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German Pages 406 Year 2015
Carsten Gräbel Die Erforschung der Kolonien
Histoire | Band 75
2015-01-05 16-14-55 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0312386876135958|(S.
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Carsten Gräbel ist Diplom-Geograph und promovierter Historiker. Er lebt in Tübingen.
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Carsten Gräbel
Die Erforschung der Kolonien Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919
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Zugleich Dissertation am Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universtiät Konstanz Erster Gutachter: Prof. Dr. Jürgen Osterhammel Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Benedikt Stuchtey Tag der Doktorprüfung: 13.12.2012
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Carsten Gräbel Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2924-8 PDF-ISBN 978-3-8394-2924-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Einleitung: Geographie als koloniales Projekt | 9 1. Imperialer Aufbruch | 23
Geographie im 19. Jahrhundert | 24 Explorative und akademische Traditionen | 27 Epistemologische Transformationen | 35 Kolonialgeographie und Gelehrtenpolitik | 41 2. Die »academic community« der Kolonialgeographen | 47
Akademische Karrieren | 48 Die landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes | 64 Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten | 70 Die kolonialkartographische Abteilung des Reimer-Verlags | 75 Die Universität als Ort kolonialer Forschung und Lehre | 79 3. Disziplinäres Selbstverständnis und Kolonialideologie | 87
Erste Konzeptionalisierungen | 89 Die Antrittsvorlesungen | 93 Epistemische und territoriale Rekonfigurationen im Weltkrieg | 97 Koloniale Nutzenvorstellungen | 103 Im Auftrag des kolonialen Staates 109 Koloniale Ideologie und politische Mentalitäten | 115 4. Expeditionsalltag und koloniale Situationen | 127
Die Karawane | 128 Expeditionslogistik | 138 Gewaltmärsche | 146 In den Netzen kolonialer Infrastruktur | 158 Das Militär in Reichweite | 164 Koloniale Begegnungen | 169 5. Planungen, Forschungstechniken und Verschriftlichungen | 179
Expeditionsvorbereitungen | 182 Budgetfragen | 185 Vorstudien und Forschungsvorhaben | 190 Beobachtungen | 194 Messungen – topographische Aufnahmen | 197
Fotografieren, Zeichnen und Sammeln | 201 Erkundigungen | 205 Das Repertoire geographischer Schriften | 209 Die Kolonien aufs Papier gebracht | 217 Über den Umgang mit der Forschungsliteratur | 221 6. Produktion und Ordnung kolonialer Räume | 227 Erforschungs- und Eroberungsgeschichte | 229 Die eigentümliche Vergangenheit der Kolonisierten | 238 Koloniale Landschaften | 248 Kulturwerte der Landschaft | 254 Gebändigte Wildnis | 260 Vermessene Landschaften | 266 Kartenkonstruktionen | 270 Die Kolonien in Karten und Bild | 275 7. Ethnographische Ordnungsvorstellungen | 283
Wie Ethnographien entstanden | 284 Eine Anekdote von Kameruner Zwergen | 289 Rassen- und Völkerordnung | 291 Anthropologische Forschungen | 294 Eine materielle Kultur | 298 Verortungen im Lebensraum | 302 8. Die Kolonien als Wirtschaftsraum der Zukunft | 311
Die Erzeugnisse der Kolonien | 312 Die Dualität der Kolonialökonomie | 320 Der »Eingeborene« als Arbeitskraft | 326 Auswanderung in die Kolonien | 331 Koloniale Infrastruktur | 335 Zukunftsaussichten | 340 Schluss: Koloniale Eigentümlichkeiten | 349 Anhang | 357 Quellen und Literatur | 359
Danksagung und Widmung
Dieses Buch ist als Dissertation am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Konstanz entstanden. Besonders danken möchte ich Prof. Dr. Jürgen Osterhammel für seine Geduld und langjährige Betreuung. Das zweite Gutachten übernahm Prof. Dr. Benedikt Stuchtey. Die dem Buch zugrundeliegenden Forschungen wurden gefördert durch das Zentrum für wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Konstanz, heute Zukunftskolleg, durch die Landesgraduiertenstiftung Baden-Württemberg, das Institut für Europäische Geschichte in Mainz sowie durch den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Konstanz. Gutachten übernahmen die Professoren Gerd Kohlhepp, Dieter Langewiesche, Martin Coy, Michael Heffernan und Benedikt Stuchtey. Wichtige Hinweise verdanke ich Prof. Dr. Gerd Kohlhepp, Tanja Weiß und meinen früheren Mitstipendiaten am Institut für Europäische Geschichte Stefan Schmunk, Nils und Kai Müller, Jasper Heinzen, Alexander Schejngeit sowie Frank Beyersdorf. Für die Durchsicht des gesamten Manuskripts danke ich Jürgen Walch, Jonna Schürkes und Pamela Hahn-Seiberth. Gerhard Sandner (1929-2013) inspirierte mich während meiner Forschungen durch seine kritischen Aufsätze zur imperialen Geographiegeschichte und durch motivierende Worte in einer frühen Projektphase. Aus seinem letzten Brief an mich geht hervor, dass ihm die Erinnerung an die Geschichte der deutschen Kolonialgeographie bis zu seinem Tod im April 2013 ein großes Anliegen blieb. Da einer »ersten Lesung« keine weitere Diskussion folgen konnte, möchte ich dieses Buch Gerhard Sandners Andenken widmen. Tübingen, September 2014
Einleitung Geographie als koloniales Projekt
Die deutschen Kolonien wurden mit Taschenuhr, Kompass und Notizbuch erobert. Die territoriale Kontrolle weiter Räume in Afrika und im Westpazifik und eine auf Ressourcentransfer gerichtete Kolonialentwicklung benötigten topographische Kenntnisse und geographische Informationen. Mit militärischer Stärke und waffentechnischer Überlegenheit allein waren Kolonien weder zu erobern noch zu beherrschen. Die Bemächtigung von Raum, Mensch und Ressourcen beruhte auf geographischen Wissensformen: Karten, Statistiken, Verzeichnissen und länderkundlichen Berichten. Sie bildeten ein riesiges Wissensarchiv, das einerseits der raschen Orientierung im Gelände und der Bewältigung kolonialer Aufgaben im Herrschaftsraum diente, anderseits die Leser von der Notwendigkeit der kolonialen Expansion zu überzeugen suchte.1 Kolonisierung wurde durch militärische und politische Mittel erreicht und war darüber hinaus ein Projekt der Geographie. Gerade der Anfang der deutschen Kolonialherrschaft war eine Zeit symbiotischer Koexistenz. Kein Geringerer als der berühmte Forschungsreisende Gustav Nachtigal war zum kaiserlichen Sondergesandten erkoren worden, um Land an der westafrikanischen Küste für das Deutsche Reich formell in Besitz zu nehmen, und bescherte dem neuen Kolonialreich zugleich seinen ersten Märtyrer.2 Viele Expeditionen gerade im ersten Jahr-
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Bruno Latour: Science in Action. How to follow Scientists and Engineers through Society, Cambridge, MA 1987, S. 215-257; Juhani Koponen: Development for Exploitation. German Colonial Policies in Mainland Tanzania, 1884-1914, Helsinki 1994.
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Nachtigal war einer der berühmtesten Afrikareisenden, der von 1868 bis 1875 Nord- und Zentralafrika bereiste und später wichtige Ämter in der deutschen Geographenschaft begleitete: 1875 wurde er Präsident der neu gegründeten Deutschen Afrikanischen Gesellschaft und 1879 Vorsitzender der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Von 1882 bis 1884 war er Generalkonsul in Tunis. 1884 war er als Reichskommissar für die Landnahmen in West- und Südwestafrika verantwortlich, inszenierte Flaggenhissungen an der
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zehnt der kolonialen Expansion dienten sowohl der geographischen Erkundung kolonialer »Hinterländer« wie der militärischen Machtdurchsetzung. Offiziere gründeten Stationen, schlossen »Schutzverträge« mit einigen Völkern, während sie diejenigen bekämpften, die sich weniger kooperativ zeigten. Sie nahmen das Gelände topographisch auf und erhoben geographische Informationen, was sie zu gern gesehenen Rednern in geographischen Gesellschaften und auf wissenschaftlichen Kongressen machte.3 Manche dieser Wissenschaftsamateure verfassten vielgelesene geographische Werke, doch ihre wichtigste geographische Aufgabe war die Kartierung der Kolonien, an der sich neben den Militärs viele Kolonialbeamte, Missionare und private Landvermesser beteiligten.4
Küste und schloss »Freundschaftsverträge« mit »Häuptlingen« oder Personen ab, die er dafür hielt. 1885 erkrankte er schwer an Malaria und verstarb auf dem deutschen Kriegsschiff Möve auf See. Zur Berichterstattung über Nachtigals Flaggenhissung, siehe: [ohne Autor]: »Deutsch-Afrika. Deutsches Protektorat vom Tognogebiet [sic], Deutsche Kolonie Kamerunland, Lüderitzland«, in: DKZ 1 (1884), S. 353-357. Ein kurzer Nekrolog mit Auszug aus dem Tagebuch im Anhang: Richard Lesser: »Gustav Nachtigal«, in: DKZ 2 (1885), S. 341-344. Zur Biographie mit abweichender Bewertung seiner politischen Bedeutung und Einstellungen: Christoph Marx: »Völker ohne Schrift und Geschichte«. Zur historischen Erfassung des vorkolonialen Schwarzafrika in der deutschen Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1988, S. 40-61; Dietmar Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Band 3, Graz 1993, S. 556-569; Angelika Tunis: »Ein Philanthrop im Staatsdienst«, in: Baessler-Achiv, N.F. 44 (1996), S. 407-424. Zu Nachtigals kolonialpolitischer Bedeutung und seinem Mentalitätswandel, aber mit Konzessionen an die DDR-Historiographie: Dagmar Krone: »Gustav Nachtigal. Forschungsreisender und Kolonialeroberer«, in: Magdeburger Blätter: Jahresschrift für Heimat- u. Kulturgeschichte im Bezirk Magdeburg 1989, S. 52-59. 3
Zur Rolle der Militärs in der geographischen Forschung, siehe diverse Jahrgänge der Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, des Deutschen Kolonialblattes und der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin oder der Verhandlungen des Deutschen Geographentages.
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Für quellenreiche, bisweilen apologetische Studien zur kolonialen Kartographiegeschichte: Rudolf Hafeneder: Deutsche Kolonialkartographie, 1884-1919, München 2008; Imre Demhardt: Die Entschleierung Afrikas. Deutsche Kartenbeiträge von August Petermann bis zum Kolonialkartographischen Institut, Gotha 2000. Mit größerer Distanz zu kolonialen Narrativen, aber auf Namibia beschränkt: Jana Moser: Untersuchungen zur Kartographiegeschichte von Namibia. Die Entwicklung des Karten- und Vermessungswesens von den Anfängen bis zur Unabhängigkeit 1990, Dresden 2007.
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Wenn die Deutschen über ihre Kolonien schrieben, dann ging es häufig um Geographie. Die koloniale Literatur hatte einen ausgesprochenen Sinn für Örtlichkeiten und landeskundliche Informationen.5 Karten gaben den Kolonien Konturen und führten den Lesern die viel beschworene Weltgeltung des Deutschen Reiches eindrucksvoll vor Augen, während den Reisenden die Zeichen der deutschen Herrschaft in den Kolonien über weite Strecken verborgen blieben.6 Koloniale Zeitschriften beschrieben die seltsamen Völker, die neuen Untertanen des Deutschen Reiches, und erörterten, was die deutsche Wirtschaft und Nation in der tropischen Klimazone zu erwarten habe. Zwischen 1884 und 1919, den Jahren der deutschen Kolonialherrschaft, boomte das Genre der geographischen Kolonialliteratur. Amateurgeographen berichteten über die Kolonien und erzählten in Reiseberichten von ihren Abenteuern. Nach einer ersten Zeit der Eroberung und Herrschaftskonsolidierung wuchs schon bald die Zahl der Akademiker unter den Forschungsreisenden. Geodäten, Geologen, Biologen und Völkerkundler unternahmen nun Expeditionen, um mit Fachkompetenz und dem Methodenarsenal ihrer Disziplin die Kolonien zu erforschen. Viele Wissenschaften trugen zur Professionalisierung der Kolonialforschung bei, doch in den letzten zehn Jahren der deutschen Kolonialherrschaft nahmen Universitätsgeographen eine Schlüsselposition ein. Geographie war ein Diskurs und eine Wissenschaft mit einer langen Geschichte, aber erst in den letzten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts etablierte sie sich als eigenständige Disziplin an Universitäten. Zunehmend begannen die Universitätsgeographen den geographischen Diskurs über die deutschen Kolonien zu dominieren und erlangten als akademische Weltenbeschreiber mit Ortserfahrung beachtliche Deutungsmacht. Anfangs verfassten Geographieprofessoren vornehmlich Propagandaschriften, in denen sie die lang ersehnte Kolonisierung begrüßten, obgleich einzelne die koloniale Euphorie in der Kolonialbewegung etwas zu zügeln suchten und für realistischere Einschätzungen der kolonialen Zukunftsaussichten plädierten. Auf der Basis der verfügbaren Forschungsliteratur erstellten sie länderkundliche Schriften, die einer breiten Leserschaft die natürlichen Verhältnisse in den Kolonien, die Ethnographie und die kolonialwirtschaftlichen Möglichkeiten erläuterten. Schon früh begannen akademisch ausgebildete Geographen in die Kolonien zu reisen, aber bis zur Jahrhundertwende blieben es wenige, die eine deutsche Kolonie aus eigener Anschauung kennenlernten. Einen gewaltigen Schub erhielt die geogra-
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Vgl. diverse Jahrgänge der Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten und der Deut-
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Zur ideologischen Funktion von Karten: John Brian Harley: The New Nature of Maps.
schen Kolonialzeitung. Essays in the History of Cartography, Baltimore 2001, v.a. S. 51-82. Für knappe Bemerkungen zur ideologischen Bedeutung von Karten in der deutschen Kolonialgeschichte: J. Koponen: Development for Exploitation, S. 78.
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phische Kolonialforschung 1905, als eine Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete gegründet wurde und zahlreiche Expeditionen von Geographen in den folgenden Jahren finanzierte und organisierte. Gerade das dritte und letzte Jahrzehnt der deutschen Kolonialherrschaft wurde für die deutsche Kolonialgeographie am produktivsten. Die Auswertung der Expeditionen resultierte in einer Vielzahl von Reiseberichten und Regionalstudien, dazu kamen koloniale Länderkunden, die eine Übersicht über die Kolonie darboten, mehr oder weniger auf der Höhe des damaligen Wissensstandes. Im Mittelpunkt dieser Geschichte der deutschen Kolonialgeographie stehen die Aktivitäten und Schriften von Geographen, die mindestens eine Expedition in eine deutsche Kolonie unternahmen. Es handelte sich um Professoren an Universitäten und Handelshochschulen, die in der Regel außer den Kolonien noch andere Regionen beforschten, Vorlesungen zur gesamten Geographie lasen und Nachwuchswissenschaftler, die nicht zuletzt aufgrund von Kolonialexpeditionen an Universitäten Karriere machten. Angesichts der intensiven Forschungsbemühungen scheint es gerechtfertigt, trotz einer unabgeschlossenen Spezialisierung von einer »academic community« der Kolonialgeographen zu sprechen, bescherten ihnen doch vor allem die Forschungsleistungen in den Kolonien hohes Prestige innerhalb wie außerhalb der akademischen Geographenschaft. Der Schwerpunkt dieser Studie liegt auf Expeditionen und Schriften aus der Zeit zwischen den ersten Landnahmen 1884 und dem formellen Ende des deutschen Kolonialreiches in den Versailler Friedensverhandlungen von 1919. Gleichsam scheint es notwendig, auf einige frühere Entwicklungslinien der Geographie knapp einzugehen, schließlich rekombinierte die Kolonialgeographie tradierte Verfahren aus der explorativen Geographie mit neueren Wissensformen, die sich im Zuge der Etablierung der Universitätsgeographie durchgesetzt hatten. Koloniale Denkweisen überlebten die Zeit der tatsächlichen Kolonialherrschaft in vielen gesellschaftlichen Bereichen, so auch in der Wissenskultur der Geographen nach dem »Verlust« der Kolonien.7 Einerseits harrten Aufzeichnungen noch der Auswertung, die Geographen unmittelbar vor oder während des Krieges in den Kolonien angefertigt hatten, anderseits verlegten die Kolonialgeographen sich wieder verstärkt auf Propagandaschriften, nachdem ihnen der exklusive Forschungsraum abhandengekommen war. Für diese Studie ist die
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Zur langen Geschichte kolonialer Wunschvorstellungen: Susanne M. Zantop: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770-1870), Berlin 1999: Hans Fenske: »Ungeduldige Zuschauer: Die Deutschen und die europäische Expansion 1815-1880«, in: Wolfgang Reinhard (Hg.): Imperialistische Kontinuitäten und nationale Ungeduld im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1991, S. 87-123. Zur Langlebigkeit des Kolonialismus: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, 12. Aufl., München 2008.
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Expeditionsliteratur aus den ersten Jahren der Zwischenkriegszeit ebenfalls von Interesse, genauso wie die politischen Einstellungen der Kolonialgeographen. Schließlich ist es für die Analyse von epistemischen Praktiken im Kaiserreich aufschlussreich, wie sich Geographen in der Zwischenkriegszeit und in den Kriegsjahren politisch positionierten, nicht zuletzt auch deswegen, weil früher angelegte Denkformen später um so unverhohlener zum Ausdruck kamen. Aufgrund der Masse an Propagandaschriften, geopolitischen Analysen und methodischen Erneuerungsversuchen können diese Entwicklungslinien nur grob skizziert werden.8 Nach einer langen Zeit der Marginalisierung hat Kolonialgeschichtsschreibung heute Konjunktur. Die ältere Politik- und Diplomatiegeschichte wurde von sozialgeschichtlichen Ansätzen abgelöst und diese wiederum um eine kultur- und wissenschaftshistorische Perspektive erweitert. Gerade durch die Verbindung von Kulturgeschichte mit einer herrschaftskritischen Analyse lässt sich der hohe Stellenwert von wissenschaftlichem Wissen bei der europäischen Expansion aufzeigen, aber auch wie die Wissenschaften ihrerseits von imperialen und kolonialen Verhältnissen profitierten.9 Es existieren zahlreiche Studien über Geowissenschaften, Kartographie, Völkerkunde, Meteorologie und Botanik sowie über Missionare und Offiziere als die wohl wichtigsten Wissenschaftsamateure in den Kolonien. Daneben wurden die Orte der imperialen Wissensproduktion ebenfalls zum Gegenstand historischer Untersuchungen: Botanische Gärten, Natur- und Völkerkundemuseen, Völkerschauen, Geographische Gesellschaften und koloniale Ausbildungsstätten.10 8
Für einen Überblick über zentrale Argumentationen und Forschungsthemen: Klaus Kost: Die Einflüsse der Geopolitik auf Forschung und Theorie der Politischen Geographie von ihren Anfängen bis 1945. Ein Beitrag zur Wissensgeschichte der Politischen Geographie und ihrer Terminologie unter besonderer Berücksichtigung von Militär- und Kolonialgeographie, Bonn 1988, S. 193-234.
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Für einen der besten Überblicke zur Kolonialgeschichtsschreibung: Frederick Cooper: Colonialism in Question. Theory, Knowledge, History, London 2005, v.a. S. 3-58. Siehe darüber hinaus: Birthe Kundrus: »Von der Peripherie ins Zentrum. Zur Bedeutung des Kolonialismus für das Deutsche Kaiserreich«, in: Sven Oliver Müller/Cornelius Torp (Hg.): Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 359-373, vgl. auch: Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Das Kaiserreich transnational: Deutschland in der Welt, 1871-1914, Göttingen 2004, S. 7-27, hier S. 9-14; Sebastian Conrad: »Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte«, in: GG 28/1 (2002), S. 145-169; Jürgen Osterhammel: »Imperialgeschichte«, in: Christoph Cornelißen (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt a.M. 2002, S. 221-233.
10 Philippe Despoix: Die Welt vermessen. Dispositive der Entdeckungsreise im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen 2009; George Steinmetz: »The Devil’s Handwriting«. Precoloni-
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Über die Geographie im Kontext des europäischen Imperialismus liegen zwei hervorragende Sammelbände vor, dazu kommen historische Studien über die Kolonialgeographie zahlreicher europäischer Staaten.11 Eine Wissenschaftsgeschichte der deutschen Kolonialgeographie war bisher ausgeblieben, obgleich viele Historiker in der Geographie eine neue Leidenschaft gefunden haben. Nach wie vor ist das wichtigste Werk zur imperialen Wissenschaftsgeschichte der deutschen Geographie die über vierzig Jahre alte Dissertation des Historikers Franz-Josef Schulte-Althoff,
ality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa and Southwest Africa, Chicago 2007; Dirk van Laak: Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas, 1880-1960, Paderborn 2004, D. Graham Burnett: Masters of all They Surveyed. Exploration, Geography, and a British El Dorado, Chicago 2000; H. Glenn Penny/Matti Bunzl (Hg.): Wordly Provincialism. German Anthropology in the Age of Empire, Ann Arbor 2003; Matthew H. Edney: Mapping an Empire. The Geographical Construction of British India, Chicago 1997; Simon Ryan: The Cartographic Eye. How Explorers Saw Australia, Cambridge 1996; Michael Flitner: Sammler, Räuber und Gelehrte. Die politischen Interessen an pflanzengenetischen Ressourcen, 1895-1995, Frankfurt a.M. 1995; Paul Carter: The Road to Botany Bay. An Exploration of Landscape and History, New York 1988. Insbesondere zu Institutionen: Benedikt Stuchtey (Hg.): Science across the European Empires, 1800-1950, Oxford 2005; H. Glenn Penny: Objects of Culture. Ethnology and Ethnographic Museums in Imperial Germany, Chapel Hill 2002; Andrew Zimmerman: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, Chicago 2001; Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung »exotischer« Menschen in Deutschland 1870-1940, Frankfurt a.M. 2005, v.a. S. 280-305. Clive Barnett: »Impure and Worldly Geography: The Africanist Discourse of the Royal Geographical Society 1831-71«, in: Transactions of the Institute of British Geographers, New Series 23/2 (1998), S. 239-251; David N. Livingstone: »The Spaces of Knowledge: Contributions towards a Historical Geography of Science«, in: Environment & Planning D: Society and Space 13 (1995), S. 5-34; Lewis Pyenson: Cultural Imperialism and Exact Sciences. German Expansion Overseas, 1900-1930, New York 1985. Für eine kritische Besprechung: Paolo Palladino/Michael Worboys: »Science and Imperialism«, in: Isis 84 (1993), S. 91-102. 11 Neil Smith/Anne Godlewska (Hg.): Geography and Empire. Critical Studies in the History of Geography, Oxford 1996; Morag Bell/Robin Butlin/Michael Heffernan (Hg.): Geography and Imperialism, 1820-1920, Manchester 1995. Siehe auch: Robin Butlin: Geographies of Empire. European Empires and Colonies, c. 1880-1960, Cambridge 2009; Pierre Singaravélou (Hg.): L’empire des géographes: géographie, exploration et colonisation, XIXe-XXe siècle, Paris 2008; Felix Driver: Geography Militant. Cultures of Exploration and Empire, Oxford 2001.
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eine Übersicht über die imperialen Forschungsanstrengungen und koloniale Agitation von Forschungsreisenden und Geographieprofessoren.12 Gerhard Sandner, Henning Heske, Jürgen Zimmerer und Jens Ruppenthal vertieften einzelne Aspekte speziell aus institutionengeschichtlicher Perspektive, Iris Schröder sowie die beiden Literaturwissenschaftler Christoph Hamann und Alexander Honold interpretierten die Kilimandscharoforschungen von Hans Meyer kulturgeschichtlich.13 Erweitert wird dieses Spektrum von hagiographischen Geschichtsdeutungen und disziplinären Fortschrittsgeschichten, wie sie bereits unmittelbar nach dem »Verlust« der Kolonien en vogue waren. Darunter fallen biographische Aufsätze und institutionengeschichtliche Rückblicke anlässlich von Geburtstagen, zur Ehrung verstorbener Hochschullehrer oder aufgrund von Institutionenjubiläen. Es existieren auch neuere Studien, von denen einige sich als ausgesprochen informativ erwiesen, obgleich sie nach wie vor koloniale Diskurse unhinterfragt reproduzieren und geographische Forschungsleistungen verklären.14 Heute ist die deutsche Kolonialgeographie aus dem disziplinären Gedächtnis der Geographen weitgehend verschwunden, selbst an den geographischen Instituten in Hamburg, Berlin oder Tübingen, wo Professoren über Jahrzehnte Kolonialgeographie lehrten und ihre Schriften als unbeachtete 12 Franz-Josef Schulte-Althoff: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der deutschen Geographie im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn 1971. 13 Gerhard Sandner/Mechthild Rössler: »Geography and Empire in Germany, 1871-1945«, in: Smith/Godlewska, Geography and Empire (1994), S. 115-127; Gerhard Sandner: »In Search of Identity: German Nationalism and Geography, 1871-1910«, in: David Hooson (Hg.): Geography and National Identity, Oxford 1994, S. 71-91; Henning Heske: »Der Traum von Afrika: Zur politischen Wissenschaft der Kolonialgeographie«, in: Ders. (Hg.): Ernte-Dank? Landwirtschaft zwischen Agrobusiness, Gentechnik und traditionellem Landbau, Gießen 1987, S. 204-222; Jürgen Zimmerer: »Im Dienste des Imperiums: Die Geographen der Berliner Universität zwischen Kolonialwissenschaften und Ostforschung«, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7 (2004), S. 73-99, Jens Ruppenthal: Kolonialismus als Wissenschaft und Technik. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart 2007; Iris Schörder: »Der deutsche Berg in Afrika. Zur Geographie und Politik des Kilimandscharo im Deutschen Kaiserreich«, in: Historische Anthropologie 13 (2005), S. 19-44; Christoph Hamann/Alexander Honold: Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges, Berlin 2011. 14 Zwar bemängelten Geographen bisweilen eine mangelnde kritische Distanz bei der Historisierung ihres Faches, dennoch setzte sich diese Tendenz weiterhin fort. Das Spektrum der Kritiker reicht von marxistischen bis zu konservativen Fachvertretern: Anne Godlewska/Neil Smith: »Introduction: Critical Histories of Geography«, in: Dies., Geography and Empire, S. 1-8; Ute Wardenga/Eugen Wirth: »Geographische Festschriften: Institution, Ritual oder Theaterspielen?«, in: GZ 83 (1995), S. 1-20.
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Relikte bis heute die Bibliotheksregale auffüllen. Nur gelegentlich wurden sie als ein früheres Stadium der geographischen Entwicklungsforschung thematisiert, ohne dass auf die kolonialen Wissensformen näher eingegangen worden wäre.15 So ist es irreführend und unverständlich, wenn Geographiehistoriker koloniale Bezüge der Geographie pauschal bestreiten. Frido Bader gelangte im Jubiläumsband zum einhundertfünfzigsten Jahrestag der Gründung der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin zu der Ansicht, Geographen hätten nicht zum Kolonialismus beigetragen.16 Ähnlich äußerten sich zwei ausgewiesene Experten für die Geographiegeschichte des 19. Jahrhunderts in einem tendenziell kolonialkritischen Sammelband. Hans-Dietrich Schultz – der sich sonst um eine kritische Geographiegeschichtsschreibung verdient gemacht hat – und Heinz Peter Brogiato glaubten, beweisen zu müssen, dass »kein direkter kausaler Zusammenhang« zwischen der Akademisierung der Geographie und »dem Kolonialismus« bestehe. In ihrem Aufsatz konstatieren sie ein »erstaunliches Desinteresse« an kolonialen Fragen in der Berliner Gesellschaft für Erdkunde und in anderen geographischen Vereinen in Deutschland.17 Ohne auf die Akademisierung der Geographie selbst einzugehen, präsentierten sie eine Auswahl von Ereignissen und Personen, die als Beweis einer unbefleckten geographischen Wissenstradition gelten sollen, um zugleich gegen jene zu opponieren, die einer Verquickung von deutscher Geographie und kolonialer 15 Jürgen Blenck: »Geographische Entwicklungsforschung«, in: Karlheinz Hottes: (Hg.): Geographische Beiträge zur Entwicklungsforschung. Erste Dokumentation des »Geographischen Arbeitskreises Entwicklungstheorien«, Bonn-Bad Godesberg 1979, S. 11-20, insb. S. 12-14; Martin Coy: »Geographische Entwicklungsländerforschung«, in: Wilfried Schenk/Konrad Schliephake (Hg.): Allgemeine Anthropogeographie, Gotha, S. 727-765, v.a. S. 732-733; Herbert Wilhelmy/Ernst Weigt: »Heinrich Schmitthenner und die Kolonialgeographie«, in: Helmut Blume/Herbert Wilhelmy (Hg.): Heinrich-SchmitthennerGedächtnisschrift. Zu seinem 100. Geburtstag, Wiesbaden 1987, S. 39-45, v.a. S. 44. Wilhelmy betrieb selbst noch Kolonialgeographie, publizierte etwa im Kolonialband zu Lebensraumfragen europäischer Völker und wurde dort als Dozent für Geographie und Kolonialgeographie der Universität Kiel geführt. 16 Frido Bader: »Die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und die koloniale Erschließung Afrikas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung der ersten deutschen Kolonien«, in: Die Erde 109 (1978), S. 36-48. 17 Hans-Dietrich Schultz/Heinz Peter Brogiato: »Die ›Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin‹ und Afrika«, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.), »...Macht und Anteil an der Weltherrschaft«. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S. 87-94, Zitate S. 87 und 88 sowie Heinz Peter Brogiato: »Wissen ist Macht. Geographisches Wissen ist Weltmacht«. Die schulgeographischen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum (18801945), Trier 1998, S. 37, 40.
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Expansion das Wort redeten. Wenigstens erhielt einer der Herausgeber des betreffenden Sammelbandes die Gelegenheit, diese Sichtweise in einem Ausstellungskatalog zum einhundertfünfzigsten Geburtstag von Hans Meyer zu revidieren.18 Lehrreich ist dieses Beispiel nicht nur in Bezug auf die Eigentümlichkeiten geographischer Geschichtspolitik, sondern auch für die Frage, wie Kolonialismus in den Wissenschaften konzeptionalisiert werden kann. Schließlich waren Kolonialismus und Geographie keine getrennten Entitäten, die sich erst formierten und dann miteinander in Beziehung traten. Es waren nicht nur diejenigen Kolonisierer, die mit dem Gewehr in der Hand die Kolonien eroberten, wobei die Geographen in den Kolonien selbst bewaffnet waren und in Begleitung von Soldaten reisten. Die Expansion nach Afrika und in den Pazifik benötigte auch Gelehrte, welche die Vorgänge in den Kolonien begreifbar machten. Kolonialismus war schließlich ein Herrschaftsverhältnis, das darauf beruhte, dass Europäer die Bevölkerung in den Kolonien als andersartig präsentierten, während sie zugleich von der Höherwertigkeit ihrer eigenen Kultur überzeugt waren.19 Geographisches Kolonialwissen wies hierbei eine Doppelfunktion auf – war koloniale Ideologie und zugleich informationelle Ressource, die andere Kolonisierer nutzen konnten. Daher war es eben keine »andere Sache«, dass Geographen ihre wissenschaftliche Disziplin zur Anbahnung und Konsolidierung der kolonialen Herrschaftsverhältnisse einsetzten und die deutsche Fremdherrschaft gegenüber der deutschen Öffentlichkeit rechtfertigten.20 Solange Geographen sich abmühen, die koloniale Geschichte ihrer Disziplin zu relativieren oder im anderen Extrem in den Selbstbeschreibungen und Diskursen aus der Epoche verharren, anstatt sie historisch-kritisch zu analysieren, ist der Weg zu einer zeitgemäßen Historiographie der deutschen Geographie noch weit. Gleichermaßen wäre es verfehlt, die Kolonialgeographie allzu kulturalistischen Interpretationen zu unterwerfen, sie nur noch als zu dekonstruierende Diskurse und
18 Ulrich van der Heyden: »Deutsche Entdeckungsreisende in Afrika und der Kolonialismus. Das Beispiel Hans Meyer«, in: Heinz Peter Brogiato (Hg.): Meyers Universum. Zum 150. Geburtstag des Leipziger Verlegers und Geographen Hans Meyer (1858-1929), Leipzig 2008, S. 117-140. 19 Vgl. zur Kolonialismusdefinition: Jürgen Osterhammel: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 5. Aufl., München 2006, v.a. S. 21. Zur Bedeutung von Repräsentationen für das koloniale Projekt: Ebd., S. 112-118. Mit stärkerer Betonung kolonialer Gewaltverhältnisse: Trutz von Trotha: »Was war Kolonialismus? Einige zusammenfassende Befunde zur Soziologie und Geschichte des Kolonialismus und der Kolonialherrschaft«, in: Saeculum: Jahrbuch für Universalgeschichte 55/1 (2004), S. 49-95. 20 Vgl. dazu noch einmal: Schultz/Brogiato: »Die Gesellschaft zu Erdkunde zu Berlin«, S. 94.
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fehlgeleitete Verfahren wahrzunehmen. Geographisches Wissen war keine bloße Imagination und Erfindung, wie manche Autoren in Anschluss an Edward Saids Orientalismusschrift gerne glauben wollten. Geographen waren alles andere als Autisten, obwohl ihre Schriften bisweilen ausgesprochen imaginativ sein konnten.21 Man kann Geographen viele Vorwürfe machen, aber es wäre nicht gerechtfertigt, ihnen zu unterstellen, sie hätten sich nicht um ein akkurates Wissen über die deutschen Kolonien bemüht. Wären die Kolonien nur ein virtueller Raum für Projektionen gewesen, dann wäre die Expedition zu einem Akt der Inszenierung verkommen, eine Show für ein törichtes Publikum. Doch Geographen waren nicht nur Narzissten, denen es gefiel, exotische Gegenden zu bereisen und als weiße Herren über Karawanen zu gebieten. Ihre Schriften belegen eine Ernsthaftigkeit, mit der sie in den Kolonien arbeiteten, unermüdlich beobachteten, das Gelände kartierten und Notizbücher führten und gerade weil die Kolonialgeographie ein Teil des kolonialen Herrschaftsapparates und daher nicht folgenlos war, sollte man ihre Forschungen und Ordnungsentwürfe nicht vorschnell als Phantastereien abtun. Zwischen der Reproduktion eines alten disziplinären Selbstverständnisses und einer der geographischen Praxis entrückten Dekonstruktion bietet sich eine dritte Perspektive an, die Pierre Bourdieu in sperriger Terminologie als Objektivierung des objektivierenden Subjekts bezeichnete. Gemeint ist eine Untersuchung der Geographen und der historischen Bedingungen, unter denen sie forschten. Die Analyse lässt sich als eine Matrix aus strukturellen Voraussetzungen begreifen, die sowohl die Institutionen, Ideologien, Erwartungshaltungen und materielle Handlungsspiel21 Edward Said: Orientalism, London 1978. Zur Kritik, vgl. Jürgen Osterhammel: Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001, v.a. S. 240-265; Ders.: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, S. 21-27; Derek Gregory: »Power, Knowledge and Geography: The Hettner Lecture in Human Geography«, in: GZ 86 (1998), S. 70-93, v.a. S. 79. Zur Betonung der imaginativen Seite der Geographie: Alexander Honold: »Raum ohne Volk. Zur Imaginationsgeschichte der kolonialen Geographie«, in: Mihran Dabag et al. (Hg.): Kolonialismus, Kolonialdiskurs und Genozid, München 2004, S. 95-110, sowie Mark Bassin: Imperial Visions. Nationalist Imagination and Geographical Expansion in the Russian Far East, 1840-1865, New York 1999. Bassin betont zwar die nationalen und imperialen Träumereien in den geographischen Visionen vom russischen Fernen Osten, führt sie aber zugleich auf politische Mentalitäten zurück und sieht sie durch die Geographie des Raumes limitiert. Ein fast schon klassischer Text zur Bedeutung der Außenwelt für das Genre des Reiseberichtes: Peter J. Brenner: »Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts«, in: Ders. (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt a.M. 1989, S. 14-49.
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räume als auch die persönlichen Erfahrungen und Neigungen einzelner Geographen einbezieht.22 Dieser Zugang nimmt die Geographen und ihre Leserschaft ernst, ohne leichtgläubig zu sein, geht von den Motiven, Diskursen und Selbstbeschreibungen aus, ohne den rhetorischen Strategien und Auslassungen der Geographen aufsitzen zu wollen. Als inspirierend erwiesen sich ebenfalls die kulturanthropologischen Laborstudien, die seit einigen Jahrzehnten die Wissenschaftsforschung beflügeln und die Aufmerksamkeit auf die Prozesshaftigkeit und die alltäglichen Praktiken der Wissensgenerierung lenkten.23 Anstatt sich mit geographischen Schriften als Endprodukte der wissenschaftlichen Forschung zu begnügen, erlaubt diese Perspektive die Analyse der verschiedensten Facetten der kolonialgeographischen Forschung – angefangen von den Expeditionsvorbereitungen, den ersten Beobachtungen in den Kolonien bis hin zur Ausarbeitung von Publikationen und der Fabrikation eines vorgeblich objektiven Kolonialwissens. Anders als viele ältere Studien, die Wissenschaften aufgrund von politischen Analogien als Ideologie zu brandmarken suchten, analysiert die vorliegende Studie die Kolonialgeographie als eine lange Reihe von Übersetzungsschritten, Objektivierungen und Bearbeitungen, die innerhalb spezifischer Institutionen erfolgten und von politischen Überzeugungen ihrer Protagonisten gelenkt waren. Damit werden ideologische Überformungen nicht nur bei der Darstellung von publizierten Forschungsresultaten verständlich, sondern soziale und politische Einwirkungen können während des gesamten Forschungsprozesses 22 Pierre Bourdieu: Homo academicus, Frankfurt a. M. 1992; Ders.: »Teilnehmende Objektivierung«, in: Elke Ohnacker/Franz Schultheis (Hg.): Pierre Bourdieu. Schwierige Interdisziplinarität. Zum Verständnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft, Münster 2004, S. 172-186. 23 Als wegweisend haben sich insbesondere die Studien von Bruno Latour und Karin Knorr Cetina erwiesen: Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora, Frankfurt a.M. 2000; Ders.: Science in Action (1987); Ders./Steve Woolgar: Laboratory Life. The Social Construction of Scientific Fact, Beverly Hills 1979; Karin Knorr Cetina: Wissenskulturen. Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen, Frankfurt a.M. 2002; Dies.: Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Naturwissenschaft, Frankfurt a.M. 1984. Speziell zu Übersetzungsschritten, Inskriptionen und Verschriftlichungen: Bruno Latour: »Drawing things together: Die Macht der unveränderlich mobilen Elemente«, in: Andrea Bellinger/David J. Krieger (Hg.): ANThology. Ein ausführliches Handbuch zur AkteurNetzwerk-Theorie, Bielefeld 2006, S. 295-308. Für eine kritische Bewertung: Timothy Lenoir: »Inscription Practices and Materialities of Communication«, in: Ders. (Hg.), Inscribing Science. Scientific Texts and the Materiality of Communication, Stanford 1998, S. 1-19; Johannes Fabian: Time and the Work of Anthropology. Critical Essays, 19711991, Chur 1991.
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registriert werden.24 So erschöpft sich der Mehrwert einer praxeologischen Wissenschaftsgeschichte nicht mit der Rekonstruktion alltäglicher Prozeduren. Vielmehr können durch den Einbezug der Entstehungsprozesse und des historischen Forschungskontextes in einem zweiten Schritt die geographischen Wissensbestände einer kritischen Analyse unterzogen werden. Die Erkenntnisse aus den anthropologischen Laborstudien lassen sich dennoch nicht einfach auf die Kolonialgeographie übertragen. Erstens existieren zwischen den eigens für die wissenschaftlichen Erkenntnisprozesse geschaffenen Laborwelten und kolonialen Landschaften fundamentale Differenzen und zweitens ist der historischen Forschung der mühsame Luxus teilnehmender Beobachtung verwehrt. Zwar erscheint es verlockend, die eingängige Metapher von den »Kolonien als Laboratorium der Moderne« wörtlich zu nehmen, zumal zahlreiche Übertragungen von epistemischen Praktiken und Forschungsobjekten vom Laboratorium auf die Geländeforschung und vice versa erfolgten, doch wird es zukünftigen Studien vorbehalten bleiben, diesen Spuren nachzugehen.25 Der Zugriff auf die Kolonialgeographie als »science in the making« – von der Erhebung geographischer Informationen in den Kolonien bis zur Schriftlegung in geographischen Zeitschriften und Monografien – wird durch die Analyse verschiedener Quellengattungen empirisch möglich. Als besonders wichtig erwiesen sich die von Geographen in den Kolonien geführten Expeditionstagebücher, die erstmals als historische Quelle erschlossen wurden, insbesondere die Tagebücher von Carl Uhlig über die Expedition zum Kilimandscharo und Meru von 1901 und zum Viktoriasee von 1903/1904, von Fritz Jaeger über die »landeskundliche« Expedition nach Deutsch-Ostafrika von 1906/1907 und von Hans Meyer über die Expedition nach Ruanda und Burundi von 1911. Hinzu kommen autobiographische Skizzen von Fritz Jaeger und Siegfried Passarge, eine reichhaltige Korrespondenz von Franz Thorbecke anlässlich seiner Kamerunexpedition sowie weitere Briefe von Kolonialgeographen an Kollegen und Kolonialbehörden.26 Diese Quellen geben Aufschluss
24 B. Latour, Science in Action, u.a. S. 1-18. 25 Für die Übergangs- und Übertragungsformen von Labortechniken auf die Geländeforschung: Philipp Felsch: Laborlandschaften. Physiologische Alpenreisen im 19. Jahrhundert, Göttingen 2007. Allerdings wurden berechtigte Einwände gegenüber vorschnellen Analogien zwischen Laboratorien und Kolonien erhoben, siehe dazu: Dirk van Laak: »Kolonien als ›Laboratorien der Moderne‹?«, in: Conrad/Osterhammel, Das Kaiserreich transnational (2004), S. 257-279. 26 Vgl. dazu die Nachlässe im Archiv des Leibniz-Institutes für Länderkunde in Leipzig sowie die Kolonialbestände im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Fritz Jaeger diktierte das Tagebuch von der Ostafrikaexpedition 1906/07 seiner Sekretärin, so dass es mit einigen handschriftlichen Korrekturen auch maschinenschriftlich vorliegt. Zitate aus
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über die Expeditionsbedingungen und führen zu neuen Erkenntnissen über die Herausforderungen und die alltäglichen Probleme, mit denen Geographen auf ihren Expeditionen konfrontiert waren. Publizierte Reiseberichte und Vorträge verdeutlichen, welche Forschungstechniken auf den Expeditionen angewendet wurden. Forschungsberichte und Länderkunden lassen sich einerseits hinsichtlich der Verschriftlichungsverfahren befragen, die Beobachtungen und Erkundigungen in objektive Tatsachenbehauptungen überführten, andererseits geben sie Aufschluss über das weite Panorama von Forschungsthemen, für die Geographen fachliche Kompetenz reklamierten. Wissenskulturen beruhen auf dem Zusammenspiel von theoretischen Ansätzen, wissenschaftlichen Praktiken, etablierten Routinen, institutionellen Netzwerken, sozioökonomischen Rahmenbedingungen und politischen Mentalitäten.27 Nach einem Überblick über epistemische Veränderungen in der Geographie des 19. Jahrhunderts (Kapitel 1) richtet sich der Blick auf die Biographien der Kolonialgeographen, ihre institutionelle Einbindung und Allianzen mit anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen (Kapitel 2). Danach stellt sich die Frage nach dem disziplinären Selbstverständnis der Kolonialgeographen, nach theoretischen Voraussetzungen, Methodologien und den kolonialen Nutzenerwartungen, die Geographen an ihre Disziplin stellten (Kapitel 3). Entscheidend für die Erzeugung geographischen Wissens waren Expeditionen, auf denen Geographen zunächst eine ganze Reihe von Alltagsproblemen und logistischen Schwierigkeiten zu überwinden hatten (Kapitel 4). Darüber hinaus waren die wissenschaftlichen Ergebnisse einer Expedition von der Vorbereitung, den ausgeübten Forschungstechniken und von den darstellerischen Konventionen abhängig (Kapitel 5). Am Ende stand ein mit Wertungen durchsetztes, normatives Wissen, kolonialpropagandistisch überformt, von der Phantasie beflügelt und durch düstere Gemütszustände gehemmt,
Hans Meyers vergleichsweise gut lesbarem Tagebuch beziehen sich auf das Original sowie, wenn angegeben, auf die publizierten Auszüge aus dem Expeditionstagebuch in: Reinhart Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929). Erstbesteiger des Kilimandscharo, Forschungsreisender und Verleger, Bonn 1994. (Aufgrund zahlreicher Auslassungen kann die Schrift nur eingeschränkt als Quelle empfohlen werden.) Auf die oft eigenwillige Orthographie und Grammatik in vielen Tagebüchern und manchen publizierten Schriften muss ebenfalls hingewiesen werden. Nur besonders gravierende Verstöße wurden gekennzeichnet. 27 Knorr Cetina, Wissenskulturen, v.a. S. 11; Johannes Fried/Michael Stolleis (Hg.): Wissenskulturen. Über die Erzeugung und Weitergabe von Wissen, Frankfurt a.M. 2009; Hans-Jörg Sandkühler: »Wissenskulturen, Überzeugen und die Rechtfertigung von Wissen«, in: Ders. (Hg.): Repräsentation und Wissenskulturen, Frankfurt a.M. 2007, S. 2538, v.a. S. 31.
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aber nichtsdestotrotz das Ergebnis komplexer Schaffensprozesse. Eine ideologisch verbrämte Kolonialgeschichte öffnete das semantische Feld der geographischen Kolonialdarstellungen und markierte die beforschten Räume unmissverständlich als deutsche Territorien. Daran schlossen koloniale Landschaftsbeschreibungen an sowie ihre Visualisierung in Karten und Bildern. In den länderkundlichen Schriften überwogen Erörterungen zur Landschaftsgenese und Ökologie; doch auch in diesem Themenkomplex wurden Fragen von nationalen Zugehörigkeiten verhandelt (Kapitel 6). Der erwartete Untergang der kolonialen Völker ließ die Erforschung von Physiognomie, materieller Kultur und Lebenswelten besonders dringlich erscheinen, drei Kernbereiche der explorativen Geographie, die Kolonialgeographen mit Völkerkundlern teilten (Kapitel 7). Mit wirtschaftsgeographischen Erörterungen schlossen die Geographen in der Regel ihre landeskundlichen Darstellungen eines kolonialen Raumes ab. Ausgehend von den natürlichen und ethnographischen Verhältnissen wurde eine Bestandsaufnahme der kolonialen Ökonomie unternommen und Ratschläge unterbreitet, auf welche Weise die Ressourcenausbeutung zugunsten des Deutschen Reiches verbessert werden könnte (Kapitel 8). Diesem Buch liegt damit eine forschungsperspektivische Dreiteilung zugrunde: eine Geschichte der Institutionen, Theorien und disziplinären Selbstverständnisses am Anfang, das Alltagshandeln und die Forschungstechniken in den Kolonien im Mittelteil und ein Panorama der kolonialgeographischen Wissensbestände am Ende. Dabei geht es weder um enzyklopädische Vollständigkeit noch um anekdotische Unterhaltung. Dieses Buch lebt von Beispielen, einzelnen Ereignissen und den persönlichen Erfahrungen der Geographen, die zu einem möglichst umfassenden und facettenreichen Bild zusammengefügt werden, mit dem Schwerpunkt auf Gemeinsamkeiten und grundlegenden Mustern, ohne die Besonderheiten und Variationen aus den Augen zu verlieren. Auf diese Weise erhalten wir Anhaltspunkte, warum die Geographen so über die Kolonien schrieben, wie sie es taten. Zugleich können wir eine Antwort auf den Widerspruch finden, warum Geographen zwar unablässig auf der Suche nach neuen Informationen waren, während ihre Texte selten mit überraschenden Neuigkeiten aufwarteten.
1. Imperialer Aufbruch
Als das Deutsche Reich nach Übersee expandierte, war die Geographie eine alte Wissenschaft aber noch junge Universitätsdisziplin. Viele Forschungsreisende waren nach Afrika aufgebrochen, um ihren Namen in die Entdeckungsgeschichte des Kontinents einzuschreiben, von dem in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur die Küstenlinien und einige Räume im Norden und Süden bekannt waren. Am Ende des Jahrhunderts war die viel beschworene terra incognita auf wenige Gebiete zusammengeschmolzen und die politische Staatenvielfalt von europäischen Herrschaftsstrukturen überlagert. Geographen und Historiker präsentierten die Erforschung Afrikas lange als eine Summe von wissenschaftlichen Einzelleistungen heldenhafter Entdecker und Forschungsreisender, in den letzten Jahrzehnten hingegen erhielten nicht-europäische Gefährten und lokale Logistiker mehr Aufmerksamkeit. Zugleich wurde verstanden, dass die Erweiterung des geographischen Wissenshorizontes in Europa entscheidend von institutionellen Veränderungen getragen wurde.1 1
Für einen Überblick über die britische Explorationsgeschichte des 19. Jahrhunderts aus institutionengeschichtlicher Perspektive: Robert A. Stafford: »Scientific Exploration and Empire«, in: Andrew Porter (Hg.): The Oxford History of the British Empire, Band 3. The Nineteenth Century, Oxford 1999, S. 294-319. Zur Kooperation einheimicher und außereuropäischer Helfer: Johannes Fabian: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München 2001; Donald Simpson: Dark Companions. The African Contribution to the European Exploration of East Africa, New York 1975 sowie: Adam Jones/Beatrix Heintze (Hg.): European Sources for Sub-Saharan Africa before 1900. Use and Abuse (Paideuma, 33), Stuttgart 1987, darin insb.: Adam Jones: »The Dark Continent: A Preliminary Study of the Geographical Coverage in European Sources«, S. 19-26; Alan B. Fisher/Humphry J. Fisher: »Nachtigal’s Companions«, S. 231-261. Trotz der Betonung der individuellen Forschungsleistungen finden sich in der älteren Entdeckungsliteratur bereits viele Hinweise auf die Bedeutung geographischer Institutionen. Zur personenzentrierten Entdeckungsgeschichte: Christoper Hibbert: Africa
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Die Kolonialgeographie baute auf explorativen Traditionen auf, doch ihre Wissenskultur hatte sich in dem Jahrzehnt vor den kolonialen Landnahmen stark gewandelt. Aus der Geographie war eine akademische Disziplin geworden. An die Stelle einer Arbeitsteilung zwischen reisenden Wissenschaftsamateuren und versierten Geographen in Geographischen Gesellschaften und Verlagen traten Universitätsgeographen, die nun den Typus des »armchair geographer« mit dem des Forschungsreisenden in einer Person vereinten. Eine Geschichte der Kolonialgeographie beginnt daher am besten mit einer knappen Skizze der explorativen Geographie und ihre Akademisierung vor dem Hintergrund des imperialen Ausgreifens des Deutschen Reiches, denn ohne diesen Erfahrungsschatz und der theoretischen Neuerungen wäre die Fachrichtung nur schwer zu verstehen. Den Anfang könnte man mit Forschungsreisenden und Abenteurern setzen, die in britischen oder niederländischen Diensten gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach Afrika oder Asien reisten, mit Johann Reinhold und Georg Forster, die James Cook auf seine zweite Pazifikfahrt begleiteten, oder mit dem merkantilistischen Polyhistor Johann Joachim Becher, dessen Kolonialpropaganda bemüht wurde, um der deutschen Kolonialzeit den Anschein einer jahrhundertelangen imperialen Kontinuität zu verleihen.2 Aber es gibt gute Gründe den imperialen Auftakt in der explorativen Afrikageographie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu suchen. Dafür spricht die Häufung von Expeditionen, die Gründung neuer Zeitschriften und Wissenschaftsorganisationen sowie eine Rhetorik, die Forschungsleistungen zunehmend als nationale Errungenschaften begriff.
G EOGRAPHIE
IM
19. J AHRHUNDERT
In der langen Geschichte der Geographie wurde beharrlich um Konventionen und Konzeptionen gerungen. Trotz aller Veränderungen und paradigmatischer Umbrüche gab es Kontinuitäten, die sich durch die Jahrhunderte zogen. Besonders stark trat der Gegensatz zwischen allgemeiner und regionaler Geographie hervor. Bereits
Explored. Europeans in the Dark Continent, 1769-1889, London 1982; Robert I. Rotberg: Africa and its Explorers. Motives, Methods and Impact, Cambridge, MA 1970. 2
Vgl. Heinrich Schmitthenner: »Die Deutschen als Kolonialvolk«, in: Karl H. Dietzel/Oskar Schmieder/Ders. (Hg.): Lebensraumfragen europäischer Völker, Band 2. Europas koloniale Ergänzungsräume, Leipzig 1941, S. 1-17, hier S. 21; Kurt Hassert: »Johann Joachim Becher, ein Vorkämpfer deutscher Kolonialpolitik im 17. Jahrhundert«, in: Koloniale Rundschau 1918, S. 148-160, 250-264. Zur Instrumentalisierung der kolonialen Vorgeschichte, siehe auch: Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien, 6. Aufl., Paderborn 2012, S. 17-25.
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Bartholomäus Keckermann und Bernhard Varenius hatten im 15. Jahrhundert zwischen einer auf die gesamte Erde gerichteten »geographia generalis« und einer auf die geographischen Eigentümlichkeiten spezifischer Regionen zielenden »geographia specialis« unterschieden.3 Immer wieder versuchten Geographen, beide Ansätze miteinander zu versöhnen, immer wieder entzündeten sich zwischen den Anhängern beider Richtungen heftige Kontroversen. Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen den zwei Disziplinen in einer ergaben sich weitere Fragen und Probleme. War die Erde als ein physischer Körper zu behandeln oder galt es vornehmlich, Staaten oder Länder zu untersuchen? Sollte man sich wie Alexander von Humboldt im Kosmos unabhängig vom Menschen auf die Spur von Wechselwirkungen in der Natur begeben oder galt es den Menschen als ein von seiner Umwelt bedingtes Wesen in den Mittelpunkt der Geographie zu rücken? Ging es um die gesamte Erde und ihre Gesetzmäßigkeiten oder waren Länderdarstellungen ihr eigentliches Wesen? Die Klärung dieser Fragen beschäftigte die Geographen in unzähligen Wendungen und Windungen bis weit in das 20. Jahrhundert. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang die Verständigung auf ein gemeinsames Untersuchungsobjekt. Ferdinand von Richthofen erhob in einer viel beachteten Antrittsvorlesung 1883 in Leipzig die Erdoberfläche zur »ureigensten Domäne« der Geographie.4 Auch wenn nicht alle Geographen Richthofens Ansichten teilten, so stimmten die meisten mit ihm überein, dass die zentrale Aufgabe der Geographie die Erforschung der festen Erdoberfläche sei. Richthofen setzte sein Forschungsprogramm schließlich durch, auch wenn gegen die Bevorzugung der naturwissenschaftlichen Geographie – ihre Geologisierung – Einwände erhoben wurden.5 An 3
Rainer Kastrop: »Die Bedeutung des Varenius innerhalb der Entwicklung des geographischen Denkens in Deutschland«, in: Manfred Büttner (Hg.): Zur Entwicklung der Geographie vom Mittelalter bis zu Carl Ritter, Paderborn 1982, S. 72-95; Manfred Büttner: »Bartholomäus Keckermann (1572-1609)«, in: Ders. (Hg.): Wandlungen im geographischen Denken von Aristoteles bis Kant. Dargestellt an ausgewählten Beispielen, Paderborn 1979, S. 139-150.
4
Ferdinand von Richthofen: Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie. Akademische Antrittsrede, gehalten in der Aula der Universität Leipzig am 27. April 1883, Leipzig 1883.
5
Gegen von Richthofen wandte sich der Leiter der geographischen Anstalt in Gotha auf dem achten Deutschen Geographentag in Berlin, siehe: Alexander Supan: »Über die Aufgaben der Spezialgeographie und ihre gegenwärtige Stellung in der geographischen Litteratur«, in: PGM 35 (1889), S. 153-157. Für einen zeitgenössischen Überblick über die Methodendiskussion in der Geographie, siehe v.a.: Hermann Wagner: »Der gegenwärtige Standpunkt der Methodik der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 7 (1878), S. 550-636; Ders.: »Bericht über die Methodik der Erdkunde (1883-1885)«, in: Geogra-
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der Erdoberfläche als zentralem Bezugspunkt der Geographie war jedenfalls nicht mehr zu rütteln. Selbst Geographen mit abweichenden Vorstellungen akzeptierten Richthofens methodologische Einhegungen oder sie katapultierten sich aus dem common sense der Disziplin, wie Georg Gerland, der zu einem Protagonisten der Geophysik wurde.6 So neu war Richthofens Gedanke nicht. Schon Carl Ritter bezog seine Geographie auf die Erdoberfläche, Oskar Peschels vergleichende Erdkunde widmete sich der Erklärung von geographischen Oberflächenphänomenen, die gesamte explorative Geographie war auf die Beschreibung und Kartierung von noch wenig bekannten Ausschnitten der Erdoberfläche bedacht.7 Aber es war von Richthofens methodologisches Programm, das den Kurs der geographischen Wissenskultur der nächsten Jahrzehnte bestimmte und zugleich zu einem Zeugnis einer tiefen wissenschaftlichen Zäsur wurde. Jeder Monat vermehre »den tatsächlichen Bestand unserer Kenntniss fremder Erdräume«, diagnostizierte Richthofen, aber das »geographische Material« sei nun ein anderes. Das Zeitalter der Entdeckungen erklärte er zwar noch nicht für beendet, doch müsse, »was man ehemals zu kennen glaubte«, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, »aufs Neue erforscht werden«.8 Geographen außerhalb von Deutschland teilten diese Sichtweise. Der britische Geograph und spätere Geopolitiker Halford Mackinder fasste diesen Wandel, indem er zwischen Geographie als bloßem »body of information« und einer Geographie als »discipline« und »science« differenzierte.9 Eine ähnliche Unterscheidung traf der
phisches Jahrbuch 10 (1884), S. 523-598. Ferner siehe: Hanno Beck: Große Geographen: Pioniere, Außenseiter, Gelehrte, Berlin 1982, S. 149-163. 6
Georg Gerland: »Vorwort des Herausgebers« (Die wissenschaftliche Aufgabe der Geographie, ihre Methode und ihre Stellung im praktischen Leben), in: Beiträge zur Geophysik 1 (1887), S. I-LIV; Karl Sapper: »Georg Gerland«, in: GZ 25 (1919), S. 329-340. Vgl. auch die umfangreiche Diskussion und Bewertung von Gerlands Überlegungen: Wagner, Hermann: »Bericht über die Entwickelung der Methodik und des Studiums der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 12 (1888), S. 409-460, hier S. 418-444.
7
Carl Ritter: Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und zur Geschichte des Menschen oder allgemeine vergleichende Geographie als sichere Grundlage des Studiums und Unterrichts in physikalischen und historischen Wissenschaften, Berlin 1817. Zur Bedeutung der Erdoberfläche in der Geographie um 1820 siehe die berechtigten Anmerkungen von Richard Hartshorne: The Nature of Geography. A Critical Survey of Current Thought in the Light of the Past, Lancaster 1939, S. 40-41.
8
F. v. Richthofen: Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie, S. 4-5.
9
Halford Mackinder: »On the scope and methods of geography«, in: Proceedings of the Royal Geographical Society 9 (1887), S. 141-160.
I MPERIALER A UFBRUCH
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amerikanische Geograph Isaiah Bowman.10 Der Gegensatz von explorativer und akademischer Geographie mag von zeitgenössischen Geographen übertrieben worden sein, doch spiegeln sich darin die Verschiebungen des Institutionengefüges und weitreichende Veränderungen der geographischen Epistemologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
E XPLORATIVE
UND AKADEMISCHE
T RADITIONEN
Obwohl Geographie sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts als eine universitäre Wissenschaft etablierte, konnten Geographen auf eine weitaus ältere Wissenschaftstradition zurückblicken. Seit den neuzeitlichen Universitätsgründungen gehörte Geographie in den universitären Fächerkanon, auch wenn kaum eigene Lehrstühle existierten. Schon im 18. Jahrhundert hatten sich erste kurzlebige Kosmographische Gesellschaften gegründet, Vorläufer der Geographischen Gesellschaften, die ein Jahrhundert später in vielen Ländern das institutionelle Fundament der Geographie bildeten.11 Zur gleichen Zeit fand Geographie im wachsenden deutschen Bildungsbürgertum einen Markt. Geographen arbeiteten als Zeitschriftenredakteure für Das Ausland, den Globus oder Aus allen Welttheilen, die die geographische Neugier großer Leserschichten an außereuropäischen Regionen befriedigten.12 Eine einzigartige Stellung im geographischen Verlagswesen erreichte der Perthes Verlag, der mit der Einstellung von August Petermann eine kluge Personalentscheidung getroffen hatte. Petermann, der als Kartograph die Anerkennung der geographisch10 Neil Smith: Amercian Empire: Roosevelt’s Geographer and the Prelude to Globalization, Berkeley 2003, S. 53-57. 11 Ernst Behm: »Geographische Gesellschaften und Zeitschriften«, in: Geographisches Jahrbuch 7 (1878), S. 636-660; Otto Baschin: »Die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 1828 bis 1928: Vorgeschichte, Begründung und Entwicklung«, in: Die Naturwissenschaft 16/21 (1928), S. 369-374; Max Linke: »Deutsche geographische Gesellschaften von den Anfängen bis in das erste Jahrzehnt der Einrichtung geographischer Lehrstühle an deutschen Universitäten«, in: PGM 130 (1986), S. 247-255. 12 Peter Burke: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2001; Heinz Peter Brogiato: »›Baedeker‹ und ›Stieler‹. Die Rolle des Verlagswesens zwischen Popularisierung und Professionalisierung der Geographie im 19. Jahrhundert«, in: Monika Estermann/Ute Schneider (Hg.): Wissenschaftsverlage zwischen Professionalisierung und Popularisierung, Wiesbaden 2007, S. 77-114; Peter Bernhardt: »›Petermanns Geographische Mitteilungen‹ und die deutschsprachigen geographischen Zeitschriften bis zum Ende des 19. Jahrhunderts«, in: PGM 125 (1981), S. 167-183; Ders.: Die deutschsprachigen geographischen Fachzeitschriften von 1878 bis 1918, Dresden 1972.
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interessierten Kreise gewonnen hatte, machte nach seinem Wechsel nach Gotha die Geographische Anstalt zu einem der bedeutendsten geographischen Zentren weltweit. Bereits 1854 gründete er die Geographischen Mitteilungen und in den folgenden Jahren erweiterte er mit seinen Mitarbeitern das geographische und kartographische Verlagssortiment um zahlreiche Atlanten.13 Petermann und seine Kartographen revolutionierten die deutschsprachige Überseekartographie und gaben zahlreiche Impulse sowie organisatorische Unterstützung für die Durchführung neuer Forschungsreisen in viele Regionen, insbesondere in Afrika.14 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die deutsche Afrikageographie an Dynamik. Heinrich Barth reiste noch im Auftrag des British Empire durch Nord- und Zentralafrika und kehrte fünf Jahren später als einziger Überlebender nach Europa zurück. Seine Expedition wurde zu einem wissenschaftlichen Erfolg und fungierte in den nachfolgenden Jahrzehnten als Gründungsmythos der deutschen Afrikageographie. Barths Expedition wurde zum unmittelbaren Anlass für weitere Forschungsreisen. Mit Petermann als Initiator formierte sich das sogenannte HeuglinKomitee, das Spendengelder einwarb und mehrere Expeditionen nach Äthiopien und die Sudanregion organisierte. Offiziell handelte es sich um Expeditionen, die sich auf die Suche nach dem verschollenen Astronomen Eduard Vogel machen
13 Später wurden sie in Petermanns Geographische Mitteilungen (PGM) umbenannt. Zum Verlagssortiment gehörten weitere Zeitschriften wie das Geographische Jahrbuch, später wurde auch der Globus und Aus allen Welttheilen übernommen sowie zahlreiche Atlanten. Zu August Petermann und der Geographischen Anstalt, siehe: Jan Smits: Petermann’s Maps. Carto-Bibliography of the Maps in Petermanns Geographische Mitteilungen 1855-1945, T’ Goy-Houten 2004; Imre Demhardt: »Vom geographischen Magazin zur populären Fachzeitschrift: Die einflussreichsten Jahre von PGM bis zum Ersten Weltkrieg«, in: PGM 148 (2004), S. 10-19; Heinz Peter Brogiato: »PGM in der Epoche der Weltkriege (1909-1945)«, in: PGM 148 (2004), S. 20-29. Für einen Überblick über den Perthes-Verlag, aber auch die Bedeutung der Verlagsgeographie: H.P. Brogiato: »Wissen ist Macht«, S. 53-101. 14 Vgl. Ewald Weller: Leben und Wirken August Petermanns, Leipzig 1914. Für eine neuere unterhaltsame Biographie von Petermann: Philipp Felsch: Wie August Petermann den Nordpol erfand, München 2010. Zur Organisationsform der Gothaer Kartographie unter Petermann: Bruno Schelhaas/Ute Wardenga: »›Die Hauptresultate der Reisen vor die Augen bringen‹ oder: Wie man Welt mittels Karten sichtbar macht«, in: Christian Berndt/Robert Pütz (Hg.): Kulturelle Grundlagen. Zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn, Bielefeld 2007, S. 143-166.
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sollten, in Wirklichkeit zielten sie jedoch auf die geographische Erkundung der Region.15 In den späten 1850er und den 1860er Jahren brachen viele Forschungsreisende nach Afrika auf, von denen etwa Gerhard Rohlfs, Gustav Nachtigal, Georg Schweinfurth oder Carl Mauch große Berühmtheit erlangten.16 Die Geographische Anstalt in Gotha und die Geographischen Gesellschaften systematisierten die neu erworbenen Kenntnisse und suchten nach neuen Möglichkeiten zur Finanzierung der Expeditionen, die wohlhabenderen Gesellschaften wie Berlin und Hamburg stellten gelegentlich selbst Gelder bereit. In wenigen Jahren hatte sich die Afrikaforschung entscheidend verändert: Nicht nur, dass die Zahl der Afrikaexpeditionen zunahm, es waren nun deutsche Forschungsreisende, die im Auftrag von deutschen Geldgebern und Organisationen reisten. Mit der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde (1853) und Petermanns Geographische Mitteilungen (1854) waren darüber hinaus zwei bedeutende überregionale Zeitschriften entstanden, die einer wachsenden Geographenschaft neue wissenschaftliche Erkenntnisse rasch vermitteln konnten und die geographische Afrikaforschung verstetigten. Dabei erklangen zunehmend nationalistische Töne, die sich bereits in den Verlautbarungen des Heuglin-Komitees niederschlugen und zunehmend an Vehemenz gewannen.17
15 Vogel wurde nach dem Tod von Barths ursprünglichen Begleiter Overweg nach Afrika gesandt und traf mit Barth mehrmals zusammen. Beide unternahmen ihre Erkundungen getrennt voneinander. C. Marx: »Völker ohne Schrift und Geschichte«, S. 1-39; Wolfgang Genschorek: Zwanzigtausend Kilometer durch Sahara und Sudan. Leben und Leistung des Bahnbrechers der Afrikaforschung Heinrich Barth, Leipzig 1982. 16 C. Marx: »Völker ohne Schrift und Geschichte«; Cornelia Essner: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte des Reisens, Stuttgart 1985; Hermann Singer: »Die deutsche Afrikaforschung«, in: Globus 83 (1903), S. 197199; Alexander Supan: »Ein Jahrhundert der Afrikaforschung. Zum hundertjährigen Gedenktag der Gründung der African Association, 9. Juni 1788«, in: PGM 34 (1888), S. 161-188. 17 Vgl. Annelore Rieke-Müller: »›Der Blick über das ganze Erdenrund‹: Deutsche Forschungsreisen und Forschungsreisende im 19. Jahrhundert bis zur Deutschen AfrikaExpedition 1860-1863«, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999), S. 113-123, v.a. S. 120; C. Essner: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert, S. 21-24; Dietmar Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Band 2, Graz 1978, S. 578. Siehe ebenso: Hanno Beck: »Geographie und Reisen im 19. Jahrhundert«, in: PGM 101 (1957), S. 1-14, hier S. 9. Ebenso die Bemerkungen von Iris Schröder: Das Wissen von der ganzen Welt. Globale Geographien und räumliche Ordnungen Afrikas und Europas, 1790-1870, Paderborn 2011, S. 59.
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Die explorative Afrikageographie wurde zu einem Wettbewerb um Entdeckungen stilisiert und identitätsstiftender Ersatz für die fehlende Kolonialpolitik. Einen neuen Schub erhielt die explorative Afrikaforschung durch die Afrikagesellschaften. Während die großen Tage von August Petermann vorübergingen und der von ihm mitgetragene Versuch der Gründung einer gesamtdeutschen Geographischen Gesellschaft fehlschlug, formierte sich 1873 die Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas. Hauptinitiatorin war die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, die aktiv um die Mitarbeit anderer geographischer Gesellschaften und Wirtschaftsverbänden warb.18 Mit Mitteln aus dem Dispositionsfond von Kaiser Wilhelm I. gelang es, fünf Expeditionen nach Angola und das südliche Kongobecken zu organisieren. Nach der Gründung der Internationalen Afrikaassoziation unter der Schirmherrschaft des belgischen Königs Leopold II. und eines deutschen Nationalkomitees auf dem internationalen Geographenkongress in Brüssel fusionierten beide Afrikagesellschaften 1878 zur Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland. Damit rückten wirtschaftliche und politische Ziele stärker als zuvor in den Vordergrund. Die neue Afrikagesellschaft organisierte insgesamt neun Expeditionen nach Afrika, mit »Operationsgebieten« vor allem im Kongobecken und in Ostafrika. Nicht nur die Sprache der Gesellschaft wurde zunehmend militärischer, die Mehrheit der Forschungsreisenden stellten nun ehemalige oder beurlaubte Offiziere, während Geographen hauptsächlich in die Auswertung und Organisation der Expeditionen eingebunden waren. Dennoch gehörten weiterhin Zivilisten zu den Expeditionsteilnehmern, wie beispielsweise Eduard Flegel, der insgesamt dreimal für die Gesellschaft nach Westafrika reiste und mit seinen Erkundungen einer derjenigen war, der einer späteren kolonialen Landnahme von Kamerun den Boden zu bereiten half.19 Doch mit dem Eintritt des Deutschen Reichs in den Kreis der
18 Karl Lenz: »Eigenständig oder zentral gelenkt? Versuche zur Gründung einer nationalen Geographischen Gesellschaft in Deutschland«, in: PGM 148/6 (2004), S. 64-71, hier v.a. S. 66. 19 Dagmar Krone: »Forschungsreisen und Kolonialpolitik am Vorabend der kolonialen Aufteilung Afrikas. Die ›Afrikanische Gesellschaft in Deutschland‹«, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 34 (1986), S. 807-813; Dies.: Geographische Forschung und Kolonialpolitik. Das Beispiel der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland (1878-1889), Magdeburg 1985. Dazu ausführlich: Correspondenzblatt der Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas 1874-1878; Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland 1878-1889. Zu Flegel: Richard Lesser: »Das Arbeitsfeld Flegels«, in: DKZ 2 (1885), S. 393-395. Frido Bader versuchte Flegel als Kaufmann von geographischen Forschungsreisenden zu unterscheiden, dazu: Frido Bader: »Die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und die koloniale Erschließung Afrikas in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
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Kolonialmächte hatte sich die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland überlebt. Die Vermittlung durch eine mehr oder wenige zivile Organisation erschien nun überflüssig. Stattdessen koordinierte das Auswärtige Amt die militärische Eroberung und geographisch-topographische Erforschung der Kolonien. Finanziert wurden diese Expeditionen zum Teil aus dem Afrikafonds, der bisher für die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland bereitgestanden hatte. Doch mit der Zeit flossen die Gelder des Fonds vorwiegend in Verwaltungsangelegenheiten der Kolonien, bis er Jahre später für die Kolonialgeographie wieder eine wichtige Rolle spielen sollte.20 Die Institutionalisierung der Geographie an den deutschen Universitäten begann in der Zeit, als das Deutsche Reich wissenschaftlich und politisch nach Übersee expandierte. Zwischen 1871 und 1910 wurden mehr als zwanzig Lehrstühle für Geographie eingerichtet und eine noch größere Zahl von Extraordinarien.21 Damit lehrten Geographen an fast allen deutschen Universitäten und darüber hinaus an Handelshochschulen. Zuvor hatten nur wenige Lehrstühle für Geographie existiert. Als erster Lehrstuhlinhaber gilt häufig Carl Ritter, obgleich bereits vor ihm Geographie an Universitäten unterrichtet wurde.22 1820 erhielt Ritter ein Extraordinariat an der Berliner Universität, das 1825 in ein volles Ordinariat umgewandelt wurde. Zu seinen Lebzeiten wurden im Gebiet des späteren Kaiserreichs aber nur wenige Geographen auf ein Ordinariat berufen, darunter sein ehemaliger Schüler Eduard Wappäus in Göttingen oder der eher unbedeutende Georg Mendelsohn in Bonn.23 Erst im Deutschen Reich war der Wille vorhanden, den universitären Fächerkanon um die Geographie zu erweitern. Zu den neu berufenen Professoren gehörten Oskar hunderts bis zur Gründung der ersten deutschen Kolonien«, in: Die Erde 109 (1978), S. 36-48, hier S. 43. 20 Die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland löste sich 1889 offiziell auf, nachdem zwischen 1885 und 1889 kaum noch Aktivitäten stattfanden. 21 G. Sandner: »In Search of Identity: German Nationalism and Geography, 1871-1910«, in: Hooson, Geography and National Identity (1994), S. 71-73; Heinz Peter Brogiato: »Geschichte der deutschen Geographie im 19. und 20. Jahrhundert«, in: Schenk/Schliephake, Allgemeine Anthropogeographie (2005), S. 41-81, hier S. 54. Zum Vergleich mit anderen europäischen Staaten: Horacio Capel: »Institutionalization of Geography and Strategies of Change«, in: David R. Stoddart (Hg.), Geography, Ideology & Social Concern, Oxford 1981, S. 37-69. 22 Siehe hierzu auch die Bemerkungen von Hanno Beck: Carl Ritter. Genius der Geographie, Berlin 1979, S. 52. 23 Gerhard Engelmann: Die Hochschulgeographie in Preußen, 1810-1914, Wiesbaden 1983, v.a. S. 32-35, 45, 55-56; Hans Böhm: Beiträge zur Geschichte der Geographie an der Universität Bonn, Bonn 1991, S. 179-182.
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Peschel in Leipzig (1871), Alfred Kirchhoff in Halle (1873), Sophus Ruge in Dresden (1874), Georg Gerland in Straßburg (1875) und Hermann Wagner in Göttingen (1876). Ihre wissenschaftlichen Leistungen basierten auf der Auswertung der vorhandenen Forschungsliteratur und Karten, als Stubengelehrte lebten sie von der Informationsbeschaffung anderer. Vor ihrer Berufung an Universitäten hatten sie mit Ausnahme von Peschel an Gymnasien gelehrt, worin Hans-Dietrich Schultz und Heinz Peter Brogiato einen wichtigen Beleg erkennen, um die Akademisierung der Geographie auf die Ausweitung und Professionalisierung des schulischen Erdkundeunterrichts zurückzuführen.24 Es wäre allerdings verfehlt, für die Etablierung der deutschen Geographie als Universitätsdisziplin allein die Lehrerausbildung verantwortlich zu machen.25 Für einige Berufungen war die durch Forschungsreisen erworbene Regionalexpertise bedeutsamer. Ferdinand von Richthofen erhielt bereits 1875, zwei Jahre vor Veröffentlichung des ersten Bandes seiner China-Studie einen Lehrstuhl an der Universität in Bonn, Johannes Justus Rein 1876 im Jahr seiner Rückreise aus Japan einen Lehrstuhl in Marburg, Wilhelm Sievers, Autor zahlreicher Länderkunden und mehrmals auf Forschungsreisen in Südamerika, 1891 eine außerordentliche Professur in Gießen, ab 1903 ein Ordinariat in Bonn.26 Die wissenschaftliche Reputation von Pechuël-Loesche und Oskar Lenz beruhte ebenfalls auf Expeditionen.27 Bei späteren Berufungen sollte sich Kolonialexpertise als ausschlaggebend erweisen. Bei Carl Uhlig griff das Ministerium in die Berufungsliste der Tübinger Fakultät ein
24 H.P. Brogiato: »Wissen ist Macht«; Hans-Dietrich Schultz: Die Geographie als Bildungsfach im Kaiserreich. Zugleich ein Beitrag zu ihrem Kampf um die preußische höhere Schule von 1870 bis 1914 nebst dessen Vorgeschichte und teilweiser Berücksichtigung anderer deutscher Staaten, Osnabrück 1989; Ders.: Die deutschsprachige Geographie von 1800 bis 1970. Ein Beitrag zur Geschichte ihrer Methodolgie, Berlin 1980. 25 Vgl. etwa die Polemik gegen Zimmerer: Hans-Dietrich Schultz: »Im Norden liegt ..., nach Osten fließt ... Vom Lesenlernen des Kartenbildes«, in: Christoph Dipper/Ute Schneider (Hg.): Kartenwelten: Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit, Darmstadt 2006, hier S, 43. 26 Vgl. G. Engelmann: Die Hochschulgeographie in Preußen, S. 82-84; Sebastian Conrad/Matthias Koch: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.), Johannes Justus Rein. Briefe eines deutschen Geographen aus dem Japan der Meiji-Zeit (1868–1912), München 2006, S. 2391; Wolfgang Panzer: »Gießener Geographen«, in: Ludwigs Universität: Justus LiebigHochschule, Festschrift zur 350-Jahrfeier, Gießen 1957, S. 341-346. 27 Elisabeth Vávra: »Lenz Oskar«, in: Österreichisches Biographisches Lexikon, 18151950, 5. Band, Wien 1972, S. 140; C. Essner: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert, S. 87.
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und setzte den Drittplatzierten an erste Stelle.28 Ferner lehnte eine Reihe von Personen einen Ruf auf einen Lehrstuhl ab, darunter der bekannte Forschungsreisende Georg Schweinfurth, der zugunsten weiterer Forschungsreisen in Ägypten 1876 auf eine Professur verzichtete.29 Kompetenz und Erfahrung in einer außereuropäischen Region waren hilfreich für Geographen auf dem Weg zum eigenen Lehrstuhl. In einer Welt der Imperien wuchs der Bedarf an Überseeexperten, derer sich politische Entscheidungsträger und unternehmerische Kreise durch Berufungen an Universitäten zu versichern wussten. Gleichzeitig wurden einige Forschungsreisende und Geographen für geleistete Dienste durch akademische Posten belohnt. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Bedeutung von außereuropäischer Forschungserfahrung. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs war die Expedition in die Peripherie fast schon eine notwendige Schlüsselqualifikation. Und gerade die Kolonien boten so manche Gelegenheit. Imperiale und koloniale Interessen spielten also sehr wohl eine wichtige Rolle, wie schon die Kolonialgeographen immer wieder feststellten. Manchmal neigten sie zwar zu Übertreibungen und Wichtigtuerei, aber selbst Geographen, die sich mit ganz anderen Themen und Räumen beschäftigten, teilten diese Einschätzung.30 So schrieb Alfred Philippson in seinen im Konzentrationslager Theresienstadt verfassten Memoiren:31 »In Deutschland hatte der wachsende Anteil der Nation [sic, Anteil?, C.G.] an der Weltwirtschaft, dann der Erwerb der Kolonien, der in jener Zeit begann, eine Anerkennung auch der praktischen Bedeutung der Geographie zur Folge. Daher wurden seit Ende der siebziger Jahre ordentliche Professuren der Geographie an allen preussichen Universitäten errichtet, in Süddeutschland erst später (in den 90er Jahren) außerordentliche, die noch später in ordentliche umgewandelt wurden.«
28 Karl-Heinz Schröder: Geographie an der Universität Tübingen, 1512-1977, Tübingen 1977, S. 46. 29 C. Essner: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert, S. 85. 30 Franz Thorbecke: »Die Geographie als Wegbereiterin der Kolonisation: Rückblick und Ausblick«, in: Dietzel/Schmieder/Schmitthenner, Lebensraumfragen europäischer Völker, Band 2 (1941), S. 28-47. 31 Alfred Philippson: Wie ich zum Geographen wurde. Aufgezeichnet im Konzentrationslager Theresienstadt zwischen 1942 und 1945 (hrsg. von Hans Böhm/Astrid Mehmel), Bonn 1996, S. 223.
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Geographie war um die Jahrhundertwende eine anerkannte Wissenschaft, obgleich ihre Vertreter hin und wieder herber Kritik aus den Fakultäten ausgesetzt waren.32 Die Geographie hatte in weniger als dreißig Jahren eine rasante Institutionalisierung erfahren, ohne dass der noch jungen Universitätsdisziplin ihre breite Basis von geographieinteressierten Amateuren verloren gegangen wäre. Im Gegenteil: Viele Nicht-Akademiker blieben in Geographischen und Handelsgeographischen Gesellschaften organisiert. Die Tagespresse und Kulturbeilagen hielten Leser in Atem mit Berichten über koloniale Räume und kolonisierte Völker, mit Abenteuergeschichten und Nachrichten von Forschungsreisenden, so dass es mehr als abwegig erscheint, den Geographischen Gesellschaften ein koloniales Desinteresse zu bescheinigen. Trotz Forschungslücken deutet vieles darauf hin, dass sich im Deutschen Kaiserreich zwischen Kolonialvereinen, Geographischen Gesellschaften und Universitätsgeographen eine gemeinsame Gemengelage herausbildete – eine »culture of empire and exploration«, wie Felix Driver dieses Milieu für England prägnant bezeichnete.33 Alexander Supan, Chefredakteur der Geographischen Anstalt in Gotha, hatte daher nicht unrecht, als er feststellte, dass die Entdeckungsreisen und »die intensive Pflege der allgemeinen Geographie« die »Signatur seines Zeitalters« seien.34 Allerdings ging zu diesem Zeitpunkt die explorative Geographie ihrem Ende entgegen. Die Jahrzehnte der Kolonialgeographie hatten hingegen erst begonnen.
32 Vgl. H.-D. Schultz: Die deutschsprachige Geographie von 1800 bis 1970, v.a. S. 66f.; A. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 213. 33 F. Driver: Geography Militant. Zu Kooperationen zwischen Kolonialverein und geographischen Gesellschaften: Deutscher Kolonialverein: »Die zweite ordentliche Generalversammlung und die mit ihr verbundenen Vorstandssitzungen zu Berlin am 21. und 22. 12.1885«, in: DKZ 2 (1885), S. 181-207, hier S. 186. Zu anwachsenden Mitgliedszahlen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin in den 1880er Jahren: Gustav Hellmann: »Aus der Geschichte der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin: Im zweiten halben Jahrhundert ihres Bestehens (1879-1928)«, in: Albrecht Haushofer (Hg.): Sonderband zur Hundertjahrfeier d. Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin, Berlin 1928, S. 1-14, v.a. S. 10-13. Zur Gründung von kolonialen Lobbyvereinen und Zweigvereinen des Zentralvereins für Handelsgeographie: Hans-Ulrich Wehler: Bismarck und der Imperialismus, 4. Aufl., München 1976, S. 158-168. 34 Alexander Supan: »Über die Aufgaben der Spezialgeographie und ihre gegenwärtige Stellung in der geographischen Litteratur«, in: PGM 34 (1888), S. 161-188, S. 77.
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E PISTEMOLOGISCHE T RANSFORMATIONEN Die Akademisierung der Geographie führte zu institutionellen Veränderungen und epistemologischen Erneuerungen. Professoren und Privatdozenten debattierten unter reger Beteiligung von Schulgeographen über Konzeptionen und Ziele der Geographie, doch nur wenige Beiträge bewirkten tatsächliche Veränderungen.35 Es waren drei prinzipielle Strömungen, welche die Geographie um die Jahrhundertwende dominierten: die prestigeträchtige Geomorphologie, die Anthropogeographie und die methodologisch stiefmütterlich behandelte, aber für die Disziplin dennoch bedeutsame Länderkunde. Letztere war eine Querschnittwissenschaft, die Aspekte aus der allgemeinen physischen Geographie und der Anthropogeographie, einschließlich der Völkerkunde und politischen Geographie, in sich aufnahm. Allen drei Strömungen war gemein, dass sie sich an den Naturwissenschaften orientierten und ein positivistisches Wissenschaftsverständnis pflegten. Anhand der Protagonisten der neueren Geographie im Kaiserreich können zentrale Neuerungen knapp umrissen werden. Bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hatte die historische Geographie Carl Ritters die Universitäten dominiert, welche die bloße Kompilation von Fakten überwunden hatte und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur in den Mittelpunkt rückte.36 An der Prädestinationslehre und seinem Theologismus entzündete sich alsbald Kritik, die vor allem nach Ritters Tod Wirkung zeigte. Oskar Peschel publizierte einige ältere 35 Für einen Überblick über die methodologische Debatte, siehe: H.-D. Schultz: Die deutschsprachige Geographie von 1800 bis 1970, v.a. S. 31-122. Für zeitgenössische Übersichten: Hermann Wagner: »Der gegenwärtige Standpunkt der Methodik der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 7I (1878), S. 550-636; Ders.: »Bericht über die Entwicklung der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 8 (1880), S. 523-598; Ders.: »Bericht über die Entwickelung der Methodik und des Studiums der Erdkunde (18831885)«, in: Geographisches Jahrbuch 10 (1884), S. 539-646; Ders.: »Bericht über die Entwickelung der Methodik und des Studiums der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 12 (1888), S. 409-460. 36 Ritter vollendete 21 Bücher in 19 Bänden. Zur Methodologie siehe insbesondere die Einleitung in das erste Buch: Carl Ritter: Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und zur Geschichte des Menschen oder allgemeine vergleichende Geographie als sichere Grundlage des Studiums und Unterrichts in physikalischen und historischen Wissenschaften, Berlin 1817, S. 1-56; Hanno Beck: Carl Ritter; David N. Livingstone: The Geographical Tradition, v.a. S. 102-142. Zur Historiographie und den Korrespondenzen zwischen Menschheitsgeschichte und Natur: Jürgen Osterhammel: »Geschichte, Geographie, Geohistorie«, in: Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin, Geschichtsdiskurs. Die Epoche der Historisierung, Band 3, Frankfurt a.M. 1997, S. 257-271, v.a. S. 261-264.
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Aufsätze als Sammelband unter dem Titel Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde, damals eines der meist gelesenen Geographiebücher.37 Weder Gott noch der Mensch spielten darin eine Rolle. Dem studierten Juristen und jahrzehntelangen Redakteur der renommierten Kulturzeitschrift Das Ausland ging es um die Bestimmung von Phänomenen der Erdoberfläche anhand von naturwissenschaftlichen Methoden. Das Buch bestach weniger durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse – manche seiner Kollegen erachteten es bei Erscheinen bereits als überholt – als vielmehr durch einen ansprechenden Schreibstil, der Sachverhalte anschaulich und knapp erklärte, anstatt die Leser mit Fakten zu überhäufen. Diese »neue« Geographie grenzte sich von der historischen Geographie ab, war naturwissenschaftlich, teilweise naturgeschichtlich orientiert und interessierte sich für Gesetzmäßigkeiten. Unter den Geographen galt die Geomorphologie bald als die prestigeträchtigste Fachrichtung, allerdings mit veränderten und verfeinerten Methoden.38 Diese Art Geographie zu betreiben, blieb nicht auf natürliche Phänomene beschränkt. Oskar Peschel kam durch seinen frühen Tod selbst nicht mehr dazu, seine Überlegungen auf die Geographie des Menschen zu übertragen. Die posthum veröffentlichten Schriften waren diesbezüglich enttäuschend.39 Die Rekonzeptionalisierung der Geographie des Menschen blieb einem Zoologen vorbehalten. Auf mehreren Reisen im südlichen Europa und in Nordamerika entdeckte Friedrich Ratzel seine Vorliebe für die Geographie. Von den evolutionstheoretischen Lehren Ernst Haeckels und Moritz Wagners beeinflusst, entstand an seiner neuen Wirkstätte in München der erste Band der Anthropogeographie.40 Ohne Zweifel waren die beiden 37 Oskar Peschel: Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde als Versuch einer Morphologie der Erdoberfläche, Leipzig 1870. Siehe ebenso: Hermann Wagner: »Bericht über die Entwicklung der Methodik der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 8 (1880), S. 527. 38 Für einen interessanten Überblick: Albrecht Penck: »Neuere Geographie«, in: Haushofer, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1828-1928 (1929), S. 31-56. 39 Oscar Peschel: Abhandlungen zur Erd- und Völkerkunde ( hrsg. v. J. Löwenberg), Leipzig 1877; Ders.: Europäische Staatenkunde mit einem Anhang. Die Vereinigten Staaten von Amerika (hrsg. von Otto Krümmel), Leipzig 1880. 40 Ratzel promovierte bei Ernst Häckel in Jena in Zoologie. Stark beeinflusst wurde er später von Moritz Wagner, dem »Entdecker« des Migrationsgesetzes. Als außerordentlicher Professor für Geographie in München betreute Wagner bereits Ratzels Habilitationsschrift und gab ihm wichtige Impulse beim Verfassen des ersten Bands der Anthropogeographie. Zur Biographie und Geographie von Ratzel, siehe u.a. Günther Buttmann: Friedrich Ratzel. Leben und Werk eines deutschen Geographen 1844-1904, Stuttgart 1977; Johannes Steinmetzler: Die Anthropogeographie Friedrich Ratzels und ihre ideengeschichtlichen Wurzeln, Bonn 1956; Mark Bassin: »Friedrich Ratzel 1844-1904«, Tho-
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Bände der allgemeinen Geographie des Menschen von 1882 und 1891 ein großer Wurf. Analog zur Geomorphologie identifizierte Ratzel geographische Gesetzmäßigkeiten, die er für die Organisationsweise des Menschen und seine sozialen und politischen Aggregate verantwortlich machte. Seine Ausführungen zur Staatengeographie entwickelte er in den folgenden Jahren weiter zu einer eigenständigen Politischen Geographie, in der er die Handlungsoptionen von Staaten aus angeblichen Gesetzmäßigkeiten von Boden, Raum und Lage ableitete.41 Bereits 1885 publizierte er den ersten Band einer dreibändigen Völkerkunde, die sich mit jenen Völkern befasste, die seiner Meinung nach »mehr unter dem Zwange der Natur oder in der Abhängigkeit von der Natur stehen als die Kulturvölker«.42 Einerseits sorgte der im folgenden Jahr nach Leipzig berufene Geograph für eine stärkere Berücksichtigung »geographischer Gegebenheiten« in der Völkerkunde, andererseits beförderte er evolutionäre und umweltdeterministische Perspektiven. Völkerkunde wie politische Geographie gehörten für Ratzel als Teil- oder Hilfsdisziplinen zur Anthropogeographie, schließlich ging er davon aus, dass alle Lebensformen vom Einzeller über den Menschen bis zu Staaten denselben natürlichen Gesetzen unterworfen seien. Methodologische Debatten und innovative Neuerungen erfolgten auf den Gebieten der Geomorphologie und Anthropogeographie, die Länderkunde veränderte sich hingegen kaum. Geographen betrachteten sie als lukratives Geschäft, da Verlage aufgrund einer hohen Nachfrage mit üppigen Autorenhonoraren lockten.43 Epistemologisch stand die Länderkunde gegenüber den anderen Fachrichtungen im Abseits. Der Leser wurde mit einer nach demselben Schema geordneten Faktenfülle gelangweilt, so dass Alfred Hettner schon früh beklagte, dass die Länderkunden mas. W. Freeman (Hg.): Geographers. Biobibliographical Studies, Band 11, London 1987, 123-130. 41 Friedrich Ratzel: Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehrs und des Krieges, München 1897. Die Politische Geographie war zwar eine Weiterentwicklung aus der Anthropogeographie, doch bereits Ratzels Habilitationsschrift war eine politisch-geographische Abhandlung. Siehe dazu: Friedrich Ratzel: Die chinesische Auswanderung. Ein Beitrag zur Cultur- und Handelsgeographie, Breslau 1876. 42 Friedrich Ratzel: Völkerkunde, 3 Bände, Leipzig 1885-1888, Zitat, S. 5 (in der zweiten Auflage auf S. 13). Ab der zweiten Auflage erschien die Völkerkunde mit geringfügigen Abweichungen als zweibändiges Werk. 43 Ute Wardenga: »Die Erde im Buch. Geographische Länderkunde um 1900«, in: Iris Schröder/Sabine Höhler (Hg.): Welt-Räume. Geographie, Geschichte und Globalisierung seit 1900, Frankfurt a.M. 2005, S. 120-143, hier S. 129; Dies.: »Von der Landeskunde zur ›Landeskunde‹«, in: Günter Heinritz/Gerhard Sandner/Reinhard Wießner (Hg.): Der Weg der deutschen Geographie. Rückblick und Ausblick, Stuttgart, S. 132-141, hier S. 135.
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kaum einen Vorteil gegenüber einzelnen Handbüchern zur Geologie, Klimatologie und Vegetation böten. Stattdessen forderte er konsequente Regionalisierungen und betonte, dass zwischen Orten und Phänomenen innerhalb einer Ordnungsklasse ebenfalls kausale Wechselwirkungen stattfänden, die er dann zu einem komplexen fünfgliedrigen Schema ausarbeitete.44 Geographen verstanden sich lediglich als Beobachter und Chronisten, die glaubten, Räume objektiv und wertneutral beschreiben und entschlüsseln zu können. Sie verstanden dabei nicht, dass sie selbst spezifische Versionen einer Wirklichkeit generierten. Soziale Phänomene galten ihnen als naturwüchsig, so dass sie mit einer gehörigen Portion Sozialdarwinismus Kolonisationsprozesse und sogar die Ausrottung von Bevölkerungsgruppen zum unabänderlichen Lauf der Geschichte erklären konnten, ohne moralische Bedenken zu äußern oder Partei für die Opfer zu ergreifen.45 Diese Haltung mag für die deutsche Kolonialgeographie nicht überraschen, doch es handelte sich um eine generelle Tendenz in der Wahrnehmung der europäischen Kolonisation, die selbst auf Räume bezogen war, die von eigenen nationalen Interessen unberührt blieben. In der geographischen Wissenskultur vollzog sich am Ende des 19. Jahrhunderts ein weiterer grundlegender Wandel. Die Arbeitsteilung zwischen Forschungsreisenden und Lehnstuhlgeographen löste sich auf. Natürlich gab es bereits in frühren Zeiten Gelehrte, die Forschungsreisen unternahmen, aber nun wurde es zur Regel, dass Universitätsgeographen sich geographische Informationen vor Ort selbst beschafften.46 Der Forschungsraum der Geographen erweiterte sich von der Schreibstube und Bibliothek um die ganze Welt. Einige beforschten die nähere Heimat, 44 Alfred Hettner: »Über den Begriff der Erdteile und seiner geographischen Bedeutung«, in: Georg Kollm (Hg.), Verhandlungen des 10. Geographentages zu Stuttgart am 5., 6. und 7. April 1893, Berlin 1893, S. 188-198, hier v.a. 197f. »Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie«, in: GZ 9 (1903), S. 21-40; 121-139, 193-213, hier v.a. S. 139. Vgl. ebenso: U. Wardenga: Geographie als Chorologie, v.a. S. 87-89. Eine überarbeitete Auswahl seiner methodologischen Aufsätze fasste er in 1927 als Monografie zusammen, als völkisch orientierte Geographen seine Länderkundekonzeption zunehmend kritisierten: Alfred Hettner: Die Geographie. Ihre Geschichte, ihr Wesen und ihre Methoden, Breslau 1927.
45 Vgl. diverse Textstellen in: Friedrich Ratzel: Anthropogeographie, Erster Teil. Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte, Stuttgart 1882 [3. Aufl. 1909]; Zweiter Teil. Die geographische Verbreitung des Menschen, Stuttgart 1891 [2. Aufl. 1912]. 46 Vgl. zum Typus des Stubengelehrten als Regelfall etwa auch Wagners Bemerkungen: Hermann Wagner: »Der gegenwärtige Standpunkt der Methodik der Erdkunde«, in: Geographisches Jahrbuch 7 (1878), S. 550-636, hier S. 555f.
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andere europäische Länder und nicht wenige brachen nach Übersee auf. Hatte Oscar Peschel für seine Neuen Probleme der vergleichenden Erdkunde noch ausschließlich auf das Studium von Karten und Literatur gesetzt, erkannte die nächste Geographengeneration darin eine entscheidende Schwäche. Für von Richthofen waren Forschungsaufenthalte in China notwendig, um überhaupt zu neuen Erkenntnissen über das in der geographischen Literatur viel besprochene Land zu gelangen. Als promovierter Geologe betrachtete er Geländestudien als selbstverständliche Forschungspraxis genauso wie sein Wiener Kollege Albrecht Penck.47 Viele ihrer Schüler verfügten später ebenfalls über ein breites naturwissenschaftliches Fundament und stellten ihrerseits ausgeprägte Geländeforschungen an.48 Aber es waren nicht nur die Feldforschungspraktiken aus Geologie und Naturforschung, welche die Geographie beeinflussten. Einige Gelehrte aus anderen Disziplinen schrieben Forschungsaufenthalten vor Ort ebenfalls großen Erkenntniswert zu, so etwa der bekannte Völkerkundler und Präsident der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin Adolf Bastian oder einige Jahrzehnte später der einflussreiche Direktor der Afrikaund Ozeanien-Abteilung des Berliner Völkerkundemuseums Felix von Luschan. In den Naturwissenschaften konnte eine längere Reise nach Übersee die akademische Karriere befördern, aber in der Geographie sollte Überseeerfahrung fast schon zu einem notwendigen Qualifikationsnachweis werden.49 Diese Entwicklungen bedeuteten nicht, dass Amateure für die Geographie keine Rolle mehr spielten. Gerade in den Kolonien waren viele Missionare, Kolonialbeamte und Militärs an der landes47 Zur Notwendigkeit eigener Erkundungen für Richthofens Chinaforschungen, siehe: Jürgen Osterhammel: »Forschungsreise und Kolonialprogramm: Ferdinand von Richtofen und die Erschließung Chinas im 19. Jahrhundert«, in: Archiv für Kulturgeschichte 69 (1987), S. 150-195, hier v.a., S. 167; Albrecht Penck: Beobachtung als Grundlage der Geographie. Abschiedsworte an meine Wiener Schüler und Antrittsvorlesung an der Universität Berlin, Berlin 1906. 48 Unter den späteren Koryphäen der Geomorphologie genossen insbesondere Siegfried Passarge und Alfred Philippson eine fundierte geologische bzw. paläontologische Ausbildung. Allerdings versäumten von Richthofen und wohl auch Rein mit ihren Studenten später in Deutschland auf Geländeexkursionen zu gehen. Dazu: Alfred Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 221; G. Engelmann: Die Hochschulgeographie in Preußen, S. 83. 49 Vgl. Christine Stelzig: Afrika im Museum für Völkerkunde zu Berlin. 1873-1919. Aneignung, Darstellung und Konstruktion eines Kontinents, Herbolzheim 2004, v.a. S. 90, 118; H.G. Penny: Objects of Culture, S. 88-90; C. Essner: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert, v.a. S. 93-100. Allerdings stimme ich nicht mit Essner überein, dass es in der Kolonialzeit zu einem Bedeutungsverlust von Reisen und Expeditionen gekommen sei.
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kundlichen Erforschung beteiligt und immer wieder griffen die Universitätsgeographen auf diese Berichte zurück. Gelegentlich stellten sie sogar Überlegungen an, wie die akademische Geographie diese Wissensbestände besser methodisch erschließen könnte.50 Es waren nicht nur Veränderungen in der geographischen Wissenskultur, die epistemische Veränderungen hervorriefen. Hinzu kamen ökonomische und technologische Transformationen: Eisenbahnlinien entstanden in Europa und in überseeischen Regionen, Dampferlinien wurden eingerichtet, die es nach den kolonialen Landnahmen bald möglich machten, auf deutschen Dampfschiffen in deutsche Kolonien zu reisen, während regelmäßiger Postverkehr und Telegrafenlinien die Kommunikation erleichterten und so Raum und Zeit komprimierten.51 Der rapide Ausbau globaler Verkehrsinfrastrukturen begünstigte die Mobilität von Wissenschaftlern und ließ die Anzahl der überseeischen Reisenden in der deutschen Bevölkerung steigen. Viele Offiziere, Beamte und Kaufleute blieben nur für einige Jahre in den Kolonien und kehrten nach Ende ihres Kolonialdienstes mit reichem Erfahrungsschatz wieder in die wilhelminische Gesellschaft zurück, so dass der Typus des überseeischen Migranten auf Zeit entstand. Zugleich war eine wachsende Anzahl von Lesern aus der Lektüre von Tageszeitungen, Kulturbeilagen und Zeitschriften bestens über die Kolonien unterrichtet. Für Geographen war es unter solchen Bedingungen schwierig geworden über Länder zu berichten, in die sie selbst niemals einen Fuß gesetzt hatten. Vor den kolonialen Besitzergreifungen war dies noch möglich, doch mit dem veränderten Mobilitätsregime hätte eine Geographie der Stubengelehrten ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Gerade in den Kolonien gab es für die Geographen eine ernstzunehmende 50 Für eine konzeptionelle Erörterung der Einbindungsmöglichkeiten von Missionaren in die akademische Forschung, siehe: Georg Gerland: »Mission im Leben der Gegenwart«, in: DKZ 2 (1885), S. 714-16; Eduard Pechuël-Loesche: »Ethnologische Forschung«, in: Friedrich Ratzel (Hg.), Verhandlungen des 4. Deutschen Geographentags zu München am 17., 18. und 19. April 1884, Berlin 1884, S. 156-160. 51 Kamerun konnte bereits ab 1884 mit einem Dampfer der Woermannlinie bereist werden, nach Deutsch-Ostafrika konnte man mit den Schiffen der Deutsch-Ostafrika-Linie, einem Konsortium deutscher Großunternehmen ab 1890 reisen, nach Deutsch-Neuguinea verkehrten Schiffe des Norddeutschen Llyods. Zur weltweiten Vernetzung, siehe: Jürgen Osterhammel/Niels Peterson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003. Zu den technologischen Innovationen und Voraussetzungen für die imperiale Expansion: Daniel R. Headrick: The Tools of Empire. Technology and European Imperialism in the Nineteenth Century, New York 1981. Zum Konzept der Kompression von Raum und Zeit: David Harvey: The Condition of Postmodernity, Oxford 1989.
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Konkurrenz durch die vielen wissenschaftlichen Amateure, so dass Expeditionen für Geographen dort besonders wichtig wurden. Manche Geographen begnügten sich mit einem kurzen Aufenthalt in der Kolonie. Auf diese Weise lernten sie die regionale Geographie kennen und verliehen ihren Schriften den Status von Feldforschungen. Andere gingen für mehrere Monate, für ein Jahr oder länger auf Expedition, legten Tausende von Kilometer an Wegstrecke zurück und führten akribische Forschungen durch. Selbst Alexander Supan, Leiter der Geographischen Anstalt, Hort der deutschen Lehnstuhlgeographie, kam nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass ohne eigene Beobachtung Geographie in Zukunft unmöglich würde.52 Wissen aus zweiter Hand war um die Jahrhundertwende nicht mehr ausreichend, schon gar nicht, wenn es um die Kolonien ging.
K OLONIALGEOGRAPHIE
UND
G ELEHRTENPOLITIK
Schon vor der deutschen Kolonialexpansion kolportierten Reiseberichte und geographische Aufsätze koloniale Phantasien und Sehnsüchte. Viele der neu berufenen Geographieprofessoren beteiligten sich rege an kolonialen Diskussionen, lag es für sie doch gewissermaßen auf der Hand, dass sie sich als Fachmänner für außereuropäische Regionen mit den Kolonien beschäftigten. Beinahe ausnahmslos befürworteten sie deutsche Landnahmen und befeuerten diese als Autoren von Propagandaschriften. Franz-Josef Schulte-Althoff zufolge gehörten fast alle Geographieprofessoren der Deutschen Kolonialgesellschaft an.53 Friedrich Ratzel, Alfred Kirchhoff, Hermann Wagner, und Georg Gerland waren jedenfalls bereits im Vorstand des Deutschen Kolonialvereins gewesen, aus dem durch Fusion mit der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation später die mitgliederstarke Deutsche Kolonialgesellschaft hervorging. Mancher der Kolonialgeographen engagierte sich über Jahrzehnte im Vorstand von einer der zahlreichen Regionalabteilungen. Ratzel und Theobald Fischer, der häufig durch Wortmeldungen und Anträge auf den Jahresversammlungen des Kolonialvereins aufgefallen war, engagierten sich zudem im Alldeutschen Verband.54
52 A. Supan: »Über die Aufgaben der Spezialgeographie«, S. 155. 53 Vgl. F.-J. Schulte-Althof: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der deutschen Geographie im Zeitalter des Imperialismus, S. 193. Schulte-Althof verweist auch auf den von Otto Kersten herausgegebenen Reisebericht der Expedition von Carl Claus von der Decken als ein frühes Beispiel für koloniale Diskurse in Reiseberichten vor den kolonialen Landnahmen. Siehe dazu: S. 95-97. 54 Fischer war einer der ersten Geographen, der sich für den deutschen Kolonialverein auf kolonialagitatorische Vortragsreisen begab. Siehe dazu: DKZ 1 (1884), S. 170, 373.
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Ferdinand von Richthofen warb schon früh für eine aktive Kolonialpolitik. Im Dezember 1868 wandte er sich mit einer Denkschrift an den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck und empfahl ihm den Erwerb der chinesische Insel Zhoushan und der philippinischen Insel Luzon. Die chinesische Insel an der Jangstekiangmündung pries er als idealen Marine- und Handelsstützpunkt für den Norddeutschen Bund, Luzon als eine Art zweites Java, das sich vorzüglich als Pflanzungskolonie eignen würde.55 Obwohl sich schon damals eine Flut von Denkschriften an die preußische Regierung richtete, blieb das Schreiben nicht unbeachtet und veranlasste das Kriegsministerium eines ihrer Schiffe nach Zhoushan abzukommandieren.56 Als das Deutsche Reich 1898 die Pacht von Jiaozhou auf der Shandong-Halbinsel von China erzwang, versuchte von Richthofen mit einem Buch kolonialpolitisch Einfluss zu nehmen. Der Berliner Geographieprofessor mobilisierte seine fast dreißig Jahre zurückliegenden Aufzeichnungen, um seinen Lesern die natürliche Beschaffenheit, Bewohner und Wirtschaftsstrukturen der neuen deutschen Exklave samt »Hinterland« zu erklären.57 Friedrich Ratzel gehörte zu jenen Flottenprofessoren – einem losen Zusammenschluss bekannter Gelehrter –, die vehement für die maritime Aufrüstung des Deutschen Reiches eintraten. Mit einer Streitschrift polemisierte er bereits 1884 gegen Kritiker des deutschen Kolonialismus und Anfang des folgenden Jahres stilisierte er in der Deutschen Kolonialzeitung die Landnahmen in Westafrika zu einem »heilsamen Wendepunkt der deutschen Geschichte«, der Beginn »einer weltumfassen-
Ebenso die Anmerkungen, in: Erich Prager: Die Deutsche Kolonialgesellschaft, 18821907, Berlin 1908, S. 35. Über Mitgliedschaften von Geographieprofessoren in Kolonialverbänden: F.-J. Schulte-Althoff: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der Geographie, S. 192-195; diverse Jahrgänge der Deutschen Kolonialzeitung. 55 Denkschrift von Ferdinand von Richthofen an den Kanzler des Norddeutschen Bundes Otto von Bismarck vom 02.01.1869, in: Horst Gründer: »....da und dort ein junges Deutschland gründen«. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999, S. 59-62. 56 Vgl. zur Diskussion der weiteren diplomatischen Vorgänge: Helmuth Stoecker: Deutschland und China im 19. Jahrhundert, Berlin 1958, S. 72-73, dazu auch Bismarcks Erlass über die Erwerbung eines Marinestützpunktes im Anhang: Berlin 02.04.1870, praes 1. Juni, S. 272-274. Zum weiteren kolonialpolitischen Engagement von Richthofens, siehe auch: Alfred Hettner: »Ferdinand von Richthofens Bedeutung für die Geographie«, in: GZ (12) 1906, S. 1-11, v.a. S. 11. 57 Ferdinand von Richthofen: Schantung und seine Eingangspforte Kiautschou, Berlin 1898. Siehe ebenfalls die beigefügten geologischen und topographischen Karten.
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den überseeischen Politik«.58 Alfred Kirchhoff, ein renommierter Geographieprofessor aus Halle, warb schon 1880 für ein Eingreifen des deutschen Staates in der Südsee, nachdem die Hamburger Handelsgesellschaft Godeffroy & Sohn sich um staatliche Unterstützung bemüht hatte.59 Während der gesamten deutschen Kolonialzeit setzten Geographen die koloniale Propaganda fort, etwa bei Wahlen, wie Alfred Hettner, der nach Auflösung des Reichstags im Zuge der sogenannten Hottentottenwahlen in Nation und Welt, der Beilage der Nationalzeitung, die Leser über den wirtschaftlichen Wert der Kolonien belehrte und den Deutschen eine moralische Verpflichtung zur Kolonisation bescheinigte.60 Es lassen sich noch viele weitere Beispiele anführen, doch verdient das kolonialpolitische Engagement für erfolglose Initiativen ebenso Aufmerksamkeit. Ende der 1880er Jahre rückte Marokko in den Blick: Oskar Lenz pries in seinem Reisebericht zur Timbuktu-Expedition die ökonomischen Möglichkeiten für den deutschen Handel, warnte aber vor allzu großen kolonialen Hoffnungen. Anders sah dies Justus Rein, der auf dem siebten Geographentag in Karlsruhe ein stärkeres politisches Engagement der Geographen hinsichtlich einer Kolonisierung Nordafrikas einforderte. Emil Deckert und Rudolf Credner verabschiedeten mit Otto Kersten, einem angesehenen Afrikareisenden und Vorstandsmitglied des Zentralvereins für Handelsgeographie, einen Aufruf zur Gründung von deutschen Siedlungskolonien. In der Folge stimmten viele Geographen in die koloniale Marokkopropaganda ein, darunter Hans Meyer, Hermann Wagner und Alexander Supan. Doch vor allem der Marburger Geographieprofessor Theobald Fischer bemühte sich um die deutsche Kolonisation von Marokko. Zwischen 1888 und 1901 reiste er dreimal nach Marokko und veröffentlichte zahlreiche Monografien und Aufsätze von seinen Reisen. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit gelang es ihm, den Alldeutschen Verband von seinen politischen Zielen zu überzeugen und mit dessen Hilfe die Reichsregierung und Öffentlichkeit mit einem regelrechten »Marokko-
58 Friedrich Ratzel: Wider die Reichsnörgler. Ein Wort zur Kolonialfrage aus Wählerkreisen, München 1884; Ders.: »In welcher Richtung beeinflussen die afrikanischen Ereignisse die Thätigkeit des Kolonialvereins«, in: DKZ 2 (1885), S. 38-44, hier S. 39. 59 Alfred Kirchhoff: Die Südseeinseln und der deutsche Südseehandel, Heidelberg 1880. Zu einem kolonialenthusiastischen Vortrag Kirchhoffs auf der Tagung der Jahresversammlung deutscher Ärzte und Naturforscher; siehe: Wolfgang Eckart: »Kolonialpolitik und Tropenmedizin in Deutschland 1884-1914«, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 13 (1990), S. 129-139, hier. S. 130-131. 60 Alfred Hettner: »Der Wert unserer Kolonien«, in: Nation und Welt, Beilage der Nationalzeitung, 06.02.1907. Der Aufsatz wurde allerdings erst nach der Wahl abgedruckt.
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Sturm« zu überziehen, was dem Geographen schließlich den Spitznamen »Marokko-Fischer« einbrachte.61 In diesen Tagen ungezügelter Kolonialeuphorie fanden einige Geographen auch kritische Worte. Eduard Pechuël-Loesche und Alfred Kirchhoff zeigten sich skeptisch gegenüber den kolonialen Fortschrittserwartungen in der Kolonialbewegung. Pechuël-Loesche warnte speziell vor der Diskrepanz zwischen den internationalen Verlautbarungen des »belgischen Kongo-Unternehmens« und seinem tatsächlichen Vorgehen im Kongo. Schwere Vorwürfe erhob er gegen Henry Morton Stanley, Ehrenmitglied des Deutschen Kolonialvereins, insbesondere aufgrund der an der kongolesischen Bevölkerung verübten Misshandlungen und dessen in PechuëlLoesches Augen unseriösen Einschätzungen des ökonomischen Potenzials dieser Region. Aber er warnte auch generell davor, das tropische Afrika zum Schlaraffenland zu stilisieren, und betonte die Langfristigkeit der Kolonisation, wobei ihm daran gelegen war, dass Afrikaner ebenfalls von der Kolonisation profitierten und Philanthropie nicht nur legitimierende Propaganda blieb.62 Kirchhoff ging mit dem niederländischen Kolonialismus auf den Molukken hart ins Gericht und beklagte gewaltsame Übergriffe auf die einheimische Bevölkerung.63 Die Kolonialbewegung war außer sich, wohl auch deshalb, weil die beiden ihre Kritik ausgerechnet auf Vortragsreisen des Deutschen Kolonialvereins äußerten. Während Alfred Kirchhoff als etablierter Geographieprofessor, der für wechselnde Ansichten bekannt war, die 61 Zum kolonialen Engagement der Geographen in Marokko: F.-J. Schulte-Althoff: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der Geographie, S. 173-184. Zur Biographie Theobald Fischers: Karl Oestreich: »Theobald Fischer: Eine Würdigung seines Wirkens als Forscher und Lehrer«, in: GZ 18 (1912), S. 241-254; Hermann Wagner: »Theobald Fischer«, in: PGM 56 (1910), S. 188-189. Zur zweiten Marokkokrise aus dem Blickwinkel der internationalen Politik: Friedrich Kießling: Gegen den »großen Krieg«? Entspannung in den internationalen Beziehungen, 1911-1914, München 2002. Für einen Überblick über die deutsche Marokkopolitik: Dirk van Laak: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 80-81. 62 Siehe die Zusammenfassung des Aufsatzes von Eduard Pechuël-Loesche »Das Zentralafrikanische Problem« aus der Österreichischen Monatsschrift für den Orient 2 (1884) von der Redaktion der Deutschen Kolonialzeitung unter dem Titel »Die wirtschaftliche Bedeutung Zentralafrikas und der Kampf um den Kongo« veröffentlicht, in: DKZ 1 (1884), S. 161-164. Zur Kritik an Stanley: Eduard Pechuël-Loesche: »Das Kongogebiet: Geschichte, Entwicklung des Handels, Forschungen, das belgische Unternehmen. Berechtigte deutsche Ansprüche«, in: DKZ 1 (1884), S. 257-264; Richard Lesser: »In Sachen Pechuël-Loesche contra Stanley«, in: DKZ 3 (1886), S. 202-209; Pechuël-Loesche: »In Sachen Pechuël-Loesche contra Stanley«, in: DKZ 3 (1886), S. 233-236. 63 Alfred Kirchhoff: »Die Niederländer auf den Molukken«, in: DKZ 5 (1888), S. 290-291.
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Kritik eher nachgesehen wurde, war Eduard Pechuël-Loesche bösen Anfeindungen ausgesetzt. Zudem war es eine Sache, ob man die Kolonisation der anderen europäischen Mächte tadelte oder grundsätzliche Kritik am Kolonialismus äußerte, die vor der eigenen Nation nicht haltmachte. Antikoloniale Stellungnahmen blieben dennoch selten.64 Natürlich beschränkten sich Geographen nicht auf politische Aufsätze und Propaganda. Sie verfassten während der deutschen Kolonialzeit vorwiegend wissenschaftliche Literatur, verhehlten darin aber ihre eigenen kolonialpolitischen Überzeugungen nicht. Drei Typen von Geographien lassen sich unterscheiden: Erstens gab es jene Schriften, die im Stil der Lehnstuhlgeographie die geographischen Erkenntnisse über einen Raum zusammentrugen wie Alfred Kirchhoffs kurze Monografie über die Südsee oder Friedrich Gustav Hahns Afrikaband in der renommierten Länderkundereihe von Wilhelm Sievers, wobei weder der Hallische noch der Königsberger Geographieprofessor je den Pazifik oder Afrika selbst kennengelernt hatten.65 Zu dieser Gruppe gehörten auch die eher essayistischen Bücher des gerade in Leipzig promovierten Emil Deckert und eine Geschichte der europäischen Kolonisation seit 1492 von Alexander Supan, der fast während der gesamten Zeit der deutschen Kolonialherrschaft die Geographische Anstalt in Gotha leitete.66 Zweitens verfassten Geographieprofessoren wissenschaftliche Studien über Räume, die sie noch vor den kolonialen Landnahmen bereist hatten. Ihren Zeitgenossen hatten sie damit anfangs noch den Kontakt zu den »Fremden« in China oder Afrika voraus. In diese Kategorie gehören Ferdinand von Richthofen und Oskar Lenz, der als promovierter Geologe und Wahlösterreicher Nordafrika, den Kongo und Ostafrika bereist hatte und 1887 zum Geographieprofessor an der deutschen Universität 64 Es muss betont werden, dass diese Kritiken für Geographen zu dieser Zeit außergewöhnlich und keinesfalls, wie Brogiato und Schultz suggerieren, für die Geographenschaft typisch waren: H.-D. Schultz/H.P. Brogiato: »Die ›Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin‹ und Afrika«, in: Heyden/Zeller, »...Macht und Anteil an der Weltherrschaft«, S. 87-94. 65 Vgl. Andreas Schach: Alfred Kirchhoff (1838-1907). »Erdkunde« und »Nation«. Politisierung und Ideologisierung der Geographie in der Zeit des »Zweiten Kaiserreichs«, Marburg 2006; Ingrid Hönsch: »Die Geographie an der Königsberger Universität und Friedrich Gustav Hahn (1852-1917)«, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg 29 /1994 (1995), S. 729-741; im selben Band: Dietrich Denecke: »Hermann Wagner (1840-1929) und die Entwicklung der Königsberger Geographie«, S. 711-727; v.a. S. 716-717 sowie: Gustav Braun: »Friedrich Hahn«, in: GZ 23 (1917), S. 337-341. 66 Emil Deckert: Kolonialreiche und Kolonisationsobjekte der Gegenwart. Kolonialpolitische und kolonialgeographische Skizzen, Leipzig 1884; Ders.: Die civilisatorische Mission der Europäer unter den wilden Völkern, Berlin 1881; Alexander Supan: Die territoriale Entwicklung der europäischen Kolonien, Gotha 1906.
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in Prag berufen wurde.67 Unter diesem Typus lassen sich ebenso Geographien des kolonialen Misserfolgs subsumieren, da auch sie auf Expeditionen in noch nicht annektierten Räumen beruhten. Entscheidend für die geographische Erforschung der deutschen Kolonien und im Mittelpunkt dieses Buches steht ein dritter Typ. Es handelt sich um Geographien, die auf Beobachtungen und Untersuchungen in den Kolonien basierten, zu einer Zeit, als die Kolonisierung dieser Räume bereits begonnen hatte, oft sogar bereits fortgeschritten war. Diese Expeditionen sollten nicht nur von den kolonialen Herrschaftsverhältnissen profitieren, die Geographen hofften ihrerseits, dass ihre Forschungen der Ausweitung der deutschen Herrschaft zugutekämen.
67 E. Vávra: »Lenz Oskar«, S. 140.
2. Die »academic community« der Kolonialgeographen
Wer waren die Geographen, die sich der Erforschung der deutschen Kolonien verschrieben? Karrierewege und die Positionen in den Fakultäten waren zu verschieden, als dass eine Antwort anders als durch die Schilderung persönlicher Biographien gegeben werden könnte. Einige Geographen schlugen ihre wissenschaftliche Laufbahn erst nach einer Kolonialexpedition ein, andere waren bereits auf einen eigenen Lehrstuhl berufen worden, bevor sie sich auf den Weg in eine der Kolonien machten. Unterschiede existierten nicht nur hinsichtlich des vertretenen Fachgebietes, der finanziellen Ausstattung der Professuren oder dem Renommee der Universitäten. Ob der Geograph nun allgemeine Geographie lehrte oder sich auf die Kolonialgeographie spezialisierte, ob es sich um einen Professor oder um einen noch jungen Nachwuchswissenschaftler handelte, wichtiger als der institutionelle Status waren seine wissenschaftlichen Aktivitäten und die Kontakte zu außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen. In der ersten Hälfte der deutschen Kolonialzeit waren Kolonialexpeditionen von Universitätsgeographen vor allem auf das Engagement von einzelnen Geographen und auf das Ergreifen von günstigen Gelegenheiten zurückzuführen. Eduard Pechuël-Loesche reiste bereits 1884 für einige Monate nach DeutschSüdwestafrika, nachdem er gerade einen langjährigen Forschungsaufenthalt im Kongo beendet hatte.1 Adolf Schenck brach im gleichen Jahr nach DeutschSüdwestafrika auf, Oscar Baumann begleitete als promovierter Geograph 1887 Hans Meyer nach Ostafrika.2 In den 1890er Jahren folgten weitere Expeditionen
1
Jos Reindl: »Eduard Pechuël-Loesche«, GZ 20 (1914), S. 361-367, hier S. 363.
2
Vgl. Johann Christian Poggendorff: »Schenck, (Johann Heinrich) Adolf«, in: Rudolf Vierhaus (Hg.): Deutsche biographische Enzyklopädie, Band 8, 2. Aufl., München 2007, S. 811; Barbara Köfler-Tockner: »Denn die Tropenwelt ist eine Circe...«. Der Wiener
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akademischer Geographen: Karl Dove reiste nach Südwestafrika, Siegfried Passarge nach Kamerun. Ab der Jahrhundertwende mehrten sich die Expeditionen in die deutschen Kolonien. Neue und veränderte institutionelle Strukturen begünstigten die Kolonialgeographie. Mit der Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete war 1905 ein Sachverständigengremium entstanden, das dafür sorgte, dass die Kolonialgeographie mehr als das Projekt einzelner Geographen und episodischer Kooperationen wurde. Die Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten wurden zum wichtigsten Publikationsorgan für die Auswertung dieser Expeditionen und die Kartenabteilung des Berliner ReimerVerlags übernahm die Auskonstruktion der topographischen Aufnahmen. Den drei eng miteinander kooperierenden Wissenschaftsorganisationen war es geschuldet, dass sich ein gemeinschaftlicher Forschungszusammenhang – eine »academic community« der Kolonialgeographen – herausbildete, aber ohne die Universitäten wäre eine Professionalisierung der geographischen Erforschung der Kolonien ebenfalls undenkbar gewesen. Schließlich fanden die Geographen dort ein günstiges Umfeld, Mitarbeiter und die notwendigen Voraussetzungen, um für Jahre an der wissenschaftlichen Auswertung ihrer Expeditionen zu arbeiten.
AKADEMISCHE K ARRIEREN Die »academic community« der Kolonialgeographen bestand aus Professoren für allgemeine Geographie, Nachwuchsgeographen und jene außerplanmäßigen Professoren, deren Fachgebiet die Kolonien waren. Die meisten Kolonialgeographen waren daher »normale« Geographieprofessoren, die einerseits viel Mühe und Zeit zur Erforschung der deutschen Kolonien aufwendeten, andererseits aber ein möglichst großes Spektrum der Geographie in der Forschung und umso mehr in der Lehre abdecken mussten. Dies entsprach auch dem Selbstverständnis der Geographen, die umfassende geographische Kenntnisse in der physischen Geographie, der Anthropogeographie und von verschiedenen Weltregionen als erstrebenswert erachteten. Allerdings wurden während der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft vier Geographen berufen, deren Lehrstühle explizit auf die Vertretung der Kolonialgeographie ausgerichtet waren: Adolf Schenck wurde 1899 auf ein Extraordinariat für Kolonialgeographie in Halle berufen, 1908 nahm Siegfried Passarge einen Ruf an das neugegründete Hamburger Kolonialinstitut an, eine Einrichtung, die Kolonialbeamte, Militärs und Zivilpersonen in ein- bis zweijährigen Kursen auf den Aufent-
Geograph Dr. Oscar Baumann (1864-1899), Wien 2003, zur Promotion und Leipziger Studienzeit, S. 69-71, zur Ostafrika-Expedition mit Meyer, S. 72-96.
D IE » ACADEMIC COMMUNITY«
DER
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halt in den Kolonien vorbereitete.3 1911 wurde Fritz Jaeger in Berlin auf eine von Hans Meyer gestiftete Professur für Kolonialgeographie berufen; 1915 wurde Meyer an der Universität Leipzig selbst Professor für Kolonialgeographie und Kolonialpolitik, nachdem er auch dieses Extraordinariat gestiftet hatte.4 Zu diesem Zeitpunkt war Meyer bereits Titularprofessor und aufgrund des Vorsitzes der Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Kolonialforschung. Hans Meyer (1858-1929) studierte in Leipzig, Berlin und Straßburg ein breites Spektrum an Bildungsfächern und wurde mit einer wirtschaftsgeschichtlichen Dissertation von Gustav Schmoller promoviert. Frühe Bekanntheit erlangte er durch mehrere Expeditionen nach Ostafrika und als Geschäftsführer des Bibliographischen Instituts in Leipzig. Noch vor der Übernahme der Verlagsleitung unternahm Meyer eine Weltreise, zu seiner ersten Expedition nach Ostafrika brach er 1887 auf, die ihn zusammen mit dem Vertreter der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft Ernst Albrecht von Eberstein und hundert Trägern zum Kilimandscharo führte. Da die Erstbesteigung scheiterte, wagte Meyer im darauffolgenden Jahr zusammen mit Oscar Baumann und der doppelten Anzahl von Trägern einen zweiten Versuch, wobei sie diesmal nicht über Usambara hinauskamen. Knapp vier Wochen lang hatten sie die Mittelgebirgslandschaft nahe der ostafrikanischen Küste kartiert, dann verhinderte der »Araberaufstand«, wie er von der deutschen Kolonialliteratur bezeichnete wurde, die Fortführung der Studien. Beide wurden in Geiselhaft genommen und nach Zahlung eines Lösegelds ohne ihre Ausrüstung nach Sansibar entlassen.5 Oscar Baumann verfasste später aus den von dem englischen Konsul wiederbeschafften Aufzeichnungen und Tagebüchern einen populären Reisebericht sowie eine länderkundliche Studie, während Meyer im nächsten Jahr mit dem bekannten Alpinisten Ludwig Purtscheller eine dritte Expedition zum Kilimandscharo unternahm.6 Mit Unterstützung der Marangu und ihres Chief Maraele gelang Meyer
3
Siegfried Passarge: Das Geographische Seminar des Kolonialinstituts und der Hansischen Universität 1908-1935. Erinnerungen und Erfahrungen (MGGH 46), Hamburg 1939. Zu Adolf Schenck: GZ 42 (1936), S. 429.
4
Vgl. Karl H. Dietzel: »Hans Meyer als Kolonialpolitiker«, in: Koloniale Rundschau 25
5
Vgl. v.a. B. Köfler-Tockner: »Denn die Tropenwelt ist eine Circe...«, S. 85-91 sowie
(1933), S. 113-120, hier S. 119. Hans Meyer/Oscar Baumann: »Dr. Hans Meyer’s Usambara-Expedition«, in: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Dt. Schutzgebieten 1 (1888), S. 199205. 6
Oscar Baumann: Usambara und seine Nachbargebiete. Allgemeine Darstellung des nordöstlichen Deutsch-Ostafrika und seiner Bewohner auf Grund einer im Auftrage der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft im Jahre 1890 ausgeführten Reise, Berlin 1891;
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und Purtscheller mit einer kleinen Gruppe einheimischer Träger 1889 die Erstbesteigung des Kilimandscharo. In seinem Buch Ostafrikanische Gletscherfahrten erzählte er von der Besteigung und präsentierte zugleich eine geographische Abhandlung des Berges. 1898 begab sich Meyer mit dem Alpinisten und Landschaftsmaler Ernst Platz auf eine vierte Expedition zum Kilimandscharo, diesmal primär aus wissenschaftlichen Gründen.7 Es folgten Hochgebirgstouren in den ecuadorianischen Anden. Auch zuhause in Leipzig entwickelte sich Meyer zu einem wissenschaftlich arbeitenden Geographen. Engen Kontakt pflegte er zu dem Vulkanologen Alphons Stübel und Friedrich Ratzel, für Letzteren fungierte er nicht nur als Verleger, sondern auch als Lektor. In der Gesellschaft für Erdkunde in Leipzig war er über Jahrzehnte im Vorstand.8 1911 im Alter von 53 Jahren unternahm er eine fünfte Ostafrika-Expedition für die landeskundliche Kommission auf eigene Kosten. Zusammen mit dem Mediziner und Zoologen Reinhard Houy vom Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg und dem Topographen und ehemaligen Oberleutnant der Kolonialtruppe Otto Tiller bereiste er Ruanda und Burundi.9 Von Bukoba reiste die Karawane nach Kigali, dem Sitz des kaiserlichen Gesandten Richard Kandt, dann weiter zum Kivusee, über die Virungavulkane und Burundi zurück zum Tanganjikasee. Obgleich er erst 1915 in seiner Heimatstadt Leipzig auf eine zweite Geographieprofessur neben Joseph Partsch berufen wurde, hatte Meyer die Kolonialgeographie schon in den Jahren zuvor geprägt. Mit seinen populären und wissenschaftlichen Büchern, durch Vorträge und Artikel über die eigenen Forschungsreisen und die seiner Kollegen, als Verleger, Herausgeber und Vorsitzender der landeskundlichen Kommission, kurzum als Wissenschaftsmanager mit
Ders.: In Deutsch-Ost-Afrika während des Aufstandes: Reise d. Dr. Hans Meyer’schen Expedition in Usambara, Wien 1890. 7
Siehe dazu: Hans Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten. Forschungsreisen im Kilimandscharo-Gebiet, Leipzig 1890; Ders.: Der Kilima-Ndscharo. Reisen und Studien, Berlin 1900.
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1893 übernahm Meyer erstmals den Vorsitz der Gesellschaft für Erdkunde in Leipzig, hatte im Vorjahr allerdings schon als Ratzels Stellvertreter fungiert, siehe: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig, diverse Jahrgänge. Über Meyers umfangreiches Lektorat an Ratzels Völkerkundemanuskript: Karl H. Dietzel: »Hans Meyer: Zum 70. Geburtstag«, in: GA 29 (1928), S. 72-76, hier S. 74; Heinrich Schmitthenner: »Hans Meyer†«, in: GZ 36 (1930), S. 129-145, hier S. 137.
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Hugo Wichmann/Otto Quelle: »Geographischer Monatsbericht«, in: PGM 57 (1911), S. 135; R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929).
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besten Kontakten zu höchsten Kreisen der politischen Macht, bestimmte Meyer wie kein Anderer den Kurs der deutschen Kolonialgeographie.10 Fritz Jaeger (1881-1966) studierte in Heidelberg Mathematik und Physik, ab dem vierten Semester, beeinflusst durch seinen Verbindungsbruder Franz Thorbecke, Geographie bei Alfred Hettner und Geologie bei Wilhelm Salomon. 1904, ein Jahr nach der Promotion, unternahm er seine erste Expedition nach Ostafrika als Assistent von Carl Uhlig, die er dank der finanziellen Unterstützung seines Vaters um einen vierwöchigen Ägyptenaufenthalt ausdehnte.11 Zwei Jahre später reiste er als Expeditionsleiter im Auftrag der Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete erneut nach Ostafrika.12 Von Mai 1906 bis Juni 1907 erforschte er zusammen mit seinem Cousin Eduard Oehler den Kilimandscharo und die westlich daran anschließenden Gebiete bis zum Viktoriasee, einschließlich der Vulkanregion um den Eyasisee mit dem berühmten Ngorongorokrater, die Jaeger bildreich das Hochland der Riesenkrater nannte.13 1909 folgte die Habilitation bei Alfred Hettner mit einer Schrift über den Kilimandscharo, 1911 die Berufung auf die von Hans Meyer gestiftete Professur in Berlin.14 Anfang 1914 unternahm er zusammen mit seinem Assistenten Leo Waibel, einem weiteren Hettnerschüler, eine zweite Expedition für die landeskundliche Kommission. Dieses Mal bemühte er sich um die Erforschung von Deutsch-Südwestafrika, doch das ambitionierte Expeditionsvorhaben mussten sie wegen des Kriegsausbruches bald aufgeben. Nachdem beide Geographen kurze Zeit für das deutsche Militär kämpften, gerieten sie nach der Kapitulation der deutschen Kolonialtruppen in Kriegsgefangenschaft, konnten ihre Forschungen in der Kolonie aber bald mit bescheidenen Mitteln fortsetzen.15 10 Klaus Goebel: »Hans Meyer: Verleger, Forscher, Geograph«, in: Heinz Peter Brogiato (Hg.): Die Anden: Geographische Erforschung und künstlerische Darstellung, München 2003, S. 59-71; Else von Volkmann: Hans Meyer. »Der Mann vom Kilimandscharo«. Verleger, Forscher, Mäzen, München 2002. 11 Jaeger verfasste auf der Grundlage seiner Beobachtungen einem langen Aufsatz: Fritz Jaeger: »Ägypten«, in: GZ 13 (1907), S. 1-23, 71-92. 12 Fritz Jaeger: Wissenschaftlicher Lebenslauf, IfLA, K. 850/5. 13 Zum Expeditionsverlauf, siehe: GZ 13 (1907), S. 640; Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1907, S. 702f.; Fritz Jaeger: »Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise in das abflusslose Gebiet Deutsch-Ost-Afrikas«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 251265. 14 Vgl. Fritz Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 113-146, 161-197. 15 Zum genauen Expeditionsverlauf: Fritz Jaeger/Leo Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Erster Teil. Übersichten. Reisebericht, Oberflächengestalt, Gewässer, Landwirtschaft (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 14), Berlin
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Erst Mitte 1919 kehrte Jaeger nach Deutschland zurück, um seine Lehrtätigkeit in Berlin fortzusetzen. 1928 wechselte Jaeger an die Universität Basel, 1947 wurde er im Zuge der Entnazifizierung entlassen. Abgesehen von den Kolonien unternahm er ausgedehnte Reisen durch Nordalgerien, Mexiko und die Vereinigten Staaten.16 Siegfried Passarge (1866-1958) unternahm 1893 zusammen mit dem Hauptmann Edgar von Uechtriz eine Expedition in das Kameruner »Hinterland«. Die beiden Forschungsreisenden verfolgten hierbei sowohl politische als auch wissenschaftliche Ziele und wurden von dem eigens für die Expedition gegründeten Kamerun-Komitee unterstützt.17 Mit knapp dreißig schwer bewaffneten Trägern aus Lagos reisten von Uechtriz und Passarge auf dem Benue bis Yola, dann zu Fuß und Pferd weiter nach Nord- und Ostkamerun. Da von Uechtriz, der Leiter der Expedition, krank nach Deutschland zurückkehrte, oblag es Passarge, von den Ergebnissen der Expedition zu berichten.18 Adamaua, sein Reise- und Forschungsbericht, machte ihn rasch bekannt.19 Ein Jahr später – auf dem sechsten internationalen Geographentag in London – erhielt er von der British Westcharterland Ltd. das Angebot, sich an der Gold- und Diamantenprospektion im südlichen Afrika zu beteiligen. Von Mai 1896 bis zum November 1899 war Passarge zusammen mit britischen Rohstoffprospektoren und Militärs in der Kalahari und dem britischen Betschuanaland unterwegs, teilweise auch auf deutschem Gebiet, ohne allerdings Gold oder Diamanten zu finden.20 Die Forschungsergebnisse dieses Aufenthaltes verarbeitete er zu einer physisch-geographischen Monografie über die Kalahari, mit
1920, S. 7-18. Siehe ebenfalls die beigegebene Karte: »Deutsch-Südwestafrika: Reisewege von Fritz Jaeger und Leo Waibel 1914-19«. 16 Carl Troll: Fritz Jaeger. Ein Forscherleben, Erlangen 1969, S. 3-50; speziell zur Entlassung aus dem Hochschuldienst: S. 32f. 17 Passarge hob später vor allem die politische Bedeutung der Expedition hervor, wobei die Grenzziehung der Kolonie bereits am 15. März 1894, also vor Rückkehr der Forschungsreisenden abgeschlossen wurde. Siehe dazu: Erich Prager: Die Deutsche Kolonialgesellschaft, 1882-1907, Berlin 1908, S. 85f. 18 Siegfried Passarge: Aus achtzig Jahren. Eine Selbstbiographie (Unveröffentlichtes Manuskript, verfasst ca. 1942 bis 1947), S. 136-152, IfLA, K. 580/4. 19 Carl Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie«, in: GZ 17 (1911), S. 361-378, hier S. 365. 20 Vgl. Siegfried Passarge: Die Kalahari. Versuch einer physisch-geographischen Darstellung der Sandfelder des südwestafrikanischen Beckens, Berlin 1904; Ders.: »Zur Kenntnis der Geologie von Britisch-Betschuana-Land«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1901, S. 20-68.
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der von Richthofen ihn habilitierte.21 Seine Arbeit an der Expeditionsauswertung unterbrach er zwischen 1901 und 1902 für wirtschaftsgeographische Arbeiten im Auftrag eines Kölner Syndikats in Venezuela, doch 1905, ein Jahr nach der Habilitation, wurde er auf den Lehrstuhl in Breslau berufen. 1908 übernahm er die Geographieprofessur am Hamburger Kolonialinstitut. In dieser Zeit unternahm er weitere außereuropäische Forschungsreisen nach Algerien, Tunesien, Ägypten, Palästina und Syrien.22 Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er als Unterarzt bei einem Altonaer Landsturmbataillon, dann als Reichsgeologe bei der Anlage von Schützengräben.23 Passarge wurde 1935 emeritiert, blieb aber noch mehr als zwanzig Jahre publizistisch aktiv. 1953 verlieh ihm die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin die goldene Ritter-Medaille. 1956 ernannte ihn die Universität Hamburg zum Ehrendoktor.24 Der vierte Professor für Kolonialgeographie war Adolf Schenck (1857-1936). Nach Studium und Promotion in Bonn reiste er als Teil einer mehrköpfigen Wissenschaftlergruppe nach Deutsch-Südwestafrika, die von Adolf Lüderitz finanziert wurde. Nach Expeditionsende setzte er seine Forschungen in Südafrika und der ehemaligen Burenrepublik auf eigene Faust fort. Seinen Aufenthalt verarbeitete er in mehreren Aufsätzen und einer Monografie zur Geologie und Botanik von Südwestafrika. Schenck fiel vor allem durch Aufsätze zur Entdeckungs- und Kolonialgeschichte sowie durch seine vielen Rezensionen auf. 1899 wurde er in Halle habilitiert und noch im gleichen Jahr auf ein Extraordinariat berufen, wobei von ihm nur geringe Impulse für die Entwicklung der Fachrichtung ausgingen.25
21 Die British Westcharterland Ltd. wurde 1899 aufgelöst und ihre Rechte an Cecil Rhodes verkauft. 22 Helmut Kanter: »Siegfried Passarges Gedanken zur Geographie«, in: Die Erde 91 (1960), S. 41-51, hier S. 45. 23 Edwin N. Wilmsen: The Kalahari Ethnographies (1886-1898) of Siegfried Passarge, Köln 1997; Günter Borchert (1965): »Beiträge von Hamburger Geographen zur AfrikaForschung«, in: MGGH 56, S. 16-18; Theodor Stocks: »Siegfried Passarge«, in: GA 28 (1927), S. 41-44. 24 H. Kanter: »Siegfried Passarges Gedanken zur Geographie«, hier S. 41. 25 An der Expedition nahm eine mehrköpfige Wissenschaftlergruppe teil, darunter der Bruder von Alfred Lüderitz sowie der Bergwerksdirektor H. Pohle, der die Expedition leitete. Alfred Lüderitz, der durch seine Landkäufe zur deutschen Kolonisierung Südwestafrikas entscheidend beigetragen hatte, finanzierte das Forschungsunternehmen. Adolf Schenck: »Über Transvaal und die dortigen Goldfelder«, in: Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1889, S. 130-140; Ders.: »Transvaal und Umgebung«, in: Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1900, S. 60-73; Ders.: »Deutsch-Südwest-Afrika im Vergleich zu Süd-Afrika«, in: Georg
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Neben diesen Kolonialspezialisten gab es Geographieprofessoren, die zwar die Geographie in ihrer Gesamtheit vertraten, die Erforschung der deutschen Kolonien aber dennoch zu ihrem Forschungsschwerpunkt machten. Carl Uhlig (1872-1938) publizierte bis zum Ersten Weltkrieg fast ausschließlich zu Deutsch-Ostafrika. Der frühere Mentor von Fritz Jaeger gehörte als alter Herr wie sein Schützling derselben studentischen Verbindung an. Dem Studium der Naturwissenschaften und Geographie in Heidelberg, Halle und Göttingen folgte die Dissertation und das Referendariat am Karlsruher Gymnasium sowie eine mehrmonatige Reise nach Osteuropa. Von 1900 bis 1906 war Uhlig als Beamter in Deutsch-Ostafrika tätig, wo er ein meteorologisches Stationsnetz aufbaute und sich der topographischen Landesaufnahme sowie Fragen der Land- und Forstwirtschaft widmete. In diesem Zusammenhang führte er mehrere kurze Expeditionen durch: 1901 nahm er die Gründung von zwei meteorologischen Stationen zum Anlass für geographische Forschungsarbeiten am Kilimandscharo und Meru. In der ersten Jahreshälfte 1904 folgte eine Rundreise zum Victoriasee. In der zweiten Jahreshälfte des gleichen Jahres unternahm Carl Uhlig zusammen mit Fritz Jaeger und dem Bezirksrichter Theodor Gunzert eine fünfmonatige Expedition durch die ostafrikanische Kolonie, die über den Kibo und Meru zum Magadi- und Natronsee an die deutsch-britische Kolonialgrenze führte.26 Von Juli bis Oktober 1910 hielt sich Uhlig erneut in Ostafrika auf und leitete eine Expedition von mehreren Wissenschaftlern für das Ostafrikanische Studiensyndikat, die der Erforschung des Raumes nordwestlich des Meru und der Salzvorkommen am Natronsee diente.27 Uhlig unterrichtete zwischen 1907 und Kollm (Hg.): Verhandlungen des 13. Deutschen Geographentages zu Breslau am 28., 29. und 30. Mai 1901, Berlin 1901, S. 154-166. 26 Vgl. Fritz Jager: Carl Uhlig zum Gedächtnis, in: GZ 44 (1938), S. 400-408, hier S. 400401; Carl Uhlig: »Vom Kilimandscharo zum Meru«, in: Zeitschr. d. Ges. für Erdk., Berlin 1904, S. 627-650, 692-718, hier S. 627. Ebenso: Zeitschr. d. Ges. für Erdk., Berlin 1902, S. 258; GZ 8 (1902), S. 104. Gunzert trennte sich in der Nähe des Natronsees von der Expedition und reiste durch Britisch-Ostafrika nach Nairobi, um von dort mit Eisenbahn und Schiff über Mombasa nach Tanga zurückzureisen. Siehe dazu: GZ 11 (1905), S. 120f. Die Geographen erreichten nicht den Gipfel des Kilimandscharo; Jaeger bestieg als einziger der Forschungsreisenden den Meru: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1904, S. 522f.; Carl Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto-Winter-Stiftung: Mitteilungen über eine Forschungsreise« [sic], in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 7594. 27 Es handelte sich um eine Expedition mit zahlreichen Wissenschaftlern, die in mehrere Gruppen zerfiel. Uhlig arbeitete zusammen mit dem Geologen Th. Müller, dem ehemaligen Feldwebel der Kolonialtruppen J. Bast und dem Bohrmeister G. Eggerling. Uhligs Frau begleitete ihn nach Deutsch-Ostafrika, siehe Uhligs Vortrag, gehalten am 5. April
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1910 am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin und erwarb in dieser Zeit die venia legendi an der Universität Berlin. 1910 nahm er den Ruf auf eine Professur in Tübingen an. 1926 wurde er Rektor der Universität, an der er bis 1937 lehrte.28 Karl Sapper (1866-1945) war Uhligs Vorgänger in Tübingen. Nach dem Geologiestudium und anschließender Promotion über die Kalkalpen bei Karl von Zittel in München wanderte er noch im selben Jahr nach Guatemala aus, wo sein Bruder als Plantagenverwalter arbeitete. Nach zwölf Jahren in Mittelamerika kehrte er nach Leipzig zurück, um sich 1900 bei Friedrich Ratzel mit einer schmalen Schrift Über die geologische Bedeutung der tropischen Vegetationsformen in Mittelamerika und Südmexico zu habilitieren. Zwei Jahre später erhielt er einen Ruf auf die außerordentliche Geographieprofessur in Tübingen. In den folgenden Jahren unternahm er weitere Reisen nach Mittelamerika und in die Karibik. 1908 reiste Sapper mit Georg Friederici, einem ehemaligen Hauptmann und promovierten Ethnographen, im Auftrag der landeskundlichen Kommission in die Südsee. Im April erreichten die Forschungsreisenden Herbertshöhe auf der Gazellen-Halbinsel, dann erkundeten sie voneinander getrennt die beiden größten Inseln des Bismarckarchipels Neu-Hannover (heute Niu Briten) und Neu-Mecklenburg (New Irland).29 Sapper unternahm mit dem Gouverneur von Deutsch-Neuguinea Albert Hahl auf dem Regierungsschiff »Seestern« weitere Touren auf Bougainville und Buka, zwei Inseln der Salomonengruppe, heute autonome Regionen von Papua-Neuguinea.30 Nach seiner Rückkehr folgte er 1910 einem Ruf nach Straßburg, nach dem Ersten Weltkrieg wechselte er nach Würzburg.31 Kurt Hassert (1868-1947) wiederum war Sappers Vorgänger in Tübingen. Seine kolonialgeographische Reputation stützte sich vor allem auf eine 1899 verfasste Länderkunde des gesamten deutschen Kolonialreiches, die 1910 in einer zweiten
1911 in der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig von Carl Uhlig, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig 1912, S. 36-44. 28 K.-H. Schröder: Geographie an der Universität Tübingen, S. 46f.; Hermann Rüdiger: »Geographie und Auslandsdeutschtum: Professor Dr. Carl Uhlig zum 60. Geburtstag«, in: Der Auslandsdeutsche 15 (1932), S. 452-456; Edwin Hennig (1939): »Carl Uhlig«, in: PGM 84 (1938), S. 304f.; Fritz Jaeger: »Carl Uhlig zum Gedächtnis«, S. 401-408. 29 Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 575f. 30 Karl Sapper: »Buka«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 23 (1910), S. 193-206; Ders.: »Bougainville«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 23 (1910), S. 206-217. 31 Franz Termer: Karl Theodor Sapper, 1866-1945. Leben und Wirken eines deutschen Geographen und Geologen, Leipzig 1966.
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überarbeiteten Auflage erschien.32 Hassert hatte unter Richthofen in Berlin und Ratzel in Leipzig studiert und reichte eine Dissertation über die Anwendung von Ratzels Ökumenekonzept auf die nördliche Polarregion ein. Nach Forschungsreisen durch Montenegro, in der Herzegowina und Albanien absolvierte er den Militärdienst und holte 1895 die ausgebliebene Promotionsprüfung in Leipzig nach, um noch im selben Jahr mit einer Monografie über die physische Geographie von Montenegro habilitiert zu werden.33 Erst 1907 lernte Hassert durch eine Expedition nach Kamerun mit Franz Thorbecke selbst eine deutsche Kolonie kennen. Fast zwei Monate verbrachten sie am Kamerungebirge, wo sie die Höhenregionen und die Gipfel in mehrtägigen Touren bewanderten; ab Mitte Dezember marschierten sie in Begleitung von hundert Trägern zur Johann-Albrechts-Höhe, um nach einmonatigen Forschungen im Umland die Expedition im Nordosten Kameruns fortzusetzen.34 Hassert beschäftigte sich jenseits der Kolonialgeographie und Balkanstudien mit allgemeiner Handels- und Verkehrsgeographie sowie mit der Entdeckungsgeschichte. Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Regionalstudien, von denen sich viele auf kürzere Reisen stützten. Seine Lehrtätigkeit begann an der Handelshochschule in Leipzig und führte ihn, nach einem kurzen Intermezzo in Tübingen, 1902 an die Handelshochschule in Köln. 1917 wechselte er an die Universität Dresden, wo er bis 1935 lehrte, um dann noch einmal 1947 die Leitung des geographischen Instituts für ein Semester zu übernehmen.35 32 Kurt Hassert: Deutschlands Kolonien. Erwerbungs- und Entwicklungsgeschichte, Landes- und Volkskunde und wirtschaftliche Bedeutung unserer Schutzgebiete, Leipzig 1910. 33 Gerhard Pansa: »Ernst Emil Kurt Hassert 1868-1947«, in: Thomas W. Freeman (Hg.): Geographers. Biobliographical Studies, Band 10, London 1986, S. 69-76. 34 [Hans Meyer:] »Erster Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Prof. Dr. K. Hassert und Prof. Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 4-12; [Hans Meyer:] »Berichte über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. M. [sic] Hassert und Professor Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 157-161; [Hans Meyer:] »Berichte über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. M. [sic] Hassert und Professor Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 190-199; PGM 54 (1908), S. 146; Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 286f., 633-636. 35 M. Reuter: »Kurt Hassert: Leben und Werk«, in: PGM 94 (1950), S. 89-92, hier S. 90; Kurt Hassert: Die Erforschung Afrikas, Leipzig 1941. Zur Biographie Hasserts: Erich Grunicke: »Kurt Hasserts Verdienste um die deutschen Kolonien«, in: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Dresden 1936/38, S. 1-8; J. Siegel: »Kurt Hassert: Zu seinem 60. Geburtstag«, in: GA 29 (1928), S. 76-79.
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Franz Thorbecke (1875-1945), Hasserts Assistent in Kamerun, hatte zunächst Naturwissenschaften und Geographie bei Hermann Wagner in Göttingen studiert und war dann nach Heidelberg zu Alfred Hettner gewechselt. Einige Zeit fungierte er als Redaktionsassistent der Geographischen Zeitschrift, ab 1905 arbeitete er als Lehrer an einem Mannheimer Mädchengymnasium. 1907 begleitete er Kurt Hassert nach Kamerun, 1910 promovierte er mit einer länderkundlichen Studie über die Manengoubaregion im Südosten der Kolonie.36 1911 unternahm Thorbecke im Auftrag der Deutschen Kolonialgesellschaft mit seiner Frau Marie Pauline und dem jungen Leo Waibel eine zweite Expedition nach Kamerun. Ihr Forschungsgebiet lag in »Mittel-Kamerun«, insbesondere im Nordwesten, wo sich die Siedlungsgebiete der Vute und Tikar befanden.37 Nach einer Dozentenstelle an der Handelshochschule in Mannheim übernahm er Lehrstuhlvertretungen für Alfred Hettner in Heidelberg und Leonhard Schultze in Marburg, bis er schließlich die Nachfolge Kurt Hasserts an der Handelshochschule und späteren Universität Köln antrat. Dort baute er eine große private Afrikabibliothek auf und engagierte sich in der Kölner Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft.38 Leonhard Schultze (1872-1955), oftmals mit Namenszusatz seiner Geburtsstadt Jena, kam über Umwege zur Geographie. Als habilitierter Zoologe arbeitete er unter Ernst Haeckel als Privatdozent und außerordentlicher Professor an der Universität Jena, bis er im November 1903 für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eine Forschungsreise nach Südwestafrika antrat, die er durch Einwerben weiterer Drittmittel bis 1905 ausdehnte. Zunächst arbeitete Schultze-Jena zur Topographie und Küstenmorphologie in Angra Pequena, dann unternahm er zoologische, völkerkundliche und geographische Studien im Süden der Kolonie. Der Hererokrieg brachte ihn dazu, seine Forschungen für einige Zeit jenseits des Oranje in die östliche Kalahari zu verlagern. Später setzte er seine Studien im deutschen Kolonialgebiet fort, als Kriegsberichterstatter eingebunden in deutsche Truppenverbände. Aus Namaland und Kalahari, die länderkundliche Monografie zur Expedition,
36 Franz Thorbecke: »Das Manenguba-Hochland: Ein Beitrag zur Landeskunde Kameruns«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911) S. 279-310 [zugleich als Monografie: Inauguraldissertation, Berlin 1912]. 37 Franz Thorbecke: »Forschungsreise der Deutschen Kolonialgesellschaft«, in: DKZ 28 (1911), S. 770f. 38 Andreas Freitäger: »Franz Thorbecke (1875-1945)«, in: Gernot Gabel: Gelehrte, Diplomaten, Unternehmer: Kölner Sammler und ihre Bücherkollektionen in der Universitätsund Stadtbibliothek Köln (Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, 13), Köln 2003, S. 150-159; Fritz Klute: »Franz Thorbecke (8.11.1875-12.8.1945)«, in: PGM 93 (1949), S. 83-84; Bernhard Fabian: Handbuch der historischen Bestände in Deutschland, Olms 1993, S. 60.
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bescherten ihm rasche Anerkennung in der Geographenschaft und 1908 eine außerordentliche Geographieprofessur an der Universität Jena.39 Im Frühjahr 1910 leitete er eine deutsch-niederländische Grenzvermessungsexpedition in die Südsee, die von weiteren Wissenschaftlern begleitet wurde.40 Nach der Rückkehr erhielt er 1911 einen Ruf auf den Kieler Lehrstuhl für Geographie. 1913 wechselte er an die Universität Marburg, wo er bis 1937 als ordentlicher Professor für Geographie lehrte. Ab den dreißiger Jahren beschäftigte er sich intensiv mit indigenen Sprachen Mittelamerikas.41 Karl Dove (1863-1922) studierte in Göttingen und Freiburg Geographie, Physik und Volkswirtschaft und promovierte 1888 mit einer Literaturstudie zum Klima des außertropischen Südafrika. 1890 wurde er von Richthofen an der Berliner Universität für die Fächer Geographie und Klimatologie mit einer Schrift über die Kulturzonen von Nordabessinien habilitiert und lehrte dann am Seminar für Orientalische Sprachen.42 1892 begab sich Dove im Auftrag der Deutschen Kolonialgesellschaft nach Südwestafrika. Von Walfischbai reiste er nach Windhoek, wo er an militärischen Aufklärungszügen teilnahm und eine wirtschaftliche Station in Windhoek aufbauen sollte. Im Dezember 1893 fuhr er nach Kapstadt, um nach mehrmonati39 Leonhard Schultze: Aus Namaland und Kalahari, Jena 1907. Für eine wohlwollende Rezension: Adolf Schenck, in: GZ 16 (1910), S. 59-61. Zur Rezeption und zu Hans Meyers Gutachten anlässlich der Bewerbung von Schultze auf die Geographieprofessur in Jena: Harry Stein: Die Geographie an der Universität Jena (1786-1939). Ein Beitrag zur Entwicklung der Geographie als Wissenschaft, Wiesbaden 1972, S. 107f. 40 Auf deutscher Seite an der Expedition beteiligt, waren der Astronom Oberleutnant Findeis, der Geologe Stollé und der Arzt und Naturforscher Kopp sowie ein deutscher Sanitäter und ein Polizeimeister. Die Expedition führte in die bisher unbekannte Region am 141. Längenkreises entlang der 260 Kilometer langen Grenze des deutschen und holländischen Kolonalgebietes in Neuguinea. Darüber hinaus erforschte die deutsche Gruppe während eines Zeitraums von acht Monaten die Uferzonen des Sepik, insbesondere an seinem Oberlauf bis zum sogenannten »Dreigrenzenschnittpunkt« an der »fünften Breitenparallele«. Vgl. Leonhard Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea (Ergänzungshefte d. Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten 11), Berlin 1914, S. IVI. 41 Franz Termer: »Leonard Schultze Jena (1872-1955)«, in: PGM 99 (1955), S. 212-213. Siehe auch: Hermann Trimborn: »Leonhard Schultze-Jena (1872-1955): Geograph/ Sprachforscher«, in: Ingeborg Schnack, Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Marburg 1977, S. 479-500. 42 Vgl. Karl Dove: Das Klima des aussertropischen Südafrika mit Berücksichtigung der geographischen und wirtschaftlichen Beziehungen, Teil 1, Göttingen 1888; Ders.: Kulturzonen in Nord-Abessinien (PGM-Ergänzungshefte 97), Gotha 1890.
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gem Aufenthalt in der Kapkolonie und kürzeren Ausflügen an der ostafrikanischen Küste und Kairo ein halbes Jahr später nach Deutschland zurückzukehren. Auf der Grundlage dieser Reise veröffentlichte er zwei populäre Reiseberichte sowie eine wissenschaftliche Monografie.43 Von 1899 bis 1907 war er außerordentlicher Professor in Jena, danach arbeitete er als Assistent im Berliner Museum für Völkerkunde und von 1914-1921 schließlich als außerordentlicher Professor in Freiburg. Dort plante er die Gründung eines Institutes für Afrikanische Auslandskunde nach Vorbild des Hamburger Kolonialinstituts, wobei diese Pläne sich schon bald mit der Umwandlung der deutschen Kolonialgebiete in Mandatsgebiete des Völkerbundes zerschlugen. Viele Jahre lang war er im Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft und des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, darüber hinaus übernahm er für einige Jahre den Vorsitz der Geographischen Gesellschaft zu Jena und gab ihre Mitteilungen heraus.44 Georg Wegener (1863-1939) besuchte für einige Wochen Samoa während einer einjährigen Weltreise. Nach Ausbruch des sogenannten »Boxeraufstandes« unterbrach er seine Reisepläne und begab sich als Kriegsberichterstatter nach China.45 Mehrmals bereiste er Süd- und Ostasien. Auf einer von der englischen Kolonialverwaltung organisierten Reise begleitete er den deutschen Kronprinzen Friedrich Wilhelm durch Indien.46 Wegener hatte ein breites Spektrum an Geisteswissen43 Karl Dove: Vom Kap zum Nil. Reiseerinnerung aus Süd-, Ost- und Nordafrika, 2. Aufl., Berlin 1898; Ders.: Deutsch-Südwest-Afrika. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Reise im südlichen Damaralande (PGM-Ergänzungshefte 120), Gotha 1896; Karl Dove: Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder aus der ersten deutschen Kolonie, 2. Aufl., Berlin 1896. 44 Vgl. Wilhelm R. Eckardt: »Karl Dove«, in: GZ 29 (1923), S. 81-84; Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft zu Jena, Band 18-26 (1900-1908), siehe v.a. Geschäftsberichte im 24. Band (1906), S. 12 und 26. Band (1908), S. 124; Andreas Flamme: »Der Kolonialwissenschaftler Karl Dove und seine Zeit an der Universität Freiburg«, in: Freiburg postkolonial: www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/Dove-Karl.htm vom 04.10.2007; Otto Maull: »Dove, Karl Wilhelm«, in: Neue Deutsche Biographie, Band 4, Berlin 1959, S. 93; H. Stein: Die Geographie an der Universität Jena (1786-1939), S. 98-105. 45 Georg Wegener: »Samoa, Land und Leute«, in: Zeitschr. d. Ges. für Erdk., Berlin 1902, S. 411-418, Ders.: Zur Kriegszeit durch China 1900/1901, Berlin 1902. 46 Vgl. PGM 53 (1907), S. 72. Bei der Reise in China handelt es sich um eine vom Konsul der Provinz Shaanxi veranstaltete Exkursion, siehe dazu: Georg Wegener: »Durch die Provinz Kiang-si: Begleitworte zu den Aufnahmen am Fu-kiang und Kan-kiang«, in: Zeitschr. d. Ges. für Erdk., Berlin 1926, S. 124-138, 155-170. Zur Indienreise: Vortrag von Georg Wegener in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig 1912, S. 13-21.
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schaften studiert und war 1891 von Theobald Fischer in Marburg mit einer Dissertation über die Orographie des Kunlungebirges an der tibetanisch-chinesischen Grenze promoviert worden. Er wurde lange in der Geographenschaft in erster Linie als Reiseschriftsteller wahrgenommen, doch 1910 erhielt er einen Lehrauftrag für Geographie an der Berliner Handelshochschule, wo er ein Jahr später zum Honorarprofessor, 1919 dann zum ordentlichen Professor für Geographie berufen wurde. Wegener lehrte dort bis 1931 und fungierte 1926/27 als Rektor der Handelshochschule.47 Einige Nachwuchsgeographen reisten entweder als Expeditionsassistenten eines Geographieprofessors oder mit eigenem Forschungsauftrag in eine deutsche Kolonie. Erich Obst (1886-1981) begann bei Siegfried Passarge mit dem Studium der Geographie an der Universität in Breslau und folgte seinem Lehrer als wissenschaftlicher Assistent an das Hamburger Kolonialinstitut. Mit einer klimageographischen Dissertation über Afrika wurde er 1909 bei Passarges Nachfolger in Breslau Alexander Supan promoviert, da das Kolonialinstitut keine akademischen Abschlüsse vergeben konnte. 1911/1912 unternahm der erst fünfundzwanzigjährige Geograph mit finanzieller Unterstützung der Hamburger Geographischen Gesellschaft eine Expedition in Deutsch-Ostafrika, anfänglich in Begleitung eines weiteren Deutschen, der sich in Usambara als Siedler niederlassen wollte. Obst erkundete das südlich an Carl Uhligs und Fritz Jaegers Forschungen anknüpfende »abflusslose Rumpfschollenland«. Als wissenschaftliches Resultat publizierte er eine zweibändige Monografie und eine Karte im Maßstab 1:300.000.48 Nach der Rückkehr nach Hamburg häuften sich die Differenzen mit Passarge, so dass er bald an die Universität Marburg wechselte, wo er aufgrund seiner bisherigen Forschungsarbeiten bei Otto Krümmel habilitiert wurde. 1915 wurde er Geographieprofessor an der Universität in Istanbul, 1919 ordentlicher Professor zunächst in Breslau und ab 1921 in Hannover. Darüber hinaus war er Herausgeber der Zeitschrift für Geopolitik und einer dreizehnbändigen Reihe zu den Kolonien.49
47 Arno Winkler: »Georg Wegener (1863-1939)«, in: Geographisches Taschenbuch 1964/1965. S. 302-309; Karl Sapper: »Georg Wegener«, in: PGM 85 (1939), S. 281f. 48 Erich Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika. Bericht über eine im Auftrage der Hamburger Geographischen Gesellschaft in den Jahren 1911/12 ausgeführte Forschungsreise, 2 Teile (MGGH 29 und 35), Hamburg 1915 und 1923. Über den Anschluss von Obsts Forschungen an Uhligs und Jaegers Arbeiten: C. Troll: Fritz Jaeger. Ein Forscherleben, S. 3. 49 Ursprünglich war die Reihe auf 25 Bände angelegt. Gabriele Schwarz: »Erich Obst«, in: Geographisches Taschenbuch 1985/86, S. 108-120; Kurt Kayser: »Erich Obst zum 65. Geburtstag«, in: Ders., Landschaft und Land, der Forschungsgegenstand der Geographie. Festschrift Erich Obst zum 65. Geburtstag, Remagen 1951, S. 5-15.
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Walter Behrmann (1882-1955) studierte Geographie, Mathematik und Physik in Göttingen, München und Berlin und promovierte über niederländische Seebücher des 15. und 16. Jahrhunderts bei Hermann Wagner, einer der Granden der deutschen Geographie. Ab 1905 übernahm er mehrere Assistenzen, zuerst in Göttingen, dann in Leipzig und später in Berlin.50 Zwischen Dezember 1911 bis Ende 1913 nahm Behrmann an einer Expedition nach Neuguinea teil, die in unmittelbarer Verantwortung des Reichskolonialamtes erfolgte. Neben dem Geographen gehörten der Völkerkundler Adolph Rösicke, der Botaniker Ledermann, der Arzt und Zoologe Bürgers sowie Oberleutnant Hollach zur Expedition; Leiter war der bereits ortserfahrene Geologe Arthur Stollé. Richard Thurnwald folgte später als zweiter Völkerkundler nach, um bereits begonnene Neuguinea-Studien fortzusetzen.51 Ziel der Expedition war die Erforschung des mittleren Sepik einschließlich der Nebenflüsse. Behrmann korrigierte darüber hinaus das Kartenbild in dem Raum zwischen Ramu und dem Unterlauf des Sepik und setzte die Expedition auf eigene Faust für kurze Zeit nahe der Grenze zu Niederländisch-Neuguinea fort.52 Im März 1914 wurde er mit einer Schrift über die Gebirgsmorphologie des Harzes habilitiert.53 Während des Ersten Weltkrieges leitete er eine Abteilung für landeskundliche Forschung im Stab des Generalfeldmarschalls August von Mackensen, dann folgten verschiedene administrative Funktionen und Lehraufträge. Vor seiner Berufung übernahm Behrmann Lehraufträge für Kartographie an der Berliner Universität und am Institut für Meereskunde, Tätigkeiten als Generalsekretär der Gesellschaft für Erdkunde und des Geschäftsführers zweier Geographentage, später während der NS-Zeit die Leitung des kolonialkartographischen Ausschusses in der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1922 wurde er zum außerordentlichen Professor in Berlin ernannt, ein Jahr später nach Frankfurt berufen, wo 50 Julius Wagner: »Prof. Dr. Walter Behrmann«, in: Ders., Walter Behrmann zum sechzigsten Geburtstag, Würzburg 1942, S. 1-26. 51 Es waren weitere deutsche Expeditionsteilnehmer involviert, so der Maschinist Schattenburg bis zu seinem Tod, dann übernahm ein neu angeworbener Maschinist dessen Aufgabe. Auch chinesisches Personal war an der Expedition beteiligt, vgl. Walter Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik. Eine deutsche Forschungsreise in Neuguinea, Berlin 1922. 52 Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 496f.; Hugo Wichmann/Gebhard Schönith: »Geographischer Monatsbericht«, in: PGM 57 (1911), S. 210; Hugo Wichmann: »Geographischer Monatsbericht«, in: PGM 58 (1912), S. 347 und PGM 59 (1913), S. 268f. 53 Walter Behrmann: Der Sepik (Kaiserin-Augusta-Fluß) und sein Stromgebiet (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 12), Berlin 1917, S. 1-4; Ders: »Das Zentralgebirge Neuguineas im westlichen Kaiser Wilhelmsland«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 35 (1927), S. 1-43; Hugo Wichmann/Gebhard Schönith: »Geographischer Monatsbericht«, in: PGM 60 (1914), S. 37f.
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er bis zu seiner Emeritierung lehrte und jahrelang den Vorsitz der geographischen Gesellschaft führte.54 Leo Waibel (1888-1951), erst Expeditionsassistent von Thorbecke, dann von Jaeger, verfasste mit Letzterem zwei Forschungsmonografien über Südwestafrika sowie eine Reihe von Abhandlungen zur Geomorphologie und Biogeographie. Mit der Schrift über Lebensformen und Lebensweisen der Waldtiere im tropischen Afrika wurde er 1913 in Heidelberg promoviert, aufgrund der wissenschaftlichen Auswertung seiner meteorologischen Aufzeichnungen 1920 von Franz Thorbecke in Köln habilitiert.55 1922 wurde er auf den Lehrstuhl in Kiel berufen, dann 1929 nach Bonn. 1939 emigrierte er in die USA, wo er 1941 eine Gastprofessur an der University of Wisconsin annahm. 1925 forschte Waibel in Mexiko, 1938 besuchte er die Region erneut und bereiste ebenfalls Mittelamerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekleidete er Lehr- und Forschungspositionen in Brasilien.56 Fritz Klute (1885-1952) reiste 1912 mit Eduard Oehler, dem früheren Reisebegleiter Jaegers, nach Ostafrika. Beide suchten nicht möglichst viel Wegstrecke zurückzulegen, sondern konzentrierten sich auf den Kilimandscharo, wo sie für einige Monate neue fotogrammetrische Verfahren anwendeten und den MawensiGipfel zum ersten Mal bestiegen.57 1911 war Klute bereits mit einer geomorphologischen Dissertation über die Eiszeiten des Schwarzwaldes promoviert worden. Nach der Expedition lehrte er als Assistent Hermann Wagners in Göttingen, wo er sich 1915 mit einer Monografie über den Kilimandscharo und einer Karte im Maßstab 1:50.000 habilitierte. 1920 wurde er nach Kiel berufen, zwei Jahre später wechselte er an die Universität in Gießen.58
54 J. Wagner: »Prof. Dr. Walter Behrmann«, S. 6-9. 55 Leo Waibel: Lebensformen und Lebensweise der Tierwelt im tropischen Afrika. Versuch einer geographischen Betrachtungsweise der Tierwelt auf physiologischer Grundlage (MGGH 27), Hamburg 1913. 56 Gottfried Pfeifer: »Leo Heinrich Waibel«, in: Thomas W. Freeman (Hg.): Geographers. Biobibliographical Studies, Band 6, London 1982, S. 142-147; Josef Schmithüsen: »Leo Heinrich Waibel«, in: Die Erde 4 (1952), S. 99-107; H. Böhm: Beiträge zur Geschichte der Geographie an der Universität Bonn, S. 228-241. 57 Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 536; Eduard Oehler: »Von einer Forschungsreise am Kilimandscharo im Jahre 1912«, in: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, 46 (1915), S. 124-156. 58 Wolfgang Panzer: »Gießener Geographen«, in: Ludwigs Universität. Justus LiebigHochschule, Festschrift zur 350-Jahrfeier, Gießen 1957, S. 341-346; Fritz Klute: Der Kilimandscharo. Ein tropischer Riesenvulkan und seine Vergletscherung einst und jetzt, Berlin 1929; Wolfgang Panzer: »Fritz Klute, der Lehrer, Forscher und Künstler«, in:
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Einige Geographen leisteten bedeutende Beiträge zur Kolonialgeographie, erfüllen aber für eine Zugehörigkeit zur »academic community« der Kolonialgeographen nicht alle drei Kriterien – Kolonialexpedition, wissenschaftliche Laufbahn und kolonialgeographischen Forschungsschwerpunkt. Wilhelm Sievers publizierte mehrere länderkundliche Kapitel zu den deutschen Südseekolonien, darunter in Meyers Deutsches Kolonialreich, der Südamerikaexperte unternahm aber selbst nie eine Expedition in den Westpazifik.59 Heinrich Schmitthenner wurde von Fritz Jaeger gefragt, ob er sich der Expedition nach Südwestafrika anschließen wolle, entschied sich aber dafür, seinen Lehrer Alfred Hettner auf einer einjährigen Asienreise zu begleiten, die sie u.a. nach Russland, Japan, auf die malaysische Halbinsel und in mehrere chinesischen Provinzen führte. Dennoch handelt es sich eher um eine Reise, die mit dem Schiff, der Eisenbahn und teils mit dem Pferd durchgeführt wurde, als um eine Expedition im engeren Sinn. Es entstand auch keine zusammenhängende Auswertung, obgleich Schmitthenner mehrere bedeutsame Aufsätze zur deutschen Chinakolonie Jiaozhou verfasste.60 Oscar Baumann promovierte bei Friedrich Ratzel und unternahm drei Expeditionen nach Deutsch-Ostafrika – die erste mit Meyer, dann 1890 für die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft und im folgenden Jahr für das Deutsche Antisklaverei-Komitee – und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Monografien. Bereits 1896 entschied er sich für den diplomatischen Dienst und vertrat bis zu seinem frühen Tod 1899 Österreich-Ungarn als Konsul auf Sansibar.61 Eduard Pechuël-Loesche war durch seine Forschungen in Angola und im Kongo zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft wohl der am besten ausgebildete Geograph, doch nach einigen Aufsätzen über Deutsch-Südwestafrika in der Deutschen Kolonialzeitung und im Ausland sowie der Kontroverse mit und über Stanley wandte er sich schon in den frühen 1890er Jahren neuen Themenfeldern zu, etwa der Herausgabe von Brehms Tierleben und der Niederschrift einer völkerkundlichen Studie auf der Grundlage seiner dreißig Jahre alten Aufzeichnungen der Loango-Expedition. Zwar hielt er nach seiner Berufung in Jena Vorlesungen über die deutschen Kolonien, aber er unterschied sich von seinen Kollegen auch dadurch, dass er rassistische Charakterisierungen der einheimischen Bevölkerung weitgehend vermied.62 Als eine akademische Kolonialgeographie sich in Deutsch-
Festkolloquium, 100 Jahre Geographie in Gießen (Gießener geographische Schriften, 6), Gießen 1965, S. 109-113. 59 Zur Biographie von Wilhelm Sievers: W. Panzer: »Gießener Geographen«, S. 341f. 60 Zur Reise mit Hettner: Ernst Plewe: »Heinrich Schmitthenner«, in: PGM 98 (1954), S. 241-243. 61 B. Köfler-Tockner: »Denn die Tropenwelt ist eine Circe...«. 62 Vgl. H. Stein: Die Geographie an der Universität Jena (1786-1939), S. 96; Eduard Pechuël-Loesche: »Zur Kenntnis des Hererolandes«, in: Das Ausland 1886, S. 821-825,
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land als zusammenhängendes Forschungsfeld nach der Jahrhundertwende formierte, hatte sich Pechuël-Loesche bereits aus der Kolonialforschung zurückgezogen und Oscar Baumann war verstorben. Zentrale Impulse hingegen sollten von einer außeruniversitären Wissenschaftsorganisation ausgehen.
D IE LANDESKUNDLICHE K OMMISSION DES R EICHSKOLONIALAMTES Als Sachverständigengremium des Kolonialrats 1905 gegründet, zwei Jahre später nach Verwaltungsreformen und Auflösung des Kolonialrats dem Reichskolonialamt als ständige Kommission angegliedert, wurde die Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete eine der zentralen Institutionen eines wissensbasierten Kolonialismus, den Zeitgenossen häufig nach dem neuen Kolonialdirektor an der Spitze der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes als »System Dernburg« bezeichneten, obgleich die ersten Reformschritte bereits unter Oscar Stübel eingeleitet worden waren, in dessen Amtszeit auch die Entscheidung zur Gründung der landeskundlichen Kommission gefallen war.63 Zweck dieser Kommission war die planmäßige und systematische Erforschung der deutschen Kolonien, wozu das Gremium unter der Führung von Hans Meyer wissenschaftliche Expeditionen vorbereitete, sie finanzierte und für die Publikation der Forschungsergebnisse sorgte. Offiziell beauftragte die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und ab 1907 das Reichskolonialamt die Forschungsreisenden, so dass von amtlichen Expeditionen gesprochen werden konnte. Fritz Jaeger beschrieb damals die Kompetenzabstimmung folgendermaßen: »Der Plan zu dieser Reise ging von der landeskundlichen Kommission zur Erforschung der Deutschen Schutzgebieten aus, und sie wurde im Auftrag des Reichskolonialamts ausge-
849-852, 869-872, 889-892; Ders.: »Zur Bewirtschaftung Südwestafrikas«, in: DKZ N.F. 1 (1888), S. 252-255, 260-263, 270f. Zur Biographie: Siegfried Passarge: »Eduard Pechuël-Loesche, 1840-1913«, in: DKZ 33 (1913), S. 547-548. 63 Oscar Stübel war bis 1905 Kolonialdirektor, danach übernahm Ernst Fürst von Hohenlohe-Langenburg für knapp ein Jahr dieses Amt. Von September 1906 bis 1910 fungierte der ehemalige Bankier Bernhard Dernburg zunächst als Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, dann als Staatssekretär des Reichskolonialamtes. Vgl.: Werner Schiefel: Bernhard Dernburg, 1865-1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland, Zürich 1974. Für die Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete existierte keine einheitliche Namensbezeichnung, was teilweise auf die Auflösung des Kolonialrates zurückzuführen ist.
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führt.«64 In der Praxis übernahm die landeskundliche Kommission die Vorbereitung, Auswahl der Untersuchungsgebiete und zusammen mit den Forschungsreisenden die Bestimmung von Forschungsthemen. Das Reichskolonialamt stimmte dem Forschungsplan zu und mahnte gelegentlich zu einzelnen Punkten noch Korrekturen an. Dass eine derartige Kommission überhaupt gegründet wurde, lag am unablässigen Engagement von Hans Meyer. 1902 in Berlin auf dem ersten Deutschen Kolonialkongress brachte er erstmals eine landeskundliche Kommission ins Gespräch. Sein Vortrag machte den Hörern deutlich, wie wichtig geographisches Wissen für die wirtschaftliche Erschließung der Kolonien war und warnte vor einer Stagnation der wissenschaftlich-geographischen Forschung. Auf eigens für den Kongress angefertigten Wandkarten erläuterte der Verleger und berühmte Afrikareisende den Kongressteilnehmern, welche großen Lücken das geographische Wissen von den vier deutschen Afrikakolonien noch aufweise. Unterschiedliche Rottöne zeigten dem Auditorium, welche Räume bereits gut erforscht waren und welche dringend noch weiterer Forschungsanstrengungen bedurften.65 Die dafür notwendigen Mittel wollte Meyer aus dem Afrikafonds beziehen, der als Etatposten des Deutschen Reichs für die Expeditionen der deutschen Afrikagesellschaften eingerichtet worden war, nun aber hauptsächlich für die Begleichung von Betriebskosten von Regierungs- und Militärstationen herangezogen wurde. Meyer machte den Vorschlag, die Gelder wieder für die geographische Erforschung der Kolonien zu verwenden und dazu eine neue Wissenschaftsorganisation – eine landeskundliche Kommission – ins Leben zu rufen, die Expeditionen entsenden und koordinieren sollte. Meyer erhielt für seine Rede Beifall und Alfred Kirchhoff unterstützte ihn mit flammenden Worten, indem er am Ende von Meyers Redebeitrag noch einmal die Dringlichkeit erhöhter Forschungsanstrengungen in den pazifischen Kolonien herausstrich:66 »Hätten wir z.B. in ähnlich roten Farbtönen wie die afrikanischen Schutzlande hier ein Kartenbild von unserem grossen Kaiser-Wilhelms-Land vor uns, wir würden leider nur die Schamröte in den matteren (den noch unbekannten Raum bedeutenden) Tönen über dem Bilde ausgebreitet sehen: gleich hinter der Küste
64 Vgl. Fritz Jaeger: »Geographische Forschungen im abflusslosen Gebiet von DeutschOstafrika«, in: GZ 18 (1912), S. 566-573, hier S. 566. 65 Hans Meyer: »Die geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 zu Berlin am 10. und 11. Oktober 1902, Berlin 1903, S. 72-83, hier S. 78-81. 66 Zum Redebeitrag von Alfred Kirchhoff, siehe: H. Meyer: »Geographische Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, S. 82.
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ein Land von lauter Lücken geographischer Kenntnis. Ja, unsere Forscher gehen selbstlos in die Weite, um endlich auch von unseren fernsten Kolonien den Schleier zu lüften, sie verlangen für sich keinen Mammon, sie setzen ihre Kraft und ihr Leben ein für die grosse Sache der Wissenschaft, der nationalen Wohlfahrt.« Der Vorschlag zur Gründung einer landeskundlichen Kommission stieß nicht nur unter den Kongressbesuchern auf Zustimmung. Meyer trieb die Initiative erfolgreich im Kolonialrat voran, einem Gremium von Wissenschaftlern, Militärs, Unternehmern und hohen Beamten, das die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts beriet.67 Auf der Sitzung des Kolonialrates im Februar brachten Hans Meyer, Ferdinand von Richthofen und Paul Staudinger den Antrag ein, aus Fachmännern der Länder- und Völkerkunde, »welche die Verhältnisse in unseren Schutzgebieten kennen« eine ständige Kommission zu bilden, »die einen alle Zweige der Landeskunde umfassenden Plan für eine einheitliche landeskundliche Erforschung der deutschen Schutzgebiete« ausarbeiten sollte. 100.000 Mark sollten der Kommission zur Verfügung stehen, als deren Vorsitzender zunächst der Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes vorgesehen war.68 Nach einigen Änderungsvorschlägen wurde die Bildung eines wissenschaftlich-geographischen Kreises beschlossen, dem Theodor von Holleben als Vorsitzender, Ferdinand von Richthofen, Alexander von Danckelman, Paul Staudinger, Ernst Vohsen und Hans Meyer angehörten. Während zweier Treffen der Kommission am 29. Oktober 1904 und am 24. Juni 1905 arbeiteten die Teilnehmer eine Denkschrift aus, die ein konkretes Arbeits- und Forschungsprogramm für die landeskundliche Kolonialforschung der nächsten Jahre enthielt und im Wesentlichen auf Meyers Vorschlägen beruhte.69 Am 29. Juni 1905 präsentierte Meyer auf der Sitzung des Kolonialrats die Positio-
67 Zwischen 1911-1913 trat der Kolonialrat erneut zusammen. Für eine Übersicht über den Kolonialrat: Hartmut Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch. Deutsche Kolonialpolitik zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und »zivilisatorischen« Bemühungen, Berlin 2009. 68 Bericht des Kolonialrates vom Februar 1905, IfLA, K. 173/38. 69 Denkschrift der landeskundlichen Kommission über eine einheitliche landeskundliche Erforschung der Deutschen Schutzgebiete mit handschriftlichen Anmerkungen von Meyer, in: IfLA, K. 173/35; Ergänzungen zur Denkschrift, IfLA, K. 173/36; Bericht der Kommission des Kolonialrates über die Einsetzung einer Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete vom 24. Juni 1905, IfLA, K. 173/37; vgl. ebenfalls: H. Meyer: »Die geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, S. 72-83.
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nen des Arbeitskreises, die einstimmig angenommen wurden, so dass die Kommission bald mit ihrer Arbeit beginnen konnte.70 Die erste Sitzung der landeskundlichen Kommission fand in den letzten Septembertagen des Jahres 1905 statt. Sie bestand eben aus jenen Mitgliedern des Kolonialrates, die über die Notwendigkeit einer Kommissionsgründung befunden hatten. In der Regel fanden die Sitzungen in unregelmäßigen Abständen in den Räumen des Reimer-Verlags statt, wo eine riesige Kartensammlung und, falls nötig, Kartographen für mündliche Auskünfte zur Verfügung standen. Manchmal traf man sich auch nur wenige Häuser weiter im Reichskolonialamt.71 Hans Meyer führte den Vorsitz, Ernst Vohsen kümmerte sich um die Schriftführung. Nicht mehr dabei waren der ehemalige Diplomat und Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft Theodor von Holleben, der durch den Direktor der Königlich-Preußischen Geologischen Landesanstalt Karl Schmeisser ersetzt wurde, und der inzwischen verstorbene von Richthofen, dem Alfred Kirchhoff als Kommissionsmitglied nachfolgte, bis nach dessen Tod zwei Jahre später Albrecht Penck nach seinem Wechsel auf Richthofens ehemalige Professur an der Berliner Universität auch diese Funktion übernahm.72 Später wurde die Zahl der Kommissionsmitglieder auf dreizehn erweitert, darunter die nur selten anwesenden Koryphäen der Afrikaforschung Georg Schweinfurth und Franz Stuhlmann.73 Häufig besuchten auch Mitarbeiter des Reichskolonialamts die Kommissionssitzungen, Alexander von Danckelman als Herausgeber der Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten und Geheimrat Karl Ebermaier, manchmal auch weitere ranghohe Beamte, doch vor allem dominierte Hans Meyer die Sitzungen. Die Denkschrift enthielt ein ambitioniertes Forschungsprogramm, das Meyer später in seinem Vortrag auf dem dritten Deutschen Kolonialkongress nochmals rekapitulierte und drei Vorgehensweisen benannte, um die landeskundliche Erforschung der Kolonien voranzubringen. An erster Stelle wurden die »allseitig geschulten Geographen« genannt, die »in selbständigen Expeditionen oder in Angliederung an die Grenzkommissionen, an militärische Unternehmungen« landeskundliche Forschungsleistungen in den Kolonien erbringen sollten. Zweitens setzte die Denkschrift auf die »Aussendung von speziellen Fachmännern der Geologie, der Botanik, Zoologie, Völkerkunde usw.«, von denen partielle Untersuchungen der
70 Vgl. GZ 11 (1905), S. 476f.; Deutsches Kolonialblatt, 16/11(1905), S. 399f. 71 Imre Demhardt: Die Entschleierung Afrikas: Deutsche Kartenbeiträge von August Petermann bis zum Kolonialkartographischen Institut, Gotha 2000, S. 112. 72 Protokolle der Kommission des Kolonialrats für die landeskundliche Erforschung des Schutzgebietes, IfLA, K. 176/17. 73 Geschäftsordnung der Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete, IfLA, K. 173/22.
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»geographischen Beschaffenheit eines Gebietes« erwartet wurden, dann aber »um so gründlicher und im ursächlichen Zusammenhang mit andern Erscheinungen dieses Erdraumes« [sic]. Und drittens wollte man weitere Wissenschaftler mit Zuschüssen unterstützen, die im Auftrag anderer Organisationen forschten.74 Meyer gelang es durch diese disziplinäre Offenheit geschickt, Verbündete aus anderen Disziplinen zu gewinnen und sie für das Projekt zu begeistern, ihnen aber zumindest partiell eine geographische Perspektive aufzuzwingen. Tatsächlich organisierte die landeskundliche Kommission Forschungen nach allen drei Varianten, die lange Liste der Expeditionsziele konnte mit den bereitgestellten Mitteln aber nicht bewältigt werden, nicht einmal jene zweite Liste mit Zielen höherer Priorität, die der Denkschrift beigefügt war. Die Kommission blieb damit hinter den von ihr formulierten Ansprüchen zurück, was an der begrenzten finanziellen Ausstattung der Kommission lag, die nur etwa die Hälfte des Afrikafonds erhielt.75 Anfänglich organisierte die Kommission ein bis zwei Expeditionen pro Jahr, nach der Kürzung finanziellen Mittel und einem großen Beitrag zu der von dem Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft geleiteten Expedition des Herzogs Albrecht von Mecklenburg nahm die Häufigkeit der Expeditionen ab. Auch andere Forschungsreisende erhielten Zuschüsse zu Expeditionen oder für die Ausarbeitung von Publikationen, so etwa Leo Frobenius und Carl Uhlig.76 Für die deutsche Kolonialgeographie erwies sich die Kommission dennoch als Segen, da sie Geographen einen privilegierten Zugang zu Forschungsgeldern für ihre Expeditionen verschaffte. An sechs von insgesamt acht durchgeführten Expeditionen waren Geographen beteiligt; bei den anderen beiden handelte es sich um völkerkundliche und biologische Forschungen. 74 Denkschrift der Landeskundlichen Kommission des Kolonialrates über eine einheitliche Erforschung der Deutschen Schutzgebiete, Berlin 1905. Siehe ebenso: Hans Meyer: »Die Landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes«, in: Koloniale Rundschau 1910, S. 722-734, hier S. 724. 75 Tatsächlich erhielt die landeskundliche Kommission jährlich nur 70.000 Mark. Ab 1909, nachdem der Afrikafond auf 150.000 Mark verringerte wurde, waren es jährlich nur noch 50.000 Mark. Siehe dazu: F-J. Schulte-Althoff: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der Geographie im Zeitalter des Imperialismus, S. 128; H. Meyer: »Die landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes«, S. 729; Hans Meyer: Brief an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts vom 10.03.1907, BArch R 1001/5637. In der Übersicht zur Verwendung des Afrikafonds in den Jahresberichten über die Entwickelung der Deutschen Schutzgebiete ist kein gesonderter Etat für die landeskundliche Kommission ausgewiesen, bis auf geringe Beträge von einigen Hundert bis um die Tausend Mark. Der Etat der landeskundlichen Kommission wurde unter den Etatposten der einzelnen Kolonien unter der Rubrik »geographische Forschungen« ausgewiesen. 76 H. Meyer: »Die Landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes«, S. 732.
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Tabelle 1: Liste der landeskundlichen Expeditionen Nr.
Forschungsreisende
Disziplin
Zielgebiet
1
F. Jaeger mit E. Oehler
Geograph mit Begleiter
Ostafrika
2
K. Weule
Völkerkundler
Ostafrika
3
K. Hassert, F. Thorbecke
beide Geographen
Kamerun
4
Ledermann, Riggenbach
Botaniker und Zoologe
Kamerun
5
K. Sapper, G. Friederici
Geograph und Völkerkundler
Neuguinea
6
L. Schultze, u.a
Geograph, Expeditionsleiter
Neuguinea
7
H. Meyer
Geograph
Ostafrika
8
F. Jaeger, L. Waibel
beide Geographen
Südwestafrika
Franz Thorbecke, der selbst im Auftrag der landeskundlichen Kommission in Kamerun geforscht hatte, sah in ihr im Rückblick den institutionellen Mittelpunkt der deutschen Kolonialforschung.77 Was bisher isolierte Forschungsbemühungen von Geographen waren, verdichtete sich im Jahrzehnt vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einem planmäßigen Forschungsprogramm. Das vorletzte Mal traf sich die Kommission im November 1914. Nach fast vierjähriger Pause löste sie sich auf ihrer 42. Sitzung am 12. Juli 1919 de facto auf. Oberregierungsrat Kalkmann stellte den Kommissionsmitgliedern in Aussicht, dass sie vom Reichskolonialministerium, der für die Abwicklung der Kolonialpolitik zuständigen Nachfolgebehörde, von ihrer Aufgabe entbunden werden könnten. Reichskolonialamt und Kommission kamen schließlich überein, die Kommission formell weiterbestehen zu lassen und einem Dreiergespann die Abwicklung der bestehenden Geschäfte zu übertragen, was schließlich Hans Meyer, Albrecht Penck und Hugo Marquardsen übernahmen.78
77 Die Vermittlungsversuche der landeskundlichen Kommission zwischen den deutschen Völkerkundemuseen bei der brisanten Frage der Verteilung der wissenschaftlichen Kolonialsammlungen stützt Thorbeckes These, siehe: Franz Thorbecke: »Die deutschen Kolonien als Arbeitsfeld des Akademikers«, in: Kölner Universitäts-Zeitung 11 (1926), S. 7-9, hier S. 7. Ebenfalls: H.G. Penny: Objects of Culture; C. Stelzig: Afrika am Museum für Völkerkunde zu Berlin, 1873-1919. 78 Vgl. Protokolle der 41. und 42. Sitzung der landeskundlichen Kommission, 14.11.194 und 12.7.1919, IfLA, K. 176/17.
70 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
M ITTEILUNGEN
AUS DEN
D EUTSCHEN S CHUTZGEBIETEN
Geographen und Forschungsreisende, im Auftrag der landeskundlichen Kommission Expeditionen in die deutschen Kolonien unternahmen, publizierten ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in den Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten. Alexander von Danckelman gründete die Zeitschrift 1888 als Generalsekretär der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin unter dem Namen Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den Deutschen Schutzgebieten, um darin die Reiseberichte und Kartenskizzen, die Forschungsreisende aus den Kolonien an die Gesellschaft sandten, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Naturwissenschaftler und Meteorologe mit Afrikaerfahrung redigierte die Reiseberichte und konstruierte viele der Routenkarten der ersten Jahrgänge. Da das Material bald so umfangreich wurde, dass es kaum mehr zu bewältigen war, legte er seine Funktion in der Gesellschaft für Erdkunde nieder, und führte die Redaktion ab 1890 als Beirat der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und später als »Referent für Geographie und Grenzangelegenheiten der Schutzgebiete« weiter. Der Fortbestand der Zeitschrift war auf diese Weise gesichert, so dass die Mitteilungen in der Regel viermal im Jahr als wissenschaftliches Beiheft des Deutschen Kolonialblattes, dem Amtsblatt der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, erscheinen konnten.79 Die bei Mittler und Sohn verlegte Zeitschrift enthielt Aufsätze zur Geologie, Meteorologie, Botanik, Zoologie und Völkerkunde, Tätigkeitsberichte von Forschungsstationen, von Offizieren und Missionaren sowie Tabellen mit meteorologischen Messwerten. Ab 1907 veränderten die Mitteilungen ihr Erscheinungsbild, wie schon bei Gründung der landeskundlichen Kommission angedacht: das Format wurde von Oktav auf Großquart umgestellt, um Bilder und Karten besser darstellen zu können.80 Damit einher ging eine Namensverkürzung auf Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, ohne dass sich der Zeitschriftinhalt wesentlich veränderte, abgesehen von einer graduellen Zunahme analytischer Aufsätze. Ausführliche Berichte von den landeskundlichen Expeditionen erschienen in einer neuen Reihe: den Ergänzungsheften. Das erste Heft bestand aus dem Forschungsbericht von Karl Weule, der zusammen mit Fritz Jaeger nach Deutsch-Ostafrika gereist war.
79 I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 63; Heinrich Schnee: Deutsches KolonialLexikon, Band 1, Leipzig 1920, S. 284. 80 Vgl. Protokolle der 3. Sitzung der landeskundlichen Kommission vom 30.10.1905, IfLA, K. 176/17; Bericht der Kommission des Kolonialrates über die Einsetzung einer Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete, vom 24. Juni 1905, IfLA, K. 173/37. Mit der Formatänderung stiegen die Druckkosten. Während in den 1890er Jahren die Regierungssubventionen um 10.000 Mark schwanken, wurden ab 1906 deutlich höhere Beträge verausgabt.
D IE » ACADEMIC COMMUNITY«
DER
K OLONIALGEOGRAPHEN
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Gelegentlich fanden weitere Arbeiten Eingang in die Ergänzungshefte, so Carl Uhligs Erläuterungen zu seiner Karte von der ostafrikanischen Bruchstufe, die Berichte zweier Grenzvermessungsexpeditionen in Kamerun oder eine von der Kolonialgesellschaft prämierte landeskundliche Literaturstudie von Gisela Frey (siehe Tabelle 2).81 Danckelman leitete und redigierte dreiundzwanzig Jahre lang die Mitteilungen, bis seine Karriere 1911 abrupt nach öffentlicher Kritik an der Regierung für ein angeblich zu zaghaftes Vorgehen in Marokko endete und er nach einer gewissen Pause auf Fürsprache Meyers wieder als einfaches Mitglied an den Sitzungen der landeskundlichen Kommission teilnehmen konnte.82 Hugo Marquardsen, Offizier, Topograph und promovierter Geograph, der Danckelman schon zuvor für einige Monate in der Redaktion unterstützt hatte, folgte als Referent im Reichskolonialamt und Herausgeber der Mitteilungen seinem suspendierten Vorgänger nach.83
81 Die Namen der akademischen Geographen wurden in Tabelle 2 kursiv wiedergegeben. 82 Danckelman studierte in Jena und Leipzig und arbeitete mehrere Jahre bei dem renommierten Meteorologen Karl Christian Bruhns. 1879 war er Mitglied einer russischen Expedition auf der »Nordenskjöld« mit Alexander Sibiriakoff in den Pazifik. Von 1881 bis 1884 war er für meteorologische Forschungen in Angola und Mossamedes, dort u.a. als Mitarbeiter Henry Morton Stanleys Stationschef in Vivi. Vgl. Kurzbiographie in H. Schnee (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Band 1, S. 284; Karl Keil: »Danckelman, Freiherren v.«, in: Neue Deutsche Biographie, Band 3, Berlin 1957, S. 502. Ebenso die Protokolle der landeskundlichen Kommission ab der 35. Sitzung vom 19.12.1912, IfLA, K. 176/17. 83 Marquardsen wurde im brasilianischen Porto Alegre geboren und ließ sich an der preußischen Kriegsakademie zum Topographen ausbilden. Danach studierte er in Göttingen an der Sternwarte unter Leopold Ambronn und an der Universität bei Hermann Wagner. Zwischen 1903 und 1904 war er Astronom an der »Jola-Tschadsee-Grenzexpedition«, nach seiner Rückkehr setzte er das Geographiestudium bei Wagner fort und wurde von ihm mit einer Arbeit zur Geomorphologie und Hydrographie der östlichen Sahara promoviert. Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber und Redakteur der Mitteilungen war Marquardsen Delegierter und Sachverständiger des Deutschen Reichs bei internationalen Grenzverhandlungen in Bern und Brüssel. Siehe dazu: Paul Staudinger: »Hugo Marquardsen«, in: Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten 33 (1925), S. VII-IX.
72 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
Tabelle 2: Ergänzungshefte der Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten Band
Jahr
Autor
Titel
1
1908
Karl Weule
Wissenschaftliche Ergebnisse meiner ethnographischen Forschungsreise in den Südosten Deutsch-Ostafrikas.
2
1909
Carl Uhlig
Die Ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa ja Mweri sowie dem Westfuss des Meru, Teil I. Die Karte.
3
1910
Karl
Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungs-
Sapper
reise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, I. Beiträge zur Landeskunde von Neu-Mecklenburg und seinen Nachbarinseln.
4
1911
Fritz
Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hoch-
Jaeger
länder Deutsch-Ostafrikas: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflusslose Gebiet des nördlichen DeutschOstafrika 1906-07, Teil 1. Aufgaben und Verlauf, die Karte, Ergebnisse der Sammlungen, Ethnographisches.
5
1912
Georg
Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungs-
Friederici
reise nach dem Bismarckarchipel im Jahre 1908, II. Beiträge zur Völker- und Sprachenkunde von Deutsch-Neuguinea.
6
7
1913
1913
Hans
Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostaf-
Meyer
rikas 1911.
Georg
Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungs-
Friederici
reise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, III. Untersuchungen über eine melanesische Wanderstraße.
8
1913
Fritz
Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hoch-
Jaeger
länder Deutsch-Ostafrikas: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflußlose Gebiet des nördlichen DeutschOstafrika 1906/07, Teil 2. Länderkundliche Beschreibung.
9a
1914
Diverse
Im Grenzgebiet Kameruns im Süden und Osten. Hauptsäch-
Autoren
lich auf Grund der Grenzexpeditionen. Landeskundlicher Teil.
9b
1920
Heinrich
Kabeltelegraphische Längenübertragung zwischen Duala
Rauschel-
(Kamerun) und Lome (Togo).
bach
D IE » ACADEMIC COMMUNITY«
10
1914
Gisela Frey
DER
K OLONIALGEOGRAPHEN
| 73
Der Njassasee und das deutsc Die »academic community« der Kolonialgeographen | 73 he Njassaland. Versuch einer Landeskunde.
11
1914
Leonhard
Forschungen im Innern der Insel Neuguinea (Bericht des
Schultze
Führers über die wissenschaftlichen Ergebnisse der deutschen Grenzexpedition in das westliche Kaiser-Wilhelmsland 1910).
12
1917
Walter
Der Sepik (Kaiserin-Augusta-Fluss) und sein Stromgebiet:
Behrmann
Geographischer Bericht der Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition 1912-13 auf der Insel Neuguinea.
13
14
1917
1920
Kurt
Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-
Hassert
Kameruns, Erster Teil. Physische Geographie.
F. Jaeger/
Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Erster Teil.
L. Waibel
Übersichten. Reisebericht, Oberflächengestalt, Gewässer, Landwirtschaft.
15
16
1921
1930
F. Jaeger/
Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, II. Land-
L. Waibel
schaften des nördlichen Südwestafrika.
Heinrich
Inhaltsverzeichnis zu den Mitteilungen a. d. Dt. Schutzge-
Böhler
bieten.
Die Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten überlebten sowohl den Zusammenbruch des deutschen Kolonialreichs als auch die landeskundliche Kommission. Auf der letzten Sitzung der landeskundlichen Kommission lobte Meyer die Publikationen der Kommission als ein »Ruhmesblatt nicht nur in der Kolonialgeschichte, sondern in der wissenschaftlichen Literatur überhaupt«. Kalkmann erkannte in den Arbeiten und Veröffentlichungen der Kommission sogar »Marksteine der deutschen Kultur«.84 1920 erschienen die Mitteilungen wenige Monate vor Marquardsens Tod mit Band 32 zum vorläufig letzten Mal, um dann nach fünfjähriger Pause noch einmal unter der Herausgeberschaft von Hans Meyer, Albrecht Penck und Paul Staudinger zu erscheinen. Eines der wichtigsten Ziele war es nun, die anhaltende Debatte um den Rückerwerb der Kolonien weiter anzuheizen, wie aus dem Vorwort von Meyer zu Band 33 von 1925 hervorgeht.85
84 Vgl. Protokolle der 42. Sitzung der landeskundlichen Kommission, in: IfLA, K. 176/17. 85 Hans Meyer: »Vorwort«, in: Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten 33 (1925), ohne Seitenangaben.
74 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
»Die deutsche Kolonialwissenschaft hat in ihrer Vielseitigkeit und Gründlichkeit vor dem Weltkrieg die bewundernde Anerkennung auch unserer Feinde gefunden. Sie hat der praktischen Kolonialpolitik die Wege gewiesen und das Wirkungsfeld bereitet. Solange uns mit unseren Kolonien die Möglichkeit praktischer Kolonialtätigkeit geraubt ist, ist es von größter Wichtigkeit, diese ideelle Grundlage zu erhalten, das koloniale Wissen weiter zu sammeln und das geistige Fundament aller Kolonisation von neuem zu festigen. Die deutsche Kolonialwissenschaft soll zeigen, daß sie sich aus ihrer mit Zähigkeit geschaffenen, die Welt überblickende Stellung nicht verdrängen lässt, der bald auch wieder die koloniale Praxis folgen muss. Deutschland bleibt Kolonialnation, auch wenn ihm jetzt seine Kolonien entrissen sind. In diesem Sinne und mit diesem Ziel mögen die ›Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten‹ nun wieder in die Welt gehen.« Meyer hegte die Hoffnung, dass die Kolonien sich mittelfristig zurückerlangen ließen, und wollte daher die landeskundliche Kolonialforschung am Leben erhalten. Emphatisch signierte er den Band mit den Worten: »Die Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete. Hans Meyer, Vorsitzender«. Noch einmal durfte die landeskundliche Kommission als zahnloser Papiertiger auferstehen, obgleich sie weder Aufgabe noch finanzielle Mittel besaß.86 Nicht zuletzt war dieser Wiederbelebungsversuch der landeskundlichen Kolonialforschung auf die Eigeninitiative der Herausgeber und auf Hans Meyer zurückzuführen. Insgesamt erschienen drei weitere Bände. Der 33. Band wurde von Fritz Jaeger eigens in der Geographischen Zeitschrift beworben.87 Aber es erwies sich wohl als schwierig, ausreichend länderkundliches Material für die Mitteilungen zu beschaffen. Der 35. Band brachte schließlich nur einen weiteren Forschungsbericht von der NeuguineaExpedition des Geographen Walter Behrmann.88 Die Herausgeber waren jedoch klug genug, um zu wissen, dass gerade die vorgespiegelte Normalität kolonialwissenschaftlicher Forschung eine geschickte Strategie darstellte, um die Kolonialdiskussion in Gang zu halten. Allerdings zeichnete sich in den letzten Bänden der
86 Es sind keine weiteren Aktivitäten der landeskundlichen Kommission bekannt. Das letzte Protokoll betrifft die 42. Sitzung vom 12.7.1919, siehe: IfLA, K. 180/176. Das Reichskolonialamt wurde 1919 in das Reichskolonialministerium umgewandelt, das im folgenden Jahr in das Ministerium für Wiederaufbau aufging und in erster Linie mit der Abwicklung der Kolonialangelegenheit betraut war. Dazu: Deutsches Kolonialblatt, 31 (1920), S. 42. 87 Fritz Jaeger: »Ein neuer Jahrgang der ›Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten‹«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1926, S. 277f. 88 Walter Behrmann: »Das Zentralgebirge Neuguineas im westlichen Kaiser Wilhelmsland«, in: Mitteilungen aus dem Deutschen Schutzgebiete 35 (1927), S. 1-43.
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Niedergang der landeskundlichen Kolonialforschung ab. Nachrufe zum Gedenken an die verstorbenen Kollegen häuften sich, bis schließlich nach dem Tod von Hans Meyer als treibende Kraft der landeskundlichen Kommission mit dem 36. Band die Mitteilungen 1929 ihr Erscheinen einstellten.89
D IE KOLONIALKARTOGRAPHISCHE DES R EIMER -V ERLAGS
ABTEILUNG
In der Berliner Wilhelmstraße, unweit des Reichskolonialamtes entstanden die offiziellen Karten von den deutschen Kolonien. Max Moisel und Paul Sprigade leiteten eine kartographische Abteilung des Dietrich-Reimer-Verlags, die sich im Verlauf der deutschen Kolonialherrschaft vorwiegend auf Kolonialkartographie spezialisierte und eine wachsende Anzahl von Kartographen beschäftigte. In mühevoller Arbeit konstruierten die Kartographen aus topographischen Aufzeichnungen die amtlichen Kolonialkarten sowie ein riesiges Sortiment von Spezial-, Übersichtskarten und Atlanten. Für die Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten produzierten sie Routenkarten der Forschungsreisenden, großmaßstäbige Spezialkarten kleiner Gebiete, aber auch thematische Karten zu Geologie, Klima, Vegetation, Rassen und Sprachen, sogar Wegekarten für das Militär. Den Schwerpunkt der Kartenproduktion bildeten Kamerun, Togo und Ostafrika, doch auch für andere Kolonien erschienen Kartenwerke. Aushängeschild der kartographischen Abteilung war der Große deutsche Kolonialatlas, der 1901 erstmals erschien und bis 1915 regelmäßig aktualisiert wurde.90 An den Karten der Expeditionsrouten von Forschungsreisenden hatte zunächst Alexander von Danckelman in seiner Funktion als Redakteur der Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den Deutschen Schutzgebieten gearbeitet. Die Kartenproduktion erfolgte im Reimer-Verlag, Unterstützung erhielt er von Richard Kiepert und die Auswertung von geodätischen Messungen übernahm oftmals der Göttinger Astronom Leopold Ambronn. Obwohl weitere Kartographen hinzugezogen wurden, waren die Strukturen für die Bearbeitung der rasch zunehmenden Menge an topographischen Aufnahmen und Kartenskizzen unzureichend.
89 Offiziell ging die Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten in der Kolonialen Rundschau auf. Allerdings führte die von Ernst Vohsen herausgegebene Zeitschrift nur für ein Jahr einen erweiterten Titel, ohne dass sich redaktionelle Veränderungen bemerkbar machten: Vgl. Koloniale Rundschau 1929. 90 I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 65-107; Erich Obst: »Die deutsche Kolonialkartographie«, in: Hans Praesent (Hg.): Beiträge zur deutschen Kartographie, Leipzig 1921, S. 98-118.
76 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
Nach intensiven Gesprächen mit Ernst Vohsen verfasste Danckelman 1897 einen Bericht über den Zustand der Kolonialkartographie, in dem er »das Missverhältnis zwischen Arbeitsmaterial und Arbeitskräften im Zeicheninstitut der Firma D. Reimer« anprangerte. »Was hier durch 3-4 Personen geleistet wird«, meinte von Danckelman, sei »in andern Staaten mit Kolonialbesitz die Aufgabe großer Bureaus« innerhalb der Kriegsministerien.91 Der Referent im Auswärtigen Amt deutete zudem an, dass der Verlag bereit sei, die Kolonialkartographie zu übernehmen und dafür Mitarbeiter zur Verfügung zu halten, wenn die Kolonialabteilung im Gegenzug regelmäßige Aufträge und eine permanente Zusammenarbeit garantiere. Zur Reorganisation der Kolonialkartographie kam es schließlich als Richard Kiepert sich 1899 nach dem Tod seines Vaters, des bekannten Geographen Heinrich Kiepert, aus der Leitung des kartographischen Bureaus im Reimer-Verlag zurückzog. Moisel und Sprigade übernahmen im gleichen Jahr paritätisch die Führung, nachdem sie bereits mehrere Jahre als Kartographen im Verlag beschäftigt waren. Was später als »Kolonialkartographisches Institut« bezeichnet werden sollte, fungierte weiter als privatwirtschaftliche Kartenabteilung, die sich auf die Bearbeitung staatlicher Aufträge aus der Kolonialbürokratie spezialisierte.92 Die Kolonialbürokratie hatte damit die amtliche Kartenproduktion privatisiert, fungierte aber weiterhin als Zulieferer des topographischen Materials und nach Fertigstellung der Karten wiederum als wichtigster Abnehmer. Darüber hinaus erhielten die Kolonialkartographen Routenaufnahmen und Kartenskizzen von Missionaren, Forschungsreisenden, Plantagenunternehmen und Privatleuten. Die Aufnahmen gingen häufig zunächst an die Kolonialabteilung, später an das Reichskolonialamt und wurden von dort an den Reimer-Verlag weitergeleitet. Dort quollen die Schränke bald über, die Konkurrenz war durch das Monopol auf die Routenaufnahmen ausgebootet.93 Für den gesamten Prozess der Kartenkonstruktion waren Sprigade und Moisel verantwortlich. Die Zahl der beschäftigten Kartenzeichner nahm während der deutschen Kolonialzeit ständig zu und erreichte kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs um die dreißig Personen. Durch die Abnahmegarantien des Staates zu einem vorher festgelegten Preis, Nachbestellungen von den Generalgouvernements und
91 Danckelman zitiert nach R. Hafeneder: Deutsche Kolonialkartographie, S. 181. 92 Es handelte sich auch hier um einen selten gebrauchten Begriff, der sich v.a. in der Sekundärliteratur durchsetzte. Sprigade und Moisel bedienten sich des Begriffs etwa in ihrem Aufsatz in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin aus dem Jahre 1914, vgl. Paul Sprigade/Max Moisel: »Die Aufnahmemethoden in den deutschen Schutzgebieten und die deutsche Kolonial-Kartographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914 S. 527-545, hier S. 537 93 Imre Demhardt: »Das Kolonialkartographische Institut (1899-1920)«, in: Mitteilungen: Freundeskreis für Cartogaphica 16/17 (2002/2003), S. 3-15.
D IE » ACADEMIC COMMUNITY«
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K OLONIALGEOGRAPHEN
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dem marktförmigen Vertrieb war die Produktion von Kolonialkarten ein lukratives Geschäft. Die Aktivitäten von Moisel und Sprigade beschränkten sich jedoch nicht auf Kartenkonstruktion und Leitung eines großen Mitarbeiterstabes. Beide gaben am Seminar für Orientalische Sprachen regelmäßig Kurse in topographischen Aufnahmemethoden, bildeten also einen Teil ihrer zukünftigen Zulieferer von Routenaufnahmen selbst aus.94 Zudem waren sie publizistisch aktiv, verfassten regelmäßig Aufsätze in den Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, in der Deutschen Kolonialzeitung und in der Kolonialen Rundschau.95 Das Kolonialinstitut geriet immer wieder in die Kritik. Einigen dauerte die Kartenkonstruktion für manche Regionen zu lange, andere bemängelten, dass sich Aktualisierungen nach Eingang von neuem topographischen Material lange herauszögerten; Albrecht Penck kritisierten den zu kleinen Kartenmaßstab.96 Viele Geographen und Kartographen wiesen jedoch darauf hin, dass das bestehende Verfahren der Routenaufnahmen wirtschaftlicher und zügiger sei als die Trigonometrie.97 Für eine schnellere Umsetzung von Aktualisierung wären deutlich mehr Mitarbeiter nötigt gewesen. Bei einem Maßstab von 1:100.000 waren die Grenzen des Routenaufnahmeverfahrens erreicht, da die Messungen für großmaßstäbige Abbildungen zu ungenau wurden.98 Stattdessen hätte man auf das viel aufwendigere Messtischverfahren und trigonometrische Verfahren umstellen müssen, wie es hin und wieder Kolonialgeographen oder Grenzvermessungsexpeditionen praktizierten. 94 Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden des Seminars für Orientalische Sprachen an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1895-1920; I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 92. Darüber hinaus bearbeiteten Sprigade und Moisel gelegentlich Karten anderer Regionen. 95 Paul Sprigade/Max Moisel: »Die Fortschritte der deutschen Kolonialkartographie in den Jahren 1905 bis 1910«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. XXXI-XLIV. 96 Zur Kritik am Kolonialkartographischen Institut: Albrecht Penck in der Diskussion in Anschluss an einen Vortrag von Max Eckert auf dem Deutschen Kolonialkongress von 1910, vgl. Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 52. Zur nochmals intern geäußerten Kritik in der Sitzung der Landeskundlichen Kommission, siehe: Protokoll der 31. Sitzung der Landeskundlichen Kommission vom 16.01.1911, IfLA, K. 176/17. 97 Zu topographischen Aufnahmeverfahren, siehe Kapitel 5. 98 Siehe auch die Entgegnung von Danckelman: Sitzungsprotokoll vom 16.01.1911, in: IfLA, K. 176/17. Ebenso: Denkschrift über die Verwendung des Afrikafonds: Jahresbericht über die Entwicklung der Schutzgebiete in Afrika und der Südsee, 1906/07, S. 71. Zur Einschätzung der Vor- und Nachteile von Ausnahmeverfahren in den Kolonien, vgl. I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 89f.
78 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
Dafür waren jedoch weder die Fähigkeiten noch zeitlichen Kapazitäten bei Kolonialoffizieren und Bezirksamtmännern vorhanden. Zwar hatten die Generalgouvernements eine geringe Zahl von Landvermesser auf Honorarbasis eingestellt, deren Aufnahmen sich in Karten mit einem Maßstab von 1:25.000 bis 1:100.000 auskonstruieren ließen, doch hätte eine flächendeckende Aufnahme mit trigonometrischen Verfahren Jahrzehnte in Anspruch genommen und wäre für stark bewaldete Regionen kaum durchführbar gewesen. Nur das Militär hätte ein derartiges Unternehmen leisten können, und in der Tat gab es kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Überlegungen, das Kolonialkartographische Institut in die preußische Landesaufnahme einzugliedern und es damit dem Großen Generalstab zu unterstellen.99 Die beiden Leiter des Instituts galten als unbestrittene Experten auf dem Gebiet der deutschen Kolonialkartographie und wurden schon wenige Jahre nach ihrem Tod geradezu verehrt. Nach Ende der deutschen Kolonialherrschaft reklamierten viele Kolonialwissenschaftler immer wieder, dass kein anderer Staat seine Kolonien so »gleichmäßig und vortrefflich kartographiert« habe wie das Deutsche Reich.100 Diese Wertschätzung der kartographischen Leistungen war nicht gänzlich unberechtigt, doch ist der auf interne Wissenschaftsprozesse gerichtete Blick für die politische Dimension der Kartierung blind. Denn einerseits wurde das topographische Material unter den Bedingungen kolonialer Gewaltverhältnisse gewonnen, andererseits diente die Kartierung der Kolonien zur Legitimation deutscher Herrschaftsansprüche gegenüber der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Und nicht zu vergessen ist natürlich der praktische Nutzen, den die Karten offerierten. Auch nach Ende der deutschen Kolonialherrschaft erinnerte man sich in kolonialrevisionistischen Debatten immer wieder gerne an die »Leistungen« der Kolonialkartographie, um den Vorwurf zu entkräften, die Deutschen seien schlechte Kolonisatoren gewesen.101 Das Kolonialkartographische Institut überdauerte das Ende des deutschen Kolonialreichs nicht lange. Im Augustheft musste Paul Sprigade den Tod seines Kollegen und Freundes Max Moisel bekannt geben. Quasi nebenbei verkündete er
99
I. Demhardt: »Das Kolonialkartographische Institut (1899-1920)«, S. 13.
100 Hans Meyer: »Max Moisel und Paul Sprigade«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 34 (1928/29), S. IX-XIV. Demhardt übernimmt diese Sichtweise in Anlehnung an Meyers Einschätzung, siehe: I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 87. 101 Grundlegend zur herrschaftslegitimierenden Funktion von Kartierungen: Matthew H. Edney: Mapping an Empire. Siehe in Bezug auf den deutschen Kontext dazu die Bemerkungen von Max Eckert und Erich Obst: M. Eckert: »Die Deutsche Kolonialkartographie«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, S. 40-50, hier S. 40; E. Obst: »Die deutsche Kolonialkartographie«, v.a. S. 98, 118.
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dort das Ende des Kolonialkartographischen Instituts. »Der unglückliche Ausgang des großen Krieges und der völlige Verlust unserer Kolonien bereiteten naturgemäß auch der blühenden deutschen Kolonialkartographie ein jähes Ende. Das im Rahmen der Firma Reimer bestehende Zeicheninstitut des Reichs-Kolonialamts ist mit dem 1. April 1920 aufgelöst worden.«102 Sprigade war es ein schwacher Trost, dass der Wissenschaft erhalten bleib, was »in 25jähriger hingebender Arbeit geschaffen worden ist« und es verletzte seinen patriotischen Stolz, dass ihre Arbeit nun ausgerechnet den Siegermächten zugutekommen würde.103 1928 starb schließlich auch Sprigade. Für die Kartographen erwiesen sich die Organisationsformen der amtlichen Kolonialkartographie in Form der »private-public-partnership« im Nachhinein als problematisch. Als Verlagsangestellte erhielten sie keine staatliche Pension. Hans Meyer setzte sich daher als Vorsitzender der nur noch auf dem Papier vorhandenen landeskundlichen Kommission und als Präsident des Geographentages dafür ein, dass Sprigade bis zu seinem Tod als »kärgliche Unterstützung« einen »Ehrensold« aus dem Dispositionsfonds des Reichspräsidenten erhielt.104 Zwischen 1919 und 1924 verstarben Marquardsen, Danckelman, Schweinfurth und Schmeisser, 1929 schließlich Hans Meyer. Damit war das Führungspersonal der drei landeskundlichen Wissenschaftseinrichtungen verschwunden, das solange die außeruniversitäre Erforschung der deutschen Kolonien geprägt hatte.
D IE U NIVERSITÄT ALS O RT KOLONIALER F ORSCHUNG UND L EHRE Obwohl die Erforschung der deutschen Kolonien vornehmlich durch außeruniversitäre Institutionen vorangebracht wurde, sollte nicht vergessen werden, dass die Kontinuität in der Kolonialgeographie erst durch den universitären Wissenschaftsbetrieb möglich wurde. Eine professionalisierte Kolonialforschung wäre ohne Universitäten kaum möglich gewesen, schließlich boten sie den Geographen die materiellen Voraussetzungen für ihre Forschungen. Die Geographieprofessoren standen Gebäude, Bibliotheken, Kartensammlungen, technische Hilfskräfte und Personal zur Verfügung sowie gut ausgebildete Assistenten, die sie auf Expeditionen begleiteten und in der Lehre unterstützten. Vor allem aber bescherte das universitäre Arbeitsverhältnis ihnen eine dauerhafte Bezahlung, so dass sie sich für Jahre
102 Paul Sprigade: »Max Moisel: Ein Gendenkwort«, in: Koloniale Rundschau 1920, S. 145-148, hier S. 145. 103 Ebd. 104 Hans Meyer: »Max Moisel und Paul Sprigade: Ein Nachruf«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 36 (1928/29), S. IX-XIV, hier S. XIV.
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und Jahrzehnte der Niederschrift der geographischen Literatur über die deutschen Kolonien widmen konnten. Für junge Nachwuchsgeographen waren um die Jahrhundertwende indessen die Aussichten auf eine wissenschaftliche Karriere alles andere als rosig. Zwar waren in den letzten Jahren und Jahrzehnten an vielen Universitäten Lehrstühle für Geographie eingerichtet worden, die nun aber mit Geographen mittleren Alters besetzt waren, so dass dem geographischen Nachwuchs nach der Habilitation eine lange Zeit prekärer Beschäftigung als Privatdozenten drohte. Auch wenn sich ihre finanzielle Situation mit der Zeit etwas verbesserte, so erzielten sie nur ein geringes Einkommen und blieben den Launen des Lehrstuhlinhabers unterworfen.105 Aus Mangel an Alternativen wählten viele Geographen den Schuldienst, obgleich sie eine wissenschaftliche Karriere anstrebten. Nicht wenige der Kolonialgeographen legten vor oder nach der Promotion das Oberlehrerexamen ab und begannen nach dem Studium ein Referendariat, so mancher arbeitete einige Jahre an einem Realgymnasium, bevor er wieder an die Universität zurückkehrte.106 Die Teilnahme an einer Kolonialexpedition war für jüngere Nachwuchsgeographen daher eine Chance auf einen Karrieresprung. Fritz Jaeger wurde aufgrund seiner Forschungen am Kilimandscharo habilitiert, Franz Thorbecke mit einer Studie über das Manengouba-Hochland promoviert, Leo Waibels Erfahrungen auf der Kamerunexpedition flossen in seine Dissertation wie in seine Habilitationsschrift ein und auch Fritz Klute wurde mit seiner Monografie über den Kilimandscharo habilitiert.107 Für zahlreiche Geographen wurde die Expedition in die Kolonien zu 105 Für einen vorzüglichen Einblick in die ungünstigen Karrierebedingungen für junge Geographen vor der Jahrhundertwende, siehe: William A. Koelsch: »Franz Boas, Geographer, and the Problem of Disciplinary Identity«, in: Journal of History of the Behavioral Sciences 40/1 (2004), S. 1-22. Zu den ökonomischen Bedingungen von Privatdozenten: Fritz K. Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1930, Stuttgart 1983, S. 43f.; Hugo Dingler: »Das Privatdozententum«, in: Michael Doeberl (Hg.): Das Akademische Deutschland, Berlin 1930, S. 205-218. 106 So etwa Uhlig, Sapper, Jaeger, Thorbecke, Wegener, Klute, Behrmann und Dietzel. Siehe dazu auch die Literaturangaben in den Kurzbiographen. 107 Fritz Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 113-146, 161-197, Franz Thorbecke: Das Manenguba-Hochland, ein Beitrag zur Landeskunde Kameruns, Berlin 1912 [Inauguraldissertation, abgedruckt in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 279310]; L. Waibel: Lebensformen und Lebensweise der Waldtiere im tropischen Afrika; Ders.: Winterregen in Deutsch-Südwest-Afrika (Abhandlungen aus dem Gebiet der Auslandskunde, 9 – Reihe B. Völkerkunde, Kulturgeschichte und Sprachen, 4), Hamburg 1922 [Habilitationsschrift]; Fritz Klute: Ergebnisse der Forschungen am Kilimand-
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einem entscheidenden Wendepunkt in ihrer Karriere. Franz Thorbecke schrieb später emphatisch, dass die deutschen Kolonien das Ausbildungsfeld des akademischen Nachwuchses wurde; eine Sichtweise, die nicht zuletzt auf seine Person par excellance zutraf.108 Kritischer war der Rückblick Alfred Hettners, der die Konzentration auf die Kolonien als vorrangiges Reisegebiet für jüngere Geographen als weniger vorteilhaft empfand, da es zu einer gewissen Vernachlässigung anderer Weltregionen geführt habe.109 Doch zeigte sich zu diesem Zeitpunkt schon eine Resignation Hettners, die sich in den nächsten Jahren noch vertiefte, denn schließlich hatten nicht wenige seiner Schüler von den kolonialen Forschungsmöglichkeiten profitiert und der Heidelberger Geograph hatte ihnen durch Gutachten und Fürsprache selbst den Weg in die Kolonien geebnet. An den meisten Universitäten im Kaiserreich war lediglich eine Geographieprofessur eingerichtet worden, so dass Geographen zu allen Teilgebieten der Geographie Vorlesungen und Seminare anbieten mussten. Zunächst handelt es sich oftmals um ein Extraordinariat, das mit der Zeit in eine volle Professur überführt wurde, manchmal kam mit der Zeit ein zweites Extraordinariat hinzu. Vorlesungen zu den Kolonien des Deutschen Reiches und der anderen europäischen Nationen wurden an vielen Universitäten gelesen, nicht nur an jenen, an denen Geographen beschäftigt waren, die selbst zu einer Expedition in die Kolonien aufgebrochen waren.110 Dass die Kolonien zu einem herausragenden Forschungsfeld wurden, lag einerseits an den nationalen Einstellungen unter den Professoren, anderseits stieß dieses Angebot in der konservativen Studentenschaft auf Gefallen. Für die mäßig scharo, 1912, Berlin 1920. Zur Bedeutung der Kolonialexpedition für die wissenschaftliche Reputation, vgl. etwa auch die Ankündigung zur Berufung Jaegers: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 132. 108 Franz Thorbecke: »Deutsche Kolonien und Deutsche Geographie«, in: GZ 40 (1934), S. 181-190, hier S. 189. Mit fast identischem Wortlaut: Ders.: »Die Deutsche Geographie als Wegbereiterin deutscher Kolonisation«, in: Dietzel/Schmieder/Schmitthenner, Lebensraumfragen europäischer Völker, Band 2, S. 37. 109 Alfred Hettner: »Methodische Streit- und Zeitfragen«, in: GZ 29 (1923), S. 37-59, hier S. 47. 110 Im Wintersemester 1907/1908 las Alfred Hettner in Heidelberg einstündig zu den »Kolonialreichen der Gegenwart«, Prof. Friedrich aus Leipzig eine einstündige Vorlesung zu den Deutschen Kolonien; Prof. Ule aus Rostock eine einstündige Vorlesung zu den deutschen Kolonien in der Südsee; Adolf Schenck in Halle vierstündig zur Länderkunde Afrikas und einstündig zur Geschichte der Erforschung und Kolonisation Afrikas. Die Kolonien wurden jedoch auch in Vorlesungen zur vergleichenden Geographie der Kontinente, zur Verkehrs- und Handelsgeographie oder zur Völkerkunde behandelt; siehe: GZ 13 (1907), S. 524.
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bezahlten Extraordinarien lohnten sich Vorlesungen zu den Kolonien auch finanziell, denn schließlich mussten die Studenten Hörergelder bezahlen, so dass es im Interesse des Professors lag, möglichst viele Studenten zu gewinnen. Alfred Hettners Kolonialvorlesungen in Tübingen waren ungefähr doppelt so gut besucht wie seine Vorlesungen zu anderen geographischen Regionen.111 Carl Uhlig beklagte dennoch, dass der koloniale Unterricht an deutschen Universitäten zu kurz komme. In einer Tabelle listete er die Geographievorlesungen zu den deutschen Kolonien zwischen Sommersemester 1898 und Wintersemester 1910/11 an 21 deutschen Universitäten auf und berechnete insgesamt 222 Unterrichtsstunden, 99 alleine für das Seminar für Orientalische Sprachen. Uhligs Untersuchung hatte aber mehrere Schwachpunkte: So berechnete er zwar Vorlesungen über Afrika, die im Titel den Zusatz »mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Kolonien« führten als halbe Stunde, aber viele Vorlesungen über Afrika und Ozeanien befassten sich mit den deutschen Kolonien, ohne dass dies im Vorlesungsverzeichnis eigens ausgewiesen wurde, wie er selbst einräumte. Ferner fehlten das Hamburger Kolonialinstitut und die Handelshochschulen in seiner Liste, obwohl dort einige der Kolonialgeographen lehrten. Mit dem Hinweis auf den Mangel an kolonialen Vorlesungen rechtfertige Uhlig einerseits seine eigene Berufung, anderseits handelte es sich um ein Plädoyer für die Intensivierung der kolonialen Lehre. In den Jahren nach der noch genauer zu betrachtenden Antrittsvorlesung sollte die Zahl der kolonialen Vorlesungen beachtlich zu nehmen, nicht zuletzt deshalb, weil er selbst und sein früherer Schützling Fritz Jaeger nun Vorlesungen zu den deutschen Kolonien hielten.112 Kolonialgeographische Expertise in Forschung und Lehre gab es an einer Reihe von Hochschulen im Deutschen Reich. In Berlin war die Geographieprofessur mit dem Institut für Meereskunde verkoppelt, das der imperialen Öffentlichkeitsarbeit diente. 1911 kam die von Hans Meyer gestiftete Professur für Kolonialgeographie hinzu, die nach der Entwertung des Stiftungsvermögens in der Weltwirtschaftskrise vom preußischen Kultusministerium getragen wurde und nach Jaegers Weggang von Carl Troll besetzt wurde. Leipzig verfügte ebenfalls über einen ausgewiesenen kolonialen Schwerpunkt. Den Anfang machten die Vorlesungen von Ferdinand von Richthofen, dann folgten Friedrich Ratzel und Kurt Hassert, der als junger Privatdozent sieben Semester lang zu den deutschen Kolonien las. Sein erstes Semester als Dozent begann er mit Vorlesungen zu Deutsch-Ostafrika, dann folgten Vorlesungen zu Westafrika, Südsee, Wirtschaftsgeographie der Schutzgebiete, Kolonial-
111 Beachte die hohe Zahl von Theologen in den Hettners Kolonialvorlesungen in Tübingen: K.-H. Schröder: Geographie an der Universität Tübingen, S. 41f. 112 C. Uhlig: »Entwicklung der Geographie der deutschen Kolonien«, S. 370f.
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politik, dann startete der Turnus von Neuem.113 1914 stiftete Hans Meyer eine Professur für Kolonialgeographie, auf die er im folgenden Jahr selbst berufen wurde.114 Aus der Professur wurde über die Jahre ein Seminar für Kolonialgeographie und Kolonialpolitik. 1922 trat Heinrich Schmitthenner die Nachfolge Meyers an, im gleichen Jahr wie Wilhelm Volz, der Joseph Partsch auf den zweiten Leipziger Lehrstuhl nachfolgte und ebenfalls über Expeditionserfahrung als Kolonialgeograph verfügte, allerdings in niederländischen Diensten. 1935 folgte schließlich KarlHeinz Dietzel auf die Professur für Kolonialgeographie, die inzwischen zu einem eigenen Institut für Kolonialgeographie ausgebaut worden war. In Tübingen wurden seit der Einrichtung des Extraordinariats Vorlesungen zu Kolonien gehalten. Trotz der Lage in der schwäbischen Provinz entwickelte Tübingen einen ausgesprochenen kolonialen Schwerpunkt. 1899 wurde Kurt Hassert als Hettners Nachfolger berufen, der mit seiner Antrittsvorlesung »Entdeckung, Erschließung und politische Aufteilung Afrikas« seine Erkenntnisinteressen bereits unmissverständlich zum Ausdruck brachte. In seinen fünf Tübinger Semestern hielt Hassert drei Vorlesungen über die deutschen Kolonien, beschäftigte sich aber auch in seinen Vorlesungen zur politischen Geographie oder zum Weltverkehr und Welthandel mit kolonialen Themen. Karl Sapper, Carl Uhlig und später Hermann Wissmann, Sohn des berühmt-berüchtigten Kolonialpioniers, führten die koloniale Tradition fort. Sapper las zu den deutschen Kolonien in Afrika und im Stillen Ozean, Uhlig gab mindestens sechs Vorlesungen zur Kolonialgeographie, dazu zwischen 1924 und 1938 acht zum Auslandsdeutschtum, in denen sentimentale Rückblicke auf die ehemaligen deutschen Kolonien nicht fehlten.115 An der Handelsschule in Köln begann Kurt Hassert ebenfalls unmittelbar nach seiner Berufung mit kolonialen Vorlesungen. Ab 1917 wurden dort koloniale Akzente von seinem ehemaligen Expeditionsassistenten Franz Thorbecke gesetzt, während Hassert an der Technischen Universität in Dresden eine neue Wirkungsstätte fand. Vorlesungen und praktische Übungen zur Kolonialgeographie erfolgten darüber hinaus am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin, das formell zur Berliner Universität gehörte.116 Landeskundliche Spezialisten boten neben dem Sprachunterricht geographische und topographische Kurse an, die Absolventen auf den Aufenthalt in Übersee vorbereiteten sollten. Karl Dove unterrichtete am Seminar zwischen 1897 und 1898 zwei Semester lang Vorlesungen für koloniale Landeskunde, Carl
113 E. Grunicke: »Kurt Hasserts Verdienste um die deutschen Kolonien«, S. 2. 114 Vgl. H. Schmitthenner: »Hans Meyer†«, S. 141. 115 K.-H.Schröder: Geographie an der Universität Tübingen, S. 41-47. 116 Lothar Burchardt: »The School of Oriental Languages at the University of Berlin: Forging the Cadres of German Imperialism?«, in: Stuchtey, Science across the European Empires, S. 63-106.
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Uhlig zwischen 1907 und 1910 koloniale Landeskunde von Ostafrika.117 Eine ähnliche Institution wurde 1906 in Hamburg geschaffen und für den geographischen Unterricht Siegfried Passarge, Ordinarius aus Breslau, angeworben. Das Hamburger Kolonialinstitut, Vorläufer der heutigen Universität, bereitete Kolonialbeamte, Kaufleute und Pflanzer auf den Aufenthalt in den Kolonien vor, so dass Passarge es meist mit geographisch wenig vorgebildeten Schülern zu tun hatte, daher viel geographisches Basiswissen vermitteln musste, im Gegenzug sich von seinen Schülern aber den Rückfluss von geographischen Informationen aus den Kolonien erhoffte.118 Kolonialgeographen waren also dauerhaft in Berlin, Leipzig, Hamburg, Tübingen und Köln als Professoren tätig. Aber schon Uhligs Liste zeigte, dass ein reichhaltiges Vorlesungsangebot zur Geographie der deutschen Kolonien auch in Breslau, Göttingen, Kiel, Halle und Rostock bestand, wo Geographen lehrten, die selbst nie in eine deutsche Kolonie gereist waren.119 Mit der Zeit nahm die Zahl der Geographieprofessoren zu, die über einen kolonialen Erfahrungshorizont verfügten. Franz Thorbecke wusste 1926 zu berichten, dass »heute 14 deutsche Professoren der Geographie an den Universitäten und Hochschulen von Berlin, Dresden, Frankfurt, Gießen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Kiel, Leipzig, Marburg, Tübingen, Würzburg ihre wissenschaftliche Laufbahn begannen durch Mitarbeit an der Erforschung der heutigen Kolonien«.120 In den 1930er Jahren setzte sich diese Tendenz fort. Es wurden neue Lehraufträge und außerplanmäßige Professuren für Kolonialgeographie vergeben und abermals brachen einige Geographen zu Expeditionen in die ehemaligen deutschen Kolonialgebiete auf, diesmal aber unter völlig veränderten Bedingungen.121 Obwohl also viele Geographen über die Kolonie schrieben und sie in Vorlesungen behandelten, stammten die wichtigsten geographischen Kolonialstudien von
117 Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden des Seminars für Orientalische Sprachen an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1895-1920. 118 S. Passarge: Das Geographische Seminar des Kolonialinstituts und der Hansischen Universität 1908-1935. 119 Ebd. 120 F. Thorbecke: »Die deutschen Kolonien als Arbeitsfeld des Akademikers«, S. 7. 121 Es handelte sich hierbei um Carl Troll: Nord- und Ostafrika, Erich Obst (Südafrika) und Karl H. Dietzel (Kamerun), vgl. Carl Troll: »Bericht über eine Forschungsreise durch das östliche Afrika«, in: Koloniale Rundschau 26 (1935), S. 273-306, Erich Obst: »Geomorphologische Forschungsreise von Professor Dr. E. Obst und Dr. K. Kayser in Südafrika«, in: Zeitschr. f. Erdkunde 4 (1936), S. 167f., 461-465. Zu Dietzel: Koloniale Rundschau 28 (1937), S. 296.
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den in Kurzbiographien beschriebenen Kolonialgeographen. Durch ihre Zusammenarbeit mit den drei landeskundlichen Wissenschaftsorganisationen begann sich die Kolonialgeographie zu professionalisieren und durch diese Kooperationen entstand überhaupt erst eine kritische Masse an geographischen Schriften, so dass das Forschungsfeld als eigenständige Fachrichtung wahrgenommen werden konnte. Dennoch war diese »academic community« nie eine abgeschlossene Gruppe, sondern lebte von dauerhaften Kooperationen und Kommunikationszusammenhängen mit Institutionen und Wissenschaftlern aus anderen Fachrichtungen. Gerade für die Analyse der topographischen Aufzeichnungen und Sammlungen verließen sich die Geographen auf Experten aus der eigenen oder aus fremden Universitäten sowie auf weitere außeruniversitäre Institutionen.
3. Disziplinäres Selbstverständnis und Kolonialideologie
»Wie es Spezialisten für Asien oder für Nord-Amerika oder für die Polarländer gibt, so auch für die Kolonien. Indes ist es nicht nur ein technischer Gesichtspunkt der Arbeitsteilung, der die koloniale Geographie als Sondergebiet abtrennt, sondern auch ein sachlicher. Kolonien sind Länder, in denen ein landfremdes Volk Niederlassungen gründet, von denen aus es mit dem Land und seinen Bewohnern in Beziehungen tritt. Das ist eine geographische Besonderheit, die die Kolonien von anderen Ländern unterscheidet, eine Eigenschaft, die geographische Ursachen und weitreichende geographische Wirkungen hat. Sie verleiht den Kolonialländern eine besondere Mannigfaltigkeit der menschlichen Kultur, und die Länderkunde der Kolonien wird dadurch ein besonders interessanter Zweig der geographischen Länderkunde.« Koloniale Herrschaft veränderte sowohl den Raum als auch die Disziplin, die ihn erforschte, wie Fritz Jaeger mit klaren Worten aufzeigte.1 Unter kolonialen Herrschaftsverhältnissen passte sich die Geographie an die Anforderungen an, die sich der Disziplin in den kolonialen Räumen stellten. Entscheidende Faktoren waren nach Jaeger die Machtasymmetrien zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten sowie die ungleichen ökonomischen Beziehungen zwischen Metropole und Kolonien. Denn die deutschen Kolonien waren den Geographen nicht nur ein beliebiger topographischer Raum, den es zu durchqueren, zu kartieren und nach den Regeln der geographischen Wissenschaft zu erforschen galt; die Kolonien waren für die Geographen zugleich ein politischer Raum, an dem sie mit Herzblut hingen – »ein Stück überseeisches Deutschland«, eine Erziehungsstätte für Kolonialisten, »Kraftquellen für die Heimat, Stützpunkte deutscher Macht«, manchen sogar eine zweite
1
Fritz Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 400-405, Zitat, S. 403.
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Heimat.2 Die deutschen Kolonien waren aufgeladen mit nationalem Prestige und der Sehnsucht nach »Weltgeltung«; nur Geographien von Deutschland brachten nationale Wertvorstellungen mit ähnlicher Intensität und Emotion zum Ausdruck.3 Für Kolonialgeographen waren politische Ideologien keine Nebensächlichkeit. Sie waren in nationalen Verbänden und Parteien aktiv, engagierten sich publizistisch und als öffentliche Redner für koloniale Angelegenheiten und ließen sich von ihren politischen Überzeugungen auch bei wissenschaftlichen Betätigungen leiten. Koloniale Wertvorstellungen prägten den Denkstil der Kolonialgeographie sowohl unterwegs in den Kolonien als auch während der Ausarbeitung von Vorträgen und Manuskripten in der heimischen Schreibstube.4 Das Selbstverständnis der Kolonialgeographie wird besonders deutlich in methodischen Schriften der Protagonisten dieser Fachrichtung – insbesondere in einigen Antrittsvorlesungen. Dennoch ist gegenüber diesem Genre Vorsicht geboten, versprechen Wissenschaften in ihrer methodologischen Literatur doch häufig mehr als Wissenschaftler in der Praxis einzulösen vermögen. Schließlich sind methodologische Schriften nicht nur Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten, sondern versuchen eine ganz bestimmte Version von einer Disziplin gegen interne Konkurrenten durchzusetzen und nach außen gegenüber anderen Wissenschaftsdisziplinen zu legitimieren. Das Selbstbild ist daher imprägniert von Projektionen, Wünschen und einem verklärten Blick auf die Zukunft und Vergangenheit der Disziplin, so
2
Vgl. auch: Carl Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«, in: GZ 17 (1911), S. 361-378, hier S. 365; K. Dove: Vom Kap zum Nil (1898), S. 318f.; W: Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 350; Hans Meyer, »Ostafrika«, in: Ders. (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete, Erster Band. Ostafrika und Kamerun, Leipzig 1909, S. 399, vgl. Hauptmann [Franz] a.D. Hutter et al.: Das überseeische Deutschland. Die deutschen Kolonien in Wort und Bild, 2 Bände, Stuttgart [1. Aufl. 1890 sowie 2. Aufl. 1911].
3
Vgl. u.a. Guntram Henrik Herb: Unter the Map of Germany. Nationalism and Propaganda, 1918-1945, London 1997. Ebenso: Hans-Dietrich Schultz: »Deutschlands natürliche Grenzen: ›Mittellage‹ und ›Mitteleuropa‹ in der Diskussion der Geographen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts«, in: GG 15 (1989), S. 248-281; Ders.: »Deutsches Land, deutsches Volk: Die Nation als geographisches Konstrukt«, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 72 (1998), S. 85-114.
4
Zur institutionellen und ideologischen Einbettung von Wissenschaften in Arenen von Politik und Ökonomie: Timothy Lenoir: Politik im Tempel der Wissenschaften, Frankfurt a.M. 1992; E. Said: Orientalism, S. 9-15. Speziell zur Geographie: Felix Driver: Geography Militant, v.a. S. 8-11.
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dass es angebracht ist, den Selbstbeschreibungen der Kolonialgeographen nicht vorschnell zu trauen.5
E RSTE K ONZEPTIONALISIERUNGEN Emil Deckert war wohl der erste deutsche Geograph, der den Begriff Kolonialgeographie zur Charakterisierung seines eigenen Werks gebrauchte.6 1884 wandte sich der Leipziger Geograph und Publizist mit Kolonialreiche und Kolonisationsobjekte der Gegenwart: Kolonialpolitische und Kolonialgeographische Skizzen an das kolonialinteressierte Publikum. Seine Monografie, ein Potpourri aus Propagandaschrift und Lessons Learnt griff die gängigen Argumente und Rechtfertigungen der Kolonialbewegung auf, zog aber zugleich Lehren aus den kolonialen Erfahrungen der anderen europäischen Kolonialmächte.7 Schon zwei Jahre zuvor hatte Deckert in der Beilage der Allgemeinen Zeitung dafür geworben, eine deutsche »Handelsund Pflanzungskolonie« einzurichten, Neuguinea als ein »deutsches Java« gepriesen, um nach Scheitern der Samoavorlage erneut eine staatliche Unterstützung von Landnahmen in Neuguinea einzufordern, was Hassert zufolge angeblich die Annexion des Südostens der Insel durch Großbritannien mitprovozierte.8 Deckert, der darüber hinaus intensiv zur Handels- und Verkehrsgeographie publizierte, gründete seine Schriften zunächst noch wie sein ehemaliger Lehrer Oskar Peschel auf Statistiken, Karten und Reiseberichte anderer Autoren. Erst später, als er seinen regionalen Schwerpunkt auf Nordamerika verlagerte, übernahm er Arbeitsweisen aus der neueren Geographie. Für die Kolonialgeographen waren seine Skizzen nicht mehr relevant, obgleich sie bei Erscheinen wohlwollend rezipiert worden waren. Keiner 5
Zur Epistemologie und ihrer Begriffsbestimmung: Hans-Jörg Rheinberger: Historische Epistemologie. Zur Einführung, Hamburg 2007, S. 11; Marie-Claire Robic: »Epistemologie de la géographie«, in: Antoine Bailly/Robert Ferras/Denise Pumain (Hg.): Encyclopédie de géographie, Paris 1992, S. 37-55.
6
Gudrun Heier: Rolle und Funktionen der deutschen bürgerlichen sozialökonomischen Geographie in der Zeit der Vorbereitung der kolonialen Expansion von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Eintritt Deutschlands in die Reihen der Kolonialmächte im Jahre 1884, Dresden 1970, v.a. S. 90-97.
7
Emil Deckert: Kolonialreiche und Kolonisationsobjekte der Gegenwart. Kolonialpoliti-
8
Zu Deckerts Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung: F.-J. Schulte-Althof: Studi-
sche und kolonialgeographische Skizzen, Leipzig 1884. en zur politischen Wissenschaftsgeschichte der deutschen Geographie im Zeitalter des Imperialismus, S. 110. Zu Reaktionen in Australien: Kurt Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 517.
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der Kolonialgeographen sollte sich später in seinen methodischen Schriften auf den inzwischen in Frankfurt berufenen Geographieprofessor beziehen.9 Die Kolonialgeographie verfügte zunächst über keine eigenen methodologischen Schriften. Die Auswertung ihrer Expeditionen erfolgte nach tradierten Verfahren, orientierte sich an Reiseberichten und älteren Länderkunden. Als ein unerreichbares Vorbild galten die Chinabände von Ferdinand von Richthofen, doch erschienen schon bald die ersten Monografien über deutsche Kolonien, an denen sich Nachwuchsgeographen orientieren konnten.10 Diese Bücher entsprachen nicht mehr dem Typus des klassischen Reiseberichts, wie er in der explorativen Afrikaforschung lange üblich war, sondern kombinierten chronologische Reiseberichtserstattung mit objektivierter Raumbeschreibung. Vielgelesen und häufig zitiert wurden Siegfried Passarges Adamauabuch, die Bücher von Oscar Baumann und Hans Meyers Bücher über den Kilimandscharo.11 Ferdinand von Richthofen lobte die systematisch geordnete wie objektive Darstellungsweise von Baumanns Usambara und seine Nachbargebiete, Georg Schweinfurth erkannte darin ein präzises Quellenwerk.12 Theoretische und methodologische Formalisierungen erfolgten relativ spät. Einen ersten Überblick über die theoretischen Grundlagen der Kolonialgeographie verfasste Hans Meyer, als er sich auf dem ersten Kolonialkongress in Berlin im Jahre 1902 an ein kolonialinteressiertes Laienpublikum wandte. Als Schlüsselkompetenzen der Geographie in den Kolonien benannte er die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung, eine sorgfältige Inventarisierung der kolonialen Ressourcen sowie Aufklärung über das komplexe Zusammenwirken von Natur und »eingeborener« 9
Vgl. Otto Maul: »Emil Deckert«, in: PGM 62 (1916), S. 461-463; Ders.: »Emil Deckert«, in GZ 23 (1917), S. 57-62. Zur Rezeption, siehe u.a. die Rezension von Alexander Supan in PGM 35 (1885), S. 34.
10 Vgl. Jürgen Osterhammel: »Forschungsreise und Kolonialprogramm: Ferdinand von Richthofen und die Erschließung Chinas im 19. Jahrhundert«, in: Archiv für Kulturgeschichte 69 (1987), S. 150-195; Ferdinand von Richthofen: China. Ergebnisse eigener Reisen, 5 Bände, Berlin 1877-1912, hier vor allem der erste Band. 11 Siegfried Passarge: Adamaua. Bericht über die Expedition des Deutschen KamerunKomitees in den Jahren 1893/94, Berlin 1895; Oscar Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle. Reisen und Forschungen der Massai-Expedition des deutschen AntisklavereiKomitees in den Jahren 1891-1893, Berlin 1894; Ders.: Usambara und seine Nachbargebiete; Ders.: In Deutsch-Ost-Afrika während des Aufstandes; Hans Meyer: Der KilimaNdscharo; Ders.: Ostafrikanische Gletscherfahrten. 12 Ferdinand von Richthofen: Brief an Oscar Baumann vom 25.09.1891; Georg Schweinfurth: Brief an Oscar Baumann vom 22.08.1891, beide zitiert nach B. Köfler-Tockner: »Denn die Tropenwelt ist eine Circe...«, S. 103.
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Lebenswelt. Vor allem suchte der Leipziger Geograph seine Hörer und Leser davon zu überzeugen, welchen herausragenden Beitrag die Geographie im »Dienst einer gesunden Entwicklung unserer Kolonien« für die koloniale Praxis leisten könne. Seine Ausführungen sind daher in erster Linie für das Verständnis geographischer Nützlichkeitsversprechen relevant und werden später noch genauer betrachtet.13 Da Meyer in den folgenden Jahren zum Nestor der Kolonialgeographie avancierte, beeinflusste er mit seinen konzeptionellen Vorstellungen viele Geographen, zumal er seine methodologische Positionen in den folgenden Jahren mehrmals wiederholte.14 Maßgeblich wurde die Denkschrift zur Gründung der landeskundlichen Kommission, in der Meyer seine Vorstellungen präzisierte. Was unter landeskundlicher Forschung im »Sinne der modernen Geographie« zu verstehen sei, umfasste Topographie, Geologie, Meteorologie, Gewässerkunde, Botanik, Zoologie, Völkerkunde, »soweit diese Disziplinen zu Erkenntnis der physischen Beschaffenheit eines Landes und seiner Bewohner beitragen und den großen ursächlichen Zusammenhang aller einzelnen Erscheinungen eines Landes verstehen lehren, der eben ein Land zu der organischen Einheit macht, welche wir in der Natur vor uns sehen«. Auszuschließen seien hingegen Spezialwissenschaften, »sofern sie ihre eignen Ziele und Methoden in sich haben«. Gemeint war damit die Erzeugung eines nicht ökonomisch nutzbaren Spezialwissens, wie zum Beispiel die paläontologische Analyse von Skelettfunden oder dergleichen.15 Es waren diese Worte Hans Meyers, die in der Kommission zur landeskundlichen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete zum Leitmotiv wurden und geschickt den Interessen der Kolonialgeographie dienten. 13 Hans Meyer: »Die geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 zu Berlin am 10. und 11. Oktober 1902, Berlin 1903, S. 72-83. 14 H. Meyer: Denkschrift zur Gründung der landeskundlichen Kommission des Kolonialrates über eine einheitliche landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete; Ders.: »Die landeskundliche Kommission des Reichskolonialamts«, in: Koloniale Rundschau 1910, S. 722-734. Siehe ebenso: »Übersicht über die Ergebnisse der Expeditionen der Landeskundlichen Kommission des Reichskolonialamtes«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 5-15. Fünf Jahre zuvor auf der Abschlussdiskussion von Sektion 1: Geographie, Natur- und Völkerkunde auf dem Deutschen Kolonialkongress von 1905, siehe: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongress 1905 zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, Berlin 1906, S. 25f. 15 H. Meyer: Denkschrift der Landeskundlichen Kommission des Kolonialrates über eine einheitliche Erforschung der Deutschen Schutzgebiete; H. Meyer: »Die Landeskundliche Kommission des Reichskolonialamts«, S. 722.
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1905 verfasste Karl Dove einen Aufsatz mit dem Titel »Grundzüge der Wirtschaftsgeographie Afrikas«, der in Optimismus ob der ökonomischen Möglichkeiten in »diesem Weltteil der Zukunft« schwelgte, vornehmlich jedoch die thematische Spannbreite skizzierte, die geographische Studie über Kolonien aufweisen müssten. Verkehr und Handel als die beiden wichtigsten Bereiche stellte der in Jena lehrende Extraordinarius in den Vordergrund und fächerte sie in viele Kategorien auf. Ähnlich wie Meyer galt Dove die physische Geographie als wichtige Voraussetzung für die Wirtschaftsgeographie, da er aus der Beobachtung »der unbelebten und belebten Natur«, sofern sie den Raum als ein »Gebiet des menschlichen Seins« tangierten, die Kriterien für die Bestimmung von Entwicklungshindernissen und wirtschaftlichen Potenziale ableiten wollte.16 Analytische und performative Aussagen waren eng miteinander verknüpft; Wachstum und Entwicklung galten Dove als wesentliche Aufgabe einer »verständigen Kolonialpolitik«, die ihre Erkenntnisse aus der geographischen Analyse schöpfen sollte. Diesen Ansatz arbeitete Dove in den nächsten Jahrzehnten in zahlreichen Aufsätzen und Monografien weiter aus. Während des Weltkriegs erschienen darüber hinaus zwei Monografien mit Afrikabezug. In den Afrikanische Wirtschaftsstudien beleuchtete er das Wirtschaftsleben für das gesamte außertropische Südafrika auf der Grundlage der Naturverhältnisse, in der Wirtschaftsgeographie von Afrika beschäftigte er sich mit den wirtschaftlichen Werten des gesamten Kontinents.17 Dove überführte die Kolonialgeographie in eine imperiale Wirtschaftsgeographie. So rückten sowohl Dove als auch Meyer unabhängig voneinander die koloniale Ökonomie in den Mittelpunkt der geographischen Kolonialforschung. In erster Linie waren es jedoch vier zwischen 1909 und 1915 gehaltene Antrittsvorlesungen, die eine kohärente Methodologie der Kolonialgeographie aufzeigten.
16 Karl Dove: »Grundzüge einer Wirtschaftsgeographie Afrikas«, in: GZ 11 (1905), S. 1-18, Zitat S. 1. 17 Karl Dove: Afrikanische Wirtschaftsstudien. Die natürlichen Grundlagen des Wirtschaftslebens in Südafrika. Die Wasserkräfte Afrikas (Hamburgische Forschungen. Wirtschaftliche und politische Studien aus hanseatischen Interessengebieten, 4), Hamburg 1917; Ders.: Wirtschaftsgeographie von Afrika, Jena 1917. Ferner: Karl Dove: »Der Sinn der zukünftigen Kolonialpolitik«, in: DKZ 33 (1916), S. 156-158; Ders.: »Die Bedeutung Südafrikas für Deutschland«, in: DKZ 34 (1917), S. 112f.; Ders.: »Die Internationalisierung der afrikanischen Wasserstraßen«, in: DKZ 36 (1919), S. 40-42.
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D IE ANTRITTSVORLESUNGEN Es war üblich, dass neuberufene Professoren über ihr Forschungsfeld in öffentlichen Vorlesungen Auskunft erteilten. Unter Geographen hatte von Richthofen dem Genre der Antrittsvorlesung zu großer Aufmerksamkeit verholfen, da das kleine Büchlein mit der in Leipzig gehaltenen Vorlesung schnell zu einem kanonischen Text wurde. Siegfried Passarges befasste sich in der 1909 publizierten Antrittsvorlesung mit den zukünftigen Aufgaben, die er speziell in der Lehre am Hamburger Kolonialinstitut zu bewältigen gedachte, kam aber zumindest implizit auch auf methodologische Fragen zu sprechen. Fritz Jaeger (1911), Carl Uhlig (1911) und Hans Meyer (1915) sollten sich ebenfalls Antrittsvorlesungen bedienen, um Fachkollegen und dem kolonialinteressierten Publikum ihre konzeptionellen Vorstellungen von der Kolonialgeographie zu vermitteln.18 Carl Uhlig ging in seiner Tübinger Vorlesung ausführlich auf die Vorgeschichte der Kolonialgeographie sowie auf politische und wissenschaftliche Ereignisse ein, die für die Herausbildung und zukünftige Entwicklung der Kolonialgeographie für maßgeblich hielt. Am ausführlichsten erläuterten Fritz Jaeger und Hans Meyer theoretische Aspekte, doch scheinen Unterschiede eher aus individuellen Schwerpunktsetzungen und Auslassungen als aus konzeptionellen Differenzen herzurühren, noch dazu, wenn man die Vorlesungen mit anderen Schriften der Autoren vergleicht. Anstatt ausführlich die methodologischen Feinheiten und Nuancen zu referieren, möge es an dieser Stelle genügen, auf fünf grundlegende Gemeinsamkeiten in der Argumentation der Vorlesungen hinzuweisen. Erstens: Alle vier Antrittsvorlesungen präsentierten die Kolonialgeographie als Landeskunde oder Länderkunde, als eine ganzheitliche Disziplin, die das gesamte Spektrum geographischer Phänomene abbildete – von der räumlichen Lage, dem geologischen Untergrund, Relief, Klima, Pflanzen- und Tierwelt bis hin zum Menschen. In Uhligs Worten war Kolonialgeographie auf die »Eigenart« und »dingliche Erfüllung« der Kolonien gerichtet, nach Jaeger auf ihr »Wesen« und sie sollte ein »Gesamtbild des Landes richtig« zeichnen.19 Meyer betonte, es gehe darum, dass die Disziplin »ein jedes Land als ein Individuum von bestimmten, sich gegenseitig
18 Siegfried Passarge: »Aufgaben und Ziele der geographischen Professur in Hamburg«, in: Koloniale Rundschau 1909, S. 40-52; Fritz Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 400-405; Carl Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«, in: GZ 17 (1911), S. 361-378; Hans Meyer: »Inhalt und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, in: Koloniale Rundschau 1915, S. 315-326. 19 C. Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«, S. 366f.; F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, S. 405.
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bedingenden Eigenschaften« auffasse; Passarge strich die Bedeutung von Landschaftsschilderungen heraus und benannte als Ziel, dass er seine Schüler dazu anleiten wolle, dass sie erkennen, »wie die Oberfläche gestaltet ist, welchen Charakter Flüsse und Seen besitzen, wie das Pflanzenkleid, die Tierwelt und die Äußerungen menschlicher Kultur beschaffen sind«, wobei auch er die Bedeutung von »gesetzmäßigen Beziehungen« zwischen diesen Ebenen hervorhob.20 Die Kolonialgeographen übernahmen damit konzeptionelle Vorstellungen, wie sie in der Geographie um die Jahrhundertwende üblich waren, wenn auch Uhlig und Jaeger sich stärker an der länderkundlichen Konzeption ihres Lehrers Hettner orientierten, Meyer und Passarge stärker von Richthofen beeinflusst waren. Zweitens: Die Kolonialgeographie wurde sowohl als Natur- und Geisteswissenschaft verstanden, der Dualismus war jedoch in der länderkundlichen Perspektive aufgelöst. Die allgemeine Geographie, insbesondere die physische Geographie, war unter kolonialen Verhältnissen nur eingeschränkt von Bedeutung. Jaeger betonte, es gäbe weder »einen kolonialen Gebirgsbau, noch ein Kolonialklima, noch eine koloniale Vegetation«, stattdessen lägen die »Eigentümlichkeiten der Kolonien« in der Geographie des Menschen. Wie der neu berufene Berliner Geographieprofessor weiter ausführte, lag es am Zusammentreffen von »Menschen verschiedenartiger Rasse, Sprache und Kultur«, dass in den Kolonien »besondere Formen des Zusammenlebens der Menschen« existierten. Vor allem in der Besiedlung des Landes, der wirtschaftlichen Ausnutzung und den Rechtsverhältnissen erkannte er »koloniale Eigentümlichkeiten«, wie sie nur für Kolonialländer »charakteristisch« seien.21 Meyer schloss sich dieser Position grundsätzlich an. Auch er glaubte, dass die allgemeine Geographie der Kolonialgeographie keine systematische Erweiterung bringe, da es »keine kolonialen Eigenschaften der physischen Natur im allgemeinen« gäbe. Allerdings lasse die »koloniale Länderkunde zahlreiche Kenntnisse zur Bereicherung der allgemeinen Erdkunde reifen«, etwa auf dem Gebiet Klimakunde, der Pflanzen- und Tiergeographie, während die Forschung zu europäischen Siedlungen und wirtschaftlicher Arbeit in Kolonialländern die Kenntnisse der Anthropogeographie erweitere.22 Passarge, der sich am Hamburger Kolonialinstitut stärker um die Vermittlung von Grundlagen kümmern musste, zählte eine ganze Reihe von anthropogeographischen und physischen Forschungsfeldern auf, die er für Kolonialstudien als relevant erachtete, darunter die Verkehrs-, Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie, aber auch die physische Geographie.23
20 H. Meyer: »Inhalt und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, S. 318; S. Passarge: »Aufgaben und Ziele der geographischen Professur in Hamburg«, S. 43f. 21 F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, S. 403f. 22 H. Meyer: »Inhalt und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, S. 318f. 23 S. Passarge: »Aufgaben und Ziele der geographischen Professur in Hamburg«, S. 41.
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Drittens: Alle vier Geographen betonten den epistemischen Stellenwert von Expeditionen. Passarge und Meyer hielten es sogar für eine zentrale Aufgabe, Studenten zu eigenen Beobachtungen anzuleiten, nur Uhlig meinte, es sei für die akademische Lehrtätigkeit nicht so wichtig, ob sich Geographen vorher in den Kolonien aufgehalten hätten, räumte aber ein, dass ein Lehrer einiges mehr zu bieten habe, wenn er aus persönlicher Anschauung schöpfen könne. Aber ohnehin nehme in der akademischen Jugend die Zahl derjenigen zu, die selbst in den Kolonien forschen wollten.24 Viertens: Das Kausalitätsprinzip war ein weiterer Anknüpfungspunkt zur neueren Geographie, dem sich die vier Geographen verpflichtet fühlten. Vor allem Jaeger kam auf diese Thematik ausführlicher zu sprechen, da er seinen Hörern und Lesern verdeutlichen wollte, dass die physischen Eigenschaften eines Landes und seiner Bewohner keinesfalls zufällig seien, sondern sich aus dem gesetzmäßigen Zusammenwirken der verschiedenen Geofaktoren ergeben würden. An einem Beispiel versuchte er das Prinzip zu veranschaulichen, wozu er sich eines weitverbreiteten Stereotyps vom fehlenden Arbeitszwang der Tropenbewohner bediente. Aufgrund des warmfeuchten Klimas und des üppigen Pflanzenwuchses hätten die Menschen in den Tropen kaum Bekleidung nötig und müssten verhältnismäßig wenig arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber gerade aus diesem Grund seien sie »auf niedriger Kulturstufe stehen geblieben«. Ganz anders hingegen sei die Situation »im rauen Klima der gemäßigten Zone«, wo die Gaben der Natur spärlicher und der Kampf ums Dasein härter sei. »Hier wurde der Mensch zu strengerer Arbeit und höherer Kultur erzogen.«25 Damit zog er die Natur in Form der geographischen Lage und der klimatischen Verhältnisse als Ursache für soziale Differenzen zwischen Tropenvölkern und Europäer heran und redete einer kulturellen Überlegenheit der Europäer das Wort, die die Kolonisierung zu rechtfertigen schien. Fünftens: Ein letzter und entscheidender Punkt betraf die Frage, auf welchen Raum sich die Kolonialgeographie überhaupt beziehen solle. Ohne Zweifel waren das die deutschen Kolonien, Uhlig sprach von einer Geographie der deutschen Kolonien, Passarge davon, dass Unterricht und Forschung in erster Linie auf unsere Kolonien zu beziehen seien und auch Jaeger und Meyer machten den Bezug auf das deutsche Kolonialreich deutlich.26 Jaeger wollte für die Lehre den Untersuchungs-
24 C. Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«, S. 369. 25 F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, S. 401. 26 Vgl. C. Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«; S. Passarge: »Aufgaben und Ziele der geographischen Professur in Hamburg«, v.a. S. 42 [Eigene Hervorhebung].
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raum doch großzügiger gefasst wissen, schließlich dürfe man sich nicht durch willkürlich gesteckte Grenzen beengen lassen. »In einer Vorlesung über Afrika z.B. kann man nicht an den politischen Grenzpfählen Halt machen«, und erwähnte am Schluss seiner Schrift mögliche Einsichten aus vergleichenden länderkundlichen Betrachtungen.27 Meyer ging in seiner Vorlesung noch ausführlicher auf eine vergleichende Kolonialgeographie ein. Schon zuvor hatte er in anderen Schriften den Forschungsraum großzügiger gefasst, etwa in der weitgehend von ihm verfassten Denkschrift der landeskundlichen Kommission, die Grenzräume der Nachbarkolonien formal mit einbezogen. Dahinter verbarg sich ein Konzept der natürlichen Räume, die Idee, dass eine wissenschaftliche Gliederung der Erdoberfläche nach vorwiegend natürlichen Gesichtspunkten erfolgen müsse, da Grenzziehungen oft willkürlich seien und die natürlichen Räume der deutschen Kolonien sich jenseits der Grenze fortsetzen konnten. Ein von Meyer vorgeschlagener interkolonialer Vergleich, dem Expeditionen in nicht-deutsche Kolonien vorausgegangen wären, lag vermutlich schon die Vorstellung einer kolonialen Expansion zugrunde, auch wenn Meyer dies damals zunächst mit wissenschaftlichen Argumenten zu begründen versuchte.28 Die vier Kolonialgeographen stimmten grundlegend in methodologischen Fragen überein und auch mit den anderen Kolonialgeographen aus der »academic community« gab es keinen konzeptionellen Dissens. Das lag wohl einerseits daran, dass sie in der geographischen Erforschung der Kolonien ein Projekt von hoher nationaler Bedeutung erkannten, dass sie nicht aufgrund von methodischen Nickligkeiten gefährden wollten, anderseits beförderten die engen Kontakte und der regelmäßige Austausch zwischen den Kolonialgeographen den Konsens. So rezensierte man eifrig und in der Regel wohlwollend die neuesten Schriften der Kollegen und korrespondierte regelmäßig miteinander. Besonders eng war das Verhältnis, das Jaeger zu Uhlig und Meyer pflegte, die ihn beide protegierten. Ferner erscheint es plausibel, dass Jaeger sich zumindest in Grundzügen mit dem Stifter seines Lehrstuhls abgesprochen hatte, was auch der spätere Rekurs von Meyer auf Jaeger nahelegt. Sogar der streitsüchtige Passarge forderte, es sei »jegliche Konkurrenz tunlichst zu vermeiden« und gemeinsam an der geographischen Erforschung der Kolonien zu arbeiten, wobei es dem Hamburger Geographen wohl vor allem darum ging, das Kolonialinstitut als gleichberechtigte Alternative zum Berliner Seminar für Orientalische Sprachen zu etablieren. Zumindest im Umgang mit anderen Kolonialgeographen beherzigte Passarge diesen Grundsatz während der Kolonialzeit.29
27 F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, Zitat, S. 403, vgl. auch S. 405. 28 H. Meyer: »Inhalt und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, S. 319. 29 S. Passarge: »Aufgaben und Ziele der geographischen Professur in Hamburg«, S. 51.
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Meinungsverschiedenheiten ergaben sich eher zwischen Kolonialgeographen und Geographen mit anderen Forschungsschwerpunkten. Meyer beabsichtigte etwa, wie schon Uhlig und Jaeger, seine Antrittsvorlesung in Alfred Hettners Geographischer Zeitschrift zu publizieren. Hettner lehnte das Manuskript aber unter dem Vorwand ab, dass er die Zeitschrift für die Kriegsdiskussion reserviert habe, was einerseits an persönlichen Animositäten liegen könnte, andererseits die Frage tangierte, ob das Fundament der Länderkunde in der Geomorphologie begründet war oder ob sie stärker anthropogeographisch betrieben werden sollte.30 Eine Position, die Hettner kompromisslos vertrat, während Meyer der Wirtschaftsgeographie und der Geopolitik mehr Gewicht gab. Schließlich veröffentlichte Meyer die Vorlesung, die ausführlich auf die Auswirkungen des Weltkriegs auf die Kolonialpolitik und Kolonialwissenschaften einging, in der Kolonialen Rundschau, die von seinem Freund und Kollegen aus der landeskundlichen Kommission Ernst Vohsen herausgegeben wurde.
E PISTEMISCHE UND IM W ELTKRIEG
TERRITORIALE
R EKONFIGURATIONEN
Der Weltkrieg führte in der deutschen Kolonialgeographie zu zwei Veränderungen. Erstens begannen geopolitische Erwägungen zunehmend eine größere Rolle zu spielen, zweitens rückten verstärkt die Nachbarkolonien in den Blick. Ursache dafür war die Hoffnung, dass das Deutsche Reich durch den Krieg seinen Kolonialbesitz würde vergrößern können, so wie es der gegenwärtigen »Weltgeltung« Deutschlands entspräche. Zwar sah die koloniale Zukunft zunächst nicht rosig aus, hatten die deutschen Kolonialtruppen doch gegen die waffentechnisch und zahlenmäßig überlegenen Ententemächte nicht bestehen können und schon im ersten Kriegsjahr kapituliert, abgesehen von Kamerun, wo es noch vereinzelte Gefechte gab, und einem anhaltenden Guerillakrieg in Ostafrika.31 Aber die Geographen hofften darauf, dass sich die Zukunft der Kolonien auf den europäischen Schlachtfeldern entscheiden würde, wie es Meyer schon 1909 in seiner Länderkunde vorausgesagt hatte, wohl im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kongoakte von 1885, die eine Neutralitätsklausel enthielt, die nach Interpretation der Geographen im Kriegsfall auch Ka-
30 Alfred Hettner: Brief an Hans Meyer vom 27.06.1915, IfLA, K. 179/111. 31 Vgl. Helmuth Stoecker: Drang nach Afrika. Die deutsche Expansionspolitik und Herrschaft in Afrika von den Anfängen bis zum Verlust der Kolonien, 2. Aufl., Berlin 1991, S. 239-261. Für einen militärhistorischen Überblick über den Kriegsverlauf in den deutschen Kolonien: Hans Krech: Die Kampfhandlungen in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika während des 1. Weltkrieges (1914-1918), Berlin 1999.
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merun und Ostafrika die Neutralität sichern würde.32 Dass sie selbst bereits begonnen hatten, sich der Kolonien der anderen europäischen Mächte zumindest in Gedanken zu bemächtigen, kümmerte sie dabei wenig. Die »machtvolle Zusammenfassung unseres Besitzes in Mittel-Afrika«, wonach sich der alldeutsche Geograph Felix Hänsch schon 1912 sehnte, erschien den Kolonialgeographen und Kolonialkartographen nur zu verlockend.33 1915 zeigte sich Meyer in seiner Antrittsvorlesung überzeugt, dass trotz dieser äußerst »kritischen Zeit« für unsere Kolonien aus »den Gluten dieses furchtbaren Weltkrieges ein zukünftiges deutsches Kolonialreich von größerer Ausdehnung, größerem Wert und größerer Stärke geschmiedet werden wird, das unserer so lange nur schwach gestützten Weltgeltung eine feste Basis geben soll«.34 Er forderte eine Aufwertung der kolonial- und weltpolitischen Aufgaben, eine Ablösung der Weltwirtschaftspolitik à la Dernburg durch deutsche Weltmachtpolitik. Dazu müsse die Politik den geographischen Faktoren mehr Beachtung schenken und Geopolitik und »Großräumigkeit« zu zentralen Instanzen einer geographischen Kolonial- und Weltpolitik machen. Meyer forderte in diesem Zusammenhang eine Ausweitung der geographischen Forschung auf die Nachbarkolonien, verwies zu diesem Zeitpunkt aber noch auf wissenschaftliche Argumente, insbesondere auf einen vermeintlichen Erkenntnisgewinn durch interkoloniale Vergleiche. Wie unrealistisch dies war, wusste der Vorsitzende der landeskundlichen Kommission selbst am besten, schließlich wären allein zu Forschungszwecken sicherlich keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden, um die Kolonien der europäischen Gegner zu erforschen – es sei denn, es bestand die Aussicht, dass lukrative Gebiete bald in ein vergrößertes deutsches Kolonialreich eingegliedert werden könnten.35 Während des Krieges gewann Mittelafrika als neue geographische Kategorie an Konjunktur.36 Die Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten erweiterten sich ab 1916 um die neue Rubrik »Nachrichten aus den benachbarten Gebieten«. Der folgende dreißigste Band beginnt mit einer Einführung und einer begrifflichen
32 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 406; Ders.: »Inhalte und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, in: Koloniale Rundschau 1915, S. 315. Ferner: Generalakte der Berliner Konferenz, in: Stenographische Berichte: Verhandlungen des Reichstags, 6. Legislaturperiode, 1. Session 1884/1885, Aktenstück in der Anlage Nr. 290, S. 1666. 33 Felix Hänsch: »Die Aufteilung Afrikas und die Ziele der deutschen Afrikapolitik«, in: GZ 18 (1912), S. 361-387, Zitat, S. 387. 34 H. Meyer: »Inhalte und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, S. 316. 35 Ebd., zur Geopolitik, S. 321, 324-326, zum interkolonialen Vergleich, S. 320. 36 Vgl. u.a.: Franz Thorbecke: »Das tropische West- und Mittel-Afrika«, in: GZ 21 (1915), S. 372-394, 434-453.
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Bestimmung von Mittelafrika durch Hugo Marquardsen, wobei der Redakteur und Mitarbeiter des Reichskolonialamtes recht kryptisch die praktische und politische Relevanz dieses Begriffes gegenüber Zentralafrika hervorhob.37 Es finden sich in diesem Band zahlreiche Aufsätze über die Nachbarkolonien, darunter Studien von Max Moisel über Französisch-Äquatorialafrika und von Paul Sprigade über die französischen Kolonien Ober-Senegal und Niger. Auffälligerweise beschäftigten sie sich ausführlich mit wirtschaftsgeographischen und militärgeographischen Aspekten, so mit den Standorten und der Truppenstärke der gegnerischen Streitkräfte.38 In der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde rezensierte Meyer ausführlich die Abhandlungen von Moisel und Sprigade über die französischen Kolonien, besprach aber Moisels Studie über Französisch-Äquatorialafrika ausgesprochen kritisch. Als Gründe für die Ausweitung der Mitteilungen auf benachbarte Kolonialgebiete benannte Meyer in dem Rezensionsaufsatz einen abgerissenen Informationsfluss aus den deutschen Kolonien, der angesichts der Zeitverzögerung zwischen Forschung und Niederschrift nicht unbedingt plausibel war, darüber hinaus verwies er auf die »kolonialen Zukunftspläne der Reichsregierung«.39 Die Mitteilungen setzte diese räumliche Erweiterung auf die Nachbarkolonien mit dem einunddreißigsten Band fort, um sich nach Kriegsende ohne größeres Aufheben wieder auf das Territorium der ehemaligen deutschen Kolonien zu beschränken. Nur der Meteorologe Georg von Elsner fühlte sich 1919 noch bemüßigt seinen Aufsatz mit Höhenmessungen im östlichen Mittelafrika zu betiteln.40 37 Hugo Marquardsen: »Zentralafrika und Mittelafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 30 (1917), S. 1f. 38 Max Moisel: »Das Generalgouvernement von Französisch-Äquatorialafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 30 (1917), S. 173-329; Paul Sprigade: »Die französische Kolonie Ober-Senegal und Niger«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 30 (1917), S. 427-530. 39 Hans Meyer: »Die französischen Kolonien Mittelafrikas«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1919, S. 247-268. Zur Begründung für die Beschäftigung mit den französischen Kolonien, siehe, v.a. S. 247f. Im Zusammenhang mit den Expansionshoffnungen der deutschen Regierung ist auch die 1917 von Paul Sprigade und Max Moisel herausgegebene Karte von Mittelafrika zu sehen. Für wohlwollende Rezensionen, siehe: Carl Uhlig, in: DKZ 34 (1917), S. 122; Kurt Hassert, in: DKZ 35 (1918), S. 62. 40 Paul Sprigade: »Die französische Kolonie Dahome«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 31 (1918), S. 145-196; Hugo Marquardsen: »Studien über Angola: Zur Orographie Angolas«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 31 (1918), S. 197-201, Julius Ruppel: »Nord-Rhodesien: Natürliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Verkehrswesen, Verwaltung und Finanzwesen«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 31 (1918), S. 203-231; Willy Koert: »Der geologische Bau und Mineralreichtum von Britisch-Nyassaland und
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Die Monografien, die Meyer während des Ersten Weltkriegs veröffentlichte, zeigten deutlich, dass geopolitische Erwägungen und imperiale Hoffnungen zu einem zentralen Thema seines geographischen Denkens wurden. Schon in der völkerkundlichen Studie über die Barundi von 1916 führte Meyer primär politische Motive an, wobei der Leipziger Geograph in Ruanda und Burundi einen zentralen Raum für ein großes deutsches Kolonialreich in Mittelafrika erkannte:41 »Mit freudiger Zuversicht und mit zähem Machtwillen erwarten wir vom Endsieg auf den europäischen Schlachtfeldern und Meeren auch die Wiedergeburt eines deutschen Kolonialreiches, eines größeren, schöneren und stärkeren, als das vorige gewesen, eines Kolonialreiches, dessen mittelafrikanisches Kernstück von Ostafrika durch den ganzen Kontinent bis zur Kamerunküste und weiter reichen soll, und dessen geschlossene Einheit uns endlich die natürlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und militärischen Vorteile bieten soll, die wir in der Zersplitterung unserer früheren Kolonialgebiete so lange haben entbehren müssen.« Ausführlich begründete Meyer die Vorteile des mittelafrikanischen Reiches in seiner Schrift über die Gegenwart und Zukunft der deutschen Kolonien.42 »Die Hauptvorteile eines solchen Zusammenschlusses unserer ost- und westafrikanischen Kolonien vermittels der Kongokolonie und der französischen, portugiesischen und englischen Ergänzungen sehe ich in der Konzentrierung unserer kolonisierenden Kräfte, in der breiten Nutzbarmachung bereits auf diesem Boden errungener Erfahrungen, in der Ermöglichung einer einheitlichen Wirtschafts- und Verkehrspolitik und einheitlichen militärischen Organisation durch unser ganzes afrikanisches Kolonialreich. In einem geschlossen großen
Nord-Rhodesien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 31 (1918), S. 232-236; Georg von Elsner: »Die wissenschaftlichen Grundlagen für die barometrischen Höhenmessungen im östlichen Mittelafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 32 (1919), S. 187-217. 41 Hans Meyer: Die Barundi. Eine völkerkundliche Studie aus Deutsch-Ostafrika, Leipzig 1916, S. IX-X. Mit stärkerer geopolitischen Orientierung: Hans Meyer: »Geopolitische Betrachtungen über Deutsch-Ostafrika (Tanganyika Territoriy) einst und jetzt«, in: Zeitschrift für Geopolitik 3/1 (1926), S. 161-174. 42 Hans Meyer: »Gegenwart und Zukunft der deutschen Kolonien«, in: Institut für Meereskunde zu Berlin (Hg.): Meereskunde: Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von Meer und Seewesen, Berlin 1917, S. 65 [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift].
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Kolonialreich wären wir imstande, unsere im Land verteilten militärischen Kräfte nach Bedarf auf der einen oder anderen Seite des großen Gebietes in freier Beweglichkeit zusammenzuziehen, im Kriegsfall feindliches Eindringen unmöglich zu machen und feindliche Truppen in großer Menge an den afrikanischen Boden zu binden, so daß sie nicht nach europäischen Kriegsschauplätzen überführt werden können.« Doch um die Sinnhaftigkeit dieser Pläne zu überprüfen, galt es nach Meyer die »wirtschaftliche Frage zu beantworten, ob denn diese mittelafrikanischen Gebiete wirklich von Natur so entwicklungsfähig sind, dass wir auf sie begründete Hoffnungen für die Deckung unseres Bedarfes an Rohprodukten guter Qualität setzen können«43. Dabei überwog bei ihm die Skepsis, ob sich »die natürlichen Mängel unseres afrikanischen Kolonialbesitzes« vollständig auf diese Weise ausgleichen lassen würden. Meyer erwartete aufgrund ähnlicher natürlicher Bedingungen in den Ergänzungsgebieten zwar eine quantitative Zunahme des Kolonialhandels, aber keine Erweiterung des Produktsegmentes. Stattdessen wollte er die »für unsere Volkswirtschaft erforderliche Ergänzung dieser Einseitigkeit des tropischen und subtropischen Afrika« außerhalb von Afrika suchen. Wo diese Ergänzungen zu suchen waren, wollte er nicht benennen, fügte aber hinzu, »daß Frankreich, Portugal und England in Asien, dem Indischen und Atlantischen Ozean genug Kolonialländer besitzen, wo vermöge günstiger Landesnatur und Arbeitstüchtigkeit der Eingeborenen die tropischen und subtropischen Produkte bereits in Mengen gewonnen werden, die Mittelafrika unserer Kolonialwirtschaft nicht oder ungenügend liefern kann«.44 Darüber hinaus befürwortete Meyer eine starke Flotte und Landgewinne an der westeuropäischen Nordseeküste, die er für ebenso notwendig hielt, um Großbritanniens Macht zu beschneiden, wie einen »mitteleuropäischen Wirtschaftsbund« und einen »kontinentalen Wirtschaftsblock Berlin – Bagdad« in Südosteuropa und Kleinasien.45 In Das portugiesische Kolonialreich von 1918 verdeutlichte Meyer, dass er die Geographie nun völlig politischen Motiven untergeordnet hatte. Erneut war es die Hoffnung auf ein deutsches Mittelafrika, das ihn dazu veranlasst hatte, sich mit den portugiesischen Kolonien zu befassen und das seiner Meinung nach »vom Atlantischen zum Indischen Ozean reichend« die belgische Kongokolonie, das französische Äquatorialafrika und die beiden portugiesischen Kolonien Angola einschließlich der Guineainseln und die nördliche Hälfte Mosambiks umfassen« solle. Meyer begründete die geplante Einverleibung von Angola und Mosambik damit, dass die Portugiesen dort schwere Misswirtschaft betreiben würden, sie
43 Ebd., S. 66 [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift]. 44 Ebd., S. 69f. 45 Ebd., S. 40-42, 47f., S. 71 -79.
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militärisch keine Gefahr darstellten und weil die beiden Territorien an deutsche Kolonien angrenzten. Als weitere Rechtfertigungen führte er den Kriegseintritt Portugals gegen das Deutsche Reich an, einen Überfall auf einen deutschen Kolonialbeamten in Angola und die drohende Übernahme portugiesischen Kolonialbesitzes durch den englischen Erzfeind.46 Ziel dieser allgemeinverständlichen politischen Geographie war es wohl, die Kriegszieldiskussion auf die portugiesischen Kolonien zu lenken und Politiker über diese potenziell neuen deutschen Kolonialterritorien zu informieren.47 Es war ein herber Schlag für die Geographen, als sie mit dem Friedensvertrag von Versailles wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen wurden. Statt der erträumten mittelafrikanischen Riesenkolonie oder neuen Kolonien auf anderen Kontinenten hatte der Weltkrieg die Geographen um das deutsche Kolonialreich gebracht. Manchen Geographen versetzte der Verlust der Kolonialgebiete in einen Zustand der persönlichen Krise, vor allem diejenigen, die jahrelang an der Erforschung einer Kolonie gearbeitet hatten. So sprach Karl Sapper 1915 von einem tiefen Schmerz, Uhlig soll angeblich ein psychologisches Trauma erlebt haben, dass in den folgenden Jahren die Fertigstellung seiner Monografie über Ostafrika verhinderte.48 Die Rückforderung der ehemaligen Kolonialgebiete widerhallte in unzähligen Reden und Propagandaschriften. War man gerade noch dabei gewesen, sich Gründe für die Annexion der Kolonialgebiete in Mittelafrika zu überlegen, so mussten Geographen und Kartographen nun über das »Ende« der deutschen Kolonien referieren.49 Zwanzig Jahre lang erinnerten die Geographen in öffentlichen Reden und Propagandaschriften an den »Raub der Kolonien«, 1931 verabschiedete der Deutsche Geographentag in Danzig auf Betreiben von Franz Thorbecke, Carl Troll und Heinrich Schmitthenner sogar eine Resolution, die die Enge des Deutschen Reiches
46 Ebd., S. V-4. 47 Hans Meyer: Das portugiesische Kolonialreich der Gegenwart, Berlin 1918, hier S. 3. 48 Vgl. Karl Sapper: »Die deutschen Südseebesitzungen«, in: GZ 21 (1915), S. 624- 645, hier v.a. S. 624; Carl Uhlig†/Fritz Jaeger: Die Ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa ja Mweri sowie dem Westfuß des Meru. Wissenschaftliche Ergebnisse der ostafrikanischen Expedition der OttoWinter-Stiftung, Teil 2. Bodengestalt und Landschaft. (Wissenschaftliche Veröffentlichungen, Deutsches Institut für Länderkunde N.F. 10), Leipzig 1942. Zum Trauma des kolonialen »Verlustes«: Fritz Jaeger: »Carl Uhlig zum Gedächtnis«, in: GZ 44 (1938), S. 400-408, hier S. 406, ähnlich bei Franz Thorbecke, vgl. Theodor Kraus: »Marie Pauline Thorbecke«, in: GZ 59 (1971), S. 301-308, hier S. 307. 49 Max Moisel: »Das Ende der deutschen Kolonien Mittelafrikas«, in: Koloniale Rundschau 1920, S. 18-24.
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und den Verlust des kolonialen Experimentierfeldes beklagte.50 Der Nationalsozialismus gab den Kolonialenthusiasten neuen Aufwind. Geographen publizierten eine ungeheure Masse an Propagandaschriften, überdachten aber nun vor dem Hintergrund neuer geopolitischer Ziele und technischer Möglichkeiten die Methodologie der Kolonialgeographie. Noch phantastischer als im Ersten Weltkrieg waren nun die Expansionserwartungen, die Kolonialgeographen auf den afrikanischen Kontinent – auf Eurafrika – als einen europäischen Ergänzungsraum projizierten.51
K OLONIALE N UTZENVORSTELLUNGEN Geographen schrieben nicht nur für Kollegen. Zu ihren Adressaten zählten Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen, die sich für die koloniale Landeskunde interessierten, sowie all jene, die entweder in kolonialen Diensten standen oder in den Kolonien Geschäfte machten. Wie Fritz Jaeger in seiner Antrittsvorlesung betonte, wollten die Geographen »eine notwendige Grundlage« für die richtige Beurteilung der »Natur des Landes und seiner Bewohner« erschaffen, damit die Kolonien richtig verwertet werden konnten.52 Worin der koloniale Nutzen ihrer Disziplin nun aber bestand, darüber machten Geographen nur selten Angaben. Meist beschränkten sie sich auf eine Fußnote oder einen eingeschobenen Satz, wie zum Beispiel der Aachener Geograph und Kartograph Max Eckert, der den Lesern der Deutschen Kolonialzeitung in knappen Worten den Nutzen von Kolonialkarten erklärte.53
50 Vgl. Albrecht Haushofer (Hg.): Verhandlungen und Wissenschaftliche Abhandlungen des 24. Deutschen Geographentages zu Danzig, 26. bis 28. Mai 1931, Breslau 1931, S. 31f. 51 Siehe v.a. Carl Troll: »Koloniale Raumplanung in Afrika«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1941, S. 1-41; Ders.: »Die Kolonialgeographie als Zweig der allgemeinen Erdkunde«, in: Koloniale Rundschau 24 (1933), S. 121-129; Ders.: »Luftbildplan und ökologische Bodenforschung. Ihr zweckmäßiger Einsatz für die wissenschaftliche Erforschung und praktische Erschließung wenig bekannter Länder«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1939, S. 241-298; Ders.: »Die wissenschaftliche Luftbildforschung als Wegbereiterin kolonialer Erschließung«, in: Günther Wolff (Hg.): Beiträge zur Kolonialforschung, Band 1, Berlin 1942, S. 9-29; Erich Obst: »Die afrikanischen Wirtschaftsräume«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1941, S. 74-101. 52 F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, S. 405. 53 Max Eckert: »Die Fortschritte in der geographischen Erschließung unserer Kolonien seit 1905«, in: Karl Schneider (Hg.): Jahrbuch über die deutschen Kolonien, Band 1, Essen 1908, S. 6-27, hier S. 8. Das Zitat ist ebenfalls enthalten in: Max Eckert: »Entwicklung
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»Die weitesten Kreise sind von der Überzeugung durchdrungen, daß gute Karten nicht bloß eins der wichtigsten Rüstzeuge der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erschließung und der Verwaltung, sondern auch von eminentem Nutzen für den Kaufmann, Farmer und andere Interessenten in den Kolonien sowohl wie im Mutterlande sind.« Gleiches galt für ethnographisches Wissen über die Herkunft, Kultur, Sitten und Geschichte der Kolonisierten, die Passarge in der gleichen Zeitschrift als eine wichtige Ressource für die Manipulation und Steuerung der einheimischen Bevölkerung benannte.54 In vielen Bereichen lag die koloniale Nützlichkeit auf der Hand: bei der Lokalisierung von Rohstoffvorkommen, der Bestimmung von Standorten von Nutzpflanzen oder der Analyse von möglichen Eisenbahntrassen. Selbst klimatische oder vegetationsgeographische Daten konnten kolonialpraktisch wertvoll werden, insbesondere wenn sie mit Siedlungs- oder Landnutzungsfragen kombiniert wurden.55 Gelegentlich gingen Geographen so weit, koloniale Fehlschläge besserwisserisch auf die mangelnde Berücksichtigung geographischer und völkerkundlicher Expertisen zurückzuführen.56 Dass wissenschaftliche Expeditionen die ökonomische Erschließung peripherer Räume vorbereiteten und einleiteten, war fast schon ein Gemeinplatz, der schon in der Zeit der maritimen Explorationen des 18. Jahrhunderts als auch während der Expeditionen in überseeische Binnenländer zur Mitte des 19. Jahrhunderts wirksam war.57 Dass die geographische Wissensproduktion die Kolonisierung begünstigte, daran bestanden während der deutschen Kolonialzeit und gegenwärtiger Stand unserer Kolonialkartographie«, in: DKZ 27 (1910), S. 173-174, 191-192, 205-206, 224-226, hier S. 173. 54 Siegfried Passarge: »Die Forschungen des Herrn Leo Frobenius im Sudan«, in: DKZ 30 (1913), S. 626f., 641-643. 55 Vgl. etwa Carl Uhlig: »Niederschläge in den für Baumwollanbau in Betracht kommenden Monaten in Nordamerika und Deutsch-Ostafrika«, in: Kaiserliches Gouvernement von Deutsch-Ostafrika, Dar-es-Salâm (Hg.): Berichte über Land- und Forstwirtschaft in Deutsch-Ostafrika, Band 1, Heidelberg 1903, S. 194-204. 56 Max Eckert: »Die Fortschritte in der geographischen Erschließung unserer Kolonien seit 1907«, in: Karl Schneider (Hg.): Jahrbuch über die deutschen Kolonien, Band 2, Essen 1909, S. 30-46, hier S. 30; Leonhard Schultze: »Südwestafrika«, in: Hans Meyer (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete, Zweiter Band. Togo, Südwestafrika, Schutzgebiete in der Südsee und Kiautschougebiet, Leipzig 1910, S. 231. 57 Vgl. etwa Philippe Despoix: Die Welt vermessen; Iris Schröder: Das Wissen von der ganzen Welt. Globale Geographien und räumliche Ordnungen Afrikas und Europas, 1790-1870, Paderborn 2011, v.a. S. 50.
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jedenfalls kaum Zweifel, denn sonst hätte die Geographie wohl kaum eine so prominente Rolle im kolonialen Staatsapparat gespielt und Geographen wären andernfalls zu ausführlicheren Rechtfertigungen genötigt gewesen. Es waren außergewöhnliche Situationen, wenn Geographen über den kolonialen Mehrwert ihrer Disziplin räsonierten, wie auf dem ersten Kolonialkongress in Berlin, als Hans Meyer um Unterstützung und finanzielle Ressourcen für die Gründung der landeskundlichen Kommission warb. Den Kolonialenthusiasten, Wissenschaftlern und geographischen Laien im Auditorium erklärte er das Leistungsvermögen der Geographie anhand von einfachen Allegorien und Analogien. Ohne eine »räumliche Orientierung über ein Neuland«, so Meyer, könne es keine »wirtschaftliche Erkundung« geben, denn schließlich sei für die Einrichtung eines Gewerbes oder einer Industrie in einem Neubau notwendig, alle Räume vorher gründlich zu untersuchen, »um für jeden besondern Zweck den geeignetsten Ort auszuwählen und die Verbindung der Räume untereinander am praktischsten auszunützen« [sic]. Ebenso müsse »auch in einem kolonialen Neuland die wirtschaftliche Erforschung, die zu praktischer Kolonisationsarbeit führen soll, notwendig vor allem auf der räumlichen Kenntnis des Landes basiert sein«.58 Wie man für das Betreiben eines Gewerbes die Kenntnis über die in dem Arbeitsraum zusammenwirkenden Arbeitskräfte, Arbeitsmaterialien und Werkzeuge benötige, so müsse man die gesamte physische Beschaffenheit eines Landes verstehen und wissen, warum es »so ist, wie es eben ist«, wie Meyer in einfachen Worten eine unlösbare Aufgabe schilderte.59 Nur die Geographie könne »ein Gesamtbild der wirtschaftlichen Nutzbarkeit eines kolonialen Neulandes« geben und ermitteln, »welche verschiedenen wirtschaftlichen Einzelzweige in diesem Landstrich überhaupt Aussicht auf Entfaltung haben, wo und wie sie am besten anzufangen sind«. Als außerordentlich bedeutend beschrieb er die Leistungsfähigkeit der modernen wissenschaftlichen Geographie, die er mit dem Kausalitätsdenken begründete, das sich von der älteren Länderbeschreibung und Statistik durch ein tieferes Verständnis »vom ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen der Erdoberfläche« abhebe, wie er mit Rekurs auf von Richthofen betonte. Eine kausale Geographie könne aufzeigen, »wie von der Lage eines Landes sein Klima abhängt, wie aus Klima, Boden und Bewässerung zusammen sich die Besonderheit seines Pflanzenwuchses ergibt«, daran dann die Tierwelt anschließe
58 Alle Zitate in: Hans Meyer: »Die geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 zu Berlin am 10. und 11. Oktober 1902, Berlin 1903, S. 73 [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift]. 59 Ebd., S. 75.
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und »wie sie alle zusammen dem materiellen und teilweise auch dem geistigen Kulturstand der menschlichen Bewohner seine Eigenart verliehen haben«.60 Seine theoretische Erörterung veranschaulichte er anhand eines imaginierten Aufstiegs am Kilimandscharo durch alle Höhenstufen, einmal von einem geographisch ungebildeten Bergsteiger und ein zweites Mal von einem Geographen. Der einfache Bergsteiger würde aus einer »sonnenverbrannten menschenarmen Steppenhochebene« in ein kühles immergrünes Gebirge kommen, in dem auch in der afrikanischen Trockenzeit viel Regen falle, und das von unzähligen natürlichen und künstlichen Bächen bewässert würde. Auf fruchtbaren vulkanischen Boden lebe dort eine Ackerbau treibende Bevölkerung. Ein Beobachter ohne Verständnis des ursächlichen Zusammenhangs aller geographischen Faktoren würde davon ausgehen, dass »der koloniale Wert dieses Gebietes außerordentlich hoch« sein müsse, dass hier »ein Zukunftsfeld für alle nur möglichen Plantagenerzeugnisse« liege, und dass die arbeitsame dichte Bevölkerung einen beträchtlichen Absatz europäischer Industriewaren gewährleiste«. Ferner würde dieser Beobachter annehmen, dass in der von Urwald freien Gebirgszone über 3.000 Meter für eine europäische Besiedlung »günstige Daseinsbedingungen« vorlägen.61 Im Gegensatz dazu würde der »geographische Beobachter« sofort die Beschränkung der fruchtbaren Ackerbauzone auf die Höhenlage zwischen 1000 und 1800 Meter erkennen. Wasserreichtum sowie das Wachstum an Bataten und Bananen führe er auf Niederschläge durch die abkühlende Gebirgshebung zurück, welche die Sonneneinstrahlung durch die ständige Bewölkung erheblich reduziere und mit Temperaturschwankungen einhergehe, so dass der Anbau vieler Plantagenprodukte unmöglich sei. Außerdem würden die Chagga bereits soviel Ackerboden okkupieren, dass es für Plantagen kaum Platz gäbe. Der vulkanische Kilimandscharo liefere keine mineralischen Bodenschätze, küstennahe Räume böten mehr Platz für Plantagen und seien wegen der besseren Verkehrsinfrastruktur geeigneter für die Exportwirtschaft. Da vom Kilimandscharo kaum Export zu erwarten sei, müsse auch der Import unbedeutend bleiben. Die obere Gebirgszone würde den größten Teil des Jahres im Nebel liegen und häufig von Nachtfrösten und Schneefällen heimgesucht, so dass lediglich »einige geschützte Punkte der Südostseite für ein Sanatorium tropenkranker Europäer in Betracht« kämen.62 Meyer skizzierte seinen Hörer und Lesern in Überschätzung des wissenschaftlichen Leistungsvermögens eine Kolonialgeographie, die den realen Wert einzelner Räume ermitteln und ihre Eignung für ökonomische Landnutzungsformen
60 Ebd., S. 74f. sowie H. Meyer: »Die Landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes«, S. 723f. 61 H. Meyer: »Die geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, S. 76. 62 Ebd., S. 76f.
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im Voraus bestimmen könne. Obgleich das Beispiel ihm etwas einfach geriet, versprach Meyer, statt mühsames trial and error, eine prognosefähige Pionierdisziplin der ökonomischen Kolonialerschließung. Drei Jahre später war es erneut Meyer, der nochmals ausführlich begründete, welcher koloniale Nutzen von der Geographie zu erwarten sei. In der Denkschrift zur Gründung der landeskundlichen Kommission beleuchtete er die Relation zwischen Kolonialpolitik und Landeskunde, wobei er dieses Mal die wissenschaftliche Seite der Geographie stärkte.63 »Vor allem dürfen unsre wissenschaftlichen Ziele nicht direkt mit wirtschaftlichen oder politischen Zwecken verknüpft werden, nicht direkt in den Dienst solcher Zwecke gestellt werden. Die Aufgaben der Kommission sind lediglich solche der wissenschaftlichen Landeskunde. Welche Folgerungen die Praxis aus den Resultaten unsrer wissenschaftlichen Unternehmungen zieht, das liegt außerhalb des Bereiches und des Einflusses unsrer Kommission. Aber es ist zu hoffen und zu erwarten, daß die Praxis, wie so oft aus rein wissenschaftlichen Arbeiten, so auch aus der geplanten landeskundlichen Erforschung unsrer Schutzgebiete den größten Nutzen zieht, sowohl für heimische kommerzielle und industrielle Unternehmungen als auch für die wirtschaftliche Erschließung, Wertung und Hebung unsrer Kolonien.« Diese Vorstellung avancierte zum zentralen Konzept der Kolonialgeographie, da sie im landeskundlichen Forschungsprogramm formuliert war, das Meyer an verschiedene Wissenschaftsorganisationen, darunter Geographische Institute und Gesellschaften verschickte.64 Zwar schrieb Meyer über die Aufgaben der landeskundlichen Kommission, doch argumentierte er stets aus einer Perspektive heraus, die er als eine wissenschaftlich-geographische verstand, wie aus seinen früheren Ausführungen im Kolonialrat deutlich hervorgeht.65 Dennoch erfolgten seine methodologischen Reflexionen nicht in einem interessenfreien Raum. Vielmehr ging es ihm darum, die neugegründete Institution gegenüber politischen Entscheidungsträgern und anderen Wissenschaftsorganisationen zu positionieren – mit einer gewissen
63 Denkschrift der Landeskundlichen Kommission des Kolonialrates über eine einheitliche Erforschung der Deutschen Schutzgebiete. S. 3 [Hervorhebung in Sperrschrift im Original]. 64 Vgl. Protokoll von der 4. Sitzung 11.11.1905, IfLA, K. 176/17. 65 Hans Meyer: Bericht der Kommission des Kolonialrates über die Einsetzung einer Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete, vom 24. Juni 1905, IfLA, K. 173/37, S. 3-8, siehe insb. S. 4f.
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Autonomie innerhalb der kolonialen Staatsbürokratie und in strategischer Allianz mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen. Eine allzu angewandte Orientierung, wie sie etwa Erich Vohsen in einem Redebeitrag auf dem Zweiten Kolonialkongress von 1905 eingefordert hatte, hätte der Respektabilität der Geographie in den Fakultäten sicherlich geschadet, so dass Meyer dort vor der »Wahrscheinlichkeit der Zersplitterung« warnte, die mit einer größeren Praxisorientierung einhergehen könne.66 Es war aber auch wenig plausibel, dass Meyer die Kolonialgeographie als eine Disziplin skizzierte, die völlig unabhängig von politischen Einflussfaktoren operierte, während der Forschung und Niederschrift nichts von ihrer wissenschaftlichen Tugendhaftigkeit einbüßte und sich dann erst in einem zweiten Schritt der Kolonialpolitik andiente. Denn schließlich waren die Geographen gegenüber der Kolonisation weder gleichgültig noch unbedarft. Koloniale Interessen kamen nicht erst bei der Lektüre geographischer Schriften ins Spiel, so dass eine Trennung zwischen wertneutraler Wissenserzeugung und interessengeleiteter Rezeption niemals existierte. Bereits während der Niederschrift flossen koloniale Wertungen in die geographischen Publikationen ein und koloniale Zweckbestimmungen begleiteten die Geographen schon auf ihrem Weg durch die Kolonien. Ähnliche Nützlichkeitsvorstellungen äußerte Jaeger. Am Ende seiner Antrittsvorlesung brachte der neuernannte Universitätsprofessor eine Dualität von wissenschaftlicher und politischer Logik zum Ausdruck, ohne allerdings Meyers Sequenzialität zu bemühen. »Jede Wissenschaft ist zunächst sich selbst Zweck. Sie will Probleme lösen, zur Erkenntnis beitragen, ganz unabhängig davon, ob sie einen praktischen Nutzen stiftet oder nicht. Aber das Wissen und Erkennen hat sich noch stets nützlich erweisen, bald unmittelbar, bald mehr mittelbar«, folgerte er weiter. »Bei der Geographie, und zumal bei der kolonialen Geographie, ist der praktische Nutzen sehr unmittelbar zu sehen.« Dieser bestand darin, dass die Kolonialgeographie dazu beitrug, die Kolonien zugunsten des Mutterlandes wirtschaftlich zu verwerten und ausnutzen, als eine »wichtige Grundlage rationeller Kolonialwirtschaft«.67 Wie wissenschaftliche Logik und politische Interessen konkret zusammenwirkten und die Forschungsagenda in der Kolonie bestimmten, zeigt sich Walter Behrmanns Resümee am Ende seines Reiseberichts. Die Kaiserin-Augusta-FlußExpedition habe die »Verbreitung von Sumpf, Ebene und Gebirge« in einem Gebiet
66 Vgl. die nachfolgende Diskussion auf dem Kolonialkongress zum Abschluss der Sektion I: Geographie, Natur und Völkerkunde: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses zu Berlin am 5., 6. und 7 Oktober 1905, Berlin 1906, zum Redebeitrag von Vohsen, S. 27; zum Redebeitrag von Meyer, S. 29. 67 F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, S. 405.
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festgestellt, von dem bisher nur der Sepik als wichtigster Fluss bekannt gewesen sei; habe Nebenflüsse erkundet, eine zusammenhängende Karte von einem Raum über 110.000 qkm aus den topographischen Aufnahmen konstruiert, das geologische Alter von Gebirgen bestimmt, Spuren von Gold in den Flüssen entdeckt, üppige Sammlungen angelegt und erkannt, daß im Landesinneren eine zum Teil dichte Besiedelung durch »Steinzeitvölker« erfolgte. Das waren damals bedeutende wissenschaftliche Leistungen, aber dieses Wissen enthielt auch Informationen, die von kolonialpraktischer Relevanz waren – etwa die Standorte von geeigneten »Plantagenböden«, von Kautschukwäldern, einheimischen Tabakpflanzungen und über die Verbreitung von nutzbaren Kokosnussbeständen. Als »das wertvollste im Innern des Landes« erachtete Behrmann die Dörfer, deren Lokalisation nicht nur für die Steuereintreibung relevant werden konnte, sondern jeder wisse, »der sich überhaupt nur einmal mit kolonialen Fragen beschäftigt hat, [..] daß das Arbeiterproblem in den Plantagen das schwierigste von allen bei der tropischen Kolonisation ist«. Somit konnte er einen besonderen kolonialen Erfolg verkünden: »Zahlreiche kräftige Volksstämme wurden festgestellt. Sie wurden befriedet, der Anwerbungspolitik wurden die Wege geebnet.«68 Als Behrmann dies in seinem Reisebericht geltend machte, war Neuguinea bereits australisches Mandatsgebiet, so dass ihm die kolonialen Leistungen dazu dienten, einen doppelten Verlust geltend zu machen – eines wertvollen Raumes und einer wissenschaftlichen Kraftanstrengung, die sich nun unter nationalen Gesichtspunkten als vergeblich erwiesen hatte.
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Viele Geographen traten für die Zeit ihrer Expeditionen in die Kolonien in die Dienste der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes oder später des Reichskolonialamtes. Fritz Jaeger, Kurt Hassert, Franz Thorbecke, Karl Sapper, Leonhard Schultze und Leo Waibel wurden auf Vermittlung der landeskundlichen Kommission zu Gehaltsempfängern der obersten Kolonialbehörde.69 Dazu kamen noch Walter Behrmann, dessen Expedition in Neuguinea direkt im Auftrag des Reichskolonialamtes ohne die landeskundliche Kommission als Vermittler erfolgte, und Carl Uhlig, der als einziger der Kolonialgeographen über längere Zeit als Beamter in einer Kolonie tätig war.70 Aber eine direkte Zusammenarbeit erfolgte nicht nur in
68 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 344-352. 69 Meyers Expedition wurde ebenfalls als eine amtliche Expedition behandelt, doch sie erfolgte auf eigene Rechnung. 70 Vgl. Fritz Jaeger: »Carl Uhlig zum Gedächtnis«, in: GZ 44 (1938), hier S. 401f. Darüber hinaus gab es Kolonialbeamte, die Geographievorlesungen an einer Universität gehört
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Form von Expeditionen im Regierungsauftrag. Hans Meyer, Alfred Kirchhoff und Albrecht Penck waren als landeskundliche Kommissionsmitglieder ebenfalls institutionell in den kolonialen Staatsapparat eingebunden, so auch von Alexander von Danckelman und Hugo Marquardsen als Angestellte des Reichskolonialamtes. Dazu kamen die Beschäftigungsverhältnisse als Angestellte der Universitäten und verbeamtete Professoren, die ihre Positionen nutzten, um koloniale Ideologien in den öffentlichen Raum und speziell unter die Jugend zu bringen. An kolonialen Ausbildungsstätten bereiteten einige Geographen Kolonialpraktiker auf den Einsatz in den Kolonien vor, Siegfried Passarge und sein Assistent Erich Obst am Hamburger Kolonialinstitut und Karl Dove und Uhlig für kürzere Zeit am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin.71 Mit Althusser könnte man neben den Universitäten sogar noch die politischen Vereine und geographischen Gesellschaften als erweiterten Teil des kolonialen Staates auffassen, was sich als hilfreich erweist, um die Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten und die doktrinäre Krisenresistenz des Kolonialismus nach Zusammenbruch des deutschen Kolonialreichs zu verstehen. Dennoch ist dieses Staatskonzept in mancher Hinsicht heikel, bestand doch keineswegs eine Interessenharmonie zwischen Geographen und leitenden Kolonialbeamten, wie sich schon an der vehementen Kritik von Geographen an territorialen Kompensationsgeschäften zeigte.72 Ein Beispiel ist der Sansibarvertrag, in dem das Deutsche Reich 1890 seine territorialen Ansprüche auf Sansibar und Witu zugunsten von Helgoland abtrat, was die Geographen als eine Übervorteilung der deutschen Interessen verstanden. Hassert polemisierte in seiner Länderkunde gegen den »Hosenknopfvertrag«, hatten, darunter der Leiter der Togo-Expedition Hans Gruner, später Bezirksamtmann auf der Station Misahöhe, siehe dazu: H. Schnee (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Band 1, S. 768. 71 Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierende des Seminars für Orientalische Sprachen an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 18951920; S. Passarge: Das Geographische Seminar des Kolonialinstituts und der Hansischen Universität 1908-1935. 72 In einer ersten Annäherung könnte man die Geographischen Institute und Kolonialverbände in Analogie zu Althussers erweitertem Staatsverständnis als Institutionen begreifen, die einen kolonialen Konsens erzeugten. Allerdings verdeckt dieser Zugang den Dissens, der sowohl innerhalb des weiter gefassten Staatsapparates als auch in der Kolonialbürokratie existierte. Vgl. Louis Althusser: Ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie, Hamburg 1977. Zu Interessengegensätzen innerhalb der Kolonialverwaltung, siehe dazu grundlegend: Arthur J. Knoll: »Decision-Making for the German Colonies«, in: Ders./Lewis H. Gann (Hg.): Germans in the Tropics. Essays in German Colonial History, New York 1986, S. 131-149.
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denn Deutschland habe für einen alten Knopf eine neue Hose hergegeben und das mühsame Werk von Peters und Wissmann wieder vernichtet.73 Aber auch der Leiter der Kolonialtruppe und Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika Theodor Leutwein stand unter Kritik. Hassert warf ihm im gleichen Buch eine zu verständnisvolle Kolonialpolitik vor.74 Ihm und anderen Kolonialgeographen war die deutsche Kolonialpolitik häufig zu zaghaft. Immer wieder machten sie daher Stimmung gegen die deutschen Diplomaten, die aus angeblicher Unkenntnis oder falscher Zurückhaltung die unter großen Mühen und Opfern erworbenen Gebiete auf dem internationalen Parkett wieder verspielten.75 Eine große ideologische und institutionelle Nähe zum kolonialen Staatsapparat führte nicht dazu, dass Geographen sich gehorsam der deutschen Kolonialpolitik fügten. Selbst die landeskundliche Kommission agierte relativ autonom, obwohl sie direkt dem Kolonialrat, später dem Reichskolonialamt unterstellt war. Doch diese Eigenständigkeit musste erst errungen werden: Auf den ersten Sitzungen wehrte sich Hans Meyer gegen den Versuch Oscar Stübels, Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, der landeskundlichen Kommission die Planung und Realisierung eines kolonialen Infrastrukturprojektes zu übertragen. In der dritten Sitzung unterbreitete der persönlich anwesende Kolonialdirektor den Vorschlag, die landeskundliche Kommission solle die hafenarme Küste vor Südwestafrika durch einen oder zwei Gelehrten untersuchen lassen. Als wissenschaftliche Aufgabe warte dort die »Wanderdünenüberwindung«, doch in erste Linie ging es ihm um eine Betreuung der »Baggerarbeiten« am Sandwichhafen, der gerade erst durch die erneute Untersuchung eines Kriegsschiffes als der geeignete Hafenplatz an der südwestafrikanischen Küste befunden worden sei.76 Meyer betonte diplomatisch, dass es
73 In dem deutsch-britischen Vertrag wurde darüber hinaus der Grenzverlauf in Ostafrika, Südwestafrika und Togo vertraglich festgelegt. Die Formulierung Hosenknopfvertrag soll ursprünglich auf Henry Morton Stanley zurückgehen, siehe dazu: Kurt Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 239-244, Zitat S. 239. Für eine Polemik gegen den Sansibarvertrag siehe ebenso: Karl Weule: Negerleben in Ostafrika. Ergebnisse einer ethnologischen Forschungsreise, Leipzig 1908, S. 14. 74 Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 62. 75 Vgl. u.a. Karl Dove: Vom Kap zum Nil (1898), S. 26; Ders.: Südwest-Afrika. Kriegsund Friedensbilder (1896); Erich Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, Band II (1911), S. 120f. 76 Siehe Protokoll der 3. Sitzung der landeskundlichen Kommission vom 30.10.1905, IfLA, K. 176/17. Allerdings wurden vom Kaiserlichen Hafenbauamt bereits Hafenarbeiten durchgeführt und Schultze beteiligte sich an der Küstenaufnahme auf dem Kriegsschiff und mit der Küstengliederung und den Sandverlagerungen am Sandfischhafen, siehe:
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sich um eine »hervorragende geographische Aufgabe« handele, »die durchaus in den Rahmen der Kommission falle«. Die Kommission wolle sich »in einer ihrer nächsten Sitzungen schlüssig machen und Vorschläge an die Kolonialverwaltung gelangen lassen«.77 In der nächsten Sitzung diskutierten die Kommissionsmitglieder über mögliche Kandidaten für das Arbeitsvorhaben und erklärten den Geologieprofessor Johannes Walther für geeignet, der dann aber diese Arbeit lieber seinem Assistenten überlassen wollte.78 In der fünften Sitzung wurde beschlossen, Walthers Vorschlag der Kolonialabteilung offiziell zu unterbreiten, womit die landeskundliche Kommission ihre Schuldigkeit in dieser Angelegenheit getan habe, wie Hans Meyer verkündete, schließlich habe die Kommission lediglich übernommen, geeignete Personen für eine Untersuchung am Sandwichhafen zu empfehlen.79 Durch zauderndes Verhalten war es der landeskundlichen Kommission gelungen, die Verantwortung für das Projekt abzuschieben, das nicht mit ihren Plänen und der Gründungscharter übereinstimmte, ohne die politischen Entscheidungsträger zu brüskieren. Endgültig erledigt hatte sich das Projekt, nachdem Stübel als Kolonialdirektor abberufen worden war und die landeskundliche Kommission die ersten Expeditionen ausgesendet hatte. Nicht anders verfuhr die Kommission in der 11. Sitzung im Oktober 1906 mit der Anfrage des Geheimrates Ebermayer. Der Kolonialbeamte bat um die Mitwirkung der landeskundlichen Kommission bei einer Expedition eines Experten der Tropenhygiene. Hans Meyer versicherte dem Kolonialbeamten daraufhin, wenn der Forschungsplan die wissenschaftliche Landeskunde tangiere, sei die Kommission gerne bereit sich gutachterlich zu äußern.80 Eine aktive Rolle der Organisation bei der Vorbereitung der Expedition ist im Protokoll mit keinem Wort erwähnt. Die Kommission bestimmte ihre Forschungsagenda selbst und blieb hierbei der bei ihrer Gründung formulierten Expeditionsvorhaben treu, auch nachdem es zur Angliederung der Kommission an die Kolonialabteilung und dann an das neu gegründete Reichskolonialamt kam.81
L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 1-30 sowie die dort von ihm zitierten Quellen. 77 Ebd., siehe handschriftlicher Vermerk im Protokoll. 78 In diesem Zusammenhang wurde auch Siegfried Passarge als möglicher Kandidat erwähnt. Es finden sich jedoch später keine weiteren Bemerkungen zu Passarge in den Kommissionsprotokollen, siehe: Protokoll der 4. Sitzung 11.11.1905, IfLA, K. 176/17. 79 Protokoll der 5. Sitzung 25.11.1905, IfLA, K. 176/17. 80 Immerhin ließ sich Meyer später auf seiner Expedition ins Zwischenseengebiet von Reinhard Houy begleiten, der am Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg beschäftigt war. 81 Bis zur 33. Sitzung waren es vor allem Ebermayer und Danckelman, die an den Sitzungen teilnahmen. Nach Verwerfungen mit dem Reichskolonialamt aufgrund der Marokko-
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Behördlicher Einfluss war dennoch gegeben, schließlich nahmen ranghohe Kolonialbeamte an den Sitzungen regelmäßig teil und letztendlich war es das Reichskolonialamt, das die Forschungsvorhaben und Verträge mit den von der landeskundlichen Kommission beauftragen Forschungsreisenden ratifizierte und manchmal kleinere Änderungen anregte.82 Wenn das Reichskolonialamt direkte Befehlsgewalt auf Expeditionen ausüben wollte, dann standen Offiziere zur Verfügung, die sich in die für sie vorgesehenen Rollen und Hierarchien besser einfügten als die landeskundliche Kommission, die eigene Ziele und Erkenntnisinteressen verfolgte. In den Kolonien übernahmen Geographen gerne kleinere Aufgaben für die Kolonialverwaltung. Karl Dove kümmerte sich auf Bitten des Leiters der deutschen Kolonialtruppen in Südwestafrika Curt von François um »Ansiedlerangelegenheiten«, überwarf sich aber bald mit dem bekannten Forschungsreisenden Graf Joachim von Pfeil, nachdem dieser als Siedlungskommissar in Windhook eingetroffen war.83 Carl Uhlig vermaß 1904 im Auftrag des Gouverneurs Land am Meru, auf dem Buren angesiedelt werden sollten, Walter Behrmann nahm im Auftrag von Gouverneur Albrecht Hahl die Bergformen der Gazellenhalbinsel topographisch auf.84 Hans Meyer beschäftigte sich mit ersten Erkundungen des Terrains für eine Eisenbahnlinie nach Ruanda und Leonhard Schultze leitete in Neuguinea die exakte politik übernahmen Kalkmann und Marquardsen ihre Aufgabe als Regierungsvertreter. Manchmal kamen weitere Kolonialbeamte hinzu, wie der Referent für Neuguinea aus dem Reichskolonialamt bei den Vorbereitungen für eine große Neuguinea-Expedition, die jedoch schließlich unter Mitwirkung von Walter Behrmann ohne Beteiligung der landeskundlichen Kommission direkt vom Reichskolonialamt durchgeführt wurde. 82 Vgl. die Sitzungsprotokolle der landeskundlichen Kommission: IfLA, K. 176/17. Von Privatpersonen und Gelehrten wurden ebenfalls immer wieder Vorschläge unterbreitet, von denen die meisten abgelehnt wurden, gelegentlich fanden die Vorschläge von renommierten Gelehrten jedoch auch Beachtung, so etwa Thilenius’ Bitte um einen Zuschuss für seine Zeitschrift Anthropos, vgl. Georg Thilenius vertraulichen Brief an Hans Meyer vom 22.04.1913, IfLA, K. 175/7, Antrag auf Gewährung eines Zuschusses von 5000 Mark jährlich an die Redaktion des Archivs für Anthropologie von Thilenius vom 30.04.1913 aus Hamburg an die landeskundliche Kommission z.H. von Meyer, IfLA, K. 175/8. Dazu auch das Protokoll der 39. Sitzung der landeskundlichen Kommission 18.13.1913, IfLA, K. 176/17. 83 Zu Animositäten mit dem Forschungsreisenden und Leiter der deutschen Kolonialtruppen in Südwestafrika Curt von François und dem Siedlungskommissar Joachim von Pfeil: Curt von François: Deutsch-Südwest-Afrika. Geschichte der Kolonisation bis zum Ausbruch des Krieges mit Witbooi, April 1893, Berlin 1899, v.a. S. 120-132. 84 GZ 11 (1905), S. 120f.; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 32.
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Bestimmung der deutschen Territorialgrenze.85 Staat, Universitäten, Privatwirtschaft und »zivilgesellschaftliche« Organisationen arbeiteten manchmal eng zusammen. So wandte sich etwa das Kolonialwirtschaftliche Komitee an den Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Gustav Adolf von Götzen, mit der Bitte eine Wirtschaftskarte von der Kolonie herstellen zu lassen, wofür das Gouvernement schließlich Carl Uhlig gewann.86 1910 übernahm Uhlig die Leitung einer Expedition, deren Aufgabe es war, für das Ostafrikanische Studiensyndikat die Abbauwürdigkeit von Salzen am Natronsee nahe der Grenze zur britischen Ostafrikakolonie zu untersuchen.87 Wiederholt schickten die Kolonialgeographen Berichte von ihren Expeditionen an die Kolonialverwaltung in Berlin oder an Hans Meyer, der diese Berichte dann an die Behörde weiterleitete. Darüber hinaus zeigten sie sich gegenüber dem Reichskolonialamt ausgesprochen kooperationsbereit. Uhlig sandte mehrere seiner Publikationen an das Reichskolonialamt und bot der Behörde an, mündlich Bericht zu erstatten.88 Diese Beispiele verdeutlichen allerdings zugleich, wie wenig die Verwertung geographischen Wissens in der Kolonialbürokratie institutionalisiert war. Zwar wuchsen Bibliothek und Kartensammlung des Reichskolonialamtes, doch war es für die Beamten, die sich vorwiegend um bürokratische Verwaltungsverfahren zu kümmern hatten, sicherlich nur selten möglich, diese Wissensbestände zu konsultieren, schließlich handelte es sich um eine vergleichsweise kleine Behörde.89 Aber das Reichskolonialamt verfügte über Mitarbeiter, die gut unterrichtet in geographischen Belangen waren, man denke nur an Alexander von Danckelman oder Hugo Marquardsen. Ferner konnte auf ein ganzes Netzwerk von landeskundlichen Kolonialexperten zurückgegriffen werden, darunter Hans Meyer und die beiden Leiter des Kolonialkartographischen Instituts. 85 Vgl. Hans Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911 (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 6), Berlin 1913; L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea. 86 Adolf von Götzen: Brief des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes vom 21.05.1903, BArch R1001/307. 87 Carl Uhlig: Tagebuch der Forschungsreisen nach Ostafrika zur Untersuchung der AbbauWürdigkeit des Natronsees in Deutsch-Ostafrika vom 04.8.1910 bis 02.10.1910, IfLA, K. 183/8. 88 Carl Uhlig: Brief an das Reichskolonialamt vom 12.02.1907; Carl Uhlig: Brief an das Reichskolonialamt vom 18.08.1908; beide: BArch R1001/307. 89 Die Kolonialabteilung und auch das Reichskolonialamt waren vergleichsweise kleine Behörden mit einem geringen Mitarbeiterstab, wenn sich das Personal über die Jahre auch kontinuierlich erhöhte. Dazu: Harald Sippel: »Die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und das Reichskolonialamt«, in: Heyden/Zeller, Kolonialmetropole Berlin, S. 2934.
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Eng waren die Kontakte zwischen den Geographen und der Beamtenschaft in den Kolonien, da man während der Expeditionen länger auf den Stationen pausierte und vor oder nach dem Aufbruch ins Innere der Kolonien zur Vor- oder Nachbereitung der Expeditionen in den Kolonialstädten an der Küste verweilte.
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UND POLITISCHE
M ENTALITÄTEN
Kolonialgeographie war eine »science with an attitude«; eine Disziplin, in der sich koloniale Wertvorstellungen und wissenschaftliche Forschungen miteinander verbanden.90 Das Politische war nicht nur eine Frage des individuellen politischen Geschmacks. Wissenschaft und Politik bildeten eine Synthese, zu der akademische Qualifikationen und die Einhaltung wissenschaftlicher Standards genauso gehörten wie eine nationale Gesinnung und imperiales Sendungsbewusstsein. Aus der Geographie mit ihren ehemals liberalen Wurzeln war im Kaiserreich eine konservative Disziplin geworden mit antimodernen, imperialen und manchmal bereits völkischen Tendenzen.91 Viele Geographen verkehrten in einem radikal-nationalistischen Milieu, wie schon ihre Mitgliedschaften in kolonialen und nationalen Verbänden zeigen. Ganz besonders waren solche Einstellungen unter Kolonialgeographen verbreitet, wohingegen Kolonialismuskritikern eine wissenschaftliche Karriere versagt blieb, wie der Historiker Peter Sebald mit seiner Biographie von Gottlob Adolf Krause zeigte.92 Dass für unorthodoxe Meinungen in dem Beziehungsgeflecht aus Geographen und Koloniallobbyisten kein Platz war, musste selbst Eduard PechuëlLoesche erfahren. Nachdem er den übersteigerten Enthusiasmus in der deutschen
90 Es handelt sich hierbei um eine Formulierung zur Charakterisierung einer herrschaftskritischen und reflexiven Kulturanthropologie, die hier auf die herrschaftsstützende Kolonialgeographie übertragen wurde: Johannes Fabian: Anthropology with an Attitude. Critical Essays, Stanford 2001. 91 Woodruff D. Smith: Politics and the Sciences of Culture in Germany, 1840-1920, New York 1991, u.a. S. 11. 92 Peter Sebald: Malam Musa, Gottlob Adolf Krause, 1850-1938. Forscher, Wissenschaftler, Humanist. Leben und Lebenswerk eines antikolonial gesinnten Afrika-Wissenschaftlers unter den Bedingungen des Kolonialismus, Berlin 1972, u.a. S. 48. Obgleich Sebalds Studie interessante Einsichten in das koloniale Milieu landeskundlicher Wissenschaften liefert, muss jedoch angemerkt werden, dass Krause sich auch weitere formale Bedingungen für eine akademische Karriere entbehrte, vgl. dazu etwa, W. Smith: Politics and the Sciences of Culture in Germany, S. 165.
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Kolonialbewegung und Gewaltexzesse im Kongo kritisiert hatte, war er vehementen Attacken ausgesetzt und zog sich darauf aus der Kolonialgeographie zurück.93 Koloniale Ideologien gehörten von Anfang an zur Kolonialgeographie und waren nicht nur privates Engagement von Geographen, sondern sie verstanden die Rechtfertigung der kolonialen Expansion als Teil ihrer wissenschaftlichen Aufgabe. Schon Emil Deckert hatte in seinen Kolonialgeographischen und Kolonialpolitischen Skizzen angemahnt, »die deutsche Gesinnung daheim zu hegen«, einen Anspruch, den Geographen immer wieder durch politische Schriften einlösten und später sogar, so etwa Uhlig in der Antrittsvorlesung als wissenschaftliche Aufgabe definierten.94 Nicht nur um ein kühles, objektives wissenschaftliches Räsonieren gehe es bei der Kolonialgeographie, stellte der Tübinger Geograph fest, sondern auch um »ein Stück der geistigen Durchdringung und Aneignung des politisch Erworbenen«. Die »geographische Arbeit« sei durchaus mit »ethischen« Bedeutungen aufgeladen.95 Die koloniale Gesinnung der Geographen war äußerst stabil. Mit dem Wegfall von Forschungsmöglichkeiten in den Territorien der deutschen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg mussten sich Geographen damit begnügen, ihre Aufzeichnungen von früheren Expeditionen weiter auszuarbeiten. So erschienen dann noch einige Monografien, aber vorwiegend publizierten sie Aufsätze, die sich entweder mit wissenschaftlichen Spezialproblemen beschäftigten oder Propagandaschriften waren, aber oft auch beides miteinander kombinierten. Zwischen den 1920er und frühen 1940er Jahren erschien eine ungeheure Menge an Aufsätzen von jenen Kolonialgeographen, die während der Kolonialzeit in den Kolonien geforscht hatten, aber auch von einer neuen Generation von Nachwuchsgeographen. Klaus Kost unterschied diese Schriften nach den drei Ideologemen Nationalismus, Rassismus und Imperialismus, wobei ein sechsgliedriges Ordnungsschema das Spektrum der politischen Schriften vor und nach dem Ersten Weltkrieg vielleicht
93 Siehe auch die wohlwollende Rezension zu Pechuël-Loesches Volkskunde von Loango von Max Schmidt, in: Zeitsch. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 205f. Eine positive und knappe Rezension findet sich auch in PGM 53 (1907), S. 120. Zur Biographie: Siegfried Passarge: Pechuël-Loesche, in: DKZ 30 (1913), S. 547f. Zur Kritik an der Zivilisierungsmission und am kolonialen Überschwang bezogen auf das Kongogebiet: PechuëlLoesche: »Congoforschung und die Congofrage«, in: Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin 11 (1884), S. 184-211. 94 E. Deckert: Kolonialreiche und Kolonisationsobjekte, S. 218. 95 C. Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«, S. 365.
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deutlicher zu fassen vermag.96 Danach umfasst der erste Typ Propagandaschriften, die zwar geographisches Basiswissen enthielten, Geographie aber nur als Vehikel für politische Botschaften gebrauchten. Oft gingen diese Aufsätze aus Vorträgen hervor, wobei die Geographen ihre Autorität als Kolonialexperte und ihr kulturelles Renommee als Professor gezielt einsetzten, um Argumentationen größere Resonanz zu verschaffen. Ein zweiter Typ von politischen Aufsätzen behandelte spezielle Forschungsprobleme, so zur kolonialen Landwirtschaft und Rohstofffragen, verarbeitete aber neue Daten, etwa die neuere Forschungsliteratur und Statistiken zu den Mandatsgebieten des Völkerbundes. Diese Schriften waren eher als wissenschaftlich zu bezeichnen, entbehrten aber nicht der kolonialrevanchistischen Rhetorik. Im Gegenteil, ihr Zweck war es, der erhofften deutschen Rekolonisierung der Territorien ein wissenschaftliches Fundament zu bereiten. Beide Typen sind schwer voneinander abzugrenzen, da einmal die Propaganda dominierte, ein anderes Mal die wissenschaftliche Analyse stärker hervortrat. Gemeinsam haben sie den häufigen Rückbezug auf vorkoloniale Argumentationsmuster, die den ehemaligen Kolonialgebieten einen herausragenden Stellenwert für die nationale Wohlfahrt des Deutschen Reiches zuschreiben, obgleich die koloniale Realität gezeigt hatte, dass der Anteil der Kolonien am deutschen Außenhandel vergleichsweise gering war und volkswirtschaftlich gesehen eher ein Verlustgeschäft war.97 Zu den Schriften, die sich mit kolonialen Gegenwarts- und Zukunftsproblemen beschäftigten, kam die apologetische Geschichtsdeutung als dritter Typ hinzu. Nachrufe und sentimentale Rückblicke auf die deutsche Kolonialzeit oder auf die Leistungen der Kolonialpioniere gehörten ebenso dazu wie Wissenschaftsgeschichte. Einige ersannen eine »longue durée« deutscher Kolonialbestrebungen, die mit der Völkerwanderung, der mittelalterlichen Kolonisation Mitteleuropas oder den 96 Für einen Überblick über die kolonialgeographische Literatur zwischen 1919 und 1945, siehe: K. Kost: Die Einflüsse der Geopolitik auf Forschung und Theorie der Politischen Geographie von ihren Anfängen bis 1945. 97 Als Beispiele für das Zusammenspiel von Propaganda und geographischer Raumanalyse, siehe das Kolonialheft der Zeitschrift für Geopolitik 3/I, 3 (1926) mit Beiträgen von Hans Meyer, Franz Thorbecke, Leo Waibel, Walter Behrmann und Erich Obst, die Beiträge von Fritz Jaeger, Carl Troll, Erich Obst, Fritz Klute, Carl Uhlig, Franz Thorbecke und Hans Grimm, in: Erich Wunderlich (Hg.): Afrika, Europa und Deutschland, Stuttgart 1934 sowie ebenfalls Heinrich Schmitthenner, Franz Thorbecke, Karl H. Dietzel, Fritz Klute, Erich Obst und Walter Behrmann, in: Dietzel/Schmieder/Ders.: Lebensraumfragen europäischer Völker, Band 2. Ferner zur Propaganda: Hans Meyer: »Deutschlands koloniale Forderungen«, in: Leipziger Neueste Nachrichten, Nr. 21 vom 22. Januar 1918 sowie die viel zitierte Einleitung: Erich Obst: »Wir fordern unsere Kolonien zurück«, in: Zeitschrift für Geopolitik 3 (1926), S. 152-160.
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Kreuzzügen begann. Nachrufe verklärten Biographien meist zu kolonialen Heldengeschichten, in denen Kolonialpioniere ihr Leben für die Weltgeltung des Deutschen Reiches opferten. In der Wissenschaftsgeschichte fielen zwei Tendenzen auf: Die Schriften, die noch in der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft erschienen, stellten meist den Anteil deutscher Forschungsreisender und Wissenschaftler an der Erforschung Afrikas heraus, während spätere Aufsätze stärker die kolonisatorische Bedeutung der geographischen Forschungsleistungen betonten. Franz Thorbecke ging sogar so weit, die Geographie zur Wegbereiterin der deutschen Kolonisation zu erklären.98 Ein viertes Feld war die koloniale Indoktrination der Jugend. Schon während der Kolonialzeit befassten sich Geographen mit der kolonialen Bildungsarbeit. Alfred Kirchhoff veröffentlichte 1893 einen knappen landeskundlichen Überblick zu den deutschen Kolonien für den Schulunterricht, der fünfzehn Jahre später immerhin in der fünften Auflage erschien, aber spätestens dann den geographischen
98 Franz Thorbecke: »Die Geographie als Wegbereiterin der Kolonisation: Rückblick und Ausblick«, in: Dietzel/Schmieder/Schmitthenner, Lebensraumfragen europäischer Völker, Band 2, S. 28-47. Für eine Auswahl: Karl H. Dietzel: Die Grundzüge der deutschen Kolonialpolitik vor dem Weltkriege (Kriegsvorträge der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, Vortragsreihe: Europa und die Kolonien), Bonn 1941; Kurt Hassert: »Zur 50. Wiederkehr der Erwerbungen der deutschen Schutzgebiete (18841899)«, in: Geographische Wochenschrift 2 (1934), S. 608-616. Als lange Geschichte der deutschen Kolonisation: Heinrich Schmitthenner: »Die Deutschen als Kolonialvolk«, in: GZ 40 (1934), S. 161-190. Fritz Jaeger: »Die wissenschaftlichen Forschungen«, in: Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft (Hg.): 40 Jahre deutsche Kolonialarbeit: Gedenkschrift zum 24. April 1924, Berlin 1924, S. 36-39; Ders.: »Die landeskundliche Erforschung Südwestafrikas während der deutschen Herrschaft«, in: »Die landeskundliche Erforschung Südwestafrikas während der deutschen Herrschaft«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1924 zu Berlin am 17. und 18. September 1924, Berlin, S. 503-512; Fritz Jaeger: »Die geographische Bedeutung der deutschen Kolonialarbeit: Zum 50. Geburtstag des deutschen Kolonialreiches«, in: PGM 80 (1934), S. 105-107; Karl H. Dietzel: »Afrika«, in: Carl Petersen/Otto Scheel (Hg.): Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums, Band 1, Breslau 1933-1935, S. 15-21; Erich Obst: »Südwestafrika: Deutsche Leistungen im Lande der Wüsten und Steppen«, in: Geographische Wochenschrift 2 (1934), S. 644-658. Zu apologetischen Geschichtsdeutungen vor dem Ersten Weltkrieg, siehe u.a. Friedrich Hahn: »Deutschlands Anteil an der Afrikaforschung«, in: Deutsche Erde: Zeitschrift für Deutschkunde 5 (1906), S. 202-206; Adolf Schenck: »Die Afrikaforschung seit d. Jahre 1884 und ihr gegenwärtiger Stand«, in: GZ 4 (1898), S. 336-349, 388-397, 574-588, 643-653 und 694-710.
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Wissensständen nicht mehr gerecht wurde.99 Vielfach schalteten sich Kolonialgeographen in die Debatte um die Kolonialerziehung ein. Dove forderte beispielsweise allgemeinverständliche Vorlesungen zur Kolonialgeographie an Universitäten und Technischen Hochschulen für Nicht-Geographen und die Erhöhung der Stundenzahlen des Erdkundeunterrichts an weiterführenden Schulen. In einem weiteren Aufsatz befürwortete er eine kolonialgeprägte »Bürgerkunde«, für die ab 1913 staatswissenschaftliche Fortbildungen für Lehrer an höheren Schulen stattfanden und für die er Erdkundelehrer als die geeigneten Lehrkräfte pries.100 Viele Hochschulgeographen drängten darauf, den schulischen Erdkundeunterricht noch stärker auf die koloniale Erziehung auszurichten. Hassert sah sich sogar veranlasst, einmal über den nationalen Tellerrand auf die britische Kolonialerziehung zu blicken.101 Der Verlust der deutschen Kolonien steigerte noch die strategische Bedeutung der Schule als Ort der Kolonialerziehung, doch erhielt auch die koloniale Jugendbildung außerhalb der Schule Aufmerksamkeit.102 So hob Leo Waibel die Bedeutung von Vorträgen der Ortssektionen der Deutschen Kolonialgesellschaft hervor und plädierte dafür, sie stärker auf die Interessen von Jugendlichen zuzuschneiden.103 Fünftens traten rassenkundliche Fragen weiter in den Vordergrund. Völkerkundliche Studien radikalisierten die rassistischen Stereotype, brachten sie mit nationalsozialistischen Herrenmenschenvorstellungen in Einklang oder ersannen neue rassentypologische Merkmalsausprägungen.104 Ein sechster Typus mit ebenfalls rassenkundlicher Ausrichtung befasste sich mit der Akklimatisationsfähigkeit von weißen Europäern in den Tropen. Es ging dabei um die Auswirkungen des tropischen Klimas sowie um biologische und kulturelle Langzeiteffekte auf die Nachkommenschaft. Während es sich bei diesem Thema um ein transdisziplinäres und international verfasstes Forschungsfeld handelte, etablierte sich in Deutschland eine radikalere, strikt nationale Variante. Zunächst hatte die Auslandsdeutschtums-
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Alfred Kirchhoff: Die Schutzgebiete des deutschen Reiches. Zum Gebrauch beim Schulunterricht, Halle 1893, vgl. auch die erweiterte fünfte Auflage von 1908.
100 K. Dove: »Zur Frage der kolonialen Bildung«, in: DKZ 17 (1900), S. 362-364, 375376; Ders.: »Die Kolonien und die Schule, in: DKZ 30 (1913), S. 831f. 101 Siehe die Rezension von Kurt Hassert zu: »Hubert Reade: English Schools and Colonial Education: How can they be linked?«, in: DKZ 22 (1905), S. 355. 102 Henning Heske: »...und morgen die ganze Welt...«. Erdkundeunterricht im Nationalsozialismus, Gießen 1988, S 237-242; Walter Behrmann: »Dokumente für die koloniale Schulung«, in: Geographische Wochenschrift 3 (1935), S. 425- 428. 103 Leo Waibel: »Der koloniale Gedanke und die deutsche Jugend«, in: DKZ 37 (1920), S. 93f. 104 K. Kost: Die Einflüsse der Geopolitik auf Forschung und Theorie der Politischen Geographie von ihren Anfängen bis 1945, S. 218-227.
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forschung sich für deutsche Siedler in den ehemaligen Kolonialgebieten interessiert, zum Teil auch um jene, die nach Nord- oder Südamerika emigrierten, bald standen jedoch deutsche Siedlergemeinschaften in Südost- und Osteuropa im Mittelpunkt.105 Als eine Variante etablierten sich die Kulturbodenforschung, die mit Unterstützung verschiedener Reichsministerien – von der Deutschen Mittelstelle für Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig betrieben wurde, später als gleichnamige Stiftung, geleitet von Albrecht Penck als Präsidenten und Wilhelm Volz als Geschäftsführer. Die Auslandsdeutschtumsforschung zog Wissenschaftler aus dem rechtskonservativen wie dem völkischen Milieu an und entwickelte sich alsbald zu einem Kernbereich nationalsozialistischer Volkstumsforschung.106 Der Historiker Franz-Josef Schulte-Althoff erkannte im kolonialpolitischen Engagement der Geographen vornehmlich einen pragmatischen Opportunismus, der darauf gerichtet gewesen sei, möglichst günstige Forschungsbedingungen und finanzielle Mittel für Expeditionen zu erlangen.107 Sicherlich wurde gerne auf externe Finanzierungsmöglichkeiten für Expeditionen zurückgegriffen. Aber als Begründung reicht dies nicht aus, denn die Geographen führten ihre koloniale 105 Zur Akklimatisierungsforschung: Karl Sapper: »Über das Problem der Tropenakklimatisation von Europäern, vor allem von Nord- und Mitteleuropäern«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1939, S. 363-377; Ders.: »Über die Akklimatisationsfähigkeit der Weißen in den Tropen«, in: PGM 85 (1939), S. 317-322. Zum Auslandsdeutschtum: Karl Sapper: »Das Deutschtum im Auslande«, in: Grenzbote 76 (1917), S. 107-114; Fritz Jaeger: »Auslandsdeutsche und Kolonien, in: Kurt Krause und Rudolf Reinhard (Hg.): Ernst von Seydlitz’sche Geographie. Deutschland, Band 1, Breslau 1925, S. 369-396; Carl Uhlig: »Die Entwicklung der auslanddeutschen Siedlungen im Südosten Europas in der Abhängigkeit von ihrer Umwelt«, in: Walter Behrmann (Hg.): Verhandlungen des 21. Deutschen Geographentages zu Breslau vom 2. bis 4. Juni 1925, Berlin 1926, S. 151-168; Ders.: »Bekennen wir uns zum deutschen Kolonialreich«, in: Württembergische Hochschul-Zeitung N.F. 6 (1928), S. 1-4; Carl Uhlig: »Auslanddeutschtum und Deutsche Hochschularbeit«, in: Reden bei der Rektoratsübergabe am 29. April 1926, Tübingen 1926, S. 12-26; Erich Obst: »Das Deutschtum in Süd-Afrika«, in: GZ 40 (1934), S. 190-216. 106 Michael Fahlbusch: »Wo der deutsche ... ist, ist Deutschland!«. Die Stiftung für Deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920-193, Bochum 1994. Siehe auch die Rezension zum Handwörterbuch für Grenz- und Auslanddeutschtum von dem völkischen Soziologen Gunther Ipsen im Weltwirtschaftliches Archiv 47 (1938), S. 212214. 107 Es finden sich zahlreiche Anspielungen auf ein von Finanzierungsmöglichkeiten induziertes Kolonialengagement der Geographen, vgl. F.-J. Schulte-Althoff: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der Geographie im Zeitalter des Imperialismus.
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Agitation fort, selbst nachdem die Kolonien längst ihre gesellschaftspolitische Bedeutung eingebüßt hatten und keine Forschungsmittel mehr für die Kolonialforschung bereitstanden. Weitere Motive müssen daher in Betracht gezogen werden, allen voran die politischen Mentalitäten der Geographen. Schon die Verlagerung der Forschungsaktivitäten von den Kolonien auf die Auslandsdeutschtumsforschung in Mitteleuropa zeigt, dass die Geographen erneut eine politische Agenda mit ihrer wissenschaftlichen Forschung verfolgten. Wie schon mit der Kolonialgeographie begaben sich die Geographen mit der Auslandsdeutschtumsforschung abermals ins rechtskonservative und nationalistische Lager. Geographen waren also alles andere als opportunistische Trittbrettfahrer. Der Kolonialismus der Geographen war weniger Mittel zum Zweck als vielmehr ein Ensemble von internalisierten Wertvorstellungen, die tief in den politischen Mentalitäten verankert waren.108 Carl Uhlig ließ beispielsweise kaum eine Gelegenheit aus, um über den Verlust der deutschen Kolonien zu lamentieren. Ständig wiederholte der Tübinger Geographieordinarius seine Forderung nach Rückgabe der Kolonien, so dass der Historiker Dieter Langewiesche das Stahlhelmmitglied als konservativen Prototyp eines professoralen Vergangenheitssuchers an der Tübinger Universität bezeichnete.109 Andere Geographen biederten sich noch mehr bei den Nationalsozialisten an in der Hoffnung auf ein erneutes Aufleben einer aktiven Kolonialpolitik.110 Bei vielen Kolonialgeographen entstand nicht erst gegen Ende der Weimarer Republik eine
108 Zur politischen Mentalität und dem Ideologiebegriff: Volker Sellin: »Mentalitäten und Ideologie«, in: Ders. (Hg.): Einführung in die Geschichtswissenschaft, Göttingen, 2. Aufl., 2005, S. 154-176; Ders.: »Mentalität und Mentalitätsgeschichte«, in: Historische Zeitschrift 241 (1985), S. 555-598. Für eine weitgefasste Ideologiekonzeption, siehe: Martin Seliger: Ideology and Politics, London 1976, u.a. S. 14f. 109 Uhlig war auch maßgeblich an der Gründung des Deutschen Auslandsinstitutes beteiligt, einem rechten Think-Tank, der ihm später mehrere Forschungsaufenthalte bei deutschen Minderheiten in Ost- und Südosteuropa finanzierte. Dazu auch: Dieter Langewiesche: »Die Eberhard-Karls-Universität Tübingen in der Weimarer Republik: Krisenerfahrungen und Distanz zur Demokratie an deutschen Universitäten«, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 51 (1992), 345-381, hier S. 367-368. 110 Vgl. Carl Uhlig: »Neue deutsche Kolonialpolitik«, in: Aus Unterricht und Forschung: Wissenschaftliche Zeitschrift auf nationalsozialistischer Grundlage 1934/4, S. 168-180. Zur institutionellen Einbindung von Kolonialgeographen in nationalsozialistische Herrschaftsstrukturen: Holger Stoecker: Afrikawissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945. Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes, Stuttgart 2008; Michael Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die »Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften« 1931-1945, Baden-Baden 1999.
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Voreingenommenheit gegenüber dem Parlamentarismus. Schon vorher polemisierten sie gegen Sozialisten und Kolonialismuskritiker, offenbarten manchmal sogar antikommunistische Reflexe, wenn sie etwa über die gesellschaftlichen Strukturen der kolonisierten Gemeinschaften schrieben.111 Zwei Extreme innerhalb der »academic community« verkörperten Siegfried Passarge und Hans Meyer. Passarge zettelte regelrechte Feldzüge gegen seine Kollegen an. Meinungsverschiedenheiten über die Geomorphologie der südwestafrikanischen Kalkpfannen nahm er zum Anlass, um Arbeiten des ehemaligen Kolonialoffiziers Heinrich Michaelsen zu schmähen und zugleich im Globus aus einem vertraulichen Dissertationsgutachten Albrecht Pencks zu zitieren. Dem Berliner Professor warf Passarge sogar vor, er habe mit der positiven Bewertung von Michaelsens Forschungen und der Befürwortung ihrer Publikation der Reputation der deutschen Geomorphologie geschadet.112 Auf dem zehnten Internationalen Geographenkongress von 1913 in Rom brachte er ein weiteres Mal seinen Zorn gegenüber dem amerikanischen Geomorphologen William Morris Davis und seinem deutschen Übersetzer Gustav Braun zum Ausdruck.113 Leo Frobenius verunglimpfte er in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und schreckte nicht davor zurück, den bekannten Völkerkundler sogar beim Reichskolonialamt zu denunzieren.114 In seinen Vorlesungen am Hamburger Kolonialinstitut hetzte der Radikalste unter den Kolonialgeographen gegen Juden und gebärdete sich ausgesprochen bellizistisch, indem er unter anderem den Pazifismus als »degenerative Domestikationserscheinung« bezeichnete.115 Passarge trat als lautstarker Fürsprecher der kompromisslosen Verteidigung nationaler Interessen in den deutschen Kolonien auf, prangerte etwa
111 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 131f.; Siegfried Passarge: Südafrika. Eine Landes-, Volks- und Wirtschaftskunde, Leipzig 1908, S. 202f. 112 Vgl. Siegfried Passarge: »Die Kalkpfannen des östlichen Darmalandes: Eine kritische Studie«, in: Globus 97 (1910), S. 216-222; Ders.: »Herr Geheimrat Penck und seine Urteile über Dr. Michaelsens Dissertation«, in: Globus 97 (1910), S. 369. 113 Gustav Braun: »Der 10. Internationale Geographenkongress in Rom 27.3-3.4.1913«, in: PGM 59 (1913), S. 288-295, v.a. S. 294. 114 Siegfried Passarge: »Die Forschungen des Herrn Leo Frobenius im Sudan«, in: DKZ 30 (1913), S. 626f. 641-643; Ders: »Zu Herrn Frobenius Entgegnung«, in: DKZ 30 (1913), S. 673f. Für eine Entgegnung von Frobenius: Leo Frobenius »Herr Professor Dr. Passarge als wissenschaftlicher Kritiker«, in: DKZ 30 (1913), S. 658, 660. Ferner: Siegfried Passarge: Brief an das Reichskolonialamt in Berlin vom 13.09.1913, BArch R 1001/6628. 115 S. Passarge: Das Geographische Seminar des Kolonialinstituts und der Hansischen Universität 1908-1935, S. 94.
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die Schaffung von Investitionsmöglichkeiten für Unternehmer aus dem europäischen Ausland an und polemisierte wiederholt und vehement gegen Cecil Rhodes und diejenigen, die ihm als Komplizen englischer und belgischer Interessen galten.116 Während des Krieges gegen die Herero plädierte er für ein unnachgiebiges Vorgehen gegen die Aufständischen und in einem Aufsatz zu Kamerun kritisierte er die militärische Zurückhaltung eines deutschen Kolonialoffiziers, um rücksichtslosen Vergeltungsmaßnahmen und Hinrichtungen von Aufständischen zu fordern.117 Die Deutsche Kolonialzeitung diente ihm ebenfalls als Forum, um den früheren Gouverneur von Kamerun Jesco von Puttkammer zu kritisieren, der den Entenschnabel, wie das deutsche Tschadgebiet bezeichnete wurde, für wertlos hielt und sich für seine Abgabe an Frankreich in einem territorialen Kompensationsgeschäft ausgesprochen hatte. Passarge verklärte die subtropische Region zwischen dem Logone- und Scharifluss als ein zweites Mesopotamien, hatte dann aber keinen Einfluss auf die Neuregelung der Kameruner Grenzen im Zuge des Marokko-KongoVertrages.118 Die Liste derjenigen, die Passarges Polemiken zu spüren bekamen, war lang: Missionswerke bezichtigte er einer übertriebenen Humanität, der Kolonialverwaltung und Geologen in Südwestafrika unterstellte er Untätigkeit.119 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten denunzierte er in einem Brief an das Erziehungsministerium Alfred Philippson und Alfred Hettner aufgrund von ihren jüdischen Verwandtschaftsverhältnissen.120
116 Siegfried Passarge: »Die De Beers Company in Deutsch-Südwestafrika«, in: DKZ 17 (1900), S. 161f.; Ders.: »Das System Scharlach«, in: DKZ 17 (N.F. 1900), S. 181-184. 117 Siegfried Passarge: »Die Herero im Kaukaufeld«, in: DKZ 21 (1904), S. 514, siehe dort auch den Redaktionshinweis: »Ohne Verantwortung der Gesellschaft«; vgl. Ders: »Das Kaukaufeld, ein Rückzugsgebiet der Herero«, in: DKZ 21 (1904), S. 355f.; zu Kamerun: Passarges Rezeption von H. Dominiks Vom Atlantik zum Tschadsee, Berlin 1908, in: GZ 14 (1908), S. 288f. 118 Siegfried Passarge: »Der Entenschnabel: Der wirtschaftliche Wert Deutsch-Bornus«, in: DKZ 28 (1911), S. 716f. 119 S. Passarge: Adamaua, S. VII; Ders.: »Die Kupferlager Deutsch-Südwestafrikas«, in: DKZ 18 (1901), S. 24f. Für eine Entgegnung der Anschuldigungen: Karl Schmeißer: »Geologische Erforschung und Bergbau in Deutsch-Südwestafrika«, in: DKZ 18 (1901), S. 57f. 120 Gerhard Sandner: »Zusammenhänge zwischen wissenschaftlichem Dissens, politischem Kontext und antisemitischen Tendenzen in der deutschen Geographie 1918-1945: Siegfried Passarge und Alfred Philippson«, in: Eckart Ehlers (Hg.): Philippson-GedächtnisKolloquium, 13.11.1989, Bonn 1990, S. 35-49, hier S. 40-41. Siehe ebenfalls: Gerhard Sandner: »The Germania Triumphans Syndrome and Passarge’s Erdkundliche Weltan-
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Hans Meyer war von einem großbürgerlichen Kosmopolitismus geprägt, der im Alter von einem wachsenden Rassismus begrenzt wurde. Häufig trat er als Mäzen auf, förderte die deutsche Kolonialgeographie, Völkerkundemuseen und rief sogar für den Betrieb des landeskundlichen Museums in Daressalam eine Hans-MeyerMuseums-Stiftung ins Leben. Auch den deutschen Siedlern in den ehemaligen Kolonialgebieten ließ er im Rahmen eines Hilfsfonds des ehemaligen Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft Albrecht zu Mecklenburg eine großzügige Spende zukommen.121 Meyer war ein Netzwerker, der über politische und inhaltliche Differenzen hinweg eher auf Ausgleich bedacht war, anstatt zu polarisieren. Mit vielen Kolonialbeamten korrespondierte er häufig, etwa mit dem zeitweiligen Gouverneur von Ostafrika Gustav Adolf von Götzen, aber selbst gegenüber Kolonialismuskritikern zeigte er sich mitunter aufgeschlossen und freigiebig.122 Über mehrere Jahrzehnte hinweg pflegte er Kontakt mit dem Afrikaforscher Gottlob A. Krause und ließ Krause kleinere Geldbeträge in sein vorübergehendes französisches Exil zukommen, obwohl der Afrikaforscher zur persona non grata der kolonialen Wissenschaftlergemeinschaft geworden war.123 Aber Meyer war selbst alles andere als unpolitisch. In die deutsche Kolonialpolitik schaltete er sich nicht nur im Rahmen der landeskundlichen Kommission ein, auch publizistisch intervenierte er mit einer Artikelserie in der zu seinem Firmenkonsortium gehörenden
schauung: The Roots and Effects of German Political Geography beyond Geopolitik«, in: Political Geography Quarterly 8/4 (1989), S. 341-351. 121 Vgl. H.G. Penny: The Objects of Culture, S. 75; PGM 60 (1914), S. 137; Stiftungsurkunde der Hans-Meyer-Stiftung in Dar-es-Salam, IfLA, K. 175/60; Wilhelm Heinrich Solf: Brief des Staatssekretär des Reichskolonialamtes an Hans Meyer vom 29.12.1913, IfLA, K. 175/67; Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg: Brief an Hans Meyer vom 04.12.1916, IfLA, K. 197/118 [siehe dort auch handschriftlicher Vermerk über Meyers Bewilligung der Spende]. Jaeger führt ferner an, dass Meyer 150.000 Mark für die von Karl Lamprecht gegründete König-Friedrich-August-Stiftung und 160.000 Mark für die Universität Berlin anlässlich der Hundertjahrfeier und Einrichtung von Jaegers Professur, spendete, vgl. Fritz Jaeger: Geheimer Hofrat Professor Dr. Hans Meyer, Leipzig, in: Karl Schneider (Hg.): Jahrbuch über die deutschen Kolonien; Band 7, Essen 1914, S. 1-8, hier S. 9. 122 Vgl. Reinhart Bindseil: Ruanda im Lebensbild des Offiziers, Afrikaforschers und Kaiserlichen Gouverneurs Gustav Adolf von Götzen (1866-1910), Berlin 1992, S. 199. 123 G.A. Krause: Briefe an Hans Meyer vom 05.01.1898, 19.01.900, 04.04.1906, 22.06.1906, 06.06.1919 und 03.10.1919, IfLA, K. 179/146, 148, 151, 153, 154. Zu den wenigen Unterstützern Krauses: P. Sebald: Malam Musa, Gottlob Adolf Krause, 18501938, u.a. S. 23, 98.
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Täglichen Rundschau. 1901 unterbreitete er Vorschläge für eine Verwaltungsreform in den Kolonien, wobei er für mehr finanzielle Austerität in den Kolonien und die Begrenzung der Gouverneursbefugnisse durch Länderbeiräte plädierte.124 Den Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger kritisierte er heftig, nachdem der Zentrumspolitiker die materiellen Eigeninteressen der Mitglieder des Kolonialrats angeprangert hatte.125 Eine »Antikritik« gegen eine wenig erfreuliche Rezension des Globusredakteurs Hermann Singer publizierte Meyer auf Bitten des Reichskolonialamtes nicht.126 Trotz Unterschiede in den Persönlichkeitsstrukturen von Passarge und Meyer arbeiteten beide an der Niederschrift von Das Deutsche Kolonialreich zusammen. Beide Autoren teilten viele Deutungsmuster und Rassismen, wenn Meyer auch nicht an den beispiellosen Extremismus von Passarge heranreichte. Aber die extreme Rechte war Meyer ebenso wenig fremd. So engagierte er sich während des Ersten Weltkrieges in der gegen einen Verhandlungsfrieden opponierenden Deutschen Vaterlandspartei.127 Passarge und Meyer bilden das Spektrum der kollektiven Wertehaltung innerhalb der »academic community« der Kolonialgeographen ab, wozu imperiales Sendungsbewusstsein und Engagement für die politische Rechte gehörten. Andere Kolonialgeographen teilten diese Haltung.128 Geographen waren insofern nicht nur Opportunisten, die aus pragmatischen Gründen auf Gelder und koloniale Strukturen zurückgriffen, damit sie sich möglichst gute Bedingungen für wissenschaftliche
124 Vgl. dazu August Seidel: »Koloniale Reformvorschläge«, in: DKZ 18 (1901), S. 422424; DKZ 18 (1901), S. 442-443; H. Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch, S. 268-285. 125 Hans Meyer: »Der Kolonialrat und Herr Erzberger«, in: Tägliche Rundschau, 10.01.1907. 126 Vgl. 29. Sitzung der landeskundlichen Kommission vom 26.03.1910 sowie die 31. Sitzung vom 16.01.1911, in: Protokolle der landeskundlichen Kommission, IfLA, K. 176/17. Zur Kritik von Singer an Meyer, vgl. Hermann Singer: »Das Deutsche Kolonialreich«, in: Globus, 43 (1910), S. 33. 127 Meyer wurde zu Mitgliedersitzungen eingeladen und hielt kolonialpropagandistische Vorträge auf Parteiveranstaltungen: IfLA, K. 170/15, 170/70. 128 Unmittelbar nach der Machtergreifung wurde Passarge zum Reichsobmann für Geographie im Nationalsozialistischen Lehrerbund ernannt. Bereits im November 1933 wurde er des Amtes wieder enthoben, nachdem er in der internationalen Geographenschaft schwere Verstimmungen ausgelöst hatte. Dazu: G. Sandner: »Zusammenhänge zwischen wissenschaftlichem Dissens, politischem Kontext und antisemitischen Tendenzen in der deutschen Geographie 1918-1945«, in: Ehlers, Philippson-GedächtnisKolloquium v.a. S. 39-47.
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Forschung schaffen konnten. Genauso falsch wäre es von einer politischen Instrumentalisierung der Geographie zu sprechen, denn Geographen ließen sich weder unwissentlich noch unwillentlich für koloniale Angelegenheiten benutzen. Vielmehr beförderten sie aktiv die koloniale Expansion: durch propagandistische Schriften, die Mitarbeit in der Kolonialbewegung, als Sachverständige und manchmal sogar als politische Berater, wenngleich ihre Bedeutung als politische Souffleure in der disziplingeschichtlichen Literatur wohl oft überschätzt worden ist oder mit der Rolle des politischen Lobbyisten verwechselt wurde. Die Kolonialgeographie erschöpfte sich nicht in kolonialer Gelehrtenpolitik und ist auch nicht auf eine imperiale Herrschaftstechnik zu reduzieren. Wissenschaftliche Ziele und politische Interessen wirkten in der Kolonialgeographie zusammen. Dabei nutzten die Geographen koloniale Ressourcen, um eigene Erkenntnisinteressen zu bedienen, die für die Politik und Kolonialpraxis oftmals nur von marginaler Bedeutung waren, wie sie zugleich ihre Wissenschaft benutzen, um kolonialpolitische Veränderungen und koloniale Entwicklungsmaßnahmen anzumahnen.
4. Expeditionsalltag und koloniale Situationen
Wie Forschungsreisende in der Zeit vor den kolonialen Landnahmen reisten auch Kolonialgeographen nicht als Einzelreisende durch die Kolonien, sondern wurden auf ihren Expeditionen von großen Karawanen mit oft mehr als einhundert Helfern begleitet. Doch während man früher noch als Gäste von Handelskarawanen von der Küste ins Landesinnere reiste oder Personal von einheimischen Kaufleuten anwarb, übernahmen nun die Generalgouvernements und das Militär viele dieser logistischen Aufgaben. Die reduzierte Abhängigkeit von lokalen Wirtschaftsstrukturen und die veränderten Herrschaftsverhältnisse führten dazu, dass der Umgang mit dem Personal in den Kolonien rauer wurde. Träger wurden weniger als Gefährten, denn als Transportmittel wahrgenommen, obwohl die Geographen mit manchen von ihnen mehr als ein Jahr verbrachten. Finden sich in Tagebüchern der vorkolonialen Periode noch viele Erzählungen über die einheimischen Begleiter, so wuchs ihnen gegenüber in der Kolonialzeit die Ignoranz, was sich auch darin niederschlug, dass Tagebücher nur noch wenige biographische Angaben über die Helfer enthielten.1 Aus den verstreuten Informationen lässt sich dennoch ein umfassendes Bild von der internen Struktur der Karawane gewinnen, vom Umgang der Geographen mit einheimischen Helfern und den Begegnungen mit Dorfgemeinschaften. Eines der elementarsten Probleme auf einer Expedition war die Versorgung der Karawane mit Lebensmitteln. Mehr noch als die wissenschaftlichen Aufgaben beanspruchte die Expeditionslogistik die Geographen und Expeditionsassistenten. Beide Tätigkeiten waren jedoch eng miteinander verknüpft. Im Bericht über seine
1
Vgl. J. Fabian: Im Tropenfieber, S. 49-56; D. Simpson: Dark Companions; A. Fisher/ H.J. Fisher: »Nachtigal‘s Companions«, in: Jones/Heintze, European Sources for SubSaharan Africa before 1900, S. 231-261.
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Ostafrikaexpedition von 1904 verdeutlichte Carl Uhlig, wie seine Forschungen durch den Nahrungsmangel beschnitten wurden:2 »Der eben erwähnte Mangel an Cerealien für unsere Leute verfolgte uns auch während des größten Teils unserer weitern Expedition [sic]. Es herrschte nicht eigentlich Hungersnot – wenn auch die Eingeborenen fast überall sagten: viel Hunger –, aber doch war oft drückendster Mangel, der an vielen interessanten Stellen längeres Verweilen einfach unmöglich machte.« Ohne eine vorausschauende Expeditionslogistik konnten Geographen nicht an die verschiedenen Orte und Räume in einer Kolonie gelangen und dort über die Zeit und Ausrüstung verfügen, die sie für ihre Forschungen benötigten. Aus finanziellen Erwägungen war der Mangel oft einkalkuliert, so dass logistische Engpässe erst dann beseitigt wurden, wenn die Expedition durch die abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit und Unzufriedenheit der einheimischen Helfer gefährdet war. Eine Expedition war für Geographen ein Abenteuer und eine einmalige Chance auf wissenschaftliche Anerkennung, für die Karawane hingegen war sie eine entbehrungsreiche Zeit voller Strapazen.
D IE K ARAWANE Eine Expedition bestand aus vielen Menschen: aus Trägern, Führern, Dolmetschern und persönlichen Dienern, die die Geographen auf ihrem Weg durch die Kolonien begleiteten – dazu kamen noch einige Polizeisoldaten, die für Sicherheit auf der Expedition sorgten. »Die Karawane besteht jetzt aus Eduard & mir, 5 Boys, 3 Askaris, 3 Massaiführern, 3 Trägeraufsehern, 56 Trägern, 2 Trägerboys, Gott sei Dank keine Weiber & unserem Maultier«, so Fritz Jaeger bei Abmarsch unweit von Tanga.3 Damit handelte es sich um eine vergleichsweise kleine Karawane, die nur noch von kürzeren Touren auf Südseeinseln oder von Expeditionen in DeutschSüdwestafrika unterboten wurde, etwa von Karl Dove, der sich auf dem Weg nach Windhoek einem deutschen Missionar anschloss und später wie auch Leonhard Schultze mit der Kolonialtruppe ritt.4 Oft bestanden Karawanen aus mehr als
2
Carl Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung: Mitteilungen über eine Forschungsreise« [sic], in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 75-94, hier S. 77.
3
Fritz Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas
4
K. Dove: Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder (1896), u.a. S. 197-199.
1906/07, Heft 1, 27.06.1906, S. 103, IfLA, K. 848/2 [Heft 2-4, IfLA, K. 848/3-5].
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hundert Personen. An Kurt Hasserts Expedition waren nach Aufbruch vom Kamerunberg um die einhundert Personen beteiligt, Meyer überquerte mit 118 Begleitern den ruandischen Grenzfluss Kagera, die Karawane der »Otto-Winter-Expedition« von Uhlig und Jaeger bestand sogar aus 160 Helfern.5 Noch größer waren die Grenzvermessungsexpeditionen und wissenschaftliche Expeditionen von interdisziplinären Forschergruppen. Schultze und die Kaiserin-Augusta-FlussExpedition verfügten in Neuguinea jeweils über etwa zweihundert Helfer, ebenso die Ostafrika-Expedition von Hans Meyer und Oscar Baumann.6 Oft schwankte die Karawanengröße, da zur Beförderung der wissenschaftlichen Sammlungen oder von zusätzlichen Nahrungsvorräten, wenn die Expeditionen wenig besiedelte Räume zu durchqueren beabsichtigten, zusätzliche Träger eingestellt wurden. Das Ehepaar Thorbecke reiste in Kamerun die meiste Zeit mit einer Gruppe von 75 Helfern, in Nkongsamba wuchs sie jedoch auf einhundert Träger an, in Bamum waren es sogar 135, wobei die Forschungsreisenden gelegentlich selbst den Überblick über die Karawanengröße verloren.7 5
[Hans Meyer:] »Berichte über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. K. Hassert und Professor F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 190-199, hier S. 191; Hans Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, 12.07.1911, zit. nach R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 79 [Die Tagebucheinträge werden entweder nach R. Bindseil oder nach den Originaltagebüchern, Hefte 1-10, IfLA, K. 180/2/37-46 zitiert]. Im Reisebericht spricht Meyer davon abweichend von 130 Mann, siehe: Hans Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1912, S. 107-135, hier S. 107. Ferner siehe auch den Vortrag von Hans Meyer, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig 1912, S. 1-5; C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung«, S. 77.
6
Bei Schultze handelte es sich hierbei allerdings um die Gesamtzahl der insgesamt beschäftigten einheimischen Helfer. Den »Hauptvorstoß« unternahm die Expedition zusammen mit einhundert Trägern und Bewaffneten, vgl. L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S: 79; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 34; K. Goebel: »Hans Meyer. Verleger, Forscher, Geograph«, in: H.P. Brogiato (Hg.), Die Anden (2003), S. 59-71, hier S. 64. Bei Grenzvermessungsexpeditionen waren häufig mehr als Hundert Träger und Hilfskräfte zu beschäftigen: o.A: Die Vermerkung der Ruandagrenze, in: DKZ 29 (1912), S. 759f.
7
Marie Pauline Thorbecke schrieb, dass zunächst 60 Träger und sechs »Headleute« mit zwei Fünfteln des Gepäcks nach Dschang geschickt wurden. Wenige Tage später bestand die Karawane aus 110 Helfern einschließlich des weiteren Personals, in Ngambe soll die Karawane schließlich auf 170 Personen angewachsen sein. Zum Teil variieren die Angaben zur Karawanengröße in verschiedenen Publikationen, vgl. Franz Thorbecke: Im
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Ihre persönlichen Diener bezeichneten die Geographen als »Boys« oder Hausjungen. Meist handelte es sich um junge Männer, manchmal tatsächlich um Jugendliche. Zu ihren Aufgaben gehörte die Bewirtung der Forschungsreisenden, die Bedienung bei Tisch, das Aufschlagen des Nachtlagers und die Pflege der Garderobe, einschließlich Wäschewaschen und Bügeln.8 Die Boys trugen in der Regel die Instrumente der Forschungsreisenden und assistierten ihnen bei Messungen. Wenn die Geographen mehrere Boys angestellt hatten, dann gab es oft eine Arbeitsteilung, die manchen von ihnen die Verantwortung für den alltäglichen Komfort der Forschungsreisenden auferlegte, während ein oder zwei sich vorwiegend um wissenschaftliche Aufgaben kümmerten. Oft engagierten die Forschungsreisenden die »Boys« bald nach Ankunft in der Kolonie, vor der Jahrhundertwende gelegentlich schon während der Anreise in einem der Häfen.9 Zu ihren Dienern hatten die Geographen häufig den engsten Kontakt in der Karawane, da sie einen Großteil des Tages mit ihnen verbrachten. Selbst wenn der Rest der Karawane im Lager blieb, begleiteten sie die Geographen auf abendlichen Touren. Im Gegenzug genossen sie Privilegien, bekamen besseres Essen, die Reste der Forschungsreisenden, bessere Ausrüstung, mehr Geld und durften mitunter Waffen führen. »Die Boys standen im Rang über den Trägern«, schrieb Jaeger in seinem Tagebuch.10 Ein Koch und manchmal ein Küchengehilfe, die sich ausschließlich um die Essenszubereitung und Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise: Eindrücke und Beobachtungen, Hamburg 1914, S. 11, S. 22; Marie Pauline Thorbecke: Auf der Savanne. Tagebuch einer Kamerun-Reise, Berlin 1914, S. 9, 15, 41, 60. 8
Marie Pauline Thorbecke hatte einen 14jährigen »Jaunde-Jungen« engagiert, der schon einer anderen weißen Frau gedient haben soll und über Erfahrung im Wäschewaschen verfügte. Zwei weitere Boys mit Namen Isono und Adam Drytime waren wohl ebenfalls noch im jugendlichen Alter. Dazu: M. P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 6f, 11. Tom, der persönliche Diener von Uechtritz war erst fünfzehn, siehe: Siegfried Passarge: Adamaua, S. 62f. Behrmann sprach von seinem »kleinen Hausjungen Jong«: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 32. Andere »Boys« waren hingegen älter, siehe: H Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten, S. 41. Für Reflexionen über die Altersstruktur der persönlichen Dienerschaft auf Expeditionen, vgl. auch: J. Fabian: Im Tropenfieber, S. 51-52.
9
So von Passarges Begleiter Uechtritz in Monrovia, Meyer und Baumann in Aden, vgl. dazu S. Passarge: Adamaua, S. 62; B. Köfler-Tockner: »Denn die Tropenwelt ist eine Circe...«, S. 82.
10 Fritz Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2. Meine erste Forschungsreise 1904 in Deutsch Ostafrika [unpubliziert, ohne Ort und Jahr], S. 9, IfLA, K. 850/4. Zu den Privilegien der Boys: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 179, 305; M. P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 76.
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Vorratshaltung für die weißen Forschungsreisenden zu kümmern hatten, ergänzten die persönliche Dienerschaft. Eine Karawane bestand überwiegend aus Trägern. In Ostafrika beschäftigten Geographen gerne Nyamwezi, die im Ruf standen, besonders kräftig und zuverlässig zu sein.11 Sie stammten aus Unyamwezi, einer bergigen Region im Nordwesten der Kolonie zwischen Viktoriasee und Rukwa, und waren schon lange vor der europäischen Kolonisierung Ostafrikas eine »Nation von Trägern« geworden. Vor allem für indische, arabische und Swahili-Kaufleute hatten sie damals schon den Warentransport übernommen.12 Uhlig heuerte für seine Otto-Winter-Expedition sechzig Nyamwezi an, deren Organisationsweise Jaeger anschaulich in seiner autobiographischen Skizze beschrieb.13 »Ein grosses baumwollenes Tuch wickeln sie als Turban um den Kopf, um die Last darauf zu tragen. Um 2 etwa 80cm lange Stäbe wickeln sie eine Matte; diese Rolle wird auf ihre Last, meist eine Kiste gebunden und ermöglicht ihnen die Last auf der Schulter zu tragen. Nachts im Lager errichteten sie aus dem Turban und den Stäben ihr Zelt und schlafen auf der Matte. Sie tragen Lasten von 30 kg, dazu noch ihren eigenen Kram wie einen Kochtopf, oder eine Kürbisflasche mit Wasser. Sie gehen meist barfuss, wenn sie es haben können, schneiden sie sich Sandalen aus Tierhäuten. Auf ordentlichen Wegen marschieren sie 20, 25, gelegentlich auch 40 km am Tag.« Neben den Nyamwezi beschäftigten die Geographen in Ostafrika noch andere soziale und ethnische Gruppen, manchmal erfuhren die Geographen erst später, dass die soziokulturellen Zugehörigkeiten in ihrer Karawane heterogener als ursprünglich angenommen waren. Mehr als sieben Sprachen waren Jaeger zufolge in seiner
11 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 29.06., 07.11.1906, S. 107, 443, Karl Weule: Negerleben in Ostafrika. Ergebnisse einer ethnologischen Forschungsreise, Leipzig 1908, S. 59. 12 Bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts bildete sich nach Stephen Rockel eine Trägerkultur heraus, auf deren Basis ab den 1820er Jahren die Integration der afrikanischen Peripherie in die kapitalistische Weltwirtschaft erfolgte. Während die Nyamwezi in Ostafrika und Zentralafrika das Trägergeschäft dominierten, übten jedoch auch Yao, Kimbu, Sumbwa und die Küstenbevölkerung Trägerdienste aus. Dazu: Stephen J. Rockel: »›A Nation of Porters‹: The Nyamwezi and the Labour Market in Nineteenth-Century Tanzania«, in: Journal of African History 41 (2000), S. 173-195; Stephen J. Rockel.: Carriers of Culture. Labor on the Road in Nineteenth-Century East Africa, Portsmouth 2006. 13 F. Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2, S. 7.
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Nyamwezi-Karawane vertreten.14 Die Stammbelegschaften, angeheuert zu Expeditionsbeginn, wurden im Verlauf der Expedition um zusätzliche Träger erweitert, so dass die Karawanen bald zu multiethnischen Gebilden aus professionellen Trägerschaften und Bewohnern der durchreisten Räume wurden. Während des Tages waren die Träger einer strengen Disziplin unterworfen, nur den Abend konnten sie selbstbestimmt und ausgelassen am Lagerfeuer beschließen, wobei sie in Liedern wohl nicht selten die Geographen verulkten.15 Einen typischen Expeditionsmorgen schilderte Passarge in seinem Adamauawerk:16 »Um sechs Uhr, mit dem ersten Tageslicht, bliess der Lagos-Headmen die Leute wach, welche rasch Feuer anschürten und ihren Durrhabrei zum Frühstück kochten. Während wir noch frühstückten – meist assen wir warm, Huhn mit Reis und Kaffee – wurden die Lasten, welche sich unter der Obhut des LagosHeadmen befanden, unter die Träger vertheilt. Ein jeder nahm seine Last in Empfang und band seine Schlafmatte, in welcher er seine Habseligkeiten eingewickelt hatte, auf derselben fest. Dann rollte er ein meterlanges, handbreit zusammengelegtes Tuch zu seinen Kopfkissen zusammen und hockte sich reisefertig neben seinem Kargo hin. Unterdessen wurden die Zelte abgebrochen, die Bettdecken zusammengerollt, das Bettgestell auseinandergenommen und beide zu einer Last zusammengebunden. Wenn alles fertig [war, C.G.], schwang Uechtritz in den Sattel und der Headmen stiess in’s Horn. Schnell sprang ein Jeder auf und man half sich gegenseitig die dreissig bis fünfunddreissig Kilo schweren Ballen und Eisenkisten auf den Kopf zu heben, nachdem das Kopfkissen zum Schutz auf den Kopf gelegt worden. Dann ging es in so schnellem Schritt vorwärts, dass unsere Pferde nicht mithalten konnten und beständig angetrieben werden mussten. Ich selbst verliess stets als Letzter den Lagerplatz, um aufzupassen, dass nichts zurückbliebe und die Karawane geschlossen marschirte.« Aus den Expeditionstagebüchern und Reiseberichten erfahren wir wenig über die Träger, die für die Geographen in erster Linie funktionieren mussten. Am interes-
14 Auch Nyamwezi-Karawanen setzten sich oft aus unterschiedlichen Ethnien zusammen, was Forschungsreisenden wohl meistens verborgen blieb, siehe: F. Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2, S. 8; K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 126. 15 F. Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2, S. 8. Siehe ferner: Carl Uhlig: Tagebucheintrag vom 22.07.1904, Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika von 1904, Heft 1, IfLA, K. 188/14, S. 21 [Hefte 2-6, IfLA, K. 188/15-19]; H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 4, 09.08. und 10.08.1911, IfLA, K. 180/2/40. 16 S. Passarge: Adamaua, S. 64f.
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santesten erschien den Geographen noch die Hierarchie in der Trägerschaft, die sich auch in der Entlohnung niederschlug. An der Spitze stand ein »nyampara«, den sie in europäischen Kategorien als Trägeraufseher beschrieben, und am unteren Ende die »Trägerboys«, die sich auf einigen Expeditionen um die Verpflegung einer Trägergruppe kümmerten. Frauen begleiteten die Expeditionen nur selten, da Geographen vermehrte Beziehungsstreitereien in der Karawane befürchteten.17 Führer wurden unterwegs in den Dörfern angeheuert. Oft handelte es sich um Akiden, Dorfvorsteher oder vermeintliche Häuptlinge; oft vermittelten das Militär oder deutsche Siedler den Geographen ortskundige Führer. Für eine kurze Wegstrecke übernahmen die Deutschen manchmal selbst diese Aufgabe. Von einem Führer wurde mehr erwartet, als nur den Weg zum nächsten Etappenziel zu finden. Er musste Wasserstellen und geeignete Lagerplätze aufspüren, wissen, wie die Berge hießen und wo die verschiedenen ethnischen Gruppen siedelten. Die Führer hatten an den Erfolgen der Expedition großen Anteil, wenngleich ihnen die Geographen in den Publikationen die gebührende Anerkennung verwehrten. So reklamierte Jaeger den Nachweis der Nicht-Existenz des bis dahin in Karten verzeichneten Kiniarocksees als seine Eigenleistung. Er sei »ohne zuverlässigen Führer durch diese fast menschenleere Wildnis« gezogen, schrieb Jaeger in seinem vorläufigen Reisebericht und in einem Bericht an Hans Meyer war davon die Rede, dass die Kenntnisse der Führer, die ihm ein deutscher Siedler vermittelt hätte, bald aufhörten, sie glücklicherweise unterwegs aber auf Wandorobbo gestoßen seien, »die ein Stück weiter wußten«.18 Andere Schriften wiederholten den Hinweis auf die Unzuverlässigkeit der Führer, doch aus den Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass die Massaiführer der Karawane unermüdlich den Weg in der dichtbewachsenen Savanne bahnten. Mehrmals verschleppten sie Angehörige der Wandorobbo-Ethnie, befragten sie nach dem vermeintlichen See und behielten sie in der Nacht gefesselt im Lager. Am 11. Juli 1906 notierte Jaeger in sein Tagebuch:19
17 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 4, 12.09.1904; F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 18.06.1906, S. 96; H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 8, 18.10.1911. 18 Fritz Jaeger: »Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise in das abflusslose Gebiet Deutsch-Ostafrikas«, S. 251-256, hier S. 252; Die Kommission für die landeskundliche Erforschung der deutschen Schutzgebiete [Hans Meyer]: »Bericht über die landeskundlichen Expeditionen der Herren Prof. Dr. Karl Weule und Dr. Fritz Jäger in DeutschOstafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 19 (1906), S. 294-304, hier S. 295; Fritz Jaeger: »Der Kiniarocksee«, in: Deutsches Kolonialblatt 1906, S. 637f. 19 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 11.07.1906, S. 136. Siehe ebenfalls den Eintrag für den 10.07.1906, S. 135. Eben-
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»Die Führer bringen morgens noch mehr Ndorobbos an, die den Weg nach dem Kiniarock wissen. Aus ihren Angaben geht hervor, dass es einen Kiniarocksee, wie ich dachte, weil er so auf Karten steht, gar nicht gibt & dass es höchstens sich um einige ganz kleine Wassertümpel handeln kann. Gestern dachte ich noch, der Kiniarock dürfte der Endsee eines grossen Beckens sein, in das der grosse Mbunga mündet.« Wie wichtig Führer für die Forschungen sein konnten, bemerkte Jaeger am Eyasisee. Dort bekamen sie »kaum einen Eingeborenen zu Gesicht«, wie er in sein Tagebuch notierte. Ein Führer, den er angeheuert hatte, war genauso wenig gewillt der Expedition zu helfen wie »das Jagdvölkchen der Wakindinga«, das sich zwar in der Nähe aufhielt, aber jeden Kontakt mit der Karawane vermied. Nach wenigen Tagen musste Jaeger die Forschungen am Salzsee wegen Trinkwassermangel abbrechen.20 Polizeisoldaten (Askaris) begleiteten die Expeditionen, um für die Sicherheit der Forschungsreisenden zu sorgen. Wenn das Risiko eines Überfalls auch nicht besonders hoch war, so erhöhte die militärische Präsenz das Sicherheitsgefühl der Geographen. Wie viele »farbige« Soldaten eine Expedition begleiteten, hing von den Kontakten und Kooperationsbereitschaft der Kolonialbeamten ab, mitunter auch davon, ob sie in amtlichem Auftrag erfolgte. Uhlig wurde bei der Otto-WinterExpedition von fünf, später von vier Askaris begleitet.21 Jaeger und Oehler konnten am Anfang der Expedition über drei Askaris verfügen, Hassert und Thorbecke wurden ständig von zwei Polizeisoldaten begleitet. Meyer konnte in Ruanda und Burundi die meiste Zeit über vier Askaris verfügen.22 Es war keine Seltenheit, dass die Kommandeure einer Militärstation weitere Soldaten für eine Expedition abkomso: Fritz Jaeger/Eduard Oehler: Brief an Hans Meyer aus Moshi, 23.07.1906, BArch R 1001/5637/1, S. 69-73, hier S. 69. 20 F. Jaeger: Brief aus Mkalama an Hans Meyer vom 31.10.1906, BArch R 1001/5637/1, S. 99f. 21 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 3 und 4, 30.08.1904 und 12.09.1904. Die Askari wurden unter den Bewohnern der Kolonie oder in den Nachbarkolonien rekrutiert, gelegentlich befanden sich unter ihnen auch einige Araber, Türken und Griechen, vgl. Thomas Morlang: Askari und Fitafita. »Farbige« Söldner in den deutschen Kolonien, Berlin 2008. 22 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 24.07.1906, S. 168; [Hans Meyer:] »Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. M. Hassert [sic] und Professor Dr. F. Thorbecke in Kamerun, S. 158. Zur bewaffneten Begleitung von Hans Meyer siehe Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, 25.07. und 01.09.1911, Heft 3 und 4.
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mandierten, die dann die Karawane bis zu den Grenzen des Bezirks geleiteten, insbesondere wenn dieser Teil der Expeditionsroute als gefährlich galt. Hassert und Thorbecke erhielten auf der Militärstation Bare sechs Schutztruppensoldaten zur Verstärkung.23 Karl Sapper wurde zeitweise sogar von 20 Polizeisoldaten begleitet, die allerdings auf Bougainville in erster Linie der Präsenz von Albert Hahl, dem Gouverneur von Deutsch-Neuguinea, geschuldet waren, der mit ihm zusammen die Insel durchquerte. Im Süden von Neu-Mecklenburg reiste er zusammen mit acht schwarzen Soldaten und dem weißen Polizeimeister Adelmann, sonst genügten zwei Polizeisoldaten.24 Die Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition eskortierte Hahl mit 50 Soldaten nach Malu (Umbunti), wo sie in der Nähe einer Siedlung ihr Hauptlager aufschlugen. Nach der Abreise des Gouverneurs verblieb eine große Zahl bei den Wissenschaftlern; Behrmann alleine konnte für Erkundungstouren über fünf bis sechs Soldaten verfügen.25 Manchmal wurden die Expeditionen von deutschen Unteroffizieren und Offizieren begleitet: Uhlig reiste zweimal mit einem Feldwebel namens Bast in Ostafrika (bei der zweiten Expedition war dieser pensioniert und lebte als Siedler in der Kolonie), Jaeger und Waibel bis zum Kriegsausbruch in Südwestafrika mit einem Polizeisergeant Gagelmann, für das bewaffnete Begleitkommando auf der Neuguinea-Expedition von Schultze war ein Polizeimeister Völz zuständig, Behrmann unternahm mehrere Erkundungen zusammen mit dem Polizeimeister Tafel und Meyer hatte seinen Reisebegleiter Otto Tiller auch deswegen ausgewählt, weil er über Erfahrungen als Offizier in der »Schutztruppe« verfügte.26 Neben den Sicherheitsaufgaben kümmerten sich die Soldaten gelegentlich um logistische Aufgaben, etwa die Führung kleiner Trägergruppen, um frischen Proviant und die Jagd. Ihre Anwesenheit schüchterte sowohl die einheimische Bevölkerung ein, wirkte sich aber ebenso auf das soziale Klima in der Karawane aus, wie aus Uhligs Expeditionstagebuch von 1904 hervorgeht: »Sobald man sich vom Lager
23 Vgl. Kurt Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 1-35, hier S. 16. 24 K. Sapper: »Eine Durchquerung von Bougainville«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 23 (1910), S. 206-08; Ders.: »Neu-Mecklenburg«, in: Kollm, Verhandlungen des 17. Deutschen Geographentages zu Lübeck vom 1. bis 6. Juni 1909, (1910), S. 145. 25 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 34, 196f., 301. 26 C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung: Mitteilungen über eine Forschungsreise«, S. 84; Vortrag von Carl Uhlig, gehalten am 5. April 1911 in der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig 1912, S. 36; F. Jaeger/L. Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, S. 1; L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S. 79; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 34, 196f.; H. Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, S. 107f.
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oder Wege ein paar Schritte entfernt, folgt der geladene Mann mit respektvoller Entfernung. Beim Jagen sind sie vorzüglich zu gebrauchen. Reitzenstein von Aruscha, der selbst laut spricht, hat ihnen es angewöhnt, dass sie beim Antworten brüllen wie die Stiere«.27 Dolmetscher waren unentbehrlich auf einer Expedition. Oftmals engagierten die Geographen zu Beginn einer Expedition einen Dolmetscher, aufgrund der vielen Dialekte und Sprachen mussten sie unterwegs weitere Dolmetscher verpflichten, die der Lokalsprachen mächtig waren. Manchmal erhielten die Forschungsreisenden einen Dolmetscher von den Militär- und Regierungsstationen, manchmal waren mehrere Übersetzungsschritte notwendig, um mit der einheimischen Bevölkerung zu kommunizieren, etwa von einer Lokalsprache ins Swahili und dann ins Englische. Passarge erhielt vom britischen Handelsvertreter der Royal Niger Company in Lokoja Hilfe bei der Anwerbung eines Dolmetschers. »Ein Mensch mit mächtigem dolichocephalem Schädel und auffallend jüdischer Physiognomie«, so der antisemitische Passarge, der ihn zugleich von Audu auf den Namen Itzig umtaufte.28 Ohne ihn hätten Uechtritz und Passarge wohl nicht einmal mit der eigenen Karawane kommunizieren können. Waibels Dolmetscher in Kamerun war um die dreißig, Sohn der früheren Königin der Babufuk, der mehrere Jahre als Soldat unter dem Kolonialoffizier Dominik gedient habe.29 Einer der Gründe, warum Expeditionen mit so vielen Menschen und unter hohen finanziellen Kosten durchgeführt wurden, war der Transport von schwerem und unhandlichem Gepäck. Einerseits benötigten die Geographen für ihre Forschungen viele Instrumente: Theodoliten, Messtisch, Universalinstrumente, Fotoapparate mit Stativ und Fotoplatten. Andererseits wollten sie nicht auf ein gewisses Maß an Luxus verzichten, so mussten die Träger auch Stühle, Tische, Lampen und sogar Feldbetten durch die Kolonien transportieren.30 Hans Meyer ließ seine Karawane vier Betten, Stühle, Klapptische, drei Zelte, dazu Schlafsäcke, Blechkoffer und Holzkisten nach Ruanda und Burundi tragen. Von den 90 Trägerlasten zu Expeditionsbeginn entfielen allein 15 auf die Campingausrüstung.31 Gerade die sperrigen Gegenstände galten neben den schweren Lasten als besonders unbeliebt. Am liebsten waren den Trägern, wie Weule von seiner Expedition berichtete, amerikanische
27 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 3, 30.08.1904, S. 101. Ebenso der Tagebucheintrag in Heft 1 vom 23.07.1904, S. 23. 28 S. Passarge: Adamaua, S. 11. 29 Vgl. F. Waibel, in: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 43f. 30 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 34; S. Passarge: Adamaua, S. 64. 31 R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929, S. 37-42.
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Petroleumkisten aus Holz mit einem Volumen von etwa 70 Litern, die auf vielen Expeditionen Verwendung fanden.32 Die riesigen Sammlungen der Forschungsreisenden wurden von den Trägern ebenfalls ungern transportiert, da die Gesteinssammlungen schwer, ethnographische Gegenstände bisweilen sperrig und gepresste Pflanzen sowie präparierte Tiere empfindlich waren. Darüber hinaus zweifelten die Träger an der Sinnhaftigkeit des exzessiven Sammelns. »Wir haben gestern und heute die Gesteinssammlungen der letzten Monate durchgesehen und geordnet; drei hübsche Trägerlasten sind das wieder und die Schwarzen stehen fassungslos davor«, schrieb Marie Pauline Thorbecke.33 Die Anzahl der Träger nahm mit dem Umfang des Gepäcks und der Sammelobsession der Forschungsreisenden zu, was wiederum dazu führte, dass noch mehr Träger benötigt wurden, um weiteren Proviant für die Karawane zu transportierten, denn eine solch große Gruppe konnte weder durch die Jagd noch durch die Nahrungsvorräte der Dorfbevölkerung permanent ernährt werden. Unterwegs warben die Geographen neue »Hilfsträger« an. Manche von ihnen fügten sich gut in die Karawane ein, während andere die schweren Lasten und den rabiaten Umgang nicht gewohnt waren. Da Geographen die Dorfvorsteher unter Druck setzten, wurden immer wieder Dorfleute zu dieser Aufgabe gezwungen. Manchmal warfen sie bald ihre Lasten wieder ab und desertierten, wie Geographen oft in militärischer Terminologie schrieben.34 Als Thorbecke frühmorgens am 30. Januar 1912 den Hof des Rasthauses von Bamum verließ, flohen die ersten Träger schon innerhalb des Stadtwalls »mit langen Sätzen«, während andere »keuchend und stöhnend niedersanken und erklärten nicht weiter zu können«.35 Für einige Expeditionsetappen wurden weitere Helfer angeheuert, so überzeugte Jaeger eine Gruppe von Chagga davon, dass sie den Weg mit der Machete durch das Dickicht am Fuß des Kilimandscharo freischlugen, um ihm und der Karawane den Aufstieg zu erleichtern.36
32 K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 112. 33 Vgl. M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 131. 34 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 28. Siehe außerdem: S. Passarge: Adamaua, S. 52; O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, S. 7. 35 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 22. Ähnliches berichtete auch F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet DeutschOstafrikas, Heft 1, 06.06.1906, S. 123. 36 F. Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, S. 116. Ebenso: Ders.: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 04.08.1906, S. 210, 443.
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E XPEDITIONSLOGISTIK Eine der größten Herausforderungen auf Expeditionen war die Verpflegung der Karawane mit Lebensmitteln und Trinkwasser. Fast alle Geographen hatten damit Schwierigkeiten. In vielen Räumen der ostafrikanischen Savanne, in den Hochländern Kameruns oder den Regenwäldern Neuguineas reichte die Agrarproduktion nicht aus, um die plötzlich in den Dörfern auftauchenden Menschenmassen zu ernähren, noch dazu, wenn Krieg, Steuereintreibung oder Missernten die materielle Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zusätzlich unterminiert hatten. Dennoch war es gängige Praxis, Nahrungsmittel von Dorfbewohnern unterwegs zu erwerben. Dazu tauschten die Geographen entweder europäische Waren gegen Ochsen, Ziegen, Bohnen, Maniok und Mehl oder sie bezahlten mit Bargeld.37 In Ostafrika waren es oft Stoffe, die Geographen zum Tausch anboten, in den 1890er Jahren auch Glasperlen, in Kamerun waren Stoffe, Perlen, Spiegel, Decken, Streichhölzer und Parfüms nach Hassert und Thorbecke die wichtigen »Wertmesser«, während Tabak als Zahlungsmittel inzwischen abgelöst worden sei. 1894, als Passarge durch Adamawa reiste, wurden wohl noch Kaurimuscheln als Währung akzeptiert, in den pazifischen Kolonien wurden verschiedene Währungen verwendet, häufig Tabak und Metallwaren.38 Die Geographen konnten nie sicher sein, ob sie tatsächlich in den Dörfern Nahrungsmittel erhalten würden. Verweigerten ihnen die Dorfvorsteher die Versorgung, dann versuchten sie es mit Penetranz und ließen erst locker, wenn sie Getreide, Gemüse oder Ziegen erhalten hatten. Jaeger verbrachte am Mt. Hanang fast einen ganzen Tag mit Verhandlungen um vier Ziegen und ein Schaf, was den Geographen so frustrierte, dass er später in sein Tagebuch notierte: »Die Neger haben gar kein Verständnis dafür, dass es einem Europäer auch auf Zeit ankommt«.39 Was der 37 S. Passarge: Adamaua, S. 59. 38 Vgl. S. Passarge: Adamaua, S. 65; O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, u.a., S. 3; K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 19. Zum Handel auf Märkten und den gebräuchlichen Zahlungsmitteln, siehe S. 11. Siehe ebenso diverse Tagebucheinträge von Meyer, zitiert nach R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 83-185. Zu Neuguinea und Neu-Mecklenburg: Karl Sapper: Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, Teil 1. Beiträge zur Landeskunde von Neu-Mecklenburg und seinen Nachbarinseln (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 3), Berlin 1910, S. 104f.; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, u.a. S. 101. 39 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 22.09.1906, S. 319.
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Akide über Jaeger dachte, wäre ebenfalls interessant zu erfahren. Wie schwierig es mitunter sein konnte, unterwegs Nahrung zu erhalten, erfuhr Hassert im Banssoland. Seine Karawane suchte spät abends das Dorf eines »Großmann« auf, um dort zu übernachten: »Nachdem er für 80 Leute 12 kleine Körbchen Buschkartoffeln gebracht hatte, weigerte er sich, mehr Verpflegung zu liefern.« Als die Geographen am nächsten Morgen aufwachten, waren alle Dorfbewohner verschwunden.40 Jaeger beklagte sich häufig in seinem Tagebuch, dass seine afrikanischen Helfer nach Mehlkleister verlangten. Gemeint war der Ugali, eine Polenta aus Maismehl, Getreide oder Maniok, bis heute wichtiger Grundbestandteil der landestypischen Ernährung in Ostafrika. Mehrmals wurde Thorbecke in Dörfern in der Umgebung von Mongong zurückgewiesen, als er versuchte, Mais- und Hirsemehl zu erstehen. Erst als zwei Askaris von der Station Joko, die die Karawane begleiteten, mehrere Tiere schossen, war man bereit Mehl gegen Fleisch zu tauschen.41 Es gibt zwar keine Belege, dass die Geographen Gewalt anwendeten, um an Lebensmittel zu gelangen, aber sie gingen wohl soweit, die Dorfvorsteher zu bedrohen. An einer Stelle in seinem Forschungsbericht sprach Hassert etwa von einer »fast gewaltvollen Aneignung von Wasser«. Oftmals schickten die Forschungsreisenden »Verpflegungspatrouillen« in die Dörfer, wobei auf den Trägern und den Askaris erheblicher Druck lastete, nicht mit leeren Händen ins Lager zurückzukehren.42 Wir wissen nicht, wie diese Patrouillen an Lebensmittel gelangten, aber es ist vorstellbar, dass es sich nicht immer um faire Tauschgeschäfte handelte. Allerdings kam es vor, dass Geographen ihre Träger bestraften, wenn sie sich widerrechtlich etwas in einem Dorf aneigneten, so etwa Meyer in Ruanda, als einer der Träger in einem Dorf Feuerholz oder in einem anderen Fall Milch stahl.43 In ihrem eigenen Interesse und dem der Bezirksamtmänner mussten die Geographen vermeiden, dass sie die Bevölkerung gegen sich aufbrachten.44 In der Nähe von Kolonialstädten oder lokalen Märkten
40 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 27. 41 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 51. Ähnlich auch bei Uhlig in Ostafrika, siehe: C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 5, 09.10.1904, S. 237. 42 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und in das Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 5. Zu Verpflegungspatrouillen, S. 24f. 43 H. Meyer: Tagebucheintrag, 18.07.1911, zitiert nach R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 93. Zur betrügerischen Aneignung von Milch durch Meyers Boy Iabiri: S. 119. 44 Zum Missbrauch von Macht und Übergriffen auf die einheimische Bevölkerung durch Askari: T. Morlang: Askari und Fitafita. Zu ihrer Rolle als eigenbestimmte Akteure:
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schien es üblich, Verpflegungspauschalen auszubezahlen, damit die Karawane sich selbst Essen besorgen konnte.45 Wie Jaeger über die Ankunft in Arusha nach langem, strapaziösem Marsch schrieb:46 »Für unsere Leute war der Nachmittag ein Festtag. Seit Kijunga hatten wir nicht mehr in einem Ort gelagert, seit dem Marsch nach Kibarbara überhaupt keinen Ort mehr gesehen & das Pfund Mehl, das sie täglich bekommen, war zwar ausreichend, aber doch nicht reichlich. Hier bekamen sie Geld & konnten sich, da die Lebensmittel sehr billig waren, kaufen, was Herz & Magen begehrt. Besonders waren sie sehr auf Honig erpicht. Als ich ankam, sassen sie überall & schleckten Honig, den sie sich zum Teil für ihre Kleider erstanden hatten (ihren Poscho, Verpflegungsgeld 1/8 Rp. pro Mann täglich, bekamen sie erst Nachmittags). Manches Huhn wurde von ihnen als langentbehrte »Zukost« genossen, (bei unseren geringen Jagderfolgen hatten sie nur an 3 Tagen in der Steppe Fleisch zu ihrem Mehlkleister gekriegt).« Wenn die Karawane abgelegene Gebiete bereiste, führten sie größere Mengen an Lebensmitteln mit, die dennoch selten ausreichten. Manchmal unternahmen die Geographen daher Touren mit einer kleinen Eskorte, doch oft musste die gesamte Karawane große Strecken durch wenig besiedeltes und relativ unfruchtbares Terrain zurücklegen.47 »Wir müssen unglaublich viel Proviant mitnehmen« notierte Jaeger bei Aufbruch der Expedition in sein Tagebuch. In Tanga hatte er zwei Lasten Reis besorgt, in Korogwe bei einem deutschen Spediteur Mais und Hirse bestellt und in einer Mühle mahlen lassen. 16 Lasten Mehl brachte ihm der deutsche Müller schließlich, mit der Empfehlung, den Trägern eine Last pro Tag zu geben. Aber Lawrence Bragge/Ulrike Claas/Paul Roscoe: »On the Edge of Empire: Military Brokers in the Sepik ›Tribal Zone‹«, in: American Ethnologist 33 (2006), S. 100-113. Der Forschungsreisende und pensionierte Hauptmann Franz Hutter in einem Aufsatz zur Expeditionslogistik, dass die Anwendung von Gewalt zwar augenblicklich Erfolg bringen mag, aber der Einsatz der Waffe doch nur ultima ratio sein könne. Vgl. Hauptmann a.D. [Franz] Hutter: »Westafrikanische Felddienstordnung für den Forschungsreisenden«, in: Globus 80 (1901), S. 173-177, 288-290, hier S. 176. 45 S. Passarge: Adamaua, S. 54. 46 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 19.06.1906, S. 157. 47 Vgl. u.a. Ebd., 24.06.1906, S. 99; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 14. Siehe auch diverse Hinweise in: E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik.
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Jaeger ließ den Spediteur sogleich 14 Lasten nach Moshi am Fuß des Kilimandscharo transportieren, um sie für eine spätere Expeditionsetappe zwischenzulagern, so dass der Karawane schon zu Beginn der Expedition nichts anderes übrigblieb, als die Lebensmittelvorräte durch die Jagd aufzufrischen. Wildfleisch war eine wichtige Nahrungsquelle für viele Expeditionen. Offiziell war die Jagd zwar streng reglementiert, nur ein vom Gouvernement ausgestellter Jagdschein berechtigte, Wild in der Kolonie zu schießen, abseits der Militärstationen kümmerten sich die Geographen allerdings wenig um diese Vorschriften. Fritz Jaeger übertrug die Verantwortung für die Jagd seinem Expeditionsbegleiter Eduard Oehler, der über weite Strecken der Expedition damit beschäftigt war, zusammen mit einer Gruppe von bewaffneten Begleitern und Polizeisoldaten die Karawane mit Fleisch zu versorgen. In der offenen Savanne war das Aufspüren schwierig, da die große Karawane oft das Wild verscheuchte. In Ostafrika wurden häufig Gnus geschossen, deren zähes und wenig schmackhaftes Fleisch die einheimischen Helfer aber nur ungern aßen. Obwohl die einheimischen Speisegewohnheiten vorwiegend aus vegetabilen Produkten bestanden, gab es zu dem Wildfleisch oft nicht einmal eine Beilage. Nur gelegentlich bekamen sie eine Antilope als Leckerbissen. In Kaiser-Wilhelmsland gestaltete sich die Jagd noch schwieriger als in den Afrikakolonien, schließlich gab es in den dichten Wäldern kaum Wild und die wenigen Tiere waren viel schwieriger aufzuspüren.48 Schultze zeigte sich in Neuguinea wenig zimperlich beim Schießen von vermeintlichen Wildtieren. Mehrmals erlegte er eine »verwilderte Sau«, obgleich es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um domestizierte Tiere handelte, die für die lokale Bevölkerung großen Wert besaßen.49 Manchmal waren die Forschungsreisenden nur zu geizig, Geld für die Verpflegung ihrer Helfer auszugeben und Mais oder Hirse aus landwirtschaftlich produktiveren Gebieten herbeizuschaffen. Erst als die Karawane in einem desolaten körperlichen Zustand war, entschlossen sich Jaeger und Oehler am Ngorongorokrater den deutschen Siedler F. Siedentopf zu beauftragen, vegetarische Nahrung zu beschaffen. »Die Leute nur von Fleisch zu ernähren, ist ein Ding der Unmöglichkeit«, schrieb Jaeger am 15. Januar 1907 in sein Tagebuch. »Sie sind jetzt schon alle ziemlich heruntergekommen durch die blosse Fleischnahrung & würden hier, bei
48 Vgl. Tagebücher von Jaeger und Uhlig, E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 34, vgl. auch: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 62; S. Passarge: Die Kalahari, S. 21; Walter Behrmann: »Geographische Ergebnisse der Kaiserin-Augustafluß-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 254-276, hier S. 269. 49 Leonhard Schultze: »Deutsche Grenzexpedition in das Kaiser-Wilhelmsland (NeuGuinea)«, in: Mitteilungen des Leipziger Vereins für Erdkunde 1911, S. 23-35, hier S. 27.
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den strapaziösen Touren, die wir vorhaben, & in den kalten Höhen sehr schnell völlig versagen. Also müssen wir Pflanzenkost herbeischaffen.«50 Hans Meyer hatte aus den Versorgungsengpässen vorheriger Expeditionen gelernt und den Aufenthalt in Ruanda gut vorbereitet. Unter Vermittlung des deutschen Residenten in Ruanda hatte er den Mwami, den ruandischen Herrscher, dazu bewegen können, seine Karawane regelmäßig mit Lebensmittel zu versorgen. Nach Übersetzung über den Kagera wurde die Karawane an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen von Hutu und Tutsi empfangen, mit vegetarischen Produkten und oft mit einem Ochsen oder Stier als Geschenk, der manchmal sofort geschlachtet wurde. Als Gegenleistung erhielt der Anführer der Gruppe in der Regel Stoffe, manchmal auch Geld. Dennoch blieben seine Träger sowohl im Virungagebirge als auch später in Burundi hungrig.51 Die Ernährung der einheimischen Helfer war häufig prekär. Das Essen reichte nicht aus, war eintönig und es fehlte Trinkwasser. Es gab wohl keine Expedition, auf der es zeitweise nicht an Nahrung und sauberem Trinkwasser mangelte. Uhlig, Jaeger, Obst, Meyer, Hassert, Thorbecke, Schultze, sie alle schrieben von Nahrungsengpässen und Trinkwassermangel. Uhlig begegnete der Trockenheit beim Rückmarsch vom Manyarasee dadurch, dass er einen Großteil der Leute nur für das Wassertragen verwendete, wozu er die knapp 15 Liter fassenden Petroleumkanister und die Blechkoffer als Wasserspeicher benutzte.52 Am Eyasisee war Jaeger dazu gezwungen, seine Untersuchungen abzubrechen, da an dem Salzsee nicht genug Trinkwasser zur Verfügung stand.53 Obst hatte mit seiner Karawane bei einem halbnomadischen Volksstamm das Lager aufgeschlagen. Er wollte die Wadindiga ausführlich ethnographisch studieren, doch die Wasserreserven gingen allmählich zu Neige. Nachdem es nicht gelang, auf andere Wasserlöcher in der Umgebung auszuweichen, wurden seine Gastgeber immer besorgter über die abnehmenden
50 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 3, 15.01.1907, S. 539f. 51 Vgl. Meyer: Tagebucheintrag für 13.07.-15.07.1911, zitiert nach Bindseil, Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 81-85. Zu Nahrungsengpässen, u.a. Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 4, 02.08.-09.08.1911. 52 C. Uhig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Expedition«, S. 78. 53 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 13.10.-17.10.1906. Vgl. ebenso: Hans Meyer: Zweiter Bericht über die landeskundlichen Expeditionen der Herren Dr. Fritz Jäger und Prof. Dr. Karl Weule in DeutschOstafrika, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1907), S. 106-114.
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Wasservorräte, was Obst nicht zur Abreise veranlasste, sondern dazu, den Wasserverbrauch seiner Träger zu rationieren.54 Durst war ein ständiger Begleiter vieler Expeditionen. Alleine mit der Kürbisflasche, die die schwer bepackten Träger mitführten, konnten sie ihren Trinkwasserbedarf nicht stillen.55 Es war daher notwendig, einen nächtlichen Lagerplatz zu finden, der an einem Bach, See oder an einer Quelle lag. Doch immer wieder kampierte die Karawane an Orten, an denen es keine Wasserstellen gab, so dass die Träger im Extremfall sogar mehrere Tage ohne Wasser auskommen mussten.56 Auf der Expedition von Hassert und Thorbecke am Kamerunberg war der Mangel an Trinkwasser ein ständiges Problem. Obwohl Missionare im Vorfeld der Touren am Kamerunberg warnten, nahmen sie den Wassermangel bewusst in Kauf. Für sich selbst ließen die Forschungsreisenden genug Wasservorräte mitführen, doch die Träger waren darauf angewiesen, dass Wasser am Berg gefunden wurde. Gelegentlich verweigerte die lokale Bevölkerung Auskunft über die Lage ihrer Wasserquellen, wohl aus berechtigter Angst die Verfügungsgewalt über ihre Quellen zu verlieren.57 Die Geographen hatten genug zu essen und zu trinken. Meistens bereitete der Koch, manchmal unterstützt durch einen Küchengehilfen, die Mahlzeiten für die Geographen zu, während die Boys die Bedienung zu Tisch übernahmen. Gerne erfreuten sich die Forschungsreisenden exotischer Früchte oder Ergänzungen durch lokale Lebensmittel, doch oftmals konsumierten sie europäische Produkte. Große Mengen an Konservendosen, vor allem Wurst und Fleisch, dazu nicht selten Alkohol mussten die Träger durch die Kolonien transportieren. Erich Obst erfreute sich an Maggi-Suppenwürfel; gerne wurde Tee oder Kakao getrunken, manchmal dem Wasser Sirup beigemischt.58 Außerordentlich üppig und erlesen waren Meyers 54 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 33-35. Für weitere Anmerkungen zu Nahrungsengpässen, siehe: Ebd., S. 62 sowie Uhlig, Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 79-80. 55 Vgl. S. Passarge: Adamaua, S. 66. 56 Vgl. u.a. F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet DeutschOstafrikas, Heft 2 und 3, 22.09., 16.10.1906 und 16.02.1907, S. 323, 389, 630; O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, S. 124f. 57 H. Meyer: »Erster Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Prof. Dr. K. Hassert und Prof. Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 8; K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 5. 58 Eduard Oehler: »Von einer Forschungsreise am Kilimandscharo im Jahre 1912«, in: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 46 (1915), S. 124-156; E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 34;
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Essensvorräte auf seiner letzten Afrikaexpedition. Meyer ließ eine große Fülle von Delikatessen nach Ostafrika verschiffen, darunter Käse, Preiselbeeren, Burgunderschinken, Sardinen, Anchovispains, Leberwurst mit Trüffel, Himbeersaft sowie erlesene Rotweine, Sekt, Cognac und Whisky.59 Gerne schlemmte der Forschungsreisende, wie am 9. August 1911 am Nyiragongo, einem der Virungavulkanen, wo er seinen Koch Gemüsesuppe mit Rindfleisch, Curry mit Reis, Rindszunge mit Kapernsauce und Kartoffelbällchen, Radieschen, Pumpernickel, frische Ananas frittiert, dazu Kaffee, Vermut, Sodawasser mit etwas Sorbet und Cognac zubereiten ließ.60 Andere Geographen genossen in den Kolonien ebenfalls eine gute Verpflegung. Jaeger berichtete von seiner zweiten Ostafrika-Expedition«: »Wir essen besser als Uhlig & ich & erst recht viel besser, als wir je als Studenten zu essen pflegten. Und sehr oft schmeckt es uns zu sehr, so dass wir zuviel essen.«61 Gerne sparten die Geographen ihre Lebensmittelvorräte zugunsten eines Stücks Antilope, frischem Rind- oder Ziegenfleisch, einer frischen Beilage aus Yams, Maniok oder Obst. Aber darauf angewiesen waren sie nicht, da sie von Konserven leben konnten, und somit weder Versorgungsengpässe noch eine einseitige Ernährung erdulden mussten. Im Gegenteil, in der Nähe von kleineren Städten frischten sie bei lokalen Kaufleuten oft ihre persönlichen Vorräte an Reis, Zucker, Honig, Tee, Kaffee und Kakao auf. Auf Stationen oder auf Plantagenbetrieben erhielten sie darüber hinaus Einladungen zum Essen, wobei sie auf Militärstationen gerne einmal einige Tage oder sogar Wochen blieben. Die Unterschiede in der Ernährung zeigten sich sowohl durch die Art, Qualität und Menge der Lebensmittel. Auf der Expedition mit seinem Cousin Eduard Oehler schrieb Jaeger am 10. November 1906 in seinem Tagebuch:62
F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 26.09.1906, S. 330. 59 Rechnungen über die Lieferung konservierter Lebensmittel, ausgestellt auf Hans Meyer; Rechnung der Maggi-Gesellschaft vom 17.03.1911 in Berlin, IfLA, K. 174/57; Rechnung der Gebrüder Broemel vom 22.04.1911 in Hamburg, IfLA, K. 174/57. Der Versand erfolgte direkt nach Deutsch-Ostafrika. Meyers Vorräte waren aber kein Einzelfall. So ließ Baumann für seine Massai-Expedition von 1891-1893 ebenfalls eine große Zahl von Konservendosen, Suppenwürfel und Alkohol etc. aus Hamburg nach Ostafrika verschicken, siehe: B. Köfler-Tockner: »Denn die Tropenwelt ist eine Circe...«, S. 103f. 60 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 4, 10.08.1911, S. 107f. 61 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 26.09.1906, S 330. 62 Ebd., Heft 2, 10.10.1906, S. 447f.
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»Ich kam um 5 Uhr mit Eduard an, die Träger erst viel später, z.T. in der Dunkelheit. [...] Nichts gab es, kein Bürgermeister kam, & die Leute der benachbarten Krale sagten, sie hätten selbst nicht zu essen, es sei Hungersnot hier – vermutlich, weil sie Abends keine Lust hatten Mehl zu mahlen. Auch kein Brennholz, ein Artikel, der hierzulande überhaupt rar ist & immer gekauft werden muss. (Anscheinend wird auch hier schlimmer Raubbau von den Negern getrieben. Von Wäldern, von denen auf der Karte erzählt wird, sah ich nicht die Spur.) Ein Glück, dass wenigstens Wasser in der Nähe (ca. 5 Min.) war! Ich schickte nach dem Bürgermeister, er kam aber nicht, sondern liess uns ein Körbchen Mehl und etwas Brennholz bringen. Wir selbst konnten ja von Brot, Butter, Konservenwurst und Gelée leben, die Träger aber hatten kaum etwas.« Die Gedanken der Geographen drehten sich ständig um die Nahrungsbeschaffung, da sie einerseits Geld bei der Verpflegung ihrer Karawane sparen wollten, sie andererseits aber ihre einheimischen Helfer versorgen mussten. Die Ernährung der Karawane war nicht nur eine logistische Aufgabe, die Zubereitung und Zuteilung von Lebensmitteln war zugleich ein Mittel, um Hierarchien und »Rassengrenzen« durchzusetzen. Eine Differenz von Schwarz und Weiß war nicht nur ein Diskurs in geographischen Texten. Rassenunterschiede wurden auf den Expeditionen gelebt und selbst durch eine andersartige Ernährung, den Verzehr von Luxusgütern, wie durch zelebrierte Essetiketten praktiziert. Franz Thorbecke gab seinen beiden Boys Isono und Adam zwei alte weiße Jacken, die sie als »Servierkostüm« tragen mussten, damit »sie ein bisschen manierlich aussehen, wenn sie morgens und abends um unseren Tisch herumstehen«.63 Während der Geograph und seine deutschen Begleiter schlemmten und sich zu Tisch von einem Koch oder ihren Boys bedienen ließen, blieb der Rest der Karawane oftmals durstig und hungrig oder bekam gnädig das »Futter« zugeteilt, wobei die Geographen sich manchmal amüsierten, gelegentlich pikierten, wenn sich die Träger nach hartem Tag ausgehungert auf das Essen stürzten.64
63 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 12. 64 Vgl. Ebd., u.a. S. 45, 96, 123. Futter war eine gängige Bezeichnung für die Nahrungsmittel der einheimischen Begleiter, siehe: F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 2 und 3, 07.07.1906, 02.11.1906 und 15.01.1907, S. 126, 426, 540; H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet 02.08., 09.08. und 01.09.1911, Heft 4 und 5. Zur politischen Bedeutung von Nahrungszuteilungen: Albert Wirz: »Essen und Herrschen: Zur Ethnographie der kolonialen Küche in Kamerun vor 1914«, in: Gèneve-Afrique 22/2 (1984), S. 37-62.
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Abbildung 1: »Wasserstelle in Kibarbara«
Fritz Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas. Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflußlose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrika 1906/07, Teil 2. Länderkundliche Beschreibung (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten, 8), Berlin 1913, Tafel III, Foto: Ed. Oehler.
G EWALTMÄRSCHE Für die Träger war die Expedition eine Strapaze. War es das Ziel einer Handelsexpedition möglichst schnell die Lasten von einem Ort zum anderen zu transportieren, so führten die Geographen die Karawanen in die entlegensten Winkel der Kolonien. Viele Expeditionen dauerten über ein Jahr, weder das tägliche Marschpensum noch die Pausen waren geregelt. Tagelanges Warten, nicht selten unter Aufsicht in der unmittelbaren Nähe einer Militärstation, wechselte ab mit Marschtagen von 20 oder 25, sogar von 40 Kilometern durch unwegsames Gelände, dichtes Unterholz und über große Steigungen hinweg. Dazu Lasten von 25 bis 35 Kilogramm, die afrikanische Träger schleppten, und von 15 Kilogramm in Neuguinea, wo die Bewohner als weniger kräftig galten und die Trägerlasten daher offiziell leichter waren.65 Nicht selten kamen die Träger lange nach Sonnenuntergang in das
65 Vgl. K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 108; M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 10; K. Sapper: »Neu-Mecklenburg«, in: Kollm, Verhandlungen des 17. Deutschen
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Lager, manchmal nach Mitternacht oder sogar erst am nächsten Morgen, während die Geographen es sich schon in ihren Zelten gemütlich gemacht hatten, sofern sie nicht am Abend noch einmal die Umgebung des Lagers erkundeten. Früh am Morgen brach die Karawane wieder auf und marschierte den ganzen Tag, ob in der glühenden Mittagshitze oder bei frostigen Temperaturen. Oftmals setzten die Geographen ihre Karawane unnötigen Strapazen aus. Um Fahrt- und Frachtkosten zu sparen, ließ Uhlig einen Teil der angeworbenen Träger von Daressalam nach Korogwe marschieren, während Uhlig mit Jaeger und dem kleineren Teil der Karawane den Dampfer nach Tanga nahm und dann mit der Eisenbahn bis zum damaligen Endpunkt in der Nähe der Usambaraberge fuhr.66 Nach mehrmonatigen Forschungen im Kilimandscharogebiet machte die Karawane sich auf den Rückweg zur Küste. Auf breiter Straße von Moshi zur Küste, 55 km an einem Tag, erinnerte sich Jaeger später in seinen Memoiren, »eine Rekordleistung, die auch die meisten meiner Träger schafften«.67 Erich Obst hatte sich zu Anfang seiner Expedition viel Zeit gelassen. Er habe sich gut mit seinen Trägern verstanden, nach strapaziösen Tagen Ziegen für sie geschlachtet und ihnen Ruhetage gegönnt, schrieb er im Reisebericht. Da die finanziellen Mittel sich langsam erschöpften und er wieder nach Hause wollte, erhöhte er nach einigen Monaten das Tempo. Nun verlangte er von der Karawane Tagesmärsche von mehr als 13 Stunden ohne Wasser und Nahrung.68 »Um ½ 7 Uhr mußte ich wegen der eintretenden Dunkelheit die topographischen Arbeiten abbrechen. Ein weißes Tuch ward schnell an einen Ast angebunden, um die Stelle später wiederzufinden, dann gings eiligst weiter. Zwei Träger blieben schließlich liegen und jammerten entsetzlich, sie müßten nun sterben vor Ermüdung oder in dem weiten Wald verdursten und verhungern. Ich ließ sie liegen; nur vorwärts, immer weiter.« Obst war an diesem Tag nur mit fünf Trägern unterwegs; die anderen 55 Träger hatte er auf direktem Weg zur Siedlung Ssalanka geschickt. Glücklicherweise waren sie ihnen entgegengeeilt und nahmen den im Wald zurückgebliebenen Trägern die Lasten ab und kümmerten sich um ihre erschöpften Kollegen.69 Dass Träger unter-
Geographentages zu Lübeck vom 1. bis 6. Juni 1909, (1910), S. 145; W. Behrmann: Der Sepik, S. 2f. Zu den Distanzen: F. Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2, S. 7f. 66 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika von 1904, Heft 1, 24.07.1904, S. 3. 67 F. Jaeger: Aus meinem Leben Heft 2, S. 38. 68 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 50f., S. 62-68, Zitat S. 68. 69 Ebd., S. 66, 68.
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wegs unter ihren Lasten zusammenbrachen, war keine Ausnahme, sondern passierte auch auf anderen Expeditionen.70 Selten führte die Expeditionsroute über breite Straßen, auf denen man zwar schneller vorwärtskam, aber nur wenig beobachten konnte. Es waren die abgelegenen, bisher wenig erforschten Räume, die Geographen besonders interessierten. Dazu führten sie die Karawane auf schmalen Pfaden, die sich im Regen in eine Spur aus Schlamm und Morast verwandelten. »Da die Neger im Gänsemarsch hintereinander zu gehen pflegen, so senken sich die Fußspuren längs einer schmalen Linie allmählich in den Boden ein«, stellte Hassert zynisch in seinem Reisebericht fest. Von den Regenfluten würde rasch eine tiefe Rinne ausgewaschen, so dass man vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzen müsse.71 Auf regendurchnässten Böden rutschten die Träger aus und quälten sich mit ihren schweren Lasten durch Sümpfe und Flüsse. Doch auch die Trockensavanne machte Probleme. Scharfe Gräser schnitten den Trägern in die Füße, da sie barfuß oder nur in Sandalen unterwegs waren, bei dichter Vegetation blieben sie mit den ausladenden Lasten an Sträuchern und Bäumen hängen.72 Ferner blieb die Reiseroute selten unten in den Tälern, sondern die Geographen führten die Karawane ständig über Anhöhen. Gerade Obsts Träger litten unter der beschwerlichen Plackerei, da sie ständig über die Höhenniveaus der ostafrikanischen Bruchstufe hinauf und wieder absteigen mussten. »Steil geht es nun den felsenbesäten Abhang hinunter zu der gegen 250 m tiefer gelegenen Scholle, so steil stellenweise, daß die Träger Mühe haben, ihre Lasten unversehrt herunterzubalancieren.«73 Darüber hinaus warteten auf die Karawane in den Bergländern oft »böse Passagen«. Aus Uhligs Tagebuch geht hervor, wie sehr die Träger am Meru befürchteten in einen der steilen Abgründe zu stürzen.74 Zu allem Überfluss kam noch die Marschordnung hinzu, die Träger dazu zwang, selbst in schwie70 Vgl. C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft, 1, 30.07.1904, S. 33; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 22. 71 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 8 72 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 19, 64, 68; F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet DeutschOstafrikas, Heft 1, 06.07.1906, S. 125. 73 Erich Obst: »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone (Irangi, Uassi, Ufiomi, Burungi, Ussandaui). Vorläufiger Bericht (IV. = Schlussbericht) der Ostafrika-Expedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 27 (1913), S. 153-202, hier S. 155. 74 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 1, 20.10.-23.10.1901, S. 5-36, Hans Meyer: »Der Kagerafluß in Ostafrika und die Ruandabahn«, in: Koloniale Monatsblätter 16 (1914) S. 6-21, hier S. 7.
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rigem Gelände in Reihe zu marschieren, so dass ihnen das Disziplinierungsgehabe der Geographen zusätzlich den Marsch erschwerte.75 Abbildung 2: »Ostabfall des südlichen Sonjoberglandes zur Salzsteppe«
Fritz Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas. Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflußlose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrika 1906/07, Teil 2. Länderkundliche Beschreibung (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten, 8), Berlin 1913, Tafel VIII, Foto: Ed. Oehler.
Die täglichen Strapazen, Nahrungsmangel und die schlechte Qualität des Trinkwassers beeinträchtigten die Gesundheit der einheimischen Helfer. Doch nahmen die Geographen nur wenig Rücksicht auf ihre Träger. Oft hielten sie Krankheiten für vorgeschoben, andere Male ließen sie erkrankte Träger ohne Medikamente in der Wildnis zurück. Franz Thorbecke reagierte geradezu hysterisch auf Fälle von Diarrhö und überließ erkrankte Träger in entlegenen Räumen sich selbst, da er eine Ansteckung befürchtete.76 Manchmal erfahren wir aus den Tagebüchern und Reisebe-
75 S. Passarge: Die Kalahari, S. 11; Ders.: Adamaua, u.a. S. 65; F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1 und 2, 12.07., 16.07. und 18.07., 11.11.1906, S. 137f., 152f., 448f.; M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 15; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun. 4. Teil, 1. Hälfte. Die Karte des OstMbamlandes, Hamburg 1924, S. 12. 76 Vgl. M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, u.a. S. 99, 118, 218; Franz Thorbecke: Brief aus Joko an die Deutsche Kolonialgesellschaft vom 14.05.1912, BArch R 8023/223, S. 155.
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richten, dass Träger starben.77 Auf Jaegers Expedition in Ostafrika starben mehrere Träger an Durchfallerkrankungen. Manchmal wurden sie schwerkrank entlassen, so dass es dem Zufall überlassen blieb, ob man von ihrem Tod erfuhr. Am 8. Oktober 1906 erhielt Jaeger die Nachricht von einem Freund eines am Vortag entlassenen Trägers, dass dieser in der Nacht verstorben sei. Nur weil ein Träger dem Kranken Beistand geleistet hatte und er nach dessen Tod wieder zur Karawane zurückgekehrte, um dem Geographen die Todesnachricht zu überbringen, erhielt der Geograph überhaupt vom Tod des Trägers Kenntnis. Doch anstatt den Tod seines Begleiters zu bedauern, zeigte sich Jaeger erleichtert, dass der Träger nicht im Lager verstorben war.78 Wenn sich die Geographen um die Gesundheit der Träger sorgten, dann um Verzögerungen bei der Lastenbeförderung oder schlechte Stimmung in der Karawane zu vermeiden oder weil sie unterwegs möglichst wenig neue Träger rekrutieren wollten. Krankheit und Tod begleiteten viele Expeditionen. Besonders schlecht war die gesundheitliche Verfassung der Karawane auf der Neuguinea-Expedition von Leonhard Schultze. Im deutschen Basislager an der Mündung des Tami behandelte und dokumentierte der Arzt Dr. Kolb die Erkrankungen der einheimischen Gehilfen. Der Krankenstand war außerordentlich hoch. Von den angestellten 245 Trägern und Begleitern erkrankte die Hälfte. Die größten Probleme verursachte die Auszehrung aufgrund von Mangelernährung sowie Infektionen des Verdauungstraktes und der Atemwege. Schon zu Expeditionsbeginn erkrankten viele Helfer an Durchfall aufgrund der schlechten Trinkwasserqualität an der Küste, während des Vorstoßes zum Oberlauf des Sepik machte sich die schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln bemerkbar, in der Gebirgsregion an der deutsch-niederländischen Grenze litten die Träger unter den kalten Nachttemperaturen. Die Nahrungsversorgung war so schlecht – meist gab es nur Reis und sehr selten Fleisch zu essen – dass sieben Papuas an Beri-Beri starben. Ein weiterer Toter erlag einer Infektion nach einer
77 Uhligs Boy Dembo der schon einige Tage dysenteriekrank getragen wurde, starb vor dem Aufstieg nach Amani, siehe: F. Jaeger: Aus meinem Leben Heft 2. Ein Boy starb auch bei der strapaziösen Expedition von Passarge in der Kalahari, siehe: Siegfried Passarge: Die Kalahari, S. 15. Über den Tod eines Trägers auf der »landeskundlichen Expedition« nach Kamerun: K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 28. 78 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 08.10.1906, S. 372.. Zum Tod weiterer Träger: F. Jaeger: Tagebucheintrag in Heft 4 vom 10.04.1907, S. 735.
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Schussverletzung, die höchstwahrscheinlich von einem anderen Expeditionsmitglied verursacht wurde.79 Zwar herrschten in Neuguinea besonders widrige Umweltbedingungen, doch die Karawanen waren in anderen Räumen ähnlichen Torturen ausgesetzt. Für die Geographen war das kein Grund von ihren Expeditionszielen abzuweichen, auch wenn ihre einheimischen Helfer ernsthaft erkrankten. Erst wenn sie selbst gesundheitliche Schwierigkeiten bekamen, legten sie Ruhepausen ein und konnten auf eine gut bestückte Apotheke zurückgreifen.80 Als Franz Thorbecke erkrankte, ließ er sich von seinen Trägern einige Zeit in einer Hängematte durch die Kolonie tragen. Schließlich begab sich die Expedition wieder auf die Militärstation in Joko, um sich dort zu erholen. Nachdem Waibel schweren Durchfall und Fieber bekam, ließ er sich für einige Wochen auf einer Missionsstation behandeln, um dann nach einem erneuten Rückfall vorzeitig nach Deutschland zurückzukehren.81 Obst pausierte nach mehreren Malariaanfällen; Jaeger und Oehler blieben fünf Wochen in Muansa, um sich von Fieberanfällen zu erholen.82
79 Vgl. Karl Kopp: »Bericht über den Gesundheitszustand der schwarzen Träger (einschließlich der Bewaffneten) während den Expeditionsarbeiten im Nordbereich«, in: L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S. 80-83. Auch während der Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition gab es einen tödlichen Jagdunfall, bei dem ein Träger versehentlich erschossen wurde, siehe dazu: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 268-271. 80 So nahmen Geographen z.B. Chinin zur Malariaprophylaxe: F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, 28.05. und 14.07.1906, S. 59, 143. Zur Malariaprophylaxe von Geographen: M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 6; E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 34; K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 34. 81 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 38, 51f.; M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 107-112, 199. 82 Nach einer erneuten Erkrankung Oehlers ließ er sich von Iraku zur Küste tragen. E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 40, 42; Fritz Jaeger: »Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise in das abflusslose Gebiet Deutsch-Ostafrikas«, S. 254f.
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Tabelle 3: Erkrankungen der einheimischen Gehilfen der deutschen Abteilung der deutsch-holländischen Grenzexpedition nach Neuguinea Erkrankung
Anzahl der Erkrankten
Mangelernährung/Beri-Beri
40, davon 7 Todesfälle
Atemwegserkrankungen (Bronchitis, Lungenentzündung)
18
Chirurgische Fälle, einschließlich Wundentzündungen
19, davon 1 Todesfall
Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, insb. Diarrhö
16
Muskelrheumatismus
13
Malaria
8
Ohnmacht, Sonnenstich
3
Sonstige Erkrankungen
3
Quelle: K. Kopp: »Bericht über den Gesundheitszustand der schwarzen Träger (einschließlich der Bewaffneten) während den Expeditionsarbeiten im Nordbereich in: L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S. 80-83 Die differenzierteren Diagnosen wurden hier in größere Kategorien zusammengefasst.
Die Expeditionsleiter führten die Karawanen immer wieder in höheres Gelände mit niedrigen Temperaturen. In der ostafrikanischen Savanne, im Kameruner Hochland und in Neuguinea konnte es empfindlich kalt werden. Extrem war die Kälte bei Gipfelbesteigungen mit Tagestemperaturen oft unter 5° C.83 Obgleich den Geographen bekannt war, dass auf vorherigen Expeditionen Träger erfroren waren, trafen sie nur ungenügende Vorbereitungen für ihre einheimischen Begleiter. Fast einen Monat forschten und wanderten Hassert und Thorbecke am Kamerungebirge und verbrachten viel Zeit in einer Höhe zwischen 2.300 und 3.000 Meter. Während die beiden Geographen in Jagd- und Schutzhütten übernachteten, die Bakwiri ihnen das Lager mit Decken und Schlafsäcke bereiteten und den Boden mit trockenem Gras polsterten, waren ihre Trägern kaum genügend gegen den Nebel und die eisige Kälte ausgerüstet. Hassert räumte ein, dass es schwer war, die »an das warme Tropenklima gewöhnten Tiefland- und Küstenbewohner zum Mitgehen auf den Gipfel zu 83 Vgl. Vortrag von Hans Meyer über die letzte Reise in das Kilimandscharo-Gebiet vor der Geographischen Gesellschaft zu Jena vom 29.01.1900, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft zu Jena 18 (1900), S. 99-102, hier S. 100; F. Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, S. 113-146, 161-197, hier S. 146; [H. Meyer:] »Erster Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Prof. Dr. K. Hassert und Prof. Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, S. 6.
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bewegen«.84 Am Kilimandscharo sanken die Temperaturen nachts schnell unter den Gefrierpunkt. Dennoch begnügte sich Uhlig damit, vor der Bergtour in der Boma in Moshi nur 55 Decken für seine Träger für zwei Rupie das Stück zu besorgen, die er seinen Trägern sogar in Rechnung stellte, als großzügigen Vorschuss auf ihren Monatslohn, wie er meinte.85 Obgleich der Kolonialoffizier Merker ihm 30 »ausrangierte Askari-Decken« lieh, so dass zwei Träger sich eine weitere Decke teilen konnten, war der Kälteschutz ungenügend. Schon während des Aufstiegs sei es so kalt geworden, dass seine Helfer »kaum dazu zu bekommen waren, sich bei der Verteilung des Fleisches anzustellen«, wie Uhlig in seinem Tagebuch schrieb.86 Im publizierten Reisebericht war von den harten Bedingungen für die Träger keine Rede. Er habe den »farbigen Trupp« mit Decken und vielen Kleidungsstücken gegen die Kälte ausgestattet, ihnen Tabak, Reis, vier Ziegen und ein Rind für den Aufstieg zum Kilimandscharo mitgegeben.87 Als Jaeger zwei Jahre später Moshi erneut besuchte, berichtete er ebenfalls ausführlich von seinen Reisevorbereitungen.88 »Nachmittags kaufe ich bei einem Inder 80 Decken für 140 Rp. 60 davon sollen die Leute mir zu diesem Engrospreis wieder einzeln abkaufen, die übrigen & die von Uhlig gekauften, die ich erst alle zurückgeben liess, werde ich in den höheren Lagern noch geeignet verteilen. Viel Dank ernte ich nicht für diese Fürsorge. Einerseits wollen sie vom zwangsweisen Kauf nicht viel wissen, anderseits sind namentlich denen, die bisher durch die besseren Uhlig’schen Decken verwöhnt waren, diese zu kümmerlich. Allein sie werden wenig nach ihren Wünschen gefragt, sondern müssen. – Den Inderladen habe ich völlig aufgekauft, er musste sich noch von einem Concurrenten Decken pumpen. Ausserdem bekamen die 3 Boys, die ins oberste Lager sollen, Stiefel gekauft.«
84 H. Meyer: »Erster Bericht über die landeskundliche Kommission der Herren Prof. Dr. K. Hassert und Prof. Dr. T. Thorbecke in Kamerun«, S. 5. 85 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 1, 27.07.1904, S. 28. Eine Rupie entsprach 1904 einer deutschen Goldmark und 33 Pfennigen. Passarge stellte seiner Karawane ebenfalls die notwendige Kleidung gegen die Kälte in Rechnung, vgl. S. Passarge: Adamaua, S. 221f. 86 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika von 1904, Heft, 1, 30.07.1904, S. 34. 87 C. Uhlig wurde von dem »Zahlmeister-Aspiranten« Mühlhäuser aus Moshi begleitetet: Carl Uhlig: »Vom Kilimandscharo zum Meru«: Vorläufige Mitteilungen über eine Forschungsreise, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1904, S. 627-650, 692-718, hier S. 628f. 88 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 07.08.1906, S. 215f.
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Mit 60 Trägern brachen Jaeger und Oehler am 11. August 1906 von der Missionsstation Madschame auf, um sich auf 2.900 Meter Höhe zu akklimatisieren. Die Temperaturmessung um neun Uhr morgens ergab nur 6°C. Nach drei Tagen stiegen sie höher. Auf 3.500 Meter errichteten sie das untere Basislager. Schon am nächsten Morgen waren viele der Träger erkrankt. Zynisch schrieb Jaeger in sein Tagebuch:89 »Ich ruhe mich im Lager aus – d.h. von Ruhe ist nicht viel die Rede. Zuerst gibt es eine lange Reihe von Kranken zu verarzten. Die meisten sind brustkrank d.h. sie sind wohl erkältet oder leiden unter der dünnen Luft. Ich lasse sie auf eine Seite treten, die Magenkranken & die Fusskranken in andere Gruppen sich stellen. Natürlich habe ich für erstere nichts, würde aber die weitere Expedition in Frage stellen, wenn ich nicht jedem seine daua, seine Arznei gäbe, daher erhält jeder eine Pille Aspirin, ein harmloses Allgemeinmittel & ist zufrieden gestellt. Mundus vult decipi! Die beste Reiseapotheke für hiesige Verhältnisse hat der, welcher nur 7 Fläschchen besass mit gleichem Inhalt & den Aufschriften Sonntag, Montag, Dienstag u.s.w. & jedem, der Arznei haben wollte aus der Flasche des betreffenden Tages sie verabreichte. Das nächste Mal werde ich mir auch eine solche Apotheke zulegen.« Jaeger und Oehler waren für den Aufenthalt in dieser Höhe natürlich deutlich besser ausgerüstet als die Boys und Träger.90 »Die Boys richteten, während wir frierend draussen standen, die beiden Betten her. Auf die Feldbettmatratzen kommt der Schlafsack & dann drei dicke Decken & schließlich noch der Mantel. Trotzdem ziehe ich immer noch Strümpfe und übers Nachthemd einen Sweater an. Wenn man um 8 oder ½9 in seinem Schlafsack gekrochen ist, so müssen die Boys einen etwa 5 Minuten lang richtig zudecken, so dass man behaglich warm – aber kein einziges Mal gut & erquickend – schlafen kann.« Trotz Kälte und Krankheit mussten die Träger in dieser Höhe ausharren. Mit zwanzig gesunden und besonders kräftigen Männern stiegen die Forschungsreisenden auf eine Höhe von 4.300 Meter, wo sie das obere Basislager aufschlugen. Doch
89 Ebd., 14.08.1906, S. 229f., Zitat S. 230. Siehe ebenfalls Jaegers Bericht über die Ereignisse am Kilimandscharo in: Ders.: »Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise in das abflusslose Gebiet Deutsch-Ostafrika«, S. 256. 90 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 18.08.1906, S. 248f.
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selbst die beiden Deutschen zogen sich »Schnupfen, Husten, Halsweh« zu.91 Nach sechs Tagen auf dem Kibo stiegen sie mit der kleineren Trägergruppe wieder zum zweiten Basislager ab, am nächsten Tag dann weiter in das untere Basislager, wo die Mehrheit der Träger wartete. Als Jaeger und Oehler nach einer letzten Nacht im Basislager morgens aufstanden, hatten die Träger schon die Lasten gepackt und waren zum Abmarsch bereit.92 Fritz Klute und Eduard Oehler nahmen 1912 bei ihren Feldforschungen am Kilimandscharo mehr Rücksicht. Da die beiden Forschungsreisenden fast ein halbes Jahr am Berg forschten, waren sie auf die Unterstützung von Trägern und der einheimischen Bevölkerung für die Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser und Brennholz dauerhaft angewiesen. Unter den Bedingungen von 1906 hätten die Träger kaum über einen langen Zeitraum durchgehalten, daher rekrutierten Klute und Oehler Chagga als Träger, die am Fuße des Berges lebten und das raue Klima kannten. Sie versorgten die Forschungsreisenden mit Lebensmitteln aus den Dörfern und trugen die fast 20 Kilogramm schweren Lasten in eine Höhe von 4.800 Metern. Sechs Träger sollten die Forschungsreisenden ständig begleiten. Diesmal hatten die Geographen dazugelernt: Auf den Rat von Fritz Jaeger wurden ihre einheimischen Assistenten mit Nagelschuhen und europäischen Lodenanzügen ausgerüstet, für die kalten Nächte erhielten sie ein Bündel von Decken und schliefen in den gleichen kleinen Zelten wie Klute und Oehler. Dennoch verfügten die beiden Forschungsreisenden über die bessere Ausrüstung, so etwa über Schlafsäcke aus Kängurufell. Dass ihre Begleiter dennoch nach 14 Tagen nach Hause zurück wollten, führte Klute nur teilweise auf das harte Leben unter den extremen Bedingungen am Berg zurück – verantwortlich sei vielmehr die Langeweile, »die der Neger nur ungern« ertragen könne.93 »Es ist lächerlich, wenn in Deutschland über die nützlichen Nilpferdpeitschen solches Geschrei gemacht wird«, schrieb Passarge am Ende seines Adamauabuches.94 »Mit rücksichtsloser Strenge« hätten sie auf ihrer Expedition »die Leute angetrieben. Wer austrat oder gar die Last niederlegte oder zurückblieb, wurde mit dem Stock angetrieben und falls er wiederholt sündigte, mit Entziehung der Tagesration bestraft«.95 Die Prügelstrafe gehörte auf Expeditionen wie auf Militärstationen und Plantagen zur kolonialen Normalität. Alle verfügbaren Expeditionstagebücher berichten von Misshandlungen, die sowohl die Träger als auch die
91 Ebd., Heft 2, 20.08.1906, S. 254. 92 Ebd., 21.08. und 22.08.1906, S. 256-258. 93 Fritz Klute: »Forschungen am Kilimandscharo im Jahre 1912«, in: GZ 20 (1914), S. 496505, Zitat. S. 496f. 94 S. Passarge: Adamaua, S. 528. 95 Ebd., S. 65f. Zum Vollzug der Prügelstrafe gegen einen Bewohner von Bongi, S. 131.
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Askaris betrafen.96 Am Anfang seiner Expedition schien Jaeger noch Skrupel zu haben, die Kiboko, die berüchtigte Nilpferdpeitsche, gegen seine Leute einzusetzen.97 »Wir machten heute einen strammen Marsch & es kostete mich viel Mühe, der Karawane mit der Wegaufnahme unmittelbar nachzufolgen, was bei unübersichtlichem Weg doch nötig ist. Die Leute liefen heute so verzettelt wie noch nie, so dass ich schliesslich nicht umhin konnte, die in Aussicht gestellte Prügelstrafe an den Nachzüglern vollstrecken zu lassen. Dieser Entschluss verdarb mir sehr die Mittagsrast. Ich fürchtete immer selbst den moralischen Schaden von diesen Schlägen zu erleiden – aber ich hielt es im Interesse der Ordnung für notwendig. Hoffentlich hälts recht lange vor.« Bald hatte Jaeger jeder Zurückhaltung abgelegt. Die Prügelstrafe ließ er im Verlauf seiner Expedition noch häufiger vollziehen. Die Anlässe waren oft nichtig, reichten von zu langsamer Marschgeschwindigkeit, Ungehorsam bis zu Trunkenheit, wie ein Askari zu spüren bekam, den Jaeger am 9. Oktober 1906 verprügeln ließ.98 Es war gängige Praxis auf Jaegers Expedition, dass Oehler in Begleitung von einem Askari in der Steppe nach Wild jagte und die Träger abends noch nach von Geiern und Raubtieren angefressenen Wildtieren suchen mussten. Als am 13. Januar 1907 niemand aus einer Gruppe von 35 Trägern dem Befehl nachgekommen war, die Jagdbeute ins Lager zu bringen, hielt Jaeger den erschöpften Trägern eine Standpauke. Zunächst beabsichtigten sie die gesamte Gruppe von ihren Askaris verprügeln zu lassen, da ihnen die Gewaltorgie aber übertrieben vorkam, wählten sie den »Trägeranführer« und willkürlich jeden fünften Träger aus. Doch die Bestrafung endet im Chaos. Zahlreiche Träger erhielten Schläge, obwohl Jaeger sie gar nicht ausgewählt hatte.99 Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich kurz vor Ende der Expedition als
96 Zur Normalität des Einsatzes der Nilpferdpeitsche und der Androhung von Schlägen, siehe auch: K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 109, 145, 154f. 158f., 175, 212. Zur Praxis der Prügelstrafe auf der Expedition der Thorbeckes, siehe die Andeutungen in: M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 45. 97 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 18.07.1906, S. 153. 98 Ebd., 09.10.1906, Heft 2, S. 375. Für Belege zu weiteren Prügeln auf Jaegers Expedition, siehe die Einträge vom 21.09.1906, S. 318 sowie Heft 4, 17.02.1907, S. 633. 99 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 3, 13.02.1907, S. 624-626, vgl. zur Jagd u.a. den Tagebucheintrag vom 11.07.1906, S. 137.
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zehn Träger sich ohne Erlaubnis Fleischstücke von zwei geschossenen Gnus aneigneten. Jaeger ließ auch sie verprügeln und resümierte über die Anwendung der Prügelstrafe auf seiner Expedition:100 »Ich hätte doch nie gedacht, dass ich je so mit der Nilpferdpeitsche wirtschaften würde, wie im letzten Vierteljahr. Wenn ich wieder mal hier eine Reise machen sollte, so kriege ich wohl gar keine Träger, weil ich als Kali, als streng, verschrieen bin. Und ich betrachte doch die Strafe nur als Schutzmassregel zur Verhütung weiterer Vorkommnisse derart. Die Bestraften werden kaum glauben, wie wenig ich ihnen ihre unbedachte Handlung persönlich übelnehme.« Schon 1904 hatte Jaeger als Assistent Uhligs die Prügelstrafe als Verfahren der Expeditionsführung kennengelernt. Es waren kleinste Anlässe, für die der erfahrene Kolonialbeamte die Prügelstrafe als gerechtfertigt erachtete. »Die Träger mussten ein wenig Prügel bekommen«, schrieb Uhlig in sein Tagebuch, »weil sie trotz aller Mahnungen gleich ¾ St. nach Aufbruch sich in Makumira eine gute Stunde Rast gegönnt hatten. Die Leute waren alle fett wie die Schnecken in Moschi angekommen«.101 Meyer dokumentierte in seinem Tagebuch zwei Vorfälle, die zur Anwendung der Prügelstrafe führten. Allerdings liegt es nahe, dass die Geographen nicht jedes Mal in ihr Tagebuch notierten, wenn sie Träger misshandelten. Ferner waren sie nicht immer direkt in die Maßregelung der Karawane involviert, schließlich oblag die Disziplinierung manchmal einem Feldwebel oder auf Meyers Expedition im Zuständigkeitsbereich des ehemaligen Kolonialoffiziers Tiller. Und gerade die Militärs galten als besonders prügelfreudig. Fünfzehn Schläge auf den Hintern hielt Jaeger für angebracht und zugleich für milde, da das nur die Hälfte der auf den Stationen ausgeteilten Prügel sei.102 Meyer ließ im ersten dokumentierten Fall zehn Hiebe austeilen, das zweite Mal waren es zwanzig; Passarge berichtete in einem Fall sogar von 50 Hieben.103
100 Ebd., Heft 4, 22.04.1907, S. 757f. 101 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 1, 16.07.1904, S. 11. 102 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 3, 13.02.1907, S. 626. 103 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, 18.07. und 30.07.1911, zit. nach R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 93, 119; S. Passarge: Adamaua, S. 95.
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Den Geographen stand in den Kolonien eine Infrastruktur zur Verfügung, die unter vorkolonialen Verhältnissen unvorstellbar gewesen wäre. Bereits die Anreise war sicherer und günstiger geworden. Regelmäßig verkehrten nun zwischen Deutschland und den Kolonien Dampfer der Woermannlinie und des Norddeutschen Llyods. Geographen erhielten für ihr Expeditionsgepäck vielfach Preisnachlässe oder besonderen Service und sie genossen die geruhsamen Tage an Bord in der Gesellschaft von anderen deutschen Reisenden.104 Nach ihrer Ankunft blieben sie einige Zeit in den Küstenstädten, um die Expeditionen vorzubereiten, Personal anzuheuern, den Vorrat an Konservendosen zu ergänzen und weitere Ausrüstungsgegenstände zu besorgen. Nach einiger Zeit begann die eigentliche Expedition, der Aufbruch in das Landesinnere, häufig mit der Eisenbahn. Jaeger und seine Karawane reisten mit der Nordbahn von Tanga in das 90 Kilometer entfernte Korogwe, dem damaligen Endpunkt der Nordbahn.105 Der Rückweg erfolgte dann mit der britischen Ugandabahn von Port Florence, dem heutigen Kisumu, bis nach Mombasa.106 Meyer nutzte die Ugandabahn in umgekehrter Richtung und überquerte von Port Florence in einwöchiger Dampferfahrt den Viktoriasee, um von Bukoba am Westufer mit einer dort rekrutierten Karawane möglichst schnell nach Ruanda weiterzureisen.107 Obst fuhr mit der Zentralbahn von Daressalam bis zur Endstation Makutapora.108 Hassert und Thorbecke nutzten eine zwanzig Kilometer lange Schmalspurbahn der Westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft Victoria, um den 104 Zur Schiffsgesellschaft: F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 15.05.-01.06.1906, 1906/07, S. 41-68. Zu Transportvergünstigungen: Franz Thorbecke: Brief an den Staatssekretär des Reichskolonialamtes Dr. Solf vom 19.01.1912, BArch R 8023/221; F. Thorbecke: Im Hochland von MittelKamerun, 1. Teil. Die Reise, S. VIII. In den ersten Jahren nach der kolonialen Landnahme reisten Forschungsreisende zum Teil noch auf britischen Dampfschiffen in die deutschen Kolonien. Dazu etwa: O. Baumann: In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes, v.a. S. 1-17. Zur Fahrt mit dem Norddeutschen Lloyd: Walter Behrmann: »Nach Deutsch-Neuguinea«, in: Meereskunde: Sammlung volkstümlicher Vorträge 8/10 (1914), S. 1. 105 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 26.06.1906, S. 101f. 106 Ebd., Heft 4, 21.05., 25.05.-28.05.1907, S. 802-807, 811-818. 107 Hans Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ostafrika)«, in: Zeitschr. d. Ges. Erdk., Berlin 1912, S. 107-109. 108 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 15.
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größten Anstieg auf dem Weg nach Buea zu überwinden.109 Einige Jahre später fuhren die Thorbeckes und Waibel von Bonaberi bei Douala nach Nkongsamba auf einer neu gebauten Eisenbahnlinie.110 Schenck, Klute sowie Jaeger und Waibel legten ebenfalls einen Teil ihrer Expeditionsroute mit der Eisenbahn zurück.111 Die Eisenbahn hatte in nur wenigen Jahren viele Räume zugänglicher gemacht. 1897 habe man für die kürzeste Strecke von der Küste zum Viktoriasee noch eineinhalb Monate benötigt, schrieb Carl Uhlig, 1907 seien es mit der Ugandabahn für die fast tausend Kilometer nur noch 45 Stunden gewesen.112 Eine Fahrkarte der Ersten Klasse kostete damals 170 Mark und erlaubte Zwischenaufenthalte am Lake Nakuru und in Nairobi.113 Anders hingegen war es in Neuguinea, wo Expeditionen den Weg entlang der Flüsse in das Binnenland nahmen. Aber Geographen konnten sich dort auf die Unterstützung des Gouverneurs Albrecht Hahl verlassen, der wissenschaftlichen Expeditionen ein großes Interesse entgegen brachte und Karl Sapper im Bismarckarchipel das Regierungsschiff Seestern zur Verfügung stellte. Auch die deutsch-holländische Grenzvermessungsexpedition und die KaiserinAugusta-Fluss-Expedition erhielten vom Gouverneur tatkräftige logistische Unterstützung, wobei die Zusammenarbeit mit den Holländern auch dazu führte, dass deutsche Wissenschaftler auf niederländischen Schiffen fuhren.114 Um schnell große Distanzen zurückzulegen, nutzten die Expeditionsleiter manchmal die ausgebauten Straßen, die an die Stelle von einfachen Karawanenstraßen getreten waren. Als wichtige Etappenziele dienten Regierungs- und Militärstationen entlang der Straßen, vielfach auch kleine Militärposten, Missionen, Farmen und Betriebe von Plantagengesellschaften. Die Forschungen erfolgten häufig 109 K Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 3f. 110 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 3-5. 111 Vgl. Adolf Schenck: »Transvaal und Umgebung«, in: Verhandl. d. Ges. f. Erdk., Berlin 27 (1900), S. 60-73, hier S. 60; E. Oehler: Von einer Forschungsreise am Kilimandscharo im Jahre 1912, S. 125. F. Jaeger/L. Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, S. 2f. 112 Vgl. Carl Uhlig: »Der sogenannte Große Ostafrikanische Graben zwischen Magad (Natron-See) und Launa ya Mueri (Manyara-See)«, in: GZ 13 (1907), S. 478-505, hier S. 478f. 113 Vgl. F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 4, 21.05., 25.05.-28.05.1907, S. 802-807, 811-818. 114 K. Sapper: »Buka«, S. 193-206; Ders.: »Bougainville«, S. 206-217; L. Schultze: »Deutsche Grenzexpedition in das Kaiser-Wilhelmsland (Neu-Guinea)«, S. 29; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 100. Auch Passarge reiste ebenfalls mit dem Schiff und zwar auf dem Benue von Lokoja bis Yola, siehe: S. Passarge: Adamaua, S. 9-25.
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in der Umgebung eines Militärpostens. Fast sechs Wochen verbrachten Hassert und Thorbecke auf der Station Johann-Albrechts-Höhe. Ihre Expeditionsetappe im Manengouba-Hochland beendeten sie am Militärposten Bare, die Expedition durch das sogenannte Kameruner Grashochland besuchten sie den Militärposten Mbo sowie die Militärstation Bamenda und Dschang.115 Auf Thorbeckes zweiter Expedition waren Militärstationen ebenfalls wichtige Anlaufstellen. Mehrere Wochen verbrachte die Expedition in der Nähe der Stationen Joko und Bana.116 Obsts erstes Etappenziel war die Militärstation Kilimatinde in der Landschaft Ugogo. Schon an der Eisenbahnstation nahm ein Askari die Karawane in Empfang und geleitete sie zur Militärstation. Knapp zwei Wochen blieben Obst und die Karawane auf der Station, von wo er mit einigen Trägern »Orientierungsausflüge« in die Umgebung unternahm. Mit den Kolonialoffizieren besprach Obst seine Reiseroute und manchmal endete der Abend in einem wüsten Trinkgelage, so etwa anlässlich des Kaisergeburtstags. Obst gestaltete seine Expedition als eine »aus mehreren Schleifen bestehende Rundtour«, bei der die Militärstation Kilimatinde der zentrale Anlaufpunkt war. Doch auch die nächsten Expeditionsetappen führten von dort aus zu Militärstationen: zuerst nach Ssingida in der Landschaft Turu, dann zur Militärstation Mkalama und weiter zur Regierungsstation Kondoa-Irangi.117 In DeutschNeuguinea und Deutsch-Samoa kam die koloniale Infrastruktur zu den Geographen – als Einladung zur Fahrt mit einem Kriegsschiff oder durch den Besuch eines Kriegsschiffs im Expeditionslager.118 Die Kolonisierung veränderte den Raum um die Stationen, manchmal auch in der weiteren Umgebung. In den ersten Tagen seiner Expedition bewegte sich Jaeger von einer Plantage zur nächsten. Bevor sie die Dörfer passierten, wurde die Karawane von Jumben begrüßt, den von der Kolonialbehörde eingesetzten Dorfvorstehern, die ihnen mit Polizeisoldaten und einem Teil der Dorfbewohner entgegeneilten. Immer wieder nahm er die Hilfe von Akiden in Anspruch, um Führer oder Träger zu rekrutieren und Nahrungsmittel zu beschaffen. Am Ronga ließ einer der Akiden sogar extra für Jaegers Karawane eine Brücke ausbessern.119 Hans Meyer
115 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 6-9, 12-15, 17-24. 116 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise. 117 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 15-26, 44. 118 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 254; Georg Wegener: Der Zaubermantel. Erinnerungen eines Weltreisenden, Leipzig 1919, S. 136, 146-156. 119 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 27.06.1906, S. 105. Für die Unterstützung von Jumben und Akiden, siehe Tagebucheinträge vom 28.06.-01.07., 03.07., 30.07., 13.09., 22.09.1906.
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wurde auf Anweisung des deutschen Gesandten in Ruanda am Ufer des Kagera von Führern erwartet.120 In manchen Regionen hatte die Militärverwaltung Rasthäuser entlang wichtiger Verkehrsachsen inmitten der Dörfer errichten lassen, in denen die lokale Bevölkerung reisende Offiziere oder andere Europäer bewirten sollten. Gerne übernachteten die Geographen in diesen Rasthäusern, wo in der Regel die Versorgung der Karawane mit Lebensmitteln garantiert war.121 Die Häuser seien geräumig, so dass mehrere Europäer darin übernachten könnten, einfach gebaut aus geflochtenen Matten oder Lehm, aber im Innern großartig eingerichtet, so wusste Marie Pauline Thorbecke von Kamerun zu berichten.122 Das Netz kolonialer Infrastruktur beschränkte sich nicht nur auf Stationen und die Niederlassungen deutscher Siedler. Die Militärstationen veränderten die sozialen Verhältnisse im Umland. Es war kein Zufall, dass Franz Thorbecke am meisten Unterstützung von einem Häuptling unweit einer Militärstation erfuhr.123 »In der Hauptstadt des alten Ngutte, der heute beim jüngeren Ngilla in Ndumba in der Verbannung lebt, genoß ich die Gastfreundschaft seines Sohnes und Nachfolgers Dukan. Noch spät in der Nacht war er auf die Kunde von meiner Ankunft in sein Dorf zurückgekehrt von einem Zug nach Joko, wohin ihn der Stations-Leiter zu einem ›palaver‹ entboten hatte. Mit ganz unerwartetem Verständnis und Entgegenkommen ging der noch junge, sympathische Häuptling, eine schöne männliche Erscheinung, auf meine Wünsche ein. Am nächsten Morgen schon standen 25 tadellose, kräftige Träger vor dem Zelt, [...] ein landeskundlicher Führer war auch zur Stelle.« Eisenbahnen, Straßen und Rasthäuser waren nicht nur funktional, sie waren sichtbare Zeichen der deutschen Herrschaft, aber gerade die Straßen eignete sich die einheimische Bevölkerung wieder an. Auf manchen Routen entwickelte sich ein florie-
120 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, 12.07.1911, zit. nach R. Bindseil, Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 79. 121 Vgl. Trutz von Trotha: Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des »Schutzgebietes Togo«, Tübingen 1994, v.a. S. 123-127; F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 10.11.1906, S. 447; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 11, 13, 22, 58; K. Sapper: »Bougainville«, S. 207; Ders.: »NeuMecklenburg«, S. 141-168, hier S. 143. H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 2, 13.08.1911. 122 M. P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 14. Zum Bezug weiterer Rasthäuser auf der Expedition, S. 20. 123 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 49.
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render Handel, wie Leo Waibel über die Straße zwischen Jaunde und Kribi berichtete, die realen Verhältnisse wohl aus kolonialem Eifer beschönigend: An der Prachtstraße der Kamerunkolonie mit einer Länge von 285 Kilometern und einer Breite von fünf bis sechs Metern und Wassergräben zu beiden Seiten sei eine »primitive Fremdenindustrie« entstanden, entsprechend der primitiven Kulturstufe der Bevölkerung, wie der Forschungseisende in einem Aufsatz in der Deutschen Kolonialzeitung mitteilte. Frauen und Kinder seien überall mit der Instandhaltung und Reinigung der Straße beschäftigt, die Männer unterwegs als Händler oder Lastenträger. Täglich würde man 600 bis 800 Träger antreffen, Frauen würden entlang der Straße Verpflegung verkaufen und die »Kings« hätten Schlafhäuser errichten lassen, in denen die Träger für 5 Pfennige nächtigen könnten. Täglich könne man weiße Kaufleute, Offiziere und Beamte sichten, wobei sie teilweise sogar Fahr- und Motorräder benutzen würden. Ein Automobil habe die Strecke von Kribi nach Jaunde, für die man zu Fuß oder mit dem Pferd 14 Tage bräuchte, schon mehrmals an einem Tage zurückgelegt.124 Schon bei der Ankunft in der Kolonie agierten Geographen in einem Netz kolonialer Infrastruktur. Das Generalgouvernement und die Führung der Kolonialtruppe hatten ihren Verwaltungssitz meist nahe der Küste bezogen, wo die Geographen umfassende logistische Unterstützung erhielten. In Deutsch-Ostafrika konnte Carl Uhlig als Kolonialbeamter problemlos auf die Strukturen der Kolonialbehörden zugreifen. Das Zentralmagazin beschaffte ihm Träger und stellte ihm Ausrüstung und Instrumente zur Verfügung.125 Jaeger erhielt für seine Expedition ebenso die Unterstützung der Kolonialverwaltung. Nachdem er zunächst beabsichtigte, von einem deutschen Händler in Mombo Träger anwerben zu lassen, erschien ihm das Geschäft zu riskant und er nahm schließlich das Angebot des Leiters des Zentralmagazins in Anspruch, der ihm Träger für einen Monatslohn von acht Rupien und einer Verpflegungspauschale von vier Rupien pro Monat besorgte. Verhandlungen mit dem »Commando der Schutztruppe« führten am gleichen Tag zur Abordnung von sechs Askaris zur Expedition. Karl Weule und Eduard Oehler wurden darüber hinaus noch jeweils ein Gewehr und Munition kostenlos überlassen. Am nächsten Tag schritten die Vorbereitungen zügig fort, wie Jaeger ins Tagebuch notierte:126
124 Leo Waibel: »Durch das Waldland Kameruns von Jaunde nach Kribi«, in: DKZ 30 (1913), S. 362f. 125 C. Uhlig: Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika, Heft 1, 24.07.1904, S. 3. 126 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 06.06. bis zum 09.06.1906, Zitat vom 09.06.1906, S. 81. Die Kosten für die Askari-Begleitung der Expedition übernahm das Reichskolonialamt, wobei die Askaris ursprünglich sowohl für Jaeger als auch für Weule gedacht waren, da beide zu diesem Zeitpunkt noch beabsichtigten die Expedition zusammen durchzuführen, siehe auch:
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»Heute wurden Eduard, sämtliche Boys & Träger geimpft, ohne dass es einen Pfennig kostet, nachdem ich dies gestern mit Oberstabsarzt Meixner verabredet hatte. Ich bestelle beim Centralmagazin & bei Devers noch allerlei Ausrüstungsgegenstände. Nachmittags fuhren Weule, Eduard & ich mit Major Schleinitz & einigen Offizieren über den Criek nach den Schiessständen und probirten meine von Uhlig erstandenen Gewehre & unsere Schiesskünste. Beide Proben fielen zu meiner Zufriedenheit aus.« Nachdem Hassert bereits in Victoria Träger angeworben hatte, erhielt er mit Unterstützung des Gouverneurs Theodor Seitz zwanzig Stationsarbeiter in Buea und auch Thorbecke ließ auf seiner zweiten Kamerunexpedition von den Regierungs- und Militärstationen Träger anwerben, allerdings wurden ihm die neu eingeführten »Gebühren für die amtliche Träger-Gestellung« zu teuer.127 Besonders weitreichende Unterstützung gewährten die Zivil- und Militärbehörden den Forschungsreisenden, die im amtlichen Auftrag in den Kolonien reisten. Wie weit man den Geographen aber tatsächlich entgegenkam, hing vom Wohlwollen und Engagement der Gouverneure und Kolonialbeamten ab. Selbst der noch junge Erich Obst, der im Namen der Hamburger Geographischen Gesellschaft in Deutsch-Ostafrika forschte, erhielt mancherlei Begünstigungen von den Kolonialbehörden, die ihm im Landesinnern seine Expedition erleichterte, wie er in seinem Reisebericht anmerkte.128 Geographen nutzten nicht nur die Netze der kolonialen Infrastruktur, ihre Expeditionen halfen auch, die deutsche Herrschaft territorial auszudehnen – durch ihre Schriften, das in Karten manifestierte geographische Wissen, manchmal aber noch viel unmittelbarer: So berichtete Behrmann, dass die Kolonialbehörden beschlossen hatten, »eine Polizeistation in Angorum« zu errichten, »also an der Stelle, von der aus ich meinen Vorstoß zur Küste angesetzt hatte.« Die Expedition sei selbst noch einmal in das Gebiet gefahren, »um den Polizeimeister mit seinen Leuten an Land zu setzen«.129
von König: Brief des Vertreters der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes an Hans Meyer vom 09.04.1906, BArch R 1001/5637/1. 127 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 4f.; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 3. Die Gebühren wurden nach Thorbeckes Angaben am 01.10.1911 in Kamerun eingeführt und beliefen sich pro Träger auf 1 Mark für 10 Tage, 3 Mark bis zu einem Monat und 10 Mark über einen Monat. Allerdings wurden den Thorbeckes nach Ablösung des Gouverneurs Otto Gleim durch Karl Ebermaier von Gebühren befreit und bereits bezahlte Summen zurückerstattet. 128 E. Obst: Das Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 7. 129 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 338.
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D AS M ILITÄR
IN
R EICHWEITE
Die meisten Expeditionen von Universitätsgeographen erfolgten zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Kolonialherrschaft bereits konsolidiert war. Die deutschen Kolonialtruppen hatten zwischen 1905 und 1907 die Aufstände der einheimischen Bevölkerung mit ungeheurer Brutalität niedergeschlagen und die territoriale Kontrolle durch Ausweitung von Militärstützpunkten und die Errichtung von Polizeizonen verstärkt. Zivile Bezirksämter, Militärstationen und untergeordnete Militärposten gab es selbst in abgelegenen Räumen, so dass Geographen ihren Forschungen nachgehen konnten, ohne gewaltvolle Übergriffe befürchten zu müssen. Aber auch schon zuvor hatten unzählige Strafexpeditionen die Einheimischen zur Kooperation mit den deutschen Kolonialbehörden gezwungen. Wie Hassert und Thorbecke schrieben, verwehrten die Bambuko früher Europäern den Zugang zu ihrem Siedlungsgebiet, aber eine Strafexpedition habe vor sechs Jahren diesen Raum geöffnet. Die beiden Forschungsreisenden fanden bei den Bambuko »überall freundliche Aufnahme und reichliche Verpflegung«, und sie machten konkret dafür die »bittere Erfahrung jenes Kriegszuges« verantwortlich.130 Carl Uhlig erklärte, dass die Bevölkerung am Meru nach dem Mord an zwei Missionaren »zur Ruhe gebracht« worden sei und nun »die Schwierigkeiten der Annäherung an den eigentlichen Berg« wegfielen, »die früher Reisende vom Vordringen abgehalten« hätten.131 Als Erich Obst wenige Jahre vor dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft durch das zentrale Ostafrika reiste, beauftragte er einen Förster der Kolonialverwaltung mehrere Säcke Mehl an einem von ihm auf einer Karte markierten Ort zu verstecken. Als er später einen Askari beauftrage, den Proviant abzuholen, sei dieser bald mit der Nachricht zurückgekehrt, dass das Mehl gestohlen sei. Obst selbst habe hingegen bezweifelt, dass jemand es wagen würde, »Mehl von einer Amtsperson für einen mit Amtsschutz reisenden Weißen« zu stehlen.132 Jaeger nutzte die militärische Präsenz in Iraku für Befragungen und die »Anlage einer ethnographischen Sammlung«. Zunächst verzögerte der bewaffnete Konflikt die Expedition, doch nachdem ein massives Militäraufgebot den Aufstand im Raum
130 [H. Meyer:] »Erster Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Prof. Dr. K. Hassert und Prof. Dr. F. Thorbecke, S. 11. 131 C. Uhlig: »Vom Kilimandscharo zum Meru: Vorläufige Mitteilungen über eine Forschungsreise«, S. 692. Uhlig hatte vermutlich vor allem das Schicksal von G.A. Fischer im Sinn, der 1883 bei einer von der Hamburger Geographischen Gesellschaft finanzierten Expedition in dieser Region getötet wurde. Zur Rezeption von G.A. Fischer durch Uhlig: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1909, S. 145f. 132 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 70.
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zwischen Kilimandscharo und Eyasisee niedergeschlagen hatte, bekam Jaeger von der Kolonialtruppe die Erlaubnis seine Expedition in dieses Gebiet fortzusetzen. Als er in Iraku eintraf, lagerte dort die 5. Schutztruppenkompanie und zwang gerade die Bevölkerung dazu, eine dauerhafte Boma (Militärposten) zu erbauen.133 Jaeger zufolge lebten dort zweitausend »Irakuleute«, vorwiegend ältere Menschen unter der politischen Führung eines jungen Chief, der von der deutschen Kolonialverwaltung als Häuptling über das gesamte »Stammesgebiet« eingesetzt worden sei. Jaeger und Oehler genossen für einige Tage die Gesellschaft der Offiziere. Brennholz erhielten sie und ihre Karawane von den zerstörten Hütten, da die Umgebung waldlos war. Isara, der neue »Häuptling«, der gerade von der Militärstation aus Arusha zurückgekehrt war, schenkte Jaeger einen Ochsen und lud ihn in sein Haus ein.134 »Danach gingen wir noch in Isaras Haus & bekamen köstlich schmeckendes Honigbier vorgesetzt. Noch nie kam ich so nett in Berührung mit den Eingeborenen, wie hier. Isara, ein Mann von etwa 27 Jahren, sehr verständig und gefällig, war wohl aus politischer Klugheit im Aufstand treu geblieben & vertrieben worden & ist daher jetzt über einen sehr grossen Teil des Landes gesetzt & steht mit den Europäern einstweilen sehr gut. Verschiedene Akiden, durch deren Gebiet wir ziehen werden, lernten wir kennen & biederten uns an, auch Isaras Mutter, ›Mama Isara‹ genannt. Hier gib es viele alte Leute, hervorragende Typen.« Jaeger war begeistert von den ethnographischen Forschungsmöglichkeiten, die sich ihm auftaten, obgleich er sich für die Ethnographie bislang wenig interessiert hatte. Doch nun befand er sich in jenem Gebiet, das Weule hatte ursprünglich erforschen wollen, bevor der Völkerkundler sich entschieden hatte, seine Forschungen wegen des Aufstands in den Süden der Kolonie zu verlagern. Jaeger erwarb nun von der Mutter des »Häuptlings« viele »ethnographische Gegenstände«. Ferner konnte er ausführliche Gespräche mit seinen Gastgebern, einigen Akiden und den Offizieren führen. Daneben erhielt er in Iraku noch weitere Unterstützung für seine Expedition. So rekrutierte Jaeger mehrere Träger, die allerdings, wie er vermutete, gewaltsam zum Trägerdienst gepresst worden waren. Nachdem die Karawane schon auf dem Weg in Richtung Eyasisee marschiert war, ließ er sich darüber hinaus
133 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 23.08. und 13.09.1906. Weule schrieb in seinem Reisebericht, dass Kolonialtruppen von Stationen aus Moshi, Mpapua, Klimatinde und Tabora an der Aufstandsbekämpfung beteiligt waren. Siehe dazu: K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 32. 134 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 14.09.1906, S. 300f.
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Nahrungsmittel aus Iraku nachsenden.135 Der Grund für die Kooperation von Teilen der Irakuleute führte er in seinem Tagebuch auf das Vertrauen zurück, das dieses Volk, das bisher kaum mit Europäern in Berührung gekommen sei, zu Feldwebel Scheffel gefasst habe. Ferner würden sie die Vorteile der kolonialen Ordnung nun selbst erkennen.136 Im vorläufigen Reisebericht räumte er hingegen ein, dass die militärische Präsenz sich auf die Forschungsbedingungen förderlich ausgewirkt habe, da »die Leute nach dem soeben überstandenen Kriege vor den vorher kaum gekannten Deutschen Achtung« bekommen hätten.137 Vor allem Kinder und ältere Iraku seien bei dem regierungstreuen Häuptling Isara geblieben, »der jetzt nach Entfernung der anderen Häuptlinge über das ganze Land gesetzt war«. Schon damals erkannten die Geographen den Zusammenhang zwischen militärischer Herrschaftskonsolidierung und geographischer Forschung. Obst brachte dies im zweiten länderkundlichen Band zu seiner Expedition auf den Punkt: »In dem Maße wie die Pazifizierung fortschritt, mehrte sich die Zahl der Europäer, die ins Land kamen [sic], darunter auch wissenschaftliche Reisende«.138 Die Geographen und Expeditionsassistenten verfügten nicht nur über Polizeisoldaten und bewaffnete Begleiter, sie trugen ebenfalls Waffen. Die Gewehre verwendeten sie für die Jagd und um die lokale Bevölkerung einschüchtern, einige führten wohl noch Pistolen mit.139 Manchmal waren auch die Boys oder einzelne Träger bewaffnet. Uhlig erhielt in Moshi von Hauptmann Merker ein »Begleitkommando schwarzer Askari«, dazu wurden einige Träger bewaffnet, so dass »wir über etwa 20 Gewehre verfügten«.140 Ein Drittel seiner einhundert Helfer, darunter viele ausgebildete Polizeisoldaten, hatte Leonhard Schultze für den Hauptvorstoß der Expedition mit Gewehren ausrüsten lassen.141
135 Ebd., Heft 2, 25.09., 26.09., 30.09.1906, S. 328, 330, 344. 136 Ebd., 13.09.-17.09.1906, S. 294-306. Ebenso: F. Jaeger: Im Hochland der Riesenkrater, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 96. 137 F. Jaeger: »Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise in das abflusslose Gebiet Deutsch-Ostafrikas«, S. 253. 138 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 310. 139 Wilhelm Volz: »Ausrüstung und Reisepraxis: Erfahrungen auf Forschungsreisen in Niederländisch-Ost-Indien«, in: Tijdschrift van het Koninkliijk Nederlandsch Aardrijksundig Genootschap, 28 (1911), S. 247-278, hier S. 253-254. 140 C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung«, S. 78. Zur Bewaffnung der persönlichen Diener, siehe auch: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 179. 141 L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S. 79.
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Ohne ständigen Begleitschutz musste Franz Thorbecke auf seiner zweiten Expedition in Kamerun auskommen. Der Leiter der Kameruner Kolonialtruppe sprach ihm zunächst zwei Polizeisoldaten zu, entzog sie ihm aber wieder auf Geheiß von Gouverneur Otto Gleim. Für einige Expeditionsetappen bekamen die Thorbeckes von den Stationen Begleitschutz, doch immer wieder waren sie auch ohne bewaffnete Soldaten unterwegs.142 Die Empörung war dementsprechend groß, als es schließlich tatsächlich zu einem Übergriff auf die Forschungsreisenden kam. Eines Nachts wurde Marie Pauline Thorbecke in ihrem Bett von einem Speer am Kopf getroffen, der vermutlich ihrem Mann gegolten hatte. Franz Thorbecke ließ die Dorfbevölkerung darauf hin von seinen Trägern bewachen. Zu dem Lamido von Tibati sowie zu den Stationen Banjo und Joko sandte er am frühen Morgen Boten. Zwei Tage später kam der geachtete Lamido, der in etwa dem Rang eines Emirs entsprach, mit großem Gefolge, danach verschiedene Chiefs aus angrenzenden Gebieten. Als Schuldiger wurde der »Didda-Häuptling« identifiziert, den Franz Thorbecke zwei Wochen vorher geohrfeigt hatte. Nachdem der Lamido eine Gerichtsverhandlung abgehalten hatte, begab sich die Expedition am fünften Tag nach dem Überfall auf den Weg zur Regierungsstation Joko. Der »DiddaHäuptling« wurde später wieder freigelassen, da an seiner Schuld erhebliche Zweifel bestanden.143 Zwar war Marie Pauline Thorbeckes Kopfwunde nur oberflächlich, doch Franz Thorbecke dramatisierte den Vorfall immer wieder in Briefen und Schriften und beschwerte sich sogar beim Reichskolonialamt darüber, dass sich der inzwischen abberufene Gouverneur sich geweigert hatte, ihnen Begleitsoldaten zu stellen.144 Manche Geographen profitierten unmittelbar von der Kriegsführung der deutschen Kolonialtruppe. Karl Dove schloss sich 1893 während des Krieges gegen die Nama dem Militär an und war nach seinen Angaben direkt am Kampf um Hornekranz, dem Lager Hendrik Witboois, beteiligt. Zurück in Windhuk führte er »ethnographische Beobachtungen« durch, die darin bestanden, dass er das Verhalten von gefangenen und verwundeten Nama studierte, die dorthin nach einem Gefecht von der siegreichen Kolonialtruppe verschleppt worden waren. Mit einem Faible für technische Details beschrieb er die Wunden der Frauen und Kinder und wohnte der Amputation eines Beines eines fünfzehnjährigen Mädchens bei, die er
142 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 3. 143 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 188. 144 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 72-74, M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 174-180; Kaiserliches Gouvernements von Kamerun: Brief aus Buea an Wilhelm Heinrich Solf (Staatssekretär des Reichskolonialamts) vom 14.10.1912, BArch R 1001/3344, S. 46f.
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als völkerkundlichen Nervenstärketest an Eingeborenen verstanden wissen wollte.145 Die Expedition von Leonhard Schultze in Südwestafrika erfuhr durch die Kolonialbehörden rege Unterstützung. Oberst Leutwein und sein Stellenvertreter Tecklenburg unterstützten ihn von Anfang an. Zunächst beteiligte sich Schultze an der Küsten-Rekogniszierung an Bord der SMS »Wolf«, dem Kanonenboot der kaiserlichen Marine. Während des Hererokrieges verbrachte er die Zeit der gewalttätigsten Kampfhandlungen in der Kapkolonie, um dann im September von Westen seine Forschungen wieder innerhalb des von Deutschland beanspruchten Kalaharigebietes fortzusetzen. Mit Erlaubnis des Generalleutnants von Trotha schloss er sich als Kriegsberichterstatter einer Truppenabteilung unter Major von Estroff an.146 Wie Schultze in der Einleitung zur Auswertung seiner zoologischanthropologischen Sammlung schrieb, profitierte er noch unmittelbarer vom Krieg, da er sich »die Opfer des Krieges zunutze machen und frischen Leichen von Eingeborenen Teile entnehmen« konnte, »die das Studium des lebendigen Körpers (gefangene Hottentotten standen mir häufig zu Gebote) willkommen ergänzten«.147 Die militärische Präsenz konnte sich auch negativ auf die Forschungsaktivitäten auswirken. Der Weltkrieg bereitete den Forschungen von Fritz Jaeger und Leo Waibel ein jähes Ende. Im Februar 1914 waren sie von Hamburg nach DeutschSüdwestafrika gereist, doch der Kriegsausbruch und die Invasion von britischen Truppen und der Südafrikanischen Union führte dazu, dass Waibel Ende August als Reservist eingezogen wurde, Jaeger im Oktober in den Landsturm. Jaeger war selbst an einem Gefecht beteiligt, Waibel an fünf Gefechten, wie Jaeger in Briefen an Hans Meyer schilderte, ohne sich für den Krieg zu begeistern. Waibel verfasste später einem militärischen Heldenroman, der die Absurdität des Krieges nicht aussparte.148 Jaeger, der einige Zeit auf dem »Wehleberg« und auf der Heliografenstation »Langer Heinrich« in der Nähe von Swakopmund stationiert war, nutzte die Zeit für geographische Untersuchungen. Nach der Kapitulation der deutschen Trup-
145 K. Dove: Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder (1896), S. 184-196. 146 L. Schultze: Kalahari, S. VI-VIII. 147 Leonhard Schultze: »Einleitung«, in: Ders.: Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika, Band 1, Jena 1908, S. V-VIII, hier S. VIII. 148 F. Jaeger/L. Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Erster Teil, S. 1f.; Fritz Jaeger: Abschrift von Teilen eines Briefes aus Grootfontein vom 20.7.1915, Ders.: Brief aus Grootfontein an Geheimrat Albrecht Penck vom 03.11.1915; Ders.: Abschrift zweier Briefe aus Swakopmund an Geheimrat Albrecht Penck vom 28.04.1916 und 16.11.1916; Ders.: Brief an Hans Meyer vom 12.08.1916, alle: IfLA, K. 175; Leo Waibel: Der Todesritt in den Karrasbergen. Südwestafrikanische Erzählungen, Reutlingen 1933 [erste Auflage 1927].
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pen in Südwestafrika und kurzer Zeit in Kriegsgefangenschaft erlaubte die britische Armee den beiden Geographen die Fortsetzung ihrer Expedition im Norden Südwestafrikas.149 Doch nicht nur während des Weltkriegs wirkte sich die Präsenz von bewaffneten Truppen auf die Art und Weise aus, wie Geographen der einheimischen Bevölkerung begegneten.
K OLONIALE B EGEGNUNGEN Die Begegnungen zwischen Geographen und der lokalen Bevölkerung waren meist flüchtig; allein die ständige Bewegung der Karawane durch den Raum verhinderte engere soziale Beziehungen. Da viele Einheimische selbst Übergriffe der Kolonialtruppen erlebt oder aus Erzählungen davon gehört hatten, pflegten sie einen vorsichtigen Umgang mit den Fremden. Es war daher verständlich, dass sich viele Dorfbewohner vor den herannahenden Karawanen von mehr als hundert Personen versteckten, schließlich konnten die Dorfbewohner nicht ahnen, dass es sich nur um eine wissenschaftliche Expedition handelte, die dieses Mal nicht gekommen war, um zu brandschatzen, Vieh zu konfiszieren oder Steuern einzutreiben. Manchmal setzten die Geographen ganz bewusst auf Inszenierungen ihrer Macht, um die einheimische Bevölkerung einzuschüchtern und weil sie selbst dafür ein Faible hatten. Harmlos war der Einzug von Jaeger mit seiner Karawane in die kleine Kolonialstadt am Fuße des Kilimandscharo. »Vor Moschi warteten wir noch einmal, bis unsere Leute sich gesammelt hatten und zogen dann der Karawane voran, unsere Reichsdienstflagge direkt hinter uns, in Moschi ein, unter dem Geklapper und Getute unserer Leute und grossem Zusammenlauf der Bevölkerung« [sic]. 150 Auf abgelegene Dörfer wirkte die Ankunft der Karawane sicher bedrohlicher, gerade wenn die Geographen daraus ein Spektakel machten. Am Sepik bedeutete die schnelle Annäherung von Booten mit bewaffneten Männern in der Regel einen kriegerischen Überfall. Dass sich Weiße unter den Fremden befanden, war kein Zeichen der Entwarnung, hatten sich die militärischen Strafexpeditionen der Deutschen in der Küstenzone auch flussaufwärts herumgesprochen.151 »Als wir Europäer mit einigen
149 Zur Reiseroute: F. Jaeger/L. Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Erster Teil, S. 1-18. 150 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 21.07.1906, S. 164. 151 Ulrike Class: Das Land entlang des Sepik. Vergangenheitsdarstellungen und Migrationsgeschichte im Gebiet des mittleren Sepik, Papua New Guinea, Berlin 2007 S. 42. Zurzeit von Behrmanns Expedition verhängte Gouverneur Albert Hahl über den unteren
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Polizeisoldaten in unseren Booten an dem Ort landeten, war derselbe wie ausgestorben. Nur im Hintergrunde der Häuser drückten sich einige verschüchterte Eingeborene herum«, schrieb Behrmann im Reisebericht zu seiner NeuguineaExpedition.152 Als die Forschergruppe schließlich in Kontakt zu einigen Dorfbewohnern trat, bemerkte der Geograph, dass sie sich ständig der freundschaftlichen Absichten der Besucher zu vergewissern suchten. An ihrer Angst seien schließlich die Bemühungen gescheitert, einen Dolmetscher zu gewinnen, so dass die Expedition unverrichteter Dinge wieder abzog. »Kaum waren wir wieder in unseren Booten, so kamen sie aus den einzelnen Häusern – wo sie sich dort versteckt hatten, vermag ich nicht zu sagen – die Weiber und die Kinder über die großen Treppenbalken herunter und blickten neugierig den unheimlichen Fremden nach«.153 Schultze hatte auf seiner Expedition ähnliche Erfahrungen gemacht und Sapper stieß auf Bougainville, das er zusammen mit dem Gouverneur und einem Trupp von Polizeisoldaten durchquerte, ebenfalls auf verlassene Dörfer.154 Für die Afrikakolonien war dies ebenfalls nicht ungewöhnlich: Leo Waibel beschrieb »die Eingeborenen« im Bezirk Bana »als noch recht scheu. Sobald sie uns unterwegs sahen, warfen sie ihre Last zu Boden und verschwanden spurlos im hohen Gras«.155 In einigen Gebieten bekamen Geographen so gut wie gar keine Frauen und Kinder zu Gesicht. Scheu waren aber nicht nur die einheimischen Bewohner. Den Geographen waren die Menschen in den Kolonien ebenfalls unheimlich. Zwar verlangten die logistischen Aufgaben und das wissenschaftliche Forschungsprogramm den Kontakt, doch wollten die Geographen den Zeitpunkt und die Intensität der Begegnungen kontrollieren. So schrieb Passarge in seinem Adamauaband:156 »Hier zu Lande ist es nämlich Sitte, dass ein jeder ohne Anstoss zu erregen, sich zu völlig fremden hinsetzt und mit ihnen schwatzt. So wurde auch ich manchmal, wenn ich vor meinem Zelt sass, von neugierigen Gaffern belästigt, die sich ungenirt vor mich hinhockten und mich mit Händeklatschen und einer Fluth von ssanú und láfia bestürmten. Lies ich sie fortschicken, so waren sie überrascht
Ramu das Kriegsrecht. Mehrere Strafexpeditionen führten dort zu zahlreichen Toten. Siehe dazu: Stewart Firth: New Guinea unter the Germans, Melbourne 1983, S. 99f. 152 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 73. 153 Ebd., S. 77. 154 L. Schultze: Forschungen in Neuguinea, S. 5; K. Sapper: »Bougainville«, S. 208. 155 L. Waibel, in: Franz Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 10. Über die Abwesenheit von Frauen in den Dörfern, siehe ebenso: Hans Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, S. 112. 156 S. Passarge: Adamaua, S. 43.
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und wenig erbaut. Selbst unseren eigenen Leuten haben wir die Unsitte, sich unaufgefordert zu uns zu setzen, nur allmählich abgewöhnen können.« Die Begegnungen waren gezeichnet von kulturellen Missverständnissen und einer berechtigten Zurückhaltung der Einheimischen. Auf der Seite der Geographen behinderte ihre rassistische Voreingenommenheit die Kommunikation mit den einheimischen Bewohnern. Es gab überhaupt wenig Raum für eine ungezwungene Begegnung, wenn die Geographen den Kontakt suchten, dann verfolgten sie einen Zweck. Hans Meyer etwa nahm die Verpflegung, die ihm der ruandische Herrscher zukommen ließ, dankend an, mit dem Mtualen, der ihm die Lebensmittel überbrachte, »ein wahrer Nerotypus, groß, etwas fett, grausames, wollüstiges Gesicht«, der am ruandischen Königshof »schmarotze«, wollte er sonst nichts zu tun haben.157 Sein Tagebuch offenbarte immer wieder eine Geringschätzung gegenüber den Tutsi und ein etwas wohlwollenderes Urteil gegenüber den Hutu, das aber ebenfalls wenig schmeichelhaft war, da er in ihnen nur willige und arbeitsame Untertanen sah. Seine Unsicherheit im Kontakt mit den Tutsi spiegelte sich in seiner Völkerkunde über die Barundi wieder, in der Meyer einräumte, man müsse sich als Reisender »erst daran gewöhnen abseits der Militärstationen von den meisten Batussi bei den Gesprächen und Verhandlungen mit geringschätzigem Lächeln von oben herunter gemustert zu werden«, so dass er anderen Forschungsreisenden empfahl, ihnen am besten ebenfalls mit leichtem Spott und Humor zu begegnen, »wenn man welchen hat«.158 Nur sehr eingeschränkt waren Geographen gewillt auf die einheimische Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Uhlig erpresste den »Häuptling von Engaruka«, er solle ihm Führer für seine Expedition stellen, andernfalls würde er eine größere Zahl seiner Leute einfach mitnehmen.159 Schultze berichtete, es habe ihn Mühe gekostet, »das Misstrauen zu brechen, mit dem sie sich gegen unser Einsteigen in die Wohnhütten wehrten. Doch gelang es in die Konstruktion einer solchen Hütte genauen Einblick zu gewinnen.« Ein anderes Mal berichtete er, dass der Besuch der Karawane in einem Dorf eine solche Unruhe ausgelöst habe, dass die Bewohner in den Busch verschwanden, die »Aufgestörten« aber ständig wieder erschienen, so dass er leider keine »Kopfzählung« habe durchführen können.160 Auch Behrmann nutzte die Gelegenheit, sich die Bauweise der Häuser in einem verlassenen Dorf in Ruhe anzusehen, allerdings habe man sich »zum Prinzip gemacht, den Frieden eines Hauses nicht zu stören und Häuser nur zu betreten, wenn wir zum Betreten
157 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, 18.07.1911, zit. nach R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 91. 158 H. Meyer: Die Barundi, S. 14. 159 C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung«, S. 84. 160 L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S. 5, 53.
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eingeladen wurden oder uns durch Geschenke die Erlaubnis gewissermaßen erkauft hatten«.161 Eine Karawane brachte das Leben in den kleinen Ortschaften völlig durcheinander. »Wir fallen da wirklich wie eine kriegerische Besatzung ein mit unserer Karawane von 45 Leuten«, so Marie Pauline Thorbecke. Die Forschungsreisenden stellten erhebliche »Ansprüche an Raum für Gepäck und Küche« und vertrieben einen Teil der Dorfbevölkerung aus ihren Häusern.162 Manchmal fühlten die Geographen zwar ein leichtes Unbehagen, doch mit dem Hinweis auf die Bezahlung mit Geld und Tauschwaren beruhigten sie ihr Gewissen, zumal ihnen durch den höheren Zweck der Wissenschaft jede Missachtung von Etikette und Privatsphäre gerechtfertigt erschien. Gewaltsame Übergriffe gab es nicht nur vonseiten des Militärs, auch auf den Expeditionen der Geographen ereigneten sich zahlreiche Vorfälle.163 Leonhard Schultze berichtete dem Leipziger Verein für Erdkunde nur vierzehn Tage nach seiner Rückkehr aus Neuguinea, dass die »Eingeborenen« nur »nutzlose Kostgänger« seien, die überall räuberten, obgleich er ihnen eine »blutige Lehre« hätte erteilen lassen.164 Detailliert schilderte Behrmann in seinem Reisebericht die Ereignisse, die dazu führten, dass er eine »Strafexpedition« gegen ein Dorf unweit ihres Hauptlagers befehligte. In einem Kapitel, das er reißerisch mit »Der Kampf mit Kuome« betitelte, berichtete er von einem tödlichen Überfall auf den Träger Saul, der fünf Kilometer vom Hauptlanger entfernt aus ungeklärten Gründen mit einem Speer getötet worden sei.165 Die Wissenschaftler beschlossen darauf hin eine Vergeltungsaktion durchzuführen, wobei sie davon absahen, die Matrosen des gerade am Expeditionslager ankernden Kriegsschiffes eine »kleine Strafexpedition« durchführen zu lassen. Die Bewohner der Dörfer Malu und Avatip, in deren Nähe der Träger getötet worden war, bestritten die Tat und machten Bewohner von Kuome dafür verantwortlich. Daraufhin marschierten Behrmann, Roesicke und der Lazarettgehilfe Siemens mit vierzehn Soldaten sowie einigen Trägern und Kriegern aus
161 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 74. 162 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 143. 163 Aus einem Bericht von Max Moisel geht hervor, dass deutsche Grenzvermessungsexpeditionen in blutige Gefechte mit der einheimischen Bevölkerung verwickelt waren. Die französische Presse Coloniale machte demnach die Brutalität der deutschen Kolonialtruppe verantwortlich, während Moisel die Schuld dem kriegerischen Charakter der »Eingeborenen« und ihrer Sorge um Beschränkung der Handelsfreiheit gab. Siehe dazu: Max Moisel: »Neu-Südkamerun und das französische Nachbargebiet«, in: DKZ 30 (1913), S. 464-467. 164 L. Schultze: »Eine deutsche Forschungsreise nach Neuguinea«, S. 28. 165 Dies ist der einzige Träger den Behrmann in seinem Reisebericht namentlich erwähnt, vgl. W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, hier S. 254f.
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Malu nach Kuome, wo sie von siebzig bis achtzig Männern erwartet wurden, die ihr Dorf beschützen wollten. Von einem Massaker sah man ab, wie Behrmann mitteilte, allerdings ließen sie ihren einheimischen Unteroffizier wahllos einen Dorfbewohner erschießen.166 In einem weiteren Kapitel, das mit »Der Überfall« betitelt war, berichtete Behrmann, wie fünf Polizeisoldaten und einige Träger seiner Gruppe von einheimischen Kriegern in der Nähe des von ihm als »Schraderkette« benannten Gebirgszugs überfallen wurden. Dieses Mal verzichtete er auf eine Vergeltungsaktion, obgleich mindestens ein Träger getötet und zwei Soldaten schwer verwundet wurden. Er wollte die Verwundeten zum Expeditionsarzt bringen lassen, schrieb Behrmann im Reisebericht und verschwieg gleichzeitig, dass ihm keine andere Wahl blieb, als sich vor einer Übermacht von Kriegern zurückzuziehen.167 Ein Massaker veranstalteten Uechtritz und Passarge in Kamerun unter den Gefolgsleuten des »König Bu Bekr«, als der Karawane die Weiterreise in Richtung Rei Ruba verwehrt wurde, wo die Expedition eine Station gründen sollte. Zusammen mit ihren 35 bewaffneten Begleitern aus Lagos, die teilweise Schnellfeuergewehre trugen und mehr paramilitärische Einheit als Trägerkolonne waren, trafen sie auf angeblich dreißig Reiter und 1500 Mann »Fussvolk«, die zum größten Teil mit Pfeil und Bogen bewaffnet gewesen seien. Bei dem Gefecht tötete die Karawane der Deutschen nach eigenen Angaben über fünfzig ihrer Gegner und verwundete ebenso viele. Trotz des Sieges zogen sich die Forschungsreisenden zurück, da ihre Munitionsvorräte knapp geworden waren. Bei ihrem Rückmarsch plünderte die Karawane die kleine Stadt, wo man ihnen zunächst die Weiterreise verwehrt hatte, und brannten sie dann nieder.168 Ähnlich gewaltvoll verlief auch die Massai-Expedition von Oscar Baumann. Mehrmals ließ er unterwegs seine Soldaten und bewaffnete Helfer auf die einheimische Bevölkerung schießen, etwa wenn die aufgebrachte Menschenmasse sich nicht damit abfinden wollte, dass er die Entrichtung des damals noch üblichen Wegzolls verweigerte. Dabei gab es mehrere Zwischenfälle mit vielen Toten. Immer wieder beschrieb Baumann, wie er selbst Übergriffe auch gegen nur mit Speeren oder Pfeil und Bogen bewaffneten Einheimischen befehligte und selbst vor dem Raub von zweihundertfünfzig Rindern zwischen Usige und Ujiji nicht zurückschreckte. Das Ausmaß an Gewalt auf dieser Expedition war sicherlich
166 Ebd., S. 256-261. 167 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 301-305. 168 S. Passarge: Adamaua, S. 99, 126-152, 166. Ferner: S. Passarge: Aus achtzig Jahren, S. 138f. In den geographischen Nachrichten aus allen Erdteilen im Globus war in diesem Jahr von einem Rückzug der Expedition aufgrund von heftigem Widerstand in der Landschaft Bubandjidda die Rede, ohne dass auf weitere bewaffnete Auseinandersetzungen hingewiesen wurde. Dazu siehe: Globus 65 (1884), S. 395.
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noch größer, als Baumann im Reisebericht einräumte, denn wie aus dem Verzeichnis seiner Mannschaft im Anhang hervorgeht, starben in einem Jahr über 40 seiner Soldaten und Träger.169 Allerdings waren Passarges und Baumanns Expeditionen Ausnahmen, was die brutale Gewaltanwendung von Geographen anbelangte. Nachdem sich die deutsche Herrschaft später konsolidierte, wäre eine eigenmächtige Kriegsführung in den meisten Gebieten sicherlich auf Unverständnis beim Militär gestoßen, das dieses Recht für sich beanspruchte, schließlich wollte man nach den Kolonialkriegen von 1905 bis 1907 nicht leichtfertig erneute Feindseligkeiten provozieren. Auch zwischen den afrikanischen Begleitern und den Dorfbewohnern kam es zu Zusammentreffen. In den Tagebüchern und Reiseberichten ist davon kaum die Rede, aber es wird trotzdem deutlich, dass die sozialen Beziehungen sehr verschieden ausfielen. Meist waren die Dorfbewohner den hungrigen Trägern freundlich gesinnt, verkauften ihnen Lebensmittel, sofern sie über Überschüsse verfügten. Oftmals kamen Dorfbewohner abends zum Lagerfeuer der Träger, vielleicht gab es gelegentlich auch abendliche Besuche von Trägern in nahegelegenen Dörfern.170 Es ereigneten sich allerdings auch Begegnungen, bei denen die riesige Karawane die lokale Bevölkerung einschüchterte und die Bewohner unter Druck setzte, ihnen etwas von ihren ohnehin knappen Lebensmitteln zu überlassen. Auf der anderen Seite fühlten sich manchmal die Träger in der Nähe anderer Gemeinschaften ebenfalls unwohl, etwa als Leo Waibel mit einer kleineren Eskorte von Tikar-Trägern Vute-Dörfer besuchte. Seine Träger sollen sich still in eine Ecke gedrängt haben, während der junge Geograph mit den Dorfbewohnern gut ins Gespräch gekommen sei und sogar an Ritualen partizipiert habe.171 Die persönlichen Diener der Geographen, die Träger und Askaris waren im Vergleich zu vielen Dorfbewohnern wohlhabende Männer, die über Bargeld verfügten, und manchmal ausgelassen mit Bier, vielleicht Cannabis feierten und auch sexuelle Beziehungen suchten. Nicht ohne Grund versteckten sich die Frauen mit ihren Kindern, wenn eine Karawane sich den Dörfern näherte.172 Dem Überfall auf den Träger Behrmanns, der nahe dem Hauptlager sein Leben verlor, ging vermutlich ein Streit um eine Frau voraus und die umliegenden Dorfbewohner nutzten den
169 O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, u.a. S. 23-25, 33, 87, 96f., 115f., 370376. 170 Vgl. E. Obst: »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone, S. 166. 171 L Waibel, in: Franz Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 39-45. 172 Vgl. O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, S. 8, siehe dazu die generellen Anmerkungen, in: Thomas Morlang: Askari und Fitafita, v.a. S. 30, 88.
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Anlass, die Expedition gegen das Dorf Kuome zu führen.173 Manchmal bahnten sich also auch Beziehungen zwischen der weiblichen Bevölkerung und einheimischen Expeditionsmitgliedern an. Erich Obst berichtete, sein Koch habe während der Expedition mehrere Frauen erworben und sei mit einem bunt zusammengewürfelten Harem nach Daressalam zurückkehrt. In manchen größeren Ortschaften entlang der Hauptkarawanenstraßen in Kamerun gab es Franz und Marie Pauline Thorbecke zufolge Prostitution, zum Gefallen ihrer eigenen Träger.174 Inwiefern die Geographen sexuellen Kontakt zu Mädchen und Frauen aus den Dörfern suchten oder sogar sexuelle Gewalt ausübten, ist aus ihren eigenen Aufzeichnungen nicht zu ermitteln. Zumindest hatten einheimische Frauen Angst vor den Deutschen. Schultze erwähnte beiläufig, dass eine Gruppe von Buschmannfrauen, die er unterwegs überraschte, befürchtete, von ihm vergewaltigt zu werden.175 Gegen sexuelle Annäherungen sprechen die rassischen Ressentiments und Moralvorstellungen der Geographen, aber trotz des ständigen Rekurses auf »die Hässlichkeit der Weiber« weckten die nackten Körper junger Mädchen Begehrlichkeiten.176 Mancher Reisebericht enthält anzügliche Beschreibungen von Frauenkörpern und Fotos von attraktiven Frauen. Selten waren hingegen direkte sexuelle Andeutungen. Fritz Jaeger begegnete während eines Zwischenaufenthaltes auf Sansibar wohl Prostituierten, wie er in derbem Swahili in seinem Tagebuch erwähnte, in Behrmanns posthum veröffentlichtem Buch von seinen Reiseerlebnissen sind ebenfalls undurchsichtige Bemerkungen enthalten.177 173 L. Bragge et al.: »On the Edge of Empire«, S. 104. 174 Vgl. Franz/Marie Pauline Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts, 41 – Reihe C. Geographie, Geologie, Mineralogie, Paläontologie, 7), Hamburg 1919, S. 61; M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 58 Erich Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika. Bericht über eine im Auftrage der Hamburger Geographischen Gesellschaft in den Jahren 1911/12 ausgeführte Forschungsreise, Teil 2. Grundzüge einer geographischen Landeskunde (MGGH 30), Hamburg 1923. S. 208f. 175 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 651f. 176 Vgl. F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 4, 20.05.1907, S. 800. Siehe auch Wegeners Anmerkungen über barbusige Mädchen auf Samoa: Georg Wegener: Zur Kriegszeit durch China 1900/1901, Berlin 1902, S. 2. Ferner zu Neuguinea: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 182. 177 Vgl. F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, S. 67. Dort heisst es in Swahili: »Bibi wanataka kutombwa tu«. Zu Behrmanns Bemerkungen, siehe: Walter Behrmann: Der weiten Welt Wunder. Erlebnisse eines Geographen in Fern und Nah, Berlin 1956, S. 98.
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Lawrence Bragges Interviews mit den Bewohnern am mittleren Sepik zeigten, dass wissenschaftliche Expeditionen mitunter gewalttätiger waren, als die Expeditionsteilnehmer zugaben, denn vermutlich verursachte die Kaiserin-Augusta-FlußExpedition weit mehr Übergriffe und Tote als aus den Reiseberichten hervorging. Dazu gibt es Hinweise, dass der Völkerkundler Adolf Roesicke, der sich den Einheimischen gegenüber als Roesikei oder Woskai ausgab, zusammen mit zwei Polizeisoldaten ein junges Mädchen in einer Menstruationshütte vergewaltigt haben könnte.178 Sicherlich stieg die Wahrscheinlichkeit sexueller Kontakte und Gewalt, wenn die Geographen in abgelegenen Regionen der sozialen Kontrolle ihrer europäischen Begleiter entzogen waren. Waren im ausklingenden 19. Jahrhundert arabische und indische Logistikexperten in die Organisation und Durchführung von Expeditionen in Afrika involviert, so ging ihr Einfluss in den ersten Jahren der deutschen Kolonialherrschaft stark zurück.179 Zwar besorgten sich Geographen in Ostafrika regelmäßig Proviant und einfache Ausrüstungsutensilien in »Inderläden«, aber die Expeditionslogistik basierte überwiegend auf kolonialen Strukturen. Die Geographen waren sich dessen wohl bewusst, denn häufig begannen ihre Publikationen mit Dankesworten an das Reichskolonialamt, dem Gouvernement oder einzelnen Beamten und Offizieren, die sie auf ihrer Expedition besucht hatten.180 Nachdem Franz Thorbecke Askaris durch Gouverneur Otto Gleim verweigert wurden und er auch sonst wenig hilfreich war, ließ er es sich nicht nehmen, dem während seiner Expedition neu berufenen Gouverneur Karl Ebermaier nachträglich besonders herzlich zu danken.181 Den einheimischen Helfern zollte er hingegen keinen Dank. Meist überwogen in Reise- und Forschungsberichten despektierliche Bemerkungen über die Träger und Führer, während eine positive Erwähnung sich vorwiegend auf Tagesleistungen oder die zuverlässige Bewältigung einer gestellten Aufgabe bezog. In der Danksagung jedenfalls erhielten die einheimischen Helfer keine Anerkennung ihrer Leistungen, schon gar nicht namentlich. Es war schon eine Ausnahme, dass Uhlig im Reise-
178 Vgl. W. Behrmann: »Geographische Ergebnisse der Kaiserin-Augustafluß-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 266; L. Bragge et al.: »On the Edge of Empire«, v.a. S. 103; U. Claas: Das Land entlang des Sepik, S. 40f. 179 J. Fabian: Wissenschaft und Wahn, v.a. S. 55ff. Siehe auch die Anmerkungen in: O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, S. 4. 180 Vgl. Vortrag von Hans Meyer vor der Geographischen Gesellschaft zu Jena vom 29.01.1900, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft zu Jena 18 (1900), S. 99102, hier S. 99f.; K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 4f. Ferner: »Vorwort« zu: H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, ohne Seite. 181 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. VIII.
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bericht über die ostafrikanischen Gebirgstouren schrieb, dass er »überhaupt mit der Brauchbarkeit« seiner Leute »fast stets zufrieden sein« müsse.182
182 C. Uhlig: »Vom Kilimandscharo zum Meru«, S. 712.
5. Planungen, Forschungstechniken und Verschriftlichungen
»Der Geograph aber befand sich auf einem Gebirgsrücken und konnte, auf diesem weiter wandernd, ins Innere nach Norden vordringen. Der Blick schweifte von den Bergen über die Sümpfe und Ebenen auf ein nahes hohes Gebirge.« Wandern und Beobachten waren unerlässliche Forschungsroutinen, die für Geographen wichtiger waren als für Wissenschaftler anderer Disziplinen, meinte Walter Behrmann, als er die verschiedenen Tätigkeitsprofile der Expeditionsteilnehmer am Hauptlager der Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition verglich.1 Geographen mussten unterwegs ständig die Augen offen halten, Wegstrecken aufnehmen, Instrumente ablesen, Pflanzen bestimmen. Höhepunkt eines mühsamen Expeditionstages war das Erreichen eines Aussichtspunktes, denn von dort konnten sie die Landschaft aus der Ferne beobachten, die typischen Geländeformen und Verbreitungsmuster besser erkennen als inmitten von Savannenlandschaften und Wäldern.2 »Wenn ich mich so über die Landschaft gefreut hatte, wenn ich mit vollen Zügen das Gefühl ausgekostet hatte, als Erster diese herrliche Gotteswelt bewundern zu dürfen, dann kam langsam die Arbeit, dann wurde erst das Panorama gezeichnet, es wurde gepeilt, trianguliert, mit dem photographischen Apparat gearbeitet, Karten aufgenommen usw. Mit der Arbeit kam selbst beim langweiligen Peilen die Freude am Schaffen, besonders, wenn ein langgesuchter Gipfel endlich aus der schneeweißen massigen Gewitterwolke hervortauchte; dann hieß es schnell sein, er wurde angepeilt, gezeichnet und war so verhaftet und konnte mir nicht mehr entgehen.«
1
W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 83.
2
Ebd., S. 165.
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Die Aussicht nach langem, anstrengendem Marsch war auch ein ästhetisches Vergnügen, gerade im Urwald von Neuguinea waren es besondere Momente, wenn die dichten Baumriesen den Blick auf Berge und Täler freigaben. In den deutschen Afrikakolonien schätzten die Geographen ebenso die Fernsicht, peilten, zeichneten und genossen die Herausforderungen von Gipfelbesteigungen. Große Aufmerksamkeit richteten sie unterwegs auf das Sammeln von Gesteinen und Pflanzen, wie Fritz Jaeger in einem Rückblick auf seine erste Ostafrikaexpedition schilderte:3 »Die Kartenaufnahmen, die ja an sich schon gute Beobachtung erforderte, war nicht unsere einzige Aufgabe. Um die Bodenformen zu verstehen, mussten wir den geologischen Bau beobachten, oft geologische Profile aufnehmen und die Gesteine sammeln. Ebenso mussten wir die Hauptzüge der Vegetation beobachten und in die Aufnahmen eintragen und dazu Pflanzen sammeln und pressen, als Belegstücke und um für die Botaniker neue Arten zu entdecken, die dann oft nach uns benannt wurden. Wir haben uns so die Arbeit geteilt, dass abwechselnd einen Tag Uhlig den Weg aufnahm und ich sammelte, den nächsten Tag ich aufnahm und Uhlig sammelte. Jeder war meist von 2 oder 3 Leuten begleitet, die das Nötige trugen, das Gewehr, Uhlig’s grossen Photoapparat, die Körbe zum Sammeln, unsere Feldflaschen, deren Filzüberzug, der so lange er feucht war, den mitgeführten Tee gut kühlte. Wegen dieser Aufgaben gingen wir fast immer zu Fuss, unsere Maultiere haben wir selten benützt. Natürlich kostete das alles viel Zeit, wir blieben meist weit hinter der Karawane zurück und kamen selten vor 2 Uhr ins Lager, das meist schon fertig aufgeschlagen war, bis wir hinkamen.« Auf einer Expedition wurden verschiedene Forschungstechniken miteinander gekoppelt: Es wurde beobachtet, Höhenrücken erstiegen, Messungen durchgeführt, gesammelt, gezeichnet, fotografiert und Erkundigungen eingezogen. Alles nacheinander und zugleich, nur im Kollektiv war dies zu bewältigen. Die Expeditionsassistenten kümmerten sich meistens um die wissenschaftlichen Sammlungen, fotografierten und wirkten an den topographischen Aufnahmen mit. Wenn sich die Forschungsreisenden trennten oder einer von ihnen wegen Krankheit ausfiel, dann mussten die Expeditionsassistenten das gesamte Repertoire an Forschungstechniken beherrschen, so auch Marie Pauline Thorbecke, als ihr Mann und Waibel erkrankten. Manchmal gingen die Forschungsreisenden für einige Zeit getrennte Wege unternahmen kürzere Touren mit einer kleinen Trägergruppe.4 Oft überwog die Team-
3
Fritz Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2, S. 6.
4
Vgl. etwa Franz Thorbecke und Waibel auf ihren verschiedenen Expeditionen: Franz Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise; Leo Waibel: »Gebirgs-
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arbeit, »Franz topographiert mit Kompass und Uhr«, schrieb Marie Pauline Thorbecke, »ich zeichne Bergprofile, Landschaftsskizzen, schlage Steine, sammle Pflanzen«.5 Aber die Erforschung der Kolonien oblag nicht nur den weißen Forschungsreisenden, auch die einheimischen Helfer waren in Forschungsaktivitäten involviert. Boys und ausgewählte Träger begleiteten die Wissenschaftler auf höchste Gipfel, trugen Instrumente, Waffen und Proviant. Einheimische Helfer assistierten bei Messungen und erledigten anspruchsvolle Aufgaben eigenständig. Gerade für das zeitintensive Sammeln und Konservieren der Objekte griffen die Geographen gerne auf die Hilfe und Unterstützung der einheimischen Begleiter zurück. »So mancher Tag sah mich mit der Büchse auf der Schulter, in Begleitung des alten gutmüthigen Giwa, eines Joruba aus Ilorin, und meines Boys, der das kleine Herbarium trug, hinaus wandern«, schrieb Passarge.6 Manchmal übernahmen die Helfer wichtige Aufgaben, selbst jene, die später zur Expedition dazu stießen, wie »Häuptling Mbo« und Wanschi, die in Bamum als Träger bei den Thorbeckes anheuerten und bald zu »photographischen Assistenten« wurden. Marie Pauline Thorbecke schrieb über die Mitarbeit der einheimischen Helfer:7 »Im Lauf der Zeit hat überhaupt jeder von unseren Leuten seine speziellen Arbeiten gut gelernt. Das Geschick, mit dem der Pflanzenjunge Blumen sammelt, preßt, immer wieder umlegt und beurteilen kann, ob sie trocken genug sind, um in die Alkoholkiste gelegt zu werden, überrascht mich immer wieder. Die Perle Mbo schlägt den Peiltisch auf und stellt ihn mit der Libelle horizontal, besser als Franz und ich das fertig bringen.« Erst durch die Anwendung der verschiedenen Forschungstechniken wurde eine Expedition zu einem wissenschaftlichen Unternehmen. Dazu mussten Beobachtungen, Messungen und die Erkundigungen verschriftlicht, später nach der Rückkehr in Ruhe ausgearbeitet werden. Aber eine Expedition begann nicht erst mit der Ankunft des Dampfers an der Küste der Kolonie oder mit dem Ablegen in Hamburg, Neapel
bau und Oberflächengestalt der Karrasberge in Südwestafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 33 (1925), S. 2-38, 81-114; Fritz Jaeger: »Ergebnisse meiner Forschungen in Deutsch-Südwest-Afrika 1914/19«, in: Walter Behrmann (Hg.): Verhandlungen des 20. Deutschen Geographentages zu Leipzig vom 17. bis 19. Mai 1921, Berlin 1922, S. 19-34. 5
M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 66.
6
S. Passarge: Adamaua, S. 44.
7
M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 131.
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oder Genua.8 Den Expeditionen gingen lange Vorbereitungen voraus: Gelder mussten aufgetrieben werden, Instrumente gekauft, Verträge unterzeichnet, Forschungsvorhaben ausgearbeitet werden. Vieles wurde bereits in Deutschland entschieden, so dass sich die lange Kette wissenschaftlicher Operationen bereits in Gang setzte, bevor die Geographen überhaupt in die Kolonien aufgebrochen waren.
E XPEDITIONSVORBEREITUNGEN Expeditionen unterlagen einem komplizierten Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Akteuren: Reichskolonialamt, landeskundliche Kommission, gelegentlich war auch die Deutsche Kolonialgesellschaft eingebunden und natürlich die Geographen selbst. Manchmal erfolgten die Expeditionsvorbereitungen schon bevor feststand, wer in die Kolonie reisen würde. Das Kamerun-Komitee begann mit der Planung und Vorbereitung einer Expedition nach Adamawa, als Uechtritz und Passarge noch gar nicht engagiert waren.9 Schon bei Gründung der landeskundlichen Kommission existierte ein detailliertes Forschungsprogramm, das Ziele, Aufgaben, Forschungsräume und sogar eine Liste von möglichen Kandidaten für die Durchführung benannte.10 Genauso gab es den umgekehrten Fall: Leonhard Schultze und Franz Thorbecke ergriffen selbst die Initiative für ihre Expeditionen nach Südwestafrika und Kamerun. Die Deutsche Kolonialgesellschaft gründete eine zehnköpfige Kommission, um Thorbecke zu unterstützen, die sich mit der Zeit jedoch mehr und mehr zu einem Hindernis für den Geographen entwickelte, nachdem er angekündigt hatte, er wolle seine Frau mitnehmen. Kritik entzündete sich auch an der Expeditionsroute. Die beiden Kommissionsmitglieder Paul Staudinger und Max Moisel monierten, dass die Expedition in Gelände führe, das bereits gut erforscht sei. Mehrmals sprach sich Staudinger gegen die Teilnahme von Marie Pauline Thorbecke aus, bis schließlich die Expedition zu scheitern drohte und Alfred Hettner direkt bei Herzog Albrecht von Mecklenburg, dem Präsidenten der Kolonialgesellschaft, sowie dessen Stellvertreter Theodor von Holleben intervenierte. Zwar führte dies in der Kommission zu neuem Unmut, doch angesichts des prominenten Drucks und eines positiven
8
Es handelte sich um Häfen, von denen Geographen ihre Expeditionen begannen, vgl. Fritz Jaeger: Einleitung in den ersten Band seines Tagebuchs zur Forschungsreise ins abflusslose Gebiet von Deutsch-Ostafrika 1906/07, Walter Behrmann: »Nach DeutschNeuguinea«, in: Meereskunde: Sammlung volkstümlicher Vorträge 8/10 (1914), S. 1-2.
9
S. Passarge: Aus achtzig Jahren.
10 Ergänzungen zur Denkschrift der Landeskundlichen Kommission des Kolonialrates vom 16.10.1905.
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Gutachtens von Hans Meyer zu Thorbeckes Expeditionsplan konnten die Vorbereitungen fortgeführt werden.11 Als neue Hürde erwies sich die tropenärztliche Untersuchung, die ausgerechnet nur Marie Pauline Thorbecke bestand, während ihrem Mann und Leo Waibel zunächst Tropenuntauglichkeit bescheinigt wurde. Erst eine zweite Untersuchung räumte der Stabsarzt im Reichskolonialamt die Bedenken gegenüber Franz Thorbecke aus, doch Waibel erfüllte abermals nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen. Schließlich beschloss man, Waibel solle sich erst erholen, die Promotion beenden und dann später der Expedition nachreisen; schließlich brachen die drei Forschungsreisenden doch gemeinsam in die Kolonie auf, Waibel musste aber aufgrund von Diarrhö und Malariaanfällen früher nach Deutschland zurückkehren.12 Die Einbindung in Wissenschaftsnetzwerke war für die Auswahl als Expeditionsteilnehmer entscheidend. Ohne die Fürsprache Eduard Pechuël-Loesches hätte Siegfried Passarge kaum die Gelegenheit zur Teilnahme als wissenschaftlicher Begleiter an einer Expedition ins Kameruner »Hinterland« erhalten.13 Dass Kurt Hassert und Karl Weule als Forschungsreisende für die ersten landeskundlichen Expeditionen bestimmt wurden, lag nicht zuletzt an den freundschaftlichen Kontakten zu Meyer.14 Für Jaeger bewährten sich seine Heidelberger Verbindungen. Carl Uhlig empfahl Meyer den jungen Geographen, der sich ihm bereits auf dem zweiten Kolonialkongress in Berlin vorgestellt hatte. Den ersten großen Karrieresprung hatte Jaeger zuvor als Assistent von Uhlig auf der »Expedition der Otto-WinterStiftung« gemacht, wofür sich die Seilschaften der Heidelberger Burschenschaft 11 Bericht über die 10. Ausschusssitzung der Deutschen Kolonialgesellschaft am 24.05.1911 in Berlin; Bericht über die Kommissionssitzung in Berlin für die Expedition von Thorbecke am 08.08.1911; Alfred Hettner: Brief an den Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg vom 09.08.1911; Ders.: Brief an Theodor von Holleben (Vize-Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft) vom 09.08.1911; Brief der Kommission an den Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft Johann Albrecht zu Mecklenburg vom 18.08.1911; Ununterzeichnete Abschrift eines Briefs an die Deutsche Kolonialgesellschaft vom 17.06.1911; Brief der Deutschen Kolonialgesellschaft an Thorbecke vom 18.08.1911, alle: BArch R 8023/221. 12 Ununterzeichnete Abschrift eines Briefes an den Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft zu Mecklenburg vom 14.08.1911; Brief der Deutschen Kolonialgesellschaft in Berlin an Prof. Dr. Franz Thorbecke vom 15.08.1911, BArch R 8023/221. Siehe ferner: M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 10; F. Thorbecke: Aus dem Hochland von MittelKamerun, 1. Teil. Die Reise. 13 S. Passarge: Aus achtzig Jahren, S. 131. 14 Hassert war unter Ratzel Privatdozent an der Universität Leipzig, Weule hatte ebenfalls bei Ratzel Geographie studiert, bevor er sich stärker der Völkerkunde widmete.
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Leonesia als förderlich erwiesen hatten. Thorbecke und Waibel profitierten ebenfalls von den guten Heidelberger Kontakten.15 Gefälligkeiten ebneten so manchem Geographen den Weg sowohl in Bezug auf die Geographenschaft als auch auf die Kolonialbehörden. Bevor Meyer das vierte Mal nach Deutsch-Ostafrika aufbrach, schickte er das von ihm selbst herausgegebene Konversationslexikon an das Generalgouvernement und kündigte zugleich an, er plane eine neue Expedition zum Kilimandscharo.16 Bevor die Geographen in die Kolonie aufbrechen konnten, mussten sie eine umfangreiche Expeditionsausrüstung beschaffen. Jaeger und Weule erhielten dazu vom Reichskolonialamt Vorschüsse von jeweils 5.500 Mark, wovon sie Waffen, Zelte, Tropenkleidung und Nahrungskonserven sowie neue Instrumente kauften. Manchmal konnten Instrumente von früheren Expeditionen verwendet werden, die dann zuerst von der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt überprüft wurden (nach dem Ende der Expedition erfolgte eine zweite Überprüfung).17 Bevor die Geographen neue Instrumente erwarben, erkundigten sie sich über die Tropentauglichkeit und Zuverlässigkeit neuer Modelle. Hans Meyer ließ sich für den Kauf der neuesten Fotoapparate und den geeigneten Fotoplatten von dem bekannten Topographen und Dozenten am Seminar für Orientalische Sprachen Weiß beraten.18 Mehr als die Hälfte der mitgeführten Instrumente dienten topographischen und meteorologischen Messungen. Verschiedene Kompasstypen, Taschenuhren, Schleuder- und Siedethermometer, Barometer, Siedeapparat und Fotoapparat gehörten zum festen Inventar einer Expedition. Die Geographen führten davon oft mehrere Typen mit, da mit Instrumentendefekten gerechnet werden musste. Als die neuesten Innovationen der Messtechnik galten Apparate für photogrammetrische
15 Vgl. Fritz Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflusslose Gebiet DeutschOstafrikas 1906/07 (Einleitung), S. 3. Thorbecke wurde durch Gutachten und persönliche Fürsprache von Hettner und Meyer unterstützt, siehe: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, S. VII. 16 Hans Meyer: Brief an das Generalgouvernement in Deutsch-Ostafrika vom 05.01.1898, BArch R 1001/295. 17 Hans Meyer: Brief an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes vom 19.04.1906, BArch R 1001/5637; Erich Obst: Das Rumpfschollenland im nordöstlichen DeutschOstafrika, Teil 1, S. 7; Oscar Baumann: »Topographische Aufnahmen auf Reisen«, in: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Dt. Schutzgebieten 7 (1894), S. 1-14, hier S. 12. 18 Vgl. »Vorwort« zu: H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseegebiet Ostafrikas 1911, ohne Seite.
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Aufnahmen, wie sie Hans Meyer, Walter Behrmann und Fritz Klute mitführten.19 Carl Uhligs Instrumentenliste umfasste zweiundzwanzig Instrumententypen, aber auch andere Expeditionen verfügten über ein ähnlich umfassendes Instrumentensortiment, das sich häufig nur bezüglich der ausgewählten Fabrikate und Modelltypen unterschied. Mitgenommen wurden auch Theodoliten, Universalinstrumente für erdmagnetische Messungen und die Fotoausrüstung – Apparate mit und ohne Stativ, Fotoplatten, Utensilien für die Entwicklung und ein Dunkelkammerzelt. Allein mit dem Transport der Fotoausrüstung waren zwei Träger beschäftigt.20
B UDGETFRAGEN Expeditionen in die Kolonien waren teuer. Die landeskundliche Kommission verfügte zwar über beträchtliche finanzielle Mittel, doch wurde der Etat der landeskundlichen Kommission schon in den ersten drei Jahren auf 50.000 Mark verringert, so dass die Kommission ihre ambitionierten Forschungspläne nicht, wie ursprünglich erhofft, durchführen konnte.21 Andere Organisationen spielten daher auch nach Gründung der landeskundlichen Kommission eine wichtige Rolle. Die Deutsche Kolonialgesellschaft agierte teilweise in enger Kooperation mit den Kolonialbehörden. 1911 bewilligte sie auf ihrer Stuttgarter Tagung 20.000 Mark für Franz Thorbeckes zweite Expedition nach Kamerun.22 Etwas später stellte sie 100.000 Mark für die Neuguinea-Expedition von Behrmann und seinen Kollegen bereit. Schon 1893 hatte die größte deutsche Koloniallobbyorganisation mit 20.000 Mark das unter der Schirmherrschaft von Ernst Vohsen gebildete KamerunKomitee unterstützt, ein Jahr später finanzierte sie die Expedition von Karl Dove nach Südwestafrika. Das ihr nahestehende Kolonialwirtschaftliche Komitee unterstützte darüber hinaus die publizistische Auswertung von Forschungsarbeiten, darunter in enger Kooperation mit dem Kaiserlichen Gouvernement von Deutsch-
19 Ebd., S. 4; Walter Behrmann: »Nachrichten von der deutschen Neuguinea-Expedition, II«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1912, S. 457-459, hier 457; F. Klute: Ergebnisse der Forschungen am Kilimandjaro. 20 Carl Uhlig: Die ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa J Mweri sowie dem Westfuss des Meru, Teil 1. Die Karte (Wissenschaftliche Ergebnisse der ostafrikanischen Expedition der Otto Winter-Stiftung) (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 2), Berlin 1909, S. 11-15. 21 Vgl. dazu das Kapitel zur landeskundlichen Kommission in diesem Buch. 22 Karl Dove: Deutsch-Südwest-Afrika. Ebenso: Ders.: Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder (1896), S. VIII sowie E. Prager: Die Deutsche Kolonialgesellschaft, 18821907, S. 86.
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Ostafrika und der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eine viel benutzte Wirtschaftskarte von Carl Uhlig.23 Als weitere Finanziers traten die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften und die ihr beigeordnete »Humboldt-Stiftung für Naturforschung und Reisen« auf. Gelder flossen an Karl Dove für die Aufenthalte in Südafrika, Ostafrika und Ägypten in Anschluss an seine Südwestafrika-Expedition und zur Ausarbeitung der Forschungsmonografien an Siegfried Passarge und Leonhard Schultze.24 Zuschüsse flossen für die Adamawa-Expedition direkt von den Kolonialbehörden an das Kamerun-Komitee sowie an die Grenzvermessungsexpedition von Leonhard Schultze und die Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition.25 Völkerkundemuseen, geographische Gesellschaften und Privatpersonen beteiligten sich ebenfalls finanziell an der geographischen Kolonialforschung. Erich Obst erhielt als junger Assistent am Hamburger Kolonialinstitut für seine Expedition 1911/1912 nach Ostafrika 17.100 Mark von der Geographischen Gesellschaft in Hamburg. Für die Publikation der zweiten Monografie zur Landeskunde über das sogenannte abflusslose Rumpfschollenland und einer zugehörigen Karte steuerten der nicht namentlich erwähnte Reichspräsident (Friedrich Ebert), das preußische Ministerium für Wissenschaft und Kunst und Volksbildung, Gustav Noske, die Hannoversche Hochschulgemeinschaft und eine Reihe private Spender weitere Summen bei.26 Carl Uhlig wurde für die Expedition von 1904 mit insgesamt 6.000 Mark von einem befreundeten Unternehmer unterstützt, zwei Jahre zuvor hatte er sich bereits wohl vergeblich um Gelder aus dem Afrikafonds bemüht.27 Familiäre Zuschüsse spielten ebenfalls eine Rolle. Jaeger konnte erst durch eine Finanzspritze von seinem Vater über 4.000 Mark
23 Vgl. Adolf von Götzen: Brief aus Dar-es-Salam an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes vom 21.05.1903, BArch R 1001/307. 24 K. Dove: Vom Kap zum Nil (1898), S. V; L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. V; S. Passarge: Die Kalahari, S. VII. 25 Von den 33.000 Mark für die Expedition des Kamerun-Komitees finanzierte die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes 13.000 Mark, siehe: S. Passarge: Adamaua, S. Vf. Die beiden letztgenannten Expeditionen wurden überwiegend mit staatlichen Geldern bestritten. 26 Zunächst wurden im 14.000 Mark bewilligt, siehe: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 72. Später erhielt er weitere 3.000 Mark für die Auswertung, siehe: E.Obst: Das Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 7-9. Die Höhe der für den 2. Teil aufgebrachten Spendensummen war der grassierenden Inflation geschuldet, zu den exakten Summen, siehe: E. Obst: Das Rumpfschollenland im nordöstlichen DeutschOstafrika, Teil 2, S. VI-XII. 27 Vgl. C. Uhlig: Reisetagebuch: Kilimandscharo und Meru 1901, 08.12.1901.
P LANUNGEN , FORSCHUNGSTECHNIKEN , V ERSCHRIFTLICHUNGEN
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an der ersten Ostafrika-Expedition unter Uhligs Leitung teilnehmen und auch Franz Thorbecke erhielt von seinem Schwiegervater eine größere Summe.28 Die Kosten einer Kolonialexpedition variierten beträchtlich. Die landeskundliche Kommission veranschlagte durchschnittliche Kosten von 50.000 Mark für einen einjährigen Forschungsaufenthalt von zwei Forschungsreisenden. Passarge, Thorbecke und Jaeger benötigten jeweils nur um die 35.000 Mark. Noch günstiger waren Uhligs Expeditionen, da er sich bereits in Deutsch-Ostafrika befand und das Generalgouvernement ihm weiterhin sein Gehalt zahlte.29 Leonhard Schultze verbrauchte für seine Expedition nach Neuguinea deutlich höhere Summen, doch waren daran auch mehrere Wissenschaftler beteiligt. Die teuerste Kolonialexpedition unter Beteiligung eines Geographen war die Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition. Mit 355.000 Mark beteiligte sich das Reichskolonialamt, die restlichen 200.000 Mark stammten von privaten Spendern und der Deutschen Kolonialgesellschaft, die einen eigens in Hongkong angefertigten Kolonialdampfer finanzierte, der nach Expeditionsende im Besitz der Kolonialverwaltung in Deutsch-Neuguinea verbleiben sollte.30 Die Kolonialexpeditionen wurden also von vielen privaten Spendern und Organisationen gefördert, der wichtigste Geldgeber war jedoch der Staat, der entweder direkt oder über die landeskundliche Kommission die Forschungsaktivitäten der Geographen finanzierte. Die Expeditionskosten addierten sich zu gewaltigen Summen, da Geographen wie andere Forschungsreisende die deutschen Kolonien mit großen Karawanen bereisten. Der größte Etatposten waren die Personalkosten für die angeworbenen Träger, Köche und Diener sowie der Lohn für die Forschungsreisenden. Für die Expedition von Fritz Jaeger waren die Kosten für das Personal auf 16.500 Mark veranschlagt, bei Kurt Hassert und Franz Thorbecke auf 17.000 Mark. Da die Geo28 Vgl. F. Jaeger: Wissenschaftlicher Lebenslauf; C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung«, S. 76; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. VII. 29 Vertrag zwischen dem Auswärtigen Amt, Kolonialabteilung, und Herrn Professor Dr. Carl Weule in Leipzig, BArch R 1001/5637/2, S. 39. Vertrag zwischen dem Auswärtigen Amt, Kolonialabteilung, und Herrn, Dr. Fritz Jaeger, BArch R 1001/5637/1. 30 Etwa 150.000 Mark stammten aus dem der landeskundlichen Kommission zustehenden Teil des Afrikafonds. Die Deutsche Kolonialgesellschaft stellte 60.000 Mark zur Verfügung. Gelder flossen ebenfalls von Rudolf Mosse aus Berlin und von der SamsonStiftung, siehe: Albrecht Penck: »Die Erforschung des Kaiserin Augusta-Flusses« [sic], in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 361-365; Ders.: »Zur Rückkehr der Expedition zur Erforschung des Kaiserin Augusta-Flusses« [sic], in: Zeitschr. d.Ges. f. Erdk., Berlin 1913, S. 713-719, hier S. 713; Hugo Wichmann: »2. Forschungsreisen (Geographischer Monatsbericht)«, in: PGM 60 (1914), S. 37.
188 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
graphen für die Zeitdauer der Expedition von ihren Verpflichtungen an den Universitäten beurlaubt waren, bezahlte ihnen die landeskundliche Kommission aus dem Expeditionsetat ein Gehalt. Das Honorar eines Expeditionsführers belief sich unabhängig von der akademischen Qualifikation auf 9.000 Mark pro Jahr. Hassert und Weule erhielten geringere Summen, da nur ein achtmonatiger Aufenthalt vorgesehen war, das Gehalt der Expeditionsassistenten war Verhandlungssache. Da Jaeger Mühe hatte, Oehler bei allen Mitgliedern der Kommission durchzusetzen, wären Gehaltsforderungen abwegig gewesen.31 Thorbecke hingegen handelte als Expeditionsassistent 4.000 Mark aus. Laut Verträgen der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes trug er Doktor- und Professorentitel, was ihm bei den Vertragsverhandlungen sicherlich zum Vorteil gereichte, doch Thorbecke war zu diesem Zeitpunkt allenfalls Gymnasialprofessor und promoviert wurde er erst zwei Jahre nach der Expedition.32 Tabelle 4: Kostenvoranschläge zweier landeskundlicher Expeditionen Posten
Ostafrika-
Kamerun-
Expedition (OAE)
Expedition (KE)
Gehalt der Expeditionsleiter
9.000
6.000
F. Jaeger und K. Hassert
(für ein Jahr)
(für ¾ Jahr)
Gehalt der Expeditionsassistenten
0
4.000
E. Oehler u. F. Thorbecke Ausrüstung und Instrumente (u.a. Bücher, 4.500
4.000
Kleider, Waffen, Koffer, Zelte, Apotheke Ausreise und Rückreise
2.000
5.000
Frachten und Zölle
500
600
Verpflegung der Forschungsreisenden
2.550
5.400
KE: einschl. vorbereitender Reisen in Europa und Zuschuss zur Lebens-/Unfallversicherung
OAE: 12 Monate à 7 M. pro Tag
31 Siehe Korrespondenz zwischen Meyer und dem Reichskolonialamt; Vertrag zwischen dem Auswärtigen Amt, Kolonialabteilung und Fritz Jaeger, BArch R 1001/5637/1, S. 30; Vertrag zwischen dem Auswärtigen Amt, Kolonialabteilung und Herrn Professor Dr. Carl Weule in Leipzig, BArch R 1001/5637/2, S. 39. 32 Vgl. etwa Vertrag des Reichskolonialamtes mit Herrn Professor Dr. Thorbecke, BArch R 1001/3342. Vgl. auch weitere Korrespondenz am selben Ort.
P LANUNGEN , FORSCHUNGSTECHNIKEN , V ERSCHRIFTLICHUNGEN
Gehalt der Träger
9.000
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12.600
OAE: 50 Träger für 9 Monate sowie 80 Trä- 4.800 ger für 3 Monate für jeweils 20 M. pro Monat KE: 80 Träger für 20 M. pro Monat u. Verpflegung Persönliche Diener
1.700
2.000
1.000
2.400
Auslagen für Sammlungen
2.000
1.000
Sonstiges
0
1.000
OAE: 1 »Häuptling«, 3 »Boys« à 35 M. pro Monat, KE: einschl. Dolmetscher Soldaten/Söldner OAE: 5 Askaris, einschl. Verpflegung KE: 6 »farbige Bewaffnete«, 8 Monate à 50 M. pro Monat u. Verpflegung
KE: einschl. Geschenkartikel und Publikatio-
2.000
nen Unvorhergesehenes
2.950
2.000
Summe
40.000
50.000
Quelle: Bundesarchiv: Konstenvorschläge der Expeditionen von F. Jaeger und K. Hassert.33. [Die Ostafrika-Expedition von war für ein Jahr geplant, die KamerunExpedition für 9 Monate; die veranschlagten Summen sind in Mark angegeben.
Erhebliche Kosten verursachten die Anreise in die Kolonie, die Expeditionsausrüstung der Geographen, neue Zelte, Schlafsäcke und andere spezielle Ausrüstungsgegenstände, der Ankauf von neuen Instrumenten, Konservendosen, Zölle und Frachtkosten. Unterwegs mussten die Geographen ebenfalls über Gelder verfügen. Thorbecke eröffnete ein Konto bei der Westafrikanischen Bank, auf das er eine Summe über die Deutsche Bank nach Kamerun transferieren ließ.34 Von den Geographen im amtlichen Auftrag benutzten einige die Stationen als Bank. Sie erhielten vom Gouvernement einen Kreditbrief, der sie dazu ermächtigte, auf den Stationen Geld zu borgen. Die Abrechnung erfolgte dann nach ihrer Rückkehr, wozu sie dem Reichskolonialamt ihre Buchführung und Quittungen vorlegen mussten und die 33 Anlage II: Kostenvoranschlag für die Expedition des Herrn Dr. Fritz Jaeger, BArch R 1001/5637/1; Anlage II: Kostenvoranschlag der Kamerunexpedition von Prof. Dr. Hassert, BArch R 1001/3342. 34 Franz Thorbecke: Brief an die Deutsche Bank vom 08.05.1912, BArch R 8023/221.
190 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
ausstehenden Summen aus dem Expeditionsetat wieder an das Gouvernement überwiesen.35 Noch heute lagern im Bundesarchiv große Aktenbestände mit Rechnungen und Korrespondenz zur Buchführung. Manchem Geographen war die Bürokratie in Berlin ein großes Ärgernis. So kam es zwischen Hassert und Kolonialbeamten zu ernsthaftem Streit, da der Kölner Geograph die gewünschten Quittungen für seine Ausgaben nicht mehr vorlegen konnte, so dass er später dem Reichskolonialamt sogar 148,90 Mark zurückerstatten musste.36
V ORSTUDIEN
UND
F ORSCHUNGSVORHABEN
Eine Expedition war ein einschneidendes Erlebnis im Leben eines Geographen, das Abenteuer und Exotik, öffentliche Aufmerksamkeit und die Chance auf eine wissenschaftliche Karriere versprach. Die Expeditionsvorbereitungen beschränkten sich nicht nur auf Logistik und Organisation, sondern umfassten auch das Studium der wissenschaftlichen Literatur, von Reiseberichten und Karten. Einige Geographen beschäftigten sich über lange Zeiträume mit der Kolonie, in die sie eine Expedition planten, schrieben für Fachzeitschriften Fortschrittsberichte über die landeskundliche Kolonialforschung, Erich Obst überarbeitete sogar das Ostafrikakapitel in Das überseeische Deutschland.37 Zur Planung der Expeditionsroute waren Karten besonders wichtig. Obst empfahl allen Reisenden in die Kolonien, die Karten des Reimer-Verlags genau zu studieren und sich zu versichern, »wo noch besonders große weiße Flecken bestehen, und welche Wege er einschlagen, welche er, weil schon aufgenommen, nach Möglichkeit vermeiden muss«.38 Genau aus diesem Grund waren ausreisende Geographen angehalten, die beiden Leiter der kartographischen Abteilung zu treffen In der Berliner Wilhelmstraße erhielten sie dann 35 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas Tagebucheintrag, Heft 1, 06.06.1906, 1906/07, S. 78; von König: Brief des Vertreters der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts an Hans Meyer vom 09.04.1906, BArch R 1001/5637. 36 Vgl. von Kalkmann: Brief des Vertreters des Reichskolonialamtes an Kurt Hassert vom 05.03.1912; Kurt Hassert: Brief an das Reichskolonialamt vom 27.03.1912; beide: BArch R 1001/3343. 37 Erich Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Franz Hutter et al. (Hg.): Das überseeische Deutschland, Band II (1911), S. 97-253, siehe auch verschiedene Berichte über die Afrikakolonien von Thorbecke in der Geographischen Zeitschrift oder von Behrmann über Neuguinea in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 38 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 13.
P LANUNGEN , FORSCHUNGSTECHNIKEN , V ERSCHRIFTLICHUNGEN
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Hinweise und Einsicht in neueste, manchmal noch unveröffentlichte Kartenentwürfe. Das Reichskolonialamt verpflichtete Forschungsreisende mit amtlichem Auftrag im Vorfeld der Expedition sogar vertraglich zu Gesprächen mit Moisel und Sprigade.39 Auf jeden Fall war es unerlässlich, dass die Geographen jene Räume kartierten, die Karten noch als »weißen Flecken« auswiesen, auch wenn diese in den meisten Kolonien inzwischen zusammengeschrumpft waren. Damit sicherten sie sich eine wohlwollende Besprechung durch die Kartographen in ihrer Forschungsmonografie und ersparten sich selbst unnötige Mühen im Gelände. Die vorbereitende Lektüre beschränkte sich nicht auf Karten und landeskundliche Studien. Es existierte eine reichhaltige Literatur zur »Reisetechnik« in Übersee, die von Geographen tatsächlich auch konsultiert wurde, wie einzelne Verweise in ihren Publikationen nahelegen. Ein Klassiker war Neumayers Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, ein deutsches Pendant zum berühmten Manual of Scientific Enquiry von Francis Galton, das in der dritten Auflage von 1906 explizit die Förderung der »deutschen kolonialen Bestrebungen«, als wichtigstes Anliegen benannte.40 Die Ausführungen zur Astronomie und geographischen Ortsbestimmung, zur Routenaufnahme, zur geologischen und zur ethnographischen Beobachtung waren für die Geographen besonders wichtig, die ausführlichen Anleitungen zur Anlage und Pflege von Herbarien und Tiersammlungen oder pflanzengeographischen Aufnahmetechniken ebenfalls bedeutsam. Hinzu kamen topographische Anweisungen, die Sprigade, Moisel und von Danckelman in einer knappen Übersicht in den Routenbüchern rekapitulierten.41 Manches aus dem »Neumayer« erschien in detailreichen und überarbeiteten Versionen, so etwa Ferdinand von Richthofens Führer für Forschungsreisende, der die Geomorphologie von außereuropäischen Landschaften stark beeinflusste.42 Im Globus erschien eine 39 Aufgaben der Expedition ins Kamerun- und Manenguba-Gebirge samt Hinterland, BArch R 1001/3342; E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen DeutschOstafrika, Teil 1, S. 12f. 40 Georg von Neumayer (Hg.): Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, 2. Bände, 3. Aufl., Hannover 1906. 41 Vgl. die von Sprigade und Moisel herausgegebenen Routenbücher, in die Forschungsreisende ihre topographischen Messungen eintragen sollten. 42 Ferdinand von Richthofen: Führer für Forschungsreisende: Anleitungen zu Beobachtung über Gegenstände der physischen Geographie und Geologie, Berlin 1886. Zur Einschätzung von Richthofens Bedeutung für die expeditionsbasierte Geographie und Kolonialgeographie: Carl Uhlig: »Entwicklung, Methoden und Probleme der Geographie der deutschen Kolonien«, in: GZ 17 (1911), S. 361-378, hier S. 363; Alfred Hettner: »Ferdinand von Richthofens Bedeutung für die Geographie«, in: GZ 12 (1906), S. 1-11. Für Hinweise auf Richthofens Bedeutung für die Erforschung überseeischer Räume, vgl. Alf-
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»Westafrikanische Felddienstordnung für den Forschungsreisenden«, wie der ehemalige Hauptmann und Forschungsreisende Hutter seinen Aufsatz über die Organisation und Leitung von Karawanen nannte.43 Erich Obst war nachhaltig von einem Aufsatz über die Ausrüstung und Reisepraxis beeindruckt, den Wilhelm Volz nach drei Forschungsreisen nach Niederländisch-Indien publiziert hatte.44 Ein strikter Kanon existierte allerdings nicht. Schon die geographischen Zeitschriften präsentierten eine Vielzahl von Rezensionen der kartographischen Literatur, aus der die Geographen auswählen konnten. Häufig inkorporierten die Kolonialgeographen nur einen Teil der erläuterten Verfahren in ihre Forschungsroutinen und entwickelten im Laufe ihrer Expeditionen eigene Vorgehensweisen. Die inhaltlichen Expeditionsvorbereitungen gingen über die Lektüre hinaus. Hans Meyer, der bei seiner Expedition nach Ruanda und Burundi bereits ausgiebige Erfahrung in Ostafrika gesammelt hatte, ließ seinen Begleiter Oberstleutnant Tiller am Seminar für Orientalische Sprachen bei dem bekannten Topographen Max Weiss in Fotogrammetrie ausbilden. Erich Obst besuchte die Hamburger Sternwarte, um sich dort in Verfahren der astronomischen Ortsbestimmung schulen zu lassen, belegte am Hamburger Völkerkundemuseum einen anthropometrischen Kurs bei Otto Reche (der später die Auswertung der völkerkundlichen Aufzeichnungen und Sammlungen übernahm) und hörte völkerkundliche Vorlesungen beim damaligen Direktor des Museums Georg Thilenius und Swahilivorlesungen bei Carl Meinhof.45 Letzteres war eine Ausnahme, denn in der Regel legten die Geographen nur wenig Wert auf den Erwerb von Sprachkompetenzen. Hans Meyer und Fritz Jaeger studierten erst auf der Überfahrt in die Kolonie etwas Swahili, ihre Sprachfertigkeiten dürften somit kaum zur Konversation gereicht haben.46 Bevor Geographen in die Kolonien aufbrachen, mussten sie ihr Forschungsvorhaben darlegen und begründen. Diejenigen, die im Auftrag der landeskundlichen Kommission eine Expedition durchführten, erörterten in einem Exposé eine Reihe von Forschungsfragen, Aufgaben und benannten das Untersuchungsgebiet. Sehr
red Philippson: »Ferdinand von Richthofen als akademischer Lehrer«, in: GZ 26 (1920), S. 257-272. 43 F. Hutter: Westafrikanische Felddienstordnung für den Forschungsreisenden, S. 173-177, 288-290. 44 Wilhelm Volz: »Ausrüstung und Reisepraxis«, in: Tijdschrift van het Koninklijk Nederlandsch Aardrijkskundig Genootschap, 28 (1911), S. 253-254. Vgl. dazu E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 15. 45 E. Obst: Das Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 10f. 46 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 28.05.1906, 1906/07, S. 60; H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 1, 29.05.1911.
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detailliert führten sie viele Einzelfragen zu den landeskundlichen Sachgebieten auf, zur Geomorphologie, Hydrographie, Flora und Fauna, Völkerkunde und zur Kolonialwirtschaft. Sogar die Arbeitsteilung wurde genau geschrieben, wobei den Expeditionsassistenten häufig die Verantwortung für die barometrischen und meteorologischen Messungen, das Fotografieren und die Sammlungen übertragen wurde.47 Die meisten Forschungsvorhaben waren sehr ambitioniert und kaum von zwei Forschern zu bewältigen, schließlich kamen während der Expedition neue unvorhergesehene Aufgaben hinzu und auch die Expeditionslogistik nahm die Wissenschaftler in Anspruch. Erich Obst räumte freimütig ein, dass »ein einzelner Reisender nicht imstande sein würde, ein derartig umfangreiches Programm restlos zu erfüllen und auf allen diesen Gebieten gleich viel und gleich Gründliches zu leisten«.48 Bei den Forschungsvorhaben handelte es sich mehr um Absichtserklärungen als um Forschungsprogramme, die strikt zu befolgen waren. Zwar erfüllten die Geographen die thematische Breite, doch konnte nicht jeder Raum und jedes Volk in der Tiefe beforscht werden, wie im Forschungsvorhaben angekündigt. Hans Meyer betreute die Forschungsvorhaben der Geographen, die für die landeskundliche Kommission in die Kolonien reisten, wobei er ihnen bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Forschungsvorhabens weitgehend freie Hand ließ. Allerdings ermahnte er gelegentlich die Studien in manchen Räumen besonders sorgfältig durchzuführen, wie er dies gegenüber Hassert und Thorbecke während ihres Forschungsaufenthalts am Kamerunberg in einem Brief einforderte.49 Das letzte Wort hatte das Reichskolonialamt. Änderungswünsche bezogen sich jedoch weniger auf das Forschungsvorhaben als auf finanzielle Regelungen und den eingereichten Kostenvoranschlag sowie auf die Arbeitsverträge, die u.a. die Gehaltshöhe und Zuschüsse zur Lebensversicherung regelten und eine regelmäßige Berichtspflicht anmahnten bei gleichzeitigem Verschwiegenheitsgebot gegenüber der Öffentlichkeit (wohl hinsichtlich kolonialpolitisch heikler Themen).50
47 Vgl. Ziele und Arbeiten der Expedition ins abflusslose Gebiet von Deutsch-Ostafrika 1906/07: Dr. Fritz Jaeger, Barch R 1001/5637/1; Aufgaben der Expedition ins Kamerunund Manenguba-Gebirge samt Hinterland; Kurt Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S 3. 48 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 9f. 49 Hans Meyer: Brief an Kurt Hassert in Kamerun vom 29.01.1908, IfLA, K 201. 50 Ziele und Arbeiten der Expedition ins abflusslose Gebiet von Deutsch-Ostafrika 1906/07: Dr. Fritz Jaeger; Aufgaben der Expedition ins Kamerun- und Manenguba-Gebirge samt Hinterland.
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Geographen bewegten sich in einem prokolonialen Umfeld, ob innerhalb von landeskundlichen Wissenschaftsnetzwerken, in geographischen Gesellschaften, kolonialen Lobbyorganisationen oder in der Kolonialbürokratie. Die Verinnerlichung kolonialer Einstellungen setzte aber schon früher ein. An Universitäten hörten die jüngeren Geographen Vorlesungen über die Kolonien und verfolgten schon als Studenten und Schüler die Berichte aus den Kolonien und Zeitungsnachrichten von geographischen Expeditionen, gelegentlich besuchten sie wohl auch Ausstellungen, Museen und Völkerschauen. Nach wie vor waren viele Jugendliche von den Reiseberichten der bekannten Forschungsreisenden fasziniert, so dass manche der Geographen sich wohl schon vor Studienbeginn für den deutschen Kolonialismus begeisterten, was nicht ohne Auswirkung auf die Wahrnehmung der Kolonien blieb.51
B EOBACHTUNGEN Unter Beobachtungen verstanden Geographen visuelle Sinneseindrücke, die sie auf einer Expedition registrierten, zugleich galt die Beobachtung als Synonym für jegliche geographische Forschung im Gelände, womit die herausragende Bedeutung dieser Forschungstechnik zum Ausdruck kam. Wenn Geographen die Kolonie in Augenschein nahmen, dann erlebten sie ihre Umwelt nicht passiv oder undifferenziert. Entscheidend waren Vorkenntnisse und Erwartungshaltung sowie disziplinäre Konventionen und Sehgewohnheiten, die teils unbewusst aus der älteren Reiseliteratur und neueren Forschungsliteratur übernommen wurden; teils konditionierten methodische Schriften den geographischen Blick. Vor allem gründete sich die Beobachtung auf eine antrainierte Wahrnehmungsselektion, erlernt im geographischen
51 Die Lektüre von Reiseliteratur in Jungendjahren beeinflusste viele Geographen in ihren wissenschaftlichen Laufbahnentscheidungen, vgl. u.a.: Georg Wegener: Der Zaubermantel, S. 350-355; S. Passarge: Aus achtzig Jahren, S. 144, Ders.: »Organisierung überseeischer Expeditionen«, in: Koloniale Rundschau 1919, S. 95-98, hier S. 95. Ähnlich auch bei Hettner: Ute Wardenga: Geographie als Chorologie, S. 30. Bei Franz Boas: Julia E. Liss: »German Culture and German Science in the Bildung of Franz Boas«, in: George W. Stocking (Hg.): Volksgeist as Method and Ethnic: Essays on Boasian Ethnography and the German Anthropological Tradition, Madison, WI 1996, S. 155-184, v.a. S. 171. Zur Beeinflussung durch den Besuch von Völkerschauen: Franz Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 94. Zur Bedeutung von Völkerschauen für die Völkerkunde: Andrew Zimmerman: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany.
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Unterricht – auf Exkursionen im Umland der Universitäten oder durch das Zeichnen von Geländeprofilen und Karten, die didaktisch ganz bewusst zur Schulung der Beobachtungsgabe eingesetzt wurden.52 Geographen waren gewohnt, Gelerntes wieder zu erkennen und Analogien zu bereits beschriebenen Phänomenen in anderen Räumen herzustellen. Beobachtung war zwangsläufig eine Frage des Vorwissens und eines Auswahlprozesses, was sich auch in den politischen Schlussfolgerungen der Geographen bemerkbar machte. Allzu oft verifizierten die Beobachtungen bereits existierendes Wissen und reicherten es nur mit weiteren Details an.53 Dennoch ginge es zu weit, unterstellte man den Geographen, sie hätten vor der Beobachtung schon gewusst, was sie erkennen wollten. Ihre Voreingenommenheit war niemals absolut, sonst wären Expeditionen eine aufwändige Strategie gewesen, um bekannten Sachverhalten abermals wissenschaftliche Legitimation zu verschaffen. Expeditionen führten zu neuen Informationen, aber nur gelegentlich zu neuen Erklärungsansätzen. In erster Linie mündeten die Forschungen in dichte Beschreibungen der besuchten Räume. Jenseits von Vorwissen und politischen Einstellungen war der Gemütszustand für die Wahrnehmung der kolonialen Räume entscheidend. Ein »Gefühl unendlicher Einförmigkeit und Einsamkeit« verwandelte die Landschaft in eine Einöde, wie Obsts Schilderungen von seiner Durchquerung der ostafrikanischen Ugogo-Ebene nahelegten.54 Anders herum konnte der Zustand von Euphorie zu wohlwollenden Beschreibungen von Landschaften führen, zu wilden 52 Vgl. die Ausführungen von Penck auf dem Nürnberger Geographentag, in: Georg Kollm (Hg.): Verhandlungen des 16. Deutschen Geographentages zu Nürnberg vom 21 bis 26. Mai 1907, Berlin 1907, S. XIX; Kurt Hassert: »Das Kartenzeichnen im geographischen Unterricht«, in: Neues Korrespondenzblatt für die Gelehrten und Realschulen Württembergs 1901, S. 387-395. Über die epistemische Bedeutung und Wirkweise von Karten: L. Daston/P. Galison: Objektivität, S. 26. Zum Zweck des Kartenzeichnens in der deutschen Schulgeographie: H.-D. Schultz: »Im Norden liegt …, nach Osten fließt«, in: Dipper/Schneider, Kartenwelten, v.a. S. 56-62. Zur Strukturierung von Beobachtungen: Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert, Dresden 1996, S. 16f.; John Noyes: Colonial Space. Spatiality, Subjectivity and Society in the Colonial Discourse of German South West Africa, 1884-1916, Chur 1992, S. 189. Ferner: Yi-Fu Tuan: Topophilia. A Study of Environmental Perception, Attitudes and Values, New York 19902. 53 Alfred Hettner: »Methodische Streifzüge; III: Beobachtung, Forschung, Darstellung«, in: GZ 14 (1908), S. 561-568, hier S. 563; Barbara Zanen: »Im Auge der Physischen Geographie: Vom Blicken und Sehen«, in: Erdkunde 60/3 (2006), S. 231- 245, v.a. S. 236. 54 E, Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika; Teil 1, S. 16.
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Spekulationen über kolonialwirtschaftliche Möglichkeiten oder zu Herrschaftsphantasien animieren. Meyer schrieb über eine Rudertour auf dem Kivusee, nahe der Militärstation Kissenji:55 »9.00 Uhr um das in alte Strandterrasse abgesetzte Südkap der Burehbucht, dem in 150 m ein kleines baumiges Inselchen vorgelagert ist. Dann folgt eine ganze Reihe kleinerer Buchten. … Es ist ein Jammer, dass dieses ganze herrliche europäisch anmutende Land den Watussi gehört. Ein Fortschritt wird erst möglich sein, wenn die Wahutu aus der Sklaverei der Watussi befreit werden, so dass sie für sich selbst etwas erwerben können; ihren grossen Fleiss sieht man im Feldbau. Freilich wird dann eine deutsche Regierung stramme Zügel führen müssen, denn sie sind Sklavennaturen, die nur in fester Hand gut tun und sich wohl fühlen. Solange die Regierung nicht die Macht und den Willen zu starker Führung hat – Schutztruppe vermehren! – wirds nicht anders.« Ein See, Buchten, fruchtbare Felder und grüne Hügel in der Morgensonne aus dem Ruderboot erzeugten Emotionen und Bilder, die sich von jenen in einer ebenen, baumlosen Steppe während eines Fußmarschs in der Mittagshitze unterschieden. Offene Wasserflächen, Landwirtschaft, Hügel oder Berge erwärmten das Herz der Geographen und konnten zu schwärmerischen Landschaftsbeschreibungen und überschwänglichen Zukunftsprojektionen führen. Wie Landschaften wahrgenommen und welche Erwartungen mit ihnen verknüpft wurden, lag nicht nur an ihrer Physiognomie, sondern war von vielen Faktoren abhängig, wozu die psychische und physische Verfassung des Geographen genauso gehörte wie Tageszeit, Wetter, vielleicht sogar das zuvor eingenommene Frühstück. Ein Blick in die Tagebücher und Forschungsberichte zeigt, dass geomorphologische Beobachtungen tatsächlich besonders wichtig genommen wurden und viel Zeit für topographische Aufnahmen und Landschaftsbeschreibungen aufgewendet wurde. Einsichten in die Entstehung von Oberflächenformen waren jedoch eher das Produkt erlernter Deutungsmuster und von ex-post gebildeten Hypothesen, schließlich begrenzte der Drang, andere Räume kennenzulernen, die Aufenthaltszeit an einem Ort und damit die Möglichkeit zu sorgfältiger Geländearbeit. Die Beobachtung von der Höhe war hierbei eine ständig praktizierte Herangehensweise, um möglichst große Räume zu überblicken. Das Besteigen eines Berges zur Aussicht ist ein wiederkehrendes Muster in allen Expeditionsberichten. Manchmal kamen natürlich auch weitere geomorphologische, auch sportlich-alpine Interessen hinzu, aber es wurden nicht nur die berühmten Gipfel in den Kolonien bestiegen, sondern
55 Hans Meyer: Tagebucheintrag, 23.08.1911, Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 5, IfLA, K. 188/2/41 [Hervorhebung im Original mit Unterstrich].
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immer wieder kleinere Anhöhen und Höhenrücken. Uhlig und Obst überquerten mehrmals die ostafrikanische Bruchstufe, doch nicht jeder Aufstieg brachte die ersehnte Weitsicht. Oft erwartete die Geographen nach mühevollem Aufstieg nur ein trüber Blick auf die nächste Nebelwand.56 Behrmann machte sich große Mühe, immer wieder von den Nebenflüssen des Sepik aus Höhenrücken zu erklimmen, von denen er das bisher unkartierte Neuguinea in Augenschein nehmen wollte. Schon während der Fahrt auf dem Sepik mit dem Kolonialdampfer war sein bevorzugter Ort der Ausguck im »Mastkorb«.57
M ESSUNGEN –
TOPOGRAPHISCHE
AUFNAHMEN
Geographen konnten sich nicht damit begnügen, die Umwelt nur mit bloßem Auge zu registrieren. Eine wissenschaftliche Expedition sollte die kolonialen Landschaften vermessen, Tagestemperaturen und Luftdrücke bestimmen, die Höhe der Berge, die Neigung der Hänge, selbst die Breite und Wassertiefe von durchquerten Flüssen und Seen harrten der Vermessung. Am wichtigsten und zeitaufwendigsten waren topographische Aufnahmen, die in den Kolonien vornehmlich als Routenaufnahmen durchgeführt wurden. Mit der Taschenuhr ermittelten die Forschungsreisenden die zurückgelegte Wegstrecke, indem sie die Marschzeiten in ein Routenbuch protokollierten und mit dem Kompass die Laufrichtung bestimmten. Ständig mussten Uhr und Kompass im Blick behalten werden, jede Pause im Routenbuch und jede Richtungsänderung von mehr als 5° – so die Theorie – notiert werden. Wie die Reiseroute aufzunehmen war, spezifizierten die beiden Kartographen Paul Sprigade und Max Moisel sowie Alexander von Danckelman in einer kurzen Anleitung in den Routenbüchern.58 Da die Wegaufnahme eine Zeitmessung war, musste die 56 Vgl. Hans Meyer: »Dritter Bericht über die landeskundliche Expedition des Herrn Dr. Fritz Jaeger in Deutsch-Ostafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 20 (1907), S. 128f.; K. Sapper: »Neu-Mecklenburg«, in: Kollm, Verhandlungen des 17. Deutschen Geographentages zu Lübeck vom 1. bis 6. Juni 1909, (1910), S. 147; W. Behrmann: »Geographische Ergebnisse der Kaiserin-Augustafluß-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 271-273. 57 Vgl. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, u.a. S. 71. 58 O. Baumann: »Topographische Aufnahmen auf Reisen«, in: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Dt. Schutzgebieten 7 (1894), S. 1-14. Eine kurze Erläuterung des Routenaufnahmeverfahrens und weiterer topographischer Aufnahmetechniken findet sich am Anfang der vom Reimer Verlag herausgegebenen Bücher zur Routenaufnahme, in die Geographen und andere Forschungsreisende ihre Messungen eintrugen. Oftmals verwendeten sie aber auch herkömmliche Notizbücher: vgl. darüber hin-
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durchschnittliche Laufgeschwindigkeit geschätzt und Veränderungen der Marschgeschwindigkeit infolge von Hitze, Erschöpfung, Sümpfen, aufgrund von Steigungen oder der Verwendung von Reittieren vermerkt werden. Für eine geographische Expedition war die Routenaufnahme eine unerlässliche Forschungstechnik, denn sie ermöglichte, alle Beobachtungen zu lokalisieren. Die Geographen fügten den Zeitund Richtungswerten im Routenbuch weitere Informationen hinzu – ungewöhnliche Landschaftsmarken, die Beschaffenheit des Bodens oder vorherrschende Vegetationsformen. Ein entscheidender Nachteil dieses Verfahrens war, dass es als Ergebnis nur eine virtuelle Linie durch die Kolonie lieferte. Versiertere Topographen unter den Geographen ergänzten die Routenaufnahmen durch Fern- und Rundpeilungen. Die linienhaften Aufnahmen wurden so um einzelne Punkte jenseits der Wegstrecke erweitert. Beide Verfahren beruhten auf Winkelmessungen, die Kartierungen ermöglichten, ohne dass der Raum begangen werden musste. Dazu wurden exponierte Landschaftsmarken, etwa ein hoher Baum, eine charakteristische Bergkuppe oder ein Haus durch den Topographen mit einem zweiten Kompass angepeilt. Für eine Fernpeilung sollte mindestens dreimal von unterschiedlichen Positionen der Winkel bestimmt werden, so dass schließlich aus den Winkelmessungen und der zurückgelegten Wegstrecke die ungefähre Entfernung des Objektes zur Reiseroute berechnet werden konnte. Ähnlich wurde an Aussichtspunkten verfahren, von wo die Fernpeilung als sogenannte Rundpeilung in alle Richtungen durchführt wurde. Diese Aufnahmemethode konnte also nur bei guter Sicht praktiziert werden – von der Höhe, in offenen Savannenlandschaften und bei klarem Wetter. Die Bestimmung der dritten Dimension komplementierte die Aufnahmen. Die Höhenmessung war kompliziert und zeitaufwendig. Benötigt wurde ein Siedeapparat, der aus einem Gefäß mit destilliertem Wasser bestand, das mit Brennspiritus erhitzt wurde und einem Thermometer zur Bestimmung der Siedetemperatur. Um Fehler zu minimieren, musste sehr sorgfältig gearbeitet werden. Das destillierte Wasser sollte mindestens 5 min sieden bei einer Flammenhöhe von 5-6 cm. Aus der Siedetemperatur, dem mit einem Aneroiden bestimmten Luftdruck und der Lufttemperatur, die mit einem Schleuderthermometer gemessen wurde, konnten die Geographen die Höhe berechnen. Für eine einzelne Höhenmessung war Jaeger zufolge ein Zeitaufwand von einer halben bis dreiviertel Stunde nötig.59 Erschwerend kam hinzu, dass Schleuderthermometer und Aneroide häufig aufgrund von
aus zu topographischen Aufnahmeverfahren: Leopold Ambronn: »Geographische Ortsbestimmung auf Reisen«, S. 1-73; Peter Vogel: »Aufnahme des Reiseweges und des Geländes«, S. 74-202; beide in: G. von Neumayer (Hg.): Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Band 1 (1906). 59 Fritz Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2, S. 22, IfLA, K. 850/4.
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Erschütterungen während des Transports ihre Genauigkeit einbüßten, so dass zwei Forschungsreisende an einem Ort selten das gleiche Ergebnis erzielten. Die Geographen verwendeten viel Zeit auf Messarbeiten und viele von ihnen hatten hohe Ansprüche an die Exaktheit ihrer Messungen. Manche von ihnen experimentierten mit Messtechniken und Instrumenten. In seinem ausführlichen Bericht zur geomorphologischen Ostafrikakarte empfahl Carl Uhlig zukünftigen Expeditionen einfache Messtisch-Triangulation, vor allem im gebirgigen Gelände, wo gute Sicht und markante Landschaftsmarken präzisere Ergebnisse als Routenaufnahmen versprachen. Uhlig selbst hatte verschiedene Verfahren getestet, darunter auch die Schrittzählung mit einem Pedometer und er benutzte ein Stereo-Telemeter zur Entfernungsmessung und einen Theodoliten mit Höhenkreis, um relative Höhenangaben zu erhalten.60 Ob mit Theodoliten oder Messtisch, große Sorgfalt war nötig, um die trigonometrische Basis zu Beginn der Messungen zu bestimmen. Uhlig empfahl einen einhundert Meter langen Stahldraht, zur Not eine gezwirnte Schnur, denn eine fehlerhafte Basis verfälschte die Messungen, wie Jaeger später noch leidvoll erfahren musste.61 Uhlig wollte nicht völlig auf Routenaufnahmen verzichten. Vor allem bei der »fliegenden Vermessung« schwor er auf eine Kombination von Routenaufnahmen mit einfacher Messtischtriangulation. Einen Theodoliten setzten die Geographen eher selten ein, meist machten sie Routenaufnahmen, und wenn sie genauere Aufnahmen in der Fläche benötigten, dann wählten sie die »primitive Triangulation« mit Kompass und Messtisch.62 Für die Wahl des Aufnahmeverfahrens erwiesen sich neben den persönlichen Präferenzen der Geographen die Verhältnisse in der Kolonie als bedeutend: Geländestruktur, Vegetation, die logistischen Voraussetzungen, 60 Carl Uhlig: Die ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa J Mweri sowie dem Westfuss des Meru; Teil I: Die Karte, S. 18f.; Carl Uhlig: Tagebucheintrag vom 19.10.1901, Reisetagebuch vom Kilimandscharo und Meru 1901, Heft 1, IfLA, K. 188/2. 61 Am Meru wählte Uhlig eine Basis von 1.280 Meter entlang einer Landstraße, siehe: Carl Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung: Mitteilungen über eine Forschungsreise«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 75-94, hier S. 93. Zum Verfahren der Triangulation: Ders.: Die ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa ja Mweri sowie dem Westfuß des Meru, Teil I. Die Karte, S. 16-17. Zu Jaegers Kartenkonstruktionen, siehe Kapitel 6 in diesem Buch. 62 C. Uhlig: Die ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa J Mweri sowie dem Westfuss des Meru, Teil I. Die Karte, S. 19; S. Passarge: Adamaua, S. 56, 73; Ders.: »Zur Kenntnis der Geologie von BritischBetschuana-Land«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1901, S. 20-68, hier S. 67.
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dazu kamen die geostrategische und ökonomische Bedeutung des Raumes sowie die Qualität der bereits existierenden Aufnahmen. Erich Obst verwarf in Ostafrika die Triangulation und begnügte sich mit Routenaufnahme und Fernpeilung wie seine Kollegen in Kamerun, Südwestafrika und Neuguinea.63 Manchmal machten Geographen astronomische Messungen, um ihren Standort genau zu lokalisieren. Eine andere Variante war es, die eigenen Routenaufnahmen bei einem Fixpunkt zu beginnen, der zuvor von einer Grenzvermessungsexpedition geodätisch ermittelt worden war, denn »das Einhängen« der Routenaufnahmen in mehrere Fixpunkte erhöhte die Verlässlichkeit der topographischen Aufnahmen.64 Auf anderen Expeditionen wurde mit topographischen Aufnahmemethoden experimentiert und verschiedene Verfahren kombiniert. Meyers Begleiter Otto Tiller benutzte auf der Ruanda-Burundi-Expedition einen Phototheodoliten, dessen Bilder später vermessen werden konnten. Dazu wurden Landschaftsbilder von zwei Standpunkten aufgenommen und die Entfernungen im Gelände durch spätere Bildmessung ermittelt. Dieses Verfahren bot sich in der offenen Savannenlandschaft an, wie sie in Ostafrika in vielen Regionen existierte, aber der Phototheodolit kam selten zum Einsatz, da er die Marschgeschwindigkeit erheblich herabsetzte. Außerdem fehlten wohl die notwendigen astronomischen Fixpunkte, so dass Tiller doch in erster Linie herkömmliche Routenaufnahmen mit Taschenuhr und Kompass machte.65 Der junge Geograph Fritz Klute konnte zusammen mit dem ortserfahrenen Eduard Oehler auf einer erneuten Expedition zum Kilimandscharo stereofotogrammetrische Messungen vornehmen. Über vier Monate wanderten und forschten sie am Berg über der »Urwaldgrenze«, zwei weitere Monate am Fuße des Berges. Klutes geo63 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika; Teil 1, S. 11. Die topographischen Aufnahmen von Passarges Kamerunexpedition wurden unter der Leitung von Richard Kiepert zu Karten im Maßstab 1: 350.000 auskonstruiert. Zu den topographischen Aufnahmen in der Kalahari: S. Passarge: Die Kalahari, S. 694-698; Hassert bediente sich eines Verfahrens, bei dem die Routenaufnahmen auf große Millimeterblätter im Maßstab 1:16.000 eingetragen wurden, wie es üblicherweise am Militärgeographischen Institut in Wien gelehrt wurde. Dieses Verfahren stieß aber nicht auf Moisels Zustimmung, vgl. Max Moisel: »Begleitworte zur Karte«, in: K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnis einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 179-181. 64 Zu astronomischen und geographischen Aufnahmeverfahren: Max Schnauder: »Astronomische Ortsbestimmung von Dr. Passarge im Hinterland von Kamerun«, in: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Dt. Schutzgebieten 7 (1894), S. 39-41. 65 Otto Tiller: »Die Karten, A.: Die kartographischen Aufnahmen«, in: Meyer, Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, S. 69f., siehe auch: Hans Meyer im selben Band, S. 3f.
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morphologische Studie mit dieser relativ neuen Technologie bescherte dem jungen Geographen rasch die Anerkennung der Geographenschaft.66
F OTOGRAFIEREN , Z EICHNEN
UND
S AMMELN
Auf einer Expedition entstand eine ungeheure Fülle von Fotos, die Geographen als Speicher geographischer Informationen diente. Häufige Motive waren Landschaften, »Eingeborene« und das, was Geographen für ihre Lebenswelt hielten. Fotografieren galt als seriöse Forschungstechnik, Fotoplatten waren teuer, die Entwicklung der Fotos aufwendig, so dass touristische Schnappschüsse eine Seltenheit waren. Sorgfältig wurde das Motiv ausgewählt, Szenen nicht selten arrangiert. Die Entwicklung der Fotoplatten erfolgte noch unterwegs in den Kolonien. Die dafür notwendigen Chemikalien und Tücher – Letztere, so Thorbecke, um eines der Zelte oder eine »Negerhütte« in eine Dunkelkammer umzuwandeln – musste einer der Träger vorsichtig transportieren.67 Fast immer wurden Schwarzweiss-Aufnahmen gemacht, lediglich Meyer, der mit den neusten Technologien ausgerüstet war, experimentierte in der Nähe von Stationen mit Farbaufnahmen.68 Auf manchen Expeditionen entstanden Tonaufnahmen, so nahmen Thorbecke und Behrmann den Gesang einiger Völker mit dem Phonographen auf. Filme drehten von den landeskundlichen Forschungsreisenden wohl nur der Völkerkundler Karl Weule und vielleicht auch Georg Friederici.69 Bei aller Technikbegeisterung wurde manchmal an altbewährten Methoden festgehalten. Als Biologe im gegenständlichen Zeichnen geübt, fertigte Leonhard Schultze detaillierte Zeichnungen der einheimischen Hütten und Kulturobjekte an.70 Marie Pauline Thorbecke, eine aus66 F. Klute: »Forschungen am Kilimandscharo im Jahre 1912«, in: GZ 20 (1914), S. 496505; Ders.: »Die stereophotogrammetrische Aufnahme der Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1921, S. 144-150. Für eine wohlwollende Besprechung der Monografie: Fritz Jaeger, GZ 27(1921), S. 186. 67 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, S. 62. Ebenso: M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 149; C. Uhlig: Die Ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa ja Mweri sowie dem Westfuß des Meru, Teil I. Die Karte, S, 15. 68 H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, S. 5. 69 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 12; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 229. Zu Filmaufnahmen: K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 50f, 216. 70 Vgl. die beeindruckenden Zeichnungen im Forschungsbericht von L. Schultze: Forschungen im Inneren der Insel Neuguinea.
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gebildete Landschaftsmalerin, zeichnete viele Porträts, malte über hundert Aquarelle von Landschaften und Siedlungen.71 Wegskizzen, Landschaftspanoramen und Höhenprofile gehörten zum täglichen Geschäft eines Geographen, wobei Franz und Marie Pauline Thorbecke den Vorteil hatten, dass sie diese Arbeit als eingespieltes Team bewältigen konnten:72 »Ich stelle den Peiltisch oder Kompaß auf und maß die Höhe des Beobachtungspunktes; meine Frau zeichnete ein genaues Profil des Gebirges, in das die Waldbedeckung, nach der man die Wasserläufe in der Savanne ziemlich sicher bestimmen kann, mit grünem Farbstift eingetragen wurde. Dann verglichen wir sorgfältig Bild und Natur, ich bestimmte die Richtung der einzelnen Punkte, meine Frau trug die Zahlen in die Zeichnung ein. Wir hatten uns rasch eingearbeitet und behielten diese Arbeitsweise auf der ganzen Reise bei.« Die Anlage großer wissenschaftlicher Sammlungen war eines der Ziele von Kolonialexpeditionen. Die Sammelobsession, die von Anfang an die explorative Geographie begleitete, setzte sich ungebrochen ins 20. Jahrhundert fort. Geographen sammelten Gesteinsmaterial, Boden- und Wasserproben, sie legten Herbarien an, lasen alles mögliche Kleingetier auf (Käfer, Insekten, Spinnen und Würmer), schossen Vögel und Säugetiere. Fäulnis und Schimmel gefährdeten die Sammlungen unterwegs auf den Expeditionen und auf dem Schiff, so dass die Pflanzen sorgfältig gepresst und Tiere in Spiritus konserviert wurden. Die Betreuung der Sammlung war eine logistische Herausforderung – insbesondere einzelne Lasten mit Gesteinen mussten auf Stationen zwischengelagert oder schon früher zur Küste transportiert werden. Uhlig sammelte zusammen mit seinen Begleitern vierhundert Gesteinsproben, fünfhundert waren es bei Meyer im ostafrikanischen Zwischenseengebiet, wobei oftmals mehrere Handstücke von einem Fundort mitgenommen wurden.73
71 Die Gemälde und Zeichnungen befinden sich heute im Besitz der Stadt Mannheim, siehe dazu: Klaus Born: Skulpturen aus Kamerun, Sammlung Thorbecke 1911/12 (Bildhefte der Stadt, Reiss-Museum Mannheim, Völkerkundliche Sammlungen 2), Mannheim 1981, S. 3. Zu Marie Pauline Thorbecke: Anna Pytlik: Träume im Tropenlicht. Forscherinnen auf Reisen. Elisabeth Krämer-Bannow in Ozeanien 1906-1910, Marie Pauline Thorbecke in Kamerun 1911-1913, Reutlingen 1997; Theodor Kraus: »Marie Pauline Thorbecke«, in: GZ 59 (1971), S. 301-308. 72 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, Zitat S. 30, siehe auch: M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 68, 108. 73 H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, S. 4; darin: K. Schloßmacher: »Die geologischen Ergebnisse der Expedition Hans Meyer 1911 durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas«, S. 74-93.
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Auch die Herbarien der Expedition waren mitunter beachtlich: Uhlig brachte es auf fünfhundertfünfzig Pflanzenarten, Meyer achthundert, dazu noch sechstausend Tiere.74 Für die pflanzen- und tiergeographischen Forschungen waren die Sammlungen außerordentlich wichtig, denn neben der Beschreibung einzelner Pflanzenarten und Vegetationsformen widmeten die Geographen sich nur selten diesem Sachgebiet. Ihre Dokumentation von Fundorten und die Sammlungen überließen sie meistens Spezialisten zur späteren Auswertung.75 Pflanzensammlungen konnten auch Aufschluss über neue kolonialökonomische Möglichkeiten geben. Franz Thorbecke sammelte etwa Baumwollpflanzen von den Feldern der einheimischen Ackerbauern und ließ sie von einem deutschen Textilunternehmen untersuchen.76 Ähnlich verfuhr er mit Tabakproben, wobei er dazu seine Familienkontakte bemühte, denn das Gutachten über Qualität und Marktchancen der einheimischen Tabakpflanzen erstellten die Mannheimer A. H. Thorbecke Zigarrenfabriken.77 Ethnographica hatten herausragende Bedeutung. Geographen rafften wie Völkerkundler, Kolonialbeamte, Offiziere, Missionare oder Geschäftemacher die Kulturschätze Afrikas und Ozeanien zusammen, um sie in die deutschen Völkerkundemuseen zu »retten«, wo sie meist bis heute lagern.78 Die meisten Geographen versuchten, ethnographische Objekte von den einheimischen Gesellschaften zu bekommen: Waffen, Schmuck, Musikinstrumente, verziertes Kunsthandwerk. Einfache Alltagsgegenstände gehörten ebenso ins Repertoire wie religiöse Gegenstände, die besonders begehrt, dafür aber nur schwer zu bekommen waren. Dazu versuchten sie die Menschen, die ihnen begegneten zu Tauschgeschäften zu überreden. In 74 C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 92f. Schon zuvor hat Uhlig immer wieder Pflanzen an die Botanische Zentralstelle in Berlin-Dahlem gesandt, siehe Denkschrift über die Verwendung des Afrikafonds, in: Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1903/1904, Berlin 1905, S. 485; H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrika, S. 4, S. 77-102. Eine ähnlich große Zahl an Gesteinsproben sammelte Passarge in Südwestafrika: S. Passarge: Die Kalahari, S. 706-751. 75 Eine Ausnahme waren zwei biogeographische Studien von Leo Waibel: Lebensformen und Lebensweise der Waldtiere im Tropischen Afrika: Versuch einer geographischen Betrachtungsweise der Tierwelt auf psychologischer Grundlage (MGGH, 27), Hamburg 1913; Ders.: Urwald, Veld, Wüste, Breslau 1921. 76 Vgl. Hans Meyer: Brief an das Reichskolonialamt vom 12.01.1909, BArch R 1001/3342. 77 A.H. Thorbecke & Co. Rauch-Kau & Schnupf-Tabak, Zigarren- & Zigaretten-Fabriken: Brief des Mannheimer Unternehmens an Franz Thorbecke in Blumenthal vom 30.12.1908, BArch R 1001/3342. 78 Vgl. H.G. Penny: The Objects of Culture, v.a. S. 162.
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Dschang erstanden die Thorbeckes eine Holzmaske für 15 Mark und 6,5 Meter Blaudruckstoff sowie eine kleinere Maske nur für Blaudruckstoff. Zuvor wurde ihnen eine Maske für 80 Mark angeboten.79 In Bamum, das häufiger von Forschungsreisenden besucht wurde, fanden sie einen regelrechten Markt für Ethnographica vor. 300 bis 400 Frauen boten den Thorbeckes Töpfe, Körbe, Schmucksachen und Pfeifen gegen Geld, Tabak, Stoffe, Parfüms und Spiegel an.80 Ethnographisches Sammeln basierte in der Regel auf dem Tausch von Geld oder europäischen Waren gegen Gegenstände der einheimischen Bewohner. Diese Tauschgeschäfte waren jedoch keine Transaktionen zwischen gleichberechtigten Akteuren, denn oftmals waren es die Geographen, die die Tauschbedingungen diktierten. Die Aneignung von Gegenständen aufgrund direkter Gewaltanwendung war wohl eher selten, doch nutzten die Geographen die Machtasymmetrien kolonialer Situationen aus. Manchmal kam die ökonomische Notlage der einheimischen Bevölkerung hinzu sowie die reale Bedrohung durch die Kolonialtruppe oder die Karawane, so dass viele Einheimische in ungleiche Tauschgeschäfte einwilligten. Der Sammelwut von Karl Weule, dem Direktor des Leipziger Völkerkundemuseums, der sich im südlichen Deutsch-Ostafrika über 2.000 Exponate aneignete, versuchten sich die Bewohner teilweise dadurch zu entziehen, dass sie tagsüber ihre Dörfer verließen. Da sie ihn versuchten mit »allerlei Krimskrams« abzuspeisen, wie Weule schrieb, statt »die größeren Stücke des Hausrats, Masken und andere Kunstwerke« herauszurücken, bediente sich der Leipziger Völkerkundler »kleiner Gewaltmittel«, die darauf zielten, die Dorfvorsteher dafür »moralisch verantwortlich« zu machen, dass die Dorfbewohner Ethnografica ablieferten.81 Die Nähe von Militärstationen erleichterte das wissenschaftliche Sammeln, ermöglichte den Thorbeckes in Bana sogar die Aneignung eines kunstvoll mit Figurenreliefen verzierten Türrahmens des Palastes.82 Ob »gesammelte« Gegenstände vom rechtmäßigen Besitzer stammten, war kein Thema, das die Forschungsreisenden beschäftigte. Marie Pauline Thorbecke beobachtete, dass die Frauen um Dschang »einen dicken, wulstförmigen Halsring« trugen, der mit roten Perlen und Kaurimuscheln verziert war. »Ich habe wohl 15 Frauen, die hier vorbeikamen, angehalten und durch einen Dolmetsch fragen lassen, ob sie den Ring nicht verkaufen wollten«, doch trotz aller Gebote musste sie feststellen, dass der Ring unverkäuflich war. Sie vermutete, es handele sich um »eine Art Ehezauber«, der selbst verstorbenen Frauen mit ins Grab gegeben wurde, so dass es nicht möglich gewesen sei, ein Exemplar zu erwerben. Daher schickten die
79 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 23-25. 80 Ebd., S. 54. 81 K. Weule: Negerleben in Ostafrika, S. 137, 348. 82 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, S. 11 und Foto, Tafel 5, Bild 2.
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Thorbeckes einen ihrer Helfer mit Namen Djimbe von Haus zu Haus, der unter dem Vorwand nach Brennholz zu fragen, die Nachricht verbreiten sollte, dass die Deutschen viel Geld für ein Halsband zahlen würden. Die List führte schließlich zum Erfolg. »Ein gräßlicher, einäugiger Kerl kam bei Dunkelwerden, zeigte den Ring und verlangte 12 Mark dafür. Dadurch, daß wir ihn 2½ Stunden warten ließen, bekamen wir ihn schließlich für 4 Mark und eine rote Pfennig-Decke«.83 Ob die Gegenstände tatsächlich dem Verkäufer gehörten, oder ob dieser sie sich illegitim angeeignet hatte, war nicht von Interesse. Die Kamerunexpedition der beiden Thorbeckes brachte über 1.300 ethnographische Objekte nach Deutschland. Das Herzstück der Sammlung waren sechzig Holzskulpturen und Masken, bis heute ein wichtiger Kernbestand des ReissEngelhorn-Museums in Mannheim.84 Schon auf der ersten Expedition hatte Franz Thorbecke, der für die ethnographische Sammlung verantwortlich war, 500 Artefakte an das Berliner Völkerkundemuseum übersandt, von denen viele vom Leiter der Afrikaabteilung Felix von Luschan als »wissenschaftlich außerordentlich wertvoll« bezeichnet wurden.85 Erich Obst hatte »300 Belegstücke für die materielle Kultur der besuchten Stämme« gesammelt. Die beiden großen Expeditionen nach Neuguinea, an denen Schultze und Behrmann beteiligt waren, erwarben Tausende von Objekten für die deutschen Völkerkundemuseen.86
E RKUNDIGUNGEN Aus Beobachtungen, Messungen, Sammlungen und den hergestellten Abbildungen alleine konnten die Geographen den geographischen Phänomenen in den Kolonien noch keinen Sinn abringen. Geographen waren abhängig von dem Wissen von 83 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 25-28, Zitat, S. 27f. 84 K. Born: Skulpturen aus Kamerun, Sammlung Thorbecke 1911/12. 85 Felix von Luschan: Brief an Franz Thorbecke vom 25.11.1908, BArch R 1001/3342. 86 Otto Reche: »Dr. E. Obst’s ethnographische Sammlung aus dem abflusslosen Rumpfschollenland des nordöstlichen Deutsch-Ostafrika«, in: Erich Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika; Teil 1, S. 251-265, hier S. 253; GZ 13 (1907), S. 160; Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1907, S. 259f. Auf der KaiserinAugusta-Fluß-Expedition wurde in kurzer Zeit eine große Sammlung angelegt. Adolf Roesicke sammelte im ersten Halbjahr mehr 1700 Objekte, dazu kam die Sammlung Thurnwalds und die Objekte der anderen Expeditionsmitglieder, die sich schließlich auf insgesamt 5.800 Objekte summierten. Dazu: Arthur Stollé: »Überblick über den Verlauf der Kaiserin-Augusta-Fluß-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S 249253, hier, S. 252, vgl. U. Claas: Das Land entlang des Sepik.
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Personen, die schon lange in den Kolonien lebten und sich dort gut auskannten – von Offizieren, Beamten, Missionaren und Siedlern sowie von der einheimischen Bevölkerung. Lokale Führer wurden zu den Namen von Wasserläufen, Landschaften oder Bergen befragt, Führer und Dolmetscher verschafften den Geographen Kontakte zu lokalen Gemeinschaften. Ohne die Kooperation ihrer einheimischen Helfer und der Menschen, die ihnen auf der Expedition begegneten, hätten die Geographen es in der Kolonie schwerer gehabt. Aber ihre Neugier wurde nicht immer befriedigt. Dass Jaeger auf dem Weg nach Moshi sich für den Namen eines Baches interessierte, erschien dem Führer ein absurdes Anliegen und er blieb dem Geographen den Namen des Rinnsals schuldig. Manchmal ergriffen Führer und Dolmetscher wohl eine gute Gelegenheit, sich einen Spaß mit den Geographen zu erlauben oder sich für so manche herabwürdigende Behandlung zu revanchieren.87 Als verlässliche Informanten galten den Geographen deutsche Kolonisten, die sie gerne auf Stationen und Plantagenbetriebe aufsuchten. Man verschmähte nicht die Einladung zu einem Mittagessen oder eine komfortable Übernachtungsmöglichkeit und erhielt ganz nebenbei viele wertvolle geographische Informationen und lernte die politische Meinung der Gastgeber kennen. Manchmal konnten sie auf Regierungsstationen Abschriften von den Berichten der Bezirksamtmänner anfertigen, manchmal stützten sie sich auf später publizierte Versionen.88 Gespräche mit weißen Siedlern anderer Nationalität waren eine Seltenheit. Obwohl portugiesische, griechische und türkische Kaufleute sich an weit entlegeneren Orten als deutsche Kaufleute niedergelassen hatten, wurden sie nicht als Informanten herangezogen.
87 Vgl. Jaegers Bemerkungen über die Führer: Jaeger: Tagebuchenträge, 08.11.1906 und 20.03.1907, Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas 1906/07, Heft 2, S. 444, IfLA, K. 848/3; Heft 3, S. 712, IfLA, K. 848/3. 88 Vgl. etwa Jaeger auf der Station in Mwansa: F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, 18.11. und 19.11.1906, 1906/07, Heft 2, S. 464f.; Carl Uhlig: »Erläuterungen zur Wirtschaftskarte von Deutsch-Ostafrika«, in: Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1902/1903, Berlin 1904, S. 501-525, hier S. 502. Siehe außerdem: Auszüge aus den Berichten der Bezirksämter, Militärstationen und anderer Berichtsstellen über die wirtschaftliche Entwicklung im Berichtsjahr von 1. April 1901 bis 31. März 1902, in: Kaiserliches Gouvernement von Deutsch-Ostafrika, Dar-es-Salâm (Hg.): Berichte über Landund Forstwirtschaft in Deutsch-Ostafrika; Band 1, Heidelberg 1903, S. 205-313. Darüber hinaus machten die Geographen von den in den Mitteilungen veröffentlichten Aufsätzen der Bezirksamtmänner und Kolonialoffiziere Gebrauch bzw. von den Auswertungen ihrer wissenschaftlichen Erhebungen durch Experten verschiedener Fachrichtungen, vgl. dazu diverse Jahrgänge der Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten.
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Von Kaufleuten indischer Herkunft erwarben Geographen zwar wiederholt Ausrüstungsgegenstände, Meyer erwähnte sogar, dass es in Kigali 26 indische Filialen von Firmen aus Bukoba gäbe, aber es lassen sich keine Anhaltspunkte finden, dass er mit den Kaufleuten Gespräche führte.89 Die kommunikative Erhebung von Informationen war eine eigentümliche Leerstelle in den methodischen Schriften der Geographen. Eine Ausnahme waren die Anleitungen für ethnographische Beobachtungen und Sammlungen, die in verschiedenen Versionen und unterschiedlichem Umfang sowohl als eigenständige Publikation wie als Kapitel in Neumayers Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen erschienen und die der damalige Direktor der afrikanisch-ozeanischen Abteilung des Berliner Völkerkundemuseums Felix von Luschan häufig an ausreisende Geographen verschickte, um ihnen einen Leitfaden für ethnographische Beobachtungen und Befragungen zur Hand zu geben.90 In der Praxis arbeiteten Geographen die darin aufgeführten Kriterien selten ab. Erich Obst war wohl einer der wenigen, der sich tatsächlich die Mühe machte, jedes Volk ausführlich zu befragen. Meyer, der ebenfalls mit den Anleitungen bzw. mit den speziell für Ostafrika angefertigten Instruktionen arbeitete, nutzte sie hingegen in erster Linie als eine Vorlage, um damit seine Völkerkunde der Barundi zu strukturieren.91 In der geographischen Forschungspraxis verließen sie sich lieber auf sogenannte Gewährsleute, Personen, mit denen sie besonders engen Kontakt pflegten, also meist Leute aus der eigenen Karawane, etwa die Boys oder einen Führer, nach der Empfehlung des Völkerkundlers Carl Meinhof waren die Dolmetscher hierfür besonders geeignet.92 Immer wieder 89 H. Meyer: Tagebucheintrag vom 24.08.1911, Tagebuch der Expedition ins Zwischenseegebiet, Heft 5, IfLA, K. 180/2/41. 90 Felix von Luschan: Anleitungen für ethnographische Beobachtungen und Sammlungen, Berlin 1899; vgl. etwa auch: Ders.: Anthropologie, Ethnographie und Urgeschichte, in: Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Band 2 (1906), S. 1-153 sowie C. Stelzig: Afrika am Museum für Völkerkunde zu Berlin, 1873-1919, S. 149-223. Zur Position von Felix von Luschan am Berliner Völkerkundemuseum, S. 89. 91 Otto Reche: Zur Ethnographie des abflusslosen Gebietes Deutsch-Ostafrikas auf Grund der Sammlung der Ostafrika-Expedition (Dr. E. Obst der Geographischen Gesellschaft in Hamburg) (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts, 17 – Reihe B. Völkerkunde, Kulturgeschichte und Sprachen, 11), Hamburg 1914, H. Meyer: Die Barundi, S. VII. Siehe auch: F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 96. Allgemein zur Verwendung der Instruktionen: C. Stelzig: Afrika am Museum für Völkerkunde zu Berlin 1873-1919, S. 203, Fußnote 30. 92 Carl Meinhof: »Linguistik«, in: Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Band 2 (1906), S. 442f.
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befanden sich in der Karawane Menschen mit außergewöhnlichen Biographien. Dove beschrieb den Führer des Ochsenwagens, mit dem er einige Zeit durch Südwestafrika reiste als einen alten Bergdamara aus Otjimbingue, der schon in Kapstadt gearbeitet habe und ihm von dort häufig erzählte.93 Sogar Passarge erwähnte in einem langen Aufsatz über die Buschmänner seinen holländisch sprechenden Informanten, dessen Erzählungen ihn dazu bewegten, sich abends zu seinem Begleiter ans Lagerfeuer zu setzen.94 Die Informanten unter der einheimischen Bevölkerung waren fast ausnahmslos Männer. Selbst um Geburtshilfepraktiken zu erfragen, musste Marie Pauline Thorbecke sich mit den Angaben von männlichen Informanten begnügen.95 Die Geographen ließen viele gute Gelegenheiten auf Expeditionen verstreichen, um etwas über die Kultur der einheimischen Bevölkerung zu lernen, behinderten doch die Machtasymmetrien, rassistische Vorurteile und eine mangelnde Wertschätzung der Kommunikation als Forschungsverfahren systematischere Befragungen. Erschwerend kam hinzu, dass Geographen überall nur auf der Durchreise waren, selten längere Zeit in Dörfern der einheimischen Bevölkerung verbrachten, so dass die eigene Expeditionslogistik es ihnen ermöglichte, den Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Täglich verstrich viel Zeit mit Routenaufnahmen, Fern- und Höhenmessungen, meteorologischen Messungen, Beobachten, dem Führen des Tagebuchs, Fotografieren und den Sammlungen. Am Rande der Überlastung blieb den Geographen nur wenig Muße, um über das Erlebte zu reflektieren. Das Ziel möglichst weite Räume zu durchwandern, verhinderte eine gründliche Auseinandersetzung mit Situationen an einem Ort, so dass diese Feldforschung en passant zu umfangreichen Detailkenntnissen und großen Sammlungen führte, ohne den produktiven Zwängen und Abhängigkeiten einer teilnehmenden Beobachtung zu unterliegen, wie sie als frühe Ausnahme an manchen Orten in der Völkerkunde bereits praktiziert wurde.96 Eine Expedition führte
93 K. Dove: Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder (1896), S. 34. 94 Siegfried Passarge: »Die Buschmänner der Kalahari«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 18 (1905), S. 194-292, hier S. 196. 95 F./M.P. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Mbamlandes, S. 18. 96 Zu den Aufenthalten von Thurnwald im Westpazifik: Marion Melk-Koch: Auf der Suche nach der menschlichen Gesellschaft. Richard Thurnwald, Berlin 1989; Rainer Buschmann: »Colonizing Anthropology: Albert Hahl and the Ethnographic Frontier in German New Guinea«, in: Penny/Bunzl, Worldly Provincialism, S. 230-255. Zu Jan Czekanowskis ethnologischen Feldforschungen im Rahmen der Expedition des Herzog Albrecht Friedrich zu Mecklenburg: Anna Czekanowski: »Jan Czekanowski (18821965)«, in: Florian Köhler/Christine Seige (Hg.): Zwischen Nil und Kongo. Auf den Spu-
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zwar zu neuen Informationen und neuen Erkenntnissen, grundlegend neue Deutungsweisen und politische Neubewertungen erbrachte sie aber nicht. Zu schnell verließ man sich auf das Vorwissen und hatte zu wenig Mut, den bisherigen Wissensstand grundlegend infrage zu stellen. Schon Richard Kandt, der langjährige deutsche Regierungsbeauftragte in Ruanda, bemängelte die »intellektuelle Retinaablösung« und fehlende »Sehweite« von Forschungsreisenden, die unter dem Einfluss der Interessen und der Mitteilsamkeit der Küste stünden, mit ihren Wertungen und Vorurteilen durch die Kolonie wanderten und »allzu leicht und allzu unbewußt die Dinge der Wirklichkeit kürzen oder recken«. Einige würden die »binnenkolonialen Verhältnisse« nie wirklich kennenlernen, andere erst nach längerem Aufenthalt der »verstümmelten Wirklichkeit« wieder einzelne Glieder anfügen.97
D AS R EPERTOIRE
GEOGRAPHISCHER
S CHRIFTEN
Das Kerngeschäft von Kolonialgeographen war die Niederschrift wissenschaftlicher Texte. Am Anfang standen die Einträge ins Expeditionstagebuch, Herzstücke einer jeden Expedition, die eine Reise erst zu einer wissenschaftlichen Expedition machten. In die kleinen, in Leinen oder Leder eingeschlagen Büchlein notierten die Geographen Landschaftseindrücke, beschrieben Vegetationsformen, machten Gesprächsnotizen. Wissenschaftliches stand neben Profanem, erste Erklärungsversuche und wissenschaftliche Hypothese neben Schilderungen alltäglicher Probleme und eigener Befindlichkeiten. Die Geographen hatten sich ihren Auftraggebern gegenüber verpflichtet, Tagebuch zu führen. Dennoch waren diese Bücher die Privatsache der Geographen, ihr persönliches Forschungsutensil, und nicht für andere Leser bestimmt, nicht einmal für Beamte des Reichskolonialamtes oder die Mitglieder der landeskundlichen Kommission. Darüber hinaus führten sie weitere Notizbücher: Routenbücher, um die Laufrichtung, Uhrzeiten und Bemerkungen über Landschaftsveränderungen aufzuzeichnen, klimatologisch-meteorologische Tagbücher und Verzeichnisse, die neue Vokabeln und die Orte auflisteten, an denen die Geographen Zeichnungen und Fotos angefertigt und Objekte gesammelt hatten. Meist schrieben die Geographen die Tagebücher abends im Zelt entweder aus dem Gedächtnis oder sie übertrugen die unterwegs gemachten Notizen ins Reine. Wenn besonders viel zu tun war oder lange Märsche anstanden, gerieten sie mit ihren
ren von Jan Czekanowski, Leipzig 2002, S. 8-12. Ferner: Adam Jones (Hg.): Jan Czekanowski. Africanist Ethnographer and Anthropologist in Early Twentieth-Century Germany and Poland, Leipzig 2002. 97 Richard Kandt: Caput Nili. Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils, 2. Aufl., Berlin 1905, S. 196f.
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Tagebüchern in Rückstand. Dann konnte es Tage dauern, bis sie ihre Tagebücher aktualisierten und Profilaufnahmen und Panoramazeichnungen noch einmal sorgfältig zeichneten.98 Gezwungenermaßen führten die Geographen Buch über ihre Ausgaben, wobei die Vorschriften der Bürokraten in der Realität oft wenig praktikabel waren. Fritz Jaeger schrieb während seiner Expeditionsvorbereitungen in Daressalam schlecht gelaunt in sein Tagebuch: »Vom Anfang unseres hiesigen Aufenthaltes erhielten wir daher den Eindruck, dass man unter einem Forschungsreisenden hier einen Mann versteht, der Tags seiner Karawane Wild schiesst & Abends sich hinsetzt & rechnet, was er verausgabt hat.« Doch am nächsten Tag kam man ihm mit der Abrechnung der Expedition vonseiten der Gouvernementverwaltung entgegen. Anstatt eines komplizierten Verfahrens wurde er mit einem Kreditbrief ausgestattet und musste nur ein einfaches Kassenbuch führen.99 Auf Expeditionen verfassten die Geographen viele Briefe, die sie auf Militärstationen oder den Postämtern in den Kolonialstädten abgaben. Wenn sie sich in abgelegenen Gebieten befanden, dann übergaben sie einen Brief schon einmal einem ausgewählten Träger oder deutschen Siedler, mit dem sie in näheren Kontakt gekommen waren, und die für sie die Botendienste übernahmen. Adressaten waren Kollegen, Familienangehörige, viele Briefe erhielt Hans Meyer, insbesondere von denjenigen Geographen, die im Auftrag der landeskundlichen Kommission forschten. Meyer übersandte die Briefe an das Reichskolonialamt. Er veröffentlichte Auszüge in den Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, kürzere Fassungen waren im Deutschen Kolonialblatt, der Geographischen Zeitschrift oder der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin zu lesen. Immer wieder lancierte Meyer kurze Berichte in Tageszeitungen, darunter in der eigenen Täglichen Rundschau.100 Als er selbst auf Expedition in Ruanda war, übernahm sein Berliner Kol-
98
Vgl. u.a. S. Passarge: Adamaua, S. 66; F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 19.10.1906, 1906/07, S. 398; H. Meyer: Tagebucheintrag, 31.08.1911, zitiert nach R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 173. Für ein publiziertes Beispiel eines klimatologischmeteorologischen Tagebuchs: Franz Thorbecke (hrsg. von Marie Pauline Thorbecke): Im Hochland von Mittel-Kamerun, 4. Teil, 2. Hälfte. Physische Geographie des OstMbamlandes, Hamburg 1951, S. 115-294. Es handelt sich hierbei um die Aufzeichnungen von der Kamerunexpedition aus der Zeit vom 03.02. bis 12.12.1912.
99
Siehe: F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas Heft 1, 05.06.1906, 1906/07, S. 76.
100 Vgl. H. Schmitthenner: »Hans Meyer†«, in: GZ 36 (1930), S. 140.
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lege Albrecht Penck die Öffentlichkeitsarbeit.101 Andere Geographen verfuhren ähnlich: Schon Ferdinand von Richthofen hatte vor der Gründung der landeskundlichen Kommission Auszüge aus Uhligs Briefen in der Berliner Geographiezeitschrift veröffentlicht.102 Franz Thorbecke war mit der Deutschen Kolonialgesellschaft sogar übereingekommen, ausformulierte Aufsätze über die Fortschritte seiner Expedition an die Redaktion der Deutschen Kolonialzeitung zu senden.103 Es war also üblich, dass schon die ersten Berichte in Zeitschriften erschienen, während sich die Geographen noch in den Kolonien befanden. Einladungen zu Vorträgen ließen nach der Rückkehr nicht lange auf sich warten. Manchmal dauerte es weniger als zwei Wochen, bis die Geographen vor den geographischen Gesellschaften ihre Expeditionsroute skizzierten und einen ersten Einblick in ihre Forschungsarbeiten gewährten. Gerne veranschaulichten sie Vorträge mit Dias und Karten, gelegentlich führten sie sogar Tonaufnahmen vor oder stellten ihre Fotografien und Zeichnungen aus. Auf späteren Vorträgen zeigten sie auch die Kolonialkarten, die aus ihren topographischen Aufnahmen resultierten.104 Wenn seit der Expedition einige Zeit verstrichen war, rückten wissenschaftliche 101 Vgl. Albrecht Penck: »Die Erforschung des Kaiserin Augusta-Flusses«, in: Zeitschr. d.Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 361-365; Ders.: »Zur Rückkehr der Expedition zur Erforschung des Kaiserin-Augusta-Flusses«, in: Zeitschr. d.Ges. f. Erdk., Berlin 1913, S. 713-719; Carl Uhlig: »Bericht über die Expedition der Otto-Winter-Stiftung nach den Umgebungen des Meru (Aus einem Brief an Herrn v. Richthofen)«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 120-123. 102 Carl Uhlig: »Von der Ostafrikanischen Expedition der Otto Winter-Stiftung nach der Umgebung des Meru«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1904, S. 522f.; Ders.: »Bericht über die Expedition der Otto Winter-Stiftung nach der Umgebung des Meru (Aus einem Brief an Herrn v. Richthofen)«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 120123. 103 Aufgaben der Expedition von Franz Thorbecke vom 09.07.1911, BArch R 8023/223. Siehe ferner Brief (Absender unleserlich) an Herrn Prof. Dr. Thorbecke, Leiter der Expedition der Deutschen Kolonialgesellschaft nach Joko, Kamerun (Kaiserliche Bezirksstation) von 1912, BArch R 8023/223, S. 366. 104 Für seinen Vortrag am 23.11.1910 über die Erforschung der deutschen Schutzgebiete durch die landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes vor dem Verein für Erdkunde in Leipzig veranlasste Hans Meyer eine kleine Kartenausstellung, siehe: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig 1910, S. 41-43. Marie Pauline Thorbecke machte eine Ausstellung ihrer Zeichnungen und Aquarelle in Breslau, siehe: Bericht über die Sitzung des Ausschusses der Deutschen Kolonialgesellschaft 6. Sitzung 1913, S.7f. sowie undatierter und unadressierter Brief von Thorbecke, BArch R 8023/221.
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Probleme stärker in den Vordergrund, in Vorlesungsreihen der deutschen Kolonialverbände dominierten hingegen eher kolonialpolitische und ökonomische Einschätzungen. Auf den vier Berliner Kolonialkongressen waren Geographie und Kartographie der deutschen Kolonien ein zentrales Thema und auch die Deutschen Geographentage organisierten regelmäßig Sektionen, auf denen Kolonialgeographen wissenschaftliche Ergebnisse von ihren Expeditionen präsentierten.105 Ausgearbeitete Versionen der Vorträge erschienen bald in einer geographischen Fachzeitschrift. Die Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin brachte viele ausführliche Artikel über die Expeditionsverläufe, während die Mitteilungsorgane der geographischen Gesellschaften anderer Städte meist nur kurze Zusammenfassungen von Vorträgen publizierten.106 Alfred Hettners Schüler publizierten häufig in der Geographischen Zeitschrift ihres Lehrers. War es vor der Jahrhundertwende noch üblich gewesen, ausladende Reisebeschreibungen zu verfassen, die oft genauso umfangreich waren wie der analytische zweite Teil der Expeditionsauswertung, beschränkte man sich nun darauf, die Reiseerlebnisse in Form von Fachaufsätzen zu schildern oder den Forschungsmonografien einen Überblick von den Expeditionsetappen voranzustellen.107 Einige Geographen schrieben allerdings immer noch Reisemonografien. Diesen Büchern wurde nun aber weit weniger wissenschaftliche Bedeutung zugemessen, denn sie dienten in erster Linie der Unterhaltung des kolonialinteressierten Publikums und waren etwa bei Dove, Wegener und Behrmann von vorneherein als Reise- und Kolonialbelletristik konzipiert.108
105 Vgl. diverse Bände der Verhandlungen der Deutschen Kolonialkongresse sowie der Verhandlungen der Deutschen Geographentage. 106 Vgl. etwa die Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig. Darin erschienen nur wenige Vorträge als ausgearbeitete Aufsätze, oft waren aber kurze Zusammenfassungen enthalten. 107 Beispiele für die Kombination von Reise- und Forschungsmonografie: Siegfried Passarge: Adamaua. Bericht über die Expedition des Deutschen Kamerun-Komitees in den Jahren 1893/94, Berlin 1895; Oscar Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle. Reisen und Forschungen der Massai-Expedition des deutschen Antisklaverei-Komitees in den Jahren 1891-1893, Berlin 1894; Hans Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten. Forschungsreisen im Kilimandscharo-Gebiet, Leipzig 1890. 108 Vgl. Karl Dove: Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder aus der ersten deutschen Kolonie, 2. Aufl., Berlin 1896; Ders.: Vom Kap zum Nil. Reiseerinnerung aus Süd-, Ost- und Nordafrika, 2. Aufl., Berlin 1898; Georg Wegener: Zur Kriegszeit durch China 1900/1901, Berlin 1902; Ders.: Der Zaubermantel: Erinnerungen eines Weltreisenden, Leipzig 1919; Walter Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik. Eine deutsche Forschungsreise in Neuguinea, Berlin 1922.
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Es dauerte meist ein Jahr, bis die Geographen ihre Aufzeichnungen ausgearbeitet hatten und eine systematische Geographie des bereisten Raums vorlegen konnten. Wenn sie sich zwischenzeitlich neuen Projekten zugewandt hatten, verzögerte sich die Publikation der Forschungsberichte mitunter um Jahre, ganz zum Ärger der landeskundlichen Kommission.109 In der Regel handelte es sich um eine Gesamtdarstellung des Untersuchungsraums, die im Falle der »landeskundlichen Expeditionen« in den Ergänzungsheften der Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten als Monografie veröffentlicht wurden, manchmal erschienen Teile schon früher als längerer Aufsatz in der regulären Reihe. Die Forschungsberichte präsentierten jene Erkenntnisse, die Geographen aufgrund der eigenen Expedition erlangt hatten. Oftmals floss die existierende Literatur über diesen Raum in die Studien ein, wobei die Geographen die auf der Expedition gewonnenen Erkenntnisse vor dem Hintergrund der bisherigen Forschungsstände diskutierten. Gelegentlich wich man von dieser Praxis ab. So verfassten einige Geographen thematische Abhandlungen des Untersuchungsgebietes: Karl Dove über Südwestafrika mit klima- und wirtschaftsgeographischem Schwerpunkt, Kurt Hassert eine physische Geographie des Kameruner Grashochlandes (ohne dass der geplante zweite landeskundliche Teil je erschienen wäre), Hans Meyer eine Völkerkunde über das Zwischenseengebiet. Franz Thorbecke verfasste zusammen mit seiner Frau anstatt der üblichen Landeskunde eine Anthropogeographie und eine Völkerkunde, was er auf kriegsbedingte Verzögerungen bei der Auskonstruktion der topographischen Aufnahmen zurückführte, die ihn angeblich dazu zwangen, die Niederschrift der physischen Geographie zu verschieben.110 In den kolonialen Länderkunden spielten die wissenschaftlichen Ergebnisse der eigenen Expeditionen kaum eine Rolle, schließlich bestach die Textgattung dadurch, dass sie einen weit größeren Raum behandelte, als von einem Geographen
109 Vgl. Kurt Hassert: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, Erster Teil. Physische Geographie (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 13), Berlin 1917; Carl Uhlig†/Fritz Jaeger: Die Ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa ja Mweri sowie dem Westfuß des Meru: Wissenschaftliche Ergebnisse der ostafrikanischen Expedition der Otto-Winter-Stiftung, Teil II. Bodengestalt und Landschaft (Wissenschaftliche Veröffentlichungen, Deutsches Institut für Länderkunde N.F. 10), Leipzig 1942. 110 K. Dove: Das Klima des aussertropischen Südafrika mit Berücksichtigung der geographischen und wirtschaftlichen Beziehungen, Teil 1; Ders.: Deutsch-Südwest-Afrika. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Reise im südlichen Damaralande, K. Hassert: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns; H. Meyer: Die Barundi; Franz Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 2. Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes, S. VII.
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beforscht werden konnte. Aber eine Reise in die besprochene Kolonie erhöhte die Glaubwürdigkeit des Autors. Nach diesem Prinzip der Ortskenntnis verfuhr Das Deutsche Kolonialreich, eine hochgelobte Länderkunde, die auf insgesamt 1.200 Seiten in zwei Bänden von 1909 und 1910 die Geographie der deutschen Kolonien vorstellte.111 Der erste Band bestand aus einem Kapitel über Deutsch-Ostafrika von Hans Meyer, dem Herausgeber, und einem Kapitel über die Kamerunkolonie von Siegfried Passarge. Im zweiten Band schrieben Passarge über Togo, Leonhard Schultze über Deutsch-Südwestafrika, Georg Wegener über Jiaozhou und Wilhelm Sievers über die deutschen Südseekolonien. Alle Autoren verfügten über persönliche Reiseerfahrung in der betreffenden Kolonie, bis auf Passarge, der entgegen späterer Behauptungen Togo wohl nicht kennengelernt hatte, und Sievers, der von Meyer aufgrund seiner wissenschaftlichen Reputation, einer langen Zusammenarbeit mit dem Bibliographischen Institut und einer früheren Landeskunde von Melanesien, Polynesien und Mikronesien als Autor ausgewählt worden sein könnte.112 Die Rezensenten überschlugen sich mit Lob, abgesehen von einer gehässigen Besprechung durch Hermann Singer, dem Redakteur des Globus, mit dem Meyer schon während des zweiten Deutschen Kolonialkongress 1905 aneinandergeraten war.113 Schnell war man sich in der Geographenschaft einig, dass Meyer mit der ausführlichsten Länderkunde der Kolonien das Standwerk der kolonialen Landeskunde herausgegeben hatte.114 Dove feierte es als ein Musterwerk über »unsere Schutzgebiete«, auf das »unser Volk stolz sein« könne, als »unentbehrliches und bedeutendstes Werk« für jeden, der sich mit den Kolonien beschäftigen wolle.115 111 Hans Meyer (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der Deutschen Schutzgebiete; Erster Band: Ostafrika und Kamerun; Zweiter Band: Togo, Südwestafrika, Schutzgebiete in der Südsee, Kiautschougebiet, Leipzig 1909, 1910. 112 Vgl. dazu: Wilhelm Sievers/Willy Kükenthal: Australien, Ozeanien und Polarländer, 2. Aufl., Leipzig 1902, S. Passarge: Aus achtzig Jahren, S. 136. 113 Vgl. die Diskussion in Anschluss an die Vorträge von Sektion 1: Geographie, Naturund Volkskunde: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, Berlin 1906, S. 29. Zur kritischen Besprechung: Hermann Singer zum ersten Band: Globus (97) 1910, S. 81. Zum zweiten Band: Globus 98 (1910), S. 33. 114 Vgl. Rezensionen: Fritz Jaeger, in: GZ 16 (1910), S. 406-408; E. Werth, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin, S. 216f. Siehe ebenfalls die Äußerungen von: Paul Sprigade und Max Moisel: »Die Fortschritte der deutschen Kolonialkartographie in den Jahren 1905 bis 1910«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. XXXIV. 115 Karl Dove, in: DKZ 27 (1910), S. 487-489, dort auch die Zitate. Eine weitere Besprechung von Dove erfolgte in der Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 537-539.
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Mancher Rezensent wünschte sich eine baldige überarbeitete Auflage, machte die Kolonialgeographie doch gerade gewaltige Fortschritte. Meyer hatte diese Hoffnung schon im Vorwort des zweiten Bandes selbst genährt und ein überarbeitetes Werk in drei Bänden angekündigt.116 Der Kriegsausbruch und das Ende des deutschen Kolonialreichs verhinderten schließlich die Neuauflage. Abgesehen von einem kleinen Bändchen von Alfred Kirchhoff für den schulischen Erdkundeunterricht stammte die erste Länderkunde des gesamten deutschen Kolonialreiches aus der Feder eines Geographen von Kurt Hassert. Deutschlands Kolonien erschien 1899 mit einem Vorwort von Friedrich Ratzel.117 Es handelte sich um »kein stoffreiches Handbuch«, vielmehr um »ein lebensvolles allgemeines Bild«, eine Kompilation aus mehreren allgemein verständlichen Hochschulvorträgen, wie Joseph Partsch anmerkte, das unter den »gebildeten Kreisen des deutschen Volkes das Interesse an den kolonialen Erwerbungen, das Verständnis für ihren Wert« sicherlich steigern werde.118 Der damals in Breslau lehrende Geographieprofessor mahnte für eine Neuauflage einige Verbesserungen im Detail an, die der vielbeschäftigte Hassert aber erst 1910 mit einer etwas ausführlicheren Ausgabe umsetzte. Die Kritik fiel erneut wohlwollend aus: Passarge lobte »das einzige größere Werk, das in einem Guß geformt die Kolonien schildert«, wenngleich er sich hier und da eine klarere und präzisere Darstellung im Detail wünschte. Theobald Fischer betonte die reife Darstellung Kameruns und Dove empfahl es als eine vollständige, die neueste Zeit berücksichtigende Umarbeitung, die zur Einführung in die Landeskunde der Kolonien benutzt werden könne und Meyers Deutsches Kolonialreich »wünschenswert« ergänze.119 Dove hatte schon 1902 eine koloniale Einführung für Kaufleute und »den inmitten des praktischen Lebens stehenden Leser« verfasst.120 Zwischen 1909 und 1913 erschienen aus Doves Hand vier kurze Überblicksbände im Goeschen-Verlag. Die Rezeption der preisgünstigen Büchlein, ein jedes mit knapp einhundert Seiten im kleinen Sedezformat, fiel ambivalent aus. Die Kolonialgeographen besprachen die
116 Vgl. Hans Meyer: »Vorwort«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. V; K. Dove, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 539. 117 Kurt Hassert: Deutschlands Kolonien. Erwerbungs- und Entwickelungsgeschichte, Landes- und Volkskunde und wirtschaftliche Bedeutung unserer Schutzgebiete, erste Auflage 1899, zweite Auflage 1910 Leipzig; Alfred Kirchhoff: Die Schutzgebiete des deutschen Reichs zum Gebrauch beim Schulunterricht, Halle 1893. 118 Vgl. Rezension von Joseph Partsch: GZ 5 (1899), S. 416-418. 119 Vgl. Rezension von Passarge, in: DKZ 27 (1910), S. 789; von Theobald Fischer in: GZ 17 (1910), S. 343f. und von Dove, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 534. 120 Karl Dove: Wirtschaftliche Landeskunde der deutschen Schutzgebiete, Leipzig 1902.
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Bände vorwiegend wohlwollend, doch erschienen auch negative Besprechungen.121 Eine weitere koloniale Länderkunde, an der Universitätsgeographen mitwirkten, war Das überseeische Deutschland, das erstmals 1903 erschien und später dreimal neu aufgelegt wurde. Als einziger akademisch ausgebildeter Geograph verfasste Karl Dove in der ersten Auflage das Kapitel über Südwestafrika, das unverändert für die späteren Auflagen übernommen wurde.122 Für die zweite Auflage von 1911 überarbeitete Erich Obst das Ostafrikakapitel, noch bevor er selbst dorthin reiste. Die anderen Kapitel verfassten Forschungsreisende und bekannte Persönlichkeiten aus der Kolonialszene wie etwa der Direktor der Neuguinea-Kompanie Carl von Beck.123 Darüber hinaus verfasste Georg Wegener eine Länderkunde der deutschen Südseekolonien und Passarge erweiterte das Spektrum durch eine Länderkunde über das südliche Afrika, die sowohl Deutsch-Südwestafrika als auch die britischen Kapkolonien besprach.124 Das überseeische Deutschland und die Länderkunden von Dove und Hassert waren populäre Werke, die sich an einen möglichst großen Leserkreis richteten – ein Kompromiss zwischen Faktenvermittlung und Allgemeinverständlichkeit. Darüber hinaus gab es viele populärwissenschaftliche Landeskunden der Kolonien, wobei die Werke der Geographen den Kolonialpublizisten eine wichtige Quelle waren, Geographen gelegentlich die Autoren sogar ermuntert hatten.125 Am weitestgehenden tat Das Deutsche Kolonialreich den Standards genüge, die in der deutschen Geographenschaft von einer wissenschaftlichen Länderkunde erwartet wurden. Neben den Texten der Geographen enthält dieses Werk noch viele Karten mit kurzen Begleitworten, darunter Sprachen- und Rassenkarten des Leipziger Völkerkundlers Karl Weule, Vegetationskarten des Direktors des Botanischen Gartens in Berlin121 Karl Dove: Die deutschen Kolonien, 4 Bände, Berlin 1909-1913. Für eine Rezensionen von Karl Sapper über den Band zu den Südseekolonien und Jiaozhou siehe: GZ 17 (1911), S. 654; Fritz Jaeger über den Südwest-Afrika-Band, in: GZ 19 (1913), S. 357. Eine negative Besprechung erfolgte durch G. Barth zum dritten Ostafrikaband: GZ 20 (1914), S. 121. 122 Karl Dove: »Südwestafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, Band I (1911), S. 173-228. 123 Hauptmann a. D. [Franz] Hutter, et al. (Hg.): Das überseeische Deutschland. Die deutschen Kolonien in Wort und Bild, 2 Bände, 2. Aufl., Stuttgart 1911. 124 Georg Wegener: Deutschland im Stillen Ozean. Samoa, Karolinen, Marshall-Inseln, Marianen, Kaiser-Wilhelm-Land, Bismarck-Archipel und Samoa-Inseln, Bielefeld 1903; Siegfried Passarge: Südafrika. Eine Landes-, Volks- und Wirtschaftskunde, Leipzig 1908. 125 Siehe etwa: August Seidel: Deutschlands Kolonien. Koloniales Lesebuch für Schule und Haus, 2. Aufl., Berlin 1909.
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Dahlem Adolf Engler, Karten von Verbreitungsgebieten der Säugetiere des Zoologieprofessors und Abteilungsleiters des Berliner Zoologischen Museums Paul Matschie sowie Klimadaten des Meteorologen Hans Maurer.126 Diese Wissenschaftskooperationen waren keine Ausnahme für ein besonders prestigeträchtiges Buchprojekt, sondern waren in der geographischen Fachliteratur üblich geworden. Forschungsberichte enthielten ebenfalls kurze Aufsätze von Spezialisten, die eine Auswertung und Kritik der Sammlungen und der topographischen Aufnahmen präsentierten. Zu den Koautoren gehörten Geologen, Botaniker und Zoologen, die gesammelte Gesteins- oder Bodenproben und die Arten aus der Pflanzen- oder Tiersammlung bestimmten. Astronomen, Geodäten und Kartographen besprachen die Methodik der Aufnahmeverfahren oder fügten zur beigegebenen Karte einige Begleitworte hinzu. Manchmal gingen aus diesen Kapiteln über die Sammlung einer Expedition weitere Studien hervor.127 Regelmäßig involviert waren Leopold Ambronn von der Göttinger Sternwarte sowie Wissenschaftler der KöniglichGeologischen Landesanstalt, des Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem und des Zoologischen Institutes in Berlin.128 Dadurch, dass Geographen Wissenschaftler aus anderen Disziplinen in die Expeditionsauswertung integrierten, wurden die Expeditionen zu einer transdisziplinären Unternehmung, wobei die Geographen durch ihre Sammelstücke die Forschungen anderer Disziplinen bereicherten.
D IE K OLONIEN
AUFS
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GEBRACHT
Die wissenschaftliche Auswertung der Expeditionen begann mit der Niederschrift von Expeditionserfahrungen und Messarbeiten in Notizbücher und sie mündete in einer Serie von geographischen Schriften verschiedener Textgattungen: Tagebücher, Routenbücher, Verzeichnisse, kurze Expeditionsberichte aus den Kolonien als erste Publikationen, dann Reiseberichte in geographische Zeitschriften, eine Forschungsmonografie, später Aufsätze zu ausgewählten Forschungsproblemen, manchmal noch eine Länderkunde. Diese Reihenfolge war nicht nur eine Konvention, die sich über die Jahre eingespielt hatte, sie war zugleich das Resultat einer schrittweisen Expeditionsauswertung. Jedes Genre repräsentierte eine Verarbei-
126 Vgl den ersten und zweiten Band von Hans Meyer (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. 127 Vgl. Otto Reche: Zur Ethnographie des abflusslosen Gebietes Deutsch-Ostafrikas auf Grund der Sammlung der Ostafrika-Expedition, Hamburg 1914; Leonhard Schultze (Hg.): Zoologische und anthropologische Ergebnisse im westlichen und zentralen Südafrika, ausgeführt 1903-1905, 4 Bände, Leipzig 1908-1910. 128 H. Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten.
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tungsstufe und war durch spezifische Darstellungsformen gekennzeichnet. Mit anderen Worten: Die Verschriftlichung der Expeditionen erfolgte in Etappen. In mehreren Übersetzungsschritten reorganisierten die Geographen ihre subjektiven Eindrücke aus dem Tagebuch und verobjektivierten ihre Beobachtungsnotizen, Messserien und Gespräche zu wissenschaftlichen Tatsachenbehauptungen. Im Tagebuch stand der Geograph im Mittelpunkt. Er war das strukturierende Element einer chronologischen Berichterstattung, die mit der Schiffsreise oder manchmal noch früher mit der Bahnreise zum Hafen begann und mit der Rückreise nach Deutschland endete. Die Informationen waren thematisch ungeordnet: Nach einem besonders üppigen Frühstück konnte der Bericht auf die ersten geographischen Beobachtungen zu sprechen kommen, dann schilderte er logistische Probleme und Jagderlebnisse, die Begegnung mit Einheimischen, um vielleicht mit einer abenteuerlichen Gipfelbesteigung und den gewonnenen Landschaftseindrücken den Tag zu beschließen. Briefe und Reiseberichte waren zwar ebenfalls chronologisch geordnet, der Autor hatte aber schon eine Vorauswahl getroffen, die Erzählung thematisch strukturiert, ausgeschmückt und gelegentlich versucht, mit abenteuerlichen Anekdoten Spannung zu erzeugen. Forschungsmonografien wiesen ein anderes Organisationsprinzip auf. Eine chronologische Reiseerzählung war auf einen kurzen Überblick beschränkt, dann folgte eine systematische Darstellung des Forschungsgebietes, für die es unerheblich war, wann und wie oft der Raum durchquert wurde. Geographen unterteilten das bereiste Gebiet in eine Anzahl natürlicher Landschaften, die nacheinander besprochen wurden. Jede Landschaft wurde wiederum nach dem länderkundlichen Schema abgehandelt, sofern die Geographen nicht weitere Einzellandschaften unterteilten. Forschungsmonografien kombinierten also einen räumlichen mit einem thematisch-länderkundlichen Ordnungsmodus, der vom geologischen Untergrund über das Relief, Klima, Vegetation bis zu den Bewohnern, ihrer Wirtschaftsführung und den zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten für die Kolonialwirtschaft reichte. Manchmal variierte die Reihenfolge etwas und nicht immer berichteten die Autoren bei jeder Landschaft über alle Sachgebiete. Oftmals stand gerade die wirtschaftsgeographische Erörterung am Ende der Monografie. In kolonialen Länderkunden dominierte auf der ersten Gliederungsebene das länderkundliche Schema, erst dann folgte in der Regel die räumliche Gliederung der gesamten Kolonie, wobei die Landschaften auf mehreren Maßstabsebenen unterschieden wurden. Die Verobjektivierungen veränderten die geographische Information: Ein ins Tagebuch notiertes Ereignis bestand aus einem Beobachtungsobjekt, einem Beobachter, einem Beobachtungsort und einem Zeitpunkt. Mit Gesprächen war dies ähnlich, wobei die Motive der Gesprächspartner hinzukamen, die von den Geographen allerdings wenig reflektiert wurden. Im Reisebericht war ein Teil des Kontextes noch vorhanden; im Forschungsbericht traten die subjektiven Eindrücke und der Beobachtungskontext in den Hintergrund, ohne allerdings gänzlich zu verschwin-
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den. Beobachtungen wurden zu Eigenschaften des Raumes und der Menschen, die ihn bewohnten. Der Beobachtungskontext war als Fragment noch enthalten, Gespräche wurden nicht mehr erwähnt. In den Mittelpunkt rückten nun ausladende Beschreibungen der Räume und der geographischen Phänomene. Wenn möglich, versuchten die Geographen kausale Erklärungsversuche über die Genese der Strukturen und Zusammenhänge zu ersinnen, oft begnügten sie sich mit detaillierten Beschreibungen der Räume und der Präsentation von Messergebnissen. Die Darstellungsformen innerhalb des Genres der Forschungsberichte variierten allerdings: Bei Hassert war die Verobjektivierung sowohl in seinem Forschungsbericht vom Kamerungebirge als auch in den Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns weit fortgeschritten, während bei Jaeger und Meyer vergleichsweise viele subjektive Landschaftseindrücke in den Forschungsberichten erhalten blieben. Ein pragmatischer Grund für diese Variationen waren die verschiedenen Bearbeitungszeiten, schließlich erschien Hasserts erster Forschungsbericht erst drei Jahre nach der Expedition, die Monografie sogar neun Jahre später, während bei Publikation von Jaegers Kilimandscharoforschungen und von Meyers Zwischenseenmonografie die Expeditionen weniger als zwei Jahre zurücklagen.129 In den Länderkunden waren die Geographen als Subjekte der Objektivierung aus den Texten verschwunden. Es hatte den Anschein, als offenbarten sich die geographischen Phänomene und Räume dem Leser selbst. Der Geograph reduzierte sich zum passiven Vermittler geographischer Erkenntnisse. Die Ergebnisse der eigenen Expeditionen spielten kaum eine Rolle, da die Autoren sich fast ausschließlich auf schriftliche Quellen und Karten verlassen mussten, da niemand alle Regionen einer Kolonie bereiste, geschweige denn das gesamte Kolonialreich. Feldforschungserfahrung erhöhte die Glaubwürdigkeit des Autors, erleichterte ihm aber sicherlich auch das Schreiben über benachbarte Räume, die er selbst nicht besucht hatte. Dass es sich bei den Länderkunden um Kompositionen handelte, wurde vor allem dann offenbar, wenn konträre Ansichten existierten und der Verfasser der Länderkunde sich nicht für eine Version entscheiden konnte und widerstreitende Perspektiven benannte. Über die Produktionsbedingungen des geographischen Wissens ist kaum etwas in Länderkunden zu finden. Beobachtungskontext und Gesprächssituationen sind getilgt, eine wichtige Voraussetzung, damit geographisches Wissen als wahre Eigenschaften des Raumes erscheinen konnte.
129 K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise und literarischer Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 55-112, 127-181; Ders.: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, F. Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 113-146, 161-197; H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911.
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Damit die Aussagen der Geographen Wahrheitsgeltung beanspruchen konnten, reichten textimmanente Modalitäten allein nicht aus. Es war ebenso entscheidend, ob die Erkenntnisse in einer anerkannten Reihe oder von einem renommierten Verlag publiziert wurden oder wie es um das persönliche Renommee des Geographen bestellt war – handelte es sich um einen Nachwuchsgeographen oder um einen etablierten Professor? Erst die Rezeption in der Geographenschaft verschaffte den wissenschaftlichen Texten ihre Geltungsmacht. Institutionelle Netzwerke mussten den Befunden zustimmen und diese Sichtweisen weiterverbreiten. Den Kolonialgeographen fielen diese Netzwerke mit dem Expeditionsauftrag gewissermaßen in den Schoß, da sie mit Beginn der Expeditionsvorbereitungen in landeskundliche Netzwerke eingebunden waren. Von Anfang an standen für die Publikationen der Forschungsergebnisse die notwendigen Gelder bereit. Außerdem steigerten Ankündigungen und Zwischenberichte über den Expeditionsverlauf das Interesse innerhalb der Geographenschaft. Die Ergebnisse der Expeditionen wurden als zu wichtig angesehen, als dass man sie unbeachtet beiseiteschob. Selbst wenn es einmal, wie im Fall der Thorbeckes, zu Zerwürfnissen mit dem Unterstützerkomitee kam, sprangen andere Herausgeber und Geldgeber ein, um die Publikation der Expeditionsergebnisse zu gewährleisten.130 Mit jedem Genrewechsel vom Tagebuch zur Länderkunde war ein weiterer Schritt in der Verarbeitungskette vollzogen. Die geographischen Informationen waren verobjektiviert und entsprechend dem Ordnungsschema des Genres thematisch arrangiert worden. Allerdings war in Reiseberichten bereits ein Geltungsanspruch angelegt, der über die Subjektivität der Erzählung hinauswies. Schließlich handelte es sich um ein tradiertes Verfahren geographischer Berichterstattung, das noch dazu von ausgebildeten Experten mit Methodenkenntnissen und Ortserfahrung ausgeführt wurde, was die geographischen Beschreibungen zu mehr als der persönlichen Meinung eines Reisenden machte. Die zunehmende Objektivierung machte sich auch durch die zeitliche Abfolge der Verschriftlichungen bemerkbar, wobei die Länderkunden nicht automatisch nach den Forschungsberichten erschienen. Hassert und Meyer publizierten die beiden renommiertesten Länderkunden, bevor das Gros der Forschungsberichte von den Expeditionen der Kolonialgeographen fertiggestellt war. Wie Hassert nach seinem Kolonialaufenthalt eine überarbeitete Auflage folgen ließ, so wäre Meyers Werk ebenfalls überarbeitet worden, wenn das Deutsche Reich die Kolonien im Ersten Weltkrieg nicht verloren hätte. Dass Geographen ihre Forschungsberichte wiederholt als Beiträge zur Landeskunde betitelten, kann als
130 Franz Thorbecke wich schließlich auf die Abhandlungen des Hamburger Kolonialarchivs aus, in deren Reihe die ersten drei Monografien über die Expedition der Deutschen Kolonialgesellschaft erschienen. Teil 4.2 wurde 1951 dann von Marie Pauline Thorbecke in der Nachfolgereihe der Universität Hamburg publiziert.
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Indiz verstanden werden, dass die Landeskunden oder Länderkunden konzeptionell das Ende der Verarbeitungskette standen.131 Schließlich wollte man sich nicht mit Spezialliteratur für den Fachmann zufriedengeben. Alfred Kirchhoff hatte schon 1905 auf dem zweiten Berliner Kolonialkongress vor einer erneuten »archivalische[n] Aufspeicherung von Rohstoff« gewarnt: »Ein literarisches Organ für die fortgesetzte Belehrung unserer ganzen Nation« schwebte dem Geographieprofessor aus Halle vor: »von Meisterhänden ausgeführte landeskundliche Darstellungen auf streng wissenschaftlicher Grundlage, aber jeden Gebildeten packend«.132
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Bei der Auswertung der Expeditionen nahm mit zunehmender Bearbeitung die Bedeutung der eigenen Geländearbeit ab, während die Forschungsliteratur an Gewicht gewann. Neues Wissen entstand aus der Rekombination der eigenen Forschungserfahrung mit bisherigen Wissensbeständen. Die Kolonialgeographie lebte von Informationen aus den Kolonien wie von Hypothesen und Übertragungen aus anderen Wissensfeldern und Räumen. So beruhten viele Texte der Geographen darauf, dass sie die existierende Forschungsliteratur auswerteten. Allerdings waren Textinterpretation und Quellenanalyse nur selten Gegenstand methodischer Reflexionen. Erste Voraussetzung war die Lektüre – während der Expeditionsvorbereitungen und Ausarbeitung der Forschungsvorhaben sowie am heimischen Schreibtisch nach Rückkehr aus der Kolonie. Aber auch während der Expedition lasen Geographen wissenschaftliche Literatur und studierten Karten. Auf der Schiffsfahrt durch den Suezkanal vertiefte sich Jaeger in »Die Gletscher« von Hess, in Machačeks Gletscherkunde, der mitreisende Oberförster Eckart aus Daressalam überließ ihm Aufsätze etwa vom Leiter des Berliner Botanischen Gartens Adolf Engler über Vegetationsformen in Deutsch-Ostafrika und zusammen mit seinem Begleiter Eduard
131 Karl Sapper: Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, I. Beiträge zur Landeskunde von Neu-Mecklenburg und seinen Nachbarinseln (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 3), Berlin 1910; Kurt Hassert: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer NordwestKameruns; F. Jaeger/L. Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Erster Teil; Dies.: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, II. Landschaften des nördlichen Südwestafrika (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 15), Berlin 1921. 132 Alfred Kirchhoff: »Fortschritte der geographischen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete während der letzten drei Jahre«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongress 1905, S. 4-16, Diskussion: S. 25-30, Zitat S. 30.
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Oehler studierte er Uhligs Wirtschaftskarten von Ostafrika.133 Eine Reisebibliothek ließ er von seinen Trägern durch die Kolonie transportieren, las unterwegs über das abflusslose Gebiet und die dort lebenden Völker in Büchern von Oscar Baumann und Waldemar Werther.134 Vor Ort studierte Jaeger die Karten vom Kilimandscharo und Bücher von Hans Meyer, ein bekanntes Geographielehrbuch von Hermann Wagner, Caput Nili von Richard Kandt sowie Neumayers Anleitung auf Reisen, zumindest erwähnte er das Kapitel zur Pflanzengeographie von Drude.135 Gerne vertiefte sich der fünfundzwanzigjährige Jaeger in die philosophische Literatur, las auf dem Schiff John Ruskin und nahe des Viktoriasees Nietzsches Jenseits von Gut und Böse.136 Behrmann erwähnte in seinem Reisebericht, dass er häufig die Schradersche Karte studierte, schien aber nicht viel Literatur mitgenommen zu haben. Er langweilte sich oft im Lager und las alle Zeitungen, die er dort in die Finger bekam, obwohl er auf dem Dampfschiff eine größere Reisebibliothek unproblematisch hätte mitführen können.137 Die Verbindung von Lektüre und Forschungstechniken im Gelände strukturierte den geographischen Erkenntnisprozess und verstärkte die Tendenz, dass die Geographen viele Deutungsmuster von ihren Vorgängern übernahmen. Später bei der Ausarbeitung ihrer Schriften griffen die Geographen auf verschiedenste Quellen zurück, zogen Schriften von Geologen, Biologen, Völkerkundlern und Ökonomen heran, ältere Reiseberichte aus der Zeit vor der kolonialen Besitzergreifung genauso wie Aufsätze und Monografien von Offizieren und Beamten aus den Kolonien.138 War für die explorative und historische Geographie die »kritische Methode«, die sorgsame Überprüfung von Karten und geographischen Schriften noch zentral 133 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 20.05., 24.05., 26.05., 28.05.1906, S.51, 55, 57f. 134 Vgl. O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, S. 156-195; C. Uhlig: »Die Ostafrikanische Expedition der Otto Winter-Stiftung«, S. 78. 135 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1-4, 28.05., 29.05., 19.07., 15.08., 30.08., 15.09., 19.11.1906 und 09.04.1907, S. 60, 158, 263, 300, 464, 747. Siehe dazu: Oscar Drude: »Pflanzengeographie: Verbreitungsverhältnisse und Formationen von Landgewächse«, in: Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Band 2, S. 321-383. Hassert erwähnte ebenfalls die Mitnahme von Büchern auf der Expedition: K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 34. 136 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, 07.11. und 08.11.1906, Heft 2, S 443, 445. 137 W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 244f., 334. 138 Wie breit das Literaturspektrum war, zeigt sich noch heute an den kolonialen Beständen geographischer Institutsbibliotheken.
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gewesen, mit dem Bedeutungsgewinn von Geländearbeiten und der Dominanz naturwissenschaftlicher Ansätze schienen diese Fähigkeiten zu verkümmern.139 Ernst Tießen, von Richthofens Nachlassverwalter, stieß auf dem Nürnberger Geographentag von 1907 eine der wenigen Diskussionen über länderkundliche Quellen an. Fünf Quellengattungen erachtete er als entscheidend – wissenschaftliche Darstellungen staatlicher Organisationen des jeweiligen Landes, Berichte von größeren wissenschaftlichen Expeditionen, Berichte von einzelnen wissenschaftlichen Forschungsreisenden (gemeint waren jene von spezialisierten Fachwissenschaftlern), »die große Masse der Reisepublikationen« und bereits existierende länderkundliche Werke. Als typischer Stubengelehrter war Tießen vorwiegend darauf bedacht, die Lehnstuhlgeographie gegenüber der Reiseforschung zu rehabilitieren. Wie mit den Quellen gearbeitet werden sollte, dazu machte er keine Angaben. Den Mangel an vorbildlichen Werken schob er stattdessen einfach auf die wenigen Talente, die es in der Geographie in den letzten Jahrzehnten gegeben habe.140 Der Vortrag löste eine kontroverse Diskussion aus, bei der Sapper die Bedeutung von Forschungsreisen verteidigte, während Albrecht Penck forderte, die Geographen sollten die eigene Beobachtung nicht vernachlässigen, müssten aber gleichzeitig die kritische Bearbeitung der Informationen bedenken.141 Mit einem Aufsatz über Beobachtungs- und Literaturgeographie knüpfte Siegfried Passarge im Globus ein Jahr später an diese Debatte an und beschuldigte Penck der Geringschätzung der Literaturgeographie. Dem Nachfolger von Richthofens in Berlin unterstellte er, dass seine wissenschaftliche Studie über Südafrika nur auf flüchtigen Beobachtungen beruhe, ein Vorwurf, den Passarge auch Pencks Schüler Alfred Grund machte, der auf eine außerplan139 Vgl. etwa den Hinweis auf die mangelnde Quellenkritik bei von Richthofen: Alfred Philippson: »Ferdinand von Richthofen als akademischer Lehrer«, in: GZ 26 (1920), S. 257-272, v.a. S. 262f. 140 Ernst Tießen: »Beobachtende Geographie und Länderkunde in ihrer neueren Entwicklung, nebst einem Wort zum 25jährigen Bestehen der Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland«, in: Kollm, Verhandlungen des 16. Deutschen Geographentages zu Nürnberg vom 21. bis 26. Mai 1907 (1907), S. 51-65. Einige Bemerkungen zu Quellentypen wurden einige Jahre zuvor auf dem Geographentag bereits von dem Wiener Geographen und ehemaligen Schüler Pencks Robert Sieger erörtert, siehe: Robert Sieger: »Forschungs-Methoden der Wirtschafts-Geographie«, in: Georg Kollm (Hg.): Verhandlungen des 14. Deutschen Geographentages zu Cöln am 2., 3. und 4. Juni 1903, Berlin 1903, S. 91-108, hier v.a. S. 103-107. 141 Vgl. die Ausführungen von Albrecht Penck auf dem Nürnberger Geographentag, in: Kollm, Verhandlungen des 16. Deutschen Geographentages zu Nürnberg vom 21 bis 26. Mai 1907 (1907), S. XVIII-XX, siehe auch: Franz Thorbecke: »Der XVI. Deutsche Geographentag in Nürnberg«, in: GZ 13 (1907), S. 438-446, hier S. 440.
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mäßige Professur ebenfalls nach Berlin berufen wurde.142 Obgleich Passarge ihre Arbeitsweise als »neue Penck-Grundsche Richtung der Eisenbahngeographie« verspottete, wies Penck die Einlassungen sachlich zurück und stufte sowohl Passarges Unterscheidung von Beobachtungs- und Literaturgeographie als auch die Differenzierung zwischen beobachtender und konstruktiver Geographie in Thießens Begrifflichkeiten als unglücklich ein. Es brauche Leute, die über Fertigkeiten in beiden Richtungen verfügen, die wissenschaftliche Geographie verlange vom »beobachtenden Geographen literarische Akribie«.143 Obgleich Penck in vielen Punkten mit dem Hamburger Geographen übereinstimmte, er Ähnliches schon zuvor in seiner Wiener Abschiedsvorlesung geschrieben hatte, zeigte sich Passarge von Pencks Rechtfertigung zutiefst gekränkt und schrieb zwei bitterböse Aufsätze im nächsten Band der Zeitschrift, die mit den wissenschaftlichen Arbeiten von Penck und Grund erneut abrechneten.144 Eigentlich waren Passarges und Pencks Positionen nicht wirklich weit auseinander, obgleich der Neuberliner tatsächlich stärker die Bedeutung der Beobachtung betonte und das Literaturstudium vor allem auf die Interpretation und Kombination von verschiedenen Beobachtungsbausteinen begrenzte.145 Passarges Attacken gegen Penck waren wohl eher auf unterschiedliche Ansichten über geomorphologische Prozesse zurückzuführen, auf Passarges Kampf gegen eine deduktive Geomorphologie, wie sie der amerikanische Geograph William Morris Davis unter großer Wertschätzung der deutschen Kollegen zeitweise in Berlin vertreten hatte. Vielleicht war er auch von der Eifersucht getrieben angesichts der unerwarteten Berufung Pencks nach Berlin auf den renommiertesten deutschen Lehrstuhl für Geographie.146 142 Siegfried Passarge: »Beobachtungs- und Literaturgeographie«, in: Globus 93 (1908), S. 369-370. Zur Biographie Alfred Grunds, siehe: Herbert Lehmann: »Grund, Alfred Johannes«, in: Neue Deutsche Biographie, Band 7 (1966), S. 216f. Zum Vorwurf der Eisenbahngeographie: Ebd., S. 565-566. 143 Albrecht Penck: »Wissenschaftliche Geographie: Eine Erwiderung«, in: Globus 94 (1908), S. 76-79; vgl. Albrecht Penck: Beobachtung als Grundlage der Geographie. Abschiedsworte an meine Wiener Schüler und Antrittsvorlesung an der Universität Berlin, Berlin 1906. 144 Siegfried Passarge: »Wissenschaftliche Geographie«, in: Globus 94 (1908), S. 140; Ders.: »Morphologische Skizze des Atlas zwischen Philippeville und Biskara«, in: Globus 94 (1908), S. 169-174. 145 Vgl. A. Penck: Beobachtung als Grundlage der Geographie, v.a. S. 39. 146 Zur allgemeinen Missstimmung, die angesichts von Pencks Berufung unter von Richthofens Schüler herrschte, siehe: Emil Meynen: »Albrecht Penck 1858-1945«, in: Thomas W. Freeman (Hg.): Geographers. Biobibliographical Studies, Band 7, London 1983, S. 101-108, hier S. 102. Erinnert sei auch an die erneute Polemik im Globus ge-
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Die Geographen neigten dazu, Feldforschungen und Literaturstudium gegeneinander auszuspielen und für die Auseinandersetzung um verschiedene Geographiekonzeptionen zu missbrauchen. Damit verzettelten sie sich in einer Diskussion ob des Stellenwertes beider Arbeitsweisen, anstatt weiter darüber nachzudenken, wie sich beide Verfahren am besten miteinander kombinieren ließen und wie der Umgang mit schriftlichen Quellen verbessert werden konnte. In der Forschungspraxis griffen beide Verfahren zwar selbstverständlich ineinander, doch begnügten sie sich in der Praxis oft mit der Aneinanderreihung von Details und darauf, Diskursfragmente aus anderen Texten ohne kritische Überprüfung oder Beachtung des Kontextes zu wiederholen. Außerdem folgten ihre Ausführungen meist demselben starren Ordnungsschema. Die methodologische Reflexion des in der Wissenskultur verpönten Literaturstudiums – ohne die Feldforschungen zu vernachlässigen – wäre hilfreich gewesen, um die Qualität des geographischen Schreibens zu verbessern.147 Doch eine Kultur des wissenschaftlichen Schreibens war in der Geographenschaft kaum vorhanden und sollte sich auch später nicht etablieren, so dass es nur wenigen Geographen gelang, wie einst von Ferdinand von Richthofen gefordert, anspruchsvolle Erzählungen mit Tiefgang zu verfassen, die aus der eigenen Expeditionserfahrung schöpften.148
gen Penck zwei Jahre später ebenfalls angesichts der Dissertation von Michaelsen, vgl. die Ausführungen zur politischen Mentalität im dritten Kapitel. 147 Für eine zeitgenössische ähnliche Einschätzung, siehe: Alfred Hettner: »Methodische Streifzüge, III. Beobachtung, Forschung, Darstellung«, in: GZ 14 (1908), S. 561-568. 148 Vgl. Ferdinand von Richthofen: Aufgaben der heutigen Geographie, u.a. S. 68-71.
6. Produktion und Ordnung kolonialer Räume
Es würde einer Geschichte der Kolonialgeographie nicht genügen, nur die Institutionen und theoretischen Ansätze, die Expeditionslogistik und die wissenschaftlichen Arbeitsweisen zu erörtern, ohne danach zu fragen, zu welchen Ergebnissen die Anstrengungen der Kolonialgeographen führten. Die nächsten drei Kapitel behandeln daher die geographischen Wissensbestände: Natur- und Landschaftsbeschreibungen, Ethnographie und wirtschaftsgeographische Erörterungen. Eine auf Vollständigkeit bedachte Übersicht über diese Wissensbestände wäre genauso vermessen wie der Versuch einer kritisch-historischen Synthese. Ergiebiger ist es zu zeigen, welche kolonialen Modalitäten und Wertvorstellungen geographische Darstellungen enthielten. Der Analyseschwerpunkt liegt auf den kolonialen Länderkunden, da sie mehr als die anderen Genres den Eindruck erweckten, den State of the Art der geographischen Erkenntnisse über die Kolonien zu repräsentieren und daher auch einen weiteren Leserkreis erreichten. Dennoch wird an vielen Stellen auch interessieren, was die Geographen in Reise- und Forschungsberichte sowie in Aufsätzen zu einzelnen Themengebieten schrieben und an einigen Stellen wird der Rückgriff auf Tagebuchaufzeichnungen erlauben, Ungereimtheiten aufzuspüren zwischen der Beobachtung im Gelände und der Darstellung in den ausgearbeiteten Texten. Auf Expeditionen war der Blick der Geographie vorwiegend auf die Natur gerichtet, auf Oberflächenformen, Vegetationsformen, gelegentlich auf Wildtiere. Es lag daher auf der Hand, dass koloniale Landschaften in den schriftlichen Ausarbeitungen am ausführlichsten besprochen wurden. Einerseits lag dies daran, dass Geographen der Erforschung von Landschaftsformen einen kognitiven Eigenwert zubilligten, schließlich galt die Geomorphologie in den zwei Dekaden vor und nach der Jahrhundertwende als die prestigeträchtigste geographische Forschungsrichtung. Anderseits galt das Studium der »natürlichen Gegebenheiten« als Schlüssel zum Verständnis von Räumen. Eine Länderkunde setzte genaue Kenntnisse der physi-
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schen Geographie voraus und leitete aus ihr andere geographische Phänomene ab, wie Siegfried Passarge in seinem Südafrikabuch deutlich zum Ausdruck brachte:1 »Die physische Geographie bildet die Grundlage für das Verständnis der Kulturgeographie. Sie lässt uns die Kulturbedingungen eines Landes erkennen, sie macht die Abhängigkeiten des Menschen von der Natur des Landes, seiner Oberfläche, seinem Boden und Klima, seiner Pflanzen- und Tierwelt verständlich. Sie ermöglicht auch das Verständnis für das Zustandekommen der Siedelungen für die Geschichte der Völker und den gesamten Kulturzustand.« Diese Herangehensweise findet sich in unzähligen geographischen Schriften im frühen 20. Jahrhundert – nicht nur in jenen mit Kolonialbezug. Ohne Zweifel fungierte die physische Geographie in Passarges Denken und dem vieler seiner Kollegen als Leitmotiv. Passarges Rezensent Adolf Schenck bemängelte sogar eine konsequente Darstellung der Interdependenzen zwischen Natur und Mensch in der Abhandlung der einzelnen südafrikanischen Räume.2 Mitunter relativierten Geographen diese Abhängigkeiten oder benannten weitere raumgestaltende Kräfte. Passarge betonte etwa die »Lage des Landes zu anderen Kulturgebieten und zu den großen Verkehrswegen« als weitere Faktoren.3 Obgleich Landschaftsdarstellungen in den kolonialen Landeskunden dominierten, eröffneten die Bücher mit einem anderen Fachgebiet. Mehr noch als in anderen Weltregionen spielte die Geschichtsschreibung für die koloniale Landeskunde eine gewichtige Rolle. Denn bevor der Leser etwas über die kolonialen Landschaften erfuhr, hatte er schon gelernt, wem er es zu verdanken hatte, dass diese Räume geographisch erforscht und Teil des überseeischen Deutschlands geworden waren. Fortsetzung fand diese geistige Einverleibung in Landschaftsdarstellungen, die teils offensichtlich, teils verborgen koloniale Wertvorstellungen transportierten. Karten und Bilder unterstützten die Botschaften des Textes und führten dem Betrachter anschaulich vor Augen, dass die besprochenen Räume unumstößlich mit der deutschen Geschichte verwoben waren.4
1
Siegfried Passarge: Südafrika. Eine Landes-, Volks- und Wirtschaftskunde, Leipzig 1908, S. 162f. [Hervorhebung in Sperrschrift im Original].
2
Passarge arbeitete diese Konzeption später weiter aus: S. Passarge: »Physische Geographie und Vergleichende Landschaftsgeographie«, in: MGGH 27 (1913), S. 119-151. Zur Adolf Schencks Rezension von Passarges Südafrika: GZ 16 (1910), S. 113-115.
3
S. Passarge: Südafrika, S. 163.
4
Zur mentalen Raumaneignung: Claudia Weiss: Wie Sibirien »unser« wurde. Die Russische Geographische Gesellschaft und ihr Einfluss auf die Bilder und Vorstellungen von Sibirien im 19. Jahrhundert, Göttingen 2007, v.a. S. 24-25. Zu mentalen Aneignungsme-
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So manche Forschungsmonografie führte mit einer Aufzählung vorausgehender Expeditionen in das Untersuchungsgebiet ein, wobei der Schwerpunkt meist auf der Zeit nach den kolonialen Landnahmen lag und nicht selten mit der eigenen Expedition endete. Manchmal gingen Geographen weit zurück bis zu den »Kolonisationsfahrten« der Karthager, den Entdeckungsreisen griechischer Geographen oder den Wanderungen islamischer Gelehrter. Die Landung portugiesischer Schiffe an der afrikanischen Küste galt als wichtiges Ereignis, da es die Ankunft der Europäer in der Region markierte. Ob der historische Überblick vorkoloniale Expeditionen einbezog, manchmal auch bis zu den portugiesischen oder arabischen Reisenden zurückreichte oder erst mit der kolonialen Landnahme durch das Deutsche Reich begann, variierte je nach Autor und zur Verfügung stehenden Druckseiten.5 Der Rekurs auf sehr alte Reiseberichte war ohne wissenschaftliche oder kolonialpolitische Relevanz, unterstrich er doch in erster Linie die kosmopolitische Belesenheit der Geographen.6 Für den Forschungsbericht war die historische Einführung in das Untersuchungsgebiet nicht zwingend, denn es war ebenfalls üblich, die Reiseroute oder den Stand der Kartierungen kurz zu rekapitulieren.7 Anders war dies in den Länderkunden, die fast ausnahmslos mit einer Einführung in die Geschichte der Kolonie begannen.8 chanismen durch Expeditionen und geographische Repräsentationen: D. Graham Burnett: Masters of all They Surveyed. Exploration, Geography, and a British El Dorado, Chicago 2000. Zur Bedeutung von Karten für die Raumaneignung: John Brian Harley: The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography, Baltimore 2001; Dipper/Schneider (Hg.): Kartenwelten. Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit. Zur Interdependenz von wissenschaftlicher und herrschaftlicher Aneignung: Dirk van Laak: Über alles in der Welt, u.a. S. 12-15. 5
L. Schultze: »Südafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 132; S. Passarge: Südafrika, S. 5; E. Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter et al, Das überseeische Deutschland, Band II (1911), S. 99-105.
6
Vgl. K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnis einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 56; L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 22-24.
7
Eine Besprechung kartographischer Forschungsstände wurde ebenfalls gelegentlich mit der Eroberungs- und Erforschungsgeschichte gekoppelt, siehe dazu etwa: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 4. Teil, 1 Hälfte. Die Karte des Ost-Mbamlandes.
8
Fast alle kolonialen Länderkunden begannen mit einer historischen Einführung, siehe dazu die kolonialen Länderkunden von Kurt Hassert, Karl Dove und das von Meyer herausgegebene Deutsche Kolonialreich sowie Passarges Südafrika und das Ostafrikakapitel
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Hans Meyer unterteilte in Das Deutsche Kolonialreich die Geschichte Ostafrikas in zwei historische Phasen: Die internationale Periode der Entdeckungen habe Mitte des 19. Jahrhunderts erst wirklich begonnen, davor sei die »Entschleierung Ostafrikas« über viele Jahrhunderte gänzlich unfruchtbar gewesen. Eine »planvolle Forscherarbeit« habe mit der »Entdeckung« des Kilimandscharo, des Mount Meru und Mount Kenia durch die Missionare Rebmann und Krapf begonnen – »die erste große wissenschaftliche Eroberung in Deutsch-Ostafrika«.9 Während er arabischen Forschungsreisenden die Anerkennung versagte, führte er eine lange Reihe von Namen auf – von berühmten britischen wie von deutschen Forschungsreisenden. Im Anschluss daran folgte eine nationale Forschungsphase, in Meyers Worten die »kolonialen Sturm- und Drangjahre«, die 1884 mit den Aktivitäten Carl Peters und anderer Kolonialpioniere ihren Anfang genommen habe.10 Zwar sei Ostafrika »mit dem Eintritt Deutschlands in die Kolonialpolitik zwischen der Küste und den großen Seen in seinen Hauptzügen« schon bekannt gewesen, doch im Einzelnen habe es noch viel zu »enträtseln« gegeben. Es folgte erneut eine Aufzählung von Forschungsreisen, militärischen Inspektionsreisen, Strafexpeditionen und der »großen Reisen unserer Schutztruppenoffiziere« nach »Beendigung des Küstenaufstandes« ab den 1890er Jahren, die er als entscheidenden Beitrag für die Erweiterung geographischer Landeskenntnisse würdigte.11 Meyers Periodisierung unterstellte nicht, dass es in der internationalen Phase besonders viele multinationale Kooperationen zwischen europäischen Forschungsreisenden in Ostafrika gegeben habe, vielmehr zeugen seine Ausführungen von einem Wetteifern der europäischen Nationen um Entdeckungen im selben Raum, während es für Forschungsreisende nach den Landnahmen schwerer wurde, Zugang zu Regionen zu erhalten, sofern sie nicht der kolonisierenden Nation angehörten.12 Meyers Übersicht suchte den weitreichenden Beitrag der deutschen Forschungsreisenden zur Erforschung von Ostafrika zu verdeutlichen, so dass sich für ihn aus einer kolonialen Logik heraus ein moralischer Anspruch des Deutschen Reiches auf diesen Raum ableitete.
von Erich Obst in Das überseeische Deutschland. Lediglich Karl Dove verzichtete in seinem Kapitel über Deutsch-Südwestafrika auf eine Eröffnung mit der Erforschungs- und Eroberungsgeschichte, abgesehen von wenigen einleitenden Worten; vgl. K. Dove: »Deutsch-Südwestafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, Band I (1911), S. 173-228; E. Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, Band II (1911), S. 97-253. 9
H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 3.
10 Ebd., S. 7. 11 Ebd., S. 9. 12 Ebd., S. 7-16.
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Kein Geograph beschäftigte sich so intensiv mit Kolonialgeschichte wie Kurt Hassert. Ein Leben lang widmete er sich der Erforschungs- und Eroberungsgeschichte, etwa in verschiedenen Antrittsvorlesungen und zwei prominenten Büchern über die europäische Erforschung des Nordpols und Afrikas.13 Auch in Deutschlands Kolonien spielte Geschichte eine wichtige Rolle. Das erste Kapitel war eine Geschichte der deutschen Kolonialpolitik. Zunächst besprach Hassert einen angeblichen »urzeitlichen Wandertrieb der Deutschen«, erwähnte die Kolonialepisoden der Fugger, Welser und anderer Bankhäuser aus deutschen Städten, besprach die kolonialen Abenteuer des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Westafrika und der Karibik und schloss mit der verhinderten Übernahme Samoas und der Gründung der Deutschen Kolonialgesellschaft. Dann wandte er sich den jüngeren Ereignissen der deutschen Kolonisation zu, etwa den Landnahmen in Afrika und listete einige der Verträge auf, in denen das Deutsche Reich über die kolonialen Grenzverläufe mit den anderen europäischen Kolonialmächten übereinkam. Darüber hinaus enthielt auch Hasserts Buch eine Periodisierung der deutschen Kolonialzeit: An den Anfang stellte er eine »Periode des Flaggenhissens«, die mit überraschend schnellen territorialen Gewinnen einhergegangen sei. Eine längere Pause im kolonialpolitischen Vorgehen Deutschlands erkannte Hassert in der Amtszeit des Reichskanzlers Caprivi (1890-1894), die er als planloses Schwanken zwischen Bürokratismus, Assessorismus und Militarismus charakterisierte und die er als eine Zeit kolonialpolitischer »Entsagungen« verstanden wissen wollte. Erst mit der Regierung von Kaiser Wilhelm II. und den Reichskanzlern von Hohenlohe und Bülow habe die deutsche Kolonialpolitik mit neuen Landnahmen im Pazifik und einer als Weltpolitik betriebenen Kolonialpolitik wieder Schwung bekommen.14 13 K. Hassert: Die Erforschung Afrikas; Ders. Die Polarforschung. Geschichte der Entdeckungsreisen zum Nord- und Südpol von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 1902 [bis 1956 aufgelegt]; Ders.: »Brandenburg-Preußen als See- und Kolonialmacht, 1681-1731«, in: Geographische Wochenschrift 3 (1935), S. 905-917; Ders: »Johann Joachim Becher, ein Vorkämpfer deutsche Kolonialpolitik im 17. Jahrhundert«, in: Koloniale Rundschau 1918, S. 148-264; Ders.: »Die Welserzüge in Venezuela: Das erste deutsche überseeische Kolonial-Unternehmen im 16. Jahrhundert«, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 3 (1901/1902), S. 297-317. 14 Obwohl nicht im Detail ausgearbeitet und mit anderem Impetus nahm Hassert eine Dreigliederung der deutschen Kolonialgeschichte vorweg, wie sie bis heute in der Kolonialgeschichtsschreibung noch verbreitet ist, siehe: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 38-52. Bade unterscheidet eine Experimentierphase, eine heroische Phase und die Ära Dernburg; Baumgart die Phasen koloniale Inbesitznahme, eine »Befriedungs-« und eine Reformphase, wobei Horst Gründer und Christoph Marx die zweite Phase treffender als Konsolidierungsphase der Kolonialherrschaft bezeichnen. Trutz von Trotha unterscheidet
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Hassert beschränkte sich nicht auf eine koloniale Vorgeschichte und auf innenpolitische Vorgänge. Jedes Kapitel zerfiel in einen Abschnitt zur »kolonialgeschichtlichen Entwicklung« der Kolonie und eine »Landes- und Volkskunde«, lediglich die Südseekolonien behandelte er in der zweiten Auflage, nachdem er ihnen zuvor schon eine eigene kleine Monografie gewidmet hatte, in einem zusammenfassenden Geschichtskapitel, wie später auch Dove und Schultze.15 Geographen verwendeten die Begriffe Entdeckungsgeschichte, Geschichte der Entdeckung und Eroberungen, Erforschung und Besitzergreifung etc. Trotz der verschiedenen Namen ähnelten sich die Deutungsmuster und Erzählstrukturen im Großen und Ganzen.16 So neigten die Geographen zur Personengeschichte in Form einer Apotheose auf berühmte Forschungsreisende und Kolonialpioniere, die selbst umstrittene Persönlichkeiten verehrte. Carl Peters, Hermann Wissmann, die zahlreichen Offiziere, die das »Hinterland« geographisch erforschten und gewaltsam eroberten, waren die Helden dieser Erzählungen. Pathetisch schrieb Karl Dove in seiner Länderkunde von Ostafrika:17 für Togo eine Phase des punktuellen Terrors in Form von Massakern, eine Phase der »Sesshaftwerdung« von Macht und die letzte Phase der Entfaltung von bürokratischer Macht: T. von Trotha: Koloniale Herrschaft; Winfried Baumgart: Deutschland im Zeitalter des Imperialismus, 1890-1914. Grundkräfte, Thesen und Strukturen, 4. Aufl., Stuttgart 1982; Ders.: »Die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika: Neue Wege der Forschung«, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 58 (1971), S. 468-481; Klaus J. Bade: »Das Kaiserreich als Kolonialmacht: Ideologische Projektionen und historische Erfahrungen«, in: Josef Becker/Andreas Hillgruber: (Hg.): Die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert, Augsburg 1983, S. 91-108, v.a. S. 99; Andreas Eckert: Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 19201970, München 2007, S. 33; Christoph Marx: Geschichte Afrikas. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2004, S. 168; H. Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien, S. 45, 241. 15 Vgl. die erste Auflage von 1898 und die zweite Auflage von 1910 von Kurt Hasserts Deutschlands Kolonien sowie Kurt Hassert: Die neuen Deutschen Erwerbungen in der Südsee. Die Karolinen, Marianen und Samoa-Inseln, Leipzig 1903. Siehe ferner: K. Dove: Die deutschen Kolonien, Band II. Das Südseegebiet und Kiautschou, S. 64-69; Wilhelm Sievers: »Die Schutzgebiete der Südsee«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 301-313. 16 K. Hassert: Deutschlands Kolonien. Hans Meyer und Leonhard Schultze verwendeten in Das Deutsche Kolonialreich den Begriff Entdeckungsgeschichte, Siegfried Passarge: Geschichte der Entdeckung und Eroberung für Kamerun und Geschichte der Entdeckung und Besitzergreifung für Togo. 17 K. Dove: Die deutschen Kolonien, Band III. Ostafrika, S. 7.
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»Für alle Zeiten aber ist mit den hervorragenden Waffentaten der Jahre 1889 und 1890 ein Name verknüpft, dessen Träger unser Volk stets mit Stolz zu den seinigen zählen wird, der Name eines Hermann v. Wissmann, der auf diese Weise mit der tatsächlichen Erwerbung des schönen Landes in demselben Sinne verknüpft ist, wie derjenige des genialen Peters.« In seinen historischen Ausführungen nahm Kurt Hassert den in der Öffentlichkeit als »Hänge-Peters« diskreditierten Kolonisator gegen Anschuldigen in Schutz. So räumte er zwar ein, dass die »Peterschen Verträge« nicht ganz einwandfrei gewesen seien, doch ohne ihn hätte das Deutsche Reich niemals Deutsch-Ostafrika erworben. Es sei damals üblich gewesen, dass auf Alkohol und die Demonstration waffentechnischer Überlegenheit zurückgegriffen wurde. Andere Reisende hätten ebenfalls Verträge abgefasst, die von den »Negern« weder sprachlich noch in der politischen Tragweite verstanden worden seien.18 Selbst Hans Meyer stimmte in die allgemeine Lobhudelei über Hermann von Wissmann ein, trotz persönlicher Differenzen und konträrer Vorstellungen über die Niederschlagung des Aufstands in Ostafrika.19 Eine Kritik an den Kolonialpionieren oder an jenen Offizieren, die aufgrund bekannt gewordener Gewaltexzesse umstritten waren, sucht man in den historischen Ausführungen vergeblich. Ebenfalls stellte man die kolonialen Landnahmen gerne als friedliche Herrschaftsübertragung dar, als hätten eingeborene Häuptlinge geradezu begierig ihr Land den Deutschen überlassen und sich als Untertanen angedient. Die Machtansprüche anderer europäischer Nationen und das ungünstige Klima führten die Geographen gelegentlich als größte Widrigkeiten an. So erweckte Hassert etwa den Eindruck, der »Erwerb« sei nur dann in gewaltvolle Auseinandersetzungen umgeschlagen, wenn Engländer die »Eingeborenen« vorher aufgewiegelt hätten.20 Allerdings ließen sich die vielen Kriege der deutschen Kolonialherren nicht verbergen, noch dazu, da sie den Stoff für Heldengeschichten und einen kolonialen OpferMythos abgaben. Ausführlich behandelte Deutschlands Kolonien die Aufstände und die Kolonialkriege nach der Jahrhundertwende: den sogenannten Araberaufstand von 1888 in Ostafrika, den Kampf der Khoikhoi in Südwestafrika in den 1890er Jahren und die verheerenden Kriege gegen Herero und Nama sowie gegen die
18 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 44-45. 19 Hans Meyer: Manuskript zur Rede bei der Wissmann-Feier der Leipziger Kolonialgesellschaft: »Wissmann als Afrikaforscher« von 1906, IfLA, K. 171/19. 20 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, insb. S. 40-42. Ähnlich sah Jaeger die »Unterwerfung der Eingeborenen« als einen zweiten Schritt an nach Abschluss von Grenzverträgen, vgl. dazu: Fritz Jaeger: »Die Ausbreitung der Kolonialkultur in den deutschen Kolonien«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 505-526, hier S. 511.
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Bevölkerung in Ostafrika und Kamerun. Hassert schilderte den Verlauf und die Kriegsursachen:21 »Die im äußersten Süden der Kolonie wohnenden Bondelzwaart-Hottentotten lehnten sich Ende 1903 aus einem geringfügigen Anlaß auf, sodaß der Gouverneur mit dem größten Teile der Schutztruppe gegen sie abrücken mußte. Diesen günstigen Augenblick benutzten die Hereros zur Ausführung eines streng geheimhaltenen [sic] und schon von langer Hand sorgfältig vorbereiteten nationalen Aufstandes, der nichts geringeres als die Beseitigung der allen Eingeborenen von Anfang an verhaßten deutschen Herrschaft und die Ermordung aller Deutschen bezweckte.« Just im Moment des Kriegsausbruchs verschob sich das historische Narrativ. Hassert wies den Einheimischen plötzlich eine Handlungsmacht zu, die er ihnen sonst in seinen Texten vorenthielt. Die Herero ergriffen in dieser Erzählweise überraschend die Initiative und verfolgten einen ausgeklügelten Plan, um die deutsche Kolonialherrschaft zu bezwingen. Mit dieser rhetorischen Strategie bürdete Hassert den Herero die Schuld an dem Krieg auf und sprach zugleich die deutschen Siedler und die Armee von jeglicher Verantwortung frei. Dadurch wurden die Herero aber zu geschichtsmächtigen Akteuren, was Hassert durch negative Zuschreibungen zugleich wieder zu relativieren suchte. Als verschlagen und rücksichtslos charakterisierte er die Eigenschaften der deutschen Kriegsgegner. Dazu reproduzierte er eine unter Siedlern und in der deutschen Kolonialbewegung verbreitete Mär von den Mordplänen der Herero an allen Weißen, obwohl ihm bekannt sein musste, dass Samuel Maharero, der Chief der Aufständischen, angeordnet hatte, Frauen, Kinder und Missionare zu verschonen.22 Als letzten Grund wollte Hassert nicht das eigenverantwortliche Handeln irgendeiner Seite anerkennen, vielmehr präsentierte er den Kriegsausbruch als natürliche Zwangsläufigkeit:23
21 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 61. 22 Vgl. Gesine Krüger: Kriegsbewältigung und Geschichtsbewusstsein. Realität, Deutung und Verarbeitung des deutschen Kolonialkrieges in Namibia 1904-1907, Göttingen 1999. S. 46-47, 104-115. 23 Eigentlich wanderten die Herero selbst erst im Zuge der Kolonisation der Buren in das Gebiet der späteren deutschen Kolonien, doch nahm Hassert es an dieser Stelle mit ethnographischen Differenzierungen nicht sehr genau, siehe: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 61f. [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift].
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»Die tieferen Ursachen der zu ungeahntem Umfange angewachsenen Empörung liegen in dem großen Naturgesetz, daß in einem armen Steppenlande zwei die gleiche Hauptbeschäftigung – in diesem Falle eine auf weite Räume angewiesene Viehzucht – treibende Völker nicht bestehen können. Das eine muß dem anderen weichen in diesem Kampfe ums Dasein, der in erster Linie ein Kampf um den Raum ist, weil eben der Boden kaum für ein Volk genügende Hilfsquellen besitzt.« Die Konfrontation zwischen »Eingeborenen« und Weißen erschien ihm als unvermeidbares und zwangsläufiges historisches Ereignis, dessen Ursachen und Verlaufsweise auf geographische Faktoren zurückging: auf die Gemengelage von Völkerwanderungen in diesem Raum, einem angeblichen Expansionstrieb der Deutschen und auf Gesetzmäßigkeiten des Bodens. Sozialdarwinismus und Raumdiskurs verbanden sich, wie schon bei seinem Lehrer Ratzel, zu einem Daseinskampf um den Raum. Die Verdrängung der einheimischen Bevölkerung von den besten Weideflächen erschien ihm als nichts anderes als die Zwangsläufigkeit eines universalen Naturgesetzes, wonach das stärkere über das schwächere Volk triumphierte. Soziale und politische Ereignisse fungierten in dieser Darstellung lediglich als Auslöser, die dem Unvermeidlichen zum Ausbruch verhalfen und Konfliktkonstellationen konkretisierten. Gerade Letzteres ließ Hassert nicht ungenutzt, um den politischen Gegner zu desavouieren. So führte er die »Erbitterung« unter den Herero auf »Übergriffe von gewissenlosen Elementen unter den weißen Waffenhändlern zurück und polemisierte gleichzeitig gegen »die falsche Sparsamkeitspolitik des Reichstages« und die in seinen Augen verfehlte Eingeborenenpolitik. Der langjährige Gouverneur Theodor Leutwein sei viel zu sehr auf Verständigung und Zugeständnisse ausgerichtet gewesen, so dass durch den milden Umgang die Herero zum Aufstand ermuntert worden seien.24 Als beklagenswerte Kriegsfolgen erachtete Hassert die Vernichtung von vielen Jahren deutscher »Kulturarbeit« und natürlich die deutschen Verluste, die er getrennt in Offiziers- und Mannschaftsgrade aufführte. Zu den Opferzahlen der Herero und Nama schwieg er, allein die eingesetzte Feuerkraft der Kolonialtruppe verriet, dass sie beträchtlich sein mussten.25 Auf ähnliche Weise präsentierte Hassert den Krieg in Ostafrika, diesmal benannte er Opferzahlen auf beiden Seiten. 75.000 Menschen seien durch »Krieg, Mißernte, Hunger und Seuchen« in den Südbezirken »weggerafft« worden, eine nach neuerer historischer Forschung viel zu geringe
24 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 62. 25 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 64f.
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Schätzung.26 Auch in Ostafrika bediente sich Hassert der Erörterung von Kriegsursachen, um unliebsame Gruppen zum Sündenbock zu machen. Hier waren es das »blutsaugerische Geschäftsgebaren der indischen Kaufleute« und »abergläubische Anschauungen«, die durch eine »sogenannte äthiopische Bewegung« verbreitet worden wären und selbst in Südwestafrika eine Rolle gespielt hätte. Lediglich in dem von der Hüttensteuer induzierten Arbeitszwang benannte er eine mögliche Kriegsursache, die sich die Kolonisierer selbst zuzuschreiben hatten.27 Während Hassert in der zweiten Auflage von Deutschlands Kolonien Kriege zu zentralen Ereignissen der Kolonialgeschichte machte, stellten viele Geographen die koloniale Gewaltförmigkeit auf den Kopf, indem sie Gewalt als eine zeitlose Charaktereigenschaft der Einheimischen beschrieben, während sie in den militärischen Aktionen der deutschen Kolonialtruppen nur Pazifizierungsbemühungen erkennen wollten. Angeblich würde die Präsenz von Kolonialtruppen Krieg und Gewalt verhindern und zur Zivilisierung der kriegerischen »Eingeborenen« führen. Auf den Karolinen war nach Sievers die deutsche Pazifizierung besonders weit fortgeschritten. Wo früher Stammesfehden an der Tagesordnung waren, hätten die meisten Inselbewohner »die Segnungen der Kultur« kennengelernt und wären nun friedlicher geworden. Zwar kämen »Streitereien« zwischen den Stämmen »gelegentlich noch an die Oberfläche«, doch seien sie häufig durch »das Eingreifen deutscher Kriegsschiffe beigelegt« worden. Auch auf der Samoagruppe hätten »kriegerische Eingeborene sich anfangs in beständigen Fehden selbst zerfleischt«, erst durch die koloniale Herrschaft des Deutschen Reiches und der Vereinigten Staaten seien die Konflikte beendet worden. Für die Europäerfeindlichkeit auf Mikronesien machte er die zweihundertjährige spanische Herrschaft und eine mangelhafte Missionstätigkeit verantwortlich, die »den Eingeborenen keine ernstlichen Fortschritte in der Kultur« gebracht habe. Die Missstände auf den melanesischen Inseln, die zuerst von den Deutschen kolonisiert wurden und für die er daher keine andere Kolonialmacht verantwortlich machen konnte, erklärte er damit, dass dort »besonders kriegerische, kräftige und leider auch, wie die Erfahrung gelehrt hat, hinterlistige
26 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 249. Für einen Überblick über verschiedene Schätzungen der Opferzahlen: Ludger Wimmelbrücker: »Verbrannte Erde: Zu den Bevölkerungsverlusten als Folge des Maji-Maji-Krieges«, in: Felicitas Becker/Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch Ostafrika, Berlin 2005, S. 87-99. Siehe auch die Schätzungen Iliffes, der von bis zu viermal so vielen Toten ausgeht: John Iliffe: A Modern History of Tanganyika, 2. Aufl., Cambridge 2004, S. 200. 27 Zu ähnlich pejorativen Darstellungen von indischen Kaufleuten: H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 402.
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Stämme« lebten, obgleich er zugab, dass in früheren Jahrzehnten »Habgier und Rücksichtslosigkeit der Weißen« Feindseligkeiten verursachten.28 Zweifellos hatte es kriegerische Konflikte zwischen Gemeinschaften schon vor der europäischen Kolonialherrschaft gegeben und manchmal mögen sie tatsächlich aufgrund der Anwesenheit des deutschen Militärs abgenommen haben, in erster Linie aber wohl deshalb, weil die einheimischen Gesellschaften es nun mit einem neuen, waffentechnisch überlegenen Feind zu tun bekamen. Häufig waren es gerade die Militärs und Kolonialbeamte, die neue Konfliktlinien erzeugten, indem sie verschiedene Gruppen gegeneinander ausspielten. Besonders geschickt setzten die Kolonisierer diese erprobte politische Strategie des »divide et impera« zur Herrschaftsstabilisierung in Südwestafrika ein, wo sie interethnische Konflikte zwischen Namas und Hereros schürten oder in Kamerun, wo sie Machtambitionen einzelner Clans innerhalb der Duala ausnutzten.29 Ausgerüstet mit schnellladenden Gewehren und Maschinengewehren wählten sie meist die Strategie des Exempels, um mit rücksichtslosen Strafexpeditionen gegen ganze Dörfer vorzugehen, ohne dabei vor Mord an Frauen und Kindern oder vor der Vernichtung von Nahrungsvorräten und Felder zurück zu schrecken. Pazifizierung und Kulturmission waren daher nichts anderes als euphemistische Umschreibungen dafür, dass die einheimischen Gesellschaften in latenter Kriegsgefahr lebten.30 Die Geographen verfassten die Geschichte der deutschen Kolonien als eine deutsche Geschichte auf afrikanischem und pazifischem Boden. Es war eine Geschichte zivilisatorischer Fortschritte und Erkenntnisgewinne, die schon vor den kolonialen Landnahmen mit den Expeditionen unter deutschen Reisenden begann und sich unter der deutschen Kolonialherrschaft um so rascher fortsetzte, um nur durch einzelne Aufstände und Kolonialkriege kurze Rückschläge zu erleiden. Im Vordergrund stand die Wissenschafts- und Militärgeschichte, die chronologisch zentrale Ereignisse der Kolonisierung in den Vordergrund rückte und in der die Namen von Forschungsreisenden, Kolonialpionieren und Offizieren, von Orten und Jahreszahlen zu zentralen Ingredienzen wurden. Insbesondere rekurrierten die Geo-
28 W. Sievers: »Die Schutzgebiete der Südsee«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 486-487. 29 Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2003; Jürgen Zimmerer: Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia, Münster 2001; G. Krüger: Kriegsbewältigung und Geschichtsbewußtsein; Andreas Eckert: Die Duala und die Kolonialmächte. Eine Untersuchung zu Widerstand, Protest und Protonationalismus in Kamerun vor dem Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1991, v.a. S. 114-159. 30 Über das Exempel und die latente Kriegsgefahr: T. von Trotha: Koloniale Herrschaft.
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graphen auf jene Ereignisse und Personen, die bereits in propagandistischen Schriften ausführlich diskutiert worden waren, so dass selbst in Deutschland umstrittene Militärs und Hasardeure in den Geschichtsdarstellungen rehabilitiert und die von ihnen verübten Gewalttaten gerechtfertigt wurden. Teils mögen dafür die extremen politischen Einstellungen der Geographen maßgebend gewesen sein, teils fühlten sie sich diesen Kolonialpionieren durch einen Korpsgeist verpflichtet, da sie sich selbst als Nachfolger ihrer berühmteren Vorgänger sahen. Diese Form der Geschichtsschreibung zielte nicht auf eine ausgewogene Analyse. Ihr Zweck war es, Zustimmung zum deutschen Kolonialismus zu erzeugen. So entstand ein uneingeschränkt positives Bild von der deutschen Kolonisierung, das den Lesern die Mühen, Opfer und Erfolge zu verdeutlichen suchte. Die Geographen füllten die topographischen Räume mit deutscher Geschichte und machten aus einem Stück ferner und fremder Erdoberfläche ein überseeisches Deutschland, das sie dann in ihren Ausführungen über die kolonialen Landschaften genauer erläuterten.
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Wer sich mit der europäischen Eroberungs- und Erforschungsgeschichte befasste, darüber hinaus die Kolonien auch ethnographisch erforschte, der konnte die Geschichte der einheimischen Bevölkerung nicht gänzlich ignorieren. Allerdings erreichte die einheimische Geschichte nicht die Bedeutung, die Geographen ihrer eigenen Geschichte zugedachten. Nur ausnahmsweise schrieben Geographen separate Unterkapitel über die einheimische Geschichte, und wenn sie es doch taten, dann handelte es sich um überwiegend allgemeine Ausführungen über die koloniale Geschichtsschreibung oder um eigenwillige Vergangenheitskonstruktionen, die der Geschichte der einzelnen Völker kaum gerecht wurden.31 Meistens fügten sich die Geschichtserzählungen akzessorisch in die Texte ein und reicherten ethnographische oder wirtschaftsgeographische Ausführungen an. Eine der geographischen Vergangenheitskonstruktionen avancierte jedoch zu einem ethnographischen Leitmotiv, wobei die Relevanz weniger in der Geschichtsschreibung begründet war, als in einem Versuch, die gegenwärtigen Völkerverhältnisse der Kolonien zu ordnen, wie im Kapitel zu den ethnographischen Ordnungsvorstellungen noch gezeigt wird. Wenn Geographen sich mit der Vergangenheit der Kolonisierten befassten, dann waren sie mehr von evolutionistischen Denkweisen aus der Völkerkunde beeinflusst als vom Historismus der Geschichtswissenschaft. Wichtiger Ideengeber war
31 Vgl. etwa S. Passarge: Südafrika, S. 179-189; Ders.: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 451-460; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes, S. 13-21.
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Friedrich Ratzel, der Völkerkunde als Versuch einer Geschichte der ganzen Menschheit verstanden wissen wollte, wie er in seinem gleichnamigen Werk dargelegt hatte, und mit der Unterscheidung zwischen »vernachlässigte[n] tiefere[n] Schichten der Menschheit« und »fortgeschrittenen Völkern« neue methodologische Gräben geöffnet hatte.32 Die Geschichte fortgeschrittener Gesellschaften war für Ratzel eine Kumulation individueller Kulturleistungen, die darauf beruhe, »dass wir mehr gearbeitet, mehr erworben, rascher gelebt, vor allem aber, dass wir das Erworbene bewahrt haben und zu nützen wissen«.33 Die Geschichte der untersten Menschheitsstufe verstand er hingegen als Wiederholung des »Immergleichen«, so dass er die Zeiterfahrungen auf den eigenen Lebenszyklus der Menschen begrenzte: Jedes Geschlecht durchlaufe dieselbe Geschichte, so Ratzel, wodurch der Weltgeschichtsschreiber die einheimischen Völker als geschichtsohnmächtige Akteure präsentierte, die einem natürlichen Rhythmus unterworfen blieben, während Kultur und Aufstieg die Merkmale der europäischen Völker seien. Immerhin gestand er allen Völkern theoretisch die Fähigkeit zu, dass sie alle Durchgangsstadien der Völkerentwicklung durchlaufen könnten, so dass er die Vorherrschaft der Völker Europas nicht als zeitlos erachtete, obgleich Europa trotz mancher anderslautender Bemerkung für ihn den Maßstab für die historische Betrachtung abgab. Ähnlich wie Ratzel verzeitlichte die nachfolgende Generation von Kolonialgeographen kulturelle Unterschiede. Aufgrund von rassischer Differenz hielten sie verschiedene Kulturstufen jedoch für unüberwindbar.34 Walter Behrmann erkannte in den Bewohnern der Sepikregion nichts anderes als Steinzeitmenschen oder Menschen, die einer steinzeitlichen Unkultur angehörten. Einerseits versuchte er damit das Fehlen der Eisenherstellung in der Region hervorzuheben, zugleich ordnete er sie einer anderen historischen Epoche zu.35 Zwar differenzierte er in einem späteren Forschungsbericht zwischen mehreren Kulturstufen, aber an der Klassifikation als
32 F. Ratzel: Völkerkunde, Band 1 (1894), S. 3. Zur Diskussion von Ratzels Bedeutung für die Universalgeschichte: Jürgen Osterhammel: Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaats, S. 151-169, v.a. S. 161. 33 F. Ratzel: Völkerkunde, Band 1 (1894), S. 4. 34 Trotz rassistischer Einstellungen verteidigte Obst später dennoch die Vorstellung einer »Kulturfähigkeit« aller »Rassen«, siehe: Erich Obst: »Die kulturpolitische Bedeutung des deutschen Kolonialbegehrens«, in: Kolonialstudien. Hans Meyer zum siebzigsten Geburtstage am 22. März 1928, Berlin 1928, S. 69-85. 35 W. Behrmann: Der Sepik (Kaiserin-Augusta-Fluss) und sein Stromgebiet, S. 3, 86, 92, 95. In der zweiten Forschungsmonographie engte Behrmann den Begriff der Steinzeit stärker auf die Verwendung eisenloser Materialien ein und sprach von einer metalllosen Zeit, ohne allerdings die frühzeitliche Konnotation aufzugeben: Siehe dazu: W. Behrmann: Das westliche Kaiser-Wilhelms-Land in Neu-Guinea, S. 19.
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Steinzeitvolk sollte er sein Leben lang festhalten.36 Für Siegfried Passarge muteten die Buschmänner und Hottentotten »wie Relikte aus grauer Vorzeit« an, die im Kampf gegen ihre Feinde und die Natur rettungslos dem Untergang geweiht seien.37 Der Hamburger Geograph verstieg sich in seiner Landeskunde von Südafrika sogar zu Analogien zwischen Felszeichnungen von Buschmännern in DeutschSüdwestafrika und südfranzösischen Höhlenzeichnungen. Obgleich er sonst ständig Rassengegensätze anführte, deutete er auf die Möglichkeit, dass »eine solche kleinwüchsige Rasse, als deren letzte Reste die Buschmänner zu betrachten wären, einst bis nach Europa verbreitet gewesen ist«, so dass er die Buschmänner letztlich in das Reich der Frühgeschichte verbannte.38 Diese Perspektive war in der ethnographischen Berichterstattung während der deutschen Kolonialzeit weit verbreitet, wie Johannes Fabian in einer wegweisenden Schrift herausarbeitet, aber es waren gerade die Kolonialgeographen, die ganz erheblich zur Verzeichtlichung von räumlicher und kultureller Differenz beitrugen.39 Zum »hauptsächlichen Grundzug in der Geschichte Afrikas« verklärte Passarge in Das Deutsche Kolonialreich die Völkerwanderung. Ausgangspunkt war die Idee, dass ein ursprünglich menschenleeres Afrika wellenförmig aus dem Mittelmeergebiet und Asien bevölkert wurde.40 Die Elaboration dieses Geschichtsmodells überließ der Hamburger Geograph Hans Meyer, der im ersten Kapitel desselben Buches seine Vorstellungen von der sukzessiven Besiedlung Afrikas ausführte. Ein erster Einwanderungsschub sei in Ostafrika durch kleinwüchsige Menschengruppen erfolgt, aus denen die Hottentotten, Buschmänner und Pygmäenvölker hervorgegangen seien. Ihr Ursprungsgebiet vermutete Meyer in Asien, denn schließlich seien sie »Stammesverwandte der heute noch in Indien, Ceylon und den Andamanen usw. versprengten wollhaarigen Völkersplitter«.41 Ein zweiter Einwanderungsschub sei von den Bantu ausgegangen, die während der Pluvialzeit die Sahara durchquert und sich in mehrere Bevölkerungswellen ausgefächert hätten. Zunächst seien die
36 W. Behrmann: Das westliche Kaiser-Wilhelms-Land in Neu-Guinea, S. 19-23; Ders.: »Beiträge zur Rassenkunde des Innern von Neuguinea (Sepikgebiet)«, in: Kolonialstudien, S. 223-252, hier S. 223; Ders.: »Aus dem steinzeitlichen Dorfe Malu im Innern Neuguineas«, in: Natur und Volk 65 (1935), S. 551-556. 37 Siegfried Passarge: »Die Grundlinien im ethnographischen Bilde der Kalahari-Region«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 20-35, Zitat. S. 20. 38 S. Passarge: Südafrika, S. 179-180. 39 Vgl. Johannes Fabian: Time and the Other. How Anthropology Makes its Object, New York 1983. 40 S. Passarge: »Kamerun«, S. 451 und H. Meyer: »Ostafrika«, S. 70-74, beide in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909). 41 Ebd., S. 71.
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alten Bantu oder Urbantu nach Ostafrika eingewandert, die eigentlich dem »westafrikanischen Kulturkreis« zuzurechnen seien und dort »die wollhaarige Urbevölkerung ausgerottet oder in unzugängliche Berg- und Waldgebiete verdrängt« hätten. Als Ursache für die Bantumigration vermutete Meyer, dass sie aus Nordafrika verdrängt worden seien.42 Der dritte Bevölkerungsschub sei durch Hamiten erfolgt, die noch in prähistorischer Zeit in mehreren Einwanderungsbewegungen aus Arabien über das Rote Meer in die Nilländer eingewandert seien. Zu den Hamiten rechnete Meyer Wahuha und Massai sowie die »Suluaffen«, wie er das Volk in Anlehnung an Ratzel nannte, das seit dem 16. Jahrhundert am unteren Sambesi Sklaven- und Viehraub betreibe und an der Südgrenze Ostafrikas lebe.43 Je nach Raum und Geograph variierte diese Systematik in der zeitlichen Abfolge oder in der Zuordnung einzelner Völker.44 Für seine völkerkundliche Studie über Ruanda und Burundi hielt Meyer an dieser Dreigliederung fest: Auf der untersten Stufe standen die kleinwüchsigen Twa, dann die Hutu und schließlich die Tutsi, deren Ankunft in der Region er entsprechend dem Jahr Null in der Genealogie der herrschenden Tutsidynastie des polnischen Völkerkundlers Jan Czekanowski setzte.45 Durch die Herausgabe des länderkundlichen Standardwerks und durch seine herausgehobene Position in den länderkundlichen Netzwerken und im Verlagswesen war Meyer einer der wichtigsten Popularisierer dieses Geschichtsmodells, das viele Geographen übernahmen. Meyer verknüpfte die Einwanderungstheorie eng mit der physischen Geographie und gelangte auf diese Weise zu detailgeladenen Ausschmückungen der afrikanischen Einwanderungsrouten. Die Völker in Ostafrika hätten sich »ungehindert durch die Natur, über das Inland« bewegt, da der Kontinent nur eine Hochebene sei, die über »einzelne sehr hohe Berge, aber keine Gebirgsketten« verfüge und in der Graswuchs oder lichte Busch- und Baumsteppen dominieren. Nach Süden und Norden sei das Land offen, nur die »Eigenart der Randgebiete im Westen und Osten«, der Zentralafrikanische Graben und der Stufenabfall zum Vorland im Osten beschränke »das Eindringen von außen«, woraus er Völkerbewegungen »haupt-
42 Ebd., S. 71-74. Die Massai wurden in der Ethnographie der Massai von dem Kolonialoffizier Merker als Urjuden bezeichnet, eine Einschätzung, die Geographen gelegentlich mit Relativierungen reproduzierten. 43 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 73f. 44 Vgl. etwa die Ausführungen von Jaeger: Fritz Jaeger: »Deutsch-Südwestafrika,« in: Alfred Hettner (Hg.): Zwölf länderkundliche Studien, Breslau 1921, S. 283-312, hier S. 297f. 45 In Anlehnung an die Genealogie der herrschenden Tutsidynastie des Völkerkundlers Czekanowski datierte Meyer die Einwanderung der Hamiten nach Burundi auf das 16. Jahrhundert, vgl. H. Meyer: Die Barundi, S. 6, 151-165.
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sächlich in meridionaler Richtung« schlussfolgerte.46 Ähnlich schrieb Passarge im Kamerunkapitel über die Einwanderungstheorie: Durch die Natur des Landes seien ganz bestimmte Wanderstraßen vorgeschrieben, glaubte der Hamburger Geographieprofessor, wobei er auf dem afrikanischen Kontinent drei »Einfallspforten« identifizierte: das südwestliche Arabien einschließlich des Horns von Afrika, die Landenge von Suez und die Atlasländer für die Völker, die aus Spanien oder Italien gekommen seien.47 Die Ursachen der Völkerbewegungen leiteten die Geographen aus der Beschaffenheit des Bodens, aus einem angenommenen »Nahrungsmangel, Eroberungslust« oder erzwungenen Ortsveränderungen »durch feindliche Einfälle der Nachbarn« ab und folgten damit jenen Begründungen, die Ratzel bereits in der Anthropogeographie dargelegt hatte.48 Die geographische Forschungsliteratur schmückte diese Modellvorstellungen zunehmend aus. Erich Obst verlor in seinem »Überblick und Geschichte der Besiedlung« im zweiten Band seiner Ostafrikamonografie die Notwendigkeit empirischer Belege völlig aus den Augen. Ausführlich ließ er sich darüber aus, wo die »Aufprallzone« zwischen »den hamitischen Völkerschaften« und »der Masse der Bantuneger« gelegen habe, von wo der »andringende Feind« genaht habe, und Urbevölkerung und Bantu Schutz gesucht hätten. Als Motor der Völkerbewegung sahen Geographen einen unaufhaltsamen Verdrängungswettbewerb zwischen Völkern und Rassen am Werke, den sie zu einem »wilden, blutigen Kampf«, einem »Kampf um Vieh, Wasser und Weide« stilisierten und der für sie auf sozialdarwinistischen Gesetzmäßigkeiten beruhte.49 Die Spekulationen zu einer Einwanderung nach Afrika und später auch zur Besiedlung von Asien und Nordamerika häuften sich um 1910.50 Es ist schwer zu 46 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 70f. [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift]. 47 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 451. 48 Vgl. Friedrich Ratzel: Anthropogeographie, Erster Teil. Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte, 3. Aufl., Stuttgart 1909, v.a. S. 71-134. 49 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 195-209, Zitate S. 196f. 50 Georg Friederici: Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, II. Band. Beiträge zur Völker- und Sprachenkunde von Deutsch-Neuguinea (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 5), Berlin 1912; Ders.: Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, Band III. Untersuchungen über eine melanesische Wanderstraße (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 7), Berlin 1913; Ders.: »Malaio-Polynesische Wanderungen«, in: Georg Kollm (Hg.): Verhandlungen des 19. Deutschen Geographentages zu Strassburg vom 2. bis 7. Juni 1914, Berlin 1915,
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sagen, was dazu führte, dass dieser Narrativ, der auf der Ausarbeitung einer Erzählung aus dem ersten Buch Mose beruhte und die theologische Erdbeschreibung und mittelalterliche Kartographie geprägt hatte, nun seine Wiedergeburt als wissenschaftliche Universaltheorie feiern durfte. Wichtige Stationen der intellektuellen Verbreitung dieses Modells waren der Reisebericht von John Haning Speke, der am Viktoriasee über die asiatische Provenienz hellhäutiger Afrikaner sinnierte, Georg Schweinfurth, der 1891 über den vorderasiatischen Ursprung alter ägyptischer Getreidearten spekulierte und die Verbreitung der Pflanzen im nördlichen Afrika mit der Einwanderung der Ägypter in Verbindung brachte, Friedrich Ratzel, der in einem vielbeachteten Aufsatz nach Analogien zwischen asiatischen und afrikanischen Bögen suchte und Leo Frobenius, der auf Ratzels Überlegungen aufbauend, über einen asiatischen Ursprung der afrikanischen Kultur phantasierte.51 Einen Überblick über die Ideengeschichte des sogenannten Hamiten-Mythos, einem zentralen Element dieser Völkerwandertheorie, gibt der Wiener Ethnologe Peter Rohrbacher in seiner Dissertation, jenseits des besprochenen Quellenkorpus verdienen allerdings die Beiträge von Kolonialgeographen stärkere Berücksichtigung.52 Siegfried Passarge präsentierte 1908 in seiner Länderkunde von Südafrika eine vielbeachtete Karte von den »Wanderstraßen der Völker« mehrere afrikanische Wanderrouten, die ihren Ursprung in Europa und Vorderasien nahmen, die auch Franz Stuhlmann dazu verleitete, frühere Hypothesen aus dem von ihm verfassten S. 198-21. Außerdem: Fritz Krause: »Wanderungen nordamerikanischer Indianer: Ein Beitrag zur Methode der Wanderforschung«, in: Ebd., S. 213-226. Ebenso das Eingangsreferat in die 5. Sitzung von Karl Weule: »Völkerwanderungen in Afrika: Tatsächliches und Methodisches«, Ebd. S. 186-197 sowie auch in: PGM 60 (1914), S. 122-127. 51 Vgl. Georg Schweinfurth: »Aegyptens auswärtige Beziehungen hinsichtlich der Culturgewächse«, in: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 1891, S. 649-669; Friedrich Ratzel: Die afrikanischen Bögen, ihre Verbreitung und Verwandtschaften. Nebst einem Anhang über die Bögen Neu-Guineas, der Veddah und der Negritos. Eine anthropogeographische Studie (Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Band 13), Leipzig 1893, S. 291-346; Leo Frobenius: »Der Ursprung der afrikanischen Kultur«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 33 (1898), S. 111-125. 52 Peter Rohrbacher: Die Geschichte des Hamiten-Mythos, Wien 2002; Michael Spöttel: Hamiten. Völkerkunde und Antisemitismus, Frankfurt a. M. 1996, S. 7-25; Elisabeth R. Sanders: »The Hamite-Hypothesis«, in: Journal of African History 10/4 (1969), S. 521553. Zur Hamitendeutung in der christlichen Kosmographie: Evelyn Edson/Emilie Savage-Smith/Anna-Dorothee von den Brincken: Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt, Darmstadt 2005; Evelyn Edson: Mapping Time and Space. How Medival Mapmakers viewed their World, London 1997.
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Reisebericht von der Emin-Pascha-Expedition weiter auszuarbeiten.53 In seiner 800 Seiten starken Kulturgeschichte Ostafrikas lieferte Stuhlmann einen historisierenden Überblick über Nutzpflanzen und Nutztiere aufgrund einer systematischen Auswertung der europäischen Reise- und Forschungsliteratur. Auf den letzten hundert Seiten befasste sich Passarges neuer Kollege am Hamburger Kolonialinstitut mit der Besiedelung und Eroberung Afrikas sowie mit der Herkunft von Bantu und Hamiten aus Asien. Ausführlich elaborierte er seine Vorstellungen von Wanderungen in Handwerk und Industrie in Ostafrika, das Meyer zum Standardwerk der kolonialen Geschichtsdarstellung verklärte, wobei anzunehmen ist, dass Meyer gleichsam durch Passarge bestärkt wurde, der Einwanderungshypothese in der kolonialen Länderkunde mehr Raum zu geben.54 Obwohl diese Völkerwanderungstheorie in den nächsten Jahrzehnten zu dem vielleicht wichtigsten Erklärungsmodell der Völkerkunde avancierte, neigten die Völkerkundler eher als die Geographen dazu, die Hypothesenhaftigkeit ihrer Annahmen zu betonen. Carl Meinhof und Felix von Luschan klassifizierten zwar in einer vielrezipierten Studie zahlreiche ethnische Gruppen nach linguistischen wie anthropologischen Merkmalen als Hamiten, aber sie benannten Inkonsistenzen in früheren Klassifizierungsbemühungen und Merkmalsvariabilitäten.55 Die Geographen präsentierten die Einwanderungstheorie gemeinhin als gesicherte Tatsache. Meyer berief sich dabei auf Heinrich Schurtz, einem ehemaligen Ratzelschüler und anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der Völkerkunde, der aber in seiner Abhandlung noch deutlich gemacht hatte, dass die Annahme einer asiatischen Einwanderung alles andere als erwiesen war.56 53 S. Passarge: Südafrika, S. 164; Franz Stuhlmann: Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Ein Reisebericht, Berlin 1894, S. 841-851. 54 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Hans Meyer in: Felix von Luschan: »Fremde Kultureinflüsse auf Afrika«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 110-129, hier S. 128. Siehe auch die Anerkennung, die Weule Passarge zukommen ließ: Weule: »Völkerwanderungen in Afrika«, S. 186-197, u.a. S. 187. Ferner siehe auch: Franz Stuhlmann: Beiträge zur Kulturgeschichte von Ostafrika, Berlin 1909, v.a. S. 819-880; Ders.: Handwerk und Industrie in Ostafrika. Kulturgeschichtliche Betrachtungen, Hamburg 1910. 55 Vgl. Carl Meinhof: Die Sprache der Hamiten, Hamburg 1912, siehe ebenso darin das Kapitel: Felix von Luschan: »Hamitische Typen«, S. 241-256. 56 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 71; Heinrich Schurtz: »Afrika«, in: Hugo Winckler et al. (Hg.): Weltgeschichte, Band 3 (Helmolt Weltgeschichte), Leipzig 1901, S. 391-576, insbesondere S. 424-428. Zur Völkerkunde von Schurtz: Thomas Ducks: Heinrich Schurtz (1863-1903) und die deutsche Völkerkunde, Freiburg 1996.
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Erst in der Zwischenkriegszeit begannen die Geographen ihr Geschichtsbild langsam zu überdenken. 1913 hatte der Geologe Hans Reck in der Oludvaischlucht prähistorische Menschenskelette gefunden, berühmtere Funde von Louis Leaky sollten in späteren Jahren folgen, welche die Absurdität der Vorstellung von einem ursprünglich menschenleeren Afrika unterstrichen, obgleich Geographen weiterhin in ihren Länderkunden an der Einwanderungstheorie festhielten.57 Aber immerhin wollte Fritz Jaeger in der 1928 erschienen Neuauflage des Afrikabandes der angesehenen Sieversschen Länderkunde den Kontinent nicht länger als einen »geschichtslosen Erdteil der Naturvölker« ansehen, sondern musste einräumen, dass die geschichtliche Entwicklung Afrikas bis zu den »Urzeiten der Menschheiten« zurückreiche.58 Die Geschichtsschreibung der Geographen blieb nicht auf die Darstellung der einheimischen Völker als Überbleibsel aus der Vergangenheit oder auf ein Modell historischer Völkerwanderungen beschränkt. Manchmal berichteten die Geographen von Begegnungen zwischen einheimischen Bewohnern und europäischen Forschungsreisenden, Missionaren, Kaufleuten und Soldaten in vergangenen Epochen. Es handelte sich dabei um flüchtige Kontakte, wobei sie dem Erstkontakt eines Forschungsreisenden zu einem Volk mit besonderer Aufmerksamkeit bedachten. Zwei weitere Typen der Begegnung sind in der geographischen Literatur enthalten: die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kolonialarmee und einheimischen Völkern und die permanenten Handelsbeziehungen zwischen einheimischen Zwischenhändlern und europäischen Kaufleuten. Der erste Typus bestand im Wesentlichen in einer kurzen Rekapitulation vergangener Militäroperationen der deutschen Kolonialarmee, der zweite verdeutlichte etwas ausführlicher die koloniale Wirtschaftsgeschichte: So beschrieb sowohl Meyer als auch Passarge die koloniale Transformation der Handelsbeziehungen in Ostafrika und Kamerun. Der Leipziger Geograph betonte, dass der ostafrikanische Handel vorwiegend auf der Sklaverei beruhe. Passarge verwendete den Begriff des Sperrhandels, um das territoriale Zwischenhandelsmonopol in Kamerun als illegitim zu kennzeichnen und seine Beseitigung durch die deutschen Kolonialbehörden mit militärischen Mitteln zu rechtfertigen.59 Was Geographen als Fortschritt präsentierten, war nichts anderes als ein Nullsummenspiel: die Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen zulasten des Niedergangs der einheimischen Wirtschaft, was beide Geographen zu positiven
57 Hans Reck unternahm 1913 eine Expedition in die Olduvai-Schlucht und knüpfte an frühere fossile Knochenfunde von Krattwinkel an. 58 Fritz Jaeger: Afrika (Allgemeine Länderkunde), 3. Aufl., Leipzig 1928, S. 63. 59 Vgl. S. Passarge: Adamaua, S. 520-526; Ders.: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 534-542. Zu Meyers Ausführungen: Meyer, »Ostafrika«, in Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band, S. 78f.
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Errungenschaften erklärten. Oftmals bildete diese koloniale Beziehungsgeschichte in erster Linie eine Kontrastfolie für die geschichtsmächtigen Taten deutscher Eroberer und Forschungsreisenden, ohne dass sich die Geographen bemühten, über die Handlungsmotive und Auswirkungen auf einheimische Gemeinschaften auf der anderen Seite zu reflektieren. Ethnographische Beschreibungen enthielten häufig verstreute Informationen über die Geschichte der Gemeinschaften. Als Quelle dienten ältere Reiseberichte, da Forschungsreisende in vorkolonialen Zeiten der Geschichte noch ein größeres Interesse entgegen brachten, mitunter damals sogar Abschriften von islamischen Chroniken angefertigt hatten.60 Dieses Vorgehen fand in der Kolonialzeit nur wenige Nachahmer, wobei es den Geographen sowohl am Interesse als an der Sprachkompetenz mangelte. Passarge fühlte sich in seinem Adamauawerk bemüßigt darauf hinzuweisen, dass Forschungsreisenden der Zutritt zu Archiven angesichts des Misstrauens der »in ihrer Selbsttätigkeit bedrohten Sudanfürsten« nun verwehrt sei, provozierte damit aber den Widerspruch von Gottlob Adolf Krause, der darin eine nachvollziehbare Reaktion der von den Kolonisatoren bedrohten Gemeinwesen erkannte und in einer vermutlich auf Passarge bezogenen Kritik die Kooperationsverweigerung verteidigte.61 Die islamischen Gesellschaften erschienen den Geographen als geschichtsmächtige Akteure, da sie darin eine dem europäischen Staatenwesen anverwandte Organisationsform erkannten. Allerdings datierten sie die islamischen Gesellschaften auf das europäische Mittelalter zurück und setzten ihre Gesellschaftsordnung mit dem europäischen Feudalismus gleich. Das Hegelsche Diktum von der Geschichtslosigkeit schriftloser Gemeinschaften zeigte ebenfalls noch Wirksamkeit: Dove glaubte etwa, in Ostafrika habe es vor der deutschen Landnahme lediglich eine partielle »geschichtliche Entwicklung« gegeben, die sich allein in der Entstehung von Besitzverhältnissen geäußert habe.62 In der Länderkun-
60 Christoph Marx: »Die ›Geschichtslosigkeit Afrikas« und die Geschichte der deutschen Afrikaforschung im späten 19. Jahrhundert«, in: Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin (Hg.): Geschichtsdiskurs. Die Epoche der Historisierung, Band 3, Frankfurt a.M. 1997, S. 272-28, v.a. S. 272. 61 S. Passarge: Adamaua, S. 511 sowie P. Sebald: Malam Musa, Gottlob Adolf Krause, 1850-1938, S. 45f. 62 K. Dove: Die Deutschen Kolonien, Band II. Ostafrika, S. 5. Generell zur Geschichtslosigkeit in Forschungsberichten über Afrika: Eckhardt Fuchs/Benedikt Stuchtey (Hg.): Across Cultural Borders. Historiography in Global Perspective, Boston, 2002, siehe insbesondere den Beitrag von Andreas Eckert: »Historiography on a ›Continent without History‹: Anglophone West Africa, 1880s-1940s«, S. 99-118, hier S. 100 sowie Eckhardt Fuchs: »Introduction: Provincializing Europe: Historiography as a Transcultural Concept«, S. 1-26, v.a. S. 4.
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de Kameruns wollte er bei den »Stämmen der Küste und des Südens« nicht »von einer Geschichte in unserem Sinne« sprechen, da es lediglich im Norden der Kolonie eine »Entwicklung wirklicher Eingeborenenstaaten« gegeben habe.63 Franz Thorbecke wollte zwar nicht negieren, dass Kamerun über eine ältere Geschichte verfüge, aber er stellte fest, dass in der Hauptsache »nur die letzte Phase ihrer Geschichte vor der deutschen Besitzergreifung wirklich lebendig geblieben« sei, eine Phase, die mit dem »Einfall der Fullah« begonnen habe, und die »das Gedächtnis an die früheren Ereignisse zum größten Teil durch diese letzte ausgelöscht« habe.64 Meyer hielt es für notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Geschichte der Barundi »für uns erst mit der Mitte des 19. Jahrhunderts« beginne, als die Araber bis Udjidji vorgedrungen seien und wir die ersten Nachrichten über Urundi und seine Bewohner, durch die Reisenden Burton und Speke, später durch Livingstone und Stanley erhielten. »Alles was davor liegt, kennen wir nur bruchstückweise aus der Tradition der Eingeborenen und zwar nur des Teiles der Eingeborenen, der erst vor wenigen Jahrhunderten eingewandert ist.«65 Unterwegs in den Kolonien vergaben Geographen gute Gelegenheiten, mehr über die Geschichte der einheimischen Gesellschaften zu erfahren. Die Anhaltspunkte für eine Geschichte seien »spärlich und bestehen nur zum kleinsten Teil aus schriftlichen Überlieferungen« schrieb Passarge in Das Deutsche Kolonialreich, so dass man genötigt sei, auf mündliche Überlieferungen zurückzugreifen, »die ja bekanntlich recht trügerisch sein können und überdies häufig in ein sagenhaftes Gewand gehüllt« seien.66 In Adamaua erzählte er, wie er einen Sänger, der das Lager seiner Karawane besuchte, vertreiben ließ. Später gab es einen weiteren Vorfall. Angehörige seiner Expedition misshandelten und demütigten einen wandernden Gelehrten.67 Allerdings pflegten vor allem in Westafrika die »Griots« das kulturelle Gedächtnis der schriftlosen Gemeinschaften, indem sie mit musikalischer Begleitung die Geschichte jener Räume erzählten.68 Obgleich Passarge seinen Reisebericht hin und wieder mit historischen Informationen zu politischen Konstellationen
63 K. Dove: Die Deutschen Kolonien; Band I, Togo und Kameruns, Leipzig 1909, S. 38f. 64 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des OstMbamlandes, S. 12. 65 H. Meyer: Die Barundi, S. 151 66 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer , Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 451. 67 S. Passarge: Adamaua, S. 70, 79-80. 68 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 6. Aufl., München 2007, S. 53f. Speziell zu Griots: Hauke Dorsch: Popkultur, Panafrikanismus und Griots: Die afrikanische Diaspora, in: Periplus: Jahrbuch für außereuropäische Geschichte 14 (2004), S. 31-59, v.a. S. 52-54.
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anreicherte, ließ er sich selbstverschuldet die Chance entgehen, mehr über die Geschichte Adamawas aus Gesprächen mit den Wissensbevollmächtigten zu erfahren. Die Geographen zeigten sich ignorant gegenüber den Erzählformen, Rezitationen, Tänzen und Gesängen der afrikanischen wie der pazifischen Gemeinschaften, denen sie allerhöchstens als geistige Kulturleistungen einen Wert zusprachen, aber nicht als Vehikel, um Geschichte zu meistern.69 Die Thorbeckes bemühten sich immerhin, durch ihre Dolmetscher etwas über die »oral history« der Einheimischen zu erfahren, aber Außenseiter wie G.A. Krause zeigten, dass es immer noch möglich war, mit islamischen Quellen zu forschen, wenn man über die Sprachkompetenz, das Einfühlungsvermögen und das historische Erkenntnisinteresse verfügte. Insofern diente den Geographen das Misstrauen der einheimischen Bewohner wohl primär dazu, die eigene Untätigkeit hinsichtlich der Erforschung der einheimischen Geschichte zu kaschieren. Der Vorwurf der Geschichtslosigkeit trifft daher eher auf die Geographen selbst zu als auf die einheimischen Völker. Allerdings bemühten sie sich noch mehr als die Wissenschaftler der meisten Disziplinen um die einheimische Geschichte, ließen dafür aber die nötige historische Sensibilität vermissen.
K OLONIALE L ANDSCHAFTEN Ausführlich widmeten sich die Geographen der Erforschung der kolonialen Landschaften. Unterweges in der Kolonie machten sie topographische Aufnahmen, zeichneten Profile der Berge und Täler, bestimmten Höhen und Hangneigungen, beschrieben Geländeformen und die vorherrschenden Pflanzenarten. Sie entwickelten Hypothesen über die Genese von Oberflächenstrukturen, kategorisierten sie nach Typen, die sie aus der Literatur oder aus anderen Räumen kannten und stritten mit ihren Kollegen und anderen Fachwissenschaftlern über Terminologien. Sie spürten tektonische Verwerfungslinien und Grabenbrüche auf, bestimmten die Abfolgen von Deckschichten über kristallinen Grundgebirgen oder suchten nach Erklärungen, warum Berghänge in den Tropen steiler als in anderen Klimazonen waren.70 Das war nur ein Bruchteil der Forschungsfragen, denen Geographen in den
69 V.Y. Mudimbe/B. Jewsiewicki: »Africans’ Memories and Contemporary History of Africa«, in: Dies. (Hg.): History Making in Africa, Middleton 1993, S. 1-11, hier S. 3. Außerdem die Diskussion bei Frederik Cooper: »Africa’s Past and Africa’s Historians«, in: African Sociological Review 3/2 (1999), S. 1-29. 70 Vgl. H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, zu den Virungavulkanen S. 27, 31, zur Bruchstufe und dem Zentralafrikanischen Graben, S. 6-8. Siehe ebenso: Ders.: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich Erster Band (1909), S. 283; Carl Uhlig: »Beiträge zur Kenntnis der Geologie und Petrographie
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Kolonien nachgingen. Anstatt nun diese Beschreibungen und Erklärungsversuche ausführlich zu wiederholen, wird versucht, typische Darstellungsweisen aufzuzeigen und zu ergründen, warum die Geographen eben so über die kolonialen Landschaften schrieben. Zwar überwog in Forschungsberichten und Länderkunden mehr die Beschreibung als die Analyse, aber keines der beiden Genres ging oberflächlich über große Räume hinweg. Als Freunde des räumlichen »Fine-Tuning« versuchten Kolonialgeographen, die spezifischen Ausprägungen einer jeden Landschaft zu erfassen, wie sie etwa Meyer in Das Deutsche Kolonialreich in einer mustergültigen Darstellung der ostafrikanischen Landschaften vorgelegt hatte. Zunächst bezog der Leipziger Geograph die typische Abfolge des länderkundlichen Schemas auf die gesamte Kolonie, dann wiederholte er diesen Vorgang für jede Landschaft nach dem gleichen Verfahren, bis die Kolonie schließlich in vier Ebenen gegliedert war. Ostafrika bestand demnach aus vierzehn Landschaften, von denen einige nochmals in fünf Landschaften zerfielen, die er dann abermals in bis zu fünf Landschaften unterteil-
Ostafrikas: I. Überblick über den Aufbau Ostafrikas zwischen dem Victoriasee und der Küste des Indischen Ozeans, besonders längs der Uganda-Eisenbahn«, in: Centralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1912, S. 559-568; K. Hassert: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, S. 7-14; L. Waibel: »Gebirgsbau und Oberflächengestalt der Karrasberge in Südwestafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 33 (1925), S. 2-38, 81-114. Zur Hangneigung in den Tropen: Siegfried Passarge: »Geomorphologische Probleme aus Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 448-465, v.a. S. 457f. Zum Meru und Fragen der geomorphologischen Terminologie: Fritz Jaeger: »Der Meru«, in: GZ 12 (1906), S. 241-252, v.a. S. 243-245; Ders.: »Krater, Baranco: Eine Bemerkung zur morphologischen und vulkanologischen Nomenklatur«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 336-339. Zur Kritik am Calderabegriff: Curt Gagel: »Über die Bezeichnung der vulkanologischen Kesseltäler und Schluchten«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908 S. 481-483. Für eine erneute Erwiederung auf Gagel: Fritz Jaeger: »Bemerkungen zu den Ausführungen von Dr. C. Gagel«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 483-484. Siehe auch den »Diskutier-Abend« in der Fachsitzung vom 20.10.1908 in der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin: »Die Schmelzformen des Firns im tropischen und subtropischen Hochgebirge« mit Beiträgen von R. Hauthal über die Anden Argentiniens, Hans Meyer über die Anden in Ecuador sowie Fritz Jaeger üben den Kilimandscharo, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 95-115; Fritz Klute: Ergebnisse der Forschungen am Kilimandscharo, 1912, Berlin 1920; Ders.: Der Kilimandscharo. Ein tropischer Riesenvulkan, und seine Vergletscherung einst und jetzt (Geologische Charakterbilder, 36), Berlin 1929.
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te.71 Andere Geographen folgten Meyers Beispiel: Leonhard Schultze unterschied im gleichen Werk Deutsch-Südwestafrika in sechs Landschaften: einen Küstenstreifen, das Groß-Namaland, Damaraland, Kakaoveld, Amboland und die Kalahari, wobei Relief, geologischer Unterbau, Klima und die Verbreitung der einheimischen Bevölkerungsgruppen der Raumgliederung als wichtigste Kriterien zugrunde lagen.72 So zerfiel das Damaraland als Hochgebiet des zentralen DeutschSüdwestafrikas in das »Bergland des Aufstieges«, die zentralen Gebirgsmassive und die Berginsellandschaft. Die Kalahari als zentrales Becken im südlichen Afrika gliederte Schultze zunächst in einen britischen und deutschen Teil, den er dann nach Wasserversorgung und Besiedlung weiter ausdifferenzierte.73 Auch in anderen Schriften griffen Geographen auf dieses Verfahren zurück, das sie auf der ersten Maßstabsebene der Großlandschaften gerne übersichtlich in Karten darstellten.74 Aus wie vielen Landschaften eine Kolonie bestand, darüber existierten divergierende Ansichten. Passarge unterschied drei Hauptlandschaften in DeutschSüdwestafrika, genauso wie sein ehemaliger Assistent Erich Obst. Bei Karl Dove waren es hingegen vier, während Fritz Jaeger die Kolonie in 29 gleichberechtigte Landschaften gliederte.75 Wenn Geographen den kolonialen Raum ordneten, dann orientierten sie sich in der Regel an der Vorstellung von natürlichen Landschaften. Meist stützten sie sich auf eine Kombination von Merkmalen: Klima, Vegetation und einheimische Siedlungsgebiete und ganz besonders auf die Geologie und das Relief. Allerdings basierten die Raumordnungsentwürfe auf flexiblen Kriterien, die manchmal sehr pragmatisch gehandhabt wurden. Meistens ragten die natürlichen Landschaften in die Nachbarkolonien hinein (und etwa nicht die natürliche Landschaft der Nachbarkolonie in die eigene Kolonie), gelegentlich schienen die politi71 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 84374 sowie die Oro-Hydrographische Karte von Deutsch-Ostafrika im Anhang. 72 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 176-271. 73 Ebd., S. 256-264. 74 Vgl. etwa: W. Behrmann: Das westliche Kaiser-Wilhelms-Land in Neuguinea, u.a. die Karte mit Landschaftsgliederung auf S. 25. 75 S. Passarge: Die Kalahari; Ders.: »Die Grundlinien im ethnographischen Bilde der Kalahari-Region«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 21; Erich Obst: »Südwestafrika: Deutsche Leistungen im Lande der Wüsten und Steppen«, in: Geographische Wochenschrift 2 (1934), v.a. S. 646; K. Dove: »Deutsch-Südwestafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, Band I (1911), S. 173-228; Fritz Jaeger: »Die landeskundliche Erforschung Südwestafrikas während der deutschen Herrschaft«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1924 zu Berlin am 17. und 18. September 1924, Berlin 1924,S. 511.
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schen und natürlichen Grenzen zusammenzufallen. Besonders in der Feingliederung rekurrierten die Geographen oft auf Bezirksgrenzen, anderseits erschienen ihnen politische Grenzen nicht selten als schlecht gezogen und ungeeignet. Hin und wieder nahm die Landschaftsgliederung ihren Ausgang in der alltäglichen Geographie der einheimischen Bewohner, aber auch daraus ergaben sich Schwierigkeiten. Denn in der Regel besaßen diese keine klaren Grenzen und oftmals handelte es sich um Bezeichnungen, die nicht selten von der Küstenbevölkerung stammten und mit den Ortsnamen der dort lebenden Bevölkerungsgruppen nichts zu tun hatten.76 Gemeinhin war diese Regionalisierung wenig transparent, weder die Kriterien noch Verfahren wurden benannt, stattdessen sollte ein Hinweis auf die vom Geographen selbst gemachten Beobachtungen und seine Fachkompetenz genügen. Wie schwierig und schwammig Grenzziehungen waren, belegt eine seltene Reflexion über natürliche Grenzziehungen von Siegfried Passarge:77 »Bei der Darstellung eines größern, nicht einheitlichen Gebiets sieht die moderne Geographie eine Hauptaufgabe darin, die natürlichen Landschaften herauszuarbeiten, d.h. diejenigen Regionen, die nach Bodenbeschaffenheit und Klima, nach Pflanzen- und Tierwelt, und bezüglich der Menschen und ihrer Kultur gleichartige Verhältnisse aufweisen. Die Aufgabe des Geographen ist es, innerhalb der natürlichen Landschaften gesetzmäßige Anordnung der verschiedenen Elemente des Landes und seiner Lebenswelt zu erforschen und darzustellen und ferner das gegenseitige Verhältnis der natürlichen Regionen zu erkennen. Diese Aufgabe ist leicht zu definieren, stößt aber bei der Ausführung auf erhebliche Schwierigkeiten, die der Geologe, Zoologe, Botaniker, Ethnograph usw. garnicht kennen. Sie haben nämlich nur ein Objekt zu behandeln, der Geograph muß viele gleichzeitig beachten. Nun zeigt es sich bald, daß oft, ja fast stets orographische, geologische, klimatologische, botanische, zoologische, ethnographische Gliederungen gar nicht übereinstimmen. Jeder der verschiedenen Gegenstände verlangt eine besondere Einteilung. Da ist es denn die Aufgabe des Geographen, abzuwägen und Mittelwege zu finden, die zu einem befriedigenden Resultat führen.« Passarge erachtete die Landschaftsgliederung als ein elaboriertes Verfahren, das er in den folgenden Jahren weiter operationalisierte, um zwischen den Geofaktoren
76 Vgl. dazu: Paul Sprigade: »Begleitworte zu der Karte am südlichen Tanganjika- und Rukwa-See«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 17 (1904), S. 97f. 77 Siegfried Passarge: »Die natürlichen Landschaften Afrikas«, in: PGM 54 (1908), S. 147160, 182-188, Zitat, S. 147.
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möglichst Übereinstimmungen zu erzielen.78 In den Kolonien kam dies kaum zur Anwendung, damals überwogen pragmatische Lösungen. Bereits im Kamerunkapitel in Das Deutsche Kolonialreich beschrieb er die Landschaftsgliederung als einen aktiven Vorgang, sprach vom »Herausarbeiten natürlicher Landschaften«, von Abwägungen, die zu treffen seien und von Operationen, die bisweilen Zusammengehörendes trennten und Gegensätzliches vereinigten.79 Die Raumgliederung war den Kolonialgeographen mehr Mittel als Zweck, um die geographische Vielgestaltigkeit der Kolonien herauszuarbeiten. Anstatt die Verfahren immer weiter zu verfeinern, waren sie damit beschäftigt, die Räume und Geländeformen zu beschreiben, zu vermessen und Erklärungen dafür zu finden, durch welche Kräfte sie ihre Gestalt erfahren haben.80 Aber die unterlassene Begriffsbestimmung einer zentralen Kategorie führte zu Ungereimtheiten. Geographen verbanden »Landschaft« mit verschiedenen Bedeutungsinhalten und benutzten den Terminus nicht stringent. Besonders deutlich wird die Mehrdeutigkeit des Landschaftsbegriffs in Kurt Hasserts Beschreibung des damals als Ndüsee bezeichneten Lake Nyos. Im Reisebericht war es »eine schwer wegsame Granitlandschaft«, die Hassert auf dem Weg zum See durchquerte, im Forschungsbericht hingegen handelte es sich um eine »alte Denudationslandschaft«.81 Es ist dieselbe Landschaftskonzeption, die Hassert hier seinen Ausführungen zugrunde legte, einen landschaftlichen Idealtypus, der aus Merkmalen bestand, der auch auf diese Weise in anderen Räumen auftreten konnte, wobei Hassert einmal den Granit in den Vordergrund stellte, das andere Mal den geophysikalischen Prozess der flächenhaften Erosion, der nur noch das nur schwer abzutragende Grundgebirge aus Granit übrig gelassen hätte. In seinen weiteren Ausführungen kam Hassert darauf zu sprechen, dass der See in der »Landschaft Nios« läge, also einem einzigartigen Raum in Nordwest-Kamerun, während er im Forschungsbericht einen dritten Landschaftsbegriff evozierte:82
78 Siegfried Passarge: »Physiogeographie und Vergleichende Landschaftsgeographie«, in: MGGH 27 (1913), S. 119-151. 79 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 543. 80 Vgl. dazu etwa: Alfred Hettner: »Über den Begriff der Erdteile und seine geographische Bedeutung«, in: Kollm, Verhandlungen des 10. Deutschen. Geographentages zu Stuttgart am 5., 6. und 7. April 1893, (1893), S. 193. 81 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 25f.; Ders.: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, S. 43f. 82 Der Maarsee wird heute als Lake Nios bezeichnet. Am 21. August 1986 machte der See weltweit Schlagzeilen, nachdem 2.000 Menschen nach einer Gaseruption erstickten. K. Hassert: Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, S. 43f.
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»Er ist ein höchst eigentümliches Gebilde, das mit über 208 m Tiefe zu gleich den tiefsten Binnensee Kameruns darstellt. Die breit und tief ins Plateau eingesenkte Wasserfläche gewährt in dem endlosen Auf und Nieder der granitischen Rücken und Mulden einen landschaftlichen Ruhepunkt, der durch seine überraschende Erscheinung und die malerischen Schönheiten seiner Ufer selbst meinen stumpfsinnigen Trägern einen Ruf des Erstaunens entlockte.« Hassert bemühte die Kontemplation der Landschaft just zu dem außergewöhnlichen Moment, als der See zum ersten Mal in den Blick kam. Was unter einem landschaftlichen Ruhepunkt genau zu verstehen ist, ließ der Kölner Geograph im Unklaren. Es war rhetorisch geschickt, wie Hassert seine Träger als Kronzeugen für den Kontrast zwischen See und Umland instrumentalisierte und dadurch verstärkte, dass er seinen afrikanischen Helfern sonst die Fähigkeit zur Gefühls- und Landschaftswahrnehmung absprach.83 Dass die Metapher gut gewählt war, kann bezweifelt werden, schließlich hätte ein Leser und Betrachter von Hasserts Fotografien die abgerundeten Hügel des Kameruner Grashochlandes ebenso mit Ruhe in Verbindung bringen können. Alles in allem lassen sich die Landschaftsdarstellungen auf drei grundlegende Landschaftskonzeptionen zurückführen, die Kolonialgeographen selbst begrifflich nicht voneinander trennten. Landschaft war ein Raum mit einem vorherrschenden geographischen Merkmal, der es möglich machte in verschiedenen Weltregionen ähnliche Landschaftstypen zu unterscheiden; Landschaft war ein Erdausschnitt, der einzigartig war – ein Raumindividuum – und Landschaft war eine ästhetische Kategorie der szenischen Beschreibung, die vornehmlich die subjektiv erlebten visuellen Sinneseindrücke in den Vordergrund rückte. Die Beobachtung der Landschaft aus der Höhe war eine zentrale Forschungspraxis der Geographen. Aber hinter einer Landschaftsbeschreibung von einem Aussichtspunkt konnte sich auch ein literarisches Stilmittel verbergen. Nach dem Übersetzen über den Kagera am 12. Juli 1911, des Grenzflusses zwischen der direkt verwalteten Kolonie Deutsch-Ostafrika und des nur durch einen kaiserlichen Residenten beeinflussten Ruanda, bekam Meyer erstmals nach Besteigen eines flußnahen Höhenrückens das Zielgebiet seiner Expedition zu Gesicht: »Hoch oben wallen über dem Kageratal weiße Gewitterwolken zusammen, aber sie zerfließen leider wieder. Hohe Cirrusstreifen ziehen von N nach S. Großartiger Überblick über das stille Papyrusmeer nach Osten bis zum fernen blanken Spiegel des Rugascha«, so lautete der Eintrag in das Expeditionstagebuch, anders hingegen lauteten seine
83 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 25f. vgl. Ders.: »Seestudien in Nord-Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges, f. Erdk., Berlin 1912, S. 7-41, 135-144, 203-216, hier S. 204.
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Worte im Reisebericht.84 Im Reisebericht schilderte Meyer die Aussicht in ganz anderen Worten:85 »Oben öffnet sich der Ausblick auf eine terra incognita, ein großes Plateauland mit vorwiegend horizontalen Profilinien. Aus der Plateaumasse, die wie die östlicheren, durchwanderten Gebiete aus Tonschiefern und Quarziten aufgebaut ist, hat die Erosion weite Täler mit mäßigen Abhängen herausgeschnitten, so daß lauter lange und breite Plateaurücken entstehen. [...] Alles ist mit Gras bewachsen, Büsche und Bäume sind Seltenheit, und auf den flachen Hügelrücken liegen zerstreut die von Baumeuphorbien umzäunten Gehöfte der alteingesessenen Bantu-Bevölkerung, der Wahutu und ihrer später eingewanderten hamitischen Herren der Watussi. An die Gehöfte schließen sich die sehr sauber gehaltenen Felder von Sorghumhirse, Bananen, Bataten, Bohnen u.s.w. in oft weiter Ausdehnung an. Auf den grasigen Hängen weiden zahlreiche Herden der imposanten großhörnigen Rinder, die von den Watussie-Eroberern aus ihrer nördlichen Urheimat mitgebracht worden sind, und kleine Herden von Ziegen und Schafen.« Der Höhenrücken, den die Karawane beschritt, zog sich 30 Kilometer bogenförmig um den Kihondosee, so dass sich die von Meyer beschriebene Aussicht von dem 300 Meter hohen Plateaurand aus vielen Fernsichten zusammensetzte. Zugleich enthielt sie Deutungen, die durch Beobachtung aus der Ferne überhaupt nicht einsichtig waren, sondern die der Leipziger Geograph wohl aus Gesprächen und der Lektüre gewonnen hatte. Meyer inszenierte sich selbst als einen allwissenden Beobachter, der mit scharfem, durchdringenden Blick Ruanda wie eine Landkarte überschaute und in die Geheimnisse des Landes eindrang. Die Ausführungen über die Aussicht im Reisebericht spiegelten daher keine Beobachtung oder genaue Wiedergabe eines Ereignisses auf der Expedition wieder. Die Aussicht war zu einem literarischen Motiv geworden.
K ULTURWERTE
DER
L ANDSCHAFT
Es war unerheblich, ob sich Oberflächenformen in den Kolonien oder in anderen Räumen befanden. Die Negation kolonialer Eigenschaften der physischen Natur,
84 H. Meyer: Tagebucheintrag, 12..07.1911, in: R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 79 [Hervorhebung im Original mit Unterstrich]. 85 H. Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1912, S. 110.
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wie sie Jaeger und Meyer in ihren Antrittsvorlesungen postulierten, war plausibel, wenn man sie auf die Geomorphologie begrenzte.86 Doch Geographen begnügten sich nicht mit der detailgetreuen Beschreibung von Geländeformen und der Suche nach universalen Gesetzmäßigkeiten. Bereits die Landschaftsbeschreibungen enthielten Bewertungen der kolonialen Nützlichkeit, die dann auch Grundlage für die Analyse von ethnographischen und ökonomischen Verhältnissen wurden. Leonhard Schultze ließ sich zu Beginn seines Kapitels in Das Deutsche Kolonialreich über die physikalischen Grundbedingungen des südwestafrikanischen Lebens aus. Anhand der einzelnen Landschaften wollte er zeigen, wie die physischen Eigenschaften im Wechsel der atmosphärischen Zustände und Bodengestaltung verschiedentlich zusammentreten, sich gegenseitig beeinflussten und die Daseinsbedingungen der Lebewesen bestimmen. Eine Höhenschichtenkarte skizzierte das Relief, dann folgten Übersichten über Fließgewässer, Temperaturverläufe, Luftdrucke, Winde und Niederschlagsverhältnisse, wobei er betonte, dass ihm die kolonisatorische Bedeutung dieser Geofaktoren wichtiger sei als die Klärung erdgeschichtlicher Streitfragen.87 Landschaftsbeschreibungen tangierten immer wieder die koloniale Eignung der Räume: Wo konnten entlang der Küstenlinie Häfen angelegt werden, wo ließen Täler die Bewirtschaftung mit Vieh oder den Anbau von Feldfrüchten zu, wie war es um die Schiffbarkeit von Flüssen oder um Mineralvorkommen bestellt? Ganz besonders achteten sie auf die Vegetationsverhältnisse, ob Bergländer und Hochebenen sich als Plantagengebiete eigneten und wo in den Kolonien große Bestände von wildwachsenden Ölpalmen, Kautschuk, Kokospalmen oder Kolanüssen für eine intensivere Bewirtschaftung zu finden waren.88 Diese Themen wurden in 86 H. Meyer: »Inhalt und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, in: Koloniale Rundschau 1915, S. 318; F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 403. 87 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich; Zweiter Band (1910), S. 140-154. 88 Über die Eignung von Küstenabschnitten als Häfen: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 367, 376; H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsches Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 86, 99-120; S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 545; L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 1-22; Ders.: »Südwestafrika«, in, Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band, S. 176; K. Dove: »Deutsch-Südwestafrika«, in: ,et al., Das überseeische Deutschland, Band I (1911), S. 177-178. Zur (Un-)Brauchbarkeit von Räumen für den Plantagenbau: H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 133, 137. Über Gunsträume der Viehwirtschaft: S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 551. Zur Schiffbarkeit von Flüssen: Ebd., S. 554; Ders.: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 24. Zur
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den Landeskunden sowohl in den Kapiteln zu einzelnen Landschaften als auch in jenen zu Vegetationsverhältnissen und der Kolonialwirtschaft behandelt, aber auch viele Forschungsberichte endeten mit einer Diskussion des ökonomischen Potenzials der besprochenen Räume und weiterer Erschließungsmaßnahmen. Karl Sapper unterschied in einem Aufsatz in der Geographischen Zeitschrift »regenfeuchte Waldgebiete« und »offene Landschaft« als die beiden grundlegenden Landschaftstypen der Tropen und versuchte ihre Kulturwerte vor dem Hintergrund seiner Auslandsaufenthalte in Mittelamerika, auf dem Bismarckarchipel und in Südindien zu bestimmen. Als wesentliche Aufgabe der Geographie mit großer kolonialer Bedeutung erschien ihm zu vorausschauenden Analysen des ökonomischen Potenzials von Landschaften, die das Experimentieren mit Wirtschaftsweisen wenigstens partiell ersetzen sollte. Übersichtskarten der Höhenstufen, der Vegetationsformationen sowie der Gesteins- und Bodenarten galten ihm dazu als nützliche »Wegweiser« für den tropischen Landwirt wie für den Wirtschaftspolitiker, damit sie sich ein richtiges Bild von den Kulturmöglichkeiten des in Besitz genommen Gebietes machen könnten.89 An die Abhandlung der physischen Eigenschaften einer einzelnen Landschaft, die Ausdeutung ihrer erdgeschichtlichen Genese und kolonisatorischen Bedeutung schloss in den Landschaftskapiteln eine Aufzählung mit der materiellen Kolonialkultur an. Manche Landschaften erhielten dabei eine Bedeutung, die weit über den Raum hinausreichte. Eine solche Musterlandschaft war die Bergregion Usambara, der Oscar Baumann 1891 eine länderkundliche Studie widmete und von der andere Länderkunden ebenfalls enthusiastisch berichteten.90 Meyer hob die Plantagenbetriebe und mittelgroße Pflanzungen von europäischen Siedlern hervor, die sich über die fruchtbaren Böden erstreckten, in West-Usambara die hochgelobte BiologischLandwirtschaftliche Institut Amani, im Norden das Kolonialstädtchen Wilhelmsthal mit Bezirksamt, Sitz der Forstverwaltung, Militärstation, Post- und Telegraphenagentur, Gasthof und Handelsniederlassungen von Deutschen, Griechen und Indern. Den Leipziger Geographen erinnerte diese Gegend »mit ihren prächtigen, erst vor wenigen Jahren gepflanzten Wäldchen von Eukalyptus und Gerberakazien, mit ihrem Berghintergrund und ihrer frischen Höhenluft« mehr an »›die tannenbewachsenen Berge Thüringens‹ als an tropische Landschaftsbilder«.91 Usambara und die
Mineralgewinnung: Fritz Jaeger: »Die Etoschapfanne«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 34 (1926/1927), S. 1-22, hier S. 20. 89 Karl Sapper: »Über den Kulturwert verschiedener Landschaftstypen in den Tropen besonders in Mittelamerika«, in: GZ 15 (1912), S. 305-313, 387-401, hier S. 305-307. 90 O. Baumann: Usambara und seine Nachbargebiete, u.a. S. 300-311. 91 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 214.
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nach Norden anschließenden Pareberge erfüllten die »Vorbedingungen« für eine lange, deutsche Siedelzone, so Meyer, die er sich bis zum Kilimandscharo wünschte, und sich aus wirtschaftlichen, politischen und strategischen Gründen in eine zukünftige »Phalanx bodenständiger Deutsch-Afrikaner von größter Bedeutung für das Schutzgebiet und die Heimat« entwickeln könne.92 An vorderster Stelle in der kolonialen Symbolordnung firmierte der Kilimandscharo. Wie kein anderer geographischer Ort war der damals über 5.895 Meter hohe Vulkanriese zu einem Wahrzeichen der deutschen Kolonie geworden, nicht nur aufgrund seiner Höhe, obgleich auch sie zu einem Politikum wurde. Hans Meyer, offizieller Erstbesteiger und oberster Kilimandscharoforscher hatte viel zur ideologischen Überhöhung des Berges beigetragen und war nicht gewillt, eine Herabstufung der Höhe auf unter sechstausend Meter hinzunehmen, wie britische Topographen nahelegten.93 Gerne betonte er in Aufsätzen, Büchern und Vorträgen, dass es sich um den höchsten Berg Afrikas und zugleich um den höchsten Berg Deutschlands handele. Die Geschichte der Besteigung erzählte Meyer auch nicht nur als seine eigene persönliche Heldengeschichte, sondern vielmehr als nationale Eroberungsgeschichte, wie er in einer berühmten Passage von der Ankunft am Gipfel deutlich zum Ausdruck brachte.94 »Um ½ 11 betrat ich als erster die Mittelspitze. Ich pflanzte auf dem verwetterten Lavagipfel mit dreimaligem, von Herrn Purtscheller kräftig sekundiertem ›Hurra‹ eine kleine im Rucksack mitgetragene deutsche Fahne auf und rief frohlockend: ›Mit dem Recht des ersten Ersteigers taufe ich diese bisher unbekannte, namenlose Spitze des Kibo, höchsten Punkt afrikanischer und deutscher Erde: Kaiser-Wilhelm-Spitze.‹« In seinen Büchern berichtete Meyer ausführlich über seine wissenschaftlichen Beobachtungen und Messungen, darüber wie er photographierte, zeichnete und pausenlos Notizen machte. Es handelte sich nicht nur um eine sportlich-alpine Meisterleistung mit Meyer als Hauptperson, Ludwig Purtscheller in der Nebenrolle und den afrikanischen Begleitern als Komparsen, die publizistische Bearbeitung seiner Expeditionen bezeugte die wissenschaftliche Beherrschbarkeit des Berges. Ostafrikanische Gletscherfahrten nannte er das üppig ausgestattete Buch mit schönen
92 Ebd., S. 225. 93 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 225. Zur Korrektur der Höhe unter 6000 Meter: Fritz Klute: »Die stereophotogrammetrische Aufnahme der Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1921, S. 144-150, hier S. 148f. 94 H. Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten, S. 134.
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Bildern, einer hochgelobten Karte sowie kürzeren Berichten von verschiedenen Wissenschaftlern über die mitgebrachten Sammlungen. Es folgten Vorträge, Aufsätze und Monografien über den Berg und andere Hochtouren. Sicherlich genoss das Vulkanmassiv schon zuvor in Geographie und Erforschungsgeschichte große Bedeutung, doch es war Meyers dritter Anlauf, der den Erfolg brachte und den Berg für die deutsche Nationalgeschichtsschreibung erst so interessant machte, dass Romanciers, Reiseschriftsteller, Journalisten, Fotografen und Künstler ihn zum wichtigsten Erinnerungsort des deutschen Kolonialreichs verklärten.95 Jenseits der ökonomischen Verwertbarkeiten und geostrategischen Erwägungen kolportierten Landschaftsbeschreibungen naturästhetische Wertvorstellungen – von schönen Bergwelten, pittoresken See- und Uferlandschaften oder tropischen Inselparadiesen. Aber die koloniale Naturästhetik beschränkte sich nicht auf die spektakulärsten Landschaftsmarken, der umgekehrte Modus war ebenfalls verbreitet. Hassert beschrieb weite Teile von Deutsch-Ostafrika als monoton und trostlos, ohne dass er diesen Raum selbst je kennengelernt hätte. Eine »außerordentliche Einfachheit und Einförmigkeit« schrieb der Kölner Geographieprofessor dem Oberflächenbau und der geologischen Zusammensetzung der Kolonie zu, die er in der Pflanzenbedeckung und im »vorherrschenden Landschaftsbild« abermals bestätigt sah. Die knorrigen, krüppeligen, oben oft schirmartig abgeplatteten Bäume könnten »kaum einen Vergleich mit unsern europäischen Waldbäumen aushalten«, der Urwald könne es nicht mit der Üppigkeit des Kameruner Urwalde aufnehmen.96 Seitenlang führte Hassert aus, wie trostlos die ostafrikanische Steppenlandschaft sei und bescheinigte dem von Geographen viel besuchten abflusslosen Gebiet einen »besonders öden Charakter«, wollte darin sogar eine »völlig tote Einöde« erkennen. Ähnlich beschrieb er die Landschaft Ugogo:97 »Auf felsigem Untergrunde ruht brennendroter Laterit oder roter und weißer, das Auge blendender Sand, der eine kräftige Pflanzenhülle von vornherein ausschließt und dafür mit Millionen von Steinblöcken bedeckt ist. Bald geht es über staubige Flächen, auf denen Windhosen ihr Spiel treiben, bald durch die breiten Trockenbetten der Flüsse oder durch Hunderte vom Regen tief eingefurchter Rinnen. Dünnes Gras und spärliches Gestrüpp überzieht den kahlen Boden. Meist aber hat man mit engverschlungenem Dornbusch zu kämpfen, der von zahllosen Ameisen bewohnt wird, und nur selten erfreut ein Hain von
95 Zur Repräsentation des Berges in Kunst und Medien und seiner Überhöhung als koloniales Symbol: Christoph Hamann/Alexander Honold: Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges, Berlin 2011. 96 Ebd., S. 272, 274. 97 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 268-271, das folgende Zitat, S. 271.
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Delebpalmen (Borassus flabelliformis) das Auge. Zwar haben hier und dort fleißige Ackerbauer [sic] das Land nicht ohne Erfolg in Arbeit genommen; im allgemeinen ist es aber von geringem Werte, und die Behauptung Stanleys, aus Ugogo in einem halben Jahre einen Garten zu machen, ist ebenso haltlos wie viele seiner anderen Übertreibungen. Nach übereinstimmenden Berichten aller Reisenden ist Ugogo vielmehr eine der ödesten Landschaften des Schutzgebietes.« Hassert konzentrierte sich in seinem Ostafrikakapitel ausgerechnet auf die von ihm als öde empfundenen Landschaften, obgleich es viele fruchtbarere Räume in der Kolonie gegeben hätte. Ugogo und die ebenfalls ausführlich besprochene Massaisteppe hatten in den vergangenen Jahren einen ökologischen wie wirtschaftlichen Niedergang erlebt. Zwar berichteten präkoloniale Reisende schon von Bodenerosionsformen, doch damals grasten in Ugogo noch riesige Wild- und Rinderherden. Aufgrund der Jagd, mehrerer Rinderpestepidemien, Dürreperioden, Heuschreckenplagen sowie Holzeinschlag entlang der neuen Eisenbahnlinie, verschlechterten sich die Zustände unter deutscher Herrschaft.98 Andere Geographen beklagten ebenfalls die Eintönigkeit der kolonialen Landschaft in ihren Reisebeschreibungen, wobei derartige Charakterisierungen ihnen teilweise als Kontrastfolie dienten, um die Schönheit und Einzigartigkeit von anderen Räumen in den Kolonien herauszuheben. Manchmal spiegelte ihr Urteil über die Landschaft ihren eigenen Gemütszustand wieder, zumindest verstärkte die Einsamkeit auf der langen Expedition die Empfindsamkeiten.99 Geographische Landschaftsbeschreibungen waren also nicht nur das Ergebnis einer genauen Beobachtung, sie waren gebrochen von einem kolonialen Wertekanon und Empfindungen, die Geographen in die Landschaften hinein projizierten.100
98
Carl Christiansson: Soil Erosion and Sedimentation in Semi-Arid Tanzania. Studies in
99
E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil
Environmental Change and Ecological Imbalance, Uppsala 1981, v.a. S. 147-181. 1, S. 15f., S. 18, 23. Zur Auflösung der monotonen Einförmigkeit:, S. 21, 25f., 43. Zur Einförmigkeit von kolonialen Landschaften: F. Jaeger: »Die Etoschapfanne«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 34 (1926/27), S. 7. Siehe ferner Meyers Beschreibungen des südlichen Küstenhinterlandes: H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 138, 140. 100 Konzeptionell zu Machtkonstellationen und Einschreibung von Wertvorstellungen, siehe: W. J. Thomas Mitchell (Hg.): Landscape and Power, 2. Aufl., Chicago 2002; Denis Cosgrove/Stephen Daniels (Hg.): The Iconography of Landscape. Essays on the Symbolic Representation. Design and Use of Past Environments, Cambridge 1998; Ute
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G EBÄNDIGTE W ILDNIS »Einer der stärksten und auffälligsten Gegensätze auf der Erdoberfläche ist der zwischen solchen Gebieten, wo uns die Natur ungebändigt gegenübertritt, und solchen, wo die Tätigkeit des Menschen sie verändert hat und ganz und gar das Aussehen des Landes bestimmt.« Mit dieser These leitete Fritz Jaeger seinen Aufsatz in der Geographischen Zeitschrift über Wildnis und Kulturland in Ostafrika ein. In Ostafrika seien beide Typen vertreten, meinte der Berliner Geograph, in Mitteleuropa gebe es hingegen fast ausschließlich Kulturland, denn dort gehörten die Werke des Menschen inzwischen zum »Charakter der Landschaft«, während in anderen Weltregionen der Mensch die Natur des Landes nur unwesentlich verändert habe, »man Wochen lang in der Wildnis reisen« könne, »ohne eine Spur menschlicher Tätigkeit anzutreffen«. Erst da lerne man »die gewaltige Arbeit zu würdigen, durch die anderwärts das Menschengeschlecht sich die Natur untertänig gemacht hat«.101 Jaeger verklärte die räumliche Dichotomie zu einer grundlegenden Differenz zwischen Kolonien und Mutterländern, obgleich er nur zu gut wusste, dass weite Räume in der Kolonie von einer bäuerlichen Bevölkerung genutzt und verändert wurden. Um sein Eingangsstatement zu retten, wollte er Wildnis daher gar nicht als einen vom Menschen unberührten Naturraum verstanden wissen. Selbst dort, wo Menschen wirtschafteten, ohne weitreichende ökologische Veränderungen herbeizuführen, glaubte er, den Raum mit dem Begriff Wildnis adäquat erfassen zu können. Erst wenn das Land gerodet, die natürliche Vegetation vernichtet und Nahrungsgewächse an ihre Stelle getreten seien oder menschliche Ansiedlungen sich daselbst erhöben, wollte er von Kulturland sprechen.102 Kulturland war laut Jaeger in Ostafrika selten, denn die »unbewohnten Grenzwildnisse« müssten herausgerechnet werden, so dass nur wenige »Kulturinseln« übrig blieben. Dass die Kolonialvölker überhaupt über Kultur verfügten, erklärte er zum Verdienst der Europäer, denn Eisenbahnen, Plantagen und Pflanzungen waren für ihn die zentralen Kulturleistungen, deren Anfang vielfach mit der Errichtung von Militärstationen eingesetzt habe. Als Mittelpunkte einer neuen Kultur würden sie auf das Umland ausstrahlen, wobei Jaeger von einer gewissen Hybridität der
Luig/Achim von Oppen: »Landscape in Afrika: Process and Vision: An Introductory Essay«, in: Paideuma 43 (1997), S. 7-45. 101 Fritz Jaeger: »Der Gegensatz von Kulturland und Wildnis und die allgemeinen Züge ihrer Verteilung in Ostafrika: Eine anthropogeographische Skizze«, in: GZ 16 (1910), S. 121-133. Ebenso: Ders.: Das Hochland der Riesenkrater, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 198-200, S. 121. 102 F. Jaeger: »Der Gegensatz von Kulturland und Wildnis und die allgemeinen Züge ihrer Verteilung in Ostafrika«, S. 122.
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Räume ausging, denn er wollte sie weder als einheimisch noch als europäisch verstanden wissen, eher als Keime einer neuen Suahelikultur, die sich aus dem Zusammenwirken von Suahelileuten, Soldaten, »suahelisierten Negern als Boys« und indischen Händlern ergäbe. Die Basis dieser muslimisch geprägten Kulturinseln sei die Landwirtschaft, wobei die Wasuaheli die Tendenz hätten, sich von der lokalen Bevölkerung zu distinguieren, während die Wilden versuchen würden, die »Wasuahelikultur« anzunehmen.103 In seinen Schlussfolgerungen fiel Jaeger allerdings wieder auf den eingangs formulierten Gegensatz zwischen Mitteleuropa und den Kolonien zurück, anstatt aus seinen Beobachtungen Konsequenzen zu ziehen. Europäer traten nun wieder alleine als Kulturbringer auf, aus der einheimischen Bevölkerung wurde wieder eine homogene Masse von einheimischen Kulturempfängern. Ostafrika erschien ihm sogar als ein Land, das in vielen Regionen kulturfeindlich sei und noch dazu wegen »der niederen Kulturstufe des Negers« bisher nur wenig »in Kultur genommen« worden sei. Jaegers Argumentation zielte auf die Notwendigkeit der Überwindung der räumlichen Dichotomie, die er nur durch die europäische Kolonisation für möglich hielt. Denn die Kolonisation beschönigte er als nichts anderes als einen Kulturtransfer, indem er die »Entlegenheit Ost-Afrikas von den Gebieten höherer Kultur« als Grund anführte, warum die Europäer sich erst spät in dem Raum engagiert hätten und die Ausbreitung der Kultur daher noch nicht weiter fortgeschritten sei.104 Ähnlich argumentierte Jaeger vier Jahre später in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde. »Alle jungen Kolonialländer, so verschieden sie sein mögen in ihrer Natur und der Kultur ihrer Bewohner, haben einen geographischen Charakterzug gemeinsam«: das Eindringen und die Ausbreitung einer neuen Kultur, im Gegensatz zu den »alten Kulturländern«, in denen die Kultur bereits das ganze Land erfasst und sich angepasst habe. Alte Kulturländer bestachen dadurch, dass »alles nutzbare Land so ausgenützt« war, wie es die Kulturhöhe erlaube, während in den jungen Kolonialländern noch viele weitere nutzbare Gebiete zu finden seien, noch unberührt von der Kultur, da die neue Kultur bisher nur von sehr kleinen Flächen Besitz ergriffen habe, aber sich nun stetig ausbreite und den »Landschaftscharakter« stark verändere.105 Nachdem Jaeger »die natürlichen Grundlagen der Kolonisation« und die »Arten und Stufen der Erschließung« beleuchtete, skizzierte er für jede der deutschen Kolonien knapp die Kolonialentwicklung. Sein ganzer Stolz galt Jiaozhou, wo die kulturellen Transferbeziehungen besonders weit fortgeschritten
103 Ebd. S. 131. 104 Ebd., S. 132. 105 Fritz Jaeger: »Die Ausbreitung der Kolonialkultur in den den deutschen Kolonien«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914 S. 505-526, Zitate, S. 505.
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seien. In der deutsch-chinesischen Hochschule in Qingdao erkannte er gar den Höhepunkt unserer »moralischen Eroberung«. Wie schon im ersten Aufsatz stellte Jaeger den Begriff der Kultur in den Mittelpunkt, ohne eigentlich zu benennen, was er unter Kultur verstanden wissen wollte. Zunächst ging er von der Agrikultur aus, präsentierte in beiden Aufsätzen die Beseitigung der Wildnis als positive Errungenschaft. Unvermittelt dehnte er den Bedeutungsinhalt aus, wenn es seiner Argumentation nützte und er damit ein hierarchisches Gefälle zwischen Kolonisierern und Kolonisierten aufzeigen konnte. Einerseits waren die beiden Aufsätze geographische Analyse, anderseits dienten sie ihm dazu, die deutsche Kolonisierung als großzügigen Akt des Kulturtransfers zu beschönigen. Die Geographen hantierten flexibel mit den Werten, die sie in Landschaften hineinlasen. Meyers Schriften von der Expedition ins ostafrikanische Zwischenseengebiet kolportierte völlig andere Wertvorstellungen. Kultur tritt hier nicht als Fortschritt, denn als Bedrohung der Ökologie in Erscheinung, wobei der Leipziger Geograph seine Ausführungen über die negativen Auswirkungen der einheimischen Agrarwirtschaft mit rassistischen Ressentiments verknüpfte:106 »Der Wald liebende, für Größe und Schönheit der Natur empfängliche ›gebildete‹ Nordeuropäer ist geneigt, dieses Niederbrennen der herrlichen Wälder in Bausch und Bogen zu verurteilen. Der weniger empfindsame, praktischer denkende Italiener oder Spanier denkt darüber schon anders, der Neger noch viel mehr. Auch ich würde trotz allen Bedauerns um die Zerstörung dieser prachtvollen Naturschöpfung schließlich dem Neger die Berechtigung zu seiner Rodungsarbeit zugestehen müssen, wenn es sich darum handelte, für eine stark wachsende Bevölkerung den Nahrungsspielraum zu erweitern. Das ist aber hier nicht der Fall. Diese Menschen sengen und brennen nur, um immer wieder jungfräulichen Humusboden für ihre elenden Erbsenfelder zu gewinnen, während auf den schon früher gerodeten Berghängen riesige Flächen brach liegen, weil ihr Boden nicht mehr so sehr fruchtbar ist wie der frischgeöffnete Waldboden. Mit den Waldbränden legen diese ›Kultivatoren‹ hundertmal mehr Wald nieder, als sie dem Flächenraum nach beackern können. Und da der abgebrannte Wald aus klimatischen Gründen nie wieder wächst, da nun die periodischen Gras- und Buschbrände den jungen Nachwuchs immer wieder vernichten, so ist es eine wüste Raubwirtschaft, deren Folgen sich natürlich auch darin zeigen, daß die Niederschläge nicht mehr festgehalten werden können, die Erosion
106 H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, S. 41, für ähnliche Anmerkungen siehe S. 45, 56 [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift].
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zerstörend eingreift, die Quellen versiegen, weite Landstriche austrocknen. Es ist freilich schwer zu sagen, wie dem Übel gesteuert werden könnte, solange wir in diesen Ländern nicht die Macht haben, den Anordnungen der Verwaltungsbeamten den nötigen Nachdruck zur Befolgung zu geben.« Meyers Sorge um die Natur war sicherlich nicht bloß geheuchelt, lag ihm als passioniertem Bergsteiger viel am ästhetischen Naturvergnügen. So monierte er nicht nur im Forschungsbericht die »Waldverwüstung«, »Raubwirtschaft« und Bodenerosion, auch im Reisebericht hatte er bereits darüber geklagt: »Bis hinauf zur Kammhöhe ist alles abgeholzt, niedergebrannt, um Raum für die armseligen Erbsen- und Batatenfelder der Eingeborenen zu schaffen.«107 Gerne verglich er Ruanda mit Burundi, wo das Gras höher wuchs, das Unterholz nicht so häufig abgebrannt wurde, die Flüsse noch durch Urwälder mit reicher Fauna führten – die ganze Landschaft noch wilder war. Aber auch auf der Wegstrecke innerhalb des deutschen Verwaltungsgebietes überwog die unberührte Natur. »Neun Zehntel des Landes sind Pori, Wildnis«, schrieb er über Ushirombo und noch viel wilder seien die Landschaften weiter im Süden mit ihren Miombo-Wäldern in Richtung Gombe.108 Auf dem Weg nach Ruanda hatte der Leipziger Geograph die Landschaften Ihángiro und Karagwe durchwandert, tagelang eine dicht bewaldete Tieflandebene durchquert, dann wieder hügelige Buschwildnis, in der nur wenige Menschen lebten.109 Am Kagera, noch bevor er den Grenzfluss zwischen Karagwe und dem indirekt verwalteten Ruanda überquerte, notierte Meyer in sein Tagebuch, dass die »Ruanda-Berge« noch bewaldeter seien als das Land, das er soeben durchwandert habe.110 Obgleich Meyer sicherlich viele der Reiseberichte seiner Vorgänger von dem bisher wenig erforschten Land gelesen hatte und in Deutschland bereits mit Richard Kandt zusammengetroffen war, schien er ein wildes Land erwartet zu haben, das ihn dann enttäuschte, als es sich als dicht bevölkert und landwirtschaftlich stark bewirtschaftet entpuppte.111 Doch seine Darstellung der ruandischen Landschaften war nicht nur das Ergebnis unbefriedigter Sehnsüchte, wie der Vergleich der Tagebuchaufzeichnungen mit der späteren publizistischen Ausarbeitung zeigt. Die Karawane wanderte während
107 H. Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, S. 118, 122. 108 Ebd., S. 130-132, Zitat S. 132. 109 H. Meyer: »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, S. 107-110. 110 H. Meyer: Tagebucheintrag für den 12.07.1911, in: R. Bindseil, Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 79. 111 Vgl. Hans Meyer: »In Ruanda bei Richard Kandt«, in: Albrecht Haushofer, (Hg.): Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1828-1928: Sonderband zur Hundertjahrfeier der Gesellschaft, Berlin 1928, S. 145-157, hier S. 148.
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der ersten Tage in Ruanda durch landwirtschaftlich intensiv bewirtschaftetes Gebiet: »Wir bleiben immer auf der Wasserscheide, die dicht am nördlich abbrechenden Höhenrand entlang geht« notierte er am 15. Juli 1911 in sein Tagebuch. »Überall reichen die Schamben in den ganzen Tälern entlang vom Talgrund bis ca. 1/3 der beiden Talhänge hinauf.« Sumpf in der Niederung, Viasi (Maniok) und Mtama (Hirse), in größerer Höhe dann Bananenhaine mit Hütten und »Rindenficus«. »Hier ist Land dichter besiedelt, grosse Rinderherden auf den Grashängen«, schrieb er weiter, »Bissengatal, gut bepflanzt, geht nach N in den Kesselbruch«.112 Am nächsten Tag berichtete Meyer: »Die Bebauung nicht bloss in den Tälern, sondern auf den flachen Höhen, weil überall Tonschiefer. Bäume nur bei den Schamben. Dicht bewohnt. Bild einer europäischen Kulturlandschaft. Unablässig Weg durch Mtamafelder, Bananenhaine, Viasifelder.«113 Nachdem er vermerkte, dass die östlichen Höhen aufgrund eines unfruchtbaren Quarzitbodens unbebaut seien, setzte er seine Ausführungen über die Agrarkulturen fort: »Vor jedem Hüttenkral etwas hellrotblühender Tabak und mehrere kleine Dchiahüttchen. Die Mtama ist fast überall die rote Art. Auch viel kleine Bohnen werden auf Beetfeldern gebaut. 1 Fuß hohes nicht rankendes Kraut mit Blatt wie unsere Bohne. Als Unterkultur der Mtama sind viel Kürbisse gepflanzt. Auch von den langen graugrünen Ranken der Erbsen sind Felder bestellt, sehr selten ist Mais.«114 »Die Baumlosigkeit der Landschaft«, die »dem Rundblick von den Höhen und Talhängen eine ungeheure Weite« gebe, erinnerte ihn an die »andine Landschaft Ecuadors, nur dass sie hier mehr besiedelt ist, und dass die hohen Vulkane fehlen«.115 Am 27. August schrieb er etwa über das Kawungatal: »Jenseits leichter SO-Wind. Oben in den Tälern schöne Bananenschamben. Keine Spuren von Wald mehr, aber offenbar alter guter Waldboden.«116 Zu diesem Zeitpunkt kommentiert er die Verwüstung des Landes noch nicht. Lediglich in der letzten Woche in Ruanda beklagte er die vielen Rodungsfeuer am Mont Gaharo und am letzten Tag, dass obere Waldbereiche mit gutem Boden gerodet worden seien, anstatt die tiefer liegende Adlerfarnzone zu bewirtschaften.117 Am 4. September plädierte er dennoch für eine Intensivierung der Landwirtschaft in den Hangbereichen.118 Bodenerosion und Landverwüstung waren ihm in Ruanda noch nicht als drängendes Problem aufgefallen.
112 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 3, 15.07.1911. 113 H. Meyer: Tagebucheintrag, 16.07.1911, in: R. Bindseil, Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 85 [Hervorhebung mit Unterstrich im Original]. 114 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 3, 16.07.1911. 115 Ebd., Heft 3, 19.07.1911, [Hervorhebung mit Unterstrich im Original]. 116 Ebd., Heft 5, 27. 08.1911. 117 Ebd., Heft 6, 03.09 und 8.09.1911. 118 Ebd., Heft 6, 04.09.1911.
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Meyer hatte in seinen Expeditionsnotizen hin und wieder Erosionsformen erwähnt, ihnen aber nicht die Aufmerksamkeit zukommen lassen wie in seinen publizierten Schriften. Das negative Bild von dem Land und seinen Bewohnern, das Meyer im Reise- und Forschungsbericht zeichnete, entstand erst später am heimischen Schreibtisch. Ausführlich ging Meyer in seinem Forschungsbericht auf ökologische Zusammenhänge ein, doch für die Probleme und Praktiken der ruandischen Agrarwirtschaft entwickelte er kein Verständnis. Weder erkannte er die Bedeutung des Ascheeintrags aus der Verbrennung der Vegetationsdecke für den Nährstoffhaushalt und Ph-Wert des Bodens, noch wurde ihm klar, dass Brachezeiten in Betriebssystemen mit niederer Bewirtschaftungsintensität eine produktivitätserhaltende Wirkung besaßen, was ihm Bauern nicht nur in Ruanda hätten erklären können. Vieles spricht dafür, dass die Menschen in Ruanda sehr wohl ihr Land kenntnisreich und standortgemäß bewirtschafteten, nicht zuletzt, da sie selbst viele Bodenschutzmaßnahmen ergriffen, Berghänge terrassierten, Trockenmauern anlegten und Hecken in den oberen Hangbereichen pflanzten, wobei ein begrenzter Bodenabtrag aus oberen Hangbereichen für silikatarme tropische Böden sich sogar günstig auf die Nährstoffkonzentrationen von tiefer liegenden Äckern auswirken kann.119 Meyer selbst beobachtete Bodenschutzmaßnahmen, so etwa am 29. Juli 1911: »In diesen steilhängigen Gebieten ist die Terrassierung der Felder erstaunlich ausgebildet, ohne Mauern nur durch Bodenstufen. An den Talschluchten meist 6-8 m hohe baumförmige verzweigte Dracänen.« An anderen Tagen schrieb er ebenfalls über Terrassierungen.120 Meyer spielte die einheimische Wirtschaftsführung und Umweltschutz gegeneinander aus. Er hätte auch positiv von der intensiven Agrarwirtschaft berichten können, hatte er und viele seiner Kollegen doch immer wieder die mangelnde Ressourcenverwertung der Einheimischen angeprangert, doch die Erosion und angebliche Degradierung der natürlichen Ressourcen dienten ihm als gewichtige Argumente für die Ausweitung der deutschen Herrschaft. Schließlich hoffte auch Meyer wie viele in der Kolonialbewegung und Beamtenschaft, dass es bald zu einer Umstellung von der »indirect rule« auf die direkten Beherrschungsformen in Ruanda und Burundi kommen würde, wozu Meyer mit seiner Expedition wohl beitragen
119 Vgl. Philippe Kersting: Geomorphologische Untersuchungen im Land der tausend Hügel, oder: wie europäisch ist die rwandische Landschaftsentwicklung?, Leipzig 2010, v.a. S. 50-54, 148-157; Anna Kreuzer: Landwirtschaft und Sozialstruktur in Rwanda. Möglichkeiten und Grenzen bäuerlichen Wissens und Handelns als Entwicklungspotential, Pfaffenweiler 1997, u.a. S. 74f., 87f. 120 H. Meyer: Tagebucheintrag, 26.07.1911, in: R. Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929) [Hervorhebung durch Unterstrich im Original]. Siehe ebenso: H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 5, 29.08.1911.
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wollte.121 Ein Bericht über eine gut funktionierende, produktive »Eingeborenenwirtschaft« hätte Zweifel an der Notwendigkeit der Veränderung der Herrschaftsform hervorgerufen, doch mit den Themen Umweltzerstörung und Vernichtung von natürlichen Ressourcen ließ sich eine deutsche Intervention rechtfertigen. Je nach Interessen und Kontext veränderte sich die Argumentation der Geographen, so dass mit wissenschaftlich-geographischen Begründungen jegliche Form der Kolonialpolitik legitimiert werden konnte.
V ERMESSENE L ANDSCHAFTEN Die Kartierung der Stationsbezirke gehörte zu den militärischen Dienstpflichten von Kolonialoffizieren, darüber hinaus waren einige von ihnen an Grenzvermessungsexpeditionen und topographischen Spezialmissionen beteiligt. Nach Paul Sprigade haben sich ungefähr einhundertdreißig Offiziere und Unteroffiziere besonders um die Vermessung der kolonialen Räume verdient gemacht, nicht wenige davon hatte der Kartograph zusammen mit Max Moisel in topographischen Aufnahmeverfahren am Seminar für Orientalische Sprachen selbst ausgebildet.122 Welchen Anteil Geographen an der Vermessung und Kartierung der deutschen Kolonien hatten, ist heutzutage nur noch schwer abzuschätzen, da die Routenbücher und Kartenskizzen, die im Reimer-Verlag lagerten, im Zweiten Weltkrieg verloren gingen.123 Für die vielblättrige Karte von Deutsch-Ostafrika stellte Siegfried Passarge die topographischen Leistungen von dreißig Personen heraus, darunter die der Kolonialgeographen Oscar Baumann, Fritz Jaeger, Hans Meyer und Carl Uhlig.124 Später trugen auch noch Fritz Klute und Passarges Assistent Obst zur Kartierung der deutschen Ostafrikakolonie bei. Hugo Marquardsen strich später für DeutschNeuguinea besonders die Aufnahmen von Schultze-Jena vom mittleren und oberen Sepik und von Walter Behrmann sowie Richard Thurnwald heraus, wobei Letzterer mehr noch als der Geograph die Nebenflüsse und Regionen zwischen dem Sepik
121 Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien. Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft, Berlin 2006, u.a. S. 93, 116. 122 R. Hafeneder: Deutsche Kolonialkartographie, S. 105; Alexander von Danckelman: »Grenzfestsetzungen, Grenzregulierungen und Grenzexpeditionen«, in: Schnee, Deutsches Kolonial-Lexikon, Band 1, S. 752-756. Siehe außerdem: T. von Trotha: Koloniale Herrschaft, S. 116. 123 I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 225-228. 124 Bei den anderen Topographen handelte es sich überwiegend um Militärs oder Kolonialbeamte.Siehe etwa Siegfried Passarge: »Die Vollendung der grossen Karte von Deutsch-Ostafrika im Masstab 1:300.000«, in: DKZ 29 (1912), S. 2f.
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und der Küste erkundete.125 Auch für die Karten anderer Kolonien waren die Aufnahmen von Geographen wichtig: 2.500 bis 3.000 Kilometer nahmen Kurt Hassert und Franz Thorbecke in Kamerun auf, 1.200 Kilometer waren es später bei Thorbecke auf der zweiten Expedition, wobei neben vielen Panoramazeichnungen und Höhenmessungen noch »70 Rundpeilungen auf dem Peiltisch von Standpunkten« hinzukamen, die die Kolonie »mit einem teilweise sehr dichten Netz von Peilstrahlen überzogen«.126 Kurt Hassert erhob einen regelrechten Datenwust, den er wohl nur zum Bruchteil in seine Schriften übernehmen konnte. Besonders die Hangneigungen beschäftigten ihn – am Steilaufstieg des Kamerunbergs dokumentierte er Böschungswinkel von 15, 16, 20, 22, 25, 30 und 33 Grad, aber auch an vielen anderen Expeditionsetappen bestimmte und berechnete er die Böschungswinkel, wie aus einer Tabelle aus dem Forschungsbericht hervorging.127 Hassert zog aus den Hangneigungen keine weiteren Schlüsse, die Messdaten schienen für sich genommen schon der Erkenntnis genug.
125 Vgl. Hugo Marquardsen: »Die Entschleierung der hydrographischen Verhältnisse im nördlichen Neuguinea«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 30 (1917), S. 418420, hier S. 419f. 126 K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 2; Franz Thorbecke: »Geographische Arbeiten in Tikar und Wute auf einer Forschungsreise durch Mittel-Kamerun (1911-1913)«, in: Kollm, Verhandlungen des 19. Geographentages in Strassburg vom 2. bis 7. Juni 1914 (1914), S. 30-44, Zitat S. 31. Für eine Einschätzung der topographischen Leistungen von Geographen: Max Eckert: »Die Bedeutung der deutschen Kolonialgeographie«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1924 zu Berlin am 17. und 18. September 1924, Berlin 1924, S. 436-454. 127 K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, S. 68, vgl. etwa die Tabellen auf S. 70, S. 100-102, 104; zur Höhenmessung, siehe Tabelle, S. 178f.
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SW
chung
Abda-
Tabelle 5: Entfernungen und Hangneigungen am Kamerungebirge nach Hassert
Strecke
Bakingele – Mannsquelle
Entfernung
Böschung Gesamte
1° Böschung
km
Grad
Böschung
auf wieviel
Grad
m
14
9
1560 }
NO
Mannsquelle – Fako
8½
11
Bafia – Ekondo Munja
9½
9
773 1056 }
NW
SO
11
10½
Ekondo Munja – Fako
13
11
1182
Lisombe – Wondongo
5
7
714
Wondongo – Efolowo
3
3
Efolowo – Fako
17
11
1546
Bimbia Kriek – Buea
20
3
6667
Buea – Untere Hütte
5
20
Untere Hütte – Fako
3½
20
}
}
10
9
1000
250 175
Kurt Hassert: »Das Kamerungebirge. Ergebnis einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 68.
Im Forschungsplan zur Kamerunexpedition nannte Hassert schon hydrographische Forschungsziele – die Bestimmung von Wassertemperaturen, Flussgefällen, Wasserständen und Tiefenmessungen in drei Kraterseen. Tatsächlich besuchte Hassert 11 der damals 19 bekannten Kameruner Seen, wovon er acht vermaß, und an dreien aufgrund von Nahrungsengpässen nur kurz verweilte. Was Hassert dazu bewegt haben könnte, sich so ausführlich mit den Oberflächengewässern zu befassen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Der erlebte Trinkwassermangel am Kamerunberg und der ästhetische Reiz von Seenlandschaften mögen eine Rolle gespielt haben – ferner hatte er sich schon früher mit Oberflächengewässern beschäftigt.128 Nach Ankunft am See bestimmte Hassert die Höhe des Sees und der umliegenden Höhenrücken, dann ermittelte er Länge und Breite. Viel Zeit verschlangen auf-
128 Siehe: Aufgaben der Expedition ins Kamerun- und Manenguba-Gebirge samt Hinterland, BArch R 1001/3342; Kurt Hassert: »Eine Flusswanderung durch Montenegro«, in: Deutsche Rundschau 15 (1893), S. 97-106, 116-173; Kurt Hassert: »Die anthropogeographische und politische Bedeutung der Flüsse«, in: Zeitschrift für Gewässerkunde 2/4 (1899), S. 189-219.
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wendige Tiefenmessungen, wozu er sich von einem Soldaten in strikten Geraden in verschiedene Richtungen über den See rudern ließ, den Kurs ständig mit dem Diopterkompass überprüfend. Alle fünf Ruderschläge nahm er eine Messung mit dem Lotappart (Sondeur Belloc) vor, die er zu einem Netz von Lotungsreihen verband und fein säuberlich Anzahl und Tiefe der Messungen dokumentierte. An manchen Seen variierte er den Rhythmus der Messungen, so am Elefantensee (Barombi Mbo), wo er nur 124 Lotungen in einem Abstand von 25, 30, 50, 75 und 100 Ruderschlägen ausführte.129 Ruderschläge waren ein ungenaues Mittel der Streckenmessung, wie Hassert freimütig zugab, aus Ermangelung von Alternativen zog er daraus aber keine Konsequenzen. Hassert ermittelte eine Vielzahl von Messwerten, notierte Tages- und Uhrzeit, der oft mehrtägigen Tiefenmessungen, die Wassertemperaturen an der Oberfläche, Lufttemperaturen, berechnete die Seefläche, Wasservolumen, Umfang, Veränderungen des Wasserspiegels und bestimmte die mittlere Tiefe und die Anzahl der Lotungen pro Quadratkilometer Seefläche. Die Sichttiefe ermittelte er mit einer einfachen Secchi-Scheibe und die Wasserfarbe anhand der Forelschen Skala, wobei er die Messwerte seiner Vorgänger am See pedantisch korrigierte. Am Elefantensee erschien ihm die Farbe des Seewassers hellgrün, zwischen 6 und 7 der Forelschen Skala mit Übergängen ins Schwarzbraune bis Tiefschwarze und bei bedecktem Himmel ins Dunkelbraungrün und nicht smaragdgrün, wie Eugen Zintgraff in seinem Reisebericht geschrieben hätte.130 Einige Messungen ergaben wenig Sinn, schließlich waren Sichttiefe und Wasserfarbe von der Tageszeit und dem Bewölkungsgrad abhängig. Die Temperaturmessung warf mehr Fragen auf, als dass sich daraus Antworten ergaben. Die ermittelte Oberflächenwassertemperatur war nicht selten höher als die Lufttemperaturen und dies über mehrere Tage trotz Abkühlung der Lufttemperaturen in der Nacht. In Vulkangebieten sprach daher manches für eine geothermische Erwärmung, was die von Hassert postulierte Abhängigkeit von Wasserwärme, Lufttemperatur und Höhenlage der Seen außer Kraft setzte. Der Aufsatz über die Kameruner Seen, den Hassert vier Jahre nach der Expedition in der Zeitschrift der Berliner Gesellschaft für Erdkunde veröffentlichte, enthielt eine Reihe von Isobathenkarten – Umrisszeichnungen mit Tiefenlinien (jede Messung einer Lotungsreihe hatte der Geograph durchnummeriert und gleichwertige Lotungspunkte mit Zwischenlinien versehen). Dies war »unter möglichst großer Anlehnung an die allgemeine Reliefgestaltung oder unter genauer Verteilung der
129 K. Hassert: »Seestudien in Nord-Kamerun«, S. 13, 25. Ferner: Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. M. Hassert [sic] und Professor Dr. F. Thorbecke in Kamerun, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 158. 130 K.Hassert: »Seenstudien in Nord-Kamerun«, S. 26.
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wahrscheinlichen Tiefen« geschehen.131 Zahlen wurden für Hassert zu einem Fetisch, die eine Genauigkeit und Objektivität suggerierten, die in Wirklichkeit nicht gegeben war. In einer Tabelle vermerkte Hassert selbst die Varianz zwischen seinen Messergebnissen und denen seiner Vorgänger. Allein für die Barobmistation schwanken die Höhenangaben zwischen 385 und 415 Meter NN, die Höhe des Sees zwischen 295 und 308 Meter NN.132 An anderer Stelle war die Differenz der Messergebnisse noch größer. So ermittelte Hassert eine Höhe für den Mauwesee (Lake Oku), die 100 Meter unter dem Wert von Glauning und 150 Meter unter dem Wert von Moisel lag. Die Länge des Sees korrigierte er von 4-5 auf 2,6 Kilometer, die Breite von 2,5-3 auf 1,9 Kilometer. Selbstsicher ging er davon aus, dass seine eigenen Messungen genauer waren als die seiner Vorgänger. Obgleich Geographen Messwerte bisweilen bis auf mehrere Stellen hinter dem Komma notierten, war es sehr schwierig unter Expeditionsbedingungen exakte Messungen durchzuführen. Häufig büßten Messinstrumente während der Expeditionen an Verlässlichkeit ein, da Schmutz oder Feuchtigkeit in sie eindrang, Quecksilber über Risse im Glas entwich. Oftmals versäumten es die Geographen, aus ihren Messungen Hypothesen zu entwickeln. Schon die Vermessung der kolonialen Landschaften wurde häufig schon als Errungenschaft empfunden, so dass Geographen viele Details in Texten und Tabellen veröffentlichten, ohne sie weiter zu bearbeiten, in der Hoffnung, damit nachfolgenden Wissenschaftlern den Weg zu ebnen. Die Messergebnisse bedurften somit nicht zwangsläufig der Verarbeitung, erweckten aber den Anschein, aus den vormals unbekannten Räumen seien berechenbare Größen geworden.
K ARTENKONSTRUKTIONEN »Irrtümlicherweise wird oft geglaubt«, schrieben Sprigade und Moisel, »die Materialen kämen als fertige Konstruktionen oder Kartenskizzen an, und es bedürfe nur noch einer mehr redaktionellen Tätigkeit und der Vervielfältigung, um dieselben der Allgemeinheit zugänglich zu machen.« Aber selten erhielten die Kolonialkartographen auskonstruierte Kartenblätter, meist nur von Plantagenunternehmen, Eisenbahngesellschaften oder privaten Landvermessern. Überwiegend übermittelte man ihnen Routenbücher, dazu kamen »Rundpanoramen, Peilblätter, Photographien, photogrammetrische und stereophotogrammetrische Aufnahmen, Vermessungen und wissenschaftliche Arbeiten jeder Art, wie astronomische Beobachtungen, Höhenmessungen usw.«. Es war gerade die wichtigste Tätigkeit der
131 Ebd., S. 7-41, 135-144, 203-216, siehe besonders S. 10-11 und Tafel 1. 132 Ebd., S. 23.
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Kolonialkartographen diese Aufnahmen auszukonstruieren – in der Regel in einem Maßstab zwischen 1:15.000 und 1:75.000 – um aus Hunderten dieser Kartenskizzen ein Kartenblatt zu zeichnen.133 Davor mussten zahlreiche Arbeitsschritte bewältigt werden: Die Kartographen überprüften die Verlässlichkeit der topographischen Aufnahmen, passten die Routenaufnahmen ein und übernahmen manches aus älteren Kartenwerken. Eine Karte war also einerseits ein Gemeinschaftsprojekt von Topographen im Feld und Kartographen in den Verlagen, anderseits ein Verschnitt aus den topographischen Aufnahmen vieler Personen und bereits existierender Kartenwerke. Geographen wurden als Autoren im Kartentitel genannt, wenn ihre topographischen Aufnahmen für die Karte maßgebend waren oder wenn sie zumindest einen Teil der Aufnahmen selbst auskonstruiert hatten. Doch es war immer noch ein weiter Weg, bis die Karte in den Druck gehen konnte. Auch die großmaßstäbigen Spezialkarten, die den Forschungsberichten beigegeben waren, beruhten auf den Aufnahmen weiterer Topographen und der Mitarbeit eines Kolonialkartographen. Einen seltenen Einblick in die Praxis der topographischen Aufnahme und Kartenkonstruktion gewährte Fritz Jaeger, der in seinem Tagebuch zunächst ausführlich seine Forschungen am Kilimandscharo schilderte und noch in Moshi, in der Kolonialstadt am Fuß des Bergs mit der Auskonstruktion seiner Aufnahmen begann. Der junge Geograph musste am Kilimandscharo beweisen, dass die landeskundliche Kommission ihn zu Recht mit der Durchführung der ersten landeskundlichen Expedition betraut hatte. Der erste Expeditionsmonat hatte nur zu einer bescheidenen wissenschaftlichen Leistung geführt – dem umständlichen und zeitaufwendigen Beweis der Nicht-Existenz des Kiniarocksees –, die weder die Mühe noch die Ausgaben rechtfertigte.134 In Moshi angelangt, bereitete sich Jaeger daher intensiv auf die Erforschung des Kilimandscharo vor, führte Gespräche mit Missionaren und Offizieren, engagierte weitere Hilfskräfte und erkundete auf mehrtägigen Touren die Umgebung. Am 10. August 1906 begannen der Geograph, Eduard Oehler und 21 Trägern über die westliche Route aufzusteigen. Nach fünf Tagen errichteten sie auf knapp viertausend Metern das obere Basislager, einige Hundert Meter tiefer als damals mit Uhlig, doch die Träger waren nicht dazu zu bewegen, den Aufstieg fortzusetzen. Mit der Hilfe ihrer Boys Saleh, Munikondo und Phillippo krokierte Jaeger die Umgebung, vermaß Moränen, Gletscher und auffallende Landschaftsmarken, während Oehler ihn unterstützte und das Gelände fotografierte. Ihre Beobachtungen
133 Paul Sprigade/Max Moisel: »Die Aufnahmemethoden in den deutschen Schutzgebieten und die deutsche Kolonial-Kartographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 527-545, alle Zitate S. 537. 134 Die Existenz des Kiniarocksees wird u.a. erwähnt in: O. Baumann: Usamabara und seine Nachbargebiete, S 257.
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verglichen sie mit Meyers Fotografien und mit dessen Kilimandscharokarte, stellten aber wie schon zuvor am Fuße des Berges zahlreiche Ungenauigkeiten und Fehler fest.135 Nachdem die Karawane am 23. August zurück in Moshi war, begann Jaeger nach einem Ruhetag mit der Auskonstruktion seiner Aufzeichnungen.136 Schon bald merkte der Geograph, dass die Winkelmessungen nicht zusammenpassten. Zunächst gab er magnetischen Störungen die Schuld, die er auf einen hohen Eisengehalt des Vulkangesteins zurückführte – eine Ausrede, mit der Geographen immer wieder die schlechte Qualität ihrer topographischen Aufnahmen zu entschuldigen suchten.137 Manche der wichtigsten Referenzpunkte waren nicht zu gebrauchen und Jaeger begann, die Positionen freihändig in der Karte zu verschieben. Die Frustration wuchs von Tag zu Tag. Entnervt schrieb er am zweiten Tag ins Tagebuch: »An der Karte weiter gekorxt«, am dritten Tag: »Ach die Karte. Es ist zum Davonlaufen, nichts stimmt, obgleich ich stets sorgfältig gepeilt habe. Der Kompass muss rein verrückt gewesen sein da oben.« Am vierten Tag hatte er seine Arbeiten abgeschlossen: »Heute habe ich endlich die verflixte Karte fertig gekriegt und mit dem knickenden Vermerk versehen, dass der Massstab der Karte sich ändert, da sie verzerrt ist.«138 Seinen wachsenden Ärger bekämpfte Jaeger mit abendlichem Tennisspielen mit den Offizieren. Am 29. August berichtete er Hans Meyer über die Fortschritte der Arbeiten. »Die Ergebnisse sind im Allgemeinen befriedigend, nur die topographischen sind leider sehr kümmerlich ausgefallen.« Es sei ihm nicht mehr möglich, aus den Peilungen eine Karte zu konstruieren. Viele Punkte hätten »nach Gutdünken« eingezeichnet werden müssen.139 Bereits jetzt hatte er die nächsten Vermessungsarbeiten im Kopf. Am Eiasisee plante er eine einfache Triangulation, ließ sich sogar 135 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 1, 28.07.-02.08. S. 183-200. Später auf dem Kibo sollte Jaeger ebenfalls Ungenauigkeiten in Meyers Karte bemängeln: Ebd., 15.08.1906, S. 231. 136 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 23.08.1906, S. 260. Zum Abstieg vom Kilimandscharo, siehe: F. Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, S. 116-131. 137 Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 25.08.1906, S. 261f., Vgl. auch die Ausführungen im Forschungsbericht: Ders.: »Forschungen in der Hochregion des Kilimandscharo«, S. 193; K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, S. 82; K. Sapper: »Buka«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 193. 138 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 26.08.-28.08.1906, S. 262f. 139 Fritz Jaeger: Brief aus Moshi an Hans Meyer vom 29.08.1906, BArch: R 1001/5637/1, S. 81-84, hier S. 81.
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extra einen Messtisch aus Daressalam nachschicken, aber der Trinkwassermangel am Salzsee sollte dort sein Vorhaben durchkreuzen.140 Jaeger arbeitete seine Forschungen in mehreren Publikationen aus. Mit einem siebzigseitigen Forschungsbericht über die Hochregionen am Kilimandscharo wurde er habilitiert. Dem Aufsatz über den Kilimandscharo war eine von dem Kartographen des kolonialkartographischen Instituts W. Rux hergestellte Karte des Westkibo im Maßstab 1:40.000 und eine Karte der Aufstiegsroute mit Maßstab 1:100.000 beigegeben.141 In den Begleitworten zur Karte gab Jaeger Rechenschaft über Aufnahmeverfahren und Fehler bei Messungen und Kartenkonstruktion. Ferner gab er Ratschläge über geeignete Messverfahren und schlug die Anwendung von photogrammetrischen Verfahren vor, was Oehler und Fritz Klute 1912 realisieren sollten.142 Es folgten zwei Bände in den Ergänzungsheften, die sich mit jenem Teil der Expedition in dem Vulkangebiet beschäftigten, in dem der berühmte Ngorongorokrater liegt und das Jaeger als Hochland der Riesenkrater benannte. Der erste Band befasste sich mit den Methoden der topographischen Aufnahme und präsentierte vor allem die Ergebnisse der wissenschaftlichen Sammlungen.143 Die Auskonstruktion seines topographischen Materials überließ Jaeger diesmal den Fachleuten. Rux präsentierte eine anschauliche Karte im Maßstab 1:150.000, die auf Aufnahmen von Jaeger, Uhlig und zahlreicher Kolonialbeamter und Offiziere beruhte, bei der er 140 F. Jaeger: Tagebuch der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet Deutsch-Ostafrikas, Heft 2, 13.-16.10.1906, sowie 25.10.1906, S. 282-394, 405. 141 Kartenskizze des Westlichen Kibo: Nach eigenen Kompaßaufnahmen und Photographien von Eduard Oehler konstruiert von Fritz Jaeger, gezeichnet von W. Rux in dem Kartographischen Institut von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 1:40:000; Jaeger’s Aufstiegsroute von Madschame zum westlichen Basisplateau des Kibo, 1:100.000, beide enthalten in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909). 142 Vgl. F. Jaeger: »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, S. 193-196; Fritz Klute: Ergebnisse der Forschungen am Kilimandjaro 1912; Fritz Klute: »Die stereophotogrammetrische Aufnahme der Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1921, S. 144-150. 143 Fritz Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas. Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflußlose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrika 1906/07, Teil I. Aufgaben und Verlauf, die Karte, Ergebnisse der Sammlungen, Ethnographisches (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 4), Berlin 1911; Ders.: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas. Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflußlose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrika 1906/07, Teil II. Länderkundliche Beschreibung (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 8), Berlin 1913.
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mithilfe von zwei weiteren Kartographen aus dem Kolonialkartographischen Institut selbst die Rohkonstruktion im Maßstab 1:37.500 und 1:75.000 übernommen hatte sowie einer weiteren Karte im Maßstab 1:300.000 von dem abflusslosen Rumpfschollenland zwischen Iramba, Njarasee, Ubugwe und Ufiome.144 Jaeger besprach pedantisch im Forschungsbericht die Einzelheiten der Aufnahmeverfahren, Instrumententypen, die barometrischen Höhenmessungen. August Wedemeyer prüfte das Triangulationsnetz und kritisierte den Geographen scharf für mangelnde Vermessungskenntnisse. »Hätte Herr Dr. Jaeger vor Antritt der Reise die Absicht gehabt, das bereiste Land zu vermessen, so würde er sich, falls ihm an den Universitäten dazu überhaupt Gelegenheit geboten würde, genauer über die Anlage von Vermessungen orientiert haben, wodurch er sich auf der Reise viel Mühe erspart und mit geringerer Mühe ein besseres Ergebnis erzielt hätte.«145 Leopold Ambronn bemängelte die vielen Unachtsamkeiten, die Jaeger bei seinen astronomischen Messungen begangen habe, und empfahl zukünftig auf Messungen der Mondhöhen ganz zu verzichten, um mehr Zeit für zweckmässigere Beobachtungen zu gewinnen.146 Obgleich Jaeger auf der Expedition viele Fehler unterlaufen waren, die offene Kritik sollte seiner Karriere nicht schaden. Zwei Jahre später erschien der zweite, von der Deutschen Kolonialgesellschaft prämierte Band mit einer ausführlichen länderkundlichen Beschreibung und weiteren Karten, die W. Rux nach Entwürfen von Jaeger zeichnete.147
144 F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas, Teil I, S. 67. Darin auch enthalten eine Karte des Hochlandes der Riesenkrater und die südlichen Gegenden bis zum Hanang, bearbeitet von Fritz Jaeger, konstruiert und gezeichnet von W. Rux, 1:150.000; Das abflusslose Rumpfschollenland zwischen Iramba, Njarasee, Ubugwe und Ufiome, bearbeitet von F. Jaeger und W. Rux, konstruiert und gezeichnet von W. Rux, 1:300.000. 145 August Wedemeyer: »Das Triangulationsnetz (mit Anhang)«, in: Jaeger, Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas, Teil 1, S. 25-36, Zitat, S. 25. 146 Leopold Ambronn: »Bericht über die astronomischen Arbeiten während der Reise«, in: Jaeger, Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas, Teil 1, S. 36-37, Zitat, S. 37. 147 F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas; Teil II: Länderkundliche Beschreibung.
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Wann immer man verlässliche Karten von Togo, Kamerun oder Ostafrika benötigte, waren die Karten aus dem kolonialkartographischen Institut die erste Wahl. Natürlich stellten auch andere Verlage Kolonialkarten her. Nachdem sich die Berliner Kartographen den Auftrag zur amtlichen Kartenproduktion gesichert hatten, konnten andere Verlage mit dem Reimer-Verlag nicht wirklich konkurrieren, allenfalls mit Atlanten und Spezialkarten konnten sie ab der Jahrhundertwende Fachkreise überzeugen. Zuvor waren etwa auch im Perthes Verlag berühmte Karten entstanden, so von Usamabara und dem Kilimandscharo aufgrund der topographischen Aufnahmen von Oscar Baumann und Hans Meyer.148 Für den Deutschen Kolonialatlas, den Paul Langhans zwischen 1893-97 in Gotha herausgab, mussten die Kartographen jedoch bereits auf Kartenmaterial aus dem Reimer-Verlag zurückgreifen, um die zwanzig topographischen Karten von den deutschen Kolonien im Maßstab 1:200.000 zu konstruieren.149 Ähnlich erging es dem Kolonialwirtschaftlichen Komitee und der Deutschen Kolonialgesellschaft, die für den von ihnen herausgegebenen Kolonialatlas ebenfalls Basiskarten aus dem Reimer-Verlag verwendeten, nachdem die erste Auflage wegen der »unschönen billigen« Karten vernichtende Kritik erfahren hatte.150 Ein hochgelobter Wirtschaftsatlas der deutschen Kolonien von Max Eckert griff ebenfalls auf Grundkarten aus dem Reimer-Verlag zurück.151
148 Zu den von Bruno Hassenstein konstruierten Karten, siehe: Oscar Baumann: Die kartographischen Ergebnisse der Expedition des Deutschen Antisklaverei-Comités (PGMErgänzungshefte 111), Gotha 1894. Zu von Baumanns selbst konstruierten und gezeichneten Karten: Ders.: Usambara und seine Nachbargebiete. Hassenstein und später P. Krauss konstruierten aus Hans Meyers Aufnahmen mehrere Kilimandscharokarten. 149 Imre Demhardt: »Paul Langhans und der Deutsche Kolonial-Atlas 1893-1897«, in: Cartographica Helvetica 40 (2009), S. 17-30; E. Obst: »Die deutsche Kolonialkartographie«, in: Praesent, Beiträge zur deutschen Kartographie (1921), S. 104. 150 E. Obst: »Die deutsche Kolonialkartographie«, S. 107f. Zur Kritik am Alatlas der Deutschen Kolonialgesellschaft: Alfred Kirchhoffs Rezension zu Karl Doves Wirtschaftliche Landskunde der Deutschen Schutzgebiete, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1903, S. 63. 151 Max Eckert: Wirtschaftsatlas der Deutschen Kolonien, Berlin 1912. Die Mängel dieses Kartenwerks, wie Erich Obst später zeigte, lagen nicht in der Kartographie, als vielmehr in der unvollständigen Berücksichtigung der amtlichen Statistik, die Warenströme über Binnengrenzen aussparte, vgl. dazu: Erich Obst/W. Kloster: »Der Handel DeutschOstafrikas als Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung«, in: Koloniale Rundschau 1913, S. 449-485.
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Im Reimer-Verlag erschienen von Togo und Ostafrika die ersten großmaßstäbigen Kartenblätter noch vor der Jahrhundertwende. Von Deutsch-Ostafrika wurde die Kartierung im Maßstab von 1:300.000 erst mit dem 36. Blatt 1911 vollendet. Für Kamerun gab es zwar schon früh verlässliche Karten, doch das letzte Kartenblatt des dicht bewaldeten Küstengebietes erschien erst 1914.152 Ständig verließen neue Kartenblätter die Druckpressen des Reimer-Verlags. Selbst wenn zu einem Raum schon Kartenblätter existierten, mussten diese ständig aktualisiert werden. Sogar Wirtschaftsunternehmen fragten beim Reichskolonialamt nach, um zu erfahren, wann neue Kartenblätter zur Verfügung standen, doch die Berliner Kartographen vermochten kaum noch die große Zahl von topographischen Aufnahmen zu bewältigen.153 Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde an der Vermessung und den Kartenkonstruktionen von Deutsch-Neuguinea noch eifrig gearbeitet. Da Sprigade und Moisel sich nun aber um die Kriegskartographie kümmern mussten, wurde die amtliche Kolonialkartenproduktion abrupt eingestellt. Für Deutsch-Südwestafrika und Jiaozhou war die Kartenproduktion hingegen anders organisiert: In der südlichsten deutschen Kolonie koordinierte die königliche Landesaufnahme unter der Leitung des Generalstabs die Vermessung, auf der chinesischen ShandongHalbinsel führte die kaiserliche Marine trigonometrische Aufnahme durch, allerdings erschienen auch im Reimer-Verlag einige Spezial- und Übersichtskarten.154 Die Kartographie verselbständigte sich im Kaiserreich zu einer eigenständigen Disziplin, bewahrte aber zahlreiche Bindungen zur Geographie. Einige Kolonialgeographen waren zugleich Kartographen. Carl Uhlig erstellte eine Wirtschaftskarte von Deutsch-Ostafrika, die auf dem ersten Kartenblatt die Bodenschätze, Räume der Sammelwirtschaft, Jagd und Viehzucht sowie des Handwerks zeigte, während das zweite Blatt die Vegetationsverhältnisse sowie die Gebiete der einheimischen Landwirtschaft und die Plantagengebiete darstellte. Publiziert wurde die Karte 1904 im voluminösen Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee, der darüber hinaus einen langen Begleittext von Uhlig über die Verkehrsverhältnisse und kolonialen Wirtschaftsgüter enthielt.155 1909
152 Vgl. I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 118-189. 153 Vgl. BArch R 1001/307. 154 Vgl. I. Demhardt: Die Entschleierung Afrikas, S. 108-224. Zu Karten von DeutschSüdwestafrika aus dem Kolonialkartographischen Institut, vgl.: Hugo Marquardsen: Die Kolonial-Kartensammlung des Reichs-Kolonialamts (Beilage zu Mittelungen a. d. Dt. Schutzgebieten 28), Berlin 1915, S. 13-17. 155 Carl Uhlig: Wirtschaftskarte von Deutsch-Ostafrika, Berlin 1904. Siehe dazu auch: Ders.: »Erläuterungen zur Wirtschaftskarte von Deutsch-Ostafrika«, in: Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1902/1903, Berlin 1904, S. 501-525.
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veröffentlichte Uhlig mit Moisel zusammen ein weiteres bedeutendes Kartenwerk. Die zweiblättrige Karte der ostafrikanischen Bruchstufe gab einen anschaulichen Überblick über den genauen Verlauf des ostafrikanischen Grabenbruchs und der anschließenden Vulkangebiete.156 Die Karte basierte auf topographischen Aufnahmen von Uhlig selbst, von Jaeger und zahlreichen anderen Topographen, wobei der ehemalige Kolonialbeamte aufgrund von unzähligen Theodolitmessungen die Reliefstruktur der Kolonie in Form von Isohypsen plastisch darstellen konnte. Beide Karten wurden ausgesprochen positiv rezipiert. Der Gouverneur von DeutschOstafrika lobte die Wirtschaftskarte enthusiastisch, Dove hoffte auf Nachahmung auch in anderen Schutzgebieten und Ernst Tießen bezeichnete sie in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin als »die wichtigste kartographische Urkunde .., die wir für Deutsch-Ostafrika überhaupt besitzen«.157 Auch die geomorphologische Karte wurde als Meisterwerk gepriesen. Kritik äußerte lediglich Max Eckert, Professor für Geographie und Kartographie an der Technischen Hochschule Aachen, der auf dem dritten Berliner Kolonialkongress von 1910 monierte, dass Gefühlsisohypsen mit einem Höhenunterschied von 30 Metern eine Genauigkeit suggerierten, die in Wirklichkeit gar nicht gegeben sei, so dass er dafür plädierte, am bisherigen Schummerungsverfahren der amtlichen Kolonialkarten festzuhalten. Einige Jahre später schloss sich allerdings auch er dem Lob von Uhligs Karte an.158 Kolonialkarten waren für das Militär, die Zivilverwaltung und Unternehmen wichtige Werkzeuge, die halfen Touren vorzubereiten, Orte und den eigenen Standort zu lokalisieren, Entfernungen abzuschätzen und den gesamten Raum zu überblicken. Mit Karten ließen sich administrative Maßnahmen und ökonomische Aktivi156 Carl Uhlig: Die ostafrikanische Bruchstufe und die angrenzenden Gebiete zwischen den Seen Magad und Lawa ja Mweri sowie dem Westfuß des Meru, Teil I. Die Karte sowie Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1909, S. 579-581. 157 C. Uhlig: Reisetagebuch Victoriaseereise, Heft 1, 18.08.1904, S. 23, IfLA, K. 188/20. Zu Rezensionen: Karl Dove, in: GZ 10 (1904), S. 650f.; Ernst Tießen, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1904, S. 226f. Ferner: Alfred Kirchhoff: »Fortschritte der geographischen Erforschung der Deutschen Schutzgebiete während der letzten drei Jahre«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses zu Berlin am 5., 6. und 7 Oktober 1905, Berlin 1906, S. 4-16, hier S. 5f. 158 Max Eckert: »Die Deutsche Kolonialkartographie«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, S. 44f., dazu ebenfalls die Diskussion: Ebd., S. 50-52; Ders.: »Die Bedeutung der deutschen Kolonialgeographie«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1924 zu Berlin am 17. und 18. September 1924, S. 436-454, hier S. 438. Wie Uhlig davor angemerkt hatte, verzichtete er aufgrund von veranschlagten Mehrkosten von 1.000 Mark auf zusätzliche Schummerungen, siehe: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1909, S. 581.
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täten besser planen, militärische Operationen genauso wie die Steuereintreibung. Aber jenseits des praktischen Nutzens vor Ort besaßen Karten eine ideologische Wirkung. Dem Kartenbetrachter präsentierte sich der Raum als deutsche Kolonie, denn es waren vor allem jene Elemente dargestellt, die den Kolonisierern wichtig waren: große Verkehrsstraßen, Eisenbahnen, Siedlungen, Mineralvorkommen, deutsche Plantagenbezirke, vieles, was den Eindruck von kolonialem Fortschritt machte. Die mentale Aneignung der Kolonien wurde durch die Praxis der Ortsbezeichnungen verstärkt. Zwar war es üblich, dass viele einheimische Namen für geographische Orte übernommen wurden, oftmals wurden besondere Landschaftsmarken aber nach berühmten Persönlichkeiten benannt, ähnlich wie man es mit noch unbeschriebenen Tier- oder Pflanzenarten zu tun pflegte. Eine Militärstation trug den Namen Johann-Albrechts-Höhe nach dem Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft, eine andere hieß Bismarckburg. In der deutschen Südsee war ein Archipel nach dem Reichskanzler benannt, das deutsche Gebiet auf der Insel Neuguinea war nach Kaiser Wilhelm und das Zentralgebirge nach Hindenburg benannt.159 In Kamerun trug ein Krater des Kamerunbergs den Namen des Regierungsassessors Robert Meyer, ein See, den die Anwohner angeblich Mbu nannten, den Namen des ersten Gouverneurs Julius von Soden.160 Karl Dove bezeichnete den Doppelgipfel eines Vorberges der Khousberge als Wagner-Richthofen-Spitze, Uhlig benannte die Spitze des ostafrikanischen Ela Nairobi nach Jaeger und des benachbarten Loolmalassin nach Hettner.161 Der Kilimandscharo war gespickt mit deutschen Namen. Gletscher trugen die Namen der Geographen Penck, Richthofen, Ratzel und Drygalski und des Geologen Credner, eine Scharte am Kibo war nach Hans Meyer benannt. Fritz Jaeger erweiterte die Liste um einen Meyer- und einen Oehlergrat, einen Uhliggletscher und einen Ravenstein.162 Der höchste Gipfel war für den deutschen Kaiser reserviert, der Sepik nach der Kaisergemahlin Augusta benannt, während einer der Nebenflüsse weniger klangvoll als Leonhard-
159 W. Behrmann: Das westliche Kaiser-Wilhelms-Land in Neuguinea, S. 3. 160 Vgl. K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise und literarischer Studien«, S. 30f. 161 K. Dove: Deutsch-Südwest-Afrika. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Reise im südlichen Damaralande, S. 91; C. Uhlig: »Im Hochland der Riesenkrater«, in: Schnee, Deutsches Kolonial-Lexikon, Band 2, S. 69; F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas; Teil I, S. 9 sowie Teil II, S.152. 162 Vgl. etwa Bruno Hassensteins Karte vom Kilimandscharo, in: H. Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten, zur Benennung siehe ferner: K. Goebel: »Hans Meyer: Verleger, Forscher, Geograph«, in: Brogiato, Die Anden, S. 59-71, hier S. 66.
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Schultzefluss bezeichnet wurde.163 Die Karten präsentierten eine Melange aus deutschen Namen und einheimischen Ortsbezeichnungen, oder was man in Deutschland dafür gehalten hatte. Die in Karten eingeschriebenen Ortsbezeichnungen machten die Kolonien zu einem Raum, der dem Kartenbetrachter fremdartig und zugleich vertraut, deutsch und zugleich exotisch anmutete. Fotografien waren für die Visualisierung der Kolonien ebenfalls von großer Bedeutung. Länderkunden als auch Forschungsberichte zeigten viele Fotos der kolonialen Landschaften und einheimischen Völker, eingebunden in den Text oder im Anhang als Bildtafeln. Selbst die kleinen, preiswerten Bände von Doves Länderkunde verzichteten nicht auf Fotos und sogar in den wenig bebilderten geographischen Fachzeitschriften waren nicht selten gerade den Reiseberichten aus den Kolonien einige Fotos beigegeben.164 Wie viele Fotos in Zeitschriften oder Büchern abgedruckt werden konnten, war eine Kostenfrage. Das Deutsche Kolonialreich oder die staatlich subventionierten Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten enthielten besonders viele Aufnahmen. Aber die fotografischen Visualisierungen waren auch eine Frage des publizistischen Anspruchs und der wissenschaftlichen Redlichkeit. Einerseits sorgten sie dafür, dass sich die Leser leichter ein Bild von den kolonialen Räumen und Menschen machen konnten, andererseits dienten sie dazu, das geschriebene Wort zu verifizieren. Fotos haftete ein Authentizitätsversprechen an, sie erweckten also den trügerischen Eindruck, dass sie die koloniale Wirklichkeit unverzerrt und unabhängig von den Intentionen der Geographen zeigten.165 Was der Betrachter eines Fotos erkannte, das hing von vielen Faktoren ab, u.a. von der eigenen Weltanschauung, der eigenen Phantasie und von dem, was ihm die Geographen in den Begleittexten und Bildunterschriften suggerierten. Aus Namaland und Kalahari enthält Porträtfotos von Herero- und Hottentottenmännern mit entblößten Oberkörpern vor einer Wand sowie das Hüftbild eines jungen »Hereroweibes«, diagonal von vorne aufgenommen. Einige Seiten später folgen zwei Bildern einer älteren »Hottentottin von Bersaba, 1,48 m groß, ca 40 Jahre alt,
163 Vgl. W. Behrmann: »Geographische Ergebnisse der Kaiserin-Augustafluß-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 262. 164 In der Zeitschrift der Berliner Gesellschaft für Erdkunde und in der Geographische Zeitschrift waren die Reiseberichte der Geographen aus den deutschen Kolonien besonders ausführlich mit Fotos illustriert. 165 Vgl. Derek Gregory: »Emperors of the Gaze: Photographic Practises and Productions of Space in Egypt, 1839-1914«, in: Joan M. Schwartz/James R. Ryan (Hg.): Picturing Place. Photography and the Geographical Imagination, London 2003, S. 195-225; John Tagg: The Burden of Representation. Essays of Photographies and Histories, London 1988.
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mit gut entwickeltem Fettsteiß«, so die Bildunterschrift. Schultze ging es in diesem Kapitel allein um die Hottentotten, auf die Herero griff er nur zurück, um mittels des Vergleichs die Hottentotten zu schmähen. Er sprach von der Würde der Hererokörper, davon, dass sie einen mäßig entwickelten »Panniculus, schöne Formen und Ebenmaß« besäßen, was er mit dem Foto der attraktiven Hererofrau zu untermauern suchte. Den Körper der Hottentotten hielt er »trotz guter Proportionen und normaler Entwicklung der Muskulatur« als »zu klein und durch europäische Kleiderlumpen derart verunstaltet«, dass »der Anblick seiner Bewegung keinen Reiz« habe. Die »Bewegungen der Frauenleiber« hätten »infolge der Überfülle des Gesäßes etwas Unbeholfenes«, während die jungen Mädchen »ohne diese Zier [..] leicht fahrig in den Bewegungen ihrer Gliedmaßen« seien.166 Wie schon die Lektüre nahelegte, waren die Fotos inszeniert. Schultze schrieb selbst, dass die Einheimischen in der Regel bekleidet waren, während die Fotos im Buch fast nur nackte Körper zeigten.167 Einerseits wählten die Geographen gerne entblößte Körper als Motiv, um die anthropologischen Merkmale darzustellen. Jenseits der anthropologischen Forschungsfragen suggerierte die Nacktheit der abgebildeten Personen, dass es sich um primitive Naturmenschen handele. Hinzu kam der voyeuristische Aspekt, dem sich ebenso andere Geographen zur Auflockerung ihrer oftmals etwas drögen Berichte bedienten.168 Was in Europa skandalös gewesen wäre, das konnte hier im Namen von Geographie und Völkerkunde gerechtfertigt werden, wobei man für die Publikationen nur Hüftbilder in Frontalansicht und bei Ganzkörperbildern die Fotos aus einer Perspektive wählte, die zwar Brüste und Po, nicht aber den Schambereich zeigten. Dass gerade Schultze als promovierter Zoologe, der mit diesem Buch erst zur Geographie konvertierte, die einheimische Bevölkerung darstellte, als bilde er Tierarten ab, mag wenig überraschen. Aber während andere Geographen ähnlich ver-
166 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, Foto der Hererofrau S. 174; Foto der »Hottentottin von Bersaba«, S. 180, Zitate, S. 173f. Siehe ebenso die Fototafeln im Anhang. 167 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari. Zum Widerspruch der Bilder zum Text: siehe S. 180 und im Anhang, vgl. dazu auch der Hinweis auf die europäische Kleidung der Hottentotten auf S. 296. 168 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, Tafel 14; H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich; Erster Band (1909), Tafel 2. Ebenso siehe die Bleistiftzeichnungen, in: S. Passarge: Adamaua, Tafel 17, Abb. 200. Ebenso: Ders.: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), Tafel 25/3, 27/3, 28/3; L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), Tafel 13/2.
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fuhren, war es gerade Schultze, der über die Parallelität der Darstellungsformen zwischen Tieren und Menschen reflektierte.169 »Es reizt an sich schon, die Regungen des Seelenlebens in diesem fremdartigen Spiegel zu beobachten, um so mehr, je näher wir es im Laufe der Jahre verstehen lernen. Und dann ist es ein seltsames Gefühl, den Begriff der tierischen Spezies auf unser eigenes Geschlecht anzuwenden, wie es der erste Anblick des Kontrastes unserer und jener Züge unabweisbar aufdrängt.« Dennoch verteidigte Schultze seine zoologisch-ethnographische Perspektive und wendete sie unbeirrt in Aus Namaland und Kalahari an. In der Einleitung zur zoologisch-anthropologischen Auswertung der Expedition betonte der Jenaer Gelehrte, er wolle den Menschen nicht nur als »Problem ur- und kulturgeschichtlicher Forschung« verstanden wissen, sondern er ginge davon aus, dass »dieselbe Methode vergleichender Zergliederung«, die für zoologische Objekte erfolgreich sei, ähnlich wie »beim Studium einer alten relikten Tiergruppe so auch bei einer aussterbenden Species unseres eigenen Geschlechts« angewendet werden könne.170 Während Schultze dazu neigte, die Einheimischen als biologische Objekte zu präsentieren und ihre Primitivität herausstellte, kommt in Marie Pauline Thorbeckes Fotografien stärker die kulturelle Verschiedenheit zum Ausdruck. Ihre Bilder versuchen, die Lebenswelt der einheimischen Bewohner in den Vordergrund zu rücken. Tikar sind in Alltagskleidung zu sehen, beim Weben und Musizieren, manche ältere Menschen in vornehmer Kleidung und würdevoller Pose, daneben auch die kunstvolle Architektur von Dörfern und Palästen. Ein Foto im Reisebericht zeigte den bekannten »Häuptling« Njoya auf einem Thron, eine interessante Szene, hatte er doch wenige Jahre zuvor seinen damaligen Thron oder auch nur eine Kopie publikumswirksam Kaiser Wilhelm II. als Geburtstagsgeschenk übergeben. Mit der unpassenden Bildunterschrift »Bamun-Neger in Fullahtracht« nahm Franz Thorbecke dem Sultan allerdings wieder die Würde und banalisierte die Aufnahme.171 Fotos von der einheimischen Lebenswelt evozierten Naturnähe. Denn häufig standen die Einheimischen in der afrikanischen Savanne oder vor einfachen Hütten
169 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 174. 170 Leonhard Schultze: »Einleitung«, in: Ders (Hg.): Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika, Band 1, Jena 1908, S. V-VIII, hier S. VIII. 171 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, insbesondere Bildtafeln 10, 11, 12, 13, 14, 15. Beachte auch die Anmerkungen Zellers zum Thron von Njoya: Joachim Zeller: »Kunstwerke aus deutschen Kolonien im Ethnologischen Museum«, in: Heyden/Ders., Kolonialmetropole Berlin, S. 281-283.
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aus Stroh und Lehm.172 Nur selten hingegen zeigten die Fotos Einheimische bei der Feldarbeit, in Hausgärten oder inmitten des Interieurs ihrer Häuser.173 Europäische Gegenstände und Kleidung waren ebenfalls so gut wie nie zu sehen, denn sie hätten das Stereotyp des rückständigen Negers und die mühsam konstruierte Differenz zwischen Europäern und »Eingeborenen« unterlaufen. Fotografien waren daher weniger ein Fenster in die koloniale Wirklichkeit, als das Ergebnis vorausgehender Arrangements und Inszenierungen. Dabei ging es nicht darum, ihre Leser vorsätzlich zu täuschen. Die Fotos zeigten das, was die Geographen selbst für typisch und authentisch hielten. Nur ein Bruchteil der Aufnahmen, die Geographen und ihre Expeditionsassistenten in den Kolonien machten, waren überhaupt für die Öffentlichkeit bestimmt, selbst wenn man die Lichtbilder hinzunimmt, die sie für ihre Vorträge verwendeten und im Unterricht einsetzten. Das Fotografieren auf den Expeditionen war eine Forschungstechnik zur Speicherung von geographischen Informationen. Später verwendeten die Geographen die Fotos, um sich Gelände- und Vegetationsformen wieder ins Gedächtnis zu rufen, wenn sie mit der Niederschrift ihrer Expeditionsergebnisse befasst waren. Einen Teil der Fotos reichten sie an Kollegen weiter, vor allem an die Kartographen des Kolonialkartographischen Instituts, die anhand von Fotografien und Panoramazeichnungen, stark reliefierte Räume besser kartographisch darstellen konnten.174
172 Vgl. etwa die Fotografien von Obst: Otto Reche: Zur Ethnographie des abflusslosen Gebietes Deutsch-Ostafrikas auf Grund der Sammlung der Ostafrika-Expedition. 173 Für eine der wenigen Ausnahmen: H. Meyer: Die Barundi, Tafel 22 im Anhang. 174 Vgl. W. Bobzin: »Begleitworte zur Karte des Ost-Mbamlandes«, in: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 4. Teil, 1. Hälfte. Die Karte des Ost-Mbamlandes, Hamburg 1924, ohne Seitenzählung.
7. Ethnographische Ordnungsvorstellungen
Ausführungen über die Bewohner der Kolonien gehörten in jede Länderkunde. Menschen und Kulturen spielten in der explorativen Geographie immer schon eine große Rolle, und nachdem man Afrikaner und Pazifikbewohner zu neuen Untertanen des Deutschen Reiches erklärt hatte, war das öffentliche Interesse an ihren Sitten, Kulturen und äußeren Erscheinungsbildern noch gestiegen. Die Ethnographie war ein wichtiges Teilgebiet der Kolonialgeographie, aber zugleich auch mehr: Ethnographisches Wissen versprach zur besseren Beherrschung der Kolonisierten beizutragen, eine Erwartungshaltung, die an Geographen herangetragen wurde, die sie selbst aber ebenso nährten. Wie viel Aufmerksamkeit Geographen tatsächlich der ethnographischen Forschung schenkten, variierte erheblich: Hasserts Forschungsleistungen auf diesem Gebiet waren bescheiden und auch Jaeger trug bis auf seine Forschungen in Iraku wenig zur ethnographischen Erforschung der Kolonien bei. Schon ausführlicher befassten sich Hans Meyer und Siegfried Passarge mit der kolonialen Ethnographie, obgleich ihre Schriften nur zum kleinen Teil auf eigenen Studien beruhten und sich stärker auf die einschlägige Völkerkundeliteratur stützten.1 Ein eifriger ethnographischer Beobachter und Sammler war Erich Obst, doch bei seinem abschließenden länderkundlichen Bericht über seine Ostafrika-Expedition ließ er sich allzu sehr von seinem Imaginationsvermögen beflügeln. Anders sind die Arbeiten von Leonhard Schultze, Franz und Marie Pauline Thorbecke zu bewerten. Ihre Schriften beruhten auf sorgfältigen Beobachtungen und Gesprächen mit Gewährsmännern und Dorf-
1
Vgl. K. Hassert: Deutschlands Kolonien; Ders.: »Das Kamerungebirge: Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911) S. 144-161; F. Jaeger: Afrika, Band II. Geographie des Menschen und seiner Kultur, Berlin 1925; H. Meyer: Die Barundi; S. Passarge: »Die Buchmänner der Kalahari«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 18 (1905), S. 194-292; E. Obst: »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone, S. 153-202; Ders.: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil II.
284 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
bewohnern. Schultzes Aus Namaland und Kalahari präsentierte die ethnographischen Forschungsergebnisse in zwei ausführlichen Kapiteln zu Hottentotten (Khoikhoi) und Bastards, wie die Nachfahren von Khoikhoifrauen und männlichen Buren bezeichnet wurden. Die Thorbeckes veröffentlichten sogar zwei Monographien über die Tikar und Vute: eine Anthropogeographie und eine Völkerkunde.2 Obgleich die Geographen die Ethnographie als wichtig erachteten, schenkten sie der einheimischen Bevölkerung letztlich weniger Beachtung als der Topographie und der physischen Geographie, wie schon am Verhältnis von physischgeographischen zu ethnographischen Publikationen und am unterschiedlichen Umfang von ethnographischen und physisch-geographischen Kapiteln zu erkennen ist.
W IE E THNOGRAPHIEN
ENTSTANDEN
Wenn Geographen über die einheimischen Bewohner der Kolonien berichteten, dann stammte ihr Wissen aus zahlreichen Quellen: In den Kolonien machten sie eigene Beobachtungen, sprachen mit Gewährsmännern, vermaßen Menschen und erwarben umfangreiche ethnographische Sammlungen. Aber bei der Niederschrift von ethnographischen Kapiteln in Forschungsberichten oder Länderkunden übernahmen sie Fragmente aus früheren Reiseberichten und aus der völkerkundlichen Literatur. Einerseits fehlte den Geographen vielfach das Vorwissen, ethnographische und linguistische Methodenkompetenzen oder einfach nur die notwendigen Sprachkenntnisse. Anderseits reichte die Zeit auf einer Expedition kaum, um sich ausführlich mit den Gesellschaften zu befassen, zu sehr drängten die auflaufenden Expeditionskosten und das umfangreiche Forschungsprogramm zur Weiterreise. Und wenn die Geographen einmal länger pausierten, so bevorzugten sie eher das eigene Lager oder eine nahe Militärstation.3 Dennoch verweilte so manche Expedition in Dörfern und brachte dort den Alltag der Bewohner gehörig durcheinander. Mit einer Praxis der teilnehmenden Beobachtung, die sich erst später etablierte, hatten diese Aufenthalte nicht viel gemein, schließlich wurden die Geographen und ihre Begleiter selbst zum Mittelpunkt des dörflichen Alltags und ihre Herrenmenschenallüren verstellten ihnen darüber hinaus manche gute Gelegenheit, um in ungezwungenen Gesprächen etwas über das dörfliche Gemeinwesen ihrer Gast-
2
L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari; F. Thorbecke: Im Hochland vom MittelKamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes; F./M.P. Thorbecke: Im Hochland vom Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes.
3
Vgl. etwa zur Praxis der Errichtung von sogenannten Stand- oder Hauptlagern in Neuguinea: L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik.
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geber zu erfahren. Wie Erich Obst in seinem Reisebericht schrieb, war es ihm nach zweimonatigem Aufenthalt bei den Wadindiga nicht gelungen, in gutnachbarliche Beziehungen zu ihnen zu treten.4 Angesichts der asymmetrischen Beziehungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten hätten wohl auch eine Ausdehnung der Expeditionsdauer oder restriktivere Forschungsprogramme nicht wirklich zu verständnisvolleren Darstellungen der kolonialen Völker geführt. Oft waren es zufällige Begebenheiten und besondere Konstellationen, wenn Geographen ethnographisch forschten und viele Sammelstücke erbeuteten. Berichteten die Geographen Neues von den einheimischen Völkern, dann hatten sie das vor allem ihren Gewährsmännern zu verdanken – einheimischen Führern, Dolmetschern, ihren Boys oder ausgewählten Trägern aus der eigenen Karawane, manchmal auch Dorfvorstehern. Bei ihren Touren durch die Bergländer von Zentralkamerun diente Franz und Marie Pauline Thorbecke das Dorf Ngambe als ein Anlaufpunkt, den sie immer wieder aufsuchten. Besonderes vorteilhaft für die beiden Forschungsreisenden war, dass zwei Dorfbewohner in ihren Dienst traten, von denen der Eine acht und der Andere zehn Monate in der Karawane verblieb.5 Von den beiden Helfern erhielten die Thorbeckes einen Großteil der Informationen über die Tikar. Marie Pauline Thorbecke inspirierte diese Erzählungen zu einem damals recht ungewöhnlichen Kolonialroman, der von dem heldenhaften Kampf der Dorfbewohner gegen den Lamido von Tibati handelte und die Tikar und ihr Häuptling Ngambe als mutige und kluge Akteure präsentierte, die für den endgültigen Sieg allerdings doch die Hilfe der deutschen Kolonialtruppen benötigten.6 Wichtiger für die Kolonialgeographie waren aber die Anthropogeographie und die Völkerkunde des Ost-Mbamlandes, die ihren Lesern aber verschwiegen, wie sehr sich die beiden Autoren auf ihre Gewährsmänner verlassen hatten. Dies erfuhr man nur beiläufig aus dem Reisebericht, wenn man ihre Ausführungen über das Dorf Ngambe aufmerksam las.7 Geographen bevorzugten andere Europäer als Gesprächspartner, die sie für glaubhafter als einheimische Gewährsmänner hielten. Als Hans Meyer am 12. Juli
4
E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nördlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 33-35.
5
F. Thorbecke: Im Hochland vom Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 22-28.
6
F. Thorbecke: Im Hochland vom Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des OstMbamlandes, F./M.P. Thorbecke: Im Hochland vom Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes; Marie Pauline Thorbecke: Häuptling Ngambe: Eine Erzählung aus Kamerun, 3. Aufl., Potsdam 1938. Der Roman wurde entgegen sonstigen Gepflogenheiten sogar in der Geographischen Zeitschrift rezensiert und für länderkundlich lehrreich befunden, vgl. Felix Lampe, in: GZ 19 (1923), S. 153.
7
F. Thorbecke: Im Hochland vom Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 23.
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1911 den Kagera überschritt, um das bisher nur wenig von Europäern bereiste Ruanda zu erforschen, war sein erstes Etappenziel die Missionsstation Dsinga. Am 16. Juli kurz vor 12 Uhr erreichte die Karawane die Mission, wo das junge Ehepaar Möhrchen den deutschen Geographen und seine beiden deutschen Begleiter mit einem Mittagessen erwartete. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Meyer mehr über die Missionsarbeit seiner Gastgeber, welche er sehr abfällig in seinem Tagebuch kommentierte. Allerlei erfuhr er über die Bewohner des Landes, die politische Lage und mögliche Reaktionen bei einer Verschärfung der deutschen Herrschaft. Meyer notierte sich die Einschätzungen des Missionarsehepaars über »Hochmut« und »Feigheit« der Tutsi sowie über die »submissive Natur« der Hutu.8 Mehr und mehr übernahm Meyer in den folgenden Wochen die Sichtweise des Missionsehepaars, obgleich er vier Tage zuvor noch den Stolz und die Disziplin der Tutsi und Hutu gelobt hatte, als ihn ein Begrüßungskomitee am Ufer des Kagera empfangen hatte.9 Bei einem Besuch einer Militärstation am Kivusee fühlte sich Meyer abermals bestätigt. Dort beschrieben ihm die Offiziere die Tutsi ebenfalls als »feige und verlogen«, wie er in sein Tagebuch notierte, so dass er weiter schlussfolgerte, dass die Tutsi keine »Herrenrasse« seien, höchstens im Vergleich zu den »sklavischen Wahutu«.10 Damit gelangte Meyer zu einer völlig anderen Bewertung als Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg, der drei Jahre zuvor mit einem großen Forschungsteam Ruanda bereist hatte und die Tutsi in seinem eben erst erschienen Reisebericht als »Herrenrasse« präsentierte.11 Meyer protokollierte das Gespräch mit dem Missionsehepaar sicherlich so ausführlich, da es sich um die ersten weißen Informanten handelte, die er im Zielgebiet seiner Expedition aufsuchte. Außerdem stütze diese Deutungsweise der Rassenverhältnisse zugleich seinen Wunsch nach Übertragung der Regierungsführung von den Tutsi auf die Deutschen.12 Weniger ergiebig als erwartet war der Aufenthalt in Kigali bei Richard Kandt. Obwohl Meyer neun Tage mit dem kaiserlichen Gesandten zubrachte, gab Kandt wohl nur wenige Informationen über das Land preis. Meyer, der sich von einer Erkältung erholen musste und allerlei organisatorische Aufgaben zu bewerkstelligen hatte, machte während dieser Tage kaum ethnographische Notizen, deutete aber später an, dass dem wortkargen Kandt seine kolonialpolitischen Pläne wenig gefie-
8
H. Meyer: Tagebuch der Zwischenseenexpedition, 16.07.1911, zit. nach R. Reinhart Bindseil: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 87.
9
Ebd., 12.07.1911, S. 79-81.
10 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 5, 22.08.1911. 11 Vgl. u.a. H. Meyer: Die Barundi, S. 14. 12 Vgl. H. Meyer: Tagebuch der Zwischenseenexpedition, 16.07. und 18.07.1911, zit. nach R. Bindseil, Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929), S. 87-93.
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len.13 Beredsamer war der deutsche Resident in Usumbura, Erich von LangennSteinkeller und Hauptmann Werner von Grawert, die Meyer während seines dreiwöchigen Aufenthalts in Burundi mit vielen Informationen versorgten.14 Meyers Völkerkunde der Barundi profitierte von diesem Wissen, beruhte letzten Endes aber vor allem auf den Schriften anderer Autoren – auf dem Dictionnaire FrançaisKirundi von Pater van der Burgt, der als Missionar der »Weißen Väter« über viele Jahre in Burundi gearbeitet hatte sowie auf ein noch unveröffentlichtes Manuskript des Völkerkundlers Jan Czekanowski.15 Für die ethnographischen Kapitel der Länderkunden bedienten sich die Geographen fast vollständig bei älteren Reiseberichten und der Völkerkundeliteratur. Meist stand den Autoren für die ethnographische Abhandlung nur wenig Platz zur Verfügung, so dass sie sich auch vergleichsweise wenig Mühe damit gaben und nicht selten nur einige Stereotype präsentierten, anstatt sich um eine adäquate Beschreibung der kulturellen Vielfalt in den Kolonien zu bemühen. Selbst über die Makonde schrieb Meyer in Das Deutsche Kolonialreich nur wenig, obgleich Karl Weule, sein Leipziger Völkerkundekollege, nur wenige Jahre zuvor dieses Volk besucht und ausführlich über sie publiziert hatte. In seinen Ausführungen über das südliche Küstenhinterland berichtete Meyer nur von der »natürlichen Häßlichkeit« dieses Volkes, die durch »Körperverunstaltungen« noch gesteigert sei. Den »Makondemann« charakterisierte er als einen echten Buschneger, »scheu, verschlagen, hinterlistig und widerspenstig«. Positiv vermerkte Meyer, dass die Makonde einer »fleißigen Bodenkultur« nachgingen, doch konterkarierte er dieses Urteil sofort wieder durch die Feststellung, dass es sich um »gewaltige Zecher« handele, die ihre Hirseernte in Form von Alkohol vertrinken würden.16 Oftmals kolportierten die geographischen Schriften volkstümliche Vorurteile, die sie aus der populären Kolonialliteratur übernahmen, teils aber auch in der Völkerkundeliteratur fanden. Die Buschmänner galten als »Kinder des Augenblicks«,
13 H. Meyer: Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 3, 20.-28.07.1911. Für einige Bemerkungen über Kandt, siehe auch: Tagebucheinträge, 29.08.1911, 01.09.1911 sowie H. Meyer: »In Ruanda bei Richard Kandt 1911«, in: Haushofer, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1828-1928, S. 145-157. 14 Siehe die Karte »Urundi: Politische Gliederung« mit den verzeichneten »Sitzen der GroßBatwale und Hauptleute«: H. Meyer: Die Barundi, S. 171. Siehe ebenso die Einleitung in der französischen Übersetzung von Jean-Pierre Chrétien: »Introduction«, in: Hans Meyer: Les Barundi. Une étude ethnologique en Afrique orientale, Paris 1984, S. I-VIII, hier S. V. 15 Vgl. H. Meyer: Die Barundi, VII-X. 16 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 128-130.
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eine oft wiederholte Metapher, die Passarge in einem langen völkerkundlichen Aufsatz dazu mit den Attributen unberechenbar, unstetig und unzuverlässig garnierte, um dem Leser zu verdeutlichen, wie unnütz er diese Volksgruppe für die Kolonialwirtschaft hielt.17 Andere Geographen waren mit pejorativen Urteilen nicht weniger zurückhaltend: faul, »wenig intelligent, es sei denn beim Betrügen«, indolent, verlogen, gewalttätig, müßiggängig, intrigant, gefräßig, ein Hang zur Schlemmerei und zur »Befriedigung boshafter und grausamer Triebe«, so lauteten Charakterisierungen, die Geographen gerne dem »Neger« im Allgemeinen oder bestimmten Volksgruppen unterstellten.18 In seinem Adamauabuch verstieg sich Passarge zu der These, dass der Küstenneger »im Großen und Ganzen den Vorstellungen« entspräche, »welche man sich in Europa von den Negern zu machen pflegt«:19 »Der Schädel ist rund und plump, das Haar wollig und steht gruppirt, die Stirn ist sehr verschieden, im Allgemeinen mittelhoch und meist zurücktretend. Das Gesicht ist rund und breit. Die Nasenwurzel ist breit und flach, ebenso der Nasenrücken; die Nasenflügel sind stark aufgebläht, die Nase daher breiter als lang; die Nasenspitze stumpf und aufgestülpt, so dass man in die Löcher hinein sieht. Die Lippen sind dick, wulstig und geschwungen; kurz, alle Fleischtheile massig entwickelt. Auch der Körper ist plump, knochig, muskulös und hat ein reichlich entwickeltes Fettpolster. Das weibliche Geschlecht ist fast durchweg durch eine starke Beckenneigung und damit Krümmung der Wirbelsäule und Einwärtsstellung der Füße ausgezeichnet. Starke Fettablagerung im Gesäss geht damit Hand in Hand.« Die ständigen Wiederholungen führten dazu, dass Leser diese Ansichten internalisierten und wohl weniger voreingenommene Leser mit der Zeit zermürbten. Schließlich war es nicht irgendjemand, der diese Zuschreibungen vorbrachte, sondern es handelte sich um Experten mit Fachverstand und Ortskenntnis, die diese populären Vorurteile bestätigten, anstatt sie zu korrigieren. Es sollte noch viele Jahre dauern, bis grundlegende Kritik an der alten Entwicklungslehre in der Ethnologie laut wurde und Richard Thurnwald anprangern würde, dass man »Gesichtspunkte, die man von der Ordnung anderer Erscheinungen gewonnen« habe, »auf passend zusammen gesuchtes Material« übertragen habe und so eine »Struktur der ethnolo-
17 S. Passarge: »Die Buchmänner der Kalahari«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 18 (1905), S. 194-292. 18 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 632; H. Meyer: Die Barundi, S. 15. Oft besonders drastisch und variantenreich: S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer: Das Deutsche Kolonialreich; Erster Band (1909), S. 455-507 sowie Ders.: Adamaua, v.a. S. 511-519. 19 S. Passarge: Adamaua, S. 419.
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gischen Phänomene« vorgetäuscht habe, welche die Ordnung und die Zusammenhänge verzerrte und entstellte.20 Der Begründer der Sozialethnologie in Deutschland dachte an eine Völkerkunde, die ihre Einsichten auf induktivem Wege gewinnen sollte, was mit den ideographischen Traditionen in der Geographie hätte harmonieren können, doch während der Kolonialzeit genügten den Geographen einfache Ordnungsschemata mit recht allgemeinen Typisierungen, die sie mit Anmerkungen über die Umwelt, populären Stereotypen und evolutionistischen Deutungsmustern anreicherten.
E INE ANEKDOTE
VON
K AMERUNER Z WERGEN
Voreingenommenheit machte sich in der geographischen Wissenserzeugung nicht erst bei Niederschrift der ethnographischen Kapitel und Monografien bemerkbar. Bereits in den Kolonien war die Wahrnehmung der Geographen von Erwartungshaltungen geprägt, wie sich besonders deutlich in dem Zusammentreffen der Thorbeckes mit Angehörigen eines angeblich kleinwüchsigen Volkes zeigte. Vom »Häuptling« eines Dorfes in den Njanti-Bergen erfuhren die beiden Forschungsreisenden, dass es in der Nähe »short people« gäbe, die früher oben auf den höchsten Gipfeln des Gebirges in Höhlen gehaust hätten, inzwischen aber in Farmdörfern am Fuße des 1500 Meter hohen Jandjom lebten. Das Ehepaar glaubte an eine Sensation. Nicht nur, dass sie im Begriff waren, ein noch unbeschriebenes Volk zu entdecken, es bahnte sich der Erstkontakt mit »Zwergen« an, was in der Vergangenheit so manchem Forschungsreisenden große Anerkennung beschert hatte.21 Die beiden begannen, sich die Menschen als märchenhaftes Zwergenvolk auszumalen, Marie Pauline Thorbecke erwartete gar »den scheußlichen Anblick« von »dickköpfigen, mißgestalteten Wesen«.22 Als sie dann zu dem Dorf der »Zwerge« gelangten, entsprachen die Bewohner kaum ihren Erwartungen.23
20 Richard Thurnwald: Die menschliche Gesellschaft in ihren ethno-soziologischen Grundlagen: Repräsentative Lebensbilder von Naturvölkern, Band 1, Berlin 1931, S. 1. Thurnwald wurde allerdings während der Kolonialzeit dem später formulierten Anspruch selbst nicht immer gerecht. Vgl. dazu: Marion Melk-Koch: Auf der Suche nach der menschlichen Gesellschaft. Richard Thurnwald, Berlin 1989. 21 Franz Thorbecke: »Eine neue Zwergrassse«, in: DKZ 30 (1913), S. 176-78; Ders.: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S.88-98. Zur Bedeutung des Erstkontaktes u.a.: Georg Schweinfurth: Konrad Günther: Georg Schweinfurth. Lebensbild eines Afrikaforschers, Briefe von 1875-1925, Stuttgart 1954, S. 217-220. 22 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 214. 23 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 94.
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»Beeinflußt durch den Eindruck, den bei uns in Europa solch unglückliche Geschöpfe auf Schaustellungen machen, waren wir auf den Anblick abstoßender, winziger, nackter Gestalten gefaßt. Um so mehr waren wir überrascht: wir fanden wohl sehr kleine, aber durchaus nicht abnorm häßliche Menschen; aus der Ferne gesehen, fielen sie überhaupt nicht auf, wenn sie nicht gerade neben unsern langen Trägern standen.« Dennoch identifizierten die Forschungsreisenden »die ganze Zwergenschar« sofort als »wirkliche, echte Pygmäen«. Die Körpergröße entpuppte sich als wenig auffällig, die fünf Männer maßen angeblich 151; 149,4; 145,6; 143 und 140,5 cm, die Frauen seien ebenso groß gewesen. Dennoch waren der Geograph und seine Frau nicht gewillt, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Sie ließen eine Beschreibung der körperlichen Eigentümlichkeit folgen, sprachen von einem »runden Kopf«, verhältnismäßig großen Oberkörpern, an denen »kurze, aber sehnige Arme herunterhingen, mit kleinen Händen«. Die Beine wären gleichfalls kurz und erschienen ihnen »für den schweren Oberkörper viel zu schwach, ein Eindruck, der durch die ebenfalls kurzen Füße verstärkt wurde«, die sie in Umrisszeichnungen festhielten.24 Franz Thorbecke berichtete über diese Begebenheit drei Monate nach Expeditionsende in einem Aufsatz in der Deutschen Kolonialzeitung, der später mit identischen Textpassagen das vorletzte Kapitel seines Reiseberichtes mit dem Titel »Das Gebirge der Zwerge« bildete.25 Die den beiden Publikationen beigegebenen Fotografien stützen nicht die These von der Außergewöhnlichkeit der Körper; lediglich die aufgeblähten Kinderbäuche deuteten auf Eiweißmangel hin. Die Thorbeckes hatten wohl nach den ersten Hinweisen so sehr auf eine Sensation gehofft, dass sie nicht mehr gewillt waren, die gute Geschichte aufzugeben, als sie später mit der nüchterneren Realität konfrontiert wurden. Noch spektakulärer schmückte Hugo Wichmann, der Redakteur des geographischen Monatsberichts in Petermanns Mitteilungen den Zwergenfund aus, den er als ersten Nachweis für die Existenz einer Zwergenbevölkerung in der Kolonie präsentierte und in Neukamerun noch weitere Vertreter der älteren Urbevölkerung vermutete. Aus den acht Erwachsenen und sechs Kindern machte Wichmann eine »Kolonne von einigen hundert Zwergenmenschen«, die Thorbecke entdeckt habe und die nun, so wußte er nach
24 Ebd., S. 94. Waibel hatte zu diesem Zeitpunkt bereits krankheitsbedingt schon die Rückreise angetreten. 25 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 88-98, vgl. Ders.: »Eine neue Zwergrassse«, in: DKZ 30 (1913), S. 177.
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sozialdarwinistischer Manier zu deuten, als »sesshafte Ackerbauern« lebten, die von den »größeren und stärkeren Negern zu Sklaven gemacht worden« seien.26 Abbildung 3: »Pygmäen-Familie«
Franz Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise. Eindrücke und Beobachtungen (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts, 11 – Reihe C. Geographie, Geologie, Mineralogie, Paläontologie, 1), Hamburg 1914, Tafel 49, Foto: Marie Pauline Thorbecke.
R ASSEN -
UND
V ÖLKERORDNUNG
Die Geographie des Menschen, ob als Anthropogeographie oder Völkerkunde, war auf Kollektive gerichtet. Der einzelne Mensch interessierte nur als Repräsentant eines Volkes oder einer Rasse. Was unter Volk oder Rasse genau zu verstehen war, ging aus den geographischen Schriften nur vage hervor, selbst Franz Thorbecke, der einen Abschnitt in der Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes mit »Rassen und Völker« betitelte, blieb eine Begriffsbestimmung schuldig.27 Oftmals wurden die
26 Hugo Wichmann: »Entdeckung eines Zwergstammes in Kamerun durch Prof. Thorbecke«, in: PGM 59 (1913), S. 140 [Geographischer Monatsbericht]. 27 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des OstMbamlandes, S. 7-13. Ebenfalls: H. Meyer: Die Barundi, S. 12; S. Passarge: Adamaua, S. 417ff.
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Kategorien durcheinander verwendet. Von Völkern sprachen Geographen eher, wenn sie soziale Gruppen im Sinn hatten, die kulturelle, politische und religiöse Beziehungen untereinander pflegten und über ein ethnisches Bewusstsein verfügten, obwohl sie Letzteres ausgerechnet als Rassenbewusstsein bezeichneten. Als Synonym für Volk oder für einen räumlich und politisch getrennten Teil eines Volkes findet sich in den geographischen Texten Stamm als weiterer Begriff. Rasse hingegen war in erster Linie ein biologischer Typenbegriff, den Geographen mittels des schon beschriebenen historischen Narrativs thematisch ausweiteten und intellektuell aufwerteten. Um 1910 avancierten diese Vorstellungen zu einer »grand récit« der Ethnographie, die sich in zahlreichen Veränderungen als äußerst langlebig erwies.28 Die Geographen verwendeten die Modellvorstellung von drei Einwanderungswellen dazu, um die nahezu unüberschaubare Vielfalt von afrikanischen Völkern zu ordnen und ihre Geschichte, Sprache, Kultur und Wirtschaftsführung mit der Biologie rassentheoretisch zu verknüpfen. Bevölkerungsgruppen, die als kleinwüchsig identifiziert wurden, waren demnach Nachfahren der ersten Einwanderungsgruppe. Sie lebten angeblich ausschließlich als Jäger und Sammler und bildeten daher die unterste Kulturstufe, die manchmal aufgrund der Völkerwanderung zu vorgeschichtlicher Zeit auch als Urbevölkerung bezeichnet wurde. Zu ihnen zählten Buschmänner, Twa und Bakka und ihnen nahestehende Gruppen in Kamerun, die allgemein unter dem Sammelbegriff Pygmäen zusammengefasst wurden. Eine intermediäre Position besetzten die Bantu, denen die Geographen eine typische Negerphysiognomie und gemeinsame Sprachmerkmale unterstellten. Die Bantu betrieben demnach Landwirtschaft in Form des tropischen Hackbaus und umfassten die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung.29 An der Spitze der Rassenhierarchie standen die Hamiten mit einer angeblich helleren Hautfarbe, schlankem und großgewachsenem Körperbau, langen Extremitäten und feingliedrigen Gesichtern. Ihre Wirtschaftsform war die Rinderzucht, die nach dem Wertesystem der Geographen über dem Ackerbau stand. Obwohl die Hamiten als am weitesten fortgeschritten galten, waren sie nicht automatisch im deutschen Kolonialsystem privilegiert. Gerade Herero und Tutsi wurden als Konkurrenten wahrgenommen, die den räumlichen Expansionsbestrebungen der Deutschen entgegenstanden.
28 Vgl. P. Rohrbacher: Die Geschichte des Hamiten-Mythos; Franz Rottland: »Hamiten, Neger und Négritude. Zur Geschichte einer afrikanistischen Klassifikation«, in: Paideuma 42 (1996), S. 53-63; E. Sanders: »The Hamite-Hypothesis«, in: Journal of African History 10/4 (1969), S. 521-553. 29 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des OstMbamlandes, S. 58.
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Den Vorteil der übersichtlichen Ordnung der afrikanischen Völker erkauften sich die Geographen mit einem hohen Abstraktionsgrad. Für die dreistufige Einwanderungshypothese ließen sich kaum zweifelsfreie Belege finden, was die Geographen aber nicht daran hinderte, dieses Modell mehr noch als Völkerkundler als wissenschaftliche Tatsache zu präsentieren. Dennoch fiel es ihnen schwer, einzelne Völker in das Modell einzupassen, Meyer verzichtete sogar in der Darstellung der Einzellandschaften in Das Deutsche Kolonialreich darauf, es auf einzelne Räume und Völker anzuwenden. Erich Obst stellte die Rassensystematik ebenfalls vor Schwierigkeiten, da ihm drei Rassen nicht ausreichten, um die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu klassifizieren. Stattdessen betonte er die Existenz von Mischformen, die er auch zwischen Urbevölkerung und Hamiten vermutete. Auf der Expedition hatte der Hamburger Geograph beobachtet, dass in vielen ostafrikanischen Dörfern Menschen verschiedener ethnischer Herkunft lebten, woraus er schlussfolgerte, dass die »Eingeborenen« der Blutsverwandtschaft keine Bedeutung mehr zumaßen. Entscheidend war ferner, dass seine anthropologischen Messungen keine belastbaren Ergebnisse lieferten, auch nicht die spätere Auswertung der gesammelten Skelette durch Anthropologen, was Obst veranlasste, überall »Blutmischung« zu vermuten.30 Da ihm die Klassifizierung nach körperlichen Merkmalen verstellt war, erachtete er die Sprache als einen angemessenen Ausweg, um dennoch Völker zu unterscheiden.31 Dazu erlernte Obst auf der Expedition einen Basiswortschaft verschiedener Dialekte und nahm auf insgesamt 80 Walzen Sprach- und Gesangsproben auf, die er später dem Völkerkundler und Linguisten Bernhard Struck zur Analyse überließ.32 Da die linguistische Auswertung ebenfalls Schwierigkeiten bereitete, entschied sich Obst dafür, die Völker dennoch nach körperlichen Merkmalen und dem Kriterium der räumlichen Lage zu klassifizieren. Auf vielen Seiten
30 E. Obst: Das abflußlose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 198f.; Ders.: Das abflußlose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 20. Oftmals wurden auch die Hottentotten als eine Mischung aus Urbevölkerung und einer hellhäutigen Rasse südostasiatischer Provenienz angenommen, dazu: K. Dove: »Deutsch-Südwestafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, Band I (1911), S. 221f. 31 E. Obst: Das abflußlose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 195f. 32 E. Obst: Das abflußlose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 267; Ders.: »Von Mkalama ins Land der Wakindiga: Vorläufiger Bericht (II) der Ostafrika-Expedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 26 (1912), S. 1-45, hier S. 19-21, 29-45.
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spekulierte er auch über mögliche Einwanderrouten, anstatt sich auf seine empirischen Beobachtungen zu beschränken.33 Das multiethnische Zusammenleben der einheimischen Bevölkerung war auch schon anderen Geographen aufgefallen. »Rassenmischung«, »Babel« oder »babylonisches Sprachgewirr« lauteten die Begriffe, mit denen die Geographen versuchten, die Organisationsweise der einheimischen Bewohner zu beschreiben.34 Schwierigkeiten der Zuordnung führten sie auf Veränderungen zurück, die in der Kolonisierung und der Ausbreitung des Islams ihre Ursache hätten, anstatt die Unzulänglichkeit ihrer Ordnungskonzepte zu erkennen. Aber die Geographen waren weniger daran interessiert, welche Veränderungen die Völker unter den Bedingungen der Kolonialherrschaft durchlebten. Vielmehr waren sie auf die Rekonstruktion eines natürlichen Urzustandes fixiert, zu dem Rassen und Völker angeblich voneinander segregiert waren, so dass sie verkannten, dass ethnische Identitäten amorph und durchlässig waren und Gemeinwesen sich nicht nach universalen Prinzipien erklären ließen.35
ANTHROPOLOGISCHE F ORSCHUNGEN Geographen pflegten einen ausgesprochenen Materialismus in der Darstellung der einheimischen Völker. Als Erstes rückte der Mensch als biologisches Wesen in den Fokus: Hautfarbe, Körperbau, Körpergröße, Schädel- und Nasenformen sowie die Beschaffenheit der Haare und Frisuren waren die üblichen Unterscheidungsmerkmale einer biologistischen Typenbestimmung. Dann folgten Anmerkungen zur Körperhaltung, zu Empfindungen, gefolgt von »künstlichen Verunstaltungen«, wie Geographen gerne Tätowierung, Körperschmuck und ein angebliches Ausbrechen der Schneidezähne bezeichneten, sowie gelegentlich von Beschreibungen der weiblichen Geschlechtsorgane.36 Rubriken und Reihenfolge waren variabel – sogar
33 E. Obst: Das abflußlose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 195f. 34 Für Ostafrika: E.Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen DeutschOstafrika, Teil 1, S. 45. Für Kamerun: S. Passarge: Adamaua, S. 10. Für Neuguinea: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 92; Ders: Das westliche Kaiser-WilhelmsLand in Neu-Guinea. S. 19-23. 35 Juhani Koponen: People and Production in Late Precolonial Tanzania: History and Structures. Helsinki 1988, S. 179-191; J. Iliffe: A Modern History of Tanganyika, S. 318-341. 36 Manchmal interessierten sich die Geographen besonders für die Form von weiblichen Geschlechtsorganen, die sie detailliert beschrieben, um angebliche rassische Normabweichungen kenntlich zu machen: L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 178, 180, 659
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innerhalb desselben Buches. Ausführungen zur Körperpflege, Geburtshilfe, zu medizinischen Praktiken und Essgewohnheiten ergänzten die »körperlichen Äußerlichkeiten«.37 Franz und Marie Pauline Thorbecke beschrieben die biologischen und kulturellen Merkmale der Tikar in einem Kapitel zur »Kultur des Körpers«, das sie bisweilen mit geistreichen Zwischenüberschriften versahen, obgleich sie doch meist nur Banalitäten und wenig interessante Details darboten. Dass »der Tikar zunächst keinerlei auffallende Merkmale« aufweise, seine »Körperbildung« eher unscheinbar sei, »den Eindruck des Bescheidenen« mache, »mittelgroß, verhältnismäßig schmächtig und zart gebaut« sei, kann der Leser dort genauso erfahren, wie dass seine Hautfarbe »im allgemeinen etwas heller und rötlicher« sei »als die seiner umwohnenden Nachbarn«, obwohl natürlich »auch einzelne dunkele Erscheinungen« existierten und sogar, dass die Tikar Körper- und Zahnpflege betrieben und die Finger und Fußnägel mit dem Messer schnitten, sparten die Thorbeckes nicht aus.38 Einige Geographen versuchten sich in anthropometrischen Messungen. Schultze missbrauchte dazu kriegsgefangene Khoikhoi. Da Messungen an lebenden Menschen schwierig waren und leicht zu Ungenauigkeiten führten, wie er bemerkte, verlegte er sich zunehmend darauf, Schädel und Skelette zu sammeln, die er dann in den deutschen Völkerkundemuseen von Anthropologen untersuchen ließ.39 In der umfassenden Auswertung der zoologischen und anthropologischen Sammlung ist ein Aufsatz von Heinrich von Eggeling enthalten, der dafür Köpfe von »vier Herero, einem Herero- und einem Hottentottenkind« untersuchte, die in Formol und Alkohol konserviert waren. Der Jenaer Anatomieprofessors kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei Herero und Hottentotten um niedere Rassen handelte, obwohl er keine anatomischen Merkmale hatte finden können, die jenseits der Variationsbreite
sowie: Ders.: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 206. Siehe auch die Anmerkungen bei Otto Reche: Zur Ethnographie des abflusslosen Gebietes Deutsch-Ostafrikas auf Grund der Sammlung der OstafrikaExpedition, S. 18, 47. 37 Vgl. S. Passarge: Adamaua, S. 417-428; H. Meyer: Die Barundi, S. 7-12; Schultze: Aus Namaland und Kalahari; W. Behrmann: »Beiträge zur Rassenkunde des Innern von Neuguinea (Sepikgebiet)«, in: Kolonialstudien, S. 223-252. 38 F./M.P. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 3. Völkerkunde des OstMbamlandes, S. 15-24. 39 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 655, W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 56; Ders.: »Beiträge zur Rassenkunde des Innern von Neuguinea (Sepikgebiet)«, in: Kolonialstudien, S. 225.
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der Europäer lagen.40 Für dasselbe Buch verfasste der bekannte italienische Rassenkundler Sergio Sergi, damals noch Privatdozent am anatomischen Institut in Berlin, eine ausführliche Abhandlung über die Gehirne von Hereros, Ovambo und Hottentotten.41 Franz Thorbecke eignete sich während seiner Expedition sieben Schädel und eine Anzahl von Knochen und Skelettteile an, die er von dem Anthropologen Theodor Mollison osteometrisch untersuchen ließ.42 Schon Oscar Baumann hatte auf seiner Massai-Expedition in den frühen 1890er Jahren einige Schädel gesammelt und auch Walter Behrmann setzte diese gängige Praxis 1912 in Neuguinea fort.43 Eine größere Sammlung raffte Erich Obst zusammen, der seine ethnographischen Beobachtungen durch Daten über den Körperbau verschiedener Völker vervollständigen wollte. »Da sich bei Messungen am lebenden Körper gar zu leicht Fehler einschleichen, und diese Arbeiten überdies sehr viel Zeit in Anspruch nehmen«, versuchte er eine möglichst große Zahl menschlicher Skelette auszugraben. Allein im Osten der Burungiberge verschaffte er sich Zugriff auf 34 Leichen und gab im Reisebericht freimütig Auskunft darüber, wie es ihm gelungen war, sich die Skelette anzueignen.44 Die Reaktionen der Völker seien verschieden gewesen, bei vielen Völkern sei er auf »den energischsten Widerspruch« gestoßen, aber andere Völker hätten ihm, nachdem er bereits viele Skelette ausgegraben hatte, angeboten »für eine Handvoll Perlen und etwas Tabak das Grab ihres Großvaters, ihrer Mutter u.s.f. 40 Heinrich von Eggeling: »Anatomische Untersuchung an den Köpfen von vier Hereros, einem Herero- und einem Hottentottenkind«, in: Schultze, Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika, Band 3 (1909), S. 323-348. 41 Sergio Sergi: »Cerebra Hererica«, in: Schultze, Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika (1909), S.1-322. 42 Theodor Mollison: »Zur Anthropologie des Ost-Mbamlandes«, in: Thorbecke, Im Hochland von Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes, S. 111. 43 Vgl. Emil Zuckerkandl: »Untersuchung von acht Schädeln«, in: Baumann, Durch Massailand zur Nilquelle, S. 360f.; W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 56; Ders.: »Beiträge zur Rassenkunde des Innern von Neuguinea (Sepikgebiet)«, S. 225. Eine riesige Schädelsammlung erwarb etwa auch die Zentralafrika-Expedition unter der Leitung von Adolf Friedrich von Mecklenburg und Beteiligung von Jan Czekanowski, dazu: Christine Stelzig: »Zur Geschichte der ersten Zentralafrika-Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg, 1907-1908«, in: Köhler/Seige, Zwischen Nil und Kongo, S. 30. 44 O. Reche: Zur Ethnographie des abflusslosen Gebietes Deutsch-Ostafrikas auf Grund der Sammlung der Ostafrika-Expedition.
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zu zeigen«.45 Sollte sich diese Begebenheit nicht nur in der Phantasie des Geographen zugetragen haben, darf man dennoch ernsthaft bezweifeln, dass es sich um Gräber der eigenen Angehörigen handelte. Trotz heftigen Protests war der Hamburger Geograph nicht gewillt von Leichenschändungen abzulassen: Man dürfe sich »nicht gleich ins Bockshorn jagen lassen und seinen Plan aufgeben, denn die Wissenschaft braucht zur Klärung der Rassenprobleme dringend eine möglichst große Serie von Skeletten«, so Obst. Außerdem mahne der gegenwärtige »Verschmelzungsvorgang der verschiedensten Völker und Rassen« zur Eile. Als er sein Anliegen dem »Burungi-Sultan« mitteilte, begegnete man ihm mit eisernem Schweigen, die Dorfbewohner schienen sogar zu befürchten, dass er Kannibale war. Mit Stolz berichtete Obst, wie es ihm dennoch gelang, die Dorfbewohner von den Ausgrabungen zu überzeugen.46 »Wir feilschten nun schon mehrere Stunden – ging meine Geduld doch zu Ende. Ich wollte eine Entscheidung herbeiführen, mochte sie zu meinen Gunsten ausfallen oder nicht. Zu diesem Zweck fuhr ich ganz schweres Geschütz auf. ›Bringe die Ziege her‹, befahl ich dem Kochjungen. Und als das feiste Tier neben ihm stand, rief ich zu den Burungi-Leuten hinüber: ›Ich schlachte jetzt diese Ziege hier. Laßt Ihr mich morgen früh Skelette ausgraben und zeigt mir die Grabstellen, so mögt ihr alle meine Gäste sein und mit mir essen, und wenn es nicht reicht, will ich gern noch eine zweite Ziege hergeben. Wollt ihr nicht, so werde ich es mir allein gut schmecken lassen und wie gesagt morgen früh nach Ussandaui marschieren.‹« Wenn seine Rede im Wortlaut wohl fiktiv war, so deutet sich dennoch an, wie dreist Obst vorging. Es gelang ihm schließlich die Gemeinschaft zu überreden, das sie ihm die Ausgrabung von Skeletten erlaubten, aber nur weil er versprach, ihnen würde in Europa große Ehrerbietung widerfahren. 14 Skelette ließen ihn die Dorfbewohner nach penetrantem Insistieren ausgraben, bis sie zutiefst beunruhigt weitere Grabschändungen untersagten. Als Obst sich auf der Rückfahrt nach Deutschland befand, hatte er 70 Skelette zusammengetragen.47
45 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 87. 46 Ebd., S. 88f. 47 Vgl. Ebd. sowie Ders.: »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone«, S. 164.
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E INE
MATERIELLE
K ULTUR
Geographen interessierten sich besonders für die materiellen Gegenstände der einheimischen Völker: Alltagsgegenstände, Waffen, Schmuck, religiöse Objekte bis hin zur Architektur, wobei die Beschreibungen der physischen Eigenschaften, der Größe, Form, Verzierungen etc. dominierten.48 Dass Geographen einheimische Völker als »materielle Kultur« wahrnahmen, lag am Materialismus einer vorwiegend museal geprägten Völkerkunde. So befeuerten die Völkerkundemuseen als zentrale ethnographische Wissensorte eine regelrechte Sammelobsession, die Geographen im gegenseitigen Einvernehmen auf die Rolle des Zuträgers von neuen Sammelstücken festlegte. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die visuelle Wissenskultur der Geographen, die beobachtbare und kartierbare Objekte in den Vordergrund rückte, was besonders durch die Betonung von Standorten und der Verbreitung von ethnographischen Gegenständen anschaulich wurde. In Länderkunden wurde nur selten auf ethnographische Objekte eingegangen, doch gelegentlich gaben Geographen oder völkerkundliche Experten eine kurze Übersicht über die Verbreitung von Handwerk, Gebrauchsgegenständen, Bekleidungstraditionen, Bewaffnung und Musikinstrumenten in einer Kolonie anhand von Karten und dazugehörigen Begleittexten.49 Ausführlicher waren die expeditions48 Zur materiellen Kultur in der neueren ethnologischen Forschung: Christian F. Fest: »Materielle Kultur«, in: Bettina Beer/Hans Fischer (Hg.): Ethnologie. Einführung und Überblick, 6. Aufl., Berlin 2003, S. 239-259; Hans Peter Hahn: Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2005; Gudrun M. König: »Auf dem Rücken der Dinge. Materielle Kultur und Kulturwissenschaft«, in: Kaspar Maase/Bernd Jürgen Warneken (Hg.): Unterwelten der Kultur. Themen und Theorien der volkskundlichen Kulturwissenschaft, Köln 2003, S. 95-118. Zum Materialismus als wissenschaftliche Weltanschauung im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Annette Wittkau-Horgby: Materialismus. Entstehung und Wirkung in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1998; A. Zimmerman: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany. 49 Von den kolonialen Länderkunden dokumentierte Das Deutsche Kolonialreich am ausführlichsten
die
materielle
Kultur
der
einheimischen
Bevölkerung.
Meyers
Ostafrikakapitel beinhaltet sechs ethnographische Karten von Karl Weule über die Verbreitung von Haus- und Siedlungsformen, Bekleidung, Angriffswaffen, Schutzwaffen, Körperverunstaltungen und Musikinstrumente, einschließlich einiger Erläuterungen, siehe: Meyer, »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), sowie das Kartenblatt im Ethnographiekapitel und S. I-IV. Passarges Kamerunkapitel enthält ein Unterkapitel mit dem Titel »Materieller Kulturbesitz« und ebenfalls einige ethnographische Karten von ihm, siehe: S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 488-497. Für Togo knapper und ohne Karten:
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basierten Völkerkundeschriften: Schultze befasste sich in Aus Namaland und Kalahari neben seinen anthropologischen Studien intensiv mit Hütten und dem Handwerk. Sein Forschungsbericht von Deutsch-Neuguinea setzte diese Perspektive fort und versuchte eine »Vergleichende Betrachtung des materiellen Besitzes«, die sich u.a. mit Peniskapseln, Bewaffnung und Flechttechniken befasste und abermals den Wohnstätten besondere Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Als Morphologe interessierten ihn technische Feinheiten – Seitenlängen, Raumhöhe, die Dicke der verwendeten Pfähle etc. Gewissenhaft veranschaulichte er mit exakten Bleistiftzeichnungen die Grund- und Aufrisse der Hütten, insbesondere der »Hordenhäuser« am mittleren Sepik. Doch selbst Wohnstätten interpretierte Schultze nach evolutionären Gesichtspunkten und obgleich seine Zeichnungen allerlei Interieur zeigen, erachtete er den Mangel an Schmuck in den Wohnräumen als Beleg für die tiefe Kulturstufe der Bewohner.50 Die Thorbeckes befassten sich in der Völkerkunde des Ost-Mbamlandes ausführlich mit der materiellen Kultur, wie sie das längste Kapitel des Buches überschrieben. Auf vielen Seiten berichteten sie von der Töpferei, von Flecht-, Knüpfund Bindearbeiten, Weberei, Lederverarbeitung, Holzbearbeitung, Schmiedekunst und Gelbguss. Genau gingen sie auf Größen, Gestalt, Muster und Varianten der Objekte ein und suchten ihre Ausführungen durch viele Bildtafeln zu belegen. Die beiden Forschungsreisenden setzten sich auch mit den Produzenten und Herstellung auseinander, doch über den Gebrauch der Objekte erfuhr der Leser fast nichts.51 Auch interessierten sich die Thorbeckes kaum für die soziale Welt und den Alltag der Gemeinschaften. Die Artefakte begriffen sie als Ausdruck von Fertigkeiten und Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen sollte, die Kulturstufe der Tikar zu bestimmen.52 Trotz ihrer Bemühungen um Verständnis für die einheimische Kultur gelang es ihnen nicht, die evolutionistische Perspektive zu überwinden. Immer wieder fielen sie auf gedankenlose Stereotype zurück. Schon im ersten Satz des Kapitels erklärten sie, die Töpferei sei »bei den Tikar ebenso einfach wie bei den meisten Negerstämmen des tropischen Afrika: die reinste Handarbeit, von allen Zufällig-
S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 83-91. Ferner zur Ethnographie Deutsch-Südwest-Afrikas: S. Passarge: »Die Mambukuschu«, in: Globus 87 (1905), S. 229-234, insb. 232-234. 50 L. Schultze: Forschungen im Innern der Insel Neuguinea, S. 53-58, vgl. dazu ebenfalls die Zeichnungen von Hütten, Baumhäusern und »Hordenhäusern« der Tafeln I-XX. 51 Besonders deutlich etwa auch in den kontextlosen Darstellungen ethnographischer Gegenstände auf Bildtafeln ersichtlich. Siehe dazu: L. Schultze: Forschungen im Innern von Neuguinea, S. 58-67 sowie die Fototafeln XXXI-XLVI. 52 F./M.P. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes, S. 26-56.
300 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
keiten und Launen des Augenblicks abhängig«.53 Einige Seiten danach berichteten sie im Widerspruch dazu von spezialisierten Kunsthandwerkern, von Meisterinnen, die sich auf die Herstellung bestimmter Wasserkrugformen spezialisiert hätten und nur auf Bestellung produzierten.54 Ausführlich werden in der Anthropogeographie die Siedlungen auf dem Kameruner Hochplateau behandelt, die sie primär dazu nutzten, um Differenzen zwischen den Vute und Tikar mit einem geographischen Erklärungsansatz zu untermauern. Vute wohnten demnach in Haufendörfern, die »ohne Plan oder Regel angelegt« seien, während die Tikar in regelmäßigen Dörfern lebten, die unabhängig von der Größe immer auf dieselbe Weise gebaut worden seien. Auf die Befestigungsanlagen ging Thorbecke ausführlich ein, unterschied Schutzsiedlungen und Zwingburgen, die er genauso wie die hohe Siedlungsgröße als Resultat von Kriegen deutete, eine Bauweise, die trotz der langen Friedenszeit immer noch tief »eingewurzelt« sei.55 Geographische Lage der Siedlungen, die Größe und Bauweise von Dörfern und Häusern dienten dem Geographen als die entscheidenden Kriterien, um zwischen den beiden größten Volksgruppen Differenzen zu postulieren. Aber dessen nicht genug: Wohn- und Siedlungsformen wollte er darüber hinaus als Ausdruck von geistigen Unterschieden verstanden wissen und vice versa die geistige Differenz zugleich wiederum auf Wechselwirkung mit der Umwelt zurückführen.56 Den Geographen würde unrecht getan, unterstellte man ihnen, sie hätten die geistige Kultur vollständig vernachlässigt. Sprache, Familienstrukturen, Sitten, Religion und politische Organisationsformen gehörten seit Langem zum kategorialen Repertoire der Völkerkunde.57 Doch in der Regel handelten die Kolonialgeographen diese sozialen Verhältnisse nur sehr allgemein ab, in kurzen Abschnitten schnell nacheinander, ohne dem Leser substantielle Einsichten in die Organisation der Gemeinwesen darzubieten. Oft waren die Bemerkungen eher dem Anspruch der Vollständigkeit als einem ernsthaften Erkenntnisinteresse und Forschungsbemühungen geschuldet. Ausnahmen waren erneut Schultzes Aus Namaland und Kalahari sowie Thorbeckes Völkerkunde. Beide behandelten ausführlich Familienstrukturen, die Völkerkunde der Thorbeckes darüber hinaus Totemismus, Gesellschaft, politische
53 Ebd., S. 26. 54 Ebd., S. 29. 55 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 2. Anthropogeographie des Mbamlandes, S. 25-42, Zitate, S. 28-30. 56 F./M.P. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 3. Teil. Völkerkunde des OstMbamlandes; Ders.: »Die Inselberg-Landschaft von Nord-Tikar«, in: Hettner, Zwölf länderkundliche Studien (1921), S. 215-242, hier v.a S. 237. 57 Vgl. Margaret T. Hodgen: Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Philadelphia, PA 1964, S. 167f. Ebenso: F. Ratzel: Völkerkunde, 2 Bände.
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und rechtliche Regelungen, Religion und Ornamentik sowie Musik, Tanz und Feste. Außerdem präsentierten sie eine Auswahl von Tierfabeln, machten Rechenexperimente mit den Tikar, dokumentierten ihre Zeitmessung und zeichneten Musik und Gesänge mit einem Phonogramm auf.58 Es war in erster Linie Marie Pauline Thorbecke zu verdanken, dass in der Völkerkunde sowohl die materielle als auch die geistige Kultur des Ost-Mbamlandes ausführlich besprochen wurde. Als weibliche Forschungsreisende oblag es ihr, sich vor allem mit ästhetischen Aspekten in der Kolonie zu befassen, dafür sorgte die geschlechtsspezifische Erwartungshaltung an die Autorin, aber auch die künstlerische Ausbildung, die sie genossen hatte.59 Die große Bedeutung, die den Gegenständen zugeschrieben wurde, beruhte mitunter auf der Vorstellung, dass die »eingeborenen« Kulturen im Zuge der Modernisierung dem Untergang geweiht seien, und von jedem Volk möglichst viele materielle Zeugnisse in deutsche Museen gerettet werden müssten.60 Vor einer obsessiven Sammelleidenschaft waren auch die Geographen nicht gefeit, bescherte ihnen doch eine üppige ethnographische Sammlung den wohlwollenden Zuspruch ihrer Kollegen aus den Völkerkundemuseen. Die Thorbeckes waren im Vorfeld ihrer Expedition darüber hinaus die Verpflichtung eingegangen, eine größere ethnographische Sammlung zu erwerben, was ihnen Zuschüsse des Mannheimer Reiss-Museums zu ihren Expeditionskosten eingebracht hatte. Meyer kaufte hingegen ethnographische Objekte von freischaffenden Kunsthändlern und deutschen Militärs, da er in Ruanda und Burundi nicht die Zeit und Muße zum Erwerb einer größeren ethnographischen Sammlung gefunden hatte.61 Die Ethnographica erschienen weniger flüchtig als Worte und Praktiken von Kulturen, deren Sprachen man nicht beherrschte und die sich im gesellschaftlichen Umbruch befanden. Mit recht bescheidenem Auf58 L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 295-316; Franz/M.P. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 3. Teil. Beiträge zur Völkerkunde des Ost-Mbamlandes, S. 56118. Wilhelm Heinitz steuerte am Ende des Bandes eine Analyse von 30 der insgesamt 90 aufgenommenen Phonogramme bei, vgl. S. 143-178 sowie im Anhang die Transkriptionen in Notenschrift. 59 Vgl. etwa die Besprechung von Fritz Klute, GZ 20. (1914), S. 120. Ausführlich zu Marie Pauline Thorbecke: Anna Pytlik: Träume im Tropenlicht. Zu den Erwartungshaltungen und Geschlechterverhältnissen, mit denen weibliche Forschungsreisende konfrontiert wurden: Sara Mills: Discourses of Difference. An Analysis of Women’s Travel Writing and Colonialism, London 1991. 60 Vgl. L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 678. 61 H. Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, S. 4; Ders.: , Tagebuch der Expedition ins Zwischenseengebiet, Heft 3 und Heft 5, 24.07. und 29.08.1911. Meyer war einer der wichtigen Mäzene des Leipziger Völkerkundemuseums, vgl. H.G. Penny: The Objects of Culture, S. 75f., 135f.
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wand ließ sich hingegen das Repertoire von Artefakten einer jeden Kultur inventarisieren und später in Deutschland ließen sich die Objekte von Völkerkundespezialisten noch genauer studieren.62
V ERORTUNGEN
IM
L EBENSRAUM
Schrieben Geographen anders über die Völker in den Kolonien als Völkerkundler? Gab es so etwas wie eine unverwechselbar geographische Völkerkundeperspektive? Einerseits überschnitten sich die beiden Wissenschaftsdisziplinen in vielen Bereichen, nicht zuletzt hatten einige Geographen die Völkerkunde entscheidend mitgeprägt, so Georg Gerland und vor allem Friedrich Ratzel mit seinen Schülern, darunter Karl Weule, einem promovierten Geographen, der sich dann auf die Völkerkunde spezialisierte.63 Anderseits existierten völkerkundliche Traditionslinien, die von der Medizin und der Linguistik ausgingen und die nur wenig Berücksichtigung in der ethnographischen Praxis der Geographen fanden. Generell lässt sich das Verhältnis folgendermaßen charakterisieren: Die Geographen teilten sich die Ethnographie mit den Völkerkundlern, aber sie ließen manche völkerkundliche Teilgebiete vergleichsweise unberücksichtigt. Darüber hinaus verwendeten sie vergleichsweise wenig Zeit auf Befragungen, denn mehr noch als ihre Kollegen interessierten sie sich für die materiellen Daseinsbedingungen der einheimischen Völker – für die natürlichen Verhältnisse in den bewohnten Räumen und die vorherrschende Wirtschaftsführung. Die geographische Perspektive hatte auch ihre Schattenseiten. Die Geographen präsentierten die einheimischen Völker als tief verstrickt mit dem Lebensraum und den darin wirkenden Naturzwängen. Obgleich die koloniale Herrschaft die Fixierung der Völker auf Areale offensichtlich ad absurdum führte, Kolonialkriege und Landenteignungen ganze Gesellschaften zur Migration veranlassten und auch die individuelle Mobilität der Bewohner durch Zwangsumsiedlung, Hüttensteuer und einem strukturellen Arbeitszwang zugenommen hatte, glaubten die Geographen die ethnographischen Verhältnisse am besten dadurch beschreiben zu können, indem sie die Völker als Einheiten mit spezifischen gemeinsamen Eigenschaften auffassten, die voneinander segregiert lebten und deren Habitat sich über eine natürliche Landschaft erstrecke, aus der angeblich ihre ethnographische Eigenart herrührte.
62 Christian F. Fest: »Materielle Kultur«, in: Beer/Fischer, Ethnologie (2003), S. 245f. 63 Zu Gerland: Karl Sapper: »Georg Gerland«, in: GZ 25 (1919), S. 329-340. Ferner siehe zur Bedeutung von Gerland für die Völkerkunde: Werner Petermann: Die Geschichte der Ethnologie, Wuppertal 2004, S. 428-430, 539, zu Weule: u.a. H.G. Penny: Objects of Culture.
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Körperliche Differenzen und kulturelle Vielfalt in den Kolonien waren mit anderen Worten das Ergebnis der ökologischen Verschiedenheit der kolonialen Räume. So gehörten für Schultze, der in Das Deutsche Kolonialreich auf ein eigenständiges ethnographisches Kapitel verzichtete und die Völker in den einzelnen Landschaftskapiteln abhandelte, die »Hottentotten« ins Groß-Darmaland, die Herero ins Darmaland, die Begdamara ins Kakaofeld und die Ovambo, eine angeblich von Herero gebrauchte willkürliche Sammelbezeichnung für die den Bantu nahestehenden Stämme, lebten im Amboland.64 Lediglich in der Kalahari erkannte er ein unübersichtliches Durcheinander der »Völkerverhältnisse«, wo Sambesivölker, Herero, Hottentottenstämme, dazwischen Bastardgemeinden und einige BakalahariBetschuanen lebten und die Buschmänner als ältestes »Bevölkerungselement der Kalahari« schon lange »mit dem Sandfeld verwachsen« seien.65 Wenngleich zentrale Siedlungsgebiete dieser Völker in den genannten Räumen lagen, so war die räumliche Zuordnung der oft mobilen Gemeinschaften doch sehr vereinfachend, so dass das Ergebnis mehr dem Ordnungsverlangen der Geographen als der kolonialen Wirklichkeit entsprach. Im kulturell diversen Ostafrika, wo sich Habitate nicht zwangsläufig mit Großlandschaften korrelieren ließen, gliederte Erich Obst das nordöstliche Rumpfschollenland in »sechzehn Zellen«, von denen er annahm, jedes Volk würde darin seinem eigenen völkischen Leben nachgehen.66 In der Regel gab er den Völkern den Namen der Landschaft, die sie bewohnten. Aus dem zweiten Band seiner Forschungsmonografie geht nicht hervor, ob es sich um gebräuchliche Selbstbezeichnungen oder um Fremdbezeichnungen ihrer Nachbarn oder von Völkerkundlern und Geographen handelte, nur im vorläufigen Reisebericht thematisierte er bisweilen die Probleme, die ihm ethnographische Klassifikationen bereiteten.67 Als zentraler Gesichtspunkt galt den Geographen die Wirtschaftsführung der einheimischen Bevölkerung, der in den ethnographischen Schriften der Geographen breiten Raum einnahm und in den Länderkunden ebenso wenig fehlen durfte. Häufig erweckten die Geographen den Eindruck, die Gemeinschaften praktizierten ausschließlich eine Wirtschaftsform oder überhöhten zumindest eine der Nutzungs-
64 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 203-212, 227-237, 241-243, 249-256. 65 Ebd., S. 264-271, Zitat S. 266. 66 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 195. 67 Ebd.; Ders.: »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone, S. 153202. Zur Problematik der Bezeichnung der Wanyaturu bzw. Warími: E. Obst: »Von Klimatinde durch die Landschaft Turu nach Mkalama: Vorläufiger Bericht (I) der Ostafrika-Expedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 25 (1911), S. 84.
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formen. Jäger und Sammler, Ackerbauern und Viehzüchter waren die zentralen Begrifflichkeiten, um die Wirtschaftsführung zu charakterisieren und wurden immer wieder mit rassischen Zugehörigkeiten in Verbindung gebracht – mit den drei Rassen: Urbevölkerung, Bantu und Hamiten – obgleich den Geographen gewahr wurde, dass die ethnographischen Verhältnisse komplizierter waren. Durch die essentialistischen Fixierungen verstellten sich die Geographen den Blick auf die Diversität der praktizierten Wirtschaftsformen, aber auch auf Interdependenzen zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Denn schließlich waren die Gemeinschaften weit weniger segregiert als gemeinhin angenommen, pflegten untereinander intensive Tauschbeziehungen und auch die zitierte Blutmischung war wohl eher der Normalfall als die Ausnahme, sogar dort, wo dicht bewachsener Urwald oder Bergländer vielleicht noch am ehesten die Isolation der Gemeinschaften nahegelegt hätte.68 Um die Bevölkerung zu klassifizieren und räumlich zu verorten, bedienten sich die Geographen gelegentlich geoökologischer Kriterien. Ein vielverwendetes Motiv landeskundlicher Beschreibungen von Kamerun war der Gegensatz zwischen Waldund Graslandschaften, den auch Franz Thorbecke bemühte, um geographische und ethnographische Verschiedenheiten zu verdeutlichen, wie er etwa in der Unterscheidung der Siedlungsformen zwischen Tikar und Vute bereits andeutete.69 Noch stärker arbeitete sein Expeditionsassistent Leo Waibel die anthropologischen, sozialen und politischen Differenzen beider Völker in einem Aufsatz heraus, den er mit »Der Mensch im Wald und Grasland von Kamerun« betitelte.70 Demnach lebten die Waldbewohner in der Kolonie in kleinen, zerstreuten Dörfern, die sie dem Wald durch kleinflächige Rodungen mit primitiven Werkzeugen abtrotzten; Graslandbewohner hingegen in großen geschlossenen Ortschaften oder Städten, trieben Handel und galten Waibel als »geistig höher stehend, freier und offener in ihrem Benehmen« als die auf niedriger Kulturstufe stehenden Waldbewohner.71 Es sei »ein merkwürdiges Wechselverhältnis zwischen mächtiger Waldvegetation und ohnmächtigen Völkchen und niedrigem Graswuchs und mächtigen Völkchen und Staaten«, so Waibel, der allerdings nicht so weit gehen wollte, »die tiefe Kulturstufe der Waldbewohner als eine unmittelbare Funktion der Waldnatur« zu betrachten. So fügte er abschließend und relativierend hinzu, dass nicht die Entstehung, sondern nur die »Verbreitung der beiden Kulturkomplexe« »direkt durch die Landesnatur
68 Vgl. U. Claas: Das Land entlang des Sepik, S. 329-372, siehe ebenso: S. 65-68. 69 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 2. Anthropogeographie des Mbamlandes, S. 25-42 Ders.: »Die Inselberg-Landschaft von Nord-Tikar«, S. 215-242. 70 Leo Waibel: »Der Mensch im Wald und Grasland von Kamerun, in: GZ 20 (1914), S. 145-158, 208-221, 275-285. 71 Ebd., Zitat S. 220.
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bedingt« sei. Weniger vorsichtig argumentierte Waibel hingegen in einem zweiten, thematisch ähnlichen Aufsatz mit dem Titel »Der Mensch im südafrikanischen Veld«, den er im Anschluss an seine zweite Kolonialexpedition publizierte.72 »In der bisherigen Betrachtung, die sich auf die Lebensweise, auf Wirtschaft, Besiedelung und Handel der Bewohner des südafrikanischen Veldes bezog, haben wir durchweg eine starke Abhängigkeit des Menschen von der umgebenden Natur feststellen können. Die rohe Weidewirtschaft, das einsame Leben im Velde, das altertümliche Padleben, die unmoderne Kriegsführung, die dünne Besiedelung des Landes, der Tausch- und Wanderhandel, all diese Lebensformen sind durch eine kettenförmige Reihe von Ursachen und Wirkung untereinander verbunden und letzten Endes ein Spiegelbild der umgebenden rohen Natur. Wie diese noch großenteils wild, unbezwungen und urwüchsig ist, so tragen auch ihre Lebensformen einen stark altertümlichen Charakter. Im südafrikanischen Veld treffen wir heute noch äußere Lebensumstände an, wie sie vor Jahrzehnten oder gar vor Jahrhunderten bei uns in Europa zu Hause waren. Das Veld übt entschieden einen hemmenden Einfluß auf die Kultur aus!« In den ethnographischen Kapiteln der Forschungsberichte und Länderkunden führte die Verknüpfung von Naturdarstellungen und Ethnographie zu Übertragungen von Umwelteigenschaften auf die dort lebenden Völker. Das Klima, die geographische Lage, insbesondere Meereshöhe, Luftfeuchtigkeit und jährliche Temperaturverhältnisse galten Passarge neben den inneren Anlagen des Organismus als die entscheidenden Faktoren, um die Völkerentwicklung zu erklären. Trotz der Bedeutung der Natur betonte er an verschiedenen Stellen ebenso die Wirtschaftsführung und soziokulturelle Gesichtspunkte, ohne Letztere tatsächlich in die Analyse der Völker einzubeziehen.73 Gewissermaßen lag es auf der Hand, das demographische und ökonomische Wachstum eines Volkes auf günstige Umweltbedingungen zurückzuführen. Manchmal wurden aus den ökologischen Bedingungen aber umgekehrte Schlussfolgerungen gezogen. So konnte ein ungünstiger Lebensraum als Ursache dafür dienen, dass ein Volk abgehärtet und in der Völkerhierarchie deshalb weiter fortgeschritten war, während fruchtbare Lebensräume zur Bequemlichkeit
72 Leo Waibel: »Der Mensch im südafrikanischen Veld«, in: GZ 26 (1920), S. 26-50, 79-89, Zitat S. 79. 73 S. Passarge: Adamaua, S. 417, S. 505. Diese Prinzipien erklärte Passarge später zu Grundlagen der Wirtschaftsgeographie, siehe: Siegfried Passarge: Die Erde und ihr Wirtschaftsleben, 2 Bände, Hamburg 1926, u.a. im 1. Band, S. VIII-IX sowie im 2. Band, S. 1 Ebenso: S. Passarge: »Physiogeographie und Vergleichende Landschaftsgeographie«, in: MGGH 27 (1913), S. 119-151.
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einluden und die Stagnation von Völkern bedingen konnten. Passarge erklärte etwa die Dominanz und die angeblich höhere Kulturstufe der Araber und Fulbe durch die harten Bedingungen ihrer ursprünglichen Wüstenumgebung, während Meyer die angebliche Trägheit der Wandamba mit dem heißen Klima und den fruchtbaren Böden begründete.74 Die Heterogenität der Lebensweisen in sehr verschiedenen Lebensräumen veranlasste die Geographen also nicht, die These der ökologischen Kulturbeeinflussung zu überdenken, vielmehr interpretierten sie die Kausalitäten auf sehr verschiedene Weisen, um am Ende jede ethnographische Beschreibung mit einer passenden Erklärung zu versehen. Wie wenig dieser Umweltdeterminismus aber mit der Einwanderungstheorie harmonierte, wird durch eine kurze Bemerkung von Passarge in Das Deutsche Kolonialreich deutlich. »Die natürliche Begabung und Kulturfähigkeit einer Rasse ist das Endresultat einer vieltausendjährigen Entwickelung, die vielleicht in ganz anderen Gegenden und unter ganz anderen Bedingungen, als sie heutzutage herrschen, erfolgt ist«, schrieb der Hamburger Geograph, ohne die Tragweite seiner Worte zu bedenken.75 Kombinierte man die Einwanderungstheorie und Naturanpassung, dann musste jedes Volk Spuren von zahlreichen Ortsverlagerungen und Raumeinwirkungen tragen, mehr noch in der von Geographen überschätzten Rolle der Natur sogar das Produkt von Natureinwirkungen am Ursprungsort, auf Wanderung und im neuen Siedlungsraum sein. Eine Chance dies empirisch zu überprüfen, bestand freilich nicht. Wären die Geographen dieser Argumentation weiter gefolgt, hätte sich hier ein virtueller Raum grenzenloser Fiktion eröffnet. Die einheimischen Bewohner der Kolonien waren in den Vorstellungen der Geographen Menschen, die direkt von der Natur lebten, sich einfache Hütten erbauten und bis auf einige Ausnahmen in kleinen Dörfern in der Wildnis siedelten. Besonders offensichtlich schien die Naturgebundenheit und niedere Kulturstufe der Völker anhand der primitiven Siedlungsformen und Bauweisen ihrer Hütten ableitbar. Manchmal suchten sie dies durch Fotografien zu verdeutlichen, manchmal zeigten die Abbildungen jedoch auch kunstfertige Bauweisen, ohne dass dies in den Texten thematisiert wurde. Erich Obst konzipierte in seiner vorläufigen Expeditionsauswertung sogar eine hypothetische Entwicklungsreihe von Hüttenformen, die von der ursprünglich primitiven hamitischen Viehnomadenhütte nach Art der Watussi oder Massai-Hütten bis hin zu reichlich bemessenen, mehr als doppelt so hohen Hütten reichte. Die Tembe galt ihm als ein provisorischer Hüttenstil, dem man ansah, dass er in der Not erfunden worden sei. Letztlich erkannte Obst in dieser Hüttenform eine Notbehausung, die Völker aufgrund von Übergriffen und des
74 H. Meyer: »Ostafrika«, in Ders., Das Deutsche Kolonialreich; Erster Band (1909), S. 144. 75 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 465f. [Hervorhebung im Original].
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Viehraubes der Massai errichtet hätten. 76 Obgleich er ebenfalls kryptisch auf politische Umstände verwies, präzisierte er nicht, dass diese Wohnform eine Ursache von Rinderseuchen, Strafexpeditionen und den Kriegen der letzten Jahre der deutschen Kolonialherrschaft gewesen sein könnte. Die beschriebenen Hüttenformen mögen daher eher das Ergebnis sozialer Notlagen als ein Ausdruck von traditionellen Lebensweisen gewesen sein, welche Natur und Rasse den Völkern angeblich auferlegte. Weitgehend unerwähnt blieb die einheimische Stadtbevölkerung. Immerhin lebten manche Gemeinschaften in Städten von bis zu 20.000 Einwohner, wie Thorbecke und Waibel in Kamerun bemerkten, allerdings ohne näher auf soziale und berufliche Differenzierungen in den Städten einzugehen.77 Das Leben in den Küstenund Handelsstädten erschien den Geographen darüber hinaus kaum erwähnenswert, obgleich dort nur der kleinste Teil der Bevölkerung europäisch war. Meyer berichtete lediglich im Kapitel zur Küstenlandschaft in Das Deutsche Kolonialreich über die Stadtbevölkerung, von der wir aber nur einige Gemeinplätze erfahren, etwa dass es sich um eine relativ homogene »Negerbevölkerung« handele, dazu kämen verschiedene Arabertypen, indische Arbeitsmigranten, einige Griechen und Syrer und »eine bunte Schar der echten Europäer«78. Erwähnenswert erschien ihm beispielsweise der Gang der »Suahili-Bibi«, den sie mit kerzengerader Kopfhaltung in wiegenden Passgang, schlenkernden Armen und wackelndem Hinterteil vollführe und die »nach allen Regeln der Kunst und Mode« herausgeputzt sei.79 Franz Thorbecke begann seinen Reisebericht sogar mit einer Schilderung der malerischen Stadtbilder von Lomé und Douala, doch er präsentierte die Städte als Europäerstädte, in denen »Eingeborene« nur als Störenfriede in Erscheinung traten, die die offene Bauweise der Gartenstädte seiner Meinung nach bedrohten. »In der Europäerstadt schwinden die Eingeborenenhütten immer mehr und werden mit dem Ausbau der Wasserleitung und Kanalisation bis Ende 1914 hoffentlich ganz verschwunden sein, vorausgesetzt, daß die Enteignung stramm durchgeführt wird, ohne übertriebene
76 E. Obst: »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone«, S. 173f.; Ders.: Das abflußlose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 267. 77 Vgl. F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, S. 15-21; Leo Waibel: »Der Mensch im Wald und Grasland von Kamerun«, S. 21. Für ähnliche demographische Angaben: K. Hassert: »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von Nordwest-Kamerun«, S. 31. 78 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 91-99, Zitat S. 99. 79 Ebd., Zitat, S. 92.
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Rücksicht auf die faulen Duala.«80 Thorbecke übernahm eine Sichtweise, die den politischen Zielen der Ortsbehörden von Douala entsprach, die unter Leitung des Bezirksamtmanns und Regierungsärzten seit 1910 aus angeblich tropenhygienischen Notwendigkeiten die Segregation und Enteignungen vorantrieben. Unerwähnt ließ er, dass die enteigneten »Eingeborenenhütten« oftmals prächtige Häuser in besten Stadtlagen waren, in denen Chiefs und wohlhabende Kaufleute residierten und die die Kolonialherren selbst begehrten.81 Die einheimischen Angestellten, die bei Post, Eisenbahn oder in der Privatwirtschaft anspruchsvolle Aufgaben erledigten, galten den Geographen meist als »Hosennigger«. Dadurch, dass sie ihren vermeintlich angestammten Lebensraum und ihr kulturelles Gefüge verlassen hatten, waren sie als ethnographische Objekte disqualifiziert. Marie Pauline Thorbecke brachte diese Differenz zwischen authentischen und durch Fortschritt kontaminierten Einheimischen in einem Klassifizierungsversuch in ihrer persönlichen Reiseerzählung zum Ausdruck:82 »Sehe ich einen bekleideten Schwarzen, so bezeichne ich ihn in meinen Gedanken als ›Neger‹, ist er mir sehr unsympathisch, als ›Niger‹, aber bei dem nackten Naturkind fällt mir immer wieder unser gutes altes deutsches Wort ›Mohr‹ ein. Diese ganz, ganz dunklen, nackten Kerls mit den Wollköpfen und blanken Zähnen, vielleicht noch einer Kette um den Hals, das sind leibhaftig die ›Mohren‹ der alten Reisebeschreibung und Kupferstiche und der Bilderbücher. [….] In Duala gibt es nur ›Neger‹ oder die noch schlimmere Sorte. Den ›Mohren‹ werden wir wohl erst im Innern wieder begegnen.« Der Einheimische in den ethnographischen Analysen der Geographen lebte noch in einem angeblichen Naturzustand, pflegte Wirtschaftsweisen, die seiner Rasse entsprach, und lebte in einem Habitat, das seine Vorfahren während einer Phase von Völkerwanderungen besetzten oder in das sie durch spätere Völkerwanderungen abgedrängt wurden. Diese ethnographische Perspektive wurde dadurch befördert, dass Geographen auch die Ethnographie aus natürlichen und räumlichen Gegebenheiten erklären wollten, zudem waren sie auf die Urgeschichte fixiert und glaubten
80 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, S. 1, Eine ähnliche Perspektive findet sich in: Ders.: »Duala und die Nordbahn: Bericht einer Forschungsreise der Deutschen Kolonialgesellschaft nach Kamerun«, in: DKZ (29) 1912, S. 19. 81 A. Eckert: Die Duala und die Kolonialmächte, v.a. S. 165-192. Ferner: Adolf Rüger: »Die Duala und die Kolonialmacht 1884-1914. Eine Studie über die historischen Ursprünge des afrikanischen Antikolonialismus«, in: Helmuth Stoecker (Hg.): Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft, Band 2, Berlin 1968, S. 181-257. 82 M.P. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 8.
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in einer Zeit zu leben, die nun die letzte Chance bot, diesen in Auflösung begriffenen Naturzustand noch untersuchen zu können. Für die gegenwärtige Lebenssituation der kolonisierten Völker interessierten sie sich daher wenig, obgleich sie mit ihren Studien zum raschen Wandel der Lebensbedingungen in den Kolonien beizutragen hofften. Aber schließlich ging es nicht allein um die Wissenschaft, denn auch darum, die Differenz und Andersartigkeit der Kolonisierten gegenüber den weißen Kolonialbewohnern herauszuarbeiten. Sprich: Die Ethnographie hatte auch die Aufgabe die Kolonialherrschaft zu legitimieren, wobei sie aus der postulierten Andersartigkeit ein moralisches Recht ableiteten, die Anderen zum eigenen Vorteil auszunutzen und sich ihrer Ressourcen zu bemächtigen oder – im günstigen Fall – eine Verpflichtung sie zu erziehen und zu zivilisieren. Mit dem Thema »Erziehung zur Arbeit« ließen sich beide Postionen miteinander verbinden.
8. Die Kolonien als Wirtschaftsraum der Zukunft
»Förderung des Handels und Hebung des Volkswohlstandes, Stärkung und Verbreitung der eigenen Nationalität sind die mächtigen Triebfedern überseeischer Politik, und nicht Abenteuerlust und Ländergier, sondern wirtschaftliche Ursachen sind es gewesen, die zur Entstehung der deutschen Kolonialbewegung und zur Gründung des deutschen Kolonialreiches geführt haben. Die heimische Bevölkerung ist so gewaltig gewachsen, daß sie immer mehr nach Raum und Ellenbogenfreiheit verlangt. Daher ist vor allem die Auswanderungsfrage bedeutungsvoll geworden, weil es gilt, die Auswanderer nicht nur als Deutsche zu erhalten, sondern sie zugleich den Interessen der alten Heimat dienstbar zu machen.« Es waren ökonomische Kriterien, die das Deutsche Reich zur kolonialen Expansion veranlassten, darin stimmten Kolonialgeographen mit anderen Kolonialpublizisten und sogar mit Imperialismuskritikern überein. Kurt Hasserts Worte zeigen dies deutlich.1 Das letzte Kapitel von Deutschlands Kolonien rekapitulierte die zentralen Argumente der Kolonialdebatte, die vor den ersten Landnahmen begonnen hatte und deren Rechtfertigungen in der dritten Dekade der deutschen Kolonialherrschaft nach wie vor regelmäßig artikuliert wurden. Die wirtschaftsgeographischen Ausführungen begnügten sich aber nicht damit, dem Leser die Bedeutung der Kolonisation für die nationale Wohlfahrt des Deutschen Reiches vor Augen zu führen. Koloniale Länderkunden beschrieben die in den Kolonien praktizierten Wirtschaftsformen und brachten Statistiken über Produktion und Handel. Darüber hinaus skizzierten Geographen, wie das wirtschaftliche Potenzial der Kolonien voll entwickelt werden könnte. »Der Kolonialbesitz hat das deutsche Volk vor die Aufgabe gestellt, die vaterländische Volkswirtschaft durch die Kolonialwirtschaft zu ergänzen, deren
1
K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 577.
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Durchführung nicht mehr und weniger als die Zukunft unserer nationalen Arbeit bedeutet. Soll aber dieses Ziel erreicht werden, so darf man nicht nur um einer extensiven Kolonialpolitik willen überseeische Gebiete erwerben oder erobern, sondern man muß sie durch eine intensive Kolonialpolitik in vielseitiger Weise wirtschaftlich ausgestalten und nutzbar machen. Das kann, abgesehen von der Ausbeutung mineralischer Schätze, auf dreierlei Weise geschehen: 1. durch dauernde Ansiedlung von Weißen, die als Ackerbauern und Viehzüchter das Neuland selbst in Bearbeitung nehmen, 2. durch Erzeugnisse von Produkten seitens der Eingeborenen im Wege der Volkskultur, 3. durch Gewinnung von Rohstoffen mittels des Plantagenbaus, der durch eingeborene Hilfskräfte unter weißer Leitung auszuführen ist.« Hasserts Ausführungen zeigen, wie sich Versatzstücke aus der kolonialen Propaganda mit wirtschaftsgeographischen Kategorisierungen und kolonialen Zukunftsprognosen mischten.2 Andere Geographen untergliederten die Kolonialökonomie in ganz ähnliche Felder. Passarge schrieb über Togo: »Jede Kolonisation hat natürlich vor allem im Auge, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes zu entwickeln: Bergbau, Plantagenkulturen und Ackerbau, Handel und Verkehr.«3 Und die Rezepte, die Geographen parat hielten, um die Kolonien einer verbesserten Ausnutzung zuzuführen, ähnelten sich ebenfalls: Produktionssteigerungen der einheimischen Landwirtschaft, Erschließung neuer Plantagengebiete, Steigerung des kolonialen Außenhandels, Reform des Steuerwesens und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Auch wenn die Geographen der Meinung waren, dass noch viel zu tun sei, ihre wirtschaftsgeographischen Analysen zeichneten dennoch ein optimistisches Bild von der Zukunft der deutschen Kolonien.
D IE E RZEUGNISSE
DER
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Welche Nutzpflanzensorten, Nutztiere und Rohstoffe für eine Kolonie typisch waren, wo die wichtigsten Anbau- und Abbaugebiete lagen und wie bedeutend die Erzeugnisse für die Binnenwirtschaft und den Export waren, darüber informierten Forschungsberichte und die wirtschaftsgeographischen Kapitel der Länderkunden. Über die Fortschritte des Anbaus von Agrarprodukten und der Rohstoffförderung wurde ebenso berichtet wie über Wachstumsaussichten. Das Deutsche Kolonialreich ergänzte diese Ausführungen durch Statistiken über Außenhandel und Haus-
2
Ebd., S. 578.
3
S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 114.
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DER
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halt der Kolonien.4 Einen Teil dieser Informationen hatten Geographen auf ihren Expeditionen selbst erhoben. So kartierten sie die Lage von deutschen Pflanzungen und erkundigten sich während des Besuches von Agrarbetrieben und Regierungsstationen über Zuchterfolge mit Nutztierrassen und Nutzpflanzensorten. Unterwegs richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf die Standorte von wildwachsenden Dauerkulturen. Franz Thorbecke verfasste sogar mehrere Berichte über wenig genutzte Ölpalm- oder Kautschukbestände in Kamerun, die er direkt dem Reichskolonialamt übermittelte.5 Informationen über mineralische Rohstoffvorkommen entnahmen sie in der Regel den Forschungsarbeiten von Spezialisten, während sie für die Darstellung der Handelsverhältnisse die amtliche Statistik und die Berichte aus den Bezirksämtern auswerteten, wobei ihnen die offiziellen Jahresberichte über die Entwicklung der Schutzgebiete in Afrika und der Südsee eine wichtige Quelle waren.6 Übersichten über Agrargüter und Rohstoffe folgten keiner einheitlichen Systematik, nicht einmal in den Länderkunden. Egal wie Geographen auch versuchten die Erzeugnisse zu ordnen, Mehrfachnennungen einzelner Agrargüter ließen sich angesichts verschiedener Produktionsformen kaum vermeiden. Hans Meyer differenzierte nach Zugehörigkeiten zur Pflanzenwelt, Tierwelt und Bergbau, in zweiter Ebene unterschied er nach verschiedenen Arten der Produktion. Die Pflanzenwelt gliederte er in Produkte der Sammeltätigkeit, der Feld- und Baumkulturen der einheimischen Bevölkerung und des Pflanzenbaues der Europäer; die Produkte der
4
Vgl. Hans Meyer, »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich; Erster Band (1909), S. 391-96; S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 530-33; Ders.: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 117-26; S. Sievers: »Die Schutzgebiete der Südsee«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 481-89. Eher knapp waren hingegen Schultzes Angaben in Das Deutsche Kolonialreich zum kolonialen Außenhandel von Deutsch-Südwestafrika und Wegeners zu Jiaozhou. Zur Statistik in Forschungsberichten beachte ebenso: K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnis einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 169.
5
Franz Thorbecke sandte nach seiner Expedition dem Reichskolonialamt drei Berichte über u.a. Ölpalm- und Kokospalmenbestände, siehe dazu: BArch R 1001/3344, vgl. etwa zu ähnlichen Angaben die Anmerkungen: W. Behrmann: Im Stromgebiet des Sepik, S. 86-96.
6
Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 391-396; Erich Obst/W. Kloster: »Der Handel Deutsch-Ostafrikas als Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung«, in: Koloniale Rundschau 1913, S. 449-485.
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Tierwelt in wildlebende Tiere und Viehzucht.7 Passarge ging entgegengesetzt vor und besprach zuerst die Rohstoffe – mineralische, tierische (Elfenbein, Honig, Straußenfedern etc.) und die Produkte von wildwachsenden Pflanzen, um dann mit »Kulturprodukten« fortzufahren, die er nach Viehzucht, Lebensmittelpflanzen und Genussmittel aus vorwiegend europäischem Anbau ordnete.8 Eine außergewöhnliche Klassifikation verwendete Schultze, der die koloniale Ökonomie DeutschSüdwestafrikas in Großwerte und Kleinwerte unterschied und damit den Außenhandel in den Vordergrund rückte.9 Letztendlich oblag die Darstellungsweise der individuellen Präferenz des Geographen, wobei sie der Vollständigkeit wegen selbst jene Erzeugnisse benannten, die in bäuerlichen Subsistenzökonomien nur einen geringen Stellenwert besaßen. Die Geographen versuchten mit der Darstellung der kolonialen Erzeugnisse die strukturellen Eigentümlichkeiten einer jeden Kolonie herauszuarbeiten, doch blieb dem aufmerksamen Leser nicht verborgen, dass sich viele Kolonien hinsichtlich der Agrarstrukturen und Ressourcenausstattung ähnelten. Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Togo erstreckten sich über mehrere Klima- und Ökozonen, in denen Plantagen und bäuerliche Betriebe mit den gleichen Verfahren nahezu dasselbe Produktspektrum erzeugten. Dove galt Deutschlands größte Kolonie Deutsch-Ostafrika in der Erzeugung von Agrargütern als am weitesten fortgeschritten; Hassert erkannte in Kamerun »unsere wertvollste tropische Pflanzungskolonie«, während die Geographen gemeinhin das ökonomische Potenzial von Togo eher verhaltener einstuften.10 Kautschuk, Baumwolle, Sisalagaven und Kaffee, auch Kakao und Kokosnüsse waren die wichtigsten Plantagenprodukte, die einjährigen Kulturpflanzen Hirse, Mais und Reis anscheinend für die einheimische Bevölkerung die wichtigsten Anbauprodukte.11 Die Eingeborenenwirtschaft war in allen drei Kolonien bedeutsam und 7
Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909),
8
S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909),
S. 374-391. S. 520-30. Seine Ausführungen zur Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Togo sind weniger klar strukturiert, vgl. S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 114-122. 9
Vgl. L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 282-290.
10 K. Dove: Die Deutschen Kolonie, Band III, Ostafrika, S. 50f.; K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 140; S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 127. 11 Vgl. K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 301, S. 304, 308; H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 374-85; S. Passarge: Adamaua, S. 520-535; Ders.: »Die Zukunft unserer Kolonie Kamerun«, in: Beiträge zur
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sollte nach Meinung der Geographen stärker als bisher in den Außenhandel einbezogen werden. So schlugen Passarge und sein Hamburger Assistent Obst zum Beispiel vor, den Reisbau in Kamerun und in Deutsch-Ostafrika zu intensivieren, um Reis aus den Kolonien für die Lebensmittelversorgung nach Deutschland auszuführen.12 Mineralische Rohstoffe hielten die Geographen für vergleichsweise unbedeutend. Nur vereinzelt zeigten sie sich hinsichtlich der zukünftigen Bedeutung von Rohstofffunden optimistisch: Passarge setzte etwa Hoffnung in neu entdeckte Steinkohleflöze und Petroleumquellen in Kamerun, Erich Obst meinte, die Ausbeute von bekannten Goldvorkommen in Deutsch-Ostafrika sei derzeit zwar noch gering, aber die Goldfelder am Witwatersrand in Transvaal seien auch erst entdeckt worden, nachdem Tausende von Prospektoren über Jahrzehnte die Region erkundet hätten. Nordwestlich des Nyasasees, auch bekannt als Malawisee, identifizierte Obst Kohlevorkommen, die er ebenfalls für vielversprechend hielt, sofern sie einmal durch eine neue Eisenbahnlinie erschlossen würden.13 Das Potenzial der Forstwirtschaft wurde gemeinhin als groß eingeschätzt. Dove versprach sich von der »Einführung einer geregelten Forstkultur« eine dauerhafte Steigerung von Holzexporten aus Deutsch-Ostafrika, ähnlich lauteten die Einschätzungen von Passarge über Kamerun und Togo.14 In den Baumwollanbau wurden ebenfalls große Wachstumsaussichten gesetzt und die Versuchsgärten der Stationen als große Errungenschaft gepriesen, wobei die Anbau- und Zuchtversuche der biologischlandwirtschaftlichen Versuchsanstalt Amani in den ostafrikanischen Usambara-
Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 1 (1899/1900), S. 51-55; Ders.: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 520-542; Ders.: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 69-74, 120-122. 12 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 525f.; E. Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter et al., Das überseeische Deutschland, II. Band (1911), S. 194. 13 E. Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter et al. (Hg.): Das überseeische Deutschland, Band II (1911), S. 188f. Ebenso: S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 520. 14 K. Dove: Die Deutschen Kolonien, Band III. Ostafrika, S. 53f., S. 58f., S. 79. Ebenso: S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 520; Ders.: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 115. Zu einer generellen Einschätzung des Potenzials von Holzexperten: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 599.
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bergen als »kolonisatorische Arbeit für die Zukunft« besonders hervorgehoben wurde.15 Meyer befasste sich in Das Deutsche Kolonialreich eingehend mit den Handelsverhältnissen in Deutsch-Ostafrika. Zunächst unterschied er den Küstenhandel vom Binnengrenzhandel, wie er jenen Teil der Güter bezeichnete, der direkt aus dem Landesinnern in die Nachbarkolonien aus- oder eingeführt wurde. Insgesamt konstatierte er einen Rückgang des Handels mit Sansibar, den er unter anderem darauf zurückführte, dass Tanga, Daressalam, Kilwa, Lindi – die Häfen der Plantagenbezirke – sowie die Eisenbahnen die »Häfen des alten Raubhandels Pangani, Sadani, Bagamayo wirtschaftlich in den Hintergrund gedrängt« hätten.16 Allerdings war der Anteil von Sansibar und Indien am Außenhandel der Kolonie immer noch beachtlich, wie Meyers Statistik von den Jahren 1906 und 1907 zeigte. Dennoch wurden inzwischen die meisten Agrargüter und Rohstoffe nach Deutschland ausgeführt und die Importprodukte stammten mehrheitlich aus deutscher Produktion.17 Passarge benutzte ähnliche Statistiken, ging aber genauer auf den Anteil der verschiedenen Produkte am Handelsvolumen ein. Die Zunahme der Exporte führte Passarge auf die Steigerung der Kautschukausfuhr, die Erschließung des »Kameruner Waldlandes« und den Export von Kakao vom Kamerunberg zurück, die Rückentwicklung der Importe auf den langwierigen Krieg im Süden der Kolo-
15 F. Thorbecke: Das Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographe des OstMbamlandes, S. 92f.; K. Dove: Die Deutschen Kolonien, Band III. Ostafrika, S. 60-62; H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 382; S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 526. 16 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 393. 17 Das Gesamthandelsvolumen von Deutsch-Ostafrika bezifferte Meyer 1906 in Anlehnung an die offizielle Statistik mit 36,3 Mio. Mark, was sich aus 23,8 Mio. Importen und nur 12,5 Mio. Mark Exporten ergab. Im Jahr 1907 kamen Importe für 3,8 und 4,5 Mio. Mark aus Sansibar bzw. aus Indien. Selbst die Ausfuhr von Waren nach Sansibar belief sich für beide Jahre zusammen auf fast 4 Mio. Mark. Siehe dazu: H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 393. Zur Veränderung der Vormachtstellung Sansibars im Außenhandel während der deutschen Kolonialherrschaft siehe ebenso: Erich Obst/W. Kloster: »Der Handel Deutsch-Ostafrikas als Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung«, in: Koloniale Rundschau 1913, S. 460f. Zum Handel zwischen Sansibar und dem ostafrikanischen Festland, vgl. Abdul Abdul Sheriff: Slaves, Spices & Ivory in Zanzibar. Integration of an East African Commercial Empire into the World Economy, 1770-1873, Oxford 1987 v.a. S.155-244.
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nie.18 Anders als viele Kolonialpublizisten wollten Geographen in Togo keine Musterkolonie erkennen, da ihnen die finanzielle Unabhängigkeit von Reichszuschüssen nicht als gewichtiges Kriterium erschien. Im Gegenteil, die Geographen forderten weitere Investitionen, um das Potential der Kolonie voll auszuschöpfen. Passarge befürwortete weitere Reichssubventionen zur Erschließung des »Hinterlands« mit der Eisenbahn, während Hassert kritisch anmerkte, dass die Kolonie schon viel weiter sein könne, wenn sie einen jährlichen Zuschuss erhalten hätte.19 Die wirtschaftsgeographischen Analysen von Südwestafrika beschäftigen sich ausführlich mit der Rinderproduktion. Während Hassert die Vernichtung der Rinderherden infolge der Rinderpest von 1897 und des Krieges gegen Herero und Nama beklagte, zeigte sich Schultze zufrieden. Die Rinderpest habe die Wettbewerbschancen europäischer Siedler gegenüber der einheimischen Bevölkerung deutlich erhöht, da die Marktpreise um das Drei- und Vierfache gestiegen seien, die Siedler aber aufgrund von Schutzimpfungen weniger Verluste erlitten hätten. Krieg und Kriegsfolgen hätten die Herero derart dezimiert und »ihnen das Besitzrecht des Landes« genommen, dass es ausgeschlossen sei, »in ihnen jemals wieder einen Hauptproduzenten von Vieh zu sehen«.20 Schultze und Hassert schlugen vor, die Rinderproduktion stärker am Weltmarkt auszurichten, um deutsche Importe aus Nordamerika zu substituierten und darüber hinaus mit Südamerika zu konkurrieren. Schultze wollte die Rinderproduktion in den nächsten vier Jahren um jährlich 20.000 erhöhen; Hassert sprach von einer jährlichen Ausfuhr von 100.000 Stück Großvieh. Ihre Entwicklungsstrategie nahm sich die Aktivitäten zweier großer Mastbetriebe zum Vorbild, die in der Kolonie bereits mit der exportorientierten Produktion begonnen hatten.21 In anderen Kolonien war die Viehzucht kaum von Bedeutung für die koloniale Gesamtwirtschaft. In Kamerun, Togo und Deutsch18 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 530-533. 19 S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 126; K. Hassert: Deutschland Kolonien, S. 234. Siehe ebenfalls: Francesca Schinzinger: Die Kolonien und das Deutsche Reich. Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Besitzungen in Übersee, Stuttgart 1984, S. 149. 20 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 111-114; L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 282f. 21 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 283, 287; K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 111-114. Hassert merkte hierzu in einer Fußnote auf S. 111 an, dass die mit der »Liebig-Kompagnie verbundene Deutsche Farmgesellschaft« und ein weiterer Betrieb kürzlich mit der ausgedehnten Rinderzucht auf großen Ländereien begonnen habe. Zu dieser Thematik, vgl. ebenso: F. Jaeger/L. Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Teil I, S. 77.
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Ostafrika blieb sie auf die Binnenwirtschaft begrenzt und wurde vornehmlich zur Selbstversorgung betrieben, obwohl Geographen gerne eine Intensivierung der Rinderproduktion gesehen hätten.22 In Deutsch-Ostafrika gab es einige Viehzüchtergesellschaften, etwa die Tutsi im Zwischenseengebiet sowie die Massai im Nordwesten, die nach Rinderpestepidemien unter massiver Verelendung litten.23 Erich Obst machte für den desolaten Zustand der ostafrikanischen Viehzucht vornehmlich endogene Gründe verantwortlich. So seien die Rinderrassen durch Inzucht degeneriert; außerdem verwies er auf die »Tatsache«, dass die »Eingeborenen«, einschließlich der Hamiten, keine rationellen Viehzüchter seien. Allenfalls sei ihnen die Rinderzucht ein Liebhabervergnügen und kein »geschäftliches Unternehmen«.24 Das »Wirtschaftsleben« von Deutsch-Südwestafrika steckte nach Schultze »mit seinen Abhängigkeiten vom Mutterland noch in den Kinderschuhen«. Kritisch bewertete er das Handelsvolumen von Deutsch-Südwestafrika, obwohl es sich 1908 immerhin auf knapp 41 Mio. Mark belief. Doch der Jenaer Geographieprofessor betonte, dass 33 Mio. auf Importgüter entfielen, die Mehrheit davon wohl auf die Versorgung der Kolonialtruppe.25 Es war in erster Linie der Vergleich mit der britischen Kapkolonie, der ihn dennoch zu einer positiven Einschätzung der Entwicklungsaussichten verleitete: »Es ist selbst den kühlsten Skeptiker kein Grund erfindlich«, so Schultze, »warum unsere Landsleute aus den entsprechenden, von der Natur gleichgut ausgerüsteten Ländern unseres Schutzgebietes nicht, wie in jenen der Bur und Engländer, eine zweite glückliche Heimat sich sollten schaffen können und unserem Reich ein wirtschaftliches Glied anfügen, auf das wir, wie der Engländer auf sein Kapland, kaufmännisch rechnend höchsten Wert legen und national stolz sein könnten.«26 Während in der Kolonialbewegung zu Beginn der Landnahmen die Erwartungen in die Exploration von Bodenschätzen groß waren, zeigten sich die Geographen gegenüber der ökonomischen Bedeutung von Rohstoff-
22 Zur Viehwirtschaft in Kamerun: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes, S. 66; S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 524f.; Ders.: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 118. 23 1891 war dies Baumann nur eine Fußnote Wert; dazu: O. Baumann: Usambara und seine Nachbargebiete, S. 251. Eher knapp waren auch die Anmerkungen von Meyer zu den Auswirkungen der Rinderseuche auf die Massai, vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 261. 24 E. Obst: »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter et al.,: Das überseeische Deutschland, Band II (1911), S. 203. 25 S. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 275. 26 Ebd., S. 289.
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funden eher skeptisch. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte Karl Dove noch in Bezug auf Südwestafrika davor gewarnt, »den Wert der Kolonie für Deutschland nach der zufälligen Auffindung von Gold und Diamanten abzuschätzen« und Passarges umfangreiche, aber ergebnislose Explorationsversuche für die British West Charterland Company sollten ihm erst einmal recht geben.27 Selbst nach den Diamantenfunden in der Nähe der Lüderitzbucht und der Förderung einer beachtlichen Menge von Kupfer in der Otaviregion schätzte Hassert den zukünftigen Beitrag der Rohstoffförderung für die Kolonialwirtschaft als gering ein.28 Schultze sprach hingegen vom Bergbau als einen zweiten »Hauptbetrieb der Zukunft«, dem man in Hinblick auf das benachbarte Britisch-Südafrika »eine gute Prognose« stellen könne.29 In den nächsten Jahren stieg die Ausfuhr von Diamanten und Kupfer erheblich an. Im letzten Jahr vor dem Weltkrieg wurden mineralische Rohstoffe im Wert von 68 Mio. Mark aus der Kolonie ausgeführt, 59 Mio. entfielen allein auf Diamanten.30 Für die deutsche Kolonie in China spielten mineralische Rohstoffe von Anfang an eine zentrale Rolle. Ferdinand von Richthofen hatte schon 1882 in seinem zweiten Band der Länderkunde von China die Verwertung von Steinkohlevorkommen vorgeschlagen und für die Eröffnung eines Marinestützpunktes auf Jiaozhou und den Bau einer Eisenbahnlinie plädiert.31 Der zügige Bau der Shandong-Eisenbahn stand später tatsächlich in direktem Zusammenhang mit den Abbauplänen für die Kohle und ihrer Ausfuhr über den Hafen von Qingdao.32 Für die Südseekolonien gab es mit Ausnahme von Phosphatreserven auf den Palauinseln nur wenig Rohstoffvorkommen zu vermelden, basierte der Außenhandel der Südseekolonien doch fast vollständig auf der Bewirtschaftung von Kokospalmen.33 Obgleich die 27 S. Passarge: Kalahari; K. Dove: Deutsch-Südwest-Afrika. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Reise im südlichen Damaraland, S. 35. 28 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 118-121. 29 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 289. 30 Vgl. Hans Meyer: Gegenwart und Zukunft der deutschen Kolonien, S. 13-14, S. 67. Zur Geschichte der Rohstoffförderung: Horst Drechsler: Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft, Band 2. Die großen Land- und Minengesellschaften (1885-1914), Stuttgart 1996. 31 Ferdinand von Richthofen: China, S. 265f.; Ders.: Schantung und seine Eingangspforte Kiautschou, Berlin 1898. 32 G. Wegener: »Das Kiautschougebiet«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S, S. 535. 33 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich; Erster Band (1909), S. 390f. Für Kamerun und Togo: S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 520; Ders.: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche
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Geographen die gesamte Bandbreite an Agrargütern und Rohstoffen einer jeden Kolonie beschrieben und selbst bei geringer ökonomischer Bedeutung die Produkte aufzählten, vermittelten ihre Ausführungen einen Eindruck von den typischen Agrargütern und Ressourcen der Kolonien und davon, welche Bedeutung sie gegenwärtig oder in Zukunft für den kolonialen Außenhandel erlangen konnten.
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Der Gegensatz von Kolonisierern und Kolonisierten war nicht nur für die Machtund Herrschaftsverhältnisse bezeichnend, er strukturierte auch die Organisationsweise der Kolonialökonomie. Besonders deutlich trat die Dualität ökonomischer Strukturen in der Analyse sogenannter Volkskulturen und Plantagenbetriebe hervor, wie sie abgesehen von Deutsch-Südwestafrika und Jiaozhou die deutschen Kolonien dominierten. Als Volks- oder Eingeborenenkultur bezeichneten die Geographen die landwirtschaftliche Produktion der einheimischen Bevölkerung, die sie in der Regel als autonome Subsistenzproduktion darstellten, die also der Ernährung der eigenen Familien und Dörfer diente. In vielen Räumen überwog der Anbau von Hirse, Mais, Reis, Yams und Taro, so dass die Geographen die Typenbezeichnung für das Produktionssystem auch auf die angebauten Getreidearten und Knollenfrüchte übertrugen. Das Sammeln von wildwachsenden Dauerkulturen und Heilpflanzen sowie die Viehzucht und die Jagd ergänzten die landwirtschaftliche Ökonomie der einheimischen Bevölkerung. Plantagen galten hingegen als typisches Produktionssystem der Kolonialökonomie. Angebaut wurden Kaffee, Kakao, Sisal (Romlia pita und Agave rigida), Baumwolle, Gewürzkulturen sowie Kautschukpflanzen (vor allem Kicksia elastica, später verstärkt Hevea brasiliensis), dazu Ölbaume, Kolanüsse, Kokospalme und andere ölliefernde Pflanzen. Meist wurden diese Dauerkulturen für den europäischen Markt angebaut, gelegentlich baute man die einjährige Erdnuss und Tabak in ähnlicher Form an, so dass man dann allgemeiner von Pflanzungen sprach.34 Vor der Jahrhundertwende hielten Geographen die Plantagenökonomie für die wichtigste Betriebsform, Oscar Baumann sogar für eine »Lebensfrage für das tropische Afrika«, zehn Jahre später waren sie in den kolonialen Länderkunden zur
Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 114. Für die Südsee: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 545. Für Südwestafrika: Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 287f. 34 H. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 396f.; S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S.115f.
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Ansicht gelangt, dass Plantagenbetriebe und Eingeborenenkulturen mehr oder weniger gleichberechtigt seien.35 Da beide Produktionsarten um Böden und Arbeitskräfte konkurrierten, war in den Kolonien und in den kolonialen Verbänden eine ordnungspolitische Debatte über Prioritäten und Begünstigungen entbrannt, auf deren zentrale Argumentationslinien Meyer knapp in Das Deutsche Kolonialreich rekurrierte.36 »Der Kaufmann hat begreiflicherweise zunächst Interesse an der Erhaltung und Fortentwicklung der Eingeborenenkulturen, auf die seit vielen Jahren seine Geschäftsweise eingerichtet ist, und an denen er im Export gut verdient wie auch im Import von industriellen Gegenwerten. Für die Produktion des europäischen Pflanzers interessiert er sich viel weniger, weil dieser bemüht ist, seine Erzeugnisse ohne Vermittelung der im Schutzgebiet ansässigen Kaufleute auf den Markt der Heimat zu bringen. Seinerseits aber wird der Pflanzer sehr oft scheel auf die Bemühungen sehen, welche die Eingeborenen zum Ausbau neuer, wertvoller Kulturpflanzen veranlassen will, denn für ihn erwächst daraus eventuell Konkurrenz und ein immer noch größerer Mangel an den ihm so nötigen Arbeitskräften.« Hinter der Fürsprache für die »Eingeborenenkulturen« verbarg sich keine Parteinahme für die einheimische Bevölkerung. Denn während Meyer als Experte eine vermittelnde Position einnahm zwischen den Kaufmannsinteressen auf der einen Seite und Pflanzern und Plantagenbesitzern auf der anderen Seite, lagen die Eigeninteressen der einheimischen Bevölkerung außerhalb seines Horizonts. Insofern fixierten Meyers Ausführungen den binären Gegensatz zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten, trotz seines Hinweises auf die Heterogenität von Interessenlagen der deutschen Akteure. Nach der Erörterung der Vorteile der Eingeborenenkulturen für die deutschen Kaufleute betonte der auf Ausgleich bedachte Meyer zugleich, dass er es als genauso falsch ansehe, die europäischen Pflanzungen und Siedlungen zu vernachlässigen oder sogar die Pflanzer und Siedler gewaltsam zurückzudrängen, »um in Ostafrika nur die Volkskulturen zu entwickeln und das Negertum zur wirtschaftlichen Selbständigkeit zu erheben, mit der es dann bloss der europäische Kaufmann und Kapitalist zu tun hätte«.37 Der sonst so stark polarisierende Passarge
35 Vgl. O. Baumann: In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes, S. 204. 36 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 396. Zur kolonialen Bedeutung der beiden Produktionssysteme, siehe auch: K. Hassert: Deutschland Kolonien, S. 591. 37 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 396.
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wog zwischen beiden Interessengruppen und Produktionssystemen ebenfalls ab. Reis, Mais und Hirse könnten in Kamerun nur als »Eingeborenenkulturen«, Genussmittel hingegen aufgrund ihres hohen Marktwertes nur auf europäischen Plantagen angebaut werden, wohingegen für einige ausgewählte Arten beide Produktionsweisen denkbar seien.38 Hintergrund dieser Überlegungen war ein angeblicher fundamentaler Unterschied zwischen den Kulturprodukten der »Eingeborenen« und Weißen, der seinen Ausdruck in verschiedenen Wertschöpfungsgraden fand. »Die eingeborenen Kulturen werden mit Gewinn vor allem billige Massenprodukte liefern, deren Erzeugung keine besondere Sorgfalt erfordert«, meinte Passarge. »Der Europäer hingegen, der sehr viel teurer arbeitet, kann nur bestehen, wenn er hochwertige Produkte erzeugt.«39 Meyer ging ebenfalls davon aus, dass die einheimische Bevölkerung nur zur anspruchslosen Agrarproduktion fähig sei. Mit dem Hinweis auf angebliche Unterschiede in der mentalen Grunddisposition der Akteure führte er beide Produktionssysteme auf ein grundlegendes Prinzip von Rassenunterschieden zurück.40 »Die Natur des Landes und seiner Menschen führt ganz von selbst dazu, daß der bequeme, bedürfnislose Neger die leicht zu erzeugenden geringwertigen Massenprodukte des Hackbaues in jahrhundertelanger Anpassung an die Landesnatur und mit dem Beharrungsvermögen seiner ostafrikanischen Negerträgheit festhält, und daß andererseits der arbeitslustige, kapitalbildende Weiße mit ausgesuchten Wirtschaftsmethoden möglichst hochwertige Qualitätsprodukte hervorzubringen bemüht ist, ohne deshalb auf den Anbau von Massenprodukten zu verzichten, wenn sich lohnende Gelegenheit dazu bietet.« Meyer stilisierte die duale Wirtschaftsstruktur in den Kolonien zu einem Rassengegensatz und leitete die Nahrungsmittelproduktion der einheimischen Bevölkerung aus dem Verhalten des »Negers« ab, das angeblich aus der Natur des Landes resultierte, während »der Weiße« sich aus ökonomischem Kalkül für eine profitable, auf Export ausgerichtete Produktion von Genussmitteln entschieden hätte. »Den Neger« bezeichnete Meyer wiederholt als trunksüchtig: Er verwandle »den Hauptteil der Ernte in Alkohol«, jage sich »acht Zehntel der Ernte als Kokos – oder Bananenwein und Sorghum und Eleusinepompe durch die Gurgel«. Nur in ganz seltenen Fällen lege »der ostafrikanische Farbige nach guten Ernten Vorräte für das nächste
38 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 526. 39 Ebd., S. 524. 40 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 396, vgl. ebenso S. 376.
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Jahr an, um den so häufigen Hungersnöten vorzubeugen«. Meistens würden sie, »unbekümmert um die Zukunft«, Pombe brauen und ihre Ernte vertrinken. Damit betätigte Meyer ein Vorurteil, das oft in Reiseberichten geäußert wurde, und trotz gegenteiliger Belege pauschal ostafrikanischen Gesellschaften die Vorratshaltung und damit wirtschaftlich vorausschauendes Denken absprach.41 Die Geographen blendeten Ambivalenzen aus und überhöhten die Unterschiede zwischen einheimischer Landwirtschaft und Plantagenbetrieben. Tatsächlich war die Lagerhaltung in Ostafrika weit verbreitet und Ernteüberschüsse wurden auf dem Markt gehandelt. Der Konsum von Pombe war in den Dorfgemeinschaften strengen sozialen und rituellen Regeln unterworfen und wurde wohl oft gerade dann getrunken, wenn Forschungsreisende zu Besuch kamen.42 Ebenfalls plausibel erscheint, dass entlang der alten Verkehrsrouten, die von Geographen für Expeditionen genutzt wurden, die Dorfgemeinschaften begonnen hatten, die Nachfrage der geschundenen, aber über Bargeld verfügenden Träger nach alkoholischen Getränken zu bedienen.43 Schließlich waren viele Völker weit weniger autark und subsistenzorientiert, als das die Geographen suggerierten. Schon vor der kolonialen Herrschaft hatte die einheimische Bevölkerung eine marktorientierte Landwirtschaft betrieben, insbesondere entlang der Karawanenstraßen. Unter der deutschen Kolonialherrschaft steigerte sich die Marktförmigkeit der Agrarproduktion weiter, da Steuereintreibung und Bezirksamtsmänner die einheimische Bevölkerung unter Druck setzten, einen Teil ihrer landwirtschaftlichen Produktion zu vermarkten.44 Außerdem intervenierten Bezirksämter in die einheimische Agrarproduktion, indem sie in manchen Regionen die Bevölkerung zum Anbau von Baumwolle zwangen, wie Meyer berichtete, ohne dass er deswegen Veranlassung sah, seine krude Gegenüberstellung der beiden Produktionssysteme zu überdenken.45 Obgleich Geographen Plantagen als eine europäische Produktionsform oder gar als deutsches Importprodukt darstellten, hatte die sansibarische Herrscherdynastie an der ostafrikanischen Küste lange vor der deutschen Landnahme Plantagen anlegen lassen und auch in Westafrika griffen einzelne Völker unter Einfluss des europäischen
41 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 378f. sowie auch S. 376. 42 Zur Lagerhaltung, Alkoholismus und Pombekonsum: J. Koponen: People and Production in Late Precolonial Tanzania, S. 295-304. Zum Alkoholkonsum der Forschungsreisenden, siehe: Johannes Fabian: Im Tropenfieber, v.a. S. 97-103. 43 Vgl. J. Koponen: People and Production in Late Precolonial Tanzania, S. 226. 44 Isaria N. Kimambo: Penetration & Protest in Tanzania. The Impact of the World Economy on the Pare, 1860-1960, London 1991. 45 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 379.
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Überseehandels Jahrzehnte früher auf diese Wirtschaftsform zurück.46 Die Bezeichnung »europäisch« war auch deshalb nicht angebracht, weil die anfallende Arbeit von einheimischen Männern oder von »Kulis« aus dem südlichen Asien erledigt wurde.47 Außerdem gab es zwischen exportorientierter Plantagenproduktion und der Bewirtschaftung von wildwachsenden Dauerkulturbeständen zahlreiche Mischformen und Übergänge. Viele einheimische Gemeinschaften kultivierten die klassischen Plantagenprodukte, zum Teil um die ihnen auferlegten Körper- oder Hüttensteuer zu bezahlen.48 Es handelte sich allerdings um einen Anbau, der sich schon durch seine Physiognomie von dem Ordnungsfetischismus der europäischen Plantagenwirtschaft unterschied und gelegentlich von den Geographen als »wild« bezeichnet wurde. Dennoch wurden die Bestände mit pflegerischen Maßnahmen erhalten und vermehrt, so dass jenes Betriebssystem etwa dem entsprochen haben dürfte, was unter dem Begriff »Intercropping« seit einiger Zeit in der nachhaltigen Agroforstwirtschaft wieder Konjunktur hat.49 Als die Mehrheit der geographischen Veröffentlichungen zu den deutschen Kolonien in den letzten Jahren ihres Bestehens erschien, befand sich der deutsche Kaffeeanbau in der Kolonie im Niedergang. Meyer wies im Kapitel über die Feld- und Baumkulturen darauf hin, dass Kaffee als 46 So glaubte Hassert ausdrücklich betonen zu müssen, dass es vor der Besitzergreifung keine europäische Pflanzung in Deutsch-Ostafrika gegeben habe, vgl. K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 306. Zur vorkolonialen Agrarwirtschaft und Plantagenwirtschaft im 18. Jahrhundert: A. Sheriff: Salves, Spices & Ivory in Zanzibar, S. 155-200; I.N. Kimambo: Penetration & Protest in Tanzania, S. 37-56; Frederick Cooper: Plantation Slavery of the East Coast of Africa, New Haven 1977. Für Westafrika: Robert Law (Hg.): From Slavery to »Legitimate« Commerce. The Commercial Transition in Nineteenth Century West Africa, Cambridge 1995. 47 Zu den Arbeitsbedingungen auf ostafrikanischen Plantagen und der Misshandlung von »Kulis«: J. Koponen: Development for Exploitation, S. 336-39. 48 Zum landwirtschaftlichen Wissen und ökologischen Wissen von Afrikanern im vorkolonialen und kolonialen Tansania: Gregory Maddox et al. (Hg.): Custodians of the Land. Ecology & Culture in the History of Tanzania, London 1996. Stellenweise die ökologische Balance beschönigend: Helge Kjekshus: Ecology Control and Economic Development in East African History. The Case of Tanganyika, 1850-1950, 2. Aufl., London 1996. Dagegen die ökologische Feindseligkeit des vorkolonialen Tansania betonend: J. Iliffe: A Modern History of Tanganyika. Für eine ausgewogenere Darstellung: J. Koponen: People and Production in Late Precolonial Tanzania. 49 Vgl. Thomas Spear: Mountain Farmers. Moral Ecomomies of Land & Agricultural Development in Arusha & Meru, Daressalam 1997; Paul Richards: »Ecological Change and Politics of African Land Use«, in: African Studies Review 26 (1983), S. 27-34.
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Volkskultur eine »noch größere Zukunft« habe. Im Bezirk Bukoba stünden bereits über 200.000 Kaffeesträucher und auch am Kilimandscharo hätten »neuerdings mehrere Häuptlinge den Kaffeeanbau nach Anweisung europäischer Pflanzer« begonnen. Tatsächlich nahm die afrikanische Produktion in den nächsten Jahren deutlich zu und war unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs fast für die Hälfte der Kaffeeexporte aus der Kolonie verantwortlich. Dennoch hielt Meyer an der grundlegenden Opposition von Plantagenökonomie und Volkskultur fest, genauso wie er verschwieg, dass Kaffee auch schon vor der deutschen Herrschaft ein beliebtes Handelsprodukt in der Zwischenseenregion war.50 Da Geographen die Tieflandregionen als ungeeignet für Europäer ansahen, galt die einheimische Bevölkerung als unverzichtbar für die Nahrungsmittelproduktion. Schon deshalb warben die Geographen für die Koexistenz beider Produktionsformen. Allerdings wollte sich Meyer nicht mit einem »Nebeneinanderbestehen von Volkskultur und Plantagenbau« begnügen, so dass er forderte, den »Ansporn des Negers zur Produktion größerer Quantitäten alter und zum Anbau neuer Kulturpflanzen« zu wecken. Da »dem Neger dazu der Antrieb« fehle, schlug er Anreize und Zwangsmaßnahmen vor, um Produktionssteigerungen von außen zu bewirken.51 »In manchen Gegenden bewirkt ihn [der Antrieb, C.G.] die Nachbarschaft von europäischen Pflanzern oder Kaufleuten, namentlich wenn sie den Häuptling direkt zu interessieren wissen, …. wieder anderswo die gute Schulung, die den eingeborenen Arbeitern in den Pflanzungen der Europäer zuteil wird und von Heimgekehrten in die eigene Praxis umgesetzt wird. Im allgemeinen tut es nur der Zwang, der von den Behörden ausgeübt wird. Daß von Zwangsarbeit keine Rede sein kann, ist selbstverständlich; wir hätten auch gar nicht die Macht, sie in so breitem Maße durchzusetzen. In vielen Fällen wird der vom Bezirkshauptmann immer wieder den Jumben und Akiden geäußerte Wunsch helfen, in anderen die Erhöhung der Steuern, während es an dritter Stelle die von den Kommunalverbänden angestellten Wirtschaftsinspektoren taten.« Meyer bestätigte zudem, »dass die Eingeborenen die ihnen angelernten Produktionsarten ohne Einwirkung der Verwaltung nicht sachgemäß fortführen« und übertrug damit eine Erfahrung, die in einer Denkschrift für Togo geäußert wurde, auf
50 Vgl. J. Koponen: Development for Exploitation, S. 202f.; Detlef Bald: Deutsch-Ostafrika 1900-1914, S. 153-155. 51 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 397. [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift].
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die ostafrikanischen Verhältnisse.52 Passarge hoffte ähnlich wie Meyer ebenfalls auf Produktionssteigerungen, plädierte aber noch stärker dafür, die Ausfuhr von Grundnahrungsmitteln aus Kamerun zu erhöhen. Ähnlich war auch die Intention von Franz Thorbecke. Er schlug in seiner Dissertation über das Hochland von Manengouba vor, »mittlere Betriebe« zu gründen, in denen einzelne Deutsche die einheimische Bevölkerung zu »rationellerem Ackerbau« anleiten sollten.53 In der Regel ordneten die Geographen die kolonialökonomischen Verhältnisse nach einem dichotomen Ordnungsschema. Dabei überhöhten sie Unterschiede zu grundlegenden Gegensätzen und führten sie auf Rassengegensätze zurück. In der Realität war die ökonomische Situation jedoch das Ergebnis kolonialer Herrschaftsbedingungen, die seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren die Kolonien transformierten. Insofern musste sich die einheimische Bevölkerung an eine neue Wirtschaftsordnung anpassen, die ihnen aufgezwungen wurde und die sie systematisch benachteiligte. Die Geographen begnügten sie sich jedoch damit, die Seite der Kolonisierer darzustellen. Den Erwerb von riesigen Agrarflächen durch Plantagenund Pflanzgesellschaften erklärten sie zu kolonialen Erfolgsgeschichten, ohne dass sie die negativen Kosequenzen für die einheimische Bevölkerung thematisierten. Aber das war wenig verwunderlich, denn schließlich ging es auch darum, die bestehende Wirtschaftsordnung zu rechtfertigen.54
D ER »E INGEBORENE «
ALS
ARBEITSKRAFT
Die Kolonialökonomie konnte nur funktionieren, wenn die einheimische Bevölkerung die manuelle Arbeit verrichtete, darüber waren sich die Kolonialgeographen einig. Das »edelste Kapital« einer Kolonie war die menschliche Arbeitskraft, stellte Dove fest und Schultze bezeichnete die einheimische Bevölkerung als »die wertvollste wirtschaftliche Hilfsquelle des Landes«.55 Ein Farmer könne ohne Eingeborene einfach nicht wirtschaften, und ein Bergwerk mit weißen Arbeitern würde den Gewinn völlig infrage stellen. Europäer erschienen in den wirtschaftsgeographischen Erörterungen der Geographen als rationale Akteure, die über Kommando-
52 Ebd., S. 397. 53 F. Thorbecke: »Das Manenguba-Hochland, ein Beitrag zur Landeskunde Kameruns«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 309. 54 Vgl. S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 530. 55 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 290, K. Dove: Deutsch-Südwest-Afrika. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Reise im südlichen Damaraland, S. 35.
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und Verfügungsgewalt verfügten, während die einheimische Bevölkerung, insbesondere die Männer, nur als Produktionsmittel wahrgenommen wurde und durch politische Maßnahmen und Zwangsmittel dazu veranlasst werden sollte, möglichst zahlreich für Niedriglöhne in deutschen Betrieben zu arbeiten. Um dieses koloniale Arbeitsregime zu rechtfertigen, wurde die Arbeiterfrage häufig mit der Rassenfrage verknüpft: So glaubte Meyer, Weiße seien weder physisch noch psychisch dazu geeignet, um in den Tropen harte Arbeit zu leisten. Außerdem meinte er, körperliche Arbeit sei in den Kolonien unter ihrer Würde.56 Die einheimische Bewohnerschaft galt zugleich als faul, arbeitsscheu und antriebslos. Geographen kolportierten diese Stereotype in ihren Wirtschaftskapiteln, ohne dass sie sich die Mühe machten, ihre Aussagen empirisch zu untermauern oder zu widerlegen, wenn sie auf ihren Expeditionen andere Beobachtungen gemacht hatten. In den Reise- und Forschungsberichten legten die Geographen immer wieder dar, dass einzelne Völker harter Feldarbeit nachgingen. Leonhard Schultze und Franz Thorbecke hatten sich sogar mit den saisonalen Schwankungen der Arbeitslast beschäftigt, aber dies führte nicht dazu, dass die Geographen insgesamt ihre Vorurteile über die nachlässige Arbeitseinstellung der einheimischen Bevölkerung revidierten.57 Vielmehr neigten sie dazu, den Müßiggang als offensichtliches Normalverhalten der einheimischen Bevölkerung zu naturalisieren und kontrastierten darüber hinaus die angebliche Faulheit mit einem idealisierten Bild deutscher Arbeitsmoral.
56 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 399. 57 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 94, 398. Im Kontrast zu diesen Ausführungen stehen seine Beobachtungen über die Feldarbeit der Chagga, vgl. H. Meyer: Ostafrikanische Gletscherfahrten, S. 91. Auch Franz Thorbecke betonte den Fleiss der Bakossi, der sich angeblich von den sonstigen Gepflogenheiten der Kameruner Ackerbauern abhob, siehe dazu: F. Thorbecke: »Das Manenguba-Hochland: Ein Beitrag zur Landeskunde Kameruns«, S. 306. Weitere Beobachtungen im Widerspruch zum vielbeschworenen Stereotyp vom »faulen Neger«: E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 1, S. 63. Schultze stellte die saisonalen Tätigkeiten der »Bastards« zusammen, die Monate der Aussaat, Ernte, den Gartenbau, Viehtrieb und die Lohnarbeit in Kupferminen. Dennoch gelangte er abschließend zu einem abwertenden Urteil über die wirtschaftlichen Fähigkeiten der »Bastards« insbesondere auch wegen angeblicher »kommunistischer« Eigentumsverhältnisse: L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 129-133. Zum jahreszeitlichen Verlauf der Landwirtschaft: F. Thorbecke: Im Hochland von MittelKamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes, S. 58-60.
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Während Geographen in den ethnographischen Kapiteln die einheimischen Völker überdifferenzierten, tendierte die Wirtschaftsanalyse zu Homogenisierungen, was sich nicht zuletzt durch die häufige Verwendung des Begriffs »Neger« im afrikanischen Kontext zeigte. Eine der Ursachen lag in den verschiedenen Temporalitäten beider Perspektiven. Die Ethnographie zielte auf die Rekonstruktion ursprünglicher Völkerverhältnisse vor der Zeit der europäischen Kolonisation und Beeinflussung, wohingegen die kolonialökonomische Analyse auf die Zukunft gerichtet war. Die Kolonisierung, und davor schon die Ausbreitung des Islam, verstanden die Geographen als einen Prozess der Durchmischung der Völker und der Nivellierung von kulturellen Besonderheiten, an dessen Ende entweder eine gefährliche Vereinigung der einheimischen Völker oder ein homogenes Proletariat stehen könnte. Die Formierung einer undifferenzierten, leistungsstarken Arbeiterschaft erschien ihnen unter Aufrechterhaltung der kolonialen Bedingungen sowohl als zwangsläufig als auch als wünschenswert, da sie für die Kolonialverwaltung so einfacher zu steuern gewesen wären. Obwohl die Wirtschaftsgeographie in der Darstellungsabfolge der geographischen Schriften unmittelbar an die Ethnographie anschloss, nivellierte sie zuvor getroffene ethnographische Differenzierungen. Gelegentlich schien ihnen bewusst zu werden, dass ethnographische Erkenntnisinteressen mit kolonialökonomischen Zielvorstellungen kollidierten, wie etwa eine seltene Reflexion von Schultze zeigte.58 »Der Ethnolog mag es beklagen, daß ein so charakteristisch ausgeprägtes Stück Menschentum, wie es die einzelnen Stämme Deutsch-Südwestafrikas, besonders die Herero und Hottentotten, in ihrer körperlichen, geistigen und politischen Eigenart darstellten, einst erinnerungslos eingeschmolzen sein wird, um mit dem Zeichen des Reichsadlers und des christlichen Kreuzes versehen, mit der Aufschrift »farbiger Arbeiter« als Wirtschaftswert in allgemeiner Tagelöhnerwährung wieder neu in Kurs gesetzt zu werden. Der Kampf um unsere eigene Existenz lässt aber keine andere Lösung zu. Arbeit ist zugleich für jeden die einzige Rettung; wer nicht arbeiten will, kommt auch bei uns unter die Räder; wir haben keinen Grund, in Afrika sentimentaler zu sein, als wir in Europa sind. Die wir auf dem Grabe jener Rassen unsere Häuser bauen, sollen
58 Vgl. L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), Zitat, S. 295. Schultze umging den benannten Widerspruch teilweise dadurch, das er sich in Aus Namaland und Kalahari neben der physischen Geographie eingehend mit der Ethnographie befasste, die Kolonialökonomie dann zwei Jahre später ins Zentrum seines anthropogeographischen Kapitels in Das Deutsche Kolonialreich rückte. Dazu siehe: L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari. Ebenfalls einen Hinweis auf dieses »Dilemma« findet sich in: O. Baumann: Durch Massailand zur Nilquelle, S. 253.
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es nur doppelt streng mit der Pflicht nehmen, für den Fortschritt der Kultur, das ist für die größte Auswertung aller Daseinsmöglichkeiten, in diesem Neuland kein Opfer zu scheuen.« Schultze nimmt in diesen Ausführungen eine intermediäre Position ein. Wiederholt beschwor er ein prinzipielles Existenzrecht der einheimischen Bevölkerung, was er nach der genozidalen Kriegsführung der deutschen Kolonialtruppen und den in Teilen des Militärs und von deutschen Siedlern gehegten Vernichtungsabsichten wohl als notwendig erachtete. Anderseits lag ihm Milde fern, denn er koppelte das Existenzrecht an die ökonomische Nützlichkeit der Völker. Statt Völker als kulturell verschieden zu präsentieren, klassifizierte Schultze die »eingeborene Bevölkerung« in Das Deutsche Kolonialreich nach der Brauchbarkeit als Arbeitskräfte. Dies hatte etwa auch schon Hassert in Deutschlands Kolonien vorgenommen, aber Schultze scheute sich nun nicht davor, den San aufgrund ihrer mangelnden Eignung als Arbeitskräfte kollektiv das Existenzrecht abzusprechen.59 Meyer machte in Das Deutsche Kolonialreich zahlreiche Vorschläge zur Gestaltung des Arbeits- und Steuerregimes in Deutsch-Ostafrika. Carl Peters Vorschlag einer »Arbeitsdienstpflicht« erachtete er als zu radikal und aufgrund der geringen Armeestärke in Deutsch-Ostafrika für nicht umsetzbar. Stattdessen befürwortete er einen »indirekten Zwang«, der am natürlichsten durch eine »Landes- und Bevölkerungspolitik« zu erreichen sei, welche »die jetzigen Wirtschaftsmethoden der Eingeborenen ungeheuer ausgedehnten Landnutzung« einschränke, ihre Freizügigkeit durch Passvorschriften begrenze und für die Steigerung der Reproduktion der einheimischen Bevölkerung sorge durch Seuchenbekämpfung, Reduktion der Kindersterblichkeit sowie Verbot von Polygamie und Abtreibung. Auf der einen Seite setzte er auf Bevölkerungszunahme, auf der anderen Seite wollte er die landwirtschaftliche Nutzfläche für jede Familie reduzieren, um durch dieses »Verfahren des Konkurrenzzwanges«, wie Meyer dieses Prinzip nannte, Produktivitätssteigerungen zu erzwingen.60 Meyer hielt die von ihm vorgeschlagenen Interventionen erst auf lange Sicht für wirksam, so dass er als Sofortmaßnahme das »Anziehen der Steuerschraube« forderte. Statt einer Hüttensteuer von 4 Mark pro Hütte, die Meyer
59 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 290-295; K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 98-101. Vgl. auch: J. Zimmerer: Herrschaft über Afrikaner. 60 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 398. Diese Idee tauchte ein halbes Jahrhundert später in einer preisgekrönten Studie von Esther Boserup erneut auf, nun als ländliche Entwicklungsmaßnahme, siehe: Esther Boserup: The Conditions of Agricultural Growth. The Economics of Agrarian Change under Population Pressure, London 1965, v.a. S. 63f., 118f.
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für nicht ausreichend erachtete, empfahl er eine ebenso hohe Kopfsteuer für jeden männlichen Einheimischen über 15 Jahre zu erheben. Zwar konnte dies zu erheblichen Steuereinnahmen führen, der eigentliche Zweck dieser Maßnahmen war es jedoch, die einheimische Bevölkerung dazu zu veranlassen, dass sie zur Begleichung ihrer Steuerschuld auf Plantagen, in Bergwerken sowie im Wege- und Schienenbau arbeiten musste.61 Meyers Resümee verdeutlichte, wie sehr die Zukunft der Kolonie mit der Organisation des kolonialen Arbeitsregimes verknüpft wurde:62 »Man hat gesagt, die Arbeiterfrage sei im Grunde eine Machtfrage. Das ist richtig, aber nicht in dem Sinn, daß nur mit Macht die Eingeborenen zur Arbeit gezwungen werden können und sollen, sondern in dem Sinn, daß wir ohne genügende Macht nicht überall im Land die Steuern erheben können, die den Neger zur Arbeit und zur Hebung seiner Lebenshaltung nötigen. Einzig und allein durch Arbeit kann die materielle Kultur gehoben werden, und ohne die materielle Hebung der Eingeborenen kann es keinen nachhaltigen Fortschritt der geistigen Kultur geben, deren Verbreitung und Befestigung unsere vornehmste Aufgabe gegenüber der inferioren Rasse, die uns dienen soll, sein muß.« Meyer war nicht der Einzige, der in Länderkunden ethnopolitische Vorschläge unterbreitete. Passarges artikulierte beispielsweise ganz ähnliche Vorstellungen zur Gestaltung der Steuerpolitik.63 Viele der Vorschläge waren weit weniger innovativ, als es den Anschein hatte. Manche Maßnahmen waren in einigen Bezirken schon implementiert worden, andere Ratschläge und Argumente innerhalb der Kolonialbewegung und Kolonialwissenschaften bereits ausführlich debattiert worden. Als Sachverständiger und Mitglied des Kolonialrats hatte Meyer selbst an zahlreichen ordnungspolitischen Diskussionen mitgewirkt. Gelegentlich exemplifizierten die Geographen sogar solche Forderungen von einzelnen Interessensgruppen, die sie selbst für ungeeignet hielten, entweder um sie zu entkräften oder um die Bandbreite wirtschaftspolitischer Ideen aufzuzeigen.64
61 Ebd. S. 398f. 62 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 399. 63 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 542. 64 Meyer griff etwa Positionen des Wirtschaftlichen Landesverbandes von DeutschOstafrika auf. Siehe H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 399. Zur Mitwirkung von Meyer an der Kolonialdebatte: H. Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch, S. 268-285. Über die Auseinandersetzung um die verschiedenen Wirtschaftsinteressen und die Vorschläge des Verbandes
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Schon vor der Landnahme war die Diskussion um die Eignung von Kolonien als Siedlungsgebiete für deutsche Auswanderer ein zentrales Thema der Kolonialbewegung. Um zu verhindern, dass deutsche Auswanderer anderen Nationen als »Kulturdünger« oder »Volksguano« zugutekämen, verlangte man nach Kolonien, wie Hassert in Deutschlands Kolonien rekapitulierte, welche die Emigration weiterhin ermöglichen, zugleich aber das Humankapital dem Deutschen Reich erhalten sollten. Allerdings räumte der Geograph ein, dass die »Ableitung des Völkerüberschusses in eigene Kolonien, in denen die Ansiedler dem Mutterland nicht verloren gehen« eine »schwierige Sache« sei. Die Welt sei schließlich schon verteilt gewesen, als Deutschland zur Kolonialmacht wurde, so dass für das Reich nur vergleichsweise ungünstige Räume zur Besiedlung mit Europäern übrig geblieben wären.65 Folglich bewerteten die Geographen die Eignung der deutschen Kolonien als Siedlungsraum für deutsche Auswanderer eher zurückhaltend. Allerdings nährte die Konsolidierung der deutschen Herrschaft erneut die Hoffnung, dass sich die von Geographen aufgelisteten Zahlen deutscher und europäischer Einwohner in absehbarer Zukunft erhöhen könnten. Kamerun, Togo und die Südseekolonien wurden als wenig geeignet für europäische Siedler angesehen.66 Allein Deutsch-Südwestafrika erschien aufgrund des außertropischen Klimas als eine geeignete Siedlungskolonie. Schultze glaubte, die Verzehnfachung der Siedler sei möglich. Hunderttausend Deutsch-Ostafrikanischer Pflanzungen in Berlin sowie der Pflanzer- und Siedlervereine in Deutsch-Ostafrika, insb. S. 284 sowie Bernd Arnold: Steuer und Lohnarbeit im Südwesten von Deutsch-Ostafrika, 1891 bis 1916. Eine historisch-ethnologische Studie, Münster 1994, S. 146; Detlef Bald: Deutsch-Ostafrika 1900-1914. Eine Studie über Verwaltung, Interessengruppen und wirtschaftliche Erschließung, München 1970, v.a. S. 106-122. Ähnliche Einlassungen finden sich in den Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses und sogar von Meyers Doktorvater Gustav Schmoller. 65 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 580-90, Zitate, S. 581, 583. Im Kapitel über die Wirtschaftsgeographie von Südwestafrika diskutierte Hassert die Deportation von Strafgefangenen. Es handelte sich um ein wichtiges Thema in der frühen Kolonialdebatte, das allerdings von den Rezensenten der zweiten Auflage für obsolet erachtet wurde, siehe: S. 105f. Vgl. ebenfalls die benannten Rezensionen im sechsten Kapitel dieses Buches. Zur Emigration und Kolonialismus, siehe auch: Sebastian Conrad: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München 2006, S. 229-278; Dirk van Laak: Über alles in der Welt, S. 34-37, S. 81f.; Birthe Kundrus: Moderne Imperialisten, S. 43-137. 66 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 512f.; W. Sievers: »Die Schutzgebiete in der Südsee«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 486f.
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europäische Siedler könnten in der Kolonie wirtschaftliches Auskommen finden, was er aus einem Vergleich mit der britischen Kapkolonie ableitete.67 Mit gewissen Einschränkungen galt Ostafrika ebenfalls als möglicher Lebensraum für deutsche Siedler. Meyer erinnerte an Ratzels Überlegungen zur menschlichen Ökumene, verengte die Perspektive jedoch auf die weiße Rasse. So unterschied er eine von der Tropenzone unterbrochene nördliche und südliche Ökumene, die von Weißen nur in den Hochländern besiedelt werden könne. Generelle Aussagen über die Eignung einer Kolonie für die europäische Besiedlung waren allerdings nach den Fortschritten der landeskundlichen Forschung schon lange nicht mehr ausreichend. Geographen suchten mittels physiogeographischen Analysen jene Räume zu bestimmen, die für die Siedlungskolonisation infrage kamen. Je nach geographischer Lage konnten Vorzugsgebiete für die deutsche Besiedlung schon ab 1.000 Meter beginnen; Meyer zufolge lagen sie in Ostafrika eher zwischen 1.500 und 2.000 Meter. Als zentrale Kriterien galten den Geographen die gemäßigten Tagestemperaturen und gute gesundheitliche Voraussetzungen, was insbesondere an der Abwesenheit der Malaria übertragende Anophelesmücken und einiger anderen Krankheiten festgemacht wurde.68 »Weil die Landschaften bereits dicht von Eingeborenen bewohnt sind«, hielt Meyer trotz der zahlreichen Bergländer in der deutschen Ostafrikakolonie nur eine maximale Bevölkerung von 70-80.000 weißen Siedlern für realisierbar. Damit die deutschen Familien ihr Auskommen bestreiten könnten, erachtete er ferner die Gründung von mittleren und großen Betrieben für notwendig, lediglich in West-Usambara seien Kleinbetriebe von 20-30 Hektar ausreichend.69 Es schloss sich eine Diskussion von rechtlichen Regelungen an, von Maßnahmen gegen die Bodenspekulation und der Frage, über wie viel Betriebskapital die Siedler verfügen müssten.70 Nach der Erörterung von geoökologischen und wirtschaftsgeographischen Gesichtspunkten kam Meyer erneut auf rassenkundliche Aspekte zu sprechen. »Es fragt sich nun, ob und wo in Ostafrika unsere Siedler die physischen Bedingungen finden, die der Erhaltung der Rasse Vorschub leisten und wo zugleich die Ertragsfähigkeit des Landes groß genug ist, um den deutschen Kolonisten nicht bloß zu
67 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 271. 68 Vgl. H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 400; S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 512; K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 588. 69 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 400f. 70 Ebd., S. 401f, siehe auch: F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas, Teil II, S. 203-207.
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ernähren, sondern auch wirtschaftlich vorwärts zu bringen.«71 Obwohl die Siedler in den Kolonien bekanntlich nicht die ersten Weißen in den Tropen waren, neigten die Geographen sie zu beschreiben, als handele es sich um Probanden eines rassenkundlichen Experimentes. Sie befürchteten eine Beeinträchtigung der Gesundheit der Siedler durch den anhaltenden Tropenaufenthalt, dazu degenerative Langzeitwirkungen auf die Nachkommenschaft und eine sukzessive Vermischung der Rassen. Typisch waren etwa Hans Meyers Ausführungen zur europäischen Besiedelung von Deutsch-Ostafrika:72 »Die Aufrechterhaltung des Rassengegensatzes […] muß auch die Richtschnur in der Ansiedlung deutscher Pflanzer und Farmer sein. Nur die Reinerhaltung unserer deutschen Rasse in Deutsch-Ostafrika erhält uns auch die Kolonie deutsch. Mischlinge zwischen Weißen und Farbigen sind fast immer geistig und moralisch minderwertig und auf kolonialem Boden ein wirtschaftlich wie politisch gefährliches Element: das lehrt die Geschichte aller älteren Kolonien. Das Wesentliche in der Reinerhaltung der Rasse ist aber nicht das Aussetzen germanischer Siedler in geeignetes Kolonialland und ihr Abschließen gegen alle die Rasse schädigenden Elemente, sondern es ist die unablässige Zufuhr frischen Blutes aus der Heimat, durch das der Siedlerstamm in zukünftigen Zeiten sich immer wieder kräftigt und verjüngt und den physischen und geistigen Zusammenhang mit dem Mutterland aufrechterhält.« Viele geographische Schriften benannten ähnliche Bedingungen für eine erfolgreiche Siedlungskolonisation. Weniger ängstlich zeigte sich Jaeger, der die Bedingungen für eine mögliche Auswanderung in die von ihm bereisten Hochländer für günstig erachtete, solange die Ansiedler eine gründliche Hygiene betreiben und ständige »Blutzufuhr aus der deutschen Heimat« erfolge.73 Die Notwendigkeit einer räumlichen und rassischen Segregation von Siedlern und »Eingeborenen« war unter Geographen unbestritten. Rassenmischung, das galt als gesichert, führe zur kulturellen Verwahrlosung und zum rassischen Abstieg der deutschen Siedler oder noch schlimmer: zum kulturellen und rassischen Aufstieg einer hybriden Nachkom-
71 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 400 [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift]. 72 Ebd. [Hervorhebung im Original durch Sperrschrift]. Für die Fortführung dieser Überlegungen im Rahmen rassenkundlicher Theoretisierungen, vgl. Erich Obst: »Die Bedrohung der europäischen Kolonisation in Afrika durch Mensch und Natur«, in: Der Tropenpflanzer, 40 (1937), S. 183-218, hier S. 187. 73 F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas, Teil II, S. 204f.
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menschaft. Für diese Erkenntnisse bedurfte es keiner Empirie, die Erinnerung an populäre Stereotype und rassenhygienische Hypothesen galt als ausreichend. An die Erörterung der europäischen Besiedlung schloss Meyer die Frage an, wie mit anderen Einwanderungsgruppen zu verfahren sei. Indische Einwanderer hielt er für unverzichtbar, da sie »als Kleinhändler, Kleinhandwerker, Verkehrsagenten und Vermittler zwischen Weißen und Negern« wichtige Funktionen in der Kolonialökonomie erfüllten. Gerade in den »heißen, tiefen Landstrichen« seien sie nicht zu entbehren, da dort »der Deutsche das ohnehin bitterwenig einbringende Kleingeschäft nicht betreiben kann ohne schwere Schäden seiner Gesundheit und, was für unsere Kolonialpolitik ebenso wichtig ist, ohne Verminderung seines Ansehens« zu erleiden. Da er in dem »weißen Proletariat der Griechen, Syrier, Türken« eine Verletzung eines ungeschriebenen Rassengesetzes sah, befürwortete er, dass der Inder die »Zwischenrolle zwischen Weiß und Schwarz in den heißen Landstrichen« übernehmen sollte, sonst »müssten wir ihn oder eine andere farbige, das Klima widerstehende inferiore Rasse hinbringen«.74 Anders hingegen wollte Meyer mit Indern in Gunsträumen für die europäische Besiedlung verfahren, da dort eine »schwere Konkurrenz« mit deutschen Siedlern und Kaufleuten zu befürchten sei. »Hier wo der Deutsche arbeiten und leben kann wie daheim, und wo es hauptsächlich der Weiße mit Weißen zu tun hat oder haben wird, ist der Inder nicht nur entbehrlich, sondern durchaus von Übel«, warnte der Leipziger Geograph und erhob zahlreiche Anschuldigungen gegen indische Kaufleute. Er machte daher eine Reihe von Vorschlägen, wie die deutschen Behörden deutsche Siedler begünstigen und den Indern den Zugang zu klimatisch günstigen Regionen erschweren oder verwehren könnten. Dazu empfahl er, Indern für die europäischen Siedlungsgebiete keine Gewerbelizenzen zu erteilen, die indische Zuwanderung nach Ostafrika generell zu beschränken und sie »mit hoher Gewerbesteuer und scharfer Geschäftskontrolle unschädlich« zu machen, so wie die Handelskammer in Nairobi es bereits vorgeschlagen habe. Als eine weitere Strategie, um indische Händler aus dem Geschäft zu drängen, schlug Meyer vor, auf der einen Seite »Eingeborene« zu Kleinhändlern zu erziehen und auf der anderen Seite vermehrt deutsche Filialen und Agenturen an der Küste und in deutschen Siedlungsgebieten zu eröffnen.75
74 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 402, für weitere geringschätzige Ausführungen über indische Händler, siehe S. 98. 75 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 402.
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K OLONIALE I NFRASTRUKTUR Eine Übersicht über die Verkehrsinfrastruktur durfte in keiner Länderkunde fehlen. Geographen schrieben über den Karawanenverkehr durch Lasttiere und Träger, über Straßennetze, schiffbare Gewässer und Dampferverbindungen zwischen den Kolonien und Europa. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt jedoch der Eisenbahn. Unterwegs auf Expedition projizierten sie immer wieder Eisenbahntrassen in die Landschaften, zumindest diskutierten sie in ihren Reise- und Forschungsberichten ständig mögliche Streckenführungen und auch in Zeitungen und Zeitschriften meldeten sie sich gelegentlich zu Wort, um für bestimmte Trassenverläufe zu werben.76 Geographen wiesen der Eisenbahn solch große Bedeutung zu, weil sie glaubten, sie würde besonders geeigneten Räumen einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung bescheren. Durch die Verringerung von Transportzeiten und Frachtkosten versprachen sich die Geographen vorwiegend zwei Effekte: Erstens hofften sie auf eine Zunahme der Güterströme, da einheimische Agrarproduktion und die Bevölkerung als Arbeitskräfte besser in die koloniale Außenwirtschaft integriert würden; zweitens erwarteten sie, dass die Anlage von Plantagen und der Abbau von Rohstoffen fernab der Küste durch den Anschluss an die Schiene an Lukrativität gewinnen würden. Welchem Zweck der Ausbau der Eisenbahnen letztlich diente, formulierte Meyer unmissverständlich: »Die Hauptlinien haben vielmehr die Aufgabe, auf möglichst kurzem Wege möglichst große Gebiete unserer wirtschaftlichen, kommerziellen und politischen Herrschaft zu erschließen und sie an unsere Meeresküste 76 Vgl. F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 1-6, 12, 86f., 99-101; Ders: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des OstMbamlandes, S. 87f.; Ders.: »Das Manenguba-Hochland: Ein Beitrag zur Landeskunde Kameruns«, S. 309; O. Baumann, Durch Massailand zur Nilquelle, S. 254-260; F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas, Teil II, S. 75, 207-210; L. Schultze: Aus Namaland und Kalahari, S. 29. Meyer beteiligte sich schon um die Jahrhundertwende intensiv an der Debatte über den Ausbau des Eisenbahnnetzes. Zunächst opponierte er gegen den Bau einer ostafrikanischen Zentralbahn und kurz vor dem Weltkrieg gegen ihre Fortführung nach Ruanda. Stattdessen befürwortete das Mitglied des Kolonialrates den Ausbau der Nordbahn bis zum Kilimandscharo, später dann ihre Fortführung bis zum Viktoriasee und den Bau einer am westlichen Ufer beginnenden Ruandabahn. Dazu siehe: H. Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch, S. 328-353. Auch zu diesem Thema und den Vorteilen der Anbindung von Plantagenbahnen durch Stichbahnen, verfasste Meyer 1901 mehrere Artikel in der Täglichen Rundschau. Zum Bahnbau in Ruanda: Hans Meyer: »Der Kagerafluß in Ostafrika und die Ruandabahn«, in: Koloniale Monatsblätter 16 (1914), S. 6-21; Hans Meyer: Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911, S. 23.
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als Schwelle zum Weltmarkt und zur Heimat anzugliedern.«77 Es ging also darum, den kolonialen Außenhandel zu intensivieren. Die Geographen tendierten sicherlich dazu, die Wachstumseffekte für den Raum zu überschätzen. Ihre Eisenbahneuphorie lag wohl auch darin begründet, dass sie während ihrer Expeditionen selbst zu Nutznießern dieses Verkehrsmittel wurden. Die Eisenbahn ersparte ihnen mühsame Tagesmärsche und ermöglichte ihnen, schnell in die Nähe ihres Forschungsraums zu gelangen. Nach vielen mühevollen Monaten auf Expedition konnten sie bereits auf der Eisenbahnfahrt auf dem Weg zur Küste einen Komfort genießen, der ihnen lange Zeit verwehrt war. Geradezu überschwänglich nahm Thorbecke den ökonomischen Wandel auf der Bahnfahrt zwischen Bonaberi und Nkongsamba wahr, wie er im Reisebericht seiner zweiten Kamerunexpedition vermerkte.78 »Mit jedem Kilometer Fahrt konnten wir die Wirkung des Bahnbaues auf die wirtschaftliche Entwicklung des Urwald-Gürtels mehr und mehr erkennen. Wo früher kaum ein Negerpfad die Waldwildnis durchzog, wo tiefes, ewiges Schweigen in dieser fast undurchdringlichen Waldwüste herrschte, wo nach außen das strotzendste Leben, im Innern ein ewiges Modern und Sterben für alle Ewigkeit zu herrschen schien, wo wir 1908 kaum durch das Dickicht des Unterholzes und das Gewirr der Lianen hindurchkamen, wo der Bahnbau seine Trace nur durchführen konnte durch Sprengarbeiten, die nicht etwa Felsen, sondern die Riesen des Urwaldes wegschaffen sollten – da herrscht heute überall Leben, Verkehr; da schießen die wirtschaftlichen Unternehmungen, besonders neue Pflanzungen, wie Pilze aus dem Boden.« Die Eisenbahn erschien ihm als eine Lebensader, die Fortschritt und Zivilisation in einen Raum injizierte, wo zuvor nur ein ewiger Kreislauf von Tod und Verrottung herrschte. Die transformatorische Wirkung von Eisenbahnen spitzte Thorbecke noch dadurch zu, dass er einen gewaltigen Fortschritt konstatierte in der Zeit zwischen Ende November 1911 und der Rückfahrt in den ersten Januartagen 1913, als er auf der Strecke in sein Untersuchungsgebiet an- und wieder abreiste. Nach langer Expedition in endloser Wildnis und Einöde war die Eisenbahn für die Geographen mehr als nur ein Verkehrsmittel. Sie erkannten in ihr ein sichtbares Zeichen der europäischen Zivilisation und des kolonialen Fortschritts. Der geographische Eisenbahndiskurs beruhte also zu einem großen Teil auf Emotionen statt auf rationaler Nüchternheit.
77 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 403. 78 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 1. Teil. Die Reise, S. 4.
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In Länderkunden besprachen Geographen ausführlich die Streckenführung der Eisenbahnlinien und skizzierten die Vor- und Nachteile neuer Ausbaupläne. Schon in einem Buch über die tropischen Eisenbahnen von 1902 hatte Meyer zwei Streckentypen unterschieden, die er erneut in der Übersicht in Das Deutsche Kolonialreich aufgriff, um den Lesern die beiden ostafrikanischen Eisenbahnlinien vorzustellen. Die Nordbahn galt ihm als ein Beispiel für eine Erschließungs- oder Pionierbahn, da sie in europäische Siedlungsgebiete führte; die Mittelbahn zwischen Daressalam und Tabora rechnete er zum Typus der »Ausbeutungsbahnen«, da sie laut Meyer doch vornehmlich zu folgenden Effekten führte: »Vermehrung der Eingeborenenkulturen«, der Steigerung des Exports von Massenprodukten und der »Zufuhr von Arbeitern aus dem Zentralen Tafelland nach den küstennahen Plantagen und Siedelgebieten«.79 Als dritte Bahnlinie schlug Meyer den Bau einer südlichen Bahn vor, die den Tanganjika- und Niasaasee an den »Weltverkehr« anbinden solle und nach der von ihm vorgeschlagenen Trassenführung durch für die europäische Besiedlung geeignete Hochländer und »ein riesiges Baumwollterrain« führen sollte. Von ihrem Bau erwarte er, dass sie einen Teil des Verkehrs aus dem »Ober-Kongogebiet« und aus den kupferreichen Minendistrikten von Katanga auf Deutsch-Ostafrika ziehe.80 Pionierbahnen wie Ausbeutungsbahnen hatten nach Meyer ihre Berechtigung, idealerweise seien beide Typen miteinander zu kombinieren. Obgleich Geographen meist die ökonomischen Gesichtspunkte in den Vordergrund stellten, ignorierten sie nicht völlig die militärische und politische Bedeutung der Eisenbahn. Schultze besprach die strategische Natur von Eisenbahnen während des großen Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika und mahnte zur Verbesserung der territorialen Kontrolle einen Streckenausbau an.81 Der Eisenbahnbau hatte auch Konsequenzen für die europäische Einwanderung: »Eine europäische und besonders eine deutsche Besiedlung der Hochländer Deutsch-Ostafrikas« hielt der Leipziger Geograph ohne die Eisenbahn für unmöglich. Allerdings verwahrte er sich gegen Forderungen, den Eisenbahnbau völlig den
79 Hans Meyer: Die Eisenbahnen im tropischen Afrika. Eine kolonialwirtschaftliche Studie, Leipzig 1902, S. 2-4; Ders.: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich; Erster Band (1909), S. 403f. 80 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 405. Die verkehrsinfrastrukturelle Anbindung an den Kongostaat hätte Meyer zufolge die Rentabilität des Streckenbaus erhöht, da die Eisenbahngesellschaft von dem höheren Frachtaufkommen profitiert hätte und die Kolonialverwaltung die Ausfuhr von kongolesischen Rohstoffen über Häfen der deutschen Kolonie höhere Steuereinnahmen erwarten ließ. 81 L. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 275.
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Siedlungsinteressen unterzuordnen. Wie viele Geographen war Meyer ein Freund der Eisenbahn. In seinem Eisenbahnbuch von 1902 hatte er die Bahn sogar zur »Lebensfrage« für das tropische Afrika stilisiert, um aber zugleich vor der Erwartung eines entwicklungsökonomischen Automatismus zu warnen.82 Um die immensen Kosten zu reduzieren, die bei der Erschließung von Bergländern anfielen (war es doch vor allem teuer, Terrainunterschiede zu überwinden), schlug Meyer vor, höher gelegene europäische Siedlungsgebiete durch kleinere Zweigbahnen mit schmalerer Spurweite an die im Tiefland verbleibenden Hauptstrecken anzubinden. In der Länderkunde ging er sogar soweit, die Zweckentfremdung des vom Reichstag bewilligten Straßenbauetats für diese Schmalspurbahnen zu empfehlen. Angesichts seiner Vorliebe für die Eisenbahn verwundert es wenig, dass seine Ausführungen über das Straßennetz eher spärlich ausfielen und sich vor allem damit begnügten, Argumente gegen den weiteren Ausbau von Straßen vorzubringen. So führte Meyer etwa an, dass die Tsetsefliege und andere Seuchen den Transport mit Zugtieren beinträchtige. Den Bau und Unterhalt von Straßen erachtete er als zu teuer, wenn sie für den Verkehr mit Lastautomobilen ausgebaut werden sollten.83 Lediglich Anschlussstraßen erachtete er für sinnvoll, um die Höhen- und Reliefunterschiede zu überwinden oder um ausgehend von den Bahnlinien den Raum in der Tiefe zu erschließen.84 Ähnlich wie Meyer bevorzugte Hassert die Eisenbahn als Verkehrsmittel. Der Wagentransport sei zu »schwierig, verlustreich, zeitraubend und kostspielig«, so dass »als das einzige Mittel zur Überwindung der ungeheueren, wasser- und menschenarmen Räume Südwestafrikas« die »raum- und zeitbezwingende Eisenbahn« infrage komme.85 Die Länderkunden wurden also kaum der ökonomischen Bedeutung der Straßen gerecht, was allerdings nicht nur an dem Faible der Geographen für die Eisenbahn lag, sondern wohl auch an der Unübersichtlichkeit eines umfangreichen Straßennetzes in den Kolonien, das nur mit großer Mühe in einer Gesamtdarstellung darstellbar gewesen wäre. Einfacher was es für die Geographen über die Straßen in Reise- und Forschungsberichten zu berichten, schließ-
82 H. Meyer: Die Eisenbahnen im tropischen Afrika, S. 1. 83 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 403. Ebenso: S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 126f. 84 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 403, ähnlich dazu: Ders.: Die Eisenbahnen im tropischen Afrika, S. 4. Zur Behinderung des Straßenverkehrs in Togo aus ähnlichen Gründen, siehe auch: S. Passarge: »Togo«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 126f. 85 K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 122.
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lich waren die Geographen auf diesen Straßen und »Negerpfaden« in dem Teilgebiet der Kolonie selbst gereist.86 Bezüglich Deutsch-Neuguinea blieben Überlegungen zum Bau von Eisenbahnen und Straßen weitgehend aus. Dort verkehrten die Kolonisierer mit dem Dampfschiff zwischen den Inseln, aber auch um ins Binnenland von Kaiser-Wilhelmsland zu gelangen. Der Sepik diente als »Eingangspforte«, doch nur sein Unterlauf wurde regelmäßig befahren. Erst Leonhard Schultze, und dann Walter Behrmann und Richard Thurnwald erkundeten den Oberlauf und die Nebenflüsse am Ende der deutschen Kolonialzeit.87 In den anderen Kolonien war die Verkehrsnutzung der Binnengewässer für größere Schiffe eingeschränkt. In Afrika stürzten Flüsse oft von Hochländern mit Stromschnellen und Wasserfällen zur Küste, so dass größere Schiffe sie oft nur auf wenigen Kilometern befahren konnten.88 Für Ostafrika betonte Meyer insbesondere die Bedeutung des Verkehrs auf den großen Seen. Am meisten Aufmerksamkeit brachte er jeoch dem Schiffsverkehr zwischen den Kolonien und Deutschland entgegen.89 Für eine völlige Neubewertung der afrikanischen
86 K. Hassert: »Das Kamerungebirge: Ergebnis einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, S. 171; F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des Ost-Mbamlandes, S. 78-87. 87 Zur Entwicklung und Bedeutung des Schiffsverkehrs in Deutsch-Neuguinea: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 570-576. Zur Erforschung des Sepiks und seiner Nebenflüsse: Richard Thurnwald: »Eine Durchquerung des Gebietes zwischen Kaiserin-Augustafluß und Küste: Vorläufiger Bericht«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 26 (1913), S. 357-363; Ders.: »Vom mittleren Sepik zur Nordwestküste von Kaiser-Wilhelmsland«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 27 (1914), S. 81-84; Ders.: »Entdeckungen im Becken des oberen Sepik«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 27 (1914), S. 338348; Ders.: »Vorstöße nach dem Quellgebiet des Kaiserin-Augusta-Flusses, dem SandFluß und dem Nord-Fluß bis an das Küstengebirge«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 29 (1916), S. 82-93; W. Behrmann: »Das Zentralgebirge Neuguineas im westlichen Kaiser Wilhelmsland«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 35 (1927), S. 1-43. Zur Übersicht über die deutschen Südsee-Expeditionen: Markus Schindlbeck: »Deutsche wissenschaftliche Expeditionen und Forschungen in der Südsee bis 1914«, in: Hermann Joseph Hiery (Hg.): Die deutsche Südsee 1884-1914. Ein Handbuch, 2. Aufl., Darmstadt 2002, S. 132-155. 88 Zu den Flüssen Kameruns: K. Hassert: Deutschlands Kolonien, S. 150. 89 H. Meyer: »Ostafrika«, in: Ders., Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 405; S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 518. Schultze: »Südwestafrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 277.
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Flüsse plädierte Karl Dove in seinen Afrikanischen Wirtschaftsstudien. Eine Bewertung der Nützlichkeit der Flüsse dürfe nicht die Schiffbarkeit als das entscheidende Kriterium zugrunde legen, meinte der Geograph in seinem während des Ersten Weltkriegs am Hamburger Kolonialinstitut verfassten Buch. Angesichts neuer technischer Möglichkeiten plädierte er dafür, die Flüsse als Energiequellen zu erschließen. Die Geländeunterschiede, die seit Jahrzehnten als wichtigstes Entwicklungshemmnis galten, erschienen nun als Vorteil. Dove dachte an die Anlage von Stauseen, an den Bau von Kraftwerken zur Elektrizitätsgewinnung und imaginierte fortschrittsoptimistisch den Betrieb von Eisenbahnen mit elektrischer Energie in Regionen ohne Kohlevorkommen.90
Z UKUNFTSAUSSICHTEN Geographen beurteilten den Wert der Kolonien weniger nach den ökonomischen Verhältnissen der Gegenwart als nach den Entwicklungsmöglichkeiten der Zukunft. Sie stellten Wachstumsprognosen für einzelne Produktionsarten auf, warnten gelegentlich vor drohender Stagnation in Produktionssegmenten, generell diagnostizierten sie einer jeden Kolonie positive Zukunftsaussichten unter der Prämisse des von ihnen angemahnten Neubaus von Eisenbahnstrecken. Siegfried Passarge prognostizierte für Kamerun in Das Deutsche Kolonialreich einen Rückgang der Kautschukproduktion aufgrund von Raubbau und des Anbaus von wenig ertragreichen Kickxiaarten. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Kaffeeproduktion erachtete er als ungünstig, die »Aussichten des Kakaoanbaues« erschienen ihm fraglich.91 Diesen Einschränkungen setzte der Hamburger Geograph Produktionsbereiche entgegen, die er für noch entwicklungsfähig hielt, so den Export von Ölpalmenfrüchten, Reisanbau im Nkamkessel der Manengouba Berge und in den Überschwemmungsgebieten des Kameruner Tschadseegebietes sowie die Produktion von Mais, Baumwolle und Tabak in den Benuetiefländern und in den Grasländern Südadamawas. Für noch ausbaufähig erachtete er die Viehzucht, im Tdschadseegebiet eventuell auch die Haltung von Wollschafen und Angoraziegen. Diese »Entwickelung der Kolonie Kamerun in dem angegebenen Sinne ist nur dann denkbar«, schob Passarge nach, »wenn Eisenbahnen gebaut werden«, wobei er eine Eisenbahnlinie in das Tschadseegebiet für besonders wichtig erachtete, also in jenes »Hinterland«, das er fünfzehn Jahre zuvor selbst bereist und beforscht hatte.92 Ausnahmsweise sparte
90 K. Dove: Afrikanische Wirtschaftsstudien, S. 65. 91 S. Passarge: »Kamerun«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. 632f. 92 Ebd., S. 634 [Hervorhebung in Sperrschrift im Original].
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Passarge in diesem Zusammenhang nicht mit Lob für die Bewohner dieser Region: »Ich möchte glauben, daß, wenn irgendein Bahnbau in Kamerun Aussicht auf Erfolg hätte, es der in dem so fruchtbaren und von einer intelligenten Bevölkerung dicht besiedelten Tschadseegebiet wäre.« Wenn diese Eingaben Berücksichtigung fänden, so könne Deutschland »bei anstrengender, zielbewusster Arbeit« reichen Gewinn in Kamerun erzielen, resümierte der Hamburger Geographieprofessor zum Abschluss seines Kamerunkapitels:93 »So eröffnen sich denn für die Zukunft mancherlei aussichtsreiche Perspektiven, und ohne sich überschwänglichen Hoffnungen hinzugeben, wird man bei ruhiger Beurteilung der Sachlage wohl behaupten dürfen, daß sich das reiche und fruchtbare Land, wenn es sinn- und sachgemäß verwaltet und durch Eisenbahnen erschlossen wird, in erfreulicher Weise entwickeln muß, und daß schon allein auf Grund der bisher im Bau begriffenen oder geplanten Eisenbahnen ein ganz erheblicher Aufschwung des Handels bevorsteht.« Nicht immer waren die Prognosen von analytischer Nüchternheit getragen. Hin und wieder gewannen koloniale Wunschträume die Oberhand, etwa wenn Geographen den deutschen Kolonien ein ähnliches Entwicklungspotenzial wie den Kapkolonien oder den Vereinigten Staaten unterstellten, obgleich in diesen Ländern ganz andere Voraussetzungen herrschten.94 Ausführungen über die vermeintliche Zukunft der Kolonien waren nicht auf Schlussworte beschränkt, sondern sie fanden sich überall in den wirtschaftsgeographischen Teilen von Länderkunden und Forschungsberichten. Ausschlaggebend für die Zeitperspektive war ein Fortschrittsoptimismus, der sich auf Handelsstatistiken stützen konnte, die permanentes Wachstum aufwiesen, das nur von den größeren Kolonialkriegen unterbrochen wurde. Ferner war es
93 Beide Zitate: Ebd. [Hervorhebung in Sperrschrift im Original]. 94 Vgl. F. Jaeger: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas,Teil II, S. 204. Zum Prozess der Kolonisierung, siehe u.a.: F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, 2. Teil. Anthropogeographie des OstMbamlandes, S. 89ff.; E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 304, 307. Zum Vergleich mit den Vereinigten Staaten oder Südafrika, siehe: Schultze: »Südwest-Afrika«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), u.a. S. 284, 289; Adolf Schenck: »Deutsch-Südwest-Afrika im Vergleich zu Süd-Afrika«, in: Kollm, Verhandlungen des 13. Deutschen Geographentages zu Breslau am 28., 29. und 30. Mai 1901, (1901), S. 154-166. Zum Vergleich mit Indien: Siegfried Passarge: »Die Zukunft unserer Kolonie Kamerun«, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 1 (1899/1900), S. 71-75.
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offensichtlich, dass viele der Investitionen sich erst nach Jahren amortisieren würden, was besonders in Hinblick auf die Eisenbahn Gültigkeit hatte. Ferner konnten Geographen zwar stetige Produktions- und Handelszuwächse feststellen, mit der Gegenwart konnten sie dennoch nicht zufrieden sein, solange die Verwaltungsetats der einzelnen Generalgouvernements aus dem Reichshaushalt jedes Jahr bezuschusst wurden. Nicht, dass dies die Geographen wirklich gestört hätte, schließlich forderten sie häufig mehr Investitionen, doch setzte der negative Haushalt die Kolonialverwaltung unter Druck, die Einnahmen zu erhöhen. Die Vorschläge der Geographen knüpften an dieses Dilemma an, indem sie immer wieder erörterten, wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in den Kolonien erhöht werden könnte, um zugleich den Leser auf die Realisierung zukünftiger ökonomischer Möglichkeiten zu vertrösten. Schon vor den kolonialen Landnahmen beurteilten Geographen Räume nach den ihnen angeblich inhärenten Entwicklungsmöglichkeiten. Alfred Kirchhoff schrieb 1880 in seiner Abhandlung über die Südseeinseln: »Nicht der augenblickliche Werth unseres Handels nach und von der Südsee muss unser Interesse bestimmen, vielmehr dessen Steigerungsfähigkeit, wie es sich in der thatsächlichen Steigerung der jüngsten Zeit erwiesen hat.«95 Für die Prognosen schätzten die Geographen ab, inwiefern sich die natürlichen Ressourcen eines Raums in Wert setzen lassen würden und extrapolierten bisher eingetretene Wachstumseffekte. Jedem Zukunftsversprechen lag eine bestimmte Version der Gegenwart und Vergangenheit zugrunde, unabhängig davon, ob sie explizit artikuliert wurde. Zugespitzt lässt sich das koloniale Zeitkonzept folgendermaßen charakterisieren: Vor der deutschen Herrschaft verharrten die späteren Kolonien in einem Zustand totaler Rückständigkeit, von dem aus es den Kolonisierern gelungen war, wichtige Schritte und Impulse in Richtung einer gesunden Kolonialentwicklung zu setzen, die sich für das Deutsche Reich bald schon auszahlen würden. Mit dem Ende des deutschen Kolonialreiches veränderten sich die Zustandsbeschreibungen: Nun bezogen sich die Geographen auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Weltkrieg und porträtierten den Entwicklungsstand als denjenigen Moment, ab dem die Früchte der mühsamen Kolonisationsarbeit hätten geerntet werden können.96 Es waren also ökonomische Kategorien maßgebend, wenn die Geographen über die Zukunft der Kolonien sinnierten. Ein weiteres Argument lieferte ausgerechnet ein späterer Dozent der Berliner Handelshochschule. Georg Wegener betrachtete
95 A. Kirchhoff: Die Südseeinseln und der deutsche Südseehandel, S. 42f. 96 Vgl. etwa: E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen DeutschOstafrika, Teil 2, S. 310; Fritz Jaeger: »Die kulturgeographische Wandlung von SüdwestAfrika während der deutschen Herrschaft«, GZ 26 (1920), S. 305-316. Ebenso: H. Meyer: Die Barundi, S. IXf.
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die pazifische Inselwelt als schützenswertes Paradies und pries es als einen Luxus, den man sich leisten könne. Die Inselgruppen hielt er für »zu klein und zu verstreut, um eine große koloniale Zukunft versprechen zu können«. Die Böden seien meist nur wenig ergiebig, »die polynesische und mikronesische Bevölkerung zu stolz oder zu faul, um ein Arbeitermaterial zu liefern, auf das der Europäer, dem das Klima eigene körperliche Arbeit verbietet, immer angewiesen sein« werde.97 Kurt Hassert genügte Wegners Argumentation in Deutschland im Stillen Ozean nicht. Weder geopolitische Begründungen noch eine vermeintliche ökologische Verantwortung des Deutschen Reiches wollte er als Beweggründe für koloniale Landnahmen gelten lassen. Mit »kolonialen Schwärmereien« sei es nicht getan, schrieb er in Deutschlands Kolonien, vielmehr müsse man sich fragen, »ob die Bedeutung des Erworbenen derart ist, daß es die großen Ausgaben lohnt«. Es habe an »herben Urteilen« über die Inselgruppen Mikronesiens nicht gefehlt. Viele hätten »in den weltentlegenen Archipelen nur wertlose, teuer bezahlte Felsenklippen, nichtsnutzige Inselchen und Spielzeuge der Herren Geographen« gesehen«. Aber von den Südseekolonien sei ein ökonomischer Ertrag wie von den anderen Kolonien zu erwarten. Für Spanien seien die pazifischen Inseln nur die »unnütze Ausgaben verursachenden Trümmer eines eingestürzten Gebäudes« gewesen, für Deutschland hingegen die »Strebepfeiler eines neuen zukunftsvollen Baues und ein neues Glied in der Kette unserer Südseegebiete«, wobei er einräumen musste, dass »der materielle Wert der deutschen Südsee-Inseln nicht der Höhe der für sie gebrachten Opfer« entsprach und ihre Nutzbarmachung »noch langer, mühsamer und kostspieliger Arbeit« bedürfe.98 Ähnlich waren Wilhelm Sievers Einschätzungen in Das Deutsche Kolonialreich: Aus der Statistik des Jahres 1908, die ein Handelsvolumen von 16,3 Mio. Mark und einen leichten Exportüberschuss aufweise, schlussfolgerte er, dass sich die deutschen Südseekolonien »noch ganz am Anfang ihrer wirtschaftlichen Entwicklung« befänden. Allerdings ging er davon aus, dass die Handelsbilanz in Zukunft weniger günstig ausfallen würde, da seit einigen Jahren vor allem die Ausfuhr von Phosphat aus Nauru positiv zu Buche schlagen würde. Ohne die Phosphatexporte trete die »Eigenschaft unserer Südseekolonien als reine Pflanzungskolonien sehr deutlich hervor«. 92 Prozent mache der Exporte von Kokos aus, weniger als fünf Prozent entfalle auf die Kautschukproduktion. »An Vorbereitung eines weiteren wirtschaftlichen Aufschwunges« werde eifrig gearbeitet, stellte Sievers mit hohen Erwartungen in die Züchtungsresultate der auf mehreren Inseln betriebenen botanischen Versuchsgärten fest. Das größte Entwicklungshemmnis erkannte er allerdings, ähnlich wie sein Kollege Sapper, in der »Arbeiterfrage«, da die »Eingeborenen trotz physischer Kraft nicht geneigt [seien], schwere Arbeit zu tun«, anderer-
97 G. Wegener: Deutschland im Stillen Ozean, S. 148-149. 98 K Hassert: Deutschlands Kolonien, alle Zitate S. 544.
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seits die Anwerbung von Kulis in den letzten Jahren aus den Malailändern Südostasiens deutlich erschwert worden sei und auch die chinesische Einwanderung als problembehaftet angesehen werden müsse.99 Außergewöhnlich war Wegeners Einschätzung der Zukunft Chinas, mit der er die Ausführungen über Jiaozhou in Das Deutsche Kolonialreich abschloss. Diese Ausdehnung der Zukunftsprognose auf einen über die deutsche Kolonie hinausgehenden Raum war gerade für die deutsche Chinakolonie plausibel, da Geographen sie von Anfang an als eine Eingangspforte sahen.100 Auch wenn diese Kolonie einen wichtigen Hafen und Kohlevorkommen bot, ergab sich für Wegener ihr Wert aus den Einflussmöglichkeiten des Deutschen Reichs auf China. Für den Berliner Geographen war China nun in einem »Übergansstadium« begriffen und er kündigte »Veränderungen von ungeheurer Tragweite« an, die zu einer »Reorganisierung des Rießenreichs in nationalem Sinne« führen würden. China erlebe ebenso wie Japan eine »Modernisierung«, die »unermeßliche Kräfte, unübersehbare Möglichkeiten der Entwickelung« entfesseln würde.101 Später prognostizierte er im Begleitheft zu einem Diavortrag ein »Erwachen Chinas« und den »Eintritt« in »die von den Mächten der weißen Rasse geschaffene moderne Weltkultur, Weltpolitik und Weltwirtschaft«102. Jiaozhou war für Wegener das Verbindungsband zwischen China und Deutschland, das beiden Ländern eine gemeinsame Zukunft beschere. Obgleich der Berliner Geograph die Kolonie zu einer Modellregion stilisierte, warnte er davor, dass China »das deutsche Kiautschougebiet mehr denn bisher als einen lästigen Fremdkörper in seinem Fleisch empfindet«. Anders als Heinrich Schmitthenner, der glaubte, die Deutschen hätten sich durch koloniale Leistungen die Sympathie der Chinesen gesichert, mahnte Wegener, dass Deutschland nur durch geschickte auswärtige Politik die Chinesen davon überzeugen könne, dass »unsere dortige Besitzung frei von jedem feindlichen Charakter« sei. Nur wenn »das chinesische Hinter-
99
W. Sievers, »Die Schutzgebiete der Südsee«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), Zitate, S. 482-485. Ausführlich beschäftigte sich Sapper mit der Einfuhr von fremden Arbeitern und der Anwerbepolitik: K. Sapper: Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise nach dem Bismarck-Archipel im Jahre 1908, I Band, S. 94-116.
100 Vgl. F. v. Richthofen: Schantung und seine Eingangspforte Kiautschou. 101 G. Wegener: »Das Kiautschougebiet«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 540f. 102 Georg Wegener: China. Bilder von Land und Leuten, Lichtbildervortrag (Texthefe zu Benzingers Sammlung von Lichtbildern, 74), Stuttgart, S. 3 [ohne Jahr, vermutlich 1914 erschienen, C.G.].
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land« von einem Aufschwung deutscher Unternehmungen profitiere, sei »dem deutschen Kiautschougebiet eine bedeutende Zukunft sicher«.103 Erich Obst formulierte im zweiten Band seiner Expeditionsauswertung von 1923 sogar so etwas wie ein Entwicklungsprogramm für das »Rumpfschollenland« von Deutsch-Ostafrika. Mit neunzehn Maßnahmen, meinte er, könne die »wirtschaftliche Entwicklung« in diesem Raum im »Augenblick der Wiederaufnahme unserer Kolonisationsarbeit« in Schwung gebracht werden.104 Dazu gehörte der Ausbau der Bahnlinie von Dodoma nach Kondoa-Irangi, Ausbau der Verwaltungsstationen, Bevorzugung verheirateter Beamter, da auf »die Frau als Wirtschaftsund Kulturfaktor« nicht zu verzichten sei, demographische Analysen, Regelungen zur Forstwirtschaft und Wildschutz. Einige von Obsts Vorschlägen waren zu dieser Zeit vergleichsweise progressiv, etwa der Ausbau von Regierungsschulen, um das »Sprachenchaos« zu überwinden, aber unter gleichzeitiger Bewahrung der sprachlichen Vielfalt der »Stämme« sowie die Errichtung von Handwerker- und Landwirtschaftsschulen für »Eingeborene« sowie von Musterfarmen. Auf der anderen Seite propagierte Obst rigide Zwangsmaßnahmen, etwa die Bestimmung des »Zukunftsraumes«, den jeder Stamm benötige bei gleichzeitiger Beschränkung einer »Eingeborenen-Expansion«, womit der Hamburger Geograph Reservatsgrenzen implizierte, eine Arbeitspflicht für männliche »Eingeborene«, wobei er sich wenigstens für eine staatliche Überwachung der Arbeitgeber aussprach. Ferner befürwortete er die Bekämpfung eines angeblichen arabischen und indischen »KleinhändlerMonopols« sowie die Anpassung der Kopfsteuer an das Leistungsfähigkeitsprinzip – eine euphemistische Umschreibung für Steuererhöhungen. Es wäre zuviel der Ehre, würde man den Kolonialgeographen zu einem entwicklungspolitischen Vorreiter stilisieren, dazu waren die Vorschläge zu skizzenhaft. Aber das Beispiel zeigt, dass sich koloniale Erfahrungen schon früh zu entwicklungsprogrammatischen Überlegungen verdichteten. Was auf der Strecke blieb, waren die Interessen der einheimischen Bewohner. Die wirtschaftsgeographischen Erörterungen der Geographen degradierten die Bevölkerung zu Produktionsfaktoren und Fortschrittshindernissen, unterstellte ihnen pauschal Unvermögen die vorhandenen Ressourcen zu nutzen. »Mag ein Gebiet noch so reich an Naturschätzen sein, es wird die über den eigenen Verbrauch hinausgehende Produktmenge nicht verwerten können«, so leitete Meyer sein Eisen-
103 G. Wegener: »Das Kiautschougebiet«, in: Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Zweiter Band (1910), S. 540f. Ferner: Heinrich Schmitthenner: »Kiautschau«, in: GZ 20 (1914), S. 657-670, hier S. 666-669. 104 E. Obst: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika, Teil 2, S. 321-323, Zitat, S. 321-323.
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bahnbuch ein.105 Zu den reichen Ölpalmenbeständen in Kamerun bemerkte Thorbecke, es sei »ganz ausgeschlossen, daß der Eingeborene in absehbarer Zukunft einmal diese natürlichen Schätze restlos wirtschaftlich wird verwerten können«.106 Auf diese Weise erschien die Kolonisierung in grober Verzerrung realer Verhältnisse als Abschöpfung ungenutzter Überschüsse. Eine Ausnahme in vielerlei Hinsicht war Siegfried Passarges Schlusswort in seiner Länderkunde des südlichen Afrikas über »die zukünftige Entwicklung Südafrikas«.107 Der Hamburger Geograph stellte die einheimische Bevölkerung in den Mittelpunkt eines ausgesprochen pessimistischen Zukunftsszenarios, an dessen Anfang eine koloniale Geschichts- und Gegenwartsdiagnose stand, die eine Verbesserung der sozialen Lage der großen Masse der Schwarzen feststellte, seitdem die Europäer von dem Land Besitz ergriffen hätten. In Verkehrung der realen Zustände erklärte Passarge Vermögen, Wohlleben und Sicherheit des Eigentums hätten zugenommen, während zugleich Willkür, Kriege und Raubzüge aufgehört hätten. Doch der Hamburger Geograph warnte davor, dass »der Schwarze« nicht zufrieden sei und die objektiv feststellbaren Errungenschaften entgegen aller Rationalität nicht anerkenne. Mit der Absicht seine Leser aufzurütteln, skizzierte er das Ende der kolonialen Ordnung. »Falsche Humanitätsbestrebungen« hätten zu einer Überbrückung von Rassengegensätzen geführt, der »Prozess der Europäisierung, d.h. der Vernichtung der alten Stammesorganisation« habe sogar schon eingesetzt und eine »äthiopische Bewegung« bereite innerhalb der Kirche mit der Devise »Afrika den Afrikanern und Vertreibung der Weißen« die Beendigung der kolonialen Herrschaft vor.108 Passarge stilisierte die Bewegung zu einer internationalen Verschwörung: Schwarze Laienprediger würden zusammen mit »der bischöflich methodistischen Kirche der nordamerikanischen Neger« für »die Schaffung eines schwarzen Mittelstandes« eintreten, der aus »Handwerkern, Kaufleuten, Ärzten, Advokaten usw.« bestehen solle und auf soziale und wirtschaftliche Gleichstellung gegenüber den Weißen dränge. Nach außen hin gehe es ihnen um die Verbreitung der christlichen Religion und um Schulbildung, im Verborgenen verfolgten sie aber revolutionäre politische Lehren. Passarge skizzierte daraufhin ein Szenario, wonach die schwarze Bevölkerung die Weißen im Laufe der Zeit wirtschaftlich überflügeln würde, da sie heutzutage schon zahlenmäßig überlegen sei, sich zudem schneller vermehre und dem Klima besser angepasst sei. Das Ergebnis einer solchen Entwicklung könnten nur die »schwersten Rassenkämpfe« sein, die alleine »mithilfe der kolonisierenden Mächte,
105 H. Meyer: Die Eisenbahnen im tropischen Afrika, S. 2. 106 F. Thorbecke: Im Hochland von Mittel-Kamerun, Teil 1. Die Reise, S. 5. 107 S. Passarge: Südafrika, S. 338-341. 108 Ebd., S. 338f.
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also England vor allem, ausgefochten werden« könnten. Andernfalls – so ein zweites Szenario – komme es »zu einem friedlichen Verdrängen und Herausdrängen der weißen Rasse«. Zwei Lehren könnten Passarge zufolge aus den Verhältnissen in Südafrika gezogen werden: »Einmal, daß jede Humanität den Schwarzen gegenüber gleichzeitig eine Grausamkeit den Weißen gegenüber ist, und zweitens, daß, wenn sich die Verhältnisse weiter so entwickeln wie bisher unter englischer Verwaltung, die weiße Bevölkerung der schwarzen auf die Dauer nicht wird widerstehen können.« Passarge forderte mit seinen Zukunftsszenarien ein Umdenken in der Eingeborenenpolitik, sah nur in der Loslösung des englischen Südafrika von England eine »Möglichkeit der Rettung«, denn nur auf diese Weise könne die Region von »falschen Humanitätsbestrebungen« unabhängig gemacht werden. Als geeigneter erschienen ihm »Prinzipien, welche die Buren bei der Behandlung der Schwarzen mit so großem Erfolg durchgeführt« hätten und darin gipfelten, »den Schwarzen Respekt und Gehorsam beizubringen, sie streng, aber gerecht zu behandeln und sie so zu bewerten, wie sie es verdienen, nämlich als inferiore Rasse«.109 Obgleich rassistisch motiviert, könnte man meinen, der Hamburger Geograph habe die Dekolonisierung schon früh vorausgesehen. Seine Prognose war aber weniger der Analyse politischer und sozialer Verhältnisse im besprochenen Raum geschuldet, als vielmehr Ausdruck seiner Verachtung der Zivilisierungsmission und speziell der Kirche, wie er schon mit seinem Adamauabuch bewiesen hatte und einer grundlegenden Ablehnung jeglicher Form afrikanischer Selbstverwaltung, was er durch Gesellschaften bei Nennung von Liberia, Haiti und St. Domingo als missglückte Beispiele zu verdeutlichen suchte.110 Es waren also weniger die Partikularitäten in Südwestafrika, die den Kolonialgeographen zu seinem radikalen Urteil veranlassten, als vielmehr seine grundlegenden rassentheoretischen Einstellungen. Schon lange sehnte er sich nach einem gewaltvolleren Kolonialismus und begründete seine Phantasien mit einem Rassenhass, den er der einheimischen Bevölkerung unterstellte. Dazu bemühte er sogar eine angeblich natürliche Ordnung zwischen weißen Herrschern und schwarzen Untergebenen. Doch wenn sich Passarge auf so etwas wie einen Universalismus berufen konnte, dann auf die Gewissheit, dass Menschen irgendwann gegen ihre Unterdrückung aufbegehren.
109 S. Passarge: Südafrika, S. 341. Hassert formulierte ähnliche Einschätzung über eine zu laxe Eingeborenenpolitik der Engländer und mit Sympathiekunden für die Buren während des Krieges gegen England, obgleich er nicht so radikale Schlussfolgerungen wie Passarge zog. Vgl. Kurt Hassert: »Der Kampf um Südafrika und die deutschen Interessen«, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 2 (1901/1902), S. 289293, 329-334, 368-384. 110 S. Passarge: Adamaua, S. VII
Schluss Koloniale Eigentümlichkeiten
»Die landeskundliche Literatur über unsere deutschen Schutzgebiete ist groß. In Tausenden von Aufsätzen, Zeitschriften, Broschüren, Denkschriften, Büchern zerstreut, erschwert sie dem, der sich ein getreues Bild vom Ganzen machen will, die Arbeit ungemein; und es ist so viel Spreu unter dem Weizen, daß sich die mühsame Arbeit allzuoft gar nicht lohnt.« Mit diesen Worten begründete Hans Meyer im Vorwort zu Das Deutsche Kolonialreich, warum er eine wissenschaftliche Synthese der bisherigen Forschungsstände für dringend erforderlich erachtete1. Das zweibändige, großzügig bebilderte und mit vielen Karten versehene Werk sollte diese Lücke schließen und der deutschen Öffentlichkeit eine »verständliche wissenschaftliche Landeskunde im Sinne der modernen Geographie« zur Hand geben. Die Bände sollten genau jenen Kriterien genügen, die der Leipziger Verleger und Nestor der deutschen Kolonialgeographie bei so vielen Anlässen wiederholt vorgetragen hatte: »Das vorliegende Werk hat es sich zur Aufgabe gesetzt, das brauchbare Material mit der Kritik eigner Landeskenntnis zusammenzutragen, es mit den Resultaten selbständiger Forschung zu vereinen und auf dieser steten Grundlage einen Bau auszuführen, der unser ganzes Deutsches Kolonialreich umfaßt und zugleich den Ansprüchen anschaulicher Schilderung sowie den strengen Forderungen der Wissenschaft genügt.« Mit anderen Worten: Diese Länderkunde sollte wissenschaftlich auf der Höhe ihrer Zeit sein, den kolonialinteressierten Leser über einzelne Räume informieren und zugleich Fachkollegen über geographische Forschungsstände unterrichten. Darüber hinaus erhoffte er sich von den Kapiteln der einzelnen Autoren, dass sie die Kolonisierung befördern würden: »Ohne eine so verstandene landeskundliche Kenntnis von den Erdräumen, in denen wir kolonial arbeiten wollen, ist unsere koloniale Arbeit in den meisten Fällen ein bloßes Experimentieren. Erst wenn wir die natürlichen Kräfte des Landes und ihre gegenseitige Bedingtheit, ihr Aufeinanderwirken kennen, kann die koloniale und vor allem die kolonial1
H. Meyer: »Vorwort«, in: Ders, Das Deutsche Kolonialreich, Erster Band (1909), S. Vf.
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wirtschaftliche Arbeit planvoll und erfolgreich sein«, so Meyer zu den Motiven und Erwartungshaltungen, die er mit anderen Kolonialgeographen teilte. Mit der »Beschreibung der Dinge, Länder und Menschen« wollten sich die Autoren nicht zufriedengeben. Um zu zeigen, dass »in unserem Kolonialreich jeder Teil eine naturbedingte, organische Einheit ist«, formulierte Meyer den Anspruch, dass die »Erscheinungen der Erdoberfläche, mit denen es die Geographie zu tun hat, in ihrem ursächlichen Zusammenhang« erkannt, verstanden und zu lebendiger Anschauung gebracht werden sollten. Konkret verband er damit die Vorstellung, dass »aus der Erdlage und dem Aufbau eines Landes sich sein Klima erklärt«, dass Klima und Boden den Pflanzenwuchs bestimmen und diese Faktoren wiederum die Tierwelt bedingen und alles zusammengenommen dann »die physische und großenteils auch die psychische Eigenart der Menschen tief beeinflussen«. Diese Reihe setzte Meyer mit den »Nachwirkungen geschichtlicher Vorgänge« fort, die im Zusammenwirken mit den Natureigenschaften und den Menschen schließlich »die wirtschaftlichen Wirklichkeiten und Möglichkeiten« ergeben würden, »die wir durch unsere koloniale Arbeit zu erhöhter Entwickelung bringen können«.2 Kausalitäten wurden oft postuliert, aber nur selten empirisch erforscht. Das Streben nach kausalen Erklärungen war nicht unberechtigt, aber die Geographen weckten Erwartungen, die die Kolonialgeographie nicht erfüllen konnte. Schlimmer noch: Sie bemühte sich nicht einmal, den viel beschworenen ursächlichen Zusammenhängen tatsächlich auf den Grund zu gehen, zumindest was die ökologische Determinierung des Menschen anbelangte. In der Regel nutzten sie den methodologischen Leitbegriff lediglich als Prämisse, um die geographischen Forschungsaktivitäten und wissenschaftlichen Texte zu strukturieren. Dies war nicht nur ein Problem der Kolonialgeographie: Alfred Hettner und Otto Schlüter diskutierten beispielsweise auf dem Geographentag und später in der Geographischen Zeitschrift über den Sinn von Kausalitäten, aber den meisten Geographen war diese Debatte zu komplex.3 Kolonialgeographen bedienten sich des vermeintlichen ursächlichen Zusammenhanges, um wie Meyer die koloniale Nützlichkeit der geographischen Forschung öffentlich zu rechtfertigen. Oft waren ihre Erklärungen nichts anderes
2 3
Ebd., S. Vf. Alfred Hettner: »Die Geographie des Menschen«, in GZ 13 (1907), S. 401-425. Ebenso in: G. Kollm (Hg.): Verhandlungen des 16. Deutschen Geographentages zu Nürnberg vom 21. bis 26. Mai 1907 (1907), S. 273-303; Otto Schlüter: »Über das Verhältnis von Natur und Mensch in der Anthropogeographie«, in: GZ 13 (1907), S. 505-517. Ferner: Alfred Hettner: »Über das Verhältnis von Natur und Mensch: Randbemerkungen zu Schlüters Vortrag«, in: GZ 13 (1907), S. 580-583. Für einen Abriss der Kontroverse zwischen Hettner und Schlüter und der Reaktionen in der Geographenschaft: U. Wardenga: Geographie als Chorologie, S. 103-108.
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als koloniale Stereotype, vor allem, wenn sie nach Begründungszusammenhängen zwischen Klimazone, ökologischem Habitat und der Wirtschaftsführung oder Kultur der Menschen suchten.4 Kausalitäten wurden von den Geographen dazu eingesetzt, sich von anderen Disziplinen und Amateuren zu distinguieren. Über das Studium der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt konnten Geographen ein riesiges Wissensterrain für sich in Anspruch nehmen und erweckten den Eindruck, ihre Disziplin verfüge über eine kohärente Agenda, die methodologische Gräben zwischen Geistes- und Naturwissenschaften überbrücken könne. Einerseits maßten die Geographen sich an, Aussagen über die Geistesverfassung von menschlichen Kollektiven aus dem Studium der natürlichen Umwelt ableiten zu können, anderseits beanspruchten sie die Fähigkeit, den Möglichkeitsraum für Politik und Ökonomie zu bestimmen, ohne direkt mit den europazentrierten Staatswissenschaftlern und Nationalökonomen konkurrieren zu müssen. Es hatte den Anschein, als sei das Erkennen ursächlicher Zusammenhänge der Kern der wissenschaftlichen Geographie, was nur eingeweihten Adepten der Disziplin vorbehalten blieb und sie aus der Masse der wissenschaftlichen Amateure heraushob. Zugespitzt formuliert: Die Suche nach Kausalitäten war in erster Linie eine rhetorische Strategie zur disziplinpolitischen Grenzziehung und zum Schutz gegen die unliebsame Konkurrenz forschungsreisender Außenseiter.5 Das bedeutet nicht, dass die Kolonialgeographie keine empirisch-wissenschaftliche Disziplin gewesen wäre. Die Geographen versuchten, wissenschaftliche Standards zu wahren, verfolgten dabei aber Erkenntnisinteressen mittels etablierter Forschungstechniken, die sie aus dem tradierten Erfahrungsschatz ihrer Disziplin gewannen. Geographie war also bei Weitem heterogener als Geographen zugeben wollten oder durch eine einfache erkenntnistheoretische Formel hätte dargestellt werden können. Die Forschungsbemühungen der Kolonialgeographen resultierten jedenfalls in einer reichhaltigen geographischen Kolonialliteratur mit unterschiedlichen disziplintypischen Genres für verschiedene Zielsetzungen, Anlässe und Bearbeitungsstufen. Es entstanden Länderkunden als populäre Überblickswerke, Forschungsmonografien und Aufsätze über spezielle Forschungsprobleme im Anschluss an den Aufenthalt in den Kolonien. Die beiden letzten Genres richteten sich vorwiegend an landeskundliche Kollegen in den Wissenschaften, obgleich wahrscheinlich ist, dass sich unter den Lesern Offiziere, Kolonialbeamte oder Mitglieder von Geographischen Gesellschaften und kolonialen Verbänden befanden. Eine
4
Vgl. F. Jaeger: »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 400-405.
5
Vgl. Thomas F Gieryn: »Boundary-Work and the Demarcation of Science from NonScience: Strains and Interests in Profesional Ideologies of Scientists«, in: American Sociological Review 48 (1983), S. 781-795.
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koloniale Rezeptionsgeschichte des geographischen Wissens muss allerdings erst noch geschrieben werden. Reiseberichte in Fachzeitschriften kündigten kommende Forschungsleistungen an und unterhielten das Publikum, monografische Reiseberichte waren eher belletristisch, vor der Jahrhundertwende aber die übliche Form der Expeditionsauswertung, sofern dem kolonialen Reisebericht eine zweite Hälfte mit einer objektivierten Analyse folgte. Propagandaschriften, historische Rückblicke und geopolitische Erörterungen versuchten eine breite Öffentlichkeit von der Notwendigkeit und Ausweitung des kolonialen Engagements zu überzeugen und nutzten dazu vielfach geographisches Wissen als Vehikel für politische Botschaften. Der Erste Weltkrieg beendete die produktiven Jahre der geographischen Kolonialforschung. Der gefühlte »Verlust« der Kolonien in den Friedensverhandlungen von Versailles führte dazu, dass vor allem die Zahl der politischen Schriften zunahm, während Pläne zur Ausarbeitung einer aktualisierten länderkundlichen Synthese verworfen worden. Manche geographische und kartographische Arbeit wurde im Zuge der Kriegsmobilisierung eingestellt, andere Forschungsarbeiten wurden herausgeschoben, unter widrigen Bedingungen verfasst oder erst nach Jahren abgeschlossen. Fritz Jaeger, Franz Thorbecke, Erich Obst und Fritz Klute verfassten ab den späten 1920er Jahren Länderkunden des gesamten afrikanischen Kontinents. Einige Kolonialgeographen beschäftigten sich darüber hinaus ihr Leben lang mit Problemen, auf die sie während ihrer Kolonialexpeditionen gestoßen waren.6 Das 6
So beispielsweise Fritz Jaeger: Sein erster Aufsatz über Deutsch-Ostafrika war ein dreiseitiger Reisebericht in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Neben den Monografien über Deutsch-Ostafrika veröffentlichte er weit mehr als dreißig Aufsätze über die Kolonie. Über Jahrzehnte beschäftigten er sich mit den Veränderungen der Kilimandscharo-Gletscher und warnte immer wieder vor dem Abschmelzen der Gletscher. Seine letzte Veröffentlichung erschien im Jahre 1968, zwei Jahre nach seinem Tod, genau zu diesem Thema: Fritz Jaeger: »Bericht über den Anfang der deutschostafrikanischen Expedition der Otto-Winter-Stiftung unter Leitung von Prof. Dr. C. Uhlig«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 215-217; Ders.: »Weiterer Rückgang der Gletscher am Kilimandscharo«, in: Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie 5 (1968), S. 99-101; Ders.: »Der Rückgang der Gletscher des Kilimandjaro«, in: Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie 2 (1953), S. 306-311; Ders.: »Veränderungen der Kilimandscharo-Gletscher«, in: Zeitschrift für Gletscherkunde 1931, S. 285299. Zu den Länderkunden von Afrika: Fritz Jaeger: »Afrika«, in: Kurt Krause/Rudolf Reinhard (Hg.): Ernst von Seydlitz’sche Geographie. Außereuropäische Erdteile, 3. Band, Breslau 1925, S. 237-349; Ders.: Afrika (Allgemeine Länderkunde), 3. Aufl., Leipzig 1928; Ders.: Afrika. Ein geographischer Überblick, 2 Bände (1 Band. Der Lebensraum, 2. Band. Mensch und Kultur), Berlin 1925; Franz Thorbecke: Afrika, Erster
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Deutsche Kolonial-Lexikon konnte die ausgebliebene Systematisierung der geographischen Wissensbestände nicht leisten. Es hätte bereits 1914 erscheinen sollen, aufgrund des Weltkrieges ging das umfassende Nachlagewerk zu den deutschen Kolonien aber erst 1920 in Druck. Heinrich Schnee, langjähriger Spitzenbeamter in der Berliner Kolonialverwaltung und letzter Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, hatte für die Ausarbeitung zahlreiche Geographen als Autoren gewonnen. Karl Dove schrieb über Deutsch-Südwestafrika, Siegfried Passarge und sein neuer Assistent Carl August Rathjens über Kamerun, Karl Sapper über Deutsch-Neuguinea und die Südseekolonien und Carl Uhlig verfasste nach eigenen Angaben alleine über dreihundert Artikel zur Landeskunde Deutsch-Ostafrikas.7 Dazu kamen Autoren wie Alexander von Danckelman, Hugo Marquardsen sowie die beiden Berliner Kolonialkartographen Paul Sprigade und Max Moisel. In den kurzen Artikeln gelang es kaum, einen Eindruck über die Vielfalt von Forschungsproblemen zu vermitteln, denen Geographen in den letzten Jahren der deutschen Kolonialherrschaft nachgegangen waren. Aber immerhin bezeugen die drei Bände, wie sehr die Geographie bis zum Schluss von Kolonialwissenschaftlern und Kolonialverwaltung als wichtig erachtet und geschätzt wurde. Die Kolonialgeographie war ein Forschungsfeld, das eigene wissenschaftliche Praktiken hervorbrachte, um den wissenschaftlichen wie politischen Anforderungen gerecht zu werden. Das begann mit der Themenwahl: Die Erforschungs- und Eroberungsgeschichte spielte eine größere und ideologisch bedeutsamere Rolle als in Geographien anderer Räume zu dieser Zeit. Zwar hatten Geographen, wenn sie über andere überseeische Weltregionen schrieben, die Erforschungsgeschichte nicht außer Acht gelassen, aber die Verknüpfung der Landesgeschichte mit einer deutschen Geschichte war ein kolonialgeographischer Spezialfall. Ähnlich die Wirtschaftsgeographie: Nicht nur in den Kolonien ereiferten sich Geographen als selbsternannte Ratgeber, aber nirgends sonst waren sie so vehement und erteilten so viele Empfehlungen zu Bevölkerungspolitik, Steuerwesen, Landwirtschaft, Militärwesen, den Nutzen von Infrastrukturprojekten und den Entwicklungsaussichten.
Teil. Allgemeine Übersicht, Breslau 1929; Fritz Klute: Afrika in Natur, Kultur und Wirtschaft, Potsdam 1930; Erich Obst: »Afrika«, in: Karl Haushofer (Hg.): Macht und Erde (Ergänzungsband zur Neubearbeitung der Großmächte von Rudolf Kjelléns Jenseits der Großmächte), Leipzig 1932, S. 263-365. 7
H. Schnee (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Band 1, S. XII-XIX; Carl Uhlig: »Natur und Bevölkerung in ihren Beziehungen zur politischen Geographie und zur Wirtschaft des Landes«, in: Hettner, Zwölf länderkundliche Studien (1921), S. 243-282, hier Fußnote S. 243.
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Auf Expeditionen bildeten sich eigenständige Forschungstechniken und Routinen heraus. Die topographische Aufnahme war eine der zentralen Forschungstechniken in den Kolonien, die viel Zeit und Anstrengung der Geographen erforderte, wohingegen in Deutschland oder im Alpenraum topographische Aufnahmen und Höhenmessungen weitgehend überflüssig waren, da sehr gute Kartenwerke in einem Maßstab von 1:25.000 bereits existierten. Bei geomorphologischen Forschungen konnten sie sich auf diese Karten stützen, beobachtete Oberflächenformen im Gelände auf Karte oder Pauspapier eintragen.8 Auf amtlichen Kolonialkarten war es kaum möglich, Reliefveränderungen in den Kolonien mit der erforderlichen Genauigkeit zu identifizieren. Der Maßstab der Kolonialkarten war zu klein, die Karten aufgrund des Aufnahmeverfahrens nicht exakt genug und Höhenlinien fehlten. Überhaupt war die topographische Aufnahme noch gar nicht abgeschlossen. Daher war in den Kolonien die Wegaufnahme die »Ehrenpflicht jedes Reisenden«, aber ganz besonders die »Aufgabe des forschenden Geographen, der sich die topographische Kartenunterlage, die er für die Darstellung seiner Forschungsergebnisse benötigte«, erst selbst erschaffen musste, wie der Kartograph Wolfgang Pillewizer in einer Rückschau während des Zweiten Weltkrieges treffend feststellte.9 Und natürlich wäre es in anderen Räumen ungewöhnlich gewesen, mit mehr als hundert Trägern und Soldaten Forschungsarbeiten durchzuführen. Stellen wir uns vor, ein ausländischer Geograph wäre auf seiner Expedition ins innerste Deutschland am Hamburger Hafen gelandet, hätte dort die ersten Träger rekrutiert, sie unterwegs misshandelt, Bürgermeistern Gewalt angedroht, wenn sie keine Führer, Träger oder nicht genug Lebensmittel bereitstellten, hätte englisch sprechende Lehrer als Dolmetscher entführt und auf Zollbehörden das Feuer eröffnet, wenn sie Papiere sehen wollten. Allein schon die Vorstellung eines gutmütigen afrikanischen Reisenden, der deutsche Sitten und Kulturen nach vermeintlich afrikanischen Maßstäben beurteilte, war auch im Deutschland der Zwischenkriegszeit immer noch ein Skandal.10
8
Für neue Erkenntnisse zu Forschungspraktiken von Geographen im Gelände: Gaëlle Frédérique Hallair: Histoire croisée entre les géographes français et allemands de la première moitié du XXe siècle. La géographie du paysage (Landschaftskunde) en question, Paris 2009. Zu Albrecht Pencks Kartengebrauch im Gelände verdanke ich wichtige Hinweise Norman Henniges.
9
Wolfgang Pillewizer: »Der Anteil der Geographie an der kartographischen Erschließung Deutsch-Ostafrikas«, in: Jahrbuch der Kartographie 1941, S. 145-175, Zitat, S. 146. Pillewizer analysierte die kartographischen Verfahren während der Kolonialzeit, um an ihre fortgesetzte Bedeutung zu erinnern.
10 Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland, 2. Aufl., Bremen 1988. Zur Biographie des Autors: P. Werner Lange:
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Die Erforschung der Kolonien folgte wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen, aber ohne Zaudern und Zögern stellten sich die Geographen auf die Seite der Kolonisierer. Mehr noch, sie verstanden und gebärdeten sich selbst als gewichtige koloniale Akteure. Diese machtpolitische Verortung wurde durch eine Reihe von Faktoren begünstigt: Erstens dominierten in der »academic community« der Kolonialgeographen politische Einstellungen, die vom nationalkonservativen bis hin zum völkisch-radikalen Spektrum reichten. Daher sahen diese Geographen in der kolonialen Expansion und dem wilhelminischen Großmachtstreben ihre wichtigsten politischen Ziele verwirklicht, wobei sie hofften, eine Ausdehnung der deutschen Kolonialgebiete würde nicht nur der nationalen Wohlfahrt und weltpolitischen Stellung des Deutschen Reiches zugutekommen, sondern auch die Bedeutung und Aufgaben der eigenen Disziplin mehren. Zweitens waren die Geographen in Organisationszusammenhänge eingebunden. Während der Expeditionsvorbereitung wurden die Forschungsvorhaben von Kommissionen und etablierten Geographieprofessoren begutachtet und unterwegs in den Kolonien waren die Geographen von der logistischen Unterstützung der Kolonialbehörden und vom Militär abhängig. Nach der Expedition schuldeten sie ihren Auftraggebern Rechenschaft; jüngere Geographen wurden darüber hinaus von ihren Expeditionsleitern zur Verantwortung gezogen. Hinzu kamen wissenschaftliche Netzwerke, die sich an der Auswertung der Expeditionen beteiligten, bestehend aus Herausgebern, Verlegern, Kolonialbehörden und Geographenschaft, deren Erwartungen die Geographen erfüllen mussten. Dass das Reichskolonialamt und koloniale Verbände in die Erforschung der Kolonien investierten, stützte sicherlich die machtpolitische Positionierung der Geographen, aber warum sie politische Funktionsträger, Militärs und Kolonialbeamte für eine zu zögerliche Kolonisierung kritisierten, nicht aber für Gewaltexzesse, kann das Argument des Drittmittelopportunismus genauso wenig erklären wie die vehemente Agitation für eine zweite Kolonisierung nach dem Zusammenbruch des deutschen Kolonialreiches. Drittens verhinderte das ausgeprägte Rassendenken die Empathieentwicklung für die einheimische Bevölkerung in den Kolonien. Stattdessen erkannten Geographen in ihnen nur Studienobjekte, Transportmittel oder billige Arbeitskräfte. Nicht einmal der längere und wiederholte Aufenthalt in den Kolonien, die Konfrontation mit Entrechtung, Leid und prekären Lebensverhältnissen sorgte dafür, dass sie die Interessen der einheimischen Bevölkerung in ihre Überlegungen einbezogen. Hätten sich die Geographen mehr bemüht, die Netze der kolonialen Infrastruktur zu verlassen und ihre eigene rassistische Voreingenommenheit zu überwinden, dann
»›Und ich zweifelte, ob ich ein Krieger sei ...‹: Der Kolonialoffizier und Pazifist Hans Paasche«, in: Heyden/Zeller, »…Macht und Anteil an der Weltherrschaft« (2005), S. 4450.
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wäre es wenigstens für die Mutigen unter ihnen möglich gewesen, die größten Irrungen kolonialer Ideologie zu korrigieren. Bei der Ausarbeitung und Ausdeutung ihrer Expeditionsnotizen ließen sich Geographen von kolonialpolitischen Wunschvorstellungen leiten und nahmen aus ideologischen Gründen diskursive Anpassungen vor. Was sie über die Kolonien schrieben, waren weniger Phantastereien als bewusste Erzählungen, die sich an kolonialpolitischen Zielen orientierten, gerade auch dann, wenn Geographen die Kolonien auf eine Weise darstellen, die nicht unbedingt mit den auf der Expedition gemachten Wahrnehmungen korrespondierte und manchmal wider besseres Wissen erfolgte. Allerdings waren politische Motive sicherlich auch nicht allein ausschlaggebend. Die permanente Überforderung während arbeitsreicher Expeditionstage, das kaum zu bewältigende Forschungsprogramm und die eigene Unsicherheit der mehrheitlich noch jungen Geographen spielten ebenfalls eine Rolle und führten dazu, dass sie – mehr noch als Wissenschaftler anderer Disziplinen – gewillt waren, Vermutungen und Hypothesen als gesicherte Fakten zu präsentieren. Expeditionen erzeugten zwar eine Fülle von neuen Informationen, in den ausgearbeiteten Forschungsmonografien und kolonialen Länderkunden dominierten jedoch herkömmliche Deutungsmuster, so dass ortserfahrene Geographen mit ihren fachlichen Expertisen erheblich zur wissenschaftlichen Legitimierung ideologischer Prädispositionen beitrugen. Das Buch versuchte aus den individuellen Beiträgen von fünfzehn Kolonialgeographen, aus ihren politischen Einstellungen, Theorien, Forschungspraktiken und situativen Verhaltensweisen ein Gesamtbild der akademischen Kolonialgeographie zu gewinnen. Würde man eine Wissenschaftsgeschichte scheiben, ohne auf die Bedingungen, Motive und gesellschaftlichen Verhältnisse einzugehen, unter denen das geographische Wissen erzeugt wurde, dann würde man der neueren Kolonialund Wissenschaftshistoriographie kaum gerecht. Einseitige Fortschrittsgeschichten, die negative Konsequenzen für die einheimischen Helfer und die Menschen in den Kolonien ausblendeten, verfassten die Kolonialgeographen und ihre Schüler schon zur Genüge. Anstatt zu beschönigen, gereicht es der Geographie zum Vorteil, reflektiert sie vergangene Versäumnisse und kollektive Fehlleistungen. Mitunter mag die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte auch für zukünftige Praktiken und Forschungsdesigns sensibilisieren. Für einen selbstgerechten Blick zurück gibt es indessen wenig Anlass, schließlich sind die geopolitischen Interessen und die Abhängigkeit der Wissenschaft von Drittmitteln heutzutage kaum weniger geworden.
Anhang
G LOSSAR Akiden
Verwalter eines Unterbezirks in Deutsch-Ostafrika, meist aus der Swahili- oder arabischen Bevölkerungsgruppe.
Askari
»Farbige« Soldaten der sogenannten deutschen Schutztruppe, die entweder aus der Kolonie oder aus Nachbarregionen stammten. In Deutsch-Ostafrika kamen viele Askaris anfänglich aus dem Sudan.
Barundi
Bevölkerung von Burundi, von Meyer unscharf auch auf Bevölkerung von Ruanda angewendet.
Bahutu
Hutu
Batussi
Tutsi
Beri-Beri
Vitaminmangelerkrankung
Jumbe
Ostvorsteher in Deutsch-Ostafrika
Mtuale
Lokalbezeichnung für einen Chief in Ruanda
Kiautschou/ Kiautschau
Jiaozhou, deutsche Kolonie auf der chinesischen ShandongHalbinsel
Schamben
Landwirtschaftlicher Betrieb in Ruanda und Burundi
Schantung
Shandong: sie auch Kiautschou
Tsingtau
Qingdao, Verwaltungssitz von Jiaozhou
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ABKÜRZUNGEN DKZ = Deutsche Kolonialzeitung GA = Geographischer Anzeiger GG = Geschichte und Gesellschaft GZ = Geographische Zeitschrift Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten = Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten MGGH = Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg PGM = Petermanns Geographische Mitteilungen Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin = Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin = Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
Quellen und Literatur
U NVERÖFFENTLICHTE Q UELLEN : 1 Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde (BArch): Empfehlungen für Reisende nach Ostafrika: Allgemeines – R 1001/294, 295; Geographie und Kartographie in Deutsch-Ostafrika: Allgemeines – R 1001/307; Expedition der Professoren Kurt Hassert und Franz Thorbecke nach Kamerun und ins Manenguba-Gebirge – R 1001/3342, 3343; Expedition von Prof. Franz Thorbecke in das Manenguba-Hochland – R 1001/3344; Expedition Dr. Jaeger/Oehler in das abflußlose Gebiet zwischen dem Kilimandscharo und dem Viktoria-See – R 1001/ 5637/1; Entsendung des Ethnografen Prof. Dr. Weule zur Station Irangi – R 1001/ 5637/2; Forschungsexpedition von Leo Frobenius (Deutsche Innerafrikanische Forschungsexpedition) – R 1001/6628, 6629. Forschungsreise der Deutschen Kolonialgesellschaft unter Leitung von Prof. Dr. Franz Thorbecke nach Kamerun – R 8023/221, 222, 223. Archiv des Instituts für Länderkunde in Leipzig (IfLA): Nachlass von Fritz Jaeger – K. 848-50: insbesondere: Tagebücher der Forschungsreise ins abflußlose Gebiet DeutschOstafrikas 1906/07, 4 Bde – K. 848/2-5; Fritz Jaeger: Aus meinem Leben, Heft 2: Meine erste Forschungsreise 1904 in Deutsch Ostafrika – K. 850/4; Wissenschaftlicher Lebenslauf – K. 850/5.
1
Angegeben sind die wichtigsten Quellen, zur Korrespondenz siehe die Angaben in den Fußnoten. Wenn möglich wurden Textstellen mit Seitenangaben wiedergeben. Nicht alle Quellen sind jedoch stringent durchnummeriert, so dass für manche Quellen die Signatur, bei manchen Tagebüchern die Datumsangabe genügen muss.
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Nachlass von Hans Meyer – K. 164-180/2: insbesondere: Geschäftsordnung der Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete – K. 173/22; Denkschrift der landeskundlichen Kommission über eine einheitliche landeskundliche Erforschung der Deutschen Schutzgebiete mit Ergänzungen sowie Bericht der Kommission des Kolonialrates über die Einsetzung einer Kommission für die landeskundliche Erforschung der Schutzgebiete – K. 173/35-37; Protokolle der Kommission des Kolonialrats für die landeskundliche Erforschung des Schutzgebietes – K. 176/17; Tagebücher der Expedition ins Zwischenseengebiet (Ostafrika), 10 Bde – K. 180/2/37-46. Nachlass von Carl Uhlig – K. 183-188: insbesondere: Tagebuch der Forschungsreisen nach Ostafrika zur Untersuchung der Abbau-Würdigkeit des Natronsees in Deutsch-Ostafrika vom 04.8.1910 bis 02.10.1910 – K. 183/8; Reisetagebuch Kilimandscharo und Meru von 1901, 2 Hefte – 188/2-3; Reisetagebuch Deutsch-Ostafrika von 1904, 6 Hefte – K. 188/14-19; Reisetagebuch Victoriasee-Reise 1903/1904, 4 Hefte – K. 188/20-23. Nachlass von Kurt Hassert – K. 201: Nachlass von Siegfried Passarge – K. 580: Aus achtzig Jahren: Eine Selbstbiographie: Unveröffentlichtes Manuskript, verfasst zwischen 1942 und 1947 – K. 580/4.
Z EITSCHRIFTEN 2 Correspondenzblatt der Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas, 1874-1878 Deutsches Kolonialblatt: Amtsblatt für die Schutzgebiete in Afrika u. d. Südsee, 1890-1921 Deutsche Kolonialzeitung, 1884-1943 Geographische Zeitschrift, 1895-1944, 1963 bis heute Globus: Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde, 1862-1910 Jahresberichte über die Entwickelung der Deutschen Schutzgebiete Koloniale Rundschau, 1909-1934 Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, 1888-1906 Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, 1907-1928/1929 Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig, ab 1861 2
Die Jahreszahlen geben den Erscheinungszeitraum wieder. Für dieses Buch wurden vorwiegend die Jahre 1884 bis 1919 berücksichtigt, teilweise auch später publizierte Aufsätze, sofern sie sich auf Forschungsaufenthalte in deutschen Kolonien beziehen oder biographische bzw. geographiegeschichtliche Informationen enthalten.
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Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft zu Jena, v.a. Geschäftsberichte, ab 1882 Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland, 1878-1889 Petermanns Geographische Mitteilungen, 1855-2004 Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1873-1901, (1984-2007) Verhandlungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, ab 1887 Verhandlungen der Deutschen Geographentage, ab 1881 Verhandlungen der Deutschen Kolonialkongresse, 1902, 1905, 1910, 1924 Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1866-1944, (Vorgänger: Zeitschrift für allgemeine Erdkunde, ab 1853, Nachfolger: Die Erde, bis heute)
S CHRIFTEN
DER
K OLONIALGEOGRAPHEN 3
Baumann, Oscar: In Deutsch-Ost-Afrika während des Aufstandes. Reise d. Dr. Hans Meyer’schen Expedition in Usambara, Wien 1890. Usambara und seine Nachbargebiete. Allgemeine Darstellung des nordöstlichen Deutsch-Ostafrika und seiner Bewohner auf Grund einer im Auftrage der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft im Jahre 1890 ausgeführten Reise, Berlin 1891. Durch Massailand zur Nilquelle. Reisen und Forschungen der Massai-Expedition des deutschen Antisklaverei-Komitees in den Jahren 1891-1893, Berlin 1894. Die kartographischen Ergebnisse der Expedition des Deutschen AntisklavereiComités (PGM-Ergänzungsheft 111), Gotha 1894. »Topographische Aufnahmen auf Reisen«, in: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Dt. Schutzgebieten 7 (1894), S. 1-14. Behrmann, Walter: Der Sepik (Kaiserin-Augusta-Fluss) und sein Stromgebiet. Geographischer Bericht der Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition 1912-13 auf der Insel Neuguinea (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 12), Berlin 1917. Im Stromgebiet des Sepik. Eine deutsche Forschungsreise in Neuguinea, Berlin 1922. Das westliche Kaiser-Wilhelms-Land in Neu-Guinea (Ergänzungsheft d. Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1), Berlin 1924.
3
Es handelte sich um die Schriften der in Kurzbiographien vorgestellten »academic community« der Kolonialgeographen. Publikationen von Geographen, die erst nach Ende der deutschen Kolonialherrschaft publizistisch aktiv wurden, und von Kolonialkartographen finden sich im nachfolgenden Literaturverzeichnis.
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»Nachrichten von der deutschen Neuguinea-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1912, S. 377-379, 457-459. »Nach Deutsch-Neuguinea«, in: Institut für Meereskunde zu Berlin (Hg.): Meereskunde: Sammlung volkstümlicher Vorträge 8/10 (1914). »Geographische Ergebnisse der Kaiserin-Augustafluß-Expedition«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 254-276. »Verkehrs- und Handelsgeographie eines Naturvolkes: Dargestellt am Beispiel der Sepik-Bevölkerung im westlichen Kaiser-Wilhelms-Land, Neuguinea«, in: Abhandlungen zur Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Band 2 (Festschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Frankfurter Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte), Frankfurt 1925, S. 45-66. »Das Zentralgebirge Neuguineas im westlichen Kaiser Wilhelmsland«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 35 (1927), S. 1-43. »Beiträge zur Rassenkunde des Innern von Neuguinea (Sepikgebiet)«, in: Kolonialstudien. Hans Meyer zum siebzigsten Geburtstage am 22. März 1928, Berlin 1928, S. 223-252. »Aus dem steinzeitlichen Dorfe Malu im Innern Neuguineas«, in: Natur und Volk 65 (1935), S. 551-556. »Dokumente für die koloniale Schulung«, in: Geographische Wochenschrift 3 (1935), S. 425-428. »Neuguinea, Neupommern und Salomonen, der Brennpunkt der Kämpfe im Pazifik«, in: Abhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften 11/5 (1944), S. 633-644. Dove, Karl: Das Klima des aussertropischen Südafrika mit Berücksichtigung der geographischen und wirtschaftlichen Beziehungen, Teil 1, Göttingen 1888. Kulturzonen in Nord-Abessinien (PGM-Ergänzungsheft 97), Gotha 1890. Deutsch-Südwest-Afrika. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Reise im südlichen Damaralande (PGM-Ergänzungsheft 120), Gotha 1896. Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder aus der ersten deutschen Kolonie, 2. Aufl., Berlin 1886. Vom Kap zum Nil. Reiseerinnerung aus Süd-, Ost- und Nordafrika, 2. Aufl., Berlin 1898. Wirtschaftliche Landeskunde der deutschen Schutzgebiete, Leipzig 1902. Die deutschen Kolonien, 4 Bände, Berlin 1909-1913 (Band I. Kamerun und Togo 1909; Band II. Das Südseegebiet und Kiautschou 1911; Band III. Ostafrika 1911; Band IV. Südwest-Afrika 1913). Afrikanische Wirtschaftsstudien. Die natürlichen Grundlagen des Wirtschaftslebens in Südafrika, Die Wasserkräfte Afrikas (Hamburgische Forschungen. Wirtschaftliche und politische Studien aus hanseatischen Interessengebieten, 4), Braunschweig 1917.
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Wirtschaftsgeographie von Afrika, Jena 1917. »Deutsch-Südwestafrika«, in: Hutter, Hauptmann a.D. [Franz] et al. (Hg.): Das überseeische Deutschland. Die deutschen Kolonien in Wort und Bild, Band 1, Stuttgart, 1. Aufl. 1890, 2. Aufl. 1911, S. 173-228. »Zur Frage der kolonialen Bildung«, in: DKZ 17 (1900), S. 362-364, 375-376. »Grundzüge einer Wirtschaftsgeographie Afrikas«, in: GZ 11 (1905), S. 1-18. »Die Kolonien und die Schule«, in: DKZ 30 (1913), S. 831-832. »Der Sinn der zukünftigen Kolonialpolitik«, in: DKZ 33 (1916), S. 156-158. »Die Bedeutung Südafrikas für Deutschland«, in: DKZ 34 (1917), S. 112-113. »Die Internationalisierung der afrikanischen Wasserstraßen«, in: DKZ 36 (1919), S. 40-42. Hassert, Kurt: Deutschlands Kolonien. Erwerbungs- und Entwicklungsgeschichte, Landes- und Volkskunde und wirtschaftliche Bedeutung unserer Schutzgebiete, Leipzig 1899, zweite, deutlich erweiterte Auflage von 1910. Die Polarforschung. Geschichte der Entdeckungsreisen zum Nord- und Südpol von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 1902. Die neuen Deutschen Erwerbungen in der Südse. Die Karolinen, Marianen und Samoa-Inseln, Leipzig 1903. Allgemeine Verkehrsgeographie, 2 Bände, Berlin 1913 [2. Aufl. 1931]. Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, Erster Teil. Physische Geographie (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 13), Berlin 1917. Die Erforschung Afrikas, Leipzig 1941. »Eine Flusswanderung durch Montenegro«, in: Deutsche Rundschau 15 (1893), S. 97-106, 116-173. »Die anthropogeographische und politische Bedeutung der Flüsse«, in: Zeitschrift für Gewässerkunde 2/4 (1899), S. 189-219. »Das Kartenzeichnen im geographischen Unterricht«, in: Neues Korrespondenzblatt für die Gelehrten und Realschulen Württembergs 1901, S. 387-395. »Der Kampf um Südafrika und die deutschen Interessen«, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 2 (1901/1902), S. 289-293, 329-334, 368-384. »Die Welserzüge in Venezuela: Das erste deutsche überseeische KolonialUnternehmen im 16. Jahrhundert«, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 3 (1901/1902), S. 297-317. »Die Geographische Bildung des Kaufmanns«, in: Helmolt, Hans (Hg.): Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis, Leipzig 1904, S. 151-168. »Hubert Reade: English Schools and Colonial Education: How can they be linked?«, in: DKZ 22 (1905), S. 355. »Forschungsexpedition ins Kamerun-Gebirge und ins Hinterland von NordwestKamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 1-35.
364 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
»Das Kamerungebirge. Ergebnis einer amtlichen Forschungsreise und literarische Studien«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 24 (1911), S. 55-112, 127181. »Seestudien in Nord-Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges, f. Erdk., Berlin 1912, S. 7-41, 135-144, 203-216. »Johann Joachim Becher, ein Vorkämpfer deutscher Kolonialpolitik im 17. Jahrhundert«, in: Koloniale Rundschau 1918, S. 148-160, 250-264. »Wesen und Bildungswert der Wirtschaftsgeographie«, in: Geographische Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht 8 (1919). »Zur 50. Wiederkehr der Erwerbungen der deutschen Schutzgebiete (1884-1899)«, in: Geographische Wochenschrift 2 (1934), S. 608-616. »Brandenburg-Preußen als See- und Kolonialmacht, 1681-1731«, in: Geographische Wochenschrift 3 (1935), S. 905-917. Jaeger, Fritz: Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas. Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflusslose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrika 1906-07, Teil 1. Aufgaben und Verlauf, die Karte, Ergebnisse der Sammlungen, Ethnographisches (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 4), Berlin 1911. Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer DeutschOstafrikas. Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflußlose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrika 1906/07, Teil 2. Länderkundliche Beschreibung (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 8), Berlin 1913. Afrika. Ein geographischer Überblick, Band 1. Der Lebensraum; Band 2. Mensch und Kultur, Berlin 1925. Afrika (Allgemeine Länderkunde), 3. Aufl., Leipzig 1928. »Bericht über den Anfang der deutsch-ostafrikanischen Expedition der OttoWinter-Stiftung unter Leitung von Prof. Dr. C. Uhlig«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 215-217. »Der Meru«, in: GZ 12 (1906), S. 241-252. »Der Kiniarocksee«, in: Deutsches Kolonialblatt 1906, S. 637-638. »Ägypten«, in: GZ 13 (1907), S. 1-23, 71-92. »Krater, Baranco: Eine Bemerkung zur morphologischen und vulkanologischen Nomenklatur«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 336-339. »Bemerkungen zu den Ausführungen von Dr. C. Gagel«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 483-484. »Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise in das abflusslose Gebiet DeutschOst-Afrikas«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1908, S. 251-265. »Forschungen in den Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 22 (1909), S. 113-146, 161-197.
Q UELLEN UND L ITERATUR
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»Der Gegensatz von Kulturland und Wildnis und die allgemeinen Züge ihrer Verteilung in Ostafrika: Eine anthropogeographische Skizze«, in: GZ 16 (1910), S. 121-133. »Wesen und Aufgaben der kolonialen Geographie«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1911, S. 400-405. »Geographische Forschungen im abflusslosen Gebiet von Deutsch-Ostafrika«, in: GZ 18 (1912), S. 566-573. »Die Ausbreitung der Kolonialkultur in den den deutschen Kolonien«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1914, S. 505-526. »Geheimer Hofrat Professor Dr. Hans Meyer, Leipzig«, in: Schneider, Karl (Hg.): Jahrbuch über die deutschen Kolonien, Band 7, Essen 1914, S. 1-8. »Die kulturgeographische Wandlung von Südwest-Afrika während der deutschen Herrschaft«, GZ 26 (1920), S. 305-316. »Deutsch-Südwestafrika«, in: Hettner, Alfred (Hg.): Zwölf länderkundliche Studien. Von Schülern Alfred Hettners ihrem Lehrer zum 60. Geburtstag, Breslau 1921, S. 283-312. »Ergebnisse meiner Forschungen in Deutsch-Südwest-Afrika 1914/19«, in: Behrmann, Walter (Hg.): Verhandlungen des 20. Deutschen Geographentages zu Leipzig vom 17. bis 19. Mai 1921, Berlin 1922, S. 19-34. »Die wissenschaftlichen Forschungen«, in: Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft (Hg.): 40 Jahre deutsche Kolonialarbeit. Gedenkschrift zum 24. April 1924, Berlin 1924, S. 36-39. »Die landeskundliche Erforschung Südwestafrikas während der deutschen Herrschaft«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1924 zu Berlin am 17. und 18. September 1924, Berlin 1924, S. 503-512. »Auslandsdeutsche und Kolonien«, in: Krause, Kurt und Reinhard, Rudolf (Hg.): Ernst von Seydlitz’sche Geographie. Deutschland, Band 1, Breslau 1925, S. 369-396. »Afrika«, in: Krause, Kurt/Reinhard, Rudolf (Hg.): Ernst von Seydlitz’sche Geographie. Außereuropäische Erdteile, Band 3, Breslau 1925, S. 237-349. »Die Frage der Austrocknung Südafrikas und Maßregeln dagegen«, in: Der Tropenpflanzer: Zeitschrift für das Gesamtgebiet der Landwirtschaft warmer Länder 29/4 (1926), S. 127-136. »Ein neuer Jahrgang der ›Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten‹«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1926, S. 277-278. »Die Etoschapfanne«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 34 (1926/27), S. 122. »Die geographische Bedeutung der deutschen Kolonialarbeit: Zum 50. Geburtstag des deutschen Kolonialreiches«, in: PGM 80 (1934), S. 105-107. »Carl Uhlig zum Gedächtnis«, in: GZ 44 (1938), S. 401-408.
366 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
mit Leo Waibel: Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Erster Teil. Übersichten. Reisebericht, Oberflächengestalt, Gewässer, Landwirtschaft (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 14), Berlin 1920. Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Zweiter Teil. Landschaften des nördlichen Südwestafrika (Ergänzungshefte d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 15), Berlin 1921. Klute, Fritz: Ergebnisse der Forschungen am Kilimandscharo, 1912, Berlin 1920. Der Kilimandscharo. Ein tropischer Riesenvulkan, und seine Vergletscherung einst und jetzt (Geologische Charakterbilder, 36), Berlin 1929. »Forschungen am Kilimandscharo im Jahre 1912«, in: GZ 20 (1914), S. 496-505. »Die stereophotogrammetrische Aufnahme der Hochregionen des Kilimandscharo«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1921, S. 144-150. »Franz Thorbecke (8.11.1875-12.8.1945)«, in: PGM 93 (1949), S. 83-84. Meyer, Hans: Ostafrikanische Gletscherfahrten. Forschungsreisen im Kilimandscharo-Gebiet, Leipzig 1890. Der Kilima-Ndscharo. Reisen und Studien, Berlin 1900. Die Eisenbahnen im tropischen Afrika. Eine kolonialwirtschaftliche Studie, Leipzig 1902. (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete (Erster Band. Ostafrika und Kamerun; Zweiter Band. Togo, Südwestafrika, Schutzgebiete in der Südsee und Kiautschougebiet), Leipzig 1909 und 1910. Ergebnisse einer Reise durch das Zwischenseengebiet Ostafrikas 1911 (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 6), Berlin 1913. Die Barundi. Eine völkerkundliche Studie aus Deutsch-Ostafrika, Leipzig 1916. Das portugiesische Kolonialreich der Gegenwart, Berlin 1918. »Die geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung unserer Schutzgebiete«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 zu Berlin am 10. und 11. Oktober 1902, Berlin 1903, S. 72-83. »Bericht über die landeskundlichen Expeditionen der Herren Prof. Dr. Karl Weule und Dr. Fritz Jäger in Deutsch-Ostafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 19 (1906), S. 294-304. »Zweiter Bericht über die landeskundlichen Expeditionen der Herren Dr. Fritz Jäger [sic] und Prof. Dr. Karl Weule in Deutsch-Ostafrika«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 20 (1907), S. 106-114. »Der Kolonialrat und Herr Erzberger«, in: Tägliche Rundschau, 10.01.1907.
Q UELLEN UND L ITERATUR
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»Erster Bericht über die landeskundliche Expedition der Herren Prof. Dr. K. Hassert und Prof. Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 4-12. »Berichte über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. M. Hassert [sic] und Professor Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 157-161. »Berichte über die landeskundliche Expedition der Herren Professor Dr. M. [sic] Hassert und Professor Dr. F. Thorbecke in Kamerun«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 21 (1908), S. 190-199. »Ostafrika«, in: Ders. (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete, Erster Band. Ostafrika und Kamerun, Leipzig 1909, S. 1-416. »Übersicht über die Ergebnisse der Expeditionen der Landeskundlichen Kommission des Reichskolonialamts,« in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 5-15. »Die Landeskundliche Kommission des Reichskolonialamtes«, in: Koloniale Rundschau 1910, S. 722-734. »Auf neuen Wegen durch Ruanda und Urundi (Ost-Afrika)«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1912, S. 107-123. »Der Kagerafluß in Ostafrika und Ruandabahn«, in: Koloniale Monatsblätter 16 (1914) S. 6-21. »Inhalt und Ziele der Kolonialgeographie als Lehrfach«, in: Koloniale Rundschau 1915, S. 315-326. »Gegenwart und Zukunft der deutschen Kolonien«, in: Institut für Meereskunde zu Berlin (Hg.): Meereskunde: Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von Meer und Seewesen, Berlin 1917. »Deutschlands koloniale Forderungen«, in: Leipziger Neueste Nachrichten 21, 22.01.1918. »Die französischen Kolonien Mittelafrikas«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1919, S. 247-268. »Geopolitische Betrachtungen über Deutsch-Ostafrika (Tanganyika Territoriy) einst und jetzt«, in: Zeitschrift für Geopolitik 3/1 (1926), S. 161-174. »In Ruanda bei Richard Kandt 1911«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin, Sonderband zur Hundertjahrfeier der Gesellschaft, Berlin 1928, S. 145-157. »Max Moisel und Paul Sprigade: Ein Nachruf«, in: Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten 36 (1928/29), S. IX-XIV. mit Oscar Baumann: »Dr. Hans Meyer’s Usambara-Expedition«, in: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Dt. Schutzgebieten 1 (1888), S. 199-205.
368 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
Obst, Erich: Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika. Bericht über eine im Auftrage der Hamburger Geographischen Gesellschaft in den Jahren 1911/12 ausgeführte Forschungsreise, Teil 1. Aufgaben, Vorbereitungen und Verlauf der Reise, Ergebnisse der topographischen Arbeiten und Sammlungen (MGGH 29), Hamburg 1915. Das abflusslose Rumpfschollenland im nordöstlichen Deutsch-Ostafrika. Bericht über eine im Auftrage der Hamburger Geographischen Gesellschaft in den Jahren 1911/12 ausgeführte Forschungsreise, Teil 2. Grundzüge einer geographischen Landeskunde (MGGH 30), Hamburg 1923. »Von Klimatinde durch die Landschaft Turu nach Mkalama: Vorläufiger Bericht (I) der Ostafrika-Expedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 25 (1911), S. 75-97. »Von Mkalama ins Land der Wakindiga: Vorläufiger Bericht (II) der OstafrikaExpedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 26 (1912), S. 1-45. »Die Landschaften Issansu und Iramba: Vorläufiger Bericht (III) der OstafrikaExpedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 26 (1912), S. 111-132. »Deutsch-Ostafrika«, in: Hutter, Hauptmann a.D. [Franz] et al. (Hg.): Das überseeische Deutschland, 2. Band, 2. Aufl., Stuttgart 1911, S. 97-253. »Der östliche Abschnitt der Großen Ostafrikanischen Störungszone (Irangi, Uassi, Ufiomi, Burungi, Ussandaui): Vorläufiger Bericht (IV. = Schlussbericht) der Ostafrika-Expedition der Hamburger Geographischen Gesellschaft«, in: MGGH 27 (1913), S. 153-202. »Die deutsche Kolonialkartographie«, in: Praesent, Hans (Hg.): Beiträge zur deutschen Kartographie, Leipzig 1921, S. 98-118. »Wir fordern unsere Kolonien zurück«, in: Zeitschrift für Geopolitik 3 (1926), S. 152-160. »Die kulturpolitische Bedeutung des deutschen Kolonialbegehrens«, in: Kolonialstudien. Hans Meyer zum siebzigsten Geburtstage am 22. März 1928, Berlin 1928, S. 69-85. »Südwestafrika: Deutsche Leistungen im Lande der Wüsten und Steppen«, in: Geographische Wochenschrift 2 (1934), S. 644-658. »Afrika«, in: Haushofer, Karl (Hg.): Macht und Erde (Ergänzungsband zur Neubearbeitung der Großmächte von Rudolf Kjelléns Jenseits der Großmächte), Leipzig 1932, S. 263-365. »Das Deutschtum in Süd-Afrika«, in: GZ 40 (1934), S. 190-216. »Geomorphologische Forschungsreise von Professor Dr. E. Obst und Dr. K. Kayser in Südafrika«, in: Zeitschrift für Erdkunde 4 (1936), S. 167-168, 461-465.
Q UELLEN UND L ITERATUR
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»Die Bedrohung der europäischen Kolonisation in Afrika durch Mensch und Natur«, in: Der Tropenpflanzer: Zeitschrift für tropische Landwirtschaft 40 (1937), S. 183-218. »Die afrikanischen Wirtschaftsräume«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1941, S. 74-101. mit Kloster, W.: »Der Handel Deutsch-Ostafrikas als Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung«, in: Koloniale Rundschau 1913, S. 449-485. Passarge, Siegfried: Adamaua. Bericht über die Expedition des Deutschen Kamerun-Komitees in den Jahren 1893/94, Berlin 1895. Kalahari. Versuch einer physisch-geographischen Darstellung der Sandfelder des südafrikanischen Beckens, Berlin 1904. Südafrika. Eine Landes-, Volks- und Wirtschaftskunde, Leipzig 1908. Die Erde und ihr Wirtschaftsleben, 2 Bände, Hamburg 1926. Das Geographische Seminar des Kolonialinstituts und der Hansischen Universität 1908-1935. Erinnerungen und Erfahrungen (MGGH 46), Hamburg 1939. »Die Zukunft unserer Kolonie Kamerun«, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft 1 (1899/1900), S. 71-75. »Das System Scharlach«, in: DKZ 13 (N.F. 1900), S. 181-184. »Die De Beers Company in Deutsch-Südwestafrika«, in: DKZ 13 (N.F. 1900), S. 161-162. »Die Kupferlager Deutsch-Südwestafrikas«, in: DKZ 18 (1901), S. 24-25. »Zur Kenntnis der Geologie von Britisch-Betschuana-Land«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1901, S. 20-68. »Das Kaukaufeld, ein Rückzugsgebiet der Herero«, in: DKZ 21 (1904), S. 355-356. »Die Herero im Kaukaufeld«, in: DKZ 21 (1904), S. 514. »Die Buchmänner der Kalahari«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 18 (1905), S. 194-292. »Die Grundlinien im ethnographischen Bilde der Kalahari-Region«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1905, S. 20-35. »Geomorphologische Probleme aus der Sahara«, in: Zeitschr. d. Ges f. Erdk., Berlin 1907, S. 166-172. »Beobachtungs- und Literaturgeographie«, in: Globus 93 (1908), S. 369-370. »Wissenschaftliche Geographie«, in: Globus 94 (1908), S. 140. »Morphologische Skizze des Atlas zwischen Philippeville und Biskara«, in: Globus 94 (1908), S. 169-174. »Die natürlichen Landschaften Afrikas«, in: PGM 54 (1908), S. 147-160, 182-188. »Aufgaben und Ziele der geographischen Professur in Hamburg«, in: Koloniale Rundschau 1909, S. 40-52.
370 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
»Kamerun«, in: Meyer, Hans (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete, Erster Band. Ostafrika und Kamerun, Leipzig 1909, S. 419-650. »Togo«, in: Meyer, Hans (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete, Zweiter Band. Togo, Südwestafrika, Schutzgebiete in der Südsee und Kiautschougebiet, Leipzig 1910, S. 1-128. »Die Kalkpfannen des östlichen Darmalandes: Eine kritische Studie«, in: Globus 97 (1910), S. 216-222. »Herr Geheimrat Penck und seine Urteile über Dr. Michaelsens Dissertation«, in: Globus 97 (1910), S. 369. »Geomorphologische Probleme aus Kamerun«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1910, S. 448-465. »Der Entenschnabel: Der wirtschaftliche Wert Deutsch-Bornus«, in: DKZ 28 (1911), S. 716-717. »Über die Abtragung durch Wasser, Temperaturgegensätze und Wind, ihren Verlauf und ihre Erdformen«, in: GZ 18 (1912), S. 79-98. »Die Vollendung der grossen Karte von Deutsch-Ostafrika im Masstab 1:300.000«, in: DKZ 29 (1912), S. 2-3. »Die Forschungen des Herrn Leo Frobenius im Sudan«, in: DKZ 30 (1913), S. 626627, 641-643. »Zu Herrn Frobenius Entgegnung, in: DKZ 30 (1913), S. 673-674. »Eduard Pechuel-Loesche, 1840-1913«, in: DKZ 33 (1913), S. 547-548. »Physiogeographie und Vergleichende Landschaftsgeographie«, MGGH 27 (1913), S. 119-151. »Organisierung überseeischer Expeditionen«, in: Koloniale Rundschau 1919 S. 9598. Pechuël-Loesche, Eduard: Volkskunde von Loango (Die Loango-Expedition, 3. Abt., 2. Hälfte), Stuttgart 1907. »Congoforschung und die Congofrage, in: Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin 11 (1884), S. 184-211. »Die wirtschaftliche Bedeutung Zentralafrikas und der Kampf um den Kongo«, DKZ 1 (1884), S. 161-164. »Ethnologische Forschung«, in: Ratzel, Friedrich (Hg.): Verhandlungen des 4. Deutschen Geographentags zu München am 17., 18. und 19. April 1884, Berlin 1884, S. 156-160. »Das Kongogebiet: Geschichte, Entwicklung des Handels, Forschungen, das belgische Unternehmen: Berechtigte deutsche Ansprüche«, in: DKZ 1 (1884), S. 257-264. »In Sachen Pechuël-Loesche contra Stanley«, in: DKZ 3 (1886), S. 233-236.
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»Zur Kenntnis des Hererolandes«, in: Das Ausland 1886, S. 821-825, 849-852, 869872, 889-892. »Zur Bewirtschaftung Südwestafrikas«, in: DKZ N.F. 1 (1888), S. 252-255, 260263, 270-271. Sapper, Karl: Wissenschaftliche Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise nach dem BismarckArchipel im Jahre 1908, 1. Teil. Beiträge zur Landeskunde von NeuMecklenburg und seinen Nachbarinseln (Ergänzungsheft d. Mitteilungen a d. Dt. Schutzgebieten 3), Berlin 1910. »Buka«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 23 (1910), S. 193-206. »Bougainville«, in: Mitteilungen a. d. Dt. Schutzgebieten 23 (1910), S. 206-217. »Einige Bemerkungen über primitiven Feldbau«, in: Globus 97 (1910), S. 345-347. »Neu-Mecklenburg«, in: Kollm, Georg (Hg.): Verhandlungen des 17. Deutschen Geographentages zu Lübeck vom 1. bis 6. Juni 1909, Berlin 1910, S. 141-168. »Über den Kulturwert verschiedener Landschaftstypen in den Tropen besonders in Mittelamerika«, in: GZ 15 (1912), S. 305-313, 387-401. »Über Abtragungsvorgänge in den regenfeuchten Tropen und ihre morphologischen Wirkungen«, in: GZ 20 (1914), S. 5-18, 81-92. »Die deutschen Südseebesitzungen«, in: GZ 21 (1915), S. 624-645. »Georg Gerland«, in: GZ 25 (1919), S. 329-340. »Georg Wegener«, in: PGM 85 (1939), S. 281-282. »Über das Problem der Tropenakklimatisation von Europäern, vor allem von Nordund Mitteleuropäern«, in: Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1939, S. 363-377. »Über die Akklimatisationsfähigkeit der Weißen in den Tropen«, in: PGM 85 (1939), S. 317-322. Schenck, Adolf: »Über Transvaal und die dortigen Goldfelder«, in: Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1889, S. 130-140. »Die Afrikaforschung seit d. Jahre 1884 und ihr gegenwärtiger Stand«, in: GZ 4 (1898), S. 336-349, 388-397, 574-588, 643-653, 694-710. »Transvaal und Umgebung«, in: Verh. d. Ges. f. Erdk., Berlin, 27 (1900), S. 60-73. »Deutsch-Südwest-Afrika im Vergleich zu Süd-Afrika«, in: Kollm, Georg (Hg.): Verhandlungen des 13. Deutschen Geographentages zu Breslau am 28., 29. und 30. Mai 1901, Berlin 1901, S. 154-166. Sievers, Wilhelm: »Die Schutzgebiete der Südsee«, in: Meyer, Hans (Hg.): Das Deutsche Kolonialreich. Eine Länderkunde der deutschen Schutzgebiete, Zweiter Band. Togo, Südwestafrika, Schutzgebiete in der Südsee und Kiautschougebiet. Leipzig 1910, S. 301-496.
372 | DIE E RFORSCHUNG DER KOLONIEN
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4
Siehe auch als Koautor von Fritz Jaeger.
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G EDRUCKTE Q UELLEN
UND NEUERE
L ITERATUR
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Histoire Stefan Brakensiek, Claudia Claridge (Hg.) Fiasko – Scheitern in der Frühen Neuzeit Beiträge zur Kulturgeschichte des Misserfolgs April 2015, ca. 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2782-4
Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.) Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 (3., überarbeitete und erweiterte Auflage) April 2015, 398 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2366-6
Cornelia Geißler Individuum und Masse – Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen September 2015, ca. 390 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2864-7
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Histoire Alexa Geisthövel, Bodo Mrozek (Hg.) Popgeschichte Band 1: Konzepte und Methoden November 2014, 280 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2528-8
Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.) Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie Juni 2015, ca. 310 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3021-3
Detlev Mares, Dieter Schott (Hg.) Das Jahr 1913 Aufbrüche und Krisenwahrnehmungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs September 2014, 288 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2787-9
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