Der hörbare Raum: Entdeckung, Erforschung und musikalische Gestaltung mit analoger Technologie [1. Aufl.] 9783839430965

Martha Brech looks into the meaning of space for electro-acoustic music - this volume writes a history of spatial hearin

200 47 17MB

German Pages 304 Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
DIE ENTDECKUNG DES HÖRBAREN RAUMS
Konstatierung: 1792 – 1796
Forschung in den ›Körperwissenschaften‹ und erste fachübergreifende Ergebnisse
Das eine und das andere Ohr:
Wahrnehmungsforschungen in der Physik
Fachspezifische Forschungen ab 1850
Physik/Akustik
Physiologie: binaurale Instrumente für die ärztliche und therapeutische Praxis
Jan Evangelista Purkyne und das Opistophon
Auditive Wahrnehmungsforschung bei anderen Forschern
Psychophysik: Tonraum und Richtung in der akustischen Umgebung
Erforschung der Ursache des Richtungshörens:
Schalldruck- vs. Phasendifferenz
Erste Geräte und Patente
GRUNDLAGENFORSCHUNG UND ERFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN HÖREN AB 1881
1881 – 1900
Otologie und Physiologie
Physiologie und Psychologie
1900 – 1918
Otologie / Physiologie
Physik
Psychologie
Exkurs: Richtungshörer zur Lokalisierung von Richtung und Entfernung
Grundlagenforschung nach 1918
Deutschland
USA
Vom Richtungs- zum Raumhören: Erweiterung des Forschungsgegenstandes
MEDIALE PRAXIS DES HÖRBAREN RAUMS (1920 – 1950)
Alltag und Experimente: Auditive Raumgestaltung in den elektroakustischen Medien
Ein Thema wird öffentlich: Auditiver Raum im Rundfunk der 1920er Jahre
Hörbarer Raum im Hörspiel
Exkurs: Der Hallraum
Hörbarer Raum bei Musikaufnahmen
Hörbarer Raum in der Grammophon-Technik
Experimente mit Mehrkanalverfahren: Anthropomorphie und raumangepasste Aufnahme- und Wiedergabeexperimente ab 1924
Kunstköpfe: Stereophonieaufnahmen für Kopfhörer
Stereophonie und Mehrkanalverfahren über Lautsprecher
Künstlicher Hall / Hallspirale
Raum, Raumklang und Differenzierung bis 1950
AB 1950: DIE ENTWICKLUNG STATISCHER RAUMKLANGTECHNOLOGIEN
Künstlicher Nachhall: Verbesserte Geräte und Verfahren
Einsatz und Funktion von künstlichem Nachhall
Stereophonie: Geräte und Verfahren zur Erzeugung von räumlichen Panoramen mit möglichst exakter Lokalisation auch in der Raumtiefe
Pseudostereophonie
Stereo-Aufnahmeverfahren
Kunstköpfe ab 1950
Philips-Kunstköpfe
Tête Charlin
Raumabbildung: Panorama, Raumtiefe und dreidimensionale Klangräume
Entwicklungsgeschichte der Kunstköpfe für dreidimensionale Schallaufnahmen
Der Berliner Kunstkopf von Georg Plenge, Rolf Kürer und Henning Wilkens
Industrielle Produktionen und Serienproduktionen verschiedener Kunstkopfsysteme
Vom KU 80 zum KU 81 – Der Kunstkopf im Studiobetrieb
Die Göttinger/Oldenburger Kunstköpfe von Peter Damaske, Karl Friedrich Siebert, Dieter Gottlob, Bernhard Wagener und Volker Mellert
Klang in Bewegung: Dreidimensionale Raumkunst mit Kunstköpfen
RAUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE KLÄNGE AB 1950
Anfänge musikalischer Raumklangbewegungen: Von Pierre Schaeffers Pupitre d’espace zum Poème électronique
Pupitre d’espace
Funktionsweise
Konzertante Einsätze des Pupitre d’espace
Nachfolgende Kompositionen mit Raumklangbewegungen
Poème électronique
Zwischen Brüssel 1958 und Osaka 1970: Die Dominanz des Kreises
Geräte zur Produktion kreisförmiger Klangbewegungen
Rotationstisch I
Bauweise und Vergleiche
Der Rotationstisch I im Raumkonzept von Kontakte
Raummusik auf der Expo ’70 in Osaka
Vom Kreis zur Kugel und zurück: Tonsteuerung im Kugelpavillon der Expo ’70 in Osaka
Konzept und Bau der Ton- und Lichtanlage
Aufführungspraxis: Sensorkugel versus Tonmühle
Die Tonanlage im Steel-Pavillon und die dort präsentierte Musik
Vergleiche
Über den Kreis hinaus: Differenzierungen räumlicher Klangbewegungen und neue Raumklangkonzepte
Weiterentwicklungen der räumlichen Klangrotationen
Rotationstisch II
Kreisauflösungen: Das Halaphon und seine live-gesteuerten Klangbewegungen
Das Halaphon und seine Technik
Kreisförmiger Klangverlauf in Kompositionen und seine Erweiterungen
Raumklangplastik mit Lautsprecherorchestern
Bourges: Gmebaphone
GRM: Acousmonium
Gestaltung des Raumklangs im Binnenraum
Nachwort
REFERENZEN
Literatur
Patente
Originalquellen
Personen- und Sachregister 293
Recommend Papers

Der hörbare Raum: Entdeckung, Erforschung und musikalische Gestaltung mit analoger Technologie [1. Aufl.]
 9783839430965

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Martha Brech Der hörbare Raum

Musik und Klangkultur

Martha Brech (PD Dr. phil.), Musikwissenschaftlerin und Tontechnikerin, lehrt und forscht zu elektroakustischer Musik an der TU Berlin, Fachgebiet Audiokommunikation.

Martha Brech

Der hörbare Raum Entdeckung, Erforschung und musikalische Gestaltung mit analoger Technologie

Druck mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: William Thierry Preyer: Schallhaube, 1887, S. 587 Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3096-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3096-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 9 Einleitung | 11

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS | 17

Konstatierung: 1792 – 1796 | 18 Forschung in den ›Körperwissenschaften‹ und erste fachübergreifende Ergebnisse | 24 Das eine und das andere Ohr: Wahrnehmungsforschungen in der Physik | 30 Fachspezifische Forschungen ab 1850 | 34 Physik/Akustik | 34 Physiologie: binaurale Instrumente für die ärztliche und therapeutische Praxis | 35 Jan Evangelista Purkyne und das Opistophon | 38 Auditive Wahrnehmungsforschung bei anderen Forschern | 44 Psychophysik: Tonraum und Richtung in der akustischen Umgebung | 48 Erforschung der Ursache des Richtungshörens: Schalldruck- vs. Phasendifferenz | 54 Erste Geräte und Patente | 63 G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881 | 73

1881 – 1900 | 74 Otologie und Physiologie | 74 Physiologie und Psychologie | 78 1900 – 1918 | 85 Otologie / Physiologie | 87 Physik | 88 Psychologie | 92 Exkurs: Richtungshörer zur Lokalisierung von Richtung und Entfernung | 96

Grundlagenforschung nach 1918 | 102 Deutschland | 102 USA | 106 Vom Richtungs- zum Raumhören: Erweiterung des Forschungsgegenstandes | 109 M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950) | 113

Alltag und Experimente: Auditive Raumgestaltung in den elektroakustischen Medien | 114 Ein Thema wird öffentlich: Auditiver Raum im Rundfunk der 1920er Jahre | 114 Hörbarer Raum im Hörspiel | 120 Exkurs: Der Hallraum | 127 Hörbarer Raum bei Musikaufnahmen | 129 Hörbarer Raum in der Grammophon-Technik | 133 Experimente mit Mehrkanalverfahren: Anthropomorphie und raumangepasste Aufnahme- und Wiedergabeexperimente ab 1924 | 136 Kunstköpfe: Stereophonieaufnahmen für Kopfhörer | 137 Stereophonie und Mehrkanalverfahren über Lautsprecher | 144 Künstlicher Hall / Hallspirale | 148 Raum, Raumklang und Differenzierung bis 1950 | 152 A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN | 155

Künstlicher Nachhall: Verbesserte Geräte und Verfahren | 156 Einsatz und Funktion von künstlichem Nachhall | 159 Stereophonie: Geräte und Verfahren zur Erzeugung von räumlichen Panoramen mit möglichst exakter Lokalisation auch in der Raumtiefe | 165 Pseudostereophonie | 166 Stereo-Aufnahmeverfahren | 169 Kunstköpfe ab 1950 | 170 Philips-Kunstköpfe | 171 Tête Charlin | 174 Raumabbildung: Panorama, Raumtiefe und dreidimensionale Klangräume | 176

Entwicklungsgeschichte der Kunstköpfe für dreidimensionale Schallaufnahmen | 177 Der Berliner Kunstkopf von Georg Plenge, Rolf Kürer und Henning Wilkens | 187 Industrielle Produktionen und Serienproduktionen verschiedener Kunstkopfsysteme | 192 Vom KU 80 zum KU 81 – Der Kunstkopf im Studiobetrieb | 194 Die Göttinger/Oldenburger Kunstköpfe von Peter Damaske, Karl Friedrich Siebert, Dieter Gottlob, Bernhard Wagener und Volker Mellert | 197 Klang in Bewegung: Dreidimensionale Raumkunst mit Kunstköpfen | 200 R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950 | 203

Anfänge musikalischer Raumklangbewegungen: Von Pierre Schaeffers Pupitre d’espace zum Poème électronique | 205 Pupitre d’espace | 205 Funktionsweise | 206 Konzertante Einsätze des Pupitre d’espace | 208 Nachfolgende Kompositionen mit Raumklangbewegungen | 210 Poème électronique | 211 Zwischen Brüssel 1958 und Osaka 1970: Die Dominanz des Kreises | 214 Geräte zur Produktion kreisförmiger Klangbewegungen | 216 Rotationstisch I | 217 Bauweise und Vergleiche | 217 Der Rotationstisch I im Raumkonzept von Kontakte | 219 Raummusik auf der Expo ’70 in Osaka | 222 Vom Kreis zur Kugel und zurück: Tonsteuerung im Kugelpavillon der Expo ’70 in Osaka | 222 Konzept und Bau der Ton- und Lichtanlage | 224 Aufführungspraxis: Sensorkugel versus Tonmühle | 228 Die Tonanlage im Steel-Pavillon und die dort präsentierte Musik | 233 Vergleiche | 236

Über den Kreis hinaus: Differenzierungen räumlicher Klangbewegungen und neue Raumklangkonzepte | 236 Weiterentwicklungen der räumlichen Klangrotationen | 237 Rotationstisch II | 237 Kreisauflösungen: Das Halaphon und seine live-gesteuerten Klangbewegungen | 241 Das Halaphon und seine Technik | 243 Kreisförmiger Klangverlauf in Kompositionen und seine Erweiterungen | 248 Raumklangplastik mit Lautsprecherorchestern | 251 Bourges: Gmebaphone | 251 GRM: Acousmonium | 254 Gestaltung des Raumklangs im Binnenraum | 257 Nachwort | 259

R EFERENZEN Literatur | 263 Patente | 287

Originalquellen | 291 Personen- und Sachregister | 293

V ORWORT Das vorliegende Buch ist Teil einer Forschungsthematik, die ich im Frühsommer 2007 aufnahm und die schnell eine Eigendynamik entwickelte. Am Anfang stand das Interesse am Kunstkopf. Das dreidimensionale Tonaufnahmesystem kannte ich seit meiner Ausbildung zur staatl. gepr. Tontechnikerin 1973 und ich begegnete ihm in der folgenden Zeit als Instrument zur Herstellung und Dokumentation räumlicher Musik und Klangkunst immer wieder. So weitete sich das Thema schnell auf die Forschungsgeschichte des räumlichen Hörens und die räumliche Musik aus, in der aber auch andere spatiale elektro-akustischen Geräten eine Rolle spielen. Im Lauf der Jahre erhielt ich für dieses Projekt finanzielle Unterstützung durch das Deutsche Museum, das meinen sechsmonatigen Aufenthalt als Scholar in Residence ermöglichte, und die DFG, die das Forschungsprojekt für drei Jahre förderte, das ich nun bei der Audiommunikation an der TU Berlin abschließen konnte. Dafür gilt allen Institutionen und ihren damit befassten Mitarbeitern mein Dank. Ganz besonders herzlich möchte ich mich bei Ralph Paland bedanken. Seinem Engagement und seiner mehrjähriger Arbeit in unserer parallel konzipierten musikalisch-kompositorischen Anthologie zum hörbaren Raum ist allein zu verdanken, dass die hier vorgelegte Konzentration auf die technikhistorischen Aspekte des hörbaren Raums thematisch sinnvoll wurde. Wertvolle Unterstützung erhielt ich auch in zahlreichen öffentlichen und privaten Archiven und Bibliotheken sowie von deren Mitarbeitern. Ihnen möchte ich ebenso herzlich danken wie all denen, die persönlich mit Sachinformationen, Gesprächen und Interviews, Hinweisen zur Bewältigung formaler wie inhaltlicher Hürden oder mit administrativer Arbeit zum Gelingen des Projektes und dieses Buchs beitrugen: Silke Berdux, Jens Blauert, Oskar Blumtritt, Reinhold Braig, Ruth Brech, Henrik v. Coler, H.-M. Fabritius, Wilhelm Füßl, Doris Graße, Werner Grünzweig, Folkmar Hein, Joachim Haas, Frank Hilberg, Armin Kohlrausch, Rolf Kürer, Helga de la MotteHaber, Bernhard Leitner, Alicja Mastalerz, Volker Mellert, Volker Müller, Karl Peschelke, Georg Plenge, Jürgen Plogstedt, Ricarda Poppy, Wolfgang Rathert, André Richard, Stefan Schenk, Werner Schirmer, Martin Schneider, Gottfried Schroth, Gerhard Spikofski, Rudi Strauss, Kees Tazelaar, Wilm Thoben, Manfred Traeger, Helmut Trischler, Marc Voigt, Laura Weber, Stefan Weinzierl, Henning Wilkens, Roland Wittje.

Berlin im Juni 2015

Martha Brech

Einleitung

Die Integration des architektonischen Raums in der Musik ist ein besonderes Thema der Kunstmusik des 20. Jahrhunderts und er wurde in der instrumentalen, insbesondere aber in der elektroakustischen Musik vorangetrieben und differenziert. Mit den seit 1950 entwickelten technischen Mitteln oder im Saal aufgeteilten Ensembles machten Komponisten in ihrer Musik den Raum hörbar und konstruierten ihn in der Zeit. Die technischen Eigenschaften der dort eingesetzten Geräte und Produktionsverfahren und deren Einfluss auf einzelne Kompositionen sind jedoch weniger bekannt als etwa die historische Entwicklung raumbezogener Musik seit den cori spezzati (»geteilte Chöre«) der venezianischen Renaissance und die kompositorischen Konzepte, die seither damit verbunden sind. Die kompositorischen und technischen Aspekte werden in der aktuellen Diskussion der historischen und modernen Raummusik meist nur recht versteckt im Kontext anderer Fragestellungen thematisiert. Somit schien es an der Zeit, sich dem Thema des hörbaren Raums anzunehmen, sowohl in Hinblick auf seine technologische Konstruktion wie auf Kompositionen, die ihn thematisieren oder enthalten. Besonders wenn man die historische Perspektive seit der Spätrenaissance mit einbezieht, ist dies ein sehr weites Feld, denn es wird schnell deutlich, dass in den unterschiedlichen Kompositionsepochen verschiedene Begriffe von Raum existiert haben müssen. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts setzte sich in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass die von der Philosophie seit der Antike vertretene kategoriale Trennung von Raum und Zeit der Realität nicht standhielt. Zuvor war Musik als reine Zeitkunst verstanden worden, die dem alten Denksystem zufolge nicht räumlich sein konnte und durfte. Dieselbe Regel galt für das Hören, das ebenfalls zeitbezogen definiert war. Betrachtet man vor dem 19. Jahrhundert entstandene wissenschaftliche Darlegungen und Kompositionen, die heute dem Thema Raumklang oder Raummusik zugerechnet werden, so fällt auf, dass sie entweder den Raum oder die Zeit nicht explizit thematisieren oder einen der beiden Begriffe um-

12 | D ER HÖRBARE R AUM

gehen. Die cori spezzati etwa heißen übersetzt »geteilte Chöre« und nicht etwa ›im Raum verteilte Chöre‹. Auch Athanasius Kirchers voluminöse Werke zur Musik und Schallkunst aus dem 17. Jahrhundert1, von denen im 2. Kapitel noch die Rede sein wird, enthalten zwar viele Beispiele von Musik und Klang in Innen- und Außenräumen, doch spielt der Aspekt der Zeit bei Kircher allenfalls eine untergeordnete Rolle und wird von ihm nicht direkt angesprochen. Seinen umfangreich beschriebenen geometrischen Darstellungen der Klangausbreitung und des »Widerhalls« (Echo) ist der Begriff der Zeit zwar inhärent, Kircher nennt ihn aber nicht explizit2. Die kategoriale Trennung von Raum und Zeit wurde damals also noch nicht berührt. Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert bezogen sich Komponisten und Forscher, die sich mit Raumklang und -akustik beschäftigten, gelegentlich in ihren Arbeiten auf die Vorgänger des 16. und 17. Jahrhunderts. Sachlich ist diese retrospektiv festgestellte Vorgängerschaft nicht zu bezweifeln, sie bleibt aber lose in Bezug auf die Bezeichnung und den Komplex ›hörbarer Raum‹. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde der hörbare Raum in den wesentlichen Aspekten seiner heute bekannten Vielschichtigkeit erforscht, und die Kategoriegrenze zwischen Raum und Zeit löste sich dabei zunehmend auf. Nach seiner vergleichsweise fulminanten Entdeckung in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde er sehr langsam und zögerlich in einem über mehrere Jahrzehnte dauernden Forschungsprozess erkannt und beschrieben. Mehrere Fachgebiete und Forscher aus verschiedenen Ländern waren daran beteiligt. In Physik/Akustik, Physiologie, Anatomie und Philosophie begannen die Experimente und Beobachtungen, später kamen die sich erst entwickelnden Fachgebiete Psychologie, Otologie und die Psychoakustik mit ihren ebenfalls neuen Forschungsmethoden hinzu. Meist untersuchten die Forscher fachbezogene und spezifische Fragestellungen, die somit nur begrenzte Relevanz für andere Fächer hatten. Von einem gradlinigen historischen Verlauf der Entdeckung und Erforschung des hörbaren Raums kann also nicht die Rede sein, zumal nicht nur der Raum an sich, sondern auch seine

1

2

Athanasius Kircher: Musurgia universalis sive ars magna consoni et dissoni, Rom 1650; Teilübersetzung ohne Illustrationen von Andreas Hirsch: Philosophischer Extract und Auszug aus deß Welt-Berühmten Teutschen Jesuiten, Athanasii Kircheri von Fulda, Schwäbisch Hall 1662 (Reprint Leipzig, Kassel 1988), ders.: Phonurgia Nova sive Coniugium Mechanico-physicum artis et naturae Paranympha Phonosophia concinnatum, Campidona 1673 (dt. Übersetzung mit Abbildungen: ders.: Neue Hall- und Thonkunst, Nördlingen 1684). Nach einer mehrseitigen Ausführung zur Geometrie der Schallausbreitung (ders. 1684, S. 1–18) nennt er erst auf S. 19 den Begriff der »Dauer« zwei Mal in Bezug auf die Länge von Silben im widerhallenden Klang.

E INLEITUNG

| 13

Hörbarkeit, also die Beziehung des hörenden Menschen zu seiner Umgebung und deren Beschaffenheit, den Begriff ›hörbarer Raum‹ ausmachen. Deshalb waren auch die Hörorgane, die binaurale Wahrnehmung und deren genaue Funktionsweise mit in die Forschungen aus der jeweiligen Fachperspektive eingeschlossen. Im Lauf der Forschungen erwies sich das räumliche Hören als komplexer Prozess – und der in der Musik komponierte ›hörbare Raum‹ erweist sich als noch komplexer: Er ist zusammengesetzt aus der Hörbarkeit des Klangorts (Lokalisation), den Entfernungen und Bewegungen von Schallquellen untereinander, die durch binaurale Wahrnehmung individuell aus der Position des Hörers ermittelt werden, und dem Hören raumakustischer Aspekte wie Hall und Nachhall, die sich ebenfalls auf die konkrete Position des Hörers im Raum beziehen. Die technischen Lösungen für die rauminkludierende Elektroakustische Musik beziehen sich auf diese komplexen Bestandteile des hörbaren Raums und bilden die jeweils relevanten Aspekte so weit wie möglich nach. Einschränkungen ergeben sich dabei durch den jeweiligen Stand der Technik zur Zeit der Entwicklung eines technischen Geräts. Doch mit jeder technischen Neuerung sind bis heute neue Erkenntnisse und neues Wissen zum Thema des hörbaren Raums verbunden. Um diesen Fortschritt als Geschichte des hörbaren Raums und seiner elektroakustischen Konstruktionsapparaturen darzustellen, war es das Ziel bei Beginn der Arbeiten zu diesem Buch, auch einen Blick in die soeben kurz skizzierte Forschungsgeschichte zu werfen, die zwar bisher in einigen wichtigen Aspekten bekannt ist, doch nicht in den hier relevanten Zusammenhängen. Am Ende erwies sich, dass die Forschungen nicht nur komplexer und teilweise redundanter verliefen als anfangs gedacht, sondern in den Anwendungen auch weitaus breiter angelegt waren. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Experimente mit eigens konstruierten Instrumenten durchgeführt, von denen einige weiter entwickelt und sogar als Erfindungen patentiert wurden. So überkreuzten sich einerseits Technologie und Wissenschaft, andererseits wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum hörbaren Raum, die später für die Entwicklung musikalischer Raumtechnologie nötig waren, in nicht-musikalischen Gebieten gewonnen. Dies wird hier so weit wie nötig dargestellt, um den historischen Forschungsverlauf abzubilden und zu zeigen, wie der hörbare Raum sich langsam zu einem allgemeinen Thema entwickelte, das nicht nur einem immer größer werdenden Kreis von Fachexperten, sondern zunehmend auch dem allgemein interessierten Publikum bekannt wurde. Diese breite Themendarlegung des vorliegenden Buches endet am Anfang des in den frühen 1920er Jahren beginnenden Radiozeitalters. Zu dieser Zeit wurden erste mediale auditive Raumlösungen

14 | D ER HÖRBARE R AUM

gesucht und gefunden, die weder reine Experimente noch Sensationen waren, sondern alltagstauglichen Charakter hatten. Die Grundlagenforschung zum hörbaren Raum war damals noch nicht beendet, doch sie wurde spezifischer. Denn mit dem Aufkommen der elektroakustischen Medien vervielfältigten sich fast explosionsartig auch die Versuche, Musik und Klänge räumlich aufzunehmen und zu übertragen. Aus ihnen leiteten sich direkt oder indirekt die zahlreichen technischen Entwicklungen und Lösungen ab, die ab 1950 speziell für die elektroakustische Musik gefunden wurden. Auch von ihnen sind einige sehr bekannt, andere weniger. Die Bekannteren und bereits umfassend Erforschten, wie zum Beispiel das poème électronique, werden hier in Grundzügen auf Basis der diesbezüglichen Veröffentlichungen dargestellt, während die weniger bekannten Lösungen und Geräteentwicklungen auf der Basis von Archiv- und Interviewmaterial sowie eigenen Sammlungen detailreicher dargelegt werden. In zweifacher Hinsicht mussten hier Grenzen gezogen werden: Die historische Darstellung endet mit dem Ende der Analogtechnologie Mitte der 1980er Jahre. Die folgende Digitaltechnologie ermöglichte recht schnell sehr viel genauere und bessere Lösungen zur elektroakustischen Konstruktion hörbarer Räume, da sie vollständig anders funktioniert als die Analogtechnik. Das macht Vergleiche und Darstellungen von Weiterentwicklungen sehr schwierig. Außerdem sind die raumakustischen Aspekte heute meist auch in komplexe Programme der digitalen Signalverarbeitung integriert. Eine Trennung zwischen Klangerzeugung und räumlicher Klanggestaltung ist hier nicht immer eindeutig möglich, weil beide nun gleichzeitig gestaltet werden können. Deshalb wurden alle Geräte und Entwicklungen, die digitale Signalverarbeitung betreiben, bei der Darstellung ausgeschlossen, während Geräte und Entwicklungen mit digitaler Steuerung von analogen Signalen noch einbezogen wurden, weil deren Klänge selbst analog blieben. Die zweite Begrenzung betrifft die Trennung zwischen technologischer Kapazität und kompositorischen Konzepten. Auch hier gibt es fließende Übergänge. Das herausragendste Beispiel dürfte die Arbeit von Karlheinz Stockhausen sein, der mit seinen beiden Rotationstischen spezielle Geräte für seine Raumkompositionen plante. Soweit sich Überschneidungen ergaben, etwa wenn Komponisten spezielle Geräteentwicklungen anregten, wird im Buch auch gelegentlich von konkreten Kompositionen die Rede sein. Es bleibt jedoch bei wenigen Beispielen, denn die Gerätetechnologie und ihre kompositorischen Anwendungen sind zwei ganz verschiedene Aspekte. Innerhalb einer Komposition stellt der Raum nur einen Parameter dar, der sich aus verschiedenen Aspekten und Geräteeinsätzen sowie geteilten Ensembles zusammensetzten kann. Er ist zugleich mit den anderen kompositorischen

E INLEITUNG

| 15

Parametern verknüpft und ist nicht selten im kompositorischen Konzept spezifiziert. Ihn allein zu analysieren, macht daher aus musikwissenschaftlicher Sicht wenig Sinn. Dieses Buch konzentriert sich daher auf die technischen Möglichkeiten zur Komposition des Parameters „Raum“ , die für die elektroakustische Musik bis Mitte der 1980er Jahre bestanden haben und darauf, aus welchen forschungs- und technikgeschichtlichen Quellen des Komplexes ›hörbarer Raum‹ sie stammen.

Die Entdeckung des hörbaren Raums

Im Unterschied zur Raumakustik, die mit physikalischen Fragen der Schallausbreitung und -reflexion befasst ist und spätestens seit der Antike gelegentlich thematisiert wird, ist der hörbare Raum ein relativ junges Thema. Erst seit gut 220 Jahren beschäftigen sich Forscher verschiedener Fachrichtungen damit zu ergründen, wie Hörer den Raum erfassen sowie damit, ob und welche Bedeutung dies für den gesamten Hörprozess hat. Dies ist mehr als ein einfacher Perspektivwechsel, der die Aufmerksamkeit von den akustischen Eigenschaften architektonischer und/oder landschaftlicher Gegebenheiten zum Hörer und seiner Wahrnehmungsfähigkeit hin verschiebt. Mit der Hinwendung zur Hörerperspektive erhält der Begriff ›Raum‹ einen relativen Charakter, denn er wird nun als wahrnehmbare Umgebung des Hörers verstanden, in der die klingenden Objekte sich auf die Hörerposition beziehen und zu dieser wie auch untereinander in Relation stehen. Der Hörer kann sie mehr oder weniger exakt in einem klingenden Panorama lokalisieren, weil er aufgrund seiner Erfahrung, seiner physischen Disposition und seiner aktuellen Aufmerksamkeit den Eigenklang der Schallobjekte mit den jeweils spezifischen Raumverhältnissen die eigene Position zu den klingenden Objekten in Beziehung setzen kann. Es ist ihm also möglich, die Entfernung und Richtung (vorn, hinten, rechts, links) klingender Objekte sowie ggf. deren Bewegung und Bewegungsrichtung einigermaßen exakt zu bestimmen. Bewusst werden dem Hörer dabei jedoch meist nur die konkreten Informationsinhalte, also Sprache, Musik und relevante Geräusche. Die Position der sie aussendenden Schallquellen scheint demgegenüber zweitrangig zu sein und ist nur selten von entscheidender Bedeutung (z.B. bei Gefahr). Das beschriebene komplexe Beziehungsgeflecht von Schallquellen und Hörerposition wirkt demnach zuallermeist unbewusst und ist dennoch von eminenter Bedeutung für den gesamten Hörprozess. Denn je genauer ein Hörer Schallquellen voneinander abgrenzen kann, indem er sie genau lokalisiert, umso unverfälschter kommt die Information bei ihm an

18 | D ER HÖRBARE R AUM

und wird, je nach subjektiver Bedeutung, auch bewusst gehört. Das weiß man heute. Der Weg zu diesem Wissen ist entsprechend lang und komplex. Ihn für die Anfangszeit nachzuzeichnen ist besonders interessant, weil der Wissenszuwachs in verschiedenen, sich scheinbar unabhängig voneinander entwickelnden Fächern erzeugt wurde und mit ersten technischen Erfindungen für Alltagsanwendungen einherging. Und was soll man davon halten, dass einige Fragestellungen zur Spezifizierung der räumlichen Hörfähigkeit – ganz besonders die Richtungsvertauschung von vorn kommender Klänge an den Hinterkopf des Hörers – fast über den gesamten Zeitraum im Abstand von maximal zwei Dekaden in allen betroffenen Fächern wiederholt erforscht und die nur wenig unterschiedlichen Ergebnisse auch publiziert wurden? Erklärungen fallen leichter, wenn man die Entstehungskontexte berücksichtigt, nach theoretischen Grundlagen, der Verbreitung von Forschungsergebnissen und nach Fach- und Methodenentwicklungen sowie deren spezifischen Begriffsentwicklungen sucht. Denn dann erweist sich, auf welche Weise die Forschung zur auditiven Raumwahrnehmung einsetzte, wie sie sich aus dem Schatten der Erforschung des Sehens und des Raumes heraus und zum eigenen Thema hin entwickelte und wie Forschungsschwerpunkte und -perspekti ven sich auf Basis veränderter theoretischer Hintergründe langsam verschoben, sodass das räumliche Hören resp. Umgebungshören in den Mittelpunkt rückte. Von diesem Punkt an konnten erste funktionierende technische Geräte und Medien erfunden und entwickelt sowie musikalisch-kompositorisch neue Wege hin zu einer Verräumlichung der Musik beschritten werden, die im späten 20. Jahrhundert zu neuen Kunstformen bzw. zur akustischen Gestaltung von Umwelt im Bereich unbewusster auditiver Wahrnehmung führten. Die hier kurz skizzierte komplexe Entwicklung verlief weder linear noch in den einzelnen Fächern parallel, sie wird im Folgenden aber kapitelweise in ungefährer historischer Reihenfolge zusammengefasst.

K ONSTATIERUNG : 1792 – 1796 Die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung des räumlichen Hörens stellen sich kompakt dar: In nur vier Jahren wurden drei sehr verschiedene Ansätze publiziert, die das Grundproblem des räumlichen Hörens und der Lokalisation bereits recht gut umreißen. Die ersten beiden Schriften stammen von Ärzten. Der eine, der an einem Londoner Hospital tätige William

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 19

Charles Wells, beschäftigt sich mit der Frage, wie der Mensch ein Objekt sehen kann, obwohl er doch zwei Augen hat. Im Kontext der Beobachtungen des gelegentlichen »Zusammenlaufens« zweier verschiedenfarbiger Objekte in der visuellen Wahrnehmung zieht Wells in einer langen Fußnote die Analogie zum Hören, um zu erläutern, dass es nicht um grundsätzlich verschiedene Arten der Wahrnehmung gehen kann: Beide Ohren hörten ja auch dasselbe und verteilten nicht etwa den Klang zweier Instrumente getrennt auf beide Ohren oder separierten die Melodie eines einzelnen Instruments in geteilter Reihenfolge der Töne1. Im selben Jahr verfolgte Lebrecht Friedrich Benjamin Lentin, Stadtmedicus in Lüneburg und korrespondierendes Mitglied der königlichen Societät der Wissenschaften in Göttingen, eine ganz andere Fragestellung. In einer längeren Abhandlung zu Hörkrankheiten und ihrer Heilung, die ihm die Mitgliedschaft in der Societät und 1793 auch in der Leopoldina einbrachte2, berichtet er etwas umständlich, aber in bestem Wissenschaftslatein, von seiner Beobachtung, dass sich der Klang, wenn man mit der Hand über die Krempe eines Hutes streicht, ausschließlich auf der jeweiligen Seite des Streichens bemerkbar mache und leiser werde, je weiter sich die streichenden Finger vom Ohr entfernten3. Dies, so schreibt er ferner, gelte für Normalhörende ebenso wie für Kranke. Die unterschwellige Ausrichtung am ›Normalen‹ als Gegensatz zum ›Kranken‹ zeichnet beide Fragestellungen bei aller Verschiedenheit aus. Es ist die Perspektive von Ärzten und Physiologen, wie sie sich auch in späteren Jahren immer wieder kenntlich machen wird. Die Fachperspektive von Giovanni Battista Venturi, der seit 1776 eine Professur für Physik an der Universität von Modena innehatte und 1796 die Er-

1

2

3

William Charles Wells: Essay Upon Single Vision With Two Eyes, London 1972; zit. nach: ders.: Two Essays: One Upon Single Vision With Two Eyes, London 1818, S. 37f. Gurlt, Ernst, »Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin«, in: Allgemeine Deutsche Biographie (1883), [Onlinefassung]; URL Deutsche Biographie, http://www.deutschebiographie.de/sfz50269.html;jsessionid=DA4802A62D5E0F1214FDA8774178 E5FC (3.5.2015). Lebrecht Friedrich Benjamin Lentin: Tentamen vitiis auditus medendi, maxiumum partem novissimis Anatomicorum et Chirurgorum inventis adstructum; in: Göttinger Commentationen, vol. XI, 1793 und in: ders.: Beyträge zur ausübenden Arzneywissenschaft, Leipzig 1798, S. 118 sowie in deutscher Übersetzung von Christian Niceus in: J. Fr. Kritter und L. Fr. B. Lentin: Über das schwere Gehör und die Heilung der Gehörfehler, Leipzig 1794, S. 145f.

20 | D ER HÖRBARE R AUM

gebnisse seiner Experimente zur Raumerkenntnis des Gehörs publizierte4, unterscheidet sich von der Perspektive der oben Genannten dagegen fundamental, denn es geht ihm um nicht weniger als um die Beziehung von Physik und Metaphysik und damit um eine grundsätzliche Frage der Raumphilosophie5, die Venturi in der Wahrnehmung des Raums durch den Menschen erkennt. »Die Vorstellung des Raums ist die Basis aller äußern Empfindung und ursprünglich6, wie Kant lehrt … und geht der Erfahrung voran. Wir haben sie, sobald wir nur anfangen zu leben, denn der innere Druck der Theile unseres Körpers auf die Nerven veranlaßt schon die Vorstellung eines Außeinanderseyns.«7 Diese Vorstellung, so Venturi, sei aber dunkel, unbestimmt und leer. »Diese Raumvorstellung war der Abgrund worinn sich die Kosmogonisten verloren, das Gebiet auf welchem die Metaphysiker die Unendlichkeit Gottes zu bestimmen wähnten, und selbst der Gott von Spinoza. Auf sie als Basis der sinnlichen Vorstellungen aber, sind alle andere menschliche Vorstellungen gebaut; sie ist gleichsam das Tuch, auf welches unsere Sinne gestickt sind.«8 Es ist also nur folgerichtig, nach Raumwahrnehmungen über alle Sinne zu forschen, und dies unternahm Venturi mit großer experimenteller Präzision in vier als »Erfahrungen« bezeichneten Schritten, in denen er systematisch nach der Richtung eines Schalls und dem Ort seiner Entstehungsort suchte. Dabei war der Versuchsaufbau stets derselbe: Auf einem reflexionsfreien Feld, weit entfernt von Bebauung und Baumbewuchs, stellte sich ein Hörer mit verbundenen Augen auf und verschloss ein Ohr mit dem Finger. Im Abstand von 40–50 Metern (120–150 Fuß) blies eine weitere Person auf einer Flöte, läutete eine Glocke oder erzeugte einen anderen nicht alltäglichen Klang. Der Hörer bewegte sich nun so lange, bis er den Klang am lautesten hörte. Dies, so Venturi, sei immer der Fall, wenn der Hörer mit

4

5 6 7

8

Giovanni Battista Venturi: Analyse des sentiments et des idées; Considérations sur la connoissance de l’étendre que nous donne le sens de l’Ouïe, in: Magasin encyclopedique, ou journal des sciences, des lettre et des arts, Vol. 2, No. 1, Paris 1796, S. 29–37. Der Artikel erschien mit der Hauptüberschrift »Metaphysique«. Vgl. Jörg Dünne und Stephan Güntzel (Hg.): Raumtheorie; Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006. Der Begriff des französischen Originaltextes (s.o.) sowie der anderen Übersetzungen (s.u.) lautet hier »a priori« (z.B. Venturi 1796 S. 37). Deutsche Übersetzung des o. g. Artikels unter der Rubrik: »Nachrichten von neuen Gegenständen der Naturkunde« als: Betrachtungen über die Erkenntnisse des Raums, durch den Sinn des Gehörs, von J.B. Venturi, Ingenieur und Professor der Experimentalphysik auf der Universität zu Modena. A. d. Italienischen übers. V. Hr. Reg. Secr. Pistorius zu Eisenach, in: Voigts Magazin, Bd. 2, Weimar 1800, S. 1–16; zit. S. 15f. Ebd., S. 16.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 21

dem offenen Ohr in Richtung zur klangerzeugenden Person stehe. Venturi bezeichnet dies als die »akustische Axe«9. In der zweiten »Erfahrung« blieb es bei dem zuvor beschriebenen Aufbau, wobei der Hörer sich im Kreis drehte und dabei eine Verringerung der Lautstärke vernahm je nach Entfernung des offenen Ohrs von der akustischen Achse. Die Richtungsbestimmung des Schalls ist für einohrig Schwerhörige nach Venturi jedoch problematisch, denn meist irrten sie sich bezüglich der Schallrichtung, auch wenn sie den Kopf drehten10. Die Experimente der dritten »Erfahrung« verliefen im selben Versuchsaufbau, aber mit beiden (unverstopften) Ohren, wobei der Spieler/Klangerzeuger den Ort wechselte, ohne dass der Hörer es bemerkte. Hier waren die Schallrichtungen erkennbar. Wenn der Hörer nun langsam mit dem Finger ein Ohr verschloss, verringerte sich der dort hörbare Schall, und er wurde lauter, wenn der Hörer den Finger langsam wieder entfernte. Dabei wanderte der Richtungseindruck auf die jeweilige Seite des offenen Ohres. Dasselbe beobachtete Venturi mit dem anderen Ohr und er schloss daraus, dass man »den empfundenen Schall auf eine der akustischen Axe[n] des stärker gerührten Ohres näher liegende Richtung«11 beziehe. Die vierte »Erfahrung« betrifft die Frage der unklaren Zuordnung von vorn und von hinten stammender Klänge, die Venturi mit dem bekannten Versuchsaufbau bei unverschlossenen Ohren und unbewegtem Kopf des Hörers untersuchte. Den Effekt erklärt er mit den identischen Lautstärken auf beiden Ohren und zieht eine Parallele zu Tieren, die er den Kopf bewegen sah, um die Schallrichtung genauer zu erfassen. Anschließend zieht Venturi weitere Parallelen zum Sehen und stellt Überlegungen zu der Frage an, ob die Richtungserkennung des Schalls aufgrund von Erfahrung erfolge oder »eine unmittelbare Wirkung aus der ursprünglichen Einrichtung des Gehörs«12 sei. Aufgrund der getrennten Wahrnehmung beider Seiten vermerkt Venturi, dass beide Hörnerven nicht im Gehirn vereinigt würden, woraus er einen deutlichen Unterschied zu der ihm bekannten Wahrnehmung eines Objektes mit zwei Augen ableitet13. Im Folgenden schließt sich der Kreis zu der bereits oben angeführten Integration von Mikro- und Makrokosmos, die Venturi mithilfe seiner Hörexperimente zu beweisen suchte und auch für den Geruchssinn vermutete, für beide aber nicht endgültig bewiesen sah. »…der 9 10 11 12 13

Ebd., S. 3. Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. Ebd., S. 11. Ebd., S. 12ff. Dies brachte ihm zumindest in der hier zitierten ersten deutschen Übersetzung erheblichen Widerspruch seitens des Übersetzers in Form einer mehrseitigen Fußnote ein.

22 | D ER HÖRBARE R AUM

Geschmack, der Geruch und das Gehör vermögen nicht, ihre Gegenstände so genau zu unterscheiden, sie deuten aber doch auch auf ihre Stelle im Raume hin, wiewohl nur dunkel, wenn die beyden erstern Sinne14 ihnen nicht zu Hülfe kommen.«15 Mit dieser Einschätzung der intersensuellen Wahrnehmung stand Venturi zu seiner Zeit weitgehend allein da. Weil dieser Standpunkt für ihn mit der Integration von Mikro- und Makrokosmos einherging, muss man aus heutiger Perspektive annehmen, dass er einer zu groß angelegten Absicht geschuldet ist wie auch dem Umstand, dass er seiner Zeit weit vorausging: Erst im späten 20. Jahrhundert wurde intersensuelle Wahrnehmung zu einem breit erforschten Thema. Was jedoch die Konfigurierung und Durchführung der vier »Erfahrungen« anbelangt, so sind die für das Gebiet der Physik wie der Physiologie neuen exakten Experimente auf mehreren Wegen der internationalen Fachwelt bekannt geworden. Abbildung 1: Portrait von Giovanni Battista Venturi

aus: Kent 1912, S. 8

14 15

Venturi meint hier den Tast- und den Gesichtssinn. Ebd., S. 16.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 23

Allein vier verschiedene Originalpublikationen sind leicht zu bibliographieren16. Darüber hinaus berichtet Ernst Chladni von Venturis Ergebnissen in komprimierter Form in mehreren Auflagen seiner Akustik17 und machte sie damit einer noch größeren Leserschaft zugänglich. Hier lohnt jedoch ein genauer Blick auf die Terminologie: Schon im Titel verzichten die französische und die zweite deutsche Übersetzung auf den Begriff ›Raum‹. Chladni übernimmt lediglich Venturis Begriffe aus dem Bericht der »Erfahrungen« und nennt deshalb ausschließlich »Entfernung« und »Richtung«, die aufgrund unterschiedlicher Stärke des Schalls vom Hörer exakt ermittelt werden könnten, sofern der Schall nicht von hinten oder vorne komme. ›Stärke des Schalls‹ ist dabei aber noch eine relative Größe, ein Ergebnis von Beobachtung, dessen Angabe zwischen ›mehr‹ und ›weniger‹ schwankt und um das Jahr 1800 weit von einer Operationalisierung und exakten Messergebnissen entfernt ist. Damit wurden Venturis Untersuchungen in der Rezeption auf die Ergebnisse zum Entfernungs- und Richtungshören reduziert. Die umfängliche Beschreibung des Experimentalaufbaus und -verlaufes dagegen schien nicht von Belang und der Bezug zur Raumphilosophie wurde sogar flächendeckend ignoriert. Es dauerte bis weit in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein, bis die Frage der Hörbarkeit des Raums von der Philosophie aufgegriffen und positiv beantwortet wurde. Dennoch bildeten die verbleibenden Ergebnisse Venturis um 1800 eine gute Grundlage für die Weiterarbeit in den sich gerade etablierenden Fächern Physiologie und Akustik, deren namhafter englischer Vertreter Thomas Young, Professor in Cambridge, vermutlich mit Bezug auf Chladni 1807 konstatiert: »We judge also, without an error of many degrees, of the exact direction in which the sound approaches us; but respecting the manner in which the ear is enabled to make this discrimination, we cannot reason upon any satisfactory grounds.«18

16

17

18

1.): vgl. Fußnote 4, 2.): vgl. Fußnote 7, 3.): ders.: Riflessioni sulla conoscenza dello spazio, che noi possiamo ricavar dall’ udito; in: Giambatista Venturi: Indagine Fisica Sui Colori, 2. Aufl. Modena 1801, S. 132–149; 4.): ders.: Betrachtungen über die Erkenntnis der Entfernung, die wir durch das Werkzeug des Gehörs erhalten, in: Archiv für die Physiologie von Joh. Ch. Reil, 5, 1802, S. 383–392. Ernst Florens Friedrich Chladni: Die Akustik, Leipzig 1802, S. 296 (§ 249f.); ders.: Traité d’Acoustique, Paris 1809, S. 342f. (§ 241f.); ders.: Die Akustik, Leipzig 1830, S. 231f. (§ 249f.). Thomas Young: A Course of Lectures on Natural Philosophy and the Mechanical Arts, London 1807, S. 388. Ob sich Young dabei auf Chladnis Akustik beruft, ist nicht sicher zu belegen. Zumindest berichtet er in derselben Vorlesung Nr. 32 mit

24 | D ER HÖRBARE R AUM

F ORSCHUNG IN DEN ›K ÖRPERWISSENSCHAFTEN ‹ UND ERSTE FACHÜBERGREIFENDE E RGEBNISSE Doch es gab zumindest erste Ansätze, das Richtungshören zu erklären. Fast zeitgleich mit Youngs gerade zitiertem Eingeständnis aus dem Jahr 1807 setzte in den Körperwissenschaften die Ursachenforschung dazu ein. Zusammen mit seinem Schüler Dr. Kerner veröffentlichte der Tübinger Professor für Anatomie und Physiologe Johann Heinrich Ferdinand Authenrieth 1809 in dem mittlerweile von ihm mit herausgegebenen Archiv für die Physiologie einen umfangreichen Artikel mit dem Titel »Beobachtungen über die Function einzelner Theile des Gehörs«19. Ausgehend von der Schallausbreitung und dem akustischen Wissen der Zeit versuchen die beiden Autoren, mit einer Vielzahl von Beobachtungen zur Hörfähigkeit des Menschen und verschiedener Tiere die Funktion der einzelnen anatomischen Teile des Gehörs darzustellen und zu erklären, wie die Richtungs- und Ortsbestimmung von Klängen funktioniert. Im Kontext der Überlegungen zur Funktion der Bogengänge berichten sie von der Wiederholung der Venturi-Experimente durch Dr. Kerner, die jedoch in zwei Punkten andere bzw. modifizierte Ergebnisse zeitigte. So gelang es Kerner im Gegensatz zu Venturi offenbar mühelos, auch Schall von vorn und hinten zu unterscheiden20. Ferner beobachtete er im Unterschied zu Venturi, dass »beym allmähligen Verstopfen des rechten Ohres und der immer dadurch schwächer werdenden Wahrnehmung des Schalles auf dieser Seite, … der Schall gleichsam in einem halben, um das Hinterhaupt beschriebenen Cirkel auf die entgegengesetzte Seite zu wandern, nie aber … der Schall diesen Halbcirkel um die Stirne herum zu beschreiben [schien].«21 Da Schall auch vom Knochen zum Gehör geleitet wird (›Körperschall‹), stellten beide Autoren einen Zusammenhang durch Analogie her. »Werden auf die halbcirkelförmigen Kanäle Schwingungen des Schädels mit Beybehaltung ihrer vorzüglichen Richtung fortgepflanzt; so entspricht der Bau der Kanäle ihrer Bestimmung, diese bemerklich zu machen.«22 Vermutungen also, keine Nachweise, auch wenn die Autoren im weiteren Verlauf des Textes die These aufstellen, »dass wir auch beym

19

20 21 22

dem Thema »The Sources and Effects of Sound« auch von den Chladnischen Figuren (ebd., S. 380). Heinrich Ferdinand Authenrieth und Dr. Kerner: Beobachtungen über die Function einzelner Theile des Gehörs, in: Archiv für die Physiologie, Bd. 5, Halle 1809, S. 313–376. Ebd., S. 361. Ebd., S. 360f. Ebd., S. 362.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 25

Schalle nur die Erregung unserer Organe, nicht aber den eigentlichen Körper ausser uns hören, wenn gleich die Berichtigung durch das Auge zeigt, dass die Erregung unserer Organe gleichsam in einer Harmonia praestabilita mit den Dingen ausser uns stehe.«23 Authenriets und Kerners Arbeit scheint sich zu ihrer Entstehungszeit nicht sehr weit verbreitet zu haben. François Magendie erwähnt sie zumindest nicht in seinem mehrteiligen Handbuch der Physiologie, das seit 1816 in insgesamt drei Auflagen sowie Übersetzungen in Englisch und Deutsch erschienen war24. Darin beschreibt er die Interaktion beider Ohren ganz besonders bei der Einschätzung der Schallrichtung, »indem wir die Intensität beider Eindrücke vergleichen«25. Dieser Befund ist in allen Auflagen zu finden26 ebenso wie der Hinweis, dass man mit einem verschlossenen Ohr die Schallrichtung nicht erkennen könne. Selbst beim Hören mit zwei Ohren kämen auch die Augen zum Einsatz, denn im Dunkeln sei die Schallrichtung nur schwer zu bestimmen, und zur richtigen Einschätzung der Entfernung der Schallquelle müsse man die Art des Schalles kennen27. Damit spezifiziert Magendie die Ergebnisse Venturis, doch nennt er an keiner Stelle eigene Untersuchungen zu diesem Thema und, was für ein Handbuch der Physiologie besonders wichtig gewesen wäre, er gibt auch keinerlei Hinweise darauf, was die physiologischen Ursachen für die beschriebenen Phänomene des Richtungshörens sind oder sein könnten, sodass man annehmen muss, dass zumindest bis 1834 keine umfassende oder tragfähige Erklärung publiziert wurde. Das Wissen zur Funktion des Gehörs und einzelner anatomischer Gehörteile war in jenen Jahren noch sehr gering. Die 1822 vorgetragenen und 1824 erstmals schriftlich publizierten Forschungen von Félix Savart zur Funktion und Wirkungsweise des Hörsystems von der Ohrmuschel bis zum Trommelfell samt den mit ihm verwachsenen und untereinander verbundenen Gehörknöchelchen28, die fachübergreifend als bahnbrechend angesehen wurde, 23 24

25 26 27 28

Ebd., S. 363. François Magendie: Précis élémentaire de physiologie, Paris 1816; erweiterte Auflagen 1824 und 1834; engl: ders.: Elementary Compendium of Physiology for the Use of Students, Philadelphia 1824 nach der 2. Aufl.; deutsch: ders.: Handbuch der Physiologie, Eisenach und Wien 1834 (nach der 3. Aufl.). Zit. nach der dt. Auflage 1834, S. 103. 1816 (frz.), S. 106f. = 1. Aufl.; 1824 (engl.), S. 71 = 2. Aufl. Ebd. Félix Savart: Recherches sur les usages de la membrane du tympan et de l’oreille externe; in: Annales de Chimie et de Physique, 26, 1824, S. 5–39. Auf S. 1: Hinweis auf die Vorlesung des Textes in der Académie royale des Science am 29. April 1822.

26 | D ER HÖRBARE R AUM

macht dies deutlich. Savarts Interesse galt der rein physikalischen Beschreibung der Schallübertragung. Zentrum seiner Experimente war die Beobachtung von Schallbildern, die er in Fortführung der Versuche Chladnis auf dem Trommelfell bzw. modellhaft auf beweglichen Membranen mittels Sand oder farbigen Pulvern mit Schall erzeugte. So konnte er mittels der je nach Klang, Tonhöhe und Entfernung der Schallquelle unterschiedlichen und schnell wechselnden Bilder in einer langen, vielschichtigen Untersuchung letztlich nachweisen, dass Schall verlustlos bis zu den Gehörknöchelchen übertragen wird, indem diese ihrerseits in Schwingung geraten. Damit waren erstmals das Gehör und seine Funktionsweise im Bereich des Außen- und Mittelohres erklärt und nachgewiesen – die herrschende Ansicht, das Trommelfell diene zum Schutz des Mittelohrs, war gleichzeitig widerlegt29. Zum Thema Richtungshören konnte oder wollte Savart nichts beitragen. Weil er eine direkte Reaktion der Membran auf die Schallausbreitungsrichtung festgestellt hatte, interpretierte er die Schwierigkeiten beim Erkennen der Schallrichtung aus der mangelnden Reflexion des Schalls30 am Trommelfell. Ganz deutlich wird an dieser Stelle nur, dass Savart offenbar das Thema Richtungshören geläufig war, er aber alle Hinweise auf die verschiedenen Schallstärken an den Ohren nicht als Interaktion oder Interdependenz beider Kopfseiten verstand oder besser: verstehen konnte, da es keinerlei Modell oder Erklärung dafür gab. Aber Savart war vor allem Physiker und seine Experimente behandelten das Gehör im Blickwinkel der Physik. Da seine Experimente auf Chladnis Forschungen aufbauten, legt den Schluss nah, dass Savart die verkürzten Angaben von Chladni zum Richtungshören in der französischen Auflage von 1809 kannte, mit den Angaben des Physiologen Magendie aber nicht vertraut war. Erst 1827 wurde das Thema Richtungshören mit neuen Forschungen fortgesetzt, wieder in der Physiologie, dafür aber von zwei Autoren mit unterschiedlichen Ansätzen. Bei Carl Ludwig Esser31, einem Arzt aus Köln, war es unter anderem Gegenstand mehrerer Experimente zur Frage der Knochen-

29 30 31

Auch wenn 1827 Carl Ludwig Esser (s.o., S. 68) diese Meinung noch vertrat. Savart 1824, S. 26f. Carl Ludwig Esser: Über die Verrichtungen der einzelnen Theile des Gehörorgans, in: Archiv für die gesamte Naturlehre (»Kastners Archiv«), 46/49 = Bd. 12, 1827, S. 52–114. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei dem Text um die Zusammenfassung einer Arbeit, für die er wenige Jahre zuvor einen Preis der Universität Bonn erhielt. Übersetzung von Gilbert Breschet als: Mémoire sur les fonctions des diverses parties des l’organe auditif; in: Archives Générales de Médicine, Paris, Vol. 9, Tome XXVI, 1831, S. 305–333 und 463–465.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 27

leitung32, die er neben den Außenohren als bedeutenden und spezifischen Schallübertrager betrachtete. Dabei fokussierte er die Unterschiede zwischen der Schallübertragung von vorderen und hinteren Schädelknochen und richtete seine Experimente entsprechend aus. Ausgangspunkt der Richtungsexperimente in diesem Kontext war das von Venturi erstmals beschriebene Versuchsaufbau33, bei dem Esser mit einem verstopften Ohr die Flöte immer hinter sich lokalisierte. Deshalb führte er das Experiment zusätzlich mit abgedecktem Hinterkopf durch, wobei er den Klang weniger deutlich von hinten vernahm. Dasselbe geschah bei einem vergleichbaren Experiment im Zimmer, mit dem Ticken einer Taschenuhr als Schallquelle34. Eine Taschenuhr als Schallquelle benutzte auch der Münsteraner Anatom Caspar Theobald Tourtual für seine Experimente zum räumlichen Hören, die er im Kontext der Abfassung seiner Schrift »Die Sinne des Menschen in den wechselseitigen Beziehungen ihres psychischen und organischen Lebens; ein Beitrag zur physiologischen Ästhetik«35 durchführte. Mit Verweis auf Venturi berichtet er in dieser Schrift von einem anderen, quasi reziproken Experimentalaufbau, bei dem er eine Taschenuhr in die Mundhöhle mit Kontakt an die untere Zahnreihe gelegt und erst beide, dann abwechselnd je ein Ohr mit einem bzw. zwei Fingern verschloss. Dabei habe er festgestellt, dass das Ticken der Uhr mit dem Verschließen der Ohren lauter geworden sei, also entweder auf beiden Seiten oder auf der Kopfseite des jeweils verschlossenen Ohrs36. Dieses Ergebnis sei vergleichbar mit dem von Venturi, bei dem die Seite als lauter bzw. als Richtung der Schallquelle beurteilt worden war, bei der der Gehörgang offen blieb. Es entspricht auch insofern Venturis Bericht, als die Richtung des Schalls »durch Vergleichung der Stärke der Sensationen beider Hörnerven miteinander«37 empfunden wird. Zur präzisen Erkennung der Schallrichtung ist dieses Experiment natürlich kaum geeignet, und Tourtual ging es auch gar nicht speziell darum, denn es findet sich in dem Teil seines Buches, in dem er den Seh- mit dem Hörsinn vergleicht. Raumbezogen sei der Gesichtssinn, zeitbezogen dagegen der Hörsinn. Raum

32

33 34 35

36 37

Esser berichtet auch von einem Experiment mit trichterförmigen Tierohrimitaten aus Pappe, die eine bessere Richtungserkennung ergeben, wenn die Trichteröffnung auf die Schallquelle weisen (dt. Fassung, ebd., S. 57f.). Ebd., S. 59 u. 60. Esser schreibt es auf S. 60 jedoch Authenrieth/Kerner zu. Ebd., S. 60f. Theobald Tourtual: Die Sinne des Menschen in den wechselseitigen Beziehungen ihres psychischen und organischen Lebens; ein Beitrag zur physiologischen Ästhetik, Regensburg 1827. Ebd., S. 50. Ebd., S. 51.

28 | D ER HÖRBARE R AUM

und Zeit seien aus Sicht der Philosophie gänzlich verschiedene Kategorien, wie Tourtual in seiner umfangreichen Einführung feststellt38. Entsprechend voneinander getrennt würden auch die raum- und zeiterfassenden Sinne verstanden, was Tourtual jedoch kritisch sieht: »Diese Zersplitterung des sinnlichen Vermögens aber ist höchst ungenügend, ohne Frucht, und Zeichen einer einseitigen Stellung der Aufgabe. Unsere fünf Sinne tragen sowohl geistig, als körperlich, den Charakter des Lebendigen, sie leben und wirken nicht isolirt, sondern bilden, gleich dem System unserer gesammten Seelenkräfte, eine Einheit, die Einheit eines umfassenden äußeren Perceptionssinnes; die eine Natur ist es, welche sich ihm, aber unter verschiedenen Formen, offenbart.«39 Deshalb wollte Tourtual in seinem Vergleich des Hör- und des Sehsinnes auch nicht ihre grundsätzliche Differenz hervorheben. »Da aber die Anschauungen des Raumes und der Zeit nicht ausschließliches Eigenthum jedes ihrer Sinne sind, sondern das Gesicht sich durch die Hülfe der Bewegung und Farbenveränderung auch zeitliche Vorstellungen bildet, das Gehör den räumlichen nicht durchaus fremd ist, so entsteht hier die andere Frage, welcher von beiden Sinnen in den Vorstellungen seiner Nebenformen dem anderen Sinne näher stehe, ob das Gesicht in Bezug auf die Zeit, oder das Gehör in Bezug auf den Raum bestimmtere Vorstellungen liefere.«40 Somit ging Tourtual zwar von einer Verbindung der Sinne aus und von ihren Fähigkeiten, Raum und Zeit übergreifend wahrzunehmen, nahm aber zugleich eine Hierarchie zwischen ihnen an. In diesem Kontext steht das weiter oben vorgestellte Experiment mit der in die Mundhöhle gelegten Taschenuhr, das ähnliche Ergebnisse zeitigte wie das von Venturi dargelegten, nämlich Richtungserkennung statt Erkennung des gesamten Raumes durch das Gehör. Letztere scheint ihm jedoch unzuverlässig, da sie unter anderem nur auf dem Eindruck der Stärke der Empfindung beruhe und vom wechselnden Zustand der Atmosphäre abhängig sei: »An Darstellung einer hörbaren Raumform ist, da die Ingredienzen [sic] derselben, die Bestimmungen der einzelnen Raumpunkte, durch welche sie zusammengesetzt wird, fehlen, umso weniger zu denken. … Überhaupt schließt sich die Zeitform enger dem Sehvermögen, als die Raumform dem Gehöre an.«41 Auch wenn Tourtual dem Gehör eine nur geringe Fähigkeit zur räumlichen Wahrnehmung zuspricht, so zeigt seine Arbeit doch auch, dass sich für ihn der Begriff des Raumes anders ge38

39 40 41

Fragmente zu einer Geschichte der Philosophischen Bearbeitungen der Aesthetik, ebd., S. XXXIII – LX. Das Einführungskapitel spannt den Bogen von Pythagoras und Leukipp bis zu Hobbes und Kant. Ebd., S. 2. Ebd., S. 49. Ebd., S. 51.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 29

staltet als für Venturi: Der Aspekt des Kosmischen ist bei ihm nicht zu finden; Tourtual geht es nur um die Frage der wahrnehmbaren Umgebung, wenn er von Raum spricht. Es sollte ein Zeitraum von einigen Jahrzehnten verstreichen, bis die von der Philosophie vorgegebene kategoriale Trennung von Zeit und Raum nicht mehr als Leitbild für die Erforschung der Sinne galt. So blieb das Thema fachlich in die Körperwissenschaften eingebunden, wo es 1837 von Carl Gustav Lincke, einem Arzt und Privatdozent aus Leipzig, fortgeführt wurde. Im ersten Band seines Handbuches der Ohrenheilkunde behandelt er sehr ausführlich und systematisch das Lokalisationsvermögen des Gehörs, also die Erkennung des Schallortes als Spezifizierung der Richtungserkennung42. Er stellt es als erfahrungsbasiert und daher als relative, unsichere Größe dar, weil es nicht instinktbasiert und damit als physiologisch »objektives« Vermögen zu bewerten sei. Dazu beruft er sich einerseits auf Literaturquellen von Lentin und Venturi sowie auf Beschreibungen von Krankheitsfällen43, andererseits aber auch auf eigene Versuche zum Hörbereich der Ohren, die er „an verschiedenen Personen jeden Alters »mittelst einer Taschenuhr, eines Glöckchens und einer Stimmgabel«44 vorgenommen hatte. Doch im Unterschied zu Venturi nutzte Lincke nicht nur unterschiedliche Schallquellen, sondern auch die Richtungen, von denen er sie klingen ließ, waren nicht ausschließlich in der Horizontalen gewählt. Sie näherten sich vielmehr der Kugelform an und zeigten damit erstmals eine mehrdimensionale, raumbezogene Ausrichtung. Doch musste Lincke am Ende feststellen, dass auf der akustischen Achse in Ohrhöhe der Schall am lautesten klang, während im Bereich der senkrechten Mittellinie des Kopfes eine Lokalisation unmöglich erschien, und es auch schwer war, Schall von oben und unten zu unterscheiden45. Räumliches Hören im Sinne einer dreidimensionalen auditiven Wahrnehmung schien für ihn also nicht perfekt kugelförmig gewesen zu sein. Linckes Erweiterungen der Forschungsbasis und seine ersten, wirklich auf den dreidimensionalen Raum bezogenen Versuche schienen aber zunächst auf keine über die gerade entstehende Ohrenheilkunde hinausreichende Resonanz gestoßen zu sein. So geht Johannes Müller, der damals an der Kaiser Wilhelm Universität in Berlin lehrende, führende deutsche Physiologe, im zweiten Band seines Handbuches der Physiologie von 1840 in keiner Weise auf Lincke ein. Er beschreibt nur sehr knapp das »Hören und Vorstel42 43 44 45

Carl Gustav Lincke: Handbuch der Ohrenheilkunde, Bd. 1, Leipzig 1837, S. 548– 551 (= § 343). Ebd., S. 548ff. Ebd., S. 549. Ebd., S. 550.

30 | D ER HÖRBARE R AUM

len« auf der Basis von Venturi46 und referiert ohne weitere Quellenangaben einige akustische Eigenschaften von Schall, Resonanz und Musik in Bezug auf das Gehör. Es scheint, als habe er dem Thema des Richtungshörens keine besondere Bedeutung beigemessen, wohl weil er es wie viele seiner Vorgänger einzig für erfahrungsbasiert47 hielt und es deshalb kein Forschungsgegenstand der Physiologie sein konnte. Das eine und das andere Ohr: Wahrnehmungsforschungen in der Physik Eine geringe Verbreitung scheint die Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung auf der rechten und der linken Kopfseite aber doch schon zu dieser Zeit gefunden zu haben, zumindest in der Physik, deren Forschungsperspektive auf das Schallfeld in der Umgebung des Wahrnehmenden gerichtet ist und dessen Hörweisen zur Erkenntnis physikalischer Sachverhalte beitragen sollen. So 1839 eröffnet Heinrich Dove 1839 in seinen Untersuchungen zu den Kombinationstönen, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts in der Physik als Tartinische Töne diskutiert wurden, eine neue Argumentationsbasis in der Akustik. Die unterschiedliche Wahrnehmung auf beiden Ohren gilt ihm hier als – wenn auch recht grober – Maßstab zur Beurteilung der Interaktion akustischer Wellen. Ob sich aus den Klängen zweier, verschieden gestimmter Stimmgabeln ein weiterer Ton, der sogenannte Kombinationston, hörbar macht, testete Dove in mehreren Versuchen. Im ersten Versuch hielt er je eine der Stimmgabeln vor eines der Ohren, dann führte er eine Stimmgabel von einem zum anderen Ohr herum, und am Ende setzte er die Stiele der schwingenden Stimmgabeln mit verstopften und unverstopften Ohren auf den Schädelknochen48. Die Kombinationstöne waren in allen Versuchen zu hören. Nur während des zweiten Versuchs, auf dem Weg der Stimmgabel von einem zum anderen Ohr, verstummte der Kombinationston etwa auf der Hälfte des Weges kurzzeitig »vollkommen und damit auch die Stösse, welche bei grösserer Annäherung an das andere Ohr wieder hervortreten.«49 Ohne dieses Phänomen weiter zu beachten, schließt Dove aus dem gesamten

46 47 48

49

Johannes Müller: Handbuch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen, Bd. 2, Coblenz 1840, S. 478–480; Angabe der Venturi-Versuche S. 479. Ebd., S. 478. Heinrich Wilhelm Dove: Nachtrag zu den Combinationstönen pag. 53, in: ders. (Hrsg.): Repertorium der Physik 3. Band, Berlin 1839, S. 404f. Der Hauptartikel zum Thema »Combinationstöne und Stösse« (ebd., S. 6–54) stammt von Herrn Roeber. Ebd., S. 404.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 31

Versuchskomplex zusammen mit vergleichbaren Phänomenen beim Sehen, dass der erste Kombinationston »objektiver Natur«50 sein müsse, während die zusätzlich hörbaren Kombinationstöne nur subjektiv empfunden würden. Weil er das Phänomen der hörbaren Schwebungen bei getrennter Beschallung beider Ohren jedoch »nicht mit durch coincidierende Schwingungen desselben Trommelfells«51 interpretieren konnte, erklärt er es zwei Jahre später für »nicht objektiver Art. Die auf diese Weise hörbaren Tartinischen Töne sind daher subjektiv.«52 Egal wie Dove letztlich argumentiert: In beiden Schriften stellt er nicht in Frage, ob beide Ohren Verschiedenes hören können, sondern baut seine Forschung und Argumentation auf seinen Ergebnissen der unterschiedlichen Wahrnehmung auf beiden Ohren auf. Mit Verweis auf Doves Text von 1839 führte August Seebeck 1846 ein komplexes Experiment zur Interferenzwahrnehmung durch. Tongeber waren »zwei ganz gleiche Löcherscheiben«53 einer Doppelsirene54, die in 1 Fuß Abstand auf einer Achse befestigt waren, sodass der Kopf dazwischen passte. Mit drei zuleitenden Röhren konnten die Ohren des Experimentators in Bezug auf Tonhöhe und Zeit variabel beschallt werden. Wieder war die unterschiedliche Wahrnehmung auf beiden Ohren Ausgangspunkt eines physikalischen Experimentes; und auch wenn es nicht auf räumliche Hörwahrnehmung abzielte, so belegen sein Aufbau ebenso wie die Experimente Doves, dass in der Physik um 1840 die Wahrnehmungsunterschiede auf dem rechten und dem linken Ohr grundsätzlich als gesichert galten und deshalb zu Referenzund Messpunkten eines Experiments werden konnten. Ähnliches lässt sich auch aus den Untersuchungen Ernst Heinrich Webers ablesen. 1846 und 1848 beschäftigte er sich mit den Empfindungen in ihrer Beziehung zur Umwelt und stellte fest, »daß der Schall nicht im Kopfe empfunden wird, wo er unsere Gehörnerven erschüttert, sondern außerhalb

50 51

52 53

54

Ebd., S. 405. »Hr. Dove las über die Combination der Eindrücke beider Ohren und beider Augen zu einem Eindruck«, in: Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneter Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaft zu Berlin vom 29. Juli 1841, Berlin 1861, S. 251f. Zitat hier: ebd., S. 251. Ebd. August Seebeck: Ueber die fragliche Combination des rechten und linken Eindrucks beim Gehör- und Gesichtssinne, in: Annalen der Physik und Chemie, Band 68, Nr. 8, 1846, S. 449–465. Zit. hier: S. 450. Seebeck meint vermutlich eine Erweiterung der von ihm erfundenen und gebauten Loch-Sirene, vgl. hierzu: Peter Költzsch: Die Seebeck-Sirene, in: ders.: SondhaußRöhre, Seebeck-Sirene – wer waren die Namensgeber?; Schriftenreihe zur Geschichte der Akustik, Berlin 2012, S. 160–167.

32 | D ER HÖRBARE R AUM

unseres Kopfes«55, weshalb er auf ein »synthetisches Urteil« folgert, das aus Empfindung und Verstand zusammengesetzt ist. Beleg für diese These sind Weber dabei auch die zu diesem Zeitpunkt schon bekannten Untersuchungsergebnisse zum beidohrigen Hören Venturis, die er jedoch auf die Darstellung der Lautstärkedifferenzen auf beiden Ohren zur ungefähren Richtungserkennung reduziert und dabei Venturi namentlich auch nicht mehr angibt. Stattdessen interpretiert er dessen Ergebnisse in einer anschaulichen und sehr umfangreichen Beschreibung aus der Wahrnehmungsperspektive. Hier hebt er die Kopfbewegungen hervor, die je nach Position des Kopfes für die Lautstärkedifferenzen auf beiden Ohren sorgen oder aber auch für Gleichheit der Lautstärken, wenn Gesicht oder Hinterkopf direkt der Schallquelle zugewandt sind56. Das Richtungshören aufgrund von Lautstärkeunterschieden ist in diesem Artikel aber nicht das eigentliche Thema Webers. Vielmehr steht es als ein Beispiel im Kontext der Beschreibung anderer Sinneswahrnehmungen und ihrer Beziehung zu verschiedenartigen Objekten oder Ereignissen außerhalb des menschlichen Körpers. Weber stellt sich die Frage nach der Vorstellung, die der Mensch von seiner Umgebung hat, und aufgrund derer er seine Empfindungen deutet. »Diese Vorstellungen sind also nicht das Resultat der Erfahrung, sondern Erfahrung wird erst dadurch möglich, daß wir das Vermögen besitzen, uns die Empfindungen nach den Categorien des Raums, der Zeit und der Zahl zu deuten. Daß wir zu jener Auslegung der Empfindungen nicht durch eine freie Thätigkeit unserer Seele gelangt sind, dessen werden wir uns bewußt, wenn wir eine andere Auslegung versuchen. Denn wir werden uns dann bewußt, daß wir die Empfindungen so auslegen müssen, und daß wir in dieser Auslegung nicht das Geringste ändern können. Wir können keine der 3 Dimensionen des Raumes hinweglassen, und eben so wenig den 3 Dimensionen des Raumes noch eine vierte hinzufügen. Wir können uns die ganze Körperwelt hinweg denken, aber Raum und Zeit bemühen wir uns vergeblich hinwegzudenken.«57 Die kategoriale Trennung zwischen Raum und Zeit und deren Dimensionen sind für Weber damit offenbar bestimmender als die auf Erfahrung und/oder Sinneseindrücken beruhende »Körperwelt«, die ihm im Gegensatz zu den philosophischen Kategorien gedanklich eliminierbar erscheint. We55

56 57

Ernst Heinrich Weber: Tastsinn und Gemeingefühl, in: Wagner, Rudolph (Hrsg.): Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf physiologische Pathologie, Bd. 3,2, Braunschweig 1846, S. 484. Ebd., S. 485. Die Beschreibung Webers ist deutlich länger als die Venturis; sie nimmt etwa eine halbe, großformatige Druckseite ein. Ebd., S. 487.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 33

bers theoretische Basis, die schon bei Tourtual genauer nachzulesen ist, ist festgefügt und unveränderlich. Die Möglichkeit einer »vierten Dimension« scheint ihm undenkbar, obwohl sie in Gestalt der Zeit in den Befunden zur visuellen und auditiven Wahrnehmung fast greifbar anmutet. Vor dem Hintergrund dieser unveränderlichen Basis ist auch erklärlich, warum Weber die Befunde Venturis und anderer Richtungshörforscher reduziert und zum Schluss kommt, dass »im Gehörorgan das Ortsgefühl so unvollkommen [ist], daß man nur unterscheiden kann, ob der Eindruck auf das rechte oder auf das linke Ohr gemacht wird«58. Dagegen setzt er Gesichts- und Tastsinn, die »im Raume scharf begrenzt«59 sind. Empfindungen, so Weber, sind aber auch »in der Zeit sehr scharf begrenzt«60, und hier kommt für ihn das Aktionsfeld des Gehörs zum Tragen. »Das Gehörorgan steht darin, daß die Empfindungen, die es uns verschafft, in der Zeit scharf begrenzt sind, unter allen Sinnorganen oben an.«61 Insofern ist es nur folgerichtig, wenn Weber zwei Jahre später, in einem teilweise identischen Text, zusätzlich einen Versuch zur auditiven Zeitwahrnehmung beschreibt62, bei dem er mit zwei verschieden tickenden Uhren zunächst vor einem Ohr, später mit je einer Uhr vor je einem Ohr die Wahrnehmungsfähigkeit von zwei verschiedenen Zeitabläufen untersuchte63. Vordergründig betrachtet, liefert Weber damit keine neuen Erkenntnisse. Doch in seiner Gesamtsicht geht er deutlich über Tourtual hinaus, da seine Forschungsperspektive zentral auf die Sinneswahrnehmung gerichtet ist und zugleich nach der physiologischen ›Verarbeitung‹ der äußeren Erscheinungen fragt. Wie schon im Bereich der Akustik sind ihm die Ohren oder besser das Gehörte objektivierbare Messpunkte. Während die Akustik Testergebnisse dazu verwendet, Schlüsse auf die physikalischen Schallverhältnisse zu ziehen, verwendet sie Weber, um die physiologischen Vorgänge im Gehörsystem zu erklären. Unverkennbar bahnt sich die Entstehung eines neuen Fachgebietes an, das mit einer eigenen Forschungsperspektive und eigenen Untersuchungsmethoden an das Thema Hören herangeht: Die Psychophysik.

58 59 60 61 62

63

Ebd., S. 492. Ebd. Ebd., S. 493. Ebd. »Herr Ernst Heinrich Weber sprach über die Umstände, durch welche man geleitet wird manche Empfindungen auf äussere Objekte zu beziehen«, in: Berichte über die Verhandlungen der kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Band 2, Sitzung der Mathematisch-Physischen Classe, 11. Februar 1848, S. 226– 237. Ebd., S. 237.

34 | D ER HÖRBARE R AUM

F ACHSPEZIFISCHE F ORSCHUNGEN AB 1850 Damit waren um 1850 drei verschiedene Fachdisziplinen im Bereich der auditiven Raumwahrnehmung tätig: die Akustik, die Psychoakustik und die Physiologie – wobei man streng genommen noch nicht wirklich von der Erforschung der auditiven Raumwahrnehmung sprechen darf, weil der herrschende Raumbegriff um 1850 dagegen spricht. Dennoch war es weniger der Mangel an einer gemeinsamen begrifflichen und theoretischen Basis, der die drei Disziplinen zunächst in divergierende Richtungen trieb. Vielmehr ist zu beobachten, wie sich die Forschungen im Kontext der jeweiligen fachspezifischen theoretischen Grundlagen, Forschungsmethoden und Arbeitstechniken eigenständig weiterentwickelten. Dies stand einer gemeinsamen, fachübergreifende Basis entgegen – und damit natürlich auch einem Austausch der Ergebnisse, der entsprechend selten stattfand: Jedes Fach war zunächst mit sich und den eigenen Wissensfortschritten beschäftigt, die für den Komplex der auditiven Raumwahrnehmung sehr unterschiedlich waren und sich auch in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickelten. Physik/Akustik So beschäftigte sich der Physiker Eduard Weber, ein Bruder Ernst Heinrich Webers, um 1851 mit der Mechanik des Gehörvorganges und stellt deshalb Versuche zum Richtungshören in verschiedenen Elementen an64. Gemeint sind hier Luft und Wasser, denn Eduard Weber ging es um die Erklärung der Schallfortpflanzung im Kopf, die nach seiner Darstellung teilweise über Luftübertragung im Gehörgang, danach aber über das sogenannten »Labyrinthwasser« verläuft. Dazu tauchte er in seinen Hörversuchen den Kopf in Wasser, einmal mit absichtlich wassergefülltem Gehörgang, um die Fortpflanzung über die Schädelknochen mittels Körperschall zu beobachten, ein anderes Mal mit ›trockenem‹, also luftgefülltem Gehörgang, um die Schallübertragung über das Trommelfell vom ersten Versuch zu differenzieren. Das Ergebnis ist irritierend, denn mit wassergefülltem Gehörgang konnte Weber nur die seitlichen Richtungen unterscheiden und dies als »eine Empfindung im Innern des Kopfes wahr[nehmen]«65. Weber folgert, dass die 64

65

»Herr Eduard Weber kündigt eine von ihm der Gesellschaft zu übergebende Abhandlung über den Mechanismus des menschlichen Gehörorgans an und hebt aus derselben einige, bisher streitige Lehren heraus«, in: Berichte über die Verhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathematisch-Physische Classe, Jahrgang 1851, S. 29–31. Ebd., S. 30.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 35

Außenempfindung von Klängen »demnach nicht in der Empfindung der Gehörnerven [liegt], sondern in der des äusserst nervenreichen Trommelfells.«66 Denn, so Weber weiter: »in der Luft dagegen unterscheiden wir auch, ob der Schall von vorn oder hinten, von unten oder oben kommt.«67 Eduard Webers hier vorgenommene Interpretation der hörbaren Richtungsdifferenzierung ist erstaunlich, denn sie weicht ebenso wie die Interpretation seines Bruders Heinrich von den Befunden Venturis und weiterer Richtungsforscher ab. Was jene ›frühen‹ Forscher als unzuverlässig bezeichneten, nämlich sowohl die Erkennung der Schallrichtungen »vorne und hinten« wie die von Lincke erstmals erwähnten Schallrichtungen »unten und oben«, beschreiben beide Brüder als eindeutig – allerdings mit gänzlich unterschiedlicher Aussage. So hielt der Physiologe Heinrich Weber die genannten Schallrichtungen für ununterscheidbar, während sie für den Physiker Eduard Weber klar differenzierbar sind. Beide Autoren verzichteten in dieser Frage übrigens gänzlich auf Quellenangaben. So scheint es, als hätte sich mit der Etablierung des Gehörs als Messpunkt, die vorher üblichen Quellenangaben unnötig gemacht. Jenseits dieser widersprüchlichen Befunde bleibt für Eduard Webers Versuche aber zu konstatieren, dass er die Forschung im Bereich und mit den Mitteln seines Faches Physik weiterentwickelte, weil er die Schallübertragung mittels Körperschall spezifizierte. Physiologie: binaurale Instrumente für die ärztliche und therapeutische Praxis Parallel zu der unklaren Theoriedebatte über die Hörbarkeit des Raumes, die zumindest in Deutschland auch in der Physiologie diskutiert wurde68, wur-

66 67 68

Ebd., S. 31. Ebd. Im physiologischen Standardwerk der Zeit, dem von Rudolph Wagner herausgegebenen »Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf die physiologische Pathologie«, finden sich im 1846 erschienenen ersten und zweiten Teil des 3. Bandes und im 4. Band (erschienen1853) mehrfach Stellen, an denen die Frage diskutiert wird. Heinrich Webers Einschätzung zu dieser Frage wurde oben im Haupttext schon besprochen. Ferner erörtert der Philosoph Hermann Lotze in seinem umfangreichen Artikel »Seele und Seelenleben« (Bd. 3,1, S. 142–263) im Rahmen des 3. Kapitels die Frage der »Localisation der Empfindungen« (ebd., S. 172–190) und kommt zu dem Schluss, dass weniger die Augen als die Seele zur Raumanschauung imstande seien (ebd., S. 179), und beschränkt beim Hören das Raumempfinden auf den Tonraum (ebd., S.188). Diesen Standpunkt übernimmt und spezifiziert E. Harleß im 4. Band des Handwörterbuches in seinem ebenfalls umfangreichen Artikel zum Thema »Hören« (ebd., S. 314; gesamter Artikel »Hören«: S. 311–450). Der

36 | D ER HÖRBARE R AUM

den erste medizintechnische Geräte erfunden und der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Erfinder des ersten dieser Geräte, Scott Alison, Arzt am Royal Hospital in Edinburgh, hatte vermutlich keine Kenntnis von der theoretischen Problematik, sondern wollte die Möglichkeiten des Stethoskops erweitern, das bereits 1816 von René Théophile Laënnec erfunden worden war. Als Alison 1858 sein Differentialstethoskop der Fachöffentlichkeit präsentierte69, war dieses längst von einem starren Hörrohr aus Holz zu einem Instrument mit flexibel beweglichem Schlauch70 aus Metalldraht und mit ihm die Auskultation innerhalb dieser gut 40 Jahre zum hocheffizienten und elaborierten auditiven Diagnosesystem weiterentwickelt worden. In zahlreichen, in viele Sprachen übersetzten und stetig voluminöser werdenden Lehrwerken waren die Techniken des Aufsetzens des sogenannten Bruststückes auf den Körper des Patienten ebenso verzeichnet wie die Beschreibung und Klassifikation der hörbaren Klänge und deren körperliche Ursachen71. Das Stethoskop war Mitte des 19. Jahrhunderts also bereits ein anerkanntes Diagnoseinstrument, das den Ärzten aller Fachgebiete einen ›akustischen Einblick‹ über körperinnere Vorgänge liefern konnte. Um 1850 wurde es erstmals mit zwei Metallschläuchen ausgestattet, deren Enden der auskultierende Arzt in seine Ohren stecken konnte oder die von zwei Ärzten gemein-

69

70

71

etwas andere Standpunkt des tschechischen Physiologen E. Purkyne, zu finden in seinem kurzen Statement zum Thema »Sinne im Allgemeinen« (ebd., Bd. 3,1, S. 352–359), wird im folgenden Haupttext thematisiert. Scott Alison: On the Differential Stethoscope, and Some New Phenomena Observed by It; in: Proceedings of the Royal Society of London, Bd. 9, Sitzung vom 22.4.1858, S. 196–209. Ein Bericht dieser Arbeit erschien in: Die Fortschritte der Physik im Jahre 1858, dargestellt von der physikalischen Gesellschaft zu Berlin, 14. Jg, Berlin 1860, S. 157–161. Vgl. z.B. Golding Bird: Observations on the Advantages of a Stethoscope with a Flexible Tube; in: London Medical Gazette, New Series, Vol. I, 1840–41, S. 440– 442. Vgl. die zahlreichen Anleitungen zur Auskultation aus dieser Zeit, die jeweils genaue Angaben zum richtigen Aufsatzpunkt des Bruststückes und der Perkussion (Klopfen seitens des Arztes auf die abgehörte Stelle) sowie zu den Klängen der jeweils abgehörten Organe enthalten und die Angabe der daraus folgenden Diagnosen. Nur wenige Beispiele: René Theophile Laënnec: Traité de l’Auscultation médiate; (2 Bde.), Paris 1819; 4. Aufl. 1836; ders.: Abhandlung von den Krankheiten der Lunge und des Herzens und der mittelbaren Auscultation als eines Mittels zu ihrer Erkenntniß, Leipzig 1832 (2. Aufl.); engl.: ders. 1824. Joseph Skoda: Abhandlung über Perkussion und Auskultation, Wien 1839 und 4. Aufl. 1850; Adam Raciborski und Heinrich August Hacker: Neues vollständiges Handbuch der Auscultation und Percussion oder Anwendung der Akustik zur Unterscheidung der Krankheiten, Leipzig 1836.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 37

sam verwendet werden konnten. Dieses sogenannte binaurale Stethoskop verfügte nur über ein Bruststück. Alisons Differentialstethoskop (Abb. 2) dagegen war mit zwei Aufsatztrichtern ausgestattet, die über Schläuche aus flexiblem, geflochtenem Metall mit einem daran anschließenden Metallrohr als Fortsatz direkt an je ein Ohr des Arztes geführt werden konnten. Mit Verweis auf Charles Wheatstones 1827 erschienenen »Experiments on Audition«, die besonders Körperschallübertragungen an die Kopfknochen über metallische Leiter beschreiben und über unklare Richtungsergebnisse bei einohrigem Hören berichten72, führte Alison mit seinem Differentialstethoskop zunächst Auskultationen an einer Taschenuhr durch73, wobei er die Richtungserkennung feststellte. Bei seinen Patienten konnte er später »zusammengesetzte« Organklänge wie das Geräusch der rechten und linken Herzkammer genauer differenzieren und damit auch exaktere Diagnosen stellen74. Wie in Auskultationsanleitungen üblich belegte er das mit einer schematisch dargestellten Klanganalyse75. Abbildung 2: Das Differentialstethoskop von Alison

aus: Alison 1858, S. 198

72 73 74 75

Charles Wheatstone: Experiments on Audition; in: The Quarterly Journal of Science, Literature and Art, 3 (23), 1827, S. 67–72. Alison 1858, S. 204f. Ebd., S. 206ff. Ebd., S. 207.

38 | D ER HÖRBARE R AUM

Für Alison war das Richtungshören also allenfalls eine Randerscheinung; sein Hauptziel war die Erweiterung der Diagnostik mittels Auskultation und Klangdifferenzierung76. Dennoch ist sein Differentialstethoskop als wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu technischen Erfindungen im Bereich des räumlichen Hörens zu bezeichnen. Denn im Herbst desselben Jahres, in dem sein Aufsatz durch Vermittlung des Physikers John Tyndall von der Royal Society in London veröffentlicht wurde, begann der Physiologe Jan Evangelista Purkyne, Mitglied der königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, mit einem Bericht an die Gesellschaft mit der Veröffentlichung einer kleinen Serie von akustischen Versuchen mit einem selbst gebauten Apparat. Dieser Apparat sah dem Differentialstethoskop ähnlich, unterschied sich aber hinsichtlich seiner Funktion und spezifischen Bauweise völlig von ihm77. Purkyne entwickelte sein Forschungsinstrument später zur zumindest teilweise funktionierenden Hörhilfe fort und beeinflusste damit sowohl die Forschung zum Richtungs- und Raumhören in den folgenden Jahren und Jahrzehnten als auch später weitere Geräteerfindungen. Jan Evangelista Purkyne und das Opistophon

Der in Prag forschende und lehrende Physiologe Jan Evangelista Purkyne ist schon deshalb ein Sonderfall in der gesamten Forschung zum Raum- und Richtungshören, weil er seine vierjährige intensive Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet im hohen Alter aufnahm. 1858 war er 71 Jahre alt und einer der führenden Physiologen seiner Zeit. Begonnen hatte er seine wissenschaftliche Laufbahn 1823 als Professor für Physiologie an der Universität Breslau, 1849 folgte er dem Ruf an die Universität von Prag. Die Liste seiner deutsch- und tschechischsprachigen Fachpublikationen ist lang und beschränkt sich nicht nur auf die Sinnesphysiologie, wenngleich seine For76

77

Dies wird auch in einem Artikel von George L. Carrick deutlich, der 1872 zahlreiche weitere Klang- und Diagnosebeschreibungen der Auskultation mit dem Differentialstethoskop veröffentlichte (ders.: On the Differential Stethoscope and ist Value in the Diagnosis of Diseases of the Lungs and Heart, in: Edinburgh Medical Journal, Vol. 18, No. 10, 1873, S. 894–916). Er beschreibt dessen Funktionsweise nach dem akustischen Prinzip, nach dem ein lauterer einen leiseren Klang überdeckt, sofern beide dieselbe Qualität haben. Somit sei es möglich, den Ort des lauteren Klangs zu ermitteln und zu vergleichen (S. 897). »Dr. Alison’s differential stethoscope … enables us to differentiate the intensity and duration of two sounds« (S. 898). Von einem hörbaren Panorama oder genauen Lokalisierung mit dem Differentialstethoskop kann also nicht die Rede sein. Bericht der Naturwissenschaftlich-mathematischen Section am 18. Oktober 1858, in: Abhandlungen der königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, 5. Folge, Band 10, 1857–1859, Prag 1859, S. 80f.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 39

schungen zur Physiologie des Sehens besonders umfangreich waren78, während das Hören und die physikalische Schallausbreitung auch im Vergleich zu anderen Forschungsthemen für Purkyne nur Nebenthemen waren. Ausgangspunkt seiner Forschungen zum Richtungshören 1858 war die Frage, ob der Mensch in der Lage sei, gleichzeitig zwei Rednern zuzuhören. Dazu hatte er »zwei lange Kautschukröhren durch zwei in eine Thüre gebohrte Löcher gezogen.«79 Die Kautschukröhren wurden an einem Ende luftdicht abschlossen und mit beiden Gehörgängen des Versuchshörers verbunden, während sich am anderen Ende zwei Trichter befanden, in die je ein Sprecher sprach. Das Ergebnis war eindeutig: Beide Sprecher waren nicht gleichzeitig zu verstehen; die Aufmerksamkeit sprang von einem zum andern. Am Ende vermerkt der kurze protokollarische Bericht der Akademie: »Weiter zeigte Derselbe [gemeint ist Purkyne] einen Apparat zum stethoskopischen Behorchen des eigenen Herzschlages, und machte auf noch andere subjective Gehörerscheinungen aufmerksam.«80 Es ist möglich, dass Alisons Differentialstethoskop bei Purkynes Versuchsinstrument Pate gestanden hat, auch wenn er dies in seinen Veröffentlichungen nicht erwähnt. Doch er war exponiert genug, um von Alisons Erfindung zu wissen, auch wenn diese vorerst nur in England bekannt war und erst 1860 in Deutschland darüber berichtet wurde81. Im Detail unterscheiden sich beide Geräte jedoch auffallend und dies nicht nur hinsichtlich der Größenverhältnisse der Trichter und Röhren, die natürlich bei Purkynes Apparat größer bzw. länger sind als bei einem Stethoskop für medizinische Zwecke. Wie alle Stethoskope überträgt auch Alisons Differentialstethoskop die Klänge aus dem Körperinneren mittels aufgesetztem Metalltrichter, also mit Körperschall, der über ein flexibles Metallgeflecht und eine starre Metallröhre an die Ohren des auskultierenden Arztes weitergeleitet wird82. Die Spra-

78

79 80 81 82

Vgl. zu Purkynes Forschungen zum Sehen: Siegfried Zielinski: Elektrisieren, Fernschreiben, Nahsehen; das Ritter-Chudy-Purkyne-Kapitel, in: ders: Archäologie der Medien; zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens, Reinbek 2002, S. 185– 235. Purkyne 1858, S. 81. Ebd. Vgl. FN 69. Paul Niemeyer (Handbuch der theoretischen und clinischen Percussion und Auscultation, Erlangen 1870) beschreibt im ersten Kapitel seines Buches über die Physik des Stethoskops (S. 5–12) die klaren Vorzüge der Holzstethoskope, die mit Körperschall arbeiten, gegenüber denen, die mit Luftübertragung funktionieren. Obwohl er das Differentialstethoskop anführt, geht er aber nicht auf dessen Physik ein. Diese wird jedoch aus Alisons Beschreibung (Alison 1858, S. 197) deutlich. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass Kautschuk eher dämmende Schalleigenschaften besitzt

40 | D ER HÖRBARE R AUM

che der Redner wird über Luftschall mittels einer Kautschukröhre übertragen. In einem umfangreichen Artikel zu weiteren Experimenten mit diesem Apparat, den Purkyne 1859 in der tschechischsprachigen Zeitschrift Ziva veröffentlichte, berichtet er von seinen Experimenten mit einem Vorläufermodell dieses Gerätes aus Schläuchen und Trichtern. Sie reichten bis in das Jahr 1845 in Breslau zurück und widmeten sich der Übertragung von Klängen über eine längere Distanz. Abbildung 3: Jan Evangelista Purkyne

aus: John 1959, S. 29

Zur gleichen Zeit führte Purkyne Experimente zum Hören der Schallrichtung mit einem aus Gutta Percha gefertigten halbkreisförmigen Gerät aus, das den Bogengängen nachempfunden war. »I do not know the reason I dropped these experiments until last year when the same thoughts revived and stimulated me toward further investigation.«83 Die längere Beschreibung bisher un-

83

und daher kaum dazu geeignet sein dürfte, die eigentlich leisen Geräusche des Körperinneren zu übertragen. Englische Übersetzung des tschechischen Aufsatzes von Henry J. John in: ders.: Jan Evangelista Purkyne; Czech Scientist and Patriot 1787–1869, Philadelphia 1959 als: Experiments on Hearing; S. 75–79, Zitat hier: S. 76.; Original in: Ziva VII roen. Sv. 4, 1859, S. 261–267. Ein umfassender Bericht des Artikels in deutscher Sprache wurde 1860 von Dr. Eiselt im dem Titel »Physiologie und Pathologie des Gehöror-

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 41

veröffentlichter und wenig ergiebiger Experimente klingt besonders im Kontext des kurz zuvor der Öffentlichkeit vorgestellten Differentialstethoskops Alisons zunächst recht unglaubwürdig, zumal Purkyne vollständig darauf verzichtete, auf seinen 1846 verfassten Artikel »Sinne im Allgemeinen« zu verweisen, der in dem oben bereits vorgestellten »Handbuch der Physiologie« erschienen war84. In diesem Text erweist sich Purkyne als Kenner der Forschungen zum Thema Raumwahrnehmung, die er im Unterschied zu den anderen Autoren des Bandes, die dieses Thema behandelten, mit Abstrichen auch für das Hören anerkennt. »Der Gehörsinn bildet seine Empfindungen meist in der Zeitform zu Anschauungen aus, wenn nicht durch Mangel des Gesichts oder andere Bedingungen auch die Raumanschauung ihm zugewiesen worden.«85 Purkynes Experimente zum Richtungshören ab 1858 erscheinen vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht, denn seinerzeit waren die Hörversuche offenbar nicht eindeutig verlaufen. Nun setzte er mit einer neuen Fragestellung und einem leicht modifizierten Gerät an der Stelle an, an der er aufgehört hatte. Die durch die Tür verlaufenden Hörschläuche hatten nun die Funktion, den Sichtkontakt vom Hörer zu den Sprechern und Geräuscherzeugern zu verhindern, und die Versuche galten nun der Wahrnehmungsdifferenzierung der rechten und linken Seite86, wie sich dies schon im Bericht von 1858 andeutete. Im Gegensatz zu seinen Forschungen von 1845 legte Purkyne seinen Experimenten ab 1858 nun die Überlegung zugrunde, dass fast die gesamte Umgebung hörbar sei »in relation to the central surface of the body, is down [sic], toward the front, toward the back, to the right or the left side in the direction of the hemisphere. Sounds from the right side, the right ear hears and the left ear hears only what reflects or by its deviation reaches the opening and vice versa.«87 In dieser Klarheit und Differenzierung hatte bis dahin kein Forscher der akustischen Richtungs- und Raumwahrnehmung die klingende Umgebung beschrieben und sie damit zum Hörbaren hin ausgerichtet88. Zugleich ist damit aber auch dokumentiert, dass

84 85 86 87 88

gans« in: Prager Vierteljahrschrift für praktische Heilkunde Bd. 17/3, S. 91–97 publiziert. Dort fehlt jedoch der Teil zu den Forschungen Purkynes im Jahr 1845. Jan Evangelista Purkyne: Sinne im Allgemeinen, in: Rudolph Wagner (Hrsg.): Handwörterbuch der Physiologie, Bd. 3,1, Leipzig 1846, S. 352–359. Ebd., S. 354. Purkyne 1859, engl. Fassung von Henry J. John 1959, S. 76. Ebd. Purkyne geht es damit nicht nur darum, auf der Basis des akustischen und physiologischen Wissens die hörbare Wirkung eines akustischen Effekts zu untersuchen, sondern er stellt sich zuvor noch die Frage, was unter welchen Bedingungen hörbar sein kann.

42 | D ER HÖRBARE R AUM

Purkyne seinen binauralen Schlauchapparat89 in einer neuen Funktion einsetzte: als Gerät zur Erforschung des Richtungshörens. Doch beschränkten sich Purkynes Forschungen zum Richtungshören keineswegs auf Resultate, die mit dem Schlauchapparat zu erzielen waren. Ausgangspunkt seiner systematischen Experimente war vielmehr der von Purkyne beschriebene Bereich des Hörbaren. Sie begannen mit einem mit Gutta Percha dicht verschlossenem Ohr, zunächst noch ohne Einsatz der Hörschläuche. Ihre Ergebnisse gleichen denen von Venturi, auch wenn Purkyne seine Experimente offenbar in einem Zimmer durchführte und der ›Klangproduzent‹ nur zwei Schritte von ihm entfernt agierte, barfuß, damit seine Bewegungen nicht hörbar waren. Doch schon der zweite Teil von Purkynes Experimenten war ganz anders konfiguriert. Er verlief mit zwei fest verschlossenen Ohren und diente der Erforschung der Schallübertragung über die Schädelknochen und andere anatomische Kopfteile, wobei Purkyne auch versuchte, mittels gebogenen Metallstäben den Schall auf die andere Seite des Kopfes umzuleiten90. Zum Einsatz kamen natürliche Schallquellen, das heißt verschiedene Musikinstrumente und Sprache. Erst in einer zweiten Serie von Experimenten kamen die durch die Tür geführten Hörschläuche mit aufgesetzten Trichtern zum Einsatz, zunächst nur einer, dann zwei. Ihre optimale Zusammensetzung war zuvor getestet worden. Purkyne hatte Metall, Glas, Papier, Gutta Percha, gebrannten Ton und Gummi ausprobiert, wobei sich die Gummischläuche als die beste Lösung erwiesen91. Die Versuche mit zwei Schläuchen erbrachten das etwas irritierende Ergebnis, dass zwar Richtungen damit gut erkannt werden konnten, doch die Klänge dabei im Kopf und nicht wie erwartet außerhalb zu hören waren. Auch die Lokalisation am und im Hinterkopf vermerkte Purkyne, der die Sprache gut verstehen konnte92. Weitere Tests betrafen die Vertauschungen der Röhren durch Überkreuzung, die Länge der Röhren oder den zusätzlichen Einbau eines 89

90 91

92

Der Terminus Schlauchapparat stammt von mir und ist vielleicht nicht glücklich gewählt; er ist aber anschaulich und da das dazugehörige Instrument in verschieden Formen und Varianten bis weit ins 20 Jh. immer wieder erscheint, in Hinblick auf seine Wiedererkennung kurz und prägnant. Ebd., S. 77. An dieser Stelle ist nicht ganz deutlich, wann Purkyne die Materialversuche durchführte, denn er spricht ja schon 1858 davon, dass sein Schlauchapparat mit Kautschukröhren ausgestattet ist (Purkyne 1858, S. 81). Wenn Purkyne 1858 sein Versuchsgerät von 1845 mit neuer Funktion einsetzte, kann man davon ausgehen, dass die Materialversuche schon 1845 stattgefunden haben. Für diese Datierung spricht auch, dass Purkyne kein flexibles Metallgeflecht ausprobierte, das von Alison beim Differentialstethoskop verwendet wurde. Ebd., S. 78.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 43

kleinen Gummiballs als eine Art Mittelpunkt, in den je zwei Röhren hineinund wieder herausführten93. Schon an dieser Stelle ist die pragmatische Ausrichtung der Experimente deutlich erkennbar. Sie fanden in einem Setting statt, das dem von Gehörlosen ähnelt. Tatsächlich berichtete Purkyne auch von Versuchen mit dem Gerät in einer Einrichtung für Taubstumme in Prag, verwies aber die Berichterstattung einiger deutscher Zeitungen über eine neue Hörhilfe für Taube in den Bereich der Fabel94. Das vorläufige Ergebnis seiner Experimente war für ihn rein wissenschaftlicher Natur und enthielt keine pragmatischen Anwendungshinweise, denn er hielt das räumliche Hören für nicht perfekt und subjektiv. Ferner entstünden die Richtungsvorstellungen im Kopf und seien damit ebenfalls subjektiv, wie er in mehreren langen Absätzen ausführt95. Dennoch arbeitete er nach einigen weiteren Experimenten zum Richtungshören mit den »Doppelhörröhren« sowie zu weiteren Fragen über subjektive oder objektive Erscheinungen des Gehörs, die er u.a. als Replik auf Eduard Weber96 und Heinrich Dove97 1860 publizierte, an einem Gerät zu Hörhilfe namens Opistophon, das er 1862 der Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte in einem Vortrag zum Thema »Richtungshören« präsentierte98. 93

94 95 96 97

98

Purkyne weitet bis 1860 diese Versuche aus, indem er bis zu 10 Schläuche in den kleinen Ball hineinführt, aus dem dann die beiden ›Abhörschläuche‹ hinauslaufen. Das Resultat war verheerend, nur ein Sprachgewirr war zu hören: »Ich würde das Instrument das Ohr des Dyonysius nennen, und es höchstens als Strafmittel recommandieren« kommentierte er. (»Hr. Purkyne sprach über seine Versuche über die Coincidenz gleicher Gehörempfindungen im Hinterhaupte«, in: Sitzungsberichte der königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, Prag, 4. Juni 1860, S. 98– 102; hier S. 99). Purkyne 1859, engl. Fassung von Henry J. John 1959, S. 78. Ebd., S. 79. Explizit beschäftigte sich Purkyne mit »Webers Richtungserscheinungen« (Purkyne 1860a, S. 101f.). »Hr. Purkyne theilte wieder mehrere physiologisch-acustische Versuche im Folgenden mit«, in: Sitzungsberichte der königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, Prag, 30.7.1860, S. 11–17. Mit den Versuchen Doves beschäftigt sich Purkyne auf S. 15ff. sehr umfangreich. Dove hatte sich seit 1839 und 1841 (s.o.)1859 erneut mit den Kombinationstönen und der unterschiedlichen Wahrnehmung auf dem rechten und linken Ohr befasst und war dieses Mal zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kombinationstöne nun doch »objektiv« seien. (Heinrich Dove: Beweis, dass die Tartinischen Töne nicht subjektiv, sondern objektiv sind, in: Annalen der Physik, Bd. 107, 1959, S. 652–654). Der Vortrag ist nicht erhalten, wohl aber zahlreiche Berichte darüber, wie in: Tagblatt der Versammlung der deutschen Ärzte und Naturforscher, Karlsbad 1862, S. 66f.; mit demselben Text in: Amtlicher Bericht über die 37. Versammlung der

44 | D ER HÖRBARE R AUM

Unabhängig davon, ob das Opistophon von seinem Erbauer als Forschungsinstrument gedacht war oder auch zur Hörhilfe taugte: Das erste originär entwickelte Gerät zum Richtungshören war auf breiter Bühne präsentiert worden und hatte entsprechende Aufmerksamkeit erfahren. Dies ist nicht zuletzt daran ablesbar, dass das Instrument mit mehr oder weniger sichtbaren Ergänzungen in den folgenden Jahren von anderen Forschern des Richtungshörens verwendet und später mit kleinen Varianten zur praxistauglichen technischen Erfindung wurde. Die Ergebnisse von Purkynes Experimenten sind besonders im Hinblick auf die Problematik des räumlichen Hörens bemerkenswert, da Purkyne sich auf die Differenzierung von Klängen und deren Verständlichkeit beschränkte. Die Fehllokalisation am Hinterkopf war ein Phänomen, das er beschrieb und publizierte, jedoch nicht eigens untersuchte. Dasselbe gilt für die Lokalisation von Klängen im Kopf, die, wie man heute weiß, erst durch den Bau seines Untersuchungsinstrumentes mit dessen luftdichtem Abschluss am Ohr hervorgerufen wurden. Zum Thema Raumhören hatte sich Purkyne bereits 1846 klar geäußert, als er es im Gegensatz zu anderen Autoren des Handbuches für vorhanden, aber zweitrangig erklärte99. Den Begriff verwandte er aber nicht wieder. Obwohl er 1859 zunächst das Hörfeld von den Seiten, unten und oben untersuchte100, spricht er nicht mehr von Raum oder Räumlichkeit des Hörens, sondern nur von Richtung und Lokalisation der Schallquellen. Wie oben schon dargelegt, ist seine Forschungsperspektive klar: Sie geht vom Hörer aus und davon, was dessen Ohren angeboten wird und welche akustischen Zustände an ihnen herrschen. Ob das, was bei Ihnen ankommt, nun Raum genannt wird oder nicht, schien uninteressant. Auditive Wahrnehmungsforschung bei anderen Forschern Dass der Begriff ›Raumhören‹ in der Forschung jener Jahre nicht zu finden ist, lässt sich wohl auf den Wechsel der Forschungsperspektive zurückführen, die sich nunmehr wieder dem Hörer zuwandte und nicht so sehr auf das gerichtet war, was er hört. So interessierte sich Gustav Theodor Fechner

deutschen Naturforscher und Ärzte 1862 in Karlsbad, S. 222f.; Ärztliches Intelligenzblatt, hrsg. vom ständigen Ausschuss der Bayerischen Ärzte, IX. Jahrgang, München 1862, S. 618f. (Der Bericht nennt das Opistophon explizit). Eine Abbildung oder eine genaue Beschreibung des Gerätes war nicht zu ermitteln. 99 Purkyne 1846, S. 354, vgl. auch FN 83 und 84. Dass er sich damit Tourtuals Meinung anschloss, wird erst 1859 klar, als Purkyne auf diesen verweist: »Tourtual’s Book« (Purkyne 1859, engl. Fassung von Henry J. John 1959, S. 76). 100 Purkyne 1859, engl. Fassung von Henry J. John 1959, S. 76.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 45

1860 für die Frage, ob Menschen rechts und links unterschiedlich hören101, und nahm damit eine Feststellung Eduard Webers auf, derzufolge die Empfindung von Wärme und Druck auf der linken Hand größer ist als auf der rechten102. Fechners Untersuchung war deshalb ungewöhnlich und neuartig, weil er erstmals eine große Anzahl von Personen dazu heranzog. In mehreren Sitzungen beteiligten sich insgesamt 103 Hörer verschiedenen Alters und Geschlechts an den Hörtests, bei denen ein spezielles Gerät zur Tongebung zum Einsatz kam. Es handelte sich um eine Art Pendel, das von einer fixierten Höhe auf eine Schiefertafel fallen gelassen wurde103. »Alles zusammengezählt also hörten unter den 103 Personen 61 den Schall stärker, 4 blos klarer, aber nicht stärker, also 65 doch im Ganzen besser l[inks] als r[echts], 26 gleich gut l. und r. oder so, dass der Unterschied zweifelhaft blieb, 12 besser r. als l.«104 Den Grund für die festgestellten Wahrnehmungsunterschiede zwischen beiden Ohren konnte sich Fechner jedoch nicht erklären, obwohl er über verschiedene Alternativen sinnierte und dazu sogar zehn seiner Testpersonen, eine Gruppe Studenten, zur ohrenärztlichen Untersuchung schickte105. Diese blieb aber ebenfalls ohne Anhaltspunkt für Fechner, der das als Herausforderung zur weiteren Forschung verstand und das Hören mit zwei Ohren zu seinem neuen Thema machte. Im folgenden Jahr erschienen dazu zwei Veröffentlichungen. Die erste ist im Kontext des binokularen Sehens zu sehen; sie findet sich in Fechners umfangreicher Schrift zu diesem Thema106 im 18. Abschnitt107. Die zweite beschränkt sich auf die populärwissenschaftliche Darstellung des beidohrigen Hörens108 und ist letztlich eine gestraffte Darstellung des wissenschaftlichen Textes. Darin beschäftigt sich Fechner intensiv mit den bisher im deutschsprachigen Raum erschienen Er101 Gustav Theodor Fechner: Über die ungleiche Deutlichkeit des Gehörs auf linkem und rechtem Ohre; in: Berichte über die Verhandlungen der königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften; Mathematisch-Physikalische Klasse; Leipzig 1860, Bd. 11–13. S. 166–174 (=1860a); (b) textidentisch mit: Annalen der Physik und Chemie (Poggendorfs Annalen), Bd. 111, 1860, S. 500–509. 102 Fechner 1860a, S. 166. 103 Ebd., S. 167. 104 Ebd., S. 169. 105 Ebd., S. 172. Fechner thematisiert jedoch nicht die individuellen Wahrnehmungsunterschiede, sondern nur die Tatsache, dass fast alle Testpersonen auf beiden Ohren leicht verschieden hören. 106 G. Th. Fechner: Über einige Verhältnisse des binokularen Sehens in: Abhandlungen des königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Leipzig 1861, S. 337–563 = Fechner 1861a. 107 Ebd., S. 536–554. 108 G. Th. Fechner: Über das Hören mit zwei Ohren, in: Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte, 10, 1861, S. 512–516 = Fechner 1861b.

46 | D ER HÖRBARE R AUM

stuntersuchungen des beidohrigen Hörens seit Dove und Seebeck. Er nennt aber auch die von Charles Wheatstone und Seebeck zeitgleich erfolgte Entdeckung der Knochenleitung des Schalls109 und zitiert intensiv in englischer Sprache den Artikel von Scott Alison zu dessen Differentialstethoskop110, nachdem er zuvor mit Verweis auf Linckes Handbuch der Ohrenheilkunde von 1837 von der Sicherheit des »Localgefühls« der Ohren111 berichtet hatte und diesen damit nicht ganz zutreffend zitiert. Denn es war ja gerade Lincke, der mit Bezug auf Venturis Versuche und Lentins Ergebnisse eigene Experimente mit dem Hörbereich des Menschen anstellte, der sich aber keineswegs als perfekt kugelförmig erwies112, und nicht etwa Alison, dessen Differentialstethoskop Fechner als Instrument beschreibt, »was sehr geeignet ist, das einseitige Localgefühl bei ungleicher Stärke des Schalls in beiden Ohren zu constatieren«113. Fechner trennt hier noch nicht das auf den Körper bezogene »Localgefühl« von der Lokalisation der Schallquelle in der Umgebung des Wahrnehmenden. Auch in seinem populärwissenschaftlichen Text in Westermanns Monatsschriften hält Fechner die Beschreibung dieser beiden Phänomene lediglich getrennt voneinander114, sodass anzunehmen ist, dass er sich nicht für die Frage der Beziehung von Höreindruck und Klangumgebung interessiert, sondern tatsächlich nur für die Unterschiede der auditiven Wahrnehmung zwischen beiden Ohren. Die Beschränkung auf die Ohren als solche war auch in der 1862 ausgelobten Preisfrage der belgischen Gesellschaft der Wissenschaften enthalten. Sie hatte den Unterschied zwischen dem Hören mit einem und mit zwei Ohren zum Gegenstand, wobei eine präzise Erforschung dieses Unterschiedes ebenso erwartete wurde wie eine allgemeine Einschätzung zur doppelten Vorhandenseins im Gehörorgan115. Erst 1868 bekam die Gesellschaft dazu

109 110 111 112 113

Fechner 1861a, S. 546. Ebd., S. 547f. Ebd., S. 546. Lincke 1837, S. 550. Fechner 1861a, S. 547. Die Vorstellung, dass das lautere Signal quasi das leisere übertönt, ist auch in anderen Schriften der Zeit zu finden, wie z.B. bei Docq, 1868 und Carrick, 1872. 114 Fechner 1861b, S. 514f. 115 »Quelle différence y a-t-il entre la perception des sons avec une seule et avec deux oreilles. La société demande des recherches précises sur cette différence, et, en générale, sur l’influence du double dans l’organe de l’ouïe.« (A. J. Docq: Recherches Physico-Physiologiques sur la fonction collective des deux organes de l'appareil auditif, in: Mémoires Couronnés et Mémoires des Savants Étrangers / L'Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique, Tome XXXIV, 1867–1870, S. 3).

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 47

eine Antwort von A. J. Docq, Professor der Universität Leuven116, der sich ein Jahr zuvor erkundigt hatte, ob diese Frage noch offen sei. Seine 60 Druckseiten umfassende Schrift, die internationale Beachtung fand117, enthält neben einer Vielzahl von Experimentberichten zu Versuchen mit verschiedenen Stimuli in Freifeldumgebung auch die erstmalige exakte Vermessung des Hörfeldes eines Ohres sowie des mit beiden Ohren gehörten Hörfeldes, die dadurch erfolgte, dass sich der Hörer auf einer Stelle stehend um 360º drehte und somit von der fixierten Schallquelle weg bzw. auf sie zu bewegte. Docq gab 24 Messpunkte im Abstand von 15º an und stellte daraus zwei Skizzen her, die eindeutig belegen, dass von einer gleichmäßig kreisförmigen Wahrnehmung um den Kopf des Hörers herum nicht die Rede sein kann, da die Ohren an ihren Öffnungen zur Seite hin empfindlicher sind. Dies hat Folgen für das Hören mit zwei Ohren, das entsprechend zu den Seiten hin empfindlicher ist, aber auch nach vorn in Sichtrichtung ausgeprägt ist, während es am Hinterkopf stark nachlässt. Das einohrige Hören, so ein weiteres Ergebnis der zahlreichen Experimente, ist dem Hören mit beiden Ohren klar unterlegen, da letzteres etwa 2,7-mal feiner in Bezug auf die Intensität ist118. Entscheidend für den Verlauf der Erforschung des räumlichen Hörens ist hier, dass Docq zwar der Preisfrage entsprechend das Hören mit zwei Ohren untersuchte und dabei auch die Interdependenz beider Ohren umfangreich besprach119, das eigentliche binaurale Hören120 jedoch nicht erklärte. Letztendlich kam er nur zu dem Schluss, dass in der psychischen Reaktion auf die Kombination beider Ohren der stärkere Eindruck den schwächeren zerstöre121. »Es folgen dann noch einige Versuche, welche nichts erhebliches neues bringen«122, resümiert 1870 dann auch einer der Rezensenten, nachdem er Docqs exakte Vermessung der Hörfelder positiv hervorgehoben hatte. Die Enttäuschung des Rezensenten wird mit einem Blick auf den allgemein zugänglichen Wissensstand zum Thema Richtungshören nachvollziehbar. 1867 war, zunächst in Frankreich, ein reich illustriertes Akustik-Lehr-

116 Ebd., S. 1. 117 Vgl. Rezensionen z.B. in: Der Naturforscher: Wochenblatt zur Verbreitung der Fortschritte in den Naturwissenschaften, 1868, Nr. 36, S. 292f., in: Die Fortschritte der Physik 23 (1870), S. 193, in: The College Courant, Yale University, Bd. 3, 17.10.1868, S. 214f. 118 Docq, S. 20. 119 Ebd., S. 19 – 36. 120 Docq verwendet explizit den Begriff »biauriculaire« (ebd., S. 21 und S. 31). 121 Ebd., S. 33. Diesen Eindruck vermittelte auch Carrick, 1872. 122 Rezension in: Fortschritte der Physik, 1870.

48 | D ER HÖRBARE R AUM

buch des aus Deutschland stammenden Rodolphe Radau erschienen, das 1869 und 1875 auch in deutscher Übersetzung sowie 1870 zusätzlich in englischer Sprache herausgegeben wurde123. Der Autor beschreibt darin u.a. alle von Docq herangezogenen Messinstrumente124 und stellt äußerst knapp fest: »So wie die Augen durch doppelte Bilder uns die Schätzung des Reliefs der Gegenstände und ihrer Entfernung ermöglichen, dienen die beiden Ohren uns dazu, die Richtung des Schalls zu beurtheilen. Mit verbundenen Augen und einem verstopften Ohr verliert man das Urtheil über die Richtung, alle Töne scheinen dann aus der Richtung des freien Ohrs zu kommen.«125 Resonanz, Reflektion und Entfernung hatte Radau schon vorher in seinem Buch ausführlich und mit Hinweisen auf die Werke von Athanasius Kircher126 und Vitruv (1 Jh. v. Chr.) beschrieben, sodass hier nur erstaunlich bleibt, dass Radau in Abweichung von seiner Praxis, auch die historischen Entdecker von besonderen Phänomenen zu nennen, nicht auch Venturi und seine Forschungen namentlich erwähnt, sondern es bei der Nennung der Tatsache des Richtungshörens mit zwei Ohren belässt.

P SYCHOPHYSIK : T ONRAUM UND R ICHTUNG IN DER AKUSTISCHEN U MGEBUNG Docqs exakte Vermessung beider Ohren war also 1870, im Jahr ihrer Veröffentlichung, nicht mehr aktuell, so gründlich sie auch die Preisfrage von 1862 beantwortete. Rückblickend scheint es, als seien die zur Zeit der Fragestellung aktuellen wissenschaftlichen Vergleiche beider Ohren lediglich ein Zwischenschritt in der Erforschung des räumlichen Hörens gewesen127. Dies 123 Rodolphe Radau: L’Acoustique ou les phénomènes du sons, Paris 1867; ders.: Die Lehre vom Schall, gemeinfaßliche Darstellung der Akustik, München 1869; 2. Aufl. München 1875; ders.: Wonders of Acoustic or, the Phenomena of Sound, London und New York 1870. 124 Docq beschrieb als Tongeber u.a. das auch von Fechner herangezogene Pendel (s.o.), das Radau als »Acumeter« von Ittard bezeichnet (ebd., dt. Fassung, 1. Aufl. 1869, S. 317.) Ferner beschreibt Docq zu Beginn seiner Schrift ein Messinstrument zur Messung der Schallintensität, das mit Flammen arbeitet (Docq, S. 7f.). Dieses vom Instrumentenbauer König in Paris entworfene Instrument beschreibt Radau ab S. 209 (1. Aufl. dt. Fassung) an mehreren Stellen im Kontext der Messung von Schallwellen. 125 Radau, 1. Aufl. der deutschen Fassung, 1869, S. 317. 126 Radau verwendet auch einige Abbildungen aus Athanasius Kircher (1673 bzw. 1684) in den Kapiteln zu Schallreflexion und Resonanz. 127 Ab 1876 er setzten wieder genaue Messungen in der Physik ein, s.u.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 49

legen zumindest die Forschungen Ernst Machs zu diesem Thema nahe. 1863–1866 veröffentlichte er vier Artikel, die im Ansatz und in der Durchführung neue Wege gehen und entsprechend neue Ergebnisse zeitigten. Am Anfang steht der Artikel »Zur Theorie des Gehörorgans«128, in dem Mach sein Forschungsvorhaben zur Verbindung von Technik und Physiologie herleitet und darlegt. Dabei setzt er bei Savart und Seebeck an und bespricht weitere Funktionen der einzelnen anatomischen Gehörteile. Darauf aufbauend führt er eigene Experimente an, darunter solche, bei denen der von Purkyne in Anlehnung an Alisons Differentialstethoskop entwickelte Schlauchapparat zum Einsatz kam129. Doch nutzte Mach diesen nicht zur Erforschung physikalisch-räumlicher Effekte130. Die »räumliche Wahrnehmung«131 hält er vielmehr im Sinne der Lokalzeichentheorie von Hermann Lotze132 und deren Weiterentwicklung durch Wilhelm Wundt für ein »Muskelgefühl«, das sich in Folge eines auf die wahrnehmenden Organe abbildenden Sinneseindruckes als willkürliche Muskelreaktion einstelle133. Der Begriff des Lokalzeichens bezieht sich also auf die Körperstelle, an der sich der Sinneseindruck einstellt und nicht auf den Ort, an dem sich das wahrgenommene Objekt befindet. Für das Auge, das Lotzes und Wundts eigentlicher Untersuchungsgegenstand war, ist dies der Ort auf der Netzhaut, an dem sich ein Sinneseindruck abbildet; das »Muskelgefühl« nach Wundt entstehe je nach Sinnesstärke in abgestufter Form. Dementsprechend plante Mach eine Suche nach dem »Ohrmuskel«134, den er mit Hinweis auf Hermann von Helmholtz‘ Bericht von der willkürlichen Unterscheidbarkeit von Partialtönen als auf den Ort der Tonhöhenwahrnehmung bezogen verstand135. Somit wollte Mach also die Wahrnehmung des Tonraums136 mit 128 Ernst Mach: Zur Theorie des Gehörorgans, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1863, Bd. 48, S. 283–300. Datum auch aus dem Autorenexemplar in neuer Seitennummerierung (Mach-Archiv, Deutsches Museum, München). 129 Ebd., S. 7 = 289. 130 Mach berichtet an der Stelle (ebd.) auch von einem anderen Experiment mit einem Kautschukschlauch, den er von einem zum anderen Ohr des Hörers legte, ähnlich wie es später Silvanus Thompson mit seinem Pseudophone tun sollte. Aber auch hier beschäftigte sich Mach nicht mit dem Hören des physikalischen Raums. 131 Ebd., S. 16 = 298. 132 Vgl. »Lokalzeichen« in: Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1904; auf: http://www.textlog.de/4366.html (4.5.2015). 133 Wilhelm Wundt: Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, Leipzig und Heidelberg 1862, S. 400ff. 134 Mach 1863, S. 16 = 298. 135 Ebd., S. 15 = 296. Mach zitiert hier die damals frisch erschienene erste Auflage von Hermann von Helmholtz: Die Lehre der Tonempfindungen als physiologische

50 | D ER HÖRBARE R AUM

weiteren Experimenten erforschen, die er »Stück für Stück … [an] anatomischen Präparaten durch solche an willkürlich construierten physikalischen Instrumenten«137 durchführen wollte, und zwar im ersten Teil der Arbeit zusammen mit dem Wiener Ohrenarzt Adam Politzer. Dieses Vorhaben setzte Mach in die Tat um. Seine explorativen Experimente verblieben jedoch in dem begrifflichen Bereich, den er 1863 vorgegeben hatte, auch wenn es zu neuen Entdeckungen und Versuchsanordnungen kam. Der Raum des Ohres bleibt für Mach der Tonraum. Entsprechend erforscht er die Schwebungen mit Vergleichen von Hörresultaten beider Ohren138 und untersucht die Veränderung der Tonhöhenwahrnehmung in Bezug auf die Entfernung zur Schallquelle139. Im Jahr darauf publizierte er zu diesem Thema in Poggendorffs Annalen einen Aufsatz mit dem Titel »Bemerkungen über den Raumsinn des Ohres«140, in dem er eine Parallele vom Farbensehen zum Klangfarbenhören zieht. Das Ohr hört den Tonraum und darin Tonhöhe und Klangfarbe – dieses Verständnis vom auditiven Raum ist bis heute gebräuchlich. Die ihm zugrunde liegende Raumvorstellung weicht somit fundamental von der ab, die darunter die akustische Umgebung des Hörers versteht sowie die Fähigkeit, Schallquellen in dieser zu lokalisieren und zu differenzieren. Zugleich ist diese Raumvorstellung aber essenziell für das Hören und war zu dieser Zeit mit Sicherheit nicht mehr als Randerscheinung zu bezeichnen, sodass sich die Frage nach der Hörbarkeit des Raumes durch den »Zeitsinn« des Ohres erneut stellte. Mach wich ihr jedoch aus. In seinem nur ein Jahr später (1866) veröffentlichten Artikel mit dem Titel »Bemerkungen über die Entwicklung der Raumvorstellungen« in der Zeitschrift für Philosophie und Philosophische Kritik141 ist das Hören kein Thema. Mach argumentiert aus

136 137 138

139 140 141

Grundlage für die Theorie der Musik, Braunschweig 1863. Helmholtz hatte die Differenzierung der Partialtöne jedoch nur auf experimentellem und mathematischem Weg nachgewiesen. Erst György von Bekesy konnte die genaue Abbildung der Partialtöne auf der Cochlea physiologisch nachweisen. Es ist somit möglich, dass auch Mach schon 1863 plante, dies zu tun. Ebd., S. 16f. = 298f. Ebd., S. 18 = 300. Ernst Mach: Über einige der physiologischen Akustik angehörige Erscheinungen; in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1864, Bd. 50, S. 356. Ebd., S. 350. Ernst Mach: Bemerkungen über den Raumsinn des Ohres; in: Annalen der Physik und Chemie (Poggendorffs Annalen); CXXVI (1865), S. 331–333. Ernst Mach: Bemerkungen über die Entwicklung der Raumvorstellungen; in: Zeitschrift für Philosophie und Philosophische Kritik, NF 49, 1866, S. 227–232. In dem-

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 51

der Perspektive der noch jungen wissenschaftlichen Kombination von Physik und Psychologie und differenziert verschiedene Raumbegriffe der Sinne, wobei er sich auf den »Sehraum« beschränkt und ihn zu Maß und Geometrie in Beziehung setzt142, bevor er mit dem Begriff des »physikalischen Raums«143 eine Differenzierung vorschlägt und darlegt: »Wären die materiellen Theile des ganzen Weltalls einmal bekannt, sowie ihre Kräfte als Functionen dieser Raumlagen, so könnte die Mechanik ihre Bewegung vollkommen angeben, d.h. sie könnte für jede Zeit alle Raumlagen ausfindig machen, oder alle Raumlagen als Functionen der Zeit hinstellen. Was bedeutet aber die Zeit für das Weltall? Dies oder jenes ist eine Function der Zeit, heißt, es hängt von der Lage des schwingenden Pendels ab, von der Raumlage der kreisenden Erde u.s.w.– Alle Raumlagen sind Functionen der Zeit heißt also für das Weltall, alle Raumlagen hängen voneinander ab. Der physikalische Raum, den ich im Sinne habe (und welcher zugleich die Zeit in sich enthält) ist also nichts anderes als die Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander. Die vollendete Physik, welche diese Grundabhängigkeit kennen würde, hätte keine besondern Raum- und Zeitbetrachtungen mehr nöthig, denn diese wären ohnehin schon mit erschöpft.«144 Die von Physik und Philosophie über Jahrtausende postulierte kategoriale Trennung von Raum und Zeit wird also von Mach zunächst beim Sehen in Frage gestellt, das zu jener Zeit schon sehr viel gründlicher erforscht war als das Hören. Friedrich Carl Fresenius argumentiert zwei Jahre später auf ähnlicher Basis. In seinem Buch »Psychologische Grundlagen der Raumwissenschaften«145 versteht er Raum und Zeit als Einheit der sinnlichen Wahrnehmung, da Bewegung beide Dimensionen enthalte146. Dies leitet er theoretisch aus der Entwicklung der Geometrie her, bei der der Punkt sich zur Geraden entwickelt und später eine die Bewegung enthaltene Richtung147 (Vektor148)

142 143 144 145 146 147

selben Jahr erscheint auch Machs Buch: Einleitung in die Helmholtz’sche Musiktheorie – populär für Musiker dargestellt, was als Hinweis auf die Orientierung Machs an Hermann von Helmholtz’ 1863 in erster Auflage erschienenen »Lehre von den Tonempfindungen« zu verstehen ist und seine Einstellung, der Hörraum sei Tonraum, begründet. Ebd., S. 228ff. Ebd., S. 230. Ebd., S. 231f. Friedrich Carl Fresenius: Psychologische Grundlagen der Raumwissenschaften, Wiesbaden 1868. Ebd., S. 17f. Ebd., S. 30ff.

52 | D ER HÖRBARE R AUM

ergibt. Die Wahrnehmung des Ohres hielt aber auch Fresenius nicht für fähig, »räumliche Unterscheidungen« zu treffen149. Bis etwa Mitte der 1870er Jahre war dies der allgemeine Standpunkt in dem sich gerade erst entwickelnden Fachgebiet ›Psychologie‹. In der 1873 erschienenen Monographie »Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung« etwa thematisiert Carl Stumpf, der von Hermann Lotze promoviert und habilitiert wurde, nur das Hören des Tonraums und erwähnt das räumliche Hören des physikalischen Raums mit keinem Wort. Wilhelm Wundt dagegen geht 1874 in der ersten Auflage der »Grundzüge der physiologischen Psychologie« zwei Mal auf das Thema ein, hält es aber insgesamt für eine sekundäre Erscheinung. Erst gegen Ende des Bandes unter dem Kapitel zum Begriff und den Arten der Vorstellungen behandelt er das Thema, denn nach seiner Darstellung entstehen Vorstellungen aus Verbindungen von einfachen Sinneswahrnehmungen. Deren Vereinigung folge psychologischen Gesetzen und geschehe entweder in zeitlicher oder in räumlicher Form150. »Alle unsere Vorstellungen nehmen eine Stelle in der Zeit ein; aber für eine Classe derselben gewinnt die Zeitform eine ganz überwiegende Bedeutung, für die Gehörsvorstellungen. Das Gehör erhält daher vorzugsweise die Bedeutung eines zeiterweckenden Sinnes. Wegen der Richtung auf die Zeitanschauung tritt hier das Verhältniss der Vorstellung zu ihrem Gegenstand, welches stets eine räumliche Ordnung der Empfindungen voraussetzt, mehr in den Hintergrund, obgleich es keineswegs fehlt, indem wir auch den Schalleindruck im allgemeinen auf einen Ort beziehen, von welchem er ausgeht.«151 Dieser Umstand, so Wundt weiter, verschwände aber besonders dort aus dem Bewusstsein, wo »die Klangvorstellungen zu einem Vehikel ästhetischer Wirkungen werden«152. Die Quellen für diese Einschätzung gibt Wundt hier nicht an. Erst an viel späterer Stelle im Buch beschreibt er mit Verweis auf Eduard Weber (1851) und Mach (1864), dass »durch Bewegung des Halses und des äusseren Ohres«153 Richtungseindrücke entstünden, misst 148 1844 begründete Hermann Günter Grassmann die Vektorrechnung in seiner »linearen Ausdehnungslehre« (Wikipedia »Vektor«). Deutlich meint Fresenius hier diesen Begriff, ohne ihn aber explizit zu nennen. 149 »Die Thätigkeit der übrigen Sinne ist für unsere gegenwärtige Frage von untergeordnetem Interesse. Denn selbst das Ohr, dieses vortreffliche Organ für die feinsten Gliederungen der Zeitfolge der Empfindungen ist für räumliche Unterscheidungen fast ganz incompetent…« (Fresenius 1868, S. 4f.). 150 Wilhelm Wundt: Grundzüge der Physiologischen Psychologie, Leipzig 1874, S. 465. 151 Ebd., S. 466. 152 Ebd. 153 Ebd., S. 496.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 53

ihnen aber keine besondere Bedeutung bei, da die »räumliche Beziehung hier nicht selbständig entwickelt [ist], sondern von den andern raumauffassenden Sinnen, dem Gesicht und Getast, erst entliehen.«154 Auch für Wundt wirkte also noch die von der Philosophie vertretene kategoriale Trennung von Raum und Zeit stärker als die empirischen Befunde, zumal – und dieses Argument Wundts ist neu – wenn es um Vorstellungen ästhetischer Art geht und die räumliche Anordnung der Schallquellen in den Hintergrund tritt. 1880 jedoch, in der zweiten Auflage des Buches, hat Wundt erheblich mehr zum Thema Richtungs- und Raumhören zu berichten. Grund dafür sind die physikalischen Forschungen, die ab etwa 1876 in zuvor nicht gekannter Vielzahl veröffentlicht wurden. Sie haben zumindest im deutschsprachigen Bereich einen kleinen Vorlauf, der 1874 im Archiv für Ohrenheilkunde beginnt. Dessen Mitherausgeber und -gründer war Adam Politzer, der seinerzeit mit Ernst Mach die medizinische Seite des Hörens erforschte. Ein Dr. Küpper aus Elberfeld vertritt darin die Ansicht, dass die Ohrmuschel des Menschen funktionslos für das Hören und die Richtungserkennung sei155. Im Jahr darauf widerspricht Mach dieser Ansicht vehement156 und belegt auf Basis eigener Experimente, physikalischen Wissens und weiterer Literatur, dass die Ohrmuscheln »als Resonatoren für höhere Töne«157 dienten, »deren Wirkung theilweise von der Stellung gegen die Schallrichtung abhängt und die Aenderungen der Klangfarbe bedingt, die zur beiläufigen Kenntnis der Schallrichtung führen«158, deren mangelnde Treffsicherheit Mach zuvor bereits beschrieben hatte159. Grundlage der Richtungserkennung seien, so Mach weiter, die Unterschiede der Klangfarben160 an beiden Ohren. »Gibt es eine solche, so ist sie ein Analogon der stereoskopischen Differenz der beiden Augen.«161 Dass Adam Politzer ein Jahr später das Thema in einem um-

154 Ebd., S. 497. 155 Dr. Küpper: Ueber die Bedeutung der Ohrmuschel beim Menschen; in: Archiv für Ohrenheilkunde, VIII/3, 1874, S. 158–162. 156 Ernst Mach: Bemerkungen über die Function der Ohrmuschel; in: Archiv für Ohrenheilkunde; IX/II,1875, S. 72–76. 157 Ebd., S. 75. 158 Ebd., S. 75f. 159 Auf S. 74 berichtet Mach auch von Versuchen zur Richtungserkennung, findet aber wie die meisten Forscher vor ihm, dass ein Hörer mit verbundenen Augen auf der Medianebene meist die Schallquelle nach hinten verlegt, nur rechts und links gut unterscheidet und alle anderen Richtungen nur mit Bewegung des Kopfes erkennen kann. 160 Mach führt damit die Theorie fort, nach der der Hörraum ein Ton- und Klangraum sei, die er bereits in den 1860er Jahren dargelegt hatte (s.o.). 161 Ebd., S. 76.

54 | D ER HÖRBARE R AUM

fangreichen Artikel zum Parcusis Loci, der auditiven Fehllokalisierung, fortsetzt und dort mit Verweisen auf Venturis Versuche162 die Richtungserkennung auf Basis von Lautstärkeunterschieden und als Resultat der Erfahrung statt der Empfindung163 sowie des »Hörens mit beiden Ohren«164 beschreibt, sei nicht nur der Vollständigkeit halber ergänzt. Es lässt sich dadurch nämlich der Status Quo auf dem Gebiet der Physiologie und Medizin zum Thema belegen: Erfahrungsbasierte Richtungserkennung des Ohres wird terminologisch von der auditiven Raumwahrnehmung abgegrenzt, die Thema der Psychologen und Physiker ist bzw. gerade erst deren Thema wird. Die vom Physiker Mach 1875 in die Diskussion mit den Medizinern nur eingeworfene Anmerkung des bei der auditiven Richtungserkennung wirksamen »Analogons zur stereoskopischen Differenz der beiden Augen« spielt in der folgenden Zeit in der Physik übrigens eine herausragende Rolle, auch wenn sich Mach in keiner Weise aktiv an diesen Forschungen beteiligt.

E RFORSCHUNG DER U RSACHE DES R ICHTUNGSHÖRENS : S CHALLDRUCK - VS . P HASENDIFFERENZ 1876 beginnt die intensive physikalische Forschung zum Richtungshören. Zunächst sind zwei Stränge festzustellen, die auf unterschiedliche Weise an das Thema herangehen. Den Anfang macht am 11. Mai 1876 ein Artikel in der Zeitschrift Nature mit dem Titel »Our Perception of the Direction of a Source of Sound«, bei dem es sich der Fußnote zufolge um die Zusammenfassung eines Vortrages von William Strutt Lord Rayleigh handelt, den dieser in der Musical Association gehalten hatte165. Als absolute Novität sind Rayleighs genaue Berechnung der Intensitätsdifferenzen des Schalls an beiden Ohren bei seitlichem Schalleinfall und die Herleitung und Darstellung von deren theoretischer Grundlage (Kopf als Hindernis/Abschattung etc.) hervorzuheben. Die Werte jedoch, die sich aus den Experimenten und an-

162 Adam Politzer: Studien über den Paracusis loci; in: Archiv für Ohrenheilkunde XI, 1876, S. 231. Allerdings verändert Politzer den Namen Venturis in »Venturini« und gibt zusätzlich die Quelle fehlerhaft an, sodass man annehmen muss, dass über den Zeitraum von 80 Jahren Venturi als Quelle bereits Legende war. 163 Ebd., S. 231. 164 Ebd., S. 233. 165 Nature, 11.5.1876, S. 32f. Das Datum des Vortrages findet sich nicht in dem Artikel, der Name des eigentlichen Autors auch nicht. Ein Bericht zu den Aktivitäten der Musical Association in den Zeiträumen 1874/75 und 1875/76 erwähnt in der Ausgabe vom 16.11.1876 den Vortrag Rayleighs als herausragend in der zweiten Saison.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 55

schließenden Berechnungen ergeben, sind anhand dieses Berichtes aus zweiter Hand nicht ganz nachzuvollziehen. Zu vermuten ist jedoch, dass Rayleigh sie auf Basis seiner Forschungen ermittelte166, die er 1877 in seiner »Theory of Sound« veröffentlichte, in der er das Thema binaurales Hören und auditive Richtungserkennung aber nicht thematisiert. Im Philosophical Magazine, dem wichtigsten Publikationsorgan für Naturwissenschaft im angelsächsischen Raum167, ist dies jedoch der Fall, wie man seinen Forschungsberichten dazu entnehmen kann, die dort ab 1877 gelegentlich erschienen168. Rayleigh steht also am Anfang umfassender Forschungen zum Thema ›binaurales Richtungshören‹. Im selben Jahr des Rayleigh-Vortrages vor der Musical Association war für Anton Steinhauser das Thema bereits erfolgreich abgeschlossen. Im Jahr darauf trat der aus Graz stammende und an der Wiener Bau- und Maschinengewerbeschule als Professor für Mathematik tätige Forscher seiner selbständigen Publikation »Die Theorie des binaurealen Hörens«169 an die Öffentlichkeit. Sie erhielt internationale Beachtung170 und 1879 sogar eine vollständige Übersetzung im Philosophical Magazine171, obwohl sich ihr Autor bis dahin nicht als Akustiker hervorgetan hatte. Allerdings hatte er schon 1870 eine Schrift zur geometrischen Konstruktion von Stereoskopbildern172 publiziert, von der sich vermuten lässt, dass sie Mach 1875 zu der Bemerkung anregte, dass sich das Richtungshören wie das Sehen stereosko-

166 Der Bericht aus zweiter Hand gibt keine Quellen an und so bleibt nur die Möglichkeit, dass Rayleigh sich auch auf die Messungen Docqs berief. Die Beschreibung seiner Freifeldexperimente legt zudem nah, dass Rayleigh die Experimente Venturis bekannt waren. 167 Vgl. auch Ja Huon Ku: British Acoustics and its Transformation from 1860 to 1910; in: Annals of Science, Vol 63. No.4 (2006), S. 400. 168 Lord Rayleigh: LXI. Acoustical Observation; Perception of the Direction of a Source of Sound; in: Philosophical Magazine (5) 3, S. 456–464. Mit Bezug auf seinen Vortrag und den Artikel in Nature 1876 berichtet Rayleigh von seinen systematischen und rein physikalischen Experimenten. Erst Dekaden später wird er sich wieder dem Thema widmen. 169 Anton Steinhauser: Die Theorie des binaurealen Hörens, ein Beitrag zur Lehre vom Schalle, Wien 1877. Das Vorwort ist mit »November 1876« datiert. 170 Z.B. als vom Autor angefertigte Zusammenfassung im Archiv für Ohrenheilkunde, XII, 1877, S. 62–66 oder als Bericht von C. Daguenet im Journal de Physique, vol. 9, No.8, 1880, S. 33f. 171 Die Publikation erfolgte in zwei Teilen im Philosophical Magazine (5) Vol. 7, 1879, S. 181–197 und S. 261–274. 172 Anton Steinhauser: Über die geometrische Construction der Stereoskopbilder, ein Beitrag zur centralen Projection bearbeitet zum Gebrauche für Techniker und Fisiker, Graz 1870.

56 | D ER HÖRBARE R AUM

pischer Bilder beschreiben ließe173. Ob diese Bemerkung Steinhauser dazu anregte, die behauptete Analogie auch zu belegen, oder ob seine bereits begonnenen akustischen Versuche Mach vage bekannt waren, lässt sich heute nicht mehr klären. Denn einerseits war der von Steinhauser betriebene Aufwand bei der Entwicklung eines neuen akustischen Experimentiergerätes beträchtlich, andererseits aber konnte er auf die von ihm entwickelte neue geometrische Darstellung der Stereoskopie aufbauen, einer am pragmatischen Einsatz orientierten Erklärung des bereits eingeführten Verfahrens zur Herstellung räumlich erscheinender Bilder, das 1838 von Charles Wheatstone erfunden worden war. Entsprechend der Zielrichtung seines Buches konzentrierte sich Steinhauser im Gegensatz zu seinen zahlreichen Vorgängern auch nicht mehr auf die grundsätzlichen Fragen zur Zentralprojektion174, sondern ging hauptsächlich von den bereits vorliegenden Bildern des stereoskopischen Verfahrens aus: Er stellt die beiden leicht verschiedenen Abbildungen einer Szene auf zweidimensionalem, planen Grund geometrisch dar und beschreibt sie. Diese geometrische Darstellung der Verhältnisse zwischen Schallobjekt und dessen unterschiedlicher Position zu beiden Ohren des Hörers, die Steinhauser auch arithmetisch transponiert, macht die wesentliche Neuerung von Steinhausers »Theorie zum binaurealen Hören« aus. Unter der Annahme, dass an beiden Ohren unterschiedliche Lautstärkeverhältnisse bestehen, entwarf er zudem ein Forschungsinstrument (Abb. 4), das es ermöglichte, beide Ohren gleichzeitig zu beschallen und zugleich die Lautstärke auf jeder Seite kontrolliert zu variieren. Das Instrument, das Steinhauser Homophon nennt, bestand aus zwei gleich gestimmten Labialpfeifen in Ohrhöhe, die durch eine gemeinsame Luftzuführung mit einem Blasebalg kontinuierlich mit Luft versorgt werden konnten. In den Gabelungen der Luftzufuhr zu beiden Ohren waren Klappen angebracht. Sie ermöglichten damit die genaue Steuerung der Lautstärke je-

173 Vgl. Fußnote 156, Mach im Archiv für Ohrenheilkunde, 1875, S. 76. 174 Dies ist der Ausgangspunkt der Arbeit Charles Wheatstones (Contributions to the Physiology of Vision, Part the First. On Some Remarkable, and Hitherto Unobserved Phenomena of Binocular Vision, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Vol. 128 (1838), pp. 371–394), der mit Bezugnahme auf die Erkenntnisse Leonardo da Vincis und anderer Renaissancekünstler der Frage nachgeht, wie und unter welchen geometrischen Bedingungen ein räumliches Bild beim Sehen mit zwei Augen entsteht. Wheatstone behandelt jedoch keine komplexen Szenen, sondern das binokulare Sehen einzelner Objekte und untersuchte die geometrischen Unterschiede der Positionen zwischen beiden Augen und dem Objekt.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 57

der Pfeife und die genaue Abstimmung der Lautstärkeverhältnisse an beiden Ohren175. Abbildung 4: Das ›Homophon‹

aus: Steinhauser 1877, S. 11

Den Einsatz des Homophons dokumentierte Steinhauser nicht. Seine wichtigsten Argumentationsbasen sind die geometrischen Szenenanalysen der Schallverhältnisse an beiden Ohren und die Berücksichtigung der Ohrmuscheln und deren (angenommene) Wirkung auf das Schallfeld, die Steinhauser für direkten Schalleinfall und dessen Reflexionen176 durchspielt, sei es in der horizontalen oder in der vertikalen Position der Schallquelle zu den Ohren des Hörers177. Hier von räumlicher Schallwahrnehmung zu sprechen läge nah, denn die Schallverhältnisse im Umfeld des Hörers sind eindeutig räumlich definiert. Gerade Steinhausers Berechnungen für Schallereignisse in der Vertikalen, die vor ihm nur Lincke, Weber und Purkyne thematisch gestreift hatten und die Parallelen zu seiner Schrift zum Stereoskop aufweisen, in der Steinhauser häufig den Begriff Raum verwendet, sprechen dafür. Doch in seiner »Theorie vom binaurealen Hören« verzichtet Steinhauser vollständig auf den Raum-Begriff und spricht ausschließlich von der Wahrnehmung bzw. dem Hören der Richtung. Philosophische Grundsatzdiskussionen konnte seine Schrift damit nicht hervorrufen, wohl aber Fachdiskussionen zwischen Akustikern, Physikern sowie nicht zuletzt auch Ingenieuren und Erfindern, denn wie schon bei seinen Ausführungen zum Stereoskop sind die Darlegungen Steinhausers zum »binaurealen Hören« ebenso wissenschaftlich-theoretisch wie pragmatisch orientiert. 175 Steinhauser 1877, S. 11. 176 Die Wirkung der Schallreflexionen handelt Steinhauser in Punkt 6 seiner Theorie ab (ebd. S. 23–30). 177 Die Frage der vertikalen Position einer Schallquelle behandelt Steinhauser in Punkt 5 seiner Theorie, ebd., S. 18–23.

58 | D ER HÖRBARE R AUM

Die Fachdiskussionen zu Steinhausers Monographie setzen aber erst später ein. Zumindest die drei ebenfalls 1877 veröffentlichten Forschungen zu diesem Thema konnten schon aus zeitlichen Gründen nicht auf Steinhauser Bezug nehmen, und sie sind auch zu verschieden, um einen direkten Bezug erkennen zu lassen. Denn in allen drei Forschungen geht es um die Phasenunterschiede der Klänge an beiden Ohren, die sich aus den verschiedenen Laufzeiten der Klänge von der Schallquelle zum Hörer ergeben. Dass die Lokalisation von Klängen darauf beruhen könnte, war bis dahin nie thematisiert worden und so neu, dass Johannes von Kries und Felix Auerbach in ihrer umfangreichen Studie zur Geschwindigkeit der Entstehung von Sinneswahrnehmungen178, bei der sie die Zeit zwischen Reizentstehung beim Sehen, Tasten und Hören und deren bewusster Empfindung genau maßen, die Phasenunterschiede an beiden Ohren zwar feststellten, für die Lokalisation von Klängen aber verwarfen: »Oder soll man den Phasenunterschied denken, mit dem der Schall das linke und das rechte Ohr trifft? Diese schon an sich sehr unwahrscheinliche Hypothese würde bei genauerem Eingehen, wozu hier nicht der Ort wäre, in sehr große Schwierigkeiten verwickelt werden. Jedenfalls ist die Annahme, dass die relative Schallstärke in beiden Ohren massgebend sei, vorläufig entschieden die wahrscheinlichste.«179 Die beiden anderen Autoren, die 1877 die auditive Lokalisation auf Phasenunterschiede an beiden Ohren zurückführten, nahmen dazu eine andere Position ein. So referierte Alexander G. Bell im November 1877 vor der Society of Arts in London zu seinem Telephon und dessen Einsatzmöglichkeiten180 und berichtete im Zuge seiner umfangreichen Ausführungen auch von Experimenten mit zwei Telephonen, die er kurz zuvor mit seinem Freund Sir William Thomson in Glasgow durchgeführt hatte. Der Versuch galt der Unterstützung von Thomsons Experimenten zu Schallphasen. Bell berichtete, dass mittels Telephon die Phasen nach Belieben gedreht und somit ermittelt werden konnte, dass bei entgegengesetzten Phasen ein genauer Richtungseindruck entstand, der bei gleichen Phasen beider Signale jedoch nicht zu hören war181. Der Physiker Silvanus Thompson ging dagegen das Thema der Rich-

178 Johannes von Kries und Felix Auerbach: Die Zeitdauer einfachster psychischer Vorgänge, in: Archiv für Anatomie und Physiologie, Abt. Physiologie, 1877, S. 297– 378. 179 Ebd., S. 330. 180 Alexander G. Bell: The Telephone, in: Journal of the Society of Arts; No. 1306, Vol. XXVI, v. 30. Nov. 1877, S. 17–24. 181 Ebd., S. 22. Bell berichtet an der Stelle auch von der Fehllokalisation am Hinterkopf.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 59

tungsempfindung auf Grund von Phasenunterschieden systematisch an und veröffentlichte von 1877 bis 1881 insgesamt vier Artikel zu Experimenten zum binauralen Hören im Philosophical Magazine182. Der Verlauf seiner Forschungen ist hier von besonderem Interesse, weil Thompson zahlreiche Experimente, u.a. mit einem eigens entwickelten Forschungsinstrument, durchführte und später auf weitere Forschungen zu dem Thema argumentierend einging. Am Ende stellte er eine Theorie zur Funktion beider Ohren bei der Raumwahrnehmung auf183, in der er die These differenziert und relativiert, derzufolge das binaurale Hören der Schallrichtung auf den unterschiedlichen Phasenzuständen des Schalls an beiden Ohren beruht. Am Anfang von Thompsons Forschungen zum binauralen Hören184 stand der Wunsch, die unerwartete Entdeckung wechselnder Tonhöhen genauer zu untersuchen, die er bei Experimenten zur Schallübertragung mit einem Kautschukschlauch wahrnehmen konnte. Bei seinem Versuch, diese Tonhöhe zu messen, wandte er auf Rat eines Kollegen ein binaurales Versuchssystem mit zwei Stimmgabeln und zwei Schläuchen an, mit dem er systematisch die Tonhöhen und Phasen185 der Stimmgabeln variierte. Dabei stieß er u.a. auf das von der Tonhöhendifferenz abhängige Phänomen der verschiedenen vertikalen Lokalisationen im Kopf186, konnte zugleich aber binaural nur Schwebungen wahrnehmen, während Kombinationstöne nur monaural zu hören waren. Deshalb vermutete Thompson am Ende über das binaurales Hören: »that any means of comparison which may exist in the nerve systems of the ears exists deep-seated in the actual structure of the brain.«187 Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Versuche von Bell und Thomson und dem von ihnen beschriebenen Phänomen der Hinterkopflokalisation widmete sich Thomp182 Silvanus P. Thompson: On Binaural Audition, in: Philosophical Magazine (5), Vol. 4 / 1877, S. 274–276; ders.: Phenomena of Binaural Audition – Part Two, in: Philosophical Magazine, (5) 4–6, 1878, S. 383–391; ders.: The Pseudophon, Philosophical Magazine (5), 5–8 / 1879, S. 385–390; ders.: Phenomena of Binaural Audition – Part III; in: Philosophical Magazine, (5), Vol. 12, 1881, S. 351–355. 183 Ders.: On the Function of the two Ears in the Perception of Space; in: Philosophical Magazine, (5), Vol. 13 / 1882, S. 406–416. 184 Thompson 1877. 185 Thompson hatte den Bericht bereits am 16.8.1877 vor der British Association vorgetragen, also einige Monate bevor Bell und Thomson in Glasgow Versuche mit zwei Telephonen als Erzeuger von Phasendifferenzen anstellten. 186 Thompson 1877, S. 274. Eine Elevation der Im-Kopf-Lokalisation wurde im Jahr darauf auch von Prof. Tarchanow berichtet (Das Telephon als Anzeiger der Nervenund Muskelströme beim Menschen und den Thieren in: St. Petersburger Medicinische Wochenschrift 3. Jg., Nr. 43 v. 29.10.1878, S. 354). Sie wurde erkennbar, wenn ein zweiter Telephonhörer mit derselben Lautstärke wie der erste verwendet wurde. 187 Thompson 1877, S. 276.

60 | D ER HÖRBARE R AUM

son im folgenden Jahr der Frage der binauralen Lokalisation. Wieder experimentierte er systematisch mit den variierten Parametern Tonhöhe, Phase, Intensität und Klangqualität, um zu erfahren, ob es sich um ein physikalisches, ein physiologisches oder ein psychologisches Phänomen handelt188. Die komplexen Untersuchungen, bei denen Thompson neben seinen Kautschukschläuchen zur Übertragung der mit Stimmgabeln erzeugten Töne zeitweise auch zwei Telephone einsetzte, waren nicht minder komplex, sodass Thompson am Ende seine umfangreichen Ausführungen in neun Punkten rekapituliert. Ihnen zufolge sind besonders die Phasenunterschiede für Lokalisationsempfindungen bedeutsam189, wobei er unter Lokalisation aber offenbar immer die am Hinterkopf meint190 und wohl unbeabsichtigt in Punkt »(e)« die laterale Lokalisation (Panoramalokalisation außerhalb des Kopfes) aufgrund von Intensitätsunterschieden anspricht: »If the difference of phase be complete but the intensities unequal, the acoustic ›image,‹ instead of being at the middle of the back of the head, is nearer that ear in which the sound is louder.«191 An dieser Stelle ist aber von Bedeutung, dass Thompsons Experimente gar nicht auf die auditive Wahrnehmung der Umgebung des Hörers zielten, sondern lediglich auf das binaurale Hören: Er spielte dem Hörer die Klänge direkt zu, und zwar entweder an den äußeren Gehörgängen oder per Körperschallübertragung mit mechanischer Anregung der Kopfknochen. Nur ein Jahr später, 1879, hatte sich das geändert192. Unter dem Eindruck von Steinhausers mittlerweile auch in englischer Sprache vorliegender Monographie193 sowie den Überlegungen Rayleighs zum Einfluss des Kopfes auf das Schallfeld194 beschäftigte sich Thompson nunmehr mit der binauralen Wahrnehmung der Umgebung des Hörers. Da sich in seinen Forschungen Phasen- und Tonhöhendifferenzen an beiden Ohren als wichtigste Elemente beim binauralen Hören erwiesen hatten, überprüfte er Steinhausers Theorie mit eigenen Mitteln und unter Beachtung von Rayleighs Überlegungen sowie Steinhausers geometrischen Schallfeldberechnungen. Dazu ent-

188 189 190 191 192 193

Thompson 1878, S. 385. Ebd., S. 391. Ebd., Punkte b, e und f. Ebd. Thompson 1879, S. 384–390. Ebd., S. 385; Anton Steinhauser: The Theory of Binaural Audition. A Contribution to the Theory of Sound; in: Philosophical Magazine, (5) Vol. 7, 1879, S. 181–197 und S. 261–274.; vgl. auch FN 165. 194 Thompson 1879, S. 386; Thompson bezieht sich auf Rayleigh 1876, vgl. auch FN 169 und 170.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 61

warf Thompson ein eigenes Forschungsinstrument, das Pseudophon, eine Art Ohrmuschelumkehrgerät195, mit dem der von hinten einfallende Schall in den Gehörgang geworfen werden konnte196. Tatsächlich konnte die meist zu beobachtende ›Hinterkopflokalisation‹, bei der die Schallrichtung des vorn erzeugten Klangs als von hinten kommend wahrgenommen wird, nun ebenfalls aus der falschen Richtung gehört werden: Wenn die Ohrmuscheln mit dem Pseudophon umgekehrt wurden, wurde der hinter dem Kopf gespielte Klang nun als von vorn kommend identifiziert197. Das Pseudophon als Erzeuger akustischer Illusion funktionierte also perfekt, und die Theorie Steinhausers erhielt durch Thompson eine Verifizierung. Das binaurale Hören erforschte er aber noch weiter. 1881 berichtete er von tonhöhenbezogenen Experimenten des binauralen Hörens, die unter anderem bei Ermüdung zur falschen Richtungserkennung führten198. 1882 fasste Thompson seine gesammelten Ergebnisse zum binauralen Hören in einem umfangreichen Beitrag zum Thema der Funktion der Ohren in Bezug auf die Raumwahrnehmung zusammen199, in dem er den Hörsinn als dritten raumwahrnehmenden Sinn nach dem Tast- und Gesichtsinn bezeichnete200, wenn auch die Theorie der auditiven Raumwahrnehmung noch unvollständig sei201. Diese, so Thompson an späterer Stelle, basiere im Wesentlichen auf den Unterschieden der Schallintensität auf beiden Ohren, doch sei nicht immer der Fundamentalton auch der lauteste eines komplexen Klanges202. Er schloss daher wie viele andere Autoren zu der Zeit auf eine assoziative, also erlernte, auditive Raumwahrnehmung203. Thompsons Integration des Gehörs in die Reihe der raumwahrnehmenden Sinne lässt sich ebenso wie die überwiegende Akzeptanz seiner Theorie 195 Es bestand aus zwei festen Ringen, die von zwei Bügeln über und hinter dem Kopf die Ohrmuscheln andrückten. An den Ringen waren in Blickrichtung vorn je ein rechteckiger Reflektor angebracht und die Ohrmuschel damit quasi nach vorn verlegt: »The intensity of a perceived sound depends upon the amount of space over which the waves are gathered by the external collecting apparatus of the ear« (ebd., S. 387), was er mit geometrischen und arithmetischen Mitteln darstellt, indem er auf die Darstellung von »rays« als Strahlen der Schalls zurückgreift. Damit lehnte er sich an die Darstellungsweise Steinhausers an. 196 Abbildung Thompson 1879, S. 387. 197 Ebd., S. 389. 198 Thompson 1881, S. 355. 199 Thompson 1882, S. 406–416. 200 Ebd., S. 406. 201 »But the theory of the acoustical perception of space is strangely incomplete« (Ebd., S. 407). 202 Ebd., S. 415. 203 Ebd.

62 | D ER HÖRBARE R AUM

von der Schallintensität als physikalischem Kriterium zur binauralen Raumwahrnehmung204 vor dem Hintergrund neuer Ansätze und Ergebnisse aus anderen Fachgebieten und Arbeitsbereichen erklären, ganz besonders aus der sich gerade erst als selbständiges Fach etablierenden Psychologie und der Ingenieursentwicklung (›technische Erfindungen‹). So hatte, wie bereits oben dargelegt, Wundt in der ersten Auflage seiner »Grundzüge der physiologischen Psychologie« das Gehör für bestenfalls fähig gehalten, Richtungseindrücke zu empfinden, sofern Hals und Kopf bewegt würden und dies in Abhängigkeit zu Gesichts- und Tastsinn geschähe. In der erheblich erweiterten zweiten Auflage, erschienen 1880, geht er jedoch mit Verweis auf die Schriften von Steinhauser und Rayleigh aus dem Jahr 1877 erheblich weiter. Die »Localisation der Gehörsvorstellungen« ist ihm nun ein eigenes kleines Kapitel wert205, in dem er die Fähigkeit des Gehörs beschreibt, die Entfernung zu einer Schallquelle und die Richtung des Schalls zu erkennen, »…die Beziehung auf einen bestimmten Ort im Raume [entsteht] immer erst durch die associative Verbindung einer Schallvorstellung von gegebener Richtung mit einer Tast- und Gesichtsvorstellung.«206 Ursache für die auditive Richtungsempfindung seien die unterschiedlichen Schalldrücke an beiden Ohren sowie das binaurale Hören207. Die Darstellung des, wenn auch indirekten, Bezugs der auditiven Wahrnehmung zum Raum bedeutet aber zugleich, dass die Übernahme der philosophischen Vorstellung von der kategorialen Trennung von Raum und Zeit für die Sinneswahrnehmung nicht mehr durchgehalten werden konnte. Dies war der erste Schritt zur intensiveren Erforschung der auditiven Raumwahrnehmung, die in den folgenden Jahren in der

204 Thompson schließt Phasendifferenzen an beiden Ohren zur Richtungserkennung des Schalls immer noch nicht aus: »The author of this paper discovered in 1877, however, that in binaural audition a perception of difference of phase did exist; and the same discovery was made independently in the succeeding December by Prof. Graham Bell and Sir William Thomson.« (Thompson 1882, S. 408) An späterer Stelle führt er die Theorie von A. F. Mayer an, derzufolge eine Differenz der Phasenlage zur Fehllokalisation am Hinterkopf führe (ebd., S. 409), ohne jedoch die Quelle zu nennen. Er beschreibt darauf das von Mayer erfundene Topophon, dessen Bau auf der Differenz von Phase und Intensität an beiden Ohren beruhte (ebd., S. 410), was jedoch in der Form nicht zutrifft (s.u., Haupttext; ferner waren Mayers Untersuchungen zur Richtungserkennung durch Phasendifferenzen an beiden Ohren nicht aufzufinden, nur ein paar Hinweise zu Klangforschung inkl. Phase 1875). 205 Wilhelm Wundt: Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1880 (2. Aufl.), Bd. 2, S. 59–61. 206 Ebd., S. 59f. 207 Ebd., S. 60.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 63

Psychologie und im interdisziplinär ausgerichteten Themenfeld ›Raumwissenschaft‹ begann. Erste Geräte und Patente Die Ingenieurentwicklungen, die Thompson zur weitgehenden Akzeptanz der Schallintensitätsdifferenzen bei der Richtungserkennung brachten, entstanden etwa zeitgleich. So meldete Alfred F. Mayer, Professor am Stevens Institute in New Jersey, USA, am 30.9.1879 sein Topophon in Washington zum Patent an, das ihm am 3.2.1880 mit der Nummer 224,119 erteilt wurde. Die Apparatur unterschied sich im Prinzip nur wenig von dem Gerät, das Purkyne in Anlehnung an Alisons Differentialstethoskop baute und das seitdem auch von anderen Forschern in jeweils eigenen Varianten eingesetzt wurde. Mayer hatte es als Gebrauchsinstrument zur Richtungserkennung von Schall weiterentwickelt, ersetzte aber den von Purkyne gelegentlich eingesetzten Gummiball, in dem alle verwendeten Schläuche zusammenliefen, durch einen einzelnen Schlauch, eine Art ›Mischeinheit‹, in der die Schallwellen miteinander interagierten. Nach Mayer führte die Interaktion der Schallwellen zu hörbaren Augmentationen oder Diminuationen der Intensitäten – letztlich also Interferenzen208 bzw. Schwebungserscheinungen209 – sofern sie nicht in gleichem Abstand zur Schallquelle standen. Die Richtungserkennung erfolgte daher über die Suche nach dem schwebungsfreien Schallzustand mittels Drehung des Gerätes oder der Person, die es trug. Mit Hilfe von Zeigern konnte er relativ einfach gefunden werden210, sofern das Topophon zuvor auf den Klang der gesuchten Schallquelle eingestimmt worden war211. Diese Einstimmung wurde erreicht, indem die zwei schallaufnehmenden Trichter, die Mayer als »Resonatoren«212 bezeichnet, im horizontalen Abstand zueinander verschoben wurden.

208 Alfred F. Mayer: Topophone, US Patent, S. 1, Z. 33f. 209 »Pulse« bezeichnet das die Zeitschrift The Manufacturer and Builder in beiden Beschreibungen des Gerätes: The Topophone, in: ebd., Nr. 4, Vol. 12 (1880), S. 79 und in: The Topophone, or Sound-Placer, ebd., Nr. 11, Vol. 12 (1880), S. 254. 210 Mayer US 244,199, Figur 4 der Erfindung, Beschreibung für das stationäre Gerät S. 2, Z. 11–15 und für das tragbare Gerät S. 2, Z. 36–41. 211 Ebd., Z. 17f. 212 Ebd., Z. 16f.

64 | D ER HÖRBARE R AUM

Abbildung 5: Das ›Topophon‹ von Alfred F. Mayer

aus: Patent US 224,199

Die Handhabung des Topophons war also durchaus kompliziert. Grund dafür sind die akustischen Prinzipien, auf denen es beruhte. In der für Patente üblichen formalen Sprache und Darstellungsweise beschreibt Mayer die Wirkungsweise des zentralen Hörschlauches, in denen die Schallwellen beider Seiten miteinander interagierten, als intensitätsbezogen213, auch wenn sich bei ungleich langen zulaufenden Schläuchen die Intensität durch die verschiedene Phasenlagen verändere214. Der Unterschied zu Steinhausers

213 Ebd., S. 3, Z. 59f. 214 »I may employ resonators or resonant cavities, or ear trumpets or tubes, or boxes, or any other vibrants or sound-receivers capable of acquiring by application to the

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 65

Schrift, die von im Gehör verglichenen Intensitätsunterschiede des Schalls an beiden Kopfseiten ausgeht, ist offenkundig. Tatsächlich nahm Mayer wohl ausschließlich auf seine eigenen Forschungen Bezug, die er 1874–1876 im Philosophical Magazine publiziert hatte215. Hier ging es ihm vornehmlich um Forschungen zu Tonhöhe, komplexen Klängen und Musik sowie deren Wahrnehmung, wobei er wie viele seiner Zeitgenossen bei Hermann v. Helmholtz ansetzte und auch dessen ›Anwendungsbezug‹, das Musikhören, explizit thematisierte. Im Umfeld dieser Forschungsthematik und deren spezifischer Zugangsweise behandelte Mayer am Ende seiner Artikelserie das Thema »Applications of the Interferences of Sonorous Sensations to Determinations of the Relative Intensities of Sounds«216 mehr als Ausblick auf zukünftige Forschung denn als bereits gesichertes Resultat. Darin ging es ihm um Musikinstrumente und ihren im Hinblick auf ein optimales Klangergebnis funktionsspezifischen Bau (Solo oder Tutti), und er beschloss die Serie: »It is evident (by way of illustration) that, so far as concerns the measure of the relative intensities of sounds of the same pitch, this problem has already received the simplest solution by merely placing these sounds at various distances and obliterating the sensations they excite by means of a constant and standard sound of a lower pitch. But I reserve a description of this work for a more formal publication.«217 Ob man den letzten Satz so verstehen kann, dass Mayer das Topophon, dessen Anwendungsbereich er in der zivilen Schifffahrt sah, zu diesem Zeitpunkt bereits entwickelt hatte, liegt im Bereich der Vermutung. Doch das Funktionsprinzip des Topophons ist eindeutig zu erkennen und damit wird auch erklärbar, warum Mayer seine Erfindung nicht auf der Basis von Steinhausers Untersuchungsergebnissen entwarf: Er war schon lange mit seinen

sound-wave surface like phases of vibration therewith, and reflecting or transmitting such vibrants through confluent tubes to a single pipe or chamber, wherein the vibrations may conspire if the confluent tubes are of equal length, or interfere if the confluent tubes are of unequal length, and thus, as the case may be, either augmented of or diminish the intensity of the sound transmitted from the pipe to the ear of the observer at the instant when the two sound-receivers simultaneously touch the same sound-wave surface.« (Ebd., S. 2, Z.112–127). 215 Alfred F. Mayer: Researches in Acoustics, No. V, in: Philosophical Magazine, Ser. 4; Vol. XLVIII, 1874, S. 266–274; S. 371–385; S. 445–452; ders.: Researches in Acoustics, No. VI, in: Philosophical Magazine, (4), Vol. XLIX, S. 352–365; ders.: Researches in Acoustics No. VII; in: Philosophical Magazine, (4), Vol. XLIX, 1875, S. 428–432; ders.: Researches in Acoustics Vol. VIII, in: Philosophical Magazine, (5), Vol II, 1876, S. 500–507. 216 Mayer 1876, S. 507. 217 Ebd.

66 | D ER HÖRBARE R AUM

eigenen Forschungen und deren Ergebnissen vertraut. Es wird dennoch nicht ganz einfach für ihn gewesen sein, aus der Grundlagenforschung heraus die Schritte zur Erfindung eines einsatzfähigen Gerätes zu machen und ein Verfahren zu entwickeln, mit dem die Ergebnisse der Grundlagenforschung zuverlässig nutzbar wurden. Tatsächlich enthält der erste Bericht über einen Test des Topophons in der Zeitschrift The Manufacturer and Builder auch ein paar Bemerkungen der eingeladenen Mitglieder des »Lighthouseboard« über die eingeschränkte Zuverlässigkeit des Gerätes bei der exakten Lokalisierung218. Doch zeigt die Vielzahl späterer Patente für Topohone, Eophone oder Schallweiser, die alle ebenfalls für den Einsatz in der Seefahrt entwickelt wurden219, dass es einen Bedarf nach Geräten zur Lokalisierung von schallemittierenden Objekten gab und dass diese durchaus verbesserungswürdig waren, und zwar unabhängig davon, nach welchen akustischen Prinzipien sie beruhten. Es spricht für sich, dass das erste Verfahren zur Lokalisierung von Schallquellen mittels eines Schallweisers, der nach dem Prinzip der Intensitätsdifferenzen funktionierte, 1890 patentiert wurde220 und dass dieser Schallweiser wie auch die anderen hier genannten Geräte und Verfahren keineswegs die Schallorte lokalisierte, sondern lediglich die Schallrichtung möglichst genau bestimmen sollte, da die zur Lokalisierung nötige Entfernung bei den Geräten noch gar nicht thematisiert wurde. Zur Zeit der ersten Patentierung von akustischen Richtungshörern für die Seefahrt, deren Bau auf dem Prinzip der Intensitätsdifferenzen beruhte, hatte Steinhausers Entdeckung schon längst in einem anderen patentierten und funktionstüchtigen Gerät international für öffentliches Aufsehen gesorgt. Bereits 1881 hatte der französische Erfinder und Betreiber der im Jahr zuvor gegründeten Telephongesellschaft Société Générale des Téléphones Clément Ader ein räumliches Übertragungssystem mit dem Namen Théâtrophone221 (Abb. 6) entwickelt und auf der internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris der Öffentlichkeit präsentiert. Die Besonderheit des komplexen Gerätes zur Übertragung von Theateraufführungen mittels Telephon bestand da-

218 The Topophone, in: The Manufacturer and Builder, Nr. 4, Vol. 12 (1880), S. 79. 219 Z.B. Frank Della Torre: Eophone, US Patent 441,860 v. 2.12.1890 (eingereicht 2.4.1890) = DE 56223 v. 20.3.1890 (ausgegeben 8.5.1891); David Porter Heap: Sound Locating Instrument, US Patent 564,926 v. 28.7.1896 (eingereicht 9.4.1896) = Vorrichtung zum Erkennen der Ursprungsrichtung eines Schalles DE 97229 (ohne Abb. der Kappe) v. 29.7.1896 (ausgegeben 27.5.1898); ders.: Topophone, US Patent 590,062 v. 14.9.1897 (eingereicht 22.10. 1896) = Schallweiser mit zwei akustischen Empfängern DE 99667 v. 15.9.1897 (ausgegeben 18.10.1898). 220 Della Torre US 441,860. 221 Titel des deutschen Patentes.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 67

rin, dass den Hörern zwei verschiedene Signale auf den Schallbechern ihrer Telephone zur Verfügung standen. »Die Sender werden auf der Bühne in zwei Serien eingetheilt, eine linke und eine rechte und einer der beiden, beim Abonnenten befindlichen Empfangsapparate ist mit einem Sender der einen Serie, der andere mit einem Sender der zweiten Serie verbunden. Auf diese Weise kann der Hörer mit beiden Ohren die verschiedenen Laute verfolgen und die Variationen der Intonation, welche er mit beiden Ohren hört, entsprechen in der That den Bewegungen und Ortsveränderungen der Schauspieler auf der Bühne. Dieses doppelte Hören der durch die verschiedenen Apparate aufgenommenen und weitergegebenen Laute ist in Bezug auf die erzielten Effecte analog demjenigen, was das Stereoskop für das Sehen ist.«222 Neben dem Bezug auf Steinhauser, dessen Schrift 1879 ja in vollständiger englischer Übersetzung vorlag und 1880 in einer kurzen französischen Zusammenfassung verbreitet worden war223, kommt auch eine Publikation von Bell als Quelle für Aders Erfindung in Betracht224. Bell berichtet dort von stereoskopen Effekten225 bei seinen umfangreichen und systematischen binauralen Versuchen mit zwei aufnehmenden Telephontrichtern, die beim Abhören mit nur einem Ohr nicht auftraten, und belegte dies mit den Messdaten226. Er erwähnte dabei auch seine 1879 in England unternommenen Versuche und von dem dort aufgetretenen Effekt, für den er erstmals, aber nur dieses eine Mal, den Terminus »stereophonic«227 verwendet. Diesen Begriff findet man in den beiden vorliegenden Versionen von Aders Patent nicht, was jedoch nicht bedeuten muss, dass Ader nichts von Bells Versuchen wusste. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass Bell die im Jahr zuvor er-

222 Clément Ader: Neuerungen an Telephonanlagen für Theater, DE 18741 v. 30.8.1881 (ausgegeben 30.8.1882), S. 1 = ders.: Telephonic Transmission of Sound from Theatre, US Patent 257,453 v. 9.5.1882 (eingereicht 13.1.1882), S. 1, Z. 8–42 in leicht veränderter Textkonstruktion. Die erste Textseite des US Patentes führt darüber hinaus die erste Patentierung des Théâtrophons in Frankreich am 9.8.1881, sowie die deutsche (s.o.) und weitere Patenterteilungen auf (Belgien 29.8.1881, England 1.9.1881, Italien 13.9.1881), jedoch ohne exakte Titel- und Nummernangaben, sodass nur das deutsche und das US Patent recherchiert werden konnten. 223 Vgl. FN 170 und 193. Steinhauser beschreibt die Analogie zur Stereoskopie (1877, S. 11; 1879 (englische Fassung) S. 188). 224 Alexander Graham Bell: Experiments Relating to Binaural Audition, in: The American Journal of Otology, Vol. II, No. 3, July 1880, S. 169–179. 225 Ebd., S. 169. 226 Ebd., Tabelle III und IV, S. 177; insgesamt enthält der Artikel acht Tabellen mit den Messdaten der Testreihen, bei denen übrigens auch die üblichen Probleme bei der Mittenerkennung sowie Elevationseffekte auftraten (S. 175). 227 Ebd., S. 169.

68 | D ER HÖRBARE R AUM

folgte Veröffentlichung des St. Petersburger Arztes Dr. Tarchanow über binaurale Versuche mit dem Telephon als Experimentierinstrument kannte228. Abbildung 6: Das ›Théâtrophon‹ von Clément Ader: Zeichnung der Telephone am Bühnenrand; ihr ist zu entnehmen, dass die zwei Kanäle so zusammengestellt wurden, dass sich immer dieselben Abstände ergaben.

aus: Patent DE 18741

Wie auch immer die genaue Vorgängerschaft und deren direkter Bezug zu Aders Erfindung ausgesehen haben mag: Er hatte als erster ein einsatzfähiges System konstruiert, mit dem Klänge und Musik in ihren räumlichen Aspekten übertragen werden konnten, und dies auch anhand seiner im Jahr zuvor patentierten Telephone erfolgreich bewiesen. Der Aufwand war enorm. Für die internationale Elektrizitätsausstellung, die vom 11.8. bis zum 17.11.1881 dauerte, hatte Ader 42 Telephonpaare von der Opéra Comique 228 Tarchanow (1878) hatte physiologische Wahrnehmungsversuche angestellt, in denen er sich zwar auf Silvanus Thompson bezog, ohne sich jedoch weiter mit dem Gebiet der Physik zu beschäftigen.

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 69

und dem Theâtre Français in zwei Räume des Ausstellungsgebäudes, den wenige hundert Meter entfernten Industriepalast, verlegen lassen. Die Übertragung funktionierte sehr gut, Musik und Sprache waren hervorragend verständlich – darunter auch die des Souffleurs, wie Théophonse du Moncel, der Herausgeber der Lumière Éléctrique, ein wenig hinterhältig zu Beginn seiner zweiseitigen umfangreichen Beschreibung des Systems notierte229, die sowohl Zeichnungen aus dem Patent enthält wie die Beschreibung der Analogie zum »stéréoscope«230. Nur drei Tage später veröffentlichte die Zeitschrift eine illustrierte Beschreibung der Abhörsäle zusammen mit dem Hinweis, dass Ader an den spielfreien Tagen der Oper Blasmusik übertragen würde231, sowie eine genaue Darlegung der etwas problematischen klanglichen Abbildungsverhältnisse, die sich zwangsläufig aus der seriellen Aufstellung der Aufnahmeeinheiten ergaben232. Der Publikumserfolg war dennoch groß: Ganze zwei Minuten233 durfte jeder Hörer der Präsentation lauschen und in einigen internationalen Zeitschriften erschienen Berichte über die spektakuläre Novität234. Die Berichte der folgenden Jahre zur Weiterentwicklung von Telephonübertragungen aus Theatern legen nahe, dass es zunächst bei Experimenten mit kurzen Abhörzeiten für das Publikum blieb. Nur drei Minuten gestand man den Hörern in der Ausstellung in St. Petersbug 1883235 zu, in der eine modifizierte Version von Aders System präsentiert wurde. Um die Abbildungsproblematik zu vermeiden, wurden hier insgesamt acht Mikrophone mittig und auf den Seiten aufgestellt und auf 40 Telephone verteilt, sodass 20 Personen gleichzeitig die Übertragung in identischer Qualität hören konnten236.

229 »On pourrait même dire qu’on entend trop bien, car les paroles du souffleur se disdinguent d’une manière désolante.« Théophonse du Moncel, in: Lumière Éléctrique, Vol. 5, No. 50, 21.9.1881, S. 375. 230 Ebd., S. 376. 231 Lumière Éléctrique, Vol. 5, No. 51, 24.9.1881, S. 391f. 232 Die Aufnahmeeinheiten nahmen natürlich die ihnen nächstgelegenen Klänge lauter auf als die entfernteren, sodass das gesamte Klangbild je nach Stellung der beiden zusammengehörigen Aufnahmeeinheiten variierte. 233 Angabe nach Lumière Éléctrique, vol. 9, No. 21, 26.5.1883, S.122 (s.u.), die die Zahl retrospektiv angibt. 234 Wie in Scientific American, 14.1.1882, S. 5022; Übernahme der Information aus der Lumière Éléctrique. 235 Dass das Théâtrophon ausgerechnet in St. Petersburg und nicht in anderen Städten versuchsweise installiert wurde, lag möglicherweise an den binauralen Versuchen Tarchnaows mit Telephonen seit 1878 (s.o.). 236 Les auditions téléphoniques théatrales en Russie, Lumière Éléctrique, vol. 9, No. 21, 26.5.1883, S. 119–121.

70 | D ER HÖRBARE R AUM

Wie die Verteilung auf zwei Kanäle technisch erfolgte, bleibt ungenannt, doch muss es sich um eine stereophone Übertragung gehandelt haben. Von der Telephonübertragung aus der Lissaboner Oper in die Privaträume des portugiesischen Königs lässt sich dies bestenfalls vermuten, weil 6 Mikrophone eingesetzt wurden237. Nicht weniger als 50 Mikrophone ließ Sir Augustus Harris 1891 in der Oper in Covent Garden installieren und per Telephon an fünf Orte seines Hauses inklusive der Ställe übertragen238: Zunehmend verliert sich in den Berichten die Idee des binauralen Hörens und stereoskop-ähnlicher Tonaufnahmeverfahren im Verlauf nur weniger Jahre zugunsten der reinen Aufwandsbeschreibung. So war William Henry Preece und Julius Maier die Anwendung von Telephonen zur Musik- und Opernübertragung in ihrem umfangreichen Buch »The Telephone« zwar ein eigener Abschnitt wert, doch beschränkten sie sich auf eine Zusammenfassung des Artikels von Moncel zu Aders Opernübertragungen auf die kurze Darstellung des Prinzips der zweikanaligen Übertragung und dessen anschaulicher Beschreibung239. Und als 1892 die von Clément Ader gegründete Théâtrophon-Gesellschaft unter neuer Direktion ihre Geschäfte mit einem Abonnenten- und einem minutengenauen Bezahlservice die kommerzielle Telephonübertragung aus Theatern aufnahm, waren Aufnahme- und Übertragungsverfahren kein Thema der Berichterstattung mehr; selbst die Abbildungen des Abhörgerätes zeigen nur einen Kopfhörer240, sodass man auch vermuten könnte, die Ära des stereophonen Tonaufnahme- und -übertragungsverfahren sei bereits vorbei. Diese Einschätzung wird durch das erste Kunstkopf-Patent aus dem Jahr 1926 in Paris gestützt. Sein Erfinder Jean Maire beschreibt es als Novität, die erstmals binaurale Telephonübertragungen ermögliche; ein unbedingter Vorteil, denn bisher sei es den Hörern bei Theaterübertragungen unmöglich gewesen, die Position und Bewegungen der Schauspieler auf der Bühne zu erfassen241. Dies spricht klar gegen jede Form stereophoner Aufnahme- und 237 238 239 240

Opera by Telephone, in: Scientific American v. 14.6.1884, S. 373. Telephone, Western Electrician, 12.9.1891, S. 155. William Henry Preece und Julius Maier: The Telephone, London 1889, S. 460–464. Théâtrophon Service in Paris, Western Electrician v. 14.5.1892, S. 288. In zahlreichen Abbildungen der Zeit finden sich auch solche, die Hörer mit zwei Kopfhörern darstellen. Dies bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass sie stereophone Übertragungen hören. Zumindest Telephontypen, die über zwei an Kabeln befestigte Trichter verfügten, waren Mikrophon und Kopfhörer meist baugleich und somit konnte zwei Trichter auch als Kopfhörer verwendet werden, um damit die Geräusche im Haus des Hörers zu übertönen. 241 »La présente invention est relative à un dispositif à réaliser pratiquement l’audition téléphonique bi-auriculaire. On sait que si, jusqu’à ce jour, les auditions de pièces de

D IE E NTDECKUNG DES HÖRBAREN R AUMS

| 71

Übertragungstechnik des Théâtrophons, das sich zu jener Zeit aufgrund des flexibleren Rundfunkangebotes bereits im Niedergang befand. Tatsächlich wird man wohl nur den technischen Aufwand für alltagstaugliche stereophone Telephonübertragungen bedenken müssen, um zu bezweifeln, dass Aders spektakuläre Demonstrationen seit 1881 sowie die weiteren hier aufgeführten Beispiele zur alleinigen und weltweiten Praxis in allen Nachrichten- und Unterhaltungsübertragungssystemen wurden, die später schnell vom Rundfunk verdrängt wurde. Vor diesem Hintergrund kann man die Erfindung Jean Maires auch als Versuch verstehen, dem monophon übertragenden Rundfunk einen deutlichen Vorteil entgegenzusetzen. Ob sie sich aus Aders Patenten speiste, die selbst auf Steinhausers mathematischer Darlegung des Richtungshörens basierten, oder aus den zahlreichen Versuchen und Erfindungen von Richtungshörern, die im 1. Weltkrieg Anwendung fanden, sowie aus allen weiteren wissenschaftlichen Arbeiten zur Richtungs- und Raumwahrnehmung, die seit 1881 in Vielzahl entstanden, sei dahin gestellt. Die ersten technischen Geräte, mit denen eine auditive Lokalisation von Schallquellen betrieben wurde, waren kaum mehr als Attraktionen, die nicht nur aufgrund der mangelnden Trägertechnologien noch nicht alltagstauglich waren. Es fehlte auch an Basiswissen zum Raum- und Richtungshören, aus dem sinnvolle Verfahren für technische Anwendungen hätten abgeleitet werden können.

théâtre transmises par téléphone ave ou sans fil reproduisaient fidèlement les paroles prononcées par les acteurs, elles ne permettaient pas de situer leur position en scène et de suivre les déplacements des acteurs en scène.« Brevet d’ invention No. 616.677 Dispositif permettant l’audition téléphoniques bi-auriculaire, démandé 26.5.1926, ausgegeben 30.10.1926, S. 1, Zeile 1–9.

Grundlagenforschung und Erfindungen zum räumlichen Hören ab 1881

Nachdem in der vorangegangenen Dekade der Großteil der Veröffentlichungen aus dem Fachgebiet Physik und Technik stammte, konzentrierten sich die neuen Forschungen auf die Fächer Medizin/Physiologie und Psychologie, was an der steigenden Zahl der Veröffentlichungen abzulesen ist. Dabei verschoben sich auch Fragestellungen und Forschungsinteressen. Dies war einerseits den Fachdifferenzierungen und deren spezifischen Ansätzen geschuldet, andererseits lag es aber auch an den neuen technologischen Möglichkeiten, die in den Experimenten zur Anwendung kamen sowie an den Forschungen zum räumlichen Hören im Kontext umfassender Hypothesen wie denen der Physiologen. So war im Zuge der intensiven Erforschung des Labyrinths und der Bogengänge, die zum Hörorgan zählen, deren Funktion zur Wahrung des Gleichgewichts erkannt worden und deshalb vermutete man hier den Sitz des »Raumorgans« oder gar des »Raumsinns«. Am Rande dieser komplexen Fragestellungen geriet das räumliche Hörvermögen des Menschen ins Blickfeld, das nun mit neuen Perspektiven erforscht und vermessen wurde. Die ersten Versuche setzten sich jedoch nur wenig von denen der Vorgänger ab. Anna Tomasziewicz beispielsweise beschäftigte sich in ihrer 1877 publizierten Dissertation zum Ohrlabyrinth1 auch mit akustischen Erscheinungen2 und führte dazu auch einige Schallrichtungsversuche mit bedeckten Ohrmuscheln und/oder verstopften Gehörgängen mit luft- und wasserübertragenem Schall durch. Ihre spezielle Auswertung galt dabei den Richtungstäuschungen, die im Durchschnitt nur in 1 von 31 Fällen vorkamen, vornehmlich beim Vertauschen des von vorn oder hinten auftreffenden

1 2

Anna Tomasziewicz: Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinths, Diss. Zürich 1877. Ebd., S. 72f., dort zunächst nur im Rahmen der Darstellung des Forschungsstandes.

74 | D ER HÖRBARE R AUM

Schalls3 – das bekannte Resultat mithin, nur ermittelt mit geänderten Forschungstechniken.

1881 – 1900 Otologie und Physiologie Ab 1881 gingen Ohrenärzte und Ohrphysiologen in ihren Forschungen zunehmend andere Wege. In einem umfangreichen Bericht zu Ermüdungserscheinungen nach intensivem Hören oder extrem lauten Schallereignissen beschrieb der Wiener Professor für Ohrenheilkunde Viktor Urbantschitsch eine Vielzahl von Hörversuchen, darunter auch einige zum Richtungshören4. Im Rahmen dieser Versuche hatte er vor die Ohren gehaltene oder auf den Kopf gesetzte Stimmgabeln ebenso benutzt wie die nun schon bekannten Hörschläuche, die neben Purkyne und Mach auch weitere Forscher und Wissenschaftler verwandt hatten. Und ebenso wie diese erforschte er auch die subjektiven Hörfelder, also auch die Im-Kopf-Lokalisation (IKL), die ja erst durch die Schläuche hervorgerufen wird. Dabei war Urbantschitsch die Bedeutung verschiedener Schallfelder an beiden Ohren offenbar nicht klar, denn seine binauralen bzw. binotischen Versuche führte er teilweise mit einem T-förmigen Schlauchansatz durch: Je eine Seite wurde zu den Ohren geleitet und nur eine Seite galt der Schallaufnahme, sodass beide Ohren denselben Klang präsentiert bekamen5, während er andere Versuche mit zwei direkt angesprochenen Schläuchen durchführte6. Doch die Untersuchung der auditiven Richtungsbestimmung stand nicht im Zentrum seines Interesses 7. Für Johannes Kessel, der zeitweilig bei Mach in Prag studiert hatte und nun in Graz Privatdozent für Ohrenheilkunde war8, stand sie 1882 dagegen 3 4 5 6 7

8

Ebd., S. 90f., eine genaue Differenzierung der Täuschungen pro Richtung nimmt Tomasziewicz nicht vor. Viktor Urbantschitsch: Zur Lehre von der Schallempfindung; in Pflügers Archiv, 24, 1881, S. 574- 595. Ebd., S. 580. Ebd., S. 576. So berichtet er in dem Artikel »Über die Wechselwirkungen der innerhalb eines Sinnesgebietes gesetzten Erregungen«, in: Pflügers Archiv, 31, 1883, S. 280–309 von weiteren Hörversuchen, in denen er die Hörfähigkeit beider Ohren auf verschiedene Weise miteinander vergleicht, ohne jedoch die Interaktion beider Ohren bei der Richtungserkennung zu thematisieren (ebd., S. 280–286). Angaben nach: Österreichisches Biographisches Lexikon, 1815–1950, Bd. 3, Wien 1964, S. 310.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 75

sehr wohl im Mittelpunkt des Interesses, und zwar in seinen systematischen Experimenten zur Funktion der Ohrmuschel, der er einen bedeutenden Anteil bei der auditiven Raumwahrnehmung zuschrieb9. Die erste Reihe seiner Versuche führte er mit den bereits bekannten Hörschläuchen durch, um die Funktion der Ohrmuscheln auszuschalten und das Richtungs- bzw. Raumhören als solches zu untersuchen. Zunächst bewies er die sehr feine Intensitätsdifferenzierung der Ohres sowie die Lokalisation auf der Basis des größeren Schalls10, die sogar dann richtig erfolgte, als er den Schall mit einem Hohlspiegels auf die andere Kopfseite ›umgeleitet‹ hatte11. In einem zweiten Schritt stellte Kessel Lokalisationsversuche mit dem monauralen Hören an und definierte dabei erstmals Orientierungspunkte: die aufeinander senkrechten Achsen »Gehörgangsaxe … Medianaxe … Verticalaxe«12. Mit diesen Begriffen konnte der Schallort der Klangquelle – eine schwere, lang klingende Stimmgabel bzw. ihre Bewegungsrichtung – genau bestimmt werden. Mit einseitig verschlossenem Ohr untersuchte Kessel das Hörfeld bis zur kleinsten wahrnehmbaren Hörschwelle und verglich das Ergebnis mit Resultaten von Versuchen mit angedrückter Ohrmuschel bzw. mit durch die Hohlhand »verstärkter« Ohrmuschel. Dabei stellte er nicht nur die Verschiebung des Hörfeldes nach hinten bei angedrückter Ohrmuschel fest, sondern auch die Verschiedenheit des Hörfeldes in Abhängigkeit von der Frequenz der Schallquelle13. Diese und andere beobachtete Effekte blieben beim binauralen Hören bestehen14. In der Summe waren Kessels Ergebnisse jedoch noch zu unspezifisch, während andere Angaben z.B. zur Vorne-HintenVertauschung15 gar keinen Neuigkeitswert besaßen. Bedeutend an seinen Untersuchungen ist jedoch die Systematik seines Vorgehens, insbesondere 9 10 11

12 13 14 15

Johannes Kessel: Ueber die Function der Ohrmuschel bei den Raumwahrnehmungen, in: Archiv für Ohrenheilkunde 18, 1882, S. 120–129. Ebd., S. 120f. Ebd., S. 122. Dieser Versuch ist neuartig, obwohl Thompson 1887 bereits mit Schallreflektoren (Pseudophone) experimentierte hatte und wurde ohne die Hörschläuche vorgenommen. »Hängt man eine Taschenuhr in der Axe eines Hohlspiegels auf und schaltet den Kopf zwischen Spiegel und Uhr so, dass beide Ohren ihnen zugewendet sind, und bringt dann die Uhr in eine solche Entfernung, dass die im Brennpunkte reflectierten Strahlen das ihm zugewendete Ohr stärker erregen, als das von den directen Strahlen getroffene, aber schwächer erregte Ohr, so wird das ticken nach dem Spiegel verlegt; nähert man nun die Uhr dem ihm zugewendeten Ohr soweit, dass die direct einfallenden Schallstrahlen dasselbe stärker erregen, als die reflectierten das andere Ohr, so tritt eine Umkehr der Verlegung ein.« (Ebd.) Ebd., S. 123. Ebd. Ebd., S. 124f. Ebd., S. 126.

76 | D ER HÖRBARE R AUM

die Definition der Fixpunkte (»Axen«), die eine genauere und differenziertere Untersuchung des räumlichen Hörbereiches ermöglichte. Kessel definierte je einen »vorderen, hinteren, unteren, oberen und einen mittleren oder directen Hörbereich«16: Die Erforschung der Richtung auf horizontaler Ebene der Ohren war bei ihm zur Erforschung des dreidimensionalen hörbaren Raums um den Kopf herum geworden17. 1887 veröffentlichte der Jenaer Physiologe William Thierry Preyer ebenfalls eine umfangreiche Forschungsarbeit zu dem Themenbereich18, deren Versuche teilweise von seinem Schüler Karl Schäfer durchgeführt worden waren19 und im selben Jahr noch durch eine zweite Untersuchung seines Schülers Felix Arnheim bestätigt wurden20. Ziel dieser Arbeiten war die genaue Bestimmung der ungleichen Lokalisierung in der Schallrichtungswahrnehmung im Hinblick auf die Funktion der Bogengänge, dem Gleichgewichtsorgan21. Hier vermutete man auch den Sitz des Raumorgans22. In den Untersuchungen Preyers und Schäfers wurde dies an nicht weniger als 26 Schallrichtungen und deren Wahrnehmung mit »siebzehn gut hörenden und sicher urtheilenden erwachsenen Individuen beiderlei Geschlechts«23 gemes-

16

17

18

19 20

21 22

23

Ebd., S. 124. Die grammatische Konstruktion des Originalsatzes ist extrem ungewöhnlich (Bereich als Neutrum) und wurde zur besseren Lesbarkeit hier geändert (Bereich als Masculinum). Dies ist auch in dem direkt folgenden, ebenfalls von Kessel verfassten Artikel »Ueber die Verschiedenheit der Intensität eines linear-erregten Schalles in verschiedenen Richtungen« (S. 129–136) der Fall, in dem es jedoch hauptsächlich um die Gründe von Richtungsirrtümern bei Direktschall am Schädelknochen geht. Kessel erforschte sie, indem er mit einer Stimmgabel oder anderen Schallerregern verschiedene Stellen des Schädels direkt in Schwingung versetzte. Auch hier sind wieder die Vielzahl der verschiedenen Versuche und die Differenzierung der Problematik bemerkenswert. William Thierry Preyer: Die Wahrnehmung der Schallrichtung mittelst der Bogengänge, in: Pflügers Archiv (Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Thiere), XL, 1887, S. 586–622. Schäfer bearbeitete das Thema später auch eigenständig weiter, s.u. Felix Arnheim: Beiträge zur Theorie der Localisation der Schallempfindungen mittelst der Bogengänge, Jena 1887 in: Virchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin, Bd. 107 (Separatdruck). Preyer 1887, S. 587. Vgl. die Forschungen von Elias v. Cyon, z.B. Les organes périphériques du sens de l’espace, in: Comptes rendu des Séances de l’Académie des Sciences, 1877 oder Pierre Bonnier: L’orientation auditive, in: Bulletin Scientifique au Département du Nord, 2. Serie, 7-8. annee, Paris 1884, S. 11-29, die beide noch lange diese Theorie verfolgten. Preyer 1887, S. 588.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 77

sen; Arnheim testete später noch einmal 12 männliche Kommilitonen24. In diesen Messungen ging es darum, mit geschlossenen Augen25 die richtige Schallrichtung anzugeben. Dazu wurde den Versuchspersonen die eigens konstruierte Schallhaube aus Drahtgeflecht mit 26 gleich langen stacheligen Enden aufgesetzt (Abb. 7), wobei die Enden die Punkte markierten, an denen die Schallquelle – meist ein cri-cri26 – angesetzt wurde. Es bestanden also definierte und damit vergleichbare Bedingungen. Erfragt wurde vom Versuchsleiter die wahrgenommene Richtung und später gab er die Winkelgröße an, sofern diese nicht dem Ort der Schallquelle entsprach. Abbildung 7: Schallhaube

aus: Preyer 1887, S.587

Die Auswertung der vollständig dargelegten Versuchsergebnisse war sehr komplex und folgte neuen, statistikbasierten Kriterien. Preyer und anderen Forschern ging es letztlich um die Feindifferenzierung der Fehlerhaftigkeit in der Richtungswahrnehmung. Ihre Versuche erbrachten aber ein uneinheitliches Bild, sieht man davon ab, dass es keine Richtungsvertauschungen von rechts nach links und umgekehrt gab27. Nur durchschnittlich 30% exakt richtige Ergebnisse wurden ermittelt, die je nach Richtung zwischen 65 und 18% 24 25

26 27

Arnheim 1887, S. 3. Von den geschlossenen Augen ist erst auf S. 594 (Preyer 1887) die Rede, doch ist bei der Beschreibung der Versuche und der Schallhaube auf S. 589 ein Menschenkopf mit geschlossenen Augen abgebildet. Darunter ist ein kleines Gerät mit einer Metallzunge zu verstehen, die beim Durchdrücken einen Knall produziert. Preyer 1887, S. 595.

78 | D ER HÖRBARE R AUM

schwankten28. Doch Preyer hatte die Wahrscheinlichkeit der richtigen Angaben mit 3,85% errechnet und damit lagen die Ergebnisse über der Wahrscheinlichkeit29. Die Auswertung der Fehler- bzw. Richtigkeitsdifferenzen in den 26 Richtungen auf Basis der Neigungen der Bogengänge erbrachte für Preyer das Ergebnis, dass es ein mit »Schall verbundenes Richtungsgefühl« gebe, das »je nach der Richtung, aus welcher der Schall kommt,… dadurch bestimmt« werde, und er folgerte daraus, dass »die einzelnen Schallrichtungen, welche überhaupt erkannt werden können, immer einen Bogengang oder ein Bogengangpaar stärker als die anderen treffen müssen.«30 Physiologie und Psychologie Der Freiburger Psychologe und Mediziner Hugo Münsterberg, der bei Wilhelm Wundt promoviert hatte und später in Harvard lehrte, knüpfte 1889 an die Theorie der Bogengänge an und veröffentlichte eine umfangreiche Schrift zum »Raumsinn des Ohres«31. Am Ende seiner ausführlichen Analysen der Vorgängerliteratur von Tomaciewics, v. Cyon32, Preyer, Schäfer, Arnheim und anderen kam er aber zu neuen Erkenntnissen bezüglich der Funktion der Bogengänge. »Dennoch sind die Bogengänge kein Sinnesorgan des Gleichgewichts, sondern lediglich das der Schallokalisation«33. Die Lokalisation entstehe dadurch, dass »sich die Raumempfindung des einen Ohres mit der Schallempfindung des anderen Ohres verbindet«34. Diese Hypo28

29 30 31 32

33 34

Ebd., S. 596. Wie zu erwarten sind bei den Richtungswahrnehmungen z.B. Fehleinschätzungen rechts und links seltener als andere. Weitere Ergebnisse müssten aber recht umständlich aus den Datenlisten extrahiert werden. Ebd., S. 595. Alle zitierten Stellen: Ebd., S. 611. Hugo Münsterberg: Raumsinn des Ohres, in: Beiträge zur experimentellen Psychologie, Heft 2, Freiburg 1889, S. 182–234. Elias v. Cyon war wohl der entschiedenste Vertreter der ›Theorie der Bogengänge‹, vgl. ders: Das Ohrlabyrinth als Organ der mathematischen Sinne für Raum und Zeit, Berlin 1908. V. Cyon fasst darin seine Forschungen der vorangegangenen Jahrzehnte zusammen und argumentiert zugunsten der Existenz eines sechsten Raumsinns, der sich aus den durch die Kopfhaltung variierten Sinneswahrnehmungen verschiedener Sinnesorgane speise. Dabei ging v. Cyon davon aus, »daß die Schallwellen die allgemeinen Erreger der Richtungsempfindung sind« (S. 306). Ganz offensichtlich kannte er die wesentliche Literatur der Forschungen zur auditiven Richtungswahrnehmung, denn er nennt Venturi und gibt seine genaue Quellen an (Literaturliste). In den vorangegangenen Jahren wurden Venturi bzw. seine Quellen dagegen entweder gar nicht mehr genannt oder nur mit fehlerhaften Quellenangaben zitiert. Münsterberg 1889, S. 215. Ebd., S. 212.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 79

these war der Ausgangspunkt für eigene Versuche zur Lokalisationsschärfe, die Münsterberg mit einer mit geschlossenen Augen und unbewegtem Kopf sitzenden Versuchsperson durchführte. Ziel der häufig wiederholten Versuche war die Bestimmung des Punktes, an dem ein veränderter Schallort im Vergleich zu einem Ausgangspunkt wahrzunehmen war, und zwar im Kreis um die Versuchsperson. Dabei ergab sich eine besonders feine Differenzierung von 1,5 cm Abweichung bei 0 Grad, also in Blickrichtung, die sich gegen den Hinterkopf sukzessive verschlechterte und dort nur noch 10 cm betrug35. Weitere Versuche galten der Lokalisation bei Bewegungsempfindung, die aber unklar blieb, der Lokalzeichentheorie, die ebenfalls unergiebig waren, sowie der vertikalen Lokalisierung, die sich 45 Grad nach unten geneigt – und damit nicht genau in Kopfhöhe – als am empfindbarsten erwies36. Mit nunmehr reduziertem Blick auf die Theorie der Bogengänge fokussierten die folgenden Forschungen von Psychologen, Ärzte und Physiologen das räumliche Hören, besonders das binaurale Hören, das im Hinblick auf Richtung (zweidimensional) oder Raum (dreidimensional) mit neuen Forschungsansätzen und -methoden untersucht wurde37. Die Operationalisierung des Wahrnehmungsfeldes und die Definition der sagittal verlaufenden Medianebene als Referenzpunkt ermöglichten exaktere und systematischere Versuche, deren Ergebnisse später in anschaulichen Diagrammen anstatt in unübersichtlichen Tabellen dargestellt wurden. Auch Telephone als Schallgeber aller Art kamen ebenso wie andere neue Versuchsgeräte zum Einsatz. Bei den Testverfahren etablierte sich die Versuchsdurchführung mit zahlreichen Teilnehmern oder mit zahlreichen Versuchswiederholungen, die mit einfachen statistischen Verfahren (meist Häufigkeitsvergleichen) ausgewertet wurden. Bezogen auf die räumliche Hörfähigkeit waren damit anfangs noch keine neuen Ergebnisse zu erzielen, doch es ergaben sich für die beteiligten Forscher neue Fragestellungen. In Bezug auf die interkranielle Klangverarbei35 36 37

Ebd., S. 220. Ebd., S. 229. So erschienen allein 1890 nicht weniger als vier Beiträge in der neugegründeten Zeitschrift für Psychologie, die von Ärzten / Physiologen und einem Meteorologen stammten. Karl Schäfer: Über die Wahrnehmung und Lokalisation von Schwebungen und Differenztönen, in: Zeitschrift für Psychologie 1, 1890, S. 81–98 = Schäfer 1890a; ders.: Zur interauralen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen, in: Zeitschrift für Psychologie, 1, 1890, S. 300–309 (= Schäfer 1890b); Johannes von Kries: Über das Erkennen der Schallrichtung, in: Zeitschrift für Psychologie 1, 1890, S. 235–251; Wilhelm v. Bezold: Urteilstäuschungen nach Beseitigung einseitiger Harthörigkeit, in: Zeitschrift für Psychologie, 1, 1890, S. 468f.

80 | D ER HÖRBARE R AUM

tung, die Karl Schäfer schon ab1890 untersucht hatte38, kam es zwischen 1891 und 1893 sogar zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch, der in verschiedenen Zeitschriften ausgetragen wurde39. Das Thema des binauralen Hörens war also ab 1890 bekannter als je zuvor. Sogar Carl Stumpf hatte sich 1890 im 2. Band seiner Tonpsychologie am Rande damit befasst40, auch wenn er 1893 unter Referenz auf Lotzes Definition von »Lokalzeichen« explizit darauf beharrte, dass »Raum für unsere Empfindung nichts anderes als die Summe von Bewegungsgefühlen«41 sei. Im Zuge dieser Debatten ging jedoch ein neuer Aspekt räumlichen Hörens vorläufig unter, den Karl Schäfer 1890 beschrieben hatte. »… die Schätzung des Abstandes der wahren Schallquelle von den Ohren eine wesentliche Rolle bei der medianen Lokalisation spielt.«42

38 39

40

41

42

Schäfer 1890a und ders.: Ein Versuch über die interkranielle Leitung leisester Töne von Ohr zu Ohr, in: Zeitschrift für Psychologie, 2, 1891, S. 111–114. E. W. Scripture: Einige Beobachtungen über Schwebungen und Differenztöne, in: Wundt: Philosophische Studien VII, 1892, S. 630ff.; erste Replik: Karl Schäfer: Ist eine celebrale Entstehung von Schwebungen möglich?, in: Zeitschrift für Psychologie, 4, 1893, S. 348–350; darauf reagierend: E. W. Scripture und W. Wundt in zwei aufeinander folgenden Artikeln in: Philosophische Studien VIII, 1893, S. 638–640 und S. 641ff., auf die wiederum Schäfer antwortet: ders.: Nochmalige Ablehnung der celebralen Entstehung von Schwebungen, in: Zeitschrift für Psychologie, 5, 1893, S. 397–401. Freilich ohne es so zu nennen und auch keineswegs in der Absicht, die auditive Lokalisierung von Schallquellen zu thematisieren. Für Stumpf blieb der auditive Raumbegriff an den Tonraum gebunden, in dem auditive Lokalisierung das Erkennen und Analysieren der Tonhöhe bedeutet. Dies ist mit einem Ohr möglich. Doch kommt Stumpf 1890 nicht umhin, sich auch der Frage der Intensitätsunterschiede an beiden Ohren zu widmen und die Fähigkeit zu beschreiben, zwischen zwei verschieden hohe Töne an jeweils einem Ohr zu unterscheiden, sie also im räumlichen Sinn der Umgebung zu lokalisieren (Carl Stumpf: Tonpsychologie, Bd. 2, Leipzig 1890, S. 52ff. und S. 430ff.) Seine ausführliche Darstellung des zweiohrigen Hörens beschränkt sich aber auf die Heranziehung von Untersuchungen, die die Im-KopfLokalisation erforschen oder nur die verschiedenen Intensitätswahrnehmungen miteinander vergleichen (ebd., S. 53 und S. 432f.) Carl Stumpf: Zum Begriff der Lokalzeichen; in: Zeitschrift für Psychologie 4, 1893, S. 7–74, hier: S. 72. Stumpf beschäftigt sich besonders mit dem Hinweis, Lotze habe selbst in Änderung seiner frühesten Thesen Räumlichkeit als Moment der Empfindung bezeichnet (Ebd., S. 70). Wenige Jahre später werden im BrockhausKonversations-Lexikon die verschiedenen Standpunkte von Wundt und Stumpf deutlich gemacht (14. Aufl. 1898, Bd. 11, »Lokalisation«, S. 263). Karl Schäfer, 1890 (b), S. 303.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 81

Jenseits der Dispute veröffentlichte E. Bloch, Mitarbeiter bei v. Kries in Freiburg, 1893 den umfangreichen Artikel »Das binaurale Hören«43. Er sah die These, wonach »die wichtigste Function des binaurale Hören die Erkennung der Schallrichtung«44 sei, durch verschiedene Autoren in Frage gestellt und prüfte deshalb die Ergebnisse Preyers und Münsterbergs in mehreren neuen Versuchen mit eigenen Aufbauten in frontaler, horizontaler und sagittaler Ebene nach45. Wichtigste Merkmale seiner Versuche waren die Vergleiche zwischen monauralem und binauralem Hören, deren Ergebnisse er zum Vergleich beider Hörweisen auf einem gemeinsamen (zweidimensionalen) Kreisdiagramm abbildete, eine weitere wesentliche Neuerung, deren Anschaulichkeit und leichtere visuelle Erfassbarkeit einen immensen Vorteil gegenüber den Zahlenkolonnen Preyers und Münsterbergs darstellt46, obwohl der Bereich der Dreidimensionalität nicht abgedeckt wird. Was die Ergebnisse als solche anbelangt, so erwies sich neben allen bekannten Unterschieden bei der Richtungserkennung die Überlegenheit des binauralen Hörens vor dem monauralen Hören47, weshalb Bloch seine diesbezügliche These am Ende erneuerte48.

43 44 45

46

47

48

E. Bloch: Das binaurale Hören, in: Zeitschrift für Ohrenheilkunde, 24 (1893), S. 25– 85. Ebd., S. 53. Durch die verschiedenen Versuchsanordnungen sind Vergleiche zumindest aus heutiger Sicht nicht wirklich möglich, und tatsächlich unterscheiden sich die Resultate Blochs von denen der vorhergehenden Forscher in einigen Punkten. Dafür könnte jedoch auch die geringe Zahl der Versuchsteilnehmer – maximal drei – verantwortlich sein. Ebd., Graphiken zur Veranschaulichung von akustischer Messergebnissen verwandte drei Jahre später auch Karl Schäfer, als er seine »Versuche über die Abnahme der Schallstärke mit der Entfernung« in Poggendorfs Annalen (NF 57, 1896, S. 78–792), also einer naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift, veröffentlichte. Ebd., S. 85. Bloch spricht in Punkt 7 und 13 von der Überlegenheit des binauralen vor dem monauralen Hören. Alle anderen der insgesamt 14 Punkte der Zusammenfassung betreffen Feinheiten der Richtungswahrnehmung wie die Funktion der Ohrmuscheln nach der Unterscheidung der Schallintensitäten (Pkt. 9). Nur wenige Jahre später untersuchten Levi Daniel Ikenberry und C. E. Shutt an der Universität Kansas (Experimens in Judging the Direction of Sound, in: The Kansas University Quarterly Series A, 7, 1898, S. 9–16) dieselbe Frage mit 10 Versuchspersonen und sie erzielten im Prinzip dieselben bzw. die für den Fragekomplex inzwischen absehbaren) Ergebnisse. Doch sie beschränkten ihre Untersuchung auf den Unterschied zwischen monauralem und binauralem Hören in der medianen Ebene und verzichteten in ihrer Publikation auf die Darstellung des gesamten theoretischen Apparats sowie auf die Anführung von Vorgängerliteratur. Interessant ist jedoch ihre Diagrammdarstellung in Schwärzungsgraden für Häufungen (S. 15).

82 | D ER HÖRBARE R AUM

Mit der 1897 publizierten und von Edward Wheeler Scripture in Yale betreuten psychologischen Dissertation »Researches on Acoustic Space« von Matataro Matsumoto, der zuvor in Tokio studiert hatte49, führte erstmals eine umfangreiche experimentelle Studie den akustischen Raum im Titel. Ihr Gegenstand war die Dreidimensionalität der auditiven Wahrnehmung50. Für seine umfassende Abhandlung hatte Matsumoto Literatur aus allen mit der Thematik befassten Fachgebieten herangezogen51 und die dort auf experimentellem Weg gefundenen Ergebnisse anhand eigener Versuche überprüft. Er entwickelte eigene Geräte und einen Versuchsaufbau, dessen zentraler Teil eine große, höhenverschiebbare Hohlkugel aus wenigen längs und quer verlaufenden Metallstreben war. Im Zentrum befand sich der Kopf des Versuchsteilnehmers, sodass der Abstand zu den an den Metallstreben befestigten bewegbaren Schallquellen immer gleich sein konnte52. (Abb. 8) Als Tongeber (Schallquellen) fungierten die damals üblichen trichterförmigen Telephonhörer. Meist waren es zwei, weil sich nach anfänglichen Versuchen zur Erzeugung von Schallfeldern zum Richtungshören auf Basis der Erkenntnisse von Rayleigh, Scripture, v. Kries, Steinhauser u.a. erwiesen hatte, dass differenzierte Richtungsbestimmungen nur mit verschieden lauten Testklängen in beiden Telephonhörern zu erzielen waren53. Matsumoto nutzte diesen Effekt nun54, um auf wechselnden Achsen von seinen Versuchsteilnehmern räumliche Positionen bestimmen zu lassen – mit den schon fast üblichen Fehllokalisationen wie der Hinter-Kopf-Lokalisation sowie kleineren und größeren Abweichungen vom erwarteten Lokalisationspunkt. Weitere Untersuchungen galten der Distanzempfindung mittels Intensitätsvergleich durch die beiden Versuchsteilnehmer55, die jedoch starke individuelle Unterschiede ergaben. Nach der Darstellung zahlreicher weiterer Versuche

49 50 51

52 53

54

55

Matsumoto reichte diesen Text auch dort als Dissertationsschrift ein (s.u., S. 1). Matataro Matsumoto: Researches on Acoustic Space, in: Studies from the Yale Psychological Laboratory, 5, 1897, S. 1–75. Genau wie Bloch, dessen Schrift er später ebenfalls anführt (ebd., S. 73). Darüber hinaus geht Matsumoto bis zu Webers 1851 erschienenen Artikel zurück und zitiert u.a. auch Purkyne, nicht jedoch Venturi. Abbildung der Hohlkugel und Beschreibung der Richtungen, ebd., S. 2-4. Matsumoto erzeugte also als erster eine Phantomschallquelle auf elektroakustischem Weg. Seine Überlegungen dazu beginnen auf S. 13 und ziehen sich, unterbrochen von gelegentlichen Versuchen mit anderen Schallgebern, durch die ganze Schrift. Scripture errechnete diesen Effekt in dem auf Matsumo folgenden Artikel (E. W. Scripture: On binaural Space, in: Studies from the Yale Psychological Laboratory, 5, 1897, S. 76–80). Das Ergebnis unterscheidet sich jedoch kaum von den Berechnungen Steinhausers und denen anderer Forscher. Matsumoto 1897, S. 24f.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 83

kam Matsumoto schlussendlich aber zu dem Ergebnis, dass Hören nicht unmittelbar zu einer Raumvorstellung führen könne56. Zwei Jahre nach Matsumotos und Scriptures Artikeln erschien der Bericht von Carl E. Seashore zu seinen psychologischen Untersuchungen, der u.a. die Frage der Klanglokalisation in der Medianebene und im Speziellen den Ursachen für die Lokalisationsdifferenzen behandelte57. Seashore verglich besonders zwischen einer medianen Beschallung mit einer Schallquelle und den durch gleichlaute Beschallung beider Ohren entstehenden Eindruck des medianen Schallorts58, der sich jedoch bei den 39 Versuchsteilnehmern als viel unzuverlässiger erwies, da er deutlich häufiger an den Hinterkopf verlegt wurde59. Bei beiden Beschallungsarten berichtete er zudem erstmals von Elevationswahrnehmungen, also von dem Empfinden, die Schallquelle läge etwas erhöht, was aber wiederum beim fusionierten Klang häufiger empfunden wurde60. Auch in anderen Punkten waren die Vergleiche weniger exakt als bei der binauralen Fusionierung in der Medianebene. In einer zweiten Testserie interessierte sich Seashore dafür, ob ungeübte Hörer eine einzelne Schallquelle radial lokalisieren konnten und stellte dazu einen quadrophonen Versuchsaufbau her, bei dem sich die vorn und hinten platzierten 56

57 58

59 60

»We have only to give an account of how the perception of position of sounds arises on the basis of already existing space which was given to us by other sensations. As to the further problem of the ultimate origin of the space form of perception, its solution must be sought in the visual and tactual perception.« (ebd., S. 75). Aus diesem Grund gibt es zu dieser Zeit gelegentlich auch die Meinung, es gäbe keinen auditiven Raum. So argumentiert etwa Georges Lechalas dagegen, weil keine perfekte auditive Raumwahrnehmung nachgewiesen sei und zudem kein eigenes Organ zum Raumhören existiere (ders.: Sur l’absence d’espace sonore, in: Revue de métaphysique et de morale, 1895, S. 623–630). Ähnlich hat es auch Wundt in der 4. Auflage seiner Physiologischen Psychologie (Band 2, Leipzig 1893) formuliert: »Die Existenz eines besonderen Hörraumes, der von der qualitativen Beschaffenheit und räumliches Ordnung der gesichts- und Tastempfindung unabhängig wäre, ist eine Fiction, die durch das unmittelbare Zeugniss jeder Art räumlicher Localisation widerlegt wird.« (ebd., Bd. 2, S. 94) Gleichwohl bleibt es bei dem Unterkapitel »Localisation der Gehörvorstellung«, das schon in früheren Auflagen existierte und nun, versehen mit Angaben und Darstellungen neuerer Literatur zum Thema, erweitert ist. C. E. Seashore: Localization of Sound in the Median Plane, in: Studies in Psychology, University of Iowa, 2, 1899, S. 46–54. Also der binauralen Beschallung, wie sie von Matsumoto nach Rayleighs und Steinhausers Erkenntnis für die meisten seiner auditiven Raumversuche verwandt wurde. Letztlich handelt es sich um eine Phantomschallquelle, auch wenn es diesen Begriff damals noch nicht gab. Ebd., S. 48. Ebd., S. 48f.

84 | D ER HÖRBARE R AUM

Trichter der Telephone diagonal gegenüber standen und auf den in der Mitte sitzenden Hörer zeigten61. Die korrekte Richtungsanzeige seiner 24 Versuchsteilnehmer lag jedoch nur wenig über dem Zufallswert; selbst ein Blinder konnte nicht häufiger korrekt die Schallrichtung benennen, wie Seashore berichtet62, sodass er am Ende nur einige Tendenzen als Gesamtergebnis festhalten konnte, wie die, dass leisere Klänge in der Wahrnehmung häufiger nach hinten lokalisiert wurden als laute63. Abbildung 8: Versuchsaufbau zur Erforschung des räumlichen Hörens

aus: Matsumoto 1997, S. 3

Deutlich konkreter waren dagegen die Versuchsergebnisse von Max Lobsien zum binauralen Hörfeld, die 1900 erschienen64. Doch scheinen sie nur auf dem eigenen Hörvermögen des Autors zu basieren, das er mit einem selbst entwickelten Versuchsgerät, einem skalierten Tongeber, getestet hatte. Dabei ermittelte er die Distanzwahrnehmung aus zwei als identisch empfundenen

61 62 63 64

Der Aufbau war also fundamental anders als in den Vorgängerversuchen seit Venturi, bei denen immer direkt seitlich und median vorne und hinten beschallt wurde. Beide Angaben ebd., S. 51. Ebd., S. 54. Max Lobsien: Über binaurales Hören und auffällige Schalllokalisation, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Vol. 24, 1900, S. 285– 295.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 85

Schallintensitäten. Die Ergebnisse trug er auf einem Kreisdiagramm ab – was, wie aus den bisher referierten Forschungsergebnissen abzusehen ist, keinen perfekten Kreis ergab65.

1900 – 1918 Im Jahr 1901 ist in Bezug auf die Forschungen zur auditiven Raumwahrnehmung eine Zäsur zu erkennen, denn in diesem Jahr erschien die erste umfassende psychologische Forschungsarbeit zur auditiven Raumwahrnehmung66. Ihr Autor, Arthur Henry Pierce, analysierte und systematisierte darin umfänglich zunächst fast alle bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Literatur zu dem Thema, und zwar unabhängig von dem Fachgebiet, in dem sie entstanden war67. Seine eigenen Experimente bewegten sich jedoch nicht in dem Bereich der Richtungslokalisation, sondern sie betrafen hauptsächlich die Lokalisierung der Distanzwahrnehmung des tönenden Objektes und damit einen Themenaspekt, der bis dahin nur von Matsumoto etwas genauer betrachtet worden war. Im Gegensatz zu den inzwischen zahlreichen Untersuchungen zum mono- und binauralen Raum- und Richtungshören, die er im Hauptteil seiner Schrift systematisch dargestellt hatte, lagen nur wenige Literaturquellen vor, aus deren Pierce die Raumposition oder Distanz einer Schallquelle hätte ableiten oder errechnen können. Steinhauser, Mach und Thompson hatten zudem nur kleine Anmerkungen zu der Thematik gemacht, während Grinwis68 immerhin die Abnahme der Intensität bei Grund- und Partialtönen über die Distanz auf mathematischem Weg dargelegt hatte. Auf dem Feld der psychologischen Experimente konnte Pierce ebenfalls nur indirekt aus den Arbeiten von v. Kries, Bloch und Matsumoto die Hörbarkeit der Distanz des tönenden Objektes zum Hörer erschließen. 65 66 67

68

Ebd., S. 291. Arthur Henry Pierce: Studies in Auditory and Visual Space Perception, New York, London, Bombay 1901. Die Darstellung umfasst 128 Seiten und die Literaturliste am Ende des ersten Teils zur Klanglokalisierung enthält tatsächlich fast alle auch hier angegebenen experimentellen Arbeiten. Insgesamt sind es 46, darüber hinaus weitere 25 allgemeine biologische, physiologische und physikalische und psychologische Werke, die die auditive Raumwahrnehmung überblickhaft darstellen und ggf. gegenüber der visuellen und taktilen qualifizieren. Es fehlen z.B. die Arbeit Venturis und andere frühe Experimente bis etwa Mitte der 1860er Jahre (mit Ausnahme von A. Weber von 1848 und 1851 und Purkyne). Somit lehnt sich Pierces Literaturliste an die seines Lehrers Münsterberg an. Ebd., S. 160. Die Original-schrift von Grinwis war leider nicht zu ermitteln.

86 | D ER HÖRBARE R AUM

Auf sie aufbauend stellte Pierce zahlreiche Experimente zur Entfernungswahrnehmung von Tonhöhe69, Klangfarbe70 (mit drei verschiedenen Klangcharakteren) und Schallintensität71 an, die er jeweils zwar mit 80 Wiederholungen, aber mit nur zwei Versuchsteilnehmern durchführte. Im Verlauf der Untersuchungen variierte er die Größe des Umgebungsraumes, die Entfernung der Schallquelle und deren Aufstellungsort (vorn, Seiten, 30 Grad seitlich von vorn). Aus der Vielzahl von tabellarisch aufgelisteten Fehlerangaben und den knappen Versuchsbeschreibungen und -auswertungen im Text wird dennoch sehr deutlich, dass die erzielten Ergebnisse mit den errechneten von Grinwis in Einklang zu bringen waren: Die Distanzwahrnehmung beruhte für Pierce somit auf veränderter Schallintensität und veränderter Klangfarbe, die sich aufgrund der veränderten Klangzusammensetzung ergibt; Pierce nannte das »lokale Zeichen der Distanz«72. Die auditive Lokalisation konnte Pierce mit seinen Untersuchungsergebnissen zwar entscheidend spezifizieren, doch verneinte er am Ende seiner langen Schrift zur Theorie der auditiven Raumwahrnehmung ihre Eigenständigkeit und betrachtete sie vielmehr im Kontext anderer räumlicher Sinneswahrnehmungen stehend. »As complete as it might be ideally, our auditory space is at a low grade of development, and its harmonization with other spaces is far from complete by reason of the small practical utility of such an achievement.«73 Etwas weniger umfangreich, aber ebenfalls fachübergreifend und theoretisch tief fundiert ist die zweiteilige Schrift von James R. Angell und Warner Fite aus dem psychologischen Labor der Universität von Chicago. Sie erschien ebenfalls 1901, steht jedoch aufgrund ihrer speziellen Thematik der Experimente mit einseitig Ertaubten dem Gebiet der Otologie nahe74. Beiden Autoren ging es um die monaurale Lokalisation, die sie mit einseitig ertaubten Personen im Vergleich zu einer normal hörenden Person untersuchten. Trotz der absehbar schlechteren Ergebnisse bei den einseitig Ertaubten ergab sich dort aber auch, dass die korrekte auditive Lokalisierung bei langjähriger Krankheit offenbar zunahm, besonders dann, wenn die Stimuli aus komple-

69 70 71 72 73 74

Ebd., S. 164–166. Ebd., S. 166–169. Ebd., S. 169–178. Ebd., S. 177. Ebd., S. 203. Angell, James R. und Fite, Warner: (a) The Monaural Localization of Sound, in: Psychological Review, Vol. 8, Nr. 3, 1901, S. 225–246; und dies.: (b) Further Observations on the Monaural Localization of Sound, in: Psychological Review, Vol. 8, Vol. 8, Nr. 5, 1901, S. 449–458.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 87

xen Klängen bestanden75. Außerdem ergaben sich positive Trainingseffekte76. Otologie / Physiologie Etwa zur gleichen Zeit entwickelten sich die Forschungen zum Richtungsund Raumhören auf dem Gebiet der Physiologie/Otologie anders, denn hier gerieten die auditive Lokalisierung und das binaurale Hören langsam aus dem Blickfeld. Die zunehmende Fachspezialisierung führte einerseits dazu, dass die räumliche Klangwahrnehmung in ihrer offenkundigen Problematik seltener im Zuge der Untersuchung des Vestibularapparates thematisiert wurde. Aufschlussreich ist hier die kleine Untersuchung von Hugo Frey, die er im Rahmen der Untersuchung einseitiger Schwerhörigkeit unternahm und 1912 vorstellte77: Die Kranken wurden hierbei auf einen Drehstuhl in einen Schwindelzustand gebracht und anschließend wurde die auditive Lokalisationsfähigkeit getestet. Hier ergab sich, dass die vormals gute Lokalisierungsfähigkeit zunächst eingeschränkt war, sich nach einer Weile jedoch erholte78. Nach weiteren Tests mit anderen Versuchsanordnungen kam Frey zu dem Schluss, dass »vestibulare Reizungen« die Lokalisierungsfähigkeit beeinflussen und »im Bewußtseinsinhalte verwertet werden«79. Trotz dieses Forschungsberichtes scheinen sich zu dieser Zeit die Ohrenärzte zunehmend auf die Diagnose und Beschreibung von Ohrenkrankheiten spezialisiert zu haben, wie man Adam Politzers Geschichte der Ohrenheilkunde entnehmen kann80. In dessen zweitem, die Jahre 1850–1911 umfassenden Band ist nur in einem kurzen Abriss von Lokalisation und binauralem Hören die Rede81. Genauer ist hier zwar der kurz zuvor erschienene recht umfangreiche Auf-

75 76 77

78 79 80 81

Angel und Fite 1901b, S. 451f. Ebd., S. 458. Hugo Frey: Über die Beeinflussung der Schallokalisation durch Erregunggen des Vestibularapparates, in: Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, Bd. 46, Wien 1912, S. 16–21. Ebd., S. 18. Ebd., S. 21. Adam Politzer: Geschichte der Ohrenheilkunde, Band 2, Stuttgart 1913. Alois Kreidl: Historische Skizze zur Lehre von der Funktion des schallempfindlichen Apparates seit 1850, in: Politzer 1913 ebd., S. 54–58. Zur Thematik der Lokalisation von Schall und binauralem Hören schreibt Kreidl auf S. 56f. Im Unterschied dazu enthält der erste, die Jahre bis 1850 umfassende Band zahlreiche Berichte zur Erforschung der auditiven Lokalisation und des binauralen Hörens.

88 | D ER HÖRBARE R AUM

satz von Victor Urbantschitsch82, doch im Gegensatz zu seinen Artikeln der 1880er Jahre kommt der Autor nun nicht mehr zu systematisch darstellbaren, eindeutigen oder verallgemeinerbaren Aussagen, was auch im Vergleich zu den Ergebnissen der Psychologie auffällt. Allerdings berichtet Urbantschitsch aus einem anderen Gebiet als die experimentellen Psychologen. Er beschreibt die Erfahrungen aus seiner ärztlichen Forschung, die sich nicht nur auf die Herstellung auf vergleichbaren Versuchssituationen mit Klicks oder Stimmgabeltönen als Schallgeber beschränkt. Darüber hinaus beschäftigt er sich er auch mit Schwerhörigkeit, Sprachverständlichkeit, subjektive Hörfelder, Reaktionen auf Musik (wie Kopfschmerzen) etc. im Kontext seiner monotischen und dichotischen (= binauralen) Hörforschung, die er offenbar nur deskriptiv und kaum strukturierend auf vier Druckseiten darlegen konnte83. Physik Auch auf dem Gebiet der Physik/Akustik hatten sich andere Forschungsschwerpunkte herausgebildet. Nachdem seit Ende der 1870er Jahre die Schalldruckdifferenz (Intensitätsdifferenz) zwischen beiden Ohren als ursächlich für die auditive Lokalisation erkannt und bewiesen worden war, konzentrierten sich die Forscher auf andere Themen. 1906 jedoch griff Rayleigh in der Sidgwick Lecture in Cambridge das Thema wieder auf und berichtete von Versuchen, die er auf der Basis einiger seiner gut 30 Jahre alten theoretischen Überlegungen zur Oberflächenstruktur von Schallwellen angestellt hatte. Dabei ging es um die Frage der Veränderungen von Schallwellen durch Hindernisse, die Rayleigh schon 1876 zu dem rechnerischen Ergebnis geführt hatten, dass der Kopf eines Hörers die Welle beugen konnte, sodass an beiden Ohren unter bestimmten Schallbedingungen eine Intensitätsdifferenz vorhanden sein müsste. Für tiefe Frequenzen konnte dies jedoch nicht wirksam sein, wie Rayleigh zwei Jahre später ausgeführt hatte84, da ihre Wellenlängen zu groß wären, um von einem Hindernis in Kopfgröße abgeschattet werden zu können. Die akustischen Wirkungen der Intensitätsdiffe-

82 83

84

Victor Urbantschitsch: Ueber die Localisation der Tonempfindungen, in: Pflügers Archiv, 101, 1904, S. 154–182. Ebd., S. 177–182. Seine Zusammenfassung beginnt mit dem Satz: »Den verschiedenen, dem Ohre zugeleiteten Tönen kommen sehr häufig verschiedene Localisationsstellen zu, die in punkt-, streifen- oder flächenförmiger Anordnung im Ohre oder dessen Umgebung gelegen sind.« (S. 177). William Strutt Lord Rayleigh: The Theory of Sound Vol. II, London 1878, § 328. In der zweiten Auflage des Buches (London 1896) bleibt der Paragraph unverändert.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 89

renz, so Rayleigh damals, seien durch die Größe des Hindernisses im Verhältnis zur Frequenz bestimmt. Allerdings gebe es frequenzunabhängige Unterschiede in der Phasenlage an beiden Ohren, wenn ein Schallquelle (oder der Kopf) bewegt werde. Vor dem Hintergrund der inzwischen allgemein bekannten unperfekten Richtungserkennungen der auditiven Raumwahrnehmung bei Versuchen mit Intensitätsdifferenzen zog Rayleigh diese theoretischen Überlegungen und Berechnungen 1906 heran, um zahlreiche unterschiedliche Versuche zur binauralen Wahrnehmung der Schallrichtung aufgrund von Phasenunterschieden durchzuführen, die er z.B. mit Schwebungen von großen, leicht gegeneinander verstimmten Stimmgabeln erzeugte und für zahlreiche Umstände testete85 (Abb. 9). Abbildung 9: Haube zur Erforschung der Phasendifferenzen

aus: Rayleigh 1907, 258

Im Gesamtergebnis blieb es jedoch auch bei den bekannten Richtungsvertauschungen besonders in der Medianebene, also der Vorne-HintenVertauschung86, dennoch bestätigten sich Rayleighs theoretische Annahmen in Bezug auf die Richtungserkennung tiefer Frequenzen aufgrund von Phasendifferenzen. Weil die Vergleichsergebnisse mit höheren Frequenzen bei gleicher Schallintensität und verschiedenen Phasenlage dies jedoch auch belegten und keinerlei Aussagen zur (besseren) Richtungserkennung zuließen, blieb Rayleigh in der Veröffentlichung der erweiterten Fassung seiner Vor85

86

William Strutt Lord Rayleigh: On Our Perception of Sound Direction, in: Philosophical Magazine, Vol. XIII, 1907, S. 214–232, ist die Veröffentlichung der Vorlesung in leicht verlängerter Form (vgl. 1. Fußnote des Textes, nach der Rayleigh 2 bis 3 Seiten am Ende des ursprünglichen Textes hinzugefügt hat). Text auch in: William Strutt Lord Rayleigh: Scientific Papers Nr. 319, Vol. V, Dover 1964, S. 347–363. Die Rayleigh in einer Beobachtung 1908 im Philosophical Magazine (= Scientific Paper Nr. 331) für seinen Assistenten bestätigt.

90 | D ER HÖRBARE R AUM

lesung 1907 nur der Schluss, dass die Richtungserkennung gleichermaßen auf Phasen- und Intensitätsdifferenzen beruhe. »It is fortunate that when difference of phase fails, difference of intensity comes to our aid.«87 Es hat nicht den Anschein, als hätte Raleigh sich hier auf das Glück allein verlassen wollen. Vielmehr diskutiert er offene Punkte, auch an den Untersuchungen von Silvanus Thompson zum Richtungshören aufgrund von Phasendifferenzen aus den späten 1870 Jahren, die besonders die Feststellung der Im-Kopf-Lokalisation betreffen, sprach die neuen technischen Möglichkeiten zur Erzeugung von akustischen Phasendifferenzen an88 und gab den Hinweis auf eine Versuchsserie zur binauralen Lokalisation von Phasenunterschieden, die der Physiker L. T. More und der Chemiker H. S. Fry bereits 1902 unternommen hatten. Kurz nach Rayleighs Hinweis erschien ihr Artikel im Philosophical Magazine89. Ihre Versuche mit 14 Teilnehmern erbrachten keine anderen Ergebnisse in Bezug auf die unterschiedliche Zuverlässigkeit der exakt notierten Richtungsangaben als sie schon mit Intensitätsdifferenzen gefunden worden waren. Aber ihr Versuchsaufbau mit zwei verschieden langen Hörschläuchen ließ keinen anderen Schluss zu, als dass die Richtungserkennung aufgrund von Phasendifferenzen erfolgt war. Noch im selben Jahr (1907) überprüften C. S. Myers und H. A. Wilson die Ergebnisse von Rayleigh und More/Fry mit einer eigenen Versuchsanordnung und einem selbst entwickelten Instrument, das aus zwei rechteckig angeordneten Metallrohren bestand (Abb. 10). Beide Rohre verliefen zu einem Hörer und waren an der Gegenseite mit einem T-Stück zur Anbringung einer Stimmgabel als Schallquelle versehen. Gleichzeitig waren sie jeweils längenvariabel, sodass die Übertragung gleicher Lautstärken/Schallintensitäten möglich war; sie kamen jedoch aufgrund der Längendifferenz der beiden Rohre beim Hörer mit verschiedener Phasenlage an beiden Ohren an90. Die Versuche mit Stimmgabeln bis 512 Hz verliefen erfolgreich. Zugleich überprüften die beiden Forscher aber auch die Intensitätsdifferenz mit dem damals üblichen Instrument aus zwei manometrischen Flammen, die

87 88

89 90

Ebd., zit. nach William Strutt Lord Rayleigh: Scientific Papers, Nr. 319, S. 361. Wie mit Induktionsspulen und Telephon zur elektroakustischen Tonerzeugung, mit denen er Versuche zum lateralen Richtungshören mittels 180° Phasenwechsel durchführte und als erste seiner Acoustical Notes VII (Philosophical Magazine, Vol. XIII, S. 316–333 = Scientific Papers, Nr. 320, Rayleigh 1964, S. 364–379) berichtete. L. T. More und H. S. Fry: On the Appreciation of Difference of Phase of SoundWaves, in: Philosophical Magazine (6), Vol. XIII, 1907, S. 452–459. C. S. Myers und H. A. Wilson: On the Perception of the Direction of Sound, in: Proceedings of the Royal Society, A, 1908, S. 260–266. Das beschriebene Versuchsinstrument ähnelt in der Form dem von Steinhauser 1877.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 91

mit einem rotierenden Spiegel genau beobachtet werden konnten. Da sie hier Intensitätsdifferenzen bemerkten, befanden die beiden Forscher, dass die Richtungserkennung eher aufgrund von Habituation und durch Knochenleitung des Schalls von einem Ohr zum anderen aufgrund der beobachteten Intensitätsdifferenz erfolgen müsse91. Dieser Auffassung und Argumentation widersprach Rayleigh an derselben Stelle92 (1909) mit dem Hinweis auf seine bereits publizierten Versuchsergebnisse, die bereits ähnliche Einwände zum Gegenstand hatten, von ihm jedoch experimentell und rechnerisch ausgeschlossen worden waren. Für ihn stand am Ende nicht die Tatsache der Richtungserkennung aufgrund von Phasenunterschieden in Frage, sondern die Ursache dieses Effekts, dessen Unterschiede auf verschiedenen Vorstellungen zur nervlichen Weiterleitung des Schalls beruhen93 und damit nicht den Forschungsgegenstand der Physik beträfen. Abbildung 10: Untersuchungsinstrument zur Erforschung der Phasendifferenz

aus: Myers und Wilson 1908, S. 258

Ob sich Wahrnehmungspsychologen, Otologen und Physiologen aber tatsächlich von Rayleigh und den anderen Physikern zu neuen Forschungen zum Thema auditiver Raumwahrnehmung motivieren ließen, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Bestenfalls werden die Ergebnisse aus der

91 92

93

Myers und Wilson 1908, S. 265. William Strutt Lord Rayleigh: On the Perception of the Direction of Sound, in: Proceedings of the Royal Society, A, Vol. LXXXIII, 1909, S. 61–64 = ders.: Scientific Papers, Nr. 337, Rayleigh 1964, S. 522–525. »Further evidence, if it can be obtained, is very desirable. For the moment, the choice between the competing views is likely to depend upon preconceptions as to the manner in which the nerves act. And it should be remembered that the question is not whether phase-differences at the two outer ears are competent to arouse the lateral sensation, but only as to the manner in which this effect is produced.« (ebd., S. 525).

92 | D ER HÖRBARE R AUM

Physik eine gewisse Anregung für die neue themenbezogene Veröffentlichungswelle in diesen Fachgebieten gewesen sein, die nach 1908 begann. Doch hier überwogen die fachspezifischen Forschungskontexte94. Psychologie Deutlich mehr an fachübergreifenden Ergebnissen waren die psychologischen Forschungen orientiert, die ab 1909 erschienen. Die ersten beiden Veröffentlichungen betrafen Versuche aus dem psychologischen Labor des Wellesley College, die 1907 auf dem Höhepunkt der physikalischen Forschungen begonnen worden waren und in denen es um die auditive Entfernungserkennung auf Basis von Intensitätsunterschieden ging95, also um einen Teilbereich der auditiven Lokalisation. 1910 befasste sich Otto Klemm in einem umfangreichen Artikel dagegen mit der Lokalisation und der Raumwahrnehmung im Kontext komplexer Sinneswahrnehmungen, also einer intersensuellen Fragestellung, bei der die Lokalisation aufgrund akustischer Reize nur einen Aspekt darstellt96. Die Themen der drei Artikel sind jedoch nicht repräsentativ für die fachliche Forschung zu jener Zeit, die schwerpunktmäßig dem räumlichen Hören und der auditiven Lokalisation als isoliertes Sinnesphänomen gewidmet war. 1911 erschien die ebenfalls sehr umfangreiche Studie zum binauralen Hören von Farree und Collins97, die besonders die Abweichungen von genauer kugelförmiger Lokalisation bei binauralem und monauralem Hören zum Thema hat. Die Autoren, die ihre Arbeit mit einem langen forschungshistorischen und -methodischen Teil begannen, untersuchten auch die Wahrnehmungsunterschiede auf beiden Ohren und testeten sie mit einfachen Tönen98 und komplexen Klängen sowie über einen langen Zeitraum, um Lernerfolge 94 95

96 97

98

Für die Ohrenheilkunde und Otologie wurde bereits die Untersuchung von Frey 1912 angeführt, die im Fach aber wohl singulär blieb. Eleanor A. Mac Gamble: Intensity as a Criterion in Estimating the Distance of Sounds, in: Psychological Review (American Psychological Association), Vol. 16, 1909, S. 416–426 und Daniel Starch: The Perception of distance of Sound, in: Psychological Review (American Psychological Association), Vol. 16, 1909, S. 427ff. Otto Klemm: Lokalisation von Sinneseindrücken bei disparaten Nebenreizen, in: Wilhelm Wundt (Hg.): Psychologische Studien, Bd. V, Leipzig 1910, S. 73–162. C. E. Ferree und Ruth Collins: An Experimental Demonstration of the Binaural Ratio as a Factor in Auditory Localization, in: American Journal of Psychology, 1911, S. 250–297. Einfache Töne meint den Ton einer sog. Galton-Flöte mit 20 Khz, wie die Autoren angeben ein aus heutiger Sicht kaum vorstellbarer Testton, da er am äußersten Rand der menschlichen Hörschwelle liegt.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 93

ablesen zu können. Ihre Ergebnisse blieben letztlich jedoch unspezifisch und am Ende erklärten die Autoren, die Aspekte der Intensitätsdifferenz von Rayleigh, Wilson und Myers nicht berücksichtigt zu haben99. G. F. Arps und Otto Klemm 1913 taten dies bereits. Mit komplexer Fragestellung gingen auch sie ihre Untersuchung zum Einfluss der Intensität auf Lokalisation in der Raumtiefe an100, doch schienen sie die physikalischen Parameter und Aspekte, die sie ihrer Untersuchung zugrunde legten, genau zu kennen: Sie berücksichtigen die Änderung der Klangfarbe durch die Abnahme der Schallintensität höherer Partialtöne im Verlauf der Zeit und bedachten zudem die mangelnde Räumlichkeit ihrer technischen Versuchsmittel Telephon und Grammophonaufnahmen101. Auch die Heranziehung von Vorgängerliteratur handhabten Arps und Klemm anders als Ferree und Collins, da sie im Kontext ihrer Überlegungen zu eigenen Fragestellungen die relevanten Autoren und ihre Texte nannten. Zudem waren die Konzepte ihre Versuche klarer aufgebaut: Tongeber war eine elektromagnetische Stimmgabel, die für einen gleichmäßig anhaltenden Ton sorgen sollte und die mittels Telephon übertragen werden sollte. Hier ergab sich aber ein technisches Problem, denn die beiden Autoren hatten keine zwei Telephone mit identischer Klangfarbe finden können, sodass ein einziges Telephon für den Tiefenvergleich räumlich verschoben werden musste102. Die Versuche verliefen deshalb im Vergleich von einem Klang aus 1 m Entfernung mit einem aus geringerer, aber nicht genau angegebenen Distanz103. Sie war so gewählt, dass zwischen beiden Endpunkten eine Klangfarbenänderung zu vermuten gewesen wäre. An beiden Endpunkten wurde derselbe Klang gespielt, wobei er in 1 m Entfernung zur Imitation der Klangfarbenänderung intensitätsreduziert war. Es wurden Versuche auf der Sagittal- und Transversalachse sowie in symmetrischer Verschiebung zweier Töne angestellt104. Die Ergebnisse waren jedoch unspezifisch und trotz der Heranziehung anderer Theorien zur 99

100

101 102 103

104

Ebd., S. 295f. Dies ist schon deshalb erstaunlich, weil sie im historischen Teil diese Schriften ebenso angaben wie die von Steinhauser und anderer Autoren aus den 1870er Jahren. G. F. Arps und Otto Klemm: Der Einfluß der Intensität auf die Tiefenlokalisation, in: Willhelm Wundt (Hg.): Psychologische Studien, Bd. VIII, Leipzig 1913, S. 226– 270. Ebd., S. 227f. Ebd., S. 234f. In der vorangehenden Beschreibung des Aufbaus ist von einem 3 m langen Brett als Unterlage für das Telephon die Rede (S. 235), das an allen Stellen dieselbe Klangqualität ermöglicht, sodass von maximal 3 m Entfernungsdifferenz zu vermuten sind. Ebd., S. 235ff., 241f. und 242ff.

94 | D ER HÖRBARE R AUM

auditiven Lokalisation etwa von Weber, Mach und anderen fanden die Autoren also keine Erklärung für die Ursache der auditiven Entfernungswahrnehmung. Dabei blieb es auch im darauffolgenden Jahr, als Klemm eine umfangreiche Systematisierung der bisherigen Forschung zur auditiven Lokalisierung vorlegte105, in der er 246 Titel seit Venturi anführt und auswertet, also erheblich mehr als Pierce 1901, der nur 83 Arbeiten zitieren konnte106. Die wenigsten der von Klemm 1914 angegebenen Arbeiten sind Ergänzungen der Pierceschen Angaben, allerdings rührt ein Teil der höheren Quellenzahlen auch aus der Erweiterung der Thematik bei Klemm her. Klemm hatte auch die auditive Lokalisation bei Tieren, entwicklungspsychologische Arbeiten zum Thema und andere über das Hören hinausgehende wahrnehmungspsychologische Arbeiten herangezogen sowie mehrere rein akustisch ausgerichtete und physiologische Veröffentlichungen besprochen. Er unterschied in seiner Systematik zwischen Untersuchungen zu »Tatsachen der Schallokalisation«107, die in sieben Stufen untergliedert, physikalische, wahrnehmungspsychologische und physiologische Fragestellungen auflistet und den nur dreistufig gegliederten »Theorien der Schallokalisation«108. Sie umfassen empirische Studien über die Lokalzeichentheorie, verschiedene akustische Theorien, die in Intensitäts-, Phasen- und Klangfarbentheorie unterschieden sind, sowie heterogene Theorien wie die Bogengangs-, die taktile und die motorische Theorie. Klemms Arbeit ist also eine Gesamtschau der Forschungen zum Thema, die zwar deutlich mehr Quellen enthält als die anderer Überblicksarbeiten, doch hinsichtlich der Auswertung beließ es Klemm meist bei einer kommentierten Darlegung und verzichtete gleichzeitig auf Bewertungen. Seine Einschätzung, die Phasentheorie sei widerlegt, bevor sie aufgestellt gewesen sei109, steht am Ende einer genauen Besprechung dieser Theorie unter Anführung zahlreicher anderer Autoren. So undenkbar schien Klemm wohl die Möglichkeit, dass Phasen- und Intensitätsdifferenzen gleichermaßen zur Lokalisation beitragen, dass er sich in seiner Bezugnahme auf Rayleighs Publikation von 1907, die diese o.g. Duplextheorie enthielt,

105 Otto Klemm: Über die Lokalisation von Schallreizen, in: Berichte über den 6. Kongress für Experimentelle Psychologie in Göttingen 15.–18.4.1914, Leipzig 1914, S. 169–258. 106 Die Zählung enthält Einzeltitel, nicht Autorennamen, wie bei Pierce und geht somit zahlenmäßig über die Angaben von Pierce 1901, S. 204–209 hinaus. 107 Klemm 1914, S. 169. 108 Ebd., S. 170. 109 Ebd., S. 238.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 95

auf die Phasentheorie beschränkte110. Damit stützt Klemm seine Interpretationen auf Basis des wissenschaftstheoretischen Modells unilinearer UrsacheWirkungs-Prinzipien111 und offenbarte zugleich die Komplexität der Materie, denn die Untersuchungen integrierten im Verlauf der Zeit immer neues Wissen und waren in ihren Forschungsperspektiven, Fragestellungen und Aufbauten112 immer spezifischer geworden. Dennoch war mit Klemms systematischer Darstellung kein wesentlicher Durchbruch in der Frage der auditiven Lokalisierung verbunden. Ein solcher zeigte sich allenfalls am Horizont, etwa durch Rayleighs Theorie der nach Frequenzräumen geteilten Wahrnehmungsprinzipien oder der Wiedergabe einer Diskussion, die im Anschluss an Klemms Schrift abgedruckt ist. An ihr beteiligte sich auch Carl Stumpf113, der in seinem Beitrag u.a. von Lokalisationsversuchen einiger Mitarbeitern seines Instituts, darunter Erich Moritz v. Hornbostel, berichtete, die ohne jede Kopfbewegung erfolgreich verlaufen seien114. Die von ihm berichteten Forschungsergebnisse wurden jedoch erst

110 Ebd., S. 237. Im Abschnitt Intensitätstheorie (ebd., S. 227–233) gibt Klemm die Arbeiten Rayleighs aus den 1870er Jahren nicht an. 111 Dasselbe müsste man allerdings zumindest im Nachhinein von Rayleighs Publikation 1907 sagen, denn Rayleigh nimmt ja keineswegs an, dass Intensitäts- und Phasendifferenzen gleichermaßen bei der auditiven Lokalisierung wirksam wären, sondern er trennt die Wirksamkeit der physikalischen Tonparameter nach Frequenzbereichen. 112 Z.B. die Experimente von Charles S. Myers (ders: The Influence of Timbre and Loudness on the Localisation of Sounds, in: Proceedings of the Royal Society, Series B, 88, 1914, S. 267–284) in dessen psychologischen Labor in Cambridge (ebd., S. 269 mit umfassender Illustrierung); seine Untersuchung erbrachte jedoch keinerlei Korrelation von Lautstärke und Klangfarbe (ebd., S. 283f.). 113 Stumpf war jedoch nicht aktiv an dieser Forschung beteiligt, wie schon der damalige Student und spätere Institutsdirektor Wolfgang Köhler in einem Brief vom 14.11.1907 an seinen alten Gymnasiallehrer Hans Geitel schrieb, in dem er sich über das mangelnde Interesse Stumpfs an der Erforschung auditiver Lokalisation (s.u., S. 15) beklagte und in einem weiteren Brief vom 20.11.1907 an denselben Adressaten »Doktor v. Hornbostel« als Anreger und Unterstützer seiner Thematik auch vor Stumpf nannte, welcher nun sein Thema mit größerem Interesse aufnehme. Explizit nannte Köhler v. Hornbostel auch als Hinweisgeber auf die neuesten Arbeiten Rayleighs und er beschrieb zudem binaurale Forschungsgeräte des Instituts (Siegfried Jäger (Hg.): Wolfgang Köhler; Briefe von Wolfgang Köhler an Hans Geitel 1907– 1920, Passau 1988, S. 17). 114 Klemm 1914, S. 258. Stumpf nennt Dr. Baley, Dr. Abraham und Dr. v. Hornbostel als Untersuchungsleiter, doch hätten sie ihren Beitrag zu spät angemeldet und könnten deshalb nicht vortragen. Zudem beharrt er auf der Existenz der Lokalzeichen und widerspricht Klemm deshalb in Bezug auf dessen Bevorzugung der Intensitätsdifferenztheorie.

96 | D ER HÖRBARE R AUM

ab 1920 publiziert. Sie gingen vermutlich in die Entwicklung eines Richtungshörers ein, den v. Hornbostel und Max Wertheimer 1915 für die deutsche Armee entwickelten und zum Patent anmeldeten115.

E XKURS : R ICHTUNGSHÖRER ZUR L OKALISIERUNG VON R ICHTUNG UND E NTFERNUNG Richtungshörer, die bei fast allen kriegsbeteiligten Armeen früher oder später eingeführt wurden, dienten der Lokalisierung und Standortbestimmung von Kanonen der gegnerischen Seite. Diese hatten zu der Zeit bereits eine so große Reichweite, dass ihr Aufstellungsort weder mit bloßem Auge noch mit Fernstechern erkannt werden konnte. Richtungshörer sollten also helfen, sie zu lokalisieren. Das zum Bau der Richtungshörer nötige theoretische Wissen war auf internationaler Ebene bereits bekannt. Darüber hinaus hatten sich seit Mayers Erfindung des Topophons 1880 auch weitere Ingenieure auf internationaler Ebene Geräte zur auditiven Lokalisierung patentieren lassen und ihre Arbeit auch der Fachwelt und den Medien präsentiert116. So hatte Frank de la Torre aus Baltimore eine »Vorrichtung zur Bestimmung von der Richtung akustischer Signale« patentieren lassen117, das als Eophon bekannt wurde (Abb. 11), wie Zeitungsnotizen und eine von einem von der Eophone Company patentierte Schutzvorrichtung von 1896 und

115 Erich M. v. Hornmostel und Max Werthheimer: Vorrochtung zur Bestimmung der Schallrichtung, DE 301669, Anmeldedatum 7.7.1915, ausgegeben am 28.9.1920. Richtungshörer bzw. Teile davon wurden auch Frankreich (FR 509,052 und 509,053 v. 30.10.1920, FR 532,594 v. 7.2.1922)) und USA (US 1,467,545 v. 11.9.1923) ausgegeben. Im Patent der USA sind weitere Länder aufgelistet, in denen die beiden Erfinder ein Patent für den Richtungshörer anmeldeten: Österreich, Ungarn, Japan, Kanada, Belgien, Spanien, Holland, Dänemark, Norwegen, Italien, Chile, Argentinien, Schweden (vollständige Aufzählung: DE 301669, S. 3, Z. 6–23). DE 301669, Anmeldedatum 7.7.1915, Erteilung 1920. Zur weiteren Genese des Patentes s.u. 116 Entgegen der Meinung von David Bloor (Whatever Happened to ›Social Constructiveness‹?, in: Saito, Akiko (ed.): Bartlett, Culture and Cognition, Hove 2000, S. 194–215), der zahlreiche verschiedene Richtungshörer vorstellt, kann es sich hier also nicht um den Ausdruck sozialer Konstruktivität handeln. 117 Frank de la Torre: Vorrichtung zur Bestimmung der Richtung akustischer Signale, DE 56223, patentiert ab 20.3.1890 vom kaiserlichen Patentamt in Berlin, zit. hier nach dem Faksimile der 2. Auflage v. 28.2.1903. US Pat. 441,860 v. 2.12.1890, mit Antrag v. 2.4.1890, also nach der Patentierung in Deutschland.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 97

1897 belegen118. Es handelt sich dabei um ein größeres Gerät zur festen Monierung auf einem Schiff, dessen wesentliche funktionale Teile aus einer auf einer beweglichen Stange angebrachten Scheidewand mit zwei »Schallempfänger« genannten Elementen sowie einer schlauchförmigen binauralen Abhöreinrichtung bestehen, die den gesammelten, und von einem Trichter aufgenommenen Schall auf die Ohren übertragen. Der Hörer hatte die Stange und damit beide »Schallempfänger« so lange zu drehen und zu justieren, bis das Signal auf beiden Ohren gleich laut war119. Abbildung 11: Das ›Eophon‹ von Frank de la Torre

aus: Patent DE56223

118 Vgl. die Nachrichten mit dem Titel »Eophone« der New York Times v. 20.2.1896 und der Timaru Times, Neuseeland v. 22.7.1896, S. 3 sowie das Patent US 588,034 von Levi E. Thorne v. 10.8.1897 (Anm. 26.5.1897) 119 DE 56223, S. 3.

98 | D ER HÖRBARE R AUM

Nach einem ähnlich einfachen Lokalisationsprinzip operierten auch die beiden Versionen tragbarer Topophone von David Porter Heap120, die jeweils aus zwei nach außen gerichteten hornförmigen Trichtern aus Schallsammlern bestanden (Abb. 12) und mittels Schläuchen direkt mit den Ohren des Hörers verbunden werden konnten sowie das nur unwesentlich anders erscheinende Lokalisierungsgerät von Levi E. Thorne121. Abbildung 12: Das ›Topophone‹ von David Heap

aus: Patent US 590,062

Mit Rayleighs Erkenntnis über die gleichzeitig wirkenden Schalldruck- und Phasendifferenzen bei der auditiven Lokalisation wurden schon ab 1908

120 David Porter Heap: Topophone, US 590,062 v. 14.9.1897 und US 564,926 vom 28.7.1896 und DE 99667 v. 15.9.1897 sowie DE 97229 v. 29.7.1896; populäre Darstellung von Charles Edgerley: Mechanical Ears for ships, in: Metropolitan Magazine November 1901, S. 652–654. 121 Levi E. Thorne: Sound Locating Instrument, US 605,031 v. 31.5.1898.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 99

auch Lokalisationsgeräte und -verfahren entwickelt. In der Praxis machten sie sich als Zeitunterschiede an beiden Ohren kenntlich. So meldete Thomas James Bowlker in diesem Jahr ein mehrkanaliges System zur Richtungserkennung im Schiffsverkehr zum Patent an122, das mit weit versetzten Telephonhörern operierte, die Lokalisation der Richtungen rechts, links, vorn und hinten ermöglichte und wohl auf diesem Prinzip beruhte123. Den Zeitunterschied zwischen zwei Mikrophonen beschrieb Aurel Meckel explizit als Prinzip seiner »Vorrichtung zur Bestimmung der Richtung von Schallwellen«124. Die Beschreibung des Patentes mit 1,5 Seiten ist vergleichsweise kurz, die Nähe zu Bowlkers amerikanischen und britischen Patenten, die wohl nicht auch in Deutschland angemeldet wurden, ist aber unübersehbar. Einzig das sehr knapp umrissene elektromagnetische Anzeigegerät von Solomon Charles macht einen Unterschied aus125. Erst der Einbezug der für Entfernungen bedeutsamen Schallgeschwindigkeit in die Richtungsbestimmung brachte einen gewissen Durchbruch bei der exakten Lokalisation von Schallquellen. A. Mallock hatte dies erstmals für Experimente mit Geschossen beschrieben126 und mit Bezug auf seine Beobachtung entwarfen v. Hornbostel und Wertheimer ein Triangulationsverfahren zur binauralen Lokalisation aufgrund von Zeitdifferenzen zwischen beiden Ohren. Dafür entwickelten sie ein »Vorrichtung zur Bestimmung der Schallrichtung« genanntes Gerät, das den Beschreibungen binauraler Forschungsinstrumente seit Purkyne ähnelte. Ihr Schlauchapparat wies jedoch auch Änderungen und Spezifizierungen auf (Abb. 13). So handelte es sich um ein tragbares Gerät auf einem ebenfalls tragbaren und höhenverstellbaren dreibeinigen Stativ.

122 Thomas James Bowlker: Apparatus for Submarine Signalling, US 964,380, Anm. 26.3.1908, Ausg. 12.7.1910 und GB 15,102 v. 19.1.1911 (Anm. 23.6.1910). 123 Dass Bowlker hier die Zeitdifferenz messen wollte, lässt sich jedoch nur indirekt aus dem Verfahren erschließen, findet aber eine weitere Bestätigung in seinem im selben Jahr erschienenen Artikel (ders.: On the Factors serving to determine the Direction of Sound, in: Philosophical Magazine (15), 1908, S. 318–331). 124 Aurel Meckel: Vorrichtung zur Bestimmung der Richtung von Schallwellen, DE 256747, Anm. 11.6.1911, Ausg. 19.2.1913. 125 Die genaue Funktionsweise des in Frankreich 1913 für Solomon Charles patentierten Lokalisationsgeräts war nicht zu recherchieren. Einzig die Patentdaten FR 456318 (23.8.13, Anm. 15.6.12) und FR 17705 (13.11.13, Anm. 28.8.12) sind im Depatisnet für Solomon Charles mit identischem Titel aufgeführt: Appareil destiné à déterminer la direction des ondes sonores et plus généralement de toutes ondes susceptibles d'être transformées en ondes sonores d'intensité proportionnelle. 126 A. Mallock: Note on the Sensibility of the Ear to the Direction of Explosive Sounds, in: Proceedings of the Royal Society, Sect. A, 80, 1908, S. 110–112.

100 | D ER HÖRBARE R AUM

Die Schalltrichter waren auf Teleskopstangen angebracht, die laut Patent auch Mikrophone hätten sein können; sie wurden mit den Ohren des mittig stehenden Hörers verbunden. Funktional betrachtet, stellt diese Vorrichtung also hauptsächlich eine Verbreiterung des Ohrenabstandes dar, die es ermöglichen sollte, die Zeitdifferenz zwischen rechts und links deutlicher wahrnehmbar zu machen. Weiterhin beschrieben v. Hornbostel und Wertheimer die Möglichkeit der vertikalen Aufstellung der beiden Schallempfänger und regten eine Kombination aus vertikaler und horizontaler Aufstellung an127. Abbildung 13: Der Richtungshörer von v. Hornbostel und Wertheimer

aus: Patent DE 301669

Eine wesentliche Neuerung war eine Zieleinrichtung, die wohl zur Kalibrierung diente und sich in der Mitte des Teleskopgestänges befand. Die genaue Lokalisierung erfolgte bei ihr auf dem Weg der Berechnung, allerdings laut Patent durch den Vergleich der Ergebnisse mehrerer Messpunkte128 und ohne Angabe des genauen Rechenverfahrens. Berichten zufolge wurde dieser

127 Patent Hornbostel/Wertheimer 1915, a.a.O, S. 2, Zeile 47–54. 128 Ebd., S. 2, Zeile 86–93.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 101

Richtungshörer tatsächlich eingesetzt129 und sogar einer anderen Methode vorgezogen130. Dennoch scheint dieses Verfahren auch deutlich fehlerhaft gewesen zu sein, sodass ab 1917 auch der Breslauer Akustiker Erich Waetzmann ein optimiertes Gerät, das Geophon, entwarf131. Dass die Lokalisationsverfahren, die während des 1. Weltkrieges in anderen Ländern entwickelt wurden, ähnlich fehlerhaft waren, ist wahrscheinlich. So erklärten Ronald Aarts und A. W. Van der Voort die Entwicklung eines Richtungshörers in Holland ab den 1920er Jahren mit der Unzufriedenheit mit den Geräten aus anderen Ländern132 und stellten Weiterentwicklungen des binauralen Verfahrens vor133, während Hans Linnenkohl komplexe objektive Messverfahren mittels räumlich gestaffelten Mikrophonen und Schallaufzeichnungen der Westalliierten beschrieb, die anfangs recht wenig mobil waren, im Kriegsverlauf aber optimiert werden konnten134. Militärisch gesehen waren die mobilen binauralen Richtungshörer deshalb wohl nicht als Erfolg zu bezeichnen. Aber immerhin wurde mit allen Richtungshörern und den Lokalisationsverfahren das Wissen über das binaurale Hören auf breite-

129 Martin Bochow: Schallmesstrupp 51; vom Krieg der Stoppuhren gegen Mörser und Haubitzen, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1933. Der Band enthält einige Photos des Richtungshörers und das beschriebene Rechenverfahren zur Lokalisation. 130 Leo Löwenstein: Die Erfindung der Schallmessung, in: Die Schalltechnik, 1, Nr. 2, 1928, S. 21–24. Dabei handelte es sich um ein Messverfahren mit Telephonen, die im Abstand von einigen Kilometern aufgestellt werden sollten. Löwenstein berichtete darin auch mit Bezug auf eine dänische Militärzeitschrift von 1924 von einem französischen Verfahren, das von Oberst Nivelle und dem Pariser Astronomen Nordman entwickelt worden sein soll (S. 21). 131 Vgl. Christoph Hoffmann: Wissenschaft und Militär; das Berlin Psychologische Institut und der 1. Weltkrieg, in: Psychologie und Geschichte, 5 (1994), Heft 3/4, S. 269. Hoffmanns umfassender Aufsatz (ebd., S. 261–285) ist aber besonders mit v. Hornbostels und Wertheimers Arbeit befasst und enthält die näheren Umstände des Entstehens ihres Richtungshörers. 132 A. W. M. Van der Voort und, Ronald M. Aarts: Development of Dutch sound locators to detect airplanes (1927–1940), NAG/DAGA Rotterdam 2009, S. 250. 133 Ebd., S. 250–253. Bis weit in den 2. Weltkrieg hinein bauten auch zahlreiche andere, am Krieg beteiligte Nationen eigene, immer größere und kompliziertere, auf dem binauralen Prinzip beruhende akustische Lokalisationsgeräte, um die ebenfalls größeren und ausgereifteren Geschosse und Luftangriffe frühzeitig erkennen zu können. 134 Hans Linnenkohl: Vom Einzelschuß zur Feuerwalze, Koblenz 1990, S. 262–264. Zu diesen Verfahren gehören wahrscheinlich auch die in Großbritannien während des 1. Weltkrieges entwickelten riesigen, in den Kalkstein der Küste gehauene Klangspiegel, die mit einer horizontal und vertikal ausgerichteten Aufnahmeeinheit angehört wurden, oder in den Boden gelassene kreisförmige Einheiten (vgl. Richard N. Scarth: Echoes from the Sky; a story of acoustic defense, Kent 1999, S. 4–41).

102 | D ER HÖRBARE R AUM

rer Basis bekannter als zuvor und die interessierten Wissenschaftler weiteten nach dem Krieg die Grundlagenforschung am Richtungshören deutlich aus.

G RUNDLAGENFORSCHUNG NACH 1918 Deutschland Die ab 1918 veröffentlichte Grundlagenforschung zur auditiven Lokalisation kam ohne die Entwicklungs- bzw. Anwendungserfahrungen aus der Kriegszeit praktisch nicht mehr aus. Neue Veröffentlichungen, auch wenn sie wie der dritte Teil von Otto Klemms »Untersuchungen zur Lokalisation von Schallreizen«135 teilweise aus der Vorkriegszeit stammten, thematisierten nun die Zeit als einen wichtigen Faktor zur Erkennung der Schallrichtung, die zuvor nur als Verursacherin der Phasendifferenz an beiden Ohren galt und allenfalls in weit auseinander liegenden Schallaufnahmeorten zum tragenden Element von Lokalisierungsverfahren geworden war. Klemms Versuche, die er mit einem Telephon und zwei in der Distanz veränderlichen Mikrophonen durchgeführt hatte, ähnelten im Aufbau denen von Leo Löwenstein bzw. den patentierten Lokalisationsverfahren von Bowlker und Meckel. V. Hornbostel und Wertheimer berichteten erst 1920 von ihren 1915 durchgeführten Versuchen mit Mikrophonen und Trichtern ihres Richtungshörers auf Basis von Erkenntnissen und Berechnungen, also ohne Darlegung des Versuchsdesigns und der Versuchsresultate136. Bei der Beschreibung ihres Versuchsgerätes und des prinzipiellen Aufbaus, der sich letztlich im Patent wiederfindet, beriefen sie sich aber explizit auf Purkynes und Bells Versuchsanordnungen137. Zentrum ihrer Argumentation ist die Darlegung ihrer Zeittheorie, die sie gegen die Intensitätstheorie und besonders die auf Rayleigh zurückgeführte Phasentheorie abgrenzen (jedoch ohne dessen ›Theoriekombination‹ von binauraler Phase und Intensitätsdifferenzen in bestimmten Frequenzbereichen zu erwähnen). Doch sie orientieren sich in ihrer Ar-

135 Otto Klemm: Untersuchungen über die Lokalisation von Schallreizen. 3. Mitteilung: Über den Anteil des beidohrigen Hörens, in: Archiv für die gesamte Psychologie, 38, 1918, S. 71-114. Der 4. Teil des Aufsatzes (S. 105-110) trägt den Titel: »Der Einfluß des binauralen Zeitunterschieds«. Klemm verwendet auch erstmals den Begriff »Schallraum« S. 71. 136 Erich M. von Hornbostel und Max Wertheimer: Über die Wahrnehmung der Schallrichtung, in: Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften, Gesamtsitzung vom 15.4.1920, S. 388–396. 137 Ebd., S. 389.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 103

gumentation am funktionsfähigen Gerät, dessen künstlich erweiterter Ohrenabstand mittels Teleskopstangen ihnen zu einer hinreichend errechenbaren Lokalisierung verhalf. Mit Hinweis auf den hier bereits angeführten Aufsatz von Mallock zur Lokalisierung von Geschossknallen (1908) schreiben sie: »Alle bisher mitgeteilten Versuchsergebnisse sprechen dafür, dass der Seitenwinkel, in dem ein Schall gehört wird, gesetzmäßig abhängig ist von dem Zeitunterschied, mit dem der gleiche Reiz auf das eine und andere Ohr wirkt.«138 Einen Nachweis, dass dies auch mit dem natürlichen Ohrenabstand zutrifft, erbrachten sie jedoch nicht, sondern nur eine plausible Argumentation für ihre Zeittheorie. Diese liefert zwar auch eine Erklärung für die bei den Versuchen zur Intensitäts- und der Phasentheorie auftretenden Richtungssprünge139 und dafür, warum reine Töne schlechter lokalisiert werden können als Geräusche140, doch dies musste Hypothese bleiben – oder besser: hätte es wegen fehlender Nachweise bleiben müssen. Stattdessen aber wurde als erwiesen angesehen, was zum praxistauglichem Gerät wurde. Die an der Anwendung orientierte intensive und sachkundige Grundlagenforschung ist ingenieurswissenschaftliches Vorgehen. Auf dem Gebiet der auditiven Lokalisierung war das zu dieser Zeit noch nicht üblich, wurde aber in der folgenden Zeit auch auf internationaler Ebene zur Regel. Doch zunächst wurden die Forschungen zur Lokalisation noch fortgeführt wie zuvor: Es galt, mittels verschiedener Forschungsverfahren und in verschiedenen Fächern die eine zutreffende Theorie zur auditiven Lokalisation zu finden und damit zugleich die anderen zu falsifizieren141 – wobei in Deutschland nun mit der Zeittheorie eine weitere zur Debatte stand. Nach dem Erscheinen des Artikels von v. Hornbostel und Wertheimer setzte die Forschung hier wieder ein, wie an dem Artikel von Klemm142, dem

138 139 140 141

Ebd., S. 391. Ebd., S. 392f. Ebd., S. 394. Ganz anders ist hingegen v. Hornbostels Argumentationsweise in seinem Artikel »Beobachtungen über ein- und zweiohriges Hören« (in: Psychologische Forschung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Carl Stumpf, Berlin 1923, S. 64–114.). Darin stellt er, unabhängig von der zugehörigen Lokalisierungstheorie, die Summe seiner Versuchsergebnisse zum ein- und zweiohrigen Hören dar und setzt sie aus Sicht der Wahrnehmungspsychologie in einen wissenschaftlichen Zusammenhang. Allerdings fehlen auch hier die genauen Angaben zu den einzelnen Versuchsergebnissen. Es wird aus ihrer Vielzahl jedoch klar, wie umfassend und exakt am Richtungshörer geforscht und gearbeitet worden sein muss – und wie wenig die Frage nach der einzig zutreffenden physikalischen Lokalisationstheorie von Interesse war. 142 Otto Klemm: Untersuchungen über die Lokalisation von Schallreizen, 4. Mitteilung: Über den Einfluß des binauralen Zeitunterschiedes auf die Lokalisation, in: Archiv

104 | D ER HÖRBARE R AUM

von Rudolf Allers und Oskar Bénesi143 sowie dem von H. Hecht144 und dessen Diskussionen abzulesen ist. Klemms Versuche betrafen explizit den Zeitunterschied und dessen Einfluss auf die Lokalisierung. Doch anders als v. Hornbostel und Wertheimer führte er seine Versuche ausschließlich mit Telephonen durch. Zudem war sein Versuchsaufbau rein elektroakustisch, denn der Zeitunterschied des Schalls an beiden Ohren wurde nicht wie bei v. Hornbostel und Wertheimer durch die mechanische ›Ohrabstandsverlängerung‹ erzielt, sondern durch elektrische Schallverzögerung in seinem Versuchsaufbau145. Die Versuche Klemms waren dabei sehr umfassend, und ihre Auswertung146 betraf die Ermittlung der binauralen Zeitschwelle ebenso wie das Auftreten subjektiver Hörfelder, die Lokalisation nach Zeitunterschieden und durch Variation der Intensitäten beider Schallquellen verursachte ›Scheinbewegungen‹. Ferner berichtet Klemm von Versuchen, in denen Zeit- und Intensitätsunterschiede miteinander ›gekreuzt‹147 wurden, sowie von Messungen zum Hören mittels Knochenleitung oder luftübertragenem Schall148. Auch die Frage des Abhörabstandes149 oder die »Abhängigkeit des subjektiven Hörfeldes von Temperaturunterschieden«150 behandelt Klemm sowie weitere Themen, die nicht nur den Zeitunterschied als Indikator für auditive Lokalisation betreffen. Somit scheint seine Forschung ebenfalls an Praxisfragen orientiert, ohne dass jedoch ein konkreter Anwendungsbezug genannt ist.

143 144 145 146 147 148 149 150

für die gesamte Psychologie, Bd. 40, (1920), S. 117–146. Klemm nimmt dabei explizit auf v. Hornbostels und Wertheimers Arbeit Bezug (ebd., S. 117), reicht die hier angeführte Schrift aber bereits 14 Tage vor dem Vortrag v. Hornbostel und Wertheimers (15.4.1920, Akademie der Wissenschaften Berlin) am 1.4.1920 bei der Schriftleitung ein (ebd., S. 117 u. S. 146). Der komplexe Versuchsaufbau Klemms, der mit zwei Telephonen arbeitete, legt die Vermutung nah, dass Klemm ebenfalls zu Kriegszeiten forschte und dann möglicherweise an der Entwicklung eines Richtungshörers beteiligt war oder zumindest davon wusste. Rudolf Allers und Oskar Bénesi: Zur Frage nach der Wahrnehmung der Schallrichtung, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, 67, 1922, S.18–41. H. Hecht: Über die Lokalisation von Schallquellen, in: Die Naturwissenschaften, 10, 1922, S. 107–112. Klemm 1920, ebd., S. 118–123, für den gesamten Aufbau und erste Tests, S. 119 zur elektrischen Steuerung der Zeitdifferenz zwischen beiden Telephonen. Ebd., S. 126–129. Ebd., S. 129f. Ebd., S. 130–132. Ebd., S. 132f. Das Thema ist sprachlich getarnt als: Kreuzung zwischen Weg- und Zeitunterschieden. Ebd., S. 135–137.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 105

Hechts Aufsatz scheint dagegen sich direkt auf die Erfahrungen mit den Richtungshörern zu beziehen und wohl nur auf sie, weshalb er sich auf die Darstellung der auditiven Lokalisation mittels binauraler Zeitdifferenz beschränkt, was ihm jedoch Einsprüche mit Hinweisen auf das aus Schalldrücken und der Schallgeschwindigkeit bestehende Schallfeld einbrachte151. Allers und Bénesi bewegten sich hingegen auf der Ebene der reinen Grundlagenforschung. Sie stellten die Zeittheorie neben die anderen Theorien zur auditiven Lokalisation, verglichen alle miteinander, führten eigene Versuchsreihen durch und kamen am Ende zum Schluss, dass »keine der bisher aufgestellten Hypothesen über die Natur der Wahrnehmung von Schallrichtungen zu befriedigen vermag«152. Zu keinem eindeutigen Ergebnis kamen auch Kurt Goldstein und Olly Rosenthal-Veit, die 1926 von ihren Experimenten zu Lokalisationsgenauigkeit horizontal und 360° in Ohrhöhe berichteten153. Allerdings ging es den Autoren wohl auch um zu viele Aspekte, denn sie wollten nicht nur die auditive Lokalisationsfähigkeit von Gesunden und Kranken miteinander vergleichen, sondern auch herausfinden, ob auditive Lokalisation besser verläuft, wenn die Teilnehmer auf den lokalisierten Quadranten mit der Hand weisen oder ihn wörtlich nennen. Doch gingen die Autoren geradezu übergenau vor, denn sie vermerkten schon geringe Abweichungen als fehlerhaft. Interessant sind aber ihre Versuche mit der »Kopflokalisation«, bei denen die Teilnehmer ihren Kopf in Richtung des Schallortes drehen sollten und ihre Bewegung an einem Messstab abgelesen wurden, denn hier gab es die besten Resultate, wenn auch nur im Bereich von 30 – 60 Grad154: Die Suche nach den eindeutigen Ursachen und klaren Ergebnissen bei der auditiven Lokalisation trat im deutschen Sprachbereich offenbar auf der Stelle.

151 Vgl. H. Carsten und H. Salinger: Zur Frage der Lokalisation von Schallquellen, in: Die Naturwissenschaften, 14, 1922, S. 329f. 152 Allers und Benési 1922, S. 27. Die Autoren kommen über eine Aufzählung und das Abwägen der Spezifika der Theorien nicht hinaus. 153 Kurt Goldstein und Olly Rosenthal-Veit: Über akustische Lokalisation und deren Beeinflussbarkeit durch andere Sinnesreize, in: Psychologische Forschung – Zeitschrift für Psychologie und ihre Grenzwissenschaften, 8, 1926, S. 318–335. 154 Ebd., S. 325. Hier handelt es sich jedoch nicht um die kleinen Kopfbewegungen, mit deren Hilfe die auditive Lokalisation insgesamt besser funktioniert.

106 | D ER HÖRBARE R AUM

USA Die Situation war in den USA zugleich anders und ähnlich: Erfahrungen mit den Lokalisiergeräten des 1. Weltkrieges standen am Anfang, doch die Weiterentwicklung der Forschungsthemen verlief anders – nicht zuletzt, weil die Auffassungen der bisherigen Forschung anders waren. Denn Rayleighs 1907 geäußerte Ansicht, dass die auditive Lokalisation bei tiefen Frequenzen über die Phasendifferenzen, bei höheren Frequenzen hingegen über die Intensitätsdifferenzen verlaufe, wurde hier in der vollen Dualität verstanden und zur Basis aller weiteren Forschungen. Schon seit 1911 hatte sich etwa George Stewart mit Rayleighs dualer Theorie und der auf sie folgenden Fachliteratur sowie mit psychologischen Untersuchungen befasst. Er errechnete die Schallfelder für Intensitäts- und Phasendifferenzen im 360° Radius am Kopf des Hörers, sei es als Einzelparameter155 oder im Vergleich ihrer Kapazitäten in Bezug auf die Rate der korrekten Richtungsbestimmungen. 1920 jedoch berichtete er, dass sich keine Übereinstimmungen der Frequenzen ergäben, wenn man die Ergebnisse von Versuchen mit Intensitätsdifferenzen mit denen vergliche, die mit Phasen- und Intensitätsdifferenzen durchgeführt würden. Intensitätsdifferenzen, so schloss er, hätten somit keinen großen Einfluss auf die Lokalisation von reinen Tönen156. Dieser hierarchisierenden Einschätzung der dualen Lokalisationskomponenten widersprachen zwei Jahre später R. V. L. Hartley und Thornton Fry157. In ihrem ebenfalls theoretisch gehaltenen und mit Rechenergebnissen und Diagrammen versehenen Artikel geht es um die Analyse des binaural erfassbaren Schallfeldes: Zwei (physikalische) Komponenten stünden hier zwei Ohren gegenüber158 und es sei notwendig, herauszufinden, ob Phase und Intensität auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen seien und wo diese dann zu lokalisieren wäre159, um die theoretischen Voraussagen für spätere Laborexperimente treffen zu können. Nach genauen Analysen bisheriger Versuchs- und Rechenergebnisse kommen die Autoren zu dem Ergeb-

155 G. W. Stewart: The Acoustic Shadow of a Rigid Sphere with Certain Applications in Architectural Acoustics and Audition, in: The Physical Review, Vol. 33, 1911, S. 467–479; ders.: Phase Relations in the Acoustic Shadow of a Rigid Sphere; Phase Difference at the Ears, in: The Physical Review, Vol. 4, Series 2, 1914, S. 252–258. 156 G. W. Stewart: The Function of Intensity and Phase in the Binaural Location of Pure Tones, in: Proc. N.A.S., Vol. 6, 1920, S. 166–169. 157 R. V. L. Hartley und Thornton C. Fry: The Binaural Location of Pure Tones, in: The Physical Review, Vol. 18, No. 6 (1921), S. 431–442. 158 Ebd., S. 432. 159 Ebd., S. 433.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 107

nis, dass im Labor genau die zuvor ermittelten Frequenzen getestet werden sollten, bei denen Phasen- und Intensitätsdifferenzen an einen emittierenden Ort zurückgeführt werden können, wobei sie zugleich aber auch auf die die psychologische Forschung betreffenden individuellen Differenzen bei der auditiven Lokalisierung verweisen160. Das Ende des Artikels erscheint somit nicht weniger unspezifisch und hilflos als die Ergebnisse anderer Forscher zum Thema aus dieser Zeit. Doch hinsichtlich der geforderten direkten Relation von Schallquelle und Hörer in Bezug auf wirklichkeitsnahe Schallverhältnisse ist der Artikel neuartig, denn der Begriff ›Relation‹ geht über den Begriff ›Distanz‹ hinaus. Schallquelle und Hörer werden darin direkt in Beziehung gesetzt, während Distanz dies zur indirekt tut. Hartley und Fry wechselten also, wenn auch nur in Vorüberlegungen, die Perspektive. Diese Definition eines lebensnahen Ausgangspunkts für die Laborsituation und die damit einhergehenden intensiven theoretischen Überlegungen stellten nicht nur die übliche Vorgehensweise von Forschungsarbeiten in Frage, sie hatten sehr wahrscheinlich auch einen realen Bezug zur Entwicklungstätigkeit. So war zumindest Hartley bereits mit der Entwicklung von Richtungshörern befasst und hatte am 16.7.1919 ein Patent für einen »Apparatus and System for Detecting Vibrations« beantragt, auf dessen Erteilung er bis zum am 8.11.1927 warten musste161. Es handelt sich dabei um einen elektrischen Richtungshörer, dessen Grundform dem von v. Hornbostel und Wertheimer frappierend ähnelt: Zwei Empfänger befinden sich am Ende einer langen quer verlaufenden Stange und sind mit Hörschläuchen zum Ohr verbunden. Hartley verwandte jedoch ausschließlich Mikrophone, die v. Hornbostel und Wertheimer nur als fakultativ beschrieben hatten. Hartleys eigene Entwicklungsarbeit, die er letztlich auch patentiert bekam, bezog sich auf die Lokalisationsermittlung, und diese ist mit der v. Hornbostel und Wertheimers nicht zu vergleichen. Denn obwohl Hartley anfangs die Lokalisation durch Zeitunterschiede beschrieb162, funktionierte die Lokalisation in seinem Patent auf Phasenunterschieden zwischen beiden Seiten. Diese werden in einer nur die Intensität betreffenden Verstärkungseinheit beibehalten, sodass die Richtung am Ende halbautomatisch über die Handsteuerung der Intensitätsverstärkung ermittelt und angezeigt wird (Abb. 14). Dass Hartley seinen Patentanspruch im Verlauf der Zeit spezifizierte, ist aus dem Bezug auf zwei weitere Patentanmeldungen im September 1919 offenkundig163. Eine davon wurde auch erteilt, wenn auch 160 161 162 163

Ebd., S. 441f. R. V. L. Hartley: Apparatus and System for Detecting Vibrations, US 1,648,121. Ebd., S. 1, Z. 10f. Ebd., S. 2, Z. 3f.

108 | D ER HÖRBARE R AUM

erst am 1.4.1930164. Somit ist nicht eindeutig zu klären, welche Änderungen Hartley an diesem Patentanspruch zu welchen Zeitpunkten vornahm. Den direkten Einfluss der im Aufsatz mit Fry angestellten Überlegungen auf diese Patententwicklung ist daher ebenso wenig nachzuweisen. Doch scheint die handgeführte Steuerung von Phase und Intensität des Patentes deutlich in Verbindung zum Aufsatz zu stehen: In Abhängigkeit voneinander dienen sie der Lokalisation. Unabhängig davon, ob nun die Entwicklung dieses Richtungshörers mit der Abfassung des Artikels in Zusammenhang steht oder nicht, handelt es sich bei dem von Hartley und Fry vertretenen Ansatz um die Annäherung an eine echte Duplex-Theorie. Mit dem Vorschlag, die Experimentalfrequenzen hinsichtlich Intensität und Phase auf eine Quelle zurückzuführen, gehen die Autoren indirekt davon aus, dass beide gleichermaßen an der auditiven Lokalisierung beteiligt sind und setzen sich damit von allen anderen Autoren ab, die immer noch nach einem einzelnen physikalischen Kriterium suchten. H. M. Halverston165 etwa gehörte dazu und anfangs auch H. Banister166. Beide waren Psychologen und experimentierten mit der auditiven Lokalisation mittels Intensitäts- und Phasendifferenzen, gingen in ihren Vergleichen aber eher davon aus, dass die Phasendifferenzen ein besseres Kriterium für die Lokalisation sind, da die Fehllokalisationen etwas geringer erschienen als bei den Versuchen mit Intensitätsdifferenzen. Nicht sehr viel anders sah dies E. G. Boring167, der im Kontext einer umfassenden Hörtheorie mit besonderem Blick auf die auditive Lokalisation zumindest die Zeittheorie von v. Hornbostel und Wertheimer nennt und diese auch Klemm zuschreibt168. Später zählt er sie aber zu den Phasendifferenzen169 und lässt am Ende offen, ob Intensitäts- oder Zeitdifferenzen die auditive Lokalisation bestimmen.

164 Francis Alley Hubbard: Method and Apparatus for Comparing and Adjusting the Electrical length of Paths of the Transmission of Electrical Energy, US 1,752,528. Hubbard war ebenso wie Hartley bei der Western Electric Company beschäftigt. 165 H. M. Halverston: Binaural Localization of Tones as Dependent upon Differences of Phase and Intensity, in: The American Journal of Psychology (1922), S. S. 178–212. 166 H. Banister: A Further Note on the Phase Effect in the Localization of Sound, in: The British Journal of Psychology, Vol. 14, 1924, S. 80f.; ders.: The Effect of Binaural Phase Differences on the Localization of Tones at Various Frequencies, in: The British Journal of Psychology, Vol. 15, 1925, S. 280–307; ders.: Three Experiments on the Localization of Tones, in: The British Journal of Psychology, Vol. 16, 1926, S. 265–292. 167 E. G. Boring: Auditory Theory with Special Reference to Intensity, Volume and Localization, The American Journal of Psychology, Vol. 37, 1926, S. 157–188. 168 Ebd., S. 165. 169 Ebd., S. 172.

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 109

Zwei Jahre darauf, 1928, nahm sich Otis Trimble in einem theoretischen Artikel dieser Frage in vollem Umfang an170. Er kommt, da er keinerlei eindeutige Ergebnisse für die Dominanz eine Lokalisationstheorie findet, zu dem Schluss: »the directional localization of a sound source, under the ordinary conditions of hearing, depends upon the configurational nature of the cortical effects that correspond to the physical ›difference pattern‹ at the ears.«171 1909 hatte Rayleigh bereits Ähnliches vermutet172 und 1928 stand die Erforschung der »kortikalen Effekte« immer noch weitgehend aus. Diese Vermutung wurde schrittweise durch die Ergebnisse der Forschung in der Physiologie und Neurologie während der folgenden Jahrzehnte belegt. Für die Akustik bedeutete die Übergabe der Grundlagenforschung an andere Fächer die Konzentration auf Forschungen im Kontext raumtechnologischer Entwicklungen, deren Bedarf sich in den rasch entwickelnden elektroakustischen Medien (Rundfunk, Tonfilm) ab Anfang der 1920er Jahre abzeichnete.

V OM R ICHTUNGS - ZUM R AUMHÖREN : E RWEITERUNG DES F ORSCHUNGSGEGENSTANDES In dem Anwendungsfeld der elektroakustischen Medien wuchs die Forschungsthematik des Richtungshörens mit Aspekten der Raumakustik zusammen. Obwohl Wallace Sabine bereits 1901 seine empirischen Forschungen zur Raumakustik abgeschlossen und seine Ergebnisse auf eine mathematische Formel zum Nachhall gebracht hatte, waren seine Forschungen für die Thematik des Richtungshörens nicht relevant. Denn unter welcher Fachperspektive sie mit welchen Mitteln auch angegangen wurde: Es ging bei der Thematik des Richtungshörens immer um die Relation von Schallort, der durch einen möglichst präzise kontrollierbaren Schallgeber markiert wurde, und binauralem Gehör der Versuchsteilnehmer. Nachhall gehörte nicht zur beforschten Relation, auch wenn in Forschungslaboren spezifische raumakustische Umgebungen geherrscht hatten und in jedem architektonischen Raum anzutreffen sind. Meist fällt es Hörern nach einer kleinen Eingewöhnungsphase aber leicht, zwischen Direktschall und Nachhall im Raum zu unterscheiden. Deshalb wohl machten sich nur wenige Forscher nach Venturi

170 Otis C. Trimble: The Theory of Sound Localization: A Restatement, Psychological Review, 1928, S. 515–523. 171 Ebd., S. 522f. 172 Rayleigh 1909, S. 525.

110 | D ER HÖRBARE R AUM

die Mühe, ihre Richtungshörversuche im Freien und ohne raumakustische Beeinflussung zu unternehmen173. Je mehr Akustiker und Wahrnehmungspsychologen jedoch von der Frage des Schallfeldes ausgingen, das sich den Ohren präsentiert – sei es zur Entwicklung von Geräten und Verfahren zum Richtungshören, sei es um die Ursachen des binauralen Hörens zu erforschen – umso mehr rückte auch die allgemeine Schallumgebung ins Interesse. Klemm, für den 1914 Raum noch Richtung bedeutete, sprach 1918 bereits vom »Schallraum«174 und 1920 von »Raumlage«175, während v. Hornbostel sogar 1926 in seinem Artikel »Das räumliche Hören«176 vom »Hörraum« spricht, dessen Hörbarkeit er von der »Wahrnehmung der Schallentfernung«177 abgrenzt. Gemeint ist bei Klemm und von Hornbostel immer die hörbare Umgebung, nicht die spezielle akustische Nachricht des Raumes oder Saales, die ein Hörer an seinem Platz aus dem Wechselspiel von Direktschall und den Schallreflexionen aufgrund der akustischen Saaleigenschaften wahrnehmen kann. Insofern ist Klemms und v. Hornbostels Begrifflichkeit nicht nur auf die Erfahrungen der Richtungshörer im 1. Weltkrieg zurückzuführen, sondern möglicherweise auch auf die schon in der Forschungstradition des späten 19. Jahrhunderts zunehmend laxere Verwendung des Raumbegriffs für das Auditive. Er findet sich auch in der Philosophie mit der sich dort abzeichnenden Aufweichung der kategorialen Trennung von »Raum« und »Zeit« (etwa mit Hermann Minkowskis »Raumzeit«) und war mit der Formulierung der Relativitätstheorie von Albert Einstein 1905 nicht mehr zu halten. Nachhall, Raumresonanz und andere unmittelbar zur Architektur eines Raumes gehörenden akustischen Phänomene waren von dieser kategorialen Trennung der Philosophie ohnehin nicht betroffen. Schon in antiken Theatern sollen laut Vitruv (1. Jh. v. Chr.) schallbeeinflussende Gefäße eingebaut gewesen sein ebenso wie in Kirchenbauten des Mittelalters, deren Architekten sich auf Vitruv beriefen178. Und Athanasius Kircher beschäftigt sich mit

173 174 175 176

Z. B. Docq, 1870. Klemm 1918, S. 71. Klemm 1920, S. 122. Erich Moritz von Hornbostel: Das räumliche Hören, in: A. Bethe u.a. (Hg.): Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie, Bd. 11, 1926, S. 602–619. Der »Hörraum« ist das erst und größte beider Unterkapitel (S. 602–615). 177 Ebd., S. 616ff. 178 Peter Költzsch: Von der Antike bis in das 20. Jh.; ein Streifzug durch die Geschichte der Akustik, Berlin 2010, S. 46ff. Költzsch nennt die Gefäße »Helmholtzresonatoren« (S. 46).

G RUNDLAGENFORSCHUNG UND E RFINDUNGEN ZUM RÄUMLICHEN H ÖREN AB 1881

| 111

Raumakustik sowohl in seiner Musurgia Universalis von 1650179 wie in seiner Phonurgia Nova von 1673180, die bereits 1684 vollständig in barockes Deutsch übersetzt und mit allen Illustrationen verlegt worden war181. Die architekturbezogene Raumakustik blickt somit auf eine erheblich längere Forschungsgeschichte zurück als das binaurale Hören, und sie ist mit diesem um 1920 thematisch noch gar nicht verbunden, weil beide Gebiete von sehr verschiedenen Perspektiven ausgehen: die architekturbezogene Raumakustik von der spezifischen Klanglichkeit und Hörsamkeit eines gegebenen Raums und das binaurale Richtungs- und Raumhören von der Wahrnehmungsfähigkeit des hörenden Individuums. Im Bereich der Hörbarkeitsforschung war die Raumakustik jedoch bis in die 1920er Jahre kaum Forschungsgegenstand. Bis dahin wurde sie hier allenfalls thematisiert, wenn ein Raum die dort präsentierten Klangereignisse verfälschte oder schwer hörbar machte. Dies zumindest war 1895 der Anlass gewesen, Sabine mit der Aufgabe der akustischen Verbesserung der Fogg Lecture Hall in Boston zu betrauen. Erst gegen Mitte der 1920er Jahre wurde der Eigenklang von Räumen zum häufig und weithin behandelten Thema. Grund dafür war die Einführung des öffentlichen Rundfunks ab ca. 1922, der schnell auf internationaler Ebene die Problematik der Reduktion von visuell-auditiven auf rein auditive Ereignisse ins Bewusstsein und in die Diskussion brachte. In dem rein auditiven Medium des Rundfunks war der hörbare Raum der einzige Übermittler von Ortsinformationen, die sich durch klangliche Differenzierungen kenntlich machten; Raum wurde damit selbst zum Klang. Binaurales Hören mit seinem spezifischen Merkmal der auditiven Lokalisation und Raumakustik mit ihrem spezifischen Merkmal der klanglichen Differenzierung von Orten bildeten sich erstmals zum Komplex und konnten nun unter der neu entstandenen Perspektive der reinen Klanglichkeit akustischer Räume betrachtet werden. Dies zumindest war der Ansatzpunkt für die künstlerische Klangarbeit, die aber nicht nur auf Basis bereits vorhandener Ergebnisse aus Forschung und technischer Entwicklung entstehen konnte, sondern auch auf neue Forschungen und technische Entwicklungen angewiesen war, wie der weitere historische Verlauf zeigen wird. 179 Athanasius Kircher: Musurgia universalis sive ars magna consoni et dissoni, Rom 1650; Teilübersetzung ohne Illustrationen von Andreas Hirsch: Philosophischer Extract und Auszug aus deß Welt-Berühmten Teutschen Jesuiten, Athanasii Kircheri von Fulda, Schwäbisch Hall 1662 (Reprint Leipzig, Kassel 1988). 180 Athanasius Kircher: Phonurgia Nova sive Coniugium Mechanico-physicum artis et naturae Paranympha Phonosophia concinnatum, Campidona 1673. 181 Athanasius Kircher: Neue Hall- und Thonkunst, Nördlingen 1684.

Mediale Praxis des hörbaren Raums (1920 – 1950)

Ab Anfang der 1920er Jahre ist eine tiefgreifende Änderung im Umgang mit dem auf der binauralen Wahrnehmung basierenden räumlichen Hören und dem architekturbezogenen Raumhören zu beobachten. Angestoßen wurde sie durch den öffentlichen Rundfunk, der ab 1922 auf internationaler Ebene eingeführt wurde und sehr schnell so breite Akzeptanz fand, dass er zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor der Nachkriegszeit und echtem Massenmedium wurde. Im Kontext des steigenden öffentlichen Interesses an diesem rein akustischen Medium erhielten auch auditive Raumaspekte zunehmende Beachtung. Sie wurden nicht mehr nur in reinen Fachkreisen diskutiert, die ihre Grundlagenforschung nun massiv an den Anwendungen orientierten, auch Programmgestalter und Publikum informierten sich in Rundfunk- und/oder Technikzeitschriften über die rasanten Entwicklungen. Innerhalb nur weniger Jahre wurde die Bedeutung der Klangumgebung und des binauralen Hörens deutlich, wobei sich schnell gattungsspezifische Anforderungen von Musik, Sprache und Hörspiel an den hörbaren Raum im Rahmen der Sendungsproduktion differenzierten und sich gleichzeitig die Frage der Wiedergabe bzw. des Empfangs dieser Raumklänge stellte. In den Rundfunkzeitschriften wurden anfangs noch allgemeine Einführungen in die Thematik abgedruckt, die weit über die spezifischen rundfunkbezogenen Anwendungen des auditiven Raums hinausgingen. Es nahmen zahlreiche Experten zu den verschiedenen Themen und aktuellen Entwicklungen im Rundfunk auch auf internationaler Ebene Stellung. Daher ist es möglich, anhand dieser Beiträge und einiger anderer unterstützender Quellen ein anschauliches Bild der Diskussionen über die Thematik des auditiven Raums in denn frühen elektroakustischen Medien zu zeichnen. Zwar verengten sich die Darstellungen in den Publikumszeitschriften bis ca. 1930 zunehmend auf das Medium Rundfunk und dessen technische Möglichkeiten.

114 | D ER HÖRBARE R AUM

Die in den früheren Jahren bereits konstatierten Problematiken galten aber auch für andere elektroakustische Medien wie die Grammophonproduktion, den ab 1927 beginnenden Tonfilm und den Bau elektrischer Instrumente. Dies zumindest ist den Forschungen, Erfindungen und Experimenten auf diesen Gebieten zu entnehmen, die ab Mitte der 1920er Jahre einsetzten und zu spezifischen Lösungen für das jeweilige Medium führten, zu denen auch stereophone und mehrkanalige Ansätze gehörten. Doch behielten die meisten dieser Arbeiten über einen sehr langen Zeitraum rein experimentellen Charakter, die hauptsächlich der Fachwelt bekannt blieben und nur selten auch die breite Öffentlichkeit erreichten. Gleichwohl spezifizierten sich raumklangliche Geräte und Tonaufnahmeverfahren und das Thema des Raumklangs wurde dadurch immer umfassender.

A LLTAG UND E XPERIMENTE : A UDITIVE R AUMGESTALTUNG IN DEN ELEKTROAKUSTISCHEN M EDIEN Ein Thema wird öffentlich: Auditiver Raum im Rundfunk der 1920er Jahre Berichten und Darstellungen in Rundfunkzeitschriften zufolge, die mit Einführung des Rundfunks in Deutschland erschienen, verstand man anfangs auditive Räumlichkeit als binaurales Wahrnehmungsangebot und knüpfte in Versuchen zur Übertragung aus Opern- und Konzerthäusern Anfang der 1920 Jahre zunächst an die am besten bekannte Ausdrucksform an: die Musikübertragung per Telephon. Doch deren Räumlichkeit ließ sich für den einkanalig sendenden und damit monophonen Rundfunk nur eingeschränkt nutzen, wie etwa in der Frage der Mikrophonposition im Saal und auf der Bühne, die anfangs im Mittelpunkt der Berichte stand. Die Akustik der großen Räume für Aufführungen vor Publikum unterschied sich stark von den im Rundfunk üblichen akustisch stark gedämpftem, ›trockenen‹ Aufnahmeräumen, was ebenso wie die architektonischen Gegebenheiten eines Saales bei der Suche nach der optimalen Raumposition zu berücksichtigen war. Aus Platzgründen konnte nicht immer der favorisierte Typus eingesetzt werden, wie F. Weichart im ersten Artikel der Zeitschrift Funk ausführlich darlegt1 und dabei zugleich auf die Notwendigkeit der genauen Kenntnis der

1

F. Weichart: Das Mikrophon auf der Bühne, in: Funk, Heft 1, 1924, S. 1–4.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 115

Saalakustik verweist2. Mehrere Mikrophone, so gaben auch andere Autoren an3, waren meist bei solchen Aufnahmen auf der Bühne oder im Zuschauerraum platziert. Einige erforderten zusätzliche Verstärkung, um deren geringen Übertragungspegel auszugleichen4. Detailgetreu werden Aufbau und technische Übertragung dargestellt, und dabei gelegentlich auch ein Blick auf die technischen Vorgänger in der telephonischen Opernübertragung5 oder auf deren zeitgenössische Entwicklung6 geworfen, die ebenfalls mit einer Vielzahl von Mikrophonen im Saal und auf der Bühne experimentierten. Die Bezeichnungen »Fernübertragung« oder »Rundfunktelephonie« meinten jedoch keine explizite Differenzierung von Rundfunk und Telephonübertragung, obwohl bis weit ins Jahr 1925 hinein die Frage nach der Stereophonie, die immerhin einen klaren Vorteil mancher Opernübertragung per Telephon darstellte, gar nicht thematisiert wurde7. Selbst F. M. Feldhaus, der seinen historischen Aktenbericht mit »Aders Fernsprechanlage«8 in der Pariser Elektrizitätsausstellung 1881 begann, erwähnte dessen stereophonischen Ansatz nicht. Erst im Frühsommer 1925 wurde Stereophonie zum Thema, als mit dem 20. Heft von Funk eine Artikelserie begann, zu der auch Leserzuschriften gehörten. Unter dem Titel »Plastisches Hören von Rundfunkdarbietungen« erläutert der ungenannte Autor, vermutlich der Schriftleiter des Funk Ludwig Kapeller, einige Versuche des Rundfunks zum plastischen Hören, die seit 1924 durchgeführt worden waren9. Er beginnt mit einem StereophonieExperiment mit zwei Sendern, dem des Vox-Hauses, in dem die Berliner 2

3 4 5 6 7 8 9

Da er sie als »›Akustik‹ in dem betreffenden Raum« (ebd., S. 1) bezeichnet, scheint es so, als sei dem Autor der Begriff nicht geläufig, und es ist zu vermuten, dass es den Lesern ähnlich ging. Immerhin war der öffentliche Rundfunk zu dem Zeitpunkt kaum mehr als zwei Monate alt, die Leser- und Hörerschaft wurde gerade mit den Grundlagen des neuen Mediums vertraut gemacht. Auch die erste deutschlandweit verbreitete Rundfunkzeitschrift Der deutsche Rundfunk, die zeitgleich mit dem Rundfunk im Oktober 1923 erstmals erschien, enthielt eine Vielzahl technischer Artikel sowie Informationen zur Organisation des Rundfunks und zur Entwicklung seines Programms. Die umfassendsten Artikel zur Rundfunktechnik und seinen Geräten enthielt der Funk. Z.B. »prom«: Opernfunk auf Draht, in: Funk, Heft 11, 1924, S. 189–191 oder W. Hahn: Die Übertragung aus der Staatsoper, in: Funk, Heft 23, 1924, S. 333–335. Weichart, 1924, S. 2. Der Autor gibt mehrere Szenarien für Verstärkungen an. F.M. Feldhaus: Die ersten Fernkonzerte in Deutschland, in: Funk, Heft 34, 1924, S. 525f. Vgl. FN 3, »prom«. Dr. E.: Die erste Opernübertragung aus Zürich, in: Funk, Heft 15, 1925, S. 181. Feldhaus 1924, S. 525. Plastisches Hören von Rundfunkdarbietungen, in: Funk, Heft 20, 1925, S. 240.

116 | D ER HÖRBARE R AUM

Funkstunde residierte und sendete, und dem Sender des nah bei Berlin gelegenen Ortes Königswusterhausen, einer Großsendesteller von der aus die Reichspost und das Militär schon die ersten Rundfunkversuche betrieben hatten (Abb. 14). Der Autor beschreibt die Raumwirkung des »Doppelhören« und vergleicht sie mit dem üblichen »Einfachhören«, berichtet von Versuchen mit gleichzeitiger Übertragung über Rundfunk und Telephon, verwendet jedoch erst im Anschluss daran den Begriff »stereo-akustische Aufnahme« und kommt am Ende auf die stereophonische Telephonübertragung von Opern in München zu sprechen, die gerade eingeführt worden war. Deren Technologie hat der Autor aber offenbar nicht ganz verstanden, denn er behauptet, dass aus Kostengründen eine doppelte Telephonleitung in München vorläufig wohl nicht möglich sei10. Doch genau dies war schon bei Ader problemlos möglich gewesen, da Sprech- und Hörleitung bei Telephonen immer getrennt und damit »doppelt« waren und beide für die Musikübertragung genutzt wurden. Dagegen verschweigt der Autor die Problematik des stereoakustischen Rundfunks: Hier wäre der Besitz von zwei Radiogeräten nötig oder eines solchen, das zwei verschiedene Sendefrequenzen gleichzeitig empfangen könne. Abbildung 14: Stereophonie-Experiment im Rundfunk 1925

aus: Kapeller 1925, S. 319 10

Eine mehr auf die reine Nachricht reduzierte Meldung zur Eröffnung des stereoakustischen Operntelephons in München und die Versuche zu stereophonen Rundfunkübertragungen mit dem Titel »Stereo-akustischer Rundfunkempfang« brachte aber Der deutsche Rundfunk in Heft 21 v. 24.5.1925, S. 1320.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 117

Geradezu folgerichtig war deshalb der Artikel von Manfred v. Ardenne, der ebenfalls »Plastisches Hören von Rundfunkdarbietungen« heißt und drei Hefte später im Funk erschien11. Von Ardenne erläutert darin zunächst die Grundlagen und klärt über die akustischen Ursachen des plastischen Hörens auf: Es seien die Phasendifferenzen, die auf Wegdifferenzen des Schalls zwischen beiden Mikrophonen bzw. Ohren beruhten. Im Anschluss daran erläutert er eigene Versuche zum plastischen Hören, die er seit 1923 angestellt habe. Es handelte sich dabei um eine Art Pseudostereophonie, bei der v. Ardenne eine künstliche Phasendifferenz erzeugte, in dem er gleichzeitig per Lautsprecher und Kopfhörer hörte. Eine Art »Sphärenmusik«12 sei damit möglich, jedoch keine Lokalisation, und im Übrigen könne man diesen Effekt auch erzielen, wenn man mit zwei Lautsprechern gleichzeitig höre. Wie gering der allgemeine Wissensstand zum Thema Stereophonie auch in technisch interessierten Kreisen war, belegt die Leserzuschrift von »Ingenieur Lübbert aus Nauen« auf derselben Seite von v. Ardennes Beitrag. Er nimmt Stellung zu dem in einem früheren Heft erschienenen Artikel eines ungenannten Autors und berichtet, dass der »technische Schriftsteller Heinrich Kluth« schon vor der besagten Münchner Erfindung zum »Raumhören« und »Räumlichen Fernhören« in Nauen vorgetragen habe und somit eine Doppelerfindung vorliegen müsse. Der daran anschließende umfassende Artikel Ludwig Kapellers zum Thema »Rundfunkstereophonie« offenbart, dass Kapeller die Leserzuschrift wohl ähnlich verstanden hatte, denn er leistet darin nicht nur genaue Aufklärungsarbeit, sondern beginnt auch mit zwei Absätzen zum Thema Rundfunkbastler und dessen Begriff von Erfindung13. Im Hauptteil dieses Artikels sind alle wesentlichen historischen und physikalischen Details zum Thema zu finden, Ausführungen über Aders Analogon zur Stereoskopie ebenso wie

11 12

13

Manfred v. Ardenne: Plastisches Hören von Rundfunkdarbietungen, in: Funk, Heft 23, 1925, S. 281. Ebd. Der deutsche Rundfunk veröffentlichte in Heft 27 v. 5.7.1925, S. 1708f. einen noch umfangreicheren Artikel v. Ardennes. Unter dem Thema »Neues vom plastischen Hören« berichtet v. Ardenne hier besonders von der Möglichkeit, eine Phasendifferenz in der »Sprechmaschinenmusik« zu erzeugen, indem zwei kurz hintereinander gelagerte Stifte auf eine Rille der Grammophonplatte gelegt werden. Ohne dessen Namen zu nennen, aber mit einem Photo beschrieb v. Ardenne damit das pseudostereophone Prinzip, das Heinrich Küchenmeister am 24.7.1924 zum Patent angemeldet hatte (DE 418667, Ausg. 12.9.1925) und bereits im Herbst 1925 als gebrauchsfertiges Grammophongerät Ultraphon präsentierte und das hier weiter unten noch genauer dargestellt wird. Ludwig Kapeller: Der stereophonische Rundfunk, in: Funk, Heft 27, 1925, S. 317– 319.

118 | D ER HÖRBARE R AUM

über weitere Anwendungen dieses Prinzips sowie die physikalische Beschreibung der Schallausbreitung, Zeit-, Intensitäts- und Phasendifferenzen, die das plastische Hören ermöglichen. Die Anbringung von zwei Mikrofonen im Ohrenabstand nennt Kapeller explizit »Stereophonie«14, beschreibt aber zugleich, dass eine solche Mikrophonaufstellung bei einer Opernübertragung aus akustischen Gründen unpraktikabel sei, da es am Zuschauerplatz Nachhallprobleme gebe. Deshalb habe man in der Berliner Staatsoper sechs Aufnahmegeräte am Bühnenrand angebracht, die in zwei Gruppen zusammengefasst und „in einem Stromkreis vereinigt (hintereinandergeschaltet)«15 seien. »Wenn man einmal die Gelegenheit hat, diese stereophonische Übertragung zu hören, so ist man überrascht von der Wirkung: der Schall scheint unvergleichlich voller, in allen Einzelheiten schärfer umrissen und klarer gegliedert, und vor allem heben sich einzelne Stimmen gegeneinander und vom Chor und Orchester so gegenständlich, so ›räumlich‹ ab, daß man glaubt, die einzelnen Schauspieler sich bewegen zu sehen.«16 Eine gezeichnete Skizze (s. Abb. 14) erläutert am Ende die Sendetechnik mit zwei Sendern (auf getrennten Sendefrequenzen) und einem »doppelten« Empfänger, die Kapeller selbst ausführlich in allen Schwierigkeiten darlegt17, sodass er mit dem Aufruf an alle Bastler zu genauen Beobachtungen und Vorschlägen zum plastischen Hören des Rundfunk schließen konnte. Diesem Aufruf folgte Gerhard Saar bereits im nächsten Heft mit der Beschreibung einer vergleichsweise komplizierten Schaltung und Bastelarbeit, die auf dem selbst beobachteten Prinzip aufbaut, dass plastische Klänge durch leichte Klangfarbendifferenzen zwischen zwei Kanälen hörbar sind18. Saar stellte sie her, indem er zunächst mit zwei Detektoren, die dasselbe

14 15 16 17

18

Ebd., S. 318. Ebd. Ebd., S. 318f. Eine genauere Zeichnung ist bei Peter Lertes: Drahtloses Fernsprechen, in: Artur Fürst: Das Weltreich der Technik, Bd. 1, Berlin 1929, S. 323 abgedruckt. Lertes stellt dabei aber eine leichte Variante in Bezug auf die beiden Sendefrequenzen und die beteiligten Stationen (hier: Berlin und Zeesen) dar. Ferner ist auf derselben Seite das Photo eines »Doppelmikrophons für stereoakustischen Rundfunk« abgebildet, zwei parallel im Ohrenabstand monierte Mikrophone, die 90 Grad vom Sprecher abweisen. Im Text beschreibt Lertes den Abstand als 21 cm, was dem mittleren Ohrenabstand entspricht (ebd., S. 326), schreibt jedoch gleichzeitig nichts zur Ausrichtung der Membranen, die dem o.g. Photo entsprechend der natürlichen Anordnung der Ohren am Kopf (bzw. der Trommelfelle) entsprechen. Von dazugehörigen konkreten Versuchen ist kein Hinweis zu finden. Gerhard Saar: Plastisches Hören mit Doppelempfänger, in: Funk, Heft 28, 1925, S. 340.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 119

Programm empfingen, zwei identische Kanäle erzeugte. Während ein Detektor direkt mit einem Telephonhörer verbunden wurde, verlief der andere über einen selbstgebauten Filter mit vier Kondensatoren unterschiedlicher Kapazität, bevor er an den anderen Telephonhörer der Abhöreinrichtung gelangte. In diesem Schaltungsweg konnte die Klangfarbenänderung vorgenommen und so lange im Vergleich mit dem ungefilterten Empfangssignal feinabgestimmt werden, bis sich ein plastischer Höreindruck einstellte. Neben praktischen Bautipps gab Saar zudem noch Hinweise zur Erweiterung der ersten Schaltung, um einen plastischen Empfang für mehrere Hörer zu ermöglichen19. Zur gleichen Zeit entwickelten Vater und Sohn Heinrich Klenk ein aufnahmeseitiges Multikanalverfahren, das mittels Lochscheibe einen Wechsel der Zuschaltung auf den Übertragungskanal ermöglichte und empfangsseitig zu Phasenverschiebungen und damit zu räumlichen Klangeindrücken führen sollte20. In späteren Heften des Funk wurde nur noch einmal das plastische Hören thematisiert. In dem Bericht über einen Vortrag im Institut für Radiokunde geht es um die Definition des Ohrenabstands als ideale Aufstellungsdifferenz zweier Mikrophone, was zugleich zum Anlass genommen wird, erneut die Grundlagen der Stereophonie und die Analogie zur Stereoskopie darzulegen21. Im Anschluss an diesen Bericht sind noch zwei kurze Notizen zu lesen, denen zufolge in Berlin Versuche zum gleichzeitigen Senden auf zwei Frequenzen geplant und solche im Hamburger Sender bereits erfolgt seien22. Damit endete für den Funk das Thema des plastischen Hörens, mit dem ohnehin im Rundfunk zu dieser Zeit nur experimentiert wurde und das noch gar nicht einsatzfähig war, da nur die Zweikanal-Stereophonie eine gute räumliche Abbildung erzielte. Ein ähnliches Resultat hatten auch die stereophonen Versuche von Franklin Doolittle, der seit 1921 in New Haven/Connecticut einen eigenen Radiosender betrieb. Im Sommer 1924 hatte er eine dreimonatige, nicht verlängerbare Lizenz für zweikanalige Übertragungen erhalten23. Er nutzte sie vermutlich, um die Alltagstauglichkeit seines »Radi-

19 20

21 22 23

Ebd. Es handelt sich dabei also wieder um ein pseudostereophones Verfahren. Heinrich Klenk senior und junior: Verfahren zur Übertragung von Musik und Sprache mit hochfrequenten elektrischen Schwingungen, Patent DE 458389, angemeldet am 16.7.1926, erteilt am 22.3.1928 und ein Nebenanspruch mit demselben Titel DE 459049, angemeldet 16.7.1926, erteilt 5.4.1928. Plastisches Hören im Rundfunk, in: Funk, Heft 45, 1925, S. 542. Ebd. www.wdrcobg.com: Doolittle.html (11.5.2015).

120 | D ER HÖRBARE R AUM

otelephony« betitelten Patentes24 zu testen, das aus einer binaural orientierten Aufnahme- und Wiedergabeapparatur zur Funkübertragung bestand und ohne den Begriff ›Stereophonie‹ auskam. Hörbarer Raum im Hörspiel Inzwischen hatte sich 1925 die Debatte um den hörbaren Raum in den Bereich des noch jungen Hörspiels verlagert und dort bereits einige öffentliche Diskussionen überstanden, in deren Folge sich der Begriff weiter differenzierte. Ausgangspunkt war hier wie auch bei der Übertragung von Musik aus Konzert- und Opernhäusern die Frage der Transformation multisensueller Kunst auf den rein auditiv übertragenen Rundfunk, doch stellte sie sich in gattungsspezifischer Form für das Hör- und Schauspiel. Die illustrative Funktion von Bühnenbildern etwa in Dramen musste zum Verständnis des Stoffes erhalten bleiben und somit ins Auditive transformiert werden. Dazu wurden meist für die Szene charakteristische Geräusche zusätzlich vor dem Mikrophon produziert. »Klangraum« nennt dies Hans v. Heister im Leitartikel am 19.4.1925 des deutschen Rundfunks25, während Aloys Wilsmann zunächst von »akustischer Kulisse« in seinem unmittelbar an von Heisters Artikel anschließenden Aufsatz spricht26. Nach langen Ausführungen zur Wahrnehmbarkeit des Raumes und deren Komplexität geht Wilsmann dazu über, von der »akustischen Perspektive«27 zu sprechen. Diese gelte es in Hörspielen als Auflösung des räumlich Gleichzeitigen ins klangliche Nacheinander zu gestalten und explizit von den Raumwirkungen zu trennen, die bei Übertragungen aus Publikumssälen teilweise äußerst störend hörbar seien. »Der Unterschied zwischen den räumlichen Klangwirkungen bei Übertragungen und den von ›akustischen Kulissen‹ ist einzig der, daß es sich bei den letzteren um beabsichtigte, wandelbare, der künstlerischen Gestaltung zugängige räumliche ›Klangbauten‹ handelt.«28 Einige Wochen später führte Wilsmann seine Ausführungen fort und weitete sie erheblich aus29. Er spricht nun von »Klangrequisiten«30, wenn er

24 25 26 27 28 29

Franklin Doolittle: Radiotelephony, US 1,513,973; Anm. 21.2.1924, Aus. 4.11.1924. Hans v. Heister: Das Hörspiel, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 16 v. 19.4.1925, S. 993f. Aloys Wilsmann: Zur Dramaturgie des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 16 v. 19.4.1925, S. 994–996. Ebd., S. 996. Ebd. Ders.: Das Problem des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 31 v. 31.7.1925, S. 1941–1944.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 121

die mit Geräuschen illustrierte Hörspielszene meint, und zugleich widmet er dem Begriff des Raumes im Sinne von »Raumklang« eine längere Ausführung. Wilsmann bezieht sich nun auf den architektonischen Raum, der den Klang einer Schallquelle aufgrund seiner akustischen Eigenschaften zu beeinflussen vermag. »Der leere Senderaum ist nötig damit sich keine andere[n] als die durch den Aufbau von klanglichen Gegenständen gewünschte Raumklänge betätigen…. Der Raumklang, das sei hier noch besonders bemerkt, wird nicht gesondert für sich erzeugt durch irgendwelche Geräusche oder Töne, sondern bildet sich, wie oben schon beschrieben, selbsttätig, sobald innerhalb oder (je nach Anordnung) auch außerhalb der akustischen Kulissen gesprochen, gespielt, gesungen usw. wird.«31 Diesen Raumbegriff meinte auch Kurt Weill in seiner wöchentlichen Rubrik, die etwas später veröffentlicht wurde32. Im Vortragsraum des neuen Hauses der Funk-Industrie erkannte er den idealen Sendesaal für musikalische Darbietungen. »Jetzt aber empfinden wir den Raum an sich… Die akustischen Vorgänge sind plastisch geworden«33, schreibt Weill über eine musikalische Darbietung. Davon setzte sich Aloys Wilsmann in einem weiteren Artikel zum Hörspiel34 so klar ab, dass sich die Schriftleitung zu einer entsprechenden Fußnote genötigt sah35, als er schrieb: »Der Raum wird nicht als seiend, als Ausdehnung und Form dargestellt, sondern er wird aufgelöst in ein Nacheinander charakteristischer Schallphänomene. Man hört nicht, wie der Raum, daß der Raum ist, sondern wie er wird, wächst, herausbricht aus dem Unsichtbaren, sich auftürmt, Zelle auf Zelle, Schicht auf Schicht. Der Raum wird Klang, eine Verstellung [sic], die bereits den alten Griechen geläufig war, wenn sie sich den unendlichen Raum als sphärisch tönend dachten.«36 Im Hörspiel werde Raum zum Klang und charakteristischem Schallphänomen, wie Wilsmann schreibt. Und so wurde in den folgenden Artikeln zum Hörspiel im deutschen Rundfunk, dessen Schriftleiter Hans v. Heister sich besonders der journalistischen Unterstützung bei der Entwicklung des Hörspiels verpflichtet fühlte37, die ›akustische Kulisse‹ zum häufig 30 31 32 33 34 35 36 37

Ebd., S. 1943. Ebd., S. 1944. Kurt Weill: Der ideale Senderaum, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 38 v. 20.9.1925, S. 2419f. Ebd., S. 2419. Aloys Wilsmann: Probleme des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 40 v. 4.10.1925, S. 2542-2544. Ebd., S. 2543. Ebd., S. 2543. In einigen Vorreden zu Hauptartikeln spricht v. Heister dies immer wieder explizit an.

122 | D ER HÖRBARE R AUM

verwendeten Begriff, während der Begriff ›Klangraum‹ zunehmend vernachlässigt wurde38. Die Hörspiel produzierenden Sendeanstalten richteten jedoch nur mit einiger Verspätung neue Möglichkeiten zur Erzeugung der akustischen Kulissen ein. Zumindest schien die seit 1923 zweite Erweiterung des Berliner Senders im Jahr 1926 keine derartigen Einrichtungen zu enthalten, wie Ludwig Kapeller kritisierte. Dabei forderte er zugleich die Einrichtung eines Ateliers, »das Aufnahme›Raum‹ mit Freiluftbühne verbindet, das dem Regisseur erlaubt, Stimmenmassen so zu dirigieren, daß ihr Klang in natürlichen Entfernungen modellieren, die akustische Perspektive natürlich sich ergeben mag; ein Atelier, das Aufnahmeräume verschiedenster Resonanz enthält, stoffbespannte und blechbeschlagene, mahagoni-bewandete und solche mit kahlen Mauern, damit akustische Milieuunterschiede aufnehmbar werden…«39 Doch blieb diese Vorstellung lange Utopie in deutschen Rundfunkanstalten. Lediglich über die Anschaffung von Geräuschmaschinen zur Herstellung akustischer Kulissen ist bis 1928 gelegentlich zu lesen. 1928 erfolgte in doppelter Hinsicht eine Zäsur. So berichtet Ludwig Kapeller am Rande eines Artikels zur Problematik von Rundfunkaufnahmen, zu denen seit Beginn des Rundfunks auch die Beherrschung bzw. Unterdrückung von Hall und Echo im Aufnahmeraum gehörte, von Versuchen, der Aufnahme künstlichen Hall beizumischen, um dem Klang den flachen und unlebendigen Charakter zu nehmen. »Da haben die Engländer einen interessanten Versuch angestellt: sie schufen einen ›künstlichen Nachhall‹, indem sie die Sendung aus dem Aufnahmeraum auf einen Lautsprecher leiteten, diesen in einem ungedämpften Raum aufstellten und hier auf ein zweites Mikrophon wirken ließen; der Lautsprecher war natürlich als Schallquelle leichter beweglich, und man konnte ihn so dirigieren, daß der gewünschte Nachhall eintrat und eine gewisse Lebendigkeit und Fülle der Darbietung erzeugte.«40

38

39 40

Hans v. Heister: Rundfunkkunst, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 8 v. 21.2.1926, S. 505–508. V. Heister nennt die »akustische Kulisse« mehrfach wesentlich für das Hörspiel, während der Klangraum die bauliche Substanz umfasse, über die die akustische Kulisse hinausgehe (S. 508). In seinem Artikel »Bühnenstücke im Rundfunk« (Heft 38 v. 19.9.1926, S. 2653–2656) spricht v. Heister den Klangraum gar nicht mehr an. Ludwig Kapeller: Ein Blick in die Zukunft, in: Funk, Heft 45 v. 5.11.1926, S. 394. Ludwig Kapeller: Die »Schwierigkeiten« der Rundfunk-Aufnahme, in: Funk, Heft 6 v. 3.2.1928, S. 41f. Bereits 1927 hatte W. Reisser, Oberingenieur der ReichsRudfunk-Gesellschaft (RRG), von den englischen Echoräumen berichtet, mit denen auf elektroakustischem Weg ein Nachhall erzeugt wurde, das nicht näher erläuterte

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 123

Damit wird im Funk auch ein neuer Begriff von räumlichem Klang ein- und weitergeführt und sogar als variabel herstellbar präsentiert. Der deutsche Rundfunk hatte dagegen dieses Thema zwar als erste Zeitschrift angesprochen, es aber bereits wieder fallen gelassen. Das von Kapeller kurz und präzise beschriebene Herstellungsverfahren war jedoch weder eine Novität noch ein einfacher Versuch, denn es war 1928 in der Londoner BBC längst etabliert und hatte seinen Ausgangspunkt in der dortigen Hörspielabteilung genommen. Hier ist spätestens 1926 der Gebrauch eines »Echoraums« zur Erzeugung dieses synthetischen Echoeffektes dokumentiert41. Anfangs nur im Nebenraum des Hörspielstudios der BBC im Marconi-House eingerichtet, wurde bereits 1927 ein weiterer Echoraum, nur wenig entfernt von Studio 2 in Betrieb genommen (Abb. 15)42 und für die Produktion von Hörspielen genutzt43. Asa Briggs beschreibt dies als Ergebnis der Experimente der Forschungsabteilung, die zunächst wenig erfolgreich verlaufen waren, da nur ein Mikrophon in der Ecke aufgestellt war, das Echo erzeugen sollte44. Er verweist zudem in einer Fußnote auf den BBC-internen Bericht von A. G. D. West, der Nachhallexperimente in den USA seit 1925 schildert und darüber informiert, dass die BBC-Forschungsabteilung im Mai 1925 bei der Übertragung aus dem Münster in York wesentliche Erfahrungen in Bezug auf die Sendung aus normal-akustischen Sälen gemacht habe45. Dieser Hinweis deutet auf die inhaltliche Nähe der Akustik bei Aufnahmeversuchen und -situationen mit großen Musikensembles zu den akustischen Kulissen und Klangräumen der Hörspielproduktion von A. G. D. West, der weiteren Quellen zufolge auch der Erfinder des künstlichen Halls und der Blendtechnik46 war, die bis heute essentieller Bestandteil der Tonaufnahme- und Produktionstechnik ist.

41 42 43 44 45

46

Vorgehen aber als für Künstler nicht dienlich verworfen (vgl. Dr.-Ing. W. Reisser: Die günstigste Akustik des Aufnahmeraumes, in: Funk, 1927, Heft 26, S. 201). Peter West: The First Five Years; an Account of the Early Installations and Activities of the BBC, in: BBC Engineering, Nr. 92, Oktober 1972, S. 12. Rudolf Arnheim: Radio, Nachdruck der Fassung von 1936: New York 1971, gegenüber S. 65 enthält ein Photo des Echo Rooms der BBC v. 28.6.1932. Alan Beck: The Invisible Play, BBC-Radio Drama 1922–1928, www.savoyhill. co.uk/invisibleplay/mainindex.html (11.5.2015). Asa Briggs: The History of Broadcasting in the United Kingdom: Vol. I: The Birth of Broadcasting, Oxford 1995, S. 355 Ebd., Briggs zitiert aus einer Archivalie: A.G.D. West: Report on Experiments Carried out by the BBC Research Department in Connection with Studios and Halls, in: Binyon Papers File 125.1. »Responsible for development of outside broadcast programmes such as Nightingale broadcast, broadcasts from theatres and cathedrals, also for microphone and studio

124 | D ER HÖRBARE R AUM

Abbildung 15: Der Hallraum der BBC im ›Marconi House‹

aus: Arnheim 1936, gegenüber S. 65

Diese genannte inhaltliche Nähe bezieht sich auf den Umgebungsklang, der bei Musikübertragungen und Hörspielproduktionen zusätzlich zum musikalischen oder sprachlichen Inhalt übertragen wird und den Hörern die Vorstellung eines realen Raumes vermittelt. Wie dargestellt rückte er um 1926 im Rundfunk und in der Grammophonproduktion sowie international ins Blickfeld des Interesses. Doch zu dieser Zeit trennten sich auch die Wege beider Produktionsweisen: Während bei Musikübertragungen die natürliche Umgebungsakustik von Konzert- und Opernhäusern aufnahmetechnisch zu bewältigen war, ging es bei Hörspielproduktionen, die live im Rundfunk aufge-

research. Inventor of Echo Room and Microphone fade control«, berichtet das Programm von 1931 der Annual Summer Conference der Cinematograph Exhibitors Association of Great Britain and Ireland, S. 51f. über A.G.D. West, der dort vortrug und mittlerweile die Entwicklungsabteilung der Grammophone Company (»His Master’s Voice«) und der Marconiphone Company leitete.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 125

führt wurden, darum, verschiedene akustische Ebenen zu gestalten, um den dramatischen Ablauf hörbar zu machen. Dort wechselten die Szenen und mit ihnen die Räume, in denen sie stattfanden. Ein schneller Wechsel der Räume musste schnell hörbar gemacht werden können und dies funktionierte offenbar gut mit den synthetischen Nachhallverfahren, die A. G. D. West erfunden hatte. Doch dieses Verfahren schien sich zunächst nur in der Form zu verbreiten, die Briggs als das wenig erfolgreiche Resultat der Experimente der BBC-Forschungsabteilung dargestellt hatte. Denn das auch von Kapeller 1928 beschriebene Verfahren wurde nicht unmittelbar von den deutschen Rundfunkanstalten übernommen. Sie richteten lediglich spezielle Ecken in den ansonsten reflexionsarm abgedämpften Aufnahmeräumen ein, in denen der Klang von schallharten Materialien reflektiert werden konnte. Eine solche Echowand etwa wurde bei der nächsten Erweiterung der Räumlichkeiten der Berliner-Funkstunde im Vox-Haus eingebaut und zusammen mit dem Schäfferschen Zelt vorgestellt, einer von Oberingenieur W. Schaeffer erfundenen variablen Dämpfungseinrichtung aus beweglichen Vorhängen zur Steuerung des Nachhalls, die sowohl die Wände wie auch die Decke des Raums betraf47. Andere Sendeanstalten zogen nach und noch 1930, zur Eröffnung des Umbaus im Stuttgarter Sender, wurde eine neue »akustische Nische« im mittleren Sendesaal vorgestellt, deren Zweck es sei, »Schallwirkungen zu erzielen, wie sie etwa beim Sprechen in Hallen, Gewölben und Kellern usw. hörbar sind«48. Zu demselben Zweck wurden gleichzeitig in anderen deutschen Sendeanstalten schon ganze Hallräume installiert. So berichtet der deutsche Rundfunk Anfang Februar 1930 von der Einrichtung eines »Echoraums« in der Orag49, die deren stellvertretender technischer Leiter Hans Kretschmann und der Regisseur Kurt Lesing auf Basis zahlreicher eigener Experimente veranlasst hatten. In einer Opernsendung, in der es darum ging, einen klanglichen Unterschied zwischen einer Märchenwelt und der realen Welt zu schaffen, kam er erstmals zum Einsatz. »Jedes Wort und jeder Ton, der den Zusammenhang mit der übersinnlichen Welt demonstrieren sollte, erhielt durch eine bestimmte technische Regelung fast mystische Verklärung«, berichtet der Autor H. A.50. Die Blockzeichnung von Aufnahme-, Echo-, Regie- und Vortragsraum zeigt die bereits von Kapeller in der Zeitschrift Funk beschriebene 47 48 49 50

Ludwig Kapeller: Die neuen Senderäume der Berliner »Funk-Stunde«, in: Funk, Heft 38, 1928, S. 269. Dr. Heinrich Cassimir: Um- und Neubau beim Südfunk Stuttgart, in: Funk, Heft 13, 1930, S. 60. Der Name ist eine Abkürzung für den Ostmarkenrundfunk, Königsberg. H. A.: Neue Funkregie in der Orag, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 5, 1930, S. 12.

126 | D ER HÖRBARE R AUM

Anlage. Der Autor bemerkt: »Die Benutzung des ›Echoraums‹ bedeutet an sich keine neue Erfindung (London und München haben z.B. gleiche Einrichtungen)«51. Als 1931 das Berliner Funkhaus als zweiter Neubau in der deutschen Sendelandschaft (nach München52) eingeweiht wurde, erhielt es ebenfalls einen Hallraum. Sein Zweck war erstmals nicht mehr wie zuvor vornehmlich dem Hörspiel zugeordnet, denn die Beispiele der Autoren stammten hauptsächlich aus dem Bereich der Musik. So beschreibt Margot Ebstein, möglicherweise mit Rücksicht auf die Leser der deutschen Tonkünstlerzeitung, seine zukünftige Funktion zur Herstellung variabler und beweglicher Effekte im Raum: »Klangliche Abstufungen besonderer Art, wie z.B. das Näherkommen und Verschwinden eines Singenden im Opernsendespiel – das Vorüberziehen eines Chores, einer Kapelle lassen sich so erzielen«53. Otto v. Braunmühl dagegen stellt den Hallraum zwar architektonisch und technisch genauer dar und nennt dessen acht Sekunden Nachhallzeit, die Angaben zu den Einsatzmöglichkeiten aber umreißt er nur vage: »Obgleich ein solcher Raum für direkte Sendungen nur selten verwendet werden dürfte, eignet er sich vortrefflich für eine willkürliche Veränderung des Klangcharakters eines anderen Saales oder Zimmers, ja selbst zur Veränderung der Wirkung von Schallplatten.«54 Dennoch ist der Einsatz des Hallraums im Rundfunk zu jener Zeit ausschließlich im Bereich des Hörspiels dokumentiert. So berichtet ein Rezensent von den Funkversuchen des Münchner Senders zum Thema »Klang und Raum« von den »ins Gewaltige übersteigenden Worten Gottes«, die mittels des dortigen »Echoapparates« für eine Hörspielszene produziert wurden55. Ob die kurz darauf beschriebene Herstellung einer räumlichen Bewegung auch den Hallraum mit einschloss, ist aufgrund der Kürze der Darstellung nicht genau auszumachen, aber nicht auszuschließen56.

51 52

53 54 55 56

Ebd. Der Hallraum der Bayrischen Stunde in München wird in den Berichten zur Einweihung des Neubaus jedoch nicht erwähnt. Es war darüber außer dem oben genannten indirekten Hinweis keine Quelle zu finden. Margot Ebstein: Das neue »Haus des Rundfunks« in Berlin, in: Deutsche Tonkünstler-Zeitung, Heft 4 v. 20.2.1931, S. 52. Dr. v. Braunmühl: Die akustischen Eigenschaften der neuen Berliner Senderäume, in: Die Sendung v. 31.1.1931, S. 78. R.Z.: Der zweite Funkversuch des Münchner Senders, in: Der deutsche Rundfunk, 1930, Heft 1, S. 66. »… sehr schön, als ein vorüberziehende Musik zuerst durch wechselnde Entfernung vom Mikrophon, dann durch Abblenden des Verstärkers demonstriert wurde.« (Camilla Striemer: Kritik »Studio« in: Der deutsche Rundfunk, 1930, Heft 10, S. 65).

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 127

E XKURS : D ER H ALLRAUM Die zitierten Einschätzungen der akustischen Möglichkeiten des Hallraums dürften ein wenig zu euphorisch gewesen sein. Zur akustischen Raumgestaltung bei Rundfunkproduktionen etablierte sich der Hallraum jedoch als Erzeuger künstlichen Nachhalls und wurde zu diesem Zweck bis weit in die 1960er Jahre hinein regelmäßig genutzt. Ist der Hallraum also die Folgeentwicklung der Echoecke und damit eine rein aus der Rundfunkpraxis entstandene Erfindung? Dafür spricht, dass in der akustischen Forschungsliteratur bis zur Rundfunkzeit der Begriff ›Hallraum‹ nicht vorkommt. Gleichzeitig hat der Wechsel von einem zur Geräusch- und Effekterzeugung gehörenden Element, das in räumlicher Nähe mit diesen im Hörspielstudio angeordnet ist, zu einer extern positionierten Einheit zu schnell stattgefunden, um genuin im Rundfunk entstanden zu sein. Tatsächlich war auch der Begriff ›Nachhall‹ für das Produkt des Hallraums keineswegs eine Neuentdeckung, sondern in der Architektur eine bereits bekannte Größe. Nach Dieter Ullmann war Carl Ferdinand Langhans 1810 der erste, der »in vollem Maße die Bedeutung des Nachhalls«57 für die Hörsamkeit von Räumen erkannt, sie in seinen Theaterbauten berücksichtigt und darüber geschrieben hat. Einen weiteren Schritt unternahm Joseph Henry Mitte des 19. Jahrhunderts mit genauen Experimenten zum akustischen Übergang von Nachhall zu Echo in Räumen58. Wirklich umfangreiche Grundlagenforschung betrieb jedoch erst Wallace Clement Sabine seit 1895, als er im Zuge eines Auftrags zur Verbesserung der Akustik eines Hörsaals (Fogg-Lecture Hall) in jahrelangen systematischen Experimenten Nachhalldauern und Absorptionsmaterialien in verschiedenen großen Sälen maß und deren Abhängigkeit voneinander feststellte. Wichtiger Ausgangspunkt zur Ermittlung der Absorption der Wandmaterialien war die vollständige Entfernung allen Mobiliars59, wobei Sabine einen Durchschnittswert von 5,5 sec. Nachhall in der Fogg-Lecture Hall ermittelte60, den er im Verlauf seiner Untersuchungen mittels verschiedener Materialien verkürzen konnte. Die Bezeichnung ›Hallraum‹ verwandte Sabine zwar nicht für diese erste Versuchsanordnung im völlig leeren, nur auf die Wandmaterialien reduzierten Raum, faktisch jedoch wäre sie aber wohl angebracht gewesen, da die vollständig ausgeräumte Fogg-Lecture Hall die akustische Eigenschaft auf57 58 59 60

Dieter Ullmann: Die Entwicklung der Raumakustik im 19. Jh., in: Sudhoffs Archiv, Bd. 73, Heft 2, 1989, S. 210. Ebd., S. 212. Wallace Clement Sabine: Collected Papers, Cambridge 1922, S. 13. Ebd., S. 16.

128 | D ER HÖRBARE R AUM

wies, die die späteren Hallräume auszeichnet: einen sehr langen Nachhall. Wie dieser Versuchsaufbau zu einem eigenständigen Forschungsinstrument wurde, ist nicht genau auszumachen, obwohl Sabines Aufsatz »Reverberation«, in dem er davon berichtet, bereits 1900 in der Zeitschrift The American Architect erschien. Dessen zentraler Punkt ist die exakte Beschreibung der Natur des Raumhalls und die Ermittlung der sog. ›Nachhallformel‹, die für Bauanwendungen beschrieben ist. Sabines Versuchsanordnung fand deshalb möglicherweise zunächst wenig Beachtung auf dem Gebiet der Akustik, die damals noch als Teilgebiet der Physik begriffen wurde. Zumindest sind zur Zeit der ersten Veröffentlichung von Sabines Nachhallformel um 1900 noch keine direkten Reaktionen seitens der Akustiker zu finden. Erst nach der Veröffentlichung der »Collected Papers« 1922, einer Sammlung von Sabines Aufsätzen zur Raumakustik, die alle lediglich in Architektur-Fachzeitschriften erschienen waren, war dies aus der Perspektive der Akustiker definitiv anders und der erste »Echo Room« wurde, wie oben schon beschrieben, 1926 bei der BBC in London zum Zweck der Effekterzeugung bei Hörspielen eingerichtet, nachdem sich die zuvor benutzte schallharte Ecke als unzureichend erwiesen hatte. In Deutschland war die Lage nur ähnlich. Hier wurde im 1930 eröffneten Neubau des Heinrich-Hertz-Instituts für Wellenforschung in Berlin (HHI), das ausschließlich technische Forschung für den Rundfunk betrieb, erstmals von der Einrichtung eines Hallraums für Forschungszwecke berichtet61. Bereits 1929 aber hatte Erwin Meyer, der gerade von der Reichspost zum Heinrich-Hertz-Institut gewechselt war, ein neues Nachhall-Messverfahren veröffentlicht62, das er im Labor der Reichspost entwickelt hatte. Darauf konnte B. Berger 1932 seine Versuche zur Schalldämmung aufbauen, die er im »kleineren Hallraum« des HHI durchgeführt hatte63. Auch Andrew Gemant

61 62

63

Lothar Band: Das Heinrich-Hertz-Institut für Schwingungsforschung, in: Funk, Heft 11 v.14.3.1930, S. 43. Erwin Meyer und Paul Just: Messungen der Gesamtenergie von Schallquellen, in: Zeitschrift für Technische Physik 10 (8), August 1929, S. 309–316. (Aus den Veröffentlichungen, die Meyer 1928 zusammen mit Just tätigte, ergibt sich, dass die Messungen wahrscheinlich im Hallraum der Reichspost stattfanden; vgl. Meyer, Erwin; Just, Paul: Zur Messung von Nachhalldauer und Schallabsorption, in: Elektrische Nachrichten-Technik, 5, 1928, Heft 8, S. 293–300.) B. Berger: Die Luftschalldämmung von Wänden, in: Forschung im Ingenieurwesen, Berlin, Vol. 3, Nr. 4, 1932, S. 193–204, hier S. 198. Es gab also damals dort möglicherweise bereits zwei Hallräume, es könnte sich aber auch um eine Nebenkammer des großen Hallraums gehandelt haben.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 129

forschte dort zum selben Thema64, während Hans Frei seine Promotion zum Thema »Elektroakustische Untersuchungen in Hallräumen« an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich im dortigen Hallraum angefertigt hatte65. Die Liste der Forschungsthemen und deren historische Entwicklung von der Ausarbeitung von Messmethoden über die bereits von Sabine betriebene Thematik der Schalldämpfung zu einer Differenzierung und Erweiterung der Anwendung des Hallraums deutet darauf hin, dass der Hallraum tatsächlich erst Ende der 1920er Jahre als eigenständiges Forschungsinstrument eingesetzt wurde. Ob zuvor und an anderen Orten schon akustische Forschungen in einem leeren Raum mit schallharten Wänden betrieben worden waren, ist jedoch nicht auszuschließen. Sie fanden möglicherweise vereinzelt an verstreuten und versteckten Orten statt, denn erst Ende der 1920er Jahre wurden die ersten Fachzeitschriften auf dem Gebiet der Akustik gegründet. Dennoch sind der Rundfunk und seine akustischen Anforderungen bedeutende Elemente bei der Entwicklung des Hallraums zum Forschungsinstrument, wobei insbesondere die Erfordernisse des Programms und des Sendeinhalts als Motor für diese Entwicklung zu nennen sind.

H ÖRBARER R AUM BEI M USIKAUFNAHMEN In den hier schon zitierten Presseberichten von Ebstein und von v. Braunmühl deutet sich zwar die Einsatzmöglichkeit des Hallraums bei Musikaufnahmen an, doch ist hier die Raumproblematik deutlich anders geartet als im Hörspiel. Es galt nicht, verschiedene Räume, seien sie real oder phantastisch, akustisch dazustellen und voneinander abzugrenzen, sondern es war die Aufgabe, Musik auch im heimischen Bereich so klingen zu lassen wie am Aufführungsort, sei dieser nun ein Café oder ein Konzert- oder Opernhaus. Der Unterschied zu den Anforderungen im Hörspiel ist bedeutend, denn während im Hörspiel akustische Räume neu erfunden und entworfen werden mussten, weil die Reduktion auf das Akustische im Rundfunk dies erforderlich machte, galt es bei der Musikaufnahme, sich an den sehr gut bekannten akustischen Mustern zu orientieren und diese möglichst genau zu imitieren.

64 65

Andrew Gemant: Zur Theorie der Schallisolation von Wänden, in: Zeitschrift für Physik, Vol. 87, 1934, S. 700–705. Hans Frei: Elektroakustische Untersuchungen in Hallräumen, Leipzig und Wien 1935.

130 | D ER HÖRBARE R AUM

Auf dem Gebiet der Musikaufnahme begann – zumindest für die öffentliche Wahrnehmung – die Entwicklung eigener akustischer Raumvorstellungen bereits vor 1925, als ein technischer Mitarbeiter des Funk die BBC in London besuchte und dort einen weniger ängstlichen Umgang mit Echo und Hall feststellte, der sich auch in der Benutzung größerer Räume und dem geringeren Einsatz akustischer Dämmmaterialien ausdrückte66. Tatsächlich war Nachhall anfangs in Deutschland sogar explizit unerwünscht, wie der damalige Leiter der Funkabteilung im Telegraphentechnischen Reichsamtoberpostrat, Harbich, schreibt: »Der Aufnahmeraum muß so eingerichtet sein, dass er ein Nachhallen unmöglich macht. Wird in einem geschlossenen Raum von etwa 6x8 m, wie er dem Aufnahmeraum entspricht, ein Instrument gespielt oder gesprochen, so wird das Mikrophon einmal von den erzeugten Schwingungen unmittelbar und dann von den an den Wänden reflektierten Schallwellen getroffen.«67 Die komplexen Klänge von Sprache und Musik führten nach Harbich jedoch zu Verzerrungen, die vermieden werden sollten68. Der große Raum, der einen akustischen Einfluss auf die Darbietungen nahm, die Musik aber zugleich plastisch klingen ließ, wie Kurt Weill 1925 den neuen Vortragssaal der Funk-Industrie beschrieb, deutete sich aber zunehmend als Ideal für Musikaufnahmen an – ganz im Gegensatz zu den stark gedämpften Räumen69, die zu jener Zeit noch üblich waren70. In

66 67

68 69

Arb.: Die englischen Rundfunk-Sendeeinrichtungen, in: Funk, 1924, Heft 25, S. 365f. Harbich: Die Technik der Rundfunksendeeinrichtungen, in: Funk, 1924, Heft 17, S. 261–263, hier S. 262. Dass in einem solchen Raum kein Orchester unterzubringen war, wurde schon zuvor (Das Mikrophon auf der Bühne, in: Funk, 1924, Heft 3, S. 32) berichtet. Karl Wiener beschreibt den kleinen Aufnahmeraum der Berliner Funkstunde unter funktionalen Gesichtspunkten und die Aufteilung des Bodens in Quadranten; sie sollte Versuchen mit der Aufstellung der Instrumente dienen (Karl Wiener: Welche Instrumente eignen sich am besten für den Rundfunk? In: Der deutsche Rundfunk 1924, Heft 14, S. 758f.). Harbich 1924, S. 262. Ludwig Kapeller kritisierte »die ängstliche Schalldämpfung im Aufnahmeraum«. (Funk, 1925, Heft 26, S. 310) Bruno Seidler-Winkler, Dirigent des Berliner Rundfunk-Orchesters und erfahren in Grammophonaufnahmen, bemängelt das »Verschmieren« der Instrumente in: Das Kompromiß [sic.] zwischen Kunst und Technik, in: Funk 1925, Heft 33, S. 397f., was der Telegrapheninspektor Schrock, Betriebsleiter am Rundfunksender in Berlin, in einer direkten Replik auf Seidler-Winklers Ausführungen und mit Hinweis auf die guten Resultate bei den Übertragungen aus Opernhäusern auf die Größe und Höhe des Aufnahmeraumes zurückführt (in: Funk 1925, Heft 34, S. 408). In einer weiteren Replik meldet sich F. Weichart mit einer ausführlichen Bestätigung der genannten Problematik zu Wort und verweist gleichzeitig auf die allgemeine Problematik des Baus guter Raumakustik hin (Funk, 1925,

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 131

den folgenden Jahren wurde eine Vielzahl von Versuchen und Maßnahmen unternommen, um Musikaufnahmen plastischer und natürlicher klingen zu lassen: Aufnahmeräume wurden Jahr für Jahr größer gebaut71, und in der

70 71

Heft 36, S. 432). Kurz darauf (Funk, 1925, Heft 38, S. 466, schrieb Ludwig Kapeller (»Das Rundfunk-Theater«) einen Bericht über den zukünftigen großen Aufnahmeraum in der Berliner Funkstunde, der ohne dämpfende Deckenpolsterung geplant gewesen sein soll. Dies beschrieb Oberingenieur Walter Schäffer in einem Rundfunkvortrag 1926 (abgedruckt in: Funk, 1926, Heft 48, S. 419f. hier S. 420). Da die meisten Verwaltungsakten aus der frühen Rundfunkzeit verloren sind, kann zu den Bauzuständen meist nur die Berichterstattung in den Fachmedien angeführt werden. Hier eine Auswahl: »Der Umbau des Berliner Senders«, in: Der deutsche Rundfunk, 1924, S. 2504f. Der große Aufnahmeraum soll hier eine leichtere Stoffbekleidung erhalten haben und die Decke sei aufgrund baulicher Gegebenheiten beidseitig abgeschrägt (die Photos auf S. 2504f. zeigen die Entwicklung zu einem zweistufigen Tonnengewölbe) worden; der Durchschnitt durch die Vorderfront des 4. und 5. Stockwerks des Funkhauses, Potsdamer Str. 4; unkommentierte Graphik der Raumgrößen, in: Funk, 1926, Heft 18, S. 141 zeigt schon den nächsten Umbau (vgl. in: Funk 1925, Heft 38, S. 466); Ludwig Kapeller berichtet bereits im Heft 45 in Funk 1926, S. 393 von Klangproblemen aufgrund der unzureichenden Deckenhöhe; Dr. Dupont (Der Vollendung entgegen, in: Funk, 1926, Heft 51, S. 443) berichtet vom großen Aufnahmeraum des gerade erst gegründeten Senders in Köln mit 24x15 m Grundfläche bei 8 m Deckenhöhe und nur geringer Dämpfung; Dr.-Ing. W. Reisser (Oberingenieur der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft): Der ideale Aufnahmeraum; auf dem Wege zur günstigsten Akustik der Rundfunksenderäume, in: Funk, Heft 27, 1927, S. 209f; Kammersänger Emil Holm: Die dänische Radiofonie, in: Funk, Heft 36, 1927, S. 291–293; Ernst Hardt (Intendant des Westdeutschen Rundfunks): Das Funkhaus von morgen, in: Funk, Heft 43, 1927, S. 359f.; Ludwig Kapeller: Die »Schwierigkeiten« der Rundfunk-Aufnahme, in: Funk, Heft 6, 1928, S. 41f.; Prof. Dr.-Ing. Eugen Michel: Raumakustik und Rundfunk, (Abdruck des Vortrags auf der Göttinger Tagung für Rundfunkmusik), in: Funk, Heft 25, 1928, S. 193f.; Ludwig Kapeller: Die neuen Senderäume der Berliner »Funk-Stunde«, in: Funk, 1928, Heft 38, S. 269f.; Kurt Weill: Wie stelle ich mein Orchester im Aufnahmeraum auf?, in: Der deutsche Rundfunk, 1928, Heft 14–16). In der von Kurt Weill initiierten und eingeführten Artikelreihe, in der 9 Orchesterleiter zu der Frage Stellung nehmen, ist durch die beigefügten Skizzen die jeweilige Größe der Aufnahmeräume belegt, die aber 1928 noch recht unterschiedlich ist; Prof. Dr. Georg Schünemann: Die Aufgaben der Funkversuchsstelle, in: Funk, 1929, Heft 3, S. 9–11 (u.a. zur Aufstellung der Musiker im Raum und der Anpassung des Spiels an den Raum seitens der Musiker); W. J.: Münchens neues Funkhaus, in: Funk, 1929, Heft 16, S. 67f.; Georg Schünemann: Die Arbeit der Rundfunkversuchsstelle, in: Funk, Heft 30, 1929, S. 130f.; Lothar Band: Die schönen Senderäume in Dresden, in: Funk, 1929, Heft 32, S. 143f.; Georg Schünemann: Die Arbeit der Rundfunkversuchsstelle, in: Funk, 1930, Heft 11, S. 41f.; Heinrich Cassimir: Um- und Neubau beim Südfunk Stuttgart, in: Funk, 1930, Heft 13, S. 59f.; Lothar Band: Das Haus des Rundfunks, in: Funk, 1931, Heft 5, S. 33f. Im Anschluss an den Artikel zu Eröffnung des Hauses wird die dort

132 | D ER HÖRBARE R AUM

Norag in Hamburg sogar mit variablen Wänden ausgestattet72, starke Dämpfungsmaßnahmen im Aufnahmeraum durch leichtere oder besser noch variable Einrichtungen wie das Schäffersche Zelt73 ersetzt und es wurde natürlich auch mit Aufstellungen des Orchesters im Aufnahmeraum und vor dem Mikrophon experimentiert74. Die zunehmende Differenzierung von Raumakustik und raumbezogener Aufnahmeakustik in jenen Jahren ist somit gut nachzuvollziehen. Dagegen wurde jedoch die Raumakustik im häuslichen Bereich der Rundfunkhörer nur extrem selten thematisiert – von den hier bereits berichteten Versuchen zum plastischen Hören und den Aufrufen zu Bastelarbeiten, die nach 1925 praktisch zum Erliegen kamen, einmal abgesehen. 1927 hatte W. Reisser in dem schon zitierten Aufsatz im Funk den Unterschied zwischen dem Hören mit Kopfhörern und dem mit Lautsprechern herausgestellt, da die akustischen Eigenschaften des Abhörraums bei letzteren mit eingingen75. Er hatte damals auch auf den »gewohnten Nachhall« verwiesen, der einer »naturwahren« Musikwiedergabe im Rundfunk innewohnen müsse. Im Jahr darauf ging der an der Technischen Hochschule Hannover lehrende Eugen Michel76

72

73

74

75 76

gehaltene Rede des Reichsrundfunkkommissars v. Bredow paraphrasiert, in der vom noch nicht fertigen großen Sendesaal mit 1000 Zuhörerplätzen die Rede ist. Er wurde 1932 provisorisch eröffnet (Der deutsche Rundfunk, 1932, Heft 7, S. 4). N. N.: Mehr Raum; Betrachtungen zum Norag-Neubau in Hamburg, in: Funk, Heft 46, 1930, S. 219. Hier sollen die Wände horizontal und vertikal beweglich gewesen sein. Diese Erfindung des Oberingenieurs der Reichsrundfunkgesellschaft Schäffer bestand aus mehreren variablen Vorhängen, die auch über den Vortragenden reichte (s.o und FN 47). Sie wurde jedoch nicht überall eingesetzt. Gelegentlich wurden die schweren Dämmstoffe durch leichte ersetzt, später auch mit neuen Wand- und Bodenmaterialien zur Dämmung experimentiert. Siehe auch: Ernst Hardt 1927; Ludwig Kapeller, in: Funk, 1928, S. 269f.; Lothar Band: Die schönen Senderäume in Dresden, in: Funk 1929, a.a.O., mit einer Beschreibung des veränderten Schäfferschen Zelt; sowie Schünemann 1930. Lother Band: Klangverbesserung im Berliner Sender, in: Funk, 1926, Heft 51, S. 445; Kurt Weill, 1928, a.a.O.; Schünemann in: Funk, 1929, a.a.O.; Protokolle solcher Experimente im Ostmarkenrundfunk, Königsberg, die von den Mitarbeitern Hermann Scherchens auf dessen Veranlassung hin durchgeführt wurden, sind in dessen Nachlass erhalten. Vgl. auch: Martha Brech: Der lange Weg zum natürlichen Klangbild, in: Impulse und Antworten, Festschrift für Manfred Krause, Berlin 1999, S. 25–34. Der klangliche Erfolg der größeren Aufnahmeräume wurde z.B. im Bericht der Eröffnung des Hauses des Rundfunks in Berlin positiv hervorgehoben: Funk, 1931, Heft 5, S. 33. W. Reisser 1927, S. 202. Der Akustiker Eugen Michel war ab 1927 u.a. mit der weltweit für ihre gute Akustik bekannten Rudolf-Oetker-Halle in Bielefeld befasst (vgl. z.B.: Andreas Hansen:

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 133

in einem Vortrag ebenfalls kurz auf die Differenz zwischen dem Hören mit Kopfhörern und Lautsprechern ein. »Hier treten zu den akustischen Eigenschaften des Aufnahmeraums noch diejenigen des Wiedergaberaums. Weichen beide zu sehr voneinander ab, so entsteht ein befremdlicher Eindruck, z.B. wenn aus einer stark hallenden Kirche Musik in einen Raum übertragen wird, der infolge seiner Ausstattung und durch Besetzung mit Publikum erheblich gedämpft ist.«77 Obwohl in dieser Zeit die Zahl der Rundfunkhörer zunahm, die über ein Gerät mit Lautsprecher verfügten, schien die akustische Differenzierung zwischen Aufnahme- und Wiedergaberaum in deutschen Rundfunkkreisen jedoch ein Randthema bzw. schon unter dem Aspekt des Abhörens von Aufnahmen erschöpfend behandelt gewesen zu sein.

H ÖRBARER R AUM IN DER G RAMMOPHON -T ECHNIK In der Grammophonforschung und -produktion ging man eher eigene Wege. Schon 1925, also auf dem Höhepunkt der stereophonen Übertragungsversuche des Rundfunks, waren hier erste Ergebnisse bekannt geworden, zu plastischen Klangergebnissen bei Grammophonaufnahmen zu kommen und entsprechend den heimischen Hörbereich zu beschallen. Hierzu hatte Heinrich Küchenmeister 1924 ein Pseudostereophonie-Verfahren entwickelt, dass auf künstlich erzeugten Phasendifferenzen eines einkanaligen Signals beruhte78. In weiteren Patenten79, die teilweise auf einem 1924 von Rudolf Kaiser angemeldeten und weniger spezifizierten Verfahren zur Erzeugung von Klang-

77

78

79

Konzerthalle und Musentempel, in: Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, S. 840f.; http://www.rudolf -oetkerhalle.de/?kat =zwei&head =neun&clmns =2_1&pgl=2_5& pgr=2_5 und war 1930 bei der Norag Hamburg für die akustische Einrichtung des Konzertsaals verantwortlich (http://www. ndr. de/ der_ndr/ unternehmen/geschichte/ funkhaus111_page-1.html; 14.5.2015). Eugen Michel: Raumakustik und Rundfunk, nach einem Lichtbildvortrag, gehalten auf der »Ersten Tagung für Rundfunkmusik«, in: Funk, 1828, Heft 25, S. 193f; hier S. 194. Das erste Patent auf das von ihm so bezeichnete Ultraphonverfahren mit dem Titel »Verfahren zur Tonwiedergabe elektrischer Schwingungen« meldete Küchenmeister am 5.2.1924 an und erhielt es am 4.9.1930 mit der Nummer DE 507298. Trotz des Titels gibt Küchenmeister das Verfahren nur mit mechanischen Beispielen an, wie etwa einem 33 cm langem Schallrohr, »das ein einem zweiten Tonerzeuger anzuschließen« (S.1) sei. Heinrich Küchenmeister: Vorrichtung für Sprechmaschinen zum Einsetzen zweier oder mehrerer Schallstifte, DE 418667, Anm. 24.7.1924, Ausg. 15.9.1925; ders.: Schalldose, DE 457746, Anm. 3.12.1925, Ausg. 8.3.1928.

134 | D ER HÖRBARE R AUM

fülle beruhten80, baute Küchenmeister das Prinzip unter Verwendung von zwei Grammophonnadeln in einer Rille aus (Abb. 16) und stellte 1925 sein Ultraphon genanntes Grammophongerät der Öffentlichkeit im Hotel Esplanade in Berlin vor81. Abbildung 16: Das Ultraphon-Prinzip von Heinrich Küchenmeister

aus: Patent DE 479271

Die Presse übernahm seine Begrifflichkeit vom räumlichen Klang, verwies aber zugleich auf die Pseudo-Raumwirkung des Prinzips82. Dennoch belegen auch die weiteren Patente Küchenmeisters für Grammophongeräte mit

80

81 82

In seinem Patent »Plattensprechmaschine mit zwei Schalldosen«, DE 479271, das er am 4.12.1925 anmeldete und am 20.6.1929 erhielt, bezieht sich Küchenmeister explizit auf das Patent Nr. DE 417870 von Rudolf Kaiser: Klangveredelung von Tonstücken bei ihrer apparativen Wiedergabe, Anm. 5.2.1924, Ausg. 20.8.1925. Das Hotel Esplanade war eines der exklusivsten Häuser in Berlin zu dieser Zeit. Otto Kappelmeyer: Das Ultraphon, in: Radio-Amateur, 1925, Heft 47, S. 1104; die Anmerkung zur Pseudo-Raumwirkung stammt von der Schriftleitung. Nur wenige Wochen später beschreibt Dr. Curt Borchardt in Heft 50 derselben Zeitschrift (Das Küchenmeistersche Ultraphonprinzip und der Rundfunk, ebd., S. 1163f.) das Wirkungsprinzip des Ultraphons genauer und beschreibt seine Möglichkeiten für den Rundfunk. Er wählt dafür den Ausdruck »Plastik«, den die Schriftleitung ebenfalls mit Hinweis auf Küchenmeisters ungenaue Terminologie zurückweist (ebd., S. 1163).

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 135

Ultraphon-System83 sowie einige erhaltene Exemplare, dass diese Geräte damals durchaus ihre Abnehmer fanden, zumal der Küchenmeister-Konzern international agierte84 und die Konstruktion einer Räumlichkeit von Klang im heimischen Umfeld damals weit über Bastelarbeiten und Experimente des Rundfunks hinausging. Doch dürften an den meisten Grammophongeräten dieser Zeit Klangverbesserungen der Art vorgenommen worden sein, wie sie etwa J. P. Maxfield und H. C. Harrison entwickelt und in einer umfangreichen Untersuchung beschrieben hatten85. Darin geht es um ein elektrisches Aufnahmesystem für Grammophonplatten und dessen technische Übertragungseigenschaften. Mit Rekurs auf Sabines Forschungen hielten die Autoren einen größeren Nachhall schon bei der Aufnahme für nötig und plädierten deshalb gegen das herkömmliche mechanische Aufnahmeverfahren, bei dem das Orchester in einem engen und stark abgedämpften Raum vor einem riesigen Schalltrichter spielte und eine damit verbundene feine Nadel die Schallspur unmittelbar auf eine wächserne Grammophonplatte ritzte. Dagegen setzten sie die Methode der »elektrischen Aufnahme« ein, bei der das Orchester in einem großen Saal spielte und seine Musik mit entfernt stehenden Mikrophonen aufgenommen wurde, die zugleich auch den Raumklang teilweise mit übertrugen86. Wiedergabeseitig empfahlen sie dagegen die weitere Verwendung eines mechanischen Abspielsystems87, unterzogen die herkömmliche Apparatur aber einer gründlichen Überarbeitung und entwickelten zur Schallausbreitung einen gefalteten resonanzlosen Trichter mit verstärkender Wirkung, der im Kasten unterhalb des Grammophontellers angebracht war88. Dies sollte die verzerrungsfreie Übertragung von ca. 100 Hz bis 10 kHz ermöglichen. Hier blieb also wie auch im Rundfunk die Produktion und Gestaltung akustischer Raumeigenschaften auf die Aufnahmeseite beschränkt.

83

84 85

86

87 88

Heinrich Küchenmeister: Koffersprechmaschine, DE 487982 Anm. 19.3.1927, Ausg. 5.12.1929; ders.: Koffersprechmaschine, DE 532355, Anm. 8.4.1928, Ausg. 27.8.1931; ders.: Sprechmaschine, DE 532903, Anm. 22.1.1929 Ausg. 27.8.1931. Die meisten seiner deutschen Patente hatte Küchenmeister auch in anderen Ländern angemeldet und erhalten. J. P. Maxfield; H. C. Harrison: Methods of High Quality Recording and Reproducing of Music and Speech Based on Telephone Research, in: Bell System Technical Journal, 1926, S. 494–523. Ebd., S. 495 und S. 498f. An späterer Stelle stellten die Autoren detailliert und mit Forschungsergebnissen begründet ihre Entwicklung eines elektromagnetisches System vor, mit dem die vom Mikrophon aufgenommenen Klänge auf Schallplatte übertragen werden konnte (ebd., S. 500–515). Ebd., S. 500. Ebd., 512ff., Zeichnung S. 522.

136 | D ER HÖRBARE R AUM

E XPERIMENTE MIT M EHRKANALVERFAHREN : A NTHROPOMORPHIE UND RAUMANGEPASSTE A UFNAHME UND W IEDERGABEEXPERIMENTE AB 1924 Meist in Entwicklungsabteilungen verschiedener Industriezweige, also außerhalb des Rundfunks, wurden zeitgleich ebenfalls Forschungen und Versuche mit Mehrkanalverfahren zur Herstellung von auditiven Raumeindrücken unternommen, die den ganzen Übertragungsweg von der Aufnahme zur Übertragung und/oder Speicherung bis zur Wiedergabe umfassten. Als echte Experimente waren sie jedoch nicht auf die unmittelbare oder schnelle Anwendung für ein Massenpublikum ausgerichtet, sodass erste Ergebnisse nur einem Fachpublikum bekannt gegeben wurden. Ausgangspunkt der Forschungen und Experimente waren die Ergebnisse der binauralen Wahrnehmungsforschung und wohl deshalb wurde die anthropomorphe Aufstellung zweier Mikrophone zum Gegenstand der weiteren Forschung, was als erste wesentliche Änderung gegenüber den stereophonen Aufnahmeverfahren seit Clément Ader verstanden werden kann, in denen die beiden Mikrophone in einem willkürlichen Abstand voneinander aufgestellt waren. Abbildung 17: Stereoaufnahme mit zwei quer stehenden Mikrophonen

aus: Fürst 1929, S. 323

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 137

Schon 1924 hatte sich Doolittle seine radiophone Stereophonie mit der Anordnung von zwei Mikrophonen in Ohrenabstand patentieren lassen, doch sind in der Zeichnung beide Mikrophone noch auf den Klang hin ausgerichtet89. Doch bereits 1927 zeichnete Bartlett Jones in seinem Patent einen Winkel von je 45º für die horizontale Neigung der auf eine Kugel montierten Mikrophone90, während in der Darstellung von Peter Lertes 1929 zwei Mikrophone sogar in Querstellung und Ohrenabstand auf einem Stativ angebracht sind (Abb. 17)91. Kunstköpfe: Stereophonieaufnahmen für Kopfhörer Noch deutlicher zur anthropomorphen Gestalt tendieren die ersten Kunstköpfe. Schon 1925 sind erste Überlegungen dazu in einem Patent von Harvey Fletcher und Leon Sivian aus dem Labor der Western Union Company in New York dokumentiert92. Die Erfinder beschreiben darin ein binaurales Übertragungssystem, das die genaue Lokalisierung von Klang ermöglicht93. Dazu werden zwei Transmitter in einen künstlichen Kopf oder »Dummy« montiert94, den sie als menschenähnlichen, mit Kondensatormikrophonen bestückten und dämpfenden Materialien ausgestopften Kopf skizzieren95. Das noch recht allgemein gehaltene, aber umfangreiche Patent erhielten die beiden Erfinder 1927, sodass das erste Patent für einen Kunstkopf 1926 in Frankreich an Jean Maire ausgegeben wurde96. Maire schlägt darin die Montage zweier Mikrophone in den Gehörgängen eines Gipskopfes vor, der in der Zeichnung aussieht wie eine künstlerisch gestaltete Marmorbüste (Abb. 18).

89 90 91 92 93 94 95 96

Doolittle, US 1,513,973, S. 1. W. Bartlett Jones: Method and Means for the Vetriloquial Production of Sound, US 1,855,149, Anm. 13.4.1927, Ausg. 19.4.1932, S. 1. Lertes in Fürst 1929, S. 326. Harvey Fletcher und Leon J. Sivian: Binaural Telephone System, Patent US 1,624,486, Anm. 15.6.1925, Ausg. 12.4.1927. Ebd., S. 1,Z. 85–88. Ebd., S. 1, Z. 5f. Ebd., S. 2, Z. 64–78, dazu Abb. 3 und 4 im Patent auf der ersten Seite der Zeichnungen. Jean Maire, FR 616,677, Dispositif permettant l’audition téléphonique biauriculaire, Anm. 26.5.1926, Ausg. 30.10.1926. Die Erfindung gehört damit in die zu jener Zeit herrschende Konkurrenz von Rundfunk und Telephonübertragung.

138 | D ER HÖRBARE R AUM

Abbildung 18: Kunstkopf von Jean Maire 1926

aus: Patent FR 616,677

Ähnlich pragmatisch, aber noch menschenähnlicher scheint der erste erwiesenermaßen existierende Kunstkopf von F. A. Firestone 193097 gewesen zu sein, denn der an der Universität von Michigan tätige Forscher benutzte den wächsernen Kopf einer Schaufensterpuppe, in dem als Ohr ein »Baldwin earphone« eingebaut war98. Obwohl Firestone seinen auf einen rumpfähnlichen und mit dämpfendem Material verkleideten Korpus monierten Kunstkopf auch in einem weiteren wissenschaftlichen Versuch verwendete, den er

97 98

F. A. Firestone: The Phase Difference and Amplitude Ratio at the Ears due to a Source of Pure Tone, in: JASA, 2, Okt. 1930, S. 26–270. Ebd., S. 261.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 139

zusammen mit Russell Wightman publizierte99, ist keine Abbildung davon erhalten. Abbildung 19: Oscar von Harvey Fletcher

aus: Lapp 1966, S. 98

Somit ist der von Harvey Fletcher nun in den Bell Laboratories gebaute Oscar (Abb. 19) der erste funktionstüchtige Kunstkopf, von dem Abbildungen erhalten sind. Sein Einsatz bei öffentlichen Versuchen zur Übertragung von Konzertmusik per Telephon, die Fletcher zusammen mit dem Dirigenten Leopold Stokowski und dem Philadelphia Orchestra 1932–1934100 unternahm,

99

E. Russell Wightman und F. A. Firestone: Binaural Localization of Pure Tones, in: JASA, 2, 1930, S. 271–280. 100 Die Übertragungsversuche umfassten auch andere Aufnahmesysteme, sodass die wenigen erhaltenen Stereo-Aufnahmen der Versuche, an sich rein experimentell und die frühesten ihrer Art, vermutlich nicht mit Oscar durchgeführt wurden. (vgl. http://www.stokowski.org/Harvey%20Fletcher%20Bell%20Labs%20Recordings.ht m (14.05.15). Es lassen sich mehrere frühe Stereo-Aufnahmen und einige Hörbeispiele, jedoch kein Hinweis auf Oscar finden). Aber es existiert eine technische Dokumentation (ohne Musikaufnahmen) von Oscar in Laborberichten, hier bes. die Berichte No. 0161ff. 2.11.1932 (auf CD-ROM: Christine M. Rankovic und Jont B. Allen: Study of Speech and Hearing at Bell Telephone Laboratories; Correspondance

140 | D ER HÖRBARE R AUM

bescherte Oscar nicht nur das menschliche Gesicht einer Schaufensterpuppe, sondern auch ein gesellschaftsfähiges Jackett101, unter dem sich vermutlich die technischen Zusatzgeräte für die Mikrophone befanden102, während die empfangsseitigen Verstärker und Gleichrichter (Equalizer) in zwei Schränke eingebaut waren103. Das Photo von Oscar zeigt aber auch eine wenig menschenähnliche Anordnung der beiden Mikrophone, da sie zwar seitlich, aber vor den Außenohren moniert dargestellt sind104. In den Versuchen erwies sich Fletcher zufolge die Übertragung mit Oscar als erfolgreich, sofern sie mit Kopfhörern abgehört wurde105, doch scheint dieses Übertragungssystem in der wissenschaftlichen Literatur keine große Rolle gespielt zu haben. Zumindest wird es 1934 in der Sammlung von neun wissenschaftlichen Artikeln des Symposiums zur Drahtübertragung symphonischer Musik und ihrer Reproduktion nicht erwähnt106. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Reproduktion auf Kopfhörern nicht das Ziel der Ingenieurforschung war, gab es doch auch schon den Tonfilm, der jedoch noch ohne klangliche Raumeffekt auskommen musste. So erwogen J. C. Steinberg und W. B. Snow die Übertragung mehrerer Kanäle zur Erhaltung der spatialen Verhältnisse des Aufführungsraumes. Eine unendliche Zahl wäre zur Erhaltung der Hörperspektive wünschenswert, schreiben sie107, stellen dann aber ein dreikanaliges System mit Mitte-, Links- und Rechts-Ausrichtung vor108, das sie mit einem zweikanaligem System vergli-

101 102

103 104 105

106

107 108

Files and Internal Reports; hrsg. vom Journal of the Acoustical Society of America, 2000). Abbildung in: Ralph E. Lapp: Schall und Gehör, Amsterdam 1966, S. 98. Dies ist nicht genau dokumentiert, sollte es sich bei den Mikrophonen jedoch um Kondensatormikrophone gehandelt haben, wie im Patent von 1927 dargelegt, wäre dies eine plausible Erklärung. Abbildung auf S. 288 in: Harvey Fletcher: An Acoustic Illusion Telephonically Achieved, in: Bell Laboratory Record, 10, 6, 1933, S. 286–289. Photos ebd., S. 286 und 289. Ebd., S. 289, als Ergebnis einer Publikumsbefragung. In den internen Berichten 1932 (vgl. FN 100) ist jedoch von Skepsis gegenüber der korrekten Lokalisierung bei Lautsprecherübertragungen die Rede. Bell Technical Journal, Vol. 13, 2 1934 enthält Wiederabdrucke der Vorträge des »Symposium on Wire Transmission of Symphonic Music and its Reproduction in Auditory Perspective«, die bereits in Electrical Engineering, Januar 1934, abgedruckt wurden. J. C. Steinberg und W. B. Snow: Physical Factors, in: a.a.O., S. 245–258, hier S. 245. Ein Photo einer dreikanaligen Musikaufnahme 1933 zeigt John Sunier: The Story of Stereo 1881– , New York 1960, S. 30 (Abb. 210). Dabei handelt es sich aber der von Sunier angegebenen Quelle zufolge um ein System mit zwei weit außen stehenden

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 141

chen und in Bezug auf die Lokalisierungsbreite und -tiefe und deren physikalische Grundlagen untersucht hatten. Die Entwicklung von Kunstköpfen war mit der Bevorzugung mehrkanaliger Aufnahme- und Übertragungssysteme in den Bell Labs nicht beendet. Bereits 1939 stellten Kornelis de Boer und Roelof Vermeulen zwei Kunstköpfe vor, die sie im Labor der Firma Philips in Eindhoven entwickelt hatten109; in de Boers im Jahr darauf erschienener Promotionsschrift an der technischen Hochschule in Delft ist noch ein weiteres Exemplar enthalten110. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die beiden Ingenieure einige der Vorgängerentwicklungen kannten, auch wenn sie im populärwissenschaftlich ausgerichteten Artikel dies nicht angeben. De Boer hingegen berichtet in seiner Promotionsschrift ausführlich von den beiden Artikeln von Firestone und Wightman/Firestone 1930111 und erläutert ihre Forschungen mit dem puppenkopfförmigen Kunstkopf112. Weiterhin zitiert er aus Fletchers und Stokowskis dreikanaligen Übertragungsversuchen sowie aus einigen der Artikel des New Yorker Symposiums zur Übertragung von symphonischer Musik. Deshalb ist es auch wahrscheinlich, dass sich de Boer und Vermeulen erst im Verlauf ihrer Arbeit von der menschlichen Kopfform als Vorbild für ihren Kunstkopf abwandten und zur abstrahierten Kugelform mit menschliche Maße leicht überschreitenden 22 cm Durchmesser113 übergingen, die sie in ihren Publikationen als Kunstkopf vorstellen114. Beim gleichfalls abgebildeten weiblichen Puppenkopf verweisen sie hingegen nur einmal kurz darauf, dass Messungen

109

110 111 112 113

114

Mikrophonen, dessen drittes, mittig aufgebautes Mikrophon für einen Solisten gedacht war. Ihr Abstand voneinander betrug, bedingt durch die Breite der Bühne, jeweils ca. 4 Meter. (Vgl. auch: Harvey Fletcher: The Reproduction of Orchestral Music in Auditory Perspective, in: Bell Laboratories Record, May 1933, S. 259). K. de Boer und R. Vermeulen: Eine Anlage für einen Schwerhörigen, in: Philips technische Rundschau 4, 1939, S. 329–332. Der Artikel erschien zeitgleich auch in der niederländischen und der englischen Ausgabe der Philips-Rundschau. Kornelis de Boer: Stereofonische Geluidsweedergave, Delft 1940 (= de Boer 1940a) Ebd., S. 17–21. Ebd., auf S. 17 beschäftigt sich de Boer ausführlich mit Bau und Herkunft des Kunstkopfes. Die genaue Größe von 22 cm gibt de Boer in: Plastische Klangwiedergabe, in: Philips technische Rundschau 5, 1940 (= de Boer 1940b), S. 111 (unter Abbildung 7) an, während er in seiner Dissertation noch »ungeveer 20 cm« unter dasselbe Photo schrieb (de Boer 1940a, Abb. 43, S. 95). »Kunstkopf« und das niederländische Wort »Kunsthoofd« fallen ausnahmslos in den Publikationen für alle drei Formen.

142 | D ER HÖRBARE R AUM

an beiden Köpfen keine Unterschiede ergeben hätten115. Die abstraktere Form der Kugel erklärt sich auch aus der ebenfalls mit Photos belegten und verbal dargestellten Verwendung als Hörhilfe. Auf einem Tisch platziert, unter dem die technischen Einrichtungen versteckt waren, wird ein körperloser menschlicher Kopf sicher deutlich störender gewirkt haben als eine Kugel, die Klangquellen auch aus einem Nebenraum ebenso gut differenzierbar und lokalisierbar und darüber hinaus Bewegungen hörbar machte116. Abbildung 20: Der kleine Kunstkopf von Kornelis de Boer

aus: de Boer 1040a, S. 70

Der dritte Kunstkopf aus dem Philips-Labor ist nur in de Boers Dissertation dokumentiert (Abb. 20). Es ist ein kleines kugelförmiges Exemplar mit ca. 8 cm Durchmesser und seitlich daran angebrachten Mikrophonen117, das für

115 Allerdings nur in De Boer / Vermeulen, 1939, S. 331. In seiner Dissertation schreibt de Boer nichts Entsprechendes unter die Abbildung. 116 De Boer / Vermeulen, 1939, S. 330f., de Boer, 1940b, S. 114f. 117 Photo als Abb. 43 auf S. 70 (de Boer 1940a). Für diesen kleinen Kunstkopf beantragte und erhielt de Boer am 22.8.1940 auch ein Patent in den Niederlanden, das nur in seiner deutschen Fassung recherchiert werden konnte. (»Vorrichtung zur stereophonischen Schallübertragung«, DE 940048 vom 20.8.1941 an patentiert). Die Größe des Wiedergaberaums ist in diesem Patent allgemein und vage gehalten und nicht in die eigentlichen Ansprüche eingeschlossen. In diesem Patent ist auch von bereits bekannten kugelförmigen Kunstköpfen mit einem Durchmesser von 14 cm die Rede. Für einen nicht näher beschriebenen Gegenstand in Form eines Menschenkopfes von wenigstens 15 cm Breite meldete de Boer am 27.11.1940 ein Patent in den Niederlanden an (mit diesem Datum recherchierbar als DE 898459 als »Vorrichtung zur stereophonischen Schallübertragung«), während die Kugelform ohne Angabe zu deren Größe mit den beiden darin enthaltenen Mikrophonen von de Boer und Arend van Urk am 17.5.1943 in den Niederlanden zum Patent angemeldete wurde (recherchierbar als DE 879704).

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 143

Aufnahmen mit geringem Abstand (1,25 bis 3 m) zur Schallquelle bessere Ergebnisse erzielte118. Die Tendenz zur abstrakten Form ist bei de Boer also klar erkennbar, wenn auch der Mikrophonabstand beim Kunstkopf wieder im anthropomorphen Bereich gelegen haben wird. Allerdings behandelte de Boer in seiner Dissertation das Thema der Stereophonie recht allgemein, was ihn im Hinblick auf eine spätere Anwendung zur Frage der Beschallungen von Kinosälen führte. Mit Kunstkopfaufnahmen war dies nicht zu bewerkstelligen, da sie die Verwendung von Kopfhörern voraussetzten119. Deren eingeschränkte Unterscheidung zwischen vorn und hinten war ohnehin ein Problem, das de Boer jedoch mit Hinweis auf die Forschungen von Wallach zu Mikrobewegungen des Kopfes als Lokalisierungshilfe in diesem Bereich für handhabbar hielt120. Nur damit waren sie einfacher Stereophonie überlegen, während eine Übertragung auf zwei Lautsprecher weniger gute Resultate erbrachte. Dennoch sah de Boer hier das geeignete Anwendungsgebiet für seinen kleinen Kunstkopf121, wenngleich die Abhörbreite von 3,5 m die räumliche Abbildung auf den häuslichen Bereich beschränkte122.

118 De Boer 1940a, S. 69–71. 119 Vgl. hierzu auch: Joachim v. Braunmühl und Walter Weber: Einführung in die angewandte Akustik, Leipzig 1936, S. 209. 120 Hans Wallach: Über die Wahrnehmung der Schallrichtung, in: Psychologische Forschung, 22, 1938, S. 238–266. In dem 1936 eingereichten Manuskript berichtet Wallach von mehreren Versuchen zur auditiven Lokalisation mit teilweise sehr aufwändigen technischen Aufbauten, bei denen die Versuchspersonen Kopfbewegungen auszuführen hatten. Die Ergebnisse waren aber wohl nicht vollständig erfolgreich, denn Wallach erklärte die dennoch aufgetretenen Fehler z.B. mit den allgemeinen Fehlerquellen (S. 258). Zudem arbeitete er mit wenigen Versuchsteilnehmern (max. sieben) und zählte gelegentlich »gelungene« Versuche wie Forscher im 19. Jahrhundert (S. 260), inkludiert also gezielte Lerneffekte und ignoriert individuelle Ergebnisse (S. 258, in der einzigen Tabelle auf individueller Basis). 121 De Boer 1940a, S. 89f. 122 Angaben dazu ebd., S. 89 und 101f. Zum Interessengebiet der Technikentwicklung für den privaten Bereich passt auch die Vorstellung von Stereoschallplatten, die linke und rechte Seite auf getrennten Arealen (innen und außen auf der Schallplatte), eines dazu passenden Stereo-Schallplattenspielers mit zwei parallel geführten Nadeln sowie die Darstellung der Problematik der Exzentrizität von Grammophonplatten am Ende der Dissertation S. 100–111. Vgl. auch Bartett Jones US Patent. Ein Verfahren, beide Kanäle in nur einer Rille einer Stereoschallplatte zu kodieren (und dabei monokompatibel zu sein), hatte Alan D. Blumlein schon am 14.12.1931 zum Patent in Großbritannien angemeldet und nach Modifikationen (10.9.1932) am 14.6.1933 unter der Nummer GB 394,325 erhalten. Dieses weitaus effektivere Verfahren war de Boer wohl nicht bekannt; er nennt es nicht.

144 | D ER HÖRBARE R AUM

Stereophonie und Mehrkanalverfahren über Lautsprecher Mit Versuchen zur stereophonen Beschallung kleiner Räume hatte eine Entwicklung begonnen, die schon Mitte der 1920er Jahre absehbar gewesen war: Der Abhörraum wurde zum eigenen Betrachtungsgegenstand und auch hinsichtlich des privaten und öffentlichen Rezeptionsbereichs differenziert. Damit verbunden war auch die Dimension der Raumgröße, die sich auf die Frage nach der geeigneten Aufnahmetechnik auswirkte, denn selbst kleine Konzert- oder Kinosäle waren deutlich größer als private Räume und Wohnzimmer. So wurden in den folgenden Jahren zunehmend die Aufnahmeverfahren für größere und kleinere Räume voneinander getrennt. Für größere Abhörräume geeignet war das von Harvey Fletcher und Leopold Stokowski vorgestellte Dreikanalverfahren mit zwei entfernten Mikrophonen in den seitlichen Mitten rechts und links vor dem Orchester sowie einem Solistenmikrophon. Das lag daran, dass in einem größeren Saal, dessen Maße ungefähr mit dem Aufnahmesaal übereinstimmten, Lautsprecher an der Position der Außenmikrophone gestellt werden konnten und die Entfernungen der Instrumente untereinander damit gewahrt blieben. Ob mit dieser Aufnahmeanordnung auch das Abhören in einem kleineren Raum ähnlich gute Abbildungsresultate erbracht hätte, ist fraglich. Für den häuslichen Abhörbereich dagegen sehr gut geeignet war ein anderes Aufnahmeverfahren, das als Teil eines umfassenden Verfahrens zur Klangaufnahme, -speicherung und -wiedergabe von dem für den Konzern EMI-Konzern in England forschenden Alan D. Blumlein entwickelt wurde. Dort war es schon 1931 zum Patent angemeldet und nach einigen Änderungen 1933 sowie 1937 mit deutlichen Abstrichen in den USA erteilt worden123. Zentraler Punkt des räumlichen Schallaufnahmeverfahrens war die neuartige Aufstellung beider Mikrophone, denn sie befanden sich an einem Punkt des Aufnahmeraums und waren so ausgerichtet, dass die Membran des einen Mikrophons direkt auf die Schallquelle zeigte, während die andere des anderen Mikrofons im rechten Winkel dazu platziert werden sollte124.

123 Alan Blumlein: Improvements in and relating to Sound-transmission, Soundrecording and Sound-reproducing Systems, GB 394,235, Anm. 14.12.1931, letzte Änderung 10.11.1932, erteilt 14.6.1933 für 70 Claims; ders.: Sound Transmission, Sound Recording, and Sound Reproducing System, US 2,093,540, Anm. 13.12.1932, erteilt 21.9.1937 für 23 Claims. 124 GB 394,235, S. 5, Z. 1–5. Ein Abbildung (Fig.1), auf die an späterer Stelle im Patent Bezug genommen wird, zeigt jedoch eine parallele Anordnung der Mikrophone, weshalb wohl gelegentlich erst im Folgepatent Blumleins (GB 429,054) die recht-

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 145

Dadurch wurden Phasenunterschiede des Klangs am Aufstellungsort vermieden. Die aufgenommenen Klänge der beiden Mikrophone waren in diesem Verfahren jedoch phasenverkehrt und mussten daher später als Summen- und ein Differenzsignal zu zwei Signalen mit Lautstärkeunterschieden konvertiert werden125. Diese Anordnung wurde spezifiziert und als M-SStereophonie126 nach 1950 verbreitet angewandt. Sie ermöglichte auch eine Lokalisierung über Lautsprecher, die damals lediglich über das Abhören per Kopfhörer funktionierte, wie es im Patent heißt127. Ein weiterer zentraler Punkt des Patents war ein System zum Schneiden von zwei Kanälen in einer Grammophonrille. Das System wurde ebenfalls erst in den 1950er Jahren weithin bekannt und bildete die Basis für die Norm zu Produktion von Stereoschallplatten, die ab 1958 erstmals auf dem Markt erschienen. Zur Zeit der Patentanmeldung und -erteilung blieben Blumleins binaurale Erfindungen jedoch weitgehend unbeachtet128. In großen Sälen wurde besonders im Bereich des Kinos mit Stereophonie experimentiert, wo diese Versuche in ersten, öffentlich sehr beachteten Vorführungen umgesetzt wurden. Obwohl auch hier noch keine Massenanwendungen erreicht wurden, konzentrierte sich die Arbeit von Audioforschern und Institutionen in zahlreichen Ländern doch auf diesen Bereich. Auch hier galt es, ein großes Publikum zu erreichen, wenngleich mit anderen Mitteln, sodass einige der Stereophonie-Patente aus der Zeit sowohl die heimische Abhörsituation als auch die Filmtonaufnahme und Kinowiedergabe als Anwendungsgebiete angaben. So kam es 1937 nach Angaben von de Boer, der sich auf einen Artikel von Maxfield, also eines Bell Labs-Mitarbeiters in einem speziellen Publikationsorgan für Kinotechnik beruft129, in New York

125 126

127 128 129

winklige Anordnung beschrieben wird, wie bei Alexander 2000 (s.u.), S. 97, in dem sich eine entsprechende Abbildung (Fig. 1) befindet. GB 394,235, S. 5, Z. 1–20. Blumlein spezifizierte die Anordnung der Mikrophone in weiteren Patenten bis 1934. Abkürzung für Mitte-Seiten-Stereophonie. Hier werden zwei verschiedene Richtcharakteristiken verwendet. Eine solche Anordnung beschreibt Blumlein auch in seinem Folgepatent GB 429,054 (Anm. 10.2.1934, spezifiziert 18.9.1934, erteilt 23.5.1935), Claim 3 und 4, S. 5, Z. 84–103. Nach Angaben von Blumleins Biographen Alexander (s.u., S. 71–80), erfolgte erst nach der Anmeldung des ersten Patents der Bau der entsprechenden Geräte, sodass die Folgepatente auf der Basis der binauralen Aufnahme- und Schneideversuche entstanden. Ebd., S. 32–56. Vgl. Robert Charles Alexander: The Inventor of Stereo, The Life and Works of Alan Dower Blumlein, Oxford u.a. 2000, S. 91. De Boer 1940a, S. 82, FN 1: »J. P. Maxfield, Journ. Soc. Mot. Pict. Eng. 30, 131, 1938«.

146 | D ER HÖRBARE R AUM

erstmals zu einer stereophonen Tonübertragung mit symphonischer Musik im Rahmen einer Kinovorführung, bei der 40–50 Musiker unter der Leitung von Leopold Stokowski musizierten130. Vor diesem Hintergrund lesen sich die Artikel der Bell Labs-Mitarbeiter auf dem New Yorker Symposium 1934, die den ganzen Bereich der stereophonen Aufnahme von symphonischer Musik über Raumakustik, Verstärkung, Sendung und Lautsprecherwiedergabe131 umfassen, deutlich zielgerichteter auf diese Anwendung ausgerichtet. Die räumlichen Aufnahmeversuche galten zwar auch der symphonischen Musik, die als Filmmusik verwendet wurde, waren aber keineswegs darauf beschränkt, galt es doch auch die Sprechszenen und Geräusche aufzunehmen und effektvoll in den Kinosaal zu transportieren. 1939 und 1940 stellten die Bell Labs ein 4-Kanalton-System für Tonfilm vor132, doch der Gipfelpunkt der Versuche bestand in den zwei ersten Multikanalproduktionen für Filme von Walt Disney 1939; dessen zweiter aus dem Jahr 1940 mit dem Titel »Fantasia« gilt als erster kommerzieller Film mit Stereoton133, da er in mehreren Kinos gezeigt wurde. Das experimentelle Aufnahmesystem Fantasound war in Zusammenarbeit den Disney Studios und der Radio Corporation of America entstanden. Es bestand aus 33 Mikrophonen, welche die Musiker unter Leitung von Stokowski aufnahmen und auf 8 Filmtonkanälen gespeichert wurden, sowie einer 10-Kanal-Lautsprecheranlage, die eine Beschallung von allen Seiten des Kinosaals vorsah134. Gleichzeitig (1939) entstand auch ein etwas weniger aufwändiges Stereotonverfahren mit dem Namen Vitasound in den Studios der Warner Brothers135. Die Versuche in Europa nahmen sich dagegen sehr viel schlichter aus, waren aber nicht minder engagiert und schlugen sich in zahlreichen Stereophonie-Patenten nieder136. Die Aufnahmetechnik und -methodik konzentrier-

130 John Sunier 1960, S. 51. 131 Z.B. E.C. Wente und A.L. Thuras: Loud Speakers and Microphones, in: Bell Technical Journal, Vol. 13, 2, 1934 enthält Wiederabdrucke der Vorträge des »Symposium on Wire Transmission of Symphonic Music and its Reproduction in Auditory Perspective«, S. 259–277. 132 Sunier 1960, S. 54. 133 http://en.wikipedia.org/wiki/Fantasound (13.5.2015). Der erste Film mit dem Titel »The Eternal Road« (1939) scheint nicht für kommerzielle Zwecke eingesetzt worden zu sein. 134 Sunier 1960, S. 59. 135 http://en.wikipedia.org/wiki/Vitasound (13.5.2015) und Sunier 1960, S. 60. 136 Die folgende Aufzählung beschränkt sich auf echte Mehrkanaltechnik, bei der die aufgenommenen Kanäle auch getrennt aufgezeichnet und abgebildet werden. Patente, die hier rationalisierend wirken sollten und z.B. auf die abwechselnde Aufnahme und Wiedergabe von zwei Kanälen und deren Übertragung auf einem Kanal beinhal-

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 147

te sich zwar auf zwei- oder dreikanalige Mikrophonanordnungen, doch gelegentlich waren auch schon Mehrkanalaufnahmen137 (Abb. 21) sowie die dazugehörige Panoramaregelung auf zwei Übertragungskanäle138 oder die akustische Trennung einzelner Mikrophone bei einer Mehrkanalaufnahme139 erdacht worden140. Abbildung 21: Zeichnung für Stereoaufnahme mit Stützmikrophonen

aus: Patent DE 861467 von Hans Warncke

137

138

139 140

teten wie die von Hans Mühlbacher (DE 733008, ab 17.7.1940 oder DE 967132 rückwirkend ab 4.2.1939), werden hier nicht weiter betrachtet. Hans Warncke: Verfahren zur Aufnahme von Stereotönen mit zwei oder mehr Mikrofonen, DE 879397, Beginn 24.12.1940 im verspäteten Verfahren (Anm. 25.9.1952, Ausg. 30.4.1953). Im Gegensatz zu den von Steinberg und Snow als ideal bezeichneten Einzelkanälen pro Schallquelle zeichnet Warncke eine parallele Aufstellung der Mikrophone auf einer Ebene, die unabhängig von der raumtiefen Orchesteraufstellung einer zweidimensionalen Abbildung (rechts nach links) entspricht. Hans Warncke: Anordnung zur Stereotonaufnahme mit mehr als zwei Mikrophonen, DE 863086, Beginn 16.1.1941 wieder mir verspätetem Verfahren. Warncke hatte ein dreikanaliges Verfahren mit Mikrophonen an der rechten und linken Seite für die lokalisierungsrelevanten höheren Frequenzen und einem mittig aufgestellten Mikrophon zur Übertragung der tiefen Frequenzen als Basis erdacht, bei dem die beiden weiteren Mikrophone prozentual verschieden auf die beiden Basiskanäle elektrisch verteilt werden. Hans Warncke: Verfahren und Einrichtung zur stereoakustischen Aufnahme von Tönen, DE 861467, Anm. 13.10.1940, erteilt nach verspätetem Verfahren. Die hier angeführten Patentbeispiele stammen aus der Zeit der hier schon erläuterten Mehrkanalsysteme für Filmton aus den USA; in Deutschland sind schon frühere Versuche bekannt, dasselbe ist aus anderen europäischen Ländern anzunehmen.

148 | D ER HÖRBARE R AUM

Doch unabhängig von der Zahl der aufnehmenden Mikrophone und der Größe des Raums, in den ihr Klang projiziert werden sollte, ging es bei dieser Stereophonie hauptsächlich um die Beschallung von zweidimensionalen Bildern auf einer flachen Leinwand. Diese war mit einer räumlichen Tiefe im Bildaufnahmeverfahren versehen und nun sollte auch eine entsprechende Tonaufnahme entwickelt werden141, und dafür war wohl eine zweidimensionale Abbildung des Klangs mit einem Verlauf von rechts nach links im Sichtbereich der Zuschauer ausreichend. Dennoch entwickelte de Boer bereits 1944 auch ein patentiertes Verfahren, mit dem er die zweikanalige Stereophonie für die gesamte Raumbeschallung nutzen wollte142. Ohne die Frage der Aufnahmetechnik zu berühren, behandelt dieses Patent die Anordnung von Lautsprechern an allen vier Ecken eines Saales oder Raumes sowie bei Bedarf auch in der Mitte an Front- und Rückseite. Elementarer Teil der Erfindung ist die leichte Klangveränderung der an die Saalrückseite transferierten originalen zweikanaligen Klänge aus der Tonspur des Films oder einer anderen zweikanaligen Aufnahme143, bei der die tiefen Klanganteile hervorgehoben werden sollen, sei es durch Filter oder den Klangcharakter der Lautsprecher144. Ob dieses Verfahren damals Anwendung fand, ist nicht zu ermitteln, doch diente es um 1950 als Anregung für Pierre Schaeffer bei der Entwicklung seines Raumklangsteuerungsgerätes145.

K ÜNSTLICHER H ALL / H ALLSPIRALE 1939, also zur selben Zeit, als sich Stereopatente und -aufnahmeverfahren häuften, ist auch eine Neuerung für den allgemeinen Raumklang bei elektrischen Instrumenten zu verzeichnen. Denn in jenem Jahr gelang es Laurens Hammond, eine wesentliche Verbesserung für seine elektrische zweimanua-

141 Martin Ulner: Mikrofonanordnung für Stereo-Aufnahmen mit zwei getrennten Übertragungskanälen, DE 860959, Beginn 15.10.1940, mit verspätetem Verfahren. 142 De Boer: Device for Stereophonic Sound Transmission in two Channels, US 2,481,576, Anm. 14.7.1944 in den Niederlanden (vgl. Patent S.1). 143 Ebd., Sp. 2, Z 32–34. 144 Ebd., Sp. 1, Z. 53–Sp. 2, Z. 6. 145 In der amerikanischen Fassung des Patentes US 2,636,943 für dieses Raumklangsteuerungsgerät von Pierre Schaeffer befindet sich am Ende (Sp. 6, Z. 71) eine Referenz auf de Boers Patent US 2,481,576.

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 149

lige Orgel zu bauen, auf die er im April 1934 nach nur dreimonatiger Anmeldezeit das Patent erhielt146. Abbildung 22: Zeichnung einer Hallspirale von Laurens Hammond

aus: Patent US2,230,836 von Laurens Hammond

Die Verbesserung, die er am 15.7.1939 zum Patent anmeldete, trägt denselben Titel: »Electrical Musical Instrument«147. Ein eigenständiges Musikinstrument war dieses Gerät aber nicht, sondern eher eine Zusatzeinrichtung.

146 Laurens Hammond: Electrical Musical Instrument US 1,956,350, Anm. 19.1.1934, Ausg. 24.4.1934. 147 US 2,230,836, erteilt am 4.2.1941. Die ungewöhnlich umfangreiche Patentschrift mit 9 Textseiten und 10 Zeichnungen enthält 40 Ansprüche.

150 | D ER HÖRBARE R AUM

Es sollte ebenso in einer Orgel, aber auch – in transportfähiger Version148 – für Rundfunk- und Grammophonaufnahmen einsetzbar sein und konnte mit dem Raumklang auf elektromechanischem Weg erzeugt und dem Ursprungssignal als künstlicher Nachhall beigemischt werden. Das Verfahren ist somit grundsätzlich mit dem von Hallräumen vergleichbar. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch in der Erzeugung des Halleffektes. In Hammonds Patent geschieht dies mit fünf verschiedenen spiralförmigen Metallfedern aus Klavierdraht (Abb. 22), die an beiden Enden in (teilweise ölgefüllten) Röhren befestigt sind. An einem Ende wird der Klang auf die Feder gespielt, am (vermutlich)149 anderen Ende in nun zeitund klangmodifizierter Form wieder abgenommen. Die drei unterschiedlichen Längen150 und drei verschiedenen Federspannungen, Draht- und Gesamtdurchmesser151 der Spiralen führen Hammond zufolge zu unterschiedlichen Zeitverzögerungen152 bei zunehmender Konzentration auf tiefe Frequenzen, was die mehrfachen Rückwürfe des natürlichen Nachhalls imitieren soll und von der dämpfenden Wirkung des Öls verursacht wird153. Die erzeugten Nachhalldauern liegen zwischen 1/15 Sekunden für Sprache und 2 Sekunden für (Orgel)Musik und sind am Gerät einstellbar154, wobei die jeweilige Einstellung die Klangverläufe durch die dafür bestimmten Spiralen führen. Zugleich sollte es laut Patent möglich sein, die Anteile des direkten und verhallten Signals im Gesamtklang zu steuern155. Derart variabel und leicht handhabbar konnten Hallräume nicht sein. Auch wenn der Klang des Hallfedergerätes, von dem Hammond durch in der Telephontechnik gebräuchliche Geräte zur Echokompensation angeregt wurde156, im Tonstudio148 Hierfür meldete Hammond ein Zusatzpatent am 7.10.1939 an, das er am 13.8.1940 mit der Nummer US 2,211,205 erhielt – gut 6 Monate, bevor er das Patent für den Hauptteil seiner Erfindung zugesprochen bekam. 149 Im Patent US 2,230,836 wird auf S. 2, Z. 10–58 das Prinzip des Gerätes beschrieben, das Element zur Abnahme des modifizierten Klangs mit der Nr. 38 ist jedoch nur im Blockschaltbild Fig.1 angegeben und in den weitern Zeichnungen nicht aufzufinden. 150 Ebd., die Längen der Röhren und Spiralen sind an verschiedenen Stellen im Text angegeben und sind am einfachsten in Zeichnung 3 zu erkennen. 151 Ebd., S. 4 Z. 32ff. 152 Ebd., S. 5, Z. 33–55. 153 Ebd., Zeichnung 10 und Text z.B. S.5, Z. 24–34 für die Feder ›C‹. 154 Ebd., S. 6, Z. 70–S. 7, Z. 10. 155 Ebd., S. 1, Z. 27–30 und S. 7, Z. 10–15 als Zusammenfassung der zuvor beschriebenen Funktionsweise. 156 Die Angabe auf der Webseite von Accutronics http://www.accutronicsreverb.com/ main/?skin=sub03_01.html (14.5.2015), der Firma, die im späteren HammondKonzern zur Entwicklung und Herstellung von Hallgeräten gegründet und mittler-

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 151

bereich durchaus optimierbar schien, wie sich in den folgenden Jahrzehnten herausstellen sollte, wurden Hallfedern doch zum Standard tragbarer Elektroorgeln und Klangeffektgeräte bis heute. Mit Hammonds Erfindung war auch die Loslösung des Nachhalls vom architektonischen Raum vollzogen. Er war nun auf sein auditives Wirkungsprinzip reduziert, auf die zeitversetzte, durch das Frequenzspektrum und die Lautstärke klanggefärbte Reflektion, und unabhängig vom architektonischem Raum mit natürlichem Nachhall auch mit rein elektroakustischen Mitteln künstlich herstellbar. Diese Reduktion auf die auditive Wirkung und deren Imitation zeichnen schon die oben angeführten pseudostereofonen und spätere, bis in die 1960er Jahre hinein entwickelte und patentierte Verfahren aus, die zwar plastische Klangbilder lieferten, aber keine Lokalisation von Schallquellen ermöglichten. Sie ist auch in anderen Verfahren präsent, die bis heute bekannt sind und Anwendung finden, bei denen eine minimale Zeitverzögerung des eigentlichen Schalls diesem zugespeist wird. Ein solches »Delay-Verfahren«, das zugleich räumlichen Klang von trocken aufgenommenen Klängen erzeugen und Rückkoppelungen durch adäquate Verzögerungen des aufgenommenen und wieder eingespeisten Signals vermeiden möchte, wurde etwa für Otto Böhm und Hermann Gruhnwald 1935 patentiert157.

weile zu einem koreanischen Konzern gehört, konnte hinsichtlich des Bezugs der Hammond-Hallfeder auf ein Patent der Bell-Laboratorien zur Echokompensation in Ferngesprächen verifiziert werden. So meldete R. L. Wegel am 24.10.1928 sein Patent »Wave Transmission Device« an (erteilt am 5.4.1932 US 1,852,795), das u.a. mittels Federn eine mechanische Verzögerung von Schall produzieren konnte. Entscheidend waren die Länge und der Durchmesser von Draht und Feder, was Wegel an einer Stelle genau angibt (ebd., S. 3 Z. 88–97). Zugleich (ebd., Z. 97–107) verweist er auf die Anwendung seiner Erfindung in einem Patent von Alva B. Clark zur Echokompensation (»Echo Suppressor for Two-wire Systems«, US 1,585,702, angemeldet 22.8.1923, erteilt 25.5.1926), das aus einer Serie von 22 zuschaltbaren elektrischen Filtereinheiten besteht, die Zeitverzögerungen des Schalls erzeugen, aber, wie Clark mehrfach im Patent darstellt, nicht alle Echoerscheinungen bei Ferngesprächen beseitigen können. 157 Das Patent ist nur noch in seiner US-Amerikanischen Version recherchierbar (Otto Böhm und Hermann Gruhnwald: Method and Means for Influencing the Field of Sound, US 2145288) und ist nach den dortigen Angaben in Deutschland am 13.7.1935 für die beiden Erfinder aus der Telefunken Gesellschaft angemeldet worden.

152 | D ER HÖRBARE R AUM

R AUM , R AUMKLANG UND D IFFERENZIERUNG BIS 1950 Nach langen Forschungen von 1796 bis Mitte der 1920er Jahre hatte die wissenschaftlich fundierte technische Entwicklung und Gestaltung des auditiven Raums mit Beginn der Rundfunkzeit also einen enormen Schub erhalten, der durch den Einsatz elektroakustischer Mittel zu einer deutlichen Differenzierung des Begriffs führte. Raumakustik und deren physikalisch definierbare Größe des Nachhalls sind wesentliche Elemente, die durch die Erzeugung klanglicher Raumeindrücke mit elektroakustischen Mitteln eine Weiterentwicklung in die Klangproduktion hinein erhielten. Räumliche Entfernungen und sogar Bewegungen in einem Monosignal konnten damit erzeugt bzw. simuliert werden ebenso wie Klangeffekte, mit denen sich virtuelle und/oder poetische Klangräume erschaffen ließen. Ein anderes wesentliches Element der sich differenzierenden Klangräume ist die Hörbarkeit der Räumlichkeit der Klänge, die mit den ersten Kunstköpfen und Kopfhören erreicht werden konnte. Darüber hinaus muss auch die Weiterentwicklung der Stereophonie zu den entscheidenden wissenschaftlichen Neuerungen gezählt werden. Sie ermöglichte meist zwar nur ein flaches Panorama zwischen der rechten und linken Seite, ließ aber dennoch die Lokalisierung von Klangquellen und überdies eine Beschallung mit Lautsprechern zu. Wie die erläuterten Experimente zeigen, konnten sie sogar in einem Kinosaal für räumliche Klangprojektion sorgen. Die Beschallung der gedämpften bis größer werdenden Aufnahmeräume sowie ungefähr ab Mitte der 1930er Jahre auch die der kleinen privaten und großen öffentlichen Wiedergaberäume mit Lautsprechern war zunehmend auf stereophonem Weg möglich. Doch noch verhinderten die mangelnden technischen Aufzeichnungsmöglichkeiten von zwei Tonkanälen den Durchbruch der Stereophonie sowohl im professionellen wie im privaten Bereich. Mit Pseudostereophonie-Verfahren wurde daher auf künstlichem Weg meist eine Phasendifferenz aus einem Monosignal erzeugt, um Klängen aus Rundfunk- oder Grammophonaufnahmen eine Plastizität zu verleihen, die jedoch die Lokalisation der Schallquellen ausschloss. Mit welchen Mitteln und Verfahren auch immer der hörbare Raum geschaffen werden konnte und wie viele verschiedene Raumbegriffe sich heute daraus ableiten lassen: Der auditive Raum war um 1950 sowohl Musikexperten wie auf dem Gebiet tätigen Ingenieuren bekannt und mit zahlreichen Verfahren zur Aufnahme und Wiedergabe auch klanglich gestaltbar geworden. Vermittelt über die ersten öffentlich gemachten Versuche, Sachpublikationen und Geräte war er zumindest einem interessierten Publikum vertraut. Dies ist die Basis, auf der Raum nach 1950 zum kompositorischen Parame-

M EDIALE P RAXIS DES HÖRBAREN R AUMS (1920 – 1950)

| 153

ter, sowohl für die Entwicklung technischer Systeme als auch für die eigentliche Komposition und nicht zuletzt für die Akzeptanz des Publikums werden konnte, das diese Neuheiten anfangs mit großem Interesse verfolgte.

Ab 1950: Die Entwicklung statischer Raumklangtechnologien

Zu den mittlerweile sehr verschiedenen Technologien, Methoden und Verfahren zur Herstellung von Raumklang und räumlichen Klangeffekten, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts erdacht, entwickelt und teilweise auch schon breite Anwendung gefunden hatten, gesellte sich um 1950 erstmals ein technisches Gerät, mit dem Klang im dreidimensionalen Raum bewegt werden konnte. Das pupitre d’espace von Pierre Schaeffer war zwar anfangs nur dazu gedacht, Kompositionen der musique concrète in Konzertsäle zu projizieren, seine Existenz regte Komponisten aber schnell dazu an, Klangbewegungen in ihre Musik konzeptionell zu integrieren. In die Komposition von Musik zog damit ein neues Element ein, das künstlerisch wie technologisch eine wesentlich neue Qualität besaß, da räumliche Bewegung im Gegensatz zu verschiedenen räumlich fixierten, statischen Spielpositionen nie zuvor Gegenstand oder integraler Teil von Komposition gewesen war1. Innerhalb der Gesamtheit auditiver Raumtechnologien bildete die räumliche Klangbewegung fortan einen neuen Zweig, der neben den verschiedenen Arten der technologischen Produktion von ›statischen‹ Raumklängen existierte. Beide Zweige entwickelten sich in den folgenden Jahren parallel, wobei die Technologie für bewegte Klangproduktionen, die lange Zeit fast ausschließlich für Avantgarde-Kompositionen entwickelt wurde, von den Entwicklungen für statische Raumzustände profitierte. Auf diesem Teilgebiet tat sich durch die zunehmende Bedeutung des Rundfunks und die absehbare Einführung eines Standards für zweikanalige Stereoschallplatten ein wachsendes Anwendungsgebiet auf: Immer mehr industrielle und institutionelle Forschungslabore, Erfinder, künstlerische Anwender und Experimenta1

Die im vorigen Kapitel beschriebenen Ideen zur Klangbewegung in einkanaligen Produktionen des Rundfunks waren, wie berichtet, rein theoretisch geblieben und ohnehin auf die Funktion der Klangkulisse beschränkt.

156 | D ER HÖRBARE R AUM

toren bauten die bereits bekannten raumklanglichen Technologien, Verfahren und Methoden über das Stadium des Experimentellen hinaus aus und professionalisierten sie.

K ÜNSTLICHER N ACHHALL : V ERBESSERTE G ERÄTE UND V ERFAHREN Zu den stark professionalisierten Entwicklungen gehört die Hallplatte von Walter Kuhl aus dem Institut für Rundfunk-Betriebstechnik in Nürnberg, der seine Erfindung bereits 1955 zum Patent angemeldet und 1959 nach einigen Modifikationen auch erhalten hatte2. Mit der Hallplatte, die später unter dem Namen EMT 140 weithin bekannt und eingesetzt wurde (Abb. 23), wollte Kuhl die damals üblichen Möglichkeiten der Hallproduktionen3 verbessern. Hallräume waren sowohl im Bau wie bei den nötigen elektroakustischen Einrichtungen zur Erzeugung variabler Hallklänge sehr aufwändig und teuer und lieferten teilweise unzureichende Klangergebnisse4. Hallfedern5 und Hallerzeugungsverfahren wie die Verwendung von parallelen Echowänden oder der Einsatz von Verzögerungseinrichtungen mittels Magnetton6 brach-

2

3

4 5 6

Walter Kuhl: Einrichtung zur Erzeugung von künstlichem Nachhall, DE 1001011 v. 21.8.1959 (Ausg.) Noch nach der Auslegung am 17.1.1957 wurde der Text an einer Stelle modifiziert. Die Hallplatte wurde auch in Österreich (AT 19614, der Schweiz (CH 347016) und den USA (US 2,923,369) patentiert. Einen Überblick über die 1956 bekannten Verfahren zu Hallerzeugung liefert Heft 5, 1956, der Gravesaner Blätter, das einige Vorträge des in Gravesano vom 17.– 23.5.1956 veranstalteten Kolloquiums »Künstlicher Nachhall und erster Rückwurf« wiedergibt. Auf der beiliegenden Schallplatte befinden sich vergleichende Tonproben von verhallten Signalen. Kuhl-Patent 1959, Sp. 1, Z. 12–39. Kuhl (ebd., Sp. 2, Z. 18) nennt explizit das erste Patent für eine Hallfeder von Hammond US 2,230,836, das im vorigen Kapitel beschrieben wurde. Ebd., Z. 27. Kuhl meint Verfahren mit speziellen Geräten, in denen Schall auf Tonbänder in Endlosschleifen aufgezeichnet und an mehreren nacheinander angebrachten Wiedergabeköpfen vorbeigeführt wurden. Es wurde der Wiedergabekopf zugeschaltet der die gewünschte Nachhalldauer lieferte. Vgl. H. Jung und E. Alter: Grundlagen und Bau eines elektrischen Generators für künstlichen Nachhall, in: Bild und Ton, 10, 1952, S. 312–317, hier S. 314f., und H. Schießer: Einrichtungen zur Erzeugung künstlichen Nachhalls, in: Funk und Ton, 8 (1954), S. 361–368. Beide Autoren listen mehrere Verfahren auf, besonders aber neue Nachhallgeräte nach dem Magnettonverfahren.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 157

ten dagegen eine zu geringe Klangqualität7. Kuhls Hallplatte ging weit über die monierten Aspekte der Vorgängererfindungen hinaus, obwohl sie ebenfalls bei der Erzeugung des Nachhalls nach dem bereits bekannten Prinzip funktionierte: Der Originalklang wurde mittels einer Schwingspule8 auf das Hallmaterial aufgespielt und von dort an entfernter Stelle mit einem Mikrophon wieder aufgenommen. Bei Kuhls Erfindung ist das ›Hallmaterial‹ jedoch eine etwa 1 x 2 m und 1 mm dicke Platte aus Stahl9, die an starken Federn aufgehängt in einen stabilen Stahlrahmen und einer festen Holzkiste untergebracht war10. Das machte sie schwer transportabel – und weil sie trotz dieser Dämmungsmaßnahmen zudem einen gesonderten Aufstellungsort zur Abschirmung gegen Bodenvibrationen benötigte11 – auch umständlich zu lagern. Doch ihre elektroakustischen Eigenschaften waren so gut, dass dies in Kauf genommen wurde. Denn der Nachhall der Platte klang nicht nur besser als die oben genannten Verfahren und Geräte, die Platte verfügte auch über eine variabel einstellbare, 0,8 mm dicke Dämmplatte aus gepressten Glasfasern12, die per motorisierter Fernsteuerung oder mit einer Handkurbel an die

7

8 9

10

11

12

Kuhl bemängelt u.a. die geringe Frequenzbandbreite, die ungeeignete Frequenzkurve der Nachhallzeit und die geringe Zahl der Eigenfrequenzen, Flatterechos bei impulshaltigen Klängen etc. (DE1001011, Z. 18–33). Im Hallraum sind dies Lautsprecher. Im Patent spricht Kuhl i.a. nur von »Platte«, deutet aber in der Beschreibung von Fig. 7 (DE1001011, Sp. 8, Z. 6 an, dass es sich um Stahl handeln könnte. Tatsächlich bezeichnet er 1958 das Material der Hallplatte als Tiefziehstahlblech, das abweichend von den Angaben im Patent eine Dicke von 0,5 mm aufweist (Walter Kuhl: Über die akustischen und technischen Eigenschaften der Nachhallplatte, in: Rundfunktechnische Mitteilungen, 2 (1958), S. 111–116, hier S. 113). Im Patent ist die Platte am Boden in einem mit Flüssigkeit gefüllten, ca. 15 cm hohen Behälter gelagert (DE1001011, Fig. 5), der zur Dämpfung des Nachhalls dienen sollte. Außerdem ist Kuhl dort auch die Frage nach der Zeitverzögerung des Hallsignals wichtig. Beide Punkte wurden in der Vorstellung der produzierten Hallplatte EMT 140 (Kuhl 1958) nicht mehr angesprochen. Allerdings erhielt Kuhl am 15.6.1960 ein Patent (DE 1083328) zur Erzeugung einer Zeitverzögerung des Direktschalls vor dessen künstlicher Verhallung, das er am 13.8.1954 angemeldet hatte. Kuhl 1958, S. 116. In deutschen Rundfunkanstalten waren dies meist der Keller oder ähnlich abgeschiedene Gebäudeteile, in kleineren Einrichtungen waren spezielle Baumaßnahmen erforderlich; vgl. Susan Schmidt Horning: The Sounds of Space: Studio as Instrument in the Era of High Fidelity, in: Simon Frith and Simon Zagorski-Thomas (ed.): The Art of Record Production, Farnham und Burlington 2012, S. 29–42, hier S. 39. Schmidt Horning berichtet an dieser Stelle auch von anderen elektronischen Hallgeräten in den Studios der USA um 1957/58, beschreibt aber das EMT 140 als beste Lösung für Studios mit kleinen Raummaßen. Kuhl 1958, S. 115.

158 | D ER HÖRBARE R AUM

Platte gebracht wurde und je nach Abstand zur Stahlplatte verschiedene Nachhallzeiten zwischen 0,8 und 5 Sekunden ermöglichte13 und damit den Eindruck sehr verschiedener Raumvolumina. Dass die technischen Normen in Bezug auf das Frequenzverhalten und verschiedene Störgeräusche der Rundfunkanstalten eingehalten wurden, legte Kuhl ebenfalls 1958 dar, und er verwies dort auch auf mehrere Publikationen zu früheren und zeitgleichen Entwicklungen zur elektroakustischen Erzeugung von Nachhall14. Abbildung 23: Die Hallplatte ›EMT 140‹ in geöffnetem Zustand ohne Holzverkleidung

Schaumaterial des Faches Audiokommunikation der TU Berlin

Die Produktion von künstlichem Nachhall war Mitte der 1950er Jahre also ein wichtiges Thema in der Audioproduktion geworden. Die von Kuhl ent13

14

Ebd., S. 113. Nach dem Photo der Fernsteuereinheit im Prospekt der Fa. Elektrotechnik Wilhelm Franz AG, die die Hallplatte als EMT 140 herstellte und vertrieb, beginnt die Skala bei etwa 0,5 Sek. Siehe die Literaturliste in: Kuhl 1958, S. 116. Die in der Patentschrift der Hallplatte (Kuhl-Patent 1959, Sp. 10, Z. 39f.) angegebene »in Betracht gezogene Druckschrift«, die auf ein Patent von Siegfried Mager (DE 685366, Anm. 16.5.1931, Ausg. 23.11.1939) zur Verwendung von Metallplatten zur elektroakustischen Verfremdung von Klangfarben verweist, gibt Kuhl hier aber nicht an.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 159

wickelte große Hallplatte mit ihren variablen Nachhallzeiten und der hohen akustischen wie technischen Qualität erwies sich als Spitzenprodukt, von dem Anfang 1967 nach internen Angaben Hersteller bereits 2000 Stück verkauft waren15 und das inzwischen auch als stereophone Version angeboten wurde16. Dies ist eine enorm hohe Zahl, bedenkt man, dass es weltweit nur wenige professionelle Studios und Rundfunkanstalten gab, die jeweils nur eine oder zwei dieser Hallplatten für den Produktionsbetrieb benötigten. Einsatz und Funktion von künstlichem Nachhall Die bereits Mitte der 1950er Jahre stark gestiegene Nachfrage nach künstlicher Verhallung von Schallsignalen ging nicht zuletzt auf die Verbreitung der Anwendungsbereiche zurück. Neben der Erzeugung von natürlich erscheinenden räumlichen Klangbildern aus stark gedämpften Studioaufnahmen und der gelegentlichen Erzeugung stark verhallter imaginärer Räume im Hörspiel wurden Hall und Nachhall nun auch als ›Vermischungselemente‹ oder reine Klangeffekte eingesetzt. So wurden etwa im Hörspiel zunehmend vorproduzierte Geräusch- und Klangaufnahmen verwendet, um eine einheitliche Geräuschkulisse zu erzeugen und diese mit den Sprachaufnahmen der Sprecher zu mischen. Wenn gewünschte Geräusche und Sprachaufnahmen in ihrem Raumcharakter nicht zueinander passten, bestand die Möglichkeit, die gesamte Mischung einer leichten Verhallung zu unterziehen17. Schon 1953/54 hatte Karlheinz Stockhausen für seine Studie II Hall auf diese Weise zur Klangsynthese eingesetzt, als er die errechneten komplexen

15

16 17

EMT-Kurier 12. Im Lauf der Zeit wurde die Hallplatte EMT 140 mehrfach technisch optimiert, wobei es meist um die Verbesserung der zur Hallplatte gehörenden Verstärker und Mikrophone/Tonabnehmer ging. Im EMT-Kurier 5 (1964), S. 2 wird darauf hingewiesen, dass alle »in der letzten Zeit gelieferten Nachhallplatten EMT 140 mono für Stereobetrieb vorbereitet sind«. Diese Produktionstechnik ist wenig dokumentiert und nach eigener Erfahrung Praxiswissen im Hörspielbetrieb. Dass es schon in den 1950er Jahren bekannt war, ist implizit durch die Entwicklung des sog. Echomixers der Fa. Telefunken bekannt, der für der Amateurmarkt ab ca. 1962 verkauft wurde und mittels zweier Hallfedern erlaubte, insgesamt drei Schallquellen zu mischen. Der Darmstädter Komponist Hermann Heiß (1897–1966) baute aus einem solchen Echomixer eine eigene Hallfeder; Details finden sich auf http://biblio.zkm.de/heiss/08_Hallspirale.html und http:// biblio.zkm.de/heiss/Beschreibungen/Hallspirale.htm (15.5.2015). Er setzte sie für seine elektroakustische Musik ein, die er zwischen 1956 und 1964 produzierte (vgl. Helmuth Kreysing: Hermann Heiß, in: Komponisten der Gegenwart, 3.Nflg.).

160 | D ER HÖRBARE R AUM

Klänge aus Sinustönen einzeln erzeugte und gemeinsam in den Hallraum des WDR spielte18. Gleichzeitig begann durch extremen Gebrauch von Halleffekten sowie durch den Eigenklanglichkeit von Hallfedern19 oder Tonbandschleifenhall20 ein neuer Entwicklungsstrang, in dem Hall zunehmend zu einem selbstständigen Klangereignis wurde, das nicht mehr räumlich gemeint und verstanden wurde, sondern als zusätzliche, synthetisch erzeugte Klangfarbe. Peter Doyle setzt den Beginn dieser sich besonders im Jazz, in der Populären Musik und im Rock n’ Roll abzeichnenden Entwicklung Ende der 1940er Jahre an21. Die Überführung spatialer Techniken in das Klangfarbliche, die sich seit dieser Zeit in der gesamten Rockmusik kenntlich machte, begründet jedoch ein eigenes Thema, das hier nur erwähnt werden soll. Ein wichtiger neuer Aspekt in der Hallproduktion, der jedoch auf lange Sicht im Bereich des Experimentellen verblieb, war die Produktion von zu verschiedenen Zwecken benötigtem Diffusschall. So entwickelte Roelof Vermeulen im Experimentallabor der Fa. Philips in Eindhoven ein sehr komplexes Bandschleifen-Nachhallgerät, das zur Verbesserung der Raumakustik des Philips-Theatersaales für Konzertaufführungen eingesetzt wur-

18

19

20

21

Karlheinz Stockhausen: Nr.3, Elektronische Studien, Studie II, UE 12466, S. VII. Das elektronische Studio des WDR war anfangs lediglich mit einigen Instrumenten der Messtechnik und zwei Tonbandgeräten bestückt. Seit 1953 war neben dem erfahrenen Filmtonmeister Robert Beyer auch Heinz Schütz tätig, der gleichzeitig für die Hörspielabteilung arbeitete (vgl. Marietta Morawska-Büngeler: Schwingende Elektronen; Eine Dokumentation über das Studio für Elektronische Musik des WDR 1951–1986, Köln-Rodenkirchen 1988, S. 11). Kuhl beschreibt diese Eigenklanglichkeit in seinem Patent ebenso wie in seinem Artikel 1958. Die Eigenklanglichkeit seiner eigenen Hallplatte wurde erst im Verlauf der Zeit langsam bewusst hörbar. Hier wurde der Versatz von Tonköpfen an Tonbandmaschinen zur Zeitverzögerung von Signalen ausgenutzt, was je nach Laufgeschwindigkeit des Bandes und Abstand der Tonköpfe voneinander zu einer Art Halleffekt oder zu einem Echo führen konnte. Dazu mussten Geräte umgebaut oder neu entwickelt werden. Peter Doyle: Echo and Reverb; Fabricating Space in Popular Music Recording 1900–1960, Middletown 2005, S. 7. Doyle beschreibt auch die Erzeugung räumlichen Klangkulissen passend zum Stil der Musik und zum Thema des Songs, die in etwa mit den Klangkulissen in Hörspielen vergleichbar sind, historisch etwas früher vorkamen und sich aus den trockenen und abgedämpften Aufnahmen der frühen Schallplattenzeit heraus entwickelten. Sein Forschungsgegenstand ›amerikanische Popmusik bis 1960‹ ist jedoch zu sehr von dem hier verfolgten Thema entfernt und darüber hinaus nur geringfügig technisch orientiert, sodass es hier bei dem kurzen Zitat bleiben muss.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 161

de22. Seine Funktionsweise bestand in der versetzten einkanaligen Mikrophonaufnahme23 der Musik auf einer Bandschleife, die mit sechs versetzt angebrachten Tonköpfen wieder abgespielt wurde. So entstanden verschiedene zeitverzögerte Signale, die über vier Lautsprechergruppen mit jeweils mehreren Lautsprechern wieder in den Raum gespielt wurden24. Dies geschah allerdings nur so, dass die Zuhörer den Schall aus den Lautsprechern nicht bewusst wahrnehmen konnten und der zeitverzögerte Schall, wie beabsichtigt, diffus blieb25. Während Vermeulens Versuche also auf die Verbesserung saalakustischer Hörsamkeit zielten, galten die Versuche von Holger Lauridsen – dem Leiter des Forschungslabors im dänischen Staatsrundfunk, der seit Anfang der 1950er Jahre mehrere Verfahrung zur Erzeugung von künstlichem Nachhall entwickelt hatte – hauptsächlich der Erzeugung von Raumklang für die Wiedergabe aufgenommener Klänge. Ein längerer Artikel dazu erschien 1954 bereits auf Dänisch26. 1956 stellte er seine damals und auch später entwickelten Verfahren in einem Kolloquium zum Thema »Künstlicher Nachhall und erster Rückwurf« vor, das von Lothar Cremer und Walter Kuhl geleitet und in Gravesano bei Hermann Scherchen abgehalten wurde27. Lauridsen berichtet darin mit Bezug auf die aktuellen Forschungen der Zeit von einer Möglichkeit zur Erzeugung räumlicher Klänge aus einem Monosignal, die der M-S-Stereophonischen Aufnahme entspricht28, also eine Mitten- und

22

23 24 25 26

27

28

Roelof Vermeulen: Stereo-Nachhall, in: Philips Technische Rundschau, 17, 1956, S. 229–237. Der Begriff ›Stereo‹ bezieht sich hier auf die ›Räumlichkeit‹ und meint nicht die spätere binaurale Zweikanaligkeit. In der Praxis wurde offenbar mit mehreren Mikrophonleisten experimentiert, um den besten Aufnahmeposition zu ermitteln (ebd., S. 233f.). Ebd., S. 234f. Die sechs Wiedergabeköpfe dienten somit der variablen Verteilung auf die vier Lautsprechergruppen, je nach gewünschtem Zeitversatz. Ebd., S. 235. Holger Lauridsen: Nogle forsøg med forskellige former for rumakustik gengivelse og forslag til og forsøg med et stereofonisk system med utraditionel informationsfordeling mellem to kanaler, Ingeniøren, Nr. 47, 1954, S. 906–910. Holger Lauridsen und Franz Schlegel: Stereofonie und richtungsdiffuse Klangwiedergabe; Grundgedanken und neuere Experimente mit untraditionellen Systemen, in: Gravesaner Blätter, Heft 5 (1956), S. 28–37. Lauridsen hat nach eigenen Angaben seine Versuche mit der Aufnahme von MSSignalen angefertigt, nachdem er mit den Aufbau der Lautsprecher nach diesem System genügend erforscht hatte (ebd., S. 34). Es kann daher nur vermutet werden, dass er die Arbeit Blumleins nicht kannte bzw. nicht mit ihm in Verbindung brachte. Im Aufbau seines Artikels steht zumindest die MS-Beschallung nach der Beschreibung des MS-Aufnahmeverfahrens. Da es sich bei dem Beschallungsverfahren um eine

162 | D ER HÖRBARE R AUM

Seitenaufstellung von Lautsprechern in einem Winkel von 90 Grad, wobei der eine ein verzögertes, dem Raumklang angenähertes Signal mit verwischtem Klangbild ausstrahlt. Um dies zu erhalten, entwickelte Lauridsen einen »Klangplattenverzögerer« ähnlich dem von Walter Kuhl, der aber aus Streckmetall gefertigt war, mit Piezokristallen angeregt und abgetastet wurde und dabei ähnlich natürlich klingende Klangresultate lieferte29. Einen weiteren wesentlichen Unterschied zur Hallplatte von Kuhl beschreiben Cremer und Kuhl. Lauridsens Entwicklung sei »ein als Zylinderspirale angeordnetes Netz aus Streckmetall … Der dadurch erzeugte Nachhall wird als besonders weich bezeichnet. Ing. Lauridsen hat allerdings ziemlich große Laufzeiten auf seiner Klangplatte.«30 Doch nicht nur für die Pseudosterophonie, über die weiter unten erneut die Rede sein wird, spielte der Hallzylinder des 1957 plötzlich verstorbenen Lauridsen eine Rolle. In einem anderen Kontext und in anderer Funktion erschien sein Bauprinzip spätestens 1959 als Hallgitter, das bis heute Teil des späteren Siemens-Studios für elektronische Musik ist und sich in der Ausstellung des Deutschen Museums in München befindet. Direkte Verbindungen von Lauridsens Zylinderspirale zum Hallgitter des Siemens-Studios bestehen in der Beschreibung und dem Aussehen des Gerätes sowie in der Person von Alexander Schaaf, der seit Oktober 1956 mit der Entwicklung von Geräten für elektronische Klänge im elektroakustischen Labor der Fa. Siemens unter Mitarbeit von Helmut Klein und Hans-Joachim Neumann leitend betraut war und diese Aufgabe nach der Gründung des elektronischen Studios 1959 beibehielt31. Er war einer der 19 Teilnehmer des Gravesaner Kolloquiums32. In der Inventarliste des Siemens-Labors 345 in Gauting vom

29

30

31 32

Pseudostereophonie handelt, wie Lauridsen es selbst nennt, sind jedoch auch Unterschiede zu Blumlein offensichtlich. Lauridsen und Schlegel 1956, S. 35. Lauridsen verglich seine Klangresultate auch mit denen anderer Hallverfahren, die in dem Kolloquium besprochen wurden, besonders mit den magnetischen Verfahren. Damit sind vermutlich die Tonbandzeitverzögerungen gemeint, die keine Änderungen im Spektrum mit sich bringen, wie Lauridsen (ebd.) kritisch anmerkt. Dieses Verzögerungsverfahren beschreibt Lauridsen auch in seinem Artikel von 1954, in dem er die Möglichkeiten anderer Nachhallverfahren darstellt. Ein eigenes Nachhallgerät hatte er 1954 offenbar noch nicht entwickelt. Lothar Cremer und Walter Kuhl: Künstlicher Nachhall und erster Rückwurf; Zusammenfassung der Ergebnisse des Colloquiums vom 18.–23. V.56, in: Gravesaner Blätter 5 (1956), S. 17–20; hier S. 17. Beate Henschel: Zur Geschichte des Siemens Studios, in: Siemens-Kulturprogramm (Hg.): Siemens-Studio für elektronische Musik, München 1994, S. 11f. Auf der Teilnehmerliste ist er als »Ing. Schaaf (Deutsche Grammophon, Hannover)« aufgeführt (Kolloquium: Künstlicher Nachhall und erster Rückwurf, in: Gravesaner

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 163

14.5.1959 ist unter Position 13 eine »Hallmaschine« als Eigenbau aus dem Labor von Schaaf vermerkt33. Nach Angaben von Stefan Schenk wurde sie 1960 mit einem anderen Verstärker versehen34. Eine erste genauere Beschreibung machte Helmut Klein aber erst 1962: »1. Hallgitter. Die Nachhalleinrichtung besteht aus einem Hallgitter aus Streckmetall, aus einem elektrodynamischen Antriebssystem, welches das Hallgitter zu Schwingungen anregt, und aus einem piezoelektrischen Abtaster, welche diese in elektrische Schwingungen zurückverwandelt. Das Gitter hat eine Nachhalldauer von etwa 6 Sekunden. Der verhallte Klang kann zum unverhallten Klang in jedem Grad hinzugemischt werden. Subjektiv bewertet entspricht dies einer Regelung der Nachhalldauer.«35 Die Beschreibung der Bauart (Abb. 24) und der akustischen Eigenschaften deckt sich fast vollständig mit Lauridsens Angaben zu seiner Zylinderspirale sowie mit denen von Cremer und Kuhl in den Gravesaner Blättern36. Es ist jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen Zylinderspirale und Hallgitter festzustellen: Im Siemens-Studio wurde das Hallgitter von Helmut Klein an erster Stelle der Tonmodulatoren angeführt, zu denen weiterhin eine Itterationseinrichtung zur Erzeugung von Echowirkungen, ein Frequenzumsetzer und ein Vocoder gehörten, welche die von den digitalen Generatoren erzeugten Schwingungsformen klanglich gestalten sollten37. Hall wurde hier nicht nur als Phänomen betrachtet, das klangräumliche Informationen liefert und mit dem sich räumliche Differenzierungen gestalten ließen, sondern auch als Element, das Klangfarbe und Klangcharakteristik mit gestalten kann38. Damit stand das von Lauridsen zur Herstellung diffuser Schallklänge

33

34 35

36 37 38

Blätter 5, 1956, S. 15). Schaaf betrieb ein eigenes Entwicklungslabor in Gauting bei München und hielt zahlreiche, auch internationale Patente für Audiotechnologie, darunter auch einige für Schallplattentechnologie. Mitteilung per E-Mail von Stefan Schenk (17.9.2012), der das Siemens-Studio im deutschen Museum technisch betreut und darüber promovierte (ders.: Das Siemensstudio für Elektronische Musik, Tutzing 2014, S. 103f.). Ebd. Helmut Klein: Einrichtungen des Studios, in: ders. und Anton Riedl: Informationsberichte über das Siemens-Studio für elektronische Musik München, 1. Folge; Sonderdruck aus dem Heft Konzerte Neuer Musik des Bayrischen Rundfunks, 13. Jahrgang, 50. Folge, München 1962, o. S., bzw. Wiederabdruck des Textes in: SiemensKulturprogramm (Hg.): Siemens-Studio für elektronische Musik, München 1994, S. 19–26, Zitat hier S. 22. Cremer und Kuhl 1956, S. 17 und Lauridsen und Schlegel 1956, S. 35. Klein 1962 und 1994. Schenk (S. 104) beschreibt aber auch die raumklangliche Funktion des Hallgitters innerhalb des gesamten Studios, das über das zum Regietisch gehörende Verteiler-

164 | D ER HÖRBARE R AUM

entworfene und nun abgewandelte Hallgitter für alle damals bekannten Anwendungen des Halls zur Verfügung. Abbildung 24: Das Hallgitter des Siemens-Studios

aus: Schenk 2014, S. 103

Die hier konstatierte Erweiterung des reinen Nachhalls für verschiedene, über spatiale Funktionen hinausreichende Anwendungen deutet auf die Universalität der Klangmöglichkeiten, die der künstliche Nachhall zu bieten hatte, wobei die Erzeugung von Raumeindruck am weitesten verbreitet war. In den 1960er Jahren nahm die Entwicklung von Halleinrichtungen aller Art weiter zu. Die Methode, Hall mit Bandschleifen zu erzeugen, hielt sich zwar nicht sehr lange, wurde aber für die Produktion von Echos als Klangeffekt noch sehr gerne im Hörspiel oder Popmusikproduktionen benutzt. Hallfedern dagegen wurden nun in praktisch alle elektronischen Orgeln und Harmonien eingebaut und erschienen in hoher Klangqualität selbst für den Einsatz in professionellen Studios auf dem Markt (z.B. die AKG-Hallfeder). Wie erwähnt wurde 1967 die Stückzahl von Kuhls Hallplatte als EMT 140

feld frei nach Wunsch oder Bedarf mit den anderen Geräten verkoppelt werden konnte.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 165

bereits über 2000 Mal produziert – und die Produktion hielt weiter an, selbst als EMT später eine kleinere Folienplatte mit ähnlichen akustischen Eigenschaften auf den Markt brachte. Künstlicher Nachhall hatte sich etabliert. Als spatiales Element wurde und wird er zur Erzeugung der Klangeindrücke ›Raumgröße‹ und ›Entfernung in der Raumtiefe‹ eingesetzt und blieb statisch. Meist ist dieser Einsatz für das Publikum jedoch nicht bewusst wahrnehmbar und nur von Experten und Produzenten zu entdecken. Einige von ihnen waren auch in der Lage, komplexe Raumdifferenzierungen für Hörspiele und Musik mit künstlichem Nachhall zu produzieren. Beispiele aus der musique concrète ab den späten 1960er Jahre legen dies nah. Doch könnten sie ebenso wie andere elektroakustische Musikproduktionen egal welcher Stilrichtung, die zumindest teilweise Merkmale von Entfernungsdifferenzierungen aufweisen, auch auf Basis natürlicher Abstände zum aufnehmenden Mikrophon entstanden sein. Aus der künstlerischen Perspektive ist der Unterschied ohnehin nicht wichtig. Dennoch gibt es nur selten Hinweise auf die Inklusion von Entfernung in die Produktion von auditiven Räumen. Auch Karlheinz Stockhausen nennt sie nicht in seinem berühmten Aufsatz »Musik im Raum«39. Vielmehr konzentriert er sich dort auf die Darlegung der Komposition und Produktion von Bewegung, Richtung und Lokalisation, wobei er die Bewegung in der Raumtiefe, also die des ›Annäherns‹ oder ›Entfernens‹, nicht thematisiert. Mit den damals zur Verfügung stehenden technischen Mitteln wäre diese jedoch auch nur intuitiv und annäherungsweise zu produzieren, also keinesfalls serialisierbar gewesen und entzog sich schon deshalb einer kompositorischen Behandlung durch Stockhausen.

S TEREOPHONIE : G ERÄTE UND V ERFAHREN ZUR E RZEUGUNG P ANORAMEN MIT MÖGLICHST EXAKTER L OKALISATION AUCH IN DER R AUMTIEFE

VON RÄUMLICHEN

Die Einführung der Stereophonie als Standard der Aufnahme-, Speicher- und Wiedergabetechnologie begann 1958, als die erste Stereoschallplatte in den USA auf den Markt kam. Bis sich jedoch die zweikanalige Stereophonie durchgesetzt hatte und die meisten Haushalte über stereophone Endgeräte verfügten, vergingen mindestens 20 Jahre40. In dieser langen Zeitspanne

39 40

Karlheinz Stockhausen: Musik im Raum, in: Die Reihe, V, Wien 1959, S. 59–73. Die Ausstattung der deutschen Haushalte mit Hifi- und Stereogeräten lag 1978 bei 36% und stieg bis 1988 auf 66%, wie M. Bös und W. Glatzer 1991 aus amtlichen Statistiken ermittelten (dies.: Haushaltstechnisierung in der Bundesrepublik, in:

166 | D ER HÖRBARE R AUM

wurden zahlreiche Verfahren zur räumlichen Klangaufnahme und Wiedergabe entwickelt. Dazu gehören auf der einen Seite Verfahren der Pseudostereophonie, die besonders in der Schallplattenproduktion lange angewandt wurden. Denn auf dem Gebiet der Aufnahmeverfahren erwies sich sehr schnell, dass zweikanalige Stereophonie sehr aufwändig und kostspielig in der Produktion war und überdies der Aspekt der Räumlichkeit schwer zu handhaben war. Die bereits vor 1950 begonnenen Versuche zu stereophoner Aufnahmetechnik wurden somit im Prinzip mit immer verbesserten Mitteln weitergeführt. Pseudostereophonie Nach 1950 scheinen zur Erzeugung räumlicher Klänge aus Monoaufnahmen wiedergabeseitig nur zwei Verfahren erdacht worden zu sein. Beide stammten aus dem Studio von Hermann Scherchen in Gravesano und waren auf Basis des dort 1956 von Holger Lauridsen vorgestellten M-S-Pseudostereophonieverfahrens41 entstanden, von dem hier bereits kurz die Rede war. So hatten Scherchen und seine Mitarbeiter ein einsatzfähiges Gerät entwickelt, dass ein Monosignal zunächst auf zwei Kanäle verteilte. In jedem Kanal wurde das Signal in Frequenzbänder gespalten und jeweils kanalspezifisch verstärkt, sodass die Frequenzkennlinien beider Kanäle unterschiedlich verliefen. Um ein gutes räumliches Resultat zu erhalten, sollten die beiden Lautsprecher direkt und indirekt abstrahlend angeordnet werden, wobei die spezifische Architektur des Abhörraumes und die Sitzposition des Hörers zu berücksichtigen waren und das Gerät entsprechend eingestellt werden konnte. Am 30.5.195842 meldete Scherchen das Stereophoner (Abb. 25) genannte

41

42

Glatzer, W. u.a.: Haushaltstechnisierung und gesellschaftliche Arbeitsteilung, Frankfurt a.M. 1991, S. 17–104, hier S. 26. Lauridsens Verfahren wurde auch Basis für weitere pseudostereophonische Experimente (z.B. Manfred Schroeder: An Artificial Stereo Effect Obtained from a Single Audio Signal, in: JAES, Vol. 6 (1958), Nr. 2, S. 74–79). Hermann Scherchen: Einrichtung zur räumlichen Schallwidergabe, Datum nach den erteilten Patenten in Großbritannien und Frankreich. (FR 1.214.353; Anm. 12.11.1958, erteilt 8.4.1960; dort ist als Anmeldetag in Deutschland der 30.5.1958 genannt, während die Weiterentwicklung am 31.7.1961 FR 76002E patentiert wurde. England (GB 865,578 erteilte am 19.4.1961 das Patent für die Originalfassung vom 30.5.1958). Vom deutschen Patent ist nur die Fassung der Auslageschrift der o.g. Erweiterung erhalten (DE1111671A; Auslegeschrift v. 27.7.1961; Anm. 19.5.1959). Es erfolgte also keine deutsche Patentierung. Im Scherchen-Archiv der AdK Berlin (Scherchen-Archiv 1483) befindet sich eine umfassende Analyse der Antwort, die darauf hinausläuft, dass die von Scherchen beschriebenen Filterverfah-

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 167

Gerät auch auf internationaler Ebene zum Patent an und ließ zahlreiche Exemplare davon herstellen43. Doch der Verkauf des Gerätes führte nicht zum gewünschten kommerziellen Erfolg, was möglicherweise auch auf seine komplizierte Handhabung zurückzuführen ist. Die nötige Einmessung des Abspielraumes war zwar auch mit dem Gerät möglich, überforderte aber vermutlich die Nutzer, sofern sie keine Experten für Raumklang waren44. Abbildung 25: Der Stereophoner von Hermann Scherchen

aus: Gravesaner Blätter, Heft 13, 1959, S. 62

Dennoch ist der Stereophoner in zweifacher Hinsicht interessant: Zum Einen belegt er, dass zur Zeit seiner Entstehung die zweikanalige Stereophonie tatsächlich im täglichen Leben noch keine Rolle spielte; auch stereophone Rundfunkübertragungen lagen damals noch in weiter Ferne und wurden erst in den 1960er Jahren langsam und regional beschränkt eingeführt45. Zum Anderen bezeugt der kommerzielle Misserfolg, dass das Wissen über Raumklänge und Physik bei den Verbrauchern noch sehr gering war. Vom zweiten Versuch Scherchens, ein qualitativ hervorragendes Pseudostereophonieverfahren zu entwickeln, sind nur noch das Patent und der Prototyp des Null-

43

44

45

ren bereits in den 1920er Jahren in Deutschland patentiert wurden und somit nicht mehr patentfähig waren. Einige Quellen zur Herstellung und Vertrieb des Stereophoners sind im HermannScherchen Archiv der AdK in Berlin erhalten; ein Gerät, von denen es zahlreiche Exemplare gegeben haben muss, gehört jedoch nicht zur dortigen Sammlung. Vgl. auch Martha Brech: Komponisten als Erfinder, in: A. Lehmann, A. Jeßulat, Chr. Wünsch (Hg.): Kreativität – Struktur und Emotion, Würzburg 2013, S. 101– 109. Der Grund dafür ist ein rein technologischer: Nur über UKW konnte stereophon gesendet werden, und hier war die Reichweite besonders gering.

168 | D ER HÖRBARE R AUM

strahler genannten Lautsprechers aus mehreren kugelförmigen und rotierenden zur Erzeugung eines Diffusschallfeldes erhalten46 (s. Abb. 29, s.u.). Aufnahme- und produktionsseitig wurden in der Schallplattenindustrie jedoch noch lange verschiedene pseudostereophone Verfahren angewandt. 1977 listete Ingo Voß mehrere Verfahren auf, bei denen Monosignale in zwei Kanäle verteilt wurden. Sechs verschiedene Verfahren beschreibt er genauer47: • • • • •



die Verteilung in zwei Kanäle mit verschiedenen Frequenzbändern (hell-dunkel-Effekt), die Verhallung des Monosignals mit Stereohall, die Verhallung eines Kanals – also ein Verfahren, das dem von Lauridsen entspricht –, die Verhallung in einem Kanal und die Zugabe eines Echos in einem anderen, die leichte Zeitverzögerung des Signals im zweiten Kanal, ggf. mit Zumischung von gegenphasigen Signalanteilen in einem der beiden ›Endkanälen‹, was jedoch zur nicht-monokompatiblem Auslöschung führte, die leichte Zeitverzögerung in einem der beiden Kanäle mit Zumischung eines verminderten und gegenphasigen Signals in einem der beiden Kanäle (Duophnoc-Verfahren des EMI-Konzerns) – also die Fortführung des Küchenmeisterprinzips aus den 1920er Jahren.

All diese Verfahren wurden zur Erzeugung von zweikanaligen Signalen aus Monoaufnahmen eingesetzt und betreffen nachweislich auch Originalproduktionen aus den 1960er Jahren (wie Love Me Do von den Beatles48 oder einige Produktionen der Beach Boys), sodass man davon ausgehen kann, dass die Stereoproduktion von Schallplattenaufnahmen noch in den 1960er Jahren noch nicht Standard war.

46

47 48

Hermann Scherchen: Lautsprecheranordnung zur Erzeugung eines homogenen Schallfeldes, DE 1114540 (Anm. 6.8.1959, Ausg. 12.4.1962). Der Prototyp befindet sich heute im Scherchen-Archiv der AdK Berlin. Er ist so groß und komplex, dass er sich nicht für den Heimgebrauch geeignet haben kann. Ingo Voß: Die Pseudostereophonie, in: Funkschau, 1977, Heft 6, S. 245–248. http://www.songlexikon.de/songs/lovemedo (15.5.1205).

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 169

Stereo-Aufnahmeverfahren Jenseits dieser künstlich erzeugten Schein-Stereophonie wurden echte stereophone Aufnahmeverfahren und -techniken weiter entwickelt, die gemäß der Schallplattenproduktionstechnik zweikanalig waren. Damit appellierten sie direkt an die räumliche Hörfähigkeit mit zwei Ohren, bei der im komplexen Perzeptionsprozess des Gehörs aus den physikalischen Schalldruck- und Schnelldifferenzen ein differenziertes Schallbild mit räumlich lokalisierbaren Schallquellen (sog. Phantomschallquellen) hergestellt wird. Das technologische Basisprinzip war somit identisch mit dem, das seit der Entdeckung der Ursachen für das räumliche Hören von Clément Ader als räumliches Aufnahme- und Übertragungsverfahren erdacht und bis 1950 bereits mehrfach experimentell spezifiziert worden war, sei es, um die besten Positionen für die beiden Mikrophone zu finden oder um große Musikensembles klanglich und räumlich exakt abzubilden. Diese Problematik war bis 1950 besonders im Bereich der Filmtonaufnahme bearbeitet worden und stellte sich nun auch auf dem Gebiet der reinen Tonaufnahmen. Doch die Erfahrungen aus den Filmtonaufnahmen konnten hier ohnehin nur in Fällen genutzt und weiter entwickelt werden, in denen es um die Verwendung sogenannter Stützmikrophone ging, die in das Stereopanorama der beiden Basiskanäle eingemischt wurden49. Mit diesem Verfahren werden die von Stützmikrophonen aufgenommenen Klänge deutlicher und exakter hörbar und lokalisierbar. Klangbilder großer Ensembles werden damit klarer und weniger verwischt, gleichzeitig verlieren sie jedoch an räumlicher Tiefe. Insgesamt weicht das mit Stützmikrophonen erreichte Stereoklangbild daher von der Räumlichkeit natürlicher Klangumgebungen (z.B. Konzertsäle) ab. Es ist eine eigene große Kunst, mit diesem Verfahren räumliche Klangbilder zu erzeugen, die dennoch natürlich klingen und der Musik bzw. dem Inhalt von Hörspiel oder Feature angemessen sind. Wann und auf welche Weise sich diese Art der Konstruktion künstlicher Raumpanoramen genau entwickelt hat, ist ein eigenes Thema, das hier nicht in vollem Umfang verfolgt werden kann50. Es dauerte aber lange Zeit, ge-

49 50

In welcher Weise die hier bereits beschriebenen Experimente und Patente direkt in die Tonaufnahmetechnik eingingen, war nicht zu ermitteln. Das hat nicht zuletzt den Grund, dass es sich bei der Herstellung künstlicher Stereopanoramen zum großen Teil um sog. Tacit-Knowledge handelt, also um unbewusst erlangtes oder angewendetes Handlungswissen, über das nie schriftlich berichtet wurde. Mit den üblichen Mitteln historischer Arbeit ist dies nicht zu bearbeiten. Dasselbe gilt im Prinzip für kompositorische stereophone Produktionen der elektro-

170 | D ER HÖRBARE R AUM

nauer gesagt bis weit in die 1970er Jahre hinein, bis sich dieses Aufnahmeverfahren verfeinern konnte und Standard wurde. Grund dafür sind nicht zuletzt die technischen Voraussetzungen. So waren Mehrkanalaufnahmen um 1950 nur sehr eingeschränkt möglich, da weder Mischpulte noch Speichertechnologie und -medien in ausreichendem Umfang zur Verfügung standen. Deshalb wurde anfangs besonders mit der Aufstellung der beiden Basismikrophone experimentiert. Im Unterschied zu den frühen Versuchen Aders (1881) und Fletchers (1930), bei denen die Abstände beider Mikrophone mehrere Meter betrugen, scheint der Mikrophonabstand um 1958 bereits deutlich reduziert worden zu sein, wobei sich zwei Abstände bis ca. 1970 herauskristallisierten: Im XY-Verfahren sowie in dem auf Alan Blumlein zurückgehenden M-S-Verfahren befinden sich beide Mikrophon-Membranen an derselben Stelle, sind aber entweder unterschiedlich ausgerichtet oder sie haben verschiedene Richtcharakteristiken. Im AB-Aufnahmeverfahren sind dagegen beide Mikrophone auf derselben Ebene montiert und der Abstand voneinander entspricht meist ungefähr dem Ohrenabstand eines Menschen (also dem Kopfdurchmesser). Letztlich beruhen alle drei Aufnahmeverfahren51 auf demselben anthropomorphen Prinzip, denn sie gehen von der Perspektive der dreidimensionalen räumlichen Hörfähigkeit des Menschen aus. Doch sind das XY- und das MS-Verfahren deutlich abstrakter, weil sie die physikalischen Raumgrößen in das jeweilige Verfahren integrieren und die Aufnahme des räumlichen Elements auf einen Punkt reduzieren, während beim AB-Verfahren nur die Physis des Menschen auf eine abstrakte Größe reduziert wird und die Anthropomorphie dieses Verfahrens deutlicher zu erkennen ist.

K UNSTKÖPFE AB 1950 Noch klarer zu erkennen war und ist die Anthropomorphie in Kunstkopfmikrophonen, selbst wenn sie äußerlich nur abstrakte menschliche Umrisse besitzen. Diese spezielle Mikrophonart ist heute unter dem Namen »binaurale Aufnahmetechnik« bekannt und spielt bei räumlichen Tonaufnahmen und Raummusikproduktionen immer noch eine wichtige Rolle, selbst wenn Kunstköpfe zunehmend zur Randerscheinung bei den stereophonen Auf-

51

akustischen Musik. Hier wäre es allerdings möglich, mit den Aufzeichnungen und Skizzen der Komponisten zu arbeiten, sofern es sie gibt. Aus der Perspektive des Raumklangs zeigen alle drei Verfahren unterschiedliche Ergebnisse, die jedoch nicht zu einer eindeutigen Präferenz führen.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 171

nahmetechnologien wurden. Andererseits hat kaum eine andere rein zweikanalig stereophone Aufnahmetechnologie eine so differenzierte Entwicklung durchgemacht wie die Kunstköpfe und keine andere führte zur Entstehung einer eigenen Kunstgattung. Philips-Kunstköpfe Die Versuche zur Entwicklung von Kunstköpfen zur räumlichen Schallaufnahme wurden im Labor der Fa. Philips in Eindhoven spätestens 1948 wieder aufgenommen. Sie widmete sich nun in mehrjährigen Experimentreihen der Aufnahme von Orchestermusik, wobei die Kunstköpfe wohl im Hinblick auf die konzerneigene Schallplattenproduktion entstanden waren. Die Experimente wurden von Roelof Vermeulen durchgeführt, der 1939 bereits mit de Boer zum Kunstkopf geforscht hatte. Ende 1948 stellte er ein Multimikrophonieverfahren für Aufnahmen von Orchestermusik vor, mit dem drei getrennte Kanäle per Lautsprecher ohne musikalisch-klanglichen Qualitätsverlust übertragen und/oder gespeichert werden konnten52. In diesem Verfahren gab es zwei richtungsgetrennte Kanäle, die die höheren Frequenzen übertrugen, und einen Tieffrequenzkanal, der richtungsunspezifisch dargestellt wurde, weil tiefe Frequenzen nicht genau lokalisierbar sind. Dreikanalige Aufnahmesysteme waren damals prinzipiell nicht neu, doch Vermeulens Anlage übertrug drei getrennte Kanäle und benötigte somit drei Spuren und drei Endverstärker53. Als Basis-Aufnahmeeinheit benutzte Vermeulen einen weiterentwickelten Kunstkopf (Abb. 26), dessen Form eine Kugel mit einem Zylinder zu vereinen scheint, wobei der Kugelteil in der Mitte zwei nach außen gerichtete kleine Gitter mit 180 Grad Abstand aufweist, die wie kleine Ohren aussehen54. Hinzu kamen bei Bedarf, etwa wenn Musiker gesondert platziert waren oder ein Chor anwesend war, ein weiterer Kunstkopf sowie zwei einzelne Mikrophone, die in Einzelkanäle getrennt den zwei Basiskanälen in einem Mischpult zugeordnet wurden. In diesem Mischpult wurden die Klänge aus den insgesamt sechs Kanälen zu einem dem natürlichen Klang entsprechen-

52 53 54

Roelof Vermeulen: Vervielfachung von Konzerten, in: Philips technische Rundschau, 10, 1948, S. 167–175. Ebd., S. 171. Auf dem Photo der Aufnahmesituation (ebd., S. 167), in der der Kunstkopf nur sehr klein dargestellt ist, ist dies nicht genau zu erkennen, wohl aber in der Einzeldarstellung dieser Kunstkopfform, in: R. Vermeulen: Vergleich zwischen wiedergegebener und echter Musik, in: Philips technische Rundschau, 17, 1955, S. 191–198, hier S. 192.

172 | D ER HÖRBARE R AUM

dem Klangbild abgemischt55. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass die Toningenieure dazu neigten, die Bassklänge zu verstärken, ein Umstand, den Vermeulen kritisch erwähnt. Doch zugleich verweist er auf die Einschätzung von Leopold Stokowski, der an vielen der Versuche beteiligt war und der darauf hingewiesen hatte, dass bei Tonaufnahmen von Orchestern die Bässe zu leise klängen56. Abbildung 26: Der Kunstkopf von Vermeulen 1948 a) in der Konzertsituation, b) im Vergleich zu Versuchsköpfen in den Formen von Kornelis de Boer und Theo van Urk

aus: a) Vermeulen 1948, S. 167; b) Vermeulen 1955, S. 192

Ungeachtet dieser Bassverstärkung im gesamten Klangbild wurde für die dreikanalige Speicherung und Wiedergabe ein entzerrtes Basssignal aus beiden Kanälen extrahiert, separat übertragen und von einem eigenen Lautspre-

55 56

Vermeulen 1948, S. 171. Ebd., S. 174.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 173

cher in den Raum projiziert57. Die klanglichen Resultate dieses recht aufwändigen Verfahrens schienen beim Publikum auf positive Resonanz zu stoßen. So ergab die Befragung während eines Hörtests in einem akustisch ungünstig gebauten, ovalen Nebenraum des Concertgebouws in Amsterdam, dass 95% der 41 Teilnehmer, darunter 14 Berufsmusiker, die stereophonen Wiedergabe mit drei Kanälen positiv einschätzten, auch wenn sie die Unterscheidbarkeit der instrumentalen Klangcharakteristika und des Nachhalls von den allgemeinen Störgeräuschen besonders hervorhoben58. 1955 beschrieb Vermeulen seinen Kunstkopf erneut und besonders umfänglich. In einem Artikel59, der sich besonders mit Fragen der Stereophonie und der Anzahl der dabei verwendeten Übertragungskanäle befasst, stellt Vermeulen zahlreiche Untersuchungen mit seinem Kunstkopf vor und erläutert das binaurale Aufnahmeprinzip60 im Vergleich zu mehrkanaligen Tonaufnahmen und -wiedergaben61. Dabei bezieht er sich auch auf die Arbeiten seiner Vorgänger im Philips-Labor, Kornelis de Boer und Theo van Urk, und auf deren 1941 veröffentlichten Artikel zur Untersuchung der Fehllokalisation des Schallbildes am Hinterkopf bei Kunstköpfen mit Kopfhörerwiedergabe62. In der Raumabbildung erwies sich der Kunstkopf gegenüber zwei getrennten Mikrophonen Vermeulen zufolge dennoch als überlegen63. Und so führte er ein Experiment mit über 300 Versuchspersonen durch, welche dieselben Musikstücke – zum Einen per Lautsprecher übertragen und zum Anderen von einem hinter einem Vorhang verborgenen kleinen Live-Orchester gespielt – miteinander verglichen und dabei ähnliche Qualitätseindrücke hatten64. 57 58

59 60 61 62

63 64

Ebd., S. 171. Ebd., S. 173f. Da Vermeulen in seinem technischen Aufnahmeversuch auch besonderen Wert auf einen geraden Frequenzgang im Bereich bis 8 KHz legte, liegt es hier nah zu vermuten, dass diese Werte für die Unterscheidbarkeit von Instrumenten, Nachhall und Störungen allein verantwortlich sind, zumal Vermeulen keine Erklärung für diesen Effekt gibt. Allerdings lagen seine Forschungen auch zeitlich vor der Beschreibung des Cocktailparty-Effektes. In dessen Folge wurde deutlich, dass auch die unbewusste Lokalisation von Schallquellen eine Unterscheidung derselben nach Klangcharakteristika ermöglicht. Vermeulen 1955, S. 191–198. Ebd., S. 192. Ebd., S. 193f. Ebd., S. 194. Vgl. Kornelis de Boer und Theo van Urk: Einige Einzelheiten beim Richtungshören, in: Philips technische Rundschau, 6, Dez. 1941, S. 363–368. Die Autoren untersuchten auch das Problem des bei Kopfbewegungen nicht folgenden Hörbildes, das sich beim Hören der Kunstkopfaufnahmen mit Kopfhörern ergab. Vermeulen 1955, S. 194. Ebd., S. S. 195–198.

174 | D ER HÖRBARE R AUM

Die Darstellung des Kunstkopfes als neues und optimales Aufnahmeinstrument für zweikanalige Stereophonie enthält am Rande auch einen kleinen historischen Abriss zur historischen Entwicklung der Kunstkopfformen, der im Wesentlichen über die illustrierenden Bilder verläuft und geschickt die Entwicklungen im Philips-Labor ins Zentrum setzt. So erwähnt Vermeulen die ersten binauralen Aufnahmeversuche Fletchers und Stokowskis zwar im Verlauf seiner Darstellung kurz65, bezieht sich aber stärker und ausführlich auf die frühen Versuche von Kornelis de Boer und Theo van Urk im eigenen Labor und bildet seinen keulenförmigen abstrakten Kunstkopf flankiert von zwei frühen Versuchsexemplaren ab. Es sind die naturgetreuen Gipsabbildungen der Gesichter von de Boer und van Urk, die im Bereich des Gehörgangs Bohrungen für Mikrophone auf (s. Abb. 26b; die beiden Kunstkopfbüsten ähneln der Darstellung im Patent von Jean Maire 1926). Doch wie schon bei de Boer 1939 zu beobachten war, stellt der für Musikaufnahmen einsatzfähige Kunstkopf eine Abstraktion des menschlichen Kopfes dar. Tête Charlin Die abstrakte Kopfform wählte 1954 auch der in früher stereophoner Filmton-Aufnahmetechnik erfahrene Ingenieur und Erfinder André Charlin (1903–1983) für seinen ersten Kunstkopf66 (Abb. 27). Er bestand aus zwei runden, aber nur leicht kugeligen und innen gedämmten Halbschalen, in deren jeweiliger Mitte je ein Mikrophon montiert war. In einer weiter perfektionierten Fassung meldete Charlin 1963 seinen »tête artificielle«67 zum Patent an, das er im Jahr darauf auch erhielt68. Charlins erfinderisches Engagement war in der zweckgerichteten Nutzung seines Kunstkopfes begründet: Er wollte ihn für die monokompatiblen Stereoschallplattenproduktionen seiner eigenen Firma verwenden, deren Produktionsgeräte – vom Aufnahmegerät angefangen bis zum Schallplatten-

65 66

67 68

Ebd., S. 193. André Charlin: Technique phonographique – la compatibilité, in: Toute l’électronique, November 1965, S. 468–471, hier S. 469. Der Tête Charlin im Mikrophonbuch der Fa. Schoeps von Jörg Wuttke (Mikrophonaufsätze, Karlsruhe, 2. Aufl. 2000, S. 34) zeigt die erste Form von 1954 als ein ballartiges und wie aufgeblasen wirkendes Objekt. André Marie Bernard Charlin: Microphone stéréophonique, FR 1.375.245, S. 2, Bezeichnung explizit von Charlin unter »Résumé«. Ebd., Anmeldung 6.9.1963, Erteilung 7.9.1964. Die Zeichnung (S. 3) gibt eine massiv wirkende Struktur wieder.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 175

schneidegerät – Charlin größtenteils ebenfalls entwickelt und sich hatte patentieren lassen. Sowohl Photos von Aufnahme-Sessions wie von der Schallplattenwerbung69 belegen, dass dies auch erfolgreich gelang. Daneben sind auf einigen französischen Webseiten verschiedene Formen dargestellt70, sodass zu vermuten ist, dass der Kunstkopf möglicherweise später auch als Mikrophonsystem und damit in mehrfacher Stückzahl angefertigt auf den Markt kam. Darauf deutet auch ein Prospekt der Firma Charlin aus dem Jahr 1967 hin, in dem das französische Fernsehen als Referenz genannt ist. Dieser Prospekt enthält neben einer Kurzbeschreibung des binauralen Hörens eine kleine Einführung in das Aufnahmeverfahren. Der zugehörenden Graphik kann man entnehmen, dass der Tête Charlin die Aufnahme eines mittelgroßen Orchesters allein zu bewältigen hatte, wobei seine Aufstellung aus genügend großer Distanz erfolgen sollte, um alle Instrumente akustisch erfassen zu können71. Abbildung 27: André Charlin mit seinem ›Tête Charlin‹ in Aufnahmeposition

aus: Charlin 1965, S. 469 69 70

71

Charlin 1965, S. 471. http://www.svalander.se/charlin/rec13eng.htm (15.5.2015); auf der Homepage für André Charlin ist ein einfacher Kunstkopf mehrfach abgebildet: http://charlinlescharlinales.weebly.com/ (15.5.2015) zeigt den Tête Charlin mit einer Hülle aus Kunstpelz / Plüsch, aufgebaut in einem privaten Wohnzimmer, sowie Photos vom Innern des Kunstkopfes und die dort montierten Mikrophone der Fa. Schoeps; eine 3. Form zeigt das Photo im Mikrophonbuch der Fa Schoeps. Der Prospekt ist auf der Seite http://charlin-lescharlinales.weebly.com/la-tecircteartificielle.html (15.5.2015) abgebildet. Ebenfalls abgebildet ist ein Photo von André Charlin zusammen mit seinem Kunstkopf der mutmaßlich ersten Generation.

176 | D ER HÖRBARE R AUM

Raumabbildung: Panorama, Raumtiefe und dreidimensionale Klangräume Aus der Perspektive der Aufnahmetechnik konnte der Tête Charlin also ähnlich gut positioniert werden wie der Kunstkopf Vermeulens, nämlich oberhalb des Orchesters oder der Szene (s. Abb. 26a). Diese Hängung dürfte ein wesentlicher Grund für die Entwicklung der abstrakten Kunstkopfform gewesen sein; ein über dem Orchester hängender naturalistischer Kopf wäre sicher irritierend, wenn nicht abschreckend für Musiker, Aufführende oder das Publikum gewesen. Sie unterschied sich jedoch nicht von der Hängung zweier getrennter Mikrophone, sodass die Frage nach den Klangunterschieden zwischen beiden Aufnahmeverfahren in den Fokus geriet. Sofern es um die Lautsprecherwiedergabe ging, dürften nur geringe Unterschiede zwischen beiden Verfahren bestanden haben, denn diese Wiedergabeart liefert nur einen beschränkten Eindruck der Raumtiefe, die kaum über das Panorama zwischen beiden Lautsprechern hinausreicht. Entfernungen der Instrumente (oder Sprecher) in der Raumtiefe sind hier nur schwer abzubilden, weil der im natürlichen Schallfeld erfahrbare Abstand durch Nachhall und Änderungen des Klangspektrums von den Mikrophonen scheinbar vergrößert wiedergegeben wird. Aufnahmen von großen Ensembles mit teilweise großem Abstand zu zwei Mikrophonen ergaben deshalb verwischte oder verfälschte Klangbilder. Die mit dem aufkommenden Markt für Stereoschallplatten einhergehende Zunahme der Verwendung von Stützmikrophonen im Aufnahmeverfahren mit zwei getrennten Basismikrophonen konnte hier zwar Abhilfe schaffen, doch dabei wurde auch das räumliche Klangbild verflacht und die Anordnung der Instrumente großer Ensembles, die den Hörern zumindest im Bereich der klassischen Orchestermusik meist aus dem Konzertsaal gut vertraut war, deutlich verfälscht. Insofern bestand zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als die Stützmikrophonverfahren ausgereift waren und die Hörer sich an die neue Räumlichkeit der flacheren, dafür aber breitere Raumpanoramen der Orchesterinstrumente auf Tonaufnahmen gewöhnt hatten, eine Konkurrenz zwischen beiden Aufnahmeverfahren. Wegen der geringen Anzahl verfügbarer Kunstköpfe für stereophone Tonaufnahmen72 bis Anfang der 1970er Jahre dürfte sich die Konkurrenz je72

In diesem Funktionsbereich bewegten sich nur die Arbeiten von Klaus Wendt, der 1963 zum Thema »Das Richtungshören bei der Überlagerung zweier Schallfelder bei Intensitäts- und Laufzeitstereophonie« an der RWTH Aachen bei Volker Aschhoff promovierte und für diese Arbeit Versuche mit einem mit Kondensatormikrophonen bestückten Kunstkopf unbekannter Bauform durchführte. Sollte H. Mertens,

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 177

doch in sehr kleinem Rahmen gehalten haben und ist deshalb auch nicht dokumentiert. Mit der Einführung einer neuen Kunstkopfgeneration im Jahr 1973 änderte sich dies, besonders weil sie einen regelrechten Hype auslöste. In dessen Verlauf erschienen mehrere Kunstkopfsysteme für Tonaufnahmen vom professionellen Einsatz bis zum privaten Gebrauch als industrielle Produkte auf dem Markt und wurden als räumliche Tonaufnahmegeräte teilweise in sehr großer Stückzahl und bis heute verkauft. Deren Entwicklungen bauten jedoch nicht unmittelbar auf den bereits vorhandenen Kunstkopfsystemen zur Tonaufnahme auf. Stattdessen waren sie in einem anderen Kontext entstanden, der seit den frühen 1920er Jahren für verschiedene Zwecke erdacht und entwickelt worden war: dem der Grundlagenforschung für Richtungs- und Raumwahrnehmung und deren Messung. Über diesen ›Umweg‹ rückten der dreidimensionale Raum und dessen klangliche Darstellung langsam in den Mittelpunkt des Interesses und wurden vorwiegend entlang der Entwicklung der Messsysteme der Raumakustik als eigenständiges Thema entdeckt. Mit der Einführung der für raumakustische Messungen entwickelten Kunstkopfsysteme in den Bereich der Tonaufnahmen entstand ab 1973 die neue Gattung der Kunstkopf-Audioart. Aufgrund der vielfältigen Forschungs- und Anwendungsfelder der Kunstköpfe seit den 1950er Jahren ist die folgende historische Darstellung rein funktionell auf die Entwicklung von Kunstköpfen für dreidimensionale auditive Wahrnehmung ausgerichtet und daher keine Gesamtdarstellung aller jemals entwickelten Kunstköpfe73.

E NTWICKLUNGSGESCHICHTE DER K UNSTKÖPFE FÜR DREIDIMENSIONALE S CHALLAUFNAHMEN Kunstköpfe zur Erforschung des Hörumfeldes sind, wie bereits zuvor dargestellt, seit 1930 belegt. Mit der Zunahme der Grundlagenforschung für raumund umweltbezogene akustische, psychoakustische und physiologische Themenbereiche war bereits seit dieser Zeit auch die Anzahl der entwickel-

73

der am Ende seines Artikels explizit Klaus Wendt und Volker Aschhoff für die Unterstützung seiner Experimente dankt, ihn ebenfalls genutzt haben (ders: Directional Hearing in Stereophony – Theory and Experimental Verification, in: EBU-Review Part A, No. 92, August 1965, S. 146–158), so wäre zumindest ein Photo des Kunstkopfes, ein torsoloser Puppenkopf, vorhanden (ebd., S. 147). Einen sehr guten Überblick liefert dazu Stephan Paul: Binaural Recording Technology: A Historical Review and Possible Future Developments, Acta Acustica united with Acustica, Vol. 95 (2009), S. 767–788. Hier sind die meisten der mir bekannten Kunstkopfformen dargestellt und besprochen.

178 | D ER HÖRBARE R AUM

ten Kunstköpfe gestiegen. Als reine Forschungsinstrumente wurden sie für spezielle Untersuchungen als Unikate angefertigt und ggf. später umgebaut oder erweitert. Ihre jeweilige Bauform war nicht unbedingt Thema in den Berichten der mit ihnen erzielten Forschungsergebnisse, und ihre Beschreibung war gelegentlich rein verbal, doch kann man an Forschungsberichten mit bildlichen und oder genauen Baubeschreibungen ablesen, dass sich der Bau nach der Forschungsfrage sowie nach den jeweiligen technischen Möglichkeiten und Angeboten richtete. Darüber hinaus haben die überlieferten Forschungskunstköpfe meist naturalistische Kopfformen und Oberflächenmaterialien mit hautähnlichen Eigenschaften; gelegentlich tragen sie auch Perücken. Bautechnisch herausragend ist der Kunstkopf, den Alvar Wilska für seine bereits 1938 an der medizinischen Fakultät der Universität Helsinki in deutscher Sprache verteidigte Dissertationsschrift »Untersuchungen über das Richtungshören«74 anfertigte und den er selbst »Kopfphantom«75 nannte. Er war auf der Basis eines natürlichen Kopfes und dessen anatomischen Gehörteilen entstanden. Wilska hatte ihn zunächst in zwei Hälften geteilt und in Gips abgegossen. Von den Negativformen nahm er zwei Positivabdrücke aus Gips und überzog diese mit Gelatinegummi als Imitation der menschlichen Haut. Die Ohrmuscheln und den Gehörgang hatte Wilska ganz aus Gelatinegummi nach dem ersten Gipsabdruck gefertigt und dazu auf Höhe der Trommelfelle die Membranen der von ihm umgebauten Kondensatormikrophone im aufklappbaren »Kopfphantom« montiert, was vier beigelegte Photographien belegen (Abb. 28)76. Wilska setzte diesen Phantomkopf zu Richtungshörversuchen ein, in denen er neben Zeit-, Phasen- und Schalldruckdifferenzen auf beiden Kopfseiten auch das dreidimensionale Hörvermögen untersuchte77. Seine Arbeit blieb jedoch auf dem Gebiet der Akustik bis 1960 weitgehend unbekannt78. 74 75 76

77 78

Alvar Wilska: Untersuchungen über das Richtungshören, in: Acta Societatis Medicorum Fennicae »Duodecim«, Ser. A. Tom. XXI, Fasc.1, Helsinki 1938. Ebd., S. 18. Ebd., S. 18–20. Die dort beschriebene Ohrmuschelmodellierung ist jedoch unklar beschrieben, da Wilska sie einerseits als Ergebnis der Abdrücke, andererseits der »natürlichen sehr nahestehenden Ohren« (S. 19) beschreibt. Denkbar ist hier aber auch eine sprachliche Unklarheit aufgrund der Tatsache, dass Wilska zur schwedischen Minderheit in Finnland gehörte, also nicht deutscher Muttersprachler war. Ebd., S. 26. Zur Zeit ihrer Veröffentlichung ist die Rezeption von Wilskas Arbeit nur bei Samuel Fernberger: Perception, in: Psychological Bulletin, 38 (1941), S. 432–468) belegt (ebd., S. 447f.). Erst 1960 setzte Nico V. Franssen in seiner elektrotechnischen Dissertation (ders.: Some Considerations on the Mechanics of Directional Hearing,

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 179

Sie konnte daher auch nicht in die Kunstkopfentwicklungen für raumakustische Messungen eingehen, die ab Mitte der 1950er Jahre in mehreren Akustikinstituten entstanden und sich geographisch auf Deutschland konzentrierten. Abbildung 28: Das ›Kopfphantom‹ von Alvar Wilska, Innenansicht

aus: Wilska 1938, S. 20

Hier hatte Friedrich Spandöck schon in seiner 1934 veröffentlichten Dissertation zu Akustikmessungen in Architekturmodellen mit dem Maßstab 1:579

79

Delft 1960) intensiv auseinander (ebd., S. 5, 8, 22, 55, 63, 87). Jens Blauert führt Wilskas Dissertation nicht in seiner umfangreichen Literaturliste an (ders.: Das räumliche Hören, Stuttgart 1974). 2009 stellte Armin Kohlrausch sie im Vergleich zu der bekannteren von de Boer (1940a,) auf dem Jahreskongress der NAG/DAGA 2009 in Rotterdam vor (ders.: Early Research of Spatial Hearing in Helsinki and Eindhoven, Abstract, ebd., S. 86) und wies dabei auf die Dissertation von Franssen von 1960 hin, in der die einzige Resonanz der Arbeit Wilskas zu finden ist. 2011 veröffentlichte Kohlrausch die Dissertation erneut und übersetzte sie auch ins Englische (Notiz darüber in: Sprachrohr der DAGA 55, Juni 2011, S. 36). Beide Arbeiten sind im Internet zugänglich: http://www.acoustics.hut.fi/publications/WilskaThesis/ (15.5.2015). Nichtsdestoweniger sind mindestens 12 Exemplare des Originals in deutschen Bibliotheken gelistet. Friedrich Spandöck: Akustische Modellversuche, in: Annalen der Physik, 5. Folge, Bd. 20, H. 4, 1934, S. 345–360. Der Artikel ist der 2. Teil der Zusammenfassung seiner Dissertation (München 1933), für die er Modelle im Maßstab 1:5 gebaut und Messungen nach demselben Prinzip wie später in seinem Patent angefertigt hatte. Dem technischen Stand der Zeit entsprechend konnte er jedoch nur mit reduzierten Mitteln arbeiten. So zeichnete er die Klänge mit einem Reiszmikrophon (ebd., S. 351; es handelt sich dabei um ein Kohlemikrophon, das um 1926 den besten Fre-

180 | D ER HÖRBARE R AUM

die Idee geäußert, stereophone Messungen mit entsprechend verkleinerten künstlichen Köpfen vorzunehmen80, hatte den Versuch jedoch nicht selbst unternommen. Wenige Monate bevor Spandöck 1956 sein inzwischen weiter ausgearbeitetes Messverfahren zum Patent anmeldete81, das explizit einen »künstlichen verkleinerten Kopf« mit Mikrophonen vorsieht82, erschienen einige Artikel aus dem von Walter Reichardt geleiteten Lehrstuhl für Bauund Elektroakustik der Universität Dresden, die mehr oder weniger direkt von raumakustischen Messungen mit Kunstköpfen und/oder der Arbeit an Architekturmodellen berichten. So bezieht sich W. Kraak in einem Artikel aus dem Frühjahr 1956 zum Thema der Akustikmessungen in Architekturmodellen mehrfach direkt auf Spandöcks Dissertation, schlägt aber den Maßstab 1:10 vor83. Nur drei Ausgaben später erschien ein Artikel von H. Niese, in dem dieser u.a. einen »Messmikrophon als Kopfmodell« genanntes kugelförmiges Mikrophon für raumakustische Messungen vorstellt, das jedoch in etwa natürliche Kopfgröße aufwies, weil es für Messungen in echten Sälen eingesetzt wurde84. Niese hatte es absichtlich abstrakt gestaltet und nur mit variablem Mikrophonwinkelstellungen im hölzernen, von zwei Aluminiumhalbschalen umgebenen Mittelring versehen85, da ihm Ohrmuscheln zu »untechnisch«86 erschienen

80

81 82 83 84

85

86

quenzgang hatte) und einem für die Aufnahme mit erhöhter Umdrehungszahl operierenden Phonographen (also auf Wachswalzen) auf (ebd., S. 350). Für stereoakustische Versuche stellte er sich vor, »daß zwei in einem entsprechend verkleinerten Modellkopf eingebaute Mikrophone auf zwei Wachswalzen schreiben« (ebd., S. 351, Fußnote 1), was schon wegen der fehlenden Synchronisierbarkeit beider Geräte damals noch nicht realisierbar war und diese Idee als hypothetischen Vorschlag erkennbar macht. Ebd. S. 351, Fußnote 1. Bereits 1930 hatte, ebenfalls in München, Walter Kuntze raumakustische Messungen in verschiedenen Hörsälen mit zwei im Ohrenabstand aufgestellten Mikrophonen vorgenommen (ders.: Beiträge zur Raumakustik, in Annalen der Physik, 5. Folge, 4, 1930, S. 1058–1096; hier S. 1095). Friedrich Spandöck: Verfahren zur Bestimmung raumakustischer Wirkungen, DE 1089568, Anm. 19.7.1956, Erteil. 21.9.1961. Ebd., Sp 10., Z.3. W. Kraak: Elektroakustische Messungen an Raummodellen, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 65, 1956/57, Heft 3, S. 91–98, hier S. 97. H. Niese: Untersuchungen für die Richtcharakteristik des Aufnahmemikrophons bei raumakustischen Impulsmessungen, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 65, 1956/57, Heft 6, S. 192–200, hier S. 193f. Niese gibt als einzige Größe dessen Stärke mit 50 mm an (S. 193), was auf eine natürliche Kopfgröße der Kugel schließen lässt. Ein weiteres Photo mit dem Messaufbau, auf dem auch eine Versuchsperson abgebildet ist (Bild 7, S. 197), bestätigt den Eindruck. Ebd., S. 193.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 181

waren. Das Vorbild des kugelförmigen Kunstkopfes aus de Boers Dissertation ist in dieser Form unübersehbar, allerdings ist sie nicht als Quelle genannt. Dennoch blieb Nieses Kunstkopfkugel, die zu einem späteren Zeitpunkt stark verändert wurde87, die einzige abstrakte Form der großen Kunstköpfe für raumakustische Messungen, die in den folgenden Jahren entworfen werden sollten. Abbildung 29: Hermann Scherchen (links sitzend) und sein ›Nullstrahler‹ im Studio in Gravesano

aus: Pauli 1986, S. 115

Nur die Kunstköpfe in Modellgröße hatten auf dem Gebiet der raumakustischen Messungen abstrakte Formen. Dessen erster wurde 1958 von F. Keller kugelförmig im Maßstab 1:10 gebaut und mit explizitem Dank an Spandöck der Fachöffentlichkeit vorgestellt88. Zwei Jahre später reichte Ekkehard 87

88

Der spätere Umbau des Kunstkopfes von Niese befindet sich noch heute in der technisch-historischen Sammlung der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik der Technischen Universität Dresden und ist über http://www.et.tu-dresden.de /electron/electron_public.php; Suchbegriff »Kugelkunstkopf« (15.5.2015) zu besichtigen. Neu daran sind die großen orangefarbenen Ringe an den Seiten. F. Keller: Beitrag zur Nachbildung des menschlichen Gehörs im Rahmen raumakustischer Modellversuche, in: Gravesaner Blätter, 10, 1958, S. 72–85, Photo S. 85. Der

182 | D ER HÖRBARE R AUM

Krauth, ein Schüler Spandöcks, seine Dissertationsschrift an der TU München ein. Darin entwickelte er Spandöcks raumakustische Modellversuche, die 1934 noch im Maßstab 1:5 durchgeführt worden waren, ebenfalls im Maßstab 1:10 und mit neuen Mitteln weiter89. Zu diesen neuen Mitteln zählte auch ein u-förmiger Modellkunstkopf90, der bis 100 KHz fast gerade verlief91. Zusammen mit R. Bücklein entwickelte Krauth das Modellmessverfahren nach Spandöck weiter und stellte es in den Gravesaner Blättern ausführlich vor92. Abbildung 30: Das Raummodell von Krauth und Bücklein mit dem miniaturNullstrahler und hängenden Reflektoren

aus: Krauth und Bücklein 1965, S. 148

89

90 91 92

Frequenzgang blieb jedoch nur bis 50KHz gerade (Frequenzgang: Text S. 78, Abb. S. 81 und S. 83). Ekkehard Krauth: Klanggetreue Nachbildung der Raumakustik durch Modelle, München (Diss. TH) 1960. Wie schon bei Spandöck waren nun sämtliche Messgeräte verkleinert worden; die Tonfrequenzen und die Wiedergabe- und Aufzeichnungsgeräte liefen um den Faktor 10 schneller. um den Schall schneller zu leiten war das Modell mit Umgebungsluft gefüllt, die auf 5% Luftfeuchtigkeit reduziert worden war (ebd., S. 8 und S. 87). Ebd., Abschnitt IV.4: Stereophones Modellmikrophon, S. 37–44. Ebd., S. 43. E. Krauth und R. Bücklein: Modellversuche zur Ermittlung der Hörsamkeit von Räumen, in: Gravesaner Blätter, 27/28, 1965, S. 138–154. Das Verfahren aus Krauths Dissertation war hier spezifiziert worden. So beschreiben die Autoren z.B. die Verwendung von 4-spurigen Perfo-Magnetfilmgeräten (ebd., S. 139, Photo S. 149) zur Aufzeichnung der Klänge aus dem Modell und zur Transformation in den Hörbereich.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 183

Eine dort publizierte Abbildung zeigt auch das Raummodell: ein verglichen mit einem Konzertsaal eher kleiner Studioraum, in dem sich neben der Miniaturausgabe von Scherchens Nullstrahler (Abb. 29) auch einige der damals neuartigen, hängenden Akustikreflektoren befinden (Abb. 30). Die Methode der Modellmessung zur frühzeitigen akustischen Erkundung eines Raumes oder Saales war also schon über das erste Stadium der Entwicklung des Messsystem als solches hinausgekommen und hatte das Stadium der Messpraxis für den Entwurf und die Ausstattung realer Räume erreicht. Zu diesem Zeitpunkt war am Dresdener Institut für Bau- und Elektroakustik die Arbeit mit normalgroßen Kunstköpfen wieder aufgenommen worden. In einem ersten Fachartikel, den er 1961 verfasst hatte und der erst 1963 gedruckt worden war, berichtet Werner Schirmer davon93. Schirmer hatte im Zusammenhang seiner Forschungen zum dreidimensionalen Hören einen neuen Kunstkopf gebaut, dessen Form sich an neueren Messungen zur Ohrempfindlichkeit orientierte94. Es entstand ein menschlich aussehender Kopf mit klar ausgearbeiteten Ohrmuscheln und einem stilisierten Torso95, der deutlich weniger abstrakt war als sein Vorgänger (Abb. 31)96. Grundlage dieses Baus waren Messergebnisse der Richtcharakteristik des Ohres an 20 natürlichen Köpfen (also an Versuchspersonen), die im 360° Radius um den Kopf bei Rundumbeschallung97 und aus deren Diskussion

93 94

95 96 97

Werner Schirmer: Die Richtcharakteristik des Ohres, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 72 (1963), S. 39–48. Über den Bau des Kunstkopfes S. 45–48. Niese hatte sich 1956 dagegen an den Messungen am Trommelfell von Tröger orientiert, die 1930 am Dresdener Institut durchgeführt worden waren (vgl. Niese 1956/57, S. 193ff. und Joachim Tröger: Die Schallaufnahme durch das äußere Ohr, in: Physikalische Zeitschrift, 31, 1930, S. 26–45). Schirmer 1963, S. 45. Der Kunstkopf ist heute verloren; Werner Schirmer konnte mir in einem persönlichen Gespräch im Jahr 2012 nichts über dessen Verbleib berichten. Schirmer 1963, S. 39–42. Am Artikelende (S. 49) gibt Schirmer einen Herrn Magerstädt als Durchführenden der 20 Messungen der Richtcharakteristiken bei den Versuchspersonen an, der damit seine Diplomarbeit bestritten haben muss, und einen Herrn Arnold, der die Messungen der verschiedenen Varianten der Kopfnachbildung »in einer Belegarbeit« (ebd., S. 48) ausgeführt habe. Die Testapparatur mit dem kreisförmig um die Versuchsteilnehmer beweglichen Lautsprecher wurde auch von Rudolf Preibisch-Effenberger aus der Klinik für Hals-, Nasen-, und Ohrenkrankheiten der Medizinischen Akademie Dresden genutzt, der die Schalllokalisierungsfähigkeit mit insgesamt 900 Personen testete. (ders.: Schallokalisationsfähigkeit des Menschen und ihre audiometrische Verwendbarkeit zur klinischen Diagnostik, Habilitationsschrift, Dresden 1966, ungedruckt, über Fernleihe erhältlich.) Später berichteten Schirmer und B. G. Haustein von Preibisch-Effenbergers Ergebnissen

184 | D ER HÖRBARE R AUM

anhand von Messergebnissen aus Sekundärliteratur98 gewonnen worden waren. Offenbar hatte Schirmer Messerergebnisse der natürlichen Köpfe mit dem seines neuen Kunstkopfes verglichen und seinen Kopf geändert, bis sie sich hinreichend ähnelten. Die verbliebenen kleinen Differenzen glich er mit elektroakustischen Mitteln aus99. Am Ende hatte er das hölzerne Kopfmodell aus dem Friseurbedarf mit Hutgröße 52100 mit 3 mm dickem Filz umhüllt und die Ohrmuschel von einer halbkreisförmigen Stilisierung zu einem naturgetreuen Modell aus ungenanntem Material nach ebenfalls ungenanntem Vorgehen zur Ermittlung der naturgetreuen Form abgeändert101. Abbildung 31: Der Kunstkopf mit Torso von Werner Schirmer

aus: Schirmer 1966b, S. 119

(dies.: Messeinrichtung zur Untersuchung des Richtungslokalisationsvermögens, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik 79, 1970, S. 96–101. Diese Schrift zitiert auch Jens Blauert 1974, S. 33. 98 Schirmer 1963, S. 42–45. 99 Dies ergibt sich aus: ebd., S. 47. 100 Ebd., S. 46. 101 In Schirmers Promotion (s.u.) ist eine Photographie des Kunstkopfes aus näherer Perspektive erhalten, an der die präzise Ausarbeitung der Pinna gut zu erkennen ist. Demnach könnte es sich um die Arbeit eines guten professionellen Modelleurs oder um einen Abguss handeln.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 185

Der stilisierte Torso aus Metall, der auch die Mikrophontechnik beherbergte, blieb dagegen offenbar unverändert, wurde aber dennoch in seinen akustischen Eigenschaften in Bezug auf die Beeinflussung des Richtungshörens gemessen102. In den folgenden Jahren setzte Schirmer seinen Kunstkopf für Messungen der Hörsamkeit von Räumen ein und publizierte seine Ergebnisse in der 1965 eingereichten, nicht gedruckten Promotionsschrift103 sowie in drei teilweise erweiterten Auskopplungen aus dieser Schrift in internationalen Fachorganen104. Der erste Artikel enthält einen Vergleich der beiden Dresdener Kunstköpfe105 und der daraus stammenden, isoliert in drei verschiedenen Räumen aufgestellten Mikrophone106. Der zweite Artikel107 ist der Entwicklung der Messmethode und der Beschreibung der Ergebnisse von Messungen und Messvergleichen auf verschiedenen Plätzen im Kongresssaal des Dresdener Hygienemuseums gewidmet. Im Ergebnis erbrachten die Untersuchungen zwar keine Unterschiede beim Hören monophoner108 und kopfbezüglicher Aufnahmen an ausgewählten Punkten im Saal, doch führt Schirmer dies auf das noch fehlerhafte Verfahren der kopfbezüglichen Stereophonie zurück. Im dritten Artikel109 legt er die Übertragungsund Abbildungsfehler der Kunstköpfe umfassend dar. Im folgenden Jahr untersuchten auch Reichardt und Haustein diese Problematik, ohne jedoch wesentliche Neuerungen zu erzielen110.

102 Schirmer 1963, S. 47. 103 Werner Schirmer: Die stereophone Übertragung mit Kopfhörerwiedergabe zur Ermittlung der Hörsamkeit von Räumen, Diss. Dresden 1966, blieb unveröffentlicht; auf dem Exemplar aus der UB der TU Dresden sind die Promotionsdaten von der Einreichung am 23.1.1965 bis zum Promotionstag (6.5.1966) vermerkt. 104 Alle Artikel behandeln zudem Aspekte, die nicht in der Dissertation ausgearbeitet sind. 105 Werner Schirmer: Die Veränderung der Wahrnehmbarkeitsschwelle eines künstlichen Rückwurfs bei kopfbezüglicher stereophoner Übertragung, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 75, 1966, S. 115–123 (=1966b). 106 Schirmer setzte auch den damals noch unveränderten Kugelkunstkopf von Niese ein (ebd., S. 120). 107 Werner Schirmer: Die Unterscheidbarkeit von Hörerplätzen mittels kopfbezüglicher stereophoner und monophoner Übertragung, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 75, 1966, S. 181–184 (=1966c). 108 Das Monosignal war jedoch keine eigene Aufnahme, sondern wurde aus der Summe beider Kunstkopfsignale gewonnen (ebd., S. 182). 109 Werner Schirmer: Zur Deutung der Übertragungsfehler bei kopfbezüglicher Stereophonie, in: Acustica, 17, 1966, S. 228–233 (=1966d). 110 W. Reichardt und B. G. Haustein: Zur Ursache des Effektes der »Im-Kopf-Lokalisation«, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 77, 1968, S. 183–189.

186 | D ER HÖRBARE R AUM

Mit den Messvergleichen hatte Schirmer den natürlich großen Kunstkopf als taugliches raumakustisches Messinstrument dargestellt und zudem deutlich, wenn auch indirekt, dessen Fähigkeit zur dreidimensionalen Mikrophonaufnahme herausgestellt. Denn Raumakustik ist letztlich das Resultat von Direktschall und dessen Reflexionen und daher an allen Plätzen im Saal verschieden. Dass die Kunstkopfaufnahmen kein wesentlich anderes Hörresultat lieferten, bedeutet zugleich, dass sie die Klänge nicht verfälschten und somit im Prinzip geeignet waren, Hörsamkeit und andere wahrnehmungsbasierte raumakustische Kriterien zu messen. Trotz oder gerade wegen der offenen Darstellung der Fehlerhaftigkeit dieses Messsystems erschien es daher als eine neue mögliche Alternative zu den bereits vorhandenen akustischen Messmethoden in bestehenden Sälen und der weiteren Entwicklungsarbeit wert. So wurden nach der Publikation von Schirmers Artikeln eigene Kunstköpfe in den renommierten Akustikinstituten der Universitäten in Göttingen (in dem von Erwin Meyer geleiteten 3. Physikalischen Institut) und WestBerlin (in dem von Lothar Cremer geleiteten Institut für technische Akustik der TU) entwickelt, um damit raumakustische Messungen in Konzertsälen vorzunehmen. Die mit der Kunstkopfentwicklung betrauten Arbeitsgruppen in beiden Städten arbeiteten unabhängig voneinander, während die Entwicklung weiterer Kunstköpfe aus den genannten Qualitätsgründen in Dresden zunächst jedoch nicht weiter getrieben wurde111. In Göttingen und Berlin orientierte man sich bei der Entwicklung eines je eigenen Kunstkopfsystems ebenso an der geplanten Funktion wie an weiteren Kunstkopfsystemen, die mittlerweile weltweit für andere als reine raumakustische Messzwecke entstanden waren. Inzwischen waren nicht nur natürlich aussehende Kopfformen, sondern auch natürliche Formen des Außenohrs und/oder des Gehörgangs üblich geworden112, die immer minutiöser nach natürlichen Vorlagen nachgeformt oder auf dem Messweg ermittelt wurden. Hier setzte die Arbeit in beiden Städten an, doch ihre jeweiligen Kunstköpfe unterschieden sich fundamental voneinander. Denn während in Göttingen Karl Friedrich Siebrasse und Dieter Gottlob ihre ersten Versuche mit Styroporköpfen aus dem Kaufhaus begannen, setzten Georg Plenge, Rolf Kürer und Hennig Wilkens in Berlin anfangs auf Kopfabgüsse, um eine möglichst exakte Kopie eins natürlichen Kopfes zu erhalten. 111 Mündliche Information von Werner Schirmer im Juli 2012. 112 Z.B. hatten Bertil Nordlund und G. Lundén an der Universität Göteborg einen fast naturidentischen Kunstkopf auf einem Plastikschädel aufgebaut und ihn mit hautähnlichem Material überzogen (vgl. Bertil Nordlund: Physical Factors in Angular Localization, in: Acta-oto-laryngologica 54, 1962, S. 7–93 und ders. und G. Lundén: An Artificial Head, in: Acta oto-laryngologica 56, 1963, S. 493–499.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 187

Der Berliner Kunstkopf von Georg Plenge, Rolf Kürer und Henning Wilkens Nach Angaben der Entwickler entstand die Idee, einen Kunstkopf zu bauen, nachdem die ersten Versuche mit einem vierkanaligen Mikrophonaufbau zur Aufnahme des Klangs an einzelnen Plätzen in der neuen Berliner Philharmonie nicht die erhofften Ergebnisse erbracht hatten. So wurden bereits vorhandene Mittel zur Entwicklung eines sechskanaligen Messsystems für den Bau eines eigenen Kunstkopf-Messsystems bereitgestellt113. Dass bei dieser Entscheidung raumakustische Hörversuche mit Testhörern eine Rolle spielten, die Georg Plenge für seine Promotionsarbeit mit allerdings monophonen Aufnahmen durchgeführt hatte, kann vermutet werden114, denn das von Plenge dort erarbeitete Testverfahren wurde später auch für die Tests mit den Kunstköpfen angewandt. Plausibel erscheint damit auch das Ziel, einen Kunstkopf zu bauen, der den menschlichen Kopf und das menschliche Hören weitestgehend imitiert und mit ihm fast identisch ist. Der Bau gestaltete sich jedoch sehr aufwändig. Neben einem Kopfabguss waren Mikrophone nötig, die auf Höhe der Trommelfelle im Kunstkopf zu montieren und den Gehörgang mit einer akustischen Impedanz abzuschließen115, um die optimale Übertragungsqualität in Bezug auf Störklänge aller Art zu gewährleisten. Der erste Kunstkopftyp der drei Entwickler war deshalb nicht nur aus dem Abguss eines Kopfes genommen und mit flüssigem Gummi als akustisch wirksamem Hautersatz überzogen worden116, er trug 113 Angaben im Gespräch mit den drei Entwicklern am 6.3.2008 im HHI, Berlin. 114 Georg Plenge: Die Sicherheit von Urteilen bei Vergleichen musikalischer Kurzbeispiele; die Ermittlung geeigneter Beurteiler für den Vergleich unterschiedlicher Hörsamkeiten von Konzerten und Theatern, Berlin 1968 (eingereicht 24.5.1968 bei Carl Dahlhaus und Lothar Cremer). Plenge ließ darin eine Vielzahl von Aufnahmeausschnitten klassischer Musik hinsichtlich der Räumlichkeit und der damit zusammenhängenden Klangfärbung von Hörern mit unterschiedlicher Vorbildung beurteilen. 115 Diese Funktion übernahm die Membran des Mikrophons (Rolf Kürer, Georg Plenge, Henning Wilkens: Correct Spatial Sound Perception Rendered by a Special 2Channel Recording Method, AES-Paper, Preprint 666, 37. Convention 13.– 16.10.1969, S.4. 116 Nach Angaben von Henning Wilkens war der erste Kopfabguss 1968 von einer befreundeten Maskenbildnerin der Berliner Schaubühne beschafft worden (Gespräch am 29.11.2007 im Deutschen Museum), die den ersten Kopf auch anfertigte (telefonische Information der Maskenbildnerin Ricarda Poppy am 28.11.2007). Der leicht grünliche Farbton des Gummis, das heute deutlich nachgebräunt ist, war der damals einzig wirklich unnatürliche Aspekt des Kopfnachbaus und führte zu Missverständnissen, wenn externe Beobachter ihn sahen (Gespräch mit H. Wilkens, ebd.) und als

188 | D ER HÖRBARE R AUM

auch eine Haarpracht aus einer angeklebten Faschingsperücke. Im Ohrbereich war eine große Aussparung vorgesehen, in die nachgebildete Ohrmuscheln und Gehörgänge aus Silikon eingesetzt wurden. Deren Abgüsse waren in der Abteilung für plastische Chirurgie im Klinikum Westend (Berlin) von Georg Plenge und Hennig Wilkens genommen worden117, sodass zwei Paar Ohren zu Testzwecken zur Verfügung standen. Die Absicht der Entwickler war, auch im Sinne der möglichst naturidentischen Kopfkopie die leichten anatomischen Unterschiede zwischen rechtem und linkem Ohr beizubehalten118. Dieses Detail behielten auch die nachfolgenden Kunstkopftypen bei, obwohl deutliche Abstraktionen in den Kunstkopfformen zu beobachten sind. So entfielen bereits in der zweiten Version die Haare. Der nächste Kunstkopf der drei Entwickler, der ab 1969 auf Basis eines Kopfabgusses von Georg Plenge hergestellt wurde119, kam ohne sie aus, hatte dafür aber verbesserte Ohrmuscheln und Gehörgänge und wurde in zwei Exemplaren für vergleichende Tonaufnahmen gebaut120. In allen Kunstköpfen kamen zwei Studiomikrophone Neumann KM 83 zum Einsatz, deren Kugelcharakteristik einen besseren Rauschspannungsabstand aufwies als die Mikrophone mit Nierencharakteristik aus derselben Bauserie121. Der Kunstkopf war damit nicht nur als Messinstrument, sondern theoretisch auch als Stereomikrophon einsetzbar. Dass diese Anwendung die drei Entwickler damals noch nicht interessierte, belegt ein Vortragstext für die AES-Convention von 1969. Er befasst sich ausschließlich mit den Kapazitäten des ersten Kunstkopfes für raumakustische Messungen am Beispiel der Berliner Philharmonie, welche die Hörsamkeit mit nur wenig abwei-

117

118 119 120

121

ironisch gemeinter Bericht zum Kunstkopf in grüner Farbe in: »Reise Dr. Griese zur TU, München«, Aktennotiz der Fa. Sennheiser electronics v. 31.10.73, Blatt 1 in: DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, Theile Ordner 5; siehe dazu unten das System MKE 2002 der Fa. Sennheiser, das etwa gleichzeitig auf dem Markt erschien). Henning Wilkens im Gespräch am 29.11.2007, gemeinsames Gespräch mit den drei Entwicklern am 6.3.2008 und Georg Plenge am 23.1.2008 in seinem Haus in Thanning bei München, wobei Herr Plenge die Prozedur der Abgussnahme im Gehörgang als besonders unangenehm beschrieb. Der erste Kunstkopf wurde am Institut für technische Akustik der TU Berlin gebaut. Dieser Kunstkopf wurde am Heinrich-Hertz-Institut gebaut (Gespräch mit H. Wilkens am 29.11.2007). Über die Anzahl gibt es widersprüchliche Angaben. Henning Wilkens erzählte von zwei Exemplaren, die von dem Abdruck von Georg Plenges Kopf hergestellt wurden (Gespräch am 19.10.2007 im Deutschen Museum), sodass inklusive des ersten Kopfes drei Kunstköpfe für Testaufnahmen zur Verfügung gestanden haben müssen. Doch Georg Plenge berichtete von 4 Kunstkopfexemplaren, die gleichzeitig für vergleichende Aufnahmen im Einsatz waren (Gespräch in Thanning). Gespräch mit Georg Plenge am 23.1.2008.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 189

chenden Messergebnissen des Kunstkopfes im Vergleich zum natürlichen Hören an derselben Stelle im Saal ergaben122. Abbildung 32: Drei Generationen des Berliner Kunstkopfes von Georg Plenge, Rolf Kürer und Henning Wilkens. dritte Generation in der Form von Helga Borgk befindet sich in der hinteren Reihe sowie ganz vorn in der Variante aus dunkelgrauem Plastikmaterial, vorne links der erste Kunstkopf und rechts der zweite.

Photo von Henning Wilkens

Die Funktion des Kunstkopfes als Stereomikrophon mit besonderer räumlicher Abbildung wurde wenig später erweitert, also während oder nach dem Bau der zweiten Form. Sie ist auf das Interesse von Herbert v. Karajan zurückzuführen, dem damaligen Chefdirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters, der sich von der Räumlichkeit der Tonaufnahmen beeindruckt zeigte123. Im nächsten Schritt formulierten die drei Entwickler 1969 einen Patentantrag, der jedoch erst 1977 mit einigen Änderungen zur Patenterteilung führte124. Jenseits der erst Jahre später dokumentierten Motivati122 Kürer, Plenge, Wilkens 1969, S. 5. 123 Gespräch mit G. Plenge am 23.1. 2008, während H. Wilkens am 19.10.2007 Lothar Cremer als Ideengeber für die Funktionserweiterung nannte, der nach dem ersten Hören der Aufnahmen sich per Handschlag bei seinen Mitarbeitern bedankt haben und gesagt haben soll, er wolle nie mehr anders Musik hören. 124 Der Patentantrag DE 1927401 »Verfahren zur hörrichtigen Aufnahme und Wiedergabe von Schallereignissen und Vorrichtung zu seiner Durchführung« von Kürer, Plenge, Wilkens, datiert vom 29.5.1969, Offenlegung am 13.1.1977 und textidentische Erteilung am 1.9.1977. Die allen drei Schriften beigelegte Zeichnung zeigt den Kunstkopf der ersten oder zweiten Generation mit gekreuzten Mikrophonkanälen, die 1971 bereits anders gebaut wurden (s.u.). Die Änderungen im Text beziehen sich besonders auf die Inklusion bzw. das Zitat von Vorgängerarbeiten, darunter das Pa-

190 | D ER HÖRBARE R AUM

onshistorie belegen aber auch die weiteren Entwicklungsstufen die neue Funktion des Kunstkopfes, dessen Bau von der Firma Neumann seit etwa 1971 unterstützt wurde125. So wurde die dritte Form von der Plastographin Helga Borgk als sehr abstrakte menschliche Kopfdarstellung in 12 Exemplaren aus weißem Material, vermutlich Gips, hergestellt (Abb. 32). Der Kopf war in zwei Hälften (vorne und hinten) teilbar. Photos des Kunstkopfinneren zeigen abgeknickte Aussparungen126, für die die KM 83 umgebaut werden mussten127 (Abb. 33). Die 12 Exemplare dieser dritten Kunstkopfversion wurden in verschiedenen Funktionen eingesetzt. Allein sechs Köpfe wurden zu weiteren raumakustischen Messungen benutzt128, die Henning Wilkens später zum Gegenstand seiner Promotionsarbeit machte129. Gleichzeitig wurden andere Exemplare auch von Rundfunkanstalten wie dem SFB (Sender Freies Berlin), zu dem schon vorher Kontakte bestanden hatten130, und dem RIAS131 genutzt, dessen Hörspielleiter Ulrich Gerhardt 1972 großes Interesse bekundet hatte. »Das Staunen war groß, als wir Hörspielleute im RIAS 1972 das heute allbekannte Vorführband erstmals zu hören bekamen«132, schreibt der Regisseur des ersten Kunstkopfhörspiels De-

125 126

127

128

129 130

131 132

tent von Jean Maire 1926. Letztendlich wurde es aber für das spezielle Verfahren und die weitgehend naturidentische Kopfabbildung erteilt. Angaben der Entwickler 2007/2008 (Wilkens 29.11.2007 bezeichnete es als kollegiale Übernahme, HS S. 4). Ilse Nikolas: Konzertreisen mit Kunstköpfen, in: Berliner Rundschau, 24.2.1972, Photo von Bachmann. Hier ist vom Heinrich-Hertz-Institut als Auftraggeber die Rede. Derselbe Text ist auch in: die Welt v. 21.6.1971, S. 16 zu finden. Gespräch mit Henning Wilkens am 11.4.2008; handschriftliche Zeichnungen und weiteres schriftliches Material zum Umbau der Mikrophone befinden sich in den Unterlagen im DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, dort in verschiedenen Ordnern (u.a. in: Theile und Wilkens). G. Plenge, P. Lehmann, R. Wettschurek, H. Wilkens: New Methods in Architectural Investigations to Evaluate the Acoustic Quality of Concert Halls, in: JASA, 57, No. 6, Part I, June 1975, S.1292–1299. In diesem Artikel sind auch ein Photo des Inneren eines der Gipskunstköpfe der dritten Version zu sehen (S. 1294) sowie zwei Photos von Aufnahmesituationen mit je 5 der Gipskunstköpfe (S. 1297). Henning Wilkens: Mehrdimensionale Beschreibung subjektiver Beurteilungen der Akustik von Konzertsälen, Berlin 1975 (Diss.). Georg Plenge war vor seiner Tätigkeit als Assistent Lothar Cremers an der TU Berlin bzw. dem Heinrich-Hertz-Institut, das ebenfalls von Cremer geleitet wurde, Rundfunk-Tonmeister gewesen. (G. Plenge im Gespräch, Januar 2008) Gespräch mit H. Wilkens am 7.11.2007 zur Abgabe der Gipsköpfe aus der ›Vorform‹ zum KU 80. Ulrich Gerhardt/RIAS, unbetiteltes Redemanuskript, Juli 1975, Konferenz der Programmdirektoren, S. 2 (DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, Theile Ordner; die Datierung und der Anlass als HS-Eintrag auf S. 1 des Typoskripts). In dem Typo-

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 191

molition, das 1973 auf der Internationalen Funkausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde133 und sich fortan nicht zuletzt dank des fortlaufenden Einsatzes von Gerhardt zur eigenen Hörspielgattung im deutschen Rundfunk (ARD) entwickelte134, für das bis 2003 neue Produktionen entstanden135 Abbildung 33: Der Berliner Kunstkopf von Innen (KU 80 dar Fa. Neumann) mit abgeknickten, umgebauten Mikrophonen

aus: Prospekt KU 80, o.J.

skript spricht Gerhardt von der positiven Reaktion auf Demolition, auf dessen Ausstrahlung 2000 Leserzuschriften folgten, die zu 90 % positiv ausfielen (ebd.). Er spricht auch offen die Problematik der Abbildung ›Vorn‹ an, plädiert aber dennoch für die Weiterführung der Gattung (ebd., S. 5). 133 Eine analytische Betrachtung der Produktion und der Raumdisposition findet sich in: Martha Brech: Three-Dimensional Kunstkopf Music and Audio Art, in: dies. und Ralph Paland (Hg.) 2015, S. 151–164. 134 Ulrich Gerhardt führte regelmäßig Listen von Kunstkopfhörspiel-Neuproduktionen und führte diese auch fort, als er bereits zum SFB gewechselt war, wo er Mitte der 1980er Jahre ausschied. Einige dieser Listen mit Inhaltsangaben finden sich in den Kunstkopfarchivalien im Archiv des Deutschen Museums (DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, dort in verschiedenen Ordnern). 135 Angaben nach JOKAN-Liste, http://www.jokan.de/kunstkopf-liste.html (15.5.2015), die am 29.7.2009 aktualisiert wurde und 184 Kunstkopfproduktionen aus allen deutschsprachigen Ländern enthält, inkl. der DDR, wo mit dem Kunstkopf der Fa. Neumann produzierte (Lieferliste der Fa. Neumann) wo der erste Kopf der Liste über das HHI an das Institut für technische Akustik in Dresden vermerkt ist; in den Gesprächen berichtete H. Wilkens, dass ein Neumann-Kunstkopf vom Radio der DDR verwendet und dort von Gerhard Steinke, dem technischen Betriebsleiter, beurteilt wurde. Gelegentlich findet man in aktuellen Rundfunkprogrammen Wiederaufführungen oder kleine Neuproduktionen.

192 | D ER HÖRBARE R AUM

Gerhardts Notiz deutet auch an, dass die drei Entwickler in jenen Jahren einen erheblichen Informationsaufwand betrieben, der weit über den reinen Forschungsbetrieb hinaus- und in Anwender- und Publikumsbereiche hineinreichte. Ziel war es, den eigenen Kunstkopf bekannt zu machen und ihn als räumliches, der einfachen Stereophonie überlegenes Schallaufnahmeverfahren in Studioqualität zu etablieren, was auch gelang136. Die 12 Gipsköpfe waren schnell vergriffen und wurden durch ein identisches Modell aus dunkelgrauem Plastik/Hartgummi ersetzt, das ab Spätsommer 1972 ausgeliefert wurde137. Es erhielt die Typenbezeichnung KU 80, unter der der Kunstkopf auch auf der Internationalen Funkschau 1973 bekannt gemacht und zum Publikumsmagneten wurde. Industrielle Produktionen und Serienproduktionen verschiedener Kunstkopfsysteme

Mit diesem Funktionswandel des Berliner Kunstkopfes vom Messinstrument zum räumlich dreidimensionalen Tonaufnahmesystem, der zugleich auch eine Rückkehr zu den historisch frühesten Kunstkopfanwendungen war, ist auch der Eintritt des Kunstkopfes in die Serienfertigung verbunden. Doch beschränkten sich viele Hersteller nicht auf diesen sehr kostspieligen Typus, sondern zogen mit günstigen Modellen für den gehobenen Amateurmarkt schnell nach. So bot die Fa. AKG mit ihrem Modell D 99C ab 1974 für den gehobenen Amateurmarkt einen Kunstkopf aus Schaumstoff (Abb. 34) an,

136 Dies berichtete die Entwickler in den Gesprächen aus den Jahren 2007/08. Presseberichte aus der Zeit finden sich in den Unterlagen der Entwickler und ihrer Mitarbeiter, die dem Deutschen Museum übergeben wurden. So befinden sich in den Ordnern von Henning Wilkens, Günther Theile und Gerhard Spikofski zahlreiche Artikel aus Publikumszeitschriften und Tageszeitungen wie Die Welt, Der Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Neue Züricher Zeitung bis hin zu Praline aus dem Zeitraum ab 1973 (DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt), die über den Kunstkopf als spezielles räumliches Aufnahmesystem berichten und dabei nur selten kritische Töne anschlagen. Besonders in den ersten Berichten von der Internationalen Funkausstellung ist gelegentlich auch von der möglichen Konkurrenz zur Quadrophonie die Rede. Mit der Zeit wurde in der Öffentlichkeit der Kunstkopf zum mythischen Gebilde, dessen Einsatz Mitte der 1970er Jahre auch zeitweilig als Abhörsystem für die Zellen der RAF-Häftlinge in Stammheim überlegt worden war (Bernd Dörries: Aktenzeichen RAF ungelöst, in: Süddeutsche Zeitung v. 12.9.2008). (Zu Berichten in der Fachpresse, der wissenschaftlichen Presse und internen Berichten s.u.) 137 Die handschriftliche Liste »Lieferungen von künstlichen Köpfen« der Fa. Neumann enthält 5 Adressaten mit dem Vermerk »Gips«, anschließend weitere 7 ohne diesen Vermerk.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 193

dessen abstrakte Form aus zusammengesetzten Schichten einen Kopf mit Gesicht erkennen ließ, ohne diesen naturalistisch abzubilden138. Das serienmäßige Kunstkopfsystem der Fa. Sennheiser MKE 2002 dagegen benutzte den natürlichen Kopf des Aufnehmenden und brachte 1974 mit zwei Mikrophonen bestückte Kopfbügel, die vom eigenen Dolmetscher-Kopfhörersystem zu stammen scheinen, auf den Markt139. Die Grundidee des Systems wurde nach Einführung der Walkmen in den späten 1970er Jahren von der Fa. Soundman übernommen und wird seit 1984 in Form kleiner gepolsterter Ohrsteckmikrophone, die wie Einsteckkopfhörer aussehen, mit dem Namen OKM in mehreren Versionen hergestellt und vertrieben140. Abbildung 34: Der Kunstkopf ›D 99C‹ der Fa. AKG 1974

aus: Prospekt AGK 1974

138 Abgebildet in Prospekt und Datenblatt der Fa. AKG, digital übermittelt 2007 an die Autorin. Demnach verfügte auch der D99C über akustisch geformte Ohrkanäle und darüber hinaus waren Material, Form des Kopfes und Ohrmuscheln analog zum menschlichen Hören gestaltet – allerdings wurde sein Frequenzbereich nur von 50– 12.555 Hz angegeben. Eine Abbildung des D99C befindet sich auch auf: http://www.radiomuseum.org/r/akg_stereo_kunstkopf_harry_d9.html (15.5.2015). 139 de-de.sennheiser.com/ueber-sennheiser-auf-einen-blick-historie (15.5.2015). Zu den Bügelmikrophonen gehörte ein Plastikkopf mit ausgearbeiteten Ohren, der ein wenig an den Neumann-Kunstkopf (KU 80) erinnert und laut Prospekt (auf der 17 cm Werbeschallplatte, DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, Theile-Ordner) als Halter bei Tonaufnahmen dienen konnte. Auf derselben Internetseite ist ein Versuchskunstkopf abgebildet, den Sennheiser 1969 auf der Internationalen Funkausstellung vorgestellt hat. Genaueres über diesen Kunstkopf ist jedoch nirgends zu finden, was die Angabe von H. Wilkens plausibel macht, der am 29.11.2007 davon berichtete, mit der Fa. Sennheiser für den Bau adäquater Kopfhörer (HD 414) zusammengearbeitet zu haben, wobei die Vertreter der Fa. Sennheiser am Ende auch einen eigenen Kunstkopf bauten, um Lizenzgebühren zu umgehen. 140 http://www.soundman.de/soundman-germany/ (15.5.2015).

194 | D ER HÖRBARE R AUM

Vom KU 80 zum KU 81 – Der Kunstkopf im Studiobetrieb

Der Einsatz des Kunstkopfes als räumliches Aufnahmesystem war also nicht auf die 1970er Jahre beschränkt, wenngleich er zu dieser Zeit eine besonders große öffentliche Aufmerksamkeit genossen hatte. In Fachkreisen führte dies jedoch dazu, die kopfbezügliche Stereophonie unabhängig vom eingesetzten System genauer zu betrachten und kritisch zu untersuchen. So wurde die Problematik der Vorne-Ortung141 schnell angesprochen, wobei zusätzlich auch eine leichte Verschiebung der Mitten-Zuordnung beim Hören mit Kopfhörern sowie Ungenauigkeiten im Übertragungsverhalten gefunden wurden142. Dabei war die Frage der Aufnahmetechnik nicht von Interesse. Zwar ist im Patent des Berliner Kunstkopfes noch die Rede von der Möglichkeit, weitere Kunstköpfe als Stützsysteme einzusetzen143, vergleichbar

141 Kritische Berichte finden sich besonders in der Fachpresse sowie in internen Berichten der Nutzer. So hatte schon im November 1973 die Funkschau u.a. Beiträge zur Grundproblematik der Lautsprecher- und Mono-Stereokompatibilität (26.10.1973) veröffentlicht, also wenige Monate nach der öffentlichen Vorstellung des KU 80, und 1974 erschien ein teilweise kritischer Bericht von Nikolaus Schampaul in der Funkschau (Der Kunstkopf als technisches Übertragungssystem, in: Funkschau, Nr. 2, 1974, S. 133f.). Weitere Artikel zum Thema sind ebenfalls im DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt zu finden. 142 Differenzierte Kritiken stammen aus dem Rundfunk. So verfasste vermutlich Walter Kuhl aus dem IRT Hamburg bereits am 4.10.1973 einen Aktenvermerk zu den beiden Kunstkopfsystemen aus Göttingen und Berlin und zu den Problematiken der Fehllokalisation, zu großer Halligkeit u.ä. (DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, Ordner Theile 5). Am 8.2.1974 fand im RIAS Berlin ein Kolloquium zur Kunstkopfstereophonie statt, an dem die Berliner und Göttinger Entwickler sowie Vertreter des RIAS und solche von Entwicklungsinstituten der ARD teilnahmen und von den Problematiken wie Behebungsversuchen berichteten und bei dem auch die beiden Lautsprecherverfahren aus Göttingen und Berlin verglichen wurden (DMArchiv, VA, Handakten Blumtritt, Theile-Ornder 5). Eine Aktennotiz der Cheftonmeister Clemens Müller und Detlev Kittler im Hessischen Rundfunk berichtet dagegen von einer kritischen Beurteilung der ersten Kunstkopfproduktionen im Rundfunk 1975 und findet so viele Übertragungsfehler und Fehllokalisationen in Musikund Wortproduktionen, dass ein Einsatz des Kunstkopfes für ungeeignet gehalten wird (im Schreiben v. E.-Jo. Völker an Dr. Plenge v. 20.3.1975 enthalten, in: DMArchiv, VA, Handakten Blumtritt, Ordner Wilkens). 143 Kürer, Plenge, Wilkens, DE 1927401, Anm. 29.5.1969 Ausg. 1.8.1977, 1969, Sp. 5, Z. 26–31; hier jedoch ohne genau Spezifikation. In einer Pressevorführung im Herbst 1973 berichtete Georg Plenge der Presse jedoch auf Rückfragen vom Einsatz eines »Stütz-Kunstkopfes« (Funkschau v. 26.10.1973) für die Vorführaufnahmen. Erst am 16.2.1979 meldete Georg Plenge ein »Verfahren und Anordnung zum Einmischen eines monophonen Tonsignals in stereophone oder quadrophone Tonsignale« zum Patent an, das er am 15.1.1981 erhielt (DE 2905886). Es bezieht sich jedoch

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 195

mit Stützmikrophonen in der konventionellen Aufnahmetechnik, doch wurde diese Frage im Kontext der Rundfunkversuche nicht gestellt. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand vielmehr der KU 80 als Einzel-Stereomikrophon. Gelegentlich wurde aber auch mit Ergebnissen anderer Kunstkopfsysteme argumentiert, ganz besonders mit dem aus Göttingen, dessen Entwickler ihre Erfindung kurz vor den Berlinern zum Patent angemeldet hatten144. Verglichen wurden beide Systeme hinsichtlich der Fähigkeit, die Raumabbildung auch auf Lautsprechern hörbar zu machen, was den Kritikern zufolge überzeugend gut gelang. Im Lauf der Zeit wurden weitere Berichte zu Problemen mit dem Kunstkopf veröffentlicht145, sodass vermutlich um 1979 die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für eine verbesserte Version des KU 80 in Angriff genommen wurden, der als KU 81 1981/1982 wieder von der Firma Neumann gebaut und vermarktet wurde146. Diese 4. Version ähnelt nicht direkt auf den Kunstkopf, obwohl G. Plenge im persönlichen Gespräch (Januar 2008) über diesen Einsatz berichtete. 144 Im Gegensatz zu den Berlinern hatten die Göttinger Entwickler Peter Damaske und Volker Mellert nicht den Kopf selbst, sondern nur ein »Verfahren und Anordnung zur richtungsgetreuen breitbandigen Abbildung von Schallfeldern unter Verwendung kompensierender Hilfssignale« am 5.2.1969 angemeldet und am 24.8.1972 erhalten (DE 1905616). Es betrieb zwar die Aufnahmen mit einem Kunstkopf, projizierte beide Kanäle aber über das angemeldete Verfahren auf zwei Lautsprecher in den Raum. Ein Zusatzpatent (»Verfahren und Anordnung zur richtungsgetreuen breitbandigen Abbildung von Schallfeldern unter Verwendung kompensierender Hilfssignale«, DE 1941636 Anmeldung 16.8.1969, Erteilung: 25.10.1973) vereinfachte das Verfahren des Hauptpatentes. Die Berliner Entwickler hatten wohl deshalb ein Verfahren entwickelt, mit dem ihre Kunstkopfaufnahmen quadrophonisch über Lautsprecher hörbar gemacht werden konnten (»Verfahren zur räumlichen Wiedergabe von Schallsignalen und Anordnung zu seiner Durchführung«, DE 2023377, Anmeldung 9.5.1970, Erteilung 19.7.1979). 145 So ging die Tonmesstechnik des Hessischen Rundfunks nach Hörerbeanstandungen den »Spuckeffekten« bei Zischlauten in einer Sendung mit Kunstkopfaufnahmen auf den Grund, vermutete als Ursache die zusätzliche Entzerrung im Kunstkopf und empfahl, Sendungen mit Kunstkopfaufnahmen 3 dB zu untersteuern (Aktennotiz vom 20.2.1979, DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, Ordner Theile 3). 146 Zu welchem Zeitpunkt auch weitere Entwickler und Forscher einbezogen wurden, ist nicht ganz klar, doch belegen ein Gutachten von Jens Blauert von der Ruhruniversität Bochum aus dem Jahr 1980 sowie die Patentanmeldung mit dem Titel »Kunstkopf« aus dem Institut für Rundfunktechnik (IRT München, an dem sowohl Georg Plenge wie Henning Wilkens zu der Zeit tätig waren) von Horst Wollherr (Anmeldung 16.1.1981, Erteilung 21.7.1983, DE 3102264 C2), das kurz darauf auch von der Fa. Neumann auf europäischer Ebene (mit Priorität auf das fast identische IRT-Patent) am 22.12.1981 mit der Veröffentlichungsnummer 0056479 angemeldet wurde, dass die später KU 81 genannte Weiterentwicklung nicht mehr allein von den drei Erstentwicklern betrieben wurde.

196 | D ER HÖRBARE R AUM

zwar äußerlich dem Vorgängermodell, im Innern weist sie aber starke Abstraktionsmerkmale auf. So sind die Ohrabgüsse aus einem anderen Material, der Gehörgang auf die, wie es hieß, akustisch besonders wirksamen ersten 4 mm verkürzt worden und zur Glättung des Frequenzganges wie von Horst Wollherr im Patent vorgeschlagen im Kopf hinter der Mikrophonmembranen pro Seite drei Helmholtz-Resonatoren angebracht worden147. Diese und andere Maßnahmen sollten zur Verbesserung der Vorne-Ortung wie der verbesserten Darstellung des Kunstkopfsignals auf ein zweikanaliges Lautsprechersystem führen, was interne Berichte unabhängiger Prüfinstanzen im Wesentlichen bestätigen. Doch zeigen die in den Prüfungen vorgenommenen Vergleiche auch, dass der KU 81 konventionellen Mikrophonen in einigen Punkten unterlegen und dass seine Raumabbildung besonders nach vorne immer noch fehlerhaft war148. Wesentliche andere elektroakustische Werte des Kunstkopfs entsprachen der sog. Studionorm (ARD-Pflichtenheft) oder kamen sehr nah an sie heran, was den KU 81 zu einem einigermaßen tauglichen Spezialmikrophon für Raumaufnahmen im Rundfunk machte.

147 Neumann-Information 81176, März 1981 (DM-Archiv, VA, Handakten Blumtritt, Theile-Ordner 3). In diesem zweiseitigen Text ist davon die Rede, dass Prototypen der neuen Kunstkopfversion bereits in der Erprobung seien. 148 So gab es relativ positive Reaktionen auf den KU 81 aus dem BBC Research Department, das im Technical Memorandum PH 1739, nach differenzierter Prüfung eigener Aufnahmen, die gelegentlich gute Raumabbildung bei Benutzung von Kopfhörern konstatierte, wobei das Problem der nicht oder kaum möglichen VorneOrtung teilweise weiter bestand. Deutlich besser als beim KU 80 scheint das Abhören mit Mono- und Stereo-Lautsprechersystemen gewesen zu sein (Technical Memorandum PH 1739, S. 4, in: DM-Archiv, VA, Handakte Blumtritt, Theile-Ordner 5). Ähnliches erbrachten auch die Versuche in deutschen Rundfunkanstalten, die teilweise Vergleiche mit konventionellen Stereomikrophonen oder mit anderen Kunstkopfsystemen durchführten. So ergab zwar ein Mikrophonvergleich der Abteilung Studiotechnik des Saarländischen Rundfunks negative Ergebnisse für den KU 81, doch war dieser hinten in der Mitte des Saales aufgestellt (23.9.1983, Beurteilungstest, in: DM-Archiv, VA, Handakte Blumtritt, Theile-Ordner 4). Detlev Kittler, Tonmeister im Hessischen Rundfunk, bewertete aber eine Kunstkopfaufnahme von Mahlers 8. Symphonie in Venedig deutlich besser als den KU 80 einige Jahre zuvor (30.6.1983 ebd.), was den Abschlussbericht der Abteilung Tonmesstechnik derselben Anstalt (8.7.1982, ebd.) nur unterstreicht. Hier war ein Vergleich zwischen verschiedenen Kunstkopfsystemen, dem KU 81, dem von Damaske (Göttingen) und einem namenlosen Kunstkopf aus Aachen, angestellt worden und am Ende trotz einiger negativer und verbesserungswürdiger Aspekte der Kauf des KU 81 für immerhin gut 7000 DM empfohlen worden.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 197

Die Göttinger/Oldenburger Kunstköpfe von Peter Damaske, Karl Friedrich Siebert, Dieter Gottlob, Bernhard Wagener und Volker Mellert Wie der Berliner Kunstkopf war das Göttinger Exemplar zuerst als Messinstrument für Raumakustik konzipiert worden. Der erste Bericht zu seinem Bau, verfasst von Peter Damaske, dem Assistenten Erwin Meyers am 3. Physikalischen Institut149, war möglicherweise sehr kurz vor ersten Ergebnissen zum Berliner Kunstkopf aus dem Jahr 1969 publiziert worden150. Im Wesentlichen war er aber wohl das Ergebnis einer Parallelentwicklung, deren Betrachtung hier von besonderem Interesse ist. Der Göttinger Kunstkopf wurde wie der Berliner in mehreren aufeinander folgenden Versionen im selben Zeitraum gebaut, grenzte sich jedoch hinsichtlich der Bauweise deutlich von jenem ab und blieb in seiner Funktion im wesentlichen Messinstrument, obwohl er in den 1970er Jahren in den Sog der neuen räumlichen Schallaufnahmetechnologie geriet und auch zu Musikproduktionen eingesetzt wurde. Peter Damaske und Bernhard Wagener, die noch von Erwin Meyer mit raumakustischen Messungen von Konzertsälen beauftragt worden waren, gingen in der Entwicklung zunächst den fast schon konventionellen Weg des Kunstkopfbaus, als sie den Kopf einer Schaufensterpuppe (mit Perücke) als Grundlage seines Kunstkopfes wählten. Dessen Ohrmuscheln versahen sie mit 8 mm großen Bohrlöchern und statteten den Kopf von innen mit Sondenrohren aus, deren Enden außerhalb des Kopfes mit zwei dynamischen Mikrophonen der Fa. Sennheiser verbunden waren151. In einer kurz darauf folgenden Publikation mit Messergebnissen zum Richtungshören bezeichnet Damaske seinen Kunstkopf bezüglich seiner Richtungswiedergabe mit Kopfhörern bzw. im oberen Halbraum auf über zwei Lautsprecher152 als »mittleren menschlichen Kopf«153, weil die auch von anderen Forschern be-

149 Peter Damaske und Bernhard Wagener: Richtungshörversuche über einen nachgebildeten Kopf, in: Acustica, 21, 1969, S. 31–35. 150 Kürer/Plenge/Wilkens 1969, war nur ein Preprint eines Vortrages, das später nicht ins Journal übernommen wurde; also war sein Bericht letztlich nur KonferenzTeilnehmern der AES Convention bekannt geworden. 151 Damaske und Wegener 1969, S. 31; dort ist auch ein Photo des Kunstkopfes zu finden. 152 Dieser Aufbau ist im Patent DE1905616 von Damaske und Volker Mellert enthalten. 153 Peter Damaske: Richtungsabhängigkeit von Spektren und Korrelationsfunktionen der an den Ohren empfangenen Signale, in Acustica 22, 1969, Heft 4, S. 192–204, hier S. 193.

198 | D ER HÖRBARE R AUM

richteten Messergebnisse bei seinen Versuchspersonen offenbar ähnlich waren und »keine große Abweichungen vom Mittelwert«154 zeigten. Abbildung 35: Karl Friedlich Siebrasse und Dieter Gottlob mit ihrem Kunstkopf 1972

aus: Pierce 1989, S. 136

Für die weiteren Versionen des Kunstkopfes aus Göttingen und später auch aus Oldenburg, wo Volker Mellert den Kunstkopf weiterentwickelte, blieb der Mittelwert das Gestaltungsideal155. Die folgenden Versionen wurden also ganz im Gegensatz zum Berliner Kunstkopf nicht abgegossen und dem Vorbild eines konkreten Person quasi identisch nachgebaut, sondern nach verschieden ermittelten Mittelwerten des natürlichen menschlichen Kopfes modelliert. Nachdem – wie schon beim Berliner Kopf – die Haare nicht als relevant für das Richtungshören erkannt wurden, sich die Form der Ohrmuscheln dagegen als sehr wichtig erwiesen hatte, kam die nächste Version des Göttinger Kunstkopfes ohne Haare und Nase aus und wurde aus einem Perückenkopf aus Styropor als Grundlage und mit innen angebrachten Sondenmikrophonen gebaut156. Einen starken Kontrast zur sehr abstrakten und wei-

154 Ebd., Damaske gibt keine genauen Angaben zur Anzahl der Versuchspersonen, sondern berichtet nur von »zahlreichen Personen«. 155 Gespräch mit Volker Mellert am 23.1.2014. 156 Volker Mellert: Construction of a Dummy Head after New Measurements of Thresholds of Hearing, in: JASA, 51, No 4, Part 2, 1972, S. 1359–1361. Mellert machte keine Angaben zum Mikrophontyp, die Zeichnung auf S. 1631 zeigt gebo-

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 199

ßen Kopfform stellen die modellierten (Abb. 35), aber von der Form her natürlich wirkenden Ohrmuscheln aus rotem Silikon dar157, deren Größe und Form nach den gemittelten Maßen von 30 bzw. 45 Personen berechnet und den gemittelten Hörkurven von Messungen mit 17 Studenten angepasst waren158. Mit diesem Kunstkopf führten Karl Friedrich Siebrasse und Dieter Gottlob ihre raumakustischen Vergleichsmessungen in 20 Konzertsälen durch, bei denen sie jedoch die Versuchspersonen zur Bewertung der Aufnahmen über Lautsprecher nach dem von Damaske und Mellert patentierten Verfahren abhören ließen159. Die nächste Version des Kunstkopfes wurde ungefähr Ende der 1970er Jahre von Volker Mellert und Reinhard Weber in Oldenburg gebaut (Abb. 36). Die Ohrmuscheln wurden in Form und Größe wieder auf der Basis statistischer Erhebungen, dieses Mal anhand von Messungen an 4000 Personen der über 30-jährigen männlichen europäischen Bevölkerung160, angefertigt und weisen wegen der Computerherstellung eine Art digitale Stufenform auf161. Auffällig an diesem etwas spitznäsigen Kunstkopf ist die Verwendung von Schoeps-Studiomikrophonen, weshalb er der Gruppe der Aufnahmemikrophone zuzurechnen ist. Tatsächlich wurde der Kopf als solcher an das Delta-Studio in Wilster verkauft und dort auch für Schallplattenproduktionen eingesetzt162. Belegt ist sein Einsatz z.B. für die Produktion von Lou Reeds Street Hassle (1978).

157 158 159

160

161 162

gene Gehörgänge, er schreibt dort »probe microphones«, das einzig erhaltene Photo des Kunstkopfes (John R. Pierce: Klang; Musik mit den Ohren der Physik, Heidelberg 1989, S. 136., auf dem auch die beiden Mitglieder der Göttinger Entwicklergruppe Karl Friedrich Siebrasse und Dieter Gottlob zu sehen sind) zeigt aber einen ähnlichen Aufbau unterhalb des Kunstkopfes wie beim ersten Göttinger Typ (Damaske und Wegener 1969, S. 31). Volker Mellert, Gespräch am 23.1.2014. Das einzig erhaltene Photo des Kopfes ist schwarz-weiß. Mellert 1972, S. 1361. Karl Friedrich Siebrasse: Vergleichende subjektive Untersuchungen zur Akustik von Konzertsälen, Göttingen 1973 (Diss.), S. 5f.; Dieter Gottlob: Vergleich objektiver akustischer Parameter mit Ergebnissen subjektiver Untersuchungen an Konzertsälen, Göttingen 1973, S. 9f. Dort schreibt Gottlob explizit von »Sondenmikrophonen«. Foliensammlung von Volker Mellert: Vortrag in San Diego (Meeting of the Acoustical Society of America, 2006), Folie 7. Mellert gibt hier das Jahr 1980 für die Entwicklung dieser Ohrform an. Gespräch Volker Mellert 2014. Werbematerial des Delta-Studios und Zeitungsausschnitte vom 22.8.1978 als Archivalien in der Sammlung Mellert sowie http://en.wikipedia.org/wiki/Street_Hassle (15.5.2015). Auf der heute noch erhältlichen CD sind diese Angaben nicht mehr

200 | D ER HÖRBARE R AUM

Abbildung 36: Der Kunstkopf von Volker Mellert und Reinhard Weber Oldenburg, ca. 1977

Photo: Martha Brech

K LANG IN B EWEGUNG : D REIDIMENSIONALE R AUMKUNST MIT K UNSTKÖPFEN Bis in die 1980er Jahre hinein spielten Kunstköpfe also eine Rolle in der Entwicklung der zweikanaligen stereophonen Aufnahmetechnik. Die genaue Anzahl der Schallplattenproduktionen war nicht zu ermitteln, da erst mit dem hier ausführlich dargestellten Neumann-Kunstkopf die Kunstkopfaufnahme zu einer Spezialität wurde und wohl auch nicht jede Aufnahme in den 1970er Jahren mit einem Kunstkopf der Marke Dreidimensionalität versehen wurde. Auf dem Gebiet der Musikaufnahmen konnten sie sich aber am Ende nicht durchsetzen, weil Aufnahmen mit Stützmikrophonen letztlich bessere Ergebnisse für Musikformen lieferten, deren Basis-Raumform auf dem Gegenüber von Musikern und Publikum beruhte. Bei allen dreidimensionalen Kunstformen, seien es Kompositionen mit im gesamten Raum verteilten Musikern oder auf den Raum zielende elektroakustische Produktionen, wurden Kunstköpfe trotz ihrer Abbildungsfehler zum wichtigen Aufnahme- und vorhanden, die räumliche Aufnahmetechnik ist jedoch hörbar. Ob dieser Kunstkopf schon die »gemittelten« Ohren der Version von 1980 hatten, ist in Ermangelung eines Photos nicht auszumachen, aber wahrscheinlich.

A B 1950: D IE E NTWICKLUNG STATISCHER R AUMKLANGTECHNOLOGIEN

| 201

Produktionsmittel. Mit ihnen wurde nicht nur die gesamte Umgebung des Hörers, sondern gelegentlich auch das Innere seines Kopfes als Spielort genutzt, wie etwa bei Ulrich Gerhards Demolition163, Lou Reeds Street Hassle164 oder Bernhard Leitners Kopfräume165. Besonders die Arbeiten von Gerhard und Reed zielten dabei auf eine Unterscheidung von Räumen im Kopf des Hörers und dessen Außenwelt166, sodass davon auszugehen ist, dass die gelegentlich vorkommende reine Im-Kopf-Lokalisation beim Hören von Kunstkopfaufnahmen hier als dramaturgischer Raumwert genutzt wurde. Doch wird diese spezielle räumliche Anlage eine besondere produktionstechnische Herausforderung gewesen sein, da es ja galt, den Raum ›im Kopf‹ gegenüber dem Raum ›außerhalb des Kopfes‹ zu differenzieren. Eine weitere Herausforderung dürfte es gewesen sein, Klangbewegungen um den Kopf herum, wie sie gelegentlich in Demolition hörbar sind, oder durch ihn hindurch wie in Street Hassle herzustellen, denn die Klangbewegung betraf nicht nur das gesamte Kopfumfeld, sondern auch die Raumtiefe und ging somit weit über die Möglichkeiten des Stereopanoramas hinaus. Genaue Analysen der räumlichen Anlage und deren Produktionsweisen stehen auf dem Gebiet der Kunstkopfhörspiele jedoch noch aus. Derzeit kann daher nur als gesichert gelten, dass die Gattung Kunstkopfhörspiel dazu beitrug, die bewusste Wahrnehmung der dreidimensionalen Räumlichkeit beim adressierten Massenpublikums zu steigern.

163 Ebd. 164 Ebd. 165 Bernhard Leitner: Kopfräume, ZKM, Karlsruhe 2003. Leitner begann die Serie 1986. In einem persönlichen Gespräch am 12.9.2014 in Berlin gab er an, seit langem einen Kunstkopf zu besitzen. Ob damit auch die Klänge für seine Kopfräume produziert wurden, ist nur zu vermuten. 166 Vgl. Brech 2015, S. 159–163.

Raumklangtechnologien für dreidimensional bewegte Klänge ab 1950

Die dreidimensionale Bewegung von Klang im Raum mit elektroakustischen Mitteln war im Unterschied zu statischen Raumklangtechnologien um 1950 eine echte Novität. Geräte und Verfahren zu ihrer Produktion entstanden in einzelnen Studios für elektroakustische Musik und sind entsprechend speziell. Besonders in den ersten Dekaden nach 1950 sind kompositorische Konzepte eng an die einzelnen technologischen Lösungen gekoppelt, nicht nur weil die technologischen Angebote dies erforderten, sondern auch, weil nur wenige historische Vorbilder für raumbewegte Musik zur Verfügung standen, die mit technischen Mitteln hätten imitiert werden können. Dies gilt zumindest für Konzertsäle und andere geschlossene oder abgegrenzte Aufführungsräume, in denen rein instrumentale Kunstmusik vor Publikum aufgeführt wird1. Die Musiker spielen an festen Positionen, selbst wenn sie diese im Verlauf einer Darbietung wechselten2 oder Raumbewegung mit kompositorischen und spieltechnischen Mitteln simuliert wird3. So war die Entstehung der Geräte für Raumklangbewegungen mit der Entstehung der elektroakustischen Musik verbunden: Mit dem pupitre d’espace genannten Instrument wollte Pierre Schaeffer seine im französi1

2

3

Natürlich könnten marschierende Blaskapellen, auf Wagen sitzende Musikerensembles oder ein gelegentlich von Tisch zu Tisch eines Spezialitätenrestaurants gehender Primas der Kapelle – Erlebnisse aus der Alltagserfahrung einiger Komponisten – am Rand in die konzertante Klangraumbewegung mit eingegangen sein. Wie z.B. im 5. Satz von Gustav Mahlers 2. Symphonie, in dem einige Bläser von anderen Raumpositionen aus spielen sollen. Die Partitur enthält genaue Angaben, wann sich die Musiker unbemerkt an neue Positionen begeben sollen (UE 13821, Wien 1970). Im Höllenritt von Hector Berlioz’ La Damnation de Faust, eines nicht für die Bühne komponiertem Oratoriums, galoppieren Mephisto und Faust in rhythmischer Untermalung vor einer Gruppe langsam psalmodierend betender Frauen vorbei.

204 | D ER HÖRBARE R AUM

schen Rundfunk und damit für das heimische Radiogerät entwickelte musique concrète der Öffentlichkeit präsentieren. Damit wurde es zum ersten Vorbild für andere kompositorische Konzepte und speziellen Geräteentwicklungen für deren Raumbewegungen. In den folgenden Jahren entstanden mehrere, teilweise sehr aufwändige und komplexe Geräte und Verfahren zur konzertanten Präsentation sich scheinbar körperlos im Raum bewegender Klänge. Bis in die Mitte der 1980er Jahre beruhten alle auf zwei Basisverfahren, die auch in Kombination vorkommen konnten: •



Das hier schon vorgestellte stereophone Verfahren wurde ausgenutzt, um Klänge als eine Phantomschallquelle im Raum zu bewegen, wobei allerdings mehrere Lautsprecher zum Einsatz kamen. Lautsprecher wurden als Schallquelle verstanden und die Klangbewegung verlief von Einzellautsprecher zu Einzellautsprecher.

In dieser Zeit spezifizierten sich nicht nur die Möglichkeiten zur Darstellung von dreidimensionalen Bewegungsmustern. Zunehmend wurde Komponisten und Erfindern auch bewusst, dass die allgemeine Saalakustik mit zu bedenken war, denn die in den speziellen Geräten erzeugte Klangbewegung ist aus akustischer Perspektive normaler Schall und interagiert als solcher mit den architektonischen Gegebenheiten der Umgebung. Dies wurde im Verlauf der Jahre immer mehr und besser berücksichtigt, etwa durch die Dimensionierung vielkanaliger Projektionsgeräte und mit einer steigenden Zahl variabel gestaltbarer Parameter, die minutiös in jedem Konzertsaal während tagelanger Proben eingerichtet wurden, oder mit der Entwicklung neuer Raumbeschallungskonzepte für zweikanalige Stereoproduktionen, bei denen der gesamte Saal zur Projektionsfläche reliefartiger Raumklänge werden konnte. Da seit dem Beginn der Entwicklung von Geräten zur Raumklangbewegung eine enge Verbindung zwischen Technologie und Komposition bestand, sind Verallgemeinerungen schwer anzustellen. Denn Raumklangbewegung ist meist nur Teil des gesamten Raumkonzeptes einer Komposition, in der statische Raumklangelemente wie Spielposition und künstlicher Nachhall ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen können. Weil sich Raum und Raumklangbewegung als zusätzliche kompositorische Parameter in der Musik kenntlich machen, sind die Geräte zu deren Produktion ebenfalls mit den Kompositionen verbunden. Angesichts dieser Faktenlage ist es unmöglich, die Technologie für Raumklangbewegungen ganz ohne Bezug zu konkreten Kompositionen oder Kompositionskonzepten darzustellen. Doch wird sich deren Beschreibung im folgenden Kapitel auf die räumlichen Aspekte reduzieren.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 205

A NFÄNGE MUSIKALISCHER R AUMKLANGBEWEGUNGEN : V ON P IERRE S CHAEFFERS P UPITRE D ’ ESPACE ZUM P OÈME ÉLECTRONIQUE Pupitre d’espace Das erste Gerät zur Steuerung des dreidimensionalen Raumklangs meldete Pierre Schaeffer, Ingenieur und Begründer der Musique concrète und Leiter des 1948 gegründeten elektronischen Studios Groupe recherche musicale (GRM), 1951 im französischen Rundfunk im Kontext eines Paketes aus mehreren Geräten zur »Realisation von Geräuschen und Klängen«4 zum Patent an. Bereits im folgenden Jahr stellte er in weiteren Ländern detailreiche Patentanträge5 für das von Jaques Poullin6 nun deutlich modifizierte und fertig gestellte Gerät7, das unter dem Namen Pupitre d’espace (Raumgerät) bekannt wurde. Es ist heute vollständig verloren, lässt sich aber aus den Patenten, weiteren publizierten Schriften und Photos8 verhältnismäßig gut in Be4

5

6

7 8

Pierre Schaeffer: Perfectionnements aux appareils pour la réalisation de bruits ou sons musicaux, FR 1.003.682 (Anm. 26.2.1951; erteilt: 8.4.1953). Marc Battier weist in seinem quellenbasierten Artikel »Recent Discoveries in the Spatial Thought of Early Musique Concrète« (in: Brech und Paland (Hg.): Compositions for Audible Space; the Early Electroacoustic Music and its Contexts, Bielefeld 2015, S. 123– 136) auf diese ›Vorentwicklung‹ des später weiter ausformulierten und patentierten Gerätes hin (s.u.). Seine Perspektive auf die Entwicklung des pupitre d’espace unterscheidet sich in einigen Punkten jedoch von der hier vertretenen. Pierre Schaeffer: Übertragungsvorrichtung für räumliche Musik, DE 901798, Ausg. 14.1.1954 und mit prioritären Ansprüchen auf das o.g. französische Patent belegt; GB 695,435: Improvements in Devices for the Stereophonic Transmission of Music, Ausg. 12.8.1953 (Anm. 11.2.1952); US 2,636,943: Spatial Music Projecting Device, Ausg. 28.4.1953 (Anm. 13.2.1952), ebenfalls mit Verweis auf prioritäre Ansprüche in Frankreich. Diese drei Patentanträge sind im Wesentlichen identisch und unterscheiden sich fundamental von dem französischen Patent und den darin beschriebenen drei Geräten. Ein eigenes französisches Patent nur für das pupitre d’ espace hat es aber offenbar nicht gegeben. In seinem Buch »A la recherche d’une musique concrète« (Paris 1952, S. 93) schreibt Schaeffer Jacques Poullin eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Gerätes zu, das er damals noch »potentiomètre d’espace« nannte. Poullin verweist explizit auf Schriften von J. Bernhart und J. W. Garett als Quelle und Anregung für das pupitre d’espace, z.B. 1955a, S. 99 und 1955b) S. 125. Jacques Poullin (a): Von der musikalischen Transmutation zur Klangprojektion aufgenommener Schallvorgänge, in: Werner Meyer-Eppler (Hg.): Gravesano; Musik, Raumgestaltung, Elektroakustik, Mainz 1955, S. 97–102; ders. (b): MUSIQUE Concrète; Aufnahmetechnik bei der Verarbeitung von Klangmaterial und neuer musikalischer Formen, in: Fritz Winckel (Hg.): Klangstruktur der Musik, Berlin 1955,

206 | D ER HÖRBARE R AUM

zug auf seine Funktionsweise, die ersten Erfahrungen mit seinem Einsatz und die folgende Entwicklung einer differenzierten Raumbegrifflichkeit rekonstruieren. Funktionsweise

Mit dem Pupitre d’espace konnten Kompositionen der Musique concréte in einer Konzertsituation in den Saal projiziert und so dem Publikum eine Bühnenerfahrung der räumlichen Klangbewegungen geboten werden9. Deshalb bestand das Pupitre d’espace aus einem »Spielerteil« und einem »Projektionsteil«. Das »Spielerteil« diente der eigentlichen Raumklangsteuerung und bestand aus vier Spulenringen, wovon drei auf Kopfhöhe des Spielers – hinter und neben ihm und einer über ihm – angebracht waren (Abb. 37). Sie bildeten einen Steuerraum, in dem der Spieler eine weitere Spule frei bewegen konnte. Die Position der beweglichen Spule im ihrem jeweiligen Verhältnis zu den festen Spulenringen bestimmte nun die Lautstärke der vier im Saal ebenfalls in Tetraederform – also drei an den Seiten und einem an der Decke – installierten Lautsprecher, in deren ›Innern‹ die Klangbewegung für das Publikum hörbar wurde. »Wird die bewegliche Spule … von der Hand des Vorführers gehalten, dann kann dieser sie nach allen Seiten bewegen, und seine Gesten werden die Wirkung haben, daß die virtuelle Tonquelle jede beliebige Bahn beschreibt, wodurch dem Vortrag ein räumliches stereophones Element beigegeben wird.«10

9

10

S. 109–132, zum pupitre d’espace: Klang-Projektion, S. 125–128 mit Photo; ders.: Son et Espace, in: Pierre Schaeffer (Hg): Vers une Musique Experimentale, La Revue Musicale 236, Paris 1957, S. 105–114; ders.: L'apport des techniques d'enregistrement dans la fabrication de matières et de formes musicales nouvelles, Ars Sonora 09, 1999. Weitere Photos befinden sich im CD-Beiheft: Pierre Schaeffer: Œuvre musical, INA 1006. In einem Eintrag vom 15.4.1951 beschreibt Schaeffer ein Gerät, das die Gesten eines Dirigenten materialisiert (Scheffer 1952, S. 93). Jacques Poullin schrieb einige Jahre später: »Außerdem hat Pierre Schaeffer, um direkten Kontakt mit dem Publikum zu schaffen und die Anwesenheit eines menschlichen Wesens im Laufe der Vorführung wiederherzustellen, eine Vorrichtung erdacht, die es dem Vorführer erlaubt, tönende Bahnen (›trajectoires sonores‹) aus den Gesten zu schaffen, die er direkt vor dem Auditorium ausführt.« (Poullin 1955b, S. 126). DE 901798, S. 4, Z. 34–39.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 207

Abbildung 37: Zeichnung des ›Pupitre d’espace. Die Haupt-Hörzone beschreibt die Fläche, in der die Klangbewegungen wahrnehmbar sind – außerhalb dieser Fläche verändert sich für die Hörer die Lautstärkebalance zwischen den Lautsprechern und damit wird die Lokalisation der Phantomschallquelle verfälscht oder unmöglich.

aus: Patent DE 901798

Diese dreidimensional bewegliche Phantomschallquelle zur Erzeugung des sog. »kinematischen Reliefs«11 konnte im Pupitre d’espace aus den damals üblichen reinen Monoproduktionen der GRM hergestellt werden, weil sie identisch auf den vier Musikspuren des 5-spurigen Speichermediums vorlag. Hörbar war sie jedoch nur innerhalb eines begrenzten Raumes im Innern des Lautsprechertetraeders im Saal, was in den drei internationalen Patenten und weiteren Schriften beschrieben ist. Der Hinweis auf eine weitere essenzielle Voraussetzung für das Funktionieren des Pupitre d’espace ist jedoch nur in den drei internationalen Patenten enthalten: die Reduktion der Nachhallzeit auf unter 0,5 sec12. Für Studioräume mag dies ein realistischer Wert sein, für 11 12

Der Begriff »kinematisch« wird sowohl im Patent (DE 901798, S. 2, Sp. 11) wie von Poullin 1955 verwendet, ohne jedoch genau definiert zu werden. Z.B. DE 901798, S. 2, Z. 60–63.

208 | D ER HÖRBARE R AUM

Konzertsäle scheint er hingegen utopisch. Nicht ganz unproblematisch in der Konzertpraxis dürften auch die speziellen Lautsprecher gewesen sein, die nach der Beschreibung Poullins mit »gekrümmten Membranen (ElipsonMuscheln) ausgestattet«13 waren (Abb. 38), damit sie »die ausgestrahlte Energie in einem Konus von 60°« konzentrieren und »die Frequenzkurven in Hinblick auf die verschiedenen Abhörrichtungen«14 ausgleichen konnten. Auf Photos sehen sie sehr klein aus, sodass die Vorstellung, einen größeren Saal ausreichend beschallen zu können, fraglich scheint. Abbildung 38: Piere Schaeffer am ›Pupitre d’espace‹; im Hintergrund einer der muschelförmigen Lautsprecher

aus: Thom Holmes, Electronic and Experimental Music, London 2008, S. 41

Konzertante Einsätze des Pupitre d’espace

Nach Battier15 ist bereits die erste Version des Pupitre d’espace im Juli 1950 bei der Aufführung der 1948/50 von Schaeffer und Pierre Henry produzierten Symphony pour un homme seul im Théâtre des Champs-Elysées zum

13 14 15

Poullin 1955b S. 127. Ebd. Battier 2015, S. 128.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 209

Einsatz gekommen. Schaeffer selbst erwähnt jedoch nur die Verwendung der zweiten Version für diese Komposition und Teile der damals noch unfertigen Komposition Orphée mit dem Titel Toute la lyre in einer ersten öffentlichen Aufführung mit einer transportablen Version des Pupitre d’espace in den Wochen vom 16.5.–20.7.1951 im Empire-Saal der École Normale de Musique in Paris16. Von weiteren Verwendungen ist bisher nichts bekannt. Diese wenigen öffentlichen Aufführen scheinen jedoch ausgereicht zu haben, um Komponisten wie Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen zu Kompositionen mit Raumklangbewegungen anzuregen, wie später noch auszuführen sein wird. Auch auf dem Gebiet der Theorieentwicklung zeigten sich nach der Vorführung 1951 erste neue Ansätze. So enthält Schaeffers Beschreibung des Aufenthaltes an der École Normale de Musique auch die Wiedergabe eines Gespräches mit André Moles, bei dem Moles Schaeffer nahelegt hatte, begrifflich zwischen einer räumlich gedachten Stereophonie und deren Abbildung von Schallquellen und den neuartigen Effekten der Raumbewegung zu unterscheiden, die Moles »Musique spatiale«17 nannte. Später entwickelte Schaeffer ebenfalls mit Verweis auf die Zusammenarbeit mit André Moles drei verschiedene Raumbegriffe: Zunächst den der »Musique spatiale«, die mit jeder Art von Räumlichkeit beschäftigt ist, sei es der Lokalisation von Klangobjekten im Raum oder ihrer Projektion in den Raum. Ferner unterschied er zwischen »spatialisation statique«, die eine genaue Lokalisation von Klängen ermöglicht, und »spatialisation cinématique«, die Bewegungen der Klangobjekte im Raum hörbar macht18. Diese erste Begriffsdifferenzierung nutzte Schaeffer aber scheinbar nicht in Kompositionskonzepten. Zentrum seiner Arbeit blieb die experimentelle und theoretische Fundierung der Musique concrète, die aus mit dem Mikrophon aufgenommenen Klängen aller Art (darunter musikalische Klänge, aber auch Sprachklänge und Geräusche) bestehen und mit technischen Mitteln produziert werden sollte. Egal ob abstrakte Klangmontage oder erzählende Momente, Schaeffer subsumierte alles unter dieser Gattung und entwickelte eine spezielle Musiktheorie, die sich besonders an formalen Kriterien der traditionellen Kunstmusik orientierte. ›Raum‹ und seine klangliche Ausgestaltung spielten darin keine Rolle. Das Pupitre d’espace erhielt keine Optimierung und blieb ein Torso.

16 17 18

Schaeffer 1952, S. 107f. Battier beschreibt auch diese Konzerte ausführlich. Schaeffer, 1952, S. 109. Ebd., S. 205f.

210 | D ER HÖRBARE R AUM

N ACHFOLGENDE K OMPOSITIONEN MIT R AUMKLANGBEWEGUNGEN Einige Jahre später, nach dem Ende der Experimente mit dem Pupitre d’espace, entstanden zwei Kompositionen, die Raumklangbewegungen enthalten oder im Raum verteilte Lautsprecher vorschreiben. Sie stammen von Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen, Komponisten, die beide in Paris Komposition studiert hatten, mit dem Studio der GRM vertraut waren und vermutlich auch das Pupitre d’espace kannten: In seiner 1955/56 entstandenen fünfkanaligen Tonbandproduktion Gesang der Jünglinge, einer Kombination aus Musique concrète und Elektronischer Musik, sah Karlheinz Stockhausen eine Beschallung des Publikums von den Wänden aus vor. Stockhausen beschrieb einige räumliche Klangbewegungen als »Rechts- und Linksdrehung, teilweise starr, teilweise beweglich«, die für das Verständnis der Musik entscheidend seien19. Hörbar sind sie jedoch allenfalls in konzertanten Aufführungen. Nach der Beschreibung von Ulrich Dibelius soll es sich dabei »um wandernde, den Hörer umkreisende, aber auch stationäre, aus bestimmten Richtungen abgestrahlte Klänge«20 gehandelt haben. Die räumlichen Klangbewegungen waren damit ebenso wie stationär lokalisierbare Klänge exakt produziert und die räumliche Technologie beruhte auf dem Prinzip der Phantomschallquellen. Gleichzeitig weist Stockhausens erstmalige Verwendung von konkreten Klängen in der nur auf reinen Tönen basierenden Gattung der Elektronischen Musik ebenso wie die Verwendung von fünf Lautsprechergruppen auf die Möglichkeiten des Studios der GRM in Paris hin. Zu vermuten ist zudem, dass die terminologische Trennung von starren und beweglichen Klängen auf Moles‘ und Schaeffers Raumklang-Differenzierung zurückgeht. Ähnliches gilt für die 1958 produzierte Komposition Poésie pour pouvoir von Pierre Boulez zu vermuten. Boulez ging hierin jedoch noch weiter als Stockhausen und komponierte eine Spiralbewegung nach oben, die über verteilt sitzende Instrumentalisten und Lautsprecher am oberen Saalrand verlief und in einen sich drehenden Lautsprecher an der Deckenmitte mündete21. Nach der Darstellung von Gisela Nauck scheint die erste Aufführung der vom SWR (Heinrich Strobel) beauftragten und im dortigen Studio im Som19 20

21

Karlheinz Stockhausen: Musik im Raum, in: Die Reihe, 5, Wien 1959, S. 60. Ulrich Dibelius: Musikalische Räume zwischen Imagination und Realität, in: Hartmut Krones (Hg.): Bühne, Film, Raum und Zeit in der Musik des 20. Jahrhunderts, Wien, Köln, Weimar 2003, S. 269 (mit leichten grammatikalischen Umwandlungen). Ebd.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 211

mer 1958 von Boulez in nur einem Monat Produktionszeit realisierten Partitur für drei Orchesterteile, fünfspuriges Tonband und 70 Lautsprecher bei der Uraufführung am 17.10.1958 in Donaueschingen jedoch für den elektroakustischen Anteil klanglich so unbefriedigend gewesen zu sein, dass Boulez die Komposition umgehend zurückzog22. Im Vergleich zum nur kurz zuvor eröffneten und in jahrelanger Arbeit produzierten Poème électronique oder dem zwei Jahre zuvor uraufgeführten und sehr viel langfristiger produzierten Gesang der Jünglinge ist dies nachvollziehbar. Eine scheinbar einfache Spiralbewegung ließ sich zwar konzeptionell denken, aber technisch nur mit großem Aufwand herstellen. Ein im Raum oder auf der Bühne getrennt verteiltes Orchester dagegen, wie es Luciano Berio, Bruno Maderna, Luigi Nono und Stockhausen23 in ihren Kompositionen 1958 in Fortführung der venezianischen cori spezzati der Renaissance vorstellten24, war einfacher und ästhetisch erfolgreicher zu präsentieren. Der Vorteil seitens der elektroakustischen Raumtechnologie, die ihrerseits auf den hier dargestellten raumakustischen Forschungen seit dem späten 18. Jahrhundert aufbaute, kam erst in den folgenden Jahren mit neuen Geräten zum Tragen. Poème électronique Das Gesamtkunstwerk aus Architektur, visueller Medienkunst und Raumkomposition, das seit 1956 für die Weltausstellung in Brüssel (Expo 1958) von dem niederländischen Philips-Konzern geplant und produziert wurde, ist das bestbekannte und -recherchierte Projekt mit Raummusik seiner Zeit, 22

23

24

Gisela Nauck: Musik erobert den Raum (2): Die Donaueschinger Raummusik, Rundfunksendung im SWR 1998, http://www.gisela-nauck.de/texte/1998_Musik_ Raum2_SWR.pdf, S. 1f. (19.5.2015). Der gleichzeitig vergebene zweite Auftrag des SWR an Stockhausen, der für 6 Orchester im Raum gedacht war, kam nicht über die Projektphase hinaus, ging aber im frühen Stadium von einem kreisförmigen Konzept mit 7 Orchestergruppen aus (ebd., S. 3f.). Dibelius 2003, S. 267–273 berichtet z.B. von Kompositionen mit aufgeteilten Instrumentalgruppen in Luciano Berios Allelujah II (S. 269) und Bruno Madernas Musica su due dimensioni (1952), (S. 268f.). Von Stockhausens komponierten Gruppen aus den Jahren 1955–57 und von Boulez’ Poésie pour pouvoir (1958) gehören ebenfalls in diese Kategorie. Die venezianischer cori spezzati der Spätrenaissance waren für die Komponisten der Neuen Musik dabei von widersprüchlicher Bedeutung. Sie wurden z.B. von Stockhausen und Nono zwar genannt, zugleich aber explizit überflügelt. So parametrisierte Stockhausen den Raum (in: Musik im Raum, die Reihe 5, Wien 1959, S. 59–73), während Nono ein wenig abfällig von der »Ping-Pong-Akustik« seiner venezianischen Vorgänger sprach (Diario Polacco ‘58 (1959), in: Jürg Stenzl (Hg.): Luigi Nono; Texte, Studien zu seiner Musik, Zürich 1975).

212 | D ER HÖRBARE R AUM

wenn nicht seiner Gattung (Abb. 39). Es ist sowohl wegen der Beteiligung namhafter Künstler wie Le Courbusier, Edgard Varèse und Iannis Xenakis als auch hinsichtlich seines technischen Aufwandes bei der Herstellung und Präsentation in seiner Epoche beispiellos. Abbildung 39: Der Philips-Pavillon auf der Expo 1958 in Brüssel und zugleich architektonischer Teil des Poème électronique

aus: Philips technische Rundschau, Nr. 2, 1958, S. 67

Ganz besonders auf der Ebene der Raumklangtechnologie wurden Maßstäbe gesetzt, denn im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Raumklangpräsentationen, die auf dem Prinzip der Phantomschallquellen beruhen, wurde im Philips-Pavillon auch mit Direktschall gearbeitet. Das bedeutet, dass etwa Klangbewegungen nicht durch eine Änderung des Schallverhältnisses zwischen zwei Seiten produziert wurden, sondern durch zeitversetzte Ansteuerung einer Serie von Lautsprechern, die ggf. auch in der Lautstärkeausstrahlung exakt gesteuert werden mussten. Die Zuhörer konnten damit die genaue Schallquelle unabhängig von ihrer eigenen Position lokalisieren. Ferner wurden mit der Phantomschallquellen-Methode zusätzliche Raumwirkungen erzeugt und mit künstlichem Nachhall die hörbare Raumgröße variiert. »Die Zuhörer sollen den Eindruck erhalten, daß sich verschiedene Schallquellen rings um ihn [sic] bewegen, hochsteigen und sinken, zusammentreffen und

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 213

auseinandergehen, während der Raum, in dem sich dies alles abspielt, einmal beengend und schalltot, dann wieder scheinbar die Abmessungen einer Kathedrale haben soll.«25 Abbildung 40: Skizze der Klangwege im Philips-Pavillon, gezeichnet von Iannis Xenakis 1956; dargestellt sind die zeitliche Abfolge und der räumliche Verlauf

aus: http://andre.meyer-vitali.com/documents/philipspavilion58/index.html#61; abgebildet auch in: Tazelaar 2013, S. 161

Zur Erzeugung der Raumwirkungen und Klangwege (Abb. 40) war der Pavillon im mittleren Frequenzbereich auf 0,7 Sekunden Nachhallzeit abgedämmt und zwischen 350 und 450 Lautsprecher26, davon 25 Tieftöner, an den Wänden des Polygons angebracht worden, die teilweile als unregelmäßig die Wände entlang verlaufende Linien oder als kleine ›Nester‹ ausgeführt waren. Sie wurden in einem sehr komplizierten Steuerverfahren mit Klang von einem dreikanaligen Tonband versorgt27, auf dem sich die vorproduzier-

25 26

27

W. Tak: Die Klangeffekte, in: Philips technische Rundschau, Vol. 20, Nr. 3/4, 1958, S. 75–79, hier S. 75. Kees Tazelaar gibt die variierte Zahl auf Basis verschiedener Quellen an (ders.: On the Threshold of Beauty; Philips and the Origins of electronic Music in the Netherlands 1925–1965, Rotterdam 2013, S. 159 und 282). Die Angaben von W. Tak 1958, S. 75–77 sind hier aber widersprüchlich, denn einerseits soll es sich dabei um drei voneinander »unabhängige Kanäle« (S. 75) gehandelt haben, andererseits beschreibt er: »die Registrierung auf die drei Spuren erfolgten so, daß die Spuren II und III für Nachhall- und Stereoeffekte reserviert blie-

214 | D ER HÖRBARE R AUM

ten Teile der Kompositionen von Edgard Varèse und Iannis Xenakis28 befanden.

Z WISCHEN B RÜSSEL 1958 UND O SAKA 1970: D IE D OMINANZ DES K REISES Die Marken dieses Zeitabschnittes bilden zwei internationale Weltausstellungen (Expos), weil in beiden raummusikalische Großereignisse stattfanden. Nach dem Gesamtkunstwerk des Philips-Pavillons 1958 wurden auf der Expo 1970 in Osaka sogar in zwei Länderpavillons spezielle Einbauten für Raummusik präsentiert und dafür eigene Kompositionen beauftragt. Teil des deutschen Pavillons in Osaka war eine Konzertkugel, die weitgehend nach den Wünschen Karlheinz Stockhausens gebaut worden war und in der zum großen Teil Kompositionen von Stockhausen aufgeführt wurden, während im Pavillon der japanischen Stahlindustrie Raummusik von Iannis Xenakis und einigen japanischen Komponisten präsentiert wurde. In den zwölf dazwischen liegenden Jahren bauten Komponisten elektroakustischer und/oder instrumenteller Neuer Musik das Thema Raum weiter aus. Ihre Experimente betrafen die Aufteilung von Orchestern und deren feste Platzierung an verschiedenen Orten im Konzertsaal auf der einen Seite und die Produktion von Klangbewegungen auf der anderen Seite – eingeschlossen gemischte Produktionen, bestehend aus statischen Instrumentalparts und raumbewegten elektroakustischen Klängen. Um das Thema der Kompositionskonzepte nur kurz anzureißen, reicht ein Blick auf die Arbeiten von Stockhausen und Xenakis in jenen Jahren: Xenakis verfolgte zwar hauptsächlich die bis zur Atomisierung im Zuhörerraum reichende Verteilung des Orchesters (z.B. Terrekteorh, 1965/66 oder

28

ben.« (S. 76) Diese Verteilung wäre für die unabhängige Behandlung der Effekte sinnvoll und würde z.B. eine Klangbewegung ermöglichen, die zugleich mit Phantomschallquelle und Raumvergrößerung wirkt, doch es wäre dabei unmöglich, die verschiedenen Klänge getrennt voneinander zu halten. Diese Spurverteilung scheint am Ende aber doch nicht verwandt worden zu sein. Die visuelle Darstellung der drei digitalisierten Spuren, die Tazelaar (2013, S. 146) abbildet, zeigt unterschiedliches Klangmaterial auf den einzelnen Spuren. Iannis Xenakis, dem auch die Bauausführung oblag, hatte das Interludium zum Einund Auslass des Publikums in der GRM komponiert und produziert und benutzte alle Möglichkeiten der raumklanglichen Einrichtungen im Philips-Pavillon. Nach neueren Forschungen wurde es jedoch erst am 5. Oktober 1958 aufgeführt (vgl. Makis Solomos: Xenakis’ first Composition in musique concrète: Diamorphose, https:// www.gold.ac.uk/media/Keynote%20III%20Makis%20Solomos.pdf(4.6.2015)

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 215

Nomos Gamma, 1967/68) oder elektroakustischer Klangquellen im Raum seiner Polytopen. Gleichzeitig beschäftigte er sich aber auch mit Klangbewegungen und komponierte zumindest in Terrekteorh (1966) und Persephassa (1969) u.a. kreisförmige Klangbewegungen für die 88 im Raum verteilten Instrumentalisten (Terretektorh) bzw. die sechs an den Wänden des Saal platzierten Schlagzeuger (Pesephassa), deren Ausführungen einen wesentlichen und herausragenden Teil dieser Kompositionen ausmachen. Die Raumbewegungen fußen in der Bruchlosigkeit ihrer Übergänge deutlich auf den klanglichen Kreisbewegungen elektroakustischer Provenienz: Der Bewegungseindruck beruht auf einer kontinuierlichen Lautstärkeänderung an mindestens zwei Punkten, über die sich eine Phantomschallquelle generieren lässt. Gleichzeitig demonstrierte Xenakis aber auch die Spezialität instrumentaler Musik gegenüber elektroakustisch erzeugten Phantomschallquellen, indem er in Persephassa zusätzlich bruch- oder sprunghafte kreisförmige Klangbewegungen komponierte; hier wird identisches Material über die sechs Schlagzeugstationen quasi als Paket weitergereicht, das jeweils damit nur als Einzelereignis an einem Punkt klingt und von dort zum nächsten springt. Karlheinz Stockhausen dagegen konzentrierte sich neben der Teilung von Orchestern in mehrere, an verschiedenen Raumorten platzierte Ensembles auf die Produktion von kreisförmigen Klangbewegungen und deren Ableitungen mit Mitteln der Elektroakustik29. Er entwarf zu diesem Zweck entweder selbst Geräte, die dies ermöglichten, oder regte Ingenieure dazu an. Sein eigentliches Ziel hatte er schon 1959 formuliert: Für einen kugelförmigen Konzertsaal30 komponierte er 1970 Raummusik. Doch blieb diese kugelförmige klangliche Raumgestaltung singulär. Stattdessen entstanden in nur wenigen Jahren verschiedene Geräte zur Herstellung von kreisenden Klangbewegungen, die auch von anderen Komponisten oder Künstlern genutzt bzw. für sie hergestellt wurden.

29

30

Gemeint sind hier teilweise ausgeführte Kreisbewegungen, Kreuze und »Flutklänge« (s.u.). Kreisförmige Bewegungen und Teilbewegungen lassen sich auch innerhalb der Orchesterparts analysieren, vgl. z.B. Pascal Decroupet: Vom Finden zum Erfinden; Stockhausens Theorie von der »Musik im Raum« durch die Brille seiner Werke Gesang der Jünglinge, Gruppen, Kontakte und Carré betrachtet, in: Martha Brech; Ralph Paland (Hg.), Bielefeld 2015, S. 237–258). Stockhausen 1959, S. 60.

216 | D ER HÖRBARE R AUM

Geräte zur Produktion kreisförmiger Klangbewegungen Mindestens fünf verschiedene Konzepte und Realisierungen von Geräten, die seit 1958 zunächst für kreisförmige Klangbewegungen im Raum konzipiert wurden, sind derzeit bekannt. Es handelt sich um: • • •

• •

den Rotationstisch und die Rotationsmühle31 von Karlheinz Stockhausen, die Tonmühle von Manfred Krause aus dem elektronischen Studio der TU Berlin (ca. 1960), die Tonkurbel des Studios für elektronische Musik im WDR, Köln, die der exakten Reglerstellung beim Abmischen von Raumklangbewegungen diente, das mechanische Klangsteuergerät von Hans Peter Haller (ca. 1967) und den »rotary switch« für bis zu 20 Lautsprecher, den sich Bernhard Leitner von einem befreundeten Ingenieur in New York Anfang der 1970er Jahre bauen ließ, um damit Experimente zur Erzeugung seiner Klangarchitektur durchzuführen32.

Mindestens vier davon, der Rotationstisch von Karlheinz Stockhausen, die Tonmühle von Manfred Krause, die Rotationsmühle von Hans Peter Haller und die »rotary switches« von Bernhard Leitner, erhielten später Nachfolgemodelle mit erweiterten Klangbewegungsparametern oder -funktionen. In diesen Erweiterungen der Basiskonzepte, die noch an späterer Stelle genauer beschrieben werden, spiegeln sich jeweils nicht nur die Differenzierung der technischen Möglichkeiten an sich, sondern auch die Differenzierung und Erweiterung der kompositorischen Raumkonzepte und ihrer klanglichen Realisierungen. Gleichzeitig zeigen die Differenzierung und Erweiterung der Geräte auch die immer größer werdende Bandbreite der kompositorischen Ansätze, den Raum mittels Klangbewegungen hör- und erfahrbar zu machen und ihn in der Zeit (im Zeitverlauf) zu gestalten. Jedes der Geräte wurde in seinen Möglichkeiten mit speziellen klanglichen Raumkonzepten verknüpft und weiterentwickelt. Nach 1970 wurden die Kreisform variierten und komplexere räumliche Bewegungen entstanden. Deshalb können die einzelnen

31 32

Kurz beschrieben in: Karlheinz Stockhausen, Vier Kriterien der Elektronischen Musik, in: Texte zur Musik, Bd. 4, Köln 1978, S. 381. Bernhard Leitner im persönlichen Gespräch am 12.9.2014.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 217

Geräte hier weitestgehend nur in ihren eigenen historischen Zusammenhängen dargestellt werden. Rotationstisch I Bauweise und Vergleiche

Für seine Komposition Kontakte (1958–1960), die er im Studio für elektronische Musik des WDR in Köln produzierte, entwickelte Karlheinz Stockhausen den Rotationstisch. In einem speziellen Verfahren konnten damit relativ schnell und sehr präzise Kreis- und Seitenbewegungen des Klanges im Phantomschallverfahren hergestellt werden: Der Rotationstisch bestand aus einer von Hand drehbareren runden Platte, deren kugelgelagerte Achse in der Mitte mit einem stabilen Tisch verbunden war (Abb. 41). Auf der drehbaren Patte war ein auf Schienen verschiebbarer Lautsprecher mit aufgesetztem trichterförmigem Schalltrichter und punktförmiger Öffnung montiert33. Abbildung 41: Der ›Rotationstisch I‹ heute

Photo: Laura Weber

Das mit dem Rotationstisch verbundene Verfahren zur Herstellung von Klangbewegungen bestand darin, dass vier Mikrophone im Quadrat an den 33

So beschreibt Stockhausen den Tisch auch in der Partitur von Kontakte, das dort ebenfalls abgedruckte Photo zeigt jedoch keine der genannten Eigenschaften des Rotationstisches. Der von Stockhausen beschriebene Rotationstisch befindet sich noch heute im ehemaligen elektronischen Studio des WDR in Köln-Ossendorf.

218 | D ER HÖRBARE R AUM

Seitenrändern des Tisches aufgestellt waren, den Klang des gedrehten Lautsprechers aufnahmen und an ein vierspuriges Tonband zur Aufzeichnung weiterleiteten34. Diese Aufnahme konnte dann ohne weitere Bearbeitung der Klangbewegungen im Konzert abgespielt werden, und sofern die Lautsprecher in derselben Form im Konzertsaal angeordnet waren, wurde die horizontale Bewegung des Klanges hörbar. Produktionsseitig entfiel damit das umständliche und schwer handhabbare Abmischen mit vier Reglern am Mischpult und es war – zumindest theoretisch – eine große Variationsbreite von Klangbewegungen mit den Parametern Drehgeschwindigkeit und Lautsprecher-Mikrophon-Abstand möglich35. Aus der Perspektive der reinen Gerätetechnik könnte diese eigenständige Erfindung durchaus von Boulez’ drehenden Lautsprechern in Poésie pour pouvoir angeregt worden sein36. Dass Boulez und/oder Stockhausen zudem die »Leslie-Box« gekannt haben, ist anzunehmen, denn sie wurde seit 1941 gebaut37 und war entweder in Elektroorgeln (u.a. in der Hammond-Orgel) integriert oder als eigenständiges Gerät betrieben. Ihr Herzstück bestand aus einem motorbetriebenen drehbaren Lautsprecher. Mit den schnellen Drehungen des mit einem Trichter versehenen Lautsprechers ließen sich damit Vibrato38 oder ›heulende‹ Klangeffekte herstellen, die letztlich auf dem DopplerEffekt39 beruhten. Bautechnisch gesehen bestand die Ähnlichkeit zwischen der Leslie-Box und dem Rotationstisch von 195840 in dem drehbaren Lautsprecher mit vorgesetztem Trichter.

34

35 36

37 38 39

40

Die Schienen ermöglichten dabei die variable Justierung des Abstandes von Lautsprechertrichter und Mikrophonen, was klangliche Folgen in Bezug auf die Entfernungsempfindungen sowie die Bewegungsgeschwindigkeit gehabt haben wird. Auch wenn Stockhausen dies nicht explizit in der Partitur angibt; nur einige Skizzen deuten auf Experimente mit den Abständen von Mikrophonen und Lautsprecher hin. Boulez hatte im Juni 1958 mit der Realisation von Poésie pour pouvoir begonnen (s. Gisela Nauck: Musik im Raum – Raum in der Musik, Stuttgart 1997, S. 90), also etwa zu der Zeit, als Stockhausen mit der Produktion von Kontakte begann (Karlheinz Stockhausen: Nr. 12, Kontakte, elektronische Musik, Realisationspartitur, Wien 1968, S. 17; dort sind die frühesten Produktionsdaten angegeben: 29.5.1958, bzw. Herstellung von Einzelklängen schon 20. und 25.2.1958, S. 27). http://en.wikipedia.org/wiki/Leslie_speaker, (19.5.2015). Ebd., auf den Anzeigen der frühen Geräte als »Tremolo« bezeichnet. Clifford A. Henricksen: Unearthing the Mysteries of the Leslie Cabinet, Recording Engineer and/ Producer Magazine, April 1981 = http://theatreorgans.com/hammond/ faq/mystery/mystery.html (19.5..2015). Datierung nach den Angaben in der Realisationspartitur von 1968; dort sind ab Juli 1958 »Rotationen« an verschiedenen Produktionen vermerkt und am 28.7.78 wird erstmals die Bezeichnung »Rotationslautsprecher« verwendet (Stockhausen 1968,

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 219

Die Unterschiede sind dennoch beträchtlich, denn Stockhausens Rotationstisch diente primär der Produktion von Raumkompositionen, die nach dem Prinzip der Phantomschallquellen funktionierten und von vier Punkten an den Saalwänden ausgehend von Lautsprechern ausgestrahlt wurden. Es ging daher nicht um die Möglichkeiten eines (oder mehrerer) sich drehenden Lautsprecher und den durch die Drehung erzeugten Klängen. Der Rotationstisch für Kontakte war nur mit Handbedienung ausgestattet. Ohne Motor dürfte es schwer gewesen sein, eine Drehgeschwindigkeit zu erreichen, die zu einem hörbaren Doppler-Effekt hätte führen können. Und dies war damals auch nicht Stockhausens Absicht. Der Rotationstisch I im Raumkonzept von Kontakte Stockhausen ging es vielmehr um kontrollierbare und präzise ausführbare Klangbewegungen. »Der Tisch wird mit der Hand verschieden schnell rechts und links herum gedreht; zur Zeitkontrolle wird eine große Stoppuhr benötigt. Die zu rotierenden Klänge, Strukturen etc. werden mit max. 0 dB vom beschriebenen Lautsprecher wiedergegeben, während man nach den festgelegten Zeitangaben den Tisch dreht, gemäß allgemeinen Bezeichnungen wie ›links‹, ›schnell‹, ›verlangsamen‹ etc.«41 Stockhausen beschreibt hier eine virtuose Bedienung des Rotationstisches, die mit einem ferngesteuerten Motor damals kaum zu leisten war. Das Zitat deutet an, was an vielen Stellen der Realisationspartitur und der Beschreibung der Klangherstellung ablesbar ist: Rotationen zur Erzeugung von räumlichen Klangbewegungen sind auf mehreren Partiturebenen komponiert. ›Einfache‹ Klänge bis zu komplexen Klangstrukturen werden im Raum bewegt und auch die Richtung, die Geschwindigkeit und die Dauer der Bewegung ist in der Partitur genau festgelegt. Kreise können, müssen aber nicht vollständig ausgeführt sein. Dies sind Indikatoren dafür, dass Stockhausen in Kontakte die Klangbewegung im Raum als – möglicherweise sogar serialisierbaren42 – Komposi-

41 42

S. 16). Dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass schon im Juli 1958 dafür auch der Rotationstisch genutzt wurde. Stockhausen, Realisationspartitur von Kontakte, 1968, S. 3. Stockhausen beschreibt dies für den Gesang der Jünglinge (1955/56). In seiner Schrift »Musik im Raum« (1959) differenziert er die tragenden Klangqualitäten des Tonorts in Spektrum und Lautstärke und operationalisiert seine hörbare Lokalisierbarkeit, das »Richtungshören« (S. 68) in Kreisform nach Winkelgraden bzw. Teilabschnitten des Kreises (S. 70–73). Die dort dargelegten Vorstellungen sind in den Partituren zu Kontakte jedoch nicht wiederzufinden. Stattdessen entwickelte Stockhausen in einer Skizze mit dem Titel »Räumliches« (Kontakte V, #11.2; Stockhausen-Archiv, Kürten) 14 verschiedene graphisch dargestellte Raumskizzen, in denen

220 | D ER HÖRBARE R AUM

tionsparameter verstanden und ihn entsprechend in seine Komposition integriert hat. An der weiteren Differenzierung des Raumparameters in der Beschreibung der gesamten Komposition wird dies kenntlich. Stockhausen gibt darin die Alternativen zur Aufstellung von vier oder zwei Lautsprechern an und differenziert zugleich verschiedene Raumklangarten: »Alternierend« für zwischen den Lautsprechern wechselnden Klängen, »Rotation« für rotierende Klänge, unterschieden nach Richtung und Geschwindigkeit, »Flutklang«, bei dem zuerst nur ein, später zwei (oder in der Partitur auch drei) Lautsprecher den Klang leicht zeitversetzt ebenfalls ausstrahlen, was »den Eindruck durch den Raum flutenden Klanges erweckt«43, sowie »Schleifen«, mit denen eine x-förmige Bewegung des Klanges durch den Raum ausgeführt wird44. Die Begriffe »Flutklang« und »Rotation« sind auch in der Realisationspartitur mehrfach zu finden, während x-förmige Klangbewegungen (»Schleifen«) und alternierende Bewegungen nur in den Produktionsschemata erkennbar sind. Diese Produktionsschemata zeigen aber auch, dass es sich bei den von Stockhausen genannten Kategorien der Klangbewegungen um Grundformen handelt, deren Ausführungen virtuos und variantenreich produziert wurden. Rechts- und Linksdrehungen, Schleifen, Diagonal- und/oder alternierende Klangbewegungen zwischen zwei oder drei Lautsprechern sowie Flutklänge werden hinsichtlich Dauer und Lautstärke differenziert und auch in verschiedenen, parallel verlaufenden Klangschichten unterschiedlich gehandhabt wie in Abschnitt V45. Stockhausen beginnt mit zwei kurzen Klangbewegungen zwischen zwei an verschiedenen Orten angebrachten Lautsprechern und führt diese in getrennte Einzelklänge an allen vier Lautsprechern fort. Dann geht er in einen Diagonalwechsel über, dessen Verlauf sich verlangsamt und in unregelmäßige Wechsel ausläuft, während zugleich

43 44

45

meist auch Pfeile zu sehen sind. Sie sollen vermutlich die Bewegungsrichtung des Klanges andeuten, sodass der Eindruck der Serialisierung von klanglichen Raumzuständen bzw. damit verknüpften Bewegungen entsteht. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine stufenweise Fortentwicklung der Raumzustände wie bei der stufenweisen Differenzierung von Winkelgraden, sondern um verschiedene graphische Muster, die nur teilweise miteinander im Zusammenhang stehen. Karlheinz Stockhausen: Nr. 12 Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, Aufführungspartitur, London 1966, S. I. Alle zitierten Differenzierungen des Absatzes ebd. Schleifen und x-förmige Bewegungen befinden sich übrigens nicht unter den graphischen Raumdifferenzierungen auf dem Blatt »Kontakte V #11.2« (Stockhausen-Archiv, Kürten), wobei wohl aber verschiedene Formen, die als »Flutklang« bezeichnet werden können, sowie einige Halleinsätze. Stockhausen, Realisationspartitur von Kontakte, 1968, S. 33.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 221

eine Klangrotation mit anderem Klangmaterial an einem nicht von der Diagonalbewegung betroffenen Lautsprecher einsetzt. Auch diese Rotation verläuft nicht regelmäßig, sondern nur tendenziell schneller, da sich zwischendurch die Richtung ändert, an zwei Stellen »steht«46, wie Stockhausen notierte, und letztlich von einem Ritardando abgelöst wird. Zudem unterliegen die Abschnitte der Klangbewegungen dynamischen Gestaltungen47. Rotationen und/oder räumliche Klangbewegungen sind in allen anderen der insgesamt 13 Teile der Komposition zu finden. Dort sind sie jedoch meist anders notiert und schwerer zu überblicken, weil Stockhausen schon auf der Produktionsebene die Raumbewegungen der zweiten oder dritten Klangmischung herstellte48 und/oder Klangabläufe inkl. Raumbewegungen von gesamten Abschnitten nur selten als Gesamtschema darstellte49. Eine genauere Analyse des hörbaren Raums als integralen Bestandteils der Komposition steht damit noch aus50. Sie wäre zur genauen Einschätzung des Rotationstisches ebenso angebracht wie notwendig. Aus den bisherigen Befunden lässt sich Stockhausens sehr differenzierte Vorstellung von Raum ablesen und, dass er sie bereits weitgehend in seine Komposition integriert hatte. Er produzierte Klänge und Klangverläufe mit verschiedenen elektronischen Mitteln und ließ sie sich als Klangschichten im Raum bewegen oder auch nur von einem Lautsprecher in den Saal spielen. Die Position der vier Lautsprecher im Raum, die je eine Spur der produzier-

46 47 48

49

50

Ebd. Wie übrigens natürlich auch die Klangmischungen selbst, deren Produktion inkl. Lautstärkeverlauf jedoch an anderen Stellen beschrieben wird. Der Einsatz variiert allerdings je nach Abschnitt. So ist insbesondere zu Beginn der Komposition die Produktion von Raumbewegungen schon auf ›unteren‹ Ebenen dokumentiert, nach der Produktion von Mischklängen (z.B. Abschnitt I-C, S. 15 oder I-D, S. 16, oder Abschnitt IV-F, S. 25 der Realisationspartitur Stockhausen 1968). Dasselbe scheint für den Abschnitt III zu gelten. Hier ist an den Skizzen (Kontakte III #32 und #34; Stockhausen-Archiv, Kürten) abzulesen, dass Raum auf der Ebene, auf der auch Instrumente, Lage, Form etc. zusammengesetzt wurden, wie diese seriell behandelt wird. Dies dürfte also eine mittlere Kompositionsebene sein, da auf der untersten die Klang- bzw. Instrumenterzeugung steht. Abschnitt XI etwa ist wieder mit starken räumlichen Bewegungen inkl. Rotation, wie auf S. 54 (Stockhausen 1968) im Produktionsschema abgebildet. Deren genaue Produktion ist jedoch bereits auf S. 53 beschrieben, während die weiteren Raumbewegungen offenbar über die verschiedenen Verhallungen der verschiedenen Klangmischungen hergestellt wurden. Es ist hier nicht ganz zu erkennen, ob diese Klangschichten auch eigene Raumverläufe haben. Abschnitt XII dagegen scheint verschiedenen Flutklängen gewidmet (ebd., S. 55). Pascal Decroupet 2015 gibt einen guten Überblick und einen Ansatz zum Verständnis von Kontakte in Hinblick auf dessen Raumaspekte.

222 | D ER HÖRBARE R AUM

ten Komposition übertragen, ist definiert und damit letztlich zur räumlichen Disposition der Musik erklärt. Diagonale Klangbewegungen lassen ebenso wie die »Flutklänge« darauf schließen, dass es Stockhausen nicht allein um eine Musikpräsentation ging, die die Hörer aus einer auf die Seiten des Saals erweiterten Podiumssituation erreicht. Sie sollte ihnen nicht mehr gegenüber stehen, sondern distanziert um sie herum gebaut sein und aus Lautsprechern und Phantomschallquellen bestehen. Es ging Stockhausen um einen Klang, der den Hörer direkt erfasst und einhüllt. Er begriff den gesamten Saal als Aufführungsort und strukturierte ihn in der Komposition mit Klangbewegungen und stationären Klangorten in der Zeit51. Die Aufstellung der vier Lautsprecher etwa auf Ohrhöhe der Hörer zeigt zugleich, dass Stockhausen für Kontakte keine räumliche Dreidimensionalität vorschwebte, obwohl seine 1959 skizzierte Idealvorstellung eines modernen Konzertsaales dies vorsah: »Meinen Vorstellungen entspräche ein kugelförmiger Raum, der rundum mit Lautsprechern versehen ist. In der Mitte dieses Kugelraumes hinge eine schalldurchlässige, durchsichtige Plattform für die Hörer. Sie könnten von oben, unten und von allen Himmelsrichtungen eine für solche genormten Räume komponierte Musik hören. Die Plattform wäre über einen Steg erreichbar.«52 Diese Vorstellungen gab Stockhausen mit Kontakte auch keineswegs auf; er schob sie lediglich ein wenig in die Zukunft und konnte sie im Kugelpavillon auf der Expo in Osaka 1970 realisieren.

R AUMMUSIK AUF DER E XPO ’70 IN O SAKA Vom Kreis zur Kugel und zurück: Tonsteuerung im Kugelpavillon der Expo ’70 in Osaka Für die Expo 1970 in Osaka war von den japanischen Organisatoren frühzeitig der Wunsch geäußert worden, in den Pavillons landestypische Kultur zu präsentieren. Das deutsche Expo-Komitee plante daher, im nationalen Pavillon, der die Ausstellungen verschiedener Industriezweige zeigen sollte, Musik deutscher Komponisten zu spielen und aufzuführen. Fritz Bornemann entwarf den deutschen Pavillon als mehrteiliges Ensemble aus vier unterirdischen, kreisförmigen Hallen sowie einem kugelförmigen Auditorium ober-

51 52

Skizzen zur Raumdisposition deuten an (Kontakte V #11.2; Stockhausen-Archiv, Kürten), dass Stockhausen diese Vorstellung hatte. Stockhausen 1959, S. 60.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 223

halb der Erdoberfläche, dessen Gestalt mit Stockhausen abgestimmt war53. Stockhausen bezog sich in den spätestens 1968 begonnenen Planungen nicht nur auf den Bau des Pavillons mit 30 m Durchmesser und 800 Zuschauerplätzen, sondern auch auf eine spezielle elektroakustische Komposition. Sie trug den Titel Hinauf – Hinab und sollte auf den 8 vertikalen Ebenen der Kugel und den dort horizontal platzierten jeweils 8 Lautsprechern gespielt werden54. Im Oktober 1968 legte er umfangreiche und kostspielige Planungen für die technischen und musikalischen Produktionen vor, die am Ende jedoch anders realisiert wurden55. Für die Änderungen mitverantwortlich scheint ein neues Beratergremium des Osaka-Komitees gewesen zu sein, dem auch Heinz-Heinrich Stuckenschmidt angehörte56 und das im April 1969 neue Vorschläge zum Musikprogramm aller fünf Hallen vorlegte. Vorgesehen war nun, neben der Musik Stockhausens im Auditorium auch Programme mit Musik historischer und rezenter Komponisten zu spielen57. Es ist zu vermuten, dass Stuckenschmidt auch Fritz Winckel als Experten vorschlug, denn beide waren professorale Kollegen an der TU Berlin und arbeiteten dort seit langem eng zusammen58. Außerdem war Winckel der Gründer und Leiter des elektronischen Studios der TU und hatte seit den 1950er Jahren mehrfach große Veranstaltungen zu elektronischer Musik und ihrer Technik geleitet und zu diesem Thema sowie über Akustik von Konzertsälen publiziert. Am 20.5.1969 wurde Winckel offiziell eingeschaltet und erhielt den Auftrag, gemeinsam mit der Fa. Siemens das Auditorium zur Wiedergabe von Musik auszustatten. Sein erster, sehr umfangreicher Vorschlag datiert vom 23.6.196959 und enthielt bereits mehrere fundamentale 53 54 55

56 57 58

59

Frank Gertich, Julia Gerlach, Golo Föllmer: Musik…, verwandelt, das elektronische Studio der TU Berlin 1953–1995, Hofheim 1996, S. 196. Später wurde die Zahl auf 7 x 7 Lautsprecher reduziert, S. 167. Angaben nach Dieter Schnebel (Hg.): Karlheinz Stockhausen, Texte zur Musik, Bd. 3, Köln 1971, S. 153–187. Der Text enthält eine Dokumentation der Pläne, Durchführungen sowie der Korrespondenz zur Expo in Osaka 1970. Ferner befindet sich auf den Seiten 135–141 eine Darstellung der Komposition Spiral, die in Osaka im Kugelpavillon aufgeführt wurde. Ebd., S. 173. Schnebel (Hg.) 1971, S. 173f. Bereits im Wintersemester 1952/52 unterrichtete Fritz Winckel als Privatdozent am Lehrstuhl Stuckenschmidts und erhielt erst gegen 1967/1968 in einer Studienreform das eigene Fachgebiet »Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen von Sprache und Musik« (vgl. Martha Brech: Musikwissenschaft an der TU Berlin, in: 50 Years Studio TU Berlin, DEGEM DVD1, sowie https://www2.ak.tu-berlin.de/Geschichte /themen/MuWi_TUBerlin.html (19.5.2015). Schreiben von Fritz Winckel v. 23.6.1969: die elektroakustischen Einrichtungen für die Expo Osaka 1970, S. 1, Archivalien Osaka, Ordner 1, Register IJ, AK-Archiv,

224 | D ER HÖRBARE R AUM

Änderungen im Vergleich zur Planung von Stockhausen und Otto Tomek (WDR). Winckel regte nicht nur eine variable Anzahl horizontal angebrachter Lautsprecher an, die auf den jeweiligen Umfang und Durchmesser der vertikalen Ebene bezogen sein sollten. Er schlug auch eine neue Art der Klang- und Lichtsteuerung mit sensorbestückten Kugeln für LiveSteuerungen sowie eine Steuerungsautomatik für vorprogrammierte Darbietungen vor60, da die von Stockhausen geforderten Rotationsmühlen »zur manuellen Zuordnung einzelner Lautsprecher aus beliebigen Lautsprecherkreisen zu einer Tonspur … keine universelle Anwendung der Anlage gestatten«61. Weiterhin plante er den Bau eines einzelnen, am Boden der Kugel befindlichen Tieftonlautsprechers, der Frequenzen unterhalb 300 Hz wiedergeben sollte. Und nicht zuletzt forderte er die fast vollständige Schalldämmung des Auditoriums, denn der Kugelraum sei »infolge der Brennpunktbildung die ungünstigste Raumform. Es müssen daher jegliche Reflexionen vermieden werden.«62 Konzept und Bau der Ton- und Lichtanlage

Die Akustik eines Kugelauditoriums bereitete den Ingenieuren Claus Amberg und Manfred Krause, den insgesamt 22 studentischen Mitarbeitern und einigen Werkstatttechnikern des Studios der TU63, die sich in den folgenden Monaten vertragsgemäß mit der Entwicklung und dem Bau von zahlreichen der geplanten Einrichtungen beschäftigten, tatsächlich einige Probleme und

60 61

62 63

TU Berlin. Das gesamte Schreiben, das in mehreren Durchschlägen erhalten ist, umfasst acht Seiten und ein Inhaltsverzeichnis. Ein erster Auftrag wurde am 8.7.1969 von der »Arbeitsgemeinschaft IMAG-NOWEA für die deutsche Beteiligung der Weltausstellung in Osaka 1970« ausgestellt. Demnach wurde das Studio mit der Anfertigung von Geräten für die wesentlichen Punkten des eigenen Vorschlages betraut. Allerdings existieren auch noch Schreiben von Änderungswünschen, sodass aus den Unterlagen des Studios nicht ganz deutlich wird, wann der Vertrag endgültig geschlossen wurde und welchen Umfang er hatte. Ebd., S. 1f. Von den Sensor-Kugeln ist erst in Teil B, Punkt 3, S. 2f. (= S. 6f. des gesamten Textkonvoluts): »Betrieb durch Handsteuerung ›live‹« die Rede. Ebd., S. 1. Der Einwand bezieht sich auf das ebenfalls geänderte Programm-Konzept des Kugelpavillons, in dem nun nicht mehr ausschließlich die Musik Stockhausens präsentiert werden sollte. Ebd., S. 2. Die undatierte Liste »Löhne für studentische Hilfskräfte« enthält 22 Namen mit jedoch stark schwankenden Lohnangaben, was auf unterschiedliches zeitliches Engagement hindeutet (Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU Berlin).

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 225

sehr viel Arbeit. Nach Beschreibung von Fritz Winckel waren mehrere Messungen in Räumen mit stark gewölbten oder ganz kugeligen Formen nötig64. Abbildung 42: Plan der Lautsprecherverteilung im Kugelpavillon auf der Expo ’70 in Osaka; wie abzulesen, ist hier das Rasterprinzip modifiziert

aus: Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU-Berlin

Deren Ergebnis mündete offenbar in die Idee, den aufgrund der akustischen Dämmung fehlenden Gehöreindruck eines diffusen Schallfeldes durch künstliche Verhallung des Klangmaterials zu substituieren65. Im Grunde liefen die Überlegungen auf ein akustisches Raumkonzept hinaus, das die natürliche Schallausbreitung unterdrücken sollte, um den Raumklang möglichst exakt steuern und damit auch exakt komponieren zu können. Aus dieser Perspekti64

65

Eine Liste der »Expo-Auftragsarbeiten des TU Studios Berlin«, die vom 20.10.69 datiert, nennt im Ordnungspunkt C 5: »Erprobung der Kugelakustik im TU Radom und im Planetarium« (Archivalie des TU-Studios, S. 1). Dies beschreibt auch Winckel (in: Föllmer et.al. 1996, S. 197). Messergebnisse sind jedoch nicht mehr erhalten. Einzig eine 11-seitige handschriftliche Konzeption und eine Berechnung von Manfred Krause (mit Kürzel »Kr«) befinden sich noch im Studio-Archiv der TU / Osaka-Ordner. Handschriftliches Konzept im Osaka-Ordner des TU-Studios, vermutlich aus der Hand von Manfred Krause. Fritz Winckel beschreibt dieses Verfahren ebenfalls in seinem Aufsatz »Akustischer und visueller Raum, Mitgestalter der experimentellen Musik«, in: ders. (Hg.): Experimentelle Musik, Berlin 1970, S. 14. Vorgeblich handelt es sich bei diesem Aufsatz zwar um Winckels Beitrag zur gleichnamigen Konferenz 1968 in Berlin, doch sind weite Teile offensichtlich später entstanden, denn Winckel behandelt darin Fragen, die erst im Zuge des 1969 erhaltenen Auftrags zum Kugelauditorium für Osaka bearbeitet wurden.

226 | D ER HÖRBARE R AUM

ve wurde der architektonische Raum zum Kompositionsparameter. Diesem Ansatz entsprachen auch die Vorstellungen von Stockhausen, die erst durch das technische Konzept Winckels und seiner Mitarbeiter realisiert werden konnten. Ganz besonders die Verteilung der Lautsprecher auf der inneren Kugelfläche nach dem Rasterprinzip66, die von Winckel angeregt wurde, ermöglichte erst die genaue Darstellung und Kontrolle von Klangbewegungen nach dem Phantomschallquellenprinzip sowohl in horizontaler wie vertikaler Richtung (Abb. 42). Die Steuerung des Raumklangs und des Lichts sollte entweder automatisch über ein Programm auf einem Magnetband oder manuell erfolgen. Beide Möglichkeiten funktionierten auf Basis von Steuerfrequenzen, weshalb die Raumklangaufzeichnung für die spätere automatische Steuerung quasi direkt ›programmiert‹ werden konnte: Eine Aufführung mit der Sensorkugel (oder einem anderen Verfahren) wurde auf eine dafür vorgesehene Steuerspur des Magnettonbandes aufgezeichnet, auf dem sich auch die Komposition befand. Die Steuerbefehle für den Ton bewegten sich dabei im Bereich von 1–3 KHz, die Steuersignale für das Licht auf derselben Spur dagegen im Bereich von 7–8 KHz, sodass beide Signaltypen ausreichend voneinander getrennt waren. Gegenüber der Handsteuerung erfolgte eine Zusammenfassung zu 10 Gruppen, die je 5 Lautsprecher umfassten, wobei die Zuordnungen der einzelnen Lautsprecher zu den Gruppen am Kreuzschaltfeld individuell gewechselt werden konnten67. Diese Anordnung erfolgte im Hinblick auf die Aufführung von Programmen mit klassischer Musik wie die spezieller elektroakustischer Raum-Kompositionen für das Kugelauditorium von Boris Blacher, Eberhard Großkopf, Eberhard Schöner, Helmuth Zacher und Bernd-Alois Zimmermann68. Die Musik Stockhausens dagegen wurde in

66

67

68

Die Lautsprecher sollten etwa in gleichen Abständen zueinander angeordnet werden, während Stockhausen eine gleiche Lautsprecherzahl pro Ebene – trotz der unterschiedlichen Umfänge der einzelnen Lautsprecher – vorsah. »Elektroniksteuerung für audiovisuelle Kunst im Kugelstudio des deutschen Pavillons der Expo Osaka 70«, 6-seitige Information mit dem handschriftlichen Bleistiftvermerk »Siemens-Z« auf dem Deckblatt, Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU Berlin, S. 3. Dort ist auch vermerkt, dass auf Anregung von Karl Jakob (verantwortlicher Ingenieur der Fa. Siemens für die Expo Osaka) eine Pappschablone mit den jeweiligen Lochungen für jedes der Stücke angefertigt wurde, um ein schnelles Umstecken bei der Präsentation im Auditorium zu ermöglichen. Helmuth Zacher spielte eine eigenständige Raumfassung mit Orgelmusik von Johann Sebastian Bach für das Kugelauditorium ein und wird gelegentlich in den Archivalien als Komponist genannt. Bei den anderen Namen handelt es sich um Komponisten moderner Musik, deren Musik in kurzen Konzerten und wechselnden Programmen neben der Musik Beethovens und Bachs gespielt wurde.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 227

Bühnenkonzerten mit Musikern und Live-Aussteuerungen von ihm selbst oder von seinen Mitarbeitern aufgeführt. Abbildung 43: Schaltung und Mechanik der ›Sensorkugel‹

aus: Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU-Berlin

Für die manuelle Steuerung entwickelten Winckel und seine Mitarbeiter eine mit Drucktasten ausgestattete Kugel (Abb. 43): Jedem der 50 Lautsprecher war eine Sensortaste zugeordnet69, die auf Druckintensität und Tastenhub in einer Lautstärkedynamik von 55–60 dB reagierte70 und auf photoelektrischem Weg ein »Impulsformer« genanntes Element ansprach71. Es blendete

69 70

71

Mittels eines Modulors war jeder Sensortaste eine Steuerfrequenz zugeordnet. Vgl. Fritz Winckel: »Elektronische Steuerung audiovisueller Musik im Kugelstudio auf der Expo 1970 in Osaka«, in: Internationale elektronische Rundschau, 1970, Nr. 3, S. 83. »Funktionsbeschreibung der Licht- und Tonsteuerung«, 3-seitige Archivalie Osaka, AK-Archiv, TU Berlin (lose Blätter, ungeordnet), S. 2. Der Dynamikumfang von 55–60 dB ist dort jedoch nicht vermerkt, er findet sich aber in einer weiteren zweiseitigen Beschreibung mit dem Titel »Elektronische Steuerung der audiovisuellen

228 | D ER HÖRBARE R AUM

langsam den zugehörigen Lautsprecher ein, wobei die Lautstärke dem Druck entsprach, der auf die Sensortaste ausgeübt wurde. Bei Lösung des Drucks blendete sich die Lautstärke automatisch wieder aus72. Somit ermöglichte die Kugel, die mit ihren 14 cm Durchmesser gut von beiden Händen zu umfassen war, die exakte Steuerung des Klangs im Raum per Hand. Eine zweite Kugel für die Steuerung des Lichts im Auditorium wurde ebenfalls gebaut. Beide Einheiten waren rückgekoppelt und konnten über eine zugeordnete kleine Birne in einem kugelförmigen Modell Fehlfunktionen anzeigen. Aufführungspraxis: Sensorkugel versus Tonmühle

Doch was in der Theorie und in den zahlreichen Simulationsdurchläufen im Studio gut funktioniert hatte, schien in der täglichen Praxis des Dauerbetriebs der Expo Probleme aufgeworfen zu haben. Neben eher allgemeinen technischen Einschränkungen, die z.B. von ungewohnten Wetterbedingungen und verspäteten Installationen am Gelände hervorgerufen worden waren73 und gelegentlich zu Störungen führten, schien die Sensorkugel für die Tonsteuerung im Konzert schwer bedienbar zu sein und nicht in die von Stockhausen geplanten Abläufe zu passen. Eine gleichzeitige Bedienung des Mischpultes und der Sensorkugel von einer Person erwies sich als unmöglich74. Schon im April berichtete Claus Amberg in einem Brief an Fritz Winckel, dass er wegen ihrer Nichtbenutzung provisorische bauliche Veränderungen an der Tonkugel vorgenommen habe und nur insgesamt 3 Ringe für 20 Lautsprecher nutze. Die Halbkugel solle auf ein Brett rechts auf das Mischpult montiert werden, damit »wenigstens ein Teil unserer Steuerung

72

73

74

Musik im Kugelstudio des deutschen Geländes der Expo 1970 in Osaka« aus dem Studio der Technischen Universität Berlin auf S. 2. Diese ›Überblendautomatik‹ beschreibt Fritz Winckel in: Die Problematik der Kugel-Raumakustik, in: Der Mensch und die Technik, Beilage der Süddeutschen Zeitung vom 29.7.1970, S. 4. Winckel sah als Grund für den Entwurf nur die Vermeidung von Einschaltklicks und geht auf das Thema der Phantomschallquelle gar nicht ein. Dies jedoch hebt Manfred Krause in: Ein Fachgebiet erinnert sich, hervor. (https://www2.ak.tu-berlin.de/Geschichte/chrono/Ein-Fachgebiet-erinnert-sich.html, 19.5.2015). Claus Amberg, Manfred Krause und Eberhard Hotz, die zeitversetzt in Osaka die Anlage betreuten, berichteten Winckel mehrfach brieflich davon (Archivalien Osaka, Ordner 1, AK-Archiv, TU Berlin). Die in den Osaka-Materialien des AK-StudioArchivs gesammelten Zeitungsausschnitte berichten dies ebenfalls. Brief v. 30.6.1970, S. 2; Archivalien Osaka, Ordner 1, Register H, AK-Archiv, TU Berlin. Hotz führte aus, dass allein eine Person völlig mit der Bedienung der Sensorkugel in Anspruch genommen sei.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 229

von Stockhausens Leuten benutzt«75 wird. Dieser Umbau sollte für die obersten 3 Ringe bzw. Ebenen der Kugel (mit 2 x 5 und 1 x 10 Lautsprechern) gelten, während in den mittleren Ringen mit je 10 Lautsprechern 2 Tonmühlen eingesetzt werden sollten76. Mit zwei Tonmühlen wollte Stockhausen bereits 1968 den Klang im Kugelpavillon steuern77. Der von Amberg geplante Umbau war also auch eine Erweiterung von Stockhausens ursprünglichem Vorschlag, den Stockhausen nicht aufgegeben hatte. Nach der Stückliste der vom Studio nach Osaka versandten Geräte befand sich in den Transportkisten des Studios auch ein Rotationsschalter (rotary switch)78. Schon dessen geringer Wert von 150 DM (im Vergleich zu den 750 DM für die Tonkugel) lässt vermuten, dass es sich dabei nicht um die Tonmühle handelte, die Claus Amberg vorab beschrieben hatte: »Die Tonmühlenkontakte entsprechen also den Steuerkanälen der Tonfilter-Automatik, d.h. jeder Kontakt der Tonmühle schaltet 5 Modulatoren gleichzeitig an oder aus. Die Tonmühle wurde außerdem noch mit 10 Tasten versehen, die parallel zu den Drehkontakten wirken. Damit kann man den Ton im Raum kreisen und springen lassen, wenn man die Modulatorstecker in entsprechender Weise in das Ausgangs-Kreuzschaltfeld des Tonmischpults der Fa. Siemens steckt.«79 Die Ausführung dieses Plans hätte die Sensorkugel überflüssig gemacht, doch da in den Briefen von Amberg und Hotz immer wieder von deren Umbau die Rede ist und Amberg die Kugel mit zwei Tonmühlen kombinieren wollte, wird eine vertikal und horizontal wirkende Tonmühle wohl nicht in der beschriebenen Form existiert haben. Doch mindestens eine Tonmühle war in Osaka vorhanden. Ihr Gebrauch ist in den o.g. Briefen, der Versandliste, einem späteren Bericht Stockhausens80 und in einem Blockschaltbild dokumentiert (Abb. 44)81.

75 76 77

78

79

80

Claus Amberg an Fritz Winckel, Brief v. 22.4.1970, S. 5; Archivalien Osaka, Ordner 1, Register A, AK-Archiv, TU Berlin. Ebd., S. 6 mit Skizze. Stockhausen 1971, S. 170. Stockhausen hatte zwei Rotationsmühlen für sein Projekt Hinauf – Hinab geplant. Eine dort angemerkte Zeichnung ist jedoch nicht im Band erhalten und auch nicht im Stockhausen-Archiv zu finden. S. lfd. Nr. 14, in: Auflistung der Geräte für die Expo Osaka, maschinengeschriebene Liste für die Spedition Lassen, S. 1, 2 und 7; Archivalien Osaka, Ordner 1, Register KL, AK-Archiv, TU Berlin. Die undatierte maschinengeschriebene Darstellung der gesamten Ton- und Lichtsteuerung war nur im Stockhausen Archiv, Kürten zu finden (Osaka-Ordner, S. 10f. unter Punkt »3. Die 10 Schaltausgänge einer Tonmühle«). Karlheinz Stockhausen 1978, S. 390, Stockhausen nennt sie »Rotationsmühlen«. Der Text entstand 1972 und wurde 1973 erstmals publiziert. Der Bericht wurde somit in zeitlicher Nähe zu den Konzerten in Osaka verfasst.

230 | D ER HÖRBARE R AUM

Abbildung 44: Blockschaltbild mit ›Sensorkugeln‹ für die Ton- und Lichtsteuerung im Kugelpavillon auf der Expo in Osaka; auch eine ›Rotationsmühle‹ ist eingezeichnet

aus: Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU-Berlin

Es könnte sich dabei um die 1960 in der Werkstatt des Studios gebaute Tonmühle handeln, deren Entwurf von Manfred Krause stammte. Nach den Angaben von Gertich, Gerlach, Föllmer funktionierte sie, indem eine über einen starken Leistungsverstärker verlaufende Schallleitung mit einer Kurbel, die mit einer Tonleitung verbunden war, über zwei Schleifringe auf einem kreisförmigen Widerstandsdraht gedreht wurde. An dem Widerstandskreis waren 10 Lautsprecher angebracht, die je nach Position der Kurbel und der Schleifringe den Schall übertrugen82. Krause hatte sich bei ihrer Entwicklung von Stockhausens Rotationstisch anregen lassen83. Die ähnliche Funktionsweise beider Geräte spricht für den Gebrauch von Krauses Tonmühle oder eines

81 82 83

Expo ’70 Osaka Auditorium des deutschen Pavillons, Audiovision, Archivalie Osaka, Ordner 2, AK-Archiv, TU Berlin. Gertich, Gerlach, Föllmer 1996, S. 111f., Abb. S. 111; Skizze heute nicht mehr auffindbar. Ebd.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 231

sehr ähnlichen Nachbaus in Osaka. Ohnehin wäre sie nur als Provisorium gedacht gewesen, denn sowohl Amberg als auch Hotz berichteten Winckel über begonnene Um- und Neubauten der Tonmühle sowie deren Bedarf in doppelter Form84. Welche der beiden Handsteuerungen jedoch in welchem Kontext in Osaka angewendet wurde, ist nicht mehr bekannt; beide sind ebenso wie ihre elektrischen Baupläne verloren85. Die der Sensorkugel inhärente Idee der variablen Raumklangbewegung scheint daher zumindest in der Live-Steuerung nicht wirklich ausgenutzt worden zu sein, denn die Tonmühlen ermöglichten lediglich eine Kreisbewegung. Unabhängig von der mit den manuellen Tonsteuerungsgerätes im Kugelpavillon ausgeführten Klangbewegungsformen und -richtungen zeigen die Skizzen zu den Umbauten, dass die Saalakustik schwer zu handhaben war, denn sie konzentrieren sich auf die Steuerung weniger nach oben ausgerichteter Lautsprecherkreise. Sie bestätigen damit indirekt die Problematik der kugelförmigen Akustik, die schon in der Planungsphase 1969 deutlich geworden war, die Problematik des kugelförmigen auditiven Wahrnehmungsfeldes sowie insbesondere die Problematik der mangelhaften Wahrnehmung nach unten, die sich bereits in den psychoakustischen Experimenten von William Thierry Preyer, Karl Schäfer und Felix Arnheim Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt hatten. Doch waren diese Erkenntnisse unter Akustikern Mitte des 20. Jahrhunderts wohl nicht bekannt. Immerhin war die musikali-

84

85

Amberg April 1970 (ohne Tagesdatum) und Hotz (30.6. und 29.7. 1970; alle drei: Archivalie Osaka, Ordner 2, AK-Archiv, TU Berlin). Gertich, Gerlach, Föllmer (1996, S. 204) schreiben, dass zwei Tonmühlen in Osaka gebaut wurden. Tonmühle und Sensorkugeln scheinen in Osaka geblieben zu sein, denn sie finden sich nicht auf den Pack- und Zolllisten der alten Unterlagen des TU-Studios. Erhalten sind lediglich zwei Briefdurchschläge von Fritz Winckel, in denen er nach diesen Geräten sucht und um die Übersendung bittet. In den Stücklisten der Pakete in den Archivalien des TU-Studios (s. diverse Stellen im Ordner 1, Osaka, AK-Archiv, TU Berlin) sind sie nicht aufgeführt. Stattdessen befindet sich am Ende einer »Aufstellung der Geräte für die Expo Osaka« an die Spedition Lassen vom 27.1.1970 der Vermerk: »Sämtliche Geräte werden nach Schluß der Ausstellung im Oktober zurückgefordert. Es kann allerdings sein, daß manche Geräte unbrauchbar geworden sind, so daß bei diesen auf einen Rücktransport verzichtet wird. Es handelt sich fast durchweg (mit Ausnahme der Posten 15–20) um selbstgebaute Laborgeräte, die äußerst empfindlich sind und deshalb keine lange Lebensdauer haben. Die Posten 15– 20 müssen auf alle Fälle zurückgesandt werden.« (Archivalien Osaka, Ordner Osaka 1, Register L, AK-Archiv, TU Berlin). Da zur Zeit des Abbaus in Osaka längst kein TU-Mitarbeiter mehr vor Ort war, ist sehr wahrscheinlich, dass die Sensorkugeln, Steuerpulte u.a. TU-Geräteentwicklungen gar nicht erst nach Berlin verschifft wurden. Dies deckt sich mit den späteren Angaben Manfred Krauses, der in den 1990er Jahren mehrfach davon berichtete, dass die Sensorkugeln in Osaka geblieben seien.

232 | D ER HÖRBARE R AUM

sche und die akustische Arbeit an dreidimensionalen Umgebungsklängen noch nicht sehr weit gedrungen, was auch an den akustischen Messungen mit Kunstköpfen um 1970 abzulesen ist. Aus raumakustischer Sicht waren die Erfahrungen mit dem Kugelpavillon in Osaka deshalb ebenso wertvoll wie neu. Die Technologie der Raumklangsteuerung für die Klangbewegungen konnte hingegen schon aus Gründen der kurzen Zeitspanne für die Entwicklung nicht wesentlich neu sein. Eine ähnliche Art der Steuerung war zudem schon im Philips-Pavillon 1958 vorhanden gewesen. Sie war 1970 also keine Pionierarbeit, selbst wenn die Entwicklung der Sensorkugeln eine Novität darstellte. Die Anordnung von Lautsprechern in Rastern ist um 1970 mehrfach zu finden, etwa in der Planung für die dreidimensionale Beschallung im Vortragsraum des staatlichen Instituts für Musikforschung (SIM) in Berlin86, die jedoch erst später realisiert wurde, sowie in den 1969 in New York begonnenen Planungen für einen dreidimensionalen Soundcube des KlangArchitekten Bernhard Leitner, die ebenfalls erst später realisiert wurden87. An Rasteranordnungen orientierten sich im Tonstudiobau auch die um 1970 aufkommenden Steckverbindungen auf Kreuzsteckfeldern, die Geräteverbindungen mit einem Stecker ermöglichten und deshalb den vorher üblichen, umständlichen Kabelverbindungen überlegen waren. Kreuzsteckfelder standen auch am Regiepult des Kugelpavillons zur Verfügung (Abb. 45). Rasteranordnungen waren also eher modern als neu und die Idee, einen zentralen Tieftonlautsprecher am Boden des Kugel-Pavillons zu installieren, wurde seit den 1940er Jahren praktiziert und war auch im Beschallungsplan des Philips-Pavillon 1958 enthalten; es war deshalb kein gänzlich neu entwickelter Ansatz zur Raumbeschallung. Insgesamt scheint der Kugel-Pavillon trotz

86

87

Die Grundplanung stammte noch von Hans Scharoun. Die ambiophone Einrichtung des Konzertsaales wurde spätestens beim Bau des Instituts neben der Philharmonie vorgenommen, war nach mündlichen Angaben (ca. 1986) des damaligen Direktors Hans-Peter Reineke jedoch schon von Scharoun geplant. Rauschfrei einsetzbar wurde die Anlage jedoch erst ungefähr im Jahr 2000. Dokumente dazu befinden sich z.B. in dem Katalog: Hamburger Bahnhof (Hg.): Bernhard Leitner, Museum für Gegenwart 12, 2008, S. 1–50, wobei die dort abgebildeten handschriftlichen Zeichnungen für den Soundcube aus dem Jahr 1969 stammen. Die Photos von den Versuchen mit an Stangen monierten Lautsprecheranordnungen, die aber weniger regelmäßig im Raum verteilten waren, sind aus den Jahren 1972 und 1973. Ab 1984 konnte Bernhard Leitner seinen Soundcube als Kunst am Bau-Projekt an der TU Berlin realisieren. Er ist bis heute dort in Betrieb (Hauptgebäude, Lichthof, 2. Stock Nord-West) und wird regelmäßig mit neuer Wiedergabetechnik und Klang-Programmen erweitert.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 233

seiner Einmaligkeit keine spektakuläre Pionierleistung gewesen zu sein, sondern eher ungewöhnliche Ingenieurs- und Musikkunst. Abbildung 45: Blockschaltbild der manuellen und automatischen Ton- und Bildsteuerung in der Regieanlage (ohne Rotationsmühle)

aus: Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU Berlin

Die Tonanlage im Steel-Pavillon und die dort präsentierte Musik Ähnlich lässt sich auch die dreidimensional ausgerichtete Tonanlage im Pavillon der japanischen Eisen- und Stahlföderation auf der Expo in Osaka einschätzen, obwohl sie deutlich größer dimensioniert war als die Anlage im Kugelpavillon und auch weitaus mehr Neuerungen enthielt, die perfekter geplant und umgesetzt waren: Im 1600 qm großen und 17 m hohen rechteckigen Space-Theatre genannten Konzertsaal waren über 1000 Lautsprecher in alle Wände und Decken verbaut worden oder hingen teilweise gut sichtbar

234 | D ER HÖRBARE R AUM

von der Decke herab und beschallten die um die runde Bühne angeordneten Zuhörerplätze88 (Abb. 46). Abbildung 46: Das ›Space-Theatre‹ im Steel-Pavillon auf der Expo in Osaka und eines der Raummikrophone (b)

aus: Broschüre ›Space Theatre‹

88

Photo in Broschüre: Space Theatre / Steel Pavillon, Expo ’70, Innenblatt rechts, Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU Berlin. Man erkennt dort auch, dass der Konzertsaal ein rundes Auditorium hatte, das aber in einem rechteckigen Raum installiert war. Über die Details der Lautsprecherhängung und der Steuerungen im SteelPavillon ist in Europa nichts bekannt geworden.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 235

Das Klangsystem des Konzertsaals stand unter der Gesamtleitung des Komponisten Toru Takemitsu und war von Takashi Fujita, dem Chefingenieur des NHK-Labors, entwickelt worden. Es konnte automatisch gesteuert werden, wobei die Aufzeichnung von einem, von Solarzellen gespeisten 16mmFilmprojektor stammte89. Live-Konzerte dagegen wurden per Hand im Kontrollraum ausgesteuert, weshalb eine mit ca. 12 in alle Richtungen zeigenden Mikrofonen bestückte Kugel ebenfalls in der Mitte des Auditoriums aufgehängt war, die die Raumklänge in den akustisch abgeschirmten Kontrollraum übertrug90 (Abb. 46b). Mehrere Komponisten waren beauftragt worden, Raummusik für diesen Saal und seine Tonanlage zu produzieren91. Zu ihnen gehörte Toru Takemitsu, der seine Raumkomposition Crossing für im Raum verteilte Orchestergruppen, Soloinstrumente und Stimmen im Space Theatre präsentierte92, und Iannis Xenakis, der seine räumliche Mehrkanal-Komposition Hibiki-Hana-Ma dafür produzierte93. Eine weitere musique concrète Mehrkanal-Produktion mit dem Titel Yé Guèn stammte von Yuji Takahashi, der dafür die Stahlinstrumente von François und Bernard Baschet im Foyer des Steel-Pavillons94 aufgenommen und mit einem von ihm selbstprogrammierten IBM-360-Computer bearbeitet hatte95. Ferner stand die Bandmontage mit dem Thema Years of Ears – What

89 90 91 92

93

94

95

Broschüre: , Steel Pavillon, hrsg. von: The Japan Iron and Steel Federation, S. 5; Archivalien Osaka, AK-Archiv, TU Berlin. Zu sehen ist diese Mikrophonkugel zwischen den Lautsprechern auf dem oben zitierten Photo sowie auf einem Einzelphoto auf der Seite gegenüber. In der Broschüre »Steel Pavillon« (FN 91) sind die Kompositionen des SpaceTheatre auf S. 7–11 von T. Funayama und O. Yamaguchi beschrieben. In der verbalen Beschreibung der Komposition (ebd., S. 7) ist kein Einsatz elektroakustischer Mittel bei der Raumdisposition beschrieben; sie könnte dennoch versteckt stattgefunden haben. Zur Analyse des Raumaspektes siehe: Ralph Paland: »…every movement is possible«; Spatial Composition in Iannis Xenakis’s Hibiki-Hana-Ma, in: Brech und Paland (Hg.), 2015, S. 305–320. Der Bildhauer François Beschet hatte die Stahl- und Glasinstrumente als Auftrag der Pavillonbetreiber gebaut (Broschüre: Steel-Pavillon, S. 3f. und S. 19–21 mit Zeichnungen und schriftlichen Beschreibungen; ein Photo befindet sich auf dem Deckblatt der Broschüre »Space-Theatre« (s. FN 90). Ebd., S. 9. Aus der kurzen Beschreibung der Raumdisposition dieses Stückes (»sound…played back through twelve channels in three-source Stereo in four layers«) wird jedoch nicht ganz klar, wie Takahashi sie erdacht hatte.

236 | D ER HÖRBARE R AUM

is Music von T. Takemitsu, S. Tanikawa, M. Ooka, A. Takeda, T. Funayama und K. Usami auf dem Programm des Space-Theatre96. Vergleiche Nur 12 Jahre nach dem Philips-Pavillon mit seiner unregelmäßigen, speziellen Architektur unterstreichenden Lautsprecherinstallation, waren 1970 daraus zwei sehr verschiedene Konzepte mit universell einsetzbaren und von mehreren Komponisten nutzbaren Lautsprecheraufstellungen und deren automatischen und manuellen Steuerungen geworden. Weiterentwicklungen waren sie sicher, aber nichts gänzlich Neues, was sich auch an anderen Aspekten ablesen lässt. Ob Kugel oder Kubus: Schon rein äußerlich waren beide Pavillons für dreidimensionale Kompositionen 1970 weitaus weniger spektakulär als der Pavillon von Le Corbusier in Brüssel. Ungewöhnlich war allenfalls die kreisförmige Sitzanordnung im Innern beider Pavillons aus dem Jahr 1970. An dieser Form orientierten sich letztlich auch die beiden tontechnischen Anlagen, obwohl sie unterschiedlich dimensioniert waren und im Detail anderen Konzepten und deren Umsetzungen folgten. Im Vergleich zum Philips-Pavillon waren aber auch hier keine wesentlichen Neuerungen festzustellen, die über reine Präsentationstechnologien und deren Optimierung hinausreichten. Auch dreidimensionale Raummusik bzw. die Bewegung von Klängen im Raum war nun deutlich etablierter als 1958. Sie stellte noch eine kompositorische Herausforderung dar und war deshalb Gegenstand von Experimenten, doch sie hatte 1970 den Exotenstatus bereits verloren, wie auch an der bereits dargestellten Entwicklung des Kunstkopfes und der damit verbundenen Entstehung der Gattung Kunstkopf-Hörspiel ab 1973 zu erkennen ist. An die technischen Vorgaben war sie dennoch gebunden, und diese entwickelten sich in der folgenden Zeit weiter.

Ü BER DEN K REIS HINAUS : D IFFERENZIERUNGEN RÄUMLICHER K LANGBEWEGUNGEN UND NEUE R AUMKLANGKONZEPTE Mitte der 1970er Jahre entstanden neue Geräte zur räumlichen Klanggestaltung. Sie bauten wie der zuvor beschriebene Kunstkopf auf den Entwicklun96

Obwohl dies in der Broschüre (S. 10f.) nicht angemerkt ist, wird diese Collage wohl das Tagesprogramm des Space-Theatre gewesen sein.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 237

gen und Erfahrungen der Vorgängergeräte und -konzepte auf, stellten sich aber gleichzeitig als weitere Differenzierungen zur Produktion von räumlichen Klangbewegungen oder auditiven Raumgestaltungen dar. Sie ermöglichten eigenwillige, an einzelne Studios und deren Geräteentwicklungen gebundene Raumklang-Produktion. Soweit es die reine Geräteentwicklung betrifft, ist die Basis der frühen Konzepte aus Paris (Musique concrète) und Köln (Elektronische Musik) offenkundig. So entstanden mit dem Rotationstisch II und dem Halaphon zwei Geräte, die auf dem Prinzip der räumlichen Klangrotation aufbauten, während zunächst in Paris und in dessen Umfeld, später auch in anderen französischsprachigen Regionen, Lautsprecherorchester entwickelt wurden, mit denen eine differenzierte Plastik der Klänge im Raum erzielt werden konnte. Die überwiegende Zahl dieser Geräteentwicklungen ab 1970 war für den universellen Einsatz geplant und gebaut. Durch ihren Gebrauch in der Musik international tätiger Komponisten verbreiteten sich die konzeptionellen Raumgestaltungsansätze schnell in der elektroakustischen Musik weltweit. Dort führten sie zu Weiterentwicklungen, die jedoch meist ausschließlich digitale Technologie anwandten, wie die Mitte der 1980er Jahre von Giuseppe Di Giugno am IRCAM in Paris gebaute 4 XMaschine. Weiterentwicklungen der räumlichen Klangrotationen Rotationstisch II

Im Sommer97 und Herbst 197298 legte Stockhausen in zwei Vorträgen seine Ideen zur Raummusik der Öffentlichkeit vor. Mit Bezug auf seine früheren Kompositionen und die Erfahrungen mit dem Kugelauditorium in Osaka mit Raumanteilen wie Raumtiefe99, Abstand von Schallquellen100 und räumlicher Klangbewegung inkl. Richtung und Geschwindigkeit101 sprach er über deren Produktion und die verwendeten Geräte. Anschließend stellte er seine neuesten Vorstellungen zur Komposition und Produktion von Raum und Raumelementen vor. Einige Modifikationen seiner bisherigen Konzepte wie die Vorstellung, nun Raummusik in halbkugelförmigen oder achteckigen Sälen

97 98

Karlheinz Stockhausen 1978, S. 360–401 = Stockhausen 1978a. Karlheinz Stockhausen: Die Zukunft der elektroakustischen Apparaturen in der Musik, ebd., S. 425–436 (Überarbeitung und Publikation des Artikels 1974, vgl. S. 425) = Stockhausen 1978b. 99 Stockhausen 1978a, S. 385. 100 Ebd., S. 386. 101 Ebd., S. 382f.

238 | D ER HÖRBARE R AUM

aufzuführen102, oder die Weiterentwicklung seiner Ideen zur Klangrotation waren darin enthalten. So stellte sich Stockhausen beispielsweise vor, einen komplexen Klangwandler bauen zu lassen, ein Gerät, das zahlreiche Funktionen der üblichen Verfahren der Elektronischen Musik enthalten sollte. Externe Toneingänge sollten ebenso vorhanden sein wie interne Tongeneratoren, Frequenzmodulation, Filter etc.103. Auch eine Rotationsmühle und einen Wahlschalter für die Ein- und Ausgangsschaltung waren als Komponenten geplant. Nach den Zeichnungen des niemals gebauten Instruments hätte der Durchmesser der Rotationsmühle etwa 8–10 cm betragen104, recht klein also, aber geeignet zur Ausführung schneller Rotationsbewegungen, die Stockhausen inzwischen vorschwebten105. Um Umdrehungszahlen von über 16 pro Sekunde zu erreichen, plante Stockhausen zusätzlich den Bau eines weiteren, motorgetriebenen Rotationstisches für 8-kanalige Aufnahmen und Übertragungen106, der auch realisiert wurde107. Dieser »Rotationstisch für akustische Schalleffekte, stufenlos regelbar durch einen Generator 0 … 25 U/sek.«, wie es auf der Zeichnung des WDR heißt108, war auf der Basis einer massiven Stahlkonstruktion gebaut, die zugleich als Gehäuse für den Motor und als Träger für die umschlossene Drehplatte diente (Abb. 47). Diese war mit zwei sich gegenüberliegenden und nach außen abstrahlenden Lautsprechern bestückt. Deren Klangbewegungen wurden von 8 Mikrophonen des Typs KM 25 der Fa. Neumann aufgenommen, die in 20 cm Abstand von dem Rotationskörper kreisförmig und in regelmäßigen Abstand zueinander aufgestellt waren.

102 Ebd., S. 390. 103 Stockhausen 1978b, S. 426ff. 104 Abb. ebd., S. 429. Die Größe bemisst sich nach der Größe der ebenfalls handelsüblichen abgebildeten Flachbahnregler. 105 Stockhausen 1978a, S. 392. 106 Stockhausen 1978b, S. 431f. 107 Die genaue Datierung bereitet Schwierigkeiten, da nach Stockhausens Angaben der Rotationstisch II spätestens Mitte 1974 fertig gestellt gewesen sein muss (ebd., S. 431), denn zu diesem Zeitpunkt war der Aufsatz ursprünglich erschienen. Alle Versuchsdaten zum Umgang mit dem neuen Gerät datieren auf ein Jahr später (s.u.). Nach den Angaben von Volker Müller (Gespräch am 23.7.2012 in Köln-Ossendorf) wurde der Rotationstisch II im Kontext der Beauftragung Stockhausens durch die damalige Bundesregierung mit einer Komposition für die Feier des 200-jährigen Bestehens der USA 1976 gebaut, also 1975. 108 Abbildung in: Karlheinz Stockhausen: Kompositions-Kurs über Sirius, Kürten 2000, S. 43f. Dies ist jedoch nur ein Ausschnitt der gesamten technischen Zeichnung, die sich im Stockhausen-Archiv, Ordner Sirius, Fotos und Schaltpläne, befindet und auf den 9.2.1994 datiert ist.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 239

Im Sommer 1975 führten der Tonmeister Otto Kränzler und Stockhausen Experimente zur Erzeugung höherer Drehzahlen und verschiedener Klangeffekte durch. Besonders Kränzler109 beschäftigte sich mit Fragen der Drehzahlerhöhung mit und ohne Transpositionen durch Veränderung der Aufnahmegeschwindigkeit für die Raumformen »Rotationen, Schleifen, Pendeln«110. Dieses Ziel wollte er dadurch erreichen, dass er bis zu 16 Mikrophone eng beieinander im Halbkreis um den Rotationstisch stellte, den zweiten Halbkreis dämmte und beide Lautsprecher des Rotationstisches betrieb111. Eine bis zu achtfache Vervielfachung hätte sich nach seinen Angaben mit der Verminderung der Aufnahmespuren auf vier Spuren ergeben können112. »Jedoch bieten sich auch da noch die beschriebenen Möglichkeiten der Vervielfachung, so daß man mit Oktavtranspositionen auf Frequenzen von über 600 Hz bei 4 Kanälen hoffen darf«113, schreibt er mit Bezug auf einen geplanten Betrieb des Rotationstischens von bis zu 70–80 Hz. Abbildung 47: Der ›Rotationstisch II‹

aus: Morawska-Büngeler 1988, vor S. 73. 109 Brief von Otto Kränzler aus Stuttgart an Stockhausen am 1.8.1975 mit angehängten handschriftlichen Skizzen und Verfahrensbeschreibungen (Stockhausen-Archiv, Kürten, Ordner Sirius). 110 Ebd. Sie sind auch in den handschriftlichen Skizzen erkennbar, die dem Brief beigefügt sind. 111 Ebd., HS-Blatt 2v der Drehzahlvervielfachung mit Skizze. 112 Ebd., r und Blatt 3. 113 Ebd., S. 1.

240 | D ER HÖRBARE R AUM

Diese extreme Nutzung notierte Stockhausen in seinen Versuchen später nicht, er verwandte aber die halbkreisförmige Aufstellung von acht Mikrophonen114. Außerdem arbeitete er mit Tonbandtranspositionen, die er schon mit dem ersten Rotationstisch ausprobiert hatte115 und stellte Versuche mit der stufenlos regelbaren Geschwindigkeit des Rotationstisches II an. Sie führten zu Glissandi oder ggf. auch stufenförmigen Transpositionen und anderen Effekten wie »Rotationsschwebungen« und »Vertikalkreisen«116 sowie verschieden rotierenden Klängen mit ungenannten Ausgangsklängen117. Damit geht die Funktion des Rotationstisches II über die Produktion klangräumlicher Bewegungen hinaus in die Produktion tonräumlicher Bewegungen. Eine ähnliche Überschneidung des Klanggestalterischen und der Rotation war auch im nicht gebauten Klangwandler enthalten. Konzeptionell ist dies folgerichtig, denn Raum wurde von Stockhausen immer komplexer und minutiöser gestaltet und erschien immer weniger spezieller Parameter, sondern selbstverständlicher Teil der gesamten Komposition zu sein. Gleichzeitig ermöglichten neue Synthesizer – besonders der EMS 100, der Stockhausen ebenfalls zur Verfügung stand – auch weniger komplizierte und aufwändig zu produzierende Klangentwicklungen und -bewegungen. Kränzlers Brief enthält deshalb auch eindeutige Vergleiche zwischen den Möglichkeiten des Rotationstisches II und dem EMS 100118, den Stockhausen bei der vollständigen Uraufführung von Sirius als wichtiges Produktionsmittel nannte119. So blieb es wohl bei dem einmaligen Einsatz des Rotationstischs II in einer Komposition120 zur Erzeugung von kreisenden, pendelnden Klangbe-

114 »Rotationsschwebungen«, Versuchsprotokoll, datiert v.19.8.1975, (Ordner Sirius, Stockhausen-Archiv, Kürten). 115 Stockhausen 1978b, S. 431. 116 Stockhausen-Skizze zu Sirius v. 19.8.1975 (Ordner Sirius, Stockhausen-Archiv, Kürten). 117 Protokolle undatiert, folgend 31.7.1975 und 12.8., 18.8.19.8. und 26.9.1975 (Ordner Sirius, Stockhausen-Archiv, Kürten). 118 Kränzler 1975, Brief v. 1.8.1975, S. 1 (Ordner Sirius, Stockhausen-Archiv, Kürten). Kränzler berichtet darin, dass in seinen Versuchen der Rotationstisch »der Simulationsschaltung mit dem Synthesizer überlegen« sei. 119 Stockhausen beschreibt in der Broschüre zur Komposition von Sirius einen entsprechenden Einsatz des EMS 100-Synthesizers, bei dem er dessen Sequenzer zur Transposition benutzte (Stockhausen 2000, S. 12). 120 Auch Marietta Morawska-Büngeler führt keine weitere Kölner Produktion mit dem Rotationstisch II auf (dies. 1988, S. 48f. und Beschreibung des Photos vor S. 73); die Produktionsliste des Studios ist in den Jahren zwischen 1975 und 1978 ohnehin sehr klein (ebd., S.133f.).

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 241

wegungen und ähnlichen Effekten121. Synthesizer, Mischpulte und Mehrspur-Tonbandgeräte waren inzwischen variabel und praktikabel genug geworden, um Klangbewegungen aller Art und die ggf. dazugehörigen Lautstärkeänderungen mit überschaubarem Aufwand im Studio zu produzieren. Kreisauflösungen: Das Halaphon und seine live-gesteuerten Klangbewegungen Im Experimentalstudio der Heinrich Strobel-Stiftung des Südwestfunks in Freiburg verfolgte man zur selben Zeit bereits einen gänzlich anderen Weg. Der Ausgangspunkt war zwar ebenfalls die Idee von die Zuhörer umkreisenden Phantomschallquellen und folgte damit im Prinzip den Basisideen Stockhausens resp. seines ersten Rotationstisches, doch sollten diese Klangbewegungen nicht nur in reinen Studioproduktionen, sondern speziell auch in Live-Konzerten in verschiedenen Sälen hervorzubringen sein. Schon Ende der 1960er Jahre hatte der spätere Leiter des Freiburger Studios, Hans Peter Haller, ein mechanisches Klangsteuergerät für vier Audiokanäle entworfen und mit einem Märklin-Baukasten selbst »gebastelt«122. Hierbei kam eine Exzenterscheibe zum Einsatz, die mechanisch in Bewegung gesetzt werden sollte. Beim Ablauf berührte sie je nach Ausrichtung einen der vier Mitnehmer, die je auf einem Drehwiderstand angebracht waren. Dieser war mit je einem Tonkanal verbunden und steuerte dessen Lautstärke. Die Form der Exzenterscheibe sorgte dafür, dass sich der jeweils berührte Tonkanal einund ausblendete (Abb. 48). Hallers Konzept sah weiterhin vor, mit verschiedenen Exzenterscheiben unterschiedliche räumliche Klangabläufe zu erzeugen, die »von dynamisch punktförmig bis zur kontinuierlichen Überblendung«123 reichten. In der Praxis war dieses namenlose Gerät nur bedingt einsatztauglich124 und wurde deshalb nach dem Beginn der Zusammenarbeit Hallers mit dem Ingenieur 121 Genau angegeben sind sie jedoch nicht. In der Produktionspartitur (vgl. Karlheinz Stockhausen 2000, S. 43ff. und Rückseite des Umschlags; s. auch ders.: Sirius, Stockhausen 1978, S. 301–316) sind einige der zuvor genannten Klangbewegungseffekte zu erkennen und im Achtkanalband sind verschiedene Kreisbewegungen hörbar, von denen zumindest die variablen und teilweise sehr schnellen vom Rotationstisch II stammen. 122 Hans Peter Haller: Das Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des Südwestfunks Freiburg 1971–1989, Baden-Baden 1995, Bd. 1, S. 16. Haller gibt für dieses Gerät kein genaues Baudatum an, doch ergibt sich dies aus den Baudaten späterer Geräteentwicklungen. 123 Ebd., S. 17. 124 Ebd.

242 | D ER HÖRBARE R AUM

Peter Lawo noch vor der eigentlichen Gründung des Freiburger Experimentalstudios 1971 durch ein besseres ersetzt. Dieses war ein universelles Gerät zur »Klangtransposition, Klangselektion und Klangsteuerung«125, das studiointern den Typennahmen HTK 4126 erhielt. Abbildung 48: Zeichnung des ersten Raumklangsteurungsgerätes von Hans Peter Haller

aus: Haller 1995, Bd. 1, S. 17

Nach der eigentlichen Studiogründung entwickelten Haller und Lawo für diese und weitere elektroakustische Funktionen eine Reihe von GeräteUnikaten, die technisch auf demselben Steuerprinzip beruhten127 und somit leicht untereinander zu verschalten waren. Sie bildeten eine Art offene Einheit, denn es konnten ebenso weitere externe elektroakustische Geräte wie Hall, Vocoder, Harmonizer sowie mit Mikrophonen aufgenommene Klänge etwa von Musikern hinzugeschaltet und live verarbeitet werden. In ihrer Gesamtheit wirkten die Unikat-Geräte daher wie ein großes Live-Elektronisches Instrument128, das Haller, die Toningenieure und Tontechniker129 des

125 Ebd., S. 19. 126 Akronym für »Hallers tolle Kiste«, die vier Kanäle hatte (ebd., S. 19f.). 127 Die Steuerung geschah mittels sog. »Gates«. Zur genauen Funktionsbeschreibung s.u. 128 Auf die Zusammengehörigkeit aller in Freiburg entwickelten Geräte wurde ich 2013 bei mehreren Besuchen im Freiburger Studio immer wieder hingewiesen. 129 Neben Haller waren in den ersten Jahren u.a. die Ingenieure und Techniker Rudolf Strauß, Rolf Pfäffle, Bernd Noll Spieler dieses Instruments.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 243

Studios auf der Bühne spielten130 und wie andere Musiker auch, waren sie gleichzeitig für seine Wartung zuständig131. Ein Gerät dieser Gesamtheit war das Halaphon132, mit dem sich die räumlichen Klangbewegungen steuern ließen. Anfangs von Haller nur sehr kurz beschrieben133, wandelte es sich im Verlauf seiner Erweiterungen zu einem wichtigen Teil des ›StudioInstruments‹, das auch entsprechende Darstellungen erhielt. Das Halaphon und seine Technik

Innerhalb weniger Jahre entstanden drei Halaphon-Generationen; eine vierte folgte mit zehnjährigem Abstand 134: 1.

Halaphon 406 für 2 x 4 Kanäle, 1971, von Lawo (archiviert im Experimentalstudio des SWR, Freiburg)

130 Schon dieses Konzept der spielerischen und damit letztlich auch künstlerischen Gleichberechtigung von Musikern und Technikern war damals ungewöhnlich. 131 Alle Geräte nur von dem zuständigen technischen Personal bedienen zu lassen, war in der ARD in jenen Jahren üblich. Das hat die Verfasserin, die zu dieser Zeit als staatl. gepr. Tontechnikerin in mehreren ARD-Rundfunkanstalten tätig war, immer so erlebt. Allen an den Programminhalten tätigen Personen im Freiburger elektronischen Studio, also Musikern und Komponisten, war die aktive Arbeit mit den Geräten nicht gestattet, wie Berichte von Personen, die aus diesem Tätigkeitsfeld stammen, bestätigten. 132 Die Benennung ist eine Zusammensetzung aus HAller, LAwo und PHON und stammt von Otto Tomek, dem Leiter der Hauptabteilung Musik im Südwestfunk (Haller 1995, Bd. 1, S. 77). 133 Hallers Darstellung beschränkte sich in seiner ersten Publikation zum Freiburger Studio (ders.: Frequenzumsetzung; Das Experimentalstudio in Freiburg im Breisgau, technische Einrichtung und Werkverzeichnis 1972–1976, Kassel 1978) praktisch auf dessen Nennung in der Geräteliste und der Beschreibung von dessen Funktion zur dreidimensionalen Verteilung von Klang im Raum (S. 44; S. 39 im Blockschaltbild). Die anderen Geräte erhielten hingegen genauere Beschreibungen von Funktion und Arbeitsweise (S. 10–38; zur Beschreibung des Studios und dessen Einrichtung vgl. S. 38–44). 134 Ermittelt aus Haller 1995, Bde. 1 und 2 und aus Gesprächen im Februar und Juni 2013 im Freiburger Experimentalstudio mit den damals dort tätigen Ingenieuren und Technikern, sowie aus Gesprächen mit Rudi Strauss, der dort Ingenieur seit 1971 war, und André Richard, dem Nachfolger Hallers als Leiter des Studios. Die einzelnen Typen und die gelegentlich erfolgten Erweiterungen sind technisch nicht genau dokumentiert. Einzig die technischen Pläne des letzten Standes der dritten Halaphon-Generation sind im Archiv des Freiburger Studios erhalten, das Gerät selbst befindet sich jedoch in München. Bedienungshandbücher haben für kein Halaphon je existiert, weil nur ein enger Personenkreis sie bedienen durfte.

244 | D ER HÖRBARE R AUM

2.

3.

4.

Halaphon 710 für 8 Kanäle, (Raumklangverteiler), von Lawo 1972/73, 5 Programm-Steckfelder (archiviert im Experimentalstudio des SWR, Freiburg) Halaphon 740 für 16 Kanäle, von Lawo 1974-76, Programmierung über Zentralcomputer (IPM 16) möglich (archiviert im Deutschen Museum, München)135 Halaphon K 4/8 von Hans-Peter Frei, 1984/85 mit digitaler Steuerung, Bildschirm und eigener Programmiereinheit (archiviert im Experimentalstudio des SWR, Freiburg)

Schon die Kurzdarstellung lässt eine erhebliche Erweiterung der raumtechnischen Möglichkeiten mit jeder Version erkennen. Die Steigerung der Ausgangskanäle und der automatischen bzw. programmierbaren Klangbewegungsverläufe weist auf die vermehrten Einsätze in Kompositionen hin. Obwohl erheblich verschieden, beruhten alle vier Halaphon-Generationen auf demselben Steuerungskonzept. Seine Besonderheit besteht in der Fähigkeit zur sehr exakten Modellierung der Klangbewegung von einem zum nächsten Lautsprecher, die weit über die Möglichkeiten des Bedienens von Reglern am Mischpult oder der kontrollierten Drehung eines Rotationstisches und dessen Geschwindigkeit hinausgeht. Das Prinzip der Bewegung von Phantomschallquellen wird im Halaphon beibehalten: Der Höreindruck einer räumlichen Bewegung von Klang entsteht dadurch, dass die Lautstärken desselben Klanges an beiden Lautsprechern umgekehrt proportional verlaufen: Während der Lautsprecher, auf den der Klang zuwandert, lauter wird, wird der andere leiser. Dieser Prozess konnte im Halaphon für jeden Kanal einzeln modelliert werden. Dies geschah mittels Steuerspannungen im Infraschallbereich, die von einem Tongenerator produziert wurden und letztlich auf einen »Gate« genannten Verstärker einwirkten. Wie bei Generatoren üblich, konnten Frequenz und Hüllkurvenform den akustischen Bedingungen des Konzertsaales und den Erfordernissen der Komposition entsprechend gewählt werden. Während die Frequenz die Geschwindigkeit der Klangbewegung regelte, bezeichnete die Form der Hüllkurve (Sinus, Recheck, Sägezahn, Dreieck) den Verlauf der Lautstärkeänderung136 (Abb. 49).

135 Mehrere Inventarnummern auf der Geräterückseite legen nah, dass zwischenzeitlich Erweiterungen und Verbesserungen vorgenommen worden waren, die jedoch nicht genauer dokumentiert sind. 136 Haller 1995, Bd. 1, S. 69 und 71.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 245

Abbildung 49: Darstellung des ›Halaphon‹-Prinzips

aus: Haller 1995, Bd. 1, S. 86

Für einen Bewegungseindruck mussten beide Hüllkurven jedoch reziprok verlaufen, weshalb zur Vermeidung diskontinuierlicher Verläufe durch Phasenverschiebungen im Klang die Steuerhüllkurve in einem Kanal begann, wobei sie zugleich invertiert wurde137. Um Dynamikveränderungen eines bewegten Klanges berücksichtigen zu können, war auch die Steuerhüllkurve linear oder logarithmisch bzw. derartig invertiert einstellbar. Zur Anpassung an die jeweiligen Säle, aus musikalischen Gründen oder zur Imitation größerer Entfernung oder variabler Raumgrößen war es auch möglich, externe Hallgeräte, Filter, Zeitverzögerung138 oder Harmonizer in

137 Ebd., S. 72. 138 Hierzu gab es im Freiburger Studio zwei Exemplare eines ebenfalls mit Peter Lawo entwickelten Bandverzögerungsgeräts. Gegen Mitte der 1980er Jahre wurden digitale Effektgeräte dazu eingesetzt.

246 | D ER HÖRBARE R AUM

die Ausgangskanäle zu schalten139, wobei letzterer auch dazu dienen sollte, einen Doppler-Effekt nachzubilden140, um damit die Empfindung der Klangbewegung zu unterstützen141. Die Darstellung dieser sehr komplexen Verfahren zur Erzeugung von Klangbewegungseindrücken deutet darauf hin, dass sie Resultat länger andauernder Erfahrungen mit dem Halaphon sind. Doch einzig die Inklusion des Doppler-Effektes ist datierbar, weil Haller ihn auf seinem Besuch bei dem Computer-Musik-Pionier John Chowning in San Diego 1977 zurückführt142. Zu dieser Zeit war bereits die dritte Version des Halaphons in Gebrauch, die eine weitere Neuerung gegenüber den Vorgänger-Versionen bereithielt: Die Einsätze zu den Klangbewegungen konnten nunmehr per Triggerimpuls gegeben werden, der entweder per Hand, automatisch oder über ein akustisches Signal (also z.B. den Ton eines Instrumentes) erfolgte143. Die Vielzahl der möglichen Schaltverbindungen demonstriert auch das neue elektrische Koppelfeld, das mit dem Halaphon 3 entstand und die Schaltvorgänge aller live-elektronischen Geräte und Audiosignale koordinierte. Seine technische Besonderheit war die Knacksfreiheit, die dadurch erreicht wurde, dass der jeweilige Kanal auf elektrischem Weg bei jeder Umschaltung kurzfristig (im Millisekundenbereich) auf 0 gesetzt wurde144. Dies allein erhöhte die Kapazität der möglichen Schaltvorgänge, die wie die Klangbewegungen des Halaphons und deren Parameter am Rechner programmiert oder am Gerät vorgenommen werden konnten.

139 Haller, 1995, Bd. 1, S. 72. 140 Ebd., S. 73. 141 Ob, wie und in welcher Komposition Doppler-Effekte zusammen mit der Klangbewegung geschaltet wurden, hat Haller ebenso wenig dargelegt wie die Problematik, die mit dem Einsatz eines Doppler-Effektes im Konzertsaal einhergeht: Die Klangbewegung wird von einem bestimmten Punkt aus gedacht und ist nur von diesem wahrnehmbar. Auf anderen, entlegeneren Plätzen kann dagegen der Eindruck der kontinuierlichen Tonhöhenveränderung als Glissando wahrgenommen werden, weil die natürliche Erfahrung der Tonhöhenänderung bei einer bewegten Schallquelle nicht der imitierten Bewegungsrichtung entspricht. Auch ›musikalische Abfolgen‹ können eine Doppler-Effekt-Imitation verhindern: Das Glissando und die Tonhöhentransposition sind Veränderungen der musikalischen Substanz und als solche möglicherweise unerwünscht. 142 Haller 1995, Bd. 1, S. 79. 143 Ebd., S. 85. Dies war etwa der Ton von einem Instrument, der mit dem Mikrophon übertragen wurde. Zur exakten Triggerung war ein ›Threshold‹ nötig (ebd., S. 86), der z.B. auf die genaue Lautstärke des Trigger-Tons eingestellt war. Diese Verschaltung mit live gespielten Instrumenten konnte auch in anderen Geräten (z.B. Filter, ebd., S. 60, oder Klangsteuerungen, ebd., S. 68) des Freiburger Studios angewandt werden und erforderte ein ganz exaktes Spiel der Musiker. 144 Angaben in den Interviews in Freiburg im Juli 2013.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 247

Abbildung 50: Das ›Halaphon 4‹

Aus: Haller 1995, Bd. 1, S. 86

In der vierten und letzten Version, 1985 von Hans-Peter Frei entwickelt145, wurde das Halaphon zum rein digitalen Steuergerät, d.h. die gesteuerten Klänge blieben analog (Abb. 50). Alle für die Klangbewegung nötigen Parameter wurden nun an einem integrierten Bildschirm in Zifferneingabe programmiert und auf einer Disc gespeichert. Das Gerät war deutlich kompakter als sein Vorgänger, bot aber zugleich einige Verbesserungen wie die nun exakt planbare Klangverteilung über die 16 Ausgänge/Lautsprecher. Selbst wenn der Verlauf des Klanges zeitlich unregelmäßig war, ermöglichte der interne Zeitcode die genaue Darstellung des Ablaufs der jeweilig benötigten Hüllkurve146. Reduziert hingegen scheint die Anzahl der Eingangskanäle gewesen zu sein, da es sich schon im Halaphon 3 nach Haller als unmöglich erwiesen hatte, 16 Klangwege parallel wahrzunehmen147. 16 Ausgänge wurden jedoch weiter benötigt, da sie jeweils einem Lautsprecher oder einer Lautsprechergruppe zugeordnet waren. Eine Klangbewegung konnte somit über bis zu 16 Stationen verlaufen und es bestand zugleich eine Verbesse145 Haller 1995, Bd. 2, S. 108. 146 Vgl. Haller 1995, Bd. 1, S. 86–88. 147 Ebd., S. 85. Ob in der Version 4 zugleich oder später die Anzahl der Ausgangskanäle auf 8 reduziert wurde, wie in den Interviews mit den heutigen Mitarbeitern des Freiburger Studios gelegentlich dargestellt, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Dies scheint jedoch nur unter der Bedingung wahrscheinlich zu sein, dass diese acht Ausgänge in einem weiteren Schaltvorgang auf insgesamt bis zu 16 Lautsprecher(gruppen) verteilt werden konnten. Denn diese Zahl entspricht ungefähr der Anzahl der Lautsprechergruppen, die z.B. für Konzerte von Luigi Nonos Kompositionen seit Mitte der 1980er Jahre benötigt wurden.

248 | D ER HÖRBARE R AUM

rung der Gestaltung komplexer Klangwege. Mit dem Begriff ›Kreis‹ sind sie nicht mehr zu fassen, auch wenn Haller und seine Mitarbeiter ihn immer weiter verwandten148. Es wird ein technischer Begriff gewesen sein, der nicht mit der musikalischen Praxis übereinstimmte. Kreisförmiger Klangverlauf in Kompositionen und seine Erweiterungen

In der kompositorischen und konzertanten Praxis des Halaphons scheint die Idee der reinen Kreisform ohnehin von Anfang an fiktiv gewesen zu sein. Bereits in seiner Komposition Planto por las víctimas de la violencia (1971) hatte Cristòbal Halffter Diagonalen über zwei parallele Kreise aus acht Lautsprechern (Abb. 51) geplant149. Abbildung 51: Raumskizze für Cristòbal Halffters ›Planto por las víctimas de la violencia‹

aus: Karman 2006

148 André Richard etwa sprach im Interview diese ›Begriffsverwirrung‹ zwischen Musikern und Technikern an und wollte den Begriff ›Kreise‹ durch den des Weges oder Zyklus‘ ersetzt sehen (Interview am 12.6.2013 im Freiburger Studio, S. 42). 149 Gregorio García Karman: Una propuesta para la restauración electrónica de 'Planto por las víctimas de la violencia' de Cristóbal Halffter, in: Actas del Primer Congreso Internacional de Música y Tecnología Contemporáneas, Sevilla 2006, S. 9. (revidiertes Manuskript über info.ggkarman.de/publications abrufbar, 19.5.2015). Karman beschreibt darin auch das Halaphon 1 (Typenbezeichnung 406) und seine Funktionsweise (ebd., S. 10).

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 249

Dies wäre nach Hallers Beschreibung mit Veränderung der Steckverbindungen (›Umstecken‹) bereits in seinem mechanischen Gerät aus den 1960er Jahren möglich gewesen und wurde vermutlich auch mit dem Halaphon 1 praktiziert. Während eines Konzerts ist dies jedoch sehr umständlich, da es zu lauten Knacksen führen kann. Daher ist anzunehmen, dass eine gerätinterne Lösung in der nächsten Version des Halaphons gefunden wurde. Tatsächlich befinden sich auf dem Halaphon 2 auf dem vorderen Bedienfeld elektrische Schalter mit den Aufschriften »Rechts«, »Links« und »Diagonal«. Sie spielen auf die Richtung der Bewegung an, die der Klang nehmen sollte, wobei die Aufspaltung in zwei Halbkreise hier nicht explizit bezeichnet ist. Dies aber scheint die spezielle Grundform der Lautsprecheraufstellung des Freiburger Studios gewesen zu sein: zwei nebeneinander liegende Halbkreise, die auch einen gemeinsamen Kreis für die Klangbewegung bilden konnten150. Sie ist auch in den Skizzen der Lautsprecheraufstellung für Lugi Nonos Prometeo (1984/85) überliefert, auch wenn sie auf den ersten Blick den architektonischen Gegebenheiten in San Lorenzo (Venedig), dem ersten Aufführungsort der Komposition, geschuldet scheinen. Denn der Arca genannte hölzerne Aufführungsraum für Prometeo von Renzo Piano war um den Lettner herum gebaut, der eine natürliche Mittenteilung darstellte. Hier waren zwei Lautsprecher am Boden aufgestellt und ebenso wie bei Halffter 1976 befanden sich Lautsprecher an den Seiten. Doch im Prometeo waren viele Lautsprecher auf verschiedenen Ebenen der Arca platziert. So konnte ein komplexer dreidimensionaler Klangweg entstehen, der teilweise über den Lettner hinaus verlief, wie in einer Skizze von Haller angedeutet151 (Abb. 52). Tatsächlich ist in den Aufführungspartituren des Prometeo auch ein solcher Verlauf nachzuweisen152. Eine genaue Analyse des Halaphon-Einsatzes, des Einsatzes anderer raumrelevanter Audiogeräte sowie der gesamten Raumdisposition im Prometeo steht jedoch noch aus153.

150 151 152 153

Haller 1995, Bd. 2 enthält mehrere verschiedene Aufbauskizzen dieses Typs. Haller 1995, Bd. 2, S. 163. Vgl. dazu Martha Brech und Henrik v. Coler in: Brech und Paland (Hg.) 2015. Sie wird durch die Aufbewahrung der Dokumente an verschiedenen Orten sowie die mangelhafte Dokumentation der Gerätebedienung erschwert, scheint aber nicht unmöglich.

250 | D ER HÖRBARE R AUM

Abbildung 52: Lautsprecherplan für die ›Prometeo‹- Premiere in Venedig 1984; die gestrichelten Linien zeigen Klangwege zwischen den Lautsprechern

aus: Haller 1995, Bd. 2, S.

Die beiden Beispiele von Nono und Halffter weisen aber daraufhin, dass die Komponisten ein räumliches Denken vertraten, das sich nicht auf kreisförmige Klangbewegungen allein reduzieren ließe. Es leitet sich nicht zuletzt von der strikten Arbeitsteilung im Freiburger Studio her, das die Gerätebedienung inklusive der räumlichen Anpassungen ganz den ›technischen Instrumentalisten‹ überließ154. Was die räumlichen Klangbewegungen anbelangt, so dachten die ›technischen Instrumentalisten‹ definitiv in Kreisen, da dies der Bedienung und Programmierung des Halaphons entgegen kam. Doch in den Kompositionen war dies allenfalls teilweise der Fall.

154 André Richard im Gespräch am 12.6.2013., S. 32. Angesichts der Komplexität der Geräte und besonders der Unterschiede zwischen der dritten und vierten Version des Halaphons, von der Richard an dieser Stelle ebenfalls sprach, ist dies im Rückbezug auf die 1980er Jahre auch verständlich: Die Komponisten hätten sehr viel Zeit zum Erlernen investieren müssen, um sich mit der Denkweise der »Gates« und der gesamten einmaligen Steuerungstechnik im Freiburger Studio vertraut zu machen.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 251

R AUMKLANGPLASTIK MIT L AUTSPRECHERORCHESTERN Ab 1973 kam mit den ersten Lautsprecherorchestern155 ein völlig neues Konzept zur Raumklanglichkeit auf. Lautsprecher wurden darin als Schallquellen betrachtet, die der Musik durch ihre Binnenaufstellung im Saal Raum verschaffen und eine dreidimensionale Raumklangplastik erzeugen, die sich mit dem Verlauf der Musik wandelt und damit in der Zeit beweglich ist. Mit einer Vielzahl von verschieden klingenden Lautsprechern entstand ein »Instrument zur räumlichen Orchestrierung«156, wie es Christian Clozier nennt, einer der Entwickler des ersten dieser Instrumente. Als solches ist es im Idealfall Teil der elektroakustischen Komposition bzw. Produktion und deren Aufführungsgerät. Mit diesen Funktionen setzt sich ein Lautsprecherorchester von allen früheren (und hier bereits vorgestellten) räumlichen Beschallungssystemen ab. Bis heute sind weltweit zahlreiche verschiedene Lautsprecherorchester entstanden, die jeweils leicht verschiedenen sind und längst die neuen Technologien ausnutzenden Konzepten folgten. Im hier betrachteten Zeitraum bis Mitte der 1980er Jahre und auf analoge Technologie beschränkt, konnten drei verschiedene Lautsprecherorchester recherchiert werden: In Bourges (1973-2011) und Paris (GRM, ab 1974) waren es große Ensemble mit eigenen Konzepten, während in Ohain ab 1980 nur ein kleines Lautsprecherorchester aus zunächst nur 12 Lautsprechern in Betrieb genommen wurde157. Bourges: Gmebaphone Das Räumliche hatte zumindest in den Anfängen des ersten, in der von François Barrière und Christian Clozier geleiteten Groupe de musique électroacoustique de Bourges (GMEB) entwickelten Lautsprecherorchesters mit dem Namen Gmebaphone keinen zentralen Stellenwert. In dem komplexen System stand zunächst der Wunsch im Vordergrund, die Reproduktionsqua-

155 Der Terminus ist heute gebräuchlich, auch wenn die Grundkonzepte der als Lautsprecherorchester bezeichneten Systeme durchaus komplexer sind als es die reine Platzierung von zahlreichen Lautsprechern auf der Bühne suggeriert und der Begriff ›Lautsprecherorchester‹ nicht selten von dessen Begründern abgelehnt wird. 156 Christian Clozier: Composition, diffusion and interpretation in electroacoustic music, in: Barrière, Françoise, Bennett, Gerald (ed.): Composition / Diffusion en Musique Electroacoustic, Actes III des traveaux 1997 de l'Academie Internationale de Musique electroacoustic / Bourges, Bourges 1998, S. 233–281; hier S. 237. 157 Elizabeth Anderson: An Interview with Annette Vande Gorne, Part One, in: Computer Music Journal, 36 (2012), 1, S. 10–22, hier S. 15.

252 | D ER HÖRBARE R AUM

lität der akustischen Signale zu optimieren158 und ein Instrument zu entwickeln, dass die elektroakustische Musik in Kontakt zum Publikum bringt und mit dem man experimentell und forschend arbeiten konnte. Dieses Instrument sollte eine persönliche Interpretation der Musik auf der Bühne ermöglichen und die klangfarblichen, zeitlichen und räumlichen Komplexitäten polyphoner elektroakustischer Musik adäquat darstellen159. Das musikalische Konzept war 1973 entworfen worden und wurde bis 1998 in insgesamt sechs erweiterten Versionen ausgebaut160. Schon die dritte Version aus dem Jahr 1982 war vollständig auf digitale Technologie ausgerichtet, doch im Unterschied zum Halaphon wurden in diesem auch die Klänge selbst mit gestaltet und nicht nur gesteuert161. Die Funktion der eingesetzten digitalen Signalverarbeitung ist nicht genau einzuschätzen, scheint anfangs aber noch ähnlich wie die Elemente analoger Mischpulte gewesen zu sein, die Teil aller anderen Lautsprecherorchester waren. Erst mit der weiteren Entwicklung, die ab 1997 Cybernéphone genannt wurde, war ein umfassendes, die Bühne wie den Zuschauerraum einbeziehendes räumliches Orchestrierungsinstrument entstanden. Dennoch gibt es einige Hinweise auf die früheren, analogen Konzepte. Nach Clozier war es anfangs nur das Ziel, die Reproduktionsqualität zu optimieren. So entstand ein Lautsprechernetzwerk aus mehreren Lautsprechern162, die an unterschiedlichen Orten aufgestellt waren. Sie wiesen verschiedene Leistungsstufen auf und übertrugen entweder den gesamten Frequenzbereich (Referenz) oder verschiedene Frequenzbänder, die zuvor in einem speziell angefertigten Gerät, dem Gmebahertz, aufgespalten worden waren163. Der Skizze zufolge (Abb. 53) zentrierte sich ihre Aufstellung auf der Bühne. Hier standen die besonders leistungsstarken Referenzlautsprecher (zwei am vorderen Bühnenrand und zwei am hinteren in den Ecken) und zwei weitere mittig angeordnete höhenzentrierte Referenzlautsprecher (»Tweeter«) mit geringerer Leistung, während sich am hinteren Bühnenrand Lautsprecher mit verschiedenen Frequenzbändern von bis zu 2 Khz und hohen Leistungen befanden. Am seitlichen Bühnenrand und hinter dem Publi-

158 Christian Clozier: The Gmebaphone Concept and the Cybernéphone Instrument, in: Computer Music Journal, 25:4 (2001), S. 82. 159 Vgl. anon: About of the Cybernephone (formerly Gmebaphone); www.imeb.net/.../ About-of-the-Cybernephone.doc (14.8.2014); Word-Dokument, S. 1, hier in zusammenfassender Übersetzung. 160 Clozier 1998, S.267. 161 Ebd. und Internet, FN 160, S. 2 sowie Clozier 2001, S. 81. 162 Clozier 1998, S. 268, beschrieben für das Cybernéphone. 163 Simon Emmerson: Living Electronic Music, Aldershot 2007, S. 151f.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 253

kum standen dagegen Lautsprecher mit Frequenzbändern von 2 bis über 5 Khz und geringeren Leistungen. Abbildung 53: Skizze der Lautsprecheraufstellung beim Gmebaphone 1981

aus: Emmerson 2007, S. 151

Die Skizze zeigt 26 Lautsprecher, die in vier Quadraten gezählt sind (vorne links, hinten links, vorne rechts, hinten rechts), was auch auf Photos der Zeit zu sehen ist164. Nach späteren Angaben von Clozier verfügte das Gmebaphone 1979 über 22 Ausgänge165, weshalb man wohl davon ausgehen darf, dass in einigen Fällen mehrere Lautsprecher mit einem Ausgang verkoppelt waren. Die gleichzeitig dargelegten acht Eingänge weisen hingegen darauf hin, dass maximal achtspurige Produktionen gespielt werden konnte, während im Juni 1975 deren Zahl noch auf sechs begrenzt war166. Diese Zahl scheint 164 Clozier 2001, S. 82. 165 Clozier 1998, S. 276. 166 Ebd. Die genaue Zahl der Ein- und Ausgänge in den Versionen von 1973 war nicht zu finden. Clozier wechselt zwischen Angaben von Ausgängen und denen von Netzwerken. In der ›analogen Zeit‹ bis zur dritten Version 1982 sind jedoch kaum mehr als eine Zunahme einzelner Bauteile und der Ein- und Ausgangkanäle aus technischen Gründen möglich gewesen.

254 | D ER HÖRBARE R AUM

nicht zuletzt auf die Produktionen der internationalen Wettbewerbsteilnehmer167 ausgerichtet gewesen zu sein, denn die von Clozier stammende Skizze bezieht sich eindeutig auf eine zweikanalige Produktion168. Eine solche einfache Stereoproduktion reichte offenbar völlig aus, um eine gute räumliche Präsentation mit dem Gmebaphone zu erzielen. Zugleich kann man davon ausgehen, dass für das Gmebaphone keine feste Bühnenaufstellung vorgesehen war, sondern dass es je nach dem klanglichen Bedarf einzelner Kompositionen umgestellt werden konnte. Dass dies auch praktiziert wurde, ist zwar nicht belegt, ergibt sich aber aus seinem definierten Zweck der Orchestrierung elektroakustischer Kompositionen sowie aus der Anwendung des Acousmoniums. GRM: Acousmonium Nur kurz nach dem ersten Gmebaphone entstand das Acousmonium der GRM nach einem Konzept von François Bayle. Am 14.2.1974 wurde es der Öffentlichkeit präsentiert. Wie beim Gmebaphone reichen (bis heute) einfache stereophone Produktionen als Ausgangsklang aus, doch im Gegensatz zu diesem scheint es keine umfassende Überarbeitung oder Neuversion gegeben zu haben169, was vermutlich seiner Einbindung in das von Pierre Schaeffer begründete acousmatische Prinzip der Musique concrète geschuldet sein dürfte. Es beruht darauf, die konkreten Klänge, also aus Natur, Technik, Umwelt, von Instrumenten oder Stimmen genommene Klänge, nicht auf ihre ursprüngliche Quelle zurückzuführend zu hören, sondern sie in Beziehung zu ihrem musikalischen und performativen Kontext aufzufassen: Klangerzeuger ist der Lautsprecher. Beim Acousmonium wird dies auch immer visuell verdeutlicht. Es besteht aus 78170 unterschiedlich großen sowie unterschiedlich geformten und gefärbten Lautsprechern, die in leicht abgedunkelten Räumen einzeln mit Scheinwerfern oder Spots beleuchtet und heute auch mit komplexen Lichtinstallationen in Szene gesetzt werden können. 167 Der Concours International de Musique Electroacoustic fand jährlich im GMEB in Bourges statt und wurde für verschiedene Kategorien vergeben. 168 Eine vier- oder acht-kanalige Produktion hätte eine Aufstellung mit Referenzlautsprechern im hinteren Bereich des Saals erfordert. 169 Im Gegenteil: Als zu Beginn der 2000er Jahre einige Neuanschaffungen getätigt werden mussten, um im Laufe der Jahre defekt gewordene Lautsprecher zu ersetzen waren, wurde nach Publikumseinsprüchen auf die Überarbeitung und Inklusion von zeitgemäßen Lautsprechern verzichtet (mündlicher Hinweis des zuständigen GRMDirektors Daniel Teruggi an die Autorin, 2009). 170 François Bayle: A propos de l’acousmonium, in: Recherche musicale au GRM, La revue musicale, Nr. 394–397, 1986, S.145.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 255

Zentrales Moment ist dennoch das Auditive. Die mit gestischen Mitteln geleitete Aufmerksamkeit des Publikums auf die physiologisch-psychologische Ebene ist Teil des musikalischen Konzepts, das nach Bayles Beschreibung schon im Prozess des Komponierens geplant und gestaltet wird171. Das Acousmonium als »Instrument für die Inszenierung des Hörbaren«172 enthält für die konzertante Aufführung 11 verschiedene Lautsprechertypen, von denen 34 als groß und 44 als klein bezeichnet sind. Die Zusammensetzung erfolgte nach akustischen Kriterien. So bestimmen Größe und Form einige akustische Übertragungseigenschaften des jeweiligen Lautsprechers und damit seinen Klangcharakter. Bei sog. breitbandigen Lautsprechern, die theoretisch die gesamte Frequenzbreite übertragen können, werden mit kleinen Lautsprechern tiefe Frequenzen nur schlecht übertragen, während große Lautsprecher die hohen Frequenzen schlecht wiedergeben, was in beiden Formen eine Klangfärbung hervorruft. In Lautsprecherboxen wird diese Einschränkung umgangen, denn sie bestehen aus einem Set von 2–3 Lautsprechern verschiedener Größe. Dort eingebaute Frequenzweiche filtern den zu übertragenden Klang in Frequenzbänder, die auf die jeweilige Lautsprechergröße und -anzahl in der Box abgestimmt sind. Doch wie die Breitbandlautsprecher haben sie je nach Bauart/Fabrikat, Größe und Form ebenfalls eigene Klangcharakteristiken. Zudem besitzt jeder Lautsprecher seiner äußeren Hülle gemäß eine spezielle Abstrahlcharakteristik, die räumlich gerichtet und klanglich spezifisch ist. Diese Prinzipien machte sich Bayle bei der Zusammenstellung des gesamten Ensembles des Acousmoniums zunutze173. Bei den 11 Lautsprechertypen handelt es sich um eine Mischung aus verschiedenen Bauarten, nämlich um Boxen aus mindestens Hoch- und Tieftönern und einzelne Breitbandlautsprecher. Die genauen technischen Daten der einzelnen Typen sind nicht veröffentlicht; Bayle gab 1986 nur verschiedene Typbezeichnungen und ihre ungefähre Tonlage (hoch oder tief) bekannt. Einige davon tragen Namen, die deutlich auf ihre Klangcharaktere wie »Trompettes«, »Boomers« oder »Twee-

171 Ebd., S. 144. 172 »L’Acousmonium est l’instrument de mise en scène de l’audible«, ebd., S. 145. Diese Definition ist erheblich allgemeiner gefasst als die des Gmemaphone als Instrument der persönlichen Interpretation auf der Bühne und der adäquaten Darstellung der klangfarblichen, zeitlichen und räumlichen Komplexitäten polyphoner elektroakustischer Musik (s.o.). 173 Information von Daniel Teruggi in einem Interview mit der Autorin im September 1988 in Berlin anlässlich des Gastspiels der GRM mit dem Acousmonium in der Kongresshalle in (West)Berlin.

256 | D ER HÖRBARE R AUM

ters«174 und damit auf den beabsichtigten Einsatz verschiedener Klangcharakteristiken im Acousmonium verweisen. Abbildung 54: Das ›Acousmonium‹ in Berlin 1988 mit Kunstkopf

Photo: Folkmar Hein

Die klangliche Verschiedenheit betrifft zunächst jedoch nur den Tonraum. Dreidimensional räumlich im architektonischen Sinn wirkt das Acousmonium durch die Aufstellung der Lautsprecher-Instrumente im Konzertsaal oder auf der Bühne. Die »acousmatische Projektion und Interpretation«175 erfordert eine genaue Planung der Aufstellung im Sinne der Komposition. Sie stellt eine neue Art der Orchestration der Musik176 dar, die in Wechselwirkung der impliziten (komponierten) Räumlichkeit mit den Klangcharakteristiken und Möglichkeiten des Acousmoniums177 und den akustischen Gegebenheiten des Konzertsaals herausgearbeitet wird. Da es hier um die Exponierung der kompositorischen Absichten eines Stückes geht, ist auch die

174 175 176 177

Bayle 1986, S. 145. Ebd. Ebd. Ebd., S. 146. Bayle gibt eine Reihe von Klangqualitäten an, die sich sowohl auf die Klangcharaktere der Lautsprecher wie die Aufstellung im Raum und die räumliche Wirkung beziehen.

R AUMKLANGTECHNOLOGIEN FÜR DREIDIMENSIONAL BEWEGTE K LÄNGE AB 1950

| 257

Aufstellung des Acousmoniums bzw. seiner Einzelteile kompositionsspezifisch und wird für jeden Konzertsaal neu eingerichtet178. Gestaltung des Raumklangs im Binnenraum

Auf der Ebene der auditiven räumlichen Gestaltung als Arbeitsprinzip des Acousmoniums wird mit den verschiedenen Lautsprechern sowie ihren jeweiligen Klang- und Richtungscharakteristiken ein dreidimensionales Relief erzeugt. Es ergibt sich aus der Aufstellung der Lautsprecher, die z.B. auf unterschiedlich hohen Podesten oder Stativen in der Vertikalen platziert sein können. In der Horizontalen ist es definiert durch die Verteilung der Lautsprecher auf der Bühne oder im Saal zwischen den Zuhörern (Abb. 54). Der zeitliche Verlauf der Komposition in diesem dreidimensionalen Lautsprecherensemble ist das entscheidende Kriterium der Räumlichkeit in der Musik, das Jonathan Prager später die »Geographie«179 nannte. Sie wird technisch in einem konstanten Prozess in der Arbeit am Mischpult erzeugt, also live von einem Tonmeister oder von dem Komponisten ausgesteuert. Ausgangspunkt sind meist zweikanalige Studioproduktionen, die über zahlreiche Reglerzüge und deren Klangbeeinflussungsmöglichkeiten hinsichtlich Lautstärke und Filterung auf die Lautsprecher verteilt werden, wie es schon Bayle 1986 beschrieb180. Explizit bezeichnen sowohl Bayle als auch Prager stereophone Klänge als Ausgangsklänge für die konzertante Präsentation auf dem vielkanaligen Acousmonium. Bayle nennt darüber hinaus181 eine gerade Anzahl von Kanälen, weshalb man davon ausgehen kann, dass die bei der Produktion im Studio konfigurierte Räumlichkeit wie z.B. die Klangbewegungen von Phantomschallquellen in der Interpretation auf dem Acousmonium erhalten bleiben und sogar eine spezielle Behandlung oder Hervorhebung genießen können. Dies ist zumindest aus den Angaben der technischen Details zu schließen und wird, wenn auch erst in den frühen 2000er Jahren, von

178 In Konzerten der 1980er Jahre konnte dies noch einen komplizierten Umbau nach jedem Stück nötig machen. So war es zumindest in den Berliner Konzerten 1988 anlässlich des europäischen Kulturhauptstadt-Jahres in der Kongresshalle der Fall. Die Umbauten umfassten hier den ganzen Saal, da das Acousmonium und das Publikum sich auf derselben Ebene befanden und teilweise ›durchmischt‹ waren. In traditionellen Konzertsälen dagegen ist eine getrennte Bühne-Publikum-Aufstellung üblich. 179 Jonathan Prager: L’interpretation acousmatique, 2002, http://www.inagrm.com/ linterpretation-acousmatique-0 (19.5.2015), S. 9. Prager nennt Geographie neben Klangfarbe, Distanz, Dichte, Geschwindigkeit und Nuance tragender Interpretationsparameter bei Acousmonium-Konzerten (ebd., S. 8–11). 180 Bayle 1986, S. 146. 181 Ebd.

258 | D ER HÖRBARE R AUM

Prager unter dem Punkt »Vitesse (Geschwindigkeit)« ausführlich behandelt182. Ob diese Feinheiten der Klangbewegung innerhalb des dreidimensionalen und in der Zeit wandelbaren Klangreliefs schon Mitte der 1980er Jahre, also zum Ende der ›Analogära‹ den ausführenden Komponisten und Klangregisseuren bewusst war, ist nur zu vermuten. Erst aus der Zeit der Digitaltechnologie, in der die elektroakustische Musik zunehmend aus ihrem Nischendasein heraustrat, datieren genauere Darstellungen zu den differenzierten interpretativen Möglichkeiten der Lautsprecherorchester und deshalb ist ebenso zu vermuten, dass sie die auch Fortentwicklung der in der Analogzeit begründeten spatialen Kompositions- und Präsentationsweisen beschreiben.

182 Prager 2002, S. 10f.

Nachwort

Die Darstellung analogtechnologischer elektroakustischer Geräte und Verfahren zur Gestaltung und Konstruktion auditiver Räume endet an dieser Stelle, denn die technische Entwicklung ging andere Wege. Ab Mitte der 1980er Jahre wurden zunehmend digitale Geräte und Verfahren entwickelt und eingesetzt, die in Herstellung und Bedienung gänzlich anders funktionieren und heute deutlich mehr und akustisch überzeugendere Ansätze zur Konstruktion und Präsentation auditiver Räume ermöglichen, als sie mit den Mitteln der Analogtechnik herstellbar waren. Mit dieser neuen technologischen Basis erwies sich, dass der hörbare Raum als Subjekt künstlerischkompositorischer Produktion von lang anhaltender Bedeutung ist. In diesem Buch war es das Ziel, den hörbaren Raum als selbständigen Begriff und musikalischen Parameter historisch herzuleiten und darzustellen, wie er entdeckt, erforscht sowie mit Erfindungen aller Art – auch nichtmusikalischen – der Öffentlichkeit und dem Publikum präsentiert wurde. Seit der Ära elektroakustischer Medien erwies er sich als komplexer Begriff, dessen Einzelaspekte vielfältig imitiert oder genuin produziert wurden, um Musik über elektroakustische Medien erlebbar zu machen. Anfangs ging sicher die technische Entwicklung der künstlerischen voran, doch es dauerte, wie dargelegt, nicht lange bis Komponisten, Hörspielautoren und -regisseure die Mittel zur Erzeugung auditiver Raumparameter als Werkzeuge neuer Medienkunst im Rundfunk nutzten. Von dort aus gelangte die Technologie für hörbare Räume in öffentliche Aufführungsräume und Konzertsäle, und sie traf dabei auf eine für diese speziellen Räume komponierte Musik. In der Konzertmusik gab es bereits eigene raumakustische Konzepte zur Komposition und Aufführungspraxis, wie die entlang der Erforschung des hörbaren Raums ebenfalls erforschte Saalakustik und die gleichzeitig wiederentdeckten cori spezzati, die nun als räumlich galten. Die Komponisten der elektroakustischen Musik oder der kombinierten Musik aus instrumentaler und elektroakustischer Musik konnten in ihren Raumkonzepten auf diesen Tradi-

260 | D ER HÖRBARE R AUM

tionen und Erfahrungen mit Raum in der rein instrumentaler Musik aufbauen. Der komponierte hörbare Raum speist sich somit aus mindestens zwei Strängen: dem seit Ende des 18. Jahrhunderts entdeckten und erforschten hörbaren Raum und seiner Technologie auf der einen Seite und der Kompositionstradition der europäischen Kunstmusik auf der anderen Seite. Dieser zweite Strang hat wohl verhindert, dass die elektroakustische Raummusik in ihren Anfängen reine experimentelle Anwendung neuer technischer Entwicklungen war. Den komponierten hörbaren Raum allein in Hinblick auf technisch unterstütze Raumdarstellungen und räumliche Klangbewegungen hin zu untersuchen, ist daher unmöglich und wurde deshalb hier auch nicht angegangen. Die zeitlich-klangliche Raumkonstruktion einer speziellen Komposition bedarf stattdessen einer intensiven musikalischen Analyse oder zumindest der Betrachtung der gesamten Anlage einer Komposition, bei der der hörbare Raum und die zu seiner Produktion eingesetzten Geräte und Verfahren Teil der gesamten Musik sind. Eine Reihe von analytischen Artikeln sind in der parallel erscheinenden und zusammen mit Ralph Paland herausgegebenen Anthologie »Kompositionen für hörbaren Raum: Die frühe elektroakustische Musik und ihre Kontexte« zu finden. In dem Band wird auch die Thematik des hörbaren Raums aus der Perspektive der Musik und ihrer Kompositions- und Aufführungsgeschichte an einigen Beispielen dargestellt. Das Thema ist damit aber sicher nicht erschöpft. Es gibt zahlreiche rein elektroakustische oder instrumental-elektroakustische Kompositionen der Analogära, über die kaum mehr bekannt ist als dass sie zur Gattung der Raumkomposition zählen, nicht aber, mit welchen Mitteln und Geräten der Raum hörbar gemacht wurde. Welcher Art der jeweilig hörbare Raum ist oder wie er sich als Teil der gesamten Komposition in diese einfügt, gälte es zu analysieren. Solche detaillierten Analysen der Raumaspekte in Musik der Analogzeit könnten die Breite raummusikalischen Denkens erkennbar machen, die trotz der technologischen Beschränkungen existierten und umgesetzt wurden. Doch wäre dies ein anderes Thema, auch wenn dieser Band vielleicht dazu beitragen kann.

Referenzen

L ITERATUR

 Alexander, Robert Charles: The Inventor of Stereo, The Life and Works of Alan Dower Blumlein, Oxford u.a. 2000 Alison, Scott: On the Differential Stethoscope, and Some New Phenomena Observed by It; in: Proceedings of the Royal Society of London Bd. 9, Sitzung vom 22.4.1858, S. 196–209 Allers, Rudolf und Bénesi, Oskar: Zur Frage nach der Wahrnehmung der Schallrichtung, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, 67, 1922, S.18–41 Anderson, Elizabeth: An Interview with Annette Vande Gorne, Part One, in: Computer Music Journal, 36 (2012), 1, S. 10–22 Angell, James R. und Fite, Warner: The Monaural Localization of Sound, in: Psychological Review, Vol. 8, Nr. 3, 1901, S. 225–246 – Further Observations on the Monaural Localization of Sound, in: Psychological Review Vol. 8, Nr. 5, 1901, S. 449–458 Arb.: Die englischen Rundfunk-Sendeeinrichtungen, in: Funk, 1924, Heft 25, S. 365f. Ardenne, Manfred v.: Plastisches Hören von Rundfunkdarbietungen, in: Funk, Heft 23, 1925, S. 281 – Neues vom plastischen Hören, in: Der deutscher Rundfunk, Heft 27 v. 5.7.1925, S. 1708f. Arnheim, Felix: Beiträge zur Theorie der Localisation der Schallempfindungen mittelst der Bogengänge, Jena 1887 in: Virchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin Bd. 107, Separatdruck Arnheim, Rudolf: Radio, Nachdruck der Fassung von 1936: New York 1971 Arps, G.F. und Klemm, Otto: Der Einfluß der Intensität auf die Tiefenlokalisation, in Wundt, Wilhelm (Hg.): Psychologische Studien, Bd. VIII, Leipzig 1913, S. 226–270 Authenrieth, Johann Heinrich Ferdinand und Dr. Kerner: Beobachtungen über die Funktionen einzelner Theile des Gehörs, in: Archiv für die Physiologie Bd. 9, Halle 1809, S. 313–376 Band, Lothar: Klangverbesserung im Berliner Sender, in: Funk 1926, Heft 51, S. 445 – Die schönen Senderäume in Dresden, in: Funk, Heft 32, 1929, S. 143f. – Das Heinrich-Hertz-Institut für Schwingungsforschung, in: Funk, Heft 11 v.14.3.1930, S. 43f. – Das Haus des Rundfunks, in: Funk, 1931, Heft 5, S. 33f.

264 | R EFERENZEN

Banister, H.: A Further Note on the Phase Effect in the Localization of Sound, in: The British Journal of Psychology, Vol. 14, 1924, S. 80f . – The Effect of Binaural Phase Differences on the Localization of Tones at Various Frequencies, in: The British Journal of Psychology, Vol. 15, 1925, S. 280–307 – Three Experiments on the Localization of Tones, in: The British Journal of Psychology, Vol. 16, 1926, S. 265–292 Battier, Marc: Recent Discoveries in the Spatial Thought of Early Musique Concrète, in Brech und Paland (ed.) 2015, S. 123–136 Bayle, François: A propos de l’acousmonium, in: Recherche musicale au GRM, La revue musicale, Nr. 394–397, 1986, S. 144–146 Beck, Alan: The Invisible Play, BBC-Radio Drama 1922–1928; www. savoyhill.co.uk/invisibleplay/mainindex.html Bell, Alexander Graham: The Telephone, in: Journal of the Society of Arts; No. 1306, Vo. XXVI, v. 30. Nov. 1877, S. 17–24 – Experiments Relating to Binaural Audition in: The American Journal of Otology, Vol. II, No. 3, July 1880, S. 169–179 Berger, B.: die Luftschalldämmung von Wänden, in: Forschung im Ingenieurwesen, Berlin, Vol. 3, Nr. 4, 1932, S. 193–204 Bezold, Wilhelm v.: Urteilstäuschungen nach Beseitigung einseitiger Harthörigkeit, in: Zeitschrift für Psychologie, 1, 1890, S. 468f. Bird, Golding: Observations on the Advantages of a Stethoscope with a Flexible Tube; in: London Medical Gazette, New Series, Vol. I, 1840–41, S. 440–442 Blauert, Jens: Das räumliche Hören, Stuttgart 1974 Bloch, E.: Das binaurale Hören, in: Zeitschrift für Ohrenheilkunde, 24 (1893), S. 25–85 Bloor, David: Whatever Happened to ›Social Constructiveness‹?, in: Saito, Akiko (ed.): Bartlett, Culture and Cognition, Hove 2000, S. 194–215 Bochow, Martin: Schallmesstrupp 51; vom Krieg der Stoppuhren gegen Mörser und Haubitzen, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1933 Bonnier, Pierre: L’orientation auditive, in: Bulletin Scientifique au Département du Nord, 2. Serie, 7, S. 11–29 Borchardt, Curt: Das Küchenmeistersche Ultraphonprinzip und der Rundfunk, in: Radio-Amateur, Heft 50, 1925., S. 1163f. Bös, M. und Glatzer , W.: Haushaltstechnisierung in der Bundesrepublik, in: Glatzer, W. u.a.: Haushaltstechnisierung und gesellschaftliche Arbeitsteilung, Frankfurt a.M. 1991, S. 17–104

L ITERATUR

| 265

Boring, E.G.: Auditory Theory with Special Reference to Intensity, Volume and Localization, in: The American Journal of Psychology, Vol. 37, 1926, S. 157–188 Bowlker, T.J.: On the Factors serving to determine the Direction of Sound, in: Philosophical Magazine (15), 1908, S. 318–331 Braunmühl, Joachim v. und Weber, Walter: Einführung in die angewandte Akustik, Leipzig 1936 Braunmühl, Joachim v.: Die akustischen Eigenschaften der neuen Berliner Senderäume, in: Die Sendung v. 31.1.1931, S. 78 Brech, Martha: Der lange Weg zum natürlichen Klangbild, in: Impulse und Antworten, Festschrift für Manfred Krause, Berlin 1999, S. 25–34 – Musikwissenschaft an der TU Berlin, in: 50 Years Studio TU Berlin, DEGEM DVD1, sowie https://www2.ak.tu-berlin.de/Geschichte /themen/MuWi_TUBerlin.html – Komponisten als Erfinder, in: A. Lehmann, A. Jeßulat, Chr. Wünsch (Hg.): Kreativität – Struktur und Emotion, Würzburg 2013, S. 101–109 – Three-Dimensional Kunstkopf Music and Audio Art, in: Brech und Paland 2015 Brech, Martha und v. Coler, Henrik: Aspects of Space in Luigi Nono’s Prometeo and the Use oft he Halaphon, in: Brech und Paland (Hg.) 2015, S. 193–204 Brech, Martha und Paland, Ralph (Hg.): Compositions for Audible Space, Bielefeld 2015 Briggs, Asa: The History of Broadcasting in the United Kingdom, Vol. I: The Birth of Broadcasting, Oxford 1995 Carrick, George L.: On the Differential Stethoskope and its Value in the Diagnosis of Diseases of the Lungs and Heart, in: Edinburgh Mediacal Journal, Vol. 18, No. 10, 1873, S. 894–916) Carsten, H. und Salinger, H.: Zur Frage der Lokalisation von Schallquellen, in: Die Naturwissenschaften, 14, 1922, S. 329f. Cassimir, Heinrich: Um- und Neubau beim Südfunk Stuttgart, in: Funk, Heft 13, 1930, S. 59f. Charlin, André: Technique phonographique – la compatibilité, in: Toute l’électronique, November 1965, S. 468–471 Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik, Leipzig 1802 – Die Akustik, Leipzig 1830 (erneuerte Auflage) – Traité d’Acoustique, Paris 1809 Cinematograph Exibitors Association (Hg.): Annual Summer Conference Programme 1931

266 | R EFERENZEN

Clozier, Christian: Composition, diffusion and interpretation in electroacoustic music, in: Barrière, Françoise, Bennett, Gerald (ed.): Composition / Diffusion en Musique Electroacoustic, Actes III des traveaux 1997 de l'Academie Internationale de Musique electroacoustic / Bourges, Bourges 1998, S. 233–281 – The Gmebaphone Concept and the Cybernéphone Instrument, in: Computer Music Journal 25:4, 2001, S. 81–90 Cremer, Lothar und Kuhl, Walter: Künstlicher Nachhall und erster Rückwurf, Zusammenfassung der Ergebnisse des Colloquiums, in: Gravesaner Blätter, Heft 5, 1956, S. 17–20 Cyon, Elias v.: Les organes périphériques du sens de l’espace, in: Comptes rendu des Séances de l’Académie des Sciences, 1877 – Das Ohrlabyrinth als Organ der mathematischen Sinne für Raum und Zeit, Berlin 1908 Daguenet, C.: A. Steinhauser – Audition Biauriculaire in: Journal de Physique, Vol. 9, No.8, 1880, S. 33f. Damaske, Peter und Wagener, B.: Richtungshörversuche über einen nachgebildeten Kopf, in: Acustica, 21, 1969, S. 31–35 Damaske, Peter: Richtungsabhängigkeit von Spektren und Korrelationsfunktionen der an den Ohren empfangenen Signale, in: Acustica 22, 1969, Heft 4, S. 192–204 Decroupet, Pascal: Vom finden zum Erfinden; Stockhausens Theorie von der »Musik im Raum« durch die Brille seiner Werke Gesang der Jünglinge, Gruppen, Kontakte und Carré betrachte, in: Brech und Paland (Hg.) 2015, S. 237–268 de Boer, Kornelis und Vermeulen, Roelof: Eine Anlage für einen Schwerhörigen, in: Philips technische Rundschau 4 (1939), S. 329–332 de Boer, Kornelis: Plastische Klangwiedergabe, in: Philips technische Rundschau 5, 1940, S. 111 – Stereofonische Geluidsweedergave, Delft 1940 de Boer, Kornelis und van Urk, Arend: Einige Einzelheiten beim Richtungshören, in: Philips technische Rundschau, 6, Dez. 1941, S. 363–368 de-de.sennheiser.com/ueber-sennheiser-auf-einen-blick-historie Deutsche Biographie, Online: www.deutsche-biographie.de/pnd100368867. htm?ancor=info Dibelius, Ulrich: Musikalische Räume zwischen Imagination und Realität, in: Hartmut Krones (Hg.): Bühne, Film, Raum und Zeit in der Musik des 20. Jahrhunderts, Wien, Köln, Weimar, 2003, S. 267–273 Docq, A.J.: Recherches Physico-Physiologiques sur la fonction collective des deux organes de l'appareil auditif, in: Mémoires Couronnés et Mé-

L ITERATUR

| 267

moires des Savants Étrangers / L'Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique, Tome XXXIV, 1867-1870 Rezension in: Der Naturforscher: Wochenblatt zur Verbreitung der Fortschritte in den Naturwissenschaften, 1868, Nr. 36, S. 292f.; in: Die Fortschritte der Physik 23 (1870), S. 193 und in: The College Courant, Yale University, Bd. 3, 17.10.1868, S. 214f. Dove, Heinrich Wilhelm: Nachtrag zu den Combinationstönen pag. 53, in: ders. (Hg.): Repertorium der Physik 3. Band, Berlin 1839, S. 404f. – Hr. Dove las über die Combination der Eindrücke beider Ohren und beider Augen zu einem Eindruck, in: Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneter Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaft zu Berlin, vom 29. Juli 1841, Berlin 1861, S. 251f. – Beweis, dass die Tartinischen Töne nicht subjektiv, sondern objektiv sind, in: Annalen der Physik, Bd. 107, 1959, S. 652–654 Doyle, Peter: Echo and Reverb; Fabricating Space in Popular Music Recording 1900–1960, Middletown, Conn. 2005 Dr. E.: Die erste Opernübertragung aus Zürich, in: Funk, Heft 15, 1925, S. 181 Dünne, Jörg und Günzel, Stephan: Raumtheorie; Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaft, Frankfurt a.M. 2006 Dupont, Dr.: Der Vollendung entgegen, in: Funk 1926, Heft 51, S. 443f. Ebstein, Margot: Das neue „Haus des Rundfunks“ in Berlin, in: Deutsche Tonkünstler-Zeitung, Heft 4 v. 20.2.1931, S. 52 Edgerley, Charles: Mechanical Ears for ships, in: Metropolitan Magazine November 1901, S. 652–654 Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1904; auch auf: http://textlog.de/4366.html Emmerson, Simon: Living Electronic Music, Aldershot 2007 Esser, Carl Ludwig: Über die Verrichtungen der einzelnen Theile des Gehörorgans, in: Archiv für die gesamte Naturlehre („Kastners Archiv“), 46/49 Bd. 12, 1827, S. 52–114; frz. Von Breschet, Gilbert: Mémoire sur les fonctions des divers parties des organe auditif, in: Archives générales de medicine, Paris, Vol. 9, Tome XXVI, 1831, s. 305–333 und 463–465 Farree, C.E. und Collins, Ruth: An Experimental Demonstration of the Binaural Ratio as a Factor in Auditory Localization, in: American Journal of Psychology, 1911, S. 250–297 Fechner, Gustav Theodor: Über die Deutlichkeit des Gehörs auf linkem und rechtem Ohre; in: Berichte über die Verhandlungen der königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften; Mathematisch-Physikalische Klasse; Leipzig 1860, Bd. 11–13. S. 166–174 (textidentisch mit: Annalen

268 | R EFERENZEN

der Physik und Chemie (Poggendorfs Annalen) Bd. 111, 1860, S. 500– 509) – Über das Hören mit zwei Ohren, in: Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte, 10, 1861, S. 512–516 – Über einige Verhältnisse des binokularen Sehens in: Abhandlungen des königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Leipzig 1861, S. 337–563 Feldhaus, F.M.: Die ersten Fernkonzerte in Deutschland, in: Funk, Heft 34, 1924, S. 525f. Fernberger, Samuel: Perception, in: Psychological Bulletin, 38 (1941), S. 432–468 Firestone, F.A. und Wightman, E. Russell: Binaural Localization of Pure Tones, in: JASA, 2, 1930, S. 271–280 Firestone, F.A.: The Phase Difference and Amplitude Ratio at the Ears due to a Source of Pure Tone, in: JASA, 2, Okt. 1930, S. 260–270. Fletcher, Harvey: The Reproduction of Orchestral Music in Auditory Perspective, in: Bell Laboratories Record, May 1933, S. 259 – An Acoustic Illusion Telephonically Achieved, in: Bell Laboratory Record, 10, 6, 1933, S. 286–289 Franssen, Nico: Some Considerations on the Mechanics of Directional Hearing, Delft 1960 Frei, Hans: Elektroakustische Untersuchungen in Hallräumen, Leipzig und Wien 1935 Fresenius, Friedrich Carl: Psychologische Grundlagen der Raumwissenschaften, Wiesbaden 1868 Frey, Hugo: Über die Beeinflussung der Schallokalisation durch Erregungen des Vestibularapparates, in: Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, Bd. 46, Wien 1912, S. 16–21 Gemant, Andrew: Zur Theorie der Schallisolation von Wänden, in: Zeitschrift für Physik, Vol. 87, 1934, S. 700–705 Gertich, Frank; Gerlach, Julia; Föllmer, Golo: Musik…, verwandelt, das elektronische Studio der TU berlin 1953–1995, Hofheim 1996 Goldstein, Kurt und Rosenthal-Veit, Olly: Über akustische Lokalisation und deren Beeinflussbarkeit durch andere Sinnesreize, in: Psychologische Forschung – Zeitschrift für Psychologie und ihre Grenzwissenschaften, 8, 1926, S. 318–335 Gottlob, Dieter: Vergleich objektiver akustischer Parameter mit Ergebnissen subjektiver Untersuchungen an Konzertsälen, Göttingen 1973 Gurlt, Ernst: Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin, in: in: Allgemeine Deutsche Biographie (1883), [Onlinefassung]; URL Deutsche Biographie,

L ITERATUR

| 269

http://www.deutschebiographie.de/sfz50269.html;jsessionid=DA4802A6 2D5E0F1214FDA8774178E5FC H.A.: Neue Funkregie in der Orag, in: der deutsche Rundfunk, Heft 5, 1930, S. 12 Hahn, W.: Die Übertragung aus der Staatsoper, in: Funk, Heft 23, S. 333– 335 Haller, Hans Peter: Frequenzumsetzung; Das Experimentalstudio in Freiburg im Breisgau, technische Einrichtung und Werkverzeichnis 1972–1976, Kassel 1978 Haller, Hans Peter: Das Experimentalstudio der Heinrich Strobel-Stiftung des Südwestfunks Freiburg 1971–1989, 2 Bde., Baden-Baden 1995 Halverston, H.M.: Binaural Localization of Tones as Dependent upon Differences of Phase and Intensity, in: The American Journal of Psychology, 1922, S. S. 178–212 Hamburger Bahnhof (Hg.): Bernhard Leitner, Museum für Gegenwart 12, 2008 Hansen, Andreas: Konzerthalle und Musentempel, in: Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, S. 840f. Harbich: Die Technik der Rundfunksendeinrichtungen, in: Funk 1924, Heft 17, S. 262 Hardt, Ernst: Das Funkhaus von morgen, in: Funk, Heft 43, 1927, S. 359f. Harleß, E.: Hören in: Wagner, Rudolph (Hg.): Handwörterbuch der Physiologie, Band 4, 1853, S. 311–450 Hartley, R.V.L. und Fry, Thornton C.: The Binaural Location of Pure Tones, in: The Physical Review, Vol. 18, No. 6 (1921), S. 431–442 Hecht, H.: Über die Lokalisation von Schallquellen, in: Die Naturwissenschaften, 10, 1922, S. 107–112 Heister, Hans v.: Das Hörspiel, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 16 v. 19.4.1925, S. 993f. – Das Problem des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk v. 31.7.1925, S. 1941–1944 – Rundfunkkunst, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 8, v. 21.2.1926, S.505– 508 – Bühnenstücke im Rundfunk in: Der deutsche Rundfunk, Heft 38 v. 19.9.1926 Helmholtz, Hermann: Lehre von den Tonempfindungen, Braunschweig 1863 Henricksen, Clifford A.: Unearthing the Mysteries of the Leslie Cabinet, Recording Engineer and/ Producer Magazine, April 1981 = http:// theatreorgans.com/hammond/faq/mystery/mystery.html

270 | R EFERENZEN

Henschel, Beate: Zur Geschichte des Siemens Studios, in: Siemens-Kulturprogramm (Hg.): Siemens-Studio für elektronische Musik, München 1994, S. 11–18 Hirsch, Andreas: Philosophischer Extract und Auszug aus deß WeltBerühmten Teuschen Jesuiten, Athanasii Kircheri von Fulda, Schwäbisch Hall 1662 Hoffmann, Christoph: Wissenschaft und Militär; das Berlin Psychologische Institut und der 1. Weltkrieg, in: Psychologie und Geschichte, 5 ,1994, Heft 3/4, S. 261–285 Holm, Emil: Die dänische Radiofonie, in: Funk, Heft 36, 1927, S. 291–293 Holmes, Thom: Electronic and Experimental Music; Technology, Music and Culture, New York and London 3rd edition 2008 Hornbostel, Erich M. v. und Wertheimer, Max: Über die Wahrnehmung der Schallrichtung, in: Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften, Gesamtsitzung vom 15.4.1920, S. 388–396 Hornbostel, Erich M. v.: Beobachtungen über ein- und zweiohriges Hören, in: Festschrift zum 75. Geburtstag von Carl Stumpf, Berlin 1923, S. 64– 114 – Das räumliche Hören, in: Bethe, A. u.a. (Hg.): Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie, Bd. 11, 1926, S. 602–619 http://charlin-lescharlinales.weebly.com http://charlin-lescharlinales.weebly.com/la-tecircte-artificielle.html http://www.acoutronicsreverb.com/main/?skin=sub03_01.html http://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/geschichte/funkhaus111_page-1. html http://www.songlexikon.de/songs/leovemedo http://en.wikipedia.org/wiki/Fantasound http://en.wikipedia.org/wiki/Leslie_speaker http://en.wikipedia.org/wiki/Street_Hassle http://en.wikipedia.org/wiki/Vitasound http://www.et.tu-dresden.de/electron_public.php (Suchbegriff: Kugelkunstkopf) http://www.jokan.de/Kunstkopf-liste.html http://www.rudolf-oetkerhalle.de/?kat=zwei&head=neun&clmns=2_1&pgl=2_5&pgr=2_5 http://www.stokowski.org/Harvey%20Fletcher%20Bell%20Labs%20Record ings.htm Ikenberry, Levi Daniel und Shutt, C.E.: Experimens in Judging the Direction of Sound, in: The Kansas University Quarterly Series A, 7, 1898, S. 9–16 J., W.: Münchens neues Funkhaus, in: Funk, Heft 16, 1929, S. 67f.

L ITERATUR

| 271

Jäger, Siegfried (Hg.): Wolfgang Köhler; Briefe von Wolfgang Köhler an Hans Geitel 1907–1920, Passau 1988 John, Henry J.: Jan Evangelista Purkyne; Czech Scientist and Patriot 1787– 1869, Philadelphia 1959 Jung, H. und Alter, E.: Grundlagen und Bau eines elektrischen Generators für künstlichen Nachhall, in: Bild und Ton, 10, 1952, S. 312–317 Kapeller, Ludwig: Plastisches Hören von Rundfunkdarbietungen, in: Funk, Heft 20, 1925, S. 240 – Berlins Rundfunk-Schicksal, in: Funk 1925, Heft 26, S. 309f. – Der Stereophonische Rundfunk, in: Funk, Heft 27, 1925, S. 317–319 – Das Rundfunk-Theater, in: Funk 1925, Heft 38, S. 465f. – Ein Blick in die Zukunft, in: Funk, Heft 45 v. 5.11.1926, S. 393f. – Die „Schwierigkeiten“ der Rundfunk-Aufnahme, in: Funk, Heft 6 v. 3.2.1928, S. 41f. – Die neuen Senderäume der Berliner Funk-Stunde, in: Funk, Heft 38, 1928, S. 269f. Kappelmeyer, Otto: Das Ultraphon, in: Radio-Amateur, Heft 47, 1925, S. 1104 Karman, Gregorio García: Una propuesta para la restauración electrónica de 'Planto por las víctimas de la violencia' de Cristóbal Halffter, in: Actas del Primer Congreso Internacional de Música y Tecnología Contemporáneas, Sevilla 2006; pdf-Datei erhältlich über info.ggkarman.de/ publications Keller, F.: Beitrag zur Nachbildung des menschlichen Gehörs im Rahmen raumakustischer Modellversuche, in: Gravesaner Blätter, 10, 1958, S. 72–85 Kent, Walter: An Appreciation of Two Great Workers in Hydraulics: Giovanni Battista Venturi, born 1746, and Clemens Herschel, born 1742, London 1912 Kessel, J.: Ueber die Function der Ohrmuschel bei den Raumwahrnehmungen, in: Archiv für Ohrenheilkunde 18, 1882, S. 120–129 – „Ueber die Verschiedenheit der Intensität eines linear-erregten Schalles in verschiedenen Richtungen“, in: Archiv für Ohrenheilkunde 18, 1882, S. 129–136 Kircher, Athanasius : Musurgia universalis sive ars magna consoni et dissoni, Rom 1650 – Phonurgia Nova sive Coniugium Mechanico-physicum artis et naturae Paranympha Phonosophia concinnatum, Campidona 1673 – Neue Hall- und Thonkunst, Nördlingen 1684

272 | R EFERENZEN

Klein, Helmut: Einrichtungen des Studios, in: Klein, Helmut und Riedl, Anton: Informationsberichte über das Siemens-Studio für elektronische Musik München 1. Folge; Sonderdruck aus dem Heft Konzerte Neuer Musik des Bayrischen Rundfunks, 13. Jahrgang, 50. Folge, München 1962, o.S., bzw. Wiederabdruck des Textes in: Siemens-Kulturprogramm (Hg.): Siemens-Studio für elektronische Musik, München 1994, S. 19–26 Klemm, Otto: Lokalisation von Sinneseindrücken bei disparaten Nebenreizen, in: Wundt, Wilhelm (Hg.): Psychologische Studien, Bd. V, Leipzig 1910, S. 73–162 – Untersuchungen über die Lokalisation von Schallreizen, zweite Mitteilung: Versuche mit einem monotischen Beobachter in: Wundt, Wilhelm (Hg.): Psychologische Studien, Bd. VIII, Leipzig 1913, S. 497–505 – Über die Lokalisation von Schallreizen, in: Berichte über den 6. Kongress für Experimentelle Psychologie in Göttingen 15.–18.4.1914, Leipzig 1914, S. 169–258 – Untersuchungen über die Lokalisation von Schallreizen. 3. Mitteilung: Über den Anteil des beidohrigen Hörens, in: Archiv für die gesamte Psychologie, 38, 1918, S. 71–114 – Untersuchungen über die Lokalisation von Schallreizen, 4. Mitteilung: Über den Einfluß des binauralen Zeitunterschiedes auf die Lokalisation, in: Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 40, 1920, S. 117–146 Költzsch, Peter: Von der Antike bis in das 20. Jh.; ein Streifzug durch die Geschichte der Akustik, Berlin 2010 – Die Seebeck-Sirene, in: ders: Sondhauß-Röhre, Seebeck-Sirene – wer waren die Namensgeber?; Schriftenreihe zur Geschichte der Akustik, Berlin 2012, S. 160–167 Kohlrausch, Arnim: Early Researches on Spatial Hearing in Helsinki and Eindhoven, in: NAG/DAGA 2009, International Conference on Acoustics, Rotterdam 23–26 March 2009, Program, S. 86 Kraak, W.: Elektroakustische Messungen an Raummodellen, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 65, 1956/67, Heft 3, S. 91–98 Krause, Manfred: Ein Fachgebiet erinnert sich (an Osaka), auf: https://www2.ak.tu-berlin.de/Geschichte/chrono/Ein-Fachgebiet-erinnertsich.html Krauth, Ekkehard: Klanggetreue Nachbildung der Raumakustik durch Modelle, München 1961 Krauth, Ekkehard und Bücklein, R.: Modellversuche zur Ermittlung der Hörsamkeit von Räumen, in: Gravesaner Blätter, 27/28, 1965, S. 138– 154

L ITERATUR

| 273

Kreidl, Alois: Historische Skizze zur Lehre von der Funktion des schallempfindlichen Apparates seit 1850, in: Politzer 1913: Geschichte der Ohrenheilkunde, Band 2, S. 54–58 Kreysing, Helmuth: Hermann Heiß, in: Komponisten der Gegenwart, 3. Nlfg. (o.J.) Kries, Johannes v. und Auerbach, Felix: Die Zeitdauer einfachster psychischer Vorgänge, in: Archiv für Anatomie und Physiologie; Abt. Physiologie, 1877, S. 297–378 Kries, Johannes v.: Über das Erkennen der Schallrichtung, in: Zeitschrift für Psychologie 1, 1890, S. 235–251 Kritter, Johann Friedrich; Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin; Niceus, Christian Friedrich: Über das schwere Gehör und die Heilung der Gehörfehler, Leipzig 1794, S. 145f. Ku, Ja Huon: British Acoustics and its Transformation from 1860 to 1910; in: Annals of Science, Vol 63. No.4 (2006), S. 395–423 Kuhl, Walter: Über die akustischen und technischen Eigenschaften der Nachhallplatte, in: Rundfunktechnische Mitteilungen, 2 (1958), S. 111– 116 Kuntze, Walter: Beiträge zur Raumakustik, in Annalen der Physik, 5. Folge, 4, 1930, S. 1058–1096 Küpper: Ueber die Bedeutung der Ohrmuschel beim Menschen; in: Archiv für Ohrenheilkunde, VIII/3, 1874, S. 158–162 Kürer, Plenge Wilkens: Correct Spatial Sound Perception Rendered by a Special 2-Channel Recording Method, 37. Convention 13.–16.10.1969, Preprint 666, Lannëc, René Theophile: Traité de l’Auscultation médiate; (2 Bde.) Paris 1819; 4. Aufl. 1836 – Abhandlung von den Krankheiten der Lunge und des Herzens und der mittelbaren Auscultation als eines Mittels zu ihrer Erkenntniß, Leipzig 1832 (2. Aufl.) Lapp, Ralph E.: Schall und Gehör, Amsterdam 1966 Lauridsen, Holger: Nogle forsøg med forskellige former for rumakustik gengivelse og forslag til og forsøg med et stereofonisk system med utraditionel informationsfordeling mellem to kanaler in: Ingeniøren, Nr. 47, 1954, S. 906–910 Lauridsen, Holger und Schlegel, Franz: Stereofonie und richtungsdiffuse Klangwiedergabe; Grundgedanken und neuere Experimente mit untraditionellen Systemen, in: Gravesaner Blätter, Heft 5 (1956), S. 28–37 Lechalas, Georges: Sur l’absence d’espace sonore, in: Revue de métaphysique et de morale, 1895, S. 623–630

274 | R EFERENZEN

Leitner, Bernhard: Kopfräume, Karlsruhe 2003 Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin: Tentamen vitiis auditus medendi, maxiumum partem novissimis Anatomicorum et Chirurgorum inventis adstructum; in: Göttinger Commentationen, vol. XI, 1793 – Beyträge zur ausübenden Arzneywissenschaft, Leipzig 1798 Lertes, Peter: Drahtloses Fernsprechen, in: Fürst, Artur: Das Weltreich der Technik, Bd. 1, Berlin 1929, S. 304–344 Lincke, Carl Gustav: Handbuch der Ohrenheilkunde Bd. 1, Leipzig 1837 Linnenkohl, Hans: Vom Einzelschuß zur Feuerwalze, Koblenz 1990 Lobsien, Max: Über binaurales Hören und auffällige Schalllokalisation, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Vol 24, 1900, S. 285–295 Lokalisation, in: Brockhaus-Konversations-Lexikon, 14. Aufl., 1898, Bd. 11 Lotze, Hermann: Seele und Seelenleben, darin: Localisation der Empfindungen, in: Wagner, Rudolph (Hg.): Handbuch der Physiologie Bd. 3,1, Braunschweig 1846, S. 172–190 Löwenstein, Leo: Die Erfindung der Schallmessung, in: Die Schalltechnik, 1, Nr. 2, 1928, S. 21–24 Mac Gamble, Eleanor A.: Intensity as a Criterion in Estimating the Distance of Sounds, in: Psychological Review (American Psycholog. Ass.), 16, 1909, S. 416–426 Mach, Erst: Zur Theorie des Gehörorgans, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1863, Bd. 48, S. 283–300 – Über einige der physiologischen Akustik angehörige Erscheinungen; in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien/2, Bd. 50, 1864, S. 342–362 – Bemerkungen über den Raumsinn des Ohres; in: Annalen der Physik und Chemie (Poggendorffs Annalen); CXXVI, 1865, S. 331–333 – Bemerkungen über die Entwicklung der Raumvorstellungen; in: Zeitschrift für Philosophie und Philosophische Kritik, NF 49, 1866, S. 227– 232 – Bemerkungen über die Function der Ohrmuschel; in: Archiv für Ohrenheilkunde; IX/II, 1875, S. 72–76 Magendie, François: Précis élémentaire de physiologie, Paris 1816; erweiterte Auflagen 1824 und 1834 – Elementary Compendium of Physiology for the Use of Students, Philadelphia 1824 nach der 2. frz. Aufl. – Handbuch der Physiologie, Eisenach und Wien 1834 (nach der 3. frz. Aufl.)

L ITERATUR

| 275

Mallock, A.: Note on the Sensibility of the Ear to the Direction of Explosive Sounds, in: Proceedings of the Royal Society, Sect. A, 80, 1908, S. 110– 112 Matsumoto, Matataro: Researches on Acoustic Space, in: Studies from the Yale Psychological Laboratory, 5, 1897, S. 1–75 Maxfield. J.P.; Harrison, H.C.: Methods of High Quality Recording and Reproducing of Music and Speech Based on Telephone Research, in: Bell System Technical Journal, 1926, S. 494–523 Mayer, Alfred F.: Researches in Acoustics No. V, in: Philosophical Magazine, Ser. 4; Vol. XLVIII, 1874, S. 266–274; S. 371–385; S. 445–452 – Researches in Acoustics No. VI, in: Philosophical Magazine, Ser. 4, Vol. XLIX, 1875, S. 352–365 – Researches in Acoustics Vol. VIII, in: Philosophical Magazine, Ser. 5, Vol II, 1876, S. 500–507 – Topophon-Berichte in: The Manufacturer and Builder, Nr. 4, Vol.12, 1880, S. 79 und Nr. 11, Vol. 12, 1880, S. 254 Md: Aus den deutschen Sendestädten, in: Funk, 1926, Heft 18, S. 141 Mellert, Volker: Construction of a Dummy Head after New Measurements of Thresholds of Hearing, in: JASA, 51, No 4, Part 2, 1972, S. 1359– 1361 Mertens, H.: Directional Hearing in Stereophony – Theory and experimental verification, in: EBU-Review Part A, No. 92, August 1965, S. 146–158 Meyer, Erwin; Just, Paul: Zur Messung von Nachhalldauer und Schalabsorption, in: Elektrische Nachrichten, 5, 1928, Heft 8, S. 293–300 – Messungen der Gesamtenergie von Schallquellen, in: Zeitschrift für Technische Physik 10 (8), August 1929, S. 309–316 Michel, Eugen: Raumakustik und Rundfunk, (Abdruck des Vortrags auf der Göttinger Tagung für Rundfunkmusik), in: Funk, Heft 25, 1928, S. 193f. Moncel, Théophonse du: Auditions théâtrales, in: Lumière Éléctrique, Vol. 5, No. 50, 21.9.1881 und als: The Telephonic Halls, in: Scientific American, 14.1.1882, S. 5022 – Les salles téléphoniques, in: Lumière Éléctrique, Vol. 5, No. 51, 24.9.1881, S. 391f. – Les auditions téléphoniques théâtrales en Russie, in:Lumière Éléctrique, Vol. 9, No. 21, 26.5.1883, S.119-122 Morawska-Bügeler, Marietta: Schwingende Elektronen; Eine Dokumentation über das Studio für Elektronische Musik des WDR 1951–1986, KölnRodenkirchen 1988

276 | R EFERENZEN

More, L.T. und Fry, H.S.: On the Appreciation of Difference of Phase of Sound-Waves, in: Philosophical Magazine (6), Vol. XIII, 1907, S. 452– 459 Müller, Johannes: Handbuch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen Bd. 2, Coblenz 1840 Münsterberg, Hugo: Raumsinn des Ohres, in: Beiträge zur experimentellen Psychologie, Heft 2, Freiburg 1889, S. 182–234 Myers, C.S. und Wilson, H.A.: On the Perception of the Direction of Sound, in: Proceedings of the Royal Society, A, 1908, S. 260–266 Myers, Charles S.: The Influence of Timbre and Loudness on the Localisation of Sounds, in: Proceedings of the Royal Society, Series B, 88, 1914, S. 267–284 N.N.: The Topophone, in: The Manufacturer and Builder, Nr. 4, Vol. 12 (1880), S. 79f. N.N.: The Topophone or Sound Placer, in: The Manufacturer and Builder, Nr. 11, Vol 12. (1880), S. 253f. N.N.: Telephone, Western Electrician, 12.9.1891, S. 155 N.N.: Theatrophone Service in Paris, in: Western Electrician v. 14.5.1892, S. 288 N.N.: Das Mikrophon auf der Bühne, in: Funk 1924, Heft 3, S. 32 N.N.: Der Umbau des Berliner Senders, in: Der deutsche Rundfunk, 1924, S. 2504f. N.N.: Stereo-akustischer Rundfunkempfang, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 16 v. 19.4.1925, S. 1320 N.N.: Plastisches Hören im Rundfunk in: Funk, Heft 45, 1925, S. 542 N.N.: Mehr Raum; Betrachtungen zum Norag-Neubau in Hamburg, in: Funk, Heft 46, 1930, S. 219 N.N.: Teilnehmerliste des Kolloquiums „Künstlicher Nachhall und erster Rückwurf“, in: Gravesaner Blätter 5, 1956, S. 15 N.N.: About of the Cybernephone (formerly Gmebaphone); www.imeb.net/ .../About-of-the-Cybernephone.doc Nauck, Gisela: Musik im Raum–Raum in der Musik, Stuttgart 1997 – Musik erobert den Raum (2): Die Donaueschinger Raummusik, Rundfunksendung im SWR 1998, http://www.gisela-nauck.de/texte/ 1998_Musik_Raum2_SWR.pdf Niceus, Christian in: J. Fr. Kritter und L. Fr. B. Lentin Friedrich über das schwere Gehör und die Heilung der Gehörfehler, Leipzig 1794 Niemeyer, Paul: Handbuch der theoretischen und clinischen Percussion und Auscultation, Erlangen 1870

L ITERATUR

| 277

Niese, H.: Untersuchungen für die Richtcharakteristik des Aufnahmemikrophons bei raumakustischen Impulsmessungen, in Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 65, 1956/57, Heft 6, S. 192–200 Nikolas, Ilse: Konzertreisen mit Kunstköpfen, in: Berliner Rundschau, 24.2.1972 Nordlund, Bertil: Physical Factors in Angular Localization, in: Acta-otolaryngologica 54, 1962, S. 75 -93 Nordlund, Bertil und Lundén, G.: An Artificial Head, in: Acta otolaryngologica 56, 1963, S. 493–499 Österreichisches Biographisches Lexikon, 1815–1950, Bd. 3, Wien 1964 Paland, Ralph: “…every movement is possible”: Spatial Composition in Iannis Xenakis’s Hibiki-Hana-Ma, in: Brech und Paland (Hg.) 2015, S. 305–322 Paul, Stephan: Binaural Recording Technology: A Historical Review and Possible Future Developments, Acta Acustica united with Acustica, Vol. 95 (2009), S. 767–788 Pauli, Hansjörg (Hg.): Hermann Scherchen, Musiker: 1891–1966; ein Lesebuch, Berlin 1986 Pierce, Arthur Henry: Studies in Auditory and Visual Space Perception, New York, London, Bombay 1901. Pierce, John A.: Klang; mit den Ohren der Physik, Heidelberg 1989 Plenge, Georg: Die Sicherheit von Urteilen bei Vergleichen musikalischer Kurzbeispiele; die Ermittlung geeigneter Beurteiler für den Vergleich unterschiedlicher Hörsamkeiten von Konzerten und Theatern, Berlin 1968 Plenge, G.; Lehmann, P.; Wettschurek, R.; Wilkens, H.: New methods in architectural Investigations to evaluate the acoustic quality of concert halls, in: JASA, 57, No. 6, Part I, June 1975, S.1292–1299 Politzer, Adam: Studien über den Paracusis loci; in: Archiv für Ohrenheilkunde XI, 1876, S. 231 – Geschichte der Ohrenheilkunde, Stuttgart 1907, 2. Aufl. 1913 Poullin, Jacques: Von der musikalischen Transmutation zur Klangprojektion aufgenommener Schallvorgänge, in: Werner Meyer-Eppler (Hg.): Gravesano; Musik, Raumgestaltung, Elektroakustik, Mainz 1955, S. 97–102 – Musique Concrète; Aufnahmetechnik bei der Verarbeitung von Klangmaterial und neuer musikalischer Formen, in: Fritz Winckel (Hg.): Klangstruktur der Musik, Berlin 1955, S. 109–132 – Son et Espace, in: Pierre Schaeffer (Hg): Vers une Musique Experimentale, La Revue Musicale 236, Paris 1957, S. 105–114 – L'apport des techniques d'enregistrement dans la fabrication de matières et de formes musicales nouvelles, Ars Sonora 09, 1999

278 | R EFERENZEN

Prager, Jonathan: L’inerpretation acoustique, 2002–2012; http://www. inagrm.com/linterpretation-acousmatique-0 Preece, William Henry und Maier, Julius: The Telephone, London 1889 Preibisch-Effenberger, Rudolf: Schallokalisationsfähigkeit des Menschen und ihre audiometrische Verwendbarkeit zur klinischen Diagnostik, Habilitationsschrift, Dresden 1966 Preyer, William Thierry: die Wahrnehmung der Schallrichtung mittelst der Bogengänge, in: Pflügers Archiv (Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Thiere), XL, 1887, S. 586–622 Prom: „Opernfunk auf Draht, in: Funk, Heft 11, 1924, S. 189f. Purkyne, Jan Evangelista: Sinne im Allgemeinen, in: Rudolph Wagner (Hg.): Handwörterbuch der Physiologie, Bd. 3,1, Braunschweig 1846, S. 353–359 – Bericht der Naturwissenschaftlich-mathematischen Section am 18. Oktober 1858, in: Abhandlungen der königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, 5. Folge, Band 10, 1857–1859, Prag 1859, S. 80f. – Experimens on Hearing, in: John, Henry 1959, S. 75–79, Original in: Ziva VII roen. Sv. 4, 1859, S. 261–267; dt. Übersetzung: Dr. Eiselt: Physiologie und Pathologie des Gehörorgans in: Prager Vierteljahrschrift für praktische Heilkunde Bd. 17/3, S. 91–97 – „Hr. Purkyne sprach über seine Versuche über die Coincidenz gleicher Gehörempfindungen im Hinterhaupte“, in: Sitzungsberichte der königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften Prag, 4.6.1860, S. 98– 102 – „Hr. Purkyne theilte wieder mehrere physiologisch-acustische Versuche im Folgenden mit“, in: Sitzungsberichte der königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften Prag 30.7.1860, S. 11–17 – Berichte zur Vorstellung des Opistophons in: Tagblatt der Versammlung der deutschen Ärzte und Naturforscher, Karlsbad 1862, S. 66f.; mit demselben Text in: Amtlicher Bericht über die 37. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte 1862 in Karlsbad, S. 222f.; Ärztliches Intelligenzblatt, Hg. vom ständigen Ausschuss der Bayerischen Ärzte, IX. Jahrgang, München 1862, S. 618f. Raciborski, Adam und Hacker, Heinrich August: Neues vollständiges Handbuch der Auscultation und Percussion oder Anwendung der Akustik zur Unterscheidung der Krankheiten, Leipzig 1836 Radau, Rodolphe: L’Acoustique ou les phénomènes du sons, Paris 1867 Die Lehre vom Schall, gemeinfaßliche Darstellung der Akustik, München 1869; 2. Aufl. München 1875

L ITERATUR

| 279

– Wonders of Acoustic or, the Phenomena of Sound, London und New York 1870 Rankovic, Christine M. und Allen, Jont B.: Study of Speech and Hearing at Bell Telephone Laboratories; Correspondance Files and Internal Reports; Hg. vom Journal of the Acoustical Society of America, 2000 (CD-ROM) Rayleigh, William Strutt Lord: Our Perception of the Direction of a Source of sound, in: Nature, 11.5.1876, S. 32f. – LXI. Acoustical Observation; Perception of the Direction of a Source of Sound, in: Philosophical Magazine (5) 3, 1877, S. 456–464 – The Theory of Sound Vol. II, London 1878 – Acoustical Notes VII, in: Philosophical Magazine, Vol. XIII, S. 316–333 = Scientific Paper 320, 1964, S. 364–379 – Acoustical Notes VIII, in: Philosophical Magazine (= Scientific Paper 331), 1908, S. 479–488 – On Our Perception of Sound Direction, in: Philosophical Magazin, Vol. XIII, 1907, S. 214–232 – On the Perception of the Direction of Sound, in: Proceedings of the Royal Society, A, Vol. LXXXIII, 1909, S. 61–64 = ders.: Scientific Paper Nr. 337, S. 522–525 – Scientific Paper Nr. 319, Vol. V, Dover 1964 RB: Rezension zu Alison 1858, in: Die Fortschritte der Physik im Jahre 1858, dargestellt von der physikalischen Gesellschaft zu Berlin, 14. Jg., Berlin 1860, S. 157–161 Reichardt, W. und Haustein, B.-G.: Zur Ursache des Effektes der „Im-KopfLokalisation“, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 77, 1968, S. 183–189 Reisser, W.: Die günstigste Akustik des Aufnahmeraumes, in: Funk 1927, Heft 26, S. 201 – Der ideale Aufnahmeraum; auf dem Wege zur günstigsten Akustik der Rundfunksenderäume, in: Funk, Heft 27, 1927, S. 209f. Saar, Gerhard: Plastisches Hören mit Doppelempfänger, in: Funk, Heft 28, 1925, S. 340 Sabine, Wallace Clement: Collected Papers, Cambridge 1922 Savart, Félix: Recherches sur les usages de la membrane du tympan et de l’oreille externe; in: Annales de Chimie et de Physique, 26, 1824, S. 5– 39 Scarth, Richard N.: Echoes from the Sky, a story of acoustic defense, Kent 1999 Schäfer, Karl: Über die Wahrnehmung und Lokalisation von Schwebungen und Differenztönen, in: Zeitschrift für Psychologie 1, 1890, S. 81–98

280 | R EFERENZEN

– Zur interauralen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen, in: Zeitschrift für Psychologie, 1, 1890, S. 302 – Ein Versuch über die interkranielle Leitung leisester Töne von Ohr zu Ohr, in: Zeitschrift für Psychologie, 2, 1891, S. 111–114 – Ist eine celebrale Entstehung von Schwebungen möglich?, in: Zeitschrift für Psychologie, 4, 1893, S. 348–350 – Nochmalige Ablehnung der celebralen Entstehung von Schwebungen, in: Zeitschrift für Psychologie, 5, 1893, S. 397–401 – Versuche über die Abnahme der Schallstärke mit der Entfernung, in: Poggendorfs Annalen, NF 57, 1896, S. 785 -792 Schaeffer, Pierre: A la recherche d’une musique concrète, Paris 1952 Schäffer, Walter: Mikrophone, Verstärker und Aufnahmeräume, in: Funk 1926, Heft 48, S. 419f. Schampaul, Nikolaus: Der Kunstkopf als technisches Übertragungssystem, in: Funkschau, Nr. 2, 1974, S. 133f. Schenk, Stefan: Das Siemensstudio für Elektronische Musik, Tutzing 2014 Schießer, H.: Einrichtungen zur Erzeugung künstlichen Nachhalls, in: Funk und Ton, 8, 1954, S. 361–368 Schirmer, Werner: Die Richtcharakteristik des Ohres, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 72, 1963, S. 39–48 – Die stereophone Übertragung mit Kopfhörerwiedergabe zur Ermittlung der Hörsamkeit von Räumen, Diss. Dresden 1966 – Die Veränderung der Wahrnehmbarkeitsschwelle eines künstlichen Rückwurfs bei kopfbezüglicher stereophoner Übertragung, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 75, 1966, S. 115–123 – Die Unterscheidbarkeit von Hörerplätzen mittels kopfbezüglicher stereophoner und monophoner Übertragung, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik, 75, 1966, S. 181–184 – Zur Deutung der Übertragungsfehler bei kopfbezüglicher Stereophonie, in: Acustica, 17, 1966, S. 228–233 Schirmer, Werner und Haustein, B.-G.: Messeinrichtung zur Untersuchung der Richtungslokalisationsvermögens, in: Hochfrequenztechnik und Elektroakustik 79, 1970, S. 96–101 Schmidt-Horning, Susan: The Sounds of Space: Studio as Instrument in the Era of High Fidelity, in: Simon Frith and Simon Zagorski-Thomas (ed.): The Art of Record Production, Farnham und Burlington 2012, S. 29–42 Schnebel, Dieter (Hg.): Karlheinz Stockhausen Texte zur Musik Bd. 3, Köln 1971 Schrock: Das Kompromiß zwischen Kunst und Technik, in: Funk 1925, Heft 34, S. 408

L ITERATUR

| 281

Schroeder, Manfred: An Artificial Stereo Effect Obtained from a Single Audio Signal, in: JAES, Vol. 6 (1958), Nr. 2, S. 74–79 Schünemann, Georg: Die Aufgaben der Funkversuchsstelle, in: Funk, Heft 3, 1929, S. 9–11 – Die Arbeit der Rundfunkversuchstelle, in: Funk, Heft 30, 1929, S. 130f. – Die Arbeit der Rundfunkversuchsstelle, in: Funk, Heft 11, 1930, S. 41f. Scripture, Edward. W.: Einige Beobachtungen über Schwebungen und Differenztöne, in: Wundt: Philosophische Studien VII, 1892, S. 630–632 – Ist eine celebrale Entstehung von Schwebungen möglich?, in: Philosophische Studien VIII, 1983, S. 638 - 640 – On binaural Space, in: Studies from the Yale Psychological Laboratory, 5, 1897, S. 76–80 Seashore, C.E.: Localization of Sound in the Median Plane, in: Studies in Psychology, University of Iowa, 2, 1899, S. 46–54 Seebeck, August: Ueber die fragliche Combination des rechten und linken Eindrucks beim Gehör- und Gesichtssinne, in: Annalen der Physik und Chemie, Band 68, Nr. 8, 1846, S. 449–465 Seidler-Winkler, Bruno: Das Kompromiß zwischen Kunst und Technik, in: Funk 1925, Heft 33, S. 397f. Siebrasse, Karl Friedrich: Vergleichende subjektive Untersuchungen zur Akustik von Konzertsälen, Göttingen 1973 Skoda, Joseph: Abhandlung über Perkussion und Auskultation, Wien 1839 und 4. Aufl. 1850 Smith, Gould: How do we detect the direction from which the sound comes?, in: The Cinicinatti Lancet-Clinic, vol. 29, 1892, S. 542–544 Solomos, Makis: Xenakis’ First Composition in Musique Concrète: Diamorphose, https://www.gold.ac.uk/media/Keynote%20III%20Makis%20 Solomos.pdf Spandöck, Friedrich: Akustische Modellversuche, in: Annalen der Physik, 5. Folge, Bd. 20, H. 4, 1934, S. 345–360 Starch, Daniel: The Perception of distance of Sound, in: Psychological Review (American Psycholog. Ass.), 16, 1909S. 427ff. Steinberg, J.C. und Snow, W.B: Physical Factors, in: Bell Technical Journal, Vol. 13, 2, 1934 S. 245–258 Steinhauser, Anton: Über die geometrische Construction der Stereoskopbilder, ein Beitrag zur centralen Projection bearbeitet zum Gebrauche für Techniker und Fisiker, Graz 1870 – Die Theorie des binauralen Hörens, in: Archiv für Ohrenheilkunde, XII, 1877, S. 62–66

282 | R EFERENZEN

– Die Theorie des binaurealen Hörens, ein Beitrag zur Lehre vom Schalle, Wien 1877; engl. Übersetzung: The Theory of Binaural Audition. A Contribution to the Theory of Sound, in zwei Teilen im Philosophical Magazine (5) Vol. 7,1879, S. 181–197 und S. 261–274 – Stenzl, Jürg: Luigi Nono: Texte, Studien zu seiner Musik, Zürich 1975 Stewart, G.W.: The Acoustic Shadow of a Rigid Sphere with Certain Applications in Architectural Acoustics and Audition, The Physical Review, Vol. 33, 1911, S. 467–479 – Phase Relations in the Acoustic Shadow of a Rigid Sphere; Phase Difference at the Ears, The Physical Review, Vol. 4, Series 2, 1914, S. 252– 258 – The Function of Intensity and Phase in the Binaural Location of Pure Tones in: Proc. N.A.S., Vol. 6, 1920, S. 166–169 Stockhausen, Karlheinz: Musik im Raum, in: die Reihe, 5, Wien 1959, S. 59–73 – Nr.3 Elektronische Studien, Studie II, UE 12466 – Nr. 12 Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, Aufführungspartitur, London 1966 – Nr. 12 Kontakte, elektronische Musik, Realisationspartitur, Wien 1968 – Vier Kriterien der Elektronischen Musik, in: ders.: Texte zur Musik Bd. 4, Köln 1978, S. 360–401 – Die Zukunft der elektroakustischen Apparaturen in der Musik, in: ders.: Texte zur Musik Bd. 4, Köln 1978, S. 425–436 – Kompositionskurs über Sirius; elektronische Musik und Trompete, Sopran, Bassklarinette und Bass, Kürten 2000 Striemer, Camilla: Kritik“Studio“ in: der deutsche Rundfunk, 1930, Heft 10, S. 65 Stumpf, Carl: Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung, Leipzig 1873 – Tonpsychologie, Bd. 2, Leipzig 1890 – Zum Begriff der Lokalzeichen; in: Zeitschrift für Psychologie 4, 1893, S. 70–74 Sunier, John: The Story of Stereo 1881– , New York 1960 Tak, W.: Die Klangeffekte, in: Philips technische Rundschau, Vol. 20 Nr. 3/4, 1958, S. 75–77 Tarchanow: Das Telephon als Anzeiger der Nerven- und Muskelströme beim Menschen und den Thieren in: St. Petersburger Medicinische Wochenschrift 3. Jg., Nr. 43 v. 29.10.1878; S. 353f. Tazelaar, Kees: On the Threshold of Beauty; Philips and the Origins of Electronic Music in the Netherlands 1925–1965, Rotterdam 2013

L ITERATUR

| 283

Thompson, Silvanus P.: On Binaural Audition, in: Philosophical Magazine (5), Vol. 4, 1877, S. 274–276 – Phenomena of Binaural Audition – Part Two, in: Philosophical Magazine (5), Vol. 6, 1878, S. 383–391 – The Pseudophone, in: Philosphical Magazine, (5) Vol. 8, 1879, S. 384– 390 – Phenomena of Binaural Audition – Part III, in: Philosophical Magazine (5), Vol. 12, 1881, S. 351–355 – On the Function of the two Ears in the Perception of Space; in: Philosophical Magazine (5), Vol. 13, 1882, S. 406–416 Tomasziewicz, Anna: Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinths, Diss. Zürich 1877 Tourtual, Anatom Caspar Theobald: Die Sinne des Menschen in den wechselseitigen Beziehungen ihres psychischen und organischen Lebens; ein Beitrag zur physiologischen Ästhetik, Regensburg 1827 Trimble, Otis C.: The Theory of Sound Localization: A Restatement, in: Psychological Review, 1928, S. 515–523 Tröger, Joachim: Die Schallaufnahme durch das äußere Ohr, in: Physikalische Zeitschrift, 31, 1930, S. 26–45 Ullmann, Dieter: Die Entwicklung der Raumakustik im 19. Jh., in: Sudhoffs Archiv, Bd. 73, Heft 2 (1989), S. 208–215 Urbantschitsch, Viktor: Zur Lehre von der Schallempfindung; in: Pflügers Archiv, 24, 1881, S. 574–595 – „Über die Wechselwirkungen der innerhalb eines Sinnesgebietes gesetzten Erregungen“, in: Pflügers Archiv, 31, 1883, S. 280–309 – Ueber die Localisation der Tonempfindungen, in: Pflügers Archiv, 101, 1904, S. 154–182 Van der Voort, A.W.M; Aarts, Ronald M.: Development of Dutsch Sound Locators to Detect Airplanes (1927–1940), NAG/DAGA Rotterdam 2009, S. 250–253 Venturi, Giovanni Battista: Analyse des sentiments et des idées; Considérations sur la connoissance de l’etendre que nous donne le sens de l’Ouïe, in: Magasin encyclopedique, ou journal des sciences, des lettre et des arts, Vol. 2, No. 1, Paris 1796, S. 29–37 – Betrachtungen über die Erkenntnisse des Raums, durch den Sinn des Gehörs, a.d. Italienischen übers. V. Hr. Reg. Secr. Pistorius zu Eisenach, in: Voigts Magazin Bd. 2, Weimar 1800, S. 1–16 – Riflessioni sulla conoscenza dello spazio, che noi possiamo ricavar dall’ udito; in: Giambatista Venturi: Indagine Fisica Sui Colori, 2. Aufl. Modena 1801

284 | R EFERENZEN

– Betrachtungen über die Erkenntnis der Entfernung, die wir durch das Werkzeug des Gehörs erhalten, in: Archiv für die Physiologie von Joh. Ch. Reil, 5, 1802, S. 383–392 Vermeulen, Roelof: Vervielfachung von Konzerten, in: Philips technische Rundschau, 10, 1948, S. 167–175 – Vergleich zwischen wiedergegebener und echter Musik, in: Philips technische Rundschau, 17, 1955, S. 191–198 – Stereo-Nachhall, in: Philips Technische Rundschau, 17, 1955/56, S. 229– 237 Voß, Ingo: Die Pseudostereophonie, in: Funkschau 1977, Heft 6, S. 61–64 Wagner, Rudolph (Hg.): Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf die physiologische Pathologie, Braunschweig, 1846–1853 Wallach, Hans: Über die Wahrnehmung der Schallrichtung, in: Psychologische Forschung 22, 1938, S. 238–266 Weber, Eduard: „Herr Eduard Weber kündigt eine von ihm der Gesellschaft zu übergebende Abhandlung über den Mechanismus des menschlichen Gehörorgans an und hebt aus derselben einige, bisher streitige Lehren heraus“, in: Berichte über die Verhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathematisch-Physische Classe, Jahrgang 1851, S. 29–31 Weber, Ernst Heinrich: Tastsinn und Gemeingefühl, in: Wagner, Rudolph (Hg.): Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf physiologische Pathologie Bd. 3,2, Braunschweig 1846, S. 481–588 – „Herr Ernst Heinrich Weber sprach über die Umstände, durch welche man geleitet wird manche Empfindungen auf äussere Objekte zu beziehen“, in: Berichte über die Verhandlungen der kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig Band 2, Sitzung der MathematischPhysischen Classe, 11. Februar 1848, S. 226–237 Weichart, F.: Das Mikrophon auf der Bühne, in: Funk, Heft 1, 1924, S. 1–4 – Das Kompromiß zwischen Kunst und Technik, in: Funk 1925, Heft 36, S. 432 Weill, Kurt: Der ideale Senderaum, in: der deutsche Rundfunk, Heft 38 v. 20.9.1925, S. 2419f. – Wie stelle ich mein Orchester im Aufnahmeraum auf?, in: Der deutsche Rundfunk, 1928, Heft 14–16 Wells, William Charles: Two Essays: One Upon Single Vision With Two Eyes, London 1818 Wendt, Klaus: Das Richtungshören bei Überlagerung zweier Schallfelder bei Intensitäts- und Laufzeitstereophonie, Aachen 1963

L ITERATUR

| 285

Wente, E.C. und Thuras, A.L.: Microphones and Loudspeakers, in: Bell Technical Journal, Vol. 13, 2, 1934 West, Peter: The First Five Years; an Account of the Early Installations and Activities of the BBC, in: BBC Engineering, 1972, S. 1–24 Wheatstone, Charles: Experiments on Audition, in: Quarterly Journal of Science, Literature and Art, 3 (2), 1827, S. 67–72 – Contributions to the Physiology of Vision, Part the First. On Some Remarkable, and Hitherto Unobserved Phenomena of Binocular Vision, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Vol. 128, 1838, pp. 371–394 Wiener, Karl: Welche Instrumente eignen sich am besten für den Rundfunk?, in: Der deutsche Rundfunk 1924, Heft 14, S. 758f. Wilkens, Henning: Mehrdimensionale Beschreibung subjektiver Beurteilungen der Akustik von Konzertsälen, Berlin 1975 Wilska, Alvar: Untersuchungen über das Richtungshören, in: Acta Societatis Medicorum Fennicae »Duodecim«, Ser. A. Tom. XXI, Fasc.1, Helsinki 1938; auch unter: http://www.acoustics.hut.ft/wilskathesis Wilsmann, Aloys: Zur Dramaturgie des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 16 v. 19.4.1925, S. 994–996 – Das Problem des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 31 v. 31.7.1925, S. 1941–1944 – Probleme des Hörspiels, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 40 v. 4.10.1925, S. 2542–2544 Winckel, Fritz: Akustischer und visueller Raum, Mitgestalter der experimentellen Musik, in: ders. (Hg.): Experimentelle Musik Berlin 1970, S. 7–23 – Die Problematik der Kugel-Raumakustik, in: Der Mensch und die Technik, Beilage der Süddeutschen Zeitung vom 29.7.1970, S. 4 – Elektronische Steuerung audiovisueller Musik im Kugelstudio auf der Expo 1970 in Osaka, in: Internationale elektronische Rundschau 1970, Nr. 3, S. 83 Wundt, Wilhelm: Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, Leipzig und Heidelberg 1862 – Grundzüge der Physiologischen Psychologie, Leipzig 1874 – Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1880 (2. Aufl.) – Physiologische Psychologie (Band 2, Leipzig 1893) Wuttke, Jörg: Mikrophonaufsätze, Karlsruhe 2000, 2. Aufl. (Eigenverlag Dr. Ing. Schoeps GmbH) www.radiomuseum.org/r/akg_kunstkopf_harry_d9.html www.wdrcobg.com/doolittle.html www.soundman.de/soundman-germany/

286 | R EFERENZEN

www.svalander.se/charlin/rec/3eng.htm Young, Thomas: A Course of Lectures on Natural Philosophy and the Mechanical Arts, London 1807 Z. R.: Der zweite Funkversuch des Münchner Senders, in: der deutsche Rundfunk, 1930, Heft 1, S. 66 Zielinski, Siegfried: Archäologie der Medien; zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens, Reinbek 2002 ZKM: http://biblio.zkm.de/heiss/08_Hallspirale.html http://biblio.zkm.de/heiss/Beschreibungen/Hallspirale.htm

P ATENTE  Ader, Clément: Neuerungen an Telephonanlagen für Theater, DE 18741, Anm. 30.8.1881, Ausg. 30.8.1882 und als US 257,453 Bartlett Jones, W.: Method and Means for the Vetriloquial Production of Sound, US 1,855,149, Anm. 13.4.1927, Ausg. 19.4.1932 Blumlein, Alan: Improvements in and relating to Sound-transmission, Sound-recording and Sound-reproducing Systems, GB 394,235, Anm. 14.12.1931, letzte Änderung 10.11.1932, Ausg. 14.6.1933 für 70 Claims und als US 2,093,540 „Sound Transmission, Sound Recording, and Sound Reproducing System“, Anm. 13.12.1932, Ausg.: 21.9.1937 für 23 Claims – Improvements in and relating to Sound-transmission, Sound-recording and Sound-reproducing Systems, GB 429,054, Anm. 10.2.1934, spezifiziert 18.9.1934, Ausg 23.5.1935 Böhm, Otto und Gruhnwald, Hermann: Method and Means for Influencing the Field of Sound, US 2145288, in Deutschland ab 13.7.1935 patentiert, jedoch digital nicht recherchierbar Bowlker, Thomas James: Apparatus for Submarine Signaling, US 964,380 Anm. 26.3.1908, Ausg.12.7.1910 und als GB 15,102 Charlin, André Marie Bernard: Microphone stéréophonique, FR 1.375.245, Anm. 6.9.1963, Aus. 7.9.1964 Clark Alva B.: Echo Suppressor for Two-Wire, US 1,585,702, Anm. 22.8.1923, Ausg. 25.5.1926 Damaske, Peter und Mellert, Volker: Verfahren und Anordnung zur richtungsgetreuen breitbandigen Abbildung von Schallfeldern unter Verwendung kompensierender Hilfssignale, DE 1905616, Anm. 5.2.1969, Ausg. 24.8.1972 – Verfahren und Anordnung zur richtungsgetreuen breitbandigen Abbildung von Schallfeldern unter Verwendung kompensierender Hilfssignale, DE 1941636, Anm. 16.8.1969, Ausg. 25.10.1973 De Boer, Kornelis: Vorrichtung zur stereophonischen Schallübertragung, DE 940048, Ausg. 22.8.1940 in den Niederlanden (Patent war im Original nicht recherchierbar) – Vorrichtung zur stereophonischen Schallübertragung, DE 898459, Ausg. 25.11.1941 in den Niederlanden (Patent war im Original nicht recherchierbar) – Device for Stereophonic Sound Transmission in two Channels, US 2,481,576, Ausg. 13.8.1949, Anmeldung 10.4.1946 und 14.7.1944 in den Niederlanden

288 | R EFERENZEN

De Boer, Kornelis und van Urk, Theo: Vorrichtung für stereophonische Aufnahme von Schallschwingungen, DE 879704; Anmeldung NL am 17.5.1943 De la Torre, Frank: Eophone, US Patent 441,860, Anm. 2.4.1890 Ausg. 2.12.1890 = DE 56223 v. 20.3.1890 Doolittle, Franklin: Radiotelephony US 1,513,973, Anm. 21.2.1924, Ausg. 4.11.1924 Fletcher, Harvey und Sivian Leon J.: Binaural Telephone Sytem, US 1,624,486, Anm. 15.6.1925, Ausg. 12.4.1927 Hammond, Laurens: Electrical Musical Instrument US 1,956,350, Anm. 19.1.1934, Aus. 24.4.1934 – Electrical Musical Instrument, US 2,230836, Anm. 15.7.1939, Ausg. 4.2.1941 – Reverberation Apparatus, US 2,211,205, Anm. 7.10.1939, Ausg. 13.8.1940 Hartley, R.V.L.: Apparatus and System for Detecting Vibrations, US 1,648,121, Anm. 16.7.1919, Ausg. 8.11.1927 Heap, David Porter: Sound Locating Instrument, US 564,926, Anm. 9.4.1996, Ausg. 28.7.1896 und als DE 97229 – Topophone, US 590,062 Anm. 22.8.1896, Ausg. 14.9.1897 und als DE 99667 Hornbostel, Erich M. v. und Wertheimer, Max: Vorrichtung zur Bestimmung der Schallrichtung, DE 301669, Anm. 7.7.1915, Ausg. 28.9.1920. sowie als FR 509,052 und FR 509,053, FR 532,594 und US 1,467,545 Hubbard, Francis Alley: Method and Apparatus for Comparing and Adjusting the Electrical Length of Phases oft he Transmission of Electrical Energy, US 1,752,528, Anm. 4.9.1919, Ausg. 1.4.1930 Kaiser, Rudolf: Klangveredelung von Tonstücken bei ihrer apparativen Wiedergabe DE 417870, Anm. 5.2.1924, Ausg. 20.8.1925 Küchenmeister, Heinrich: Verfahren zur Tonwiedergabe elektrischer Schwingungen, DE 507298, Anm. 5.2.1924, Ausg. 4.9.1930 – Vorrichtung für Sprechmaschinen zum Einsetzen zweier oder mehrerer Schallstifte, DE 418667: Anm. 24.7.1924, Ausg. 15.9.1925  Plattensprechmaschine mit zwei Schalldosen, DE 479271 Anm. 4.12.1925, Ausg. 20.6.1929  Koffersprechmaschine, DE 487982, Anm. 19.3.1927, Aus. 5.12.1929  Koffersprechmaschine, DE 532355, Anm. 8.4.1928, Ausg. 27.8.1931  Sprechmaschine, DE 532903 Anm. 22.9.1929 Ausg. 27.8.1931

P ATENTE

| 289

Kürer, Rolf, Plenge, Georg und Wilkens, Henning: Verfahren zur hörrichtigen Aufnahme und Wiedergabe von Schallereignissen und Vorrichtung zu seiner Durchführung, DE 1927401, Anm. 29.5.1969, Aus. 1.9.1977 – Verfahren zur räumlichen Wiedergabe von Schallsignalen und Anordnung zu seiner Durchführung, DE 2023377, Anmeldung 9.5.1970, Erteilung 19.7.1979 Kuhl, Walter: Einrichtung zur Erzeugung von künstlichem Nachhall, DE 1001011, Anm. 11.8.1955, Ausg. 20.8.1959 nach Modifikation und als US 2,923,369 und CH 347016 Mager, Siegfried: Musikinstrument und Erzeugung auf elektrischem Weg, DE 685366, Anm. 16.5.1931, Ausg. 23.11.1939 Maire, Jean: Dispositif permettant l’audition téléphonique bi-auriculaire, FR 616,677, Anm. 26.5.1926, Ausg. 30.10.1926 Mayer, Alfred F.: Topophone, US Patent 224,199 (1880) Meckel, Aurel: Vorrichtung zur Bestimmung der Richtung von Schallwellen, DE 256747, Anm. 11.6.1911, Ausg. 19.2.1913 Plenge, Georg: Verfahren und Anordnung zum Einmischen eines monophonen Tonsignals in stereophone oder quadrophone Tonsignale, DE 2905886, Anm. 16.2.1979, Ausg. 15.1.1981 Schaeffer, Pierre: Perfectionnements aux appareils pour la réalisation de bruits ou sons musicaux, FR 1.003.682, Anm. 26.2.1951; Ausg. 8.4.1953 – Übertragungsvorrichtung für räumliche Musik, DE 901 798, Ausg. 14.1.1954 mit prioritären Ansprüchen aus Frankreich ab 26.2.1951 und als GB 695,435: Improvements in Devices for the Stereophonic Transmission of Music sowie als US 2,636,943: Spatial Music Projecting Device Scherchen, Hermann: Einrichtung zur räumlichen Schallwiedergabe, DE1111671A; Anm. 19.5.1959, Auslegeschrift v. 27.7.1961, keine Patentierung in Deutschland, jedoch in Frankreich , FR 1214353; Anm. 2.11.1958, Ausg. 8.4.1960; in dieser Patentschrift ist der Anmeldetag in Deutschland 30.5.1958 genannt, während die Weiterentwicklung am 31.7.1961 FR 76002 patentiert wurde) und England (GB 865578 erteilt am 19.4.1961 für die Originalfassung vom 30.5.1958 – Lautsprecheranordnung zur Erzeugung eines homogenen Schallfeldes, DE 1114540, Anm. 6.8.1959, Ausg. 12.4.1962 Spandöck, Friedrich: Verfahren zur Bestimmung raumakustischer Wirkungen, DE 1089568, Anmeldung 19.7.1956, Auslage 22.9.1961, Erteilung 21.9.1961 Thorne, Levi E.: Screen for Eophones or Sound Receiving Instruments, US 588,034, Anm. 26.5.1897, Ausg. 10.8.1897

290 | R EFERENZEN

– Sound Locating Instrument, US 605,031 v. 31.5.1898 Ulner, Martin: Mikrofonanordnung für Stereo-Aufnahmen mit zwei getrennten Übertragungskanälen, DE 860959, Beginn 15.10.1940, (verspätetes Verfahren) Warncke, Hans: Verfahren und Einrichtung zur stereoakustischen Aufnahme von Tönen, DE861467, Anm. 13.10.1940 (verspätetes Verfahren) – Verfahren zur Aufnahme von Stereotönen mit zwei oder mehr Mikrofonen, DE 879397, Beginn 24.12.1940 (verspätetes Verfahren) – Anordnung zur Stereotonaufnahme mit mehr als zwei Mikrophonen, DE 863086, Beginn 16.1.1941 (verspätetes Verfahren) Wegel, R.L.: Wave Transmission Device, US 1,852,795, Anm. 24.10.1928, Ausg. 5.4.1932 Wollherr, Horst: Kunstkopf, DE 3102264, Anm. 16.1.1981, Ausg. 21.7.1983  

O RIGINALQUELLEN Archive und Stiftungen Archiv der Akademie der Künste, Berlin (Hans Peter Haller und Hermann Scherchen) Archiv der Audiokommunikation, TU Berlin Archiv des Deutschen Museums, München (Handakten Blumtritt zum Thema Kunstkopf sowie Mach-Archiv und Gerätesammlungen zum Halaphon 3 und Rotationstisch II) Fondazione Archivio Luigi Nono, Venedig Stockhausen-Stiftung für Musik, Kürten Technisch-Historische Sammlung „Elektron“, TU Dresden

Interviews, Gespräche, Material aus privaten und nicht-öffentlichen Sammlungen AKG – Kunstkopf Material und Information per Mail von Karl Peschelk (2007) Acousmonium Interviews mit Daniel Teruggi 1988 und 2008 EMT - Hallplatte Interview mit und Material von H.-M. Fabritius (Rechtsnachfolger EMT) und Jürgen Plogstedt (2012) Halaphon / Experimentalstudio des SWR, Freiburg Gespräche mit André Richard und Rudolph Strauss und mit den aktuellen Mitarbeitern Reinhold Braig, Joachim Haas, Detlef Heusinger (Ltg.), Materialeinsicht (2013) Hallgitter des Siemens-Studios im Deutschen Museum. München E-Mails und Gespräche mit Stefan Schenk (2012)

292 | R EFERENZEN

Gespräch mit Armin Kohlrausch zu frühen Kunstköpfen, besonders Alvar Wilska (2012) Kunstkopf Berlin Interviews mit Rolf Kürer, Georg Plenge und Hennig Wilkens (2007 und 2008); Ricarda Poppy (2007); Stephan Peus und Martin Schneider (Fa. Neumann, 2008 und 2012); Jens Blauert (2013) Kunstkopf Dresden Interviews mit und Material von Werner Schirmer und Gottfried Schroth (2012) Kunstkopf Göttingen und Oldenburg Interview mit und Material von Volker Mellert (2012) Interview mit und Material von Bernhard Leitner zum eigenen Rotary Switch und seiner auditiven Raumkunst (2014) Rotationstisch I und II sowie Spatialisierungstechniken Volker Müller (2012), Gespräch und Besuch im ehem. Studio für elektronische Musik des WDR Kees Tazelaar zur Arbeit von de Boer u.a. frühen Entwicklern der Fa. Philips (2013)

P ERSONEN - UND S ACHREGISTER Aarts, Ronald 101 Acousmonium 254–257 Ader, Clément (inkl. Théâtrophone) 66–71, 115–117, 136, 169f., 287 AKG, Hallfeder, D 99 164, 192f. Akustik, Raum(Saal)akustik 12, 17, 23, 30, 33f., 36 (FN), 48, 55, 57, 88, 101, 109–111, 114f., 123, 124 (Umgebungsakustik), 129, 132, 146, 152, 160, 178, 179, 186, 197, 204, 223f., 231, 260 Akustische Kulisse 121, 122 (FN) Akustische Nische 125 Alison, Scott 36–41, 46 Differentialsthetoskop 36–41, 46, 49, 63 Allers, Rudolf 104f. Amberg, Claus 224, 228–230, 231 (FN) Anatomie 12, 24, 76 (FN) Angell, James R. 86 Ardenne, Manfred v. 117 Arnheim, Felix 76–78, 231 Arnheim, Rudolf 123f. Arps, G. F. 93, Auerbach, Felix 58 Authenrieth, Johann Heinrich Ferdinand 24, 27 (FN)

Banister, H. 108 Baschet, François und Bernard 235 Battier, Marc 205 (FN), 208 Bayle, François 254f., 256 (FN), 257 Beach Boys, the 168 Beatles, the 168 Bell, Alexander G. 58, 59 (FN), 60, 67, 102

Bell-Laboratories / Bell Labs 139, 141, 145f., 151 (FN) Bénesi, Oskar 104f. Berger, B. 128 Berio, Luciano 211 Binaural (Hören, Wahrnehmung, Geräte) 13, 35–37, 45, 47, 49, 50, 55–62, 67f., 70, 74, 75, 79– 81, 83–85, 87–90, 92, 95 (FN), 97, 99, 101f., 104–106, 109– 111, 113f., 120, 136, 137, 145, 161 (FN), 170, 173–175 Blacher, Boris 226 Bloch, E. 81, 85 Blumlein, Alan D. 143 (FN), 144f., 161f. (FN), 170, 287 Bogengänge 24, 40, 73, 76, 78f. Böhm, Otto 151, 287 Borgk, Helga 189f. Boring, E. G. 108 Boulez, Pierre 209–211, 218 Poésie pour pouvoir 210, 211 (FN), 218 Bowlker, Thomas James 99, 102, 287 Braunmühl, Otto v. 126, 129, 143 (FN) Briggs, Asa 123, 125 Bücklein, R. 182

Charles, Solomon 99 Charlin, André (Tête Charlin) 174– 176, 287 Chladni, Ernst 23f., 26 Chowning, John 246 Clozier, Christian 251–154 Collins, Ruth 92f.

294 | R EFERENZEN Cori Spezzati 11, 211, 259 Cremer, Lothar 161-3, 186, 187 (FN), 189 (FN), 190 (FN) Cybernéphone 252 Cyon, Elias v. 76 (FN), 78

Damaske, Peter 195 (FN), 197–199, 287 de Boer, Kornelis 141–143, 145, 148, 171–174, 179 (FN), 181, 287f., 292 de la Torre, Frank (Della Torre) 66, 96f., 288 Demolition 190f. (FN), 201 Di Giugno, Giuseppe (4X-Maschine) 237 Dibelius, Ulrich 210, 211 (FN) Differentialstethoskop  Alison Disney, Walt / -Studios 146 Distanz  Entfernung Docq, A. J. 46f., 48, 55 (FN), 110 (FN) Doolittle, Franklin 119, 137, 288 Doppler-Effekt 218f., 246 Dove, Heinrich 30f., 43, 46 Doyle, Peter 160 Dreidimensionale / - Tonaufnahme / -s Hören 29, 76, 79, 81f., 156, 170, 176f., 183, 186,192, 200f., 203–257 du Moncel, Théophonse 69f. Duplextheorie 94, 108

Ebstein, Margot 126, 129 Echo/Echoraum/Echowand /…(gerät) 12, 122f. 124 (FN), 125–128, 130, 156, 158, 159 (FN), 160 (FN), 163f., 168

Echokompensation 150f., 289 Einstein, Albert 110 Elektroakustik (technisch) 82 (FN), 90 (FN), 104, 129, 151f., 156– 158, 162, 165, 180, 183, 215 Elektronische Musik 160, 162, 216f., 237 Elektroakustische Musik 13–15, 159 (FN), 165, 252, 258 EMI-Konzern / -Labor 144, 168 EMS 100 240 Entfernung / Distanz (synonym) 13, 21, 23, 25f., 40, 48, 50, 62, 75 (FN), 81 (FN), 82, 84, 86, 92– 94, 96–99, 102, 104, 107, 110, 122, 127, 144, 152, 165, 175f., 218 (FN), 245 Esser, Carl Ludwig 26f. Experimentalstudio der Heinrich Strobel-Stiftung des Südwestfunks (=Freiburger Studio) 241–250 Expo 1958 (Brüssel)  poème électronique Expo Osaka 222–236

Farree, C. E. 92 Fechner, Gustav Theodor 45f., 48 (FN) Feldhaus, F. M. 115 Firestone, F. A. 138, 141 Fite, Warner 86f. Fletcher, Harvey 137, 139–141, 144, 170, 174 Oscar (Kunstkopf) 139f. Frei, Hans 129 Frei, Hans-Peter 244, 247 Fresenius, Friedrich Carl 51f. Frey, Hugo 87, 92 (FN)

P ERSONEN - UND S ACHREGISTER

Fry, H. S. 90 Fry, Thornton 106–108 Funayama, T. 236

Gemant, Andrew 128 Gehörgang 27, 34, 39, 60f., 73, 75, 137, 174, 178, 186–188, 196 Geophon 101 Gerhardt, Ulrich 190–192 Gmebaphone 251–254 Goldstein, Kurt 105 Gottlob, Dieter 186, 197–199, 199 (FN) Grammophon Stereophonie 117, 134, 145 Grammophon /-aufnahmen, /-produktion) 93, 114, 124, 133, 150, 152 Grammophontechnik 133–135 Gravesaner Blätter 156 (FN), 163, 182 Gravesano 156 (FN), 161f., 166, 181 Grinwis (Vorname unbek.) 85f. Großkopf, Erberhard 226 Gruhnwald, Hermann 151, 287

Halaphon 237, 241–250, 252, 291 Halffter, Cristòbal, 248, 250 Planto por las víctimas de la violencia 248 Hall / Nachhall (natürlich) 13, 109– 111, 118, 122–130, 132f., 135, 150–152, 163, 173, 176, 207, 212f. Hall / Nachhall (Imitationsverfahren, künstlicher) 122–127, 150, 159– 162, 162 (FN), 204, 212, 225, 242, 245

| 295

Haller, Hans Peter 216, 241–243, 246–249  Halaphon HKT 4 242 mechanisches Klangsteuergerät 216, 241f. Hallfeder / Hallspirale 148–151, 156– 160, 288 Hallgitter 162–164 Hallplatte / EMT 140 156–159, 162, 164f. Hallraum 122–129, 150, 160 Halverston, H. M. 108 Hammond, Laurens 148–151, 156 (FN), 218, 288 Harbich (Oberpostrat) 130 Harris, Augustus 70 Harrison, H. C. 135 Hartley, R. V. L. 106–108, 288 Haustein, B. G. 184 (FN), 185 Heap, David Porter 66 (FN), 98, 288 Hecht, H. 104f. Heinrich-Hertz-Instituts für Wellenforschung / HHI 128, 187 (FN), 191 (FN) Heister, Hans v. 120–122 Heiß, Hermann 159 (FN) Helmholtz, Hermann v. 49, 51 (FN), 65, 110 (FN), 196 Henry, Joseph 127 Henry, Pierre 208, Hinterkopflokalisation / Vorne– Hinten Vertauschung / Richtungsvertauschung / Fehllokalisation 18, 44, 59 (FN), 60f., 62 (FN), 73, 82, 89, 108, 160f., 173, 194 (FN) Hörbarer Raum, Raumhören 12–15, 17, 38, 44, 47, 53, 75, 83 (FN), 87, 109, 111, 113–136

296 | R EFERENZEN Hörfeld 44, 47, 74f., 84, 88, 104 Hörspiel 113, 120–129, 159f., 164f., 169, 190f., 201, 236 Hornbostel, Erich Moritz v. 95f., 99– 104, 107f., 110 Hotz, Eberhard 229–231

Im-Kopf-Lokalisation 59, 74, 80 (FN), 90, 185, 201 Intensitätsdifferenz 25, 54, 60, 62– 66, 75, 76 (FN), 80, 81 (FN), 84, 88–94, 95 (FN), 102–104, 106–108, 118, 176 (FN) Interferenz 31, 63

Kaiser, Rudolf 133 Kant, Immanuel 20 Kapeller, Ludwig 115–118, 122f., 125, 130f. (FN) Karajan, Herbert v. 189 Keller, F. 181 Kerner, Dr. 24f. Kessel, Johannes 74–76 Kircher, Athanasius 12, 48, 110f. Klangfarbe / Klangqualität /-differenz 50, 53, 60, 86, 93f., 95 (FN), 118f., 153 (FN), 157, 160, 163, 164, 219, 256 (FN), 267 (FN) Klangraum 53 (FN), 120–123, 152, 163, 176, 203 (FN), 204 Klein, Helmut 162f. Klemm, Otto 92–95, 102–104, 108, 110 Klenk, Heinrich 119 Kombinationstöne 30f., 43 (FN), 59 Kosmos 21f. Kraak, W. 180 Kränzler, Otto 239f.

Krause, Manfred 132 (FN), 216, 224, 228 (FN), 230, 321 (FN) Krauth, Ekkehart 182 Kretschmann, Hans 125 Kries, Johannes v. 58, 81f., 85 KU 80 / KU 81 190 (FN)–296 Küchenmeister, Heinrich 133–135, 288 Ultraphon / Ultraphonsystem 117 (FN), 133–135, 168 Kugelpavillon 222–233 Sensorkugeln / Sensortasten 224, 226f., 228–232 Kuhl, Walter 156–158, 160–164, 194 (FN), 289  Hallplatte Kunstkopf 70, 137–143, 152, 170–201, 232, 236, 256, 290, 291f. Kunstkopf-Hörspiel 236 Küpper, Dr. 53 Kürer, Rolf 186f., 189, 289

Laënnec, René Théophile 36 Langhans, Carl Ferdinand 127 Lauridsen, Holger 161–163, 166, 168 Lautstärke / Schallintensität / Schalldruck 21, 32, 48, 54, 56f., 61f., 63, 81 (FN), 85f., 88, 89f., 93, 95 (FN), 98, 105, 145, 151, 169, 178, 206f., 212, 215, 219, 221, 227f., 241, 244, 246 (FN), 257 Lawo, Peter 241–244, 245 (FN)  Halaphon Le Corbusier 236 Leitner, Bernhard 201, 216, 232, 292 Kopfräume 201 rotary switch 216

P ERSONEN - UND S ACHREGISTER

Sound Cube 232 Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin 19, 29, 46 Lertes, Peter 118 (FN), 137 Lesing, Kurt 125 Lincke, Carl Gustav 29, 35, 46, 57, Linnenkohl, Hans 101 Lobsien, Max 84 Localgefühl 46 Lokalisation 13, 18, 29, 42, 44, 46, 58–62, 71, 74f., 78–80, 82f., 85–88, 90, 92–95, 98f. 101–109, 117, 143 (FN), 151f., 165, 173 (FN), 183 (FN), 207, 209 Lokalzeichen /Lokalzeichentheorie 49, 79f., 94, 95 (FN) Lotze, Hermann 35 (FN), 49, 52, 80 Löwenstein, Leo 101 (FN), 102

M-S-Stereophonie 145, 161f., 166, 170 Mach, Ernst 49–54, 56, 74, 85, 94, 291 Maderna, Bruno 211 Magendie, François 25f. Magnetton – Hall 156 Maier, Julius 70 Maire, Jean 70f., 137f., 174, 190 (FN), 289 Mallock, A. 99, 103 Matsumoto, Matataro 82–85 Maxfield, J. P. 135, 145 Mayer, Alfred F. 62 (FN), 63–65, 96, 289 Topophone 63–66, 96 Meckel, Aurel 99, 102 Mehrkanalverfahren 99, 114, 119, 136, 141, 144–148, 170, 173, 187, 235, 238–240

| 297

Mellert, Volker 195 (FN), 197–200 Metaphysik 4 (FN), 20 Meyer, Erwin 128, 186, 197 Michel, Eugen 132f. Minkowskis, Hermann 110 Moles, André 209f. Mono-, monaural 71, 85, 88, 114, 143 (FN), 152, 159 (FN), 161, 166, 168, 174, 185, 187, 194 (FN), 196 (FN), 207 More, L. T. 90 Müller, Clemens 194 (FN) Müller, Johannes 29f. Müller, Volker 238 (FN), 292 Münsterberg, Hugo 78f., 81, 85 (FN) Multikanal  Mehrkanal Musique concrète 155, 165, 204– 206, 209f., 214 (FN), 235, 237, 254

Nachhall  Hall Nauck, Gisela 210f., 218 (FN) Neumann, Fa. 188, 190f., 192 (FN), 193 (FN), 195f., 196 (FN) 200, 238, 292 Neumann, Hans-Joachim 162 NHK-Labor – Fujita Takashi 234 Niese, H. 180f., 183 (FN), 185 (FN) Nono, Luigi 211, 247 (FN), 249f., 291 Prometeo 249f.

Ohrmuschel 25, 53, 57, 61, 73, 75, 178, 180, 183f., 188, 193 (FN), 197–199 Ooka, M. 236 Osaka  Kugelpavillon

298 | R EFERENZEN Osaka, Steel Pavillon, Space Theatre 233–236 Otologie / Ohrenheilkunde 12, 29, 46, 53, 74f., 86f., 92 (FN)

Phantomschallquelle 82 (FN), 83 (FN), 169, 204, 207, 210, 212, 214 (FN), 215, 219, 222, 226, 228 (FN), 241, 244, 257 Phase /-differenz /-lage /-unterschied 89–91, 94f., 98, 102f., 106–108, 117–119, 133, 145, 152, 178, 245 Philips Pavillon 195, 212, 214, 232, 236 Poème électronique 14, 211f. Philips /- Labor 141f., 160, 173f., 211f. - Kunstköpfe 171–174 Philosophie / Raumphilosophie 11f., 20, 23, 28f., 32f., 50f., 53, 110 Physik (vgl. Metaphysik), physikalisch 12, 17, 19f., 22, 26, 30f., 33–36, 38, 39 (FN), 49–60, 68 (FN), 73, 85 (FN), 88–92, 93, 95 (FN), 103 (FN), 106, 108, 117f., 128, 141, 152, 167, 169f., 186, 197 Physiologie 12, 22–26, 29f., 34f., 38f., 41, 49, 54, 73f., 76–78, 87, 109 Piano, Renzo (Arca) 249 Pierce, Arthur Henry 85–87, 94 Plastisches Hören 115, 117, 119 Plenge, Georg 186–189, 190 (FN), 194 (FN), 195 (FN), 289 Poème électronique  Philips Pavillon Politzer, Adam 50, 53f., 87,

Poullin, Jacques 205, 206 (FN), 208, Prager, Jonathan 257f. Preece, William Henry 70 Preibisch-Effenberger, Rudolf 183 (FN) Preyer, William Thierry 76–78, 81, 231 Pseudostereophonie 117, 133, 151f., 162 (FN), 166–168 Psychologie 12, 51f., 62f., 73, 78–87, 88, 92–96 Psychophysik, Psychoakustik 33, 34, 48–54 Purkyne, Jan Evangelista 36 (FN), 38–44, 49, 57, 63, 74, 82 (FN), 85 (FN), 99, 102 Opistophon 43f.

Radau, Rodolphe 48 Raum / Raumhören  hörbarer Raum Raumklang / -steuerung / -technik 11f., 113f., 121, 135, 148, 150, 152, 155f., 161f., 163 (FN), 167, 170, 203–206, 209f., 212, 214 (FN), 216, 220, 225f., 231f., 235f., 242f., 251, 257 Raumphilosophie  Philosophie Raumsinn 50, 73, 78 Raumvorstellungen / -anschauung 20, 35 (FN), 41, 50, 52, 130 Raumwissenschaft 51, 63 Rayleigh, William Strutt Lord 54f., 60–62, 82, 83 (FN), 88–91, 93– 95, 98, 102, 106, 109 Reed, Lou / Street Hassle 199, 201 Reichardt, Walter 180, 185 Reisser, W. 122 (FN), 123 (FN), 132

P ERSONEN - UND S ACHREGISTER

Resonanz, Resonatoren 29f., 48, 53, 63, 64 (FN), 110, 122, 135, 173, 179 (FN), 196 Richtung (d. Schalls), Richtungshören /-erkennung 17, 20f., 23–29, 32, 34f., 37–48, 52–59, 61–63, 66, 71, 73–79, 81f., 84f., 87, 89–91, 96, 99, 102, 105, 106f., 109111, 165, 171, 177f., 185, 197f., 210, 219–222, 226, 231, 235, 237, 246 (FN), 249 Richtungshörer 63–66, 71, 96–102, 103f. (FN), 105, 107f., 110 Rosenthal-Veit, Olly 105 Rundfunk 71, 109, 111, 113–133, 135f., 150, 152, 155f., 158f. 161, 167, 190f., 194 (FN), 195f., 204f., 243 (FN), 259 Rundfunk – Stereophonie 117, 119

Saar, Gerhard 118f. Sabine, Wallace 109, 111, 121, 127f. 135/ Fogg-Lecture Hall 111, 127 Savart, Félix 25f., 49 Schaaf, Alexander 162f. Schaeffer, Pierre 203, 205, 208–210, 254, 289 Pupitre d’espace 156, 205–210 Orphée, Toute la lyre 209 Schäfer, Karl 76, 78, 80, 81 (FN), 231 Schäffer, W. 125, 131 (FN), 132 (FN) Schäffersches Zelt 125, 132 Schalldruck  Lautstärke Schalldruckdifferenz 88, 178 Schenk, Stefan 163f., 291 Scherchen, Hermann 132 (FN), 161, 166f., 181, 183, 289, 291

| 299

Nullstrahler 181–183 Stereophoner 166f. Schirmer, Werner 183–186 Schlauchapparat 42, 49, 99 Kautschukröhre(n) 39f., 42 (FN) Hörschläuche 42f., 64, 74f., 90, 107 ( Differentialstethoskop) Schoeps 175 (FN), 199 Schöner, Eberhard 226 Scripture, Edward W. 80 (FN), 82f. Seashore, Carl E. 83f. Seebeck, August 31, 46, 49 Sennheiser (mit MKE 2002 und HD 414) 188 (FN), 193, 197 Siebrasse, Karl Friedrich 186, 198f. Siemens /-Labor, Fa. 223, 226 (FN), 229 Siemens-Studio 162–164, 291 Sivian, Leon 137 Snow, W. B. 140, 147 (FN) Spandöck, Friedrich 179–182, 289 Soundman, OKM 193 Steel Pavillon 233–236 Steinberg, J. C. 140, 147 (FN) Steinhauser, Anton 55–58, 60–62, 64–67, 71, 82, 83 (FN), 85, 90 (FN), 93 (FN) Homophon 56f. Steinke, Gerhard 191 (FN) Stereophone Aufnahmetechnik / Übertragung 70f., 170 Stereophonie 67, 70, 114–120, 133, 136f., 142–146, 148, 152, 159, 161, 165f., 170f., 173f., 176, 180, 192, 200, 204, 206, 209, 254, 257 kopfbezüglich 185, 194 Stereoskopie 53, 55–58, 67, 70, 117, 119 Stethoskop 36f., 39, 69

300 | R EFERENZEN Stewart, George 106 Stimmgabel 29f., 59f., 74f., 75 (FN), 88–90, 93 Stockhausen, Karlheinz 14, 159, 165, 209–211, 214–224, 226, 228– 230, 237–241, 291 Gesang der Jünglinge 210f., 219 (FN), Hinauf – Hinab 223, 229 (FN) Klangwandler 238, 240 Kontakte 217–222 Studie II 159 Rotationsmühle 224, 229 (FN), 230, 233, 238 Rotationstisch I 14, 216, 217– 222, 230, 291f., Rotationstisch II 216, 237–241, 244, 292 Stokowski, Leopold 139, 141, 144, 146, 172, 174 Strobel, Heinrich 210 Stuckenschmidt, Heinz Heinrich 223 Stumpf, Carl 52, 80, 95 103 (FN)

Takahashi, Yuji (Yé Guèn) 236 Takeda, A. 236 Takemitsu, Toru (Crossing) 234–236 Tanikawa, S. 236 Tarchanow 68 Tartinische Töne  Kombinationstöne Taschenuhr 27–29, 37, 75 (FN) Telephon 58, 59 (FN), 60, 66–71, 79, 82, 84, 90 (FN), 93, 99, 101 (FN), 102, 104, 114–116, 119f., 139, 150 Théatrophone 66–71 Thompson, Silvanus P. 49 (FN), 59– 63, 75 (FN), 85, 90

Thomson, William 58–60 Thorne, Levi E. 98, 290 Tomasziewicz, Anna 73 Tonfilm 109, 114, 140, 146 Tonhöhe 26, 31, 49f., 59–61, 65, 80 (FN), 86, 246 (FN) Tonmühle 216, 228–231 Tonraum 35, 48–52, 80 (FN), 240, 256 Tourtual, Caspar Theobald 27–29, 33, 44 (FN) Trimble, Otis C. 109 Trommelfell 25f., 31, 34f., 118 (FN), 178, 183 (FN), 187 Tyndall, John 38

Ullmann, Dieter 127 Ultraphon  Küchenmeister Urbantschitsch, Viktor 74, 88 Usami, K. 236

Van der Voort, A. W. 101 van Urk, Theo 142 (FN), 172–174 Vande Gorne, Annette 251 (FN) Varèse, Edgard 212, 214 Venturi, Giovanni Battista 19–25, 27–30, 32f., 35, 42, 46, 48, 54, 55 (FN), 78 (FN), 82 (FN), 84 (FN), 85 (FN), 94, 109 Vermeulen, Roelof 141f., 160f., 171– 176 Vitruvis, Vitruv 48, 110 Voß, Ingo 168

Waetzmann, Erich 101 Geophon 101 Wagener, Bernhard 197

P ERSONEN - UND S ACHREGISTER

Warncke, Hans 147, 290 Warner Brothers 146 Weber, Eduard 34f., 43, 45, 52, 57, 82 (FN), 85 (FN), 94 Weber, Ernst Heinrich 31–33 Weber, Reinhard 199f. Weichart, F. 114, 130 (FN) Weill, Kurt 130, 131f. (FN) Wells, William Charles 19 Wertheimer, Max 96, 99f., 101 (FN), 102–104, 107f. West, A.G.D. 123–125 Wheatstone, Charles 37, 46, 56 Wightman, Russell 139, 141 Wilkens, Hennig 186, 188–190, 191 (FN), 192 (FN), 193 (FN), 195 (FN), 292 Wilska, Alvar 178f., 289, 292 Wilsmann, Aloys 120f. Winckel, Fritz 223–228, 231 (FN) Wundt, Wilhelm 49, 52f., 62, 78, 80 (FN), 83 (FN)

| 301

Xenakis, Iannis 212–215, 235 Hibiki–Hana–Ma 235 Nomos Gamma 215 Persephassa 215 Polytopes 215 Terrekteorh 214f.

Young, Thomas 23f.

Zacher, Helmuth 226 Zeit, Zeitanschauung (philosph., ggs. Raum) 11f., 27–29, 32f., 41, 51–53, 63, 110, 114, Zeitdifferenz /-versatz (physikalisch) 31, 33, 50f., 54, 58, 99f., 102–105, 107f., 118, 150f., 157 (FN), 161f., 168, 176 (FN), 178, 212f., 216, 220, 222, 245, 247, 251f., 255 (FN), 257f. Zimmermann, Bernd Alois 226

Musik und Klangkultur Martha Brech, Ralph Paland (eds.|Hg.) Compositions for Audible Space/ Kompositionen für hörbaren Raum The Early Electroacoustic Music and its Contexts/ Die frühe elektroakustische Musik und ihre Kontexte August 2015, 354 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3076-3

Frédéric Döhl, Daniel Martin Feige (Hg.) Musik und Narration Philosophische und musikästhetische Perspektiven September 2015, ca. 280 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2730-5

Jörn Peter Hiekel, Wolfgang Lessing (Hg.) Verkörperungen der Musik Interdisziplinäre Betrachtungen 2014, 234 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2753-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Musik und Klangkultur Camille Hongler, Christoph Haffter, Silvan Moosmüller (Hg.) Geräusch – das Andere der Musik Untersuchungen an den Grenzen des Musikalischen 2014, 198 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2868-5

Sylvia Mieszkowski, Sigrid Nieberle (Hg.) Unlaute Noise/Geräusch in Kultur, Medien und Wissenschaften seit 1900 Januar 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2534-9

Christian Utz Komponieren im Kontext der Globalisierung Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 2014, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2403-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Musik und Klangkultur Reinhard Gagel, Matthias Schwabe (Hg.) Improvisation erforschen – improvisierend forschen/ Researching Improvisation – Researching by Improvisation Beiträge zur Exploration musikalischer Improvisation/ Essays About the Exploration of Musical Improvisation April 2016, ca. 420 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3188-3

Marie-Anne Kohl Vokale Performancekunst als feministische Praxis Meredith Monk und das künstlerische Kräftefeld in Downtown New York, 1964-1979 September 2015, ca. 360 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3223-1

Marion Saxer (Hg.) Spiel (mit) der Maschine Musikalische Medienpraxis in der Frühzeit von Phonographie, Reproduktionsklavier, Film und Radio März 2016, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3036-7

Steffen Scholl Musik – Raum – Technik Zur Entwicklung und Anwendung der graphischen Programmierumgebung »Max« 2014, 236 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,99 €, ISBN 978-3-8376-2527-1

Daniel Siebert Musik im Zeitalter der Globalisierung Prozesse – Perspektiven – Stile 2014, 228 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2905-7

Teresa Leonhardmair Bewegung in der Musik Eine transdisziplinäre Perspektive auf ein musikimmanentes Phänomen 2014, 326 Seiten, kart., 37,99 €, ISBN 978-3-8376-2833-3

Christina Richter-Ibáñez Mauricio Kagels Buenos Aires (1946-1957) Kulturpolitik – Künstlernetzwerk – Kompositionen 2014, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2662-9

Omar Ruiz Vega Musik – Kolonialismus – Identität José Figueroa Sanabia und die puerto-ricanische Gesellschaft 1925-1952 Februar 2015, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2900-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de