juden« dem Mose glaubten, so würden sie auch Jesus glauben. Mose ist also ihr Ankläger, weil und insofern sie dem, von dem er geschrieben hatte, den Glauben verweigern. »Die Juden« verhalten sich also völlig anders als Philippus,26 der in Jesus den erkannte, von dem Mose im Gesetz geschrieben hatte (1,45). Dem entspricht dann die abschließende Feststellung in 5,47: »Die Juden« glauben den graÂmmata des Mose nicht, d. h. sie verweigern ihrer eigenen Heiligen Schrift die Anerkennung; daraus ergibt sich, wie Jesus mit seiner rhetorischen Frage konstatiert, zwangsläufig, daß sie seinen rëhÂmata ebenfalls nicht glauben werden.27 Mose steht also nicht etwa in einem Gegensatz zu Jesus; er ist vielmehr der, der in der Schrift verbindlich auf Jesus hingewiesen hat. In gleicher Weise wie in 1,45 liegt also auch hier, wenn auch ebensowenig wie dort explizit ausgesprochen, das Schema »Verheißung und Erfüllung« zugrunde. 2.4. Joh 6,30–32: Auch im Johannesevangelium sind, ebenso wie in der synoptischen Tradition, das einem oÍxlow polyÂw zuteilwerdende Brotwunder und der Seewandel Jesu unmittelbar miteinander verbunden (6,1–21).28 Nach dem ersten 22

Das Perfekt hÆlpiÂkate sagt nicht, daß es sich um eine bereits vergangene Hoffnung handelt. So Becker, Joh I, 308. 24 Für diese Deutung sprechen die von D. Sänger, »Von mir hat er geschrieben« (Joh 5,46). Zur Funktion und Bedeutung Mose im Neuen Testament, KuD 41 (1995) 112–135, hier: 126 Anm. 63 genannten jüdischen Belege. 25 Vgl. dazu Bultmann, Joh 205: Es ist nicht, jedenfalls nicht primär, an die »messianischen Weissagungen« zu denken, sondern an das, »was für Mose charakteristisch ist, das Gesetz«. Das Gesetz will den Juden »Gottes Forderung und damit ihre Begrenztheit und ihre Angewiesenheit auf die doÂja, die Gott gibt, zum Bewußtsein bringen«. 26 Selbstverständlich ist auch Philippus ein Jude, »Heiden« kommen im Joh überhaupt nicht zu Wort. Aber indem Philippus »das Gesetz des Mose« richtig versteht, erweist er sich als nicht zu »den Juden« gehörig. 27 Vgl. Schnelle, Johannes (s. Anm. 18), 113: »Die höchste und bleibende Bedeutung der Schrift besteht in ihrem grundlegenden Zeugnis, so daß nach joh. Verständnis die Schrift nur auf Jesus Christus hin gelesen und von ihm her verstanden werden kann. Das Verhältnis zwischen der Schrift und Jesus Christus ist als eine von Gott gewollte und angelegte Kontinuität zu denken«. 28 Vgl. F. Vouga, Le quatrie ` me e´vangile comme interpre`te de la tradition synoptique: Jean 6, in: A. Denaux (ed.), John and the Synoptics (BEThL 101), Leuven 1992, 261–279. 23

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III. Studien zum Johannesevangelium

Wunder will ihn die Menge zum König machen (6,15); nach dem zweiten Wunder, das der oÍxlow nicht unmittelbar wahrgenommen hatte, fragen sie verwundert, wie er so plötzlich an »das andere Ufer« des Sees habe gelangen können (6,25). In einer kurzen Rede über »Zeichen« und »Werk« ruft Jesus in 6,29 dazu auf, an ihn als an den von Gott Gesandten zu glauben. Daraufhin erbitten die Menschen des oÍxlow von Jesus ein Zeichen, aufgrund dessen sie zu solchem Glauben bereit wären (6,30). Sie verweisen darauf, daß »unsere Väter« in der Wüste das Manna, also eine himmlische Speise, gegessen haben (6,31a), d. h. sie sehen darin einen ihren Glauben gleichsam legitimierendes Wunder; eingeleitet mit der Wendung kauvÂw eÆstin gegrammeÂnon,29 folgt ein Schriftwort (6,31b). Das zitierte Wort ist so nicht belegt; es erinnert aber doch deutlich an Ps 77,24 LXX30. Ebenso wie in der Erzählung in Ex 16 ist auch in Ps 77 (78) vorausgesetzt, daß Gott es war, der das Manna gab.31 In Joh 6,31 ist dagegen nicht gesagt, wen der oÍxlow als Subjekt zu eÍdvken denkt; vom Kontext her ist aber zu vermuten, daß nicht Gott, sondern Mose gemeint ist, denn es geht ja darum, daß ein Mensch ein ihn beglaubigendes shmeiÄon tun soll. In der Antwort Jesu (V. 32) ist diese Auslegung jedenfalls vorausgesetzt: In dem feierlich mit aÆmhÁn aÆmhÁn leÂgv yëmiÄn eingeleiteten Wort spricht Jesus ausdrücklich von Mose und erklärt, dieser habe nicht das Brot eÆk toyÄ oyÆranoyÄ gegeben. Dabei zeigt sich eine bemerkenswerte Veränderung der Perspektive: Die Menschen des oÍxlow hatten in ihrer Aussage in 6,31 ausdrücklich den zeitlichen Abstand vorausgesetzt (»unsere Väter . . .«), Jesus dagegen überspielt in seiner Antwort (V. 32) diesen Abstand32: Ihr, die Menschen des (gegenwärtigen) oÍxlow, habt von Mose kein »Himmelsbrot« empfangen; vielmehr gibt (diÂdvsin, Präsens!) »mein Vater«, also Gott, »euch« das wahre Himmelsbrot – und das ist er, Jesus, selber.33 Damit ist also in Joh 6,32 eine prinzipielle Antithese formuliert: Von Mose ist zu sagen, daß er euch das Brot nicht gegeben hat (oyÆ 29

Diese Formel begegnet in gleicher Weise nochmals in Joh 12,14. Ps 77,24: kaiÁ eÍbrejen ayÆtoiÄw manna fageiÄn kaiÁ aÍrton oyÆranoyÄ eÍdvken ayÆtoiÄw. Eine wesentliche Differenz liegt darin, daß der LXX-Text vom aÍrtow oyÆranoyÄ spricht (ebenso der hebr. Text: ÕiÇmÅÏ wÄ -ñgÅd ), während in Joh 6,31 ff., offenkundig in Anlehnung an Ex 16, vom »Brot eÆk toy Ä oyÆranoyÄ« die Rede ist (s. die folgende Anm.). Vgl. dazu A. Obermann, Erfüllung 143–149, der freilich auf die Differenz zwischen dem Wortlaut des biblischen Textes und dem Zitat in V. 31 nicht eingeht. Vgl. auch E. D. Freed, Old Testament Quotations in the Gospel of John (NT. S 11), Leiden 1965, 11–16. 31 Die Formulierung in Ex 16,4 LXX lautet: eiËpen deÁ ky  riow proÁw Mvysh Ä n ÆIdoyÁ eÆgvÁ yÏv yëmiÄn Ä w proÁw ayÆtoyw OyÎtow oë aÍrtow, oÏn eÍdvken aÍrtoyw eÆk toyÄ oyÆranoyÄ; ähnlich 16,15: eiËpen deÁ Mvysh kyÂriow yëmiÄn fageiÄn. 32 In Joh 6,49 wird Jesus den auf die Vergangenheit bezogenen Aspekt dann aber doch aufnehmen: »Eure Väter« haben tatsächlich in der Wüste das Manna gegessen; aber sie sind gestorben. 33 Die Wendung in Joh 6,33 (oë ga Á r aÍrtow . . . eÆstin oë katabaiÂnvn eÆk toyÄ oyÆranoyÄ) spielt offenbar damit, daß aÍrtow maskulin ist: Das Brot ist vom Himmel gekommen, aber das Brot ist zugleich eine Person, nämlich Jesus. In 6,35 wird das dann als »Ich-bin«-Wort ausdrücklich gesagt werden. Daß »das Manna in der Wüste das wahre Himmelsbrot typologisch vorschattet«, wie D. Sänger, Art. Mose II. Neues Testament, TRE 23 (1994), 342–346, 343 meint, sagt der Text nicht. 30

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MvyÈsh Ä w deÂdvken yëmiÄn toÁn aÍrton eÆk toyÄ oyÆranoyÄ); von Gott dagegen gilt, daß er euch das wahre Brot gibt (aÆllÆ oë pathÂr moy diÂdvsin yëmiÄn toÁn aÍrton eÆk toyÄ oyÆranoyÄ toÁn aÆlhuinoÂn). Mose wird dabei durchaus nicht abgewertet; wohl aber wird fest-

gestellt, was Mose jedenfalls nicht getan hat und was umgekehrt Gott tatsächlich (jetzt und grundsätzlich) tut. Jesus bestreitet natürlich nicht, daß die Väter in der Wüste das Manna gegessen haben; aber dies war nicht die Speise zum Heil, sondern es war lediglich eine Speise zum zeitweiligen »Überleben« (6,49), während diejenigen, die das wahre Brot vom Himmel essen, leben werden bis in Ewigkeit (6,51a. b).34 Dies bedeutet keine Abgrenzung von Mose; wohl aber weist der johanneische Jesus eine falsche Interpretation des Mannawunders zurück. Die Gemeinde des Johannesevangeliums erkennt die biblische Tradition selbstverständlich an; aber sie weiß, daß sie allein den Schlüssel besitzt, mit dessen Hilfe diese Tradition richtig verstanden werden kann. 2.5. Joh 7,19–23: In Joh 7,14 wird berichtet, daß Jesus im Tempel lehrt. Darüber wundern sich »die Juden« (7,15), da Jesus doch kein Schriftkundiger ist (mhÁ memauhkvÂw). Jesus beantwortet diese Kritik mit dem Hinweis darauf, daß er tatsächlich nicht seine eigene didaxh vorbringt, sondern wirklich nur das sagt, was Gott ihm aufträgt; wer Gottes Willen tun wolle, der erkenne dies und in dem sei keine aÆdikiÂa (7,16–18). Dieses Stichwort leitet über zum Thema »Gesetz«: Mit einer rhetorischen Frage erinnert Jesus die Hörer daran, daß Mose ihnen (»euch«) das Gesetz gegeben hat35 (7,19a), womit Mose nun erstmals ausdrücklich nicht als »Mittler« oder »Überbringer« der Tora erscheint, sondern explizit als der »Gesetzgeber«. Die anschließende Feststellung (V. 19b), daß »niemand von euch« das Gesetz tut, wird erläutert durch den Hinweis auf »eure« Tötungsabsicht (7,19c). Sollte die Abfolge von Joh 5 und Joh 6 umzukehren sein, so wäre 7,19 die nahezu unmittelbare Reaktion auf 5,10–18.36 Dann freilich wäre die Antwort des oÍxlow, Jesus habe ein daimoÂnion,37 da doch niemand ihn töten wolle, als Heuchelei zu werten; denn die Tötungsabsicht wäre ja tatsächlich erst kurz zuvor ausgesprochen worden. Hält man an der jetzigen Textfolge als der ursprünglichen fest, liegt

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Die Frage der literarischen Zuordnung von Joh 6,51c–58 kann hier offenbleiben. M. E. verdankt sich der Abschnitt einer nachträglichen Bearbeitung des Joh, der »kirchlichen Redaktion« (vgl. die Argumentation bei Becker, Joh I, 263–266); freilich greift nicht ein von außen kommender Zensor, sondern ein aus der joh Gemeinde selber stammender Bearbeiter in den Text ein. 35 Statt des Perfekts deÂdvken lesen einige Handschriften, darunter B und D, den Aorist; dann ist der eigentliche Gesetzgebungsakt im Blick, nicht aber die Tatsache, daß die Adressaten das Gesetz jetzt haben. Im Zusammenhang der Auslegung von 1,17 wird darauf nochmals einzugehen sein (s. u.). 36 Vgl. insbesondere 5,18: eÆzh  toyn ayÆtoÁn oië ÆIoydaiÄoi aÆpokteiÄnai. 37 Dieser gegen Jesus gerichtete Vorwurf, der Jesus als einen Besessenen bezeichnet (vgl. Joh 8,48.52 sowie 10,20), was Jesus in 8,49 ausdrücklich zurückweist, ist umso bemerkenswerter, als im Joh sonst keine daimonizoÂmenoi begegnen und dementsprechend auch keine Exorzismen erzählt werden.

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der Tötungsplan schon geraume Zeit zurück. Der Text geht offenbar davon aus, daß der oÍxlow den früher im Anschluß an die Sabbatheilung gefaßten Plan »der Juden«, Jesus zu töten, nicht kennt oder vergessen hat; Jesus selber stellt mit der Erinnerung an sein eÍrgon diesen Zusammenhang her (7,21).38 Darauf basiert dann die weitere Argumentation Jesu in V. 22 f., bei der es um das halachische Problem geht, daß die Beschneidung, die »Mose gegeben hat« (vgl. V. 19) und das Sabbatgebot miteinander kollidieren können. Entsprechend der hermeneutischen Regel »Leichtes und Schweres« erklärt Jesus in V. 23b, wenn doch sogar schon die Beschneidung (die doch nur ein einziges menschliches Glied betrifft) den Sabbat »aufheben« könne, müsse die Heilung eines »ganzen Menschen« am Sabbat mit den Bestimmungen der Tora ohne weiteres vereinbar sein. Auffallend sind im Zusammenhang dieser Argumentation die beiden von Mose sprechenden Zwischenbemerkungen: In 7,22b wird als Kommentar zu der Aussage MvyÈshÄw deÂdvken yëmiÄn thÁn peritomhÂn festgestellt, das Beschneidungsgebot beginne keineswegs erst mit Mose, sondern schon mit »den Vätern«;39 dies könnte eine spätere Glosse sein, da die argumentative Funktion des Jesu Aussage korrigierenden schriftgelehrten Hinweises nicht recht erkennbar ist. In 7,23ab wird die Tatsache, daß die Beschneidung den Sabbat verdrängt, mit dem Hinweis erläutert, das »Gesetz des Mose« dürfe nicht »aufgelöst« werden;40 damit scheint Kritik angedeutet zu sein: Offenbar gilt, daß durch die in der Beschneidung erfolgende Außerkraftsetzung des Sabbatgebots das »Gesetz des Mose« gerade bewahrt wird. Dann aber, so ist zu folgern, erweist sich der Vorwurf als absurd, die Rettung eines »ganzen« Lebens widerspreche der Tora. V. 24 enthält denn auch den Aufruf, »gerecht« zu urteilen. Jürgen Becker meint, der Evangelist benutze hier »die traditionellen Motive, um auch so der Juden Unglaube zu demonstrieren«;41 diese Auslegung dürfte richtig sein. Becker setzt aber voraus, daß die in 7,19–24 diskutierte Problematik für den Evangelisten gar nicht mehr aktuell ist. Tatsächlich läßt sich kaum sagen, ob in der johanneischen Gemeinde die Beschneidung praktiziert wurde oder nicht; es scheint aber zumindest kein Zufall zu sein, daß der Evangelist gerade diesen Aspekt einbringt und dabei voraussetzt, daß seine Leser entsprechendes Sachwissen haben. Wenn Jesus mit seinem Heilungswunder tatsächlich das Sabbatgebot verletzt haben sollte, so die These der Erzählung, dann erfolgte dies jedenfalls nach Kriterien, die auch von den nicht an Jesus glaubenden Juden anerkannt werden konnten bzw. anerkannt werden mußten. Deutlich erkennbar ist das Bemühen des Vierten Evangeliums zu zeigen, daß der Glaube an Jesus mit der Anerkennung der geltenden Tradition Israels unmittelbar vereinbar ist, ja, 38 Dementsprechend erinnern sich im Anschluß an Jesu Worte in Joh 7,21–24 einige der Jerusalemer daran, daß man doch beabsichtigt hatte, Jesus hinzurichten (7,25). 39 Vgl. Gen 17,10–12. 40 Vgl. Joh 7,23ab (Ïina mh Á lyuh Äì oë noÂmow MvyÈseÂvw) mit Mt 5,17–19. 41 Becker, Joh I, 310.

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daß die Ablehnung Jesu im Grunde anzeigt, daß man die Tora »nicht tut« (V. 19) und das Gebot des »gerechten Gerichts« verletzt (V. 24). 2.6. Joh 9,28.29: Daß die Frage der Vereinbarkeit von Tora und Christusglaube für das Johannesevangelium von höchster Aktualität ist, zeigt das im Anschluß an die zweite Sabbatheilung42 Jesu geführte Gespräch zwischen dem geheilten Blindgeborenen und »den Juden«.43 In V. 26 f. fragen sie ihn (nach V. 10.15 zum drittenmal), auf welche Weise Jesus ihm die Augen aufgetan habe. Auf die ironische Gegenfrage, ob sie etwa die Absicht hätten, Jünger Jesu zu werden, geben sie die Antwort (V. 28), er sei Jesu Jünger,44 sie selber dagegen seien des Mose Jünger45. Damit wird also seitens »der Juden« behauptet, die Zugehörigkeit zu Jesus sei mit der Zugehörigkeit zu Mose unvereinbar. Sie erläutern dies in V. 29 mit dem Hinweis, sie wüßten von der besonderen Gottesbeziehung des Mose,46 während sie von Jesu Herkunft47 gar nichts wüßten. Der Geheilte nimmt in V. 30 diese Perspektive auf, indem er gerade an das zweimalige oiÍdamen seiner Gesprächspartner anknüpft: Es sei erstaunlich, daß sie von Jesu Herkunft nichts wüßten; wenn, wie »wir wissen«, gilt, daß Gott Sünder nicht erhört (V. 31), ist schon aus der Tatsache der Heilung als solcher abzuleiten, daß der Wundertäter48 paraÁ ueoyÄ ist (V. 33). Das oiÍdamen des Geheilten in V. 31 nimmt die ihm und »den Juden« natürlich gemeinsame Schriftkenntnis auf: Gerade aus dem, was »wir (Juden) wissen«, ergibt sich, daß Jesus offenkundig den Willen Gottes tut. Damit ist die These von V. 28 f., man könne nicht Jünger des Mose und gleichzeitig Jünger Jesu sein, aufgehoben. Es gilt im Gegenteil: Nimmt man das von der Bibel bezeugte Wissen ernst, kann man nur zu der Erkenntnis kommen, daß Jesus zu Gott gehört. Für den geheilten Blinden, der dann in V. 38 seinen Glauben an Jesus als den kyÂriow bekennen wird, steht fest, daß Mose und Jesus keinesfalls zueinander im Widerspruch stehen;49 die (Mose-)Tradition stellt im Gegenteil die Kriterien bereit, mit deren Hilfe man zu erkennen vermag, wer Jesus ist. 42 Vgl. dazu Chr. Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21 (WUNT II/69), Tübingen 1994, 175–207. 43 Wer als Sprecher gedacht ist, bleibt etwas undeutlich; waren in Joh 9,13–17 zunächst oië FarisaiÄoi auf den Plan getreten, so nennt der Evangelist von V. 18 an oië ÆIoydaiÄoi als Gesprächspartner des Blindgeborenen. 44 Der Name wird dabei vermieden; es heißt lediglich mauhth Á w . . . eÆkeiÄnoy. 45 Zum Ausdruck »Schüler des Mose« vgl. K. H. Rengstorf, Art. mauhth  w ktl., ThWNT IV, 439 f. 46 Tatsächlich ist die Aussage, Gott habe zu Mose »gesprochen«, von Ex 3 an selbstverständlicher Teil der Tradition. Vgl. Sänger, Mose (s. Anm. 33), 343: »Joh 9,29 formuliert von jüdischer Warte aus, der Mose primär als Sprachrohr Gottes und Gesetzgeber gilt (vgl. 7,19a. 22 f.)«. 47 Wieder vermeiden es die Pharisäer, Jesus namentlich zu erwähnen; sie sprechen distanziert von »diesem«. 48 Geschickterweise vermeidet der Geheilte jede Titulatur; er nimmt im Gegenteil die Redeweise seiner Diskussionspartner auf: oyÎtow. 49 Ähnlich insoweit Boismard, Moses (s. Anm. 8), 22 f., der freilich meint, für den Geheilten sei Jesus der »new Moses«.

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3. Das Gesetz im Johannesevangelium An zwei der bisher untersuchten Stellen des Johannesevangeliums, die von Mose sprechen, war auch vom noÂmow die Rede, in 1,45 und in 7,19.23.50 Darüber hinaus verwendet das Vierte Evangelium das Wort noÂmow noch achtmal, ohne daß Mose genannt wird. 3.1. In Joh 7,51 gegen Ende des Berichts über die Beratungen des Synedriums zum »Fall Jesus« (7,45–52) weist Nikodemus seine Kollegen auf die Bestimmung des noÂmow hin, derzufolge es gesetzwidrig ist, über einen Menschen zu urteilen, wenn man ihm nicht zuvor rechtliches Gehör gewährt und den Tatbestand aufgeklärt hat.51 Erzählerisch geschickt ist es, daß es gerade »die Pharisäer« sind, die von Nikodemus über diese Selbstverständlichkeit belehrt werden müssen, nachdem sie selber unmittelbar zuvor den oÍxlow als des Gesetzes unkundig52 verflucht hatten. Ihre Reaktion auf die Mahnung des Nikodemus ist denn auch ausweichend: Sie verweisen pauschal darauf, Nikodemus könne der Schrift entnehmen,53 daß aus Galiläa kein Prophet »erweckt«54 werde (V. 52). Diese Behauptung entspricht inhaltlich sowohl der kritischen Frage des Nathanael, was denn aus Nazareth Gutes kommen könne (1,46) als auch der Bemerkung der Menschen aus dem oÍxlow, daß der Messias nicht aus Galiläa, sondern aus Bethlehem kommen müsse (7,41 f.). In 7,49–52 geht es also darum, daß »die Pharisäer« unter Hinweis auf eine bestimmte Schrifttradition bzw. -auslegung Jesus verwerfen, damit aber zugleich – wider besseres Wissen – fundamentale Rechtsnormen der Tora mißachten. 3.2. In Joh 8,17 ist es Jesus selber, der auf einen Rechtsgrundsatz der Tora verweist. Im Rahmen einer Debatte mit »den Pharisäern« (8,13) erklärt er, sein »Zeugnis« sei »wahr«, da er zwei Zeugen habe. Er bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Tora-Bestimmung, wonach die übereinstimmende Aussage von zwei Zeugen als Wahrheit zu gelten hat (Dtn 19,15; vgl. 17,6), wobei er in diesem Zusammenhang von »eurem Gesetz« spricht. Dies wird meist so ausgelegt, als sehe Jesus

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Hinzukommt Joh 1,17 (s. u.). Vgl. vor allem Dtn 1,16 f. Bultmann, Joh, 235: »Die schlichte Sachlichkeit, die in Nikodemus zu Wort kommt, läßt erkennen, daß die Offenbarung nicht einfach das Gesetz schlechthin negiert, sondern daß es der Mißbrauch des Gesetzes ist, durch den die Welt taub wird für den Offenbarer.« Bultmann verweist in diesem Zusammenhang auf Joh 5,38 f.45–47. 52 Vgl. dazu Dtn 27,26. 53 Daß sich die Aufforderung eÆrey  nhson auf die Schrift bezieht, ist angesichts von 5,39 deutlich. Das Verb begegnet sonst bei Joh nicht. 54 ÆEgeiÂrein meint hier wohl einfach »das Auftreten«; man kann fragen, ob auch eine Anspielung auf die Rede von der Auferweckung Jesu mit anklingt. Becker, Joh I, 330 hält die Lesart oë profhÂthw (statt profhÂthw) für wahrscheinlich ursprünglich; gemeint sei »der Heilbringer«, da die Aussage, es gebe überhaupt keine Propheten aus Galiläa, der Tradition widerspräche. Der bestimmte Artikel oë (profhÂthw) wird allerdings nur von P66* bezeugt (vgl. andererseits aber Joh 7,40). 51

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(und mit ihm die an Jesus glaubende johanneische Gemeinde) den noÂmow nicht als für sich selber verbindlich an.55 Näher aber liegt die Annahme, der johanneische Jesus wolle gerade dies betonen, daß der noÂmow für seine Gesprächspartner verbindlich ist und es also um so mehr erstaunen muß, wenn sie der dort ausgesprochenen Norm widersprechen. Man kann natürlich einwenden, daß Jesus mit seiner Aussage in 8,16.18 den Verweis auf die Tora letztlich ad absurdum führt, denn die beiden von ihm aufgebotenen »Zeugen« sind er selbst und der Vater, der ihn gesandt hat.56 Aber »die Pharisäer« lassen sich erstaunlicherweise auf diese Argumentationsebene ein, indem sie Jesus fragen, wo sein Vater denn sei (V. 19a). Jesus antwortet (V. 19b), daß die Pharisäer deshalb so fragen, weil sie ihn nicht kennen (vgl. V. 14b) und eben deshalb auch seinen Vater nicht kennen. Der Evangelist macht also hier wie auch an anderen Stellen die Gotteserkenntnis abhängig von der Christusbegegnung, nun aber unter Verweis auf den noÂmow: Würden »die Pharisäer« ihr eigenes Gesetz zu lesen verstehen, so würden sie Jesus erkennen, und dann würden sie – das ist jedenfalls impliziert – auch Jesu Zeugnis annehmen. 3.3. Eine ähnliche Situation wie in 8,17 liegt in Joh 10,34 vor: Als »die Juden« auf Jesu Aussage hin »Ich und der Vater sind eins« ihn als einen Lästerer steinigen wollen, da er sich als Gott darstelle (V. 33), antwortet Jesus mit dem als rhetorische Frage formulierten Hinweis, »in eurem Gesetz« stehe doch der Satz: »Ich habe gesagt: Götter seid ihr«, womit Ps 81,6a LXX korrekt zitiert ist.57 Mit der Ä n58 ist nicht speziell der Psalter gemeint, sondern wohl Bezeichnung oë noÂmow yëmv allgemein die Bibel, d. h. es soll »den Juden« gegenüber auf die höchste Autorität verwiesen werden.59 Dem entspricht es, daß dann in 10,35b in einer Parenthese festgehalten wird, »die Schrift« (hë grafhÂ) könne nicht aufgelöst werden, was in

55 Vgl. Becker, Joh I, 344: »So distanziert redet die joh Gemeinde vom AT.« Ähnlich Sänger, Funktion (s. Anm. 24), 124 Anm. 52. Zum Problem vgl. Brown, Joh I, 341. Daß Joh der Bibel gegenüber generell eine distanzierte, womöglich kritische Haltung einnimmt, kann man ja nicht sagen, wie A. Obermann, Erfüllung(s. Anm. 4) gezeigt hat. 56 Dazu Bultmann, Joh, 212: »Der Satz ist also keine eigentliche Argumentation, sondern ein Wort des Hohnes: eurem Gesetz ist genügt, ja radikal genügt, denn hier bilden die zwei Zeugnisse wirklich eine Einheit, weil die beiden Zeugen Einer sind! Die Persiflage der Gesetzlichkeit ist also zum Äußersten getrieben.« Bultmann sieht als Folgerung (aaO., 212 f.), das Gesetz lehre in Wahrheit, »daß Gottes Offenbarung sich nicht vor Menschen auszuweisen hat, nicht der menschlichen Frage nach beglaubigenden Zeugnissen unterstellt werden darf«. 57 Allerdings ist, wie meist üblich, der Zusammenhang nicht berücksichtigt. Einerseits hätte V. 6b (kaiÁ yiëoiÁ yëciÂstoy paÂntew) durchaus mitzitiert werden können, wie Joh 10,36 zeigt; andererseits folgt in Ps 81,7 dann eine Aussage, die Joh nicht hätte brauchen können. Obermann, Erfüllung (s. Anm. 4), 180 sieht m. E. richtig, daß als Subjekt des eÆste bei Joh »die Juden« anzusehen sind; nicht deutlich ist aber, warum er meint, der Evangelist nehme »den alttestamentlichen Kontext seines Zitats wahr« (aaO., 184). Vgl. auch Freed, Quotations (s. Anm30), 60–65. 58 yëmv Ä n fehlt immerhin in P45 * D U. 59 Vgl. dazu M. Hengel, Die Schriftauslegung des 4. Evangeliums auf dem Hintergrund der urchristlichen Exegese (JBTh 4 [1989]: »Gesetz« als Thema Biblischer Theologie), NeukirchenVluyn 1989, 249–288, hier: 262.

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der Formulierung an 7,23ab erinnert, aber viel weiter gefaßt ist.60 Rudolf Bultmann und auch Jürgen Becker halten es für wahrscheinlich, daß der ganze Schriftbeweis in 10,34–36 nicht dem Evangelisten, sondern eher der »kirchlichen Redaktion« des Joh zuzuweisen ist. Die Gründe für diese Annahme sind freilich kaum ausreichend: Becker meint, Jesus sei in V. 34–36 »nur ein besonderer Ausnahmefall im Zusammenhang aller von Gott angeredeten Menschen«, und dies sei der sonstigen Christologie des Evangeliums fremd.61 Aber die Argumentation des Textes ist m. E. eine andere: Nach dem schon in 7,22 f. angewandten hermeneutischen Prinzip »Leichtes und Schweres« wird in 10,34–36 gesagt, es gebe für »die Juden« überhaupt keinen Grund, Jesu Anspruch der Gottessohnschaft zu verwerfen, da doch ihr eigenes Gesetz sogar bezeuge, daß die angeredeten (Menschen) Götter seien. Daß dieser Schriftbeweis »nicht ganz zufriedenstellend« ist,62 trifft natürlich dennoch zu, nicht zuletzt deshalb, weil mit dem in V. 36a gegebenen Hinweis, Gott habe Jesus »geheiligt«, ein Argument vorgebracht wird, das selber eigentlich erst noch bewiesen werden müßte. Aber offenbar kommt es dem Autor, vermutlich dem Evangelisten,63 nicht darauf an, Menschen zu überzeugen, die nicht an Jesus glauben; vielmehr scheint er der eigenen Gruppe zeigen zu wollen, wie sie Argumente zugunsten ihres eigenen Glaubens der grafh zu entnehmen vermag. Dabei ist die Geltung der Schrift in der eigenen Gruppe als selbstverständlich gegeben vorausgesetzt. 3.4. In Joh 12,27–3364 deutet Jesus die vom Himmel her vernommene Gottesstimme (V. 28) als kriÂsiw über diese Welt (V. 31 f.). Diese kriÂsiw bedeute, daß der »Herrscher dieser Welt« »hinausgeworfen« werden wird. Wenn hingegen Jesus erhöht sein wird,65 wird er »alle« zu sich ziehen. Der oÍxlow reagiert darauf (V. 34) mit dem Hinweis auf den noÂmow; dort werde gesagt, daß der Messias bis in Ewigkeit »bleibt«, und wenn Jesus nun vom deiÄ der Erhöhung des Menschensohnes spreche, müsse das die Frage provozieren, wer dieser Menschensohn ist. Nach Jürgen Becker zeigen diese Aussagen des oÍxlow den Unglauben der Menge;66 aber es liegt näher, die beiden Fragen des oÍxlow »positiv« zu deuten: Der noÂmow, womit 60 In Joh 7,23 wird lediglich das spezielle Problem des Verhältnisses von Beschneidungs- und Sabbatgebot beschrieben (s. o.), in 10,35 wird dagegen eine prinzipiell gültige Feststellung getroffen. 61 Becker, Joh I, 393. 62 So Becker ebenda. 63 Bultmann, Joh, 297 meint, man müsse »damit rechnen, daß hier ein Einschub der Red. vorliegt. Sonst müßte man ähnlich wie [Joh] 8,17 f. die Argumentation als eine Persiflage der jüdischen Schrifttheologie auffassen: diese Art des Scharfsinnes findet immer nur, was ihr paßt; und sie ist mit ihren eigenen Waffen leicht zu schlagen«. 64 Man kann vermuten, daß es sich um die joh Fassung der synoptischen Gethsemane-Szene handelt. 65 Das yëcvuv Ä wird in Joh 12,33 auf das Kreuz gedeutet. 66 Becker, Joh II, 464: »Daß sich ewiges Leben nur jenseits dieser Welt verwirklichen läßt, das nehmen die Juden Jesus sachlich nicht ab. Sie bleiben dem Irdischen verhaftet mit der Schrift auf ihrer Seite – und so im Unglauben.« Ähnlich Bultmann, Joh 270.

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hier offenbar die auch für die johanneische Gemeinde geltende »Schrift« als ganze gemeint ist, sieht im Messias den eschatologischen Heilbringer, d. h. dieser kann nicht eine nur zeitweilig auf Erden wirkende Gestalt sein. An welche biblische Aussage hier gedacht ist, läßt sich kaum sicher sagen. Es könnte eine Anspielung auf Ps 88,37a LXX67 vorliegen, wo vom »Samen Davids« gesagt wird, er bleibe »in Ewigkeit«; ähnliches sagen aber auch Jes 9,6 und Ez 37,25 vom Nachkommen Davids. Man kann also auch annehmen, daß gar nicht an eine bestimmte Schriftstelle gedacht ist. Mit seiner Frage, welchen Sinn das deiÄ yëcvuh Ä nai hat, nimmt der oÍxlow Jesu Aussage yëcvuv Ä (V. 32) auf; zugleich identifiziert diese Frage das »Ich« Jesu von vornherein mit dem in V. 23 bereits eingeführten Begriff Menschensohn68 – beides ist im Sinne des Johannesevangeliums natürlich völlig korrekt. Das über das bisher Gesagte hinausgehende deiÄ könnte möglicherweise als eine indirekte Bezugnahme auf die Leidensankündigungen der synoptischen Evangelien gedeutet werden; es ist aber auch denkbar, daß es sich um die direkte Aufnahme von 3,1469 oder einfach um die richtige Interpretation der Aussage Jesu in 12,31 f. handelt: Der oÍxlow weiß eben, daß das yëcvuh Ä nai Jesu nicht »freiwillig« oder »zufällig« erfolgt, sondern auf Gottes Weisung hin. Gerade dann aber ist die Antwort auf die Frage »Wer ist dieser Menschensohn?« umso dringlicher; denn wenn gemäß der zuvor referierten biblischen Aussage der Messias »bleibt«, ist der Menschensohn, dessen »Erhöhung« bevorsteht, offenbar nicht identisch mit dem xristoÂw. Die Frage des oÍxlow verrät also nicht so sehr Unglaube als vielmehr Unsicherheit: Die Volksmenge vermag Jesu Aussage über den Menschensohn nicht mit dem verbindlichen Wort des noÂmow über den Messias in Einklang zu bringen. Dementsprechend ist Jesu Antwort in V. 35 f. durchaus nicht als ein »Scheltwort« über den Unglauben aufzufassen, sondern sie ist die Einladung an die Hörer, ihn als »das Licht« zu erkennen und also – auch nach seinem Weggang! – als solche zu existieren, die das Licht »haben« und »Kinder des Lichts« sind. Das Problem, ob der oÍxlow die in 12,34a zitierte Aussage des Gesetzes richtig interpretiert hat oder nicht, spielt im Kontext dieser Argumentation keine Rolle. Wohl aber wird eine eindeutige Antwort auf die Frage »Wer ist dieser Menschensohn?« gegeben: Er ist das Licht, das jetzt »noch« bei den Menschen ist und an dem sie sich orientieren sollen, damit die Finsternis sie nicht überwältigt.70 67 Der Text von Ps 88,37 LXX lautet: ToÁ speÂrma ayÆtoy Ä eiÆw toÁn aiÆv Ä na meneiÄ kaiÁ oë uroÂnow ayÆtoyÄ vëw oë hÏliow eÆnantiÂon moy. Der hebr. Text sagt nichts anderes. Vgl. Obermann, Erfüllung (s.

Anm. 4), 75, der den Zitatcharakter verneint. 68 Jesu Reaktion auf die Bitte der ÏEllhnew (V. 20) gilt also als öffentlich ausgesprochen. 69 Dies wäre dann ein Beleg für den bei Joh auch sonst zu beobachtenden Sachverhalt einer nicht immer gegebenen erzählerischen Plausibilität; denn Jesu an Nikodemus gerichtete Worte in Joh 3,14 kann der oÍxlow natürlich keinesfalls gehört haben. 70 Die Verbindung zum Prolog ist deutlich: Der (noch nicht Fleisch gewordene) lo  gow, von dem in Joh 1,5 gesprochen ist, wurde von der Finsternis abgewiesen, und er gelangt infolgedessen gar nicht erst in den Bereich, wo Menschen ihn hätten »haben« können. Aufgrund der Inkarna-

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3.5. Ein weiterer Verweis auf den noÂmow liegt in Joh 15,25 am Ende des in 15,18 beginnenden Argumentationsganges vor:71 Jesus stellt gegen das Liebesgebot, das er den Seinen aufgetragen hat (V. 17), den Haß der Welt, dem sie ausgeliefert sind und der dem Haß der Welt gegen Jesus und damit gegen Gott entspricht (V. 18–24). Das aber geschieht (V. 25), damit das »in ihrem Gesetz« geschriebene Wort erfüllt wird: »Sie haben mich grundlos gehaßt«.72 Die hier explizit begegnende Struktur des Erfüllungszitats, wie es für Mt typisch ist, verwendet das Johannesevangelium an mehreren Stellen: In 12,38; 19,24 und 19,36 dient es als Kommentar des Erzählers zu einem zuvor berichteten Geschehen, in 13,18 und ähnlich in 17,12 verwendet es Jesus im Rahmen einer Rede, und in 18,32 wird mit derselben Formulierung an einen loÂgow Jesu erinnert.73 Das Wort noÂmow wird lediglich in 15,25 verwendet.74 Wenn Jesus den Jüngern erklärt, der Haß der Welt – konkretisiert im Haß derer, die Jesus und die Seinen verfolgen – sei die Erfüllung eines Wortes in »ihrem Gesetz«, so ist auch hier durchaus nicht eine Distanzierung vom Gesetz ausgesagt.75 Der johanneische Jesus betont auf diese Weise vielmehr, daß die Menschen des koÂsmow, hier konkret die nicht an Jesus glaubenden Juden, ihrer eigenen Tradition hätten einen warnenden Hinweis entnehmen können; stattdessen aber verhalten sie sich so, daß das Wort, das für sie eine Mahnung hätte sein können, von ihnen tatsächlich »erfüllt« wird.76 3.6. Bemerkenswert sind die beiden innerhalb der Passionsgeschichte77 begegnenden Erwähnungen des noÂmow. In Joh 18,31a fordert der römische Statthalter tion (1,14) dagegen besitzen die Menschen (jetzt also: der oÍxlow) die Möglichkeit, das Licht zu haben und so der Finsternis zu widerstehen. 71 Zum literarkritischen Problem der Zuordnung von Joh 15–17 vgl. M. Winter, Das Vermächtnis Jesu und die Abschiedsworte der Väter. Gattungsgeschichtliche Untersuchung der Vermächtnisrede im Blick auf Joh. 13–17 (FRLANT 161), Göttingen 1994, 257–260. Die oben gegebene Interpretation von 15,25 nötigt nicht zu einer eigenen Stellungnahme; im folgenden wird die Zugehörigkeit des Textes zum ursprünglichen Joh angenommen. 72 Das Wort ist so nicht belegt; vgl. die Übersicht bei Obermann, Erfüllung (s. Anm. 4), 271–282. Am nächsten kommen LXX Ps 34,19; 68,5, wo es jeweils heißt oië misoyÄnteÂw me dvreaÂn; Obermann, Erfüllung, 281 kommt aus inhaltlichen Gründen (und weil Ps 68 [69] auch sonst bei Joh zitiert wird) zu der Annahme, daß »mit größter Wahrscheinlichkeit LXX Ps 68,5 (MT Ps 69,5) ì die hauptsächliche Quelle ist«. In der Formulierung sehr ähnlich ist PsSal 7,1: MhÁ aÆposkhnvÂshw aÆf’ hëmv Ä n, oë ueoÂw, Ïina mhÁ eÆpiuv Ä ntai hëmiÄn oiÊ eÆmiÂshsan hëma Ä w dvreaÂn. Nach Obermann, Erfüllung, 272 ist eine Bezugnahme auf diesen Text ausgeschlossen, da Joh sonst keinerlei Kenntnis der PsSal Ä n apostrophiert werden könnten. erkennen lasse und diese auch kaum als oë noÂmow ayÆtv 73 Vgl. Hengel, Schriftauslegung (s. Anm. 59), 277 f. 74 Daß ein Wort des Gesetzes »erfüllt« wird, ist ja auch ein ungewöhnlicher Gedanke. Bei Mt finden sich die »Reflexionszitate« durchgängig mit Verweis ausdrücklich auf Prophetenworte. 75 Anders Becker, Joh II, 589. 76 Hengel, Schriftauslegung (s. Anm. 59), 277 verweist darauf, daß im Unterschied zu no  mow das Wort grafh bei Joh nie mit einem Possessivpronomen (»ihre, eure« Schrift) verbunden ist. Man wird daraus aber kaum folgern dürfen, Joh wolle sagen, daß die grafh »bleibender Besitz Israels wie der christlichen Gemeinde« ist, der noÂmow dagegen nicht; die Spezifizierung oë noÂmow Ä n ist jeweils kontextbedingt. ayÆtv Ä n bzw. yëmv

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Pilatus diejenigen, die Jesus vor ihm angeklagt haben, dazu auf, Jesus »nach ihrem Gesetz« zu richten, d. h. er erklärt sich für nicht zuständig.78 »Die Juden« antworten darauf (V. 31b), sie dürften niemanden töten, womit sie zum Ausdruck bringen, daß das Verbrechen, dessen sie Jesus anklagen, in ihren Augen todeswürdig ist. Zugleich ist klar, daß sie sich nicht auf die Tora beziehen, die für bestimmte Verbrechen durchaus die Todesstrafe vorsieht; sie sprechen vielmehr von der römischen Rechtsordnung, die das ius gladii allein dem Vertreter des imperium zuweist. In V. 32 wird diese Antwort kommentierend als »Erfüllung« eines Wortes Jesu gedeutet, mit dem er die Art seines Todes vorhergesagt habe; der kleine Dialog in V. 31 ist ein Vorausverweis darauf, daß Jesus nicht durch Steinigung, sondern am Kreuz sterben wird.79 Im Anschluß an die verhältnismäßig breit erzählte Begegnung zwischen Jesus und Pilatus (18,33–19,5) heißt es in 19,6a, daß »die Hohenpriester und die Diener« von Pilatus fordern, er solle Jesus kreuzigen; Pilatus erklärt nochmals, aus seiner Sicht sei Jesus unschuldig, und deshalb sollten sie ihn nehmen und kreuzigen (V. 6b). Jetzt antworten »die Juden« (V. 7), Jesus müsse nach ihrem Gesetz sterben, da er sich selbst zum Sohn Gottes gemacht habe. In dieser Aussage ist noÂmow ebenso wie in 18,31a eindeutig die Tora. Die Richtigkeit der Behauptung, das jüdische Gesetz verlange Jesu Hinrichtung, wird von Pilatus nicht geprüft. Er willigt aber in die Kreuzigung ein, weil er nicht ausschließen kann, daß die Selbstbezeichnung »Sohn Gottes« einen politischen Sinn hat, insofern sie den Anspruch Jesu enthält, ein König zu sein.80 Dennoch heißt es abschließend (19,16a), Pilatus habe Jesus »ihnen« übergeben – nicht der römische Statthalter, sondern »die Juden« bzw. die aÆrxiereiÄw tragen mithin die Verantwortung für Jesu Hinrichtung, und sie hatten sich dafür ausdrücklich auf ihr Gesetz81 berufen. Wer die Tora kennt, weiß allerdings, daß ihre Aussage jedenfalls so nicht zutrifft: Zwar ist 77 Zum Quellenproblem vgl. Becker, Joh II, 661–667. Vgl. auch M. Sabbe, The Trial of Jesus before Pilate in John and Its Relation to the Synoptic Gospels, in: Denaux (ed.), John and the Synoptics (s. Anm. 28), 341–385 und die dort diskutierte Literatur. 78 Der johanneische Pilatus deutet also das kako  n der Anklage (Joh 18,30) von vornherein im Sinne einer Verfehlung gegen die Tora, nicht als Verletzung des staatlichen Gesetzes. Ob (der johanneische!) Pilatus dabei unterstellt, eigentlich würden »die Juden« tatsächlich gern über Jesus zu Gericht sitzen und V. 31 sei dementsprechend ironisch gemeint (so Becker, Joh II, 669), ist zumindest fraglich; der Text deutet es jedenfalls nicht an. 79 Vgl. Joh 3,14; 12,32 f. Bultmann, Joh, 505 sieht in 18,32 »eine Anmerkung der kirchlichen Red., die auf 12,33 zurückweist. Sie besagt, daß jene Rechtlosigkeit der Juden in der göttlichen Teleologie begründet ist: Jesus mußte nach seinem eigenen Wort den Tod durch das Kreuz erleiden; er konnte also nicht durch die Juden, sondern nur durch die Römer hingerichtet werden« (ähnlich Becker, Joh II, 670 f.). Die Zuweisung an die Kirchliche Redaktion ist aber nicht wirklich zwingend. 80 Die Reaktion des Pilatus in Joh 19,8 f. setzt voraus, daß sich mit der Bezeichnung »Sohn Gottes« ein die römische Macht gefährdender (messianischer) Anspruch verbindet. Vgl. 19,7 (yiëoÁn ueoyÄ eëaytoyÄ eÆpoiÂhsen) und 19,12 (pa Ä w oë basileÂa eëaytoÁn poiv Ä n . . .). 81 Die Wendung h ë meiÄw noÂmon eÍxomen im Munde »der Juden« (Joh 19,7) entspricht dem noÂmow Ä n im Munde Jesu (s. zuletzt 15,25). ayÆtv Ä n bzw. noÂmow yëmv

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nach Lev 24,16 der Gotteslästerer mit dem Tod durch Steinigung zu bestrafen; aber daß es strafbar ist, sich als »Sohn Gottes« zu bezeichnen, sagt die Tora nirgends. Darüber hinaus wissen die Leser des Johannesevangeliums ohnehin, daß Jesus aus der Schrift bereits den Nachweis geführt hatte, er dürfe sich als »Sohn Gottes« bezeichnen (10,34–36). Die Rede vom noÂmow in 18,31 und in 19,7 bestätigt also, daß dieser noÂmow gerade für Jesus spricht und daß es mithin eine Fehlinterpretation und sogar eine Verfälschung des noÂmow ist, wenn aus ihm eine gegen Jesus gerichtete Haltung abgeleitet werden soll. 3.7. Es ist lohnend, zumindest in aller Kürze auf den Abschnitt Joh 7,53–8,11 einzugehen, obwohl dieser nicht zum ursprünglichen Bestand des Johannesevangeliums gehört;82 es zeigt sich nämlich, daß die Art, wie in 8,5 auf den noÂmow verwiesen wird, mit dem Befund im Joh tatsächlich nicht in Einklang steht. Wenn »die Schriftgelehrten und die Pharisäer« erklären, daß Mose geboten hat, eine beim Ehebruch ertappte Frau zu steinigen, so ist dies grundsätzlich korrekt. Zwar kann man darauf hinweisen, daß nach Lev 20,10 der beteiligte Mann ebenfalls sterben soll; auch ist aus Num 5,12 f. abzuleiten, daß es für den Nachweis des Ehebruchs (zumindest) zweier Zeugen bedarf. Aber aus der Tatsache, daß dies alles nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist nicht zu folgern, das gegen die Frau durchgeführte Verfahren solle als nicht korrekt durchgeführt verstanden werden. Die Hinrichtung ist offensichtlich zulässig und geradezu geboten.83 Die die Frage an Jesus einleitende Wendung in 8,5 (»Mose hat im Gesetz uns geboten . . .«) entspricht dem im Johannesevangelium zu beobachtenden Sprachgebrauch (vgl. 19,7); der Erzähler bezeichnet die Frage allerdings ausdrücklich als »versucherisch« (8,6), weil sie nämlich darauf angelegt ist, von Jesus entweder die Zustimmung zu der Steinigung zu erhalten oder aber ihn in einen Widerspruch gegen das »Gesetz des Mose« zu verwickeln. Jesu eigenartige Reaktion, sein Schreiben eiÆw thÁn gh Ä n (V. 6b. 8), erscheint rätselhaft.84 Jesus gibt den Fragenden einen »Rat« (8,7), der zur Folge hat, daß sich alle Anwesenden bis auf die Frau entfernen. Es

82 Zur theologiegeschichtlichen Einordnung der Perikope »Jesus und die Ehebrecherin« vgl. H. von Campenhausen, Zur Perikope von der Ehebrecherin (Joh 7,53–8,11), in: Ders., Urchristliches und Altkirchliches. Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1979, 182–196; zur Datierung außerdem D. Lührmann, Die Geschichte von einer Sünderin und andere apokryphe Jesusüberlieferungen bei Didymos von Alexandrien, NT 32 (1990) 289–316, 302 f. Die von Didymos überlieferte Erzählung ist nach Lührmann deutlich älter als die in Joh 8 erzählte Fassung. 83 Daß die Hinrichtung durch Steinigung zu erfolgen habe, ist in Lev 20,10 nicht ausdrücklich gesagt, aber aus dem Kontext des Kap. zu erschließen. 84 Denkbar ist, daß eine Anspielung auf Jer 17,13 LXX vorliegt, wo es abweichend vom hebräischen Text heißt paÂntew oië katalipoÂntew se kataisxynuhÂtvsan, aÆfesthkoÂtew eÆpiÁ thÄw ghÄw Ä w toÁn kyÂrion (»Die Abtrünnigen« sollen »auf die Erde grafhÂtvsan, oÏti eÆgkateÂlipon phghÁn zvh geschrieben« werden, weil sie den Herrn, die Quelle des Lebens, verlassen haben. Der hebräische Text sagt: »Die Abtrünnigen im Lande werden aufgezeichnet.«). Natürlich ist nicht gemeint, daß Jesus diese (oder eine andere) Textstelle auf den Boden schreibt; möglicherweise aber soll der geschilderte Vorgang an diesen Text erinnern.

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zeigt sich, daß weder die ursprünglichen Ankläger noch Jesus selber die Frau verurteilen, d. h. die Torabestimmung aus Lev 20,10 wird nicht angewandt. In der hier vorliegenden Überlieferung wird Jesus also die argumentative Kraft zugesprochen, einer Weisung der Tora widersprechen zu dürfen;85 für diesen Vorgang gibt es im Johannesevangelium keine Entsprechung.

4. Mose und Jesus Christus. Zur Auslegung von Joh 1,17 Im Anschluß an diese knappe Übersicht über die von Mose und vom Gesetz sprechenden Texte im Vierten Evangelium scheint es nun möglich zu sein, nach dem angemessenen Verständnis von 1,17 zu fragen. Die »Vorlage«, die der Evangelist als Einleitung für sein Werk übernahm, endete wahrscheinlich mit der Bekenntnisaussage in V. 16: Der inkarnierte loÂgow, dessen doÂja »wir« gesehen haben (V. 14), gewährte »uns« aus seinem plhÂrvma den Empfang übergroßer xaÂriw. Der von Johannes dem Täufer sprechende V. 15 wurde (ebenso wie V. 6–8) offenbar vom Evangelisten in die Vorlage eingefügt;86 wahrscheinlich geht aber auch der jetzige Schluß des Prologs in V. 17 auf den Evangelisten zurück,87 und zwar – wie die Stichworte »Gnade und Wahrheit« zeigen – als Kommentar zu 1,14.88 Hieß es in der Vorlage, daß die doÂja des Inkarnierten, die »wir« sahen, »voll Gnade und Wahrheit« war (V. 14) und daß wir »Gnade um Gnade empfingen« (V. 16), so stellt nun der Evangelist fest, dieses Wirksamwerden von Gnade (und Wahrheit89 durch Jesus Christus stehe in einer bestimmten Beziehung zu dem durch Mose gegebenen Gesetz (V. 17). Jürgen Becker meint, beide Aussagen in Joh 1,17 sprächen von Gott als dem Handelnden; es werde gesagt, »daß Gott durch Mose das Gesetz gab . . . und durch Christus Gnade werden ließ«.90 Da in V. 17 nicht 85 Es ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos, ob eine Steinigung in der erzählten Zeit (d. h. zur Zeit Jesu) oder in der Zeit der Abfassung der Erzählung überhaupt möglich bzw. rechtlich zulässig war. Die Szene ist ohne Rücksicht auf ihre historische Wahrscheinlichkeit konstruiert, um die Annahme der Sünder durch Jesus zu illustrieren (vgl. Becker, Joh I, 338). 86 Vgl. Becker, Joh I, 100 f. 87 Joh 1,18 hat eine Übergangsfunktion: Einerseits wird – in neuer Begrifflichkeit – das im Prolog über die Beziehung zwischen Gott und dem loÂgow Gesagte kommentiert; andererseits handelt es sich bereits um eine Art »Überschrift« über das nachfolgende Buch als ganzes. 88 Nach W. Schmithals, Der Prolog des Johannesevangelium, ZNW 70 (1979) 16–43, 27 schließt Joh 1,17 direkt an V. 14 an und gehört noch zum »Hymnus«, dessen theologische Position sich damit als »fast marcionitisch« erweise (aaO., 37). 89 Becker, Joh I, 101 hält es für möglich, daß das Stichwort h ë aÆlhÂueia im Rückgriff auf Joh 1,14 vom Evangelisten in die übernommene ältere Tradition eingefügt wurde. Hengel, Schriftauslegung (s. Anm. 59), 266 betont, daß die Verbindung »Gnade und Wahrheit« der alttestamentlichen »Formel« tmau dst entspricht (die aber in LXX nicht mit xaÂriw kaiÁ aÆlhÂueia wiedergegeben wird). Vgl. Boismard, Moses (s. Anm. 8), 96 f. 90 Becker, Joh I, 101. Becker verweist als Parallelen auf Gal 3,21 und Gal 3,19, was aber insofern problematisch ist, als in Gal 3,19 das Gesetz eindeutig nicht auf Gott als Urheber zurückgeführt wird; vgl. J. Becker, Der Brief an die Galater, in: J. Becker/U. Luz, Die Briefe an die

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von unterschiedlichen Adressaten gesprochen werde, sei anzunehmen, »daß mit diesem Satz ein innerchristlicher Streit geklärt werden soll«: »Die Gnade ist nicht auf der Seite des Mose zu verbuchen. Sie gehört zu Jesus Christus, der wiederum nicht Gesetzgeber ist«.91 Für den Evangelisten sei aber die Antithese von Gesetz und Gnade kein aktueller Streitfall mehr gewesen; für ihn gelte vielmehr, daß, wie aus Joh 7,19; 8,17; 10,34 hervorgehe, das Gesetz »nur der Juden Gesetz« ist, während »Christen . . . der Gesetzesreligion längst entwachsen« seien.92 In V. 17 liege also vermutlich eine vom Evangelisten übernommene Tradition vor; er habe sie deshalb übernehmen können, weil sie zu seiner eigenen Aussage in V. 18 paßte: Wenn nämlich »exklusiv der Sohn als Offenbarer des Vaters hingestellt wird, dann sind Mose und sein Gesetz, also die jüdische Religion, abgewertet«.93 Aber die von Becker genannten Belege lassen, wie zu zeigen versucht wurde, eher erkennen, daß der noÂmow zu Jesus keineswegs im Widerspruch steht. Es sind gerade »die Juden«, die »ihr Gesetz« mißverstehen, wenn sie glauben, es lasse sich nicht mit Jesus vereinbaren94 – das Gegenteil ist aus der Sicht des Evangelisten tatsächlich der Fall. Im übrigen verweisen die Verbformen eÆdoÂuh und eÆgeÂneto wohl nicht auf Gott als »das indirekte Subjekt beider Aussagen«;95 der Wechsel von eÆdoÂuh zu eÆgeÂneto signalisiert im Gegenteil eher eine qualitative Differenz: In der Aussage, der noÂmow sei »durch Mose gegeben« worden,96 ist Mose als der Überbringer eines jedenfalls nicht unmittelbar auf ihn selbst zurückgehenden Gesetzes gesehen.97 Umgekehrt ist Jesus Christus offenbar nicht nur der »Überbringer« von Gnade und Wahrheit, sondern in gewisser Weise tatsächlich ihr »Urheber« – nämlich dergestalt, daß »Gnade und Wahrheit« durch Jesus Christus nicht nur »gegeben« wurde, sondern »durch ihn« überhaupt erst »geworden« ist. Es liegt also dieselbe Vorstellung zugrunde wie in 1,3, wo mit der Galater, Epheser und Kolosser (NTD 8/1), Göttingen 181998, 54: »Engel haben die geschichtliche Existenz des Gesetzes besorgt.« Ähnlich F. Vouga, An die Galater (HNT 10), Tübingen 1998, 82–84. 91 Becker, Joh I, 101. »So stehen Christen unter der Gnade, nicht unter dem Gesetz«, was an Aussagen wie Gal 2,16; 5,6; 6,15 erinnere. 92 Becker, Joh I, 102. Sehr ähnlich formuliert Schnelle, Joh (s. Anm. 18), 43: »Das Gesetz gehört auf die Seite der Juden . . ., die Christen hingegen haben das Stadium einer Gesetzesreligion längst hinter sich gelassen«. 93 Becker, Joh I, 102. Ähnlich O. Hofius, Struktur und Gedankengang des Logos-Hymnus in Joh 1,1–18, ZNW 78 (1987) 1–25, hier: 3. Hofius stellt (aaO., Anm. 17) fest, in Joh 1,17 liege »zweifellos ein antithetischer Parallelismus membrorum« vor; es werde »jede Heilsrelevanz des Mose und der durch Mose gegebenen Sinai-Tora negiert«. 94 Für die zweite Aussage beruft sich Becker auf Joh 4,20 ff., was insofern problematisch ist, als dort vom »Gesetz« allenfalls sehr indirekt die Rede ist. 95 So Becker, Joh I, 101. 96 Anders als in Joh 7,19 ist in 1,17 der auf den Akt der Gesetzgebung verweisende Aorist gebraucht (eÆdoÂuh), nicht das Perfekt. 97 In Joh 7,19 spricht Jesus davon, daß Mose »euch das Gesetz gegeben« hat; auch dort ist nicht gesagt, daß das Gesetz auf Gott zurückgeht. Vgl. zum Problem W. A. Meeks, The Prophet-King. Moses Traditions and the Johannine Christology (NT. S 14), Leiden 1967, 287, außerdem 112 f.

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gleichen Wendung (paÂnta di’ ayÆtoyÄ eÆgeÂneto) gesagt ist, daß der präexistente loÂgow »Schöpfungsmittler« war. Da Jesus Christus in V. 17b als mit diesem loÂgow identisch gedacht ist, braucht die Aussage nicht so interpretiert zu werden, als gebe es »Gnade und Wahrheit« erst seit dem Auftreten des irdischen Jesus;98 gemeint ist aber offenbar, daß Gnade und Wahrheit, wo immer sie existieren, ihren Ursprung jedenfalls stets und ausschließlich in Jesus Christus haben. Wenn in 1,17 gesagt ist, daß die Gnade und die Wahrheit »durch Jesus Christus geworden ist«, dann bedeutet dies also keineswegs, daß das durch Mose gegebene Gesetz womöglich als Lüge qualifiziert wäre. Wohl aber setzt die Struktur der Aussage den Gedanken voraus, daß oë noÂmow und hë xaÂriw kaiÁ hë aÆlhÂueia zueinander in Spannung stehen.99 Mit Recht betont Jürgen Becker, daß 1,17 ein »erster Hinweis auf den grundsätzlichen Gegensatz zwischen ›den Juden‹ und Jesus im Joh« ist.100 Gerade dann wird man aber kaum sagen dürfen, die Diskussion um Gesetz und Gnade sei »kein innerchristlicher Streitfall mehr«;101 sofern man nicht annehmen will, daß sich das Johannesevangelium polemisch (oder apologetisch) nach außen wendet, wird man vermuten müssen, daß sich der Evangelist im Kontext einer innergemeindlichen Diskussion bewegt, wenn er auf das Gegenüber von Mose und Christus verweist. Das gilt zumal dann, wenn – wie überaus wahrscheinlich – es nicht die johanneische Gemeinde war, die sich vom übrigen Judentum distanzierte, sondern wenn umgekehrt die Synagoge den Trennungsstrich zur Gruppe der an Jesus glaubenden Juden gezogen hatte.102 Die Aussage von 1,17 soll den Lesern des Johannesevangeliums vor Augen führen, daß die nun folgende Erzählung authentische Kunde von Gott (V. 18) gibt,103 weil sie von dem Jesus Christus handelt, durch den Gnade und Wahrheit 98

Vom Auftreten Jesu spricht dann allerdings Joh 1,18 (s. u.). Zur Interpretation vgl. H. Weder, Der Mythos vom Logos (Johannes 1). Überlegungen zur Sachproblematik der Entmythologisierung, in: H. H. Schmid (Hg.), Mythos und Rationalität (VWGTh 5), Gütersloh 1988, 44–75, hier: 59 Anm. 60: »In diesem Satz, der übrigens keine Adversativpartikel enthält, geht es um die Gegenüberstellung des Gesetzes, das durch Mose gegeben ist, und der Gnade und Wahrheit, die durch Christus geworden ist.« Weder meint dann aber doch, es gehe nicht um einen Gegensatz, sondern um eine »Unterscheidung«: »Mose gab das Gesetz, das den Tätern Leben bloß verspricht, Christus dagegen wurde die Gnade, die das Leben der Glaubenden ist« (Hervorhebungen im Original). Es liegt jedenfalls kein synthetischer Parallelismus vor. Wenn Obermann, Erfüllung (s. Anm. 4), 54 paraphrasiert: »Wie sich im Leben des Mose Gnade ereignete, als Gott in seiner Herrlichkeit an Mose vorüberzog, so offenbart sich Gottes Herrlichkeit nun auch [sic!] in Jesus«, dann geht das an der Textaussage völlig vorbei. Von doÂja spricht der Text ausschließlich im Kontext des inkarnierten loÂgow. Obermanns Aussage (aaO., 56), das Gesetz komme »zu seinem Ziel in der Person des fleischgewordenen Wortes«, trifft den Duktus des Prologs ebenfalls nicht. 100 Becker, Joh I, 102. 101 Becker, Joh I, 101. 102 Vgl. Joh 9,22 f.; 12,42; 16,2. 103 Nach Hengel, Schriftauslegung (s. Anm. 59), 266 bereitete sich das mit eÆjhgh  sato ausgesagte Kundebringen »schon gegenüber Israel vor und fand seinen Niederschlag in der Schrift«. Dieser Deutung widerspricht die Stellung von Joh 1,18 im Kontext des Evangeliums. 99

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III. Studien zum Johannesevangelium

»geworden ist«. Damit verbindet sich weder ein »Antijudaismus« noch überhaupt eine ablehnende Haltung gegenüber der jüdischen Tradition. Mit seinen Aussagen über Mose und das durch Mose gegebene Gesetz will das Johannesevangelium im Gegenteil gerade zeigen, daß es die eigene Gemeinde ist, die in der ungebrochenen Tradition des Gesetzes lebt, und daß es gerade »die Juden«, d. h. die nicht an Jesus Glaubenden sind, die die biblische Tradition mißverstehen und mißachten. Nicht von einem Gegensatz zwischen Gesetz und Gnade (bzw. Wahrheit) ist in Joh 1,17 die Rede, sondern von heilsgeschichtlicher Kontinuität – ausgehend freilich von der Voraussetzung, diese Kontinuität werde nur dort bewahrt, wo man erkennt, daß das Gesetz auf Jesus Christus verweist und umgekehrt nur von ihm her verstanden werden kann.

IV Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien

Einleitung Der erste der drei Beiträge in diesem Kapitel entstand im Zusammenhang der Vorbereitung einer Neubearbeitung von Hans Conzelmanns »Grundriß der Theologie des Neuen Testaments«. Dieses Werk, das zuerst 1967 erschien und dann in verhältnismäßig rascher Folge zweimal kaum verändert nachgedruckt wurde1, orientierte sich bewußt an Rudolf Bultmanns epochaler »Theologie des Neuen Testaments«; Conzelmann wies in seiner »Einführung« ausdrücklich darauf hin. Im Unterschied zu Bultmann sprach Conzelmann aber nicht nur in der Darstellung des Paulus und des Johannes explizit von »Theologie«; sein »Grundriß« enthielt vielmehr als Abschluß des unter der Überschrift »Das synoptische Kerygma« stehenden zweiten Hauptteils einen freilich sehr kurzen Abschnitt »Die Theologie der drei Synoptiker«. Als Conzelmanns Buch vergriffen war, vertraute er mir eine Neubearbeitung an, die dann 1987 erschien.2 Meine »Erwägungen zum Problem einer ›Theologie der synoptischen Evangelien‹« fragen danach, ob im Blick auf die synoptischen Evangelien bzw. deren Verfasser von einer möglichst systematisch zu erfassenden Theologie gesprochen werden kann und welcher Begriff von »Theologie« dabei dann zugrunde zu legen ist. Berücksichtigt werden die zwischen 1967 und 1985 erschienenen Darstellungen der Theologie des Neuen Testaments, die auf den jeweils vorausgesetzten Theologiebegriff hin untersucht werden. Inzwischen sind zahlreiche weitere Werke der Gattung »Theologie des Neuen Testaments« veröffentlicht worden, die von einer »Theologie des Markus« usw. sprechen. In aller Regel ist dieser Abschnitt erst nach der Darstellung der »Theologie des Paulus« eingeordnet. Einen entsprechenden, im wesentlichen durch die Chronologie begründeten Vorschlag hatte auch ich am Ende meines Aufsatzes gemacht. Bei der Neubearbeitung des »Grundrisses« vermochte ich Conzelmann davon aber nicht zu überzeugen, denn er erklärte, es gehe nicht um eine »Geschichte der urchristlichen Theologie«, und deshalb gehörten die synoptischen Evangelien aufgrund ihrer Nähe zur Jesus-Tradition systematisch vor Paulus. 1 H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 1967; die zweite Auflage erschien unverändert 1968; als »Studienausgabe« erschien 1976 die dritte Auflage, mit einigen Ergänzungen. 2 H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, 4. Auflage, bearbeitet von A. Lindemann (UTB 1446), Tübingen 1987; 51992; 61997.

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IV. Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien

1993 erschien »Die Theologie der Evangelien« von Alfons Weiser3, in der auch im Blick auf die Loqienquelle Q von »Theologie« gesprochen wird, Weiser betont in Auseinandersetzung mit D. Ritschl, ein Theologiebegriff, »dessen Hauptkriterium darin besteht, Sachverhalte auf einen ›Lehrbegriff‹ zu bringen, sie in gedanklicher ›Klarheit‹ auszudrücken und ›Theoriebildung auf regulative Sätze hin‹ zu betreiben«, sei zu eng und werde »dem biblischen Befund nicht hinreichend gerecht«.4 Theologie könne »auch in erzählender Form zum Ausdruck kommen«, was »besonders deutlich in den Jesusüberlieferungen der Evangelien der Fall« sei. Man dürfe nicht übersehen, dass »Traditions- und Gestaltungsprozesse mit reflektierender, und das heißt: im eigentlichen Sinn theologischer Arbeit verbunden sind«.5 Von der »Theologie« der synoptischen Evangelien solle in der Weise gesprochen werden, »daß nach den theologischen Hauptinhalten gefragt wird, welche durch die neutestamentliche Evangelienüberlieferung vermittelt werden. Es ist dies die Frage danach, wovon die Texte sprechen.«6 Neben der Wiedergabe des Inhalts der Evangelien bietet Weiser eine im eigentlichen Sinne systematisch-theologische Darstellung bei Markus und Matthäus jeweils zu deren Christologie7, zur Theologie des lukanischen Doppelwerks gibt es ein Kapitel zu »Gott-Jesus Christus-Heiliger Geist« sowie zur Soteriologie (»Das Verständnis von Rettung und Heil«).8 Joachim Gnilka spricht bei Paulus und beim johanneischen Schrifttum explizit von »Theologie«, bei den »Synoptikern« hingegen von deren »theologischem Konzept«, ohne dass der Wechsel in der Terminologie begründet wird.9 Mit guten Gründen argumentiert Gnilka für seine Entscheidung, Person und Verkündigung Jesu nicht in die Darstellung neutestamentlicher Theologie aufzunehmen.10 In der von Friedrich Wilhelm Horn bearbeiteten und herausgebenen »Theologie des Neuen Testaments« von Georg Strecker11 steht am Anfang eine ausführliche Reflexion zur Frage »Was ist ›Theologie des Neuen Testaments‹?«12 Das Programm einer »Geschichte der urchristlichen Religion oder der urchristlichen Theologie, wie es der liberalen Theologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorschwebte«, wird zurückgewiesen; vielmehr solle »nach den theologischen Konzeptionen gefragt werden, welche die neutestamentlichen Schriftsteller auf der Grundlage der ihnen vorgegebenen theologischen (Gemeinde-)Über-

3 Alfons Weiser, Theologie des Neuen Testaments II. Die Theologie der Evangelien (KStTh 8), Stuttgart 1993. Der Band enthält ungeachtet seines Titels auch ein Kapitel über »Die Theologie der Offenbarung des Johannes«. 4 Weiser, Theologie (s. die vorige Anm.), 14. Die von Weiser zitierten Aussagen gehen auf D. Ritschl, Zur Logik der Theologie, München 1984, 98 zurück; vgl. unten 317 Anm 5. 5 Weiser, ebd. Er verweist auf Mk 1,1; Lk 1,1–4; Mt 28,18–20; Joh 20,30 f., wo die Evangelisten »mehr oder weniger deutliche Hinweise über das reflektierte Selbstverständnis« gäben. 6 Weiser ebd. 7 Vgl. Weiser, Theologie, 65–70 zu Mk: »Grundzüge der Christologie« (77: »Im Unterschied zur Redenquelle Q zeigt das Mk-Evangelium eine explizite Christologie«); 90–106 zu Mt: »Das Christusverständnis«. 8 Weiser, Theologie, 133–144.144–147. 9 Joachim Gnilka, Theologie des Neuen Testaments (HThK Suppl V), Freiburg 1994, 133–225. 10 Gnilka, Theologie (s. die vorige Anm.), 11. 11 Georg Strecker, Theologie des Neuen Testaments. Bearbeitet, ergänzt und herausgegeben von Friedrich Wilhelm Horn, Berlin/New York 1996. 12 Strecker, Theologie (s. die vorige Anm.), 1–4.

Einleitung

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lieferungen vertreten.«13 Am Anfang steht die Darstellung der Theologie des Paulus; es folgt ein Kapitel »Die urchristliche Überlieferung bis zur Abfassung der Evangelien«, in dem von Johannes dem Täufer und von Jesu Wirken und Verkündigung sowie der palästinischen und der hellenistischen Gemeinde die Rede ist. Unter der Überschrift »Der Weg Jesu Christi – Die Synoptiker« folgt das Kapitel, in dem die drei Evangelien jeweils unter einem systematisierenden Stichwort angezeigt werden.14 Dazu wird in einem einleitenden Abschnitt »Grundprobleme der Evangelienschreibung« betont, »das theologische Motiv der Evangelienschreibung« sei »das heilsgeschichtliche Interesse der Evangelienredaktoren«, wobei der Begriff »Heilsgeschichte« besage, dass »eschatologisches und historisches Interesse … in der Jesuserzählung der Evangelien miteinander verknüpft« sind.15 Peter Stuhlmacher, der nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick zu »Aufgabe und Aufbau einer Biblischen Theologie des Neuen Testaments«16 mit der Verkündigung Jesu einsetzt17, bietet im zweiten Band seines Werkes im Anschluß an das Kapitel »Die Verkündigung in der Zeit nach Paulus« den Abschnitt »Die Verkündigung der synoptischen Evangelien«.18 Die drei Evangelien, so meint er, »bauen auf verläßlicher apostolischer Tradition auf und konfrontieren ihre Leser erstaunlich einhellig mit Person, Lehre und Leben des einen, geschichtlich unverwechselbaren Jesus aus Nazareth, der Gott und seine Herrschaft auf Erden repräsentiert und sein Wirken als Erfüllung der prophetischen Verheißungen verstanden hat«. Jeder Evangelist habe »eine bestimmte Traditionssammlung vor Augen gehabt. (Johannes) Markus hat sich an den Lehrvorträgen des Petrus orientiert, die Überlieferung der Säulenapostel von Jerusalem ist in das Matthäusevangelium eingegangen, und Lukas hat zusammengestellt, was ihm Jerusalemer Tradenten und das Archiv der Missionsgemeinde von Antiochien boten«.19 Markus habe »die Großgattung ›Evangelium‹ geschaffen« und außerdem ein Modell dafür, »wie die Jesustradition mit dem Kerygma von Tod und Auferweckung Jesu zusammenzudenken ist«.20 Matthäus habe »die Geschichte des Heilshandelns Gottes in und durch Jesus Christus vollständiger und einprägsamer erzählt« als Markus, und so sei das kirchliche Jesusbild »viel stärker von der Missionszwecke didaktisch geschickt aufbereiteten Matthäusdarstellung geprägt« als von 13 Strecker, Theologie, 3. Zum Konzept einer »Geschichte der urchristlichen Religion« vgl. A. Lindemann, Zur »Religion« des Urchristentums, ThR 67 (2002) 238–261. 14 Zu Mk lautet die Überschrift: »Die geheimen Epiphanien« (361–384), zu Mt: »Der Weg der Gerechtigkeit« (384–412), zu Lk: »Die Mitte der Zeit« (412–438). 15 Strecker, Theologie, 342.343. Vgl. aaO., 361: Die synoptischen Evangelien »stellen eine Botschaft dar, die Zeit und Kosmos sprengt, auch wenn sie im Rahmen der Historie erscheint. Es handelt sich um die Botschaft des Christus, die ihn selbst zum Gegenstand hat. Der Bericht der Evangelisten enthält diese Botschaft, und die Botschaft erscheint als Bericht. In beidem ereignet sich das die Gemeinde verpflichtende Wort.« 16 Peter Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band I. Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992, 1–39. 17 Stuhlmacher, Biblische Theologie (s. die vorige Anm.), 40–161. Es folgen »Die Verkündigung der Urgemeinde« (161–221) und »Die Verkündigung (!) des Paulus« (221–392, darin 234–252 »Ursprung und Ansatz der paulinischen Theologie«). 18 Peter Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band II. Von der Paulusschule bis zur Johannesoffenbarung, Göttingen 1999, 115–199. 19 Stuhlmacher, Theologie II (s. die vorige Anm.), 115 f. 20 Stuhlmacher, Theologie II, 150 f. Mk habe damit »die werdende Kirche in die glückliche Lage versetzt, die nach dem Martyrium der großen Apostel gleichsam heimatlos gewordene apostolische Jesustradition in einer Form zu tradieren und zu verbreiten, die nachträgliche gravierende Entstellungen der Lehre Jesu auf ein Minimum begrenzte«.

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IV. Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien

Markus oder Lukas. Matthäus habe, wie die Gliederung zeige, ähnlich wie Markus sein Evangelium »für die öffentliche Verlesung (in Gemeindeversammlungen) angelegt, also ein kirchliches Unterrichtswerk geschaffen«.21 Da aber die Texte niemals »für sich allein gestanden« hätten, sei aus Matthäus »keine geschlossene Lehre, sondern nur Elemente einer solchen zu erschließen«.22 Auch Ferdinand Hahn ordnet die Darstellung der »theologischen Konzeptionen« der synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte spät ein, nach dem Hebräerbrief und der Johannesoffenbarung23; er verweist darauf, dass in jüngerer Zeit »auch das Ineinander von Jesustradition und theologischer Konzeption des [sc. jeweiligen] Evangelisten beachtet« werde.24 Ein Evangelium sei »in seiner theologischen Eigenart nur bei einer synchronen Interpretation hinreichend« zu erfassen: »Die theologische Einheit, nach der zu fragen ist, ist die Einheit von vorgegebenen und neu hinzugekommenen Elementen und Motiven.«25 Themen für die Darstellung der theologischen Konzeption des Markusevangeliums sind für Hahn zum einen Gott und Gottes Herrschaft26, die Christologie, die vor allem in den Hoheitstiteln sichtbar wird, »Nachfolge und Jüngerschaft«, dann vor allem »das Offenbarungsgeheimnis« und schließlich die Eschatologie.27 Sowohl im Blick auf Matthäus wie auf das lukanische Doppelwerk spricht Hahn ausdrücklich von »Theologie«, die zumindest teilweise auch systematisiert dargestellt wird.28 Udo Schnelle stellt in zwei größeren Eingangskapiteln seines Werkes zunächst den »Zugang« zur Theologie des Neuen Testaments dar; er begreift sie als »Sinnbildung« und fragt nach »Geschichte und Sinn«.29 Die neutestamentlichen Schriften seien »als Ausdruck von anschlussfähigen Sinn- und Identitätsbildungsprozessen« zu verstehen, und einer Theologie des NT komme deshalb »die Aufgabe zu, die Konstruktion dieser Sinnwelten umfassend zu erheben und darzustellen«.30 Dazu nennt Schnelle »Themenfelder«, die im einzelnen möglichst vollständig erfaßt werden sollen: Theologie als Rede von Gott, Christologie, Pneumatologie, Soteriologie, Anthropologie, Ethik, Ekklesiologie und Eschatologie, abschließend eine Skizze der jeweiligen »theologiegeschichtlichen Stellung«. Diesem Muster folgen dann sehr exakt die Darstellungen der Theologien der neutestamentlichen Schriften. Unklar ist freilich, warum Schnelle mit Jesus von Nazareth einsetzt; denn selbst wenn es zuträfe, dass Jesus selber »eine Sinnbildung vornahm, die vor und nach Ostern weitere Sinnbildungen hervorrief und auf den sich alle ntl. Autoren grundlegend beziehen«31, so 21

Stuhlmacher, Theologie II, 151. Stuhlmacher, Theologie II, 173. Zum lukanischen Werk betont Stuhlmacher immer wieder die historische Zuverlässigkeit. 23 Ferdinand Hahn, Theologie des Neuen Testaments. Band I. Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 2002, 478–583. 24 Hahn, Theologie I (s. die vorige Anm.), 480. 25 Hahn, Theologie I, 485 f. 26 Hahn, Theologie I, 496 stellt einleitend dazu fest: »Der Evangelist entfaltet keine ausführliche Gotteslehre.« Das ist eine zumindest mißverständliche Aussage, denn wenn natürlich gilt, dass Mk »den Glauben an den einen Gott im Sinn des Alten Testaments« voraussetzt (ebd.), so gibt er diesem Glauben doch ein eigenständiges Profil; vgl. Gudrun Guttenberger, Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123), Berlin/New York 2004, 333–345. 27 Hahn, Theologie I, 496–517. 28 Hahn, Theologie I, 526–538 bzw. 557–582. 29 Udo Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen 2007,15–29.30–46. 30 Schnelle, Theologie (s. die vorige Anm.), 44. 31 Schnelle, ebd. 22

Einleitung

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läßt doch Schnelles eigenes Vorgehen eine Diskrepanz erkennen, insofern sich seine JesusDarstellung (durchaus zu Recht!) nicht an den eingangs genannten »Themenfeldern« orientiert.32 Damit bestätigt er Bultmanns Feststellung, dass die Verkündigung Jesu eine Voraussetzung der neutestamentlichen Theologie ist und nicht ein Teil dieser selbst. Bei der Darstellung der synoptischen Evangelien führt Schnelle sein Schema stringent und überzeugend durch33 – selbst im Fall der von ihm als »Proto-Evangelium« bezeichneten Logienquelle.34

Die genannten Monographien zur Theologie des Neuen Testaments35 bestätigen den Wert des Versuchs, auch die erzählenden neutestamentlichen Schriften auf deren Theologie hin zu befragen. Allerdings sollte bedacht werden, dass eine »narrative« Theologie möglicherweise einer anderen Darstellungsform bedarf als eine von vornherein stärker begrifflich orientierte Theologie. Der Aufsatz »Wunder und Wirklichkeit« mit seinen Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen ist jüngeren Datums und bedarf kaum ergänzender Erläuterungen. Das Ziel ist es, an das hermeneutische Problem zu erinnern, das sich mit den Wundererzählungen als Texten verbindet. Es gibt zunehmend eine Tendenz, Wunder, von denen neutestamentliche Schriften erzählen, für im vordergründigen Sinne »möglich« zu erklären; aber damit ist zum Verstehen der Erzählungen gar nichts beigetragen, denn diese Geschichten wurden ja nicht erzählt, weil sie von »Fakten« berichteten, sondern weil das Erzählte eine bestimmte Bedeutung hatte und hat. So ist etwa auch der kulturanthropologische Hinweis darauf, dass bis heute in fremden Kulturen derartige Wunder »möglich« sind, für das Verstehen der Erzählungen ohne Bedeutung, sondern es wird allenfalls der Rahmen dessen, was man – unter rationalistischen Gesichtspunkten – eben doch »für möglich« halten mag, erweitert. Wolfgang Stegemann hält die etwa von Bultmann, Schmithals und vielen anderen vorgetragene »traditionelle historische Kritik der biblischen Wundergeschichten« für »eurozentrisch und anachronistisch«; problematisch sei schon der Begriff »Wunder« selbst. Stegemann zitiert Bultmanns Diktum aus dem Entmythologisierungsvortrag, man könne nicht moderne medizinische Mittel in Anspruch nehmen »und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen 32

Schnelle, Theologie, 45. Schnelle, Theologie, 347–489. Der unter der Überschrift »Sinn durch Erzählen« stehende Teil steht zwischen der Darstellung des Paulus und der der Deuteropaulinen. 34 Schnelle, Theologie, 349–368. Die Darstellung des Markusevangeliums steht unter der Überschrift »Der Weg Jesu«, die des Matthäus unter der Überschrift »Die neue und bessere Gerechtigkeit«, die des Lukas unter der Überschrift »Heil und Geschichte«. 35 Weitere seit etwa 1990 erschienene Monographien zur neutestamentlichen Theologie sind grundsätzlich anders angelegt, so dass sie hier nicht besprochen werden konnten; vgl. Hans Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band 3. Hebräerbrief, Evangelien und Offenbarung. Epilegomena, Göttingen 1995; Franc¸ois Vouga, Une the´ologie du Nouveau Testament, Gene`ve 2001. 33

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Testaments glauben«, und er stellt dazu fest: »Natürlich kann man!«36, und er verweist darauf, dass es »unzählige Menschen auf diesem Erdball« gibt, die jetzt auch das Internet nutzen »und an die Existenz von Geistern und Dämonen glauben« oder die »einen Schamanen oder traditionellen Heiler aufsuchen, wenn sie sich krank fühlen«.37 Natürlich gibt es, wie Stegemann betont, »genügend Hinweise darauf, dass die Kultur Israels zur Zeit Jesu, wie überhaupt die mediterranen Kulturen seiner Zeit zum Beispiel mit der Existenz und Wirksamkeit von Dämonen rechneten, dass sie Erfahrungen machten, die in unserer westlichen Welt allenfalls noch in Subkulturen möglich sind, die freilich der mainstream unserer Kultur und Gesellschaft für un-möglich hält«.38 Aber für die Auslegung der von Heilungswundern erzählenden neutestamentlichen Texte ist damit wenig gewonnen – ganz abgesehen davon, dass es in der Antike auch eine durchaus »aufgeklärte« Medizin gab, die den Glauben, Krankheiten würden durch Dämonen ausgelöst, strikt verwarf. Auch im Markusevangelium werden keineswegs alle Krankheiten auf die Wirksamkeit von Dämonen zurückgeführt.39 Dass der Erfahrungshorizont der Menschen der Antike weithin ein anderer war als der des »modernen Menschen«, ist ja gerade von Bultmann immer wieder betont worden. Die entscheidende Frage ist, ob die Texte uns unter unseren Verstehens- und Erfahrungsbedingungen etwas zu sagen haben; es ist jedenfalls kaum sinnvoll, einzelne der Heilungserzählungen auf ihren möglichen historischen (Erfahrungs-)Hintergrund der antiken Menschen hin zu befragen, Erzählungen wie die vom Seewandel40 oder von der Auferweckung des toten Jünglings in Nain hingegen auszuklammern.

36 Wolfgang Stegemann, Dekonstruktion des rationalistischen Wunderbegriffs. Plädoyer für eine kulturanthropologische Deutung der Wundergeschichten, in: Dem Tod nicht glauben. FS Luise Schottroff, hg. von Frank Crüsemann/Marlene Crüsemann/Claudia Janssen/Rainer Kessler, Beate Wehn, Gütersloh 2004, 73 (im Orig. kursiv). 37 Stegemann, Dekonstruktion (s. die vorige Anm.), ebd. Auf die Tatsache, dass es »allerhand Aberglauben« gibt, hat freilich Bultmann selber in seinem Vortrag eindrücklich hingewiesen. Die Fortsetzung des von Stegemann kritisch zitierten Satzes lautet: »Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht« (Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, zitiert nach: Hans-Werner Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos. Ein theologisches Gespräch (ThF 1), Hamburg 1948, 18. 38 Stegemann ebd. 39 Dazu Reinhard von Bendemann, Christus der Arzt – Krankheitskonzepte in den Therapieerzählungen des Markusevangeliums, in: Heilungen und Wunder Theologische, historische und medizinische Zugänge, hg. von Joseph Pichler und Christoph Heil. In Zusammenarbeit mit Thomas Klampfl, Darmstadt 2007105–129, vor allem 125. 40 Vgl. dazu Lorenz Oberlinner, Können Wunder schief gehen? Zur Petrus-Episode in der Seewandelgeschichte Mk 14,22–33, in: Heilungen und Wunder (s. die vorige Anm.), 85–104. Oberlinner erweist Mt 14,28–31 als »Lehrerzählung«, und das »hat zur Konsequenz, dass auf historische Rückfragen verzichtet werden darf«.

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Der Aufsatz »Jesus, Israel und die Völker« befaßt sich mit dem Jesusbild der neutestamentlichen Evangelien und war bisher unveröffentlicht. Er ist der Versuch einer eigenen Stellungnahme zur gegenwärtigen Diskussion um die historische Frage nach Jesus. Immer wieder begegnet der Hinweis, dass Jesus, der Jude, zu unterscheiden sei vom Jesusbild der – nota bene: christlichen – Evangelien. Meine Überlegungen zielen nicht darauf, das »vorchristliche« Jesusbild historisch zu rekonstruieren, sondern es geht mir darum zu zeigen, dass die Evangelisten selber – wenn auch fern jeder »historischen« Reflexion – darum bemüht sind, Jesus als Juden innerhalb der jüdischen Welt Galiläas bzw. Judäas darzustellen. In einer Zeit, in der es selbstverständlich ein vergleichsweise weit verbreitetes »Heidenchristentum« gibt, vermeiden sie es, Jesus gleichsam als einen Vorboten der Mission unter den Völkern darzustellen; erst durch Jesu Auferweckung, so lautet die Botschaft, wird das mit und durch Jesus Geschehene der außerjüdischen Welt eröffnet. Das bedeutet, dass wir auch durch den Versuch, »christliche« Elemente aus der evangelischen Jesusüberlieferung auszuscheiden, nicht zum »historischen Jesus« gelangen; denn auch der »jüdische Jesus«, wie er uns in den Texten begegnet, bleibt der »Jesus der Evangelien«.

Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien«* Hans Conzelmann zum 70. Geburtstag

Kann im Rahmen neutestamentlicher Theologie und Exegese sachgemäß von einer »Theologie« der Verfasser bzw. Redaktoren der synoptischen Evangelien gesprochen werden? Ist es sinnvoll und womöglich sogar geboten, in einer Darstellung neutestamentlicher Theologie auf die synoptischen Evangelien thematisch einzugehen? Oder wäre dies angesichts des Charakters der drei ersten Evangelien im Gegenteil unmöglich bzw. jedenfalls unsachgemäß1? Rudolf Bultmann hat bekanntlich in seiner »Theologie des Neuen Testaments« den Begriff »Theologie« explizit nur im Zusammenhang der Darstellung des Paulus und des Johannes gebraucht2. Die synoptischen Evangelien hingegen kommen, soweit es die in ihnen enthaltene Tradition betrifft, im einleitenden Ersten Teil (»Voraussetzungen und Motive der neutestamentlichen Theologie«) zur Sprache, während sie im Blick auf die Redaktion erst im Kontext der (von * Erweiterte Fassung eines am 21. 11. 1985 in Wien auf Einladung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität und am 3. 1. 1986 in Hofgeismar beim Theologischen Arbeitskreis »Alte Marburger« gehaltenen Vortrags. 1 Die Fragestellung setzt voraus, daß es jedenfalls prinzipiell möglich ist, den Begriff »Theologie« im Blick auf Aussagen des Urchristentums anzuwenden, obwohl das Wort ueologiÂa im NT (und auch in den Schriften der »Apostolischen Väter«) ja nicht belegt ist. Vgl. F. Kattenbusch, Die Entstehung einer christlichen Theologie. Zur Geschichte der Ausdrücke ueologiÂa, ueologeiÄn, ueoloÂgow, ZThK NF 11 (1930) 161–205. »Es ist bemerkenswert, daß die Christen die systematische Erörterung, sei es Darlegung, sei es Rechtfertigung, ihres Glaubens nie als ueologiÂa bezeichnen. Einen technischen Namen hatten die Christen für ›ihre‹ Wissenschaft noch nicht. Für Justin ist sie filosofiÂa« (a. a. O.: 198; Hervorhebung im Original). Bei Clemens Alexandrinus findet sich erstmals ueologiÂa als Bezeichnung des wahren Gottesglaubens im Gegensatz zur myuologiÂa (199). – Zur Verwendung des Wortes »Theologie« im Mittelalter und bei den Reformatoren vgl. G. Ebeling, Was heißt »Biblische Theologie«?, in: ders., Wort und Glaube (I), Tübingen 1960, 69–89 (hier: 71 ff.). Ich verstehe »Theologie« im folgenden vorläufig ganz unspezifisch als »Bezeichnung lehrmäßiger Entfaltung des christlichen Glaubens« (Ebeling, aaO., 71) oder noch allgemeiner als »denkendes Rechenschaftgeben von der Sache des Glaubens« (so Chr. Demke, Die Frage nach der Möglichkeit einer Theologie des Neuen Testaments, ThV 2 [1970] 129–138, hier: 132 unter Hinweis auf 1 Petr 3,15). Weiter unten wird eine genauere Definition des Theologiebegriffs folgen. 2 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 91984 (hg. von O. Merk); im folgenden zitiert als: Bultmann, Theologie.

Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien«

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Bultmann ja eher negativ eingeschätzten) »Entwicklung zur Alten Kirche« kurz gestreift werden3. Ein eigener Abschnitt etwa unter der Überschrift »Die Theologie des Markus« (bzw. des Matthäus oder des Lukas) fehlt. Dies ist zurückzuführen auf Bultmanns Verständnis des Begriffs »Theologie«: Theologie liegt, wie Bultmann ausdrücklich sagt, nur dort vor, wo theologische Motive »zur Klarheit des theologischen Gedankens erhoben« sind und wo die mit diesen Motiven verbundenen Fragen »bewußt gemacht und zur Entscheidung geführt« werden4. Theologie in diesem Sinne findet sich für Bultmann bei den Verfassern der synoptischen Evangelien nicht. Nach J. M. Robinson ist es freilich überhaupt problematisch, im Blick auf die neutestamentlichen Schriften von »Theologie« zu sprechen und ihre Verfasser als »Theologen« anzusehen. Denn – so Robinson – »Lehrbegriffe im echten Sinne kommen nur selten im Neuen Testament vor«, und viele neutestamentliche Schriften bieten im Gegenteil »kaum mehr als Stoff zur Darstellung der durchschnittlichen urchristlichen Glaubenserfahrung«5. Es wäre nun in der Tat unangemessen, jede religiöse Lebensäußerung und jede in Sprache umgesetzte Glaubenserfahrung ohne weiteres als »Theologie« zu bezeichnen; umgekehrt ist es aber auch problematisch, den Begriff »Theologie« nur bei solchen Aussagen bzw. Texten anzuwenden, in denen sich bestimmte »Lehrbegriffe« der Autoren identifizieren lassen. Die Frage, ob die Verfasser neutestamentlicher Schriften und speziell die Redaktoren der synoptischen Evangelien eine »Theologie« haben oder nicht, ob sie als Theologen anzusehen sind oder nicht, verweist auf ein nicht nur historisches, sondern vor allem »systematisches« Problem. Im folgenden geht es deshalb zunächst (I) um die Behandlung der synoptischen Evangelien in Bultmanns »Theologie des NT« und in den seither erschienenen Gesamtdarstellungen, wobei nach dem jeweils zugrundeliegenden Theologiebegriff bzw. -verständnis gefragt wird. Danach (II) wird die Fragestellung in zweifacher Weise präzisiert: Einmal im Blick auf eine angemessene Definition von Theologie, zum andern im Blick auf die Bestimmung des theologiegeschichtlichen Orts der synoptischen Evangelien. Von den dabei gewonnenen Gesichtspunkten her wird dann (III) anhand ein-

3 Die Darstellung des synoptischen Materials im Ersten Teil ist relativ ausführlich, der Abschnitt über die Redaktion (§ 54: »Paradosis und historische Tradition«) ist äußerst knapp (aaO., 476–479). 4 So Bultmann, Theologie, 188 in den Vorbemerkungen zur Paulus-Darstellung. 5 J. M. Robinson, Die Zukunft der neutestamentlichen Theologie, in: Neues Testament und christliche Existenz. FS Herbert Braun, hg. von H. D. Betz und L. Schottroff, Tübingen 1973, 387–400, hier: 388. – Auf die »Fiktion einer biblischen Theologie« verweist D. Ritschl, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München 1984, 98: »Theologie im Sinn der Theoriebildung auf regulative Sätze hin liegt in den biblischen Schriften nur in Annäherung vor. Nur mit Vorbehalten und unter genauen Bestimmungen kann man von der ›Theologie Deuterojesajas‹, der lukanischen oder johanneischen ›Theologie‹ sprechen, viel eher schon von paulinischer Theologie, weil sich bei Paulus ausgeführte und nachvollziehbare Erklärungen, Begründungen und Eingrenzungen von Aussagen finden. Und doch sind auch im Vergleich zu später ausgeformten Christologien, Trinitätslehren, Lehren von der Kirche, von der Gnade, vom Menschen usw., die Paulusbriefe nur im uneigentlichen Sinn des Wortes Theologie.« Es würde sich lohnen, vom Neuen Testament her eingehend und kritisch in eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Ritschls Theologiebegriff und -verständnis einzutreten, was hier aber nicht geleistet werden kann.

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zelner exegetischer Beobachtungen inhaltlich nach der »Theologie des Markus« bzw. des Matthäus und des Lukas gefragt werden. In einem knappen Schlußteil (IV) soll dann versucht werden, mögliche Konsequenzen für eine Darstellung der synoptischen Evangelien innerhalb einer »Theologie des Neuen Testaments« anzudeuten.

I. 1. In Bultmanns »Theologie des NT« ist nur bei Paulus und bei »Johannes« ausdrücklich von deren »Theologie« die Rede. Das ganze Buch beginnt mit der umstrittenen, m. E. aber richtigen Feststellung, theologisches Denken als Reflexion des christlichen Glaubens beginne erst nachösterlich, und deshalb könne die Verkündigung des historischen Jesus nicht Gegenstand neutestamentlicher Theologie sein6. Nach Bultmann sind aber auch die ältesten nachösterlichen Traditionen durchaus noch nicht als »Theologie« zu bezeichnen, weil sie lediglich »theologische Motive« enthalten; erst Paulus könne legitim als »Begründer einer christlichen Theologie« angesehen werden7. Für die hier zur Diskussion stehende Frage ist damit allerdings wenig gewonnen. Denn auch nach Bultmanns Auffassung liegt die Redaktion der synoptischen Evangelien später als die Abfassung der (echten) paulinischen Briefe; und überdies gehört die synoptische Tradition mit großer Wahrscheinlichkeit einem von Paulus und der ihm überkommenen Tradition weitgehend unabhängigen Überlieferungsbereich an8. Paulus ist also nicht Höhepunkt bzw. (vorläufiges) Ziel einer einlinigen, die synoptische Tradition womöglich mit umfassenden und sie zugleich überbietenden Theologiegeschichte. Bultmanns These basiert auf seiner ausdrücklichen Unterscheidung zwischen »Glaube« einerseits und »Theologie« andererseits: Zwar sei im christlichen Glauben als solchem theologische »Erkenntnis« bereits enthalten; aber ein wirklich als »Theologie« zu bezeichnendes Denken liege erst dann vor, wenn diese Erkenntnis erhoben werde »zur Klarheit bewußten Wissens«9 – und das eben sei innerhalb des Neuen Testaments nur bei Paulus (und bei »Johannes«) der Fall. Die Überlieferungen der synoptischen Evangelien einschließlich ihrer

6 Bultmann, Theologie, 1 f. Vgl. dazu A. Lindemann, Jesus in der Theologie des Neuen Testaments, in: Jesus Christus in Historie und Theologie (FS Hans Conzelmann, hg. von G. Strecker), 1975, 25–57. Zum Problem, ob man von einer »Theologie« Jesu sprechen könne, s. u. Anm. 50. 7 Bultmann, Theologie, 188. 8 Vgl. dazu jetzt den wichtigen Aufsatz von N. Walter, Paulus und die urchristliche Jesustradition, NTS 31 (1985) 498–522. 9 Bultmann, Theologie, 191. In den »Epilegomena« spricht Bultmann dann nicht von »Erkenntnis«, sondern von dem »aus dem Glauben erwachsende(n) Verständnis von Gott und damit von Welt und Mensch«, das durch das theologische Denken entwickelt bzw. »entfaltet« werde (585 f.).

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redaktionell geformten Endfassungen sind demgegenüber zwar Zeugnisse des Glaubens; aber sie sind nicht »Theologie«10. Offenbar besteht an dieser Stelle ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Bultmanns Definition von »Theologie« im Neuen Testament und seinem Verständnis von Theologie als Wissenschaft. Diese bezeichnet er als die »wissenschaftliche Selbstbesinnung über die eigene Existenz als durch Gott bestimmte« und als »das ausgebildete Denken« über den Glauben. Die Möglichkeit dazu sei zwar »schon im ursprünglichen Verhältnis zum Gegenstand gegeben«11; aber zur Wissenschaft im eigentlichen Sinne wird diese Selbstbesinnung für Bultmann offenbar erst dadurch, daß sie sich eine kontrollierbare Begrifflichkeit erarbeitet. Indem nun Paulus tatsächlich eine in dieser Weise überprüfbare Terminologie gebraucht, erweist er sich für Bultmann offenbar nicht allein als Begründer der christlichen Theologie überhaupt, sondern gewissermaßen auch schon als Begründer der wissenschaftlichen Theologie; als solchen, so scheint es geradezu, stellt ihn Bultmann dar12.

Im Unterschied etwa zu M. Dibelius meint Bultmann durchaus nicht, die Verfasser der Synoptischen Evangelien seien lediglich »Sammler, Tradenten, Redaktoren«, deren »theologisches Erfassen des Stoffes, soweit man von einem solchen reden kann«, im »Überliefern, Gruppieren und Bearbeiten des ihnen zugekommenen Materials« besteht13; Bultmanns »Geschichte der synoptischen Tradition« enthält durchaus schon Elemente der später so genannten »redaktionsgeschichtlichen Fragestellung«, die die Leistung der Redaktoren in den Blick nimmt. Aber Bultmann kann diese Redaktoren trotzdem nicht als »Theologen« und ihre Arbeit nicht als »Theologie« bezeichnen – und zwar vor allem deshalb nicht, weil bei ihnen eine kontrollierbare und reflektierte theologische Begrifflichkeit offensichtlich fehlt14.

10 Nach Bultmann, Theologie, 586 sind jene Gedanken »theologisch« zu nennen, »in denen sich das glaubende Verstehen von Gott, Welt und Mensch entfaltet«. Wenn Bultmann die (paulinische) Theologie ausdrücklich »als Anthropologie« darstellt und inhaltlich erschließt durch die Analyse der von Paulus verwendeten anthropologischen Begriffe, so ist das vor dem Hintergrund dieses Theologiebegriffs keineswegs eine einseitige »Engführung«, sondern notwendige Konsequenz aus seinem Ansatz. 11 R. Bultmann, Zur Frage der Christologie, in: ders., Glauben und Verstehen I, Tübingen 8 1980, 85–113, hier: 89. 12 Die berühmte Feststellung, daß die Theologie des Paulus »zugleich Anthropologie« ist (Bultmann, Theologie, 192), wird in den Vorbemerkungen zu Teil A (»Der Mensch vor der Offenbarung der piÂstiw«) näher erläutert. Im Joh-Teil fehlt eine analoge Vorbemerkung. Hängt die Tatsache, daß Bultmann trotzdem auch für Joh den Theologiebegriff verwendet, mit seiner These zusammen, der Vierte Evangelist beziehe sich in seiner Theologie auf gnostisches Denken und vor allem auf gnostische Begrifflichkeit? 13 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 61971, 2. 14 Vgl. dazu D. Lührmann, Auslegung des Neuen Testaments (Zürcher Grundrisse zur Bibel), Zürich 1984, 94: In den synoptischen Evangelien ist begriffliche Explikation des Glaubens (im Sinne der Bultmannschen Definition von Theologie) nicht zu finden. »Sie verweisen nur auf das Kerygma, die Verkündigung Jesu als des gegenwärtigen Herrn, entfalten es aber nicht im Blick auf die Stellung des Menschen vor Gott.«

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Bultmanns Vorgehen ist von Anfang an auf Kritik gestoßen. N. A. Dahl hat in einer eingehenden Rezension Bultmann den Vorwurf gemacht, er vernachlässige die theologische Gedankenwelt im NT außerhalb des Corpus Paulinum und des Corpus Johanneum; insbesondere habe er die in den Schriften der Synoptiker »implizierten theologischen Anschauungen nur angedeutet und nicht wirklich analysiert«15. Diese Formulierung Dahls ist freilich geeignet, das Recht der Bultmannschen Position eher zu bestätigen als zu widerlegen; denn nicht anders als Bultmann vermeidet auch Dahl es, ausdrücklich von einer »Theologie« des Markus (Matthäus, Lukas) zu sprechen und deren thematisch eigenständige Darstellung zu fordern. Überdies zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß Dahls Kritik im Grunde auf einen ganz anderen Punkt zielt: Durch die von ihm gewählte Darstellungsform habe Bultmann das Kerygma »von der in den Evangelien dargestellten und gedeuteten Geschichte Jesu abstrahiert und in ultrapaulinischer Weise enthistorisiert«16. Es bleibe hier dahingestellt, ob bei Bultmann eine solche »Enthistorisierung« tatsächlich vorliegt, und ob man sie – falls ja – wirklich als »ultrapaulinisch« zu bezeichnen hätte. Wichtiger ist die Beobachtung, daß offensichtlich auch für Dahl die Redaktoren der synoptischen Evangelien im Grunde keine »Theologie« haben, die als solche thematisch darzustellen wäre, sondern daß ihre theologische Funktion vorwiegend darin zu finden ist, daß sie die »Geschichte Jesu« erzählen und so die Einbindung des Kerygmas in die Historie sichern. Die synoptischen Evangelien gelten Dahl als Quellen für die Historizität Jesu; durch ihre »historische« Arbeit verhindern es die Verfasser, daß Jesus von Nazareth zum Mythos und die Rede von Christus zur Mythologie wird. Die synoptischen Evangelien, so ließe sich Dahls Position charakterisieren, haben primär die Funktion eines Korrektivs gegenüber der paulinischen Theologie; ein eigener theologischer Wert kommt ihnen offenbar nicht zu.

2. Auch in den nach Bultmann erschienenen Darstellungen neutestamentlicher Theologie17 spielen die synoptischen Evangelien und insbesondere die Frage 15

N. A. Dahl, Die Theologie des Neuen Testaments, ThR NF 22 (1954) 21–49, hier: 29. Dahl, aaO., 29 f. 17 Auf die vor Bultmann erschienenen Darstellungen soll hier im einzelnen nicht eingegangen werden; die erörterte Problematik gewinnt ihr Gewicht ohnehin erst, wenn der Unterschied zwischen Tradition und Redaktion gesehen und methodisch bewußt gemacht wird, und das ist vor dem Aufkommen der Formgeschichte kaum der Fall. – Kennzeichnend für die älteren Werke ist die »Lehrbegriff«-Methode. F. C. Baur, Vorlesungen über die Neutestamentliche Theologie II (Bibliothek theologischer Klassiker 46), Gotha 1892, 102–147 ordnet die Darstellung der »Lehrbegriffe der synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte« zwischen Jak/Petr und den Pastoralbriefen ein. Da sie »das Leben und die Lehre Jesu darstellen wollen, so sollte man in ihnen keinen eigentümlichen Lehrbegriff voraussetzen, was sie als Lehre enthalten, sollte nur die Lehre Jesu sein«, zumal in der Christologie, so daß hier der ihnen eigene »Lehrbegriff« dargestellt werden könne (103). Baur differenziert ausdrücklich nicht zwischen den einzelnen synoptischen Evangelien (135) – ausgenommen ist nur der »paulinische« Lehrbegriff des Lukas (136–147). – W. Wrede, Über Aufgabe und Methode der sogenannten Neutestamentlichen Theologie, 1897 (jetzt in: G. Strecker [Hg.], Das Problem der Theologie des Neuen Testaments [WdF 367], Darmstadt 1975, 81–154) kritisiert die »Lehrbegriff«-Methode. Mit Blick auf die synoptischen Evangelien (und die meisten übrigen Schriften des NT, mit Ausnahme der Paulusbriefe und des Joh) stellt er fest: »Alle diese Urkunden, so bestimmte Unterschiede nach Inhalt und Zeitlage zwischen ihnen vorhanden sind, zeigen so wenig Eigenart, daß das, was ihnen etwa eigentümlich ist, völlig verschwindet gegenüber dem, was als Gemeingut weiterer Kreise oder der ganzen Kirche gelten muß. Wie hoch auch ihr erbaulicher Wert sei, wie schätzbar sie als Quellen sein mögen, historisch betrachtet enthalten sie Durchschnittschristentum. Demnach gehen diese Schriften und ihre Ver16

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nach der ihnen womöglich eigenen »Theologie« im allgemeinen eine geringe Rolle18. J. Jeremias behandelt im (allein erschienenen) Ersten Teil seiner »Neutestamentlichen Theologie« ausschließlich die Verkündigung Jesu19. Er fragt dabei zwar auch nach den Traditionen und nach der Redaktion der synoptischen Evangelien; doch es geht ihm dabei nur um die möglichen Quellen für Jesu Botschaft, nicht um die Frage, ob sie als Zeugnisse einer je eigenen »Theologie« der Tradenten bzw. der Redaktoren anzusehen sind20. In der Darstellung W. G. Kümmels erscheinen die synoptischen Evangelien ebenfalls lediglich als historische Basis für die Rekonstruktion der Verkündigung Jesu, den Kümmel ja neben Paulus und Johannes als einen der drei »Hauptzeugen« des Neuen Testaments ansieht21. G. E. Ladds »Theology of the New Testament« schließlich setzt zwar ein mit einem längeren Kapitel über die synoptischen Evangelien; aber auch Ladd meint dabei faktisch die Botschaft Jesu22. E. Lohse, L. Goppelt und H. Conzelmann sind demgegenüber in ihren Darstellungen auf das hier zur Debatte stehende Thema ausdrücklich eingegangen. Für Lohse ist, ähnlich wie für Bultmann, »Theologie« gebunden an eine reflektiert gebrauchte Begrifflichkeit. Nun werde zwar »philosophische Terminologie« im Neuen Testament nur selten gebraucht; aber da bereits in den frühen Bekenntnis- und Liedfragmenten das Kerygma »in systematisch durchdachten fasser die neutestamentliche Theologie gar nichts an.« (aaO., 110) – H. Weinel, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Die Religion Jesu und des Urchristentums, Tübingen 1911 ordnet im Register den synoptischen Evangelien bestimmte (dogmatische) »Lehrbegriffe« zu, macht die Evangelien selbst aber nicht zum Gegenstand einer besonderen Darstellung. – P. Feine, Theologie des Neuen Testaments, Leipzig 41922 stellt die synoptischen Evangelien im Kontext der »theologischen Anschauung der gemeinchristlichen Schriften« gesondert dar (414–424); nur bei Jesus, Paulus und den joh Schriften spricht Feine ausdrücklich von deren »Lehre«. 18 Es geht in diesem Überblick nicht um eine Beschreibung der inhaltlichen Aussagen, sondern lediglich um die Frage, ob und in welcher Weise das Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelisten« in den einzelnen Darstellungen thematisch erfaßt wird. 19 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. I: Die Verkündigung Jesu, Göttingen 21973. Jeremias’ Konzept geht zurück auf sein Gesamtverständnis von Theologie, wonach sich christliche Theologie ganz an der Verkündigung des historischen Jesus zu orientieren habe; Jesu Predigt sei der »Ruf«, der zwar im Rahmen des Glaubenszeugnisses der Kirche überliefert werde, der aber eben nur einmal ergangen sei und insofern unbedingt über der »Antwort« stehe. »Er allein, der Kyrios, ist Anfang und Ende, Mitte und Maßstab aller christlichen Theologie« (295). Der zweite Teil der Darstellung ist nicht erschienen. 20 Eine persönliche Erinnerung: Im Sommersemester 1964 trug Jeremias in seiner Göttinger Vorlesung eine »Theologie des Neuen Testaments II« vor, die drei »Hauptstücke« umfaßte: »Die Urgemeinde, Paulus, die johanneische Theologie«; eine gesonderte Darstellung der Theologie der Synoptiker war in der Vorlesung nicht enthalten und nach der von Jeremias eingangs gegebenen Übersicht auch nicht vorgesehen. 21 W. G. Kümmel, Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus – Paulus – Johannes (GNT 3), Göttingen 41980. Hinweise darauf, wie Kümmels Darstellung der Theologie der Synoptiker möglicherweise aussehen könnte, lassen sich den entsprechenden Paragraphen seiner »Einleitung in das NT« entnehmen (vgl. dort 64 f.87.114 f.). 22 G. E. Ladd, A Theology of the New Testament, Lutherworth 1975.

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Formulierungen« begegne, und da ferner in allen neutestamentlichen Schriften die Bedeutung des Bekenntnisses für den Glaubenden »in einer jeweils eigen geprägten Begrifflichkeit« dargelegt werde, sei es durchaus sachgemäß, »die in diesen Schriften ausgeführten Gedanken als Theologie zu bezeichnen«23. Hiernach wären also drei Elemente für den Theologiebegriff konstitutiv: (a) Theologische Aussagen müssen die Bedeutsamkeit der vorgegebenen christlichen Botschaft für das Leben der Glaubenden zum Ausdruck bringen; (b) sie müssen dabei zugleich »systematisch durchdacht« sein; (c) sie müssen schließlich eine »geprägte Begrifflichkeit« aufweisen. Von dieser Voraussetzung her stellt Lohse konsequenterweise im Vierten Teil seiner NT-Theologie (im Anschluß an die Theologie des Paulus und vor der Theologie der johanneischen Schriften) die ausdrücklich so bezeichnete »Theologie der synoptischen Evangelien« jeweils gesondert dar. Da Lohse zu Beginn dieses Teils die »Überlieferung der Taten und Worte Jesu« behandelt, erscheinen die drei synoptischen Evangelien zwar zuerst als Zusammenfassungen dieser Überlieferung; aber Lohse betont, die Evangelisten seien »keineswegs nur als Sammler und Tradenten tätig geworden«, sondern sie hätten »durch die Anordnung der verschiedenen Stoffe, durch redaktionelle Verknüpfungen und zusammenfassende Formulierungen ihrerseits jeweils bestimmte Akzente gesetzt und ihre Botschaft ausgerichtet«24. Die »theologischen Motive« der Evangelisten zeigten sich darin, daß sie die Jesusüberlieferung bewußt auf das Leben der Gemeinden bezogen und die tradierten Aussagen in einer Weise neu formuliert hätten, daß Jesu Worte »auf aktuelle Fragen Antwort geben konnten«25. Zu dem von Lohse vorausgesetzten Theologiebegriff gehört also auch der Aspekt der reflektierten Aneignung und Verarbeitung der Glaubenstradition; auf dieses wichtige Element wird später zurückzukommen sein. Auch L. Goppelt spricht ausdrücklich von einer »Theologie der [synoptischen] Evangelisten«26. Ihre Darstellung habe zu beginnen mit der »traditionskritischen Analyse« der Quellen für die Rekonstruktion der Verkündigung Jesu27; das dabei als »sekundär« abgehobene Material müsse später erneut interpretiert werden – zunächst als Zeugnis der »Theologie der frühen Gemeinde« und danach »als Theologie der Evangelisten«28. Goppelt stellt allerdings in diesem Zusammenhang fest, »ungleich intensiver« als die in den synoptischen Evangelien erkennbare Interpretation der Überlieferung sei die im Johannesevangelium enthaltene Traditionsauslegung; Joh zeige »in ungleich höherem Maße als 23 E. Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie (ThW 5), Stuttgart 31984, 10. Steht hinter dieser Aussage eine (bewußte?) Identifizierung von »theologisch« und »philosophisch« im Blick auf eine kontrollierbare Terminologie? 24 Lohse, Grundriß, 115. 25 Lohse, Grundrß, 112. 26 L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments (hg. von J. Roloff), Göttingen 31981, 65. 27 Goppelt, Theologie, 64. 28 Goppelt, Theologie, 65.

Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien«

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die Synoptiker Theologie des Evangelisten«29. Dementsprechend knapp ist Goppelts Behandlung der Theologie des Mt und des Lk30. Welches Kriterium seinem Urteil über die Evangelisten zugrundeliegt, wird bei Goppelt nicht unmittelbar deutlich. Ist es möglicherweise das Ausmaß der Freiheit im Umgang mit der Tradition, das als entscheidendes Indiz für die Intensität theologischer Reflexion gilt? Besonders interessant ist der von Hans Conzelmann gewählte Lösungsweg31; denn Conzelmann, der in seinem »Grundriß der Theologie des NT« ja bewußt an Bultmann anknüpft, setzt sich gerade an dem hier zur Diskussion stehenden Punkt nachdrücklich von ihm ab32: Der Zweite Hauptteil unter der Überschrift »Das synoptische Kerygma« behandelt im abschließenden § 17 explizit »Die Theologie der drei Synoptiker«; danach erst folgt als Dritter Hauptteil die Darstellung der paulinischen Theologie. Man könnte meinen, diese Abfolge sei inkonsequent, da die synoptischen Evangelien ja später entstanden sind als die Paulusbriefe. Die von Conzelmann gewählte Reihenfolge ist aber das Ergebnis seines an der Traditionsgeschichte orientierten Ansatzes: Die Evangelisten als Endredaktoren der synoptischen Überlieferung stehen am Ende einer Traditionskette, die in vorpaulinische Zeit zurückreicht. Dabei ist die Redaktion, vor allem die des Markus, für Conzelmann nicht nur ein die Überlieferung fixierender Akt schriftstellerischer Arbeit; sondern er versteht sie als eine im eigentlichen Sinne »theologische Leistung«33: Mit der Abfassung des »Evangeliums« als einer bis dahin so nicht existierenden literarischen Gattung habe Markus die zuvor lediglich latent vorhandene Erkenntnis bewußt gemacht, daß in der »formal so mannigfaltigen Tradition« insofern eine »sachliche Einheit« bestehe, als in allen diesen unterschiedlichen Formen der eine Christus des Glaubens dargestellt sei34. Bultmanns Entscheidung, im Blick auf die synoptischen Evangelien nicht von »Theologie« zu sprechen, werde, so meint Conzelmann, »dem geschichtlichen Tatbestand nicht gerecht«. Denn, so fährt er fort: »Das Kerygma wird eben nicht nur durch begriffliche Entfaltung ausgelegt, sondern auch durch Ge-

29

Goppelt, Theologie, 67. Goppelt kombiniert in § 45 und § 46 die Darstellung des Jak (unter der Überschrift »Eine paränetische Theologie der Empirie«) und des Mt (»Die Deutung der Erscheinung Jesu durch Matthäus«) unter dem im einzelnen nicht näher erläuterten Gesichtspunkt, beide Schriften seien Zeugnisse der Kirche Syriens. In § 47 und § 48 stehen Hebr und Lk/Act kommentarlos nebeneinander. Eine Mk-Darstellung fehlt ganz; dies geht möglicherweise aber darauf zurück, daß der Schlußteil des Werkes in gewisser Weise unvollendet bleiben mußte. 31 H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 31976. 32 Vgl. schon Conzelmanns Rezension von Bultmanns NT-Theologie (ZKG 66 [1954/55] 151–157). 33 Der im Zusammenhang mit Mk oft gebrauchte Begriff »theologische Leistung« geht offenbar zurück auf E. Schweizers gleichnamigen Aufsatz (u. a. abgedruckt in: R. Pesch [Hg.], Das Markus-Evangelium (WdF 411), Darmstadt 1979, 163–189). 34 Conzelmann, Grundriß, 115 f. 30

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schichtserzählung. Außerdem vertritt jeder der Synoptiker eine ausgeprägte theologische Gesamtkonzeption.«35 Allerdings führt Conzelmann diesen Ansatz dann doch nicht ganz konsequent durch; denn inhaltlich geht es im Zweiten Hauptteil in der Hauptsache um den historischen Jesus und um die Jesusüberlieferung, während die Theologie der Evangelisten erst ganz am Ende relativ knapp zur Sprache kommt36. In der Vorbemerkung hierzu stellt Conzelmann fest, es sei gerade der von der Formgeschichte als lediglich »sekundär« eingeschätzte literarische »Rahmen«, der den Evangelisten dazu gedient habe, »ihre Theologie darzustellen«37; die anschließenden Ausführungen heben denn auch vor allem diesen Aspekt besonders hervor38.

II. 1. Die Frage, ob von einer »Theologie« der synoptischen Evangelisten gesprochen werden könne, führt zur Frage nach einer sachgerechten Definition von Theologie überhaupt. Hält man die These für richtig, daß in den Texten eine reflektierte und kontrollierbare Terminologie – ein »Lehrbegriff« – des jeweiligen Autors erkennbar sein müsse, damit wirklich von »Theologie« gesprochen werden kann, so wird man in der Tat zu bezweifeln haben, daß die Autoren der synoptischen Evangelien eine »Theologie« entfalten. Denn zwar lassen sich bei ihnen bestimmte »Vorzugswörter« erkennen; aber eine exakt bestimmbare theologische Begrifflichkeit fehlt ihnen. Zu fragen ist aber, ob »Theologie« unter allen Umständen das Vorhandensein einer in der genannten Weise identifizierbaren theologischen Begrifflichkeit voraussetzen muß. Im Blick auf das Neue Testament wäre es durchaus sinnvoll, nach weiteren Grundbedingungen für einen möglichen Theologiebegriff zu fragen und auf dieser Basis die neutestamentlichen Schriften einschließlich der synoptischen Evangelien auf eine in ihnen sich aussprechende, dabei aber nicht unbedingt begrifflich entfaltete »Theologie« hin zu untersuchen.

35 36

Conzelmann, Grundriß, 116. Auf diese Spannung habe ich in meinem in Anm. 6 genannten Aufsatz hingewiesen (aaO.,

44 f.). 37

Conzelmann, Grundriß, 160. Vgl. zu Mk: Einerseits arbeitet Mk »den Kirchengedanken noch nicht positiv zum theologischen Begriff aus . . . Vor allem erfaßt er den gedanklichen Zusammenhang von Christologie und Zwischenzeit noch nicht«, denn »die Gedanken über die jetzige Wirksamkeit des Erhöhten sind noch nicht systematisiert«, so daß Mk »in dieser Hinsicht . . . ein Zwischenstadium der Reflexion zwischen der mündlichen Tradition und Lukas bzw. Matthäus« darstellt (Conzelmann, Grundriß, 161); andererseits ist die Gliederung des Mk in zwei Epochen und zwei Räume (Galiläa und Jerusalem) »theologischer Stil«: »Das ganze Buch ist also aus dem Osterglauben gestaltet. Es ist nichts anderes als ein Kommentar zum Kerygma« (Grundriß, 163). 38

Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien«

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Der von Bultmann in seiner »Theologie des NT« vorausgesetzte Theologiebegriff, der sich nur bei Paulus und bei »Johannes« anwenden ließ, findet sich schon in Bultmanns in den Jahren 1926 bis 1936 mehrfach in veränderter Form gehaltener Vorlesung über »Theologische Enzyklopädie«: Gegenstand der Theologie ist »Gott, so wie er in der einzig möglichen Zugangsart, im Glauben, gesehen wird«; Gott zeigt sich allein in der Offenbarung, und deshalb sind Offenbarung und Glaube gleichermaßen und gemeinsam Gegenstand der Theologie. Das Thema der Theologie ist »die von Gott bestimmte Existenz des Menschen. Denn die Offenbarung ist nicht ein Weltphänomen, sondern ein Geschehen in der Existenz, eben gläubiges, durch die Offenbarung bestimmtes Existieren.«39 Theologie sei mithin die »begriffliche Explikation des im Glauben schon vorhandenen Verstehens seiner selbst«. Sie habe dabei aber ein »kritisches Amt, solange es Menschen gibt, die aus Glauben vom Glauben miteinander reden«; dieses »Amt« bestehe darin zu fragen, ob »sachgemäß geredet wird, ob die Begriffe, in denen das Reden verläuft, sachgemäß sind«, ob sie also »dem echten Verstehen seiner selbst, das im Glauben enthalten ist, entsprechen«40. In der Wahrnehmung dieses »kritischen Amtes« unterliege die Theologie einerseits dem Maßstab, den die kirchliche Verkündigung setze, andererseits – da die Verkündigung erstmals in der Bibel begegne – dem in der Schrift gesetzten Maßstab. Der Bezug zur Schrift wird damit zu einem entscheidenden Element der Theologiedefinition41: Aufgabe der Theologie sei »die Regulierung der kirchlichen Verkündigung nach dem Maßstab der Schrift«; dies aber setze »als erste und eigentliche Aufgabe der Theologie das Verständnis der Schrift« voraus42. »Begriffliche Darstellung der Existenz des Menschen als durch Gott bestimmter« einerseits und »Erklärung der Schrift« andererseits aber seien im Grunde »das gleiche«43. 39 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, hg. von E. Jüngel/K. W. Müller, Tübingen 1984, 159. Bultmann setzt in Übereinstimmung mit der »dialektischen Theologie« voraus, daß Theologie in diesem Sinne nur christliche Theologie sein könne, da jede »andere angebliche Theologie« niemals von Gott, sondern immer nur vom Gottesgedanken spreche, faktisch also rede »von der Wirklichkeit des Menschen, so wie sie ohne Gott sichtbar ist«. Ähnliche Aussagen finden sich bei Bultmann häufiger. – Der zitierte Abschnitt stammt aus der Vorlesungsfassung des Jahres 1933. Damals hatte Bultmann den »Paulus«-Artikel in RGG2 bereits veröffentlicht, der für den entsprechenden Abschnitt in der »Theologie des NT« eine wichtige Vorarbeit darstellt. 40 Bultmann, Enzyklopädie, 167. 41 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Bultmanns Überlegung hinsichtlich des Verhältnisses von Theologie und Geschichtswissenschaft: Beide wenden sich kritisch zurück zur eigenen Geschichte »unter dem in der Gegenwart vernommenen Anspruch der Zukunft«; diese Rückwendung werde dann zum »Glauben«, wenn der »Anspruch« der biblischen Aussage anerkannt sei. Dies aber, so fährt Bultmann fort, kann »nicht als Voraussetzung vor der Interpretation erledigt sein«, sondern es vollzieht sich in ihr. »Theologische Exegese der Schrift gibt es also nicht als methodisches Unternehmen, sondern es kann nur in der Kirche glaubend gewagt werden wie die Theologie überhaupt.« Damit ist die m. E. sachgemäße Gegenposition zur gegenwärtig bisweilen geforderten »Hermeneutik des Einverständnisses« beschrieben. 42 Bultmann, Enzyklopädie, 169 (aus dem Jahre 1926). 43 Bultmann, Enzyklopädie, 169 f. Die These, Schriftauslegung und Darstellung der mensch-

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Der Bezug zur Verkündigung und der reflektierte und kritische Bezug zum vorgegebenen Text bzw. zur vorgegebenen Tradition bestimmen von daher also Wesen und Funktion von Theologie. Solch doppelter Bezug läßt sich nun aber nicht nur bei Paulus und im Vierten Evangelium beobachten, sondern auch in der Redaktionsarbeit der synoptischen Evangelisten. Man könnte sogar erwägen, ob diesem Theologiebegriff zufolge nicht jede Art von kritisch reflektiertem Umgang mit Glaubenstradition als »Theologie« verstanden werden darf. Gegenüber Bultmanns Forderung, wonach die Theologie die »Grundbegriffe des Verständnisses der gläubigen Existenz« zu entwickeln habe44, ist der Einwand zu machen, daß ein als »Theologie« zu bezeichnendes Denken des auf vorgegebene Tradition bezogenen Glaubens jedenfalls nicht notwendig die Entwicklung einer ja immer an Abstraktion orientierten festen Terminologie voraussetzt. Theologische Aussagen können auch in Form von Erzählung und müssen nicht in Gestalt begrifflicher Explikation gemacht werden. In seiner Untersuchung der Emmaus-Perikope Lk 24, 13–32 definiert H. D. Betz christliche Theologie als »Interpretation von historischen Texten, mit deren Hilfe das historische Ereignis des Kreuzes Jesu in seiner Bedeutsamkeit erkannt werden soll«45. Tatsächlich kann man sagen, daß der auferstandene Jesus in der von Lukas überlieferten Erzählung den beiden Jüngern auf ihrem Weg nach Emmaus gleichsam eine »biblische Hermeneutik« vermittelt (V. 25–27), angesichts derer die hörenden Jünger zum Glauben kommen46. Der Jesus dieser Erzählung handelt als »Theologe«, und seine »christologische« Schriftauslegung erweist sich im eigentlichen Sinne als »Theologie«. G. Ebeling hat vor einer allzu unspezifischen Verwendung des Theologiebegriffs gewarnt. Es sei »bedenklich«, »den Begriff Theologie in solcher Verallgemeinerung zu verwenden, daß jede Rede von Gott, jede religiöse Äußerung überhaupt als Theologie bezeichnet wird«47. »Theologie« setze das »Zusammentreffen des biblischen Offenbarungszeugnisses mit dem griechischen Denken« voraus48, und von daher könne man bei Paulus und bei Johannes tatsächlich von »Theologie« sprechen, während die Anwendung dieses Begriffs im Blick auf die Verkündigung etwa der Propheten zumindest fragwürdig sei49. Gilt diese lichen Existenz seien »das gleiche«, wird von Bultmann an dieser Stelle nicht begründet. Sie verweist aber auf Bultmanns hermeneutischen Ansatz, wonach die Aussagen der biblischen Texte Äußerungen des Selbstverständnisses der Glaubenden und als solche zu interpretieren sind. 44 Bultmann, Enzyklopädie, 167. 45 H. D. Betz, Ursprung und Wesen christlichen Glaubens nach der Emmauslegende (Lk 24,13–32), ZThK 66 (1969) 7–21, hier: 15 f. 46 Nach V. 31 erkennen die Jünger den Auferstandenen erst beim Brotbrechen; aber ihr Glaube (»brannte nicht unser Herz . . .«) wurde auf dem Wege geweckt vëw dihÂnoigen hëmiÄn taÁw grafaÂw V. 32b). 47 Ebeling, Was heißt »Biblische Theologie«? (s Anm. 1), 85; vgl. ders., Der Grund christlicher Theologie, ZThK 58 (1961) 227–244, vor allem 228. 48 Ebeling aaO., 86. Vgl. ders., Studium der Theologie. Eine enzyklopädische Orientierung (UTB 446), Tübingen 1975, 54–56. 49 Die prophetische Verkündigung sei allerdings »der theologischen Explikation fähig« (Ebe-

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Skepsis auch hinsichtlich der synoptischen Evangelisten? »Griechisches Denken« im von Ebeling gemeinten Sinne, also eine an Begriffen und an deren Explikation orientierte systematische Reflexion, läßt sich bei ihnen nicht beobachten. Doch es besteht gegenüber den Propheten eine wesentliche Differenz: Angesichts des Selbstverständnisses der Propheten, von Gott berufene und inspirierte Prediger zu sein, wird man tatsächlich zögern, in ihnen »Theologen« zu sehen und ihre Botschaft als »Theologie« zu bezeichnen50; bei den Evangelisten dagegen ließe sich allenfalls umgekehrt fragen, ob ihre Bindung an vorgegebene Tradition nicht möglicherweise als so stark eingeschätzt werden muß, daß ihre redaktionelle Arbeit aus diesem Grunde das Prädikat »Theologie« nicht verdient. Eine solche Argumentation aber wäre problematisch: Die Anwendung des Begriffs »Theologie« sollte besser nicht davon abhängig gemacht werden, welches Maß an Freiheit im Umgang mit der Tradition oder welcher Grad denkerischer Originalität in einem Text bzw. bei dessen Autor wahrgenommen wird; es bestünde sonst die Gefahr, daß man zwar von »Theologie« redet, in Wahrheit aber nach so etwas wie der »religiösen Genialität« des Textautors sucht.

Theologie als Explikation des im christlichen Glauben immer schon angelegten Verstehens seiner selbst51 bezieht sich stets auf das vorgegebene Zeugnis des Glaubens; sie trachtet danach, dessen Bedeutsamkeit jeweils für den gegenwärtigen Glauben und für die gegenwärtige Verkündigung aufzuzeigen. Daraus ergibt sich, daß der reflektierte und der Verkündigung gegenüber sich verantwortende Umgang mit (schriftlicher oder auch mündlicher) Glaubenstradition in jedem Falle als »Theologie« bezeichnet werden kann52. Die Geschichte der von der Gemeinde überlieferten synoptischen Tradition ist insofern immer schon auch ein Stück »Theologiegeschichte«. In besonderem Maße gilt das für die Evanling ebd.). – G. von Rad gibt dem Zweiten Band seiner »Theologie des Alten Testaments« (München 81984) zwar die Überschrift »Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels«, aber er trifft allein bei Ezechiel die Feststellung, dieser sei »nicht nur Prophet, sondern auch Theologe« (232); als Kriterium gilt dabei die Tatsache, daß Ezechiel »neben dem Visionären und Inspiratorischen auch der rationalen Reflexion Raum gibt« und ein »starkes Bedürfnis« hat, »gewisse Probleme intensiv zu durchdenken und bis in alle Konsequenzen abzuklären«. Im Ersten Band (»Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels«, 81982) definiert von Rad die »Geschichtstheologie des Deuteronomisten«: Ihm sei es gegangen »um das Problem des Funktionierens des Wortes Jahwes in der Geschichte« (355; zur Problematik solcher Aussagen vgl. H. Conzelmann, Fragen an Gerhard von Rad, EvTh 24 [1964] 113–125, vor allem 116 f.). Zum Dtn vgl. H. Graf Reventlow, Hauptprobleme der alttestamentlichen Theologie im 20. Jahrhundert, EdF 173, Darmstadt 1982, 144: Dies sei »insofern das ›theologischste‹ Buch im Alten Testament . . ., als in ihm die reflektierteste theoretische Begrifflichkeit erscheint und eine bestimmte Schultradition hier zugleich kulminiert wie eine breite Wirkungsgeschichte einleitet«. 50 Vgl. Ebeling, Grund christlicher Theologie (s. Anm. 47), 228: »Da, wo in selbstverständlicher Vollmacht die Nähe Gottes geltend gemacht wird, ist kein Raum für das, was Theologie nötig macht, nämlich das Problem einer Differenz zwischen Wort und Gott, und damit die Reflexion auf die umstrittene Sprache des Glaubens.« Diese m. E. richtige Feststellung macht es unmöglich, von Jesu Verkündigung als von seiner »Theologie« zu sprechen und in Jesus einen »Theologen« zu sehen. 51 Vgl. Bultmann, Theologie, 586; ähnlich ders., Enzyklopädie, 167. 52 Das betont m. R. Lührmann, Auslegung (s. Anm. 14), 94 im Blick auf Bornkamms Studie über die Sturmstillungsperikope im Mt: Theologie ist »Auslegung vorgegebener Überlieferung . . ., bezogen auf eine bestimmte Situation«.

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gelisten, die zumindest nach ihrem Selbstverständnis jeweils am Ende dieses Abschnitts der Theologiegeschichte stehen53: Ihre Redaktionsarbeit soll ja die bisherige Überlieferungsgeschichte zum Abschluß bringen. Andererseits aber wollen sie damit zugleich einen Ausgangspunkt und bleibenden Bezugspunkt schaffen für die künftige Predigt und für den aus ihr folgenden Glauben. 2. An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zu machen zur Frage der theologiegeschichtlichen bzw. literaturgeschichtlichen Einordnung der (Redaktion der) synoptischen Evangelien; ich beschränke mich dabei auf eine knappe Skizze meiner eigenen Sicht, ohne auf die in jüngster Zeit wieder verstärkt in Gang gekommene Debatte im einzelnen einzugehen54. Der Redaktor des um das Jahr 70 entstandenen Mk55 hat die Absicht gehabt, die ihm überkommene Jesusüberlieferung schriftlich festzuhalten und mit Hilfe der so entstehenden Geschichtsdarstellung die als eyÆaggeÂlion bezeichnete Heilsbotschaft erzählend zur Sprache zu bringen56. Ob dafür das »Aussterben« der ersten christlichen Generation (etwa der Tod des Petrus) und das – freilich keineswegs überall zu beobachtende – Abklingen der eschatologischen Naherwartung ein entscheidender Faktor gewesen ist, bleibe dahingestellt57. Mk bedeutet jedenfalls in einer Hinsicht etwas in 53 Die Frage, ob auch die Logienquelle in diesem Sinne auf eine »Theologie« ihres Redaktors (bzw. ihrer Redaktoren?) zurückverweist, soll hier offen bleiben. 54 Zur Entstehung und zum Sinn der Gattung »Evangelium« vgl. D. Dormeyer/H. Frankemölle, Evangelium als literarische Gattung und als theologischer Begriff, ANRW II, 25/2, Berlin 1984, 1543–1704. Vgl. zur Diskussion auch die in meinem Literaturbericht zu den Synoptischen Evangelien (ThR 49 [1984] 223–276.311–371, vor allem 234 ff.) genannte Literatur; ferner F. Hahn (Hg.), Der Erzähler des Evangeliums. Methodische Neuansätze in der Markusforschung (SBS 118/119), Stuttgart 1985. 55 M. Hengel, Entstehungszeit und Situation des Markusevangeliums, in: H. Cancik (Hg.), Markus-Philologie (WUNT 33), Tübingen 1984, 1–45 will in minutiöser Analyse zeigen, Mk sei im Jahre 69 entstanden, da »das in Mk 13,14 ausgesprochene Ereignis . . . so noch nicht eingetreten« ist (aaO., 30); zu unterscheiden ist aber zwischen der in Mk 13 verarbeiteten Vorlage und der Mk-Redaktion (vgl. E. Brandenburger, Markus 13 und die Apokalyptik (FRLANT 134), Göttingen 1984, vor allem 49–54. 81 ff.). 56 Die zeitweise intensiv geführte Debatte über die Frage, ob Mk primär Geschichtsdarstellung oder primär Kerygma sei, ist letztlich unfruchtbar. H.-F. Weiss, Kerygma und Geschichte. Erwägungen zur Frage nach Jesus im Rahmen der Theologie des Neuen Testaments, Berlin 1983, 24 verweist auf die »theologische Programmatik« von Mk 1, 1: Hier zeige sich, »daß der Evangelist Markus nicht primär als Historiker, sondern um das Kerygmas willen die Überlieferungen vom irdischen Jesus rezipiert; genauer: Historiker ist er um der Verkündigung Jesu Christi willen«. Problematisch ist die (wieder) aufgekommene Debatte über den Charakter (vor allem) von Mk als historiographischer Biographie; es fällt z. B. auf, daß etwa H. Cancik, Die Gattung Evangelium. Markus im Rahmen der antiken Historiographie, in: Markus-Philologie (s. Anm. 55), 85–113, hier: 92–94 unter der Überschrift »Erinnerung an den Text« eine Reihe von Tatbeständen aus der vita Jesu aufzählt, die bei Mk eben nicht erwähnt sind. 57 Nach S. Schulz, Die Mitte der Schrift. Der Frühkatholizismus im Neuen Testament als Herausforderung an den Protestantismus, Gütersloh 1976, 226 wäre Mk die Antwort des (syrischen) Frühkatholizismus »auf den innerchristlichen gnostischen Enthusiasmus«. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (EKK II/1), Zürich und Neukirchen-Vluyn 1978, 34 f. meint: »Mit ein Anstoß für die Niederschrift kann der Tod des Petrus gewesen sein, nicht im Sinn des Papias-

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der urchristlichen Literatur- und Theologiegeschichte völlig Neues: Erstmals schreibt ein anonym bleibender Autor58 für eine nicht näher bezeichnete Leserbzw. Hörerschaft59. Das ist ein ambivalenter Vorgang: Einerseits zielt die (nicht erstmalige, erstmals aber wohl als umfassend und in gewisser Weise »endgültig« gedachte) Schriftlichkeit auf eine mit autoritativem Anspruch ausgestattete Fixierung des im Text Überlieferten, und zwar sowohl der Tradition wie auch der für den Leser davon in der Regel nicht zu unterscheidenden Redaktion. Andererseits aber wird gerade durch die Verschriftlichung ein nicht mehr ohne weiteres steuerbarer Prozeß neu eingeleitet: Jetzt liegt ein Text vor, der losgelöst vom Autor und sogar gegen dessen direkte Intentionen vom Rezipienten aufgenommen und interpretiert sowie nicht zuletzt auch mehr oder weniger erheblich verändert werden kann60. Was das bedeutet, zeigen auf je ihre Weise Mt und Lk; beide wollen ja keineswegs einfach neben Mk treten, sondern ihre Verfasser wollen das ihnen als Quelle dienende älteste Evangelium korrigieren, ergänzen und im übrigen vor allem ersetzen61. Die beiden »Großevangelien« lassen sich verZeugnisses, aber als Alarmzeichen dafür, daß die in den Gemeinden vorhandenen Jesusüberlieferungen bewahrt werden müssen.« 58 Vgl. Demke, Frage (s. Anm. 1), 135: »Die für die Form der Evangelien wesentliche Anonymität zeigt den Anspruch derselben auf katholische Geltung und Inbrauchnahme.« Anders jetzt nachdrücklich M. Hengel, Die Evangelienüberschriften, SHAW. PH, Heidelberg 1984 mit folgender, von ihm ausdrücklich als Hypothese gekennzeichneten Annahme: »Daß die Evangelien als titellose Schriften in den Gemeinden verbreitet und gottesdienstlich verwendet wurden, ist extrem unwahrscheinlich.« »Spätestens nachdem in den Gemeinden zwei verschiedene Evangelienschriften vorlagen, mußten sie im Titel unterschieden werden« (47). Es erscheine als »ernstzunehmende Möglichkeit, daß jene Instanz, die das . . . [Mk-]Evangelium kopierte und an andere Ä rkon auswies« Gemeinden versandte . . ., es gegenüber den Empfängern als eyÆaggeÂlion kataÁ Ma (49 f.); so seien die Überschriften »mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Zeit der Entstehung der vier Evangelien zwischen 69 und 100 n. Chr.« zurückzuführen (51). Das ändert freilich nichts daran, daß die Evangelien selbst »in ihrem Text keinen unmittelbar sichtbaren Hinweis auf den Namen ihrer Verfasser als Autoren« enthalten (23) – daß sie also jedenfalls von den Verfassern selbst offenbar doch als anonyme Schriften gedacht waren. Das galt, wie Lk 1,1 zeigt, auch noch zu der Zeit, als man sich bewußt auf jedenfalls eine schon vorhandene dihÂghsiw zurückbezog: Lukas kannte Mk entweder ohne Verfasserangabe, oder aber er verschwieg diese bewußt. 59 Die Paulusbriefe sind – selbst wenn sie stark rhetorisch ausgeformt sein sollten – keine »Literatur«, sondern Fortsetzung (bzw. im Fall des Röm und wohl auch des Phlm: Aufnahme) eines an sich mündlich zu führenden Dialogs mit den konkret benannten Adressaten. Die Anweisung von Kol 4,16 ist wohl ein Kennzeichen der nachpaulinischen Tendenz, die mittlerweile »literarisch« gewordene Hinterlassenschaft des Apostels der ganzen Kirche zukommen zu lassen (vgl. A. Lindemann, Die Gemeinde von »Kolossä«. Erwägungen zum »Sitz im Leben« eines pseudopaulinischen Briefes, WuD NF 16 (1981) 111–134; jetzt in: Ders., Paulus – Apostel und Lehrer der Kirche, Tübingen 1999, 187–210). 60 Vgl. P. Pokorny ´ , Die Entstehung der Christologie. Voraussetzungen einer Theologie des Neuen Testaments, Stuttgart 1985, 157: »Durch das Textwerden verliert das Zeugnis seine Unmittelbarkeit. Es kann aber gleichzeitig eine normbildende Funktion gewinnen, es kann als Text zur Stütze der neuen interpretierenden Verkündigung werden.« 61 Die apokryphe Evangelienliteratur zeigt, wie der Prozeß weiterging. Die kirchliche Rezeption und dann sogar »Kanonisierung« der synoptischen Evangelien einschließlich des ja eigentlich durch Mt und Lk »überholten« Mk war auch insofern glücklich, als dadurch sehr wahr-

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stehen als Versuche, die neben Mk existierende Jesusüberlieferung in den MkFaden zu integrieren und auf diese Weise eine vervollständigte (bzw. vom Anspruch her wohl: vollständige62 und theologisch »verbesserte« Traditionssammlung zu schaffen63. Diese Bemerkungen setzen die Anwendung sowie bestimmte Ergebnisse der form- und redaktionsgeschichtlichen Exegese der synoptischen Evangelien voraus64, die freilich in jüngster Zeit zunehmend in Frage gestellt worden ist. W. Schmithals macht der redaktionsgeschichtlich orientierten Synoptiker-Exegese65 den Vorwurf, sie berücksichtige nicht genügend die historische Situation, in der sich die Evangelisten jeweils befunden hätten; deren Leistung werde in der Regel »von Aspekten modernen theologischen Denkens aus« betrachtet, und so verstehe man sie »als Schreibtisch-Theologen mit einem primär systematischtheologischen Interesse66. In Wahrheit interpretiere der Evangelist nicht eine dem Leser schon vertraute Überlieferung, sondern er mache »seine Gemeinde mit dem entsprechenden synoptischen Überlieferungsgut allererst bekannt«67. Um die redaktionelle Arbeit recht beurteilen zu können, sei es deshalb unumgänglich, nicht nur nach der Theologie des betreffenden Evangelisten, sondern vor allem auch nach der bisherigen Lehrgrundlage seiner Gemeinde zu fragen68. Die formund redaktionsgeschichtlich arbeitende Exegese vermute, wie Schmithals zutreffend formuliert, daß jeder Evangelist »seinen Lesern deren eigene fundamentale kirchlich-theologische Überlieferung in redaktionell neuartiger Gestalt« vorlegt und daß dementsprechend in diesem Interpretationsvorgang seine »theologische

scheinlich die ältesten Exemplare der Gattung bewahrt wurden (demgegenüber will H. Köster, Einführung in das Neue Testament, Berlin 1980, 586 ff. 598 ff. sowohl im Thomas- wie im Petrusevangelium sehr frühe, vorsynoptische Tradition und z. T. auch Redaktion erkennen). 62 Erst der Verfasser von Joh 21 betont – recht pathetisch – die alle Sammlermöglichkeiten überfordernde Fülle der Jesustradition (21). 63 Mt und Lk haben in manchen Fällen bestimmte ihnen bekannte Mk-Texte nicht übernommen; Ursache dafür ist (in der Regel) ihr theologisches Urteil bzw. das Bemühen um Dublettenvermeidung. M. Hengel, Probleme des Markusevangeliums, in: P. Stuhlmacher (Hg.), Das Evangelium und die Evangelien (WUNT 28), Tübingen 1983, 221–265 meint, auch Mk wähle »exemplarisch aus« (233); er setze beispielsweise die Logienüberlieferung »bei seinem Leser als selbstverständlich bekannt« voraus (235), wie 1,22.27 zeigten (ebenda Anm. 38). Das ist vom Text her nicht zu begründen; 1,22 weist im Kontext des Mk natürlich auf 1,14 f. zurück. 64 Zum Verhältnis von formgeschichtlicher Methode und redaktionsgeschichtlicher Fragestellung vgl. G. Strecker, Redaktionsgeschichte als Aufgabe der Synoptikerexegese, in: ders., Eschaton und Historie. Aufsätze, Göttingen 1979, 9–32, vor allem 21 ff. 65 Zu Schmithals’ Kritik an der Formgeschichte vgl. vor allem seinen Aufsatz:W. Schmithals, Kritik der Formkritik, ZThK 77 (1980 149–185. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Kritik fehlt, soweit ich sehe, bislang noch (vgl. meine Anmerkungen aaO. [Anm. 54], 232 ff.). 66 W. Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien,Berlin 1985, 347; vgl. ders., Art. Evangelien, Synoptische, TRE 10, 1982, 570–626, hier: 611. 67 Schmithals, Einleitung, 348. 68 Schmithals, Einleitung, 349; vgl. ders., TRE 10, (s. Anm. 66), 612.

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Leistung« zu finden sei69. Nach Schmithals spricht gegen diese Annahme jedoch das große Maß an Freiheit, das bei den Evangelisten beobachtet werden könne70. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß Matthäus und Lukas nicht selten Aussagen des Mk übernehmen, die in ihr eigenes Konzept eigentlich nicht passen und die deshalb – etwa durch einen veränderten Kontext – uminterpretiert werden müssen71. Problematisch ist außerdem die Forderung nach der Rekonstruktion einer von der synoptischen Tradition unterschiedenen Lehrgrundlage der jeweiligen Gemeinden, in denen die synoptischen Evangelien entstanden sind. Derartige Aussagen läßt die Quellenlage doch gar nicht zu; und die schlichte Annahme, alles, was der Evangelist besonders betone, müsse seiner Gemeinde bis dahin unbekannt gewesen sein, wäre jedenfalls unbegründet. So wird man an der Vermutung festzuhalten haben, daß die Evangelisten im wesentlichen an die jeweils in ihrer Gemeinde vorliegende Tradition anknüpfen, und daß sie diese durch ihre Redaktion neu deuten und gleichzeitig bewahren wollen72. Ähnliches zeigt sich ja auch bei der Art des Umgangs der Redaktoren bzw. der diesen vorausliegenden Traditionen mit der Bibel, d. h. dem Alten Testament: Es wird versucht, die den Lesern prinzipiell natürlich bekannten biblischen Texte so zu deuten, daß ihr wahrer Charakter – nämlich Verheißung zu sein auf Christus hin – dadurch deutlich wird. Die theologische Arbeit der synoptischen Evangelisten besteht mithin in erster Linie in ihrer (kritischen) Auslegung der Jesusüberlieferung und ferner in der christologischen Interpretation der Heiligen Schrift. Hier berühren sich die Evangelisten eng mit Paulus, dessen Theologie an vielen Stellen darin Gestalt und Profil gewinnt, daß er vorgegebene Überlieferung (und nicht zuletzt auch das Alte Testament) kritisch rezipiert und interpretiert73. 69

Schmithals, Einleitung, 348. Vgl. Schmithals ebenda: Die Annahme sei »höchst problematisch, daß die Evangelisten mit den in ihren Gemeinden fest eingeführten und an ›Sitzen‹ im Leben verankerten Traditionen so frei umgehen konnten, wie Matthäus und Lukas mit dem MkEv und mit Q umgegangen sind; denn wo z. B. das MkEv eingeführt war, konnten Matthäus und Lukas diese ihre Quelle weder verdrängen noch durch ihre Evangelien ergänzen wollen.« Läßt sich diese Annahme wirklich belegen? 71 Zu denken ist etwa an die Behandlung der sabbatkritischen Überlieferungen bei Mt oder an den Umgang mit den apokalyptischen Traditionen bei Lk. 72 Einen wichtigen Hinweis gibt der Lk-Prolog, der die in diesem Sinne »katechetische« und nicht »informierende« Funktion zumindest des Dritten Evangeliums zeigt. Vgl. G. Klein, Lukas 1,1–4 als theologisches Programm, in: ders., Rekonstruktion und Interpretation. Gesammelte Aufsätze zum Neuen Testament (BEvTh 50), München 1969, 237–261 (hier: 257): Das Bestreben des Lk geht dahin, »ein bereits bestehendes Verhältnis des Lesers zu den loÂgoi zu modifizieren«; vorausgesetzt ist eine Bekanntschaft mit der vorlukanischen Literatur, »da sich nur so die behauptete Insuffizienz der eÆpiÂgnvsiw des Lesers im Zusammenhang befriedigend begreifen läßt«. »Lukas unterstellt ja, daß der Leser bereits informiert ist«, was natürlich nicht bedeutet, daß nicht auch neuer Stoff eingebracht würde (255). 73 Beleg dafür sind vor allem die vorpaulinischen Formeln und etwa Texte wie Phil 2,6–11, sowohl die interpretierenden Erweiterungen der Vorlagen wie auch deren »redaktionelle« Stellung im Briefganzen zeigen zumindest einen Ansatz der theologischen Arbeit des Paulus. Vgl. 70

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III. 1. Theologische Arbeit ist also der Versuch, vorgegebene Zeugnisse des Glaubens so zu interpretieren, daß durch diese Interpretation die Bedeutsamkeit jener Zeugnisse für die gegenwärtige Verkündigung und für das Leben des Glaubenden aufgewiesen wird. Das in formulierten Aussagen sich niederschlagende Ergebnis solcher Arbeit ist »Theologie«. Inwiefern zeigt sich von daher nun in den synoptischen Evangelien die Theologie ihrer jeweiligen Verfasser? Der Charakter der theologischen Arbeit des Markus und von daher dann seine »Theologie« soll im folgenden im Blick auf die Aufnahme und Verarbeitung des Begriffs eyÆaggeÂlion exemplarisch beschrieben werden, ohne daß dabei auch nur auf alle in diesem Zusammenhang zu nennenden Aspekte eingegangen werden könnte74. Zu den überwiegend anerkannten Ergebnissen der Mk-Forschung gehört die Annahme, daß es Markus war, der den in der urchristlichen Missionsund Bekenntnissprache verwendeten Begriff eyÆaggeÂlion in die Jesusüberlieferung eingebracht hat. Der Gebrauch des Wortes eyÆaggeÂlion bei Mk ist wohl durchgängig auf die Redaktionsarbeit des Evangelisten zurückzuführen75. Da das Verbum eyÆaggeliÂzesuai bei Mk fehlt, kann man annehmen, dem Evangelisten sei Conzelmanns These, daß der »Rückgriff auf den formulierten Glauben . . . festes Strukturelement der Theologie des Paulus« ist (H. Conzelmann, Zur Analyse der Bekenntnisformel 1 Kor 15,3–5, in: ders., Theologie als Schriftauslegung. Aufsätze zum Neuen Testament [BEvTh 65], München 1974, 131–141, hier: 141, Anm. 60). 74 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 91979 hat vom »theologische(n) Charakter der Evangelien« gesprochen (362), aber zugleich gemeint, Markus sei »eben noch nicht in dem Maße Herr über den Stoff geworden, daß er eine Gliederung wagen könnte« (375). Absicht des Mk war »die Vereinigung des hellenistischen Kerygmas, dessen wesentlicher Inhalt der Christusmythos ist, wie wir ihn aus Paulus kennen (bes. Phil 2,6 ff.; Röm 3,24), mit der Tradition über die Geschichte Jesu« (372 f.); freilich sei es Markus noch nicht gelungen, den Präexistenzgedanken in seine Darstellung zu integrieren – »erst Joh hat es in seiner Weise vermocht« (374). Lediglich der Abschnitt 8,27–10,52 nehme eine besondere theologische Stellung ein: »Hier hat das christliche Kerygma den stärksten Einfluß auf die Darstellung gewonnen« (376). Für Schmithals steht fest, daß »der Evangelist keine eigentlich theologischen Gedanken selbständig entfaltet« (W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus [ÖTK 2/1], Gütersloh und Würzburg 1979, 61); demgegenüber enthalte die (hypothetisch angenommene) »Grundschrift« die »eindrucksvolle Theologie« ihres »hervorragende(n) Erzähler(s)«, der einer der großen Theologen des Urchristentums sei (44 f.). Da die Grundschrift nach Schmithals freie Umsetzung des Kerygmas ist, gilt offenbar die literarische Originalität als Indiz für die Qualität der theologischen Reflexion. 75 Vgl. W. Marxsen, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums (FRLANT 67), Göttingen 21959, 83–92; G. Strecker, Literarkritische Überlegungen zum eyÆaggeÂlion-Begriff, in: ders., Eschaton (s. Anm. 64), 76–89. Demgegenüber führt Schmithals, Mk I, 99 den Gebrauch des Wortes in 1,14.14; 16,15 (!) auf den Grundschrifterzähler zurück. P. Stuhlmacher, Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien (s. Anm. 63) 1–26, hier: 21, meint unter Hinweis auf Mt 11,26 Q, Jesus habe »sich in der Rolle jenes dwbm gesehen, von dem in Jes 61,1 die Rede ist«; so ergebe sich »unschwer die Möglichkeit, daß Jesu Botschaft . . . schon zu seinen Lebzeiten als hduwb bzw. hyumw (= Heils-Botschaft vom Kommen Gottes) bezeichnet worden ist«.

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gerade am Substantiv eyÆaggeÂlion gelegen gewesen76. Bedeutsam ist als erstes der offenkundige Zusammenhang zwischen dem redaktionell geschaffenen »Summar« Mk 1, 14.15 und der einleitenden Zeile des Buches Mk 1, 1. Der Ausdruck aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy in 1, 1 soll offenbar zeigen, daß die anschließend geschilderten Ereignisse den Ursprung, eben die aÆrxhÂ, des in der Kirche verkündigten eyÆaggeÂlion darstellen77. Im Summar 1, 14 f. verwendet Markus das Wort eyÆaggeÂlion zweimal zur Bezeichnung der Predigt Jesu: Zunächst im erzählenden Referat, das Jesus beschreibt als den khryÂssvn toÁ eyÆaggeÂlion toyÄ ueoyÄ (V. 14), danach in der wörtlichen Rede, in welcher der Aufruf zum metanoeiÄn und zum pisteyÂein eÆn tv Äì eyÆaggeliÂvì Jesus in den Mund gelegt wird (V. 15). In V. 1 ist vom »Evangelium Jesu Christi«, in V. 14 hingegen ist vom »Evangelium Gottes« (und in V. 15 dann absolut von »dem Evangelium«) die Rede. Welche Absicht steht hinter diesem Wechsel78? Beide Aussagen in 1, 1 und 1, 14 f. bauen aufeinander auf, und sie erhellen ein Stück weit den Sinn der Evangelienbildung als ganzer: Markus kündigt an, daß er mit seinem Buch den im eyÆaggeÂlion toyÄ XristoyÄ verkündigten Jesus Christus darstellt als den »Verkündiger«, der toÁ eyÆaggeÂlion toyÄ ueoyÄ predigt. Dem Evangelisten kommt es also darauf an, die Einheit des christologisch bestimmten eyÆaggeÂlion der christlichen Gemeinde (1, 1) mit dem theo-logisch bestimmten eyÆaggeÂlion Jesu (1, 14 f.) aufzuzeigen79. Aus diesem Grunde ist Jesu 76

Dies wird z. B. von Stuhlmacher (vgl. die vorige Anm.) nicht beachtet. Neuerdings wird angenommen, Mk 1,1 und 1,2 f. seien direkt aufeinander zu beziehen (so R. Guelich, The Gospel Genre, in: Das Evangelium und die Evangelien [s. Anm. 63], 183–219, hier: 205); dann wäre das Auftreten des Täufers die von »Jesaja« verheißene aÆrxh des Evangeliums und Jesu Wirken (1,14 f.) offenbar die Fortsetzung – was Mk ja gewiß nicht gemeint hat. Guelich erklärt, die Wendung kauvÁw geÂgraptai »invariably links what follows with what has immediately preceded in the context«. Aber hier ist übersehen, daß die Wendung stets dazu dient, eine bestimmte inhaltlich gefüllte Aussage als der Schrift entsprechend zu explizieren bzw. von ihr her zu belegen; eine solche Sachaussage liegt in 1,1 nicht vor, wohl dagegen in 1,4 ff., worauf sich das Zitat inhaltlich jedenfalls bezieht (vgl. auch die Interpretation bei Lk in 3,2 f.4–6). 78 Vgl. dazu vor allem H. Weder, »Evangelium Jesu Christi« (Mk 1,1) und »Evangelium Gottes« (Mk 1,14), in: Die Mitte des Neuen Testaments. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Theologie (FS Eduard Schweizer, hg. von U. Luz und H. Weder), Göttingen 1983, 399–411. Weder sieht im Wechsel vom Evangelium Gottes zum Evangelium Christi die Auswirkung von Ostern. »Der genannte Wechsel spiegelt den Ursprung der neutestamentlichen Christologie oder den Ursprung des christlichen Glaubens wider. In ihm erscheint der Grundvorgang neutestamentlicher Theologie« (403). Problematisch ist Weders Schlußfolgerung: »In nachösterlicher Perspektive ist offenbar nicht mehr Gott die angemessene Näherbestimmung von Evangelium, sondern eben Jesus Christus« (ebenda). Markus will ja gerade eine solche Alternative vermeiden; vgl. Weders eigene Aussage (404): »Das Evangelium von Jesus Christus versteht nur angemessen, wer es in seinem grundlegenden Zusammenhang mit dem von Jesus gebrachten Evangelium Gottes sieht.« 79 Während in Mk 1,1 ein gen. obj. vorliegt, ist der Genitiv in 1,14 vermutlich weder »objektiv« noch »subjektiv« zu verstehen, denn Gott ist Urheber und zugleich Thema des von Jesus verkündigten eyÆaggeÂlion (vgl. B-D-R § 163.2). Man muß generell beachten, daß der adnominale Genitiv im Griechischen im Grunde nur die Zusammengehörigkeit zweier Begriffe zum Ausdruck bringt: Das Evangelium hat mit Gott zu tun. 77

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öffentliches Auftreten in der markinischen Darstellung von Anfang an dadurch bestimmt, daß er in Wort und Tat Zeugnis ablegt von Gottes Handeln, das durch den Begriff eyÆaggeÂlion zutreffend gekennzeichnet ist. Worin dieses Evangelium inhaltlich besteht, sagt der Jesus des Mk in 1, 15: »Die Gottesherrschaft ist nahe.« Indem der Evangelist diese – in der Sache aus der Tradition stammende, in der Formulierung gleichwohl redaktionelle – Aussage zuvor (V. 14) als toÁ eyÆaggeÂlion toyÄ ueoyÄ bezeichnet, charakterisiert er Jesu Rede vom eschatologischen Handeln Gottes als die im eigentlichen Sinne »evangelische« Botschaft: Bei der nahen basileiÂa toyÄ ueoyÄ geht es nicht um den bevorstehenden Machtantritt Gottes zum Gericht, sondern um Gottes auf das Heil des Menschen gerichtetes Handeln80. Dementsprechend fordert der anschließende Bußruf (V. 15b) die Hörer in »Galiläa« (und vor allem doch wohl auch die Leser bzw. Hörer des Mk) dazu auf, umzukehren und an diese »evangelische« Botschaft zu glauben. Durch diese Verbindung des Begriffs eyÆaggeÂlion mit der Rede von Gottes Handeln und mit dem Stichwort »Glaube« (bzw. »glauben«) erweist sich die Themenangabe des Mk in 1, 14 f. als sachidentisch mit der Themenangabe des Röm (1, 16b. 17); der Unterschied liegt im Grunde nur darin, daß Gottes Handeln von Paulus durch den Begriff dikaiosyÂnh bezeichnet wird, von Markus dagegen, der Jesusüberlieferung entsprechend, durch den Begriff basileiÂa. Das meint nicht, daß Mk gleichsam ein »paulinisches Evangelium« wäre; wohl aber zeigt sich eine Strukturanalogie, die deutlich macht, daß das christliche Bekenntnis zur theologischen Reflexion des zwischen den drei Größen Evangelium, Gott und Glaube bestehenden Zusammenhangs nötigt, und daß es also gleichsam von selbst zu einer formulierten Theologie führt. Auf eine Formel gebracht könnte man sagen: Der Satz, daß die Gottesherrschaft nahegekommen ist, ist als solcher keine »theologische«, sondern eine eher »prophetisch« zu nennende Aussage; er hat nur in einem bestimmten geschichtlichen Augenblick wirklich eine Funktion. Indem jedoch dieser Satz interpretiert wird als toÁ eyÆaggeÂlion toyÄ ueoyÄ, indem er eingebunden wird in den Gesamtrahmen einer als aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy ÆIhsoyÄ XristoyÄ bezeichneten Darstellung des Wirkens und der Predigt Jesu und indem er dabei auch noch an einer besonders herausgehobenen Stelle wie eine Programmaussage plaziert wird, ist er zum Gegenstand theologischer Reflexion geworden. Der diese Reflexion explizierende Evangelist treibt im eigentlichen Sinne »Theologie«81. 80 Eine ähnliche Zuordnung des christo-logisch und des theo-logisch bestimmten eyÆaggeÂlion-Begriffs findet sich auch bei Paulus, wenn er in Röm 1,1 vom »Evangelium Gottes« und dann

in 1,9 vom »Evangelium des Sohnes Gottes« spricht. 81 Zur Unterscheidung von Glaubensaussage und theologischer Explikation vgl. Ebeling, Studium (s. Anm. 48), 137. – Bei Lk und bei Mt ist nicht nur der Begriff eyÆaggeÂlion getilgt, sondern überhaupt das Gewicht von Jesu erstem (!) öffentlichen Auftreten in Galiläa vermindert worden: Lk läßt auf 4,14 f. immerhin die Nazareth-Szene folgen (s. u.); Mt dagegen legt Jesus einfach dieselben Worte in den Mund wie zuvor (3,1 f.) dem Täufer. – Daß in Mk 1,14 f. bezogen auf den

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Die in 1, 14 f. formulierte Absicht des Evangelisten Markus, Jesu Evangelium, Gottes Handeln und den Glauben der Menschen als unmittelbar aufeinander bezogen zu begreifen, wird dem Leser des Mk immer wieder ins Gedächtnis gerufen. So wird in der ersten Wundergeschichte die Einheit Jesu mit Gott – zumindest andeutend – ausgesagt im Schrei des Dämons in der Synagoge von Kapernaum, daß Jesus der aÏgiow toyÄ ueoyÄ sei82. Derselbe Gedanke begegnet in stärker reflektierter Weise in der Perikope von der Heilung des Gelähmten 2, 1–12: Markus sagt zunächst (V. 2; redaktionell), Jesus habe toÁn loÂgon gepredigt, was sich nach dem Gang des Buches natürlich auf das in 1, 14 f. genannte eyÆaggeÂlion bezieht. Nachdem die vier Träger den Gelähmten über alle Hindernisse hinweg zu Jesus gebracht haben, »sieht« dieser ihre piÂstiw; indem er ihm daraufhin die Sündenvergebung zuspricht, tut er an ihm Gottes eigenes Werk – und das anschließende Wunder zeigt (V. 10b), daß Jesus von Gott selbst dazu legitimiert worden ist83. Der »Chorschluß« (V. 12) unterstreicht dies: Die staunende Menge lobt angesichts des Wunders nicht den Wundertäter, sondern sie preist Gott. Ähnlich verhält es sich mit dem (zumindest redaktionell bearbeiteten) »Chorschluß« der Taubstummen-Heilung 7, 31–37: Die Menge lobt den, der »alles gut gemacht hat«, d. h. sie versteht, daß das von Jesus vollbrachte Wunder Gottes Schöpferwillen und -handeln offenbart84. Ein ähnlicher Zusammenhang begegnet im Streitgespräch über den Sabbat (2, 23–28): Das (vermutlich authentische) Jesuslogion in V. 2785 belehrt die Pharisäer (und natürlich die Leser des Mk) über den im Sabbatgebot intendierten Willen Gottes86, wobei der Erzähler in seinem »Kommentar« (V. 28) ausdrücklich sagt, Jesus sei auch zu solch vollmächtiger Toraauslegung legitimiert87. In vergleichbarer Weise beansprucht Jesus das Recht zur AnGesamtrahmen des Mk im eigentlichen Sinne »Theologie« vorliegt, sieht auch Schmithals – ergo ist die Abfassung durch den Grundschrifterzähler »unzweifelhaft« (Mk I, 95). 82 Markus hat die Erzählung sicher nicht allein um dieses christologischen Titels willen an die Spitze der entsprechenden Überlieferungen gestellt; gleichwohl ist der Zusammenhang von 1,24 und 1,14 f. (sowie 1,11) nicht zu übersehen. 83 Dies gilt unabhängig von der Antwort auf die Frage, auf welcher Überlieferungsstufe das »Streitgespräch« V. 5b–10 in die Wundergeschichte eingefügt wurde. Vieles spricht für die These, daß Markus selbst für diese Verknüpfung verantwortlich ist, weil er so den Wunderabschnitt 1,21–45 besonders wirkungsvoll mit dem Streitgesprächabschnitt 2,13–3,6 verbinden konnte (so D.-A. Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums [BZNW 42], Berlin 1975, 49 f.). – Inhaltlich ist zu beachten, daß die kritischen Gedanken der grammateiÄw in V. 7 berechtigt sind: Jesu Tun kann nur dem an ihn Glaubenden als legitimiert erscheinen – jeder andere muß es notwendigerweise als Blasphemie ansehen (vgl. in der Sache die skaÂndalon-Aussage in 1 Kor 1,23). 84 pa  nta pepoiÂhken in 7,37 schließt wohl aus, daß sich der Lobpreis auf Jesus beziehen könnte. 85 Vgl. dazu A. Lindemann, »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden . . .«. Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr., WuD NF 15 (1979) 79–105 (in diesem Band: 15–39). 86 Dieselbe Funktion hat die »Vexierfrage« in Mk 3,4. 87 Offenbar knüpft das kai in V. 28 bewußt an 2,10 an: Der »Menschensohn« (dieser Titel ist zwischendurch nicht gebraucht worden) hat nicht nur die eÆjoysiÂa der Sündenvergebung, sondern

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sage des ursprünglichen Gotteswillens auch im Apophthegma über die Eheschließung (10, 2–12), wenn er der Tora des Mose (!) gegenüber auf die Schöpfung Gottes (V. 7.9) verweist88. Der Zusammenhang zwischen Jesu (Evangeliums-)Predigt und dem mit dem Begriff basileiÂa bezeichneten Handeln Gottes wird auch im Gleichniskapitel Mk 4 betont herausgestellt. Die einleitende Parabel vom Säemann – wie immer man über ihren ursprünglichen Sinn urteilen mag89 – dürfte jedenfalls von Markus christologisch verstanden worden sein, der in dem Säemann Jesus selbst gesehen hat; indem er, wie es dann in der allegorischen Deutung heißt, toÁn loÂgon aussät, erscheint er als das »Urbild« des Missionspredigers. Welchen Inhalt das »gesäte« Wort hat, sagt die in 4, 26–29 folgende Parabel von der »selbstwachsenden« Saat: Es ist die »automatisch« kommende basileiÂa, d. h. der ohne menschliches Zutun das Heil des Menschen schaffende Gott. Die Einheit von Jesus und Gott (bzw. Gottes Herrschaft) wird schließlich auch sichtbar in der Szene der Kindersegnung (10, 13–16): Die Kinder dürfen und sollen zu Jesus kommen, weil sie Anteil haben an der Herrschaft Gottes (V. 14b)90. Diese Aussage stammt zwar aus der Tradition; aber Markus dürfte den erwähnten Zusammenhang gesehen haben, denn er entspricht ja der theologischen Gesamtintention seines Evangeliums. Der Evangelist Markus entfaltet in seinem Buch ein theologisches Programm, das auf der in 1, 14.15 definitiv formulierten Grundaussage beruht, in Jesu Botschaft und Handeln habe sich Gott selbst offenbart, und eben dies sei der Ursprung und der Inhalt des von den Christen geglaubten eyÆaggeÂlion (1, 1)91. Diese Entfaltung erfolgt nicht in begrifflich gefaßter Argumentation, aber im Rahmen einer von der Christologie her klar aufgebauten Erzählung. Indem Markus diese Erzählung in dem beschriebenen Sinne als aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy bezeichnet und sie bewußt in Beziehung setzt zu dem von Jesus selbst gepredigten eyÆaggeÂlion toyÄ ueoyÄ, erreicht er es, daß seine Erzählung niemals als ein Bericht von bloß Verer ist Herr »auch« des Sabbats – wobei dem Leser klar ist: Gott hat ihm die Vollmacht gegeben, dies zu sein. 88 Dieser Aspekt wäre besonders deutlich, wenn in Mk 10,6 mit den Handschriften ADWUC usw. oë ueoÂw als Subjekt des Satzes (= Zitat aus Gen 1,27) zu lesen sein sollte (so Greeven in seiner Synopse). Aber auch im anderen Fall ist klar, daß sich Jesus hier nicht auf eine »Naturgegebenheit«, sondern auf Gott beruft (vgl. V. 9). 89 Vgl. R. Bultmann, Die Interpretation von Markus 4,3–9 seit Jülicher, in: Jesus und Paulus (FS Werner Georg Kümmel, hg. von E. E. Ellis und E. Grässer), Göttingen 1975, 30–34; H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (FRLANT 120), Göttingen 1978, 108–115. 90 Vgl. A. Lindemann, Die Kinder und die Gottesherrschaft. Markus 10,13–16 und die Stellung der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft und im Urchristentum, WuD NF 17 (1983) 77–104 (in diesem Band: 109–134). 91 In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die Tatsache, daß in der markinischen Christologie als entscheidender Hoheitstitel der Begriff »Sohn Gottes« gebraucht wird, insbesondere in den zentralen Aussagen von 1,11; 9,7; 14,61 und 15,39 (vgl. 1,1). Von daher ließe sich zeigen, daß die Theorie vom »Messiasgeheimnis« zu den genannten Beobachtungen paßt, worauf hier aber nicht eingegangen werden kann.

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gangenem verstanden werden kann; sie ist zugleich immer auch schon Explikation des Evangeliums, das jetzt gepredigt und geglaubt wird. Solche Explikation aber ist »Theologie«. 2. Die Frage nach der »Theologie« der beiden Seitenreferenten des Mk läßt sich methodisch insofern einfacher beantworten, als wir beide Evangelien vor dem Hintergrund des Mk und der (relativ sicher zu rekonstruierenden) Logienquelle Q lesen und von diesen beiden Vorlagen unterscheiden können92. Der Umgang der beiden Evangelisten mit ihren Quellen zeigt ja nicht nur ihre literarischen Ambitionen, sondern vor allem auch ihr theologisches Konzept, ihre Theologie. Als zentrales Thema des Mt gilt allgemein das Problem der Autorität der Tora, weiter gefaßt: das Problem der Bedeutung des Alten Testaments überhaupt93, womit sich vor allem im Blick auf die Reflexionszitate auch die Frage nach dem Geschichtsverständnis des Evangelisten verbindet94. Das Verständnis der Tora bei Mt wird nicht selten von der Bergpredigt her entwickelt, insbesondere auf der Basis der in der Regel als (zumindest überwiegend) redaktionell angesehenen »Präambel« zu den Antithesen (5, 17–20). Tatsächlich ist Jesus in Mt 5–7 der vollmächtige Tora-Lehrer, der seine Hörer zu wahrer Gesetzesobservanz und wahrer Frömmigkeit anleitet und dabei ihr Bestehen im Endgericht ausschließlich abhängig macht von ihrem Gehorsam gegenüber seiner Weisung (7, 21–23). Die Interpretation des Mt von der Bergpredigt her muß jedoch angesichts der neueren Arbeiten von H. D. Betz zumindest problematisiert werden95. Betz sieht in der Bergpredigt einen geschlossenen Entwurf judenchristlicher Theologie und Gemeindelehre, der von Matthäus unverändert in das Evangelium eingefügt worden sei. Sollte diese keineswegs unbegründete These im wesentlichen zutreffen96, dann bliebe zwar gültig, daß Matthäus dem Inhalt der Bergpredigt jedenfalls nicht ablehnend gegenübergestanden haben kann; aber wir hätten es eben nicht mehr mit einem unmittelbar von ihm verfaßten und zu verantwortenden, für seine Theologie womöglich geradezu typischen Redekomplex zu tun, sondern wir müßten im Gegenteil auf die Eigenständigkeit der Bergpredigt und auf die Differenzen zwischen ihr und dem 92 Vgl. zur Rekonstruktion von Q jetzt vor allem A. Polag, Fragmenta Q. Textheft zur Logienquelle, Neukirchen-Vluyn 1979. 93 H. Hübner, Biblische Theologie und Theologie des Neuen Testaments, KuD 27 (1981) 2–19, hier: 14 sieht im Mt mit seinen Reflexionszitaten geradezu eine »Theologie des Alten Testaments im Neuen Testament«; eine Verwendung der Schrift gebe es in der christlichen Gemeinde natürlich von Anfang an, und das sei auch schon »ein Stück Theologie«, aber doch »Theologie nur in ihrem Vorfeld« (13). 94 Vgl. G. Strecker, Das Geschichtsverständnis des Matthäus, in: ders. Eschaton (s. Anm. 64), 90–107. Strecker sieht im matthäischen Geschichtsverhältnis, »wie es in den Tendenzen der Historisierung, der Ethisierung und der Institutionalisierung zum Ausdruck kommt«, einen »Beweis für die Tatsache, daß die matthäische Redaktion nicht lediglich eine Sammlung des Traditionsgutes, vielmehr einen eigenständigen theologischen Entwurf umfaßt« (106 f.). 95 H. D. Betz, Studien zur Bergpredigt, Tübingen 1985. 96 Daß Matthäus die Vorlage im Wortlaut völlig (!) unverändert übernommen haben sollte, ist angesichts seiner sonstigen Arbeitsweise höchst unwahrscheinlich; aber daß entgegen der gängigen Exegese nicht der Evangelist, sondern im wesentlichen eine vormatthäische Redaktion für die Bergpredigt als ganze verantwortlich ist, kann man für sehr wohl denkbar halten (s. auch die folgende Anm.).

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übrigen Evangelium besonders achten97. Die Betonung der Bedeutung der Tora für den Christen ist für Matthäus allerdings auch unabhängig von der Bergpredigt kennzeichnend.

Matthäus betont, daß die biblischen Toragebote durch Christus nicht etwa außer Kraft gesetzt sind, sondern daß ihnen – jedoch in der »richtigen« Interpretation – bleibende Geltung zukommt. Im allgemeinen macht der Evangelist – sieht man aus den genannten Gründen von der Bergpredigt und also von 5, 17–20 ab – seine Torainterpretation nicht an den Begriffen noÂmow oder eÆntolh fest98; er expliziert sie vielmehr meist dadurch, daß er in die ihm vorgegebene Tradition auf die Tora bezogene, »schriftgelehrte« Aspekte einbringt oder aber torakritische Aussagen umdeutet bzw. ganz tilgt99. Besonders charakteristisch für Mt ist seine Fassung der Perikope vom »Größten Gebot«; hier zeigt sich beispielhaft, in welch theologisch reflektierter Weise der Evangelist das Toraproblem deutet. Anders als Lukas übernimmt Matthäus im Anschluß an die Debatte über die »Sadduzäerfrage« (Mk 12, 18–27/Mt 22, 23–33/Lk 20, 27–40) das Apophthegma über das »Erste Gebot« aus Mk 12, 28–31100. Dabei bringt er aber wesentliche Korrekturen Ä n grammateÂvn auf, der dem margegenüber Mk an: Als Frager tritt nicht eiÎw tv kinischen Text (V. 28) zufolge Jesu Debatte mit den Sadduzäern eher zufällig mit angehört hatte; vielmehr läßt Matthäus nach Jesu Diskussionserfolg bei den Sadduzäern nun »die Pharisäer« sich versammeln (V. 34), worauf einer von ihnen sich gleichsam als Abgesandter an Jesus wendet, um ihn zu »versuchen« (V. 35)101. Dieser eine ist ein nomikoÂw, also einer der ausgebildeten Theologen in der pharisäischen Bewegung102. Er fragt nicht wie in Mk 12, 28 einfach nach dem 97 U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (EKK I/1), Neukirchen-Vluyn und Zürich 1985, 187 Anm. 5 geht über Betz’ Einwände gegen die bisherige Bergpredigt-Exegese rasch hinweg; er hält es für unmöglich, »irgendeinen Unterschied zwischen dem Verf. oder Redaktor der Quelle [= Bergpredigt] und demjenigen des Mt-Ev zu erkennen«. Typisch für die Bergpredigt ist aber beispielsweise eine scharf ausgeprägte Heidenpolemik, wie sie in 5,47; 6,7.32 sichtbar wird (Luz’ Auslegung geht darauf, daß hier jeweils taÁ eÍunh bzw. oië eÆunikoi die Negativfolie bilden, nicht ein); auch das sprichwortartige Logion in 7,6 erweist sich als weniger schwer deutbar, wenn man es für möglich hält, daß hier in sehr radikaler, 10,5 überbietender Weise jede Art von Heidenmission verworfen wird (Luz’ Einwand, diese Deutung passe nicht zu Mt, ist ja ein Argument zugunsten von Betz; Luz selbst schlägt vor, das Logion »in seinem matthäischen Kontext überhaupt nicht zu deuten«, 382). 98 eÆntolh  und noÂmow sind bei Mt außerhalb der Bergpredigt je fünfmal belegt. Dabei ist eÆntolh stets Übernahme der Mk-Vorlage; noÂmow stammt in einem Fall (11,13) aus Q, ist aber sonst von Matthäus redaktionell eingebracht. 99 Wirklich im Detail kontrollierbar ist dies natürlich nur im Vergleich zu Mk; vgl. etwa die Tilgung von Mk 7,19b in der Parallele Mt 15,17 oder von Mk 2,27 in Mt 12,7 f. 100 Lukas empfand Mk 12,28 ff. offensichtlich als Dublette zum einleitenden Dialog der Samaritererzählung (Lk 10,25–28). 101 Die Worte nomikoÁw peira  zvn ayÆtoÂn´ didaÂskale (Mt 22,35 f.) begegnen auch in Lk 10,25 (dort aber eÆkpeiraÂzvn); das scheint freilich Zufall zu sein, d. h. man braucht nicht mit der Möglichkeit von Q-Einfluß zu rechnen. 102 Das Wort nomiko  w ist hapax legomenon bei Mt; es begegnet im NT sonst nur noch bei Lk und im Tit. Dennoch besteht m. E. kein Anlaß, es in Mt 22,35 (gestützt lediglich auf f1 und

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»ersten Gebot«, sondern ausdrücklich nach dem »großen103 Gebot in der Tora« Äì noÂmvì). Jesus in seiner Antwort auf diese Frage übergeht den bei Mk (12, 29) (eÆn tv als erstes zitierten Einleitungssatz des biblischen Schema (Dtn 6, 4); er nennt vielmehr sogleich (V. 37/Mk 12, 30) die in Dtn 6, 5 geforderte Gottesliebe und dann (V. 39/Mk 12, 31) die in Lev 19, 18 geforderte Nächstenliebe als die zentralen Forderungen der Tora. Anders als bei Mk fügt Jesus bei Mt hinzu, das an zweiter Stelle genannte Gebot sei dem ersten gleichgeordnet (V. 39a). Es folgt die redaktionelle Schlußbemerkung (V. 40), daß an diesen beiden Geboten »das ganze Gesetz und die Propheten hängen«, daß also vom Doppelgebot her die ganze Heilige Schrift mit allen ihren Geboten und Verheißungen auszulegen sei. In der von Matthäus geformten Fassung hat Jesu Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Toragebot schon ihrerseits beinahe Gesetzescharakter; denn indem Matthäus gegenüber der Mk-Vorlage die Erwiderung des Gesprächspartners und Jesu erneute Reaktion darauf (»Du bist nicht fern von der Gottesherrschaft« Mk 12, 34a.b) streicht, beseitigt er den Dialogcharakter der Szene fast gänzlich104; in der anschließenden Perikope (22, 41–46: ti yëmiÄn dokeiÄ periÁ toyÄ xristoyÄ;) ist es nun Jesus, der die Pharisäer ausdrücklich »prüft«105. In der matthäischen Bearbeitung der Perikope über »das Erste Gebot« zeigt sich seine Theologie in gleichsam konzentrierter Form: Die biblische Tora gilt, wie die Streichung des Schema zeigt, für alle Menschen: nicht mehr allein Israel ist angesprochen, sondern jeder, der Jesu Botschaft vernimmt. Beide Teile des Doppelgebots werden für in gleicher Weise verbindlich erklärt; doch der Gedanke, damit könne eine definitive Beseitigung anderer Gebote verbunden sein, fehlt – Matthäus hat das kritische Wort des grammateyÂw (!) über die Opfer, die weniger

einzelne Übersetzungen) zu streichen oder seine Ursprünglichkeit – etwa unter Hinweis auf die Parallele in Lk 10,25 – auch nur ernsthaft zu bezweifeln (die bei B. M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament, Stuttgart 1971, 59 genannten Gründe für die Entscheidung, nomikoÂw im Greek NT und in Nestle-Aland26 in [ ] zu setzen, sind kaum durchschlagend). H.-F. Weiss, Art. FarisaiÄow, ThWNT IX, 1973, 39 Z 26 ff. verweist darauf, daß bei Mt die Tendenz besteht, Pharisäer und Schriftgelehrte miteinander zu identifizieren. Die Formulierung eÆj ayÆtv Ä n nomikoÂw zeigt aber, daß der Evangelist hier gerade differenziert. 103 mega  lh steht für den Superlativ (B-D-R § 245,2) und unterscheidet sich insofern kaum von prvÂth (vgl. V. 38: hë megaÂlh kaiÁ prvÂth eÆntolhÂ). Gab es in dieser Zeit eine regelrechte Zählung der (Dekalog-)Gebote? Dann wollte Matthäus womöglich den Anschein vermeiden, es ginge um das »erste Gebot« Ex 20,2.3. 104 Schon bei Mk zeigte sich im Verlauf der erzählten Handlung eine Gewichtsverlagerung: Zunächst gibt der Schriftgelehrte ein wertendes Urteil über Jesus, indem er dessen den SadduÄ w aÆpekriÂuh ayÆtoiÄw ist, wie das einleitende iÆdvÂn zäern gegebene Antwort lobt (die Wendung kalv zeigt, nicht gemeint als Urteil des Erzählers Markus, sondern als – zutreffende – Erkenntnis des grammateyÂw). Dann befragt er selbst Jesus, erklärt seine Antwort für richtig, spricht dabei nun aber Jesus als didaÂskalow an (V. 32); daraufhin geht die Initiative auf Jesus über (V. 34): In Wahrheit ist der andere geprüft worden, und er hat die Prüfung bestanden. 105 Gleich die Einleitung in Mt 22,41 f. ist gegenüber Mk 12,35 in auffallender Weise umgestaltet; vgl. auch den Schluß Mt 22,46.

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wichtig seien als die Nächstenliebe (Mk 12, 33b), ersatzlos gestrichen106. Zugleich aber richtet Jesus als der vollmächtige Lehrer der Tora ein für die Frage nach ihrer Geltung fundamental wichtiges neues Kriterium auf: Das Doppelgebot, so sagt er, enthält den alleinigen Maßstab für die Interpretation jeglicher in der Schrift überlieferter Norm. Hier zeigt sich übrigens, daß es im Grunde keine Rolle spielt, ob Mt eine heidenchristliche oder eine judenchristliche Gemeinde voraussetzt; angesichts der von Jesus nach seinem Maßstab für verbindlich erklärten Toraauslegung sind derartige Unterschiede aufgehoben: Jeder Mensch wird mit der durch Jesus vollmächtig interpretierten Forderung Gottes konfrontiert. Das für die Theologie des Lukas charakteristische Element ist sein Konzept von »Heilsgeschichte«107. Der Verfasser des Dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte deutet die Geschichte Jesu und die Geschichte der Kirche bewußt im Kontext der Weltgeschichte, die ihrerseits abhängig ist von der Gottesgeschichte108. Lukas erbringt mit seinem Doppelwerk109 eine bedeutsame theologische Leistung schon dadurch, daß er das mit dem Evangelium des Markus theologiegeschichtlich ermöglichte Programm fortführt und gewissermaßen in die Zukunft hinein verlängert: Der »offene« Schlußsatz der Apg (28, 31), Paulus habe in Rom die Botschaft von der basileiÂa toyÄ ueoyÄ »ungehindert« gepredigt und taÁ periÁ toyÄ kyriÂoy ÆIhsoyÄ XristoyÄ gelehrt, bildet ein Pendant zu Mk 1, 1 bzw. Mk 1, 14 f.: Nicht nur »der Anfang des Evangeliums« kann, wie es bei Mk geschieht, erzählend dargestellt werden, sondern auch die nachösterliche kirchliche Fortsetzung der Verkündigung; und diese ist, wie Apg 28, 31 zeigt, auch in Zukunft prinzipiell unabgeschlossen. Daß durch diesen theologischen Ansatz insbesondere die Eschatologie des Lukas bestimmt wird, ist oft zu Recht betont worden110; darüber hinaus aber wird durch das lukanische Programm nun auch die Wirklichkeit der Kirche zum Gegenstand theologischer Reflexion, was Lukas als den Theoretiker der Ekklesiologie unter den synoptischen Evangelisten erweist. Das hat ihm zwar den Vorwurf eingebracht, »frühkatholisch« zu sein; aber in Wahrheit ist die reflektierte Anbindung der »Zeit der Kirche« an die »Zeit

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Dies geschieht, obwohl die gestrichene Aussage der eigenen Position des Matthäus prinzipiell durchaus entsprach (vgl. Mt 9,13; 12,7). 107 Vgl. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17), Tübingen 51964, 128–157. Im »Grundriß der Theologie des NT« urteilt er eher skeptisch: »Die Theologie des Lukas stellt einen durchschnittlichen Typ dar« (169). Eine sehr ausführliche, fast monographisch zu nennende systematische Darstellung der »Lucan Theology« gibt J. A. Fitzmyer, The Gospel According to Luke (I-IX), AncB 28, Garden City 1981, 143–270. 108 In der »Weihnachtsgeschichte« ebenso wie im Synchronismus Lk 3,1 f. dient die Erwähnung der weltgeschichtlichen Daten, nicht zuletzt die Nennung der Kaisernamen, dazu, den geschichtlichen Ort zu nennen, wo sich Gottes Handeln vollzieht. 109 Zum Verhältnis des Evangeliums zur Apg vgl. Conzelmann, Mitte (s. Anm. 107) 1–11, vor allem 7 f. (mit Anm. 1). 110 Vgl. Conzelmann, Mitte, 87–127 und den Forschungsbericht von F. Bovon, Luc le the´ologien. Vingt-cinq ans de recherches (1950–1975), Neuchaˆtel/Paris 1978, 9–48.

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Jesu« die notwendige Voraussetzung dafür, daß die Kirche auch in »nachapostolischer« Zeit nicht als »Heilsanstalt« dem Christusereignis gegenüber verselbständigt wird. Die ekklesiologische Reflexion des Lukas findet sich nicht erst in den Act, sondern schon im Evangelium, und zwar von Anfang an. Das soll verdeutlicht werden am Beispiel der Umgestaltung, die der Abschnitt Mk 1, 14–45 in Lk 4, 15 – 5, 16 erfahren hat111. Auch nach Lk beginnt ebenso wie bei Mk Jesu öffentliche Wirksamkeit in Galiläa, nachdem er vom Jordan bzw. aus der judäischen Wüste nach Galiläa gekommen ist. Lukas setzt jedoch an die Stelle der umfassenden, wenn auch sehr knappen Inhaltsangabe der Predigt Jesu in Mk 1, 14 f. den gegenüber Mk 6, 1–6 weit nach vorn gezogenen, literarisch sehr eingehend gestalteten exemplarischen Bericht vom Auftreten Jesu in der Synagoge von Nazareth (Lk 4, 16–30): Jesus verkündigt sich selbst als den vom Propheten »Jesaja« verheißenen Geistträger. Nach dem (von ihm vorhergesehenen) Fehlschlag in Nazareth, dessen Bewohner ihn töten wollen, kommt Jesus nach Kapernaum. Dort findet er Gehör und Zulauf (4, 31 f.)112. Er heilt den Besessenen in der Synagoge (4, 33–37); und er heilt die Schwiegermutter des Simon (4, 38 f.) – eines Mannes, der, anders als in der markinischen Darstellung, bei Lk bis dahin noch gar nicht erwähnt (geschweige denn zum Jünger berufen) worden war. Nach weiteren Wundertaten in Kapernaum bricht Jesus eines Tages auf113, um seinem Auftrag entsprechend114 auch in anderen Städten die Gottesherrschaft zu predigen (eyÆaggeliÂsasuai me deiÄ thÁn basileiÂan toyÄ ueoyÄ Lk 4, 43). Er predigt in Judäa (4, 44)115 und dann wieder in Galiläa (5, 1a). Jetzt erst kommt es am »See Genezareth« zum wunderbaren Fischzug des Simon und so endlich zur ersten Jüngerberufung (5, 1b–11). Mit der Erzählung von der Heilung des Aussätzigen (5, 12–16) knüpft Lukas wieder an Mk (1, 40–45) an, ohne dessen Text dabei wesentlich zu verändern116. 111 Exemplarische Funktion hat die Nazareth-Szene bereits in der Mk-Fassung (vgl. E. Grässer, Jesus in Nazareth (Mc 6,1–6a). Bemerkungen zur Redaktion und Theologie des Markus, in: Jesus in Nazareth [BZNW 40], Berlin 1972, 1–37, vor allem 34). Zu Lk 4,16–30 vgl. jetzt U. Busse, Das Nazareth-Manifest Jesu. Eine Einführung in das lukanische Jesusbild nach Lk 4,16–30 (SBS 91), Stuttgart 1977. 112 Durch die Wendung h Ë n didaÂskvn . . . eÆn toiÄw saÂbbasin erweckt Lukas in V. 31 den Eindruck einer längeren Lehrtätigkeit Jesu, bevor dann ein konkretes Ereignis beginnt (V. 33). 113 Die Szene Lk 4,42 f. ist gegenüber der Vorlage Mk 1,35–38 völlig umgestaltet: Jesus wandert bei Tagesanbruch aus der Stadt heraus, doch deren Bewohner bitten ihn, bei ihnen zu bleiben (der Kontrast zu 4,29 ist deutlich). Die Gebetsthematik fällt an dieser Stelle aus, wird jedoch in 5,16b nachgetragen. Von den Jüngern ist naturgemäß nicht die Rede – es gibt sie noch gar nicht. 114 Das eÆpiÁ toy Ä to aÆpestaÂlhn (vgl. 4,18) drückt in geradezu »johanneischer« Weise Jesu Sendung aus (vgl. Apg 28,28: toiÄw eÍunesin aÆpestaÂlh toyÄto toÁ svthÂrion toyÄ ueoyÄ). 115 Die von der markinischen Konzeption erheblich abweichende Erwähnung Judäas als Wirkungsort ist nicht zufällig, wie 5,17 zeigt. 116 Nur die schwerverständliche Aussage von Mk 1,43 wurde von Lukas (ebenso von Matthäus) gestrichen. Weder hier noch an anderen Stellen besteht aber Anlaß, den Befund mit Hilfe einer »Deutero-Markus«-Hypothese zu erklären.

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Bei aller formalen Vielfalt verdeutlicht die lukanische Redaktion der MkVorlage die theologische bzw. ekklesiologische Tendenz des Evangelisten, dem Leser zu sagen, daß Jesus seinen Jüngern und damit seiner Kirche in jeder Hinsicht vorangeht – als Prediger, dem Ablehnung und Zustimmung zuteil werden, und als Wundertäter. Jesus hat den Geist empfangen – eine Gabe, die für die Jünger nach der in Act 1, 8 ausgesprochenen Verheißung erst zu »Pfingsten« Wirklichkeit werden wird117. Jesus hat nach der Darstellung des Lukas bereits im ganzen jüdischen Land gepredigt, bevor er überhaupt den ersten Jünger beruft. Jesus bleibt also für Lukas der Kirche unter allen Umständen vorgeordnet: Die »Zeit Jesu« geht der »Zeit der Kirche« nicht nur chronologisch, sondern gerade auch »systematisch-theologisch« voraus.

IV. Die vorgetragenen Beobachtungen sollten erweisen, daß die Redaktion der synoptischen Evangelisten als eine im eigentlichen Sinne als »Theologie« zu bezeichnende Arbeit anzusehen ist. Den drei ersten Evangelien liegt jeweils ein reflektiertes theologisches Konzept ihrer Verfasser bzw. Redaktoren zugrunde, das jeder von ihnen auf je seine Weise in der Form einer theologisch kommentierten Jesuserzählung entfaltet. Die Traditionsbindung ist dabei zweifellos im allgemeinen sehr viel stärker als etwa bei Paulus118; dennoch lassen die exegetischen Beobachtungen den Schluß zu, daß die theologische Reflexion der drei Evangelisten jedenfalls ausgeprägter ist als eine möglicherweise daneben auch noch vorhandene Neigung zur eher »blinden« Verpflichtung auf die überkommene Tradition. Gerade im Verhältnis zu Paulus ist ein weiterer wichtiger Sachverhalt zu beachten: Die Evangelien – bzw. im Falle des Lukas: sein Evangelium und die mit diesem verbundenen Act – sind von ihren Verfassern gemeint als abgeschlossene theologische Entwürfe, die darauf zielen, Jesus-Überlieferung (bzw. im Falle der Act: die Anfänge der Kirche in Jerusalem und die paulinische Weltmission) als Basis der kirchlichen Verkündigung theologisch reflektiert und kritisch kommentiert zu bewahren und damit zugleich den weiteren Traditionsprozeß so weit wie möglich zu lenken oder jedenfalls zu beeinflussen. Die synoptischen Evangelien (und in prinzipiell ähnlicher Weise wohl auch Joh) erheben Anspruch auf qualitative Vollständigkeit der theologischen Überlieferung; und das unterscheidet sie grundsätzlich von den paulinischen Briefen. 117 Vgl. auch Lk 11,13; 12,12, wo vom Wirken des Geistes im Blick auf die Jünger jeweils futurisch die Rede ist. 118 Über die Traditionsbindung des Joh läßt sich wenig sagen, da wir die dem Vierten Evangelium zugrundeliegenden Quellen nur mit großer Unsicherheit bestimmen können; das gilt selbst für die »Semeia«-Quelle, deren Existenz mir kaum zweifelhaft ist, deren theologische Tendenz aber schwer zu erfassen ist.

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Die Paulusbriefe – selbst Röm – sind situationsbezogen. Sie enthalten insofern weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit einen »Entwurf paulinischer Theologie«, sondern machen lediglich Aspekte der Theologie des Apostels jeweils im konkreten Vollzug sichtbar119. Jede Darstellung der Theologie des Paulus setzt deshalb stets die Berücksichtigung des gesamten (authentischen) Corpus Paulinum voraus. Die neuerdings wieder aufgestellte These, es lasse sich eine »Entwicklung« der paulinischen Theologie rekonstruieren120, ist daher schon aus methodischen Gründen problematisch; denn diese These geht im Grunde von der Annahme aus, Paulus habe in jedem seiner Briefe jeweils den Stand seiner »Theologie« mehr oder weniger vollständig dargelegt. Tatsächlich aber bedeutet das Fehlen eines bestimmten Topos bzw. eines bestimmten Theologumenons in einem Brief für sich genommen noch keineswegs, daß der Apostel das scheinbar »fehlende« Thema zur Zeit der Abfassung des betreffenden Briefes noch nicht im Blick gehabt hätte. Aus dem Fehlen von AT-Zitaten in 1 Thess beispielsweise wird man gewiß nicht den Schluß ziehen dürfen, Paulus habe zu diesem Zeitpunkt über die Funktion der Bibel für seine Verkündigung noch nicht weiter nachgedacht. Ebenso besagt das Fehlen der Begrifflichkeit der Rechtfertigungslehre in einigen Briefen durchaus nicht, daß das theologische Denken des Paulus bei Abfassung dieser Briefe noch nicht von dieser Lehre bestimmt gewesen wäre121. Selbst angesichts von differierenden paulinischen Aussagen zum selben Thema (etwa: das Verständnis des Gesetzes in Gal und Röm; oder: die Aussagen über die Parusie in 1 Thess und 1 Kor) muß jedenfalls generell mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die Unterschiede eher auf unterschiedliche Situationen bei den Adressaten zurückgehen als auf Wandlungen im paulinischen Denken122.

Die synoptischen Evangelien sollen offenbar nicht nur die überkommene Jesusüberlieferung (möglichst) vollständig erfassen, sondern sie sollen zugleich dem Leser auch deren theologisch normative, umfassende Geltung einschärfen (vgl. Mt 28, 18–20); dies ist offenbar der Grund, weshalb Matthäus und Lukas einzelne ihnen bekannte Überlieferungen aus Mk (und vermutlich doch auch aus Q) als ihrem theologischen Anspruch nicht genügend oder ihrem theologischen Programm widersprechend ausgeschieden haben123.

119 R. Schnackenburg, Neutestamentliche Theologie. Der Stand der Forschung (BiH 1), München 1964, 19 meint, die urchristlichen Theologen hätten »in ihren, meist für bestimmte Gelegenheiten verfaßten Schriften keinen systematischen Aufbau ihrer Theologie erstrebt«. Das ist grundsätzlich richtig; das berühmte kauejhÄw in Lk 1,3 verweist aber doch auf ein derartiges Streben der Evangelisten (vgl. Klein, Lukas 1,1–4 [s. Anm. 72], 254: kauejhÄw scheint »weniger die Anordnung als den Umfang des Stoffes bestimmen zu sollen«). 120 Vgl. vor allem G. Strecker, Befreiung und Rechtfertigung. Zur Stellung der Rechtfertigungslehre in der Theologie des Paulus, in: ders., Eschaton (s. Anm. 64), 229–259. 121 Überdies bürdet jede »Entwicklungs«-Hypothese der Bestimmung der relativen Chronologie der Paulusbriefe eine nicht zu bewältigende Beweislast auf; man denke etwa an die Datierung des Phil: Gehört er nach Ephesus, also in eine (relative) Frühphase paulinischer Arbeit, oder gehört er nach Rom, also ans Ende der Wirksamkeit? Die Auswirkungen auf die Themen Rechtfertigungslehre und Gesetzesverständnis sowie vor allem Eschatologie sind deutlich. 122 Unter den deuteropaulinischen Briefen enthält lediglich Eph eine im Sinne seines Verfassers vollständig ausgeführte Theologie; die übrigen pseudopaulinischen Schriften bieten jeweils nur Teilaspekte. 123 Ob auch Markus »ausgewählt« hat, wie Hengel, Probleme (s. Anm. 63) vermutet, läßt sich

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Was bedeutet das Gesagte für die Darstellung der synoptischen Evangelien im Rahmen einer »Theologie des Neuen Testaments«? F. Hahn hat gefordert, in einer (noch zu schreibenden) Neutestamentlichen Theologie – wenn eine solche denn mehr sein solle »als eine stark differenzierende Theologiegeschichte des Urchristentums«124 – müßten drei Themen erörtert werden: Einmal das »Verhältnis zwischen dem irdischen und dem auferstandenen und erhöhten Christus«, also das Problem der Rezeption vorösterlicher Jesustradition; sodann das Verständnis des Alten Testaments, d. h. das Problem seiner christlichen Deutung; und schließlich »die Entfaltung der urchristlichen Heilsbotschaft«, also »die Explikation des Evangeliums in seinen wesentlichen Komponenten der Christologie, Pneumatologie, Ekklesiologie und Eschatologie«125. Bezieht man diesen (oder einen ähnlichen) Themenkatalog auf die synoptischen Evangelien, so lassen sich dort klare, wenn auch nicht immer begrifflich präzisierte Aussagen dazu finden; die Evangelisten haben die mit diesen Themen verbundenen Probleme gesehen und jeder auf seine Art theologisch »gelöst«126. Zur Ausbildung von »Theologie« im eigentlichen Sinne gehört zweifellos nicht nur die reflektierte Aneignung und Interpretation von Tradition; vielmehr verlangt »Theologie« auch eine in gewisser Weise »vollständige« sachlich-systematische Durchdringung der jeweils reflektierten theologischen Themen. Aber solche Durchdringung ist eben nicht unbedingt auf eine systematische Begrifflichkeit angewiesen. Vielmehr können die Evangelisten, wie ich insbesondere an Markus zu zeigen versucht habe, theologische Themen auch mit erzählerischen Mitteln gestalten, ohne daß dies einen Mangel an theologischer Substanz bedeuten müßte. Es ist also legitim und m. E. geradezu unumgänglich, ausdrücklich von einer »Theologie des Markus (Matthäus, Lukas)« zu sprechen und sie in der gebotenen Ausführlichkeit darzustellen. Wenn »Theologie des Neuen Testaments« als gesonderte Disziplin der theologischen Forschung die Aufgabe hat, »die verschiedenen theologischen Konzeptionen im Zusammenhang mit ihrem historischen Kontext zu erheben«127, dann muß dies bedeuten, daß auch die syn-

nicht sagen. Richtig ist, daß es den Evangelisten in erster Linie nicht um quantitative, sondern um qualitative Vollständigkeit gegangen sein dürfte. 124 F. Hahn, Urchristliche Lehre und neutestamentliche Theologie. Exegetische und fundamentaltheologische Überlegungen zum Problem christlicher Lehre, in: Die Theologie und das Lehramt, hg. von W. Kern (QD 91), Freiburg 1982, 63–115, hier: 98 f. 125 Hahn, aaO., 99. 126 Wahrscheinlich würde eine entsprechende themenbezogene Untersuchung der vorredaktionellen Tradition sogar zeigen, daß eine Problemlösung wirklich erst auf der Stufe der jeweiligen Endredaktion gelungen ist. Es ist deshalb m. E. nicht geboten, zwischen der traditionsgeschichtlich bestimmten und der problemorientierten Darstellung zu trennen und erstere dann womöglich vor allem der Einleitungswissenschaft zuzuweisen (so offenbar Hahn, aaO., 100 mit Anm. 142). 127 G. Strecker, Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, in: Eschaton (s. Anm. 64), 260–290, hier: 278.

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optischen Evangelien mit ihrem je eigenen theologischen Standort thematisch und umfassend darzustellen sind. Aber an welcher Stelle einer neutestamentlichen Theologie? Chr. Demke hat zutreffend festgestellt, es sei der Apostel Paulus gewesen, der als erster Jesu Kreuz theologisch als den Ursprung der Verkündigung ausgelegt habe; Paulus habe auf diese Weise dafür gesorgt, »daß die Traditionen von Jesus nicht in eine pneumatische Sondergeschichte eingehen«, und so habe er in der Tat »die theologische Grundlage für die Evangelienbildung« geschaffen128: »Mit der Evangelienbildung bei Markus kommt, was Paulus theologisch erarbeitete, in der literarischen Form des Evangelismus zur Wirksamkeit.«129 Weniger aus Gründen der Chronologie oder gar der Traditionsgeschichte als vielmehr aus im eigentlichen Sinne theologischen Gründen muß deshalb die Darstellung der Theologie der synoptischen Evangelisten im Anschluß an die Darstellung der paulinischen Theologie erfolgen130. Dort aber muß sie dann auch wirklich erfolgen.

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Demke, Frage (s. Anm. 1), 134. Demke, Frage, 135. Das bedeutet nicht, daß eine direkte traditionsgeschichtliche Verbindung zwischen Paulus und Mk bestünde (vgl. vielmehr das oben zum Verhältnis von Mk 1,14 f. und Röm 1,16 f. Gesagte). 130 So auch Strecker, Problem (s. Anm. 127) 289. Anders Schnackenburg, Neutestamentliche Theologie (s. Anm. 119), 22 f., der ohne nähere Begründung meint, die Evangelien-Darstellung müsse derjenigen der paulinischen Theologie vorangehen; ebenso verfährt Conzelmann (s. o.). 129

Wunder und Wirklichkeit Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen*

Gegenstand meiner Überlegungen ist die Frage nach der theologisch sachgemäßen Auslegung der Wundererzählungen der synoptischen Evangelien. In Teil I. soll eine knappe Übersicht über die unterschiedliche Interpretation der Wundererzählungen in der Kirchen- und Theologiegeschichte gegeben werden; es folgt in Teil II. eine kritische Skizze der neueren Diskussion. In Teil III. folgt die Exegese eines konkreten Textes; den Schluß (IV.) bilden einige zusammenfassende Bemerkungen.

I. Bis in die Zeit der beginnenden Aufklärung hinein wurde in der christlichen Exegese die Historizität des Erzählten im allgemeinen nicht bezweifelt, sondern die Erzählungen wurden als Berichte von tatsächlich Geschehenem gelesen, auch wenn sich die Exegese entsprechend den anerkannten Auslegungsregeln niemals auf die Feststellung der bloßen Faktizität beschränkte.1 Das Besondere des »Wunders« wurde natürlich gesehen; so definiert etwa Thomas von Aquin im Zusammenhang einer längeren Reflexion über Gottes Handeln das »Wunder« als »das sozusagen Verwundernsvolle, was nämlich eine schlechthin und allen verborgene Ursache hat. Die aber ist Gott. Daher wird, was an den uns bekannten Ursachen vorbei von Gott geschieht, Wunder genannt (illa quae a Deo fiunt

* Überarbeitete Fassung einer am 30. 1. 2003 in der Theologischen Fakultät Paderborn gehaltenen Gastvorlesung. Ein besonderer Dank gilt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dem Hauptseminar »Neutestamentliche Jesuserzählungen« und an der Übung »Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen« (beide WS 2002/03). 1 Zur Exegese neutestamentlicher Wundererzählungen in der Alten Kirche vgl. H. Schlingensiepen, Die Wunder des Neuen Testamentes. Wege und Abwege ihrer Deutung in der alten Kirche bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts (BFChTh II/28), Gütersloh 1933.

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praeter causas nobis notas, miracula dicuntur)«.2 Johannes Calvin setzt in seiner Auslegung der Erzählung vom Jüngling zu Nain (Lk 7,11–17) das Faktum des Wunders selbstverständlich voraus; er fügt aber hinzu, man könne von Matthäus lernen, daß bei allen Wundertaten Christi auf eine Entsprechung zu achten sei (tenenda sit analogia): Das Wunder sei »so zu verstehen, daß dieser Jüngling, den Christus vom Tod auferweckte, ein Bild des geistlichen Lebens ist, das er uns wiedergeschenkt hat (speciem esse spritualis vitae, quam nobis restituit)«.3 Etwas mehr als einhundert Jahre später schreibt Baruch Spinoza in seinem 1670 erschienenen Tractatus Theologico-Politicus, der so etwas wie eine erste Summe der historischen Bibelkritik darstellt4, in dem Kapitel »Von den Wundern«5: Ein Werk, dessen Ursache unbekannt ist, wird als göttlich oder als Gottes Werk bezeichnet, wobei man einerseits voraussetzt, »Gott sei nicht tätig, solange die Natur in gewohnter Ordnung tätig ist«, und andererseits annimmt, »die Macht der Natur und die natürlichen Ursachen seien außer Wirksamkeit, solange Gott tätig ist« (110). Es geschehe aber »nichts gegen die Natur«, und also sei »aus den Wundern weder das Wesen noch die Existenz und folglich auch nicht die Vorsehung Gottes« zu erkennen (112). Eben dies aber sage auch die Heilige Schrift, wenn sie an einigen Stellen »von der Natur im allgemeinen« versichere, »daß sie eine feste und unwandelbare Ordnung innehalte« (131); Spinoza verweist dafür auf Ps 148 und auf die Aussage in Jer 31,35 f., die von JHWH spricht, »der die Sonne dem Tage zum Licht gibt und den Mond und die Sterne der Nacht zum Licht bestellt; der das Meer bewegt, daß seine Wellen brausen – Herr Zebaoth ist sein Name«, und dann als Gottesrede den Satz überliefert: »Wenn jemals diese Ordnungen vor mir ins Wanken kämen, spricht der Herr, so müßte auch das Geschlecht Israels aufhören, ein Volk zu sein vor mir ewiglich.« Es gebe umge2 STh q 105 a 7 (nach der Ausgabe: S. Thomae Aquinatis Summa Theologiae Cura et studio Sac. Petri Caramello, Pars Prima et Prima Secundae. 1952, 500 (deutsch: Thomas von Aquino, Summe der Theologie. Erster Band: Gott und Schöpfung, hg. von J. Bernhart, Stuttgart 21938, 382). 3 Ioannis Calvini Opera quae supersunt omnia, Vol XLV (= Opera Exegetica et Homiletica XXIII). Commentarius in Harmoniam Evangelicam (CR LXXIII), Braunschweig 1891, 239 (deutsche Übersetzung: Johannes Calvins Auslegung der Evangelien-Harmonie. 1. Teil, übers. von Hiltrud Stadtland-Neumann und Gertrud Vogelbusch, in: Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Neue Reihe, hg. von Otto Weber, Band XII, Neukirchen-Vluyn 1966, 253). 4 Klaus Scholder, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der historisch-kritischen Theologie (FGLP 10. Reihe, Band XXXIII), München 1966, 165: Spinoza »verarbeitet nicht allein vollständig die bisherigen Ergebnisse der Kritik auf allen Gebieten, sondern er stellt sie darüber hinaus zum erstenmal in den Zusammenhang der modernen Religionskritik. In der Ergänzung und Verbindung dieser beiden Prinzipien liegt die ungewöhnliche kritische Kraft des Traktats, die ihm seine Bedeutung bis auf den heutigen Tag gesichert hat.« 5 B. de Spinoza, Theologisch-politischer Traktat. Übertragen und eingeleitet nebst Anmerkungen und Registern von Carl Gebhardt, PhB 93, Hamburg 51955. Seitenzahlen oben im Text.

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kehrt auch Bibelstellen, aus denen hervorgehe, daß »die Wunder auch von Betrügern verrichtet werden können«, wie Dtn 13,1 ff. und im NT etwa Matth 24,24 zeigten (132). Grundsätzliche Kritik übt um die Mitte des 18. Jahrhunderts der Orientalist Hermann Reimarus. In den von Lessing herausgebenen »Fragmenten« stellt er fest, im wesentlichen sei es »gemeines und zusammengelaufenes Volk« gewesen, das Jesus nachfolgte: »Kein Vornehmer, kein Pharisäer hing ihm an. Die Überzeugung von Jesu Wundern muß denn auch nicht gar stark gewesen sein; sonst würde es nicht an stärkerem Anhange gefehlet haben.« Und Reimarus fährt fort: »Wenn nur ein einzig Wunder öffentlich, überzeuglich und unleugbar von Jesu vor allem Volke an den hohen Festtagen geschehen wäre: so sind Menschen so geartet, daß ihm alle Welt würde zugefallen sein.«6 Aus der Nazareth-Perikope Mk 6,1–6a und aus der Zurückweisung der Zeichenforderung schließt Reimarus: »Jesus selbst konnte keine Wunder thun, wo die Leute nicht vorher glaubten: und wenn verständige Leute nämlich die Gelehrten und Obrigkeiten damaliger Zeit, Wunder von ihm verlangen, die einer Untersuchung könnten unterworfen werden, so fängt er, statt solche vor ihren Augen zu tun, an zu schelten: so daß kein Mensch von dieser Gattung an ihn glauben konnte.« Erst dreißig bis sechzig Jahre später seien die Evangelisten gekommen, »welche diese Wunder, als geschehen in die Welt hinein schreiben«, als »sehr wenige, die Jesum gekannt hatten, mehr lebten. So daß ihnen nichts leichter sein konnte, als Wunder zu machen so viel als ihnen beliebte«.7 Reimarus betont vor allem, daß die Wunder keinesfalls Glaubenswahrheiten zu beweisen vermögen: »Es folget nicht, ein Prophet hat Wunder getan; also hat er wahr geredet: weil auch falsche Propheten und Zauberer Zeichen und Wunder getan … Es folget nicht: Jesus hat einen Blinden sehend, einen Lahmen gehend gemacht: ergo ist Gott dreieinig in Personen, ergo ist Jesus wahrer Gott und Mensch. Es folget nicht, Jesus hat Lazarum vom Tode erwecket, folglich ist er auch selbst vom Tode auferstanden.«8 Als Reaktion auf solche Kritik behauptete die rationalistische Theologie des 19. Jahrhunderts, zwar seien die in den Evangelien berichteten Ereignisse tatsächlich geschehen, doch seien sie durchaus vernünftig erklärbar9, und nur weil die Menschen dies nicht verstanden, hätten sie gemeint, es handele sich um ein di6 [H. Reimarus] Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten, herausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing 1778, § 8, in: Gotthold Ephraim Lessing Werke, hg. von H. G. Göpfert. Siebenter Band: Theologiekritische Schriften I und II, hg. von H. Göbel, München 1976, 492–604, hier: 554. 7 Reimarus § 48 (aaO., 580). 8 Reimarus § 49 (aaO., 581). 9 Vgl. A. Schweitzer, Von Reimarus zu Wrede. Eine Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 1906, 50–54. Ferner H. Bee-Schroedter, Neutestamentliche Wundergeschichten im Spiegel vergangener und gegenwärtiger Rezeptionen. Historisch-exegetische und empirischentwicklungspsychologische Studien (SBB 39), Stuttgart 1998, 65–71 (Rezeption der Wundererzählungen »als historische Tatsachenberichte« im 18. und 19. Jahrhundert).

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rektes Eingreifen Gottes.10 Das ist ein Erklärungsmuster, das sich in modernisierter Form bis heute finden läßt, insbesondere in Predigten.11 David Friedrich Strauß widmet in seinem umfangreichen Werk »Das Leben Jesu« den Wundern bzw. Wundergeschichten breiten Raum.12 Er bietet für sie eine religionsgeschichtliche Erklärung, oder vielleicht sogar richtiger: er deutet die Wundergeschichten im Rahmen einer Art von »Biblischer Theologie«. Das jüdische Volk, so betont Strauß, habe »vom Messias Wunderthaten« erwartet, und »auch die verschiedenen Arten von Wundern, welche der Messias verrichten würde, waren in der Volkserwartung vorherbestimmt«, insbesondere »durch alttestamentliche Vorbilder und Aussprüche«. Jesus habe sich einer entsprechenden Erwartung konfrontiert gesehen, wenn er »von seinen pharisäischen Gegnern um ein shmeiÄon angegangen wurde«; dementsprechend habe er »dieser Anforderung, welche seine Zeitgenossen an den Messias machten, mehr als genug gethan«.13 Die Wundererzählungen seien mithin etwa im Sinne von Jes 35,5 (Lahme gehen, Blinde sehen etc.) oder auch als Nachahmung der Elia-Elisa-Erzählungen aufzufassen. Wenig später als der Theologe Strauß schreibt der Philosoph Ludwig Feuerbach in seiner religionskritischen Schrift »Das Wesen des Christentums«, das Wunder »als ein wesentlicher Gegenstand des Christentums« sei »ein verwirklichter supranaturalistischer Wunsch – sonst nichts«. In den Wundererzählungen gehe es um menschliche Wünsche, die »überschwengliche, supranaturalistische Wünsche sind«; von der »natur- und vernunftgemäßen Befriedigungsweise menschlicher Wünsche und Bedürfnisse« unterscheide sich das Wunder dadurch, 10 Schweitzer referiert u. a. die Position von H. E. G. Paulus (Das Leben Jesu als Grundlage einer reinen Geschichte des Urchristentums, 1828), der schreibt: »Mit der wunderbaren Speisung verhält es sich also. Als Jesus die hungernde Menge sah, sagte er zu seinen Jüngern: ›Wir wollen den Reichen darunter ein gutes Beispiel geben, daß sie ihre Vorräte mitteilen‹, und fing an, seinen und seiner Jünger Proviant an die zunächst Gelagerten auszugeben. Das Vorgehen wirkte, und alsbald war Speise die Fülle da« (Schweitzer aaO., 52). 11 Vgl. etwa K. Reblin, der in einer Predigt über Joh 6,1 ff. in Anlehnung an Ernesto Cardenals Bibelauslegung sagt: »Eine sensationelle Brot- und Fischvermehrung? Ich glaube, es ist wohl eher die Geschichte von einer sensationellen Brot- und Fischverteilung«, und die sei der entscheidende Punkt: »Jesus gibt die fünf Brote und zwei Fische den Jüngern, diese geben sie weiter an die Leute, und plötzlich fangen diese an, auch das zu verteilen und weiterzugeben, was sie sonst noch bei sich haben … Durch Teilen und Verteilen wird das Brot mehr!« (in: H. Nitschke [Hg.], Zeichen und Wunder. Predigten über Wundergeschichten des Alten und Neuen Testaments, Gütersloh 1985, 88 f. Ähnlich spricht M. Josuttis in einer Predigt über Mk 1,29–31 davon, bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus passiere »nicht viel«: Jesus »faßt die fiebrige Mutter der Hausfrau für einen Moment bei der Hand und richtet sie auf. Sie fühlt sich gesund und bewirtet den Gast.« Und etwas später nochmals: »Ein junger Mann faßt eine ältere Frau bei den Händen. Sie fühlt sich besser.« (M. Josuttis, Offene Geheimnisse. Predigten, Gütersloh 1999, 35.37; Hervorhebungen nicht im Orig.). 12 David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Zweiter Band, Tübingen 1836 (= Darmstadt 1969), 1–251. 13 Strauss, Leben Jesu, 1–3.

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daß es diese Wünsche »auf eine dem Wesen des Wunsches entsprechende«, also »auf die wünschenswerteste Weise befriedigt«: »Daß Kranke gesund werden, das ist kein Wunder, aber daß sie unmittelbar auf einen bloßen Machtanspruch hin gesund werden, das ist das Geheimnis des Wunders.« Die in dieser Weise beschriebene Tätigkeit aber sei »nur die Phantasie oder Einbildungskraft«, und deshalb sei »die Macht des Wunders … nichts andres als die Macht der Einbildungskraft«. Das Wunder, so Feuerbach. ist »für die Vernunft sinnlos, undenkbar«, es ist ein »hölzernes Eisen«.14 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts leitet die religionsgeschichtliche Schule die Wundererzählungen vor allem aus dem hellenistischen Umfeld des Neuen Testaments ab. Die daran anknüpfenden Formgeschichtler, vor allem Rudolf Bultmann folgern aus der Fülle hellenistisch-paganer und hellenistisch-jüdischer Wundererzählungen, daß derartige Erzählungen in der Missionspropaganda der christlichen Gemeinde eine wesentliche Rolle gespielt hätten. Wichtiger aber als der religionsgeschichtliche Vergleich und die damit verbundene Vermutung zum »Sitz im Leben« der Überlieferungen war Bultmanns Bemühen um das hermeneutische Problem, um die »existentiale Interpretation« der Wundererzählungen, später verknüpft mit dem berühmten Stichwort »Entmythologisierung«. Bultmann betont, die – wie er es nennt – »mythologischen« Züge der Wundererzählungen dürften nicht eliminiert, sondern sie müßten interpretiert werden. In dem Aufsatz »Zur Frage des Wunders«15 geht Bultmann von einer doppelten Feststellung aus: Wunder meine zum einen »ein Tun Gottes«, im Unterschied von einem Geschehen, das natürliche Ursachen hat; Wunder sei zum andern »ein wunderbares Ereignis contra naturam«. Der Wundergedanke könne sich nun nach beiden Seiten hin einseitig entwickeln – nämlich entweder so, daß »jedes Weltgeschehen als Tun Gottes gedeutet und so der Unterschied von Weltgeschehen und Tun Gottes preisgegeben wird«, oder aber so, daß Gott gar nicht mehr im Blick ist und allein das über- oder gegennatürliche Ereignis als solches in den Blick kommt, man also »nur den Gedanken des Mirakels« behält, der aber »für uns heute unmöglich geworden« sei (84). Zwar ist dieser apodiktischen Feststellung Bultmanns in jüngerer Zeit widersprochen worden mit dem Hinweis, Bultmann setze ein überholtes physikalisches Weltbild und ein nicht mehr zeitgemäßes mechanistisches Verständnis der Naturgesetze voraus. Aber Bultmann geht es gar nicht darum, die »Mirakel« als der menschlichen Erfahrung oder den durch empirische Bebachtung aufgestellten Naturgesetzen widersprechende und also tatsächlich gar nicht »mögliche« Ereignisse zu erweisen; ent14 Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, 31849 (zitiert in der Ausgabe bei Reclam UB 4571, Stuttgart 1980, 208–210). 15 Rudolf Bultmann, Zur Frage des Wunders, in: Glauben und Verstehen I, 1933, 214–228; wieder abgedruckt in: ders., Neues Testament und christliche Existenz. Theologische Aufsätze, hg. von A. Lindemann (UTB 2316), Tübingen 2001, 84–98 (auf diese Ausgabe beziehen sich die Seitenangaben oben im Text).

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scheidend ist für ihn vielmehr, daß »die Gesetzmäßigkeit, die für uns im Gedanken der Natur eingeschlossen ist, nicht eine konstatierte, sondern eine vorausgesetzte ist«, und daß »wir uns von dieser Voraussetzung nicht nach subjektivem Belieben freimachen können« (84 f.) – und diese Feststellung besitzt doch wohl unverändert Gültigkeit. Verstehe man das Wunder als Tun Gottes im Gegensatz zum Weltgeschehen, so werde damit »ein bestimmtes Verständnis von Welt ausgesprochen« – Welt nämlich nicht als Natur, sondern als »die Wirklichkeit, in der ich lebe, meine Welt«. Vorausgesetzt sei dabei die Erkenntnis, daß meine Existenz »eine gottlose ist, in der ich Gott nicht finde und nicht sehen kann«, daß ich ihn vielmehr nur sehe, »wenn er sich mir zeigt durch seine Tat und daß ich nicht das Recht habe, beliebig von ihm zu reden und Beliebiges für sein Tun zu erklären«. Bultmann folgert, »daß der Glaube an Gott und an das Wunder überhaupt das Gleiche bedeuten« (89). Zu den von Jesus im Neuen Testament berichteten Wundern sagt Bultmann, sie hätten den Charakter von Mirakeln, und das bedeute: »Wären sie alle historisch gesichert (bzw. soweit sie es etwa sind), so gilt doch, daß sie als Werke eines Menschen der Vergangenheit uns unmittelbar nichts angehen. So gesehen, sind sie keine Werke Christi, sofern wir unter dem Werk Christi das Werk der Erlösung verstehen«; sie sind deshalb »restlos der Kritik preiszugeben«, weil »schlechterdings kein Interesse für den christlichen Glauben besteht, die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Wunder Jesu als Ereignisse der Vergangenheit nachzuweisen« (97). Dabei hält Bultmann es durchaus für historisch wahrscheinlich, daß Jesus beispielsweise Kranke geheilt oder Exorzismen vollbracht hat.16 Walter Schmithals schreibt, an Bultmann anknüpfend17, die Wundererzählungen seien Zeugnisse des Glaubens; nur »moderner Unverstand« könne sie »als Mirakel abtun«, denn in Wahrheit spiegele sich in den Zeichen und Machttaten Jesu »gleichnishaft die ganze Botschaft des Evangeliums wider«. Insofern berichteten diese Erzählungen »nur scheinbar von merkwürdigen Ereignissen aus dem Leben des irdischen Jesus«, sondern sie verkündigen in Wahrheit, »was Gott durch Jesus als den Christus … an dieser Gemeinde tat und an der Welt tun will«.18 Mithin sei die Frage nach der Wahrheit der Wunderüberlieferung jedenfalls »nicht identisch mit der Frage nach dem, was damals wirklich passiert« ist, 16 R. Bultmann, Jesus, Berlin 1926, 159 f.: Die meisten der Wunderberichte der Evangelien »sind legendarisch, zum mindesten legendarisch ausgeschmückt«, aber es bestehe »kein Zweifel«, »daß Jesus solche Taten getan hat, die in seinem und seiner Zeitgenossen Sinn Wunder waren …; zweifellos hat er Kranke geheilt, Dämonen vertrieben«, und er hat dabei diese Wunder »als ein Zeichen für das Hereinbrechen der Gottesherrschaft aufgefaßt«. Zu Bultmanns bis heute ständig nachgedrucktem Buch s. die Beiträge in U. H. J. Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen-Vluyn 2002, insbesondere W. Schmithals, Jesus verkündigt das Evangelium. Bultmanns Jesus-Buch, aaO., 23–60. 17 W. Schmithals, Wunder und Glaube. Eine Auslegung von Markus 4,35–6,6a (BSt 59), Neukirchen-Vluyn 1970. 18 Schmithals (s. die vorige Anm), 24.25.

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sondern entscheidend sei die Frage danach, »was heute durch diese Geschichten passiert«.19 In etwas anderer Weise betont Alfons Weiser, wer an den Gott glaube, der nach Röm 4,17 »Nichtseiendes ins Dasein ruft und Totes lebendig macht«, werde »die Möglichkeit von Totenerweckungen anerkennen«; aber angesichts der entsprechenden Erzählungen laute die entscheidende Frage: »Hat Gott wirklich Menschen vom Tode in das Erdenleben zurückgerufen?«, und da sei zu antworten: »Alle neutestamentlichen Texte setzen die Auferstehung Jesu voraus. Sie dürfte zusammen mit alttestamentlichen Erweckungserzählungen das wichtigste Motiv dafür sein, daß man bereits dem geschichtlichen Jesus Totenerweckungen zuschrieb.«20

II. In der neueren exegetischen Diskussion über die neutestamentlichen Wundererzählungen hat die historische Frage wieder an Boden gewonnen, während das hermeneutische Problem der Auslegung dieser Erzählungen eher zu einem Randphänomen geworden ist. Karl Kertelge schreibt in einem 1976 publizierten Literaturbericht, die »historisch interessierte Frage nach den Wundern Jesu« bleibe »unabweisbar«; sie werde nicht schon durch die Vermutung beantwortet, daß Jesus tatsächlich Heilungen und Exorzismen vollbracht habe. Gefragt werden müsse vielmehr, »welche Bedeutung Jesus selbst seinen Wundern beigemessen und ob und wieweit sie seinen Glaubensanspruch mitgetragen haben«.21 Kertelge fährt dann aber fort: Auch wenn die Exorzismen und die Krankenheilungen »historisch sichere« Vorgänge des Lebens Jesu seien, so müsse man doch fragen, »ob diese Auskunft für die fundamentaltheologische Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wunder unmittelbar ausgewertet werden kann«.22 In einem einige Jahre später erschienenen Bericht schreibt Hans Weder23, oft werde in der Exegese der Wundererzählungen »die Tatsachenfrage als völlig unerheblich abgetan«. Damit bringe sich die neutestamentliche Wissenschaft zwar »in die komfortable Position … sich nicht mehr um die historische Beurteilung der Wundergeschichten kümmern zu müssen«; die Folge sei aber, daß man nun nicht mehr einsichtig machen könne, »wieso die Jesusüberlieferung … so viele Wundergeschichten erzählt«, und außerdem könne nicht mehr erklärt werden, warum »die Überlieferung an den Wundern als vergangenen Taten des irdischen Jesus festhält« (26). Weder stellt fest, »eine Zusammenfassung historischer Er19

Schmithals, Wunder, 28. A. Weiser, Was die Bibel Wunder nennt. Ein Sachbuch zu den Berichten der Evangelien, Stuttgart 1985, 131.133. 21 K. Kertelge, Die Wunder Jesu in der neueren Exegese, Th Ber 5 (1976) 71–105. 22 Kertelge (s. die vorige Anm), 81.84. 23 H. Weder, Wunder Jesu und Wundergeschichten, VF 29 (1984) 25–49 (Nachweise im Text). 20

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gebnisse hinsichtlich der Wundertätigkeit Jesu« lasse sich »nur sehr schwer geben, weil von den jeweiligen Details nicht abstrahiert werden kann«; er fährt dann aber fort: »Dennoch läßt sich generell sagen, daß die Wundertätigkeit Jesu im Sinne von wunderbaren Heilungen und Exorzismen (möglicherweise auch von Wiederbelebungen von Toten) historisch nicht bestreitbar ist.«24 Allerdings gebe es »eine Reihe von Wundergeschichten, die dem Historiker kein Urteil über die Ereignisdimension mehr erlauben, es sei denn, er fälle ein Urteil aufgrund allgemeiner Annahmen« (28).25 Entscheidend bei »den geschehenen Wundern Jesu« sei aber »doch wohl, was sie zu sagen haben«, wobei Weder annimmt, Jesus selbst habe seine Wundertätigkeit »als Ereignis der Gottesherrschaft im Jetzt« verstanden (29). Hinsichtlich der hermeneutischen Bemühungen um die Wunderfrage konstatiert Weder, die Wundergeschichten könnten nicht auf Eindeutigkeit festgelegt werden, und dieser Mehrdeutigkeit entspreche »eine Mehrdimensionalität der methodischen Zugänge« (46). Gegenüber der Entmythologisierungsforderung fragt er, ob nicht die Botschaft der Wundergeschichte verloren gehe, wenn sie in eine kerygmatische Aussage transformiert wird; man müsse doch wohl sagen, daß Wundergeschichten unersetzbar sind, »wenn der christliche Glaube sich zur Sprache bringt«.26 Die Verlegenheit des historisch-kritischen Denkens angesichts der Wundergeschichten hängt nach Weder möglicherweise mit der Prägung der Exegese durch die aristotelische Sprachphilosophie zusammen, die von der Abbildungsfunktion der Sprache ausgeht: »Es wäre denkbar, daß die Geltung der Wundergeschichten nicht durch das in ihnen Abgebildete zustandekommt, sondern ausschließlich durch das, was sie zu sagen haben.« (49) Diese Erwägung scheint mir freilich von Bultmanns Bemühen um eine existentiale Interpretation nicht weit entfernt zu sein, auch wenn Weder den zuletzt genannten Hinweis nicht näher expliziert. Zur historischen Frage schreiben Gerd Theißen und Annette Merz in ihrem Buch »Der historische Jesus«27 unter Aufnahme von Theißens formgeschichtlich begründeter Unterscheidung von insgesamt sechs Typen von Wundererzählun-

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Weder weiter: »Daß die neutestamentliche Wunderüberlieferung einfach aus der Luft gegriffen oder durch das allgemeine geistige Milieu bedingt wäre, wagt heute kein ernsthaft arbeitender Historiker mehr zu behaupten« (aaO., 28). 25 Weder, Wunder (s. Anm 23), 29 nennt (mit R. Kratz, Rettungswunder, 1979) als Beispiele für die Annahme einer sekundären Übertragung auf Jesus die Stillung des Seesturms oder den Seewandel. 26 Weder, Wunder (s. Anm 23), 49 zitiert offenbar zustimmend die Aussage von Breuss, es gehe »weniger um die Entmythologisierung des Evangeliums als um eine Entmythologisierung des privaten und öffentlichen Lebens durch die exorzistische (ekstatische) Kraft jener Rede, die Niederschlag der Teilhabe am Sterben Jesu ist« (J. Breuss, Das Kana-Wunder. Hermeneutische und pastorale Überlegungen aufgrund einer phänomenologischen Analyse von Joh 2,1–11. Fribourg 1976, 63), und er fragt dann: »Welche Rolle in diesem Entmythologisierungsvorgang können die Wundergeschichten spielen?« 27 G. Theissen/A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996.

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gen28, bei den Exorzismen, den Therapien und den Normenwundern gebe es »einen Ursprung beim historischen Jesus«, während für die Rettungs- und die Geschenkwunder sowie die Epiphanien »der Osterglaube Voraussetzung« sei, denn in diesen Erzählungen würden Jesus »über alles Menschliche hinausgehende Fähigkeiten zugeschrieben«. Allerdings lasse sich nicht bestreiten, daß auch hier »Erinnerungen an den historischen Jesus eingeflochten« seien: »Die Rettung aus Seenot greift auf tatsächliche Bootsreisen Jesu zurück, die wunderbare Speisung auf tatsächliche ›Speisungen‹, die Verklärung auf dem Berge auf tatsächliche Aufenthalte Jesu auf einem Berg.«29 Überblicke über das Verständnis der Wunder Jesu in der neueren Exegese geben in jüngster Zeit u. a. Heike Bee-Schroedter, Jörg Frey und Bernd Kollmann. Bee-Schroedter stellt drei »idealtypische Rezeptionsweisen« der Wundererzählungen dar. Für das 18. und vor allem das 19. Jahrhundert konstatiert sie eine »historisierende Betrachtungsweise«, die »nur dem, was unmittelbar anschaulich vorstellbar ist, einen Wahrheitsanspruch« zubillige, was bei den biblischen Wundergeschichten dazu führe, »sie unter allen Umständen entsprechend dieser Erkenntnisse zu erklären«, etwa durch das Bemühen, »die biblische Schilderung mit naturwissenschaftlich plausibelen [!] Erklärungen zu ergänzen«.30 Eine zweite Rezeptionsweise findet sie im 20. Jahrhundert vor allem bei Bultmann; hier sei es darum gegangen, die Wundererzählungen »als sprachliches Mittel zur Veranschaulichung theologischer Aussagen« aufzufassen: »Man wertete die Erzählungen ausschließlich funktional als sprachliches Mittel, als Illustrationen zur Veranschaulichung der Glaubensbotschaft für die damaligen Zuhörer, die wie auch andere Formen vergleichender Rede in das ›eigentlich Gemeinte‹ zu übersetzen sind.«31 In der jüngsten Phase seit Ende der 1970er Jahre, für die vor allem Theißen steht, würden die Wundererzählungen verstanden »als geschichtlich fundiertes, sprachliches Angebot zur Deutung der Wirklichkeit«: Man betrachte die Erzählungen »grundsätzlich als sprachliche Angebote an die ersten und auch gegenwärtigen Leser, konkrete Leidsituationen im Lichte der historisch belegbaren grenzüberschreitenden Handlungen Jesu Christi zu deuten und entsprechend zu handeln«.32 J. Frey33 konstatiert in seinem Überblick einen 28 G. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien (StNT 8), Gütersloh 1974 (vielfach nachgedruckt). 29 Theissen/Merz, Der historische Jesus (s. Anm 27), 269. Richtig ist natürlich, daß man niemals eine solche Sturmstillungs- bzw. eine solche Verklärungsgeschichte erzählt hätte, wenn es in Jesu Umgebung keinen See und keinen Berg gegeben hätte. Aber sind das »Erinnerungen an den historischen Jesus«? 30 Bee-Schroedter, Wundergeschichten (s. Anm. 9), 71.70. 31 Bee-Schroedter, Wundergeschichten, 83. 32 Bee-Schroedter, Wundergeschichten, 98. Sie sieht darin einen – von den Exegeten selber gar nicht bewußt wahrgenommenen – Einfluß der »gegenwärtigen Geschichts- und Naturwissenschaft«, die ebenfalls von dem die Wirklichkeit deutenden Ansatz ausgehe (99–110). 33 J. Frey, Zum Verständnis der Wunder Jesu in der neueren Exegese, ZPT 55 (1999) 3–14.

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»weiten Konsens der neueren Exegese«, der in der Annahme bestehe, daß Jesus Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben habe; freilich habe sich »im Lauf der Überlieferung in vielfältiger Weise eine steigernde, deutende, typisierende und aktualisierende Ausgestaltung der Wunder Jesu« ereignet, weshalb sich »die Historizität einzelner Taten Jesu … kaum mehr sicherstellen« lasse; dies sei aber »kein Anlaß, die exorzistische und therapeutische Wirksamkeit Jesu insgesamt zu bezweifeln«34, wofür Frey unter anderem darauf verweist, daß Wundertaten Jesu auch in außerchristlichen Quellen belegt seien, was mir als Argument zumindest problematisch zu sein scheint.35Auch die Annahme, konkrete Züge wie die Namensnennung und die Ortsangaben in Mk 1,29–31; 10,46–5236 oder das in Mk 7,34 überlieferte aramäische effaua sowie die in Mk 7,31–37; 8,22–26 geschilderten »pharmakologischen Praktiken« seien als Hinweis »auf historische Tradition« zu werten, ist m. E. nicht wirklich begründbar.37 Frey schließt seinen Aufsatz mit der etwas pauschalen Feststellung, für das Verständnis des irdischen Jesus spielten »die Wunder … eine weit größere Rolle, als man in der neuzeitlichen Theologie zugestanden hat. Sie bleiben jedoch anstößig und sperren sich gegen jede Art der Vereinnahmung«, und deshalb sei die Aufgabe, »sie historisch und theologisch angemessen wahrzunehmen, … auch nach 200 Jahren historischkritischer Exegese nicht erledigt«.38 Das Problem der Auslegung der Wundererzählungen, also die Frage nach dem gegenwärtigen Verstehen der Texte, wird von Frey kaum gestreift. Bernd Kollmann39 gibt einen Überblick über »neuere hermeneutische Konzeptionen« zu den Wundererzählungen, wobei er einsetzt mit der Darstellung 34

Frey (s. die vorige Anm), 12. Frey, Zum Verständnis der Wundergeschichten (s. Anm 33), 12 verweist auf das »Testimonium Flavianum« (Jos Ant 18,63 f.), das von den paraÂdoja eÍrga spricht, die Jesus getan habe, außerdem auf Celsus, der »ebenso wie die spätere talmudische Überlieferung den Vorwurf der Zauberei« erhoben habe. Außerdem seien der in Mk 3,22 ff. erhobene Vorwurf und Mk 6,14 f. Aussagen, »die dem späteren urchristlichen Bild Jesu widersprechen und daher historisch ebenfalls zuverlässig erscheinen« (12 f.). 36 Frey, Zum Verständnis der Wundergeschichten, 13 schreibt unter Berufung auf B. Kollmann (s. u.), zumindest für Mk 1,23–27 und 9,14–27 ließen sich »ein palästinisches Überlieferungsmilieu und historische Haftpunkte wahrscheinlich machen«. 37 Frey ebda: Während sich bei den Geschenkwundern, den Rettungswundern und den Epiphanien zeigen lasse, daß sie unter Voraussetzung des Osterglaubens gestaltet wurden, erweise sich »die exorzistische und therapeutische Wirksamkeit Jesu aufgrund der Breite und Vielfalt der Überlieferung als eines [!] der sichersten Bestandteile der Jesustradition«, wobei die älteste Überlieferung freilich auch zeige, »daß bloße Fakten des Wirkens Jesu – selbst wenn sie sich historisch völlig sicherstellen ließen – alles andere als eindeutig sind«, wie die Beelzebul-Perikope Mk 3,22 ff. deutlich mache. 38 Frey, Zum Verständnis der Wundergeschichten (s. Anm 33), 14. 39 B. Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten. Biblisch-theologische Zugänge und Impulse für die Praxis (Kohlhammer Taschenbücher 477), Stuttgart 2002 (Einzelnachweise oben im Text). Vgl. ders., Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996. 35

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der »existenzialen Wunderhermeneutik«, für die bei ihm vor allem R. Bultmann und W. Schmithals stehen (137–142).40 Er referiert dann das Programm einer Biblischen Theologie und einer feministischen Hermeneutik. Mit Blick auf die Wunderüberlieferung gehe es ersterer darum, daß die Wunder Jesu »gezielt auf einem alttestamentlich-jüdischen Traditionshintergrund interpretiert und in einen weiten, die gesamte Bibel umfassenden heilsgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet« werden (145); letztere richte das Interesse »auf jene Traditionen, in denen Frauen das Objekt der Heilung sind«, wobei »die im Heilungswunder bewirkte ganzheitliche Wiederherstellung weiblicher Körperlichkeit wahrgenommen und in ihrer emanzipatorischen Dimension gewürdigt« werde (149 f.). Erwähnt werden weiter die sozialgeschichtliche Auslegung der Wundererzählungen, die »psychologische Interpretation der Wunder« (155), ferner die »Hermeneutik der Verfremdung«, in der es darum gehe, »fest eingespielte Wahrnehmungsmuster zwischen Text und Hörer aufzubrechen« (161) sowie schließlich Rezeptionsästhetik und wirkungsgeschichtliche Exegese (169–176). Die referierten Ansätze haben in erster Linie offenbar nicht speziell das Verstehen der neutestamentlichen Wundererzählungen im Blick, sondern es handelt sich allgemein um Zugangsweisen zu neutestamentlichen Texten, die dann auch die Auslegung von Wundergeschichten mit einschließen. Die Bezeichnung »Wundererzählung« ist von Klaus Berger infragegestellt worden unter Hinweis darauf, daß dies formgeschichtlich betrachtet »kein Gattungsbegriff« sei, sondern die »moderne Beschreibung eines antiken Wirklichkeitsverständnisses«41. Dieser Einwand ist einerseits berechtigt, insofern die als Wunderererzählungen bezeichneten Geschichten literarisch nicht anders gestaltet sind als etwa die biographischen Apophthegmata oder auch bestimmte erzählende Gleichnisse. Es besteht aber andererseits kein Zweifel, daß auch die Menschen der Antike zu unterscheiden wußten zwischen wunderbaren Ereignissen auf der einen und »natürlich« zu erklärenden Ereignissen auf der anderen Seite und daß diese Unterscheidung auch in den entsprechenden Erzähltexten sichtbar wird. In den als Wundererzählungen bezeichneten Texten erscheint das Geschehen, von dem sie sprechen, auf der Textebene selber dezidiert als »Wunder«, auch ohne daß ein entsprechender abstrakter Begriff vorkommt. Es handelt sich um Erzählungen, in denen beispielsweise ein Publikum auf ein Geschehen mit dem Ruf reagiert »Solches haben wir noch nie gesehen«; dies ist durchaus gattungsspezifisch, denn Erzählungen, die von alltäglichen Erfahrungen sprechen, enthalten einen derartigen »Chorschluß« nicht. »Wundererzählungen« weisen stets literarische Indizien dafür auf, daß sie von einem extraordinären Geschehen 40 Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten (s. die vorige Anm), 140–142 bietet als Beispiel für »existenziale Wunderhermeneutik« eine Predigt von Antonius H. J. Gunneweg zu Mk 4,35–41. 41 K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 305.

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sprechen; so ist etwa in den Speisungserzählungen schon allein durch die Zahlenangaben42 deutlich, daß hier keine gewöhnliche Mahlerzählung vorliegt, obwohl in diesen Erzählungen der »wunderbare« Charakter des erzählten Geschehen überhaupt nicht explizit hervorgehoben wird. Derartige Wundererzählungen finden sich auch in außerchristlicher zeitgenössischer Literatur und Überlieferung; sie berichten von Wundertaten jüdischer Weisheitslehrer und römischer Kaiser, von Wanderphilosophen und auch von Menschen, die mit einem messianischen Anspruch auftraten. Der AsklepiosTempel in Epidauros trug eine Fülle von Inschriften, in denen sehr nüchtern von Heilungen im Tempel berichtet wurde, die eindeutig als »wunderbar« zu gelten hatten.43 Es kann bei der Interpretation der Wundererzählungen nicht darauf ankommen, ob wir es für möglich halten, daß hinter der Erzählung ein Faktum steht. Es kann schon gar nicht um die Frage gehen, ob wir grundsätzlich die Möglichkeit von Wundern für wahrscheinlich halten. Denn wir haben es ja nicht mit den Wundern zu tun, sondern mit Erzählungen, die von wunderbaren Ereignissen berichten. Dabei haben wir es im Fall der biblischen Wundergeschichten allem Anschein nach nicht mit Selbstberichten zu tun – es gibt weder den eigenen Bericht eines »Wundertäters« noch den Bericht eines Menschen, dem ein als »Wunder« zu qualifizierendes Erlebnis zuteil wurde. Man könnte allenfalls auf die Briefe des Paulus verweisen, die als authentische Zeugnisse in Frage kämen; doch auch Paulus erzählt nirgendwo von einem ihm selber oder auch anderen Menschen widerfahrenen Wunder.44 Die uns erhaltenen Erzählungen wurden durchweg von anderen aufgeschrieben; sie berichten in der Regel aus der Perspektive des Wundertäters Jesus oder aus der Perspektive des Publikums, jedenfalls nicht aus der Perspektive des kranken bzw. geheilten Menschen (oder der Sattgewordenen etc.). Für die von Dieter Zeller vorgeschlagene Annahme, die Heilungserzählungen gingen auf Selbstberichte der Geheilten zurück45, gibt es 42 Mk 6,34–44: Fünftausend Männer (!) essen fünf Brote und zwei Fische, werden satt, und es bleiben zwölf Körbe voll Brotresten zurück; Mk 8,1–9: Viertausend Menschen werden von sieben Broten satt, und es bleiben sieben Körbe voll zurück. Ob diese Zahlen eine symbolische Bedeutung haben, kann hier offen bleiben. 43 Vgl. dazu M. Wolter, Inschriftliche Heilungsberichte und neutestamentliche Wundererzählungen. Überlieferungs- und formgeschichtliche Betrachtungen, in: K. Berger/F. Vouga/M. Wolter/D. Zeller, Studien und Texte zur Formgeschichte (TANZ 7), Tübingen 1992, 135–175. 44 S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung (WUNT 134), Tübingen 2001 untersucht die paulinischen Briefe hinsichtlich des in ihnen sichtbar werdenden Wunderverständnisses des Apostels mit Blick auf das Verhältnis von Wunder und Wirklichkeit, wobei er von vornherein betont, er frage »nicht nach der Realität ›hinter‹ den Briefen, sondern danach, wie in und mit den Briefen Realität konstituiert wird« (9). »Die Zeichen, Wunder und machtvollen Taten frühchristlicher Texte« dürften »nicht auf die unter der Wundererzählung verhandelten Texte« eingeschränkt werden (8). 45 D. Zeller, Wunder und Bekenntnis. Zum Sitz im Leben urchristlicher Wundergeschich-

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weder in den Texten selber noch in der Überlieferung ein positives Indiz; man müßte annehmen, daß die Erzählungen durchweg nachträglich umgeformt wurden, wofür es keinerlei Beleg gibt. Es gibt vielleicht eine Ausnahme, die Erzählung von der Heilung der am Blutfluß leidenden Frau in Mk 5,25–34; zwar liegt auch hier kein Selbstbericht vor, doch es wird weitgehend aus der Perspektive der betroffenen Frau erzählt, einschließlich der detaillierten Schilderung der langen Vorgeschichte, über die die Leser früher informiert werden als die Personen der Handlung, einschließlich des Wundertäters Jesus. Ein Indiz für historische Authentizität des Erzählten ist freilich auch darin nicht zu sehen. Wenn in der neueren Exegese wieder zunehmend der Versuch unternommen wird, nach der Historizität der einzelnen überlieferten Wunder zu fragen, so scheint mir dies ein hermeneutischer Rückschritt zu sein. Was spricht für die Annahme, daß Ortsangaben ein Indiz für Historizität sind? Warum sollte die Nennung von Personen- oder Ortsnamen eine Authentizität des Erzählten implizieren? Ist die Erzählung Mk 8,22–26 deshalb historisch zuverlässig, weil Bethsaida erwähnt wird, oder ist Mk 10,46–52 zuverlässig, weil diese Blindenheilung nicht nur mit einer Ortsangabe verbunden ist, sondern der Blinde überdies einen Namen trägt? Ist dann die Erzählung von der Heilung des Aussätzigen Mk 1,40–45 weniger zuverlässig, weil weder ein Orts- noch ein Personenname genannt ist? Welchen Grund gibt es, die Heilung der Schwiegermutter des Petrus für ein historisches Ereignis zu halten? Handelt es sich um ein womöglich verhältnismäßig ›leichtes‹, also vorstellbares Wunder? Darüber können wir gar nichts sagen, weil in der Erzählung über die Art des Fiebers keine Auskunft gegeben wird.46 Der Ortsname Kapharnaum dürfte kaum Indiz für Authentizität sein, denn vieles in der Jesusüberlieferung spielt in dieser Stadt, d. h. die Verbindung einer Erzählung mit Kapharnaum könnte sekundär sein, zumal sie sich im markinischen Text erst aus dem redaktionellen Zusammenhang mit 1,21 ergibt.47 Methodisch besonders problematisch ist es, von einem vorgegebenen ›Jesusbild‹ auszugehen und von diesem her dann die Wundererzählungen historisch einzuordnen. Rainer Riesner verweist auf den von Jesus erhobenen »messianiten, BZ NF 25 (1981) 204–222. »Es ist denkbar und von den religionsgeschichtlichen Parallelen her naheliegend, daß gerade bei Therapien einzelne Wundererzählungen zunächst vom Geheilten selbst in Umlauf gesetzt wurden. Die Topik der Schlußpartie läßt sich zwar dafür nicht unmittelbar ausschlachten. Aber warum sollten sich nicht Betroffene nach Ostern der Jesusbewegung angeschlossen und dabei ihre Geschichte voll Dankbarkeit gegen Gott, den sie nun noch deutlicher hinter der Gestalt Jesu erkannten, erzählt haben« (220); Zeller verweist dabei auf die »nachträgliche Befragung der Beteiligten« in 2 Kön 8,6. 46 Zum Charakter des Fiebers in der antiken Medizin s. Won Sik Suk, Die »reale« Welt in den Wundererzählungen des Markusevangeliums. Untersuchungen zu den Heilungen und Exorzismen Jesu, Diss. Bethel 2002, 16–23. 47 Dasselbe gilt für die Erzählung Mk 2,1–12; die Ortsangabe in V. 1 ist zweifellos redaktionell, bei Lk ist die Erzählung ortlos.

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schen Anspruch«, und er folgert daraus, die Wunder seien historische Ereignisse, bis hin zu den Überlieferungen von Totenerweckungen. »Gerade ein Vergleich mit dem spät veröffentlichten Qumran-Text 4Q521 zeigt, wie Jesus hier beansprucht, dass in seinem Wirken die Erfüllung der messianischen Weissagung geschieht«, schreibt Riesner.48 Aber dieses Qumran-Fragment spricht ja nicht von Jesus, sondern es zeigt, daß das palästinische Judentum im ersten vorchristlichen Jahrhundert vom kommenden Messias Wundertaten erwartete, d. h. es bestätigt nur nochmals jenen Sachverhalt, auf den bereits D. F. Strauß hingewiesen hatte. Die Debatte um Gerd Lüdemann hatte gezeigt, daß sich die Exegese keinesfalls auf die schlichte Alternative einlassen darf, die im Neuen Testament erzählten Geschichten seien entweder »tatsächlich passiert« und also »wahr«, oder sie seien nicht »passiert« und also erlogen. Wir sollten aber auch darauf verzichten, im Zusammenhang der Wunder von »mystischer Wirklichkeit« oder von »mystischen Fakten« zu sprechen, wie es jetzt Klaus Berger tut; solche Begrifflichkeit erinnert als das »hölzerne Eisen«, das schon Ludwig Feuerbach kritisch wahrgenommen hatte.49

III. Das Verstehen einer neutestamentlichen Wundererzählung ist nicht darauf angewiesen, daß die Frage nach dem hinter der Erzählung vielleicht zu vermutenden »faktischen« Ereignis beantwortet wird; es geht vielmehr um das Verstehen des uns überlieferten Textes. Dies soll nun am Beispiel einer kurzen Auslegung von Mk 4,35–41 gezeigt werden, der Erzählung von der Stillung eines Sturms während einer Überfahrt über den See Genezareth.50 Der Vergleich mit den Textfassungen bei Mt und Lk zeigt sofort, daß Mk ausführlicher, eindringlicher erzählt, mit mehr Liebe zum Detail als die beiden anderen Evangelisten. So ist beispielsweise die kleine Notiz vom Schlaf Jesu auf

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R. Riesner, Jesus – Jüdischer Wundertäter und epiphaner Gottessohn, ZNT 7 (4. Jg. 2001) 54–58, hier: 55.57. Der Aufsatz antwortet auf den Beitrag von M. Wohlers, Jesus, der Heiler, ZNT 7, 48–53. Auch die Verklärungserzählung lasse sich auf ein historisches Ereignis zurückführen; sie »dürfte bei der Herausbildung des Bekenntnisses zur Göttlichkeit Jesu ein größere Rolle gespielt haben als angenommen wird« (Riesner, 57). Als Beleg verweist er auf 2 Petr 1,16–18. Überdies nimmt er an, in Lk 9,28–36 liege eine von Mk 9,2–8 unabhängige Sonderüberlieferung vor. 49 Vgl. K. Berger, Sind die Berichte des Neuen Testaments wahr? Ein Weg zum Verstehen der Bibel, Gütersloh 2002, für den »Wahrheit« und historische Wirklichkeit (er spricht von »besonderen Fakten«) offenbar identisch sind – nicht anders als etwa auch für Gerd Lüdemann. 50 Die folgenden Überlegungen berühren sich teilweise mit Aussagen in meinem Aufsatz: Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a. Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem (in diesem Band: 70–92, 72–75). Vgl. zur Exegese jetzt R. Strelan, A Greater Than Caesar: Storm stories in Lucan and Mark, ZNW 91 (2000) 166–179.

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dem proskefaÂlaion sowohl von Mt als auch von Lk gestrichen worden51, und beide haben auch den für sie offenbar befremdlichen Zug getilgt, daß Jesus den Wind und das (galiläische) Meer buchstäblich anredet und ihnen mit zwei Imperativen zu schweigen befiehlt (sivÂpa, pefiÂmvso). Die Erzählung folgt unmittelbar auf die vergleichsweise lange mk Gleichnisrede, ohne allerdings inhaltlich mit ihr verbunden zu sein.52 Jesus hatte am See Genezareth, am »Meer von Galiläa«, von einem Boot aus gepredigt, während die Volksmenge am Ufer stand und ihm zuhörte. Als es Abend geworden ist, gibt Jesus seinen Jüngern die Anweisung, man solle gemeinsam ans jenseitige Ufer des Sees fahren. Dabei dürfte für die unmittelbaren Leser des Mk ähnlich wie auch für uns klar gewesen sein, daß am jenseitigen Ufer »Heiden« lebten, Nichtjuden – daß es sich also um »unreines Land« handelte.53 Die Zeitangabe oÆciÂaw deÁ genomeÂnhw impliziert wohl auch die allerdings nicht explizit ausgesprochene Erwartung, daß die nun beginnende Überfahrt in der Dunkelheit eine gefährliche Aktion werden könnte. Erwähnt wird, daß sich auch andere Boote auf den Weg gemacht hätten; dies ist oft dahin gedeutet worden, daß die Insassen dieser Boote vielleicht als Augenzeugen für das Kommende zu denken seien, aber gegen diese Annahme spricht, daß man im folgenden nichts mehr von ihnen hört.54 Reinhold Zwick hat in seinem Buch »Montage im Markusevangelium« eine Text-Analyse im »Filmblick« vorgeschlagen.55 Zwar gehört Mk 4,35–41 nicht zu den von ihm für sein Verfahren herangezogenen Textbeispielen; aber sein Ansatz bewährt sich auch bei dieser Szene. Dabei kommt es jetzt vor allem darauf an, das in einem »Film« zu Sehende und den vorliegenden Text aufeinander zu beziehen und zugleich voneinander zu unterscheiden. Nach der im Text nicht ausdrücklich erwähnten, aber natürlich vorausgesetzten Abfahrt der Boote sehen wir – gleichsam in der Totale – einen Sturm aufzie51 Ein Student des Seminars (Jan Oliver Sprenger) verwies als mögliche Begründung für die Streichung gerade dieses Hinweises auf die jedenfalls bei Mt im unmittelbaren Kontext der Sturmstillungsperikope plazierte Q-Überlieferung, die Jesu Ausspruch über den Menschensohn enthält (oyÆk eÍxei poyÄ thÁn kefalhÁn kliÆnhì, Mt 8,20 par Lk 9,58). 52 Bei Mt ist der Zusammenhang ein völlig anderer, die Erzählung ist weit nach vorn gerückt worden; bei Lk besteht eine gewisse Nähe zu Gleichnissen Jesu (Lk 8,4–18/Mk 4,1–25), aber der Beginn der Erzählung in 8,22 steht in keinem Zusammenhang mit dem Vorangegangenen (eÆgeÂneto deÁ eÆn mia Äì tv Ä n hëmerv Ä n …). 53 Dies wird durch die in 5,1 beginnende Szene indirekt deutlich, in 5,20 wird es explizit ausgesprochen. Anders D.-A. Koch, Inhaltliche Gliederung und geographischer Aufriß im Markusevangelium, NTS 29 (1983) 145–166, hier: 151 f. 54 Lk wie Mt haben diesen auch ihnen offenbar unverständlichen Hinweis gestrichen. K. F. Ulrichs, »… und viele miteinander waren bei ihm.« Ein textkritischer und formgeschichtlicher Vorschlag zu Mk 4,36b, ZNW 88 (1997) 187–196 hat vorgeschlagen, der Lesart des Codex W (kaiÁ aÏma polloiÁ hËsan met’ ayÆtoyÄ) zu folgen und das überwiegend bezeugte kaiÁ aÍlla ploiÄa hËn met’ ayÆtoyÄ als Verschreibung anzusehen. 55 R. Zwick, Montage im Markusevangelium. Studien zur narrativen Organisation der ältesten Jesuserzählung (SBB 18), Stuttgart 1989.

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hen über dem See Genezareth. Wir sehen vermutlich auch, wie die Jünger in dem Boot sich abmühen, das Schiff auf Kurs zu halten, obwohl der Text auch das nicht explizit sagt. Wir sehen, wie sie das Wasser aus dem Boot schöpfen, das inzwischen anfängt vollzulaufen, wie in V. 37 ausdrücklich festgestellt wird. Jetzt (V. 38) würde eine einzelne Person ins Zentrum gerückt werden: Wir sehen Jesus, der im Heck des Schiffes auf einem Kissen ruht und seelenruhig schläft.56 Wir hören und könnten an den Gesten der Jünger wohl auch sehen, daß sie Jesus geradezu aufgebracht anschreien:oyÆ meÂlei soi oÏti aÆpollyÂmeua; »Ist es dir völlig gleichgültig, daß wir hier elend zugrundegehen?« Wir halten inne: Warum läßt Mk die Jünger einen derart massiven Vorwurf erheben? Was erwarten sie? Daß Jesus ihnen beim Wasserschöpfen helfen wird? Daß er das Boot im Sturm besser zu steuern weiß als sie selber, die doch zum großen Teil Fischer waren und die Verhältnisse kannten? Oder will der Erzähler andeuten, daß die Jünger irgendwie mit einer Wundertat Jesu rechneten?57 Dies Ä son. aÆpollyÂmeua ist der Sinn der Jünger-Worte in der Mt-Fassung (kyÂrie, sv »Herr, rette, wir gehen zugrunde«, Mt 8,25) und auch bei Lk klingen die Worte eher wie ein Hilferuf und jedenfalls nicht als Vorwurf (eÆpistaÂta, eÆpistaÂta. aÆpollyÂmeua »Meister, Meister, wir gehen zugrunde«, Lk 8,24). In der Mk-Erzählung dagegen muß die Frage, wie die Worte der Jünger »gemeint« sein könnten, letztlich unbeantwortet bleiben; als Bitte um ein Wunder wären sie jedenfalls höchst eigenartig formuliert. Kehren wir zum »Filmblick« zurück: Jesus, nun wohl allein im Bild, wird wach (diergeueiÂw). Und nun geschieht etwas höchst Merkwürdiges: Er spricht; er gibt Befehle in wörtlicher Rede. Es sind nur zwei Worte: sivÂpa, pefiÂmvso »Schweig! Verstumme!« Die Frage drängt sich auf: Ist Jesus verrückt geworden? Mit wem redet er? Er spricht, wie in V. 39 einleitend ausdrücklich festgestellt Äì aÆneÂmvì kaiÁ eiËpen th Äì uawird, mit dem Wind und dem »Meer« (eÆpetiÂmhsen tv laÂsshì). Im Film würden wir allerdings nur sehen, daß Jesus buchstäblich »in den Wind« redet; wir würden aber auch sehen, daß sich der Sturm sofort legt und daß insbesondere das Wasser des Sees sogleich ruhig daliegt. Halten wir nochmals inne: Bis zu diesem Punkt handelte es sich anscheinend um den Bericht von einer ganz normalen, wenn auch unter sehr ungünstigen Umständen stattfindenden Überfahrt über den See Genezareth. Nun aber wird deutlich, daß in Wahrheit von etwas ganz Außerordentlichem die Rede ist. Dabei wäre es sinnlos, das Geschehen irgendwie »erklären« zu wollen; denn zwar mag es noch vorstellbar sein, daß der Sturm plötzlich abflaut, ganz von selber. Aber die Wellen des Sees würden in jedem Fall noch geraume Zeit weitertoben, denn so 56 Es ist bemerkenswert, daß der Hinweis auf Jesu Schlaf im Heck des Schiffes erst spät erfolgt; Lk hat ihn nach vorn gezogen (8,23), offenbar um den Eindruck zu vermeiden, Jesus sei erst nach dem Aufkommen des Sturms eingeschlafen. 57 D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 1987, 97: In dem Ruf der Jünger in V. 38b ist vorausgesetzt, »daß nicht sie, wohl aber er die Not wenden kann«.

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schnell beruhigt sich das Wasser eines solchen Sees nicht. Mk aber schreibt: Es trat eine »große Stille« ein, und dabei entspricht der Begriff galhÂnh megaÂlh am Ende von V. 39 dem Syntagma »ein großer Wirbelsturm« (laiÄlac megaÂlh aÆneÂmoy) zuvor in V. 3758; dieses für das Verständnis wichtige Element ist aber nur im erzählten bzw. geschriebenen Text wahrnehmbar, nicht jedoch im Film – und das gilt auch dann, wenn wir nicht einen fiktionalen Spielfilm, sondern einen die Realität abbildenden Dokumentarfilm zu sehen bekämen. Der Film würde nun zeigen, wie Jesus sich zu den Jüngern umwendet und sie fragt, warum sie so furchtsam sind: »Habt ihr noch keinen Glauben?«59 Jesus sagt am Ende von Therapien gelegentlich zu den Geheilten: »Dein Glaube hat dich gerettet«, d. h. Wunder und Glaube scheinen eng zusammenzugehören. Aber bei Mk ist diese Wendung nur selten belegt60, und bisher war sie noch gar nicht gebraucht worden. Lediglich in der Erzählung vom Gelähmten in Mk 2,1–12 hatte es im Kommentar des Erzählers geheißen: »Da Jesus ihren Glauben sah, spricht er …« (2,5), wobei nicht deutlich ist, ob vom Glauben aller Beteiligten oder allein von der piÂstiw derer gesprochen ist, die den Gelähmten unter Überwindung aller Widerstände zu Jesus gebracht hatten. Hier in Mk 4 wäre jedenfalls das Gegenteil der Fall: Jesus konstatiert, daß die Jünger noch keinen Glauben haben, und dennoch tat er das rettende Wunder. Die Filmszene würde damit enden, daß die Jünger sich fragen, mit wem sie es eigentlich zu tun haben. »Wer ist dieser, daß ihm der Sturm und das Meer gehorchen?« Wieder bietet der geschriebene Text eine wesentliche weitere Information, die im Film nicht transportierbar wäre: Die Jünger stellen ihre Frage, nachdem, wie der Erzähler ausdrücklich feststellt, »große Furcht« über sie gekommen war (eÆfobhÂuhsan foÂbon meÂgan).61 Diese erläuternde Bemerkung macht deutlich, daß die Jünger auf eine Epiphanie reagieren.62 Dann aber hat, wie Dieter Lührmann feststellt, ihre Frage »Wer ist dieser?«63 tatsächlich etwas Zweideutiges

58 In der Mt- und in der Lk-Fassung ist diese Korrespondenz der Begriffe nicht erhalten geblieben. 59 Auch hier haben Mt (ti deiloi eÆste, oÆligo  pistoi;) und Lk (poyÄ hë piÂstiw yëmv Ä n;) erheblich korrigiert, weil sie von der noch fehlenden piÂstiw der Jünger offensichtlich nicht sprechen wollten. 60 Sie findet sich bei Mk lediglich in 5,34 und 10,52. Lk verwendet sie zusätzlich in 7,50, außerhalb einer Wundererzählung sowie in 17,19. Mt hat sie in der Parallele zu Mk 10,52 getilgt, möglicherweise deshalb, weil er von zwei Blinden spricht, die geheilt wurden. 61 Diese »große Furcht« ist also etwas grundsätzlich anderes als die »Feigheit«, die Jesus ihnen vorgeworfen hatte (ti deiloi eÆste oyÏtvw;). 62 Lührmann, Markusevangelium (s. Anm 57), 97: »Dem Wind und Meer gehorchen, ist an sich nur Gott selber (vgl. Ps 89,10).« 63 Mt wie Lk sprechen gegen Mk davon, daß sich die Jünger (bzw. bei Mt: »die Menschen«) »gewundert« hätten (eÆuayÂmasan), wobei Mt das Motiv des foÂbow ganz gestrichen hat. Lk hat die Frage tiÂw aÍra oyÎtoÂw eÆstin; wörtlich von Mk übernommen, Mt dagegen schreibt: potapoÂw eÆstin

oyÎtow;

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an sich: Angesichts des Geschehenen hätten die Jünger ja gerade wissen müssen, mit wem sie es zu tun haben.64 In der Auslegung mk Wundererzählungen wird oft auf die Schweigegebote und das mit ihnen verknüpfte »Messiasgeheimnis« hingewiesen. Es ist daher durchaus erwähnenswert, daß die Sturmstillungsperikope ein solches Schweigegebot nicht enthält; dabei hätte es doch bei dieser Erzählung unmittelbar nahegelegen, daß Jesus den Jüngern am Ende sagt, sie sollten niemandem von dem Geschehenen berichten. Die Erzählung endet mit dem typisch markinischen Jüngerunverständnis, während wir als Leserinnen und Leser der Erzählung im Gegenteil die Frage »Wer ist dieser?« zu beantworten wissen, weil wir das Markusevangelium im ganzen kennen. Im übrigen ist mit dieser die Erzählung abschließenden, in gewisser Weise »offenen« Frage das Interesse des Erzählers an der Schiffsreise erloschen. In 5,1 wird nur noch die Ankunft am jenseitigen Ufer des Sees notiert. Man kann die Erzählung von der Sturmstillung durchaus als ein »Naturwunder« lesen65, denn es wird erzählt, daß Jesus den Naturgewalten gebietet und deshalb das von den Jüngern befürchtete Ereignis, der Untergang des Schiffes samt seiner Besatzung, nicht geschieht. Man kann die Erzählung natürlich auch als ein »Rettungswunder« verstehen; denn das Entscheidende, wovon erzählt wird, ist ja, daß Menschen aus höchster Gefahr gerettet wurden, und daß dies auf »wunderbare« Weise geschah und nicht etwa dadurch, daß Jesus den Jüngern Mut machte und sie nun eine Problemlösung fanden, die ihnen vorher nicht eingefallen war. Man kann in der Erzählung auch ein Beispiel für dı´e Gattung der »Epiphanie« sehen, nicht nur wegen des Hinweises auf die Furcht und wegen der abschließenden Frage der Jünger, sondern insbesondere auch aufgrund der biblischen Parallele vor allem in Ps 107.66 Allerdings bliebe gerade bei dieser Deutung offen, ob Jesus in der Erzählung als der gleichsam stellvertretend für Gott Handelnde gesehen wird; vor allem fehlt auch jedes Indiz dafür, daß dem Erzähler die Nähe zu Ps 107 bewußt war. 64

Lührmann (s. Anm 52) ebenda. So ja die Zuordnung bei R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (FRLANT 29), Göttingen 51961, 230. 66 Es heißt in Ps 107,23–32: » Die mit Schiffen auf dem Meere fuhren und trieben ihren Handel auf großen Wassern, die des Herrn Werke erfahren haben und seine Wunder auf dem Meer, wenn er sprach und einen Sturmwind erregte, der die Wellen erhob, und sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund sanken, daß ihre Seele vor Angst verzagte, daß sie taumelten und wankten wie ein Trunkener und wußten keinen Rat mehr, die dann zum Herrn schrien in ihrer Not, und er führte sie aus ihren Ängsten und stillte das Ungewitter, daß die Wellen sich legten und sie froh wurden, daß es still geworden war und er sie zum erwünschten Lande brachte«, und es wird dann abschließend in V. 31 f. gesagt: »Die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut, und ihn in der Gemeinde preisen und bei den Alten rühmen.« Zu einigen Aussagen gib es deutliche Übereinstimmungen mit dem LXX-Text von Ps 106; vgl. etwa V. 23 (oië katabaiÂnontew eiÆw thÁn uaÂlassan eÆn ploiÂoiw), V. 28 (kaiÁ eÆkeÂkrajan proÁw kyÂrion), V. 29 (kaiÁ eÆpeÂtajen thÄì kataigiÂdi kaiÁ eÍsth eiÆw ayÍran kaiÁ eÆsiÂghsan taÁ kyÂmata ayÆthÄw). 65

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Für das Verständnis dieser Erzählung kann es nicht darauf ankommen, darüber zu entscheiden, ob das Erzählte »wirklich passiert« ist. Die Erzählung darf jedenfalls nicht auf ein ihr vermutungsweise zugrundeliegendes Faktum reduziert werden – so, als gäbe es einen historischen Kern, um den sich dann die literarisch gestaltete Erzählung wie eine »Schale« herumgelegt hätte. Es kommt vielmehr darauf an, die erzählte Geschichte in allen ihren literarischen Details als Zeugnis des Glaubens an Jesus ernstzunehmen – als die Geschichte von Menschen, deren Leben durch Naturgewalten bedroht ist und denen von Jesus geholfen wird.

IV. Gelegentlich wird die Frage gestellt, ob man »an Wunder glauben« darf.67 Diese Frage ist falsch gestellt, zumindest aber unglücklich formuliert. Wer etwas erlebt hat, das er oder sie als Wunder wahrgenommen hat, wird mit dieser Erfahrung auch in seinen Berichten von dem Geschehenen so umgehen, daß der Wundercharakter bewahrt bleibt – völlig unabhängig davon, ob eine ›rationale‹ Erklärung möglich ist oder nicht. Wenn beispielsweise ein Mensch in einer lebensbedrohlichen Situation geistesgegenwärtig reagiert, so ist das nicht unerklärlich, und dennoch kann ein solches Handeln das Gefühl der Dankbarkeit – auch gegen Gott – auslösen. Wer Heilung von schwerer Krankheit erfährt, darf von einem Wunder sprechen, auch wenn bei der Operation oder bei der Therapie alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Es dürfte ein Mißverständnis sein, wenn man meint nur dann von einem Wunder sprechen zu dürfen, wenn etwas anscheinend absolut Unerklärliches geschehen ist. Andererseits ist klar, daß das Bemühen um das Verstehen der neutestamentlichen Wundererzählungen, insbesondere auch im Zusammenhang der Verkündigung des Glaubens, nicht hinter die seit der Aufklärung gewonnenen Einsichten zurückkehren kann bzw. daß es sich zumindest den damals aufgeworfenen kritischen Fragen stellen muß. Die Erzählung von der Sturmstillung ist zweifellos ein extremes Beispiel – und so haben die Evangelisten sie ja auch aufgefaßt, insofern die Jünger in allen drei Textfassungen die Frage stellen »Wer ist dieser?«,

67 Vgl. K. Berger, Darf man an Wunder glauben?, Stuttgart 1996. Berger antwortet (169 f.), Wunder sollten nicht im fundamentalistischen Sinne »wörtlich genommen« werden, aber auch nicht »vergeistigt und moralisiert«; vielmehr sei ein »dritter Weg« zu gehen: »,mythisch-mystisches Wahrnehmen und Erleben«. Zu unterscheiden sei zwischen »harten« und »weichen« Fakten, wobei letztere solche seien, »die wir heute in der Regel weder erfahren noch experimentell herstellen können, da sie dem Raster unserer alltäglichen Wirklichkeit entgehen. Die zentrale These ist, daß Wunder als ›Heilung vom Heiligen‹ her zu verstehen und auch aktuell sind. Denn da Gott in Jesus gegenwärtig ist, kann er Kranken oder Toten befehlen, als seien sie lebendig: Die Unterschiede sind vor ihm verschwunden.«

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insofern also dem erzählten Geschehen Offenbarungscharakter zuerkannt wird. In den meisten anderen neutestamentlichen Wundererzählungen geht es um Heilungen bzw. Exorzismen, d. h. um Jesu helfendes Handeln für Menschen, die an einer körperlichen oder seelischen Behinderung leiden, oder um Heilung von chronischer Krankheit. Dabei handelt Jesus in diesen Erzählungen in der Regel nicht als Arzt, der lediglich schneller und zuverlässiger heilt als andere das zu tun vermögen; die einzige Ausnahme ist die Heilung der Schwiegermutter des Petrus vom Fieber. Alle Wundererzählungen der synoptischen Tradition sind davon bestimmt, daß etwas in Ordnung gebracht wird, was grundsätzlich in Unordnung geraten war. So werden in den Totenerweckungsgeschichten nicht Menschen wieder ins Leben zurückgebracht, die »alt und lebenssatt« gestorben waren, sondern es sind jung, also »unzeitig« verstorbene Menschen – die Tochter des Jairus oder der einzige Sohn einer Witwe. Es bekommt niemand Siebenmeilenstiefel geschenkt; aber Gelähmte erhalten die Fähigkeit, zu gehen. Niemand wird zu einem Muster an seelischer Ausgeglichenheit gemacht, aber Besessene werden von jenen bösen Mächten befreit, von denen sie bislang beherrscht worden waren. Die Krankheiten, von denen Menschen geheilt werden, sind sehr konkret, medizinisch in der Regel durchaus diagnostizierbar und jedenfalls in der Erfahrungswelt der Textadressaten bekannt – vom Fieber bis hin zur Epilepsie68; man weiß, was es bedeutet, von solchen Krankheiten befreit zu werden. Analoges gilt für die Sturmstillungserzählung: Jesus sorgt nicht dafür, daß seine Jünger ohne Anstrengung über den See Genezareth rudern können; aber er besänftigt den Sturm, in dem das Boot zu kentern droht, und so kann die begonnene Reise gefahrlos fortgesetzt werden. Es gibt allerdings Ausnahmen. Die Speisung der Fünftausend in Mk 6,30–44 ist auf den ersten Blick offenbar ein »Geschenkwunder«, also eine Erzählung, die die Erfahrung des Hungers reflektiert. Aber bei näherem Hinsehen rückt die Szene eher in die Nähe eines Schauwunders, denn es wird mit keinem Wort angedeutet, daß die fünftausend Männer (6,44) sich in einer Notlage befunden hatten; die Jünger weisen im Gegenteil ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, daß man in der Nachbarschaft Brot kaufen könne.69 In der Lazarus-Erzählung in Joh 11 wird das Wunderhafte »vor allem dadurch aufs Äußerste gesteigert, daß der Wundertäter, statt unmittelbar zur Überwindung der Notlage zu schreiten, diese zunächst noch entscheidend verschärft!«70 Derartige Erzählungen dienen in erster Linie offenbar nicht dazu, Jesus als Helfer für Menschen in Not zu be68 Vgl. vor allem M. Wohlers, Heilige Krankheit. Epilepsie in antiker Medizin, Astrologie und Religion (MThSt 57) Marburg 1997, ferner Suk (s. Anm 46) 108–118 zu Mk 9,14–29 sowie meinen Aufsatz: Jesus und das epilepsiekranke Kind (in diesem Band: 93–108). 69 Mk 6,36 und die Parallelen. In der Joh-Fassung wird dieser Aspekt sogar betont (Joh 6,5 f.). 70 Chr. Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21 (WUNT II/69), Tübingen 1994, 208.

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schreiben, sondern sie sollen Jesu Herrlichkeit sinnfällig vor Augen führen. Daß ein Wunder geradezu die Funktion haben kann, Jesu Vollmacht auf einem ganz anderen Gebiet zu beweisen, zeigt die Erzählung von der Heilung des Gelähmten in Mk 2,1–12. Die Frage, die Jesus in V. 9 den sein Sündenvergebungswort kritisierenden Schriftgelehrten stellt (»Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: deine Sünden werden vergeben, oder zu sagen: steh auf, und nimm dein Bett und geh umher?«), ist ja durchaus keine unbeantwortbare »Vexierfrage«, sondern sie wird von Jesus selber in V. 10 entsprechend dem Schlußverfahren »Leichtes und Schweres« (qal wachomer) beantwortet: Wenn der Gelähmte auf Jesu Wort hin aufzustehen und zu gehen vermag, dann ist erwiesen, daß Jesus die Vollmacht besitzt, auf Erden Sünden zu vergeben. Jesus sagt gelegentlich im Anschluß an ein Wunder: »Dein Glaube hat dich gerettet.«71 Ist daraus im Umkehrschluß zu folgern, daß jene, denen in Krankheit und in Gefahr kein Wunder widerfährt, nur nicht genügend Glauben haben? Sind Menschen, die behindert sind und dies auch bleiben, nur nicht »glaubensstark« genug? Haben Menschen, die mit ihrem Schiff im Sturm vom Meer verschlungen wurden, nur nicht genügend »Glauben« gehabt? Wenn, wie oft gesagt wird, durch das Wunder Gottes beschädigte Schöpfung wiederhergestellt wird, heißt das dann, daß Behinderte nicht zu dieser Schöpfung gehören? Die Wundererzählungen bringen zum Ausdruck, daß chronisch kranke oder behinderte Menschen Geschöpfe Gottes sind. Der Jesus der Evangelien wendet sich ihnen zu, und er sieht in ihrer Behinderung jedenfalls nicht Gottes Antwort auf eine menschliche Verfehlung. Der Sturm, der die Menschen bei ihrer Fahrt über den See Genezareth gefährdet, ist eine natürliche Macht, nicht etwa eine Strafe Gottes. Die Wundererzählungen der Evangelien dürften mit dazu beigetragen haben, daß die Christen schon in der Antike Krankenpflege praktizierten. So vermochten sie zu zeigen, daß Gott sich von den Kranken nicht abgewandt hatte. Ein Indiz dafür sind schon die kleinen summarischen Notizen über die Heilungstätigkeit der Jünger in den Aussendungsreden der Evangelien.72 Die Kranken sind keine Ausgestoßenen, sondern sie gehören zur Schöpfung, sie sind Teil der Gesellschaft. Dies wird etwa deutlich in der Erzählung von der Heilung des Aussätzigen (Mk 1,40–45). Aussätzige galten, ähnlich wie die am Blutfluß leidende Frau, als kultisch unrein. Jesus begegnet einem solchen Menschen, der ihn um Heilung bittet. Nun hätte erzählt werden können, daß Jesus ihn allein durch sein Wort geheilt hat – es gibt viele Wundererzählungen, in denen Jesus nur spricht. Aber in dieser Erzählung wird ausdrücklich gesagt, daß Jesus den Aussätzigen 71 Bei Mk begegnet diese Wendung nur in 5,34 und 10,52, bei Lk außer an den Parallelstellen zusätzlich in 17,19 sowie am Ende der Salbungserzählung in 7,50, ohne daß ein Wunder vorangegangen wäre. Mt hat die Wendung nur in der Parallele zu Mk 5,34 übernommen (Mt 9,22). 72 Dabei ist bemerkenswert, daß zwar in der Apostelgeschichte, nicht aber in den Evangelien von Wundertaten der Jünger erzählt wird.

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berührt, d. h. die religiöse Norm wird durchbrochen, und dies ist bedeutsam – völlig unabhängig davon, ob es sich wahrscheinlich machen läßt, daß die Erzählung auf ein »tatsächlich geschehenes« Ereignis zurückgeht, oder ob wir anzunehmen haben, daß ein Erzähler sein Verständnis Jesu in die Form einer solchen Geschichte gekleidet hat. Hat Jesus »tatsächlich« Wunder getan? Es ist historisch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß Jesus die Gabe besaß, Menschen zu heilen oder sie von, wie es Markus formuliert, »unreinen Geistern«, also von »Besessenheit« zu befreien. Sollte das Q-Logion in Lk 11,20/Mt 12,28 authentisch sein, dann hätte Jesus in seinen Exorzismen, also im Sieg über die Dämonen, schon die Verwirklichung der Herrschaft Gottes gesehen. Es fällt allerdings auf, daß die Wundererzählungen diesen Akzent nicht enthalten, d. h. sie sind offensichtlich nicht eschatologisch bestimmt, sondern sie zielen auf die gegenwärtige Wirklichkeit. Sie mögen durchaus einen Anhalt an dem haben, was Jesus getan hat; aber es geht in ihnen nicht um das, was vor dreißig oder auch vor zweitausend Jahren geschehen ist. Die Wundererzählungen ermutigen zur Wahrnehmung der Wirklichkeit und angesichts dieser Wirklichkeit zum Vertrauen auf Jesus, indem sie davon erzählen, wie Jesus in ausweglosen Lebenslagen, in Leid und Schmerz geholfen hat. Die Wirklichkeit kommt in den Wundererzählungen insofern zur Sprache, als jenes Leid und jene Schmerzen in der Erfahrung der Menschen vorkommen; wer diese Erzählungen hört oder liest, darf sich in jenen Menschen wiederentdecken, denen das Wunder widerfahren war. Dazu laden diese Erzählungen, gerade in der Vielfalt und Buntheit der erzählten Geschehnisse, ein.

Jesus, Israel und die Völker Zum Jesusbild der neutestamentlichen Evangelien* Die christliche Kirche beruft sich auf Jesus von Nazareth. Christen, Menschen aus dem Volk Israel und Menschen aus »den Völkern«, bekennen sich zu Jesus als dem Christus; dabei wissen sie, dass Jesus selber kein »Christ« war1, sondern dass er ganz in das galiläische bzw. judäische Judentum des 1. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung gehörte. Jesus predigte von der nahen Gottesherrschaft, und vermutlich war er auch mit exorzistischen Fähigkeiten begabt.2 In der Überlieferung gibt es zumindest an einer Stelle einen direkten Zusammenhang zwischen der Reich-Gottes-Verkündigung und der Wundertätigkeit Jesu: »Wenn ich mit dem Finger (Mt: Geist) Gottes die Dämonen austreibe, ist die Gottesherrschaft zu euch gelangt« (Lk 11,20/Mt 12,28 Q). Der Sieg über gottfeindliche dämonische Mächte wird hier verstanden als Zeichen des bereits gegenwärtigen Herrschens Gottes.3 Jesu Leben endete mit seiner Kreuzigung vor den Toren Jerusalems. Wie die Art der Hinrichtung zeigt, war die römische Behörde in Judäa für das Todesurteil

* Dieser Aufsatz geht auf eine am 26. 6. 2008 in der Universität Augsburg gehaltene Gastvorlesung zurück. 1 Der vielfach kritisierte erste Satz in Bultmanns Theologie des Neuen Testaments: »Die Verkündigung Jesu gehört zu den Voraussetzungen der Theologie des NT und ist nicht ein Teil dieser selbst« (R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 41961, 1) bringt insoweit nur eine selbstverständliche Feststellung zum Ausdruck. Vgl. auch R. Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen (1949), rde 157/158, o. O. 1962, 67: »In den Rahmen der jüdischen Religion gehört auch die Verkündigung Jesu. Jesus war kein ›Christ‹, sondern ein Jude, und seine Predigt bewegt sich im Anschauungskreis und in der Begriffswelt des Judentums, auch wo sie im Gegensatz zu der traditionellen jüdischen Religion steht.« 2 Es dürfte freilich kaum möglich sein, einzelne Exorzismuserzählungen für »historisch« zu erklären. 3 Zu dem nicht zu übersehenden »Gewaltaspekt« der Exorzismen vgl. A. Lindemann, Gewaltfrei? Zum Jesusbild der Evangelien, in: F. Schweitzer (Hg.), Religion, Politik und Gewalt. Kongressband des XII. Europäischen Kongresses für Theologie 18.–22. September 2005 in Berlin (VWGTh 29), Gütersloh 2006, 440–469. Dass Jesu Rede von der Herrschaft Gottes »politisch« gemeint war, dass sie womöglich als unmittelbarer Angriff auf die bestehende Herrschaft des Herodes Antipas in Galiläa oder als Akt des Widerstands gegen die römische Herrschaft in Judäa verstanden werden konnte oder sollte, lassen die Quellen nicht erkennen; vgl. K. H. Ostmeyer, Armenhaus und Räuberhöhle? Galiläa zur Zeit Jesu, ZNW 96 (2005) 147–170.

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verantwortlich4; der entscheidende Anstoß dazu dürfte aber eher religiös als politisch motiviert gewesen sein, d. h. die Initiative ging vermutlich vom Synedrium oder von einzelnen seiner Mitglieder aus.5 Bald nach Jesu Tod wurde behauptet, der Gekreuzigte sei von Gott auferweckt und von seinen Jüngern, zunächst insbesondere von Petrus und von einigen Frauen6, »gesehen« worden.7 Ob es in Jesu Leben Züge gegeben hatte, die die Entstehung des Glaubens an seine Auferweckung begünstigten oder einen solchen Glauben gar als »plausibel« erscheinen lassen konnten, können wir nicht sagen; jede Antwort auf diese Frage unterliegt dem Verdacht psychologischer Spekulation.8 Die »österliche« Verkündigung geschah zunächst innerhalb des Volkes Israel; aber relativ bald entstand die Vorstellung, dass Jesu Leben, Sterben und Auferstehen für alle Menschen Bedeutung habe, für Juden gleichermaßen wie für Menschen aus den »Völkern«, d. h. es entwickelte sich die »Heidenmission«. Welche 4 Der politisch zu deutende Begriff basiley  w als Bezeichnung für Jesus begegnet erstmals in der Passionserzählung (Mk 15,2); Pilatus richtet an Jesus völlig unvermittelt die Frage: syÁ eiË oë basileyÁw tv Ä n ÆIoydaiÂvn; was Jesus dann bejaht (syÁ leÂgeiw), was von Pilatus als »staatsgefährdend« eingeschätzt werden konnte. Vgl. A. Lindemann, Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas. Erwägungen zum Verhältnis von Bekenntnis und historischer Erkenntnis in der neutestamentlichen Christologie, in: J. Schröter/R. Brucker, (Hg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW 114), Berlin 2002, 429–461, hier 434 f. 5 Es besteht eine gewisse Spannung zwischen der Schilderung der nächtlichen Zusammenkunft (Mk 14,53: aÆphÂgagon toÁn ÆIhsoyÄn proÁw toÁn aÆrxiereÂa, kaiÁ syneÂrxontai paÂntew oië aÆrxiereiÄw kaiÁ oië presbyÂteroi kaiÁ oië grammateiÄw) und der stärker »offiziell« wirkenden Notiz über das symboyÂÄn lion am folgenden frühen Morgen (Mk 15,1: prviÈÁ symboyÂlion poihÂsantew oië aÆrxiereiÄw metaÁ tv presbyteÂrvn kaiÁ grammateÂvn kaiÁ oÏlon toÁ syneÂdrion). 6 Die von Jesu Auferweckung sprechenden frühen »Formeln« (1 Kor 15,5; Lk 24,34) sprechen von einer Ersterscheinung vor Petrus bzw. Kephas, die beiden Erzählungen, die die Auffindung des leeren Grabes mit einer Erscheinung des Auferstandenen verbinden, nennen stattdessen Maria Magdalena (so Joh 20,14–18) bzw. Maria Magdalena »und die andere Maria« (so Mt 28,9). Von der Ersterscheinung vor Petrus wird niemals erzählt. 7 Die Angabe »nach drei Tagen« bzw. »am dritten Tag« verdankt sich möglicherweise der Aussage in Hos 6,2. 8 J. Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons (WUNT 204), Tübingen 2007, 145 betont, die Aussagen der Evangelien über Jesu Worte und Wirken seien »ernst zu nehmen, denn sie stellen diejenigen Informationen dar, auf deren Grundlage ein Bild der Person Jesu zu erstellen ist«. Wenn er dann hinzufügt: »Auf diese Weise kann dann auch historisch plausibel gemacht werden, wie es zur Auffassung, Jesus sei der Gesalbte Gottes, kommen konnte«, so scheint mir diese Folgerung zumindest problematisch zu sein. U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen 2007, 147 spricht hinsichtlich der Entstehung der Christologie »von einer wirkungsgeschichtlichen Plausibilität in personaler und sachlicher Hinsicht«, denn es gebe »keine Gestalt der Antike, die einen vergleichbaren Anspruch gestellt und eine vergleichbare Wirkung erzielt hätte wie Jesus von Nazareth«. (Hervorhebungen im Original). Aber einen »vergleichbaren Anspruch« haben auch andere Menschen erhoben, und die »Wirkung« des irdischen Jesus war durchaus nicht eine »unvergleichliche«. Die Entstehung des Osterglaubens läßt sich nicht »plausibel« machen; vgl. dazu auch A. Lindemann, Auferstehung. Gedanken zur biblischen Überlieferung, Göttingen 2009.

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Konsequenzen hatte diese historische Entwicklung für das in der christlichen Tradition erkennbare Bild des Juden Jesus?9 Dieser Frage soll im folgenden in einer Skizze nachgegangen werden.

I. Es ist überaus wahrscheinlich, dass sich bei der Überlieferung von Worten und Taten Jesu von Anfang an »Historisches« mit »Legendarischem« vermischte, ohne dass jedoch für die Tradenten eine strenge Unterscheidung von Belang gewesen wäre. Dies führte bisweilen zu der These, die Frage nach dem »historischen« Jesus sei angesichts der unsicheren Quellenlage von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber schon Rudolf Bultmann, dem diese Position nicht selten zugewiesen wird, hatte in seinem Jesus-Buch10 die historische Frage nach Jesus keineswegs für »unbeantwortbar« oder für »irrelevant« erklärt; wohl aber hatte er betont, es sei nicht möglich, »das geschichtliche Phänomen Jesus psychologisch verständlich zu machen«.11 Bultmann war der Überzeugung, wir könnten »vom Leben und von der Persönlichkeit Jesu so gut wie nichts mehr wissen …, da die christlichen Quellen sich dafür nicht interessiert haben«.12 Von Jesu Verkündigung und Lehre hingegen sei durchaus »ein zusammenhängendes Bild« möglich13, und deshalb beschränkte sich die Darstellung in seinem JesusBuch im wesentlichen auf diesen Aspekt. Ernst Käsemann warf in einem 1953 bei der Tagung der »Alten Marburger« gehaltenen Vortrag das Problem des historischen Jesus neu auf. Die von Käsemann registrierte »Verlegenheit der kritischen Forschung« geht, so meinte er, darauf zurück, »daß die historische Glaubwürdigkeit der synoptischen Tradition auf der ganzen Linie zweifelhaft geworden ist, wir jedoch für die Herausstellung authentischen Jesusgutes weithin noch einer wesentlichen Voraussetzung, näm9 In neuerer Zeit wurden dazu zwei wichtige Monographien erarbeitet: F. Wilk, Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker (BZNW 109), Berlin/New York 2002, sowie M. Konradt, Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium (WUNT 215), Tübingen 2007. Zu beiden Büchern nehme ich im folgenden vielfach Stellung. 10 Vgl. die Beiträge in dem Band U. H. J. Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen-Vluyn 22006. 11 R. Bultmann, Jesus, Berlin o. J. (1926), 10; die von ihm gebotene Darstellung lasse sich deshalb »auf das eigentlich Biographische, von einem kurzen orientierenden Abschnitt abgesehen, überhaupt nicht ein«. 12 Bultmann, Jesus, 12. Dies gelte insbesondere auch für die Frage, ob sich Jesus für den Messias gehalten hat oder nicht. Bedenke man, »daß es doch wahrhaftig keine Kleinigkeit wäre, sich für den Messias zu halten, … so muß man doch gestehen: wenn über diesen Punkt Dunkel herrscht, so bedeutet das eben, daß wir so gut wie nichts über seine Persönlichkeit wissen«. Bultmann vermutet, Jesus habe sich nicht als der Messias gesehen, doch er betont, er halte »die Frage für nebensächlich« (13). 13 Bultmann, Jesus, 15.

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lich des Überblicks über das älteste urchristliche Stadium, und fast gänzlich ausreichender und stichhaltiger Kriterien ermangeln«. Dieser Feststellung folgte als kurze Erläuterung der später oft zitierte Satz: »Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat.« Käsemann fügte hinzu, man müsse sich dabei dessen bewußt sein, »daß man von hier aus keine Klarheit über das erhält, was Jesus mit seiner palästinischen Umwelt und seiner späteren Gemeinde verbunden hat«.14 Das hier von Käsemann beschriebene, erst später so genannte »Differenzkriterium« sollte also dazu dienen, auf einem methodisch möglichst gesicherten Wege authentische Jesusüberlieferung rekonstruieren zu können. Als »echt«, so formulierte es Hans Conzelmann, ist »anzusehen, was sich weder in das jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen der späteren Gemeinde«.15 Dem haben Gerd Theißen und Annette Merz widersprochen: Das Differenzkriterium sei »verkappte Dogmatik«, insofern es »Jesu Einzigkeit und Unableitbarkeit« voraussetze; es führe zu einer »Verzerrung der Geschichte«, weil das, was Jesus mit dem Judentum und mit dem Urchristentum verbinde, »unterschlagen oder gering bewertet« werde.16 Nun hat aber die Frage nach der »Differenz« keine »dogmatischen« Ursachen, sondern sie ergibt sich einfach aus der Quellenlage: Wenn ich wissen will, welche »Jesusworte« in den Evangelien im historischen Sinne wirklich auf Jesus zurückgehen, so muß ich zuerst benennen können, worin sich das ihm Zugeschriebene von dem unterscheidet, was auch seine Zeitgenossen hätten sagen können, und wo andererseits eine Differenz besteht zwischen Worten Jesu und dem, was später unter seinem Namen gesagt wurde.17 Theißen und Merz verweisen zu Recht darauf, dass »negative historische Allgemeinaussagen … kaum verifizierbar« sind, »da wir nicht alle Quellen kennen können, sondern nur eine zufällige Auswahl erhalten ist«. Sie plädieren deshalb für »das historische Plausibilitätskriterium«, das »mit Wirkungen Jesu auf das Urchristentum und seiner Einbindung in einen jüdischen Kontext« rech14 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen (I), Göttingen 1964, 187–214, hier: 205. Schon Bultmann hatte eine solche doppelte Differenz hervorgehoben im Blick auf die Frage, welche Gleichnisse möglicherweise als »echt« anzusehen seien (vgl. R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition [FRLANT 29], Göttingen 21931 [101995], 222). 15 H. Conzelmann, Art. Jesus Christus, RGG3 III, 1959, 623. Nach G. Theissen/A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996, 117 ist dies »die klassisch gewordene Formulierung«. 16 Theissen/Merz ebd. 17 Inwiefern die in dieser Weise methodisch kontrollierte Frage nach Jesus »z. B. die Entstehung eines antijüdischen Jesusbildes« begünstigt haben könnte (so Theissen/Merz ebd.), kann hier nicht untersucht werden.

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net; als historisch soll das gelten, »was sich als Auswirkung Jesu begreifen läßt und gleichzeitig nur in einem jüdischen Kontext entstanden sein kann«.18 Darin liegt nun freilich ein methodischer Zirkel; denn die Aussage »Historisch ist in den Quellen das, was sich als Auswirkung Jesu begreifen läßt« setzt voraus, wonach doch erst gefragt werden soll: Woher weiß ich denn, welche Überlieferungen sich als »Auswirkung Jesu« begreifen lassen und nicht als Auswirkung anderer Tradition? Ich muß zuerst zu bestimmen versuchen, ob eine auf Jesus zurückgeführte Tradition tatsächlich im historischen Sinne »authentisch« ist oder ob sie erst nachträglich auf Jesus übertragen bzw. Jesus zugewiesen wurde.19 In der neuesten Jesusforschung wird gefragt, ob es überhaupt möglich ist, aus Texten die historische Wirklichkeit zu rekonstruieren. Ist nicht jeder Versuch der Rekonstruktion von Vergangenheit letztlich ein Akt der Konstruktion und insofern auch ein Stück Fiktion?20 Die uns bekannte Jesusüberlieferung verdankt sich ja nicht der Erinnerung »neutraler« oder gar »objektiver« Zeitgenossen, sondern sie geht auf jene zurück, die an die Auferweckung Jesu glaubten; die Jesustradition wurde also offensichtlich von vornherein in »österlichem Licht« gesehen. Natürlich wäre auch eine »nicht-österliche« Jesusüberlieferung nicht »neutral« oder »objektiv« gewesen; aber da wir eine solche gar nicht kennen, fehlen uns die Vergleichsmöglichkeiten. Immerhin zeigen die kurzen Notizen bei Flavius Josephus und bei Tacitus, dass gegen Ende des 1. bzw. zu Beginn des 2. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung offenbar kein Historiker auf die Idee kam, Jesu historische Existenz zu bezweifeln. Das »Testimonium Flavianum« (Jos Ant XVIII 63 f.) ist vermutlich ein christlicher, zumindest ein christlich erweiterter Text. Jens Schröter21 bietet folgende Rekonstruktion eines ursprünglichen Wortlauts (die »mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgenommenen Ergänzungen sind im Folgenden kursiv gesetzt«): »Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch (sofoÁw aÆnhÂr), wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er war nämlich der Vollbringer ganz unglaublicher Taten und der Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen (didaÂskalow aÆnurvÂpvn tv Ä n hëdonh Äì taÆlhuh Ä dexomeÂnvn). So zog er viele Juden und auch viele Heiden (polloyÁw deÁ kaiÁ toyÄ ëEllhnikoyÄ) an sich. Er war der Christus (oë xristoÁw oyÎtow hËn). Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verÄì eÆpitetimhkoÂtow PilaÂtoy), wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht urteilte (stayrv Ä ton aÆgaphÂsantew). Denn er erschien ihnen (eÆfaÂnh gaÁr untreu (oyÆk eÆpayÂsanto oië toÁ prv ayÆtoiÄw) am dritten Tage wieder lebend (zv Ä n), wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorherverkündigt hatten. Und noch bis auf den heuÄ n Xristianv Ä n … toÁ fyÂlon), die sich nach ihm tigen Tag besteht das Volk der Christen (tv 18

Theissen/Merz, ebd. Vgl. auch die kritischen Anmerkungen bei R. Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma. Zum Ansatz einer wirkungsästhetischen Christologie des Neuen Testaments, in: Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert (s. Anm. 9), 153–188, hier: 160–164. 20 Vgl. dazu die Ausführungen bei Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament (s. Anm. 8), 37–54 (Kap. 3: Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums). 21 J. Schröter, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt (Biblische Gestalten 15), Leipzig 2006, 60 f. 19

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nennen, fort.« Statt der Worte »Er war der Christus« könne im Text auch gestanden haben: »Er wurde Christus genannt.« Aber eine solche literarkritische Operation ist vergleichsweise sehr kompliziert; wahrscheinlicher ist, dass christliche Tradenten des JosephusWerks im Zusammenhang der Darstellung der Amtszeit des Pilatus einen Hinweis auf Jesus und die Entstehung der christlichen Gemeinde vermißten und das »Testimonium« komplett einfügten. Anders verhält es sich möglicherweise mit der kurzen Erwähnung Jesu beim Bericht von der Hinrichtung des Jakobus (Ant XX 199f.); hier könnte Jesus tatsächlich von Josephus selber erwähnt worden sein, freilich ohne jeden weiteren Kommentar. Tacitus weiß über Jesus nur, dass er zur Zeit des Tiberius durch den procurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war; die durch ihn als auctor hervorgerufene, von Nero grundsätzlich nicht zu Unrecht verfolgte, superstitio hatte sich nicht nur in Judäa, sondern auch in Rom ausgebreitet (Ann XV 44).

Die uns erhaltene frühe Jesusüberlieferung22 ist vom Glauben an Jesu Auferwekkung bestimmt. Dabei stellt die Entstehung der Evangelien als »schriftlicher Erzählungen über Wirken und Geschick Jesu … ein neues Phänomen« dar; Jens Schröter spricht von einer »›Historisierung‹ der urchristlichen Überlieferung«, und er nennt dies ein »Erinnerungsphänomen«: »Einige Jahrzehnte nach der Wirksamkeit Jesu sollte die Erinnerung an sein irdisches Wirken durch ihre Verschriftlichung festgehalten und gleichzeitig die urchristliche Überlieferung durch die Zuschreibung an Jesus in ihrer bleibenden Gültigkeit gesichert werden.«23 Welche Folgen hatte dies für die Darstellung des Wirkens Jesu als eines jüdischen Predigers und Wundertäters im Rahmen der »christlichen« Evangelien? Zeigt sich bei den Evangelisten, die ja so etwas wie »Weltmission« und damit die Existenz von »Heidenchristen« und jedenfalls »gemischte« Gemeinden bereits voraussetzen, die Tendenz, Jesus gleichsam schon als Begründer einer solchen Mission darzustellen?24 Die im folgenden zu belegende These ist, dass die Evangelisten im Gegenteil darum bemüht sind, Jesus ganz als innerhalb seines Volkes Israel lebend und handelnd zu beschreiben und allenfalls im Ausnahmefall von einem Kontakt Jesu mit Menschen aus der Völkerwelt zu sprechen. Das Bild Jesu als eines Juden ist insofern nicht ein Zeichen historischer Zuverlässigkeit der Quellen, sondern es ist vor allem auch das Ergebnis einer theologisch bewußten literarischen Darstellung Jesu durch die Evangelisten. Abschließend wird dann aber auch zu fragen sein, warum die Evangelisten ihren Lesern ein derart ausgeprägtes Bild Jesu zu vermitteln suchen.

22 Die nachstehenden Überlegungen beziehen sich auf die vier kanonisch gewordenen Evangelien; die im Verlauf der Kanonsgeschichte apokryph gewordenen bzw. von vornherein als »apokryph« entworfenen Evangelien sind m. E. durchgängig jünger als die neutestamentlichen Evangelien. Vgl. D. Lührmann, Die apokryph gewordenen Evangelien. Studien zu neuen Texten und zu neuen Fragen (NT. S 112), Leiden 2004. Die Frage nach den vorliterarischen Anfängen der Jesusüberlieferung soll hier nicht diskutiert werden. 23 Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament (s. Anm. 8), 280. 24 Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 14–24.

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II. Das Markusevangelium, die älteste uns erhaltene Jesuserzählung, will, wie die »Überschrift« in 1,1 erkennen läßt, als eyÆaggeÂlion verstanden werden, als »frohe Botschaft« von Jesus, nicht als Bericht über eine Gestalt der Vergangenheit. Markus beschreibt Jesus dabei aber als einen Menschen, dessen Leben sich in einem konkret bestimmten geographischen und historischen Rahmen abspielte. Die Welt Jesu wird plausibel dargestellt25: Nicht weit von Jerusalem predigt Johannes und tauft im Wasser des Jordan, und dabei empfängt und auch der aus Nazareth in Galiläa stammende Jesus die Taufe. Anschließend ist Jesus ganz überwiegend in Galiläa tätig und predigt dort »das Evangelium« von der Nähe des Gottesreiches. In Galiläa gibt es größere und kleinere Ortschaften, die z. T. namentlich genannt werden, und es gibt in diesen Orten Synagogen, in denen Jesus predigt und lehrt.26 Ein wichtiger geographischer Raum ist die uaÂlassa thÄw GalilaiÂaw, ein Binnensee, wo man dem Fischfang nachgeht und wo es auch zu schweren Stürmen kommen kann; »jenseits« dieses »Meeres« leben Menschen, die Schweineherden besitzen, also »Heiden« sind.27 Auffallend ist, dass genauere historische Datierungen im Markusevangelium fehlen; man erfährt aber immerhin, dass in Galiläa der »König« Herodes regiert.28 Im zweiten Teil des Markusevangeliums hält sich Jesus in Jerusalem auf; dort steht der Tempel, wo die für die Opfer bestimmten Tiere gekauft werden, wo aber auch Lehr- und Streitgespräche stattfinden können. Es gibt dort das Synedrium, das eine gewisse rechtliche Autorität besitzt; im »Fall Jesus« vermag es diese aber nur mit Hilfe des Pilatus durchzusetzen. Die Plausibilität der so beschriebenen Welt bedeutet natürlich nicht, dass die als Taten Jesu geschilderten Ereignisse historisch zuverlässig dargestellt sind und die von Jesus überlieferten Worte also wirklich auf ihn zurückgehen. Rudolf Bultmann hat in seiner bis heute nicht ersetzten und letztlich auch nicht »überholten« Analyse der »Geschichte der synoptischen Tradition«29 versucht, die 25

Vgl. dazu D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen 1987, 9–11. Die Frage, ob es sich nach der Vorstellung der Überlieferung bereits um bestimmte Synagogengebäude handelt, die für das 1. Jh. n. Chr. archäologisch ja nicht nachgewiesen sind, muß hier offen bleiben. Vgl. dazu C. Claussen, Jesus und die Versammlungen Galiläas. Zur Frage nach der Bedeutung von hë synagvghÂ, in: ders./J. Frey (Hg.), Jesus und die Archäologie Galiläas (BThSt 87), Neukirchen-Vluyn 2008, 227–244. 27 D.-A. Koch, Inhaltliche Gliederung und geographischer Aufriß im Markusevangelium, NTS 29 (1983) 145–166, hier: 150 f. meint demgegenüber, Markus unterscheide »grundsätzlich nicht zwischen den verschiedenen Ufern«, und so müsse man nach der mk Darstellung den Eindruck gewinnen, »daß das ›galiläische Meer‹ voll zu Galiläa gehört«. 28 Diese Information wird freilich eher beiläufig gegeben, im Zwischentext zwischen der Aussendung der Jünger (6,12 f.) und ihrer Rückkehr (6,30); im Munde Jesu begegnet der Name des Herodes nur in 8,15. In 8,27 werden »die Dörfer im Umfeld von Caesarea Philippi« als Ort des Geschehens genannt; aber zu Philippus selber wird nichts gesagt. 29 S. Anm. 14. Vgl. die eindrückliche Skizze des Inhalts dieses Buches bei K. Hammann, Rudolf Bultmann. Eine Biographie, Tübingen 2009, 101–113. 26

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Wege zu rekonstruieren, die von den literarisch vorliegenden Evangelienbüchern zurückführen zu den Anfängen der Überlieferung und womöglich auch zu Jesus selbst.30 Ob seine Beobachtungen und Annahmen im einzelnen richtig waren, kann hier offen bleiben31; jedenfalls liegt zwischen Jesu Auftreten und der Abfassung des Markusevangeliums ein Zeitraum von etwa 40 Jahren, und die Annahme, die Jesus-Überlieferung sei während dieser Zeit unverändert bewahrt worden, hat alle Wahrscheinlichkeit gegen sich.32 Der Evangelist Markus, der von seiner eigenen Person leider nichts erkennen läßt33, sieht die von ihm erzählte Geschichte Jesu in »österlicher Perspektive«; das lassen schon allein die drei Leidens- und Auferstehungsankündigungen in 8,31; 9,31 und 10,32–34 erkennen. Aber Markus vermeidet es, über die Entdeckung des leeren Grabes hinaus explizit vom österlichen Geschehen zu erzählen.34 Wer Jesus ist, erfahren die Leser des Markusevangeliums schon in der ersten Zeile des Buches (1,1): Er ist der Messias (xristoÂw), der auch als »Sohn Gottes« bezeichnet wird.35 Dabei sind die Auslegung von Mk 1,1 und die Bedeutung dieser Textzeile für das Verständ-

30 In der Einleitung zu seinem Jesus-Buch (s. Anm. 11) betonte Bultmann, er habe »nur in seltenen Fällen kritisch-analytische Erwägungen mitgeteilt«, und er verweist dazu ausdrücklich auf seine damals in 1. Auflage vorliegende »Geschichte der synoptischen Tradition«. Wenn Bultmann schreibt, wer den Namen »Jesus« in dem Buch »immer in Anführungsstriche setzen und nur als abkürzende Bezeichnung für das geschichtliche Phänomen gelten lassen will, um das wir uns bemühen, dem ist es unbenommen« (17), so bedeutet dies also nicht, dass er die historische Frage nach Jesus für unbeantwortbar gehalten hätte. 31 Vgl. zur Kritik etwa W. Schmithals, Kritik der Formkritik, ZThK 77 (1980) 149–185. 32 Der bisweilen als Gegenargument vorgetragene Hinweis auf den rabbinischen Schulbetrieb mit seiner sorgfältigen Traditionsbewahrung trägt wenig aus, in der uns erhaltenen Jesusüberlieferung gibt es keinerlei Hinweis auf einen entsprechenden Schulbetrieb. Vgl. D. S. du Toit, Der unähnliche Jesus, in: Schröter/Brucker (Hg.), Jesus (s. Anm. 4), 89–129, hier: 121 f. zum »ungelösten Problem der Modalitäten der vorliterarischen Überlieferung«. 33 Selbst die in der Einleitungswissenschaft oft diskutierte Frage, ob Markus »Heidenchrist« war, läßt sich nicht beantworten; aus Mk 7,3–4 kann man freilich ableiten, dass er mit Lesern rechnet, denen bestimmte jüdische Reinheitsbräuche nicht geläufig sind. Andererseits braucht er z. B. nicht zu erklären, was der Sabbat ist, und er braucht auch Personengruppen wie »Schriftgelehrte« und »Pharisäer« nicht eigens in die Erzählung einzuführen. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 62007, 245 folgert aus Mk 7, dass es auch Judenchristen in der Gemeinde des Mk gegeben habe. 34 Gleichwohl kann man Mk 16,1–8 als eine Ostererzählung verstehen; vgl. meinen Aufsatz: Die Osterbotschaft des Markus. Zur theologischen Interpretation von Mark. 16,1–8, NTS 26 (1979/80) 298–317, in diesem Band: 135–155. 35 Die Lesart in 1,1 ist unsicher; E.-M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie (WUNT 194), Tübingen 2006, 103 f. Anm. 139 kommt zu dem Ergebnis, das dritte Genitivobjekt yiëoyÄ ueoyÄ müsse »– bei aller Vorsicht – auch aus grammatischen Gründen textgeschichtlich als sekundär betrachtet« werden, möglicherweise als Einwirkung von Mt 1,1 auf Mk 1,1. Anders Lührmann, Markusevangelium (s. Anm. 25), 33. Jedenfalls ist »Sohn Gottes« von 1,11 an die dominierende Bezeichnung für Jesus; es liegt näher anzunehmen, dass der Autor selber den entsprechenden Hinweis von Anfang an geben wollte als dass ein Abschreiber »kongenial« diesen Akzent gesetzt hätte. Vgl. J. Dechow, Gottessohn und Herrschaft Gottes. Der Theozentrismus des Markusevangeliums (WMANT 86), Neukirchen-Vluyn, 2000, 24–28.

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nis des Markusevangeliums heftig umstritten. Paul-Gerhard Klumbies kommt am Ende seiner Studie »Der Mythos bei Markus« zu dem Ergebnis: »Die markinische aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy ÆIhsoyÄ XristoyÄ ist eine in hohem Maße durch mythische Anschauungen und ein durchgehendes theologisches Konzept geprägte Jesusdarstellung. Sie zeichnet ein elementar theologisch geprägtes mythisches Jesusbild. Mit dieser Darstellung fundiert der Erzähler das in seiner Gegenwart verkündigte eyÆaggeÂlion ÆIhsoyÄ XristoyÄ in Gestalt einer aÆrxh«.36 Demgegenüber versteht David S. du Toit die Aussage in Mk 1,1 als Kennzeichen der kerygmatischen Funktion der mk Jesuserzählung: »Die Botschaft Jesu von der kommenden Gottesherrschaft wird in der Zeit seiner Abwesenheit durch das Erzählen seiner Botschaft weitergegeben, so dass seine Verkündigung trotz seines Todes weiterhin Bestand hat«; das Markusevangelium sei dementsprechend »ein Exponent nachösterlicher Verkündigung des Evangeliums Jesu«, d. h. die Genitivwendung toyÄ eyÆaggeliÂoy ÆIhsoyÄ sei »als Hinweis auf das Evangelium zu werten, das Jesus verkündet. Es ist also eine absichtlich doppeldeutig fomulierte Wendung, die zum Ausdruck bringt, dass das Evangelium, das von Jesus handelt (gen. obj.), zugleich das Evangelium ist, das er verkündigt hat (gen. auct.) und stets verkündet (gen. subj.).«37 Nach Eve-Marie Becker präsentiert das Markusevangelium »eine geschichtsorientierte Darstellung der aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy, die mit dem Wirken des Täufers in 1,4 beginnt und mit dem ›markinischen Proömium‹ in 1,1–3 eingeleitet und vorausgedeutet wird«.38 Unter der Überschrift »Die aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy als Ereignisgeschichte« stellt sie fest: »Der besonders in Mk 1,1 polyvalent verwendete Terminus eyÆaggeÂlion umschreibt einerseits die narrative Gesamtdarstellung der Ereignisgeschichte in Mk 1,2–16,8 und vollzieht sich andererseits als direkte Verkündigung im ›Evangelium‹ selbst. Die Ereignisgeschichte erzählt von der Verkündigung und hat selbst zugleich Aspekte der Verkündigung.« »Geschichtsdarstellung und Geschichtsdeutung« seien »von Anfang an fließend und kaum zu trennen«, was Becker darauf zurückführt, »dass Markus seine Darstellung der Ereignisgeschichte letztlich (noch) nicht konsequent historisiert«, wie es dann bei Lukas erfolgt sei. Die aÆrxhÁ toyÄ eyÆaggeliÂoy reiche bis zum Ostermorgen, und die Gattung Evangelium stelle »einen eigenen Typus von Prä-Historiographie« dar.39 Ohne besonderen Hinweis auf Mk 1,1 kommt Hendrika Nicoline Roskam zu folgendem Ergebnis: Das Markusevangelium entstand in einer Situation der Verfolgung »by leading Jews« nach dem Ende des Jüdischen Krieges als eine apologetische Schrift. »The Gospel’s form allows us to categorize Mark’s Gospel as an acient biography, but such a categorization is not very illuminating. Mark is not interested in biographical details, the Gospel’s structure is dominated by Mark’s apologetic intentions«; Markus wolle zeigen, »that Jesus was not an anti-Roman rebel«.40

Wenn es in Mk 1,2 f. unter – nicht ganz korrektem – Verweis auf das Jesajabuch heißt: »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bereiten wird. Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade 36

P.-G. Klumbies, Der Mythos bei Markus (BZNW 108), Berlin/New York 2001, 314. D. S. du Toit, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen (WMANT 111), Neukirchen-Vluyn 2006, 283–285. 38 Becker, Markus-Evangelium (s. Anm. 35), 115. 39 Becker, aaO., 408–410. 40 H. N. Roskam, The Purpose of the Gospel of Mark in its Historical and Social Context (NT. S 114), Leiden 2004, 237 f. 37

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seine Straßen!«, so soll man im Anschluß an V. 1 offensichtlich folgern, dass hier Gott zu dem eben erwähnten Jesus Christus spricht; Jesus scheint also in gewisser Weise als »präexistent« gedacht zu sein, auch wenn dieser christologische Akzent im folgenden nicht weiter präzisiert und in der weiteren Darstellung des Markusevangeliums wohl auch nicht wieder aufgenommen wird.41 Der biblisch verheißene »Rufer in der Wüste« ist, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, der Täufer Johannes42; er hat mit seiner Bußtaufe43 zur Vergebung der Sünden in »ganz Judäa und bei allen Bewohnern Jerusalems« einen überaus großen Erfolg. Kleidung und Nahrung weisen ihn als Propheten aus, wobei Markus vielleicht bewußt an die Schilderung des Auftretens des Gottesmannes Elia anknüpft.44 In V. 4–6 liegt eine im Grunde »rein historisch« referierende Darstellung vor, denn ein theologischer oder gar spezifisch christologischer Kommentar fehlt; Flavius Josephus berichtet in formal ganz ähnlicher Weise vom Auftreten des Johannes (Ant XVIII 116–119). In Mk 1,7 f. aber ändert sich das Bild: Johannes sagt das Kommen eines »Stärkeren« an, und dabei stellt er der von ihm selber praktizierten »Taufe mit Wasser« die von jenem Kommenden künftig praktizierte »Taufe mit heiligem Geist« entgegen. Dass Johannes sein eigenes Taufhandeln nun so nachdrücklich relativiert, ist überraschend – es paßt kaum zur vorangegangenen Charakterisierung dieser Taufe als Mittel der Sündenvergebung; für den literarischen Zusammenhang ist aber bedeutsam, dass die Ankündigung nach vorn weist und so bei den Lesern Interesse an dem geweckt wird, was folgen wird. Gerade dann aber muß die Fortsetzung der Erzählung zunächst enttäuschen: »In jenen Tagen«, so heißt es in V. 9, »kam Jesus aus Nazareth in Galiläa und ließ sich im Jordan von Johannes taufen.« Der Name »Jesus« erinnert natürlich an 1,1, und zugleich erscheint die Aussage hËluen ÆIhsoyÄw als Erfüllung der Ankündigung in V. 7 (eÍrxetai ktl.). Aber in Jesus ist in V. 9 nur einer der zuvor in V. 5 erwähnten vielen Menschen, die »in jenen Tagen« auf die Botschaft des Täufers hören. Jesus wird durch seine Taufe zwar nicht zum »Johannesjünger«45; aber man gewinnt

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Zur Auslegung von Mk 1,2 f. vgl. L. Schenke, Gibt es im Markusevangelium eine Präexistenzchristologie?, ZNW 91 (2000) 45–71, hier: 57 f., der freilich auch in vielen anderen Aussagen des Mk die Präexistenzchristologie vorausgesetzt sieht. Aber sowohl die hËluon–Worte als auch der Gedanke der »Sendung« (etwa in 12,1–9) setzen die mythische Vorstellung von Präexistenz (und damit verbunden: Inkarnation) nicht notwendig voraus. 42 Vgl. dazu J. Ernst, Johannes der Täufer. Interpretation – Geschichte – Wirkungsgeschichte (BZNW 53), Berlin/New York 1989, 4–38. 43 Mk setzt voraus, dass die ursprünglich nicht auf einen bestimmten religiösen Akt bezogene Begrifflichkeit bapt– sich auf »die Taufe« bezieht, er nimmt also in gewisser Weise die christliche Praxis und den christlichen Sprachgebrauch vorweg. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Titel oë baptisthÂw in 1,4 noch vermieden wird; Mk verwendet ihn aber in 6,25 und 8,28. 44 Vgl. Lührmann, Markusevangelium (s. Anm. 25), 35. 45 Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament (s. Anm. 8), 133 spricht von dem »historische[n] Befund, dass Jesus vor dem Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit zum Kreis des Täu-

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auch nicht den Eindruck, er sei der vom Täufer angekündigte »Stärkere«, der »mit Heiligem Geist taufen« und also Johannes weit übertreffen wird (V. 8). In 1,10 f. erhält die Darstellung einen anderen Akzent: War Markus in V. 4–9 als ein historisch »objektiv« berichtender und zitierender Schriftsteller zu Wort gekommen, so erweist er sich jetzt als »allwissender« Erzähler. Er beschränkt sich nicht darauf, äußere Fakten zu schildern, sondern er vermag sich in die von ihm dargestellte Person Jesus hineinzuversetzen: Jesus sieht unmittelbar nach seiner Taufe den Himmel geöffnet und den Geist in Gestalt einer Taube auf sich herabkommen (V. 10).46 Das Stichwort pneyÄma bildet die Brücke von der Ansage des Täufers (»Er wird euch taufen mit heiligem Geist«) zu dem von Jesus bei seiner eigenen Taufe visionär wahrgenommenen Geschehen: Jesus wird nicht zum Geisttäufer; aber er wird durch die Taufe zum Träger des Geistes, mehr noch: eine »Stimme aus den Himmeln« spricht ihn an als »mein geliebter Sohn« (V. 11), und ebenso wie in V. 2 ist es sicherlich Gott, der hier als »Ich« spricht, auch wenn das nicht ausdrücklich gesagt wird. Der Evangelist scheint in V. 11 an eine auf der Ebene der erzählten Welt »objektiv« zu hörende Stimme zu denken. Damit schließt sich in V. 11 der in V. 1 begonnene Kreis: Jesus, der Galiläer aus Nazareth (V. 9), ist der Sohn Gottes (V. 1.11) – unter diesem Vorzeichen soll das ganze folgende Werk gelesen werden. Zweifellos ist dies ein »christliches« Jesusbild; ein »neutraler« Historiker würde die Geschichte Jesu von Nazareth wohl nicht in dieser Weise eingeleitet haben. Um so mehr fällt nun aber auf, dass Jesus in der erzählten Welt des Markusevangeliums durchaus nicht auftritt als der manifeste »Sohn Gottes«; vielmehr spricht und handelt er als ein Mensch. Er verfügt zwar über besondere Begabungen, vor allem über die eÆjoysiÂa der Wunderheilung und des Exorzismus; er besitzt auch eine besondere intellektuelle Potenz, insofern er sich in Auseinandersetzungen mit Kritikern stets als der Überlegene erweist. Aber Jesus ist im Markusevangelium kein »übernatürliches Wesen«.47 Es fällt vor allem auf, dass von Jesu in 1,1 erwähnten Gottessohnschaft auf der Ebene der erzählten Welt nur selten und dann überdies in einer ausgesprochen paradoxen Weise die Rede ist. Es sind gottfeindliche Mächte, »unreine Geister«, wie Markus sie durchweg nennt, die Jesus als »Sohn Gottes« ansprechen. Erstmals geschieht das in Mk 3,1148, aber das anwesende Publikum scheint es gar fers gehörte«. Aber das läßt so weder die mk Darstellung der Taufe noch die Q-Überlieferung in Lk 7,18–35 par Mt 11,2–19 erkennen. 46 Dass Mt in 3,16 und Lk in 3,21 f. hier geändert haben, zeigt, dass ihnen daran gelegen war, diesen Vorgang als »objektiv geschehen« und nicht nur als von Jesus wahrgenommen darzustellen. 47 Lediglich in der »Epiphanieerzählung« 6,45–52 erscheint Jesus als der, der im Sinne von Hi 9,8 über das Wasser dahinschreitet. Aber die Tatsache, dass die Jünger ihn für ein faÂntasma halten, zeigt deutlich, dass wir den Vorgang als eine Ausnahmesituation ansehen sollen. 48 In 1,24 nennt der »unreine Geist« Jesus den »Heiligen Gottes«, womit er ebenfalls Jesu besondere Nähe Jesu zu Gott zum Ausdruck bringt.

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nicht zu hören oder zumindest nicht zu verstehen; denn Jesu Schweigebefehl (3,12) als Reaktion auf den Schrei der Dämonen: syÁ eiË oë yiëoÁw toyÄ ueoyÄ ist ja nur sinnvoll, wenn die Leser annehmen sollen, dass Jesus auf der Ebene der erzählten Welt seine Identität vor den Menschen tatsächlich zu verbergen vermochte. In 5,7 wird Jesus am jenseitigen Ufer des Sees Genezareth von einem »unreinen Geist« als »Sohn des höchsten Gottes« angeredet; offenbar denkt ein im Gebiet der Dekapolis ansässiger Dämon in polytheistischen Kategorien.49 Da es hier kein Publikum gibt, das diese Anrede hört, braucht Jesus sie nicht zu kommentieren.50 Bei der Verklärung auf dem hohen Berg sagt eine »Stimme aus der Wolke«: »Dieser ist mein geliebter Sohn. Hört auf ihn!« (9,7), womit die Worte aus 1,11 aufgenommen und zugleich modifiziert werden. Adressaten sind drei der Jünger Jesu; sie erhalten beim Abstieg von dem Berg den Befehl, niemandem zu erzählen, »was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden« sei (9,9).51 Implizit ist Jesus auch in der allegorisch zu verstehenden Parabel von den »bösen Winzern« (12,1–9) zumindest auf der Ebene des jetzigen Mk-Textes der Sohn Gottes52; die abschließend in 12,12 erwähnten und zuvor in 11,27–33 genannten Personen identifizieren sich offensichtlich mit den gevrgoiÂ, ohne aber aus deren in V. 9 dargestellten Schicksal weitere Schlüsse für ihr eigenes Verhalten zu ziehen.53 Den Höhepunkt der Rede vom »Sohn Gottes« stellt die Szene in Mk 14,61 f. dar: Der Hohepriester fragt Jesus im Verhör, ob er oë xristoÁw oë yiëoÁw toyÄ eyÆloghtoyÄ 49 Zum Gottesprädikat ueoÁw y Ï cistow vgl. Christine Zimmermann, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden 2007, 588 f. Die Gottesbezeichnung oë ueoÁw oë yÏcistow wird »in der jüdischen Literatur wiederholt dann verwendet, wenn ein Heide vor einem Juden über JHWH spricht«; es war Mk bewußt, »dass er über die interreligiöse Funktion der Bezeichnung die Anerkennung selbst über den besessenen Heiden verdeutlichen konnte«. »Über die sowohl pagan als auch jüdisch-christlich verwendete Gottesbezeichnung ueoÁw yÏcistow können die heidnischen Dämonen den jüdischen Wundertäter anerkennen.« 50 Es fehlt sogar der Schweigebefehl an den Dämon im Rahmen des Exorzismus; Jesus führt im Gegenteil ein Gespräch mit dem »unreinen Geist«, der sich »Legion« nennt. Im Duktus des Textes 5,2 ff. hat man übrigens zunächst den Eindruck, in 5,7 spreche der in V. 2 eingeführte aÍnurvpow, der nach V. 6 Jesus entgegengelaufen war; aber V. 8 zeigt dann, dass Jesus mit dem pneyÄma aÆkauaÂrton spricht. 51 In der Debatte um das »Messiasgeheimnis« wird hier oft eine Schlüsselaussage gesehen. Aber auf der Textebene besteht ja schon seit 1,1 hinsichtlich der Person Jesu gar kein »Geheimnis«. 52 Der vom Eigentümer des Weinbergs zuletzt gesandte »geliebte Sohn« ist natürlich Jesus; ob es je eine nicht-allegorische Fassung der Parabel gab, in der die Entsendung des einen yiëoÁw aÆgaphtoÂw als eine plausible Handlung zu verstehen war, kann hier offen bleiben – es ist freilich von der Anlage der Gleichniserzählung her wenig wahrscheinlich. Vgl. U. Mell, Die »anderen« Winzer. Eine exegetische Studie zur Vollmacht Jesu Christi nach Markus 11,27–12,34 (WUNT 77), Tübingen 1994, 168–172. 53 Die Ankündigung in V. 9 setzt voraus, dass vom Handeln Gottes die Rede ist.

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sei; Jesus antwortet: eÆgv eiÆmi und fügt in Anlehnung an Dan 7,13 die Ansage des Kommens des Menschensohnes hinzu. Die Verbindung der drei christologischen »Hoheitstitel« Messias, Gottessohn und Menschensohn erfolgt in quasi didaktischer Absicht: In der Person Jesu bilden alle Titel, ungeachtet ihrer unterschiedlichen traditionsgeschichtlichen Herkunft, eine Einheit. Für das Verständnis der Stelle spielt es keine Rolle, ob eine solche Verbindung zwischen Christus-Titel, Sohn Gottes und »Menschensohn« innerhalb des Judentums belegt ist oder nicht; der mk Text setzt jedenfalls voraus, der Hohepriester könne so gedacht und gesprochen haben, und Jesu Aussage eÆgv eiÆmi sei als Gotteslästerung eingeschätzt worden und habe zu seiner Verurteilung geführt. Anders ist vermutlich 15,39 zu verstehen, wo der das Hinrichtungskommando befehligende römische Centurio aus Jesu Sterben die Folgerung ableitet, dieser Ä w oyÎtow oë aÍnurvpow yiëoÁw Mensch sei »wahrhaftig Sohn Gottes« gewesen (aÆlhuv ueoyÄ hËn). Die Bezeichnung yiëoÁw ueoyÄ ist auf der Ebene der erzählten Welt an dieser Stelle vermutlich nicht im Sinne des exklusiven christologischen Titels (»Der Sohn Gottes«) zu verstehen, d. h. Markus will nicht sagen, der römische Offizier habe ein – vorösterliches – Bekenntnis zu Jesus abgelegt, das das Petrusbekenntnis von 8,29 noch übertraf. Gemeint ist eher, dass Jesus im Sinne der religiösen Vorstellungen eines heidnischen Hauptmanns »ein Sohn eines Gottes« gewesen war.54 Allerdings erlaubt es die Formulierung den impliziten christlichen Lesern, die Aussage jetzt in ihrem Sinne zu lesen – d. h. sie verstehen den heidnischen Centurio besser, als dieser sich selber verstanden hatte. Für Markus ist Jesus »der (einzige) Sohn Gottes«. Aber dieser Jesus lebt und handelt als Mensch unter Menschen. Das gilt sogar für die christologisch entscheidende Szene in 8,27 ff.: Als Antwort auf Jesu Frage, für wen ihn die Leute halten55, referieren die Jünger unterschiedliche (falsche) Aussagen (V. 28); die abschließende Frage Jesu (V. 29a: yëmeiÄw deÁ tiÂna me leÂgete eiËnai;) beantwortet Petrus mit dem Bekenntnis: »Du bist der Messias« (V. 29b: syÁ eiË oë xristoÂw). Diese 54 Anders D. S. du Toit, »Gesalbter Gottessohn« – Jesus als letzter Bote Gottes. Zur Christologie des Markusevangeliums, in: P. Müller/Chr. Gerber/Th. Knöppler (Hg.), »… was ihr auf dem Weg verhandelt habt«. Beiträge zur Exegese und Theologie des Neuen Testaments. Festschrift für Ferdinand Hahn zum 75. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2001, 37–50; er folgert aus der Taufszene und auch aus dem Verhalten der »unreinen Geister«, dass die Gottessohnbezeichnung für Jesus »mit Jesu Geistträgerschaft korrespondiert«; in 15,37–39 zeige sich, »dass Jesus, solange er Träger des Geistes Gottes war, der Gottessohn war. Denn der Hauptmann deutet den Sterbensvorgang … so, dass Jesus den Geist Gottes aufgibt, und leitet daraus seine Gottessohnschaft ab.« Das Impf. hËn zeige, »dass der irdische Jesus mit dem Titel bezeichnet wird« (39; Hervorhebungen im Original). Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 56 f.: Die Bezeichnung »Sohn Gottes« muß in 15,39 »mit den Wunderheilungen Jesu und der ihm zugeschriebenen Königstitulatur verknüpft werden«, denn nur so »kann ein ›Heide‹ jenen Ausdruck sinnvoll benutzen«. Es sei kein Zufall, dass der Titel »ohne jeden Artikel verwendet« wird. 55 Dass diese Frage in gleichsam didaktischer Absicht gestellt wird, ist bei der Lektüre sofort deutlich; Mk hatte bis dahin nicht erkennen lassen, dass zwischen Jesus und den aÍnurvpoi ein Abstand existiert, der Jesus zu seiner Frage veranlassen müßte.

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Antwort bleibt im Rahmen dessen, was jüdisch gesagt werden konnte: Der erhoffte Messias war ja ein Mensch. Die im Markusevangelium erzählte Geschichte Jesu endet mit dessen Kreuzestod und Grablegung. Da die Bestattung des Leichnams nach der in 15,42–46 gegebenen Darstellung als endgültig anzusehen ist, kommt die in 16,1 erwähnte Absicht der zuvor in 15,40.47 in die Erzählung eingeführten Frauen, den Leichnam am dritten Tag nach der Bestattung noch salben zu wollen, für die Leser zumindest überraschend.56 Die Frauen finden in dem offenen Grab dann aber nicht den Leichnam Jesu, sondern sie hören aus dem Munde eines weißgekleideten Jünglings, der von ihnen Gesuchte, der gekreuzigte Jesus aus Nazareth, sei auferweckt worden und also »nicht hier«. Die Frauen sollen den Jüngern sagen, Jesus werde entsprechend seiner früheren Ankündigung57 ihnen nach Galiläa vorangehen, und dort würden sie ihn »sehen«; aber die Frauen schweigen, weil sie sich fürchten (16,8). Die Konsequenz dieses Schweigens ist es, dass die Leser unmittelbar mit der Botschaft jenes »Jünglings« am Grab konfrontiert werden.58 In geographischer Hinsicht ist das Markusevangelium von einer klaren Struktur bestimmt: Jesus hält sich zuerst im wesentlichen in Galiläa auf, dann zieht er nach Jerusalem.59 Diese Abfolge kann im Blick auf die Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu historisch im wesentlichen zuverlässig sein; aber der Aufriß könnte sich auch einem bewußt gestalteten Konzept des Evangelisten verdanken. Ebenso kann die Tatsache, dass die innerhalb Galiläas gelegenen hellenistischen Städte Sepphoris, Skythopolis und vor allem auch Tiberias niemals erwähnt werden, darauf zurückgehen, dass Jesus zumindest in der Zeit seines öffentlichen Wirkens sich tatsächlich niemals dort aufgehalten hat; es könnte sich aber auch um einen Aspekt des theologischen »Programms« des Evangelisten handeln, dem daran gelegen ist, Berührungen Jesu mit Nichtjuden möglichst zu vermeiden.60 56 Vor dem Hintergrund von 14,3–9 könnte man auch annehmen, dass die Jesu Salbung zum Begräbnis bereits erfolgt ist. Anders aber du Toit, Der abwesende Herr (s. Anm. 37), 85–87: Gemeint sei mit der Aussage in V. 8b nicht eine Totensalbung, sondern eine »vorweggenommene endzeitliche Salbung«, »eine proleptische Vorwegnahme Jesu endzeitlicher Huldigung«. 57 16,7 nimmt auf 14,28 Bezug. 58 Vgl. dazu meine Überlegungen in dem Aufsatz: Die Osterbotschaft des Markus. Zur theologischen Interpretation von Mark. 16.1–8 (s. oben Anm. 34). Kritisch zu solchen Erwägungen Schnelle, Einleitung (s. Anm. 33), 249: »Diese oder ähnlich subtile Interpretationen verdanken sich jedoch historisch-kritischer Auslegung im 20. Jh., ob damit zugleich der Verstehenshorizont der markinischen Gemeinde angemessen erfasst wird, muss fraglich bleiben«; Mk erwecke durch 14,28; 16,7 die Erwartung, dass von Erscheinungen berichtet werden wird. Aber den »Verstehenshorizont« der mk Gemeinde kennen wir nicht; wir müssen einfach den Versuch machen, den überlieferten mit V. 8 endenden Text gegenwärtig zu verstehen. 59 Wo der »Weg« nach Jerusalem einsetzt, läßt sich nicht sicher sagen; Koch, Inhaltliche Gliederung (s. Anm. 27), 157 f. sieht in 8,27–10,52 »die oëdoÂw Jesu nach Jerusalem«, aber ist 8,27 wirklich als klares Signal zu verstehen, dass Jesus und die Jünger dabei sind, Galiläa zu verlassen? 60 In Galiläa hat es Jesus »allein mit Angehörigen Israels zu tun« (Wilk, Jesus und die Völker [s. Anm. 9] 64).

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Zweimal hält sich Jesus aber doch in »heidnischem« Gebiet jenseits der Grenzen Galiläas auf und kommt mit den dortigen Bewohnern in Kontakt. Die Exorzismuserzählung 5,1–20 spielt in der Dekapolis (5,20); dabei zeigen die Schilderung der Überfahrt über das »Meer« (4,35–41) und die Feststellung der Ankunft eiÆw toÁ peÂran thÄw ualaÂsshw mit der präzise formulierten Ortsbestimmung eiÆw thÁn xvÂran tv Ä n Gerashnv Ä n (5,1) eindeutig den fremden Ort der Szene an.61 Wilk meint zwar, der Besessene, der Jesus begegnet, lasse »sich viel eher als Jude denn als Nichtjude identifizieren«62; aber das läßt der Text nicht erkennen.63 Auch dass »die primären Adressaten« der in V. 20 erwähnten Verkündigungstätigkeit des geheilten Mannes als Juden zu denken sind64, geht aus dem Text nicht hervor. Jesus kehrt sofort »ans jenseitige Ufer« zurück (V. 21)65, und dort begegnet ihm sogleich ein aÆrxisynaÂgvgow, der um ein Heilungswunder für seine kranke Tochter bittet – ein klares Indiz für die Rückkehr ins jüdische Land. Im Anschluß an die Gesprächsszenen über die Reinheitsgebote (7,1–23) zieht Jesus in das Gebiet von Tyrus.66 Dort bittet eine betont als Nichtjüdin vorgestellte Frau Jesus um ein exorzistisches Wunder an ihrer Tochter; das wird ihr zunächst verwehrt, dann nach einer kurzen Diskussion aber doch zugestanden (7,24–30). Die bildhafte Rede in dem Dialog zwischen der Frau und Jesus (V. 27 f.) reflektiert, dass Jesus sich zunächst für »nicht zuständig« erklärt, dass er sich dann aber von der Frau überzeugen läßt, hier eine Ausnahme zu machen.67 Wilk meint, die Anrede Jesu als kyÂriow zeige, dass die Frau »sich selbst in den

61 Vgl. dazu: Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a. Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem (s. S. 70–92). Koch, Inhaltliche Gliederung (s. Anm. 27), 151 f. meint, der Leser werde in 5,1–20 nicht darüber informiert, dass die Geschichte nicht mehr innerhalb von Galiläa spielt; Mk mache nicht »darauf aufmerksam, daß Jesus, wenn er die Dekapolis betritt, damit zugleich auch Galiläa verlassen hat und sich in heidnischem Gebiet befindet«. Aber das Stichwort xvÂra in 5,1.10 und die Erwähnung der Dekapolis in 5,20 sind doch klare Indizien dafür, dass dieses »Land« nicht Galiläa ist. Zum Verständnis der Dekapolis als »heidnisches« Gebiet vgl. Z. Kato, Die Völkermission im Markusevangelium. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung (EHS XXIII/252), Bern usw. 1986, 61 f. 62 Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 65. 63 Wilk ebd. nennt als Argumente, dass die herbeigekommenen Leute aus der Stadt den Geheilten »nach wie vor als daimonizoÂmenow … beäugen, aber nicht ansprechen«, und dass die Beschreibung des Besessenen »in deutlicher Anlehnung an Jes 65,3–7 (LXX)« erfolgt, wo Israeliten angeklagt werden, »die Götzendienst treiben«. Aber in V. 15 ist es der Erzähler, der den Geheilten als daimonizoÂmenow bezeichnet, und dass es die Augenzeugen (oië iÆdoÂntew) sind, die von dem Geschehen berichten (V. 16), ist angesichts der bisherigen Besessenheit des Mannes die einzig logische Erzählweise. Die Anklänge an Jes 65,3–7 LXX bedeuten nicht, dass der Besessene als Jude zu denken ist, der Götzendienst treibt. 64 So Wilk, Jesus und die Völker, 66. 65 Die Wendung eiÆw toÁ peÂran ist immer relativ gemeint – das »jeweils gegenüberliegende Ufer«. 66 In 7,17–23 hatte Jesus das Thema »Rein und Unrein« gesondert mit den Jüngern erörtert; sie werden danach erst wieder in 8,1 ff. explizit erwähnt, nicht aber in 7,24–30.31–37. 67 So m. R. Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 61 f.

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Zuständigkeitsbereich Jesu« eingliedert68; aber wahrscheinlich handelt es sich um eine bloße Höflichkeitsform.69 Jesus verläßt dann das Gebiet von Tyrus und kommt auf einem längeren (Um-)Weg70 in das Gebiet der Dekapolis (7,31), wo er auf Bitten der Bewohner71 einen Taubstummen heilt und dann mit Unterstützung durch die Jünger viertausend Menschen auf wunderbare Weise speist (7,32– 8,9).72 In 8,10 gelangen Jesus und die Jünger dann in das Gebiet von Dalmanutha, wo sie sich wieder auf jüdischem Gebiet befinden; das wird dadurch deutlich, dass ihm sogleich oië FarisaiÄoi begegnen, mit denen es zu einer Diskussion kommt. Von nun an wird Jesus das jüdische Gebiet nicht mehr verlassen.73 Ein Motiv für den jeweiligen »Ausflug« in die Fremde wird weder in 4,35 noch in 7,24 genannt. Dass Markus darin eine Vorwegnahme oder Legitimierung der »Heidenmission« symbolisiert oder gar vorweggenommen sehen will, ist wenig wahrscheinlich; Jesu Aufenthalte in den nichtjüdischen Gebieten werden im Gegenteil als Ausnahmen dargestellt. Dennoch haben Lukas und Matthäus mit dieser Darstellung nicht unerhebliche Schwierigkeiten gehabt. Zweimal gibt Markus einen ausdrücklichen Hinweis auf die »Völkermission«: Im Rahmen seiner eschatologischen Rede spricht Jesus in 13,10 die Verheißung aus, vor dem Ende müsse das Evangelium zuerst allen »Völkern« gepredigt werden(13,10)74, und diese Ankündigung nimmt er in der Salbungsszene 14,3–9 in68

Wilk, Jesus und die Völker, 61. Dafür spricht gerade, dass der Titel als Anrede an Jesus bei Mk sonst nicht begegnet (Wilk, 61 Anm. 233). 70 Der Weg von Tyrus über Sidon an das östliche Ufer des »galiläischen Meeres« ist nicht so widersinnig, wie er oft dargestellt wird; offensichtlich soll den Lesern vor allem klar werden, dass Jesus nicht durch Galiläa zieht. 71 In 7,31 wird nicht angedeutet, dass sich Jesus schon einmal im Gebiet der Dekapolis aufgehalten hatte; aber die Einleitung der Erzählung in 7,32 setzt das Wissen voraus, dass man Jesus um ein Heilungswunder bitten kann, womit an 5,20 angeknüpft sein dürfte. Auf einer vormarkinischen Überlieferungsebene ist der Gedanke, die Bittenden seien explizit Nichtjuden, offenbar nicht enthalten. Aber das bedeutet nicht, dass die in 7,32–8,9 erwähnten Menschen Juden sind, wie Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 67 f. animmt. Wilk, 68 Anm. 284: »Natürlich ist nicht auszuschließen, daß zu der Volksmenge in V. 33 auch ›Heiden‹ gehören; gesagt oder auch nur angedeutet wird das von Markus nicht.« Aber wenn Mk hätte betonen wollen, dass Jesus »mitten in der Dekapolis« auf tausende von Juden trifft, hätte er das vermutlich klarer gesagt. 72 Kato, Völkermission (s. Anm. 61), 87 meint, dass die Erzählungen in 7,24–31b; 7,31c–37; 8,1–9 ursprünglich nicht ins Heidenland gehören, wohl aber jetzt durch die mk Redaktion. Mk »will damit Phönizien und die Dekapolis mit Nachdruck ins Wirkungsfeld Jesu einbeziehen. Zugleich schafft er Raum für die Wirksamkeit Jesu bei den Heiden in der Geschichte des irdischen Jesus, der doch bewusst allein den Juden das Evangelium verkündigt hat.« Die Erzählung 7,24 ff. reflektiert aber natürlich immer schon das Verhältnis Jesu zu Nichtjuden; sie mag ursprünglich ortlos überliefert worden sein – Jesus könnte auch in Galiläa einer Syrophönizierin begegnet sein. 73 Wilk, Jesus und die Völker, 38 meint demgegenüber, Jesus halte sich »zwischen 8,27 (bzw. 8,22) und 9,29 ein zweites Mal für längere Zeit außerhalb von Galiläa auf, diesmal in der nordöstlich gelegenen Tetrarchie des Philippus«. Mk lasse aber nicht erkennen, »daß es sich hier um ›heidnisch‹ geprägtes Gebiet handelt«. 74 Vgl. dazu die eingehenden Beobachtungen von du Toit, Der abwesende Herr (s. Anm. 37), 276–283. 69

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direkt wieder auf (V. 9: oÏpoy eÆaÁn khryxuhÄì toÁ eyÆaggeÂlion eiÆw oÏlon toÁn koÂsmon …). Damit ist klar, dass diese Mission ein Phänomen erst der nachösterlichen Zeit ist. In dieselbe Richtung weist auch das Zitat aus Jes 56,7 im Rahmen der Tempelszene 11,15–17: Der Tempel wird künftig »allen Völkern« als Bethaus dienen (V. 17)75, auch wenn Jesus weiß, dass die Zerstörung des Tempels bevorsteht (13,2). Überschreitet der mk Jesus in seiner Lehre und seinem Handeln irgendwo die Grenzen des im Judentum Möglichen? Als er in 2,5 einem Gelähmten die Sündenvergebung zuspricht, werten »einige anwesende Schriftgelehrte« das als Gotteslästerung (blasfhmeiÄ); aber dieses Urteil steht in einer – vom Evangelisten möglicherweise sogar bewußt intendierten – Spannung dazu, dass schon JohanÄ n getauft hatte.76 In 2,18–22 lehnt er die von den Johannes eiÆw aÍfesin aëmartiv nesjüngern und den Pharisäern geübte Frömmigkeitspraxis des Fastens zumindest für die Gegenwart ab77; aber damit steht er nicht im Widerspruch zur üblichen jüdischen Frömmigkeit. Wenn Jesus als Reaktion auf die pharisäische Kritik am Ährenraufen der Jünger am Sabbat in 2,27 sagt, der Sabbat sei um des Menschen willen gemacht worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen78, und wenn er unmittelbar im Anschluß daran in seiner rhetorischen Frage in 3,4 zumindest implizit feststellt, dass »Gutes tun« und »Leben retten« am Sabbat erlaubt ist79, dann stellt er sich damit nicht außerhalb des Judentums. Grundsätzlich konnte dies auch sonst im damaligen Judentum gesagt und praktiziert werden, auch wenn es bei manchen sicher auch auf Kritik gestoßen wäre. Jesus steht nach der mk Darstellung immer wieder im Widerspruch insbesondere zum Denken pharisäischer Juden und vor allem der Schriftgelehrten80; aber der Evangelist schildert Jesu Verhalten niemals so, als verlasse er den Kontext des Judentums. Die einzige im Rahmen des Judentums nicht mögliche Feststellung findet sich im Anschluß an die Schilderung des Konflikts mit Pharisäern und einigen Schriftgelehrten über Rein und Unrein (7,1–13). Nach dem an den oÍxlow gerichteten grundsätzlichen Diktum, nichts, was »von außen« kommt, könne den Menschen verunreinigen (V. 14 f.), wird Jesus »im Haus« von den Jüngern nach dem Sinn dieser parabolh gefragt; er antwortet mit der rhetorischen Frage, ob sie denn 75

Mt und Lk haben (gegen den zitierten Text!) das Dativobjekt pa Ä sin toiÄw eÍunesin gestrichen. Jesu sündenvergebendes Wort in V. 5a ist so formuliert, dass Gott als der Vergebende erscheint; soll bei den Lesern der Eindruck erweckt werden, die grammateiÄw hätten das nicht verstanden oder absichtlich mißverstanden? 77 Vgl. dazu du Toit, Der abwesende Herr (s. Anm. 37), 25–34. 78 Vgl. meine Überlegungen in dem Aufsatz: »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden …« Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr. (s. o. S. 15–39). 79 Näheres in: Jesus und der Sabbat. Zum literarischen Charakter der Erzählung Mk 3,1–6 (s. o. S. 40–54). 80 Vgl. D. Lührmann, Die Pharisäer und die Schriftgelehrten im Markusevangelium, ZNW 78 (1987) 169–185. 76

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nicht begreifen, dass »alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht zu verunreinigen vermag« (V. 18), da es ja nicht ins Herz gehe, sondern »in den Bauch und in die Grube« (V. 19a. b). Hier fügt der Erzähler kommentierend hinzu, Jesus habe damit alle Speisen für rein erklärt (kauariÂzvn paÂnta taÁ brvÂmata, V. 19c), also einen wesentlichen Teil der biblischen Reinheitsgebote aufgehoben.81 Es dürfte kein Zufall sein, dass der Evangelist diese Feststellung nicht als wörtliche Rede Jesu überliefert, sondern als seine eigene Auslegung der Worte Jesu.82 Das Markusevangelium stellt Jesus sehr betont als einen nahezu ausschließlich innerhalb des Judentums wirkenden Prediger und Wundertäter dar.83 Die am Ende ja erfolgreichen Pläne »der Pharisäer und der Herodianer«, Jesus zu vernichten (3,6), waren mithin gegen einen Menschen gerichtet, der zu solchem Bemühen keinerlei Anlaß gegeben hatte. Menschen aus den »Völkern« erfahren aber bei der Lektüre des Markusevangeliums zweimal aus Jesu Mund, dass das von Jesus in Israel gepredigte eyÆaggeÂlion (1,14 f.) seit Jesu Auferstehung auch ihnen gilt (13,10; 14,9).

III. Der Autor des Lukasevangeliums84, der im Prolog (1,1–4) ausdrücklich feststellt, »schon viele« hätten eine dihÂghsiw verfaßt »von dem, was unter uns geschehen ist«85, spricht von Jesus als vom Sohn Gottes; anders als Markus vermittelt Lukas den Lesern durch die Rede des Engels an Maria auch eine gewisse Vorstellung davon, wie diese Gottessohnschaft zu verstehen ist (1,31.35). Lukas vermeidet es aber, diese Gottessohnschaft nach altorientalischem oder hellenistischem Vorbild als womöglich »biologisch« zustandegekommen zu deuten.86 81 Vgl. D. Lührmann, … womit er alle Speisen für rein erklärte (Mk 7,19), WuD 19 (1981) 71–92. 82 Mt hat in seiner Fassung der Szene diese Bemerkung gestrichen; offenbar sah er nur hier eine nicht hinnnehmbare Grenzüberschreitung für sein Verständnis der von Jesus gelehrten Toraobservanz (s. u.). 83 Dies bestätigt die Position von Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9); seine Annahme, dass Jesus sogar in den von ihm besuchten »heidnischen« Gebieten im Grunde stets – mit Ausnahme der Syrophönizierin – nur mit Juden Kontakt gehabt habe, scheint mir freilich überscharf pointiert zu sein. 84 Lk sagt zwar »ich« (1,3; vgl. Apg 1,1), aber wer hinter diesem »ich« steht, erfahren wir nicht. Rückschlüsse auf die Adressaten des Buches sind mit großen methodischen Unsicherheiten behaftet; der Versuch, von einer vermuteten »Gemeindesituation« her den Text zu deuten, führt in einen Zirkel, denn diese »Gemeindesituation« erheben wir ja allererst aus dem Text. 85 Zum Begriff dih  ghsiw vgl. M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 61 f. Der Begriff »bezeichnet keine bestimmte literarische Gattung; unter seinem semantischen Dach lassen sich sogar nicht-narrative Texte unterbringen« (60). 86 Dazu M. Wolter, Wann wurde Maria schwanger? Eine vernachlässigte Frage und ihre

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IV. Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien

Die im Lukasevangelium erzählte Welt Jesu umfaßt geographisch ebenso wie bei Markus Judäa87 und vor allem Galiläa; darüber hinaus kommen aber auch Samaria und die Samaritaner in den Blick, die im Markusevangelium nicht erwähnt worden waren.88 Diese Konzentration auf »Palästina«89 tritt besonders deutlich hervor, wenn man zum Vergleich auf die Apostelgeschichte blickt, in der Lukas dann ja einen weiten Ausblick in die Welt des Imperium Romanum bieten wird. Das im ersten Band des Doppelwerks erzählte Geschehen beginnt »in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa« (1,5).90 Die ersten handelnden Personen sind ein Priester namens Zacharias und dessen Ehefrau Elisabeth; Zacharias vernimmt im Jerusalemer Tempel durch den aÍggelow kyriÂoy die Ankündigung der wunderbaren Geburt eines Sohnes, und Ähnliches geschieht dann auch in Nazareth bei der Maria zuteil werdenden Verheißung ihrer Schwangerschaft, durch die das zuvor angekündigte Wunder noch einmal überboten werden wird.91 Die Szenen, die in den beiden ersten Kapiteln des Lukasevangeliums erzählt werden, spielen durchweg im Kontext eines betont toratreuen Judentums.92 Zwar ist in 2,1 f. ein »ökumenischer« Horizont angedeutet, insofern als Datum für das Geschehen der »weltweite« Steuercensus des Caesar Augustus genannt wird; aber die erzählte Handlung bezieht sich ausschließlich auf Israel. So sagt der aÍggelow kyriÂoy den Hirten, dass die Botschaft der xaraÁ megaÂlh das »Volk« (laoÂw), also Israel, betrifft; dementsprechend ist das soeben geborene Kind svthÂr und xristoÁw kyÂriow, und der Ort seiner Geburt ist Bethlehem als

Bedeutung für das Verständnis der lukanischen Vorgeschichte, in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas (WUNT 236), Tübingen 2009, 336–354. Vgl. auch A. Lindemann, »… ex Maria virgine«. Konfessionsspezifische Interpretationen der biblischen Aussage der Jungfrauengeburt? In: Surrexit Dominus vere. Die Gegenwart des Auferstandenen in seiner Kirche (FS Johannes Joachim Degenhardt), hg. von J. Ernst und S. Leimgruber, Paderborn 1995, 365–379. 87 Ob der Hinweis auf Jesu Predigen eiÆw ta Á w synagvgaÁw th Ä w ÆIoydaiÂaw in Lk 4,44 besagen soll, Jesus habe nicht nur in Galiläa, sondern ebenso auch in Judäa gepredigt, und zwar noch vor der Berufung von Jüngern, läßt sich kaum sagen. Nach Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 85), 208 soll die Ersetzung von »Galiläa« in Mk 1,39 durch »Judäa« zum Ausdruck bringen, »dass sich der geographische Radius der Wirksamkeit Jesu erweitert«; vermutlich meine »Judäa« ebenso wie in 1,5 das ganze jüdische Land. 88 Vgl. A. Lindemann, Samaria und Samaritaner im Neuen Testament, WuD 22 (1993) 51–76, bes. 57–67. 89 Der Begriff »Palästina« wird hier gebraucht, um Galiläa, Samaria und Judäa geographisch zusammenzufassen; als Bezeichnung für das Gebiet, in dem die Jesuserzählung spielt, ist der Begriff natürlich anachronistisch. 90 Zur Person des Herodes vgl. R. Metzner, Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar (NTOA 66), Göttingen 2008, 141–149 mit reicher Lit. 91 Vgl. dazu P. Böhlemann, Jesus und der Täufer. Schlüssel zur Theologie und Ethik des Lukas (MSSNTS 99), Cambridge 1997, 10–44. 92 Das hervorzuheben ist die Intention der Studie von Chung Yeon Kim, Das Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium, Diss. Bethel 2007.

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»die Stadt Davids« (V. 10 f., vgl. V. 4).93 Etwas später spricht der vom Heiligen Geist inspirierte Simeon im Tempel von »allen Völkern«, vor deren Angesicht Gott das Heil bereitet habe (2,30 f.: … toÁ svthÂrioÂn soy, oÊ hëtoiÂmasaw kataÁ proÂsvpon paÂntvn tv Ä n lav Ä n)94; aber anschließend wird sogleich begrifflich unterschieÄ w eiÆw aÆpokaÂlycin eÆunv Ä n kaiÁ den zwischen den eÍunh und »deinem Volk Israel« (fv doÂjan laoyÄ soy ÆIsrahÂl, V. 32).95 Indem Simeon biblische Verheißungen aus dem Jesaja-Buch aufnimmt, wird deutlich gesagt, dass Jesus der Messias Israels ist – nichts anderes.96 Auch in dem Synchronismus in 3,1 f. wird ähnlich wie zuvor in 2,1 der regierende Kaiser erwähnt; alle weiteren Angaben sind dann aber allein auf die jüdischen Territorien bezogen. Jenseits der erzählten Welt macht der Evangelist allerdings deutlich, dass das Jesusgeschehen in einem weiteren Horizont zu sehen ist: Die Genealogie in Lk 3,23–38 läuft, im Unterschied zu der in Mt 1,1–17 überlieferten Liste, nicht auf Abraham zu, sondern auf Adam und dann auf Gott; dies zeigt den »universalen« Bezug Jesu, insofern mit diesem Geschlechtsregister ja nicht Jesu Herkunft bestimmt, sondern die Ebene benannt werden soll, »auf der die Gottessohnschaft Jesu Bedeutung gewinnt. Es geht um das Verhältnis Gottes zur gesamten Menschheit«.97 Dieser Aspekt spielt aber auf der Ebene der erzählten Welt des Lukasevangeliums zunächst gar keine Rolle. Der lk Jesus handelt stets als frommer Jude. Schon als Zwölfjähriger läßt er sich im Tempel von den Lehrern unterrichten (2,46 f.); nach seiner Taufe betet er (3,21), bevor dann das pneyÄma zu ihm herabkommt und die Stimme eÆj oyÆranoyÄ ihn als »meinen geliebten Sohn« anspricht. In der Versuchungsgeschichte widersteht Jesus dem Teufel dreimal mit Hilfe von Worten aus der Tora, und in der 93 Allerdings verzichtet Lukas darauf, explizit auf den biblischen Zusammenhang hinzuweisen (Mi 5,1.3). 94 Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 85), 140 nimmt an, dass die Wendung kata Á proÂsvpon paÂntvn tv Ä n lav Ä n als »gezielte Abwandlung« von Jes 52,10 zu verstehen ist; während dort von der Restitution Israels die Rede sei, bei der die Heiden nur eine Zuschauerrolle hätten, sei in den Worten Simeons dieses Gegenüber jetzt beseitigt: »Das mit Jesus heraufgeführte svthÂrion Gottes gilt Israel und den Völkern gleichermaßen.« 95 Wolter ebd. versteht die Unterscheidung zwischen den e Í unh und dem laoÂw in V. 32 dagegen als »sinnvolle Dihärese der Sammelbezeichnung paÂntew oië laoi« in V. 31 (s. die vorige Anm); V. 32 mache deutlich, »dass die nachösterliche Heidenmission bereits von Anfang an fester Bestandteil der Verwirklichung von Gottes Heilshandeln unter den Menschen ist.« Wolter fährt fort: »Das, was Simeon hier erkennt, wird in Apg 28,28 den römischen Juden enthüllt.« Auf der Ebene der erzählten Welt des Lk wird es also noch nicht bekannt gemacht. 96 Vgl. Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 172 f. Wenn er allerdings für die Gebetsworte des Simeon folgende Übersetzung vorschlägt: »Meine Augen haben dein Heil gesehen, was du bereitet hast vor allen Völkern [tv Ä n lav Ä n], Licht – zur Offenbarung – für Heiden [eÆunv Ä n] und Ä w … eÆunv Ä n und doÂjan laoyÄ soy Glanz deines Volkes Israel«, so scheint mir die Parallelität von fv ÆIsrahÂl nicht richtig gesehen zu sein; die Genitive sollten besser in analoger Weise verstanden werden: »Licht zur Offenbarung für die Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel« (so die Übersetzung von Wolter, Lukasevangelium, 133). 97 Wolter, Lukasevangelium, 177.

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programmatischen Szene seiner Antrittspredigt in Nazareth spricht er von seinem Wirken als der Erfüllung einer biblischen Verheißung aus dem Jesaja-Buch (4,18–21). Im Fortgang der Szene erinnert er zwar ausdrücklich an Nichtjuden, die in Notsituationen durch Elia und Elisa Hilfe erhalten hatten (4,25–27), aber damit soll offenbar nur das Sprichwort von V. 24 bestätigt werden, dass der Prophet in seiner Vaterstadt nicht akzeptiert wird; jedenfalls fungieren die Witwe von Sarepta und der syrische Feldherr Naeman »als solche noch nicht als proleptischer Hinweis auf die spätere Heidenmission«, auch wenn sie in den Augen des Lukas dafür möglicherweise offen sind: »In erster Linie sollen sie vielmehr begründen, warum Jesus in Nazareth keine Wunder tut.«98 Der Hauptmann von Kafarnaum ist in der lk Fassung der Q-Erzählung (Lk 7,1–10) sehr betont als ein »Heide« dargestellt, dem aber zugleich von den jüdischen presbyÂteroi eine außerordentliche Nähe zum Judentum attestiert wird.99 »Zudem geht aus dem abschließenden Kommentar Jesu hervor, daß er Israel als den primären Adressaten seines Wirkens ansieht.«100 Lukas übernimmt in 8,26–39 die im »Heidenland« spielende Exorzismuserzählung aus Mk 5,1–20; ausdrücklich vermerkt er, dass das »Land der Gerasener« Galiläa gegenüber liegt (aÆntipeÂra thÄw GalilaiÂaw), d. h. er unterstreicht dessen Charakter als nicht-jüdisches Gebiet101, doch er vermeidet die eindeutige geographisch-politische Bezeichnung »Dekapolis«. Wilk vermutet sogar, der aÆnhÂr tiw eÆk thÄw poÂlevw eÍxvn daimoÂnia (Lk 8,27) sei als (Diaspora-)Jude zu denken102, aber das läßt der Text nicht erkennen. So hält sich Jesus auch bei Lukas einmal für kurze Zeit im »Heidenland« auf, kehrt aber sogleich von dort zurück (8,40). Die zweite im Markusevangelium geschilderte Reise Jesu in das Gebiet von Tyrus über Sidon in die Dekapolis (Mk 7,24–8,9) entfällt bei Lukas ganz; Jesu kurzer Aufenthalt bei den Gerasenern bleibt mithin eine einmalige Ausnahme.103 98

Wolter, Lukasevangelium, 198. Die Darstellung der Person des eëkatontaÂrxhw in Lk 7,5 unterscheidet sich insofern deutlich von derjenigen in Mt 8,5 ff. 100 Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 198. 101 Auch bei Lukas gebraucht der Besessene die Anrede an Jesus yiëeÁ toy Ä ueoyÄ toyÄ yëciÂstoy. Aber die Gottesbezeichnung yÏcistow begegnet im lk Werk häufig (s. dazu Chr. Zimmermann, Die Namen des Vaters [s. Anm. 49], 590–599). 102 Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 202 f. Wilk meint, Jesus müsse das Land verlassen (V. 37), und so übernehme der Geheilte die Aufgabe, von Gottes Handeln an ihm zu predigen (V. 39). »Dieser Befund verbietet es geradezu, jenen Mann als ›Heiden‹ zu identifizieren« (203). Aber die von Wilk genannten »Parallelen« (5,14 und 9,2) verfolgen eine andere Tendenz als 8,39. 103 Die »große Lücke« verdankt sich einer redaktionellen Entscheidung des Lk, nicht dem Fehlen dieses Textabschnitts in dem ihm zur Verfügung stehenden Exemplar des Mk; vgl. die Argumentation bei H. Conzelmann/A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament (UTB 52), Tübingen 142004, 73 f. 118 f. Anders Schnelle, Einleitung (s. Anm. 33), 193: »Für eine bewusste Auslassung von Mk 6,45–8,26 lassen sich keine Motive nennen«, vielmehr »bleibt allein die Annahme, dass Mk 6,45–8,26 noch nicht oder aber nicht mehr in dem Lukas vorliegenden Markusexemplar stand«. Aber welche Motive hätte ein Schreiber des Mk-Textes gehabt, den 99

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Ein vergleichsweise positives Bild zeichnet Lukas von Samaria und den Samaritanern. Zunächst schildert er zwar in 9,52–56 an einem Beispiel den zwischen Juden und Samaritanern bestehenden Konflikt, aber danach werden Samaritaner geradezu als Vorbilder beschrieben. Der das biblische Gebot der Nächstenliebe praktizierende »barmherzige Samariter« wie auch der vom Aussatz geheilte Samaritaner, der als einziger Gott die Ehre gibt (17,18), tun das, was alle Juden – der nomikoÂw von 10,25 ff. ebenso wie die neun Geheilten von 17,12 ff. – tun müßten; zwar ist ein Samaritaner ein aÆllogenhÂw (17,18), also ein Nicht-Jude, aber er ist kein »Heide«. Die zweite Sendung des doyÄlow in der lk Fassung der aus der Logienquelle stammenden Gastmahl-Parabel (Lk 14,15–24) wird oft als Indiz für eine Mission außerhalb Israels angesehen; diese Auslegung setzt aber einen allegorischen Sinn des Gleichnisses voraus, für die der Text sonst keinen Anhalt bietet: »Dass auf der Sachebene nunmehr die Heidenmission im Blick ist, ist beim besten Willen nicht zu erkennen.«104 Die strikte Israelbezogenheit der lk Darstellung des Jesusgeschehens zeigt sich noch einmal im Eingangsteil der Osterüberlieferung: Die Jünger, die sich auf dem Weg nach Emmaus befinden, sprechen davon, dass ihre Hoffnung, Jesus, »der mächtige Prophet in Werk und Wort vor Gott und allem Volk«, werde Israel erlösen, sich also wahrhaft als der Messias erweisen (24,19–21), enttäuscht wurde. Daraufhin erklärt ihnen der zunächst nicht erkannte Jesus aus der Schrift das richtige Verständnis der Messianität des Gekreuzigten (24,25–27); eine Ausweitung des Horizonts über Israel hinaus kommt dabei nicht in den Blick. Das ändert sich erst bei der letzten Erscheinung des Auferstandenen unmittelbar vor der »Himmelfahrt«: Jesus erinnert die Jünger zunächst nochmals daran, dass alles in der Schrift über ihn Gesagte erfüllt werden mußte (24,44–46); und dann sagt er, es werde in seinem Namen gepredigt werden »Umkehr zur Vergebung der Sünden für alle Völker«.105 Die Wendung khryxuhÄnai … eiÆw paÂnta taÁ eÍunh (Lk 24,47) berührt sich eng mit dem Missions- und Taufbefehl in Mt 28,18–20106; die für Lukas wichtige abschließende Bemerkung »beginnend in Jerusalem« zeigt aber, dass die nachösterliche Mission zwar die Grenzen Israels überschreiten wird, dass es dazu aber eines besonderen Anstoßes bedarf.107 Der irdische Jesus Abschnitt zu streichen, wenn sich für den Evangelisten Lk keine Motive nennen lassen bzw. der Abschnitt sekundär eingefügt worden wäre? 104 Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 85), 513. Anders Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 218: Das Herbeiholen der Armen aus der Stadt beziehe sich auf »Jesu Zuwendung zu den Sündern und Hilfsbedürftigen in Israel«, der zweite Auftrag meine, dass »im Gefolge des Auftretens Jesu … die Einladung zum endzeitlichen Heilsmahl auch an ›Heiden‹ ergehen« wird. 105 Das wird dann in der Apg vielfältig illustriert werden. 106 Von »allen Völkern« hatte der lk Jesus zuvor nur in Lk 21,24 in einer redaktionellen Erweiterung der mk Endzeitrede im Zusammenhang der Zerstörung Jerusalems gesprochen (aiÆxmalvtisuhÂsontai eiÆw taÁ eÍunh paÂnta). 107 Der Anstoß zur »Heidenmission« kommt in der Apg erst aufgrund einer dem Petrus zuteil werdenden Offenbarung (10,1–48).

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des Lukasevangeliums ist Jude, und er wird an keiner Stelle aus diesem Kontext herausgenommen.

IV. Der Evangelist Matthäus stellt schon in der »Überschrift« seines Buches Jesus als Juden dar, indem er das ganze Buch als biÂblow geneÂsevw ÆIhsoyÄ XristoyÄ bezeichnet (1,1), womit er offenkundig einen Bezug zu Gen 2,4a herstellt.108 Ob das Wort xristoÂw hier als »Beiname« Jesu zu verstehen ist oder im Sinne des Messiastitels, läßt sich kaum sagen; jedenfalls ist Jesus als yiëoÁw DayiÂd der Messias, und er steht als yiëoÁw ÆAbraaÂm in der Heilsgeschichte Israels. Die vier nichtjüdischen Frauen in dem Stammbaum werden der biblischen Tradition entsprechend genannt; ihre Erwähnung ist nicht notwendig als ein Vorausverweis auf die Völkermission anzusehen.109 Dass Jesus der Sohn Gottes ist, wird von Matthäus in ähnlicher Weise dargestellt wie im Lukasevangelium – Maria ist schwanger eÆk pneyÂmatow aëgiÂoy. Die Leser werden darüber schon vor Beginn der Handlung informiert (1,18), während die Personen der Erzählung, insbesondere auch der mit Maria »verlobte« Josef, es erst danach erfahren (1,19 f.). Matthäus zitiert als Beleg für das Wunder dieser Schwangerschaft Jes 7,14 LXX; es ist das erste seiner charakteristischen Reflexionszitate (1,23).110 Auch im Matthäusevangelium steht die Geburt Jesu ähnlich wie in Lk 2,1 in einem zeitgeschichtlichen Zusammenhang, denn Jesus wird im judäischen Bethlehem geboren111 eÆn hëmeÂraiw ëHrvÂìdoy toyÄ basileÂvw (Mt 2,1a).112 Die eigentlichen Hauptpersonen der Erzählung sind die »maÂgoi aus dem Osten« (2,1b–12). Sie 108 Anders Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 83 Anm. 2: Der biÂblow geneÂsevw bezieht sich nur auf die Genealogie in V. 1–17. Aber paßt dazu der Begriff biÂblow? 109 Anders Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 291. Die Nennung dieser Frauen lasse »in ›ekklesiologischer‹ Hinsicht anklingen, dass Israel schon immer für Nichtjuden offen war«, wobei zu beachten sei, »dass die genannten Frauen ohne Weiteres als Proselytinnen aufgefasst werden können«. 110 Vgl. Konradt (s. die vorige Anm), 29 f.: Mt betont, dass Jesus Davidide ist, aber dabei werde nicht der Davidssohn als Gottessohn adoptiert (dieser Fall liege in Röm 1,3 f.; Apg 13,33 f. vor), sondern umgekehrt der Gottessohn als Davidssohn. »Die Gottessohnschaft, die Jesu einzigartige Nähe zu und Verbundenheit mit Gott zum Ausdruck bringt, geht voran und erscheint als übergreifende Identität Jesu« (30). Zum Verständnis Jesu als »Sohn Davids« vgl. Konradt, 24–52. 111 Auch dafür nennt Mt den Schriftbeleg (Micha 5,1.3), aber nicht in der Einleitung zu der entsprechenden Erzählung, sondern erst in deren Verlauf (2,5 f.); die zuvor in 2,4 geschilderte Szene suggeriert ironisch, Herodes habe alle religiösen Autoritäten Jerusalems aufbieten müssen, Ä tai; zu erhalten. um eine Antwort auf die Frage poyÄ oë xristoÁw genna 112 Wer Herodes ist, braucht den Lesern offensichtlich nicht gesagt zu werden; der Charakter des Königs, wie ihn Mt sieht, wird im Fortgang der Handlung deutlich werden.

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sind selbstverständlich Nichtjuden113; aber sie sind nicht Vorboten einer christlichen Heidenmission, sondern sie sind im Gegenteil nach Jerusalem gekommen, um dort den eben geborenen »König der Juden« anzubeten (2,2) – d. h. sie stehen eher für die »Völkerwallfahrt zum Zion«114 als dass sie ein Symbol für eine mit Jesus verbundene Völkermission wären. Über ihr weiteres Verhalten nach der Rückkehr »in ihr Land« wird nichts gesagt; dass sie »gläubig« geworden wären, ist nicht einmal angedeutet.115 Im Zusammenhang des von Herodes angeordneten Kindermords in Bethlehem erfolgt auf Weisung des aÍggelow kyriÂoy die Flucht nach Ägypten (2,13). Diese Flucht und der Aufenthalt in Ägypten (2,14 f.19–21) bedeuten nicht, dass Matthäus an eine positive Beziehung Jesu zum »Heidenland« denkt; das Interesse des Evangelisten scheint vor allem zu sein, das Wort aus Hos 11,1 als explizites Zeugnis für Jesu Gottessohnschaft in Form eines Reflexionszitates einzusetzen.116 In Mt 3,13–17 wehrt sich Johannes der Täufer gegen Jesu Wunsch, von ihm Ä sai getauft zu werden; Jesu Antwort in V. 15 (oyÏtvw gaÁr preÂpon eÆstiÁn hëmiÄn plhrv pa Ä san dikaiosyÂnhn) ist insofern geradezu programmatisch, als hier der wichtige mt Begriff dikaiosyÂnh erstmals begegnet, und zwar im Munde Jesu. Der irdische Jesus ist also auch im Matthäusevangelium zunächst nicht als der zu identifizie113 Th. Holtmann, Die Magier vom Osten und der Stern. Mt 2,1–12 im Kontext frühchristlicher Traditionen (MThSt 87), Marburg 2005, 107 f. versteht die Magier als »Repräsentanten östlicher Weisheit und orientalischen Wissens«, die die Erwartung verkörpern, dass ein künftiger Herrscher »den Osten wieder zur Vorherrschaft über den Westen bringen wird«. Von daher sei das positive Bild zu erklären, dass Mt von ihnen zeichne. »Damit scheidet eine Deutung aus, die die Magier von Mt ausschließlich als Heiden verstehen will, denn ihr mögliches Heidentum spielt hier keine entscheidende Rolle, wichtig ist ihre Herkunft aus dem Osten, dessen Repräsentanten sie sind«. Gleichwohl ist natürlich vorausgesetzt. dass die maÂgoi Nichtjuden sind. 114 Sollte dieser Topos tatsächlich im Hintergrund stehen, so wäre freilich Jesus an die Stelle des »Zion« getreten. Vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 293 f. Der Gedanke der Völkerwallfahrt wäre »in doppelter Hinsicht ›gebrochen‹, nämlich zum einen messianisch transformiert – die Magier kommen, um dem König der Juden zu huldigen –, zum anderen insofern modifiziert, als ihre Reise eben nicht in Jerusalem, sondern in Bethlehem ihr Ziel findet«. 115 So m. R. Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 142. Holtmann, Magier (s. Anm. 113), 241 betont, dass Mt »seiner Gemeinde in Opposition zu Herodes den wahren König der Juden, den Davidssohn, vor Augen« führt, »der am Ende des Ev. als Kosmokrator erscheint. Dabei symbolisieren die Magier, positiv gesehen, die Erwartung des Ostens auf einen neuen Weltherrscher, wie sie in zeitgenössischen Texten zum Ausdruck kommt. Dementsprechend bezeugen sie dem Königskind die angemessene Anerkennung, die Proskynese (inklusive der königlichen Geschenke).« 116 Der hebr. Text von Hos 11,1 bezieht sich auf den Exodus des Volkes Israel, das von Gott als »mein Sohn« bezeichnet wird (inÇbÂlÇ itÇarÄqÄ ÕiÇrÅcÂMÇmÇU ); die LXX bringt diesen Aspekt gerade dadurch zum Ausdruck, dass sie pluralisch von »den Kindern« Israels spricht (… eÆj AiÆgyÂptoy metekaÂlesa taÁ teÂkna ayÆtoyÄ). W. D. Davies/D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to Saint Matthew. Volume I: Introduction and Commentary on Matthew I-VII (ICC), Edinburgh 1988, 262 f. nehmen an, Mt habe entsprechend dem hebräischen Text den Singular toÁn yiëoÂn moy gewählt, um so die Geschichte Jesu und die Geschichte Israels zu parallelisieren.

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ren, der im Sinne von 3,11 f. »kommen« und der dem Täufer in jeder Hinsicht überlegen sein wird. Der mt Jesus lehrt und handelt als toratreuer Jude, das zeigt die Bergpredigt, vor allem die Präambel zu den Antithesen (5,17–20) und auch die Antithesen selbst (5,21–48). Diese sagen ja nicht, dass Jesus die Tora zu beseitigen oder auch nur abzuschwächen beabsichtigt, sondern sie wollen im Gegenteil den wahren Sinn der Tora hervorheben; das gilt selbst dort, wo einer zuvor zitierten Torabestimmung explizit widersprochen wird.117 Jesus überbietet den Toragehorsam der Pharisäer, und er verlangt das auch von denen, die ihn hören (5,20). An späterer Stelle bezweifelt Jesus die Toratreue der Pharisäer sogar; gerade die massive antipharisäische Polemik, etwa in der Rede Mt 23, gehört aber zu dem Bild, das Matthäus vom »jüdischen Jesus« zeichnet. Einige textliche Modifikationen gegenüber der Mk-Vorlage zeigen, dass Matthäus bestimmte Auseinandersetzungen Jesu mit Pharisäern als einen innerjüdischen Vorgang ansieht, nicht etwa als einen vorweggenommenen Konflikt zwischen der »Kirche« und »Israel«. So wird in der Szene vom Ährenraufen am Sabbat (Mt 12,1–8) einleitend gesagt, dass die Jünger Hunger hatten (V. 1); die am Sabbat verbotene Erntearbeit war in diesem Fall also geradezu geboten, um ein der Sabbatfreude widersprechendes Fasten zu vermeiden. Jesus weist ergänzend zu der Argumentation mit dem David-Beispiel auf die Verletzung des Sabbatgebots durch den Opferdienst im Tempel hin; mit seiner Aussage »Hier ist mehr als der Tempel« (V. 6) stellt er sich nicht etwa über den Tempel, sondern er betont die Notwendigkeit der das Opfer überbietenden Barmherzigkeit entsprechend dem abschließend in V. 7 zitierten Schriftwort aus Hos 6,6. Auch bei Matthäus besitzt Jesus die Vollmacht zur Entscheidung über das richtige Verständnis des Sabbatgebots, wie die Mk 2,28 entsprechende abschließende Aussage in 12,8 zeigt; das Logion in Mk 2,27 hielt Matthäus aber offensichtlich für zumindest mißverständlich, und er hat es deshalb – ebenso wie auch Lukas – gestrichen.118 Anschließend erklärt Jesus die Heilung des Mannes mit der gelähmten Hand am Sabbat für gerechtfertigt, weil man ja auch ein am Sabbat in einen Brunnen gefallenes Schaf selbstverständlich rette (12,11), und dabei sei doch der Mensch viel mehr wert als ein Schaf (12,12a).119 117 Das ist bei der Ablehnung der Ehescheidung (5,31 f.), beim strikten Schwurverbot (5,33–37) beim Widerspruch gegen das ius talionis (5,38–42) und – wenn auch in polemischer Verzeichnung – bei der Ausweitung des Gebots der Nächstenliebe (5,43–47) der Fall. 118 In Mk 2,28 hat die Feststellung, dass Jesus »Herr des Sabbats« ist, die Funktion einer Schlußfolgerung aus der in V. 25–27 vorangegangenen Argumentation Jesu (vÏste ktl.); in Mt 12,8 ist diese Aussage dagegen eine begründende Erläuterung zu den in V. 3–7 vorgebrachten Argumenten (kyÂriow gaÂr eÆstin toyÄ sabbaÂtoy oë yiëoÁw toyÄ aÆnurvÂpoy). 119 Das setzt eine im zeitgenössischen Judentum durchaus nicht einheitlich vertretene Position voraus. Nach den Bestimmungen der Damaskusschrift darf man am Sabbat beim Vieh keine Geburtshilfe leisten, und man darf ein in einen Brunnen oder in eine Grube gestürztes Tier nicht herausholen; zur Rettung eines Menschen darf man keine Hilfsmittel verwenden (CD XI 13–17).

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Welchen Umgang hat der Jesus des Matthäusevangeliums mit »Heiden«? In der mt Fassung der Erzählung vom Hauptmann in Kafarnaum ist dessen »heidnischer« Status weniger stark betont als bei Lukas. Der eëkatontaÂrxhw spricht zunächst gar keine Bitte aus, sondern er erwähnt die schwere Erkrankung seines paiÄw120; auf Jesu distanzierte Antwort121 hin beschreibt er an zwei Beispielen die ihm gegebene Befehlsgewalt122, womit er sein unbedingtes Vertrauen zu Jesus zum Ausdruck bringt.123 Fragen kann man, ob das Wort in 8,11 f. zum Ausdruck bringen soll, dass der Glaube des heidnischen Hauptmanns dem angekündigten »Kommen derer von Osten und Westen« entspricht, ob also der Gedanke der »Heidenmission« anklingt; er wäre dann verbunden mit einer Verwerfung der yiëoiÁ th Ä w basileiÂaw. Eine klare Antwort ist nicht möglich; jedenfalls hat Matthäus das in der Logienquelle an anderer Stelle stehende Gerichtswort124 in einen neuen Kontext eingefügt und so dessen Gewicht erheblich verschärft, insofern nun der Gegensatz zwischen der piÂstiw des heidnischen Hauptmanns und dem in Israel zumindest so nicht vorhandenen Glauben hervorgehoben wird.125 Die Exorzismuserzählung von Mk 5,1–20 spielt bei Matthäus im »Land der Gadarener«, nicht in Gerasa (Mt 8,28–34).126 Matthäus hatte den geographischpolitischen Begriff DekaÂpoliw in der summarischen Notiz in 4,25 erwähnt, ohne einen expliziten Hinweis auf den »heidnischen« Status dieses Gebiets; in 8,28–34 Vgl. W. D. Davies/D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to Saint Matthew. Volume II: Commentary on Matthew VIII–XVIII ICC), Edinburgh 1991, 320. 120 In Lk 7,2.10 ist vom doy Ä low die Rede, in 7,7 spricht der Hauptmann selbst vom paiÄw; das spricht dafür, dass mit paiÄw auch bei Mt eher ein »Knecht« als ein »Kind« gemeint ist (anders Wilk, Jesus und die Völker [s. Anm. 9], 114). In Joh 4,46–53 geht es dann tatsächlich um den Sohn des königlichen Beamten (s. u.). 121 Mt 8,7 ist vermutlich als abwehrende Reaktion aufzufassen; vgl. Wilk ebd. 122 An dieser Stelle geht die Auslegung von Wilk, Jesus und die Völker, 114 f. m. E. über das im Text Erkennbare hinaus; der Hauptmann argumentiere so: »Wie ich nicht nur für die mir untergebenen Soldaten zuständig bin, sondern auch für meinen Sklaven, so kannst du, Jesus, nicht nur Juden, sondern auch ›Heiden‹ helfen.« Aber die strativÂtai und der doyÄlow mit ihren analogen Reaktionen illustrieren vermutlich nur die Breite der Befehlsgewalt. 123 Ob man von einer »(tastenden) Erkenntnis der Identität Jesu« durch den Hauptmann sprechen sollte (so Wilk, Jesus und die Völker, 144), scheint mir fraglich; jedenfalls attestiert Jesus ihm eine beispiellose piÂstiw (V. 10); vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 70–81. 124 Lk 13,28 f. 125 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 224 betont m. R., dass Mt 8,11 f. nicht von einer Verwerfung Israels sprechen. Aber ist wirklich nur gemeint, dass sich Mt auf diese Weise »kritisch gegen Judenchristen wendet, die ein partikularistisches Heilsverständnis vertreten« (so Konradt ebd)? 126 Das etwas näher zum See Genezareth hin gelegene Gadara mag dem Evangelisten verglichen mit dem weit entfernten Gerasa als ein für die geschilderten Ereignisse plausiblerer Ort erschienen sein. Die Annahme, dass Mt damit zugleich »einen beachtlichen jüdischen Bevölkerungsanteil« in dem Gebiet voraussetzt (so Wilk, Israel und die Völker [s. Anm. 9], 139), verlangt sehr viel »Hintergrundwissen«.

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wird der Begriff vermieden. Der nichtjüdische Charakter des Territoriums wird natürlich auch bei Matthäus durch die Schweineherde signalisiert; aber die nunmehr zwei Besessenen reden Jesus als »Sohn Gottes« an und nicht wie in Mk 5,7 als »Sohn des höchsten Gottes«. Wilk nimmt an, dass die beiden Männer »als Israeliten anzusehen« sind; aber Konradt stellt zu Recht fest, dass Matthäus »sich die beiden Besessenen und die Stadtbevölkerung als ›heidnisch‹ gedacht haben« dürfte.127 Auffallend ist insbesondere, dass die abschließende Notiz in Mk 5,20 über die Verkündigungstätigkeit des Geheilten im Mt-Text entfallen ist.128 Von besonderer Bedeutung für die hier untersuchte Fragestellung ist die Aussendung der zuvor namentlich genannten Zwölf (10,5a), die ausdrücklich angeÄ n zu gehen und auch nicht eiÆw poÂlin Samaritv Ä n, wiesen werden, nicht eiÆw oëdoÁn eÆunv (10,5b). Es ist also nicht von den »Völkern« und den »Samaritanern« die Rede, sondern Jesus spricht lediglich von deren Gebieten, die von den Jüngern nicht Ä llon) »zu den verloeinmal betreten werden dürfen129; sie sollen stattdessen (ma renen Schafen des Hauses Israel« gehen (10,6). Umstritten ist, ob in V. 6 »inklusiv« ganz Israel gemeint ist, das dann auf die Zuwendung angewiesen wäre, oder ob es lediglich »exklusiv« um eine bestimmte Gruppe innerhalb des Volkes geht. Nach A. von Dobbeler wird von 9,36 her deutlich, dass diejenigen gemeint sind, »die, weil sie keinen Hirten haben, … geplagt und niedergeschlagen sind und ob ihres jämmerlichen Zustands das Erbarmen Jesu hervorrufen«; es gehe »um die Not derjenigen in Israel, die unter einer Führungsschicht zu leiden haben, die dem Volk die Haut abzieht (das bedeutet skyÂllv wörtlich), es niederwirft und verschmachten läßt«.130 Aber dieser Aspekt kommt in der in V. 7f. gegebenen Anweisung für das heilende und helfende Tun der Zwölf nicht zum Ausdruck; auch in 9,36 zeigt die einleitende Wendung iÆdvÁn deÁ toyÁw oÍxloyw, dass nicht eine bestimmte Gruppe, sondern »alle« im Blick sind. Wenn von Dobbeler meint, es sei nicht zu erkennen, dass die in in 9,35b erwähnten »Kranken und Besessenen das ganze Volk Israel repräsentieren«131, dann scheint er V. 35a übersehen zu haben: Jesus predigt »in allen Städten und Dörfern und lehrt in ihren Synagogen«; selbstverständlich gibt es in Israel auch Menschen, die nicht der Heilung bedürfen, aber Jesu Verkündigung gilt offensichtlich allen, und denselben Auftrag bekommen dann auch die Jünger. In 10,23 folgt die Ankündigung, 127

Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 59. Vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker, 62 f. 129 Vgl. Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 127: Die Jünger werden gemahnt, »bei ihrer Wandermission unter Juden Städte und Gegenden mit nichtjüdischer Bevölkerung zu meiden«. Damit wird übrigens deutlich, dass Mt nicht die Erwägung anstellt, es seien in solchen nichtjüdischen Gegenden auch Juden anzutreffen. 130 A. von Dobbeler, Die Restitution Israels und die Bekehrung der Heiden. Das Verhältnis von Mt 10,5b. 6 und Mt 28,18–20 unter dem Aspekt der Komplementarität. Erwägungen zum Standort des Matthäusevangeliums, ZNW 91 (2000) 18–44, hier: 29.30. Ähnlich Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 39. 131 Von Dobbeler (s. die vorige Anm), 29 A 45. 128

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dass die Jünger nicht einmal »die Städte Israels« würden vollständig aufsuchen können bis zum Kommen des Menschensohns, womit an den spezifisch geographischen Aspekt von 10,5 angeknüpft wird.132 Stärker kann Matthäus die Konzentration des Wirkens Jesu auf Israel nicht hervorheben.133 Bei der Darstellung des zweiten Aufenthalts Jesu in nicht-jüdischem Land folgt Matthäus zunächst der Mk-Vorlage: Nach den Gesprächen zum Thema »kultische Reinheit« (Mt 15,1–20) durchzieht Jesus die Gebiete von Tyrus und Sidon (15,21)134, wo er »einer kannaäischen Frau aus jener Gegend« begegnet135, die ihn um Erbarmen für ihre Tochter anruft (15,22), wobei sie Jesus kyÂriow und »Sohn Davids« nennt. Ob Matthäus dabei voraussetzt, dass der Ruf Jesu als eines Wundertäters schon in dieses Gebiet und also bis zu dieser Frau gelangt sei, oder ob er sich über solche logischen Voraussetzungen des Handelns der Frau keine Gedanken macht, läßt sich kaum sagen; jedenfalls hat er die einleitenden Bemerkungen in Mk 7,24.25a weggelassen. Deutlich ist, dass die Begegnung auch bei Matthäus nicht zu einem Modell für »Heidenmission« geworden ist; zugleich aber wird der Wechsel in Jesu Verhalten gegenüber der Nichtjüdin von Matthäus noch stärker hervorgehoben als das bei Markus der Fall gewesen war: Jesus reagiert auf das Rufen der Frau überhaupt nicht, und deshalb fordern ihn die (bei Markus in diesem Zusammenhang nicht erwähnten) Jünger auf, dem Wunsch der Frau nachzugeben136, weil sie »hinter uns her schreit«; Jesus weist das zurück mit dem 10,6 wörtlich wiederholenden Hinweis, er sei gesandt »allein zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel« (15,24).137 Erst als die Frau weiterhin hartnäckig bittet, reagiert Jesus ähnlich wie bei Markus zunächst mit dem Wort von den Kindern und den Hündlein und als Antwort auf die geschickte Reaktion der Frau138 endlich mit seinem Heilungswort.139 132

Vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 91. Zu den Aussagen in 10,5 f. und 10,23 gibt es in den Paralleltexten bei Mk und in Q keine Entsprechung. 134 Diese pauschale Ortsangabe führt dazu, dass die folgende Szene, anders als bei Mk, geradezu »ortlos« ist. 135 Zur Bezeichnung der Frau als »Kanaanäerin« vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 65, der darin »biblisches Kolorit« sieht, wodurch Mt »indirekt die biblische Verankerung der Beschränkung der Sendung Jesu auf das von Gott auserwählte Volk« beleuchte und unterstreiche. 136 Dies dürfte die nächstliegende Interpretation der Aufforderung a Æ poÂlyson ayÆthÂn sein (so auch Wilk, Jesus und die Völker [s. Anm. 9], 145); anders Davies/Allison, Matthew II (s. Anm. 119), 549 f. mit der Begründung, man dürfe aÆpoÂlyson nicht überinterpretieren, und es sei unklar, an wen sich Jesu Wort in 15,24 richtet. Aber so wie Jesus in V. 26 (oë deÁ aÆpokriueiÁw eiËpen) der Frau antwortet, die zuvor gesprochen hatte, so antwortet er in V. 24 (oë deÁ aÆpokriueiÁw eiËpen) den Jüngern. 137 Hier scheint jedenfalls deutlich zu sein, dass »ganz Israel« gemeint ist und nicht eine bestimmte Gruppe. 138 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 68: »Die Kanaanäerin antizipiert damit die Universalität der Heilszuwendung, die Jesus selbst erst nach seiner Auferstehung und Erhöhung zum Weltenherrn kundtun wird, und sie vermittelt dies in ihrem Argument zugleich 133

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Die bei Markus unmittelbar folgende Erzählung von der Heilung des Taubstummen (Mk 7,31.32–37) hat Matthäus aufs Äußerste gekürzt (15,30 f.) und zu einem Summar umgestaltet; vor allem finden sowohl dieses Geschehen wie auch die Speisung der Viertausend (15,32–38) zwar paraÁ thÁn uaÂlassan thÄw GalilaiÂaw statt, aber weder die einleitende Reisenotiz in 15,29140 noch irgendwelche weiteren Indizien zeigen an, dass sich Jesus und die Jünger womöglich nicht in Galiläa aufhalten.141 Matthäus hat das Petrusbekenntnis von Mk 8,29 und die Antwort Jesu erheblich erweitert und vertieft (Mt 16,16–19). Werden hier die Grenzen Israels nun nicht doch überschritten, insofern Jesus in 16,18 von der kommenden eÆkklhsiÂa als von einer universalen »Kirche« spricht? Nun sprechen jedenfalls die Aussagen über die Konfliktlösung und Rechtsfindung innerhalb der eÆkklhsiÂa in 18,15–17142 für die Annahme, dass der Begriff eÆkklhsiÂa auch in 16,18 nicht im Sinn von »Kirche«, sondern als »Gemeinde« bzw. konkret als »Versammlung« zu verstehen ist. Dann ist die von Jesus auf Petrus als dem »Fels« errichtete eÆkklhsiÂa die Gemeinschaft derer, die sich zu Jesus halten; an eine neue Institution, die womöglich außerhalb Israels verortet sein könnte, wäre nicht gedacht. K. L. Schmidt hat gemeint, in 16,18 liege ein echtes Jesuswort vor, wobei eÆkklhsiÂa im Sinn von lhq zu verstehen sei: »Die Gemeinde, die mit J[esus] und mit seinen Jüngern gegeben ist, ist Israel, gerade Israel, nur Israel, der Rest Israels, das Israel der Endzeit.«143 Auch wenn in Mt 16,18 vermutlich kein authentisches Jesuswort vorliegt, so dürfte eÆkklhsiÂa im Kontext der von Matthäus dargestellten Welt Jesu zu deuten sein, so dass der Begriff nicht auf eine Größe zu beziehen ist, welcher auf der Erzählebene keine Realität entspricht.144 Richtig ist, dass das futurische mit dem heilsgeschichtlichen status quo der noch absoluten Differenz zwischen Juden und ›Heiden‹.« Auf der Ebene der erzählten Welt wird dieser Zusammenhang aber gerade nicht deutlich, sondern Jesu Handeln ist eine einmalige Ausnahme. 139 Der Abschluß der Erzählung in Mt 15,28 unterscheidet sich deutlich von Mk 7,29 f., vor allem durch Jesu Feststellung megaÂlh soy hë piÂstiw. 140 Den Hinweis auf Sidon (Mk 7,31) hat Mt nach vorn gezogen (s. o. Anm. 132); die Rückkehr an die uaÂlassa thÄw GalilaiÂaw geschieht also direkt und ohne weitere Zwischenstation; vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 57 f. 141 Allenfalls die das Wundersummar in 15,31 abschließende Wendung kaiÁ eÆdo  jasan toÁn ueoÁn ÆIsrahÂl könnte ein Indiz dafür sein, dass hier das Verhalten von Nichtjuden beschrieben wird. 142 Vgl. dazu S. Koch, Rechtliche Regelung von Konflikten im frühen Christentum (WUNT II/174), Tübingen 2004, 66–83; die eÆkklhsiÂa ist die Versammlung von aÆdelfoi (70). 143 K. L. Schmidt, Art. Jesus Christus, RGG2 III, Tübingen 1929, 110–151, hier: 148. 144 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 358 f.: Die ecclesia ist »die von Jesus bzw. durch die Mission gesammelte eschatologische Heilsgemeinde, die durch das Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes (16,16) und ein Leben nach seinen Weisungen (28,20a) qualifiziert ist und auf seinen Namen hin zusammenkommt (18,20). Ihre Keimzelle ist der von Jesus im Rahmen seines Wirkens in Israel herausgebildete Jüngerkreis, der nach der matthäischen Konzeption nachösterlich Menschen aus allen Völkern offensteht.« Aber wird dies im Duktus der Erzählung in 16,18 bereits so deutlich?

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oiÆkodomhÂsv auf ein bevorstehendes Geschehen verweist145, ohne dass dieses »Bauen« im Matthäusevangelium thematisiert wird; in 18,15–17 ist die eÆkklhsiÂa

jedenfalls als eine bereits vorhandene Größe vorausgesetzt. Die Vorstellung einer »Heidenmission«, nämlich der Gedanke, dass das Evangelium in der ganzen Ökumene kundgetan werde »zum Zeugnis für alle Völker«, wird in der Endzeitrede in Mt 24,14 ausgesprochen.146 In 26,13 nimmt Matthäus nahezu wörtlich Jesu Aussage von Mk 14,9 auf; dass es hier »keine eindeutigen Hinweise darauf« gebe, »wem die Verkündigung des Evangeliums gilt«147, wird Äì koÂsmvì spricht gegen jede man kaum sagen können; die Ortsangabe eÆn oÏlvì tv Einschränkung des Adressatenkreises. Auch das große Gerichtsbild in 25,31–46 nimmt einen universalen Zug auf; wenn paÂnta taÁ eÍunh vor den Richterstuhl des in seiner doÂja gekommenen Menschensohnes (V. 31) bzw. des »Königs« (V. 34) treten werden, dann geht es um das Urteil über diejenigen, die einem »dieser meiner geringsten Brüder« Hilfe gewährt oder aber Hilfe verweigert haben. Dass dabei nur an »alle (Heiden-) Völker« gedacht wäre, weil nach Mt 19,28 die Stämme Israels von den zwölf Jüngern Jesu gerichtet werden148, verfehlt den Sinn der Abschlußszene in der Endzeitrede Jesu.149 »Geht man davon aus, dass es für Matthäus nur ein Gericht für alle gibt und dieses in 25,31–46 geschildert wird, empfiehlt sich für 25,32 ein inklusives Verständnis von paÂnta taÁ eÍunh«, stellt Konradt m. R. fest; er schränkt dies dann freilich doch ein mit Blick darauf, dass die Sammlung der Erwählten in 24,30 f. vorangegangen war und diese also »von dem in 25,31–46 geschilderten Gericht nicht betroffen sind«.150 Aber das gilt natürlich auch für »die geringsten meiner Brüder«, die den Maßstab für das Gericht bilden, nicht aber selbst gerichtet werden.151

145 Konradt, 371 meint, das Futur verweise »auf die Zeit nach Jesu Auferstehung«; aber es fällt doch auf, dass in 28,18–20 der Begriff eÆkklhsiÂa nicht begegnet. 146 Die Formulierung ist gegenüber Mk 13,10 modifiziert. 147 So Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 126. 148 So von Dobbeler, Restitution Israels (s. Anm. 130), 31. 149 Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 122: »Im Gericht werden ›alle Völker‹ (V. 32) danach beurteilt, ob sie den Jüngern als den ›Brüdern‹ des Menschensohnes (V. 40), und sei es nur einem der Geringsten von ihnen (V. 40.45), praktisch geholfen haben oder nicht. Damit aber werden die Jünger zu Mittlern des Segens für die einen, des Fluchs für die anderen (V. 34b. 41b) – ganz im Sinn von Gen 12,3a«. Warum Wilk den Begriff »alle Völker« dabei als »alle ›Heiden‹, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehören«, deutet (so 122 Anm. 297), ist mir unverständlich. 150 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 336. 151 Vgl. E. Brandenburger, Das Recht des Weltenrichters. Untersuchung zu Matthäus 25,31–46 (SBS 99), Stuttgart 1980, 131: »Für Matthäus hat der Messiaskönig das Wesen des Gesetzes als Rechttun und Barmherzigkeit nicht nur in kritischer Auslegung verkündet, sondern auch verwirklicht, und es ist beides allen Völkern zugewandt worden. Darum kann die Menschenwelt durch den Weltenrichter beim Endgericht auch auf die Barmherzigkeiz angesprochen werden, die er den Elenden in Israel und den Völkern, also den Notleidenden aller Völker, erwiesen hat.«

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In Mt 28,16–20 wird abschließend erzählt, dass der Auferstandene den elf Jüngern in Galiläa erscheint; aus der ihm (von Gott) gegebenen eÆjoysiÂa im Himmel und auf Erden152 leitet er den Auftrag zur Mission ab (mauhteyÂsate paÂnta taÁ eÍunh), verbunden mit der Taufe und der Lehre alles dessen, was er zuvor »geboten« hatte. Wilk meint, es müsse »offenbleiben«, ob Matthäus die Taufe »nach Ostern auch für Juden, die sich der Jüngergemeinschaft anschließen, als möglich oder selbstverständlich ansieht«; es sei »nicht ausgeschlossen«, dass die als Pendant zur Johannestaufe verstandene Taufe »allein an Nichtjuden zu vollziehen ist, nämlich als Zeichen ihrer Eingliederung in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams«.153 Aber der Kontext des Taufbefehls, insbesondere der einleitende Hinweis auf die universale eÆjoysiÂa, ist doch ein deutliches Indiz dafür, dass diese und auch die anderen Weisungen Jesu uneingeschränkt gelten sollen. Die Aussagen zur Taufe sowohl bei Paulus als auch in der Apostelgeschichte setzen es als selbstverständlich voraus, dass alle Christusgläubigen getauft sind, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Matthäus hier unausgesprochen eine Sonderlehre einführen will.154 Die Anweisung in V. 20a (didaÂskontew ayÆtoyÁw threiÄn paÂnta oÏsa eÆneteilaÂmhn yëmiÄn) besagt, dass die Jünger bei ihrer der Taufe folgenden »Lehre« das vermitteln sollen, was der irdische Jesus zuvor geboten hatte – selbstverständlich unter Einschluß der Tora, wie sie von Jesus ausgelegt worden war.155 Was zunächst nur innerhalb Israels gelten sollte, wird nun weltweit Gültigkeit erhalten; die Einleitungswendung in V. 18a macht deutlich, dass die Grundlage dafür die dem Auferstandenen verliehene eÆjoysiÂa ist; von einem bloßen »Hinzukommen« der »Heiden« kann keine Rede sein, sondern Jesus richtet sich mit seiner Weisung an paÂnta taÁ eÍunh. Damit öffnet sich das Matthäusevangelium in den letzten Worten Jesu der ganzen Welt. Die Wendung paÂnta taÁ eÍunh bezieht sich dementsprechend in 28,19 ebenso wie an den anderen Stellen zuvor auf »alle Völker«, einschließlich Israel. Von Dobbeler verweist darauf, dass im zeitgenössischen Judentum eÍunh »vornehmlich die Gesamtheit der Heidenvölker im Unterschied zu Israel« bezeichne, und er folgert, es gebe deshalb »keinen überzeugenden Grund dafür, daß ausgerechnet die paÂnta taÁ eÍunh-Stellen des MtEv anders verstanden werden müß-

152 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 306 meint, aus dem Zusammenhang mit den bei Mt vorangegangenen Belegen für eÆjoysiÂa sei abzuleiten, dass Jesus diese eÆjoysiÂa »schon vorher« besaß, »aber mit seiner Inthronisation zum Weltenherrn ist er in die Position eingesetzt, sie auszuüben«. Aber die ganze Szene zielt darauf ab, dass Jesus die universale eÆjoysiÂa seit seiner Auferstehung besitzt. 153 Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 152 f. A 516. 154 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 338: Es »spricht nichts dagegen, dass die Taufe nicht auch selbstverständlicher Bestandteil der nachösterlichen Israelmission war«. 155 Die Debatte darüber, ob dies die Beschneidung einschließe (vgl. von Dobbeler, Restitution Israels [s. Anm. 130], 38 f.), übersieht, dass das Thema Beschneidung im Mt gar nicht erwähnt wird.

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ten«156; ähnlich erklärt auch Wilk, paÂnta taÁ eÍunh bezeichne »die nichtjüdische Völkerwelt«, doch er fährt dann fort: »Matthäus pflegt diesbezüglich einen konsequenten Sprachgebrauch; (taÁ) eÍunh meint in seinem Evangelium stets (die) ›Heiden‹.«157 Tatsächlich unterscheidet Matthäus sehr bewußt zwischen taÁ eÍunh, womit »die Heiden« bzw. »alle Heiden« gemeint sind158, und paÂnta taÁ eÍunh, womit »alle Völker« bezeichnet sind, nicht unter Ausschluß Israels.159 Sendung und Geschichte des irdischen Menschen Jesus waren ganz auf Israel bezogen, der mt Jesus war und blieb also Jude unter Juden; nach Ostern jedoch ist angesichts der universalen eÆjoysiÂa des Auferstandenen die bisherige Unterscheidung zwischen Israel und den Völkern aus der Sicht des Matthäusevangeliums gegenstandslos geworden.160 Konradt ist zuzustimmen: »Das Heil ist nunmehr über den Eintritt in die Jüngerschaft und damit in die ecclesia Jesu zu finden. Dies gilt für die ›verlorenen Schafe des Hauses Israel‹ ebenso wie für die Menschen aus den Völkern. Röm 11,25 f. hat im Matthäusevangelium kein Pendant. Die Sonderstellung des Gottesvolkes Israel ist im Zuge dieser Transformation auf die ›Rolle‹ des privilegierten Adressaten der messianischen Zuwendung Jesu und des Wirkens seiner Jünger konzentriert.«161

V. Die deutlichste Akzentuierung Jesu als eines galiläischen Juden zeigt das Johannesevangelium. Einerseits weist das Vierte Evangelium die am stärksten ausgearbeitete »hohe« Christologie auf, insofern Jesus hier als der präexistente, fleischgewordene loÂgow verstanden ist, der als Sohn Gottes aufgrund der Sendung durch den Vater vom Himmel herabgestiegen war und nach Abschluß seines irdischen Wirkens dorthin zurückkehrt. Andererseits aber ist die Welt, in der der irdische 156

von Dobbeler, 31 f. Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 129. 158 Mt 6,32; 10,5; 20,25 u. ö. 159 Mt 24,9.14; 25,32. Vgl. dazu A.-J. Levine, The Social and Ethnic Dimensions of Matthean Salvation History. »Go nowhere among the Gentiles …« (Matt. 10:5b), SBEC 14, Lampeter 1988; ferner U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 4. Teilband Mt 26–28 (EKK I/4), Düsseldorf und Neukirchen/Vluyn, 2002, 447–452: »Der Missionsbefehl des Herrn über Himmel und Erde, d. h. die ganze Welt, ist m. E. grundsätzlich universalistisch gemeint und gilt allen Völkern. Er schließt eine weitere Israelmission zwar nicht explizit aus, aber große Hoffnungen verbindet Matthäus damit wohl nicht mehr« (451). Welche konkreten Erwartungen Mt an den Missions- und Taufauftrag knüpft, läßt sich freilich gar nicht sagen. 160 Von Dobbeler, Restitution Israels (s. Anm. 130), 39 hält es für möglich, dass im Hintergrund von Mt 28 die Vorstellung von der Völkerwallfahrt steht; dann »hätten wir damit immerhin einen Hinweis, wie man sich das Hinzukommen der Heiden vorzustellen hat. Die Bekehrung der Heiden zum Gott Israels und ihre Unterstellung unter seine Weisung bedeuten keinesfalls, daß die Unterscheidung zwischen Israel und den Heiden einfach hinfällig wäre.« 161 Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 373 f. 157

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Jesus wirkt, ausschließlich die jüdische Welt Judäas und Galiläas, darüber hinaus allerdings ganz betont auch Samaria (Joh 4); ausdrücklich wird die Tatsache reflektiert, dass Jesus aus Nazareth stammt (1,46 f.), dass er also eigentlich nicht einmal ein Prophet sein kann (7,52). Es gehört zu den charakteristischen Elementen des joh Jesus-Bildes, dass Jesus während der Zeit seiner öffentlichen Wirksamkeit mehrfach nach Jerusalem geht, um an der Feier eines Festes teilzunehmen. Bei seinem ersten Aufenthalt in Jerusalem vollzieht er, nicht anders als in den synoptischen Evangelien, die sog. »Tempelreinigung« (2,14–22); sie bleibt insofern ohne gravierende Folgen, als Jesus noch häufig den Tempel besuchen und dort unbehelligt lehren wird.162 »Heidnisches« Land und Menschen aus »den Völkern« kommen im Johannesevangelium an keiner Stelle vor; der Begriff eÍunh begegnet gar nicht, eÍunow ist in 11,48.50–52 sowie in 18,35 Bezeichnung für das jüdische Volk.163 In 7,35 stellen »die Juden« die Frage, ob Jesus womöglich »in die Diaspora der Griechen gehen und die Griechen lehren« wolle, was im Kontext als eine geradezu absurde Erwägung erscheint164: Jesus plant selbstverständlich keine solche Reise, und eine reale »Auslandsreise« Jesu gibt es im Johannesevangelium nicht, d. h. ein im geographischen oder empirischen Sinn zu verstehender »Universalismus« ist dem Johannesevangelium fremd. Zwar geht (!) Jesus einmal an das »jenseitige Ufer« des Sees Genezareth (6,1)165; aber da er aus Jerusalem kommt, denkt der Evangelist offenbar an das nördliche Ufer des Sees, nicht an das östliche166, und es deutet nichts darauf hin, dass die wunderbare Speisung der Fünftausend (6,5–15) in »heidnischem« Land geschieht.

162 Zum Verständnis des Tempels bei Joh vgl. W. D. Davies, The Gospel and the Land. Early Christianity and Jewish Territorial Doctrine, Berkeley usw., 1974, 289–296. 163 In 11,50; 18,14 begegnet daneben lao  w, d. h. zwischen eÍunow und laoÂw wird nicht unterschieden. Das Wort koÂsmow bezeichnet im Joh eine religiöse Größe, nicht etwa die empirischgeographisch erfahrbare »Welt«; vgl. Bultmann, Theologie (s. Anm. 1), 367–369. Ferner Jin-Su Im, Das Verständnis des koÂsmow im Johannesevangelium, Diss. Bethel 1999. 164 Wer sind die »Griechen in der Diaspora« – Griechen, die in jenem Gebiet leben, die für Juden eben »Diaspora« ist, oder griechischsprechende Juden? R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK II), Göttingen 101964, 233 spricht vom »groteske[n] Mißverstehen der ›Juden‹« und stellt fest: »die ÏEllhnew sind die Griechen (bzw. die gräzisierten Orientalen)«. U. Wilckens, Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), Göttingen 1998, 132 meint, in der Aussage in 7,35 liege »für die Leser ein verborgener Doppelsinn: Zu ihrer Zeit ist die Lehre von Jesus, dem Christus, in der Tat in die Diaspora zu den Griechen gekommen; die große Mehrzahl unter ihnen sind selbst Griechen!« Aber das dürfte ein Mißverständnis sein: Selbst wenn die Mehrzahl der Leser des Johannesevangeliums »Griechen« gewesen sein sollten, so wissen sie doch aus dem Johannesevangelium selber, dass Jesus niemals in der »Diaspora« gewesen war. 165 Zu der ungewöhnlichen Formulierung peÂran th Ä w ualaÂsshw th Ä w GalilaiÂaw th Ä w TiberiaÂdow s. H. Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen2005, 333 f. Joh vermeidet den auf Tiberias bezogenen Namen des Sees Genezareth nicht, aber die Stadt selber besucht Jesus nicht. 166 Die der Erzählung in Joh 6,1–25 zugrundeliegenden geographischen Vorstellungen lassen sich nur schwer rekonstruieren; an Details scheint der Evangelist nicht interessiert zu sein.

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Im Anschluß an die Schilderung von Jesu erstem Aufenthalt in Jerusalem (2,13–4,3) wird gesagt, er habe auf dem Weg von Judäa zurück nach Galiläa durch Samaria »ziehen müssen« (eÍdei … dieÂrxesuai, 4,4). An einem genau bezeichneten Ort kommt es zu einem Gespräch Jesu mit einer samaritanischen Frau, wobei die erstaunte Frage der Frau in V. 9a signalisiert, dass Samaritaner keinen Kontakt zu Juden haben.167 Das Gespräch zwischen Jesus und der Frau läuft zunächst darauf hinaus, dass die Frau Jesus als »einen Propheten« erkennt (V. 19); dies veranlaßt sie zu der Feststellung (V. 20) über die unterschiedlichen Orte der Gottesverehrung, worin unausgesprochen die Frage nach dem richtigen Ort dieser Verehrung enthalten ist.168 Der folgende Dialog setzt voraus, dass Samaritaner und Juden denselben Gott verehren; Jesu Aussage in V. 21 erklärt aber die Frage nach dem Ort der Gottesverehrung für künftig obsolet. Ungeachtet der Frage, wieV. 22a zu verstehen169 und wie V. 22b einzuordnen ist170, knüpft V. 23 jedenfalls an V. 21 an: Dem negativen »weder – noch« folgt ein positives »sondern«, d. h. nicht V. 22 ist das Ziel des Gedankengangs, sondern V. 23.24, und anschließend erfährt die Samaritanerin als Antwort auf eine wiederum indirekt gestellte Frage (V. 25), dass Jesus der Messias ist.171 Menschen, die andere Götter als den Gott Israels vereh167 Der ergänzende Kommentar in 4,9c setzt offensichtlich Leser voraus, die diese Information nach Meinung des Verfasser brauchen; das spricht für die Annahme, dass V. 9c sekundär ist. Vgl. J. Becker, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1–10 (ÖTK 4/1), Gütersloh und Würzburg 31991, 197, der diese »Verstehenshilfe« (ebenso wie zuvor V. 2) der Kirchlichen Redaktion des Joh zuweist. Zur m. E. im wesentlichen plausiblen Annahme einer solchen »Kirchlichen Redaktion« vgl. J. Becker, Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und Theologie im Überblick, Tübingen 2004, 190–207. 168 Vgl. dazu Davies, Gospel (s. Anm. 162), 298–302. 169 Die Aussage in V. 22a scheint den Gedanken zu enthalten, dass die Samaritaner nicht nur am falschen Ort Gottes verehren, sondern dass sie Gott gar nicht kennen. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu V. 21 und V. 23, wo nicht gesagt wird, die Samaritaner müßten sich künftig einem anderen Gott zuwenden. 170 Bultmann, Johannesevangelium (s. Anm. 164), 139 Anm. 6 meint, V. 22 sei »ganz oder teilweise eine Glosse der Redaktion«, insofern der Evangelist »die Juden nicht als das Eigentumsund als Heilsvolk ansieht«. Dem widerspricht scharf K. Wengst, Das Johannesevangelium. 1. Teilband: Kapitel 1–10 (ThK. NT 4,1), Stuttgart 2000, 164. Er meint, »auch wer wissenschaftlich von der Sekundarität überzeugt« sei, solle sich in Deutschland »doch wenigstens dem sachlichen Problem stellen, dass DC-Pfarrer im 3. Reich diese Aussage im Konfirmandenunterricht aus der Bibel ausschwärzen ließen« (ebd. Anm. 48). Allerdings stellt auch Wengst fest, dass V. 23 an V. 21 anknüpft (165). Klarer C. K. Barrett, Das Evangelium nach Johannes (KEK Sonderband), Göttingen 1990, 255: »In V. 22e (!) liegt nichts vor, was sich mit der üblichen Einstellung des Joh gegenüber den Juden nicht verträgt. ›Die Seinen‹ lehnen Jesus tatsächlich ab, aber Joh läßt niemals einen Zweifel daran, daß er zu ihnen kam oder sie die Seinen waren.« Ähnlich U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig 32004, 102 f.: »Der Verheißungsanspruch der Juden wird von Johannes keineswegs negiert, Gott hält sich an sein Verheißungswort. Für Johannes ist die Heilsverheißung an die Juden unaufgebbar, denn sie ging in Jesus von Nazareth in Erfüllung.« – Zum grundsätzlichen Verständnis von oië ÆIoydaiÄoi bei Joh vgl. Bultmann, Johannesevangelium, 59 und den Exkurs bei Schnelle, Johannesevangelium, 180–183. 171 Die Bemerkung der Frau impliziert eine samaritanische Messiaserwartung, von der wir religionsgeschichtlich sonst nichts wissen.

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IV. Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien

ren, kommen in der im Johannesevangelium erzählten Jesus-Geschichte überhaupt nicht in den Blick.172 In 8,44 wendet sich Jesus mit polemisch gegen »die Juden« und wirft ihnen vor: »Ihr seid aus eurem Vater, dem Teufel, und ihr wollt die Gelüste eures Vaters tun.« Bedeutet dieser Satz, dass der joh Jesus das Judentum verläßt und »die Juden« geradezu verwirft? Ist die Aussage als »antijudaistisch« zu verstehen?173 Die grammatische Struktur des von Jesus gesprochenen Satzes ist schwer zu durchschauen174, aber der Sinn scheint klar zu sein: »Die Juden«, so behauptet Jesus, können entgegen ihrer eigenen Aussage (8,41) nicht Gott als Vater haben, weil sie beabsichtigen, ihn zu töten; der joh Jesus distanziert sich in 8,44 weder grundsätzlich von (allen) Juden noch vom »Judentum«, sondern er wendet sich gegen diejenigen Juden (yëmeiÄw), die seinen Tod herbeizuführen suchen.175 Hinter dieser Absicht steht, so will der Evangelist offenbar sagen, nicht eine gleichsam »freie« Entscheidung, sondern letztlich die Macht des Teufels.176 Dass Jesus jemals Kontakt mit Menschen aus der Völkerwelt hat, wird im Johannesevangelium nicht gesagt. Der Hauptmann von Kafarnaum ist jetzt ein königlicher Beamter (Joh 4,46–54)177; nichts in dessen Verhalten deutet darauf hin, dass er möglicherweise kein Jude ist.178 Von den ÏEllhnew, die Jesus »sehen« 172

Die Ausnahme ist natürlich Pilatus. So Becker, Johannesevangelium I (s. Anm. 167), 358: »Wohl die antijudaistischste Äußerung des NT«, die vom Evangelisten leider auch so gemeint gewesen sei (360). 174 yëmei Äw eÆk toyÄ patroÁw toyÄ diaboÂloy eÆsteÁ kaiÁ taÁw eÆpiuymiÂaw toyÄ patroÁw yëmv Ä n ueÂlete poieiÄn. Vgl. Thyen, Johannesevangelium (s. Anm. 165), 444–446. 175 Nach Barrett, Johannesevangelium (s. Anm. 169), 340 stehen Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Synagoge in Ephesus gegen Ende des 1. Jh. s im Hintergrund. Die Aussage sei »in erster Linie auf ein genuin theologisches Verständnis zurückzuführen; denn wenn die Juden, die Jesus ablehnten, nicht im Recht waren, dann waren sie wirklich völlig im Unrecht.« Gleichwohl könne man »nur schwer annehmen, daß der Schreiber von V. 44 gegenüber Israel jemals die Liebe und das Verlangen von Röm 9,1–3; 10,1 gefühlt hat«. Wengst, Johannesevangelium I (s. Anm. 169), 337 erkennt eine »verfahrene Situation«: »Die als schlimm empfundene Erfahrung, ausgeschlossen worden zu sein, führt zur Verteufelung derer, von denen man sich verleumdet und bedroht fühlt«. Ob die Aussage in 8,44 etwas mit dem in 9,22; 12,42; 16,2 erwähnten »Synagogenausschluß« zu tun hat, dessen historischen Hintergrund wir nicht kennen, muß freilich offen bleiben. Am nächsten liegt es, 8,44 nicht als eine »grundsätzliche Feststellung« zu lesen, sondern vom Kontext her. 176 So m. E. zutreffend Schnelle, Johannesevangelium (s. Anm. 169), 176 f. 177 Der Begriff basiliko  w (4,46) impliziert in Verbindung mit den Ortsangaben Kana und Kafarnaum, dass es sich um einen Beamten im Dienst des »Königs« von Galiläa handelt, auch wenn Herodes Antipas im Joh nicht erwähnt wird. Die »synchrone« Auslegung von Chr. Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21 (WUNT II/69), Tübingen 1994, 140–145 zeigt, dass der Text für sich genommen keinen Anlaß gibt, nach dem religiösen Status des »Königischen« überhaupt zu fragen. 178 Schnelle, Johannesevangelium (s. Anm. 169), 109 meint, »aufgrund der offenkundigen Verwandtschaft der Erzählung mit dem Hauptmann von Kapernaum« sei anzunehmen, »daß es sich auch im 4. Evangelium wahrscheinlich um einen Heiden handelt. Die meisten Kommentatoren beziehen basilikoÂw auf einen Juden, wobei übersehen wird, daß Johannes dies an keiner 173

Jesus, Israel und die Völker

403

möchten (12,21), wird gesagt, sie seien nach Jerusalem gekommen, »um bei dem Fest anzubeten« (12,20). Offenbar sollen wir in ihnen nicht heidnische Griechen sehen, sondern eher griechischsprechende Juden aus der Diaspora oder vielleicht auch »Gottesfürchtige«.179 Jörg Frey meint, der Evangelist habe den religiösen Status dieser »Griechen« bewußt nicht präzisiert; dies ermögliche es »griechischsprechenden Juden- und Heidenchristen, ihre eigene Begegnung mit Jesus in der einstigen Geschichte Jesu angelegt und verheißen zu sehen«; in Verbindung mit Joh 7,35 seien die ÏEllhnew »auf der allgemeingültigeren Ebene des johanneischen Symbolismus zu ›Repräsentanten der griechischen Welt‹, ja zur Chiffre für die heidenchristlichen Adressaten des Evangeliums selbst« geworden.180 Wenn sie aber tatsächlich als »heidnische« Griechen zu verstehen sein sollten, dann wäre es gerade bedeutsam, dass es nicht zu einer Begegnung mit Jesus kommt.181 Ändert sich die Perspektive nach Ostern? In 20,21, der joh Fassung des »Missionsbefehls«, gibt der Auferstandene den Jüngern die Zusage und den Auftrag: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch«; ob dies die Überschreitung der Grenzen Israels einschließt, ob hier also ähnlich wie in Mt 28,18–20 an »Weltmission« gedacht ist, läßt die Aussage offen.182

Stelle ausdrücklich sagt.« Aber warum hätte Joh das »ausdrücklich« sagen sollen? Auf den Gedanken, der Mann könne ein Nichtjude (und »Soldat in königlichen Diensten«, Schnelle) sein, kommt man vom joh Text her gar nicht. 179 So viele Kommentare (u. a. Bultmann, Becker, Thyen, auch Wengst). Anders Barrett, Johannesevangelium (s. Anm. 169), 417: Dann sei »schwer einzusehen, warum Joh sie ÏEllhnew nannte … Sie sprechen als die Repräsentanten der heidnischen Kirche, zu welcher Joh und seine Leser gehörten.« Ähnlich Wilckens, Johannesevangelium (s. Anm. 164), 190: »Mit dem Erscheinen dieser Griechen tritt die spätere Heidenkirche in den Blick.« Aber dann müßte erklärt werden, warum es zur Begegnung mit Jesus nicht kommt. Wilckens’ Auslegung, die Bitte der Griechen ueÂlomen toÁn ÆIhsoyÄn iÆdeiÄn werde implizit in 20,29 (makaÂrioi oië mhÁ iÆdoÂntew kaiÁ pisteyÂsantew) erfüllt (190 f.), ist wenig plausibel und entspricht nicht dem im Text Gesagten. 180 J. Frey, Heiden-Griechen-Gotteskinder. Zu Gestalt und Funktion der Rede von den Heiden im 4. Evangelium, in: Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden, hg. von F. Feldmeier und U. Heckel mit einer Einleitung von M. Hengel (WUNT 70), Tübingen 1994, 228–268, hier 250 f. unter Verweis auf Bultmann. 181 Frey (s. die vorige Anm.), 256: Das Sehen-Wollen der Griechen komme »zwar nicht sofort, aber doch später in modifizierter Weise zu seinem Ziel«. Vgl. Schnelle, Johannesevangelium (s. Anm. 169), 226: »Der religiöse Status der Griechen wird von Johannes bewußt nicht präzisiert, aber gerade durch die Unbestimmtheit der Gruppe, ihr plötzliches Auftreten und ihr lautloses Verschwinden bekommt der Text seine kommunikative Funktion.« 182 J. Becker, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 11–21 (ÖTK 4/2), Gütersloh und Würzburg 31991, 736: In V. 21 fehlt eine Objektsbenennung, die Sendung ist also »nicht weltweit missionarisch ausgerichtet, vielmehr wird die Vollmachtsübertragung als solche in den Vordergrund gerückt«.

404

IV. Studien zu Theologie und Hermeneutik der Evangelien

VI. Für die Verfasser der neutestamentlichen Evangelien ist Jesus im exklusiven Sinne der »Sohn Gottes«, der »Menschensohn«, ja sogar »der Herr«.183 Die Evangelien sind also selbstverständlich »christliche« Texte; sie setzen voraus, dass das in ihnen dargestellte Jesusgeschehen alle Menschen betrifft, nicht allein Juden bzw. Israel. Zur Zeit der Entstehung der Evangelien war die Mission unter den Völkern seit langem Normalität, und es ist nicht zu erkennen, dass die Evangelisten der »Heidenmission« ihrer Zeit kritisch oder gar ablehnend gegenübergestanden hätten. Zugleich aber zeichnen sie den irdischen Jesus als einen Menschen, der in seinem Leben und Wirken den Rahmen des Judentums niemals verlassen und der die geographischen Grenzen des jüdischen Landes allenfalls im seltenen Ausnahmefall überschritten hatte. Warum wird dies so stark betont? Jesus war für die Evangelisten nicht nur in einem lediglich »historischen« Sinne nun einmal Jude gewesen, der deshalb auch als ein solcher dargestellt werden mußte. Vielmehr wird Jesus theologisch bewußt als Jude geschildert, der in der jüdischen Welt lebte.184 Erst vor diesem Hintergrund wird ganz deutlich, welches Gewicht dem jeweiligen österlichen Auferstehungszeugnis zukommt, denn erst hier erfahren »heidenchristliche« Leser der synoptischen Evangelien, dass das Christusgeschehen auch ihnen gilt. Das geschieht allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. Das Markusevangelium konfrontiert seine Leserinnen und Leser in der abschließenden Szene 16,1–8 mit der Engelsbotschaft am leeren Grab und lädt sie auf diese Weise dazu ein, sich dem Bekenntnis »Er ist auferstanden, er ist nicht hier« anzuschließen. Der Auferstandene kommt auf der mk Erzählebene nicht zu Wort185, so dass der Verzweiflungsschrei nach Gott (15,34) sich als das definitiv letzte Wort des irdischen Jesus erweist. Da aber Jesus zuvor in 13,10 und in 14,9 von dem »der ganzen Welt« zu verkündigenden eyÆaggeÂlion gesprochen hatte, werden nun durch die mk Fassung der Ostererzählung alle Menschen, Juden wie »Heiden«, gleichermaßen implizit zum Glauben an das Evangelium eingeladen. Im Lukasevangelium verweist der auferstandene Jesus bei der abschließenden Begegnung mit den Jüngern in 24,47 auf die Hinwendung der Botschaft zu allen Menschen (eiÆw paÂnta taÁ eÍunh); das ist ein Vorausverweis auf die Apostelgeschichte, wo die aufgrund der dem Petrus zuteilgewordenen Offenbarung beginnende »Mission unter den Völkern« zum Programm werden wird (Apg 10,34 f.). Das Matthäusevangelium, nach dessen Darstellung Jesus die Predigt unter »den Völkern« für vollkommen unzulässig erklärt hatte (10,5 f.), weist dann am 183 Zum Verhältnis des Gottestitels ky  riow zum christologischen Hoheitstitel kyÂriow vgl. Chr. Zimmermann, Die Namen des Vaters (Anm. 49), 193–232. 184 Vgl. die »Auswertung« der Textbefunde in den synoptischen Evangelien bei Wilk, Jesus und die Völker (s. Anm. 9), 238–244. 185 Vgl. dazu die in Anm. 37 genannte Studie von du Toit, Der abwesende Herr.

Jesus, Israel und die Völker

405

Ende einen universalen Missionsbefehl des auferstandenen Jesus auf: Die ursprünglich allein an Israel gerichteten Worte des irdischen Jesus gelten seit Ostern für alle Menschen, und sie gelten so für alle Zeit (28,20: paÂsaw taÁw hëmeÂraw eÏvw thÄw synteleiÂaw toyÄ aiÆv Ä now).186 Das Matthäusevangelium setzt voraus, dass dank der mit Ostern begonnenen Mission auch nichtjüdische Christusgläubige zur eigenen Gemeinde gehören.187 Anders als die synoptischen Evangelien bleibt das Johannesevangelium auch in seiner Osterdarstellung ganz im Raum des Judentums; die »Aussendung« der Jünger in 20,21–23 nennt die Adressaten ihrer Botschaft nicht.188 Aber Jesu Wort an Thomas in 20,29 (makaÂrioi oië mhÁ iÆdoÂntew kaiÁ pisteyÂsantew) richtet sich indirekt natürlich an alle Leser, auch an die, welche dem jüdischen Kontext nicht angehören189; insofern ist dieses Wort geradezu die ideale Charakterisierung für alle von Jesus erzählenden Texte, die dazu einladen, auch ohne direkte Anschauung dem gelesenen und gehörten Wort zu glauben. Die Evangelien erzählen die Geschichte des Juden Jesus, der der Sohn Gottes war und der als der Auferstandene der Sohn Gottes ist, und insofern sind sie natürlich »christliche« Texte. Und doch zeichnen die Evangelisten das Bild eines jüdischen Jesus, der nicht etwa selber schon »Christ« gewesen wäre. Der Gedanke ist nicht, dass die Juden womöglich aufgrund der Ablehnung des irdischen Jesus das Heil verloren hätten190; das Bild eines immer wieder zurückgewiesenen und ohne Erfolg bleibenden Jesus wird ja in den Evangelien gar nicht gezeichnet. Der Gedanke ist aber auch nicht, dass die Heiden lediglich »hinzugekommen«, womöglich nachträglich in das Gottesvolk Israel integriert worden wären – ein solcher Gedanke klingt an keiner Stelle an. Vielmehr wollen die Evangelien mit ihrem ausgeprägten Bild des jüdischen irdischen Jesus und des sich »allen Völkern« zuwendenden Auferstandenen offenbar zeigen, dass niemand, weder Juden noch Nichtjuden, einen Grund hat, Jesus zurückzuweisen.

186 Vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 341: Heidenchristen in der mt Gemeinde werden »dort mit der Jesusgeschichte als Grundgeschichte des Heils und damit auch ihrer christlichen Identität in einer Gestalt vertraut werden, die über weite Strecken von der Sendung Jesu (und seiner Jünger) zu Israel erzählt, die das Wirken Jesu konsequent und betont in die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel einstellt, zu deren zentralen Anliegen es gehört herauszustellen, dass mit Jesu Wirken die endzeitliche Erneuerung des Gottesvolkes inauguriert ist.« 187 Zur Frage, welche Konsequenzen dies für die Beziehung der mt Gemeinde zum zeitgenössischen (pharisäisch bestimmten) Judentum gehabt haben könnte, vgl. Konradt, Israel, Kirche und die Völker, 387 f. 391. 188 Das wird auch nicht durch den m. E. sekundären zweiten Abschluß des Joh (Kap. 21) korrigiert. 189 Vgl. D. R. Sadananda, The Exegesis of God. An Exploration into the Johannine Understanding of God (BZNW 121), Berlin/New York 2004, 13–19. 190 Vgl. die sorgfältige kritische Skizzierung dieser Position in der Exegese bei Konradt, Israel, Kirche und die Völker (s. Anm. 9), 1–14.

Nachweis der Erstveröffentlichungen »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden …« Historische und theologische Erwägungen zur Traditionsgeschichte der Sabbatperikope Mk 2,23–28 parr. In: WuD NF 15 (1979) 79–105.

Jesus und der Sabbat. Zum literarischen Charakter der Erzählung Mk 3,1–6. In: Text und Geschichte. Facetten theologischen Arbeitens aus dem Freundes- und Schülerkreis. Dieter Lührmann zum 60. Geburtstag, hg. von S. Maser und E. Schlarb (MThSt 50), Elwert, Marburg 1999, 122–135.

Die Erzählung vom Sämann und der Saat (Mk 4,3–8) und ihre Auslegung als allegorisches Gleichnis. In: WuD 21 (1991) 115–131.

Die Erzählung der Machttaten Jesu in Markus 4,35–6,6a. Erwägungen zum formgeschichtlichen und zum hermeneutischen Problem. In: Anfänge der Christologie. Festschrift für Ferdinand Hahn zum 65. Geburtstag, hg. von Cilliers Breytenbach und Henning Paulsen, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 1991, 185–207.

Jesus und das epilepsiekranke Kind. Zur Auslegung der Wundererzählung Mk 9,14–29 Unveröffentlicht

Die Kinder und die Gottesherrschaft. Markus 10,13–16 und die Stellung der Kinder in der späthellenistischen Gesellschaft und im Urchristentum. In: WuD NF 17 (1983) 77–104.

Die Osterbotschaft des Markus. Zur theologischen Interpretation von Mark. 16.1–8 In: NTS 26 (1979/80) 298–317.

408

Nachweis der Erstveröffentlichungen

Die Logienquelle Q. Fragen an eine gut begründete Hypothese In: A. Lindemann (ed.), The Sayings Source Q (BEThL 158), Uitgeverij Peeters/Leuven University Press, Leuven 2001, 3–26.

Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk. Beobachtungen zu Reden, Wundererzählungen und Mahlberichten In: The Unity of Luke-Acts, ed. by J. Verheyden (BEThL 142), Uitgeverij Peeters/Leuven University Press, Leuven 1999, 225–253.

Die Anfänge des christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien in der Apostelgeschichte (Apg 2,42–47; 4,32–37; 5,12–16) Ursprünglich: The Beginnings of Christian Life in Jerusalem according to the Summaries in the Acts of the Apostles (Acts 2:42–47; 4:32–37; 5:12–16). In: Common Life in the Early Church. Essays Honoring Graydon F. Snyder, ed. by J. V. Hills, Trinity Press International, Harrisburg PA, 1998, 202–218.

Der »äthiopische Eunuch« und die Anfänge der Mission unter den Völkern nach Apg 8–11 In: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. Festschrift für Eckhard Plümacher zu seinem 65. Geburtstag, hg. von C. Breytenbach und J. Schröter, unter Mitwirkung von D. S. du Toit, Brill, Leiden/Boston 2004, 109–133.

Gemeinde und Welt im Johannesevangelium In: Kirche. Festschrift für Günther Bornkamm zum 75. Geburtstag, hg. von Dieter Lührmann und Georg Strecker. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1980, 133–161.

Mose und Jesus Christus. Zum Verständnis des Gesetzes im Johannesevangelium In: Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte. Festschrift für Jürgen Bekker zum 65. Geburtstag, hg. von Ulrich Mell und Ulrich B. Müller (BZNW 100), de Gruyter, Berlin 1999, 309–334.

Erwägungen zum Problem einer »Theologie der synoptischen Evangelien« In: ZNW 77 (1986) 1–33.

Wunder und Wirklichkeit. Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen. In: WuD 27 (2003) 179–200.

Jesus, Israel und die Völker. Zum Jesusbild der neutestamentlichen Evangelien Unveröffentlicht

Register I. Stellen (Auswahl) 1. Altes Testament Genesis 2,4 2,13 22,17 39,1 50,4

390 239 116 241 243

Exodus 16,4 LXX 20,10

296 47

Leviticus 19,3 LXX 20,10 20,20f. 24,8

117 304f. 116 4

Numeri 5,12f. 21,8f. LXX

304 291

Deuteronomium 5,14 6,4 6,5 13,1ff. 15,4 19,15 21,18–21 23,1f. 24,1–4 27,26

47 339 224 348 225 298 117 241f. 183 298

Richter 6,33

220

2. Samuel 6,16–23

116

1. Könige 13,4–6 17,17–24 17,21 17,23 17,25

45 71 206 110 104

2. Könige 2,12 4,18–37 19,9 20,17f.

249 71 239 241

Esra 4,3

245

Esther 2,3 2,14 4,4f.

241 241 241

Hiob 4,8 LXX 9,8 28,19

60 378 239

Psalmen 15,8–11 LXX 34,19 LXX 67,32 LXX 68,5 LXX 77,24 LXX 81,6f. LXX

192, 214 302 239, 250 302 294 299

410

Register

88,37 LXX 107,23–32 109,1 LXX 113,9 148

301 363 192, 214 116 347

Sprüche 11,18 15,33 22,8 23,13f.

60 112 60 116

Prediger 11,6

Hosea 2,25 6,2 6,6 9,11f.16 10,12 LXX 11,1

65 369 42 116 60 391

Joel 3,1–5 LXX

191, 214

Jona 1,10.16 LXX

74

Micha 5,1.3

390

Nahum 3,9

239

Zephanja 3,10

239

Sacharja 10,9

65

63

Jesaja 7,14 LXX 9,6 18,1 29,18 35,5f. 35,5 37,9 45,14 49,20 53,7f. 56,3f. 56,7 58,6 61,1f. 61,1 65,3–7 LXX

390 301 239 176 176 349 239 239 116 247 241ff. 384 189 189 332 382

Jeremia 17,13 LXX 31,27f. 31,35f. 34,19

304 65 347 243

Ezechiel 16,3–14 29,10 36,32 LXX 37,25

11 239 191 301

Daniel 7,13

380

2. Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments 3 Esra 5,41

109

1. Makkabäer 2,39–41

41

4. Makkabäer 13,6

73

Sirach 1,27 16,1.3 20,4 22,6 30,1–13 30,9f. 30,20

112 116 241 116 116 116 241

411

I. Stellen 41,5–9 51,23–30

116 30

Weisheit 3,14 4,1

241 116

äthiopischer Henoch 62,8 65 Testament Salomos 11,3 77 Testamente der zwölf Patriarchen Juda 23,4 241

3. Qumran und rabbinische Literatur CD XI 13–17 4Q 521 Abot 5,21 Jab VIII Schab 128b Shekalim I 5 Sukka 42

182, 392 176, 359 119 242 182 245 119

Quis rerum divinarum heres sit 294 118 De congressu eruditionis gratia 93 72f. De vita Mosis II 147

118

De decalogo 111

117

De specialibus legibus I 313 118 II 224–241 117f. III 110–119 117 III 119 118 De praemiis et poenis 108f. 117 De opificio mundi 105 118 De sacrificiis Abeli et Caini 15 118

4. Jüdisch-hellenistische Literatur Flavius Josephus Bellum Iudaicum II 122f. 228 IV 272ff. 245f. VI 427 246 Antiquitates Iudaicae III 318 245 XI 331.336 246 XVIII 63f. 355, 372 XVIII 116–119 377 XX 199f. 373 Philo von Alexandria Legum allegoriae II 53 118 III 210 118

5. Neues Testament Matthäusevangelium 1,1–17 387 1,1 390 1,18–23 390 2,1–12 390f. 2,13–21 391 3,1–6 165 3,7–12 167 3,7–10 165 3,11.17 166 3,13–17 391f. 3,16 167, 378 4,1–11 167f., 174 4,23–25 208 5–7 169, 175 5,1 178 5,3 126 5,17–20 337f., 392

412 5,17–19 5,19 5,20 5,21–48 5,32 5,48 6,9–13 6,10 6,25–33 7,1–5 7,7–11 7,21–23 7,21.24–27 7,28 8,5–13 8,5 8,10 8,19–22 8,19 8,20 8,28–34 9,18 9,36 9,37 10,5 10,8 10,19f. 10,23 10,24 10,26–33 10,32 10,37f. 11,2–19 11,4f. 11,13 11,16f. 11,18f. 11,20–24 11,21f. 11,21 11,25 11,26 12,1–8 12,11f. 12,11 12,22–30 12,22

Register 296 122 122 392 182 184 184 125 184 184 184 337 181 175 81f., 110, 175, 179, 393 175 181 178 177 360 393f. 98 394 177 394f., 404 180 182 394 178 184 182 178 166, 176 179 183 158 158 183 181 180 177, 184 332 29f., 392 41 182 170f. 180

12,28 12,41f. 13,16f. 13,33 15,21–28 15,30–38 16,16–19 17,1–8 17,14–20 18,3f. 18,12–14 18,15–17 18,15.21f. 19,1–12 19,28 20,1–15 22,1–14 22,2–10 22,35–40 23,31–36 23,37 24,43f. 24,45–51 25,14–30 25,31–46 26,13 28,6 28,9 28,11–15 28,16–20 28,18–20 28,20

83, 125, 180, 367f. 181 184 158 395 396 396 150 103 132 158 396f. 178 240 165, 169 125 159 177 338ff. 183 183 158 158 172 397 397 142 369 143, 147 398f. 310, 389, 403 405

Markusevangelium 1,1–8 173 1,1 310, 328, 333, 336, 374ff., 378f. 1,2f. 376f. 1,7f. 166 1,9 377 1,10f. 378 1,10 167 1,11 92, 151, 168, 375 1,12f. 173 1,14–45 341 1,14f. 175, 188, 333–336, 385 1,15 67

I. Stellen 1,21–45 1,21–38 1,21–31 1,21–28 1,21 1,22.27 1,22 1,23–28 1,24 1,29–31 1,30f. 1,32–39 1,32–34 1,40–45 1,41 1,44 1,45 2,1–4,34 2,1–12 2,10 2,11 2,12 2,13 2,15–18 2,18–22 2,23–28 2,23–27 2,27 2,28 3,1–6 3,4 3,6 3,7–12 3,8 3,11 3,12 3,13–19 3,22–27 3,27 4,1–20 4,26–29 4,30–32 4,33f. 4,35–6,6 4,35–41 4,35

50 183 53 90, 96 358 68 330 107 378 90, 349, 355 51 53 207 53, 90, 358, 366 48 86 80 183 42, 198, 335, 358, 362, 366 52, 92 86 50, 93 68 50 384 2ff., 15–39, 42f., 45, 52, 335 46 22ff., 31–35, 41, 384 26ff., 44 5f., 40–54 384 385 208 72 77, 378 379 13 170 171 6f., 55–69 57, 336 57 68 8f., 70–92 359–364 72

5,1–20 5,1–13 5,1 5,2ff. 5,7 5,21–43 5,34 5,38f. 5,39–41 5,41f. 5,41 6,1–6 6,5 6,14–29 6,14 6,30–44 6,34–44 6,45–8,26 6,45–52 6,51 7,1–23 7,1–13 7,3f. 7,14f. 7,17 7,19 7,24–30 7,31–37 8,1–10 8,10 8,11–13 8,15 8,22–26 8,27–10,52 8,27ff. 8,29 8,31 8,32f. 8,34–9,1 8,38 9,2–13 9,2–10 9,2–8 9,7 9,9 9,14–29 9,31

413 75–80, 107, 382 96 363 379 91, 379 81–88, 202 362 85 97 100 203 88f., 183, 195 207 175 50 210, 365 110, 357 388 378 73 382 384 375 384 67 385 81, 91, 96, 110, 197, 382f. 93, 335, 355, 383 210, 357 383 53 50 93, 355, 358 332, 381 380 380 53, 149, 375 149 149 182 149 13 150, 154 151, 379 175 9f., 90, 93–108, 110 53, 149, 375

414 9,33–50 9,33–37 9,36f. 9,37 10,1–9 10,2–12 10,13–16 10,13–15 10,17–31 10,32–34 10,34 10,35–40 10,46–52 10,52 11,15–17 11,18 11,23f. 11,27–12,27 11,27–33 12,1–9 12,25 12,28–31 13,10 14,3–9 14,9 14,22–24 14,22 14,27f. 14,28 14,51f. 14,61f. 14,62 15,1 15,2 15,34 15,37–39 15,39 15,42–46 15,46 16,1–8 16,1 16,7 16,8 16,9–20 16,15–18 16,16

Register 183 119–122, 149 97 132 53 336 10f., 122–134, 336 97 133 53, 375 149 149 355, 358 362 384 49 101 53 379 377, 379 240 338 383, 385, 404 381, 383f. 385, 404 211 210 146 135,139, 144, 151, 155, 175 141 152, 379 153 49 369 404 380 151, 155, 380 381 140 11–14, 135–155, 404 381 175 381 136, 150 13 130

16,19f.

14

Lukasevangelium 1,1–4 310, 385 1,5–25 166 1,5 386 1,31.35 385 1,52 243 1,57–80 166 2,1f. 386 2,30f. 387 2,46f. 387 3,1–6 165 3,1f. 387 3,7–9 165, 167 3,10f. 215 3,16f. 166f. 3,21f. 167, 378 2,23–38 387 4,1–13 167ff., 174 4,14f. 334 4,15–5,16 341 4,16–30 187, 196 4,16–21 189f. 4,16 191 4,18–21 388 4,22–30 193f. 4,25–27 197, 388 4,31f. 195 4,32 215 4,40f. 207 4,44 386 5,17–6,11 30f. 5,17–26 198 6,2 25 6,9 38 6,17–19 208 6,20–49 169, 175, 186, 208 6,20–23 177 6,20 126, 178 6,24–26 177 6,27–36 182 6,36 184 6,37f.41f. 184 6,40 178 6,43–49 182 6,46–49 181

415

I. Stellen 7,1–8,3 7,1–10 7,1 7,9 7,11–17 7,14 7,15 7,18–35 7,18–23 7,22 7,31f. 7,33–35 7,50 8,1–3 8,3 8,22f.33 8,26–39 8,40–42.49–56 8,54 9,12–17 9,28–36 9,37–43a 9,37 9,39 9,51–18,14 9,52–56 9,57–62 9,57 9,58 10,2–16 10,2 10,9 10,13–15 10,13f. 10,13 10,21 10,23f. 10,25ff. 11,2–4 11,2 11,9–13 11,14–23 11,14 11,20 11,31f. 11,39–52 11,48–52

187 110, 175, 179, 388 175 181 85, 110, 179, 202ff. 86, 205 104, 205 166, 176 179 179 158 158 362 213 224 72 388 202 203 210 150 103f. 203 105 187 389 178 177 360 187 177 180 183 181 180 177, 184 184 389 184, 187 125 184 170f. 180 83, 125, 180, 367f. 181 182 183

12,2–12 12,8 12,11f. 12,22–31 12,39f. 12,41 12,42–46 13,15f. 13,20f. 13,34 14,5 14,12–24 14,15–24 14,16–24 14,26f. 15,4–7 16,16 16,18 17,3f. 17,18 17,19 17,22–37 17,22.24 18,9–14 18,15 19,12–27 21,5–36 21,24 22,14–23 22,14–20 22,15–20 22,28–30 24,2 24,13–35 24,13–32 24,19–21 24,25–27 24,27 24,30 24,34 24,35 24,41 24,44–46 24,47

184 182 182 184 158 158 158 41 158 183 182 159 389 177 178 158 183 182 178 389 362 187 182 125 128 172 187 389 210 161, 211f. 218 165, 169 141 210 326 389 389 248, 251 210 144, 369 218 86 248, 389 389, 404

416 Johannesevangelium 1,1–18 266–269 1,14 255f., 270, 305 1,15 258 1,17 257f., 288f., 305–308 1,18 288, 307 1,45 289f., 293 2,14–22 400 3,14f. 290ff. 3,16–18 269ff. 3,16 256, 271f., 284 3,19–21 271 4,4–25 401f. 4,42 269 4,46–53 393, 402 4,51–53 179 5,45–47 292f. 6,1–13 110, 349 6,5–15 400 6,16–21 74f. 6,30–32 293ff. 6,33 271, 294 6,51c–58 295 7,4f. 272 7,19–23 295ff. 7,19 306 7,35 400 7,51 298 7,53–8,11 304f. 8,17 298f. 8,44 402 9,28f. 297 9,39 271f. 10 275 10,34–36 299f. 12,20 245f., 403 12,27–33 300f. 12,31f. 272 13,1–17 273f. 13,34f. 274f. 14,19.22 272 15–17 276–286 15,25 302 17,18 256 17,20f. 257 18,30 303 18,31 302f.

Register 18,32 19,6f. 19,7–12 20,1f. 20,14–18 20,20.25.27 20,21–23 20,21 20,28 20,29 20,30f. 21,5 21,21

303 303f. 303 144 369 287 405 403 256 405 255, 310 86 330

Apostelgeschichte 1,8 342 2,1–15 191 2,1–13 190 2,5–11 227 2,14–36 190–193 2,37–41 193f. 2,42–47 214–223, 224, 228 2,42.46 209 2,42 161 2,43 219 2,44f. 223, 230 3,1–10 199 3,11 226 4,4 222, 227 4,10 191 4,32–37 216, 218f., 223–226 4,32–35 228 4,34f. 230 5,1–11 219, 223 5,12–16 208, 217ff., 226ff. 5,29 114 6,1–6 230 8,26–40 162, 231, 236–251 8,37 248 8,39 163 9,1–30 234 9,32–35 199, 201 9,36–42 204f. 9,36–39 230 10,1–11,18 231–234 10,1–48 389 10,34f. 404

417

I. Stellen 11,19–24 11,19–21 13,38 13,44–49 14,8–13 14,14–18 15,8f. 19,11f. 20,7–12 20,7 20,32–35 28,28 28,31

163, 234f. 231 191 249 201f. 202 234 208 85, 206 161, 209 230 191 340

Römerbrief 1,1 1,9

334 334

1. Korintherbrief 7,14 11,23–25 11,24f. 11,24 15,4f. 15,5

111 161, 218 211 210 138, 144 369

2. Korintherbrief 10–13 90

1. Petrusbrief 2,18–3,7

112

2. Petrusbrief 1,16–18

150

1. Johannesbrief 4,9.14f. 271

6. Altkirchliche Literatur Barnabasbrief 12,5–7 19,8

291 224

1. Clemensbrief 21,8 112 Didache 4,8

224

Eusebius von Caesarea Hist.Eccl. III 5,3 145 Irenaeus von Lyon Adversus haereses III 12,8 248, 250 Justin Apologie I 60,3

Galaterbrief 3,19.21

305

Epheserbrief 6,1–4

112

Martyrium Petri et Pauli 39 110

Philipperbrief 2,6–11

331

Petrusevangelium 11,45 155

Kolosserbrief 3,18–4,1 4,16

111f. 329

Tertullian De baptismo 18,5

1 Timotheusbrief 2,15 112 3,4.12 112 5,14 112 6,15 243

291

130

Thomasevangelium 1 176

418

Register Musonius Rufus Fragmente 2–3 114 Fragmente 15–16 114

7. Pagane antike Literatur Aristoteles Politica 1336a 116 1336b/1337a 118 Ethica Nicomachea 1168b 223

Philostratus De vita Apollonii III 38 101 III 39 45 IV 45 85 VI 1f. 240

Augustus Res gestae V 26 243 Cassius Dio 54,4f. Cicero In Flaccum 68

243

225

Corpus Hippocraticum 1 105

Plato Leges I 643

116

(Ps-)Plutarch Moralia 2–11 Moralia 610f.

114f. 115

Tacitus Annales XV 44 Germania 19 Historiae IV 81 V 2–5 V5

Diodorus Siculus III 2–10 239f. Lukian von Samosata De somnio 2 116

373 114 45 118 114

II. Autoren Aichinger, H. 31, 39 Aland, K. 109, 127f., 131, 136ff., 147, 266 Albertz, R. 190 Alexander, L. 164 Alkier, S. 357 Allen, W.C. 141, 146 Allison, D.C. 103f., 169, 174, 240, 391, 393 Amedick, R. 10 Avemarie, F. 231f., 235, 248–251 Backe-Dahmen, W. 10 Backhaus, K. 166 Balz, H.R. 136 Barrett, C.K. 238, 246–249, 401ff. Barth, G. 32, 139 Bassler, J.M. 225 Baur, F.C. 320 Beare, F.W. 27

Beasley-Murray, G. 128 Becker, E.-M. 3, 375f. Becker, J. 41, 43, 183f., 254, 257, 262, 271, 275ff., 279f., 282–286, 290f., 293, 295f., 298ff., 302f., 305ff., 401ff. Bee-Schroedter, H., 348, 354 Bendemann, R. von 9, 314 Berger, K. 20, 30, 71f., 74, 77, 88f. 91, 109, 356, 359, 364 Bergholz, T. 103 Bertram, G. 122 Best, E. 123ff. Bethge, H.-G. 177 Betz, H.D. 213, 326,337 Bickermann, E. 139 Billerbeck, P. 17, 20, 22, 109, 111, 119, 131, 189f.

II. Autoren Blanck, H. 113, 130 Blank, J. 272 Blinzler, J. 131, 133 Böhlemann, P. 166, 386 Boismard, M.-E´. 290, 297, 305 Bornkamm, G. 95, 260ff. Bovon, F. 166, 168, 177, 189, 204, 340 Brakemeier, G. 228 Brakmann, H. 102 Brandenburger, E. 328, 397 Braun, H. 24, 27, 124 Breuss, J. 353 Broadhead, E.K. 172 Brown, R.E. 245, 290, 292, 299 Brox, N. 112 Brun, L. 144, 147, 153 Bultmann, Chr. 242 Bultmann, R. 2, 20ff., 24f., 27, 31, 40, 61, 70f., 73, 78, 81f., 84f., 96, 122f., 131, 136, 140, 316–319, 324–327, 332, 336, 350f., 363, 368, 370f., 375, 400f. Burfeind, C. 247 Busse, U. 187f., 193, 195, 197f., 203, 341 Calvin, J. 347 Cameron, R. 179 Campenhausen, H. von, 147, 151, 304 Cancik, H. 328 Capper, B.J. 219 Catchpole, D. 167 Claussen, C. 374 Colpe, C. 27 Conzelmann, H. 11f., 117, 190, 198, 201, 204, 219f., 227, 229, 231, 247, 249, 283f., 309, 323f., 332, 340, 345, 371, 388 Cullmann, O. 128 Dahl, N.A. 320 Danove, P.L. 11 Davies, W.D. 103f., 169, 240, 391, 393, 400f. Dechow, J. 175, 375 de Jong, M.J. 13 Delling, G. 111 Delobel, J. 188 Demke, Chr. 266, 268, 316, 329, 345 Denaux, A. 172

419

Dibelius, M. 71, 75, 78, 80, 83, 112, 123, 126, 148, 186, 319 Dietzfelbinger, Chr. 60 Dinkler, E. 236, 239f., 243f., 247, 250 Dobbeler, A. von 237f., 242, 248, 251, 394, 397ff. Doering, L. 4 Donner, H. 242 Dormeyer, D. 3, 328 Dörrie, H. 113 Doughty, D.J. 42 Dronsch, K. 7 Dschulnigg, P. 4, 6, 11, 89 du Toit, D.S. 4f., 376, 380f., 383f., 404 Ebeling, G. 316, 326f., 334 Ebner, M. 157 Eckey, W. 5, 9, 11 Ernst, J. 8, 80, 85, 166, 377 Esler, P.F. 190, 196 Fander, M. 83f., 87 Farmer, W.R. 136 Feld, H. 211 Feuerbach, L. 350 Fitzmyer, J.A. 340 Fleddermann, H.T. 171 France, R.T. 12, 14 Freed, E.D. 294, 299 Frenschkowski, M. 183 Frey, J. 253, 255, 291, 354f., 403 Friedländer, L. 113 Fuchs, A. 170 Gemünden, P. von 6f. George, A. 197 Gerber, Chr. 10 Gils, F. 31 Gnilka, J. 20–27, 29, 37, 40f., 63, 71, 73f., 76–80, 82ff., 86, 120, 123, 125, 129, 132, 310, 328 Goppelt, L. 23, 322f. Goulder, M.D. 170 Grass, H. 137, 142, 147f. Gräßer, 288f., 341 Gross, W.H. 114 Grundmann, W. 22, 119

420

Register

Guelich, W., 333 Gundry, J.M. 11 Gundry, R.H. 12 Guttenberger, G. 312 Güttgemanns, E. 153 Haenchen, E. 17, 20, 22, 25f., 34, 213, 224, 229, 244, 266f. Hahn, F. 64f., 70, 77, 84, 312, 344 Haldimann, K. 254f. Hamilton, N.Q. 139, 141, 145 Hammann, K. 374 Haufe, G. 109, 128 Hays, R.B. 224 Heckel, U. 10, 157 Hegermann, H. 279 Hengel, M. 93, 136, 146f., 254, 399, 302, 307, 328ff., 343 Hengel, R. 93 Herter, H. 113f. Hoegen-Rohls, Chr. 257 Hoffmann, P. 157, 167, 172, 174 Hofius, O. 95–101, 107f., 306 Holtmann, Th. 391 Horn, F.W. 224, 229f., 310 Horstmann, M. 155 Hübner, H. 22, 31, 313, 337 Hug, A. 116 Hultgren, A.J. 20 Hummel, R. 30 Hüneburg, M. 179 Jacobson, A.D. 174 Janz, D. 9, 95 Jentsch, W. 113 Jeremias, J. 17, 57, 124, 128ff., 211, 321 Jervell, J. 161f., 240, 243f., 250 Johnson, L.T. 215, 226f. Josuttis, M. 349 Jülicher, A. 63 Käsemann, E. 26f., 33, 36, 260ff., 267, 269f., 275, 282–285, 371 Kato, Z. 382f. Kattenbusch, F. 316 Kelhoffer, J.A. 11 Keller, C.A. 126

Kern, G. 158 Kertelge, K. 71, 73f., 76, 81, 87, 89, 352 Kiilunen, J. 51 Kim, Chung Yeon 386 Kippenberg, H.G. 116, 119 Klauck, H.-J. 58, 60, 64ff., 228ff. Kleijwegt, M. 10 Klein, G. 129, 331, 343 Kloppenborg, J.S. 157, 167, 169, 174ff., 179 Klostermann, E. 57f., 77f., 83–86, 126, 140 Klumbies, P.-G. 25, 103, 105, 376 Koch, D.-A. 27, 35, 43, 71, 75ff., 79f., 83, 86, 88, 92f., 96, 146, 152, 154, 186, 209, 335, 360, 374, 381f. Koch, S. 396 Köhlmoos, M. 1 Kollmann, B. 51, 97, 104, 107, 203, 355f. Konradt, M. 370, 390f., 393–399, 405 Korn, M. 188, 192, 194, 196 Körtner, U.H.J. 2 Kosch, D. 177, 183 Köster, H. 179, 330 Kraft, H. 64 Krauss, S. 119 Kuhn, H.-W. 20, 61, 71, 90 Kümmel, W.G. 145, 321 Kuthirakkatel, S. 43 Ladd, G.E. 321 Lambrecht, J. 167 Lampe, P. 68 Lanczkowski, G. 239 Laufen, R. 171 Leipoldt, J. 113 Lesky, E. 102, 104 Levine, A.-J. 399 Lindemann, A. 1, 14, 111f., 157, 165, 168, 254, 311, 318, 329, 368f., 386 Linnemann, E. 61, 136 Linton, O. 147 Lohfink, G. 56–62, 65 Lohmeyer, E. 22, 71, 82, 87, 142, 145 Lohse, E. 36, 48, 322 Lohwasser, A. 243f. Luck, U. 30, 63 Lüdemann, G. 236, 249 Lührmann, D. 2, 41f., 48, 50, 54, 57, 64, 67, 73–77, 79f., 82ff., 86–89, 93–97, 101f.,

II. Autoren 165, 167f., 171, 177f., 186, 279, 304, 319, 327, 361ff., 373ff., 377, 384f. Luz, U. 168, 185, 240, 338, 399 Marcus, J. 3 Marxsen, W. 145f., 332 Matthews, Chr.K. 237f. McDonald, I.H. 131f. McNicol, A.J. 170 Mealand, D.L. 224 Meeks, W.A. 306 Mell, U. 6, 379 Merklein, H. 183 Merz, A. 41f., 52, 179, 353f., 371f. Metzger, B.M. 124, 339 Metzner, R. 162, 386 Michaelis, W. 128 Mitchell, A.C. 220 Muhlack, G. 188, 198, 202 Müller, P. 158 Müller, U.B. 150 Münch, Chr. 159 Murmelstein, B. 25 Muth, R. 241 Neirynck, F. 19, 164, 171, 197 Nielsen, E. 241 Noorda, S.J. 214 Oberlinner, L. 314 Obermann, A. 289, 294, 299, 302, 307 Oepke, A. 130 Onuki, T. 253f. Ostmeyer, K.H. 368 Pesch, R. 20f., 23, 25ff., 40, 81, 87, 97, 102, 120, 125f., 131, 139–142, 144, 146f., 149, 154, 214, 237, 243, 246, 248 Plümacher, E. 244 Pokorny´, P. 157, 329 Polag, A. 337 Rad, G. von 117, 327 Räisänen, H. 65 Reblin, K. 349 Reimarus, H. 348 Rengstorf, KH. 297

421

Rese, M. 248 Reventlow, H. Graf 327 Richter, G. 262–265, 267f., 273ff., 285 Riesenfeld, H. 46 Riesner, R. 219f., 359 Ritschl, D. 310, 317 Robinson, J.M. 157, 167, 317 Roloff, J. 16, 22f., 26f., 29, 244, 247, 249 Roskam, H.N. 376 Sabbe, M. 303 Sadananda, D.R. 255f., 288, 405 Safrai, S. 246 Sanders, J.T. 236 Sänger, D. 293f., 297, 299 Sato, M. 178, 181 Sauer, J., 43 Schapdick, S. 258f. Schenk, W. 124, 126, 129, 141, 143 Schenke, L. 142f., 145, 377 Schille, G. 249f. Schlingensiepen, H. 346 Schlosser, J. 180 Schmidt, K.L. 87, 396 Schmithals, W. 2, 14, 43,46f., 49, 51, 53, 56, 60, 65, 74ff., 79, 84ff., 89, 120, 122, 127, 129, 335, 351f., 375 Schnackenburg, R. 245, 267f., 273–276, 278, 281, 293ff., 291, 343, 345 Schneider, G. 238, 243, 248 Schneider, J. 128 Schnelle, U. 13, 157, 159, 172, 255f., 258, 292f., 306, 312f., 369, 375, 381, 388, 401ff. Scholder, K. 347 Schoneveld, J. 288 Schottroff, L. 159, 266, 268, 271, 282 Schrage, W. 81 Schreck, C.J. 188 Schröter, J. 158, 160, 162, 176, 180, 214, 369, 372f., 377 Schulz, S. 148, 152, 174, 272, 328 Schürer, E. 116, 246 Schürmann, H. 32 Schwartz, D.R. 227 Schweitzer, A. 348f. Schweizer, E. 30, 32,149, 323 Sellew, Ph. 57, 67

422

Register

Sellin, G. 56 Snyder, G.F. 213, 218 Soards, M.L. 214, 223 Söding, Th. 83 Spinoza, B. de 347 Stählin, G. 204 Stegemann, W. 8, 93f., 97, 100, 102, 116, 121, 123f., 132f., 314 Stemberger, G. 119, 129 Steinseifer, B. 145, 148 Strack, H.L. 119, 129 Straub, E. 253 Strauß, D.F. 349 Strecker, G. 32, 137, 149, 155, 310f., 330, 332, 337, 343ff. Strelan, R. 359 Stuhlmacher, P. 16, 311f., 332f. Suhl, A. 20, 29, 85 Suk, Won Sik 358, 365 Sundwall, J. 71 Taeger, J.-W. 232 Tannehill, R.C. 194 Taylor, V. 139 Theißen, G. 41f., 52, 72f., 79, 86, 90f., 93, 106, 179, 213, 225, 228ff., 353, 371f. Thomas v. Aquin 346f. Thyen, H. 255f., 264ff., 400 Tuckett, Chr. 67, 164, 168, 181 Ulrichs, K.F. 360 Verheyden, J. 165 Vielhauer, Ph. 137 Vögtle, A. 181 Vouga, F. 7, 47, 55, 85, 293, 306, 313

Walter, N. 166, 173, 318 Wander, B. 232 Waszink, H. 102 Weber, H.-R. 113, 124, 132 Weder, H. 59f., 63, 254f., 307, 333, 336, 352f. Wehmeier, G. 126 Wehnert, J. 6 Weinel, H. 321 Weiser, A. 204, 227, 236, 249, 310, 352 Weiß, H.-F. 328, 339 Weiß, J. 131 Weiß, W. 3, 43, 48 Welck, Chr. 255, 297, 365, 402 Wellhausen, J. 155 Wendling, E. 120 Wengst, K. 255ff., 401f. Westermann, C. 241 Wewers, G.A. 116, 119 Wiefel, W. 210 Wilckens, U. 138, 142, 147, 186, 400, 403 Wilk, F. 370, 373, 381ff., 385, 387–391, 393ff., 397f., 404 Windisch, H. 126, 130ff. Winter, M. 302 Wohlers, M. 101f., 104, 365 Wolter, M. 95, 100, 104, 161, 106, 357, 385, 387ff. Wrede, W. 149, 320 Zeller, D. 167, 182, 357f. Zimmermann, Chr. 379, 388, 404 Zimmermann, H. 213f. Zimmermann, R. 158, 372 Zumstein, J. 255, 257 Zwick, R. 43f., 360