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German Pages 220 [218] Year 2019
Monique Dorang
Die Entstehung der razón poética im Werk von María Zambrano
STUDIA HISPANICA Herausgegeben von Christoph Strosetzki Band 5
STUDIA HISPANIC A Monique Dorang
Die Entstehung der razön poetica im Werk von Maria Zambrano
VERVUERT VERLAG • FRANKFURT AM MAIN 1995
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Dorang, Monique : Die Entstehung der razón poètica im Werk von Maria Zambrano / Monique Dorang. - Frankfurt am Main : Vervuert, 1995 (Studia Hispanica ; Bd. 5) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1994 ISBN 3-89354-455-0 NE: GT
© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1995 Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Printed in Germany: Prisma-Druck, Frankfurt
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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung
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2. Lebensdaten einer 'Unbekannten' 2.1 Eine Tochter des spanischen Bildungsbürgertums 2.2 Die Jahre der Republik 2.3 "Somos memoria"- Das Exil 2.4 Bibliographische Spuren im Exil
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3. Die Kühnheit zum Taumel 3.1 Die Politisierung der Avantgarde 3.2 Essays für die Republik 3.2.1 "La libertad del intelectual" in El Mono Azul 3.2.2 "La Alianza de Intelectuales Antifascistas" in Tierra Firme 3.2.3 "El nuevo realismo" in Nueva Cultura 3.3 Los intelectuales en el drama de España - Primera Parte 3.3.1 "La inteligencia y la revolución" 3.3.2 "La inteligencia y el fascismo" 3.3.3 "El fascismo y el intelectual en España" 3.4 Los intelectuales en el drama de España - Segunda Parte El intelectual en la Guerra de España 3.4.1 "Octubre 1934 - Julio 1936" 3.4.2 "La inteligencia militante - El Mono Azul" 3.4.3 "Hora de España" 3.4.4 "Carta al Doctor Marañón" 3.5 Essays in Hora de España 3.5.1 "El Español y su tradición" 3.5.2 "La reforma del entendimiento español" 3.5.3 "Un camino español: Séneca o la resignación" 3.5.4 "Testimonio para Esprit"
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4. Retrospektive 4.1'Europa'entgegen 4.2 Von dem 'Mangel intellektueller Gewalt' 4.3 Der Fluch der Intellektuellen 4.4 Abschied der Republikanerin
73 73 74 76 78
5. Zum Selbstverständnis der spanischen Intellektuellen im Exil 5.1 Von der Erhabenheit des Verzichts 5.2 Dichtung einer erträumten Wirklichkeit 5.3 Vorspiel zur "unerklärlichen Hingabe"
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6. Das dramatische Werk La tumba de Antigona 6.1 Antigone - Ein Archetyp der dichterischen Vernunft 6.1.1 Zur Entstehungsgeschichte von Maria Zambranos Antigone 6.1.2 "El sueño creador" Eine Symbiose zwischen Autorin und dramatischer Gestalt 6.1.3 Ein Fragment: "Delirio de Antigona" 6.1.4 Zum Prolog von La tumba de Antigona 6.2 Die dramatische Gestaltung der razón poética 6.2.1 Das Antigone-Motiv 6.2.2 Figuren und Aufbau von La tumba de Antigona 6.2.3 Eine Aufarbeitung persönlicher Kriegserlebnisse 6.3 Die Gruft der Antigone 6.3.1 Eine Genealogie des spanischen Konfliktes 6.4 Entschlüsselung und Interpretation 6.4.1 Antigona (1. Szene) 6.4.2 La noche (2. Szene) 6.4.3 Sueño de la hermana (3. Szene) 6.4.4 Édipo (4. Szene) 6.4.5 Zur 5., 6. und 7. Szene 6.4.6 Ana, la nodriza (5. Szene) 6.4.7 La sombra de la madre (6. Szene) 6.4.8 La harpía (7. Szene) 6.4.9 Los hermanos (8. Szene) 6.4.10 Llega Hemón (9. Szene) 6.4.11 Creón (10. Szene) 6.4.12 Antigona (11. Szene) 6.4.13 Los desconocidos (12. Szene) 6.5. Zusammenfassung
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7. Geschichte, Traum und Zeit 7.1 Metamorphose einer Welttranszendenz 7.2 Die "verleumderische"und die "wahre" Geschichte 7.3 Eine Fabel der abendländischen Geschichte 7.4 Zeit und Traum - Wege einer Transzendenz 7.5 Die Kreation des anderen Ich 7.6 Die Fiktivität des Seins
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8. Die Hüter des Geheimnisses 8.1 Die razón poética - Eine Philosophie des ästhetischen Schauens 8.2 Deutsche Spuren einer 'spanischen' Weltanschauung 8.3 Die spekulative Kunsttheorie bei Maria Zambrano und Martin Heidegger 8.4 Genieästhetik und 'Übermensch' 8.5 Die Verwünschung einer entzauberten Welt 8.6 Die Kunst und der Glaube
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9. Bibliographie der Werke und Essays von Maria Zambrano 10. Literaturverzeichnis
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen Cl. Conf. DyD FyP HSsA HdL LIDE OR PyD PyP Sc Send. SyT DA DAPr. TA TAPr.
Claros del bosque La Confesión: género literario Delirio y destino Filosofía y poesía (In: OR) Hacia un saber sobre el alma Horizonte del liberalismo Los intelectuales en el drama de España Obras renunidas - Primera entrega Persona y democracia Pensamiento y poesía en la vida española El sueño creador (In: OR) Senderos - Los intelectuales en el drama de España Los sueños y el tiempo "Delirio de Antígona" "Delirio de Antígona" (Prólogo) La tumba de Antígona La tumba de Antígona (Prólogo)
Porträt der Autorin aus Las Espanas (4/1948) Graphische Überarbeitung von Cedric Osivandi
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1. Einleitung Als Maria Zambrano 1988, drei Jahre vor ihrem Tod, den Premio Cervantes für ihr Buch Claros del bosque (1977) erhielt, erwachte in der Öffentlichkeit Spaniens ein neues Interesse um das Leben und Werk dieser Philosophin. Im allgemeinen war ihr Name bis zu diesem Zeitpunkt nur im Zusammenhang mit ihrer Essaysammlung Los intelectuales en el drama de España (1937), die im Kontext des Bürgerkrieges entstand, bekannt. Eine neue Ausgabe ihrer republikanisch gesinnten Aufsätze im Jahre 1977 war auf breites Interesse gestoßen, weil die Aufhebung der Zensur in Spanien zu diesem Zeitpunkt einen neuen Prozeß der Geschichtsaufarbeitung auslöste. Die 1904 geborene Autorin gehörte in den zwanziger und dreißiger Jahren zu der intellektuellen Avantgarde Spaniens. Wie zahlreiche andere Angehörige der Generación del 21 engagierte sie sich während des Bürgerkrieges in der kulturellen und propagandistischen Arbeit der Volksfrontregierung. 1939 ging sie ins Exil. Im Kreis der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas', zu deren Gründung sie 1936 beitrug, genoß Maria Zambrano eine besondere Stellung. Ihr hohes Ansehen beruhte nicht allein auf ihrem offenen Wesen und auf ihrer konsequenten Haltung in der Auseinandersetzung um Revolution und Krieg. Ihr kam schon deshalb eine außerordentliche Rolle zu, weil sie im Gegensatz zu ihrem Lehrer, dem renommierten Philosophen José Ortega y Gasset, und anderen namhaften Gelehrten der älteren Generation, wie zum Beispiel Gregorio Maraflón, entschlossen war, die Republik nicht allein als Utopie, sondern auch als Realität zu verteidigen. Ihre Anwesenheit in Spanien, und vor allem ihre Präsenz in der republikanischen Presse, war - als Gegengewicht zu Ortegas Diffamierungen der Volksfrontbewegung - mit einem Faustpfand vergleichbar. Ortega sollte im Ausland ruhig gegen die Republik wettern. Die Sympathiebekundungen seiner "discípula predilecta" für die Volksfront waren schon ein Argument gegen seine Verunglimpfungen. Ihm und seinen Anhängern sollte signalisiert werden, daß ihr Denken von einem neuen, antibürgerlichen Bewußtsein überholt worden sei. Durch fünfundvierzig Jahre im Exil - erst 1984 kehrte sie nach Spanien zurück - ist Maria Zambranos persönliches Wirken innerhalb der Generación del 27 und der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' in Vergessenheit geraten. Die Autorin trug selbst dazu bei, indem sie nach 1939 ein sehr zurückgezogenes Leben wählte. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Intellektuellen, die sich in der mexikanischen Hauptstadt niederließen, bevorzugte sie die Abgeschiedenheit Kubas. Sicher begünstigte ihre Freundschaft zu José Lezama Lima diese Entscheidung. Selbst als ihr
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1. Einleitung
1949, als Nachfolgerin von Juan David Garcia Bacca, der Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Mexikos angeboten wurde, zog Maria Zambrano ihr Leben auf den karibischen Inseln vor. Sie lehrte Philosophie an den Hochschulen Havannas und Puerto Ricos. Als sie 1953 nach Europa zurückkehrte, widmete sie sich ausschließlich dem Schreiben. Ihren Gedanken und Vorstellungen, die sie bereits 1939 in Pensamiento y poesía en la vida española als "razón poética" dargelegt hatte, verlieh sie in einer Synthese von Dichtung und Denken einen eigenen Ausdruck. Es gelang der Autorin jedoch damals kaum, die "fragmentos", für deren Stil sie später prämiert wurde, zu veröffentlichen. Eine Ausnahme bildete hier lediglich die von José Lezama Lima geleitete Zeitschrift Orígenes. "La metáfora del corazón" lautet zum Beispiel nicht allein die Überschrift des zentralen Aufsatzes in Claros del bosque, sondern auch der Titel eines thematisch verwandten Fragments, das 1944 in Orígenes erschien. Der Stil, der heute als Ausdruck eines ausgereiften Werkes gefeiert wird, galt dreißig Jahre lang als nicht publikationsfällig. Die bisherige Rezeption von Maria Zambranos Werk steht unter dem Einfluß einer erneut passionierten Debatte über das sprachliche Zeichen. Die sprachimmanente Betrachtung ihres Werkes erklärt auch, weshalb das religiöse und geschichtsphilosophische Fundament der razón poética, das die Autorin unter anderem in La Confesión: género literario (1943) und Persona y democracia (1958) niederlegte, bisher kaum Beachtung gefunden hat. Ihr Bühnenstück La tumba de Antigono (1967), in dem die mythische Heldin das Antlitz einer christlichen Märtyrerin erhält, ist ebenfalls bisher kaum untersucht und interpretiert worden. Im Kontext dieser im allgemeinen sehr eingeschränkten Betrachtung geschieht es, daß die Autorin zum Gegenstand einer rührseligen Bewunderung wird, bei der der Wert ihres Werkes ausschließlich in der formalen Erscheinung ihres poetisch-philosophischen Diskurses erblickt wird. Der ideengeschichtliche Zusammenhang der razón poética, der Einfluß von Ortega y Gasset, Henri Bergson, Emmanuel Mounier, Max Scheler, Martin Heidegger und von Carl Gustav Jung auf das Denken von Maria Zambrano, werden höchstens am Rande erwähnt, aber nicht kritisch beleuchtet. Das naive Staunen über das scheinbar plötzliche Auftauchen einer Philosophin behindert eine analytische Auseinandersetzung mit ihrem Werk. So kommt José Demetrio Jiménez in Los senderos olvidados de la filosofia - Una aproximación al pensamiento de María Zambrano (1991) nicht über die Paraphrase hinaus. Auch weckt der wiederholte Hinweis auf das frühkindliche Milieu - in einem andalusischen "cadre enchanteur" (Guy 1956, 267) - den Eindruck weitgehender Übereinstimmimg darüber, daß fiir ein Verständnis ihres Werkes die Herkunft Maria Zambranos bedeutender sei als ihr ereignisvolles Leben. Im Rahmen dieser verklärten Darstellung werden so prägende Erlebnisse wie das der Entstehung der II. Spanischen Republik, des Bürgerkrieges und des Exils bei der Deutung ihres Werkes an den Rand gedrängt. Dementsprechend erwähnen die meisten der in den letzten Jahren erschienenen Kurzbibliographien der Autorin ihre Frühschrift Los intelectuales en el drama de
1. Einleitung
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España nicht. Zwar beglückwünscht sich Spanien zu der Heimkehr der Exilschriftstellerin, doch der politische Konflikt, der zu ihrer langen Abwesenheit führte, soll offenbar unberührt bleiben. Nur so ist es zu verstehen, daß die dritte Ausgabe von Maria Zambranos politischen Essays, die 1986 im Verlag Anthropos erschien, um wesentliche Passagen gekürzt wurde. In dieser jüngsten Ausgabe von Los intelectuales en el drama de España fehlt unter anderem ihr offener Brief an Gregorio Maraflón. Ihre Anklage gegen die "renegados", ihre Bezeichnung für diejenigen, die sich von der Republik abwandten, scheint der allgemeinen Harmonisierungstendenz innerhalb der spanischen Historiographie hinderlich zu sein. Darüber hinaus erklärt das bewußte oder auch unbewußte Widerstreben, eine Denkerin als solche zu würdigen, den Umstand, weshalb der Philosoph und Historiker José Luis Abellán sich in seiner Darstellung der razón poética dazu veranlaßt fühlte, auf den "progenitor" der Autorin, Blas Zambrano, zurückzugreifen. Erst nachdem er die lächerlich wirkende Gestalt der "mujer-filósofo", "aquella niña" in den Schatten des Vaters gestellt hat, scheint für ihn eine Annäherung an das Denken der Autorin möglich (Abellán 1967, 169-170). Pablo de A. Cobos, auf dessen Meinung sich Abellán im zitierten Buch Filosofia española en América (1936-1966) stützt, wollte seinerseits über das Verhältnis von Maria Zambrano zu ihrem Vater wissen, "que le sigue sintiendo en la entraña de su ser entero" (Abellán 1967, 170). Auch Eliseo Diego, der ehemalige Mitherausgeber von Orígenes, stimmt in diesen Kanon ein, wenn er in Maria Zambrano en Orígenes (1987) in Erinnerung an seine Begegnung mit der damals fünfunddreißigjährigen Autorin, den Ton eines Märchenerzählers anschlagend, schreibt: "Hubo una vez una muchacha que vino de España a Cuba" (Diego 1987, 3). Ihrer Lebenserfahrung und ihrer intellektuellen Eigenständigkeit beraubt, entsteht eine neue, modellierbare Gestalt, mit der sich die vermeintlich wohlwollenden Adepten Maria Zambranos soweit identifizieren können, daß der Denkerin Worte attribuiert werden, die sie nie sprach. In dieser Hinsicht hat sich vor allem der Leiter der "Fundación Maria Zambrano' hervorgetan. So fügte Juan Fernando Ortega Muñoz in seine Einleitung zum Kongreßband der Ersten Internationalen Tagung zum Leben und Werk von Maria Zambrano (Philosophica Malacitana 4, 1991) eine angeblich während der Schlußsitzung telefonisch übermittelte Grußadresse der Autorin ein, die zumindest nicht in dem Kontext entstand, in den er sie stellt. Die der Autorin zugeschriebene, in Heimatliebe und Dankbarkeit schwelgende Rede hat nichts mit dem Anruf und den spärlichen Worten einer hochbetagten, scheuen Frau gemein, die während der Schlußsitzung über Lautsprecher in den Saal übertragen wurden. Diese im Kongreßband veröffentlichte fiktive Grußadresse bietet hingegen Einsicht in die Motivation eines Teils der sich gegenwärtig um den Namen der Autorin scharenden Interessenten. Gepriesen wird hierin die Heimat Andalusien, dank deren Förderung die 'Fundación Maria Zambrano' ins Leben gerufen wurde. In offenbar stillschweigender Übereinstimmung, daß es inopportun wäre, einen Zusammenhang zwischen dem spanischen Konflikt und dem Lebenslauf der Autorin herzustellen, werden hier anonyme Kräfte beklagt, welche die Autorin von ihrer "tierra natal" fortrissen. Die
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1. Einleitung
Stiftung selbst wird als "obra de gracia" dargestellt, als Segen also, durch den Maria Zambranos ungestillte Sehnsucht nach der Heimat Andalusien belohnt werde. Eine kritische Betrachtung des Leben und Werkes von Maria Zambrano verlangt, daß das oben geschilderte Dickicht von Widersprüchen gelichtet wird. Der Premio Cervantes wurde einer Exilschriftstellerin verliehen, die zwar 1939 in Poesía y pensamiento en la vida española ihr Denken als Ausdruck eines 'spanischen' Wesens darlegte, es aber im Verlauf ihrer Entwicklung als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit maßgebenden europäischen Denkern des 19. und 20. Jahrhunderts erkannte. Wer Ursprung und Ausrichtung der razón poética nachzuvollziehen sucht, wird mit Maria Zambrano von El horizonte del liberalismo (1930) bis zu ihrem Nachlaßwerk Los sueños y el tiempo (1992) durch die verschiedenen Etappen ihres Denkens wandern müssen. Die Begegnung mit Maria Zambrano gestaltet sich dann als Zusammentreffen mit einer vom krausismo geprägten Idealistin, die für einige Jahre, während des spanischen Bürgerkrieges, den Mantel einer ästhetischen, realitätsfremden Denkart abstreifte. Mit welchem Ernst sie zu dieser politischen Entscheidung stand, davon zeugt ihre Entschlossenheit, nicht unter der Diktatur nach Spanien zurückzukehren und dies, obwohl sie die Revolution im Nachhinein als einen vom menschlichen Hochmut verursachten Einbruch in einem von Gott gelenkten Prozeß ansah. Die folgende Arbeit stellt keine Mutmaßungen über den Grad persönlicher Enttäuschung im Leben der Autorin auf, sondern hebt die Stellen ihres Werkes hervor, in denen ihr Schuldgefühl in bezug auf die tragische Geschichte Spaniens offenbar wird. Das Abgleiten Maria Zambranos in ein unpolitisches Bewußtsein und das Umschlagen ihrer geschichtsphilosophischen Anschauung in ein von der Vorstellung des christlichen Heilsgeschehens geprägtes Denken werden nachgezeichnet. Schließlich kulminiert die razón poética in einer mystischen Kontemplation der Welt, bei der sich die Autorin selbst als eine unter Eingebung wirkende Mittlerin zwischen Gott und dem Menschen begreift. Wie ungewöhnlich diese Entwicklung zunächst auch erscheinen mag, so zeigt die folgende Studie, daß Maria Zambranos Denken sich aus mancher hochgeachteten Quelle speiste und daß der Irrationalismus der dichterischen Vernunft keinesfalls, wie manche Interpreten es deuten, eine Auswirkung des Geschlechts der Autorin ist. Er steht vielmehr im Zeichen ihrer Affinität mit dem christlichen Existentialismus von Henri Bergson und Emmanuel Mounier sowie mit der Weltanschauung vor allem deutscher Denker wie Max Scheler, Martin Heidegger und Carl Gustav Jung. Im folgenden soll der relativ unbekannte Werdegang von Maria Zambrano erhellt werden. Oft ergaben sich biographische Einzelheiten aus der umfassenden bibliographischen Forschung, die diese Arbeit begleitete. Maria Zambranos politischen Essays wird eine besondere Stellung eingeräumt, weil die in ihnen enthaltene Botschaft als historisches Zeugnis erhalten bleiben soll. Der ideologische Streit, im Rahmen dessen zum Beispiel "Carta al Doctor Marañón", "Testimonio para Esprit" sowie der bisher verschollene Aufsatz "Nuevo realismo" verfaßt wurden, kann erst durch eine Rekonstruktion des unmittelbaren geschichtlichen Kontextes nachvollzogen werden.
1. Einleitung
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Die sich im Exil vollziehende allmähliche Abkehr Maria Zambranos von früheren Sozialrevolutionären Positionen wird verfolgt und die Nähe der razón poética zum Denken anderer in Südamerika lebender spanischer Schriftsteller und Philosophen untersucht. Die ausführliche Behandlung des dramatischen Werkes La tumba de Antigona, in das die Autorin autobiographische Daten einfließen ließ, bietet Aufschluß über Maria Zambranos retrospektive Deutung ihrer eigenen Rolle im Spanienkonflikt. Antigone erscheint als Vertreterin einer ethischen Vision, die durch ihre Selbstaufopferung einen Erlösungsprozeß einläuten soll. Das im Exil entstandene, neue Geschichtsverständnis der Autorin unterscheidet zwischen einer "historia apócrifa" einerseits und einer "historia verdadera" andererseits. Es wird begleitet von der Sehnsucht nach übersinnlicher Erfüllung über das ekstatische Erlebnis der Zeitlosigkeit und des Traumes. Das letzte Kapitel dieser Arbeit betrachtet abschließend die razón poética im Rahmen der Philosophie des ästhetischen Schauens. Die razón poética erscheint als Teil einer seit der Romantik existierenden philosophischen Strömung, die mit Hilfe der spekulativen Kunsttheorie um eine antidiskursive Annäherung an Wahrheit bemüht ist. In der folgenden Arbeit wird im Hinblick auf das Werk Maria Zambranos das Verhältnis von Kunst und Glauben sowie die Funktion der Poetisierung des philosophischen Diskurses untersucht. In Anlehnung an L'art de l'âge moderne (1992) von Jean-Marie Schaeffer wird dargelegt, wie die Inanspruchnahme der Dichtung durch die Philosophie ein Mittel der Vernunftkritik bildet, die Metaphysik neu zu beleben. Die razón poética ist das Beispiel eines Denkens, das sich in dichterischer Weise auf ein höheres Wesen bezieht. Inwieweit das, was im allgemeinen als Spätwerk der Autorin gilt, auf die augustinische Prädestinationslehre rekurriert, wird in einer vergleichenden Studie ihrer religiösen, geschichtsphilosophischen und ästhetisch-mystischen Schriften erläutert. Die folgende, zum Teil sehr kritische Betrachtung des Werkes von Maria Zambrano wurde im Bewußtsein geschrieben, daß nur eine emsthafte Auseinandersetzung das Leben und Werk dieser Schriftstellerin und Philosophin gebührend würdigen kann.
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2. Lebensdaten einer 'Unbekannten'
2.1 Eine Tochter des spanischen Bildungsbürgertunis Maria Zambrano, so kann man behaupten, ist eine Unbekannte. Diese Behauptung ist zugleich unhaltbar: nicht allein, weil sie 1988 für ihr philosophisches Werk Claros del Bosque (1977) den 'Premio Cervantes' erhielt, sondern vor allem, weil sie seit ihrer Jugend zum Kreis der spanischen Literaten gehörte. Miguel Hernández widmete ihr sein Gedicht "La morada amarilla" (1934); das letzte Buch Emilio Prados Signos del Ser (1962) trägt eine Widmung für sie; und auch José Angel Valente hat sie mit seinem Gedicht "Palabra" in seiner Gedichtsammlung Material Memoria (1977) geehrt. Mit dem kubanischen Lyriker José Lezama Lima verband sie eine enge Freundschaft. Eines seiner Gedichte trägt ihren Namen. Und auch Emile Michel Cioran, der ihr während ihres Exils in Frankreich begegnete, fugte ihr Portrait neben dem von Beckett, Saint-John Perse und Borges in seine Exercices d'admiration (1986) ein. Maria Zambrano wurde 1904 in Vélez-Málaga geboren und stammte aus einer Familie von Intellektuellen. Ihre Eltern, Araceli Alarcón Delgado und Blas José Zambrano, waren Pädagogen, was im Spanien des frühen 20. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung mit dem Bildungsmonopol der katholischen Kirche und ein Eintreten für die Bildungsprinzipien des "Krausismo' impliziert. 1909 siedelte die Familie nach Segovia über. Hier gründete Blas José Zambrano mit seinem Freund, dem Dichter Antonio Machado, die 'Universidad Popular'. Er arbeitete für verschiedene literarische Zeitschriften und schloß sich der 'Agrupación Socialista Obrera' an. 1924 begann Maria Zambrano in Segovia ein philosophisches und literaturwissenschaftliches Studium, das sie ab 1926 an der 'Universidad Central' in Madrid fortsetzte. Sie besuchte die Vorlesungen der Philosophen Manuel García Morente, Javier Zubiri und José Ortega y Gasset. Während ihrer Assistenzzeit (1931-1936) an der Madrider Hochschule befaßte sie sich im Rahmen ihrer Dissertation mit dem Thema "La salvación del individuo en Spinoza". Die Studienjahre Maria Zambranos fallen in die politisch sehr bewegte, der II. Republik vorausgehende Zeit. Die seit 1923 bestehende Diktatur Primo de Riveras war gekennzeichnet von sich verschärfenden sozialen und politischen Spannungen, in deren Folge 1929 das Madrider 'Ateneo' geschlossen und die Lehrtätigkeit einiger Professoren untersagt wurde. In einem letzten Versuch, die Monarchie Alfonsos XIII. zu retten, wurde Anfang 1930 unter Berenguer eine neue Regierung gebildet, die eine
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2. Lebensdaten einer Unbekannten'
Normalisierang des Universitätslebens anstrebte. Maria Zambrano erinnert sich in ihrem autobiographischen Roman Delirio y Destino, der in den fünfziger Jahren entstand, wie die Studenten dem taktischen Vorgehen der neuen Regierung mit einer Welle von Streiks entgegentraten.1 Als die "Stunde der Versuchung" beschreibt sie das Unterfangen der Berenguer-Regierung, die jungen Intellektuellen an sich zu binden. Zugleich erscheint ihr diese Stunde als die erste Bewährungsprobe einer jungen Generation, deren Ideale sie mit der weit verbreiteten Forderung nach einer Republik verband: Dijeron casi todos "no", como ella dijo a la hora de la ambición, nada ilegítima por cierto, para luego adelantarse a la hora de la pasión definitiva (...) Aquel no que fue otra vez Sí, a la hora definitiva en la que volvimos a encontramos, por poco tiempo. Los primeros días del "frente de Madrid" consumieron muchas de aquellas vidas (...) (DyD 206 f.) Ein "Nein' an die Diktatur, die Spanien in feudalistischen Verhältnissen festhielt, ein 'Ja' für die II. Spanische Republik von 1931 und für die Volksfrontregierung von 1936: eine Haltung, die, so Maria Zambrano, wie vom Schicksal bestimmt entstand. Diese Jugend, die nicht Teil einer jeunesse dorée sein wollte, wie Maria Zambrano im Exil feststellt, bewegte nicht Altruismus, nicht Heldenmut, sondern ein Verantwortungsgefühl. Sie entschied sich für die Republik, weil sie aus ihrem Selbstverständnis heraus nicht anders handeln konnte: Todo estaba en aquella hora ya, toda nuestra suerte. Desaparecimos en el ancho mar de la vida de todos, nos perdimos ya, generación sin personalidad, con sólo una silueta, habida a pesar de ella misma; el triunfo de la esperanza que levantamos a pulso nos anegó. (DyD 209) Im Jahre 1927 war die junge Geisteswissenschaftlerin in die "Federación Universitaria Escolar' eingetreten. Diese studentische Organisation gab sich nach außen hin unpolitisch und stellte sich zunächst nur die Aufgabe, eine Verbindung zwischen gleichgesinnten Studenten und Professoren herzustellen. Die Studenten betrachteten ihre geistigen Väter mit einer Mischung von Respekt und Ungeduld. Nun war die Zeit gekommen, die Lehren der Generación del '98 in die Tat umzusetzen und Spanien den Anschluß an die moderne Welt, an Europa, zu ermöglichen. Aus dieser studentischen Initiative entstand ein Jahr später die "Liga de Educación Social', ein Verband, der linke Intellektuelle der verschiedensten Tendenzen vereinte und im Rahmen derer Maria Zambrano Bildungsarbeit leistete. Unter dem Druck der polizeilichen Verfolgung löste sich die Liga 1929 auf. Ihre Mitglieder schlössen sich aber in kleinen Gruppen erneut zusammen: La estancia en la cárcel se había hecho frecuente para los estudiantes en todo este tiempo; por pequeños incidentes de violencia, por las huelgas que se sucedían unas a otras, tan implacablemente como un fenómeno de la naturaleza. (DyD 178)
'Zambrano, M. Delirio y destino. Madrid: Mondadori, 1989. Im folgenden DyD.
2. Lebensdaten einer Unbekannten'
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Aus dieser Zeit ist ein Brief der Autorin an ihren Lehrer José Ortega y Gasset erhalten, in dem sie ihn ermahnt, die von ihm gepriesene Geistesaristokratie nicht mit dem Adel des Landes zu verwechseln. Hiermit reagiert sie auf Ortegas Artikel "Organización de la decencia nacional", der am 5.2.1930 in El Sol erschien. Vom 11. Februar 1930 datiert, trägt ihr Brief die Überschrift "Carta de una joven a su maestro, D. José Ortega y Gasset". Möglicherweise wurde er als offener Brief konzipiert. Zweimal betont die Autorin, sie spreche nicht nur für sich. Sie lehnt die konstitutionelle Monarchie, mit der ihr Lehrer sympathisiert, kategorisch ab und beendet ihr Schreiben in Vorwegnahme der nahenden Republik mit einer Herausforderung: Cumplirá usted su misión con toda dignidad, en su puesto conservador aristocrático, guardador de la cultura de hoy. Lo otro sería superarse genialmente en posición y en edad, y lo genial no puede nunca exigirse. Realizar tal misión fue sin duda su postura política, pero hoy no se puede ser conservador en esta triste España sin ser antes revolucionario, sin derrumbar lo que está podrido y envenena el ambiente con su cadáver.1 Neun Monate später griff Ortega y Gasset das Bild des organischen Verfalls der spanischen Aristokratie wieder auf, als er seinem Artikel "El error Berenguer" in El Sol vom 15.11.1930 den Schlußsatz "¡Delenda est monarchia!" gab. Wie sehr die angehende Philosophin dennoch von Ortegas Elitetheorie geprägt war, zeigt eine Lektüre ihres ersten politisch-philosophischen Werkes, das im September 1930 herauskam. Horizonte del liberalismo präsentiert eine Typologie von intellektuellen Charakteren, die das Denken zwischen den Extremen von "política conservadora y política revolucionaria" darstellen soll.3 Die zu Beginn des Buches gestellte Frage "¿Que papel tiene la política en los distintos modos que existen de enfrentarse con la vida?" weist schon daraufhin, daß es Maria Zambrano eher um die Darstellung einer Geisteshaltung als eines konkreten sozialen Wandels geht. Ohne die Antagonisten des gesellschaftlichen Konflikts beim Namen zu nennen und ihre Interessen einander gegenüberzustellen, deutet sie durch eine Kritik von Kommunismus und Liberalismus "un nuevo liberalismo" an, der eine Synthese von sozialer Gerechtigkeit und individueller Freiheit sein soll. Ihr Gesellschaftsentwurf beruht auf der Vorstellung der Geschichte als heraklitischer Lebensstrom (HdL 43). Er ist von Ortega y Gassets Vitalismus und Gregorio Marañóns Biologismus beeinflußt. Die Revolution ist ein physisches Phänomen, schreibt Maria Zambrano. Lang zurückgehaltene, schlafende Kräfte setzten sich plötzlich in Bewegung (HdL 48). So sei der "optimismo vital" die geeignete Geisteshaltung des Liberalen oder, in ihren Worten, des 'authentischen' Revolutionärs:
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"Maria Zambrano: Tres cartas de juventud a Ortega y Gasset". Revista de Occidente 5. Madrid (1991): 7-26. S. 16. Zambrano, M. Horizonte del liberalismo. Madrid: Edición Morata, 1930. Im folgenden HdL.
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2. Lebensdaten einer 'Unbekannten' Desde luego, el revolucionario auténtico funda su actitud - lo exprese, o no en la fe en la vida, en su confianza en ella, en su superior valoración. Y esto tiene dos direcciones: cognoscitiva y moral. La vida está por encima de la razón, por la que es inabarcable y a la que mueve como a su instrumento. (HdL 55)
Dem Sinnbild einer geglückten sozialen Umwälzung wird ein anderes, das der Oktoberrevolution entgegengehalten. Die russische Revolution, meint die Autorin, scheine eher geologischer als biologischer Natur zu sein (HdL 117). Was die proletarische Revolution mit dem Denken der jungen Philosophin unvereinbar macht, wird deutlicher, wenn sie den Marxismus als Rationalismus diskreditiert: Ve la historia a la manera científica, como cadena de causas y efectos, negando todo supuesto ultrahistórico, supratemporal. (HdL 113). Im Sinne von Ortegas Geisteselite bezeichnet sie die Kulturschaffenden als "aristocracia" und den Intellektuellen als "aristócrata" (HdL 120 f.). Diese Bezeichnung weist auf mehr als eine nur namentliche Identifikation mit dem Adel hin. Das gebildete Kleinbürgertum, dessen Position die Autorin vertritt, sieht seine Interessen in dem, was sie als einen Machtkampf zwischen "cultura burgesa" und "las masas" schildert, bedroht. Einen Mittelweg suchend, schreibt sie über den Sieg der einen oder anderen: En el primer caso, la cultura volverá a ser con todo rigor fruto de paganía, de crueldad, de displicente aristocracia. ¿No apunta ya algún síntoma en las alturas? (Con esto concuerda la poca boga que hoy alcanzan los sentimientos en arte, en literatura - la deshumanización del arte -. El pobre sentimiento está comprimido entre el intelecto y la sensación. ¡Como en los días de Grecia, como en el siglo XVIII! ¿Y el cristianismo?) Y en el segundo caso nos amenaza - con la total socialización de la cultura - un pragmatismo ciego, la racionalización, el predominio de la técnica. El edificio cultural estaría integrado por las ciencias, de las que se deriva inmediatamente una técnica útil: "saber de dominación"y arte social. (HdL 121 f.) Als sein rechtmäßiges Erbe betrachtet der 'Geistesadel' die künftige Führung von Land und Volk. Das Aufbegehren der Unterprivilegierten sei der Undank, schreibt Maria Zambrano, gegenüber einer Gesellschaftsform, die ihnen das Recht zur Klage eingeräumt habe (HdL 123). Einen Ausweg aus der Krise sieht sie in einer Reform des Liberalismus, durch welche die 'Massen' wieder regierbar würden: Se precisa una nueva economía, un nuevo liberalismo, amplio y fecundo, y un estado social y cultural en el que se sienta solidaria la masa con el político, con el intelectual, con todo el que dirige. Hoy realmente no hay posibilidad de dirección; toda individualidad preeminente se encuentra aislada, desarraigada frente a una masa indócil que no le escucha. Todo está desintegrado. (HdL 125)
2. Lebensdaten einer Unbekannten'
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Offensichtlich versteht die Autorin die bestehende Gesellschaftsordnung als eine, die nicht länger die Privilegien des Bildungsbürgertums schützen kann und aus diesem Grunde erneuert werden muß. Erst 1936, im Kreis der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas', paßt sie sich dem beklagten Autoritätsverlust an und begreift sich als Intellektuelle "al servicio de la causa popular".* Ihre Parteinahme für die Volksfrontregierung wird gekennzeichnet durch die Aufnahme marxistischer Gedanken. Maria Zambranos Weltanschauung oszilliert in den Jahren des Bürgerkriegs aber auch zwischen Irrationalismus und Christentum. Zu Ortegas Entwurf einer gesellschaftlichen Opposition zwischen 'Geisteselite' und "Masse' kehrt sie nach der Niederlage der II. Spanischen Republik zurück. Unter dem Eindruck der Bedrohung der Republik jedoch nimmt ihre ehemals liberale Position eine linksradikale Wendung an. Als dezidierte Gegnerin des Faschismus entscheidet sich Maria Zambrano im Gegensatz zu ihrem Lehrer, vor der militärischen Auseinandersetzung mit der Falange nicht zu weichen, und tritt als Publizistin in den Dienst der Volksfrontregierung.
2.2 Die Jahre der Republik Maria Zambrano betont stets die friedliche Stimmung, in der sich der Wahlsieg der ersten republikanischen Regierung vollzog. Sie sah darin einen Grund zur Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung ihres Landes. Zusammen mit Freunden nahm sie an der Kundgebung teil, die am Abend des 14. April 1931 die Madrider Bürger spontan zusammenführte. In Los intelectuales en el drama de España erinnert sie sich an jenen Siegeszug durch die Stadt: En abril de 1931 el pueblo había mostrado su cara; la cara de la alegría y de la gloria que no conocíamos los españoles. Nunca habíamos estado contentos, y muy pocas veces juntos. (LIDE 44) Die II. Spanische Republik definierte sich in ihrer Verfassung als "República democrática de trabajadores de todas clases que se organiza en régimen de libertad y justicia". Der 1931 gewählten Regierung von Republikanern und Sozialisten wurde aufgrund ihrer großen Anzahl von Professoren, Journalisten und Schriftstellern der Zuname "Republik der Intellektuellen' gegeben. Sowohl Miguel de Unamuno als auch José Ortega y Gasset waren Abgeordnete geworden. Der Ministerpräsident Manuel Azaña verwaltete zugleich das Amt des Universitätsrektors, was ihm die politische Führung des Landes keineswegs erleichterte. An der Hochschule beschuldigten ihn die Studenten des Verrats.5 Es erschien der Koalitionsregierung in der Tat leichter, das Recht auf freie Meinungsäußerung als die im Wahlkampf versprochene Bodenreform durchzusetzen. Der Widerspruch zwischen den Losungen, mit denen die Regierung 4
So definierte sich die republikanische Kulturzeitschrift Hora de España, welche die 'Alianza' während des Spanienkrieges herausbrachte. 'Vgl. Bécarud, J. und López Campillo, E. Los intelectuales durante la II República. Madrid 1978. Ebenfalls: Ruiz Salvador, A. Ateneo, Dictadura y República. Valencia 1976.
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Manuel Azañas angetreten war, und dem anhaltenden Elend der spanischen Landarbeiter führte schließlich im Oktober 1933 zum Ausscheiden der Sozialisten aus der Regierung. Im selben Jahr beginnt die publizistische Tätigkeit Maria Zambranos fur die vom linkskatholischen Dichter José Bergamín geleitete Zeitschrift Cruz y Raya und im folgenden Jahr fiir die von Ortega y Gasset gegründete Revista de Occidente. Maria Zambrano schreibt Rezensionen sowie literaturwissenschaftliche Aufsätze zum Leben und Werk verschiedener Autoren und Philosophen. In der avantgardistischen Zeitschrift Los cuatro vientos veröffentlicht sie 1933 "Nostalgia de la tierra", einen poetischen Essay über die plastischen Künste. Darin beschreibt sie die Sehnsucht, die sie im Expressionismus empfindet. Auf den Impressionismus und Kubismus eingehend, erklärt sie diese als Ausdruck eines historisch und gesellschaftlich begründeten Prozesses des Suchens nach einem Halt in einer desillusionierten Welt. 6 Für die Revista de Occidente verfaßt sie 1934 "Por qué se escribe", einen Aufsatz über schriftstellerische Inspiration und Zielsetzung. Hier kündigt sich eine für ihr spätes metaphysisches Werk charakteristische Haltung an, die das Schreiben als Eingebung betrachtet. Die Aufgabe des Schriftstellers sieht sie in der Suche nach Wahrheit. Die Leserschaft, betont sie aber, existiere bereits vor dem Werk und stehe zum Schriftsteller in einer Beziehung, die sie als "comunidad espiritual del escritor con su público" bezeichnet. 7 Ihre spätere Vorstellung, als "mediador" zu wirken, findet in diesem Manifest seinen ersten Ausdruck. Im Dezember 1934 erscheint in derselben Zeitschrift ihr Essay "Hacia un saber sobre el alma". Dieses Thema, das sie zeit ihres Lebens beschäftigt, ist auch Gegenstand eines 1950 veröffentlichten gleichnamigen Werkes. Ihr Aufsatz behandelt die Unfähigkeit der rationalen Vernunft, das menschliche Innenleben zu erfassen. Hier entwickelt sie den Begriff des "sentir originario", ohne das jede Wahrnehmung am Rande eines unzulänglichen Rationalismus verharre. Der Aufstand der asturischen Bergarbeiter im Oktober 1934 und die darauffolgende gnadenlose Repression durch das Militär vertiefen den Dissens unter den spanischen Intellektuellen. Während ein bedeutender Teil der älteren Generation sich unsicher zurückhält, nimmt das demokratische Selbstverständnis der Generación del 27 eine radikale Wendung. Zunehmend schließt sie sich Literaten wie Rafael Alberti und Maria Teresa León an, die schon 1931 fur ein dezidiertes Auftreten der Kulturschaffenden an der Seite des spanischen Volkes appellierten. Nach dem Vorbild des französischen 'Comité pour la Paix' gründen 1936 spanische Intellektuelle die 'Alianza de Intelectuales Antifascistas'. Ähnlich der im Jahr zuvor 6
Zambrano, M. "Nostalgia de la Tierra", Los cuatro vientos 2. Madrid (1933): 145-154; und in: Documents of the Spanish Vanguard. Hg. Paul Ilie. Chapel Hill, N.C. (1969): 233-237. 7 Zambrano, M. "Por qué se escribe". Revista de Occidente 132. Madrid (1934): 318-328. S. 327.
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formierten Volksfront vereinigen sich in ihr Linkskatholiken, wie José Bergantín, und Kommunisten, wie Rafael Alberti. Maria Zambrano gehört selbst zu den Unterzeichnern des Gründungsmanifestes der 'Alianza', das vom Juli 1936 datiert ist.8 Sie kann deshalb als Mitbegründerin der Zeitschrift El Mono Azul betrachtet werden, die zum ersten Mal am 27.8.1936 erschien. Diese Frontzeitschrift wurde nach dem proletarischen "Blaumann', der spontan gewählten Uniform der Volksmiliz, benannt. In ihrer Chronik "La inteligencia militante - El Mono Azul" identifiziert sich die Autorin mit dem Idealismus einer neuen, auf der historischen Notwendigkeit bestehenden Vernunft: (...) en los días del nacimiento de la razón, cuando en Grecia, con maravillosa y fragranté intuición, se quiso representar a la diosa de la sabiduría, Palas Atenea, se la vistió con casco, lanza y escudo. La razón nació armada, combatiente (...) Razón militante, armada de casco, lanza y escudo. Nuestro modestísimo 'Mono Azul' de Madrid, nacido entre metralla, bombas y fusiles, revive este momento de la aurora de la razón en Grecia. 9 Heute stellt das ehemalige Organ der 'Alianza' eine reichhaltige Quelle für eine Rekonstruktion von Maria Zambranos politischen Aktivitäten in der Zeit vor ihrer Mitarbeit in der Redaktion von Hora de España dar. Zwei Meldungen in El Mono Azul vom 10.9.1936 - in dem ebenfalls ihr Pamphlet "La libertad del intelectual" erschien - machen ihr Engagement deutlich. Hier erfährt man, daß sie als Genossin der 'Alianza' der 'Comisión de Trabajo Social y de Cultura' des "Batallón de Hierro' beigetreten ist. Dieses Bataillon rekrutierte sich aus entlassenen Strafgefangenen der valenzianischen Gefangnisse und unterstand Offizieren der anarchistischen Arbeiterorganisation 'Confederación Nacional del Trabajo'. 1936 operierte dieses verrufene Bataillon autonom in der Gegend um Valencia. Erst im März 1937 wurde es unter dem Druck der Regierung in die reguläre Armee als 83. Brigade eingegliedert.10 Ferner wird in El Mono Azul vom 10.9.1936 berichtet, daß Maria Zambrano zusammen mit ihrer "compañera", Maria Alfaro, als Vertreterin der 'Alianza' an der feierlichen Übergabe der "bandera de lucha del Partido Comunista italiano" an die Soldaten des 5. Regiments teilgenommen hat. Dieses Regiment war von der kommunistischen Partei gebildet worden und kämpfte unter der Leitung von Offizieren des 'Partido Comunista Español' im Verband der republikanischen Armee. Vier Tage später heiratet Maria Zambrano den Historiker Alfonso Rodríguez Aldave, der kurze Zeit danach als Diplomat der Volksfrontregierung nach Santiago de Chile entsandt wird. Mit ihrem Ehemann, von dem sie sich in den ersten Jahren des Exils trennen wird, reist Maria Zambrano nach Chile. Dort verfaßt sie ihre politische 'Vgl. Aznar Soler, M. und Schneider, L. M. II Congreso Internacional de Escritores para la Defensa de la Cultura (1937). 3 Bde. Bd. 2. Valencia 1987. S. 304. 'Zambrano, M. Los intelectuales en el drama de España. Madrid: Hispamerca, 1977. 2. Aufl. S. 49 ff. Im folgenden als LIDE abgekürzt. I0 Vgl. Historical Dictionary of Spanish Civil war, 1936-1939. Hg. James W. Cortada. Westport, Connecticut / London 1982.
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Schrift Los intelectuales en el drama de España, die 1937 in Santiago in Druck geht. In dieser Sammlung der teilweise für die argentinische Zeitschrift Critica geschriebenen Aufsätze analysiert sie den ideologischen Ursprung des Faschismus in Europa, seine Wirkung in Spanien und bespricht die gesellschaftliche Rolle der Intellektuellen sowie deren Mitverantwortung für die Verbreitung der faschistischen Doktrin. Während ihres kurzen Aufenthalts in Chile bereitet sie ebenfalls die Herausgabe einer dort im selben Jahr erscheinenden Anthologie von Gedichten des ermordeten Dichters Federico García Lorca vor. "Maria Zambrano, en Chile" ist eine weitere Meldung im Mono Azul vom 11.2.1937 überschrieben, die sie als kulturelle Vertreterin der Republik ausweist und mit dem Gruß schließt: Un cordial saludo a nuestra compañera, que continúa en Chile la línea de trabajo que comenzó a nuestro lado. Zuletzt berichtet El Mono Azul am 1.5.1937 über Maria Zambrano und ihren Ehemann Alfonso Rodríguez Aldave im Zusammenhang mit dem 'Primer Congreso de Escritores Chilenos' im April 1937. Emeut wird sie hier als Repräsentantin der 'Alianza' bezeichnet, in deren Namen sie an diesem Kongress teilnimmt. Keine der bisherigen Biographien gibt den genauen Zeitraum von Maria Zambranos Aufenthalt in Südamerika an. Alain Guy ging in seiner Geschichtsphilosophie Les philosophes espagnols d'hier et d'aujourd'hui irrtümlich davon aus, daß sich die Autorin bei Kriegsausbruch in Chile befand.11 Auch in den Biographien von Julia Castillo und José Demetrio Jiménez findet man nur ungenaue Hinweise.12 Ihre Abreise wird auf einen Zeitpunkt nach ihrer Eheschließung und ihre Rückkehr durch den Fall von Bilbao datiert. Es handelt sich demnach um den Zeitraum zwischen dem 14.9.1936 und dem 19.6.1937. Während des Krieges organisiert die 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' internationale Solidaritätskampagnen. Als Höhepunkt dieser Bemühungen kann der II. Internationale Schriftstellerkongreß angesehen werden, der im Sommer 1937 abwechselnd in Madrid, Valencia und Barcelona tagte. In den 1987 neu erschienenen Analen des Kongresses wird Maria Zambrano als Mitglied des Organisationskomitees aufgeführt.13 Elena Garro, die als junge Ehefrau von Octavio Paz zu diesem Anlaß nach Spanien reiste, erinnert sich an ihre erste Begegnung mit der Publizistin Maria Zambrano: Una señora vestida de negro, con el pelo cortado a la 'garzón' y fumando en una boquilla larga, se me acercó. Su amabilidad me dejó aplastada. Era "Guy, A. Les philosophes espagnols d'hier et d'aujourd'hui. Paris 1956. 12 Vgl. Castillo, J. "Cronología de María Zambrano". Anlhropos 70-71. Barcelona (1987): 74-81; und Jiménez S.-Mariscal (OSA), J. D. Los senderos olvidados de la filosofia. Una aproximación al pensamiento de María Zambrano. Madrid: Religión y Cultura, 1991. ,3 Aznar Soler, M. und Schneider, L. M. Op. cit. Bd. 2. S. 225.
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María Zambrano, la mejor discípulo de Ortega y Gasset, después o antes que Julian Marías. Supe que había enojo con Ortega (...)u Nach ihrer Rückkehr aus Chile wählte Maria Zambrano Valencia als Wohnsitz. Dort hatte auch die Redaktion von Hora de España, als deren Mitglied sie ab Juli 1937 erwähnt wird, ihren Sitz. Zunächst in Valencia und später in Barcelona bringt sie in Zusammenarbeit mit Manuel Altolaguirre, Rafael Dieste, Juan Gil-Abert, Ramón Gaya, Antonio Sánchez Barbudo, Arturo Serrano Plaja und Angel Gaos diese anspruchsvolle Literaturzeitschrift heraus, die sich, zum Preis von zwei Pesetas erhältlich, an eine Leserschaft auch jenseits der Landesgrenzen richtet. Unter der Zweitüberschrift, "Ensayos, Poesía, Crítica - al servicio de la causa popular" erscheinen bis September 1938 monatlich Beiträge von berühmten Autoren wie Antonio Machado, Rafael Alberti, Miguel Hernández und Max Aub, aber auch von nichtspanischen Schriftstellern wie Thomas Mann. Maria Zambranos eigene Beiträge behandeln Geschichte und Gegenwart der spanischen Kultur. In der Juli-Ausgabe von Hora de España veröffentlichte sie eine Kurzgeschichte, "Españoles fuera de España", eine Darstellung bewegender Ereignisse an Bord des Schiffes, mit dem sie nach Spanien zurückkehrte. Aber ihre Haupttätigkeit im Rahmen dieser und der folgenden Ausgabe von Hora de España bestand wohl in der extensiven Dokumentierung des Kongresses. In der August-Ausgabe von Hora de España sind u.a. die Reden von Julien Benda, Ilja Ehrenburg, Anna Seghers, Jef Last, Tristan Tzara, Stephen Spender und André Chamson nachzulesen. Erst im September 1937 veröffentlichte Maria Zambrano den zweiten Essay aus ihrer im April begonnenen kulturphilosophischen Reihe. In diesen Jahren schreibt die Philosophin außerdem unsignierte Artikel für die wissenschaftliche Zeitschrift Madrid, bereitet Radiosendungen vor und ist Mitglied des 'Consejo Nacional de Propaganda', des 'Consejo Nacional de la Infancia Evacuada', der 'Comisión de Historia de la Guerra' sowie der 'Comisión de Literatura'. Die Autorin wird darüber hinaus als Redaktionsmitglied von La Voz de Madrid aufgeführt. Dieses inoffizielle Sprachrohr der Volksfrontregierung erschien von Juli 1938 bis April 1939 in Paris.15 Die bisher umfassendste Biographie der Autorin in der oben genannten Sonderausgabe von Anthropos gibt nur Maria Zambranos Funktionen im Rahmen des 'Consejo Nacional de Propaganda' und des 'Consejo Nacional de la Infancia Evacuada' an. Eine vollständige Auflistung ihrer politischen Funktionen ist hingegen in dem 1982 vom mexikanischen 'Fondo de cultura económica' herausgegebenen biographischen Werk El exilio español en México 1939-1982 nachzulesen.
"Ibid., Bd. 3, S. 386. 15 Vgl. Faksimile. In: Plages d'exil - Les camps de réfugiés espagnols en France - 1939. Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine. Nanterre 1989. S. 187. In den gesichteten Nummern von Voz de Madrid (Nr. 1, 4, 5 von 1938 und Nr. 2 von 1939) befinden sich keine von der Autorin signierte Artikel.
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Angaben über dieselben Funktionen sowie über ihre Arbeit beim Rundfunk sind auch in den Cuadernos de Madrid in der Reprint-Ausgabe enthalten.16 Über den 'bienio negro', über den Wahlsieg der Volksfront im Februar 1936, über den Bürgerkrieg, über Guernica ist selbst in Maria Zambranos autobiographischem Roman Delirio y Destino, der 1953 geschrieben wurde, nichts zu lesen. Auf den 14. April 1931 folgt "Hacia el Nuevo Mundo", Erinnerungen an den Tag, an dem sie im Januar 1939 in einem Strom von Flüchtlingen die Pyrenäen überquerte. Allem Anschein nach liegt der Grund für diese Auslassung in einer fiir die Erstveröffentlichung im Jahre 1989 vorgenommenen Kürzung.17 Diese Jahre des politischen Aufbruchs waren nur Utopie, "un destino soñado", so die Überschrift des ersten Teils ihres Romans. An die Möglichkeit eines demokratischen, souveränen Spaniens hatte sie geglaubt. Sie hatte den Willen und die Kraft dazu in den Menschen ihres Landes gespürt, aber der Krieg begrub alle Hoffnung. Frauen, deren Psychen zerstört wurden, sind in Maria Zambranos literarischem Werk die am häufigsten wiederkehrenden Figuren. "Delirios", der zweite Teil ihres Romans ist eine Folge von surrealistisch anmutenden Geschichten, in denen gebrochene weibliche Gestalten in einer zwischen Realität und Wahn angesiedelten Fabelwelt auftreten. Auch ihre weisen Frauenfiguren Diótima18 und Antigona sind Charaktere, deren Existenzen vernichtet wurden. Vor der bewußten Wahrnehmung der erfahrenen Grausamkeit zurückschreckend, leben sie im Delirium. Der Hintergrund, vor dem sich das jeweilige Motiv entschlüsselt, ist die Erfahrung des Krieges. Ihr im Pariser Exil entstandenes Theaterstück La Tumba de Antigona drückt den Wunsch nach Versöhnung aus. "Delirio de la Paloma", ein Kapitel des zweiten Teils ihres Romans, zeugt von einem stark ausgeprägten Schuldgefühl. Die Autorin schließt ihre Erzählung mit folgenden Worten: Reja y cruz. Mis muertos; los tuyos, España desde siempre tus muertos. Y tu amor, la paloma prometida, y la paz y sobre tu suelo trabajo, pan, dulzura y amor. ¿Habrá perdón para el que estrangula una paloma? Amor. Paloma crucificada. ¿No hemos crucificado los hombres incluso el Espíritu Santo? Ella padece de su herida, mana su sangre, la sangre del amor herido, la del amor inútilmente manchado, paloma inaccesible a toda humillación y humillada, aquí por nosostros. Pedirte perdón, paloma, hasta el polvo, hasta deshacerme, pedirte perdón por España. (DyD 256 f.)
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Cuadernos de Madrid (+ El Mono Azul). Glashütten im Taunus 1975. Auf dem I Congreso Internacional sobre la Vida y Obra de María Zambrano im April 1990 erklärte Prof. Rogelio Blanco, daß die vorliegende Ausgabe von Delirio y Destino eine um ca. 50 Seiten gekürzte Fassung ist. 18 Die Erzählung Diótima de Mantinea ist 1982 mit einer Einführung von Fidel Vilar Ribot und einem Vorwort der Autorin in Litoral 121-122-123 (Torremolinos-Málaga) erschienen. 17
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Für die Verwirklichung ihres Traumes von einem demokratischen Spanien, den sie hier mit den Worten "trabajo, pan, dulzura y amor" umfaßt, hat Maria Zambrano in den Jahren der Verteidigung der Republik die Sphäre des metaphysischen Denkens verlassen. Das menschliche Opfer, die Verantwortung des Individuums vor der Geschichte, die Vergangenheit als Gefängnis, das Verhältnis von Zeit und Wahrheit bestimmen nach dem spanischen Bürgerkrieg und dem II. Weltkrieg ihre Meditationen.
2.3 "Somos memoria" - Das Exil Maria Zambrano erreicht am 28. Januar 1939 in Begleitung ihrer Mutter sowie ihrer Schwester und ihres Schwagers die französische Grenze. Sie ist aufgrund der diplomatischen Tätigkeit ihres Ehemannes im Besitz eines Passes, der ihr die Weiterreise nach Paris ermöglicht. Nach einem kurzen Aufenthalt in der französischen Hauptstadt reist sie im Spätsommer desselben Jahres mit ihrem Ehemann über New York nach Havanna. Während der nächsten zwanzig Jahre lebt Maria Zambrano, mit Ausnahme eines zweijährigen Aufenthalts in Paris, abwechselnd in Kuba, Mexiko und Puerto Rico. Sie folgt zunächst einem Ruf an die Universität von San Nicolás de Hidalgo in Morelia, der Hauptstadt des mexikanischen Staates Michoacán. Aber schon im Januar 1940 kehrt sie nach Havanna zurück, wo ihr ein Lehrstuhl sowohl an der Universität als auch am 'Instituto de Altos Estudios e Investigaciones Científicas' angeboten wird. In den Jahren 1943 und 1944 lehrt sie am Fachbereich für Hispanistik der Universität von Rio Piedras in Puerto Rico. Ab 1944 ist sie wieder an der Universität von Havanna tätig. Der Tod ihrer Mutter fuhrt sie 1946 nach Paris. 1948 trennt sie sich von Alfonso Rodríguez Aldave. 1949 kehrt sie in Begleitung ihrer Schwester nach Mexiko zurück. An der Universität der Hauptstadt wird ihr die Nachfolge von David García Bacca angeboten. Doch Maria Zambrano zieht es vor, sich wieder in Havanna niederzulassen, wo sie bis 1953 als Dozentin und Schriftstellerin tätig ist. Von Rom aus, wo sie mit ihrer Schwester hingezogen ist, verfaßt sie im Juni 1961 für die Cuadernos del Congreso por la libertad de la cultura ihre "Carta sobre el exilio". "Somos memoria" schreibt sie als Antwort auf die Aufforderung an die im Exil lebende Intelligenz, nach Spanien zurückzukehren, und weist damit das Angebot der FrancoAnhänger und der oppositionellen Intellektuellen in ihrer Heimat zurück.19 Ab 1964 bewohnt sie mit ihrer Schwester, für die sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1972 sorgt, ein Landhaus im französischen Jura. Es heißt 'La pièce' in Anspielung auf Virginia Woolfs 1929 erschienene feministische Schrift A room of one's own.20 1965 erhält sie ein Stipendium der venezolanischen Stiftung Fina Gómez, welches ihr ermöglicht, sich
"Zambrano, M. "Carta sobre el exilio". Cuadernos del Congreso por la libertad de la cultura 4. Paris (1961): 65-70. S. 69. 20 Die sprichwörtlich gewordene Forderung ist etwas verkürzt. Bei Virginia Woolf heißt es: "(...) a woman must have money and a room of one's own if she is to write fiction". Vgl. Woolf, V. A room of one's own. London 1990. S. 6.
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ganz dem Schreiben zuzuwenden. 1978 zieht sie in die Schweiz und kehrt 1984 von dort aus - nach fiinfundvierzig Jahren im Exil - in die Hauptstadt Spaniens zurück. Von 1939 an erschienen ihre Publikationen in zahlreichen südamerikanischen Kulturzeitschriften. Eine bedeutende Anzahl ihrer im Exil geschriebenen Essays wurden in Hacia un saber sobre el alma (1950), Persona y Democracia (1958), El hombre y lo divino (1966), Obras reunidas - Primera entrega (1971) und De ¡a Aurora (1986) zusammengefaßt. María Zambranos metaphysisches Werk fand bereits in den fünfziger Jahren das aufmerksame Interesse des französischen Philosophieprofessors Alain Guy.21 In Spanien dagegen begann eine zaghafte Rezeption ihres Werkes erst in den siebziger Jahren. Der ihr 1988 für Claros del Bosque verliehene 'Premio Cervantes' vermochte zwar, ihren Namen, nicht aber ihr Werk bekanntzumachen. Maria Zambrano ist die erste Frau, die mit diesem hochdotierten, zur Rehabilitierung der von Franco geächteten Schriftsteller gestifteten Literaturpreis gewürdigt wurde. Das hohe Alter der Autorin machte es ihr unmöglich, persönlich an der Preisverleihung teilzunehmen. Auf dem 'Primer Congreso Internacional sobre la Vida y Obra de María Zambrano' im April 1990 wurde bekanntgegeben, daß die Autorin aufgrund körperlicher Schwäche nicht mehr lesen oder schreiben könne. Ihre letzten Arbeiten, hieß es, würden nach Diktat verfaßt. Das gegenwärtige Interesse an Maria Zambrano konzentriert sich auf ihr metaphysisches Werk, so auf Claros del Bosque (1977) und Notas de un Método (1989). Im April 1990 erschien ihr Werk Los Bienaventurados, das Jesús Moreno Sanz als "un nuevo diálogo entre el gnosticismo, la razón occidental y la poesía" kommentierte. Am 6.2.1991 verstarb María Zambrano in Madrid. Postum wurde im darauffolgenden Jahr Los sueños y el tiempo herausgegeben. Dieses Werk beruht auf Schriften, die in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren verfaßt wurden.22
2.4 Bibliographische Spuren im Exil Maria Zambrano hatte vor ihrem Exil fiir die fuhrenden Zeitschriften der Republik geschrieben und war Mitglied von Kommissionen, die im Auftrag der Volksfrontregierung tätig waren. Charakteristisch für den Werdegang fast aller Intellektueller im Exil war die Entpolitisierung, ein allmählicher Rückzug in die innere Emigration, der mit der sinkenden Hoffnung auf eine Rückkehr einherging. Solange der II. Weltkrieg andauerte, schien jedoch das Schicksal Spaniens noch nicht entschieden. Ein Sieg der Alliierten konnte noch, so hofften sie, den Sturz Francos nach sich ziehen. Eine bibliographische Studie über das Wirken republikanischer Intellektueller, die 1945 von der Stanford University veröffentlicht wurde, verweist auf sechs Essays von
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Guy, Alain. Op. cit. Vgl. Einleitung von Jesús Moreno Sariz. In: Zambrano, M. Los sueños y el tiempo. Madrid: Siruela, 1991.
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Maria Zambrano, die in der ^«fAropos-Bibliographie von 1987 nicht enthalten sind.23 Noch überraschender ist, daß Maria Zambranos Übersetzung aus dem Englischen von Waldo Franks Chart for rough water: our role in a New World (1940), welche die Stanford-Bibliographie angibt, bisher unbekannt zu sein scheint.24 Waldo Frank, amerikanischer Schriftsteller und Philosoph jüdischer Herkunft, wurde im Ausland, besonders in Spanien und Südamerika, mehr verehrt als in seinem eigenen Land. Er verband seinen Sozialradikalismus mit Mystizismus und einem poetischen, hermetischen Stil. Bereits 1930 wurde sein Primer mensaje a la América Hispana in Ortega y Gassets Verlag Revista de Occidente veröffentlicht. Nach América Hispana (1931) erschien 1940 seine Vision einer Welterneuerung durch eine von 'den Amerikas' ausgehende revolutionäre geistige Bewegung. Die Verwandtschaft zwischen seinem Denken und den Ideen der französischen christlich-existentialistischen Bewegung 'Esprit1, der auch Maria Zambrano seit ihrer Mitarbeit bei Cruz y Raya nahestand, ist evident. Rumbos para América trägt ein Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung des Autors und seiner Übersetzerin, denn neben einigen Versen aus Goethes Werk fuhrt das Epigramm auch einen Satz von Maria Zambrano an: "Y la mente va allí donde el amor la lleve".25 In seinem 1940 im englischen Original erschienenen Buch weist Waldo Frank auf die internationale und nicht allein europäische Natur des II. Weltkriegs hin. Viel zu spät und mit falscher Zielsetzung hätten Frankreich, Großbritanien und die Vereinigten Staaten in den Spanienkonflikt eingegriffen. Ausgehend davon, daß der Aufstand der faschistischen Generäle 1936 in Spanien eine Konterrevolution war, deutet Waldo Frank die "Guerra Profunda", wie er den II. Weltkrieg bezeichnet, als eine Revolution im Sinne der Verteidigung und Vertiefung von christlich-humanistischen Werten gegen den Faschismus. Es gilt jedoch nicht allein die faschistischen Kräfte zu besiegen, so meint er, sondern durch eine innere Entwicklung zu "verdaderas personas" den 'Maschinenmenschen' der technisierten Gesellschaft zu überwinden und eine christliche Republik zu gründen. Der Name der Philosophin wird in diesen ersten Jahren des Exils irrtümlicherweise mit der Zeitschrift Romance in Verbindung gebracht. Im Mexiko wurde diese Zeitschrift 1940 von ehemaligen Mitarbeitern von Hora de España unter der Leitung von Antonio Sánchez Barbudo gegründet. Maria Zambrano wird in der ersten Ausgabe vom 1.2.1940 als Mitglied der Redaktion aufgeführt, was Manuel Andujar in El exilio 23
La obra impresa de los intelectuales españoles en América 1936-1945. Bibliografía compilada por Julian Amo y Charmion Shelby. Stanford, California 1950. S. 128-129. 24 Frank, Waldo. Rumbos para América. Nuestra misión en un nuevo mundo. (Chart for rough waters). Übs. von María Zambrano, Luis Orsetti und José Basiglio Agosti. Buenos Aires: Americalee, 1942. Die sechste Seite trägt die Notiz: "Maria Zambrano tradujo de esta obra los capítulos I, II y el apéndice. Luis Orsetti y José Basiglio Agosti el prefacio y los capítulos III, IVy V." 25 Im Zusammenhang mit den Versen Goethes "Amerika, Du hast es besser als unser Kontinent, das Alte (...)" drückt das Epigramm Antagonismus und Sympathie zwischen der alten und neuen Welt aus.
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español de 1939 zu der Annahme verleitete, sie habe tatsächlich für diese Exilzeitschrift geschrieben.26 In Romance findet sich aber kein von Maria Zambrano unterzeichneter Artikel. Der ehemalige Redaktionschef liefert im Vorwort zum 1974 erschienenen Nachdruck eine Erklärung für diesen irreführenden Umstand: Maria Zambrano, que había tenido a su cargo en la época final Hora de España, con la ayuda que pudiera prestarle Emilio Prados, vivía en México, pero no en la capital. Se sentía muy a disgusto, y espiritualmente separada también de nosotros, y se fue pronto a Cuba.21 In der Erinnerung Sánchez Barbudos wurde ihre Mitarbeit als selbstverständlich vorausgesetzt, aber sie lehnte dieses Angebot ab. Eine Rubrik von Romance "Revistas de Revistas', die eine inhaltliche Übersicht zahlreicher südamerikanischer Zeitschriften bot, enthält jedoch einige Hinweise auf die Autorin. Wir erfahren von ihrer ersten Buchveröffentlichung im Exil Pensamiento y poesía en la vida española (1939) und von ihrer in Havanna gehaltenen Vortragsreihe über "La mujer y sus formas de expresión en Occidente" sowie von bisher in keiner Bibliographie verzeichneten Essays für die kubanischen Zeitschriften Alma Latina und Ultra.2* In Alma Latina (August 1940) erschien demnach die erste südamerikanische Veröffentlichung ihres 1934 verfaßten Essays "Hacia un saber sobre el alma". Ultra (Dezember 1940) veröffentlichte wahrscheinlich einen Auszug von Pensamiento y poesía en la vida España. In dieser Zeitschrift, für die auch Alfonso Rodríguez Aldave schrieb, befinden sich auch die Exposés von Maria Zambranos oben erwähnter Vortragsreihe.29 Die historische Dokumentation El exilio español de 1939 enthält ebenfalls einige Hinweise auf die publizistische Tätigkeit der Autorin in Mittelamerika. Maria Zambrano schrieb, so wird hier vermerkt, für die Exilzeitschriften Las Españas (Mexiko) und Nuestra España (Havanna).30 Die letztgenannte Zeitschrift wurde von dem ehemaligen Justizminister und Pariser Botschafter Alvaro de Albornoz geleitet und war politisch-historisch ausgerichtet. Hier veröffentlichte Maria Zambrano lediglich den Essay "Sobre Unamuno" im Januar 1940, der dem Andenken des drei Jahre zuvor verstorbenen Schriftstellers gewidmet ist. Wie in Nuestra España zu lesen ist, lehrte die Philosophin in diesen Jahren unter anderem auch an der "Escuela libre de La Habana". Diese Schule, heißt es, wurde von spanischen Republikanern gegründet "con miras a la expansión cultural y a mantener viva la inquietud de saber de la juventud de esta República".31 Ebenfalls in Nuestra España findet man eine Rezension ihrer im September 1940 im Verlag La Verónica erschienenen Aufsätze 26
Vgl El exilio español de ¡939. Hg. José Luis Abellán. 5 Bde. Madrid 1976. Bd. 3. S. 39. Romance. Nachdr. Glashütten im Taunus 1974. S. 2. 28 Vgl. Romance. Glashütten im Taunus 1974. Romance 1.1 vom 1. 2. 1942, S. 19; Romance 1.9 vom 1. 6. 1940, S. 20; Romance 1. 17 vom 22. 10. 1940, S. 23, Romance 1.20 vom 15. 1. 1941, S. 23. 29 Zambrano, M. "La mujer de la cultura medioeval" und "La mujer en la cultura medioeval". Ultra 45. La Habana (1940): 274-276; und "La mujer en el Renacimiento" sowie "La mujer en el romanticismo". Ultra 46. La Habana (1940): 367-369. 30 £Y exilio español de 1939. Op. cit. Bd. 3 . S. 68 und S. 80. M Nuestra España 12. La Habanna (1941): 84. 27
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"Isla de Puerto Rico (Nostalgia y esperanza de un mundo mejor)" und "El freudismo, testimonio del hombre actual". Die erstgenannte, bis heute nicht neuaufgelegte Schrift, wird hier ausfuhrlich zitiert. Der Rezensent Bernardo Clariana gibt die Gedanken der Autorin bezüglich der republikanischen Niederlage und des II. Weltkrieges wieder: (...) la única actitud realmente posible es la de volverse hacia nuestro interior, ahondar incansablamente en él hasta dar con ese tesoro que el hombre español supo hallar en su hora decisiva, a pesar de todos los errores.32 Die hier empfohlene innere Kontemplation ist charakteristisch für die Haltung von Maria Zambrano nach 1939. Ihre Veröffentlichungen sind bar jeder Militanz. Tonangebend ist die Nostalgie nach einer unerfüllten Hoffnung. Eine von ihr unterzeichnete politische Erklärung, die 'Declaración de La Habana' aus dem Jahre 1943, stellt eine Ausnahme dar und bietet Aufschluß über ihren politischen Status innerhalb der Gruppe intellektueller Flüchtlinge. El exilio de 1939 und La emigración de la guerra civil enthalten geringfügig von einander abweichende Fassungen dieser politischen Erklärung.33 Von der ersten Versammlung spanischer Hochschullehrer im Exil ergeht im September 1943 ein Aufruf an die "Naciones Unidas'. Die Unterzeichner appellieren, die Rechtmäßigkeit der spanischen Republik anzuerkennen und der Bildung eines "organismo cuyo fin principal sea cooperar a la liberación de los españoles" zuzustimmen.34 Die Identifikation dieser akademischen Runde mit den Aufgaben der Exilregierung ist bemerkenswert. Eine diplomatische Funktion erfüllend, verfaßt sie eine Grundlage für politische Verhandlungen mit den zukünftigen Siegermächten des II. Weltkrieges. Bezeichnend für ihr politisches Selbstverständnis ist, daß sie - mit einem gewissen Vorbehalt - der eventuellen Einschränkung kolonialer Besitzansprüche Spaniens zustimmt. Im Namen der II. Spanischen Republik spielt sie ihre letzte Karte aus: Que si bien España no puede renunciar a la satisfacción de las justas exigencias derivadas de su historia y posición geográfica, (...) está dispuesta a llegar a limitaciones de su soberanía en un sistema de estricta reciprocidad." Die II. Spanische Republik hatte 1931 die Herrschaft über das Protektorat SpanischMarokko sowie über die Kolonien Ifiii, Spanisch-Guinea und Spanisch-Sahara übernommen. Die geforderte Reziprozität des Verzichts bezieht sich offensichtlich auf Frankreich, mit dem sich Spanien seit 1912 die Vorherrschaft über Marokko teilte.
^Nuestra España 13. La Habana (1941): 215-219. S. 216. 33 Vgl. El exilio de 1939. Op. cit. Bd. 3. S. 215-218; und La emigración de ¡a guerra civil de 19361939. Hg. Javier Rubio. 3 Bde. Madrid 1977. Bd. 3. S. 957-960. 34 ¿a emigración de la guerra civil de 1936-1939. Op. cit. Bd. 3. S. 215-218. 35 /W¿, Bd. 3. S. 958.
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Als Ausgleich für die Isolationspolitik des Nichtinterventionskomitees verlangen die Professoren im Exil eine Wiedergutmachung in Form politischer Unterstützung. Endlich sagen sie fur den Fall, daß das Franco-Regime nicht abgelöst oder eine andere nicht gewählte Regierung in Spanien etabliert würde, Unruhen in Europa und Amerika voraus: Por tanto la perduración del caudillaje o imposición de cualquier otro Gobierno o régimen político no establecido por la autodeterminación de los españoles, además de constituir un acto arbitrario, sucitaría la ardorosa protesta de una ciudadanía proverbialmente celosa de sus derechos y crearía un foco de inquietud en Europa, con peligrosas derivaciones para la paz civil de América,36 Die Unterzeichner dieser Erklärung sind: Cándido Bolívar, Pedro Bosch Gimpera, José de Benito, Demófilo de Buen, Fernando de los Ríos, José Girai, Francisco Girai, Alfredo Mendizábal, Félix Montiel, Manuel Pedroso, Augusto Pi Sufier, Gustavo Pittaluga, Mariano Ruiz Funes, Paulino Suárez, Antonio Trías, Joaquín Xirau, María Zambrano, Luis de Zulueta. Es fehlen die Namen von zahlreichen Wissenschaftlern, so daß der Eindruck entsteht, dies sei ein ausgesuchter Personenkreis. Betrachtet man die politische Karriere einiger der Unterzeichner, verstärkt sich der Eindruck, daß diese Gruppe im Auftrag der Exilregierung handelte. Pedro Bosch Gimpera unterstand das Justizministerium, José Girai war Marine- und später Außenminister, Fernando de los Ríos Justiz- und Bildungsminister und Botschafter in Washington. Auch Maria Zambrano erfüllte während des Bürgerkriegs durch ihre Mitwirkung in öffentlichen Funktionen die Rolle einer politischen Repräsentantin der Republik. Ihre erneute Zuwendung zur Politik steht vielleicht im Zusammenhang mit der Landung der Alliierten auf Sizilien und den Kämpfen um Italien, die im selben Jahr begonnen hatten. Möglicherweise erwartete die Exilregierung trotz Francos Neutralitätserklärung ein Übergreifen der Kämpfe auf Spanien. In Isla de Puerto Rico hatte die Autorin ihren Wunsch geäußert, daß die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten mögen:"(...) que haga, que actué, que emplee su fuerza en una empresa salvadora.,ril Das war inzwischen geschehen, und es gab im Spätsommer 1943 berechtigten Grund zu der Hoffnung, daß die Alliierten den II. Weltkrieg gewinnen würden. Aber selbst wenn die Republikaner "peligrosas derivaciones para la paz civil de América" ankündigen, so ist das nur Ausdruck ihrer sehr schwachen Verhandlungsposition. Schließlich hatten England, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Anerkennung Francos keinen Momment gezögert. Mißtrauen gegenüber "las más nobles tradiciones del espíritu europeo de libertad y de independencia americana" spricht aus der Angst, die Allierten könnten die franquistische Herrschaft dulden oder eine andere Regierung etablieren, die ihnen opportuner erschiene als die der Republik. 38 ì6
Ibid„ S. 959 ff. Clar¡ana, B. "Isla de Puerto Rico por María Zambrano". Nuestra España 13. La Habana (1940): 216. is La emigración de la guerra civil 1936-1939. Op. cit. S. 957.
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Es scheint das einzige Mal gewesen zu sein, daß Maria Zambrano im Exil eine politische Funktion übernommen hat. Sie wendet sich endgültig der Philosophie zu und beginnt auch sehr bald, ihre poetisch-metaphysischen Schriften zu verfassen. Einen ihrer bisher unbekannten Aufsätze aus den Nachkriegsjahren, "El problema de la filosofía española", veröffentlichte 1948 Las Españas zusammen mit einer Zeichnung der Autorin, die als Titelbild dieser Forschungsarbeit gewählt wurde.39 Im Jahre 1955 bereitet sie für die kubanische Zeitschrift Ciclón eine Publikation "El vacío y la belleza" vor. Es ist, zusammen mit den in den vierziger Jahren in Orígenes veröffentlichten "fragmentos", ein erstes Indiz von Maria Zambranos Poesie der Ekstase. Dieses Aperçu, das dreimal von Ciclón angekündigt wurde, ohne jemals gedruckt zu werden, ist nun in ihrem 1988 prämierten Werk Claros del bosque zu lesen.40 Eine letzte bibliographische Spur, anhand derer eine Lebensetappe der Autorin rekonstruiert werden kann, liefert die Entstehungsgeschichte ihres Romans Delirio y destino. Diese Memoiren wurden, wie Maria Zambrano in der Einleitung ihres 1989 erschienenen Buches präzisiert, im Spätsommer des Jahres 1952 in Havanna verfaßt. Sie hatte kurzfristig erfahren, daß das von der UNO ins Leben gerufene 'Institut Européen Universitaire de la Culture' in Zusammenarbeit mit der 'Communauté Européenne des Guildes et Clubs du Livre' ein literarisches Preisauschreiben veranstaltete. Salvador de Madariaga, Gottfried Benn, Gabriel Marcel, Hans Oprecht, Denis de Rougemont und Hagmund Hansen bildeten die Auswahlkommission, die über dreihundertfunfzig Manuskripte erhielt. Das entsprechend den Bestimmungen anonym eingesandte Manuskript von Delirio y destino wurde von dem Genfer Institut an Gabriel Marcel und Gottfried Benn zur Beurteilung weitergereicht. Gabriel Marcel, Leiter des Pariser Verlags Plön, fühlte sich als christlicher Existentialist mit der Autorin geistesverwandt und favorisierte dieses Werk. Aber der 'Prix Européen de la Littérature' ging am 23.3.1953 an den späteren Nobelpreisträger, den Polen Czeslow Milosz, fur La prise du pouvoir, und an den deutschen Autor Wemer Warsinski, fur Kimmerische Fahrt. Die beiden Exilschriftsteller teilten sich den Preis von 10.000 Schweizer Franken; die Übersetzungs- und Druckkosten ihrer Werke für eine über sechs europäische Länder zu verteilende Auflage von 300.000 Exemplaren wurden übernommen. Maria Zambranos Manuskript erhielt eine Auszeichnung und wurde den europäischen Büchergilden empfohlen. Das Resümee der Auswahlkommission lobt Maria Zambranos Darstellung des Spanienkonflikts, weil sie, mehr als in irgendeiner zuvor erschienenen historischen Dokumentation, die seelisch-geistige Enstehung der dramatischen Ereignisse schildere. Gerade dieses Merkmal aber scheint Maria Zambranos erstem Roman zum Verhängnis geworden zu sein. Neben dem literarischen Wert und dem europäischen Stellenwert waren nämlich entsprechend der Interessen der Büchergilden auch die zu erwartenden Verkaufszahlen ein Auswahlkriterium.
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Zambrano, M. "El problema de la filosofía española". Las Españas. México (April 1948): S. 3 und 13. 40 Vgl. Ciclón 1.3. La Habana (1955): 57; sowie Ciclón 1.4. S. 61 und Ciclón 1.6. S. 77.
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Die Ausgangssituation unmittelbar nach der Preisverleihung im Frühjahr 1953 durfte die Autorin optimistisch stimmen. Der Pariser Verlag Plön wollte die Rechte für Frankreich, der Chicagoer Verlag Henry Regnery & Co. die Rechte für eine englische Ausgabe und der in der Schweiz ansässige Europa-Verlag sogar die weltweiten Rechte fíir Delirio y destino erwerben. Die Korrespondenz, die zwischen Genf, Havanna und Rom, wohin die Autorin in dieser Zeit übersiedelte, geführt wurde, erstreckt sich über eine Periode von fünf Monaten. Aber bereits im August 1953 wird Maria Zambrano mitgeteilt, daß ihr Manuskript bei näherer Betrachtung von den europäischen Büchergilden nicht gefördert werden könne. Auch das Interesse des Europa-Verlags bestehe nicht länger, da man der Meinung wäre, daß Delirio y destino zu schwer zu vertreiben sei. Es bleibt der Autorin nur noch die Hoffnung, daß Gabriel Marcel eine französische Fassung im Verlag Plön herausbringen werde. Mitte September ist sie jedoch immer noch ohne Antwort auf das Dankschreiben, das sie aufgrund seines während der Preisverleihung geäußerten Interesses an ihn gerichtet hatte. Ein Jahr später beginnt Maria Zambrano eine Teilveröffentlichung ihres Romans. Unter der Überschrift "Tres delirios" bringt die kubanische Zeitschrift Orígenes drei philosophisch-religiöse Anekdoten aus dem zweiten Teil des Werkes heraus. Ein weiteres Fragment "Una visita al Museo del Prado" wird im folgenden Jahr der Pariser Zeitschrift Cuadernos del Congreso por la Libertad de la Cultura anvertraut. Das erste Kapitel "Adsum" erscheint ebenfalls 1955 in der argentinischen Zeitschrift Licorne. Ein weiteres "La multiplicidad de los tiempos" wird im selben Jahr in der italienischen Zeitschrift Botteghe Oscure veröffentlicht.41 Aus der Korrespondenz von Maria Zambrano geht noch hervor, daß sie im Falle einer Publikation von Delirio y destino das Kapitel "Las parcas" herausnehmen würde. So kommen die schicksalspinnenden Göttinen, die auch bei diesem ersten und einzigen Versuch, sich als Romanschriftstellerin zu etablieren, am Werk waren, in ihrem nunmehr seit 1989 vorliegenden Buch nicht mehr vor.
4,
"Adsum" und "La multiplicidad de los tiempos wurden wieder 1981 als Dos autobiográficos von dem Madrider Verlag Entrega de las Venturas herausgebracht.
escritos
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3.1 Die Politisierung der Avantgarde Die Dichter, die 1927 den 300. Todestag Góngoras feierlich begingen und aus diesem Grund als Generación del 27 bezeichnet werden, waren von den ästhetischen Konzeptionen der französischen Symbolisten inspiriert. Sie teilten Mallarmés Vorstellung, daß der Dichter Mittler einer sich selbst überlassenen, eigenständigen Sprache sei. Auch der creacionismo fand unter den spanischen Lyrikern zahlreiche Anhänger. Der Begründer dieser Bewegung, der Chilene Vicente Huidobro, wies dem Dichter in seinem Manifest "Arte Poética" die Rolle eines kleinen weltkreierenden Gottes zu. Guillermo de la Torre, ein Begründer des ultraísmo, proklamierte seinerseits eine von der objektiven Realität völlig befreite Poetik. Die symbolistische Vorstellung der schöpferischen Funktion von Dichtung blieb auch später ftir das Denken Maria Zambranos maßgebend, da ihrer Ansicht nach die dichterische Sprache die Existenz eines höheren, absoluten Wesens offenbare. Über ihre Zugehörigkeit in jungen Jahren zu dieser dem Subjektiv-Irrationalen zugewandten Avantgarde hat Maria Zambrano in zwei Essays über die bildende Kunst und die Dichtung Zeugnisse hinterlassen. In den 1969 vom amerikanischen Hispanisten Paul Ilie veröffentlichten Documents of the Spanish Vanguard findet man im Kapitel über arte nuevo Maria Zambranos Essay "Nostalgia de la Tierra" aus dem Jahre 1933. Im lyrisch anmutenden Stil thematisiert sie die Desillusion als Ursprung des Ausdrucks moderner Kunst. Die junge Philosophin vertritt in diesem Aufsatz ein von Ortega y Gassets Theorie der "deshumanización del arte" divergierendes Kunstverständnis. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß sie ihren Aufsatz nicht in Ortegas Revista de Occidente, sondern in der avantgardistischen Zeitschrift Los cuatro vientos publizierte.42 Im Gegensatz zu Ortega hat Maria Zambrano die bildende Kunst ihrer Jugendjahre nicht als Abwendung vom Menschen verstanden. Auch die Dichter Damaso Alonso, Jorge Guillén und Luis Cernuda wandten sich gegen die Verwendung von Ortegas Terminologie im Kontext ihrer Dichtung.43 Dennoch wird Ortegas Schrift La deshumanización del arte aus dem Jahre 1925 bis heute als Einführung in die spanische Kunst und Dichtung der zwanziger und frühen dreißiger Jahre verwendet. 42 43
Zambrano, M. "Nostalgia de la Tierra". Op. cit. Vgl. Pérez-Ramos, B. Intelligenz und Politik im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Bonn 1982. S. 40.
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Ortegas Kunstanschauung tendierte zur Sublimierung abstrakter Kunst. In der oben genannten Schrift erhob er, entsprechend seiner Elitetheorie, das Verständnis von abstrakter Kunst und verspielter Dichtung zum Trennungsmerkmal zwischen Elite und Masse. Unter diesem Aspekt ist es bemerkenswert, daß Maria Zambrano in "Nostalgia de la Tierra" durch eine subtile Umkehrung der Begriffe Ortegas den menschlichen Bezug der Kunst wieder in den Vordergrund stellt. In ihrer Sicht, die den Kulturpessimismus jener Jahre reflektiert, ist nicht die Kunst, sondern das Leben enthumanisiert. Der Mensch fühle sich ohnmächtig, seine bedeutungslose Existenz hinterlasse kaum eine Spur: Mas un recinto, un espacio, dentro del cual los cuerpos han perdido peso, es un mundo diabólico de cuerpos sin raíces de hombres sin tierra. Espacio inhóspito, inhabitado, deshumanizado. El arte deshumanizado no es sino el arte desterrado. Hombre, humano, hace alusión a tierra. El hombre sobre la tierra; fuera de ella deja de serlo para convertirse en ángel o en fantasma.44 Einen besonders interessanten Einblick in Maria Zambranos Betrachtung der dichterischen Kreation vermittelt auch ihr Aufsatz "Por qué se escribe". Dieses Manifest hätte ebenfalls als spannendes Zeugnis der zeitgenössischen Kunstauffassung in Paul Ilies Sammelband Eingang finden können. Der Aufsatz erschien 1934 in der von Ortega geleiteten Revista de Occidente,45 Das Unterbewußtsein wird hier als die treibende Kraft beschrieben: El secreto se revela al escritor mientras lo escribe no si lo habla. El hablar sólo dice seretos en el éxtasis, fuera del tiempo, en la poesía. La poesía es secreto hablado, que necesita escribirse para fijarse, pero no para producirse (...) La poesía descubre con la voz el secreto. Pero el escritor lo graba, lo fija ya sin voz. Y es porque su soledad es otra que la del poeta. En su soledad se le descubre al escritor el secreto, no del todo, sino en un devenir progresivo. Va descubriendo el secreto en el aire y necesita ir fijando su trazo para acabar al fin por abarcar la totalidad de su figura ,..46 Poesie, Stimme und Geheimnis erscheinen als Subjekte, als eigenständige Kräfte, die auf den Menschen wirken. Sie sind nicht Schöpfung, sondern sie kreieren sich selbst, während der Dichter in der Ekstase und der Schriftsteller in einem Zustand der Passivität die Frucht seiner Einsamkeit erntet. Es ist die okkulte und mysteriöse Welt des Irrationalen, in die uns Maria Zambrano einfuhrt. Doch das Schreiben bedarf nicht allein der Beherrschung der hier dargestellten magischen Riten. Es ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Mitteilung. Jedes Buch, erklärt Maria Zambrano, müsse "algo de bomba" besitzen47. Wie ein bedrohliches Geschehen müsse es, die UnAi
Documents of the Spanish Vanguard. Op. cit. S. 236. Zambrano, M. "Por qué se escribe". Op. cit. 46 Ibid., S. 321. 47 Ibid., S. 232. 45
3. Die Kühnheit zum Taumel
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Wahrheit dazu verleiten, sich, "aunque sólo sea con su temblor", selbst zu verraten 48. Das Schreiben ist für sie ein reines Glaubensbekenntnis. Der Sinn des aufgedeckten Geheimnisses könne eher von der Leserschaft als vom Schriftsteller in seiner Gesamtheit erfaßt werden. Das Schreiben verlange Treue zu dem, "que pide ser sacado del silencio"*9. Diese Treue erfordere vom Autor eine vorherige Katharsis, eine vollkommene Reinigung der Leidenschaften. Dieses Selbstverständnis der jungen Autorin ist auch im Hinblick auf ihr späteres Werk aufschlußreich. Der hier beschriebene Prozeß der Kreation könnte als Dialektik der künstlerischen Wahrheit bezeichnet werden. Zum Ausdruck kommt ein Ringen zwischen mystischer Inspiration und Objektivität. Sowohl in "Por qué se escribe" als auch in "Nostalgia de la tierra" ist die philosophische Suche nach dem Geheimnis Ausgangspunkt der künstlerischen Handlung. In einer Retrospektive stellt Maria Zambrano 1977 die geläufige Klassifizierung ihrer Generation in Frage. Ihre Hommage "Acerca de la Generación del 27" beginnt mit einer ablehnenden Kritik an Ortegas Begriff der 'Generation' als Antriebskraft der Geschichte: Una de las pruebas de la cualidad de un pensamiento, filosófico en este caso, es la claridad que resulta de la no aceptación de algunos de sus puntos como sucede con la teoría de las generaciones de Ortega y Gasset (...) De ser así, la historia ofrecería una perfecta continuidad como la de un desfile o procesión de acordado paso. Y la historia, y muy especialmente la de España, es a veces pavorosamente discontinua.50 Sie zählt den weit älteren Antonio Machado zu ihrer Generation, denn nicht das Alter, sondern das Lebensgefuhl schaffe die einigende Nähe. Obwohl Antonio Machado seine eigene Poesie nicht als Ausdruck des arte nuevo verstand, arbeitete er zusammen mit Rafael Alberti und Garcia Lorca an der ultraistischen Zeitschrift Horizontes. Sein Verhältnis zur jüngeren Generation mag der Beziehung seiner Gelehrtengestalt Juan de Mairena zu seinen Schülern geglichen haben. Neben den, wie Maria Zambrano schreibt, fast vergessenen Literaten Emilio Prados und Manuel Altolaguirre gedenkt sie in "Acerca de la Generación del 27" auch Miguel Hernández. Lezterer wird üblicherweise der nach der republikanischen Niederlage kreierten generación del 36 zugerechnet, die revolutionäre und franquistische Dichter zusammenfassen soll. Für Maria Zambrano aber gehört er zu den Dichtern, die wie Garcia Lorca und "los olvidados en los repliegues de cárceles frías y en los desiertos de los muchos exilios" ihr Leben im Namen aller hingaben. Mehr als die Ehrung Góngoras im Jahre 1927, so schließt sie, habe die Entstehung der Republik im Jahre 1931 ihre Generation geprägt. Die "Kühnheit zum Taumel" nannte Maria Zambrano in 48
Ibid. •"Ibid., S.324. 5 °Zambrano, M. "Acerca de la Generación del 27". Ínsula 32. 368-369. Madrid (1977): 1 und 26.
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ihren politischen Schriften die Bereitschaft der republikanischen Intellektuellen, in das Ungewisse zu blicken. Die 'freie Kunst' hatte unter der Diktatur Primo de Riveras eine Blütezeit erlebt. Während der Republik, vor allem nach 1934, verdrängte der Wille zur Mitteilung die introvertierte Phantasie der Literaten und Künstler. Als "literatura de circunstancias; literatura de guerra de extraordinario valor humano y documental, de cuya transcendencia literaria no nos toca juzgar a nosotros", bezeichnet María Zambrano die unmittelbar nach dem militärischen Aufstand von Juli 1936 entstandene Prosa. 51 Die Entscheidung der überwiegenden Mehrheit der jungen Literaten, ihre Fähigkeiten als Mittel der politischen Analyse, der Berichterstattung und der Propaganda in den Dienst der Republik zu stellen, führte zu einer starken Veränderung ihrer Ausdrucksformen. Dieser ästhetische Wandel kam einer Einsicht in die Notwendigkeit gleich, durch Literatur und Poesie ein sehr viel breiteres Publikum zu erreichen. Diese neue, der alarmierenden Situation angepaßte Ausdrucksform war ein Zeichen ihrer Verbundenheit mit der revolutionären Volksbewegung. Es handelte sich um eine bewußte Unterordnung ästhetisierender Tendenzen unter den Primat des politischen Engagements. Im Namen der republikanischen Literaten schrieb Antonio Sánchez Barbudo ein Jahr nach Ausbruch des Krieges in Hora de España: Nosotros, por otra parte, creemos en la eficacia, en la necesidad de un arte de propaganda, y para ayudar a este arte que sirve a la lucha, a la guerra, debemos poner todos nuestros conocimientos y medios técnicos, lo mismo que en otro momento podemos combatir con las armas de fuego de los demás soldados, pero nunca creeremos que este arte de propaganda, si arte puede llamársele, sea el único, el exclusivo y propio de la revolución y de los revolucionarios. 52
51
Zambrano, M. "Alianza de Intelectuales Antifascistas". Tierra Firme 3/4. Madrid (1936) [1937]: 610-612. S. 611. "Sánchez Barbudo, A. "La adhesión de los intelectuales en la causa popular". Hora de España 8. Valencia-Barcelona (1937): 70-75. S. 71 f.
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Por eso, ante este crimen contra el porvenir del mundo y el dolor infinito de mi pueblo, he llegado a sentir algo nuevo en mi vida: el odio. (LIDE 66)
3.2 Essays für die Republik Einer der zahlreichen Essays, in denen sich die Schriftstellerin im Exil mit dem Thema "Mensch und Geschichte' befaßte, heißt "El hombre ante su historia". Die folgenden aus diesem Essay zitierten Worte sollen als Leitsatz für diesen Teil der Untersuchung dienen, der einige von Maria Zambranos frühen Schriften im Lichte ihres historischen Kontextes interpretieren will: Nada ha sido hecho aisladamente; todo ha surgido de una o otra manera, en un tiempo determinado, en unas circunstancias concretas; la consideración histórica de cualquier obra humana la restituye su carácter viviente y al par racional, pues que si la humana creación se da en la historia, el conocimiento histórico es el que nos pone en comunicación con ella, el que la devuelve a la vida: historiar es hacer revivir, hacer resucitar.53 Eine umfassende literarhistorische Darstellung der 'Generación de la República', wie der Schriftsteller und Dichter José Bergamin sie zu nennen pflegte, existierte zu Beginn der achtziger Jahre noch nicht. Erst seit diesem Zeitpunkt begann die historische und literaturgeschichtliche Forschung diese Lücke allmählich zu schließen. Die wesentliche Ursache hierfür liegt darin, daß eine objektive Würdigung der republikanischen Schriftsteller vom Franco-Regime verhindert wurde. Julián Marias, der wie Maria Zambrano zu den 'alumnos predilectos' von Ortega y Gasset gehörte, wagte 1972 in seinem Diccionario de Literatura Española nicht, die Todesursachen der Dichter Garcia Lorca und Miguel Hernández zu benennen. Statt von Ermordung und Kerkertod liest man an der entsprechenden Stelle: "La guerra civil le sorprendió en Granada, donde solía pasar los veranos, y allí fue muerto en los primeros días." oder "La muerte prematura ha privado a España de uno de los más auténticos poetas de este siglo. "54
"Zambrano, M. "El hombre ante su historia". Educación 13.12. San Juan de Puerto Rico (1964): 11-17. S. 15. "•'•Diccionario de Literatura Española. Hg. Julian Marias und Germán Bleiberg. Mardrid: Revista de Occidente, 1972.
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Die Spuren, welche die Franco-Diktatur im kulturellen Leben Spaniens hinterlassen hat, werden auch sichtbar, wenn im folgenden auf die späte 'Zensur' von Maria Zambranos politischen Schriften eingegangen wird. Los intelectuales en el drama de España erschien zuerst 1937 in Santiago de Chile. Vierzig Jahre später - zur Feier des Ablebens der Diktatur - veröffentlichte Maria Zambrano ihre Bürgerkriegsessays in einer zweiten, um ihre Aufsätze für Hora de España erweiterten Edition des spanischen Verlags Hispamerca. Diese schnell vergriffene Ausgabe wurde wiederum 1986 von einer um das Bühnenstück La tumba de Antigono erweiterten Ausgabe des Verlags Anthropos ersetzt. Die Anthropos-Ausgabe, die unter dem abschweifenden Titel Senderos zwei Jahre vor der Verleihung des Premio Cervantes herauskam, bietet allerdings nur eine rhetorisch abgeschwächte und drastisch gekürzte Fassung der 1937 in Chile geschriebenen Essays. Die 1977 herausgebrachte Edition von Los intelectuales en el drama de España erhebt bereits durch ihre äußere Gestaltung Anklage gegen den Franquismus. Neben weiß gebliebenen Stellen, die den Stempel "DESAPARECIDO" tragen, zeigt der Bucheinband Photographien des im Kerker verendeten Dichters Miguel Hernández, Luis Buñuels, Federico García Lorcas, Maria Teresa Leóns, César Vallejos, Pablo Nerudas, Manuel Altolaguirres, José Bergamíns, Miguel de Unamunos und nicht zuletzt Rafael Albertis. Die dritte, 1986 im Verlag Anthropos erschienene Edition kündigt dagegen ihren Inhalt durch das Schwarzweißbild eines von neoklassizistischen Säulen umrandeten Teichs vor dem Hintergrund hoher, entlaubter Bäume an. Im Vorwort wird der veränderte Titel Senderos in Zusammenhang mit der Erweiterung der neuen Edition um das Theaterstück "La tumba de Antigona" gebracht. Bei näherer Durchsicht erweist sich jedoch, daß inhaltliche Änderungen und Kürzungen am ursprünglichen Text der Essaysammlung Los intelectuales en el drama de España vorgenommen wurden. Einige Formulierungen wurden in ihrer Vehemenz gemildert, und es fehlen im zweiten Teil die Essays "El intelectual en la Guerra de España: Octubre 1934 - Septiembre 1936", ferner "La inteligencia militante - El Mono Azul" sowie die "Carta al Doctor Marañón" und der Schluß von "El fascismo y el intelectual en España". Diese späte 'Zensur' oder 'Selbstzensur' wurde erst durch meinen Vortrag auf dem 'Primer Congreso sobre la Vida y Obra de María Zambrano' im April 1990 in VélezMálaga bekannt gemacht.55 Die Frage nach dem Grund dieser Veränderungen läßt keine einfache Antwort zu: Welche Gründe mag die Autorin gehabt haben, ihre politischen Frühschriften zu kürzen, nachdem sie 1977 eine Neuauflage befürwortete? Maria Zambrano führte in ihren letzten Jahren ein sehr zurückgezogenes Leben. Der Preisverleihung im Jahre 1988 konnte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht beiwohnen. Ist es möglich, daß andere den Wortlaut ihrer Texte manipulierten? Erschienen die Worte der jungen Republikanerin den Gönnern der grande dame 55
Dorang, M. "Una lectura marxista de la obra de Maria Zambrano: Los intelectuales en el drama de España. Philosophica Malacitana 4. Málaga (1991): 101-109.
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unpassend? Im Gegensatz zu Maria Zambrano, die in den vierziger Jahren ihren Sozialrevolutionären Standpunkt revidierte, verfaßten andere Exilschriftsteller, wie José Bergamin, Zeit ihres Lebens kämpferische Tiraden gegen jene Intellektuellen, die sich mit Franco arrangierten. Seine politischen Aufsätze liegen uns heute als Zeugnisse eines leidenschaftlich geführten Streites um die ethische Verantwortung von Intellektuellen in der Auseinandersetzung um Faschismus, Krieg und Diktatur vor.56 Zu diesen Zeugnissen gehören auch Maria Zambranos 'Essays für die Republik', welche die folgende Studie im Kontext ihrer Entstehung rekonstruiert. Es sind Aufrufe zur Solidarisierung mit der Volksfrontregierung und Angriffe gegen den Opportunismus mancher führender Intellektueller, wie Miguel de Unamuno, José Ortega y Gasset und Gregorio Marañón. Nicht zuletzt griff Maria Zambrano jene Intellektuellen an, die sich erwartungsvoll hinter der Kampflinie der faschistischen Generäle verschanzten. Indem sie mit dem Finger auf diese zeigte, dokumentierte sie auch für die Nachwelt ihre wenig ruhmvolle Beteiligung an der Zerstörung der Republik. Ihre Namen sind nun gefälligerweise aus der letzten Anthropos-Fassung von Los intelectuales en el drama de España entfernt worden. Die Retouchierung von Maria Zambranos frühen politischen Schriften soll darüber hinaus auch verschweigen, daß die Autorin zu den Gründungsmitgliedern der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' gehörte, welche die Zeitschriften El Mono Azul und Hora de España herausbrachte. Ob die Änderungen und Kürzungen der Anthropos-Ausgabe dem Wunsch der Autorin entsprechen, oder ob sie die Handschrift einer noch zu ihren Lebzeiten eingetretenen Nachlaßverwaltung tragen, ist ungeklärt. Meine Betrachtung ihres politischen Werkes wird von dem Gedanken geleitet, daß sich die razón poética Maria Zambranos aus der Enttäuschung ihrer historischen Hoffnung heraus entwickelt hat. Wohin leitet der Mensch seinen Drang nach Gerechtigkeit und seinen Willen, das Leben zu gestalten, wenn er dazu verdammt ist, in der Zeitlosigkeit des Exils zu wandern? Welches Bündel von Erinnerungen schleppt er unablässig mit sich herum, als sei es sein letztes Hab und Gut? Einerseits wandte sich Maria Zambrano in ihrem späteren geschichtsphilosophischen Werk gegen die Revolution - auch gegen die spanische Revolution von 1936. Andererseits weigerte sie sich einen Fuß auf spanischen Boden zu setzen, solange Franco herrschte. Erst nach fünfundvierzig Jahren betrat sie wieder die Heimat, aus der sie 1939 fliehen mußte. Sie war unter den Exilschriftstellera, die seit 1975 nach Spanien zurückkehrten, die letzte Heimkehrerin. Unter der Überschrift 'Essays für die Republik' behandle ich im folgenden Los intelectuales en el drama de España in der Hispamerca-Ausgabe von 1977. Die zunächst 1937 in Chile veröffentlichten politischen Essays sind, wie oben erwähnt, in dieser Edition um Maria Zambranos Aufsätze für die republikanische Zeitschrift Hora de España, die ich ebenfalls untersuche, erweitert worden. Drei weitere Essays, die in El Mono Azul, in Tierra Firme und Nueva Cultura erschienen und bisher in keine "Bergamin, José. Cristal del tiempo 1933-1983. Madrid 1983.
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Bibliographie der Autorin aufgenommen wurden, vervollständigen die publizistische Rekonstruktion von Maria Zambranos politischen Jahren. Es handelt sich hierbei erstens um das Pamphlet "La libertad del intelectual", das am 10.9.1936 in der Frontzeitschrift El Mono Azul veröffentlicht wurde und auf das Barbara Pérez-Ramos in Intelligenz und Politik im spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 hinweist.57 Zweitens beschäftige ich mich mit der im Sommer des Jahres 1937 für Tierra Firme geschriebenen Chronik "La Alianza de Intelectuales Antifascistas", die Rafael Osuma in seinem Buch Revistas españolas entre dos dictaduras 1931-1939 angibt.58 Und schließlich führten die im Rahmen meiner Forschung unternommenen bibliographischen Recherchen drittens zu "El nuevo realismo", einer als kulturhistorischer Beitrag verkleideten Kritik an der Verfolgung und Ermordung von Anarchisten. Diesen Artikel verfaßte Maria Zambrano im Herbst 1937 für Nueva Cultura.59 Die Schriften, die Maria Zambrano während des Bürgerkrieges publizierte, liefern selbst konkrete Hinweise auf eine organisierte politische Tätigkeit der Autorin. Eine Broschüre der Spanischen Botschaft in London, die um die Jahreswende 1936/1937 entstand, kann als historisches Dokument herangezogen werden. Darüber hinaus erschienen in den letzten Jahren zwei wesentliche Bücher, die das Engagement von spanischen Schriftstellern während dieser Zeit untersuchen und auch Auskunft über die Autorin geben. Es sind die Werke von Rafael Osuma Las revistas españolas entre dos dictaduras (1986) und die 1987 von Manuel Aznar Soler und Luis Mario Schneider herausgegebene zweite erweiterte Auflage der Dokumente des II Congreso Internacional de Escritores para la Defensa de la Cultura (1937). Der interdisziplinäre Ansatz, den eine Arbeit über Maria Zambranos 'Essays für die Republik' erfordert, umfaßt auch eine Untersuchung der philosophischen Tendenzen der Autorin und ihre damalige Abgrenzung gegenüber Ortega y Gasset. Von den sozialen und militärischen Konflikten unmittelbar betroffen, verbinden sich in ihrem Ringen um eine ethische Haltung Elemente des Marxismus, des Christentums und des Stoizismus. Ihre emphatischen Aufsätze führen dem Leser die kulturpolitischen Ereignisse jener Jahre aus der Perspektive einer spanischen Revolutionärin vor Augen. Maria Zambrano verbindet zwischen 1936 und 1939 ihre publizistische Tätigkeit mit der Übernahme politischer Funktionen und während einiger Monate auch mit der kulturellen Repräsentation der spanischen Republik in Chile. Nach Spanien zurückgekehrt, folgt sie - der militärischen Front ausweichend - der Redaktion von Hora de España von Valencia nach Barcelona. Das unmittelbare Verhältnis des Menschen zur Geschichte gibt den Ton ihrer Essays an. Mit feuriger Eleganz gelingen ihr in "La libertad del intelectual" und in "Carta al Doctor Marañón" politische Pamphlete. Ihre Chroniken dokumentieren dagegen historische Ereignisse und die durch sie aus"Pérez-Ramos, B. Op. dt. S. 72. 58 Rafael Osuma Revistas españolas entre dos dictaduras 1931-1939. Valencia 1986. S. 195. "Zambrano, M. "El nuevo realismo". Nueva Cultura 3. Agosto-Septiembre-Octubre. Valencia (1937).In: Nueva Cultura. Enero 1935-Octubre 1937. Nachdr. Liechtenstein: Topos, 1977. S. 432.
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gelösten politischen Prozesse. Dem Leser wird der Zeitdruck deutlich, unter dem ihre Beiträge geschrieben wurden - und dennoch entbehren sie nicht eines polemischen 'Bisses'. Maria Zambranos unpoetische Ode auf die Republik versucht - in guter spanischer Tradition - vor allem durch die Metapher das Erkenntnisvermögen ihrer Leserschaft zu schärfen. Der Begriff des "Dramas', den die Autorin als doppeldeutigen Oberbegriff für den Bürgerkrieg und die intellektuelle Verzweiflung wählt, findet eine Parallele in der Idee der Bühne, von der aus die Rhetorikerin ihre Worte an die Welt richtet: Hacer la historia de la inteligencia en España en esta hora de tragedia es algo que deja sentir su necesidad, cuando no se está dispuesto a abdicar de la condición de hombre. (LIDE 22) Wenn in der /4wí/iropas-Biographie behauptet wird, El Mono Azul habe "toda la simpatía de la escritora" besessen, so kommt dies einem Verkennen ihrer Rolle innerhalb der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' gleich.60 Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß rückwirkend ein politisch unkompromittiertes Bild der Philosophin geschaffen werden soll. Der einzige Kommentar zu den beiden in Anthropos genannten politischen Funktionen Maria Zambranos - im 'Consejo de Propaganda' und im 'Consejo Nacional de la Infancia Evacuada' - bezieht sich die zweitgenannte und ist rein suggestiver Natur. Durch Worte wie "lo que supone una dolorosa entrega en sus visitas a las guarderías infantiles" wird eine Gestalt geschaffen, die den Bürgerkrieg im passiven Widerstand erlitten hat. Die Vermutung liegt nahe, daß Maria Zambrano nur dann als 'die spanische Philosophin' des ausgehenden 20. Jahrhunderts gefeiert werden darf, wenn ihr zurückliegendes politisches Engagement auf ein für alle Seiten ungefährliches Maß reduziert wird. Befremdend wirkte im April 1990 auf dem I. Internationalen Kongress zum Leben und Werk Maria Zambranos die symbolische Darstellung ihrer Präsenz durch ein auf einem von rotem Samt überzogenen Podiumsstuhl installiertes Bildnis einer Vierzehnjährigen. Nicht weniger irritierend klang das von einem Chor in der Eröffnungsveranstaltung gesungene Ave Maria. Solche Symbolik läßt die Philosophin als eine jungfräuliche Figur erscheinen, welche die versöhnende Flamme des urspanischen Gefühls - lo español - vor den Wirren der Geschichte rettete und im hohen Alter, nach einer langen Odyssee, in die Heimat zurückbrachte. Der Entwurf einer neuen, politisch neutralisierten Gestalt der jungen Philosophin wird in mehrfacher Hinsicht durch ihre Weiblichkeit erleichtert: Ihr Geschlecht ist ein Grund für ihre Unbekanntheit und unterliegt zugleich dem Klischee der Passivität. Kein männlicher Schriftsteller ihrer Generation ist so sehr in Vergessenheit geraten, daß seine Parteinahme während des Spanienkriegs nicht der einen oder anderen Seite Ärgernis verursachen würde. Die allgemeine Unterbewertung weiblicher Beteiligung an geschichtlichen Prozessen läßt dagegen kaum Neugierde entstehen. Die biographi60
Anthropos 70/71. Op. cit. S.76.
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sehe Lücke, die sich über jene Jahre erstreckt, schließt sich stillschweigend durch tradierte weibliche Attribute wie Ohmnacht und Schutzbedürftigkeit. Die hartnäckige Verankerung solcher Klischees in einem männlich dominierten Geschichtsverständnis kommt in solchen Fehlleistungen wie der des Historical Dictionary of the Spanish Civil War, 1936-1939 zum Ausdruck, in dem über die Zeitschrift Hora de España zu lesen ist: Its editorial board consisted of highly capable men who were completely dedicated to their work, men such as Manuel Altolaguire, Rafael Dieste, Antonio Sánches Barbudo, Juan Gil-Albert, Juan Antonio Gáya Nuno, Maria Zambrano, and Arturo Serrano Plaja.61 Dank der wertvollen dokumentarischen Arbeiten, die in den letzten Jahren über die Rolle der Intellektuellen im Bürgerkrieg, über die Zeitschriften der II. spanischen Republik und über den II. Internationalen Schriftstellerkongress von 1937 entstanden sind, kann die Schriftstellerin von der ihr auferlegten politischen Neutralität befreit werden. Maria Zambrano stand nicht au-dessus de la mêlée - und wenn hier daran erinnert wird, entspricht es der Auffassung der jungen Essayistin selbst, die damals über Unamuno schrieb: Cuando se ha producido una obra, ya poco importa que su propio autor diga y dictamine sobre ella; la obra tiene su propio sentido por encima de los caprichos y obcecaciones de su autor, que puede incluso haber perdido su clave. (LIDE 39) Die Essays, die Maria Zambrano 1937 in Chile unter der Überschrift Los intelectuales en el drama de España publizierte, werden als Zeugnisse der republikanischen Intelligenz in einer Reihe von historischen Werken aufgeführt: so unter anderem in dem oben zitierten Historical Dictionary of the Spanisch War, ferner in Europäische Literatur gegen den Faschismus 1922-194562 sowie in Intelligenz und Politik im spanischen Bürgerkrieg 1936-193963 und in den kommentierten Annalen des II Congreso Internacional de Escritores para la defensa de la cultura (1937). Doch wenn die letztgenannte Dokumentation auch auf die dritte bei Anthropos erschienene Edition von Los intelectuales en el drama de España verweist, so geschieht das offenbar in Unwissenheit dessen, daß die zitierten Worte der Autorin in der neuesten Ausgabe nicht mehr zu lesen sind.64
^Historical Dictionary of the Spanish Civil War, 1936-1939. Op cit. S. 266. 62 Europäische Literatur gegen den Faschismus 1922-1945. Hg. Thomas Bremer. München 1986. 63 Perez-Ramos, B. Op. cit. 64 Vgl. Aznar Soler, M. und Schneider, L.M. Op. cit. S. 117
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3.2.1 "La libertad del intelectual" in El Mono Azul La libertad del intelectual" erschien am 10. September 1936 in der dritten Ausgabe von El Mono Azul65 Zwei Monate nach Beginn des militärischen Angriffs reiht sich dieser Kampfaufruf in die vielfältigen Bemühungen der spanischen Intellektuellen ein, durch Solidaritätsbekundungen die legitime republikanische Regierung zu unterstützen. Bereits am 30. Juli war die Solidaritätsadresse berühmter Persönlichkeiten wie Ortega, Marañón, Pérez de Ayala, Machado und Menéndez Pidal an die Regierung Manuel Azaas ergangen.66 Am 11. September wandte sich der international bekannte Mediziner und Schriftsteller Gregorio Marañón über den Rundfunk an den amerikanischen Kontinent, um die Verbundenheit der Pazifisten mit dem Kampf der republikanischen Regierung zu bezeugen. Die republikanisch gesinnten Intellektuellen überwanden ihren anfänglichen Schock und begannen, ihre Tätigkeit auf die Verteidigung der Republik auszurichten. Das spanische Volk hatte sich in den ersten Stunden des 19. Juli 1936 selbst bewaffnet und die von Politikern unterschätzte militärische Rebellion zu bekämpfen begonnen. In Katalonien, wo die anarchistische und die sozialistische Arbeiterorganisationen (CNT und UGT) einen Sieg der Aufständischen verhindert hatten, erschien in der anarchistischen Zeitung Solidaridad Obrera eine bittere Kritik an den "intelectuales enchufistas"61. Mit ähnlicher Schärfe zieht Maria Zambrano im September 1936 eine Demarkationslinie, die für sie fortan die republikanischen Intellektuellen von den "Neutralen' und den 'Verrätern' trennen wird. Die Überschrift ihres Pamphlets liest sich als Warnung. Der Intellektuelle zumindest weiß sofort, es handelt sich hierbei nicht um die von ihm gepriesene Meinungsfreiheit. Und das unbehagliche Gefühl verstärkt sich, wenn er die ersten mahnenden Worte Maria Zambranos in sich aufnimmt: Alguién dijo una vez: "Y cuando estéis reunidos, yo estaré con vosotros'. Verdad profunda que el individualismo burgués del siglo XIX había olvidado". Mit wenigen Worten hat die Autorin den Rahmen der Auseinandersetzung abgesteckt. Der biblische Leitsatz drängt den Intellektuellen auf das ethische Feld hinaus, wo sein Konzept der Treiheit' bereits durch den Begriff 'Individualismus' ersetzt wurde. Vor einer "verdadprofunda" muß sich die Weltanschauung des 'Elfenbeinturmbewohners' bewähren. Ohne Umschweife greift Maria Zambrano die Verachtung des Intellek"Zambrano, M. "La libertad del intelectual". El Mono Azul 1.3. Madrid (1937). Nachdr. Glashütten im Taunus 1975. S. 18. 66 Intellectuals and the Spanish military rebellion, eine um die Jahreswende 1936/37 von der spanischen Botschaft in London herausgebrachte Broschüre, umfaßt Solidaritätserklärungen der jüngeren und älteren Generation. 67 Vgl. Pérez-Ramos, B. Op. cit. S. 70-71.
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tuellen für seine Mitmenschen an, zerstört in ihren Tiraden sein eitles Selbstbildnis und hält ihm schließlich einen Spiegel vor, in dem nur noch eine "tristísima ruina humana" zu sehen ist: El asco del intelectual - del intelectual típico - por la masa, el apartamiento de la vida y su impotencia para comunicarse con el pueblo, es un fenómeno que únicamente se entiende pensando en la situación social aún más que en la ideología del intelectual. Esta situación es la de su pertenencia a la burguesía que le apartaba de los problemas vivos y verdaderos del pueblo y le encerraba dentro de un círculo restringido y limitado de preocupaciones, cada vez más indirectas y alejadas de la realidad, cada vez más para "minorías", previamente escogidas, donde no era posible ningún avance efectivo. Welche raison d'étre bleibt aber dem Intellektuellen - fiir den Ortega y Gasset in La rebelión de las masas die politische Führung des Landes beanspruchte -, wenn er sich nicht durch den Höhenflug seines Geistes, sondern durch die Tatsache einer bestehenden sozialen Hierarchie von der 'Masse' abhebt? Er hat sich durch die Idee geistiger Freiheit zu einem nichtigen Leben, zu einem "vano ensueño quimérico", zu einer "encrucijada estéril" verleiten lassen und begnügt sich mit einem "esteticismo inhumano". Abermals wirft die Philosophin polemisch den Begriff'Freiheit' ein, um die Intellektuellen dann an ihre eigentliche Aufgabe - die Wahrheitsfindung - zu erinnern: Libertad es la palabra mágica, es cierto; pero es necesario esclarecer qué libertad es ésta que queremos y como hemos de llegar a ella. Porque el descubrimiento de la libertad humana, reavivado por el romanticismo, fue en seguida confundido con el individualismo, con un individualismo arbitrario y caprichoso, puesto que no contaba con los demás hombres que viven al mismo tiempo y son tan individuos a su vez como nosotros. "La libertad del intelectual" ist Synonym geworden für eine hochmütige Distanziertheit, die nicht philosophisch, sondern politisch definiert ist. Das Dasein des Intellektuellen erscheint als Müßiggängertum. Maria Zambrano leitet von der konstruierten Opposition zwischen "libertad burguesa" und "verdad" zu einer impliziten Gleichung zwischen 'Volk' und 'Wahrheit' über. Ihr Rekurs auf die christliche Ethik suggeriert die Pflicht zur Solidarität mit der bewaffneten Volksfront. Zugleich hat sie deutlich gemacht, daß eine Absage an ein Bündnis mit dem "pueblo reunido" einem Verzicht auf'Wahrheit' gleichkommt. Neutralität ist sinnverwandt mit Trug, Betrug - und Selbstbetrug: Sólo se justifica y vivifica la inteligencia cuando por sus palabras corre la sangre de una realidad verdadera. Pero la verdad es siempre cosa para todos los hombres, por lo menos de muchos, para llegar a ser de todos; la verdad se muestra al pueblo reunido, cuya voz suena terrible para oídos desacostumbrados. Es hora ya de que el intelectual escuche esta voz y la haga inteligible, actual e inolvidable; es hora de que renuncie a la alevosa e
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hipócrita libertad burguesa para servir a la verdadera libertad humana, que sólo es posible desenmascarando hasta lo último los restos inservibles de un pasado que no quiere pasar y acepte, alumbrándola, esta verdad que sólo al pueblo puesto en pie se muestra. In diesem Zitat kommt das Selbstbild der Autorin deutlich zum Ausdruck. Die Aufgabe der Intelligenz, die Maria Zambrano als Publizistin erfüllt, ist es, 'Sprachrohr' der Republik zu sein. Den Intellektuellen kommt es zu, die radikalen Losungen der spanischen Volksfront zu vermitteln. Innerhalb ihres eigenen Kulturkreises nimmt die Autorin die Rolle des "guía" ein, der den Weg aus dem Labyrinth intellektueller Verwirrung weist. Maria Zambranos Perspektive hat sich seit der Veröffentlichung von Horizonte del Liberalismo, im Zuge der Politisierung der Avantgarde, grundlegend verändert. Der Begriff "masa" ist nun identisch mit "pueblo". Mehr noch, die anonyme Masse' löst sich in eine Gemeinschaft von Individuen auf: "los demás hombres (...) que son tan individuos a su vez como nosotros". Persönlichkeit ist nicht länger ein Privileg des Intellektuellen. Mit diesem Aufruf grenzt sich Maria Zambrano von der Elitetheorie ihres Lehrers Ortega y Gassets ab. Der Humanismus wird in der Zeit des spanischen Bürgerkriegs ihre Sicht der Gesellschaft bestimmen. Die Verknüpfung von sozialer Herkunft und Ideologie einerseits sowie die Kritik des bürgerlichen Individualismus andererseits verleihen diesem Pamphlet einen marxistischen Grundton. Die christliche Symbolik verweist dagegen auf die anzustrebende ethische Haltung. Diese Synthese von marxistischem und christlichem Denken spiegelt das politische Bündnis der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' wider, deren herausragendste Vertreter der Kommunist Rafael Alberti und der Katholik José Bergamín waren.
3.2.2 "La Alianza de Intelectuales Antifascistas" in Tierra Firme Diese Chronik gehört zu den unbekannten Schriften der Philosophin. Sie erschien in der Sektion "Labor cultural de la República Española" von Tierra Firme, einer Zeitschrift des 'Centro de Estudios Históricos' in Madrid.68 Rafael Osuma, der 1986 sein Buch Revistas Españolas entre dos Dictaduras herausbrachte, nahm im Rahmen der neueren Historiographie der spanischen Republik als erster von dieser Chronik Kenntnis. Sie dokumentiert die Arbeit der 'Alianza' vom Beginn ihrer Konstituierung im April 1936 bis zur Durchführung des II. Internationalen Schriftstellerkongresses im Juli 1937 und ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil sie Details über Struktur, Kulturprogramme und und sogar Örtlichkeiten der 'Alianza' in Madrid, Valencia und '«Zambrano, M. "La Alianza de Intelectuales Antifascistas". Tierra Firme 3/4. Madrid (1936) [1937]: 610-612.
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Barcelona bietet. Die Chronik geht ebenfalls auf die Entstehung von El Mono Azul, das Organ der 'Alianza' ein, das Maria Zambrano als eine "pequeña hoja volandera, donde íbamos imprimiendo nuestras emociones y nuestros pensamientos de las horas de congojas y esperanzas"69 beschreibt. Die 'Alianza', berichtet sie, sei in unterschiedliche Sektionen eingeteilt: Literatur, bildende Künste, Bibliotheksarbeit, Propaganda, Pädagogik, Theater und Musik. Diese Kulturarbeit führe die Mitglieder der 'Alianza' in die Kampfeinheiten, die Kasernen und die Krankenhäuser, für welche Wanderbibliotheken, Lesungen und Theaterauffuhrungen organisiert wurden. In der Arbeit der 'Alianza' sieht die Autorin den ersten Entwurf einer republikanischen Nachkriegskultur: La Alianza ha suministrado al teatro español valiosos elementos de sus cuadros para el Teatro de Arte y Propaganda. El éxito con que se han estrenado la "Tragedia Optimista" de Vichnievsky, "Los Títeres de Cachiporra" de F. García Lorca, la "Cacatúa verde" de Schnitzler y "Un duelo" de Antón Chéjov, y el excelente núcleo de jóvenes actores que se agrupan en la Escuela de Teatro, bajo la dirección de María Teresa León, dan derecho a esperar que esta sección de la Alianza oriente en el futuro la realización de nuestra literatura dramática. Y en todas las actividades culturales de la España republicana, miembros de la Alianza ocupan destacados puestos de trabajo y responsabilidad, muy especialmente en el Comisariado y trabajo cultural del Ejército.10 Sie berichtet über den II. Internationalen Schriftstellerkongreß, der am 3. Juli in Valencia begann und, über Madrid und Barcelona führend, seine Schlußtagung am 17. Juli in Paris abhielt. Ihr Bericht ermöglicht eine Korrektur der Datierung der entsprechenden Nummer von Tierra Firme. Die als letzte Nummer des Jahres 1936 gekennzeichnete Ausgabe von Tierra Firme erschien in Wahrheit erst nach dem Schriftstellerkongreß im Juli 1937. Vielleicht war auch ihr Erscheinen durch den Papiermangel im Dezember 1936, über den Maria Zambrano an anderer Stelle berichtet, verhindert worden (LIDE 51).
3.2.3 "El nuevo realismo" in Nueva Cultura Bei "El nuevo realismo" handelt es sich um einen bisher vergessenen Aufsatz von Maria Zambrano, den ich im Verlauf meiner bibliographischen Forschung entdeckt habe. Er erschien in der zweiten Hälfte des Jahres 1937 in Nueva Cultura, die, von dem Kommunisten Josep Renau geleitet, der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' in
•»Ibid., S. 611. 70 Ibid„ S. 612.
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Valencia nahestand.71 Einundzwanzig Nummern dieser Zeitschrift erschienen zwischen Januar 1935 und Oktober 1937. Der im folgenden besprochene Essay befindet sich in der letzten Ausgabe. "La situación actual", mit der sich die Autorin hier befaßt, ist jene politische Lage, die sie bei ihrem Eintreffen aus Südamerika vorfand. Weit ausholend leitet Maria Zambrano "la desintegración española" von der vereinheitlichenden Staatsgewalt Cisneros' zu Beginn des 16. Jahrhunderts ab. Der Begründer des spanischen Staates, schreibt sie, habe durch eiserne Gewalt "la unidad nacional" errichtet. Diese Worte sind auch im Text der Autorin durch Anfuhrungsstriche hervorgehoben. Doch sind es wirklich die Worte Cisneros? Der Minister der katholischen Könige wird die Worte "la unidad nacional" niemals verwendet haben, weil sie weder zur Intention noch zum Sprachgebrauch des entstehenden Absolutismus gehörten. "Nation' ist ein Begriff, der sich erst im 19. Jahrhundert durchsetzte. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich die Kritik der Autorin sich an die Adresse des damaligen sozialistischen Premierministers Negrin richtet, der seit Mai 1937 im Amt war. Und wenn die Autorin daran erinnert, daß Cisneros die Andersgläubigen - die Mauren und die Juden - durch die Inquisition verfolgen ließ, ist dies als ein Sinnbild für die im Sommer 1937 entfachte Hetzjagd gegen den anarchistischen Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM) zu betrachten. Die Flügelkämpfe unter Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten waren im Mai in blutige Kämpfe auf den Straßen Barcelonas ausgeartet, bei denen die Miliz vom POUM einen kurzfristigen Sieg errang. Diesen Ereignissen folgten im Juni die Folterung und Ermordung des POUM-Führers Andrés Nin durch Agenten des sowjetischen Geheimdienstes und die Verfolgung der Mitglieder dieser Organisation wegen angeblicher Spionage im Dienste der Falange.17Der Vergleich zweier Epochen, die nicht unvermittelt zu einander passen wollen, ist eine Einladung zur Entzifferung einer zwischen den Zeilen liegenden Botschaft. Der Kampf gegen den vermeintlichen 'inneren Feind' befindet sich auf seinem Höhepunkt. Der Vorwurf des Verrats kann auf jeden fallen. Es ist die Zeit der Zensur. Der beliebte sozialistische Führer Largo Caballero hatte nach den Kämpfen in Barcelona und die folgende Niederschlagung der POUM-Milizen durch bewaffnete Einheiten seiner Regierung dazu aufgerufen, Milde walten zu lassen und die Grabenkämpfe der Republik nicht zu vertiefen. Doch gegen diese Haltung verbündeten sich die Mehrheit der sozialistischen und kommunistischen Kabinettsmitglieder.73 Im Oktober 1937 wurde Largo Caballero seiner leitenden Funktionen innerhalb der PSOE enthoben. 71
Zambrano, M. "El nuevo realismo". Nueva Cultura 3. Agosto-Septiembre-Octubre. Valencia (1937). Nachdr. Liechtenstein: Topos, 1981. S. 432. In "La Alianza de Intelectuales Antifascistas" schreibt Maria Zambrano: "La revista Nueva Cultura vive su segunda etapa muy brillantemente, como expresión de la Alianza valenciana". Op. cit. S. 612. 72 Vgl. Historical Dictionary of the Spanish Civil War. Op. cit. S. 385-387. 73 /étó., S. 508.
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Vor dem Hintergrund des historischen Geschehens liest sich "El nuevo realismo" als Appell an die Einigkeit der republikanischen Kräfte, zugleich aber als Anklage der im Namen einer politischen Einheit verübten Verbrechen gegen die katalanischen Anarchisten des POUM. Für die Zeugen des damaligen politischen Geschehens war der Vergleich zwischen der Republik und dem "Estado español, que tanta gloria momentánea conquistara, para sumirse en seguida en tan repentina y triste inanición" offenkundig. Das wiederholte Anprangern des "asfixiante caparazón del Estado" verleiht der Autorin selbst einen anarchistischen Unterton. Die Heterogenität Spaniens, betont sie, vermittle ein tieferes Zusammengehörigkeitsgefühl als die erzwungene Vereinheitlichung gegensätzlicher Elemente. Nostalgisch erinnert sie an die lärmende, bunte Gesellschaft vor der Reconquista und meint die Anfange der II. Spanischen Republik: Quizá también sea preciso retroceder hasta ese momento para que encontremos un ejemplo de convivencia de religiones, razas, clases sociales, intereses y culturas contrapuestas y distintas. Momento en que da la sensación de que todos estaban presentes en todos.1* Das Nebeneinander unterschiedlicher Glaubensrichtungen bedeutet, auf die Republik bezogen, die Duldung gegensätzlicher ideologischer Tendenzen. Die stalinistischen Bestrebungen innerhalb des Negrin-Kabinetts drohten, der Gedankenfreiheit ein Ende zu bereiten. Die Leidenschaften, die das Leben Spaniens vergifteten, "soberbia y envidia", verweisen abermals auf den tradierten Konflikt zwischen dem reichen Katalonien und den ärmeren Provinzen. Maria Zambranos verdeckte Kritik enthält einen an alle Kontrahenten gerichteten Vorwurf. Allein die Wahrnehmung und Berücksichtigung des Andersdenkenden könnte ein gerechtes Empfinden von Freiheit vermitteln: La destrucción, hasta ayer, ha sido nuestro signo. Pero todo cambiaría si la sociedad a la que nos sintamos pertenecer sea estimada como la más próxima a la justicia. Se ha confundido a la libertad con la destrucción, y sólo el amor, el sentirnos enraizados socialmente en una comunidad que dé expresión y realidad a nuestros mejores anhelos, podrá devolvernos el sentido justo de la libertad.15 Die Volksfrontregierung ist in Gefahr, das ihr entgegengebrachte Vertrauen zu verspielen. Im Webgeflecht der Republik, so die Metapher der Autorin, habe sich der Wollknäuel verwickelt. Es gelte ihn nun zu befreien, ohne einen seiner zahlreichen Fäden abzuschneiden. Die "conversión a la realidad", welche die Autorin hier beschwört, weist sie als unabhängige Denkerin aus, die zwischen dem äußeren Feind
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Zambrano, M. "El nuevo realismo". Op. cit. S. 382. "Ibid.
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und den inneren Konflikten der Republik zu differenzieren weiß. Dieser Essay zeigt auch, daß Maria Zambrano, die im Sommer des Jahres 1938 "Testiomonio para Esprit" schreiben wird, ihre engagierte Verteidigung der Republik nicht mit Blindheit paarte.
3.3 Los intelectuales en el drama de España - Primera parte Das Erscheinen von Los intelectuales en el drama de España in Santiago mag durch den mehrmonatigen Aufenthalt von Maria Zambrano in Chile begründet sein. Aber ihre Entscheidung, diese Essaysammlung zusammen mit einer Anthologie von Garcia Lorca in Südamerika herauszubringen, war vielleicht auch durch die instabile militärische Lage in Spanien und den notorischen Papiermangel der Republik bedingt. In einer Chronik aus diesem Band weist die Autorin selbst auf den Papiermangel hin, der im Dezember 1936 zu einer kurzfristigen Einstellung von El Mono Azul führte (LIDE 51). Republikaner und Nationalisten veröffentlichten während des Bürgerkriegs Werke in Südamerika, die an eine spanische Leserschaft auf dem alten und auf den neuen Kontinent gerichtet waren. Die Zeitschrift der 'Alianza' Hora de España, bei der Maria Zambrano nach ihrer Rückkehr aus Südamerika im Sommer 1937 leitende Redakteurin wurde, verfolgte eine klare propagandistische Zielsetzung. Ihre Aufgabe war die internationale Solidarisierung der Intelligenz mit der II. Spanischen Republik. Doch schon vor dieser Zeit gehörte Maria Zambrano zu der Gruppe von Intellektuellen, die nicht nur das Vertrauen der Volksfrontregierung genoß, sondern welche die Regierung für ihre Selbstdarstellung gegenüber der beunruhigten Bourgeoisie anderer Länder benötigte. Jede Stimme zählte, die bezeugen konnte, die Republik kämpfe um eine gerechte Sache, um die Menschenwürde. Hinweise auf einen Teil von Maria Zambranos vergessener Vergangenheit fand ich in der bereits oben erwähnten Broschüre der spanischen Botschaft in London Intelectuals and the Spanish military rebellion (1936/37). Die Republik rühmt sich hierin mit Recht, die spanische Intelligenz von Rang und Namen hinter sich zu haben. Auf die Deklaration von illustren Vertretern der älteren Generation folgt ein Manifest der "young intellectuals", unter deren Unterzeichnern wir Maria Zambranos Namen mit dem Zusatz "writer" begegnen. In dem 1975 erschienenen Verzeichnis der Autoren von El Mono Azul wird ihre Reise nach Chile als "viaje de representación intelectual" charakterisiert.76 In ähnlicher Weise beschreibt eine am 11. Februar 1937 in El Mono Azul erschienene Meldung "Maria Zambrano, en Chile" diese Reise. Sie weist ihr die Rolle der 'wahren' Repräsentantin Spaniens zu und geht auf ihren Kontrahenten, den in Santiago eingetroffenen "delegado cultural" der aufständischen Burgos-Regierung, Eduardo Marquina, als "poeta de la historia falsa" ein. Obwohl ihr Ehemann und nicht sie im Auftrag der Volksfrontregierung nach Chile reiste, vermittelt El Mono Azul durch eine ^Cuadernos de Madrid (+ El Mono Azul 47). Glashütten im Taunus 1975. S. LXVI.
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regelmäßige Berichterstattung über sie den Eindruck, Maria Zambrano erfülle die eigentliche diplomatische Funktion. Auch Alfonso Rodríguez Aldave war Mitbegründer der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas'. Der Name seiner Ehefrau war jedoch aufgrund des erlesenen Zirkels, zu dem sie als Schülerin von Ortega y Gasset gehört hatte, weit mehr bekannt. Sie darf aber in diesem Zusammenhang nicht allein als Aushängeschild gesehen werden. Es dürfte für die Volksfrontregierung - nicht allein in Chile - einfacher gewesen sein, auf einer inoffiziellen Ebene Kontakte zu knüpfen. Wenn die Regierung wenig Aufheben um einen Diplomaten machte, so lud dagegen beispielsweise der I. Chilenische Schriftstellerkongreß seine Frau, die Autorin Maria Zambrano, ein.77
3.3.1 "La inteligencia y la revolución" Der erste Essay in Maria Zambranos Band Los intelectuales en el drama de España fuhrt unmittelbar zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, wo Urkräfte den Menschen regieren und ihn im Kampf um die Menschheit zur Vernichtung seiner selbst drängen. In den Bann einer höheren Gewalt gezogen, erwacht der Instinkt, der den Menschen ruft, sich dem Leben - und dem Tode - hinzugeben: La vida da casi siempre valor a los que se sumergen en ella sin pedirle cuentas, y existe una fuerza de la sangre que la lleva a derramarse, a morir, diríamos que de un modo natural, porque la sangre es para la muerte (...) Fuerzas misteriosas y olvidadas surgen de su escondido encierro y el hombre, aun el más civilizado, se convierte en servidor de estas fuerzas elementales. La sangre recobra sus fueros y corre hacia la muerte, llevada por ella irrefrenablemente. (LIDE 22 f.) Doch dann hält die Autorin inne, wendet den Blick vom Grotesken ab und fragt nach der Ursache des Krieges. Der pazifistische Mensch, erklärt Maria Zambrano, kann den Krieg nicht akzeptieren. Er kann sich lediglich resignierend zur Gewalt entschließen. Nur wer nach dem kausalen Zusammenhang der "terrible presencia de la guerra y de la revolución" fragt, wer Gewalt nicht als gegeben hinnimmt, kann seine Menschenwürde bewahren. Ihrer Fragestellung nachzugehen, so warnt sie, wird keinen anderen Trost als diesen bieten. Offenen Auges, "con la razón más despierta que nunca", muß der domenreiche Weg, der zur Antwort fuhrt, eingeschlagen werden. Sie verheißt ihren Lesern eine Mutprobe; denn es gilt, unter dem Eindruck der Ereignisse nicht in althergebrachte Denkschemata zu verfallen, sondern, in Anerkennung der Realität, die Vernunft über bisherige Grenzen hinauszutreiben: Lanzarse sin temor y con la conciencia despierta, con exigencia de que nada de lo anterior sirve (...) es correr una aventura mortal del espíritu o de la razón, es afrontar un horizonte más allá de todos los que hemos contemplado (...). (LIDE 23)
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Vgl. Unterkapitel 2.2 Die Jahre der Republik.
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Mit ihrer Kritik des bürgerlichen Opportunismus verbindet die Autorin nunmehr eine Kritik des Rationalismus in seiner idealistischen Tradition. Der Individualimus und, wie sie ihn nennt, der dogmatische Idealismus prägen die Geisteshaltung, die den Intellektuellen von seiner Umwelt entfremdet und ihn zu einer tragischen Figur macht: (...) es desprenderse, en suma, de esa terrible costumbre burguesa: la comodidad nacida de la creencia en la inalterabilidad del mundo. Y aun de algo anterior a lo burgués: la creencia racionalista (...) en que el mundo es estático, fundamentalmente idéntico a si mismo. Mundo tan dócil que permite el saber a qué atenerse, y da a la razón humana (...) una seguridad que excluye casi la aventura. (LIDE 23) Die historische Situation verlangt vom Intellektuellen "humildad y fe" gegenüber seinen Mitmenschen und gegenüber dem Leben, aber auch eine "audacia de vértigo", die einzig und allein seine geistige Tätigkeit zu einer revolutionären Tat erhöhen kann. Die "Kühnheit zum Taumel", wie Maria Zambrano die Aufgabe der bürgerlichen Sichtweise tauft, ist zugleich eine Metapher für das Wagnis, als das sie ihre eigene politische Radikalität erlebt. Ihre eigene politische Radikalität, ihre bedingungslose Befürwortung der Revolution, die Rolle, welche gerade Spanien im Kampf gegen die Ausbreitung des Faschismus in Europa zugefallen ist, all das läßt sich für die Autorin nur vor dem Hintergrund einer irrationalen Weltanschauung begründen.
3.3.2 "La inteligencia y el fascismo" In diesem Essay geht es Maria Zambrano um eine Gegenüberstellung idealistischer und materialistischer Weltanschauungen. Erstere sei die Grundlage für ein überzeitliches Kulturverständnis, das, wie sie beklagt, "la gran masa de intelectuales" bisher in ihrem gesellschaftlichen Wirken gelähmt hat. Wohl hat Hegel, schreibt sie, die Vernunft in einen historischen Kontext gestellt, aber die europäischen Konflikte des 20. Jahrhunderts zeigen deutlicher denn je, daß das Denken selbst einen materiellen Ursprung hat: Y si algo hoy se nos aparece claro, con claridad hecha de dolor, es que la inteligencia no funciona incondicionalmente, sino que es sobre unas circunstancias sciales, políticas y económicas, como se mueve. (LIDE 25) Innerhalb der bürgerlichen Intelligenz habe der Idealismus eine Kaste von "ángeles del intelecto" hervorgebracht, die wie literarische Heldenfiguren in einer "adolescencia permanente" verharren. Die Essayistin vergleicht sie mit Protagonisten der Werke von Rousseau, Goethe oder Dostojewskij, deren Rebellion in lebensfeindlicher Selbstzermürbung und im Freitod endet. Der zum Dogma erhobene Idealismus verliert seine ursprüngliche Tendenz zur dialektischen Vermittlung des konkreten Daseins und wendet sich von dem als widerwärtig empfundenen Leben ab: Entonces el idealismo funciona sobre todo en la burguesía intelectual, dogmáticamente, sin esa audacia de vértigo de los filósofos que íntegramente
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3. Die Kühnheit zum Taumel se han dado a su riesgo. No; la burguesía intelectual ha suprimido todo riesgo del idealismo europeo y así queda reducido a un obstáculo que al impedir la evolución del individuo, le deforma y, al suprimir la distancia entre el individuo concreto humano - del que no hay un conocimiento - y el hombre - el patrón humano -, hace imposible la formulación de resistencias y el conocimiento de los errores. (LEDE 28)
Hier, in dieser Abgewandtheit von der Realität, so erklärt Maria Zambrano, in dieser Feindseligkeit gegenüber dem Leben, in der Verkennung des Menschen hat sich der Faschismus eingenistet. Der Faschismus bedient sich des Idealismus als Grundlage für eine nostalgische Verklärung der Geschichte und zeigt sich in seinem anachronistischen Lebensentwurf gleichermaßen unfähig, die sozialen Fragen des 20. Jahrhunderts zu lösen. In dem Maße, wie sich die Intellektuellen gegenüber reaktionärer Ideologie neutral verhalten haben, tragen sie Verantwortung an der Verbreitung des Faschismus: Hay una cáscara en el fascismo, hay un nudo estrangulado en el alma del fascista que le cierra a la vida. Es la misma que veíamos en el idealismo europeo hacia la realidad, es la misma cerrazón que desde el romanticismo se ha ido agravando hasta llegar al tedio y a la incapacidad de experiencia. (LIDE 31) María Zambrano, die den Faschismus als Reaktion der Bourgeoisie auf ihre drohende Entmachtung wertet, möchte ihre Leser zum Nachdenken über seine strukturelle Interdependenz mit anderen Anschauungen anregen. Dieser Aspekt gewinnt um so größere Bedeutung, als die politischen Grundlagen, die dem Faschismus in Italien oder Deutschland Massenwirksamkeit verliehen, in Spanien nicht gegeben sind. Selbst der Idealismus habe aufgrund der kulturellen Isolation der Iberischen Halbinsel nur beschränkt Fuß gefaßt, schreibt sie. Durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren politischer, ideologischer und philosophischer Natur erklärt sie die antifaschistische Gesinnung der Mehrheit des spanischen Volkes und der Intelligenz: Es la revolución, la verdadera, no puede ser otra. Y es España el lugar de tal parto dolorísimo. Por su infinita energía en potencia, por su virginidad de pueblo apenas empleado en empresas dignas de su poder y por su profunda indocilidad a la cultura idealista europea, tenía que ser y es España. (LIDE 33) Solche von Pathos überfluteten Sätze zeigen, daß ihr Denken eher von den Losungen der Volksfrontregierung als von der Lektüre des Kapitals beeinflußt war. Die Autorin beruft sich auf eine materialistische Weltanschauung, aber es gelingt ihr nicht, das neu erworbene Instrumentarium analytisch zu nutzen. Die Idee, daß Spanien eine außerwählte Rolle in der Geschichte spiele, ist eine aus der Zeit der Gegenreformation tradierte heilsgeschichtliche Vorstellung. Maria Zambrano beleuchtet nicht die politischen Gründe, weshalb die spanische Republik zwangsläufig in einen Konflikt mit den ehemaligen Machthabern, mit dem Adel und dem Militär, geraten mußte. Sie stellt auch keinen Zusammenhang her zwischen den Interessen des Kapitals, der
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Nichtinterventionspolitik Englands, der Vereinigten Staaten und zuletzt auch Frankreichs und dem Kriegsbündnis von Franco, Hitler und Mussolini. Wie in ihrem bereits kommentierten Pamphlet "La libertad del intelectual" assoziiert die Autorin auch hier den Kampf des spanischen Volkes mit der Figur des christlichen Märtyrers. Was der europäische Idealismus nicht vermochte, schließt sie, entwickelte die spanische Revolution. Es ist "un proyecto de hombría", das von der Intelligenz alleine gar nicht entworfen werden konnte und sich wie das christliche Ideal eines 'neuen Menschen' an dem Leben selbst orientiert: Se ha apoyado el idealismo moral europeo en el cristianismo, pero se había olvidado que el ideal cristiano fue un hombre nuevo: Cristo (...) El ideal del hombre cristiano fue sólo posible y fecundo despues de la realidad concreta de una vida y de una muerte: la de Cristo. (LIDE 33) Die in ihren Essays transportierten christlichen Werte der Aufopferung, der Hingabe, des Glaubens und der Demut kennzeichnen für Maria Zambrano die Haltung des spanischen Volkes und sollen dem Intellektuellen als Vorbild dienen. Weit davon entfernt, einander zu negieren, ergänzen sich in der Weltanschauung der Essayistin Christentum und Marxismus. Dort, wo sich ihre marxistischen Ansätze in christliche Termini fassen lassen, bevorzugt sie diese als allgemeingültige Begriffe eines traditionellen Sinnsystems. In "La inteligencia y el fascismo" fuhrt sie einen materialistischen Entwurf des 'neuen Menschen' durch die christliche Lehre ein und verbindet diesen im folgenden mit dem marxistischen Gesellschaftsmodell: Y los modelos de vida hoy esbozados en algún pueblo o los contenidos en alguna doctrina - tal el comunismo - se verán con toda su hondura y significación. A la luz de esta visión de lo nuevo que aflora en el pueblo español, el proyecto de vida comunista cobrará su total sentido hasta hoy sólo a medias esbozado, cuando no maltratado y malentendido. (LIDE 34) Ihre Vision des Kommunismus ist dem Urchristentum sehr nahe.
3.3.3 "El fascismo y el intelectual en España" Der dritte Essay in Maria Zambranos Aufsatzreihe über Revolution und Faschismus ist der besonderen ideengeschichtlichen Situation Spaniens gewidmet. Der Versuch einer Indoktrinierung ihres Landes erscheint ihr zum Scheitern verurteilt: ¿Como creer que el fascismo nacido de la impotencia del idealismo europeo para superarse de la enemistad europea con la vida, de su adolescencia marchita y estancada, fuese a prender entre nosotros los españoles, que tan distinto sino arrastrábamos? (LIDE 34) Nun kommt in den Augen Maria Zambranos die historische Rückständigkeit ihrem Land zu Gute. Sie deutet die kulturelle Isolation Spaniens während der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts als Vorteil und schließt daraus, daß die spanische Mentalität von dem, wie sie schreibt, lebensfeindlichen europäischen Idealismus unberührt geblieben
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sei. Der aus der Unfruchtbarkeit des Idealismus entstandene Faschismus würde in Spanien daher keine Verbreitung finden. Ein wesentliches Prinzip faschistischer Demagogie sieht sie im Schaffen einer massenpsychologisch wirksamen Identität. Der von der franquistischen Propaganda verbreitete Nationalismus kennzeichne die Republikaner als staatsfremde Elemente. Die nationale Frage, antwortet sie, sei aber seit der Jahrhundertwende ein Topos der fortschrittlichen Kräfte. Die Idee einer Wiedergeburt Spaniens richtete sich gegen die Machthaber der alten Ordnung und bedeutete zugleich eine Öffnung gegenüber anderen Kulturen. Die Marginalisierung der spanischen Intelligenz, ihre prekäre Existenz zwischen "obrero y señorito", erklärt die Autorin weiter, habe sie für den Idealismus der europäischen Bourgeoisie verschlossen gemacht. Ein weiterer Faktor, der ihr Land von anderen unterscheidet, liegt für sie auf einer machtpolitischen Ebene. Die Bourgeoisie und das Großkapital, deren Waffe der Faschismus sei, hätten sich aufgrund der pseudofeudalistischen Strukturen kaum etablieren können: Pero en España la clase burguesa apenas había hecho nada, y más aún el capitalismo, el gran capitalismo que engendra económicamente el fascismo, tampoco había existido; ni tampoco otras circunstancias que mueven a desesperación, como el tratado de Versalles para Alemania. Y en el terreno intelectual, España había sido profundamente indócil a la cultura idealista de Europa. ¿Entonces? (LIDE 35) In ihrem Umriß der wirtschaftspolitischen Lage Spaniens läßt sie zunächst unberücksichtigt, daß das ausländische Großkapital in Spanien durchaus präsent war. Drei gesellschaftliche Gruppen haben ihrer Ansicht nach das Zustandekommen der II. Republik und die Abkehr von der "España falsa" ermöglicht. Sie nennt den 'Partido Socialista', die 'Institución Libre de Enseñanza' und die 'Generación del 98' in eben dieser Reihenfolge. Das Zusammenwirken ihrer Lehren habe eine Situation der Revolution und Weltoffenheit in Spanien geschaffen, die die antifaschistische Gesinnung des Volkes und der Intelligenz erkläre. Das spanische Volk habe durch die Volksfrontbewegung mehr denn je eine nationale Identität gefunden. Und die Beteiligung deutscher und italienischer Truppenverbände an den militärischen Auseinandersetzungen habe als Reaktion zu einer Verschmelzung der Begriffe "Nation' und 'Republik' gefuhrt. Das Bündnis der aufständischen Generäle mit den faschistischen Mächten sei - und hier verweist Maria Zambrano auf die ausländischen Wirtschaftsinteressen - ein Bündnis mit dem Großkapital: Los oficialmente españoles, los que habían establecido el estanco del patriotismo y poseían título oficial de defensor de la patria, la nombraban y la deshacían. De ellos descienden los que hoy al grito de '¡Arriba España!' la entregaron a ejércitos del fascismo hambriento que quiere la riqueza de nuestro sol y de nuestras minas. (LIDE 36)78 78
Franco gewährte Deutschland Konzessionen für die spanischen Minen als Teilvergütung für die militärische Unterstützung. Vgl. Historical Dictionary of the Spanish Civil War 1936-1939. Op. cit. S. 512.
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Maria Zambrano schließt mit einer Denunziation derjenigen spanischen Intellektuellen, die der faschistischen Bewegung angehören: "Eugenio Montes, Sánchez Mazas ... ",79 Dieser Schluß fehlt in der Anthropos-Ausgabe, da "El fascismo y el intelectual en España" in dieser Fassung geändert und um ein Drittel gekürzt wurde. Gerade an dieser Stelle gewinnt die Polemik an Schärfe, erachtet die Autorin doch den Verrat der Intelligenz als den gravierendsten. Giménez Caballero, erinnert die Autorin, war der erste, der in seiner Avantgarde-Zeitschrift La Gazeta Literaria Sympathie für Mussolinis Italien bekundete. Diese 1927 bis 1932 existierende Zeitschrift gab sich pluralistisch und veröffentlichte Beiträge aus allen ideologischen Richtungen. Schon im ersten Jahr veröffentlichte hier Giménez Caballero profaschistische Artikel, die damals - ohne Empörung unter den Intellektuellen hervorzurufen - als Ausdruck eines Standpunktes unter anderen galten.80 Diese Tatsache kann als beispielhaft für die von Maria Zambrano beklagte Unterschätzung der Gefahr reaktionären Gedankenguts gesehen werden. Im 'neutralen' Reich des Immateriellen verkenne der Intellektuelle die Gefahr der hier entworfenen Weltanschauungen und begreife sich als Spielgefährte unter seinesgleichen (LIDE 26). In derselben Weise, fuhrt sie fort, nehme das Interesse an der nationalen Frage eine faschistische Tendenz an, sobald das Volk nicht als der bestimmende Inhalt des Nationalen aufgefaßt wurde (LIDE 39 f.).81 Im herablassenden Tonfall simuliert Maria Zambrano Verständnis für die finanzielle Lage derjenigen, die sich dem reaktionären Lager angeschlossen haben. In der Tat, schreibt sie, habe die Verachtung der Aristokratie für die Intelligenz diese wirtschaftlich an den Rand des öffentlichen Lebens gedrängt. Erst vom Zerfall ihrer Macht bedroht, habe die Aristokratie daran gedacht, der Intelligenz zu schmeicheln und habe "algún intelectual alquilado para el caso" gefunden. In ähnlicher Weise wie Arbeitslosigkeit den Menschen für den Faschismus empfänglich macht, schreibt Maria Zambrano, läuft der Schriftsteller, der seine rhetorischen Fähigkeiten brachliegen sieht, Gefahr, Faschist zu werden. Aber in Wahrheit, konstatiert sie zum Schluß trocken, hat es einem Garcia Sanchiz, einem Pemán oder einem Eugenio Montes nicht bloß an Arbeit gemangelt, sondern an wahrer Berufung: Ante la nihilidad que le rodea, ante la nada en que flota, la inteligencia sin vocación se retruerce sobre sí y se traiciona. (LIDE 41)
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Über die Laufbahn dieser Personen während der Franco-Diktatur vgl. Kapitel 4.4 Abschied der Republikanerin. 80 Vgl. Pérez-Ramos, B. Op. cit. S. 26 f. 8l Diese Passage ist in der Anthropos-Ausgabe sinnentstellt An Stelle von "un redescubrimiento de lo nacional" ist in dieser Fassung von "un redescubrimiento de lo auténtico y verdadero" die Rede. Im veränderten Kontext ist der Hinweis der Autorin auf die Gefahr des Faschismus verwirrend. Die Frage stellt sich, wie aus ihrer Sicht das Bestreben nach Authentischem und Wahrem zum Faschismus fuhren könne. Der Geist, der hier wirkte, war entweder stümperhaft oder reaktionär - oder beides. Vgl. Senderos - Los intelectuales en el drama de España. Op. cit. S. 45.
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Die Kürzung des letzten Drittels dieses Essays verschweigt die Verantwortung des Intellektuellen an der passiven und aktiven Verbreitung von Weltanschauungen und die Gefahr, die eine postulierte Neutralität von Kultur in sich birgt. Durch diese Kürzung sowie durch die Streichung ihrer folgenden Chroniken und ihrer "Carta al Doctor Marañón" bleiben nicht nur die Namen der Intellektuellen unerwähnt, die auf beiden Seiten des Krieges hervortraten; vielmehr wird die Autorin einer Schrift, die sich gegen einen überzeitlichen Kulturanspruch wendet und die Kunstschaffenden in die politische Pflicht nimmt, selbst einer neutralisierenden Metamorphose unterzogen.
3.4 Los intelectuales en el drama de España - Segunda parte El intelectual en la Guerra de España Im zweiten Teil von Los intelectuales en el drama de España finden wir im Originalwerk von 1937 sowie in der zweiten Edition von Hispamerca aus dem Jahre 1977 neben María Zambranos "Carta al Doctor Marañón" drei Chroniken: "Octubre 1934 - Julio 1936", "La inteligencia militante - El Mono Azul" und "Hora de España". In diesen Chroniken zeichnet die Autorin die Entwicklung der politischen Arbeit der spanischen Intelligenz seit dem asturischen Arbeiteraufstand im Oktober 1934 nach. Der letztgenannte Aufsatz über die Entstehung von Hora de España ist - wohl aufgrund der künstlerischen Aura, welche die hier behandelte Kulturzeitschrift umgibt - als einziger in die Anthropos-Ausgabe von 1986 eingegangen. Die in Santiago de Chile erschienene Ausgabe trägt zu Beginn diesen zweiten Teils den Vermerk: Artículos publicados en Crítica de Buenos Aires en Marzo de 1937, recogidos en el presente volumen con algunas modificaciones,82 Dieser Hinweis kann sich jedoch nicht auf alle Essays des zweiten Teils beziehen, da zum Beispiel "Hora de España" nach April 1937 entstand.
3.4.1 "Octubre 1934 - Julio 1936" In dieser Chronik fuhrt Maria Zambrano dem Leser die Radikalisierung der spanischen Intelligenz in der Zeit zwischen der asturischen Rebellion im Oktober 1934 und dem militärischen Aufstand im Juli 1936 vor Augen. Die Entstehung der Republik im April 1931 führte die Intelligenz und das Volk zum ersten Mal zusammen. Die Niederschlagung der asturischen Rebellion während des 'bienio negro', der zweijährigen konservativen Regierungsperiode, veranlaßte die Intelligenz zur organisierten politischen Tätigkeit. Zu diesem Zeitpunkt gab die jüngere Generation
82
Zambrano, M. Los intelectuales 26.
en el drama de España. Santiago de Chile: Panorama, 1937. S.
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von Intellektuellen endgültig ihre apolitische Haltung auf und verlor ihre Berührungsangst mit dem im Volk verbreiteten Marxismus: La otra cara de los acontecimientos (...) es la eliminación para muchos de la contradicción entre nación y pueblo marxista. Marxista o no marxista, el pueblo siempre es lo nacional. (LIDE 46) In den Jahren des spanischen Bürgerkriegs lehnt sich Maria Zambrano an die Urteilskraft des Dichters Antonio Machados an. Er schreibt eine geistreiche Kolumne in Hora de España, in der seine fiktive Gelehrtenfigur Juan de Mairena den Alltag des spanischen Bürgerkriegs kommentiert. Ihren Slogan "el pueblo siempre es lo nacional" hat sie, wie sie selbst schreibt, einer seiner Kolumnen entnommen. Singt das Volk die Marseillaise, schreibt der väterliche Freund, so singt es sie auf Spanisch; und, fuhrt er fort, sollte sich das Volk im Bürgerkrieg befinden und eines Tages "Es lebe Rußland!" ausrufen, so bedenkt, daß das Rußland dieses Rufes weit mehr spanisch sein mag als das Spanien seines Feindes.83 Maria Zambrano schließt mit Erinnerungen an den ideologischen Klärungsprozeß, der die Formierung der Volksfront widerspiegelte. Er hatte, wie sie schreibt, seinen Ursprung in einer Polemik zwischen José Bergamíns Cruz y Raya und Luis Araquistáins Leviatán: (...) un terreno común permitía la discrepancia; un terreno común que entre los intelectuales españoles se comenzaba a formar entre los comunistas y los que, no sintiéndose comunistas, veían en ellos un fondo de preocupaciones, un afán de descubrir al hombre nuevo, y lo que era entonces más decisivo: una voluntad de entenderse, un propósito de comunicación. (LEDE 47)
3.4.2 "La inteligencia militante - El Mono Azul" Wenn durch andere Auslassungen in der Anthropos-Ausgabe von 1986 die Feindschaften der jungen Philosophin verschwiegen werden, so geschieht durch die Kürzung dieser Chronik dasselbe in bezug auf ihre Sympathien. Maria Zambrano vermittelt hier den Enthusiasmus, mit dem die jungen Literaten und Künstler die Arbeit der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' aufnahmen. Die Frontzeitschrift der 'Alianza' hat ihren Namen El Mono Azul von dem proletarischen Blaumann, der nach dem Übersetzen von Francos Truppen nach Spanien im Juli 1936 die Uniform der sich formierenden republikanischen Armee wurde. Die Autorin, die im Frühjahr 1937 fern von ihrer Heimat schrieb, erinnerte sich an diesen intensiven Momment erlebter Geschichte:
»Vgl. LIDE S. 46; und Machado, A. Juan de Mairena II (1936-1938). 32.
Madrid: Cátedra, 1986. S.
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3. Die Kühnheit zum Taumel Trabajo y combate significados en nuestro 'mono' obrero, que llenaba los ojos en el Madrid luminoso y espléndido en su tragedia, en el Madrid inolvidable, todavía intacto, de Julio y Agosto de 1936. (LIDE 51)
Die Zeitschrift, die diesen Namen trägt, verbindet Kriegsberichterstattung mit Nachrichten aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Republik. Die Mittelseite ziert der romance, eine von den republikanischen Dichtern zu neuem Leben erweckte Erzählform "para contar y cantar los hechos de hoy" (LIDE 52). Zu dieser Gattung gehören Rafael Albertis "Defensa de Madrid" und Miguel Hernández' "Vientos del pueblo".84 Der romance teilt bisweilen seinen zentralen Platz in El Mono Azul mit einer großformatigen Zeichnung, anhand derer dem Freiwilligenheer dargestellt wird, wie es sich am besten vor Feuersalven, Kanonen- und Luftangriffen schützen kann (LIDE 52).
3.4.3 "Hora de España" Mit dieser Überschrift leitet Maria Zambrano einen emphatischen Essay ein, in dem sie die Revolution Spaniens feiert: Vida y pensamiento marchan así, reclamándose mutuamente, en una unión presidida por la necesidad, diosa de la revolución. (LIDE 53) Die Kulturzeitschrift der 'Alianza de Intelectuales Antifascistas' Hora de España wurde nach ihrer Abreise aus Spanien ins Leben gerufen. Als sie im Sommer 1937 nach Valencia zurückkehrt, wird sie Redaktionsmitglied und übernimmt während der letzten Monate des Bürgerkriegs die Leitung. Die 'Stunde Spaniens' ist mehr als der Name einer Zeitschrift - es heißt die Stunde der Wahrheit. Bevor sie in ihrem Essay auf die ersten vier Nummern von Hora de España, die sie mit der diplomatischen Post in Santiago de Chile erreichten, eingeht, ergreift sie die Gelegenheit, im Namen einer kämpferischen Intelligenz "los neutrales" und "los renegados" zu beschimpfen. Gegen unbenannte spanische Intellektuellen richtet sie anklagende Worte, weil sie, wie sie schreibt, melancholisch ihr Frühwerk verwalten. Ortega bereitete zu diesem Zeitpunkt in Paris die 29. Auflage seines elitetheoretischen Werks La rebelión de las masas vor und hatte sich, wie Gregorio Marañón, "alegando su condición superastral de pensadores", von der umkämpften Republik abgewandt. Dieser Haltung stellt sie ihre eigene entgegen, wenn sie wie im folgenden auf die Kulturarbeit in den Kasernen verweist85: Al sentir la inteligencia y el arte el afán de servir, lo natural es que haya querido hacerlo directa y, dadas las circunstancias, apresuradamente. Es el
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"Vientos del pueblo" wurde für die Schallplatte nouveau Chansonnier International, 1975. 85 Vgl. Unterkapitel: 2.2 Die Jahre der Republik.
La guerra civil española
vertont. Paris: Le
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trabajo de Cultura y Trabajo social en los cuarteles. Es el guiñol, el teatro, llevados al frente y pensados para él. (LÜDE 55) Darüber hinaus gebiete die 'Stunde Spaniens' den Beginn des Aufbaus der zukünftigen Kultur oder, wie es Marañón noch in seiner Rundfunkrede vom 11. September 1936 nannte, die Schaffung bleibender Institutionen, die die humanitären und kulturellen Wege eines kommenden Friedens kennzeichnen.86 Aus diesem Geist heraus, schreibt Maria Zambrano, sei Hora de España mit einer dreifachen Zielsetzung entstanden: die Ereignisse in Spanien zu analysieren, sie einer internationalen Leserschaft darzustellen und "de realizar en lo intelectual la revolución que se realiza en las otras zonas de la vida" (LIDE 56). Die Kommentierung der ersten vier Ausgaben von Hora de España, die von Januar 1937 an erschien, ermöglicht eine Datierung dieser Chronik um den Mai 1937 herum. Der Hinweis in der Originalausgabe von Los intelectuales en el drama de España, wonach der zweite Teil aus Artikeln bestehe, die im März 1937 in der argentinischen Zeitschrift Crítica publiziert wurden, kann sich demzufolge nicht auf diesen Essay beziehen.
3.4.4 "Carta al Doctor Marañón" María Zambranos offener Brief an den renommierten Mediziner und Essayisten Gregorio Marañón gehört zweifellos zu den militantesten Seiten von Los intelectuales en el drama de España. Er erschien undatiert in der Hispamerca-Edition von 1977 und wurde in die Anthropos-Ausgabe von 1986 nicht aufgenommen. Die Möglichkeit einer approximativen Datierung ergibt sich jedoch durch Maria Zambranos Bezug auf militärische Ereignisse im Kampf um Madrid. Aber auch ein über die 'Affäre Marañón' geführter öffentlicher Briefwechsel zwischen dem Dichter José Bergamín und der Herausgeberin der argentinischen Kulturzeitschrift Sur, Victoria Ocampo, weist auf den Zeitraum hin, in dem Maria Zambranos Streit mit Gregorio Marañón entstand. Am 1. Mai 1937 veröffentlichte El Mono Azul eine vom 23. April datierte Anklage José Bergamins "¡Hacia la Muerte!", die Victoria Ocampos Gastfreundschaft gegenüber dem Deserteur' als Komplizenschaft mit dem Feind denunzierte.87 Die Entscheidung Marañóns, ins Exil zu gehen, weckte aufgrund seines internationalen Renommees große Aufmerksamkeit und diente der antirepublikanischen Propaganda. Die Empörung, die seine Abkehr von einer republikanischen Position unter den linksgerichteten Intellektuellen auslöste, kommt auch in einem im Juli 1938 in El Mono 86
Die Rundfunkrede Gregorio Maranöns wurde in der bereits erwähnten Broschüre der Londoner Botschaft Intelectuals and the Spanish Military Rebelion veröffentlicht. 87 Dieser Briefwechsel wurde im Mai 1937 in Sur und einen Monat später in der chilenischen Kulturzeitschrift Atenea veröffentlicht. El Mono Azul veröffentlichte nicht die riposte Victoria Ocampos, in der sie unter anderem Bergamins sexistische Anspielungen als seiner unwürdig zurückwies.
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Azul veröffentlichten Brief des spanischen Botschafters in Mexiko zum Ausdruck. Dieser Brief von Felix Gordon Ordas besteht fast ausschließlich in einer Aneinanderreihung von Namen der von Franquisten ermordeteten Intellektuellen und läßt vermuten, daß Maraflón sein Exil mit der Hinrichtung profranquistischer Intellektueller begründete.88 Bereits im Oktober 1936 war der bekannte Essayist Ramiro de Maetzu, der die faschistische Zeitschrift Acción Española gründete, von den Republikanern erschossen worden. Pedro Lain Entralgo, der im August 1936 in die Falange eintrat, liefert in seinem Werk Gregorio Marañón - Vida, Obra y Persona, einen wohlwollenden Hinweis auf Marañóns Abkehr von früher vertretenen Standpunkten im Rahmen eines im Januar 1937 zu seinen Ehren stattfindenden Banketts des französischen Pen Clubs: El 'error' que confiesa Marañón es, a lo sumo, de omisión: no haber delcarado con prontitud y energía suficientes que algunos de quienes parecían hallarse cerca de él no eran amigos de verdadera libertad o la servían malamente,89 Von so geringem Ausmaß war Marañóns 'Irrtum' jedoch keineswegs gewesen. Er hatte schon vor der Begründung der II. Republik, als Präsident des Madrider 'Ateneo' und später im Rahmen der 'Agrupación al Servicio de la República', seine Gesinnung kundgetan. Er gehörte wie Ortega y Gasset zu jener Gruppe von Professoren, die im Gründungsmanifest der 'Agrupación' vom 9. Februar 1934, vor allem die junge Generation zur Mitarbeit beim Aufbau des zukünftigen Spaniens aufgerufen hatte.90 Am 30. Juli 1936 unterzeichnete er zusammen mit zwölf weiteren prominenten Intellektuellen einen Solidaritätsappell zugunsten der republikanischen Regierung. In dieser Deklaration, die als Propaganda in die oben erwähnte Broschüre der Londoner Botschaft, Intellectuals and the Spanish Military Rebellion, aufgenommen wurde, werden Regierung, Republik und Volk als Einheit und der Krieg als Freiheitskampf dargestellt. Der Widerspruch zu früheren Positionen, die Marañón vertreten hatte, wird deutlich durch einen Auszug seiner in die englische Broschüre eingegangenen Rundfunkrede vom 11. September 1936: 1 declared a short time ago in Brussels, that my pacifism is so deep and integral in me that I would maintain it even in the face of the unjust agression of those who wish for and begin war. I am convinced that the permanent peace of the future will be won, not by the heroes ofpeace, but by the martyrs of peace, men of noble hearts like those fighting now, but whose hands cannot be brought to hold a gun. But perhaps my appeal will not be useless if I appeal to the faith of those in Spain who will not shoulder a rifle, but who are not noble enough either to understand all that is fruitful in this transcen88
Gordón Ordas, F. "Réplica al Doctor Marañón". El Mono Azul 3. 46. Madrid (1938). Op. cit. S. 186. 89 Laín Entralgo, P. Gregorio Marañón. Vida, Obra y Persona. Madrid 1969. S. 61. 90 Vgl. Pérez-Ramos, B. Op. cit. S. 60 ff.
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dental moment, or to know that it is their duty not to desert: for Spain is here, and Spain is not a 'thing of the past' but 'all the past' and 'all thefuture'.91 Es scheint, daß er María Zambranos Zorn nicht allein deshalb auf sich zog, weil er Spanien kaum vier Monate nach dieser Rede den Rücken kehrte. Die Schriftstellerin weist selbst daraufhin, daß sie ihm seine Entscheidung hätte verzeihen können, wenn er nicht der franquistischen Propaganda nützliche Argumente geliefert hätte. Maria Zambranos "Carta al Doctor Marañón", die stilistisch und rhetorisch den offenen Brief des Herausgebers von Cruz y Raya an Victoria Ocampo übertrifft, beginnt wie ein traditioneller Abschiedsbrief: Me dirijo a usted, señor Marañón, no sé bien por qué, lo cual indica que son varios motivos; un último afán de comunicación con quien definitivamente se va donde ya no podremos jamás hablarle, una fijación de posiciones entre los que quedamos de este lado, en las trincheras del pueblo y ustedes, de quienes hemos esperado tanto y por diversos sucesos, entre ellos la muerte, el silencio o la deserción neutral, que quedan para siempre separados de las que van a ser nuestras tareas. (Lide 57 f.) Die Autorin spielt mit den angeführten Gründen des Abschieds, "la muerte, el silencio o la deserción neutral", auf den 'Abschied' dreier herausragender Vertreter der älteren Generation an: gemeint sind Unamuno, Ortega y Gasset und Marañón. Der erste war im Januar 1937 - in durchaus ambivalentem Verhältnis gegenüber den aufständischen Generälen - gestorben. Ortega hatte Spanien verlassen, und sein Schweigen verursachte mit Recht Beunruhigung: Im Dezember desselben Jahres veröffentlichte er in seiner neuesten Auflage von La rebelión de las masas einen "Epílogo para Ingleses", in dem er behauptete, die Kommunisten hätten die Intellektuellen zur Unterzeichung von Solidaritätserklärungen gezwungen.92 Marañón versuchte seinerseits, sich eine neue neutrale Identität zu schaffen. Maria Zambranos Entscheidung zu bleiben ist dagegen nicht allein eine politische, sondern eine ethische Entscheidung. Sie erinnert Marañón damit an seine ehemalige Haltung, derzufolge der Intellektuelle auch in der vom Krieg zerrissenen spanischen Heimat eine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen hat. Vor allem stellt sie in Frage, ob sich die Intelligenz von der Verantwortung für die Situation Spaniens freisprechen kann. Sie erinnert sich ferner ehemaliger Freunde und Kommilitonen, die, mit dem Faschismus sympathisierend, Haß säten und ihre Lehrämter an der Hochschule dazu nutzten, die zweifelnde 'Generación del 98' als antispanisch zu diskreditieren. Aber 9l
Intellectuals and the Spanish Military Rebellion. Op. cit. S. 16 "Ortega y Gasset, J. "Epílogo para Ingleses". La rebelión de las masas. Madrid 1964. S. 324. José Bergamín erinnerte den spanischen Denker in "Un caso concreto - Contestado a Don José Ortega y Gasset" daran, daß dieser selbst seinen Namen für die fragliche Solidaritätserklärung durch "su particular amiga y colaboradora" María Zambrano hatte übermitteln lassen. Vgl. Bergamín, J. Op. cit. S. 134-142. S. 138; und Pérez-Ramos, B. Op. cit. S. 69.
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war ihr Schwärmen für das faschistische Deutschland nicht eher Ausdruck ihres kulturellen Minderwertigkeitsgefühls, fragt sie und antwortet: Para mí, estos hechos y otros análogos me dicen de lo que está ocurriendo en España, más todavía que los soldados de Hitler y Mussolini, pues explican por qué están sobre mi patria y quien los ha traído a ella. (LIDE 62) Die Autorin hat die jüngste Kulturgeschichte anekdotisch umrissen und geht nun zur bitteren Abrechnung mit Marañón über. Sie fugt Einwände ihres Gegners in ihren Diskurs ein, um sie wenig später als absurde Heuchelei abzutun. Maria Zambrano ist weit davon entfernt zu behaupten, alle Grausamkeit eines Krieges werde nur von einer der kämpfenden Parteien hervorgebracht. Doch sie erwartet andererseits auch nicht von der Bevölkerung einer Stadt, die wie in Madrid in einem Belagerungszustand lebt, daß sie zimperlich mit ihren Feinden - oder auch nur mit Verdächtigen - umgehe: Lamenta usted las molestias de los asilados en las embajadas extranjeras y no ha alzado su voz para protestar ante lo que en el mundo quede de conciencia, por los criminales bombardeos de Madrid en el que usted ha hecho su vida, ese pueblo con el que usted ha convivido tantos años y que ahora es bombardeado desde el aire. Esos niños carbonizados, esas mujeres muertas mientras hacían cola en barrios pobres esperando la ración de arroz o de lentejas. ¿No le conmueve a usted, doctor Marañón? ¿No le hacen gritar al mundo sus protestas? (LIDE 63) María Zambrano greift hier ein Argument Marañóns auf, das sich offenbar auf den bewaffneten Übergriff der Republikaner auf die finnische Botschaft im November 1936 bezieht, wo etwa 1000 "Nationalisten' Zuflucht gesucht hatten. Diese Maßnahmen fanden zu einem Zeitpunkt des verbissenen Widerstandes der Madrider Bevölkerung gegen die die Stadt umlagernden faschistischen Truppen statt. Im November 1936 befahl auch Franco, diesen Widerstand durch Luftangriffe zu brechen, die jede Nacht das Leben mehrerer tausend Zivilisten kostete.93 Schon in ihrem ersten Pamphlet "La libertad del intelectual" hatte die Essayistin die moralische Haltung der Intelligenz an ihrer emotionalen und politischen Verbundenheit mit dem Volk gemessen. In der "Carta al Doctor Marañón" ist ihre Nähe zu marxistischen Positionen erneut festzustellen. Sie betont hier die Richtigkeit des Aufrufs zur Volksbewaffnung im kommunistischen Mundo Obrero vom Juli 1936. Ihre Anerkennung des Volkes als fuhrende Kraft im revolutionären Prozeß setzt die zwischen ihr und Marañón liegende Trennungslinie endgültig fest: Y eso es lo que nos separa, doctor Marañón; nosotros antes y sobre nada pertenecemos al pueblo español, y estamos unidos a su suerte y a su porvenir
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Vgl. Historical Dictionary of Spanish Civil War, 1936-1939. Op. cit. S. 313.
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incondicionalmente porque le amamos y este amor nos da esperanza en sus decisiones. (LIDE 62) In der "catástrofe" ermöglicht die Solidarisierung mit dem Volk die Überwindung des Stoizismus - eine Haltung, wie sie schreibt, die über Jahrhunderte die spanische Mentalität prägte. Die Lehre Senecas wird zum Ende des Bürgerkrieges eine große Anziehungskraft auf Maria Zambrano ausüben, aber zu Beginn des Jahres 1937 ist sie noch von der Hoffnung auf einen republikanischen Sieg erfüllt. Sie entwirft die zukünftige Gesellschaft Spaniens als eine brüderliche Gemeinschaft, in der "el trabajo no sea una humillación". Ihre optimistische Haltung begründet Maria Zambrano durch ihren Glauben an die Vernunft und an die Menschheit. Wer Werte der Vergangenheit zu erhalten wünsche, müsse bemüht sein, sie in eine neue demokratische Gesellschaft einzubringen. Selbst christliche Werte, ermahnt sie Marañón schließlich, seien angesichts der bedrohten Situation der Republik nicht so heilig, daß sie sich nicht übeiprüfen lassen müßten: Por eso, ante este crimen contra el porvenir del mundo y por el dolor infinito de mi pueblo he llegado a sentir algo nuevo en mi vida: el odio. Odio que no esconde la cara y busca rincones oscuros donde agazaparse, que busca rostros humanos, ojos que miren de frente, cabezas verticales, lo que haya de luminoso en el mundo, la inteligencia, Dios mismo, para gritar mi protesta irreconciliable: mi odio, mi fe. (LIDE 66) Das Auslassen der "Carta al Doctor Marañón" in der Anthropos-Ausgabe von Los intelectuales en el drama de España bewirkt mehr als eine Transfiguration der Autorin. Es kommt einer Apologie der Neutralität gleich - einer Haltung, von der selbst der Autor von La trahison des clercs, Julien Benda, sich im Sommer 1937 auf dem II. Internationalen Schriftstellerkongress distanzierte.94 Maria Zambranos Bezugnahme auf militärische Ereignisse im November 1936, aber auch ihr impliziter Hinweis auf den Tod Unamunos um die Jahreswende geben Anlaß zur Vermutung, daß ihre "Carta al Doctor Marañón" zu Beginn des Jahres 1937 entstand.
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Julien Bendas Eröffnungsrede auf dem II. Internationalen Schriftstellerkongress wurde in Horn de Espana vom August 1937 veröffentlicht. Vgl. auch Aznar Soler, M. und Schneider, L. M. Op. cit. Bd. 3. S. 21-23; und: Benda, Julien. "La démocratie et l'art". "Préface de Julien Benda à l'édition de 1946". La Trahison des Clercs. Paris 1975. S. 53.
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3.5 Essays in Hora de España 3.5.1 "EI Español y su tradición" Der erste Essay, den María Zambrano im April 1937 in Hora de España veröffentlicht, schließt sich ihren Aufsätzen über die Ideengeschichte Spaniens an. Er wurde wie diese während ihres Aufenthalts in Chile geschrieben. Sie wendet sich hierin gegen bisherige kulturphilosophische Versuche, die Besonderheit Spaniens zu begründen. Als "tradicionalistas" bezeichnet sie ihre Vorgänger und, mit Blick auf die Generación del 98, als "sedicientes revolucionarios". Was ihnen allen entgangen ist, so schreibt Maria Zambrano, ist die Rolle des Volkes als Subjekt und Träger von Geschichte und Kultur. Der älteren Denkergeneration wirft sie vor, sich selbst in ihrem übersteigerten Individualismus mit Spanien verwechselt zu haben. Man habe der spanischen Kultur den Vorwurf gemacht, keine philosophischen Gedankengebäude "a estilo germano" errichtet zu haben. Doch würden "castillos de abstracciones" dem Geist des Spaniers nicht entsprechen (In: LIDE 97). Der Meister Ortega y Gasset, der in seiner Kritik der spanischen Metaphysik eine Anleimung an die deutsche Systematik gesucht hatte, bleibt abermals unbenannt. In Abgrenzung gegenüber seinem Standpunkt entwickelt Maria Zambrano zum ersten Mal ihre Idee der spanischen Philosophie als ein Modell, das unsystematisch aufgebaut ist. Diesen Gedanken wird sie weiter ausfuhren, wenn sie 1939 im mexikanischen Exil in Pensamiento y Poesía en la Vida Española die dichterische Vernunft folgendermaßen definiert: Solamente en el terreno del pensamiento, la violencia y el orden no fueron aplicados; solamente en el saber renunciamos o no tuvimos nunca este ímpetu de construir grandes conjuntos sometidos a unidad. Podríamos decir que en cuanto al pensamiento fuimos anárquicos, si por anárquico se entiende simplemente lo que la palabra manifiesta: sin poder, sin sometimiento.95 Der Ton von María Zambranos Essay aus dem Frühjahr 1937 ist von Bitterkeit gegenber ehemaligen Leitfiguren, die sich wie ihr Lehrer Ortega y Gasset oder Marañón von der Republik abgewandt haben, geprägt. Sie sind gemeint, wenn die Autorin mit Verachtung von dem "hombre de quehaceres individuales (el intelectual)" spricht. Ihr Essay schließt mit der Hoffnung, daß ihr Land seine kulturellen Wurzeln in einer über Jahrhunderte vom Volk getragenen Tradition finden möge. In der aktuellen Stunde drücke sich diese tradierte Kultur in der "angustia de vivir" der Spanier aus, deren heroischer Widerstand gegen den Faschismus eine welterneuernde Vision der Menschheit in sich berge.
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Zambrano, M. Pensamiento y Poesía en la Vida Española. Op. cit. S. 30.
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3.5.2 "La reforma del entendimiento español" Nach ihrer Arbeit im Zusammenhang mit der Dokumentierung des II. Internationalen Schriftstellerkongresses für Hora de España im Spätsommer 1937 setzt Maria Zambrano in der September-Ausgabe ihre Überlegungen über den philosophischethischen Beitrag Spaniens zur Menschheitsgeschichte fort. Wie kann es sein, fragt sie, daß eine atheoretische Kultur, die aufgrund ihrer historischen Rückständigkeit Gegenstand europäischer Geringschätzung war, in der Krise des 20. Jahrhunderts eine fuhrende Rolle übernimmt? Aber wiederum gilt es hier nicht, die spanische Kultur als eine in sich geschlossene Einheit zu begreifen. Die Autorin unterscheidet zwischen der beschämenden Kultur von "ciertas clases sociales" und den "capacidades morales" des Volkes, das seinerseits von einem tiefen Humanismus geprägt ist: Resulta, pues, que nuestro ateoricismo no significaba un apartamiento del esencial destino de la cultura europea, a quien, a pesar suyo, estamos salvando - están salvando nuestros campesinos analfabetos. No parece ciertamente Europa merecer lo que por ella hace el pueblo español, y ni París ni Londres se merecen a Madrid; pero si no se lo merecen, lo necesitan. Lo necesitan todos, y algunos hasta se lo merecen, y aunque nadie lo mereciera, lo mereciera el Hombre desde el punto y hora en que algunos hombres lo hacen. (In: LIDE 103) María Zambrano hinterfragt die Diskrepanz von Kultur und Ethik. Sie verzichte bereitwillig auf die kulturellen Schätze Europas, auf die großen philosophischen Systeme, auf die technischen Fortschritte, so schreibt sie, zumal deren Überleben angesichts des voraussehbaren Weltkriegs, "la gran catástrofe que se avecina", nicht gesichert sei. Was es zu retten gelte, sei etwas Fundamentaleres, von dem das spanische Volk, wenn es ihm auch sonst an theoretischen Konzepten mangele, doch ein Verständnis habe: "la convivencia humana". Auf die Geschichte zurückblickend, bedauert Maria Zambrano, daß ihr Land der europäischen Aufklärung verschlossen blieb. Statt dessen seien zu den Dogmen einer mächtigen Kirche weitere hinzugekommen: die Dogmen 'Ehre', 'Liebe' und das 'spanische Wesen' selbst. Diese Dogmen führten zur Versteinerung des Lebens und der Kultur sowie zu einem mystifizierten, konfessionellen Charakter der Wissensaneignung: La Historia no se aprendía ni se llegaba a conocer; era objeto de mística participación, no necesitada de razonamientos. Y que esto sucediera con el pasado era íntima consecuencia de lo que sucedía con el porvenir. (In: LIDE 107) Wie auch bei Unamuno und Ortega, wird dem Dichter Cervantes bei Maria Zambrano die Rolle eines Philosophen zugeschrieben. Der Roman, so schreibt sie, habe sich besser als ein philosophisches Werk oder der katholische Glaube geeignet,
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um den "fracaso" der spanischen Geschichte zu erfassen. Anders als die Philosophie oder die Religion versuche der Roman nicht, das Scheitern zu überwinden, sondern entwerfe im einzig noch lebendigen kulturellen Raum die Idee menschlichen Willens. Cervantes sei dies in der Fiktion, im Wahn des herumirrenden Ritters gelungen. Don Quijote era la voluntad pura de Kant antes de que nadie pudiese pensarla, antes de que el mundo la necesitase y pudiese comprenderla, y es además... la convivencia pura, con Sancho (...) un tipo de relación humana que aún no se ha realizado. (In: LIDE 109) Über Jahrhunderte hinweg fanden spanische Intellektuelle in der Gattung des Romans die einzige Quelle undogmatischen Denkens. Doch es ist, meint Maria Zambrano, an der Zeit, aus der Fiktion auszubrechen und die Lehre des Don Quijote das Zusammenleben mit dem anderen nationalen Archetyp, mit Sancho - zu verwirklichen. Was die Spanier dazu bewege, in eiligen Schritten die europäische Kultur einzuholen oder sogar zu überholen, sei der Alptraum einer vergangenen Gesellschaftsordnung, die die Lebensverhältnisse des siebzehnten Jahrhunderts bis in das zwanzigste fortdauern ließ. Die Bitterkeit der militärischen Isolation und die sich anbahnende Niederlage der Republik veranlassen die Autorin, ihren Glauben an einen 'Sieg der Gerechten' im Mythos des Märtyrers zu verankern. Erneut rückt sie das spanische Volk in die Nähe der Christusgestalt, wenn sie in den folgenden Zeilen dem vergossenen Blut der Spanier die symbolische Bedeutung einer universellen Botschaft verleiht. Ihre Worte projizieren die Vision des heranrückenden Weltkrieges und erinnern im übertragenen Sinne zugleich an das symbolische Reichen des Weinkelches während des Abendmahls: La Reforma española era más profunda que la realizada por Descartes y Galileo, que la realizada por Europa; tenia que hacerse en la sangre y por la sangre, en la vida. Pero la sangre también puede hacerse universal. (In: LIDE 116) Zum letzten Mal empfindet man beim Lesen von Maria Zambranos "Essays für die Republik' dieses eigenwillige Aufbäumen gegen die Realität der faschistischen Übermacht. Sie verrät bereits ihr Wissen um die sich anbahnende Niederlage der Republik durch ihre Vorahnung des II. Weltkriegs. Der nächste Essay, in dem sie sich mit der moralischen Lage ihres Landes befaßen wird, wird, wie seine Überschrift schon ankündigt, von Resignation gekennzeichnet sein. Mit dem Stoizismus, der, wie wir sehen werden, keine für das spanische Volk, wohl aber eine für die Autorin annehmbare Haltung bietet, kehrt Ruhe in das Herz und das Denken der jungen Philosophin ein.
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3.5.3 MUn camino español: Séneca o la resignación" Der Stoizismus ist das einzige der hier behandelten Themen, mit dem Maria Zambrano sich über das Jahr 1939 hinaus befassen wird. Im Exil gibt sie 1944 eine mit einer langen Einleitung versehene Anthologie von Senecas Episteln heraus.96 Dem im Mai 1938 in Hora de España erschienenen Essay geht ein Zitat des Stoikers voraus, das die moralische Verfassung der Autorin und der Republik ankündigt: "Si quieres suprimir el temor, suprime la esperanza." Dieser Senecas Briefen an Lucilius entnommene Leitsatz fuhrt einen Diskurs ein über die philosophisch-ethische Haltung der Intellektuellen angesichts der nahenden Niederlage. Das Wort "derrota" fällt nicht, aber die Thematisierung der Resignation im Mai 1938 reflektiert die Stimmungslage der Republik. Die Blockade Spaniens durch das Nichtinterventionsabkommen hatte die Volksfront in eine sehr prekäre Lage gegenüber der militärisch überlegenen und besser ausgerüsteten Falange gebracht. Seneca wird als andalusischer Denker vorgestellt, als weise Ahnenfigur. Seine Anziehungskraft resultiere aus dem Gegensatz, den er gegenüber quijoteskem "fracaso" versinnbildliche. In der historischen Betrachtung der Autorin gewinnen Figuren wie die Senecas den Rang von "protagonistas", da es ihnen gelungen sei, aus der Widersprüchlichkeit des spanischen Wesens, aus der "enmarañada caverna de las contradicciones íntimas más terribles" zu entkommen. Vor dem Hintergrund sinkender Hoffnung erhalten für Maria Zambrano die Worte des Stoikers den Charakter "de consolatione philosophiae". Das Leben ist für sie zum Senecaischen 'Kriegsdienst', zum gleichmütigen Erdulden von Mühen und Leiden geworden. Im Sinne von Senecas Freiheitsbegriff wird der Mensch aber nicht wider seinen Willen vom Schicksal fortgerissen, sondern läßt sich freiwillig von ihm fuhren. Zum wiederholten Male bildet die Opposition zwischen Individuum und Gesellschaft den Rahmen für Maria Zambranos Erörterungen. Den historischen Kontext stellt nun aber eine vor der Übermacht der Reaktion in die Knie sinkende Republik. Die Intellektuelle hat resigniert und sieht bewußt dem tragischen Ausgang dieses Kampfes entgegen. Doch kann ein ganzes Volk den Weg der Resignation antreten, fragt sie. Und wenn nicht, darf es dann die Intelligenz? Pues entonces, si no queremos separamos de él, si no estamos dispuestos a desligar nuestro destino individual del destino común del pueblo español, lleva necesariamente a preguntarse: ¿puede el pueblo, el pueblo español, seguir el camino de Séneca? (...) Pero la lealdad con uno mismo llevaría a formular esta otra: ¿ puede un español ser como Séneca? Es decir, ¿puede un español sin traicionarse resignarse? (In: LIDE 121)
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Zarabrano, M. El pensamiento vivo de Séneca. (Presentatción y antología). Madrid: Cátedra, 1987.
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Die spanische Mentalität, deutet die Autorin an, kann Seneca nicht allein repräsentieren. Die "crisis de la objetividad" schafft einen Widerspruch zwischen dem 'stoischen Individuum' und der 'christlichen Person', die sich ihrerseits innerhalb einer Gemeinschaft definiert. Bisweilen rückt Seneca, der als Kosmopolit ohne heimatliche Bezüge geschildert wird, in die Nähe einer distanzierten, intellektuellen Figur. Senecas ethische Anschauung veranlaßt wiederum die Autorin, eine Analogie zwischen seinem Widerstand gegen Nero und dem Kampf der spanischen Republik gegen die Invasionstruppen Mussolinis zu sehen. Sie verwendet schließlich diese Symbolik der Auflehnung, um die Botschaft des Stoikers als Aufruf zum Widerstand zu interpretieren: El que se destacara con esa aureola sobre el fondo de la vida de Roma, nos llena de sereno orgullo y nos invita en el instante presente a no resignarnos a ser aplastados por todo eso que él hubiera detestado; lo que en la Roma que él esclareciera había de bárbaro, totalizado y puesto hoy en pie. (In: LIDE 125) María Zambrano übernimmt, wie in einem ihrer ersten Aufsätze "La inteligencia y la revolución", die Rolle des "guía", der den Intellektuellen aus der Verzweiflung herausfuhrt. Durch ihre eigene Neigung zur Resignation stellt dieser Essay jedoch mehr als alle anderen die inneren Konflikte der Autorin dar. Der Stoizismus, demzufolge das Wohlbefinden des Menschen auf seiner Einstellung zu der Realität und nicht auf der Beschaffenheit der Realität selbst beruht, ermöglicht durch seine subjektive Interpretation der Welt eine individuelle Lösung. Diese bietet sich um so mehr dem Intellektuellen an, als die Hoffnung aufgrund der voraussehbaren Niederlage der Republik in die Bahnen des Irrationalen gerät. Als eine "forma noble de ser reaccionario" beschreibt María Zambrano die mangelnde Fähigkeit zur Vision, zur Hoffnung und zum Glauben, die einst den Stoiker von der neu entstehenden Gemeinschaft der Christen, "pobre secta de esclavos y de locos", trennte. Die Beantwortung ihrer Ausgangsfrage fuhrt zunächst zu einer Trennung zwischen der 'Tragödie' als Bühne der Menschheitsgeschichte und der "Philosophie' als Raum des einzelnen. Ausgehend von dieser Differenzierung folgert sie, daß die stoische Ethik nicht Weltanschauung einer Gemeinschaft sein könne: Un pueblo no puede resignarse porque no puede detenerse, porque no puede aniquilarse a sí mismo (...) La tragedia es el desgarramiento que produce la esperanza cuando va a convertirse en realidad y quien la encarna no puede abandonar, no puede dejar sin continuación al pasado y sin asidero al futuro (...) En la tragedia no se está solo como en la filosofía; se es padre y se es hijo, se es también hermano y nada de eso admite abandono. (In: LIDE 127 f) Die evozierte Brüderlichkeit veranlaßt die Autorin im Mai 1938 zu schreiben, daß die Resignation für "un español de hoy" keine Lösung bietet. Aber ihre Faszination für
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Seneca und ihre argumentative Trennung zwischen der Tragödie und der Philosophie hinterlassen Zweifel an der Tiefe ihrer Überzeugung. In ihren letzten Zeilen überlagern sich zwei in ihrer Sicht antagonistische Formen der Resignation, nämlich die stoische und die christliche: Por (...) esta fraternidad con los hombres todos, un español de hoy no puede elegir el camino de la resignación, porque al hacerlo deja vacía la escena donde se juega la tragedia del destino humano. Algo así como si Cristo se hubiera escapado de la cruz, donde murió sin resignarse. (In: LIDE 128) Trotz der scheinbaren Nähe zwischen den beiden 'Resignationsformen' meint die Autorin zwei unterschiedliche ethische Haltungen. Im Gegensatz zum Stoizismus strebt die christliche Anschauung eine ethische Welterneuerung an. Die Stoa wirkt aber vor dem Hintergrund schwindender Hoffnung - welche die christliche Lehre nicht entbehren kann. Ihre wiederholte Erklärung, daß die Resignation keinen Ausweg biete, läßt jedoch durchblicken, daß der Stoizismus zumindest eine individuelle Lösung sein kann. In Erinnerung an diese persönliche Erfahrung schreibt María Zambrano 1944 in ihrer Anthologie von Senecas Episteln: No pudo ser un mártir; fue siempre un intelectual y nada más. Un intelectual para quien la gloria es imposible. Fiel a una razón sin trascendencia, una razón natural.91 Vermutlich hat María Zambranos Widerstand im Exil, der die Form eines passiven, aber unbeugsamen Ausharrens annimmt, schon in ihrer ersten Auseinandersetzung mit Seneca seinen Ursprung. Die Lehre des Stoizismus, in der Hoffnungslosigkeit Widerstand zu leisten, beschreibt Maria Zambrano 1944 durch folgende Worte: Dulcifica la razón, ablanda la justicia, y transforma la moral en un estilo de vida. La virtud suprema es la elegancia, puede decirse; guardar la línea, lo que un español madrileño de hoy llama 'guardar el tipo'.9*
3.5.4 "Testimonio para Esprit" Im Juni 1938 erscheint in Hora de España ein an die Pariser Zeitschrift Esprit gerichtetes Bekenntnis von Maria Zambrano. Dieser offene Brief bezieht sich auf eine Auseinandersetzung zwischen José María de Semprún y Gurrea und dem Chefredakteur dieser Zeitschrift, Emmanuel Mounier, im Mai desselben Jahres." Maria Zambranos Eingreifen in diese Debatte über 'Nichtintervention' und Pazifismus sowie ihre Kritik an einem der fuhrenden französischen Vertreter des "Ibid., S. 48. 9 *Ibid., S. 46. "Vgl. Esprit, Revue Internationale 68. Paris (1938): 235-251.
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christlichen Existentialismus sind um so interessanter, als sie selbst dieser Bewegung nahesteht. In einer ihrer Chroniken, "El intelectual en la guerra de España - Octubre 1934 - Julio 1936", finden wir einen Hinweis darauf, daß sie bereits 1934 die politischethischen Auseinandersetzungen in Esprit verfolgte.100 Auch die Protagonistin ihres autobiographischen Romans, Delirio y Destino, ist von dem Werk Charles Péguys, der Christentum und Existentialismus in seinem Denken verband, zutiefst bewegt. Aber im Juni 1938 stellen für Maria Zambrano die Lebensbedingungen im antifaschistischen Kampf die moralische Bemessungsgrundlage dar, und so ist sie nicht bereit, Emmanuel Mouniers Empfehlung zum Rückzug in das 'innere Selbst' anzunehmen. Aus der Sicht Mouniers geht es in dieser Auseinandersetzung um die Verletzung der Ethik, für die jeder, der sich zum Kampf und Krieg entscheidet, Verantwortung trägt. Aus der Perspektive des spanischen Korrespondenten Semprún, der zugleich Botschafter der Spanischen Republik in Den Haag ist, grenzt Mouniers Standpunkt an politische Neutralität. Maria Zambrano ergreift die Position ihres Landsmannes, um die Frage der Bildung des persönlichen Willens aus dem Kontext der Verteidigung der Republik heraus zu beantworten. "Usando una vez más de un término cristiano para mayor claridad"101 rechtfertigt María Zambrano die militante Haltung der Republik. Die religiöse Überzeugung, mit der sie sich gegen Mouniers Personalismus wendet, beruht auf der 'revolutionären' Botschaft des Urchristentums. Die Autorin stellt Mounier aufgrund seiner Vorstellung eines "acto de pura decisión" in die idealistische Tradition Kants. Seine Weltfremdheit hindere ihn, den Widerstandskampf des spanischen Volkes gegen den internationalen Faschismus nachzuvollziehen. Mounier stellt die Entscheidung zum bewaffneten Kampf als eine Sphinx am Scheideweg dar, die "sí, no, o la muerte" verlangt. Diese Analogie aufgreifend, kontert Maria Zambrano: (...) no era una Esfinge de indescifrables mensajes, sino un clarísimo deslumbrador rostro que nos pedía "si o no, como Cristo nos enseña"(...) Nada menos enigmático. Y lo que en realidad tuvo lugar no fue un acto moral, sino un acto de fe. Por un acto de fe en su destino humano, por un acto de fe en la dignidad y en la libertad ultrajadas, el pueblo español se lanzó a la muerte sin medir las fuerzas, sin calcular. Por un acto de fe irresistible. (In: LIDE 70) Mounier, der sich als Kritiker der "Nichtintervention' versteht, sieht eine mögliche Lösung des Spanienkonflikts in einem durch 'Europa' kontrollierten Waffenstillstand und in freien Wahlen. Zum Schluß seines offenen Briefes an Semprün grenzt er unter verschiedenen revolutionären Strömungen die der Marxisten aus. Maria Zambrano 100
Die von José Bergamín geleitete Zeitschrift Cruz y Raya veröffentlichte Auszüge des Manifestes der gleichnamigen Bewegung 'Esprit'. Vgl. Bergamín, J. "Sí o no, como Cristo nos enseña".Cruz y Raya 11. Madrid (1934): 93-101. In "Testimonio para Esprit" greift Maria Zambrano die Überschrift von José Bergamíns Artikel wieder auf. ""Zambrano, M. "Testimonio para Esprit". Los intelectuales en el drama de España. Op. Cit. S. 72.
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geht auf seine implizite Kritik des 'Frente Popular' nicht ein. Republikanern wie Semprún und Maria Zambrano bereitete die Isolation ihres Landes in diesem Krieg internationalen Charakters zu diesem Zeitpunkt offenbar zu große Sorge, als daß sie eine Vertiefung der eigenen Gegensätze zulassen wollten. Maria Zambrano wirft Mounier falsch verstandenes Christentum vor. Sie betont, daß die christliche Lehre "la vida en la fe y la esperanza" bejaht und dem spanischen Volk das Recht zum aktiven Widerstand gibt. Ein letztes Mal ruft sie ihrem Kontrahenten in Erinnerung, unter welchen konkreten Lebensbedingungen sich Tag für Tag der 'Glaube' der Republik erneuere: Mientras escribía estas líneas han sonado las sirenas de alarma - no es afán melodramático el consignarlo, porque todo español, de 'este lado' las oye mientras trabaja, mientras descansa, mientras respira -, sirenas bajo un cielo poblado de muerte, sobre una ciudad desolada; alarma con que un pueblo en soledad llama a las conciencias dormidas del mundo. (In: LIDE 73) Auf die Entfremdung, die Mounier zwischen Anhängern des Personalismus und Befürwortern des bewaffneten Widerstands feststellt, antwortet sie durch das Konstatieren der moralischen Not der sogenannten "potencias democráticas".
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4.1 'Europa' entgegen Zwischen Januar und Februar 1939 überquerten anderthalb Millionen Menschen die spanischen Pyrenäen. Sie flohen nach Frankreich, in die Arme 'Europas'. Mit diesem Namen verband sich für sie seit der Jahrhundertwende die Idee eines modernen Staates, die Säkularisierung von Bildung, die Reform einer feudalistischen Bodenwirtschaft - Demokratie im weitesten Sinne. Die II. Spanische Republik war seit ihrer Gründung im Jahre 1931 in Gefahr. Der ersten Regierung von Republikanern und Sozialisten folgte ab 1934 der "bienio negro', zwei Jahre, in denen die konservativen Parteien die Zerstrittenheit der 'Linken' ausnutzten. Diese bittere Lektion, vor allem die Niederschlagung der asturischen Rebellion im Oktober 1934, führte zum Bündnis der republikanischen Linken - der Republikanischen Union, der Sozialisten und Kommunisten - unter der Führung Azafias. 1936 errang der Frente Populär den Wahlsieg. Die Revolution, die Aufhebung der bisherigen Besitzverhältnisse auf dem Land und in den großen Industriezentren, stand bevor. So vereinigten sich konservative Generäle mit der spanischen Aristokratie und griffen mit Unterstützung deutscher und italienischer Truppenverbände die junge Republik an. Die Spanische Republik erhielt sporadische Hilfe von Mexiko, den USA und von Frankreich. Die erhoffte langfristige militärische Unterstützung aus England und Frankreich blieb jedoch aus. So wurde die Sowjetunion zum Hauptverbündeten der Republik zwischen 1936 und 1938. Die Politik der "Nichtinterventiori ließ diesen im Vorfeld des II. Weltkriegs stattfindenden internationalen Konflikt als einen spanischen 'Kainskrieg' erscheinen. Schon am 27. Februar 1939 erkannten Frankreich und England die Regierung General Francos an. Die Spanische Republik verstand ihren Kampf als Widerstand gegen die Faschisierung Europas und war selbst zur Hoffnung und zum Ideal derjenigen geworden, die sich auf ihrer Seite in die Internationalen Brigaden einreihten: Spanien kämpfte für Europa - vergebens. Die französische Grenze zu Spanien war geschlossen worden, um die illegale Ausfuhr militärischer Hilfsgüter zu verhindern. Und sie blieb zu, als im Frühjahr 1939 die besiegten Republikaner vor Francos Falange, den Angriffen der deutschen Luftwaffe und der italienischen Artillerie die Flucht ergriffen. Der dantesken Schar von halb wahnsinnig gewordenen Menschen - Kinder, Greise, Verwundete, Soldaten, Brigadisten, und auch unter letzteren Frauen -, die in jenen Tagen an den Pyrenäenpässen die Tore zu Europa einzudrücken drohte, wurde nur
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sehr zögernd und widerwillig Einlaß gewährt: Saint-Cyprien, Argeles, das Frauenstraflager Rieucros, das Straflager für Männer Collioure, das Sonderlager für Anarchisten und Kommunisten Gurs, sind nur einige wenige Namen der Orte, an denen die unwillkommenen Flüchtlinge aus Spanien hinter Stacheldrahtzäunen verschwanden.102 Maria Zambrano, die wie die große Mehrheit der Intellektuellen Spaniens ins Exil ging, passierte am 28. Januar die spanisch-französische Grenze. Sie war im Besitz eines Diplomatenpasses und entkam dadurch der Intemierung in einem Flüchtlingslager. Aber die Verachtung, die die asylsuchenden Spanier traf, blieb auch ihr nicht erspart. In ihrem Roman Delirio y Destino erinnert sie sich bitter jener Empfindung eines gegen sie gerichteten Vorwurfs während ihres ersten Exils in Frankreich: "Vencidos que no han muerto, que no han tenido la discreción de morirse, supervivientes." (DyD 238).
4.2 Von dem 'Mangel intellektueller Gewalt' Die verschiedenen Inspirationen, die sich im Werk von Maria Zambrano erkennen lassen, sind so vielfaltig, daß sie als Eklektikerin bezeichnet werden könnte. Sie selbst jedoch hat diese 'Unsystematik' zum philosophischen Modell erhoben, indem sie die spanische Philosophie als "pensamiento no absoluto, no unitario" und als "pensamiento anárquico" definierte.103 So ergibt sich vielleicht doch, trotz der zahlreichen heterogenen philosophischen Elemente, die sich in ihren Essays spiegeln, eine - wenn auch undogmatische - Linie. In ihrem Frühwerk, in der Periode des Spanienkrieges, verbindet sie marxistische Ansätze mit einer christlichen Symbolik. Ihren Entwurf einer republikanischen Gesellschaft nennt sie Kommunismus und malt ihn mit biblischen Begriffen aus. Ihr Zukunftsbild entspricht einer urchristentlichen Vorstellung. Sie selbst überwindet den bürgerlichen Standpunkt, nach welchem sie 1930 in Horizonte del Liberalismo die Gesellschaft in einer geistigen Führungselite und einer Masse einteilte, durch die Versöhnungsbotschaft des Evangeliums. Ihre Kritik des Idealismus und des Individualismus stimmt mit Positionen marxistischer Kritik der bürgerlichen Gesellschaft überein. Darüber hinaus zeigen sich Ansätze marxistischen Denkens in ihrer Verbindung von Bewußtsein und '"^Federica Montseny, anarchistische Ministerin der Volksfrontregierung, veröffentlichte Zeugenberichte über die französische Konzentrationslager und über die Beteiligung spanischer Flüchtlinge an der französischen Résistance: El Exodo, pasión y muerte de españoles en el exilio. Toulouse 1969. Auch Gret Arnoldsen, jüdischer Flüchtling aus Wien, hat seine Erinnerungen an die Flüchtlingslager Südfrankreichs herausgebracht: Silence, on tue. Grenoble 1981. Das 1989 in Aix-en Provence erschienene Buch von André Fontaine, Le camps d'étrangers des Milles 1939-1943, stellt die erste Einzelstudie über die südfranzösischen Internierungslager dar. 103Pensamiento y poesia en la vida española. Op. cit. S. 29 f.
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Klassenzugehörigkeit, in ihrem Verständnis des historischen Prozesses der Revolution und des Krieges als Klassenantagonismus sowie in ihrer Anerkennung der Führungsrolle des Volkes im demokratischen Wandel. Dir Bild des 'neuen Menschen' ist der ärmsten Klasse entlehnt und mit der ethischen Wertschätzung der Arbeit verbunden. Trotz der Benennung ökonomischer Faktoren steht jedoch wiederum ihr Versuch einer ideengeschichtlichen Rekonstruktion des Konflikts im Vordergrund. Der 'Intellektuelle und der Faschismus' und der 'Intellektuelle und die Revolution' sind die stets wiederkehrenden Themen ihrer Essays, womit die Autorin die zentrale Frage der Ethik, das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt. Sie wirft zwar diese Frage im Zusammenhang mit der Klassenzugehörigkeit auf, indem sie den spanischen Intellektuellen dem gebildeten Kleinbürgertum zuordnet, wendet sich aber beim Schreiben an den einzelnen. Sie ist sich der Neigung des Intellektuellen zum Individualismus und seiner historisch begründeten Motivation zum Rückzug aus den Kämpfen zwischen Volk und Reaktion bewußt. Wenn sich in Maria Zambranos Argumentation diverse philosophische Tendenzen kreuzen, so hebt sich aus dem, was oberflächlich betrachtet als Konglomerat erscheint, eine stringente ethische Linie hervor. Es ist die Ethik einer spanischen Revolutionärin, die sich von einer idealistischen 'absoluten Freiheit des Willens' abgrenzt und sich auf die dialektische Bestimmung des menschlichen Bewußtseins beruft. Sie legitimiert das gesellschaftliche Bewußtsein, die Militanz der Republik, aus der militärischen Bedrohung, aus dem gesellschaftlichen Sein heraus. Ihre Ethik basiert auf einer Kongruenz von historischer Notwendigkeit und moralischem Sollen. Ihre moralische Wertung vollzieht sich auf der Grundlage des individuellen Verhaltens gegenüber den kollektiven Aufgaben und Zielen des antifaschistischen Kampfes und der Revolution. Unübersehbar ist zugleich Maria Zambranos Tendenz zum Irrationalismus, die sich im Exil ausprägt. Zwischen 1936 und 1939 erklärt sich ihre Neigung zum Irrationalismus aus den überwältigenden Ereignissen, die sie durchlebt - ja, man könnte sagen aus der 'Prüfung', die der spanischen Republik unter den kühlen Blicken von Politikern der "potencias democráticas", wie sie Frankreich und England nennt, auferlegt wurde. Die Überzeugung, daß der Krieg ein Kampf gegen den internationalen Faschismus ist, und die Vorahnung des nahenden II. Weltkriegs treiben die isolierte Republik in die Verzweiflung. Woher die Kraft nehmen, wenn kein konkreter Grund zur Hoffnung besteht? Maria Zambrano zieht sie aus dem christlichen Glauben, wo Nächstenliebe und Barmherzigkeit den politischen 'Sinn und Zweck' überflüssig machen, ohne diese zu leugnen, und in den letzten Stunden des Kampfes im Unglauben, im Stoizismus, der die Niederlage vorwegnimmt, ohne die Ethik zu verwerfen.
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Die existentielle Bedrohung, die Maria Zambrano in den Jahren des Krieges erfahrt, verleiht ihren 'Essays für die Republik1 den Ton eines an die Welt gerichteten tragischen Monologs. Ihr literarischer Diskurs verläuft auf zwei Ebenen: einer emphatischen, deklamatorischen Ebene, der wir im polemischen Stil von "La libertad del intelectual" und ihren Briefen an Marañón und an Esprit begegnen; und einer reflektierenden, meditativen Ebene, die sich von "La inteligencia y la revolución" bis zu "Un camino español: Séneca o la resignación" durchzieht. Diese beiden parallel zueinander verlaufenden Ebenen spiegeln sich im inneren Prozeß der Autorin wider, der sowohl von einer ideologischen Neuorientierung als auch von einer Verteidigung errungener Positionen bestimmt ist. Ihr Plädoyer ist einerseits ermutigend und trostbringend, andererseits aggressiv und anklagend. Erst der Stimmungswandel, der sich mit dem Nähern der militärischen Niederlage vollzieht, fuhrt diese beiden rhetorischen lignes de combat zusammen. Unter der Last der Desillusion fuhrt Maria Zambrano selbst ihre Attacken, wie in "Testimonio para Esprit", aus einer abgeklärten Position heraus. Im Untergang ist sie sich der moralischen Überlegenheit der Republik gewiß. Das Drama, das sie durch ihre literarische Rede inzseniert, ist die Tragödie der II. Spanischen Republik, die sie zunehmend als ihre eigene verinnerlicht. In derselben Weise wie sich ihr Adressat von "el intelectual" zu "un español" wandelt, schwindet im Selbstverständnis der Autorin das Bewußtsein des Klassenunterschieds. Die Opposition, die sie zu Beginn als eine zwischen Intelligenz und Volk bestehende hervorhob, wird in "Un camino español: Séneca o la resignación" als Dialektik zwischen Individuum und Gesellschaft definiert. Diejenigen, die das Leid des Krieges auf sich genommen haben und zu den Besiegten gehören werden, erscheinen hier, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, als authentische Repräsentanten ihres Landes. Maria Zambrano, die selbst jeder Versuchung des individuellen Rückzugs widerstanden hat, ist zur Protagonistin der Tragödie geworden. Und während sie ihre letzten Worte spricht, erlischt auf der Bühne das Licht der Hoffnung - und der Vorhang fällt auf eine Heldin, die besiegt wurde, ohne sich zu ergeben.
4.3 Der Fluch der Intellektuellen In "Después de entonces", dem Vorwort zur zweiten Ausgabe von Los intelectuales en el drama de España, schreibt María Zambrano 1977: Y así el llamado intelectual (...) no viene a ser otra cosa que aquel que da su palabra, el que dice y da nombre o figura a lo visto y sentido, a lo padecido y callado, el que rompe la mudez del mundo compareciendo por el solo hecho de haber nombrado las cosas por su nombre, con el riesgo tan cruel de no acertar con la palabra justa y el tono exacto en el momento exigido por la historia. (LIDE 19) Als sie diese Worte niederschreibt, sind seit der Entstehung von Los intelectuales en el drama de España vierzig Jahre vergangen. Aber die Essays Maria Zambranos
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stehen unverändert in einer Kontroverse mit Schriften wie Los intelectuales y la tragedia española, die der reaktionäre Mediziner Enrique Suflers 1937 in Burgos herausbrachte. In seinem anklagenden Werk beschuldigt er die Intellektuellen, die revolutionäre Situation Spaniens heraufbeschworen zu haben. Er wirft ihnen Demagogie und Opportunismus vor und spricht ihnen jegliche echte Anteilnahme an der Not des Volkes ab. Constancio Eguía Ruiz folgte im gleichen Ton mit einem 1938 in Buenos Aires veröffentlichten Buch namens Los causantes de la Tragedia Hispana. Un gran crimen de los intelectuales Españoles. In den fünfziger Jahren griff Vicente Marrero mit seinem Werk La guerra española y el trust de cerebros diese Anklage erneut auf. María Zambranos 'Essays für die Republik' stellen nicht nur eine Verteidigung der Intellektuellen dar. Es geht ihr darüber hinaus um das Verständnis der soziokulturellen Barrieren zwischen 'Intelligenz' und 'Volk' sowie um die Klärung der politischen Aufgabe der Intellektuellen in der revolutionären Situation. Dabei erhebt sie keinen Führungsanspruch für die minoritäre Gruppe, zu der sie gehört. Durch die bewußte Auseinandersetzung mit den klassenspezifischen Interessen des gebildeten Kleinbürgertums unterscheidet sich Maria Zambranos Position nicht allein vom Standpunkt rechtskonservativer Kritiker. Es existiert auch eine sich als 'links' begreifende Kritik der spanischen Intellektuellen, die ihnen Opportunismus vorwirft. Diese Verurteilung der Intelligenz resultiert aus einer mangelnden Wertschätzung der trotz divergierender politischer Standpunkte erzielten Einheit, wie sie in der 'Alianza' existierte. Zugleich aber zeugt diese Einschätzung von einer überhöhten Erwartung an diese Minderheit bürgerlicher Herkunft und gerät dadurch ungewollt in die Nähe einer elitären Argumentation, die den Intellektuellen eine 'ungenügende Führungsrolle' vorwirft. Unter den Intellektuellen Spaniens brach ab 1931 ein politischer Dissens über das Bündnis mit der revolutionären Volksbewegung aus. Abgesehen von einer unbedeutenden faschistischen Gruppierung um Ernesto Giménez Caballero und Ramiro Ledesma Ramos entstand - vorwiegend zwischen der ins Parlament einziehenden Generación del 98 und den streikerprobten Madrider Studenten - ein Streit um die Verwirklichung der Republik. Liberale wie Miguel de Unamuno und José Ortega y Gasset, die in ihrer Jugend Anhänger des utopischen Sozialismus gewesen waren, sahen sich einer jüngeren Gruppe von Intellektuellen gegenber, die ungeduldig konkrete Maßnahmen zur Lösung der sozialen Misere verlangten und mit dem Marxismus sympathisierten. Der Dissens zwischen Professoren und Studenten spiegelt sich in den gegensätzlichen Standpunkten wider, die in Ortegas La rebelión de las masas und Maria Zambranos 'Essays für die Republik' nachzulesen sind. Wie ein bedeutender Teil ihrer Generation verstand Maria Zambrano die Aufgabe der Intellektuellen als eine Aufgabe "al servicio de la causa popular". Die 'Generación de la República' sah das Volk als Schöpfer der Kultur an. In Maria Zambranos 1977
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veröffentlichter Hommage "Acerca de la Generación del 27" klingt diese Ansicht noch an: ¿Es que es una sola la generación del 27? Creo en virtud de lo tan rápidamente apuntado que el 27 marca algo así como la cumbre afilada de un momento histórico, un despertar y un ponerse en marcha no sólo en la poesía misma ... ¿en España solamente? ... en sus hacedores, sino en el modo de recibirla los necesitados de ella, poetas a su modo. Y esto último, sí, bien lo supieron los poetas que por virtud de varias causas aparecen como protagonistas de la generación del 27.104 Eine demokratische Weltanschauung verband eine bedeutende Anzahl von Dichtern und Künstlern mit einer breiten Volksbewegung. Aber in Maria Zambranos Augen ist das Zusammentreffen von Literaten und Volk nicht allein ein politisches Ereignis gewesen. Die Menschen, die durch soziale Unruhe den Wechsel von der Diktatur zur Republik unabwendbar machten, waren - wie sie schreibt - selbst Poeten auf ihre Weise, entwarfen eine Phantasie, kreierten eine neue Welt. Der Revolutionär war Poet und machte den Poeten zum Revolutionär. Vor dem Hintergrund, daß ein bedeutender Teil der spanischen Intellektuellen entsprechend seiner sozialen Stellung nach Südamerika auswandern und sich vor weiterer faschistischer Verfolgung innerhalb Europas retten konnte, sollte nicht vergessen werden, daß die Opfer der Franco-Diktatur vor allem unter den Land- und Industriearbeitern Spaniens zu suchen sind. Es bleibt unbenommen, daß die II. Spanische Republik ihr Werk war und sie der Diktatur Primo de Riveras und Francos den bedeutendsten Widerstand boten. Wenn wir aber, wie Maria Zambrano, von den existierenden soziokulturellen Barrieren zwischen 'Intelligenz' und 'Volk' ausgehen, so gewinnt der Versuch vorwiegend jüngerer Künstler und Schriftsteller, diese zu überwinden, um gemeinsam mit dem Volk ein demokratisches Ziel zu verwirklichen, einen vom historischen Erfolg unabhängigen Wert. Selbst dann, wenn ihnen vorgeworfen werden kann, nicht "la palabra justa", nicht "el tono exacto" getroffen zu haben.
4.4 Abschied der Republikanerin Maria Zambrano leitete während der letzten Monate der Spanischen Republik die Redaktion von Hora de España und blieb in Spanien bis zum Exodus im Frühjahr 1939. Nach "Testimonio para Esprit" veröffentlichte sie im August 1938 in Hora de España ein Porträt der Kulturzeitschrift Madrid sowie eine Besprechung von Galdós' Roman Misericordia in der September-Ausgabe. Für die letzte Nummer von Hora de España, die, mit Datum vom November 1938, nicht mehr erscheinen sollte, schrieb sie einen Aufsatz über die Dichtung Pablo Nerudas und einen weiteren über "Las
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"Acerca de la Generación del 27". Op. cit. S. 26.
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ediciones del ejército del Este".105 Ihr letzter kulturphilosophischer Beitrag für Hora de España bleibt demnach "Un camino español: Séneca o la resignación". Als hätte sie die Philosophie des Stoikers adoptiert, harrt sie in den Kriegswirren aus, verfaßt jedoch weder gesellschaftspolitische Analysen wie zu Beginn des Krieges, noch bemüht sie sich, die kulturellen Bahnen eines zukünftigen Spaniens zu entwerfen. Es ist möglich, daß weitere, bisher noch unbekannte Beiträge von Maria Zambrano zu den 'Essays für die Republik' hinzugezählt werden müßten.106 Bekannt ist, daß sie in den Jahren des Krieges für die wissenschaftliche Zeitschrift Madrid, deren Leitung sie für die letzte Ausgabe im Mai 1938 übernahm, unsignierte Artikel verfaßte. Darüber hinaus berichtet Rafael Osuma in seiner wertvollen Arbeit über die Zeitschriften der II. Republik, daß Maria Zambrano zusammen mit dem Philosophieprofessor Joaquín Xirau und weiteren herausragenden Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Leitungsmitglied der Unión Iberoamericana' war, die die Revista de las Españas herausgab.107 Zu untersuchen wäre auch, ob sie nicht über ihren kulturphilosophischen Essay "La reforma del entendimiento" hinaus politische Schriften in Südamerika veröffentlichte.108 Zwischen 1936 und 1939 hatte Maria Zambrano Umgang mit Personen der älteren intellektuellen Generation wie Antonio Machado und Joaquín Xirau, die beide 1939 ins Exil gingen. Im Rahmen der 'Alianza' und ihrer Arbeit für Hora de España verband sie eine politische Freundschaft mit Kommunisten wie Rafael Alberti, Maria Teresa León, Luis Cemuda, Sánchez Barbudo und darüber hinaus mit Persönlichkeiten wie José Bergamin und Rosa Chacel. Maria Zambrano stellte im Rahmen der philosophischen Fakultät eine Ausnahme dar, insofern sie im Gegensatz zu ihren beiden Lehrern Ortega und Zubiri die umkämpfte Republik dem Ausland vorzog. In dieser Zeit überwog ihre Feindschaft gegenüber intellektuellen Faschisten nur die Verachtung, die sie für die "ángeles del intelecto" und die "neutrales" empfand. Diese notgedrungene politische Distanzierung bietet eine Erklärung dafür, weshalb die junge Philosophin ihre Notizen aus den Kursen Ortegas bewußt zurückließ, als sie ins Exil ging. In einem Aufsatz über Ortega, den sie 1965 in España, sueño y verdad veröffentlichte, erinnert sie sich an ihre damalige Entscheidung: Cuando llegó el momento de abandonar la casa en que viví en el último período de mi estancia en España, encaminada ya hacia la frontera, hube de elegir unos muy pocos objetos (...) Allí estaban, cuidadosamente ordenados en unas cajas de fácil transporte, todos mis apuntes de los numerosos cursos 105
Vgl. Walter, M. "Pablo Nerudas Residencia en la tierra in der Sicht María Zambranos. Ein verschollenes Kapitel seiner Wirkungsgeschichte". Europäische Avantgarde im lateinamerikanischen Kontext. Akten des internationalen Berlin Kolloquiums 1989. Hg. Harald WentzlaffEggebert. Frankfurt a.M. 1991. S. 287-300. 106 Im Rahmen meiner Forschungen stieß ich auf fünf unbekannte Publikationen der Autorin sowie auf vierzehn Hinweise auf weitere unbekannte Veröffentlichungen. Vgl. Bibliographie der Autorin im Anhang. 107 Osuma, R. Op. cit. S. 145. 108 Dieser Essay erschien im Februar 1937 in der chilenischen Hochschulzeitschrift Atenea.
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de Ortega (...) juntos con otros apuntes inestimables de los cursos y seminarios de Historia de la Filosofía, de don Javier Zubiri, y con ello algunas notas mías (...) Nunca he logrado explicarme hasta ahora por qué corté mi gesto de recogerlos, por qué los dejé abandonados allí en aquella casa sola, cuyo vacío resonó al cerrarse la puerta de modo inolvidable.109 Ein Vierteljahrhundert später sieht die Autorin in ihrer damaligen Entscheidung eine Hommage an das Denken Ortegas, demzufolge die philosophische Meditation aus der "necesidad" entstehe. Aus dieser heraus, erklärt sie weiter, habe sie sich im Exil Schritt für Schritt an Ortegas Lehren erinnert. Der Kreis, zu dem sie während des Spanienkrieges gehörte, die 'Alianza de Intelectuales Antifascistas', stand, wenn nicht offiziell, so zumindest inoffiziell ganz im Dienste der Volksfrontregierung. In ihrer Chronik über die 'Alianza' schreibt Maria Zambrano selbst, daß ihre Mitglieder viele öffentliche Funktionen besaßen, und die Anzahl ihrer eigenen politischen Aufgaben ist beachtenswert. Mehr als das notorische Engagement der republikanischen Schriftsteller und Künstler scheint der Grad ihrer Organisierung und ihre Funktion als Katalysator der Volksfrontregierung den Hintergrund dafür zu bilden, weshalb die gegenwärtige spanische Rezeption Maria Zambranos Mitwirkung innerhalb der 'Alianza' übergeht. Jean Bécarud und Evelyne López Campillo heben in ihrer Studie Los intelectuales durante la Segunda República hervor, daß die linke Intelligenz ab 1936 zum Nachteil einer konzeptualisierenden und kritischen Arbeit die Sehnsüchte des Volkes orchestrierte und damit die Rolle einer Partei übernahm.110 Über das Vertuschen ihrer organisierten politischen Tätigkeit hinaus dienen die Kürzungen ihrer Essays in Los intelectuales en el drama de España der Verschleierung ihrer Militanz und, was in diesem Zusammenhang wichtig ist, ihrer Verbindung zu El Mono Azul und Nueva Cultura, die als kommunistisch galten. In direkterer Weise als Hora de España haben diese Zeitschriften die Feinde der Republik persönlich angegriffen, indem sie unter anderem die faschistischen Intellektuellen beim Namen nannten. In derselben Weise tat es Maria Zambrano in "El fascismo y el intelectual en España". Es ist möglich, daß der pamphletistische 'Biß' ihrer Essays heute noch nachwirkt und daß die Exilgeneration nicht bedingungslos rehabilitiert werden darf. Eine biographische Betrachtung der durch sie in "El fascismo y el intelectual en España" denunzierten Personen bietet Aufschluß über die Gründe für eine Retouchierung ihrer Schriften: Ernesto Giménez Caballero, der sich schon als Avantgarde-Dichter der zwanziger Jahre einen Namen geschaffen hatte, avancierte in der Franco-Ära zum Botschafter und Kulturminister Spaniens; Eugenio Montes, Publizist der 'Acción Española', wurde Leiter des spanischen Kulturinstituts in Lissabon und Rom und Mitglied der 'Real Academia Española de la Lengua'; Rafael Sánchez Mazas, 109 u0
Zambrano, M. España, sueño y verdad. Barcelona: Edhasa, 1965. S. 94. Bécarud, J. und López Campillo, E. Op. cit. S. 135 f.
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Mitbegründer der Falange und Komponist der spanischen faschistischen Hymne übernahm 1939 einen Ministerposten und gehörte ab 1940 zur "Real Academia de Lengua1 und zum 'Consejo Nacional de Teatro'; auch Federico García Sánchiz wurde 1941 in die 'Academia Real Española' aufgenommen; José María Pemán gründete unter Mitwirkung des französischen Faschisten Charles Maurras die Bewegung 'Acción Española'. Von 1938 bis 1946 war er Direktor der 'Real Academia Española'. Er war außerdem über lange Jahre der politische Berater von Don Juan de Borbón, dem Vater des Königs Juan Carlos. Es ist auffällig, daß die weitgehende 'Reinigung' von Maria Zambranos Essays im Zusammenhang mit der dritten Ausgabe von Los intelectuales en el drama de España 1986, zwei Jahre vor der Verleihung des Premio Cervantes', stattfand. Möglicherweise fühlte sich der Kreis derjenigen, die ihre späte Anerkennung förderten, zugleich der Erinnerung ihrer ehemaligen Gegner verpflichtet. Der widersprüchliche Prozeß der Vergangenheitsbewältigung, der in Anbetracht der langen Herrschaft Francos für Spanien nicht leichter sein wird, als er für Deutschland oder Frankreich ist, führt zu einer weiteren, bisher noch ungeklärten Frage. Wenn der politischen Vergangenheit der Philosophin bisher so geringe Beachtung geschenkt wurde und Versuche unternommen werden, ihre Militanz in Vergessenheit geraten zu lassen, so steht die Anzahl der Ausgaben von Los intelectuales en el drama de España im Widerspruch dazu. Von allen ihren Schriften wurde dieses Werk am häufigsten aufgelegt. Als die Zensur nach dem Tode Francos gelockert wurde, erschien 1977 die zweite Ausgabe beim Verlag Hispamerca. Eine dritte und eine vierte gekürzte Fassung erschienen 1986 und 1989 im Anthropos-Verlag. Die Frage stellt sich, ob das öffentliche Interesse an der politischen Haltung von Intellektuellen während des Spanienkriegs größer ist als das der Herausgeber. Wenn dem so ist, bietet sich damit eine Erklärung für die jüngste gekürzte Fassung, die das Interesse der spanischen Leserschaft in Maßen befriedigt, ohne einen der oben genannten Herren zu kompromittieren. Oder wollte die Autorin selbst auf dem Höhepunkt ihres Erfolges 'böse Worte' aus ihrer Jugend zurücknehmen? Die Einleitung zu der Anthropos-Ausgabe, die 1986 mit der neuen Überschrift Senderos erschien, beinhaltet eine Beschuldigung, die, an eine ganz andere Adresse gerichtet, den Wunsch nach Harmonie mit ehemaligen Gegnern signalisiert: Los hechos de la historia que, lejos de ocultar, dejan transparente a la vida (...) cuando ya no hay remedio, cuando no se podría dar un paso atrás (...); es lo que diferencia a la verdadera historia, es decir, la inexorable, la que ha movido todo desde el principio de la vida, de aquellos a quienes visita o a quienes elige. Todo parece estar ordenado por ella desde un comienzo, (...) desde antes de haber nacido individualmente. La verdadera historia, de aquellos que la tengan, es en verdad prenatal (...) diríamos mejor y más justamente ancestral. Y el ancestro (...) devora, inclusive, a toda pasión incluida la soberbia; (...) Qué hubiera sucedido al autor de este libro, que ciertamente no es el único (...), pues que el escribir ha sido para mí también una invencible exigencia, un mandato, nada hice para ser escritor y mucho menos escritora (por cierto, me ha tocado conocer algunos que creyeron, no
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4. Retrospektive españoles, que la guerra de España se había dado para que ellos escribieran, les dio el argumento que no hubieran tenido de otra manera).
Mit dem Verweis auf die Beinflussung ihres Schreibens durch eine geheimnisvolle Ahnenfigur wird jegliche Verantwortung für das politische Werk abgelegt. Ferner wird der Leser durch die parenthetisch hervorgehobenen Zeilen für eine neue historische Inteipretation gewonnen. Soll diese Distanzierung von nicht-spanischen Schriftstellern als eine späte Einsicht verstanden werden, dieser Krieg sei einzig und allein Sache der Spanier gewesen? Und wird nicht durch das 'Auserwähltsein' subtil das Recht in Anspruch genommen, an den 'primitiven' Fakten der Geschichte ein klein wenig zu drehen? Selbst in der gekürzten Fassung ihrer Essays argumentiert eine andere Figur, die der jungen Maria Zambrano, dagegen. In der 1977 geschriebenen Einleitung zu Los intelectuales en el drama de España begegnen wir noch dem ihr verwandten Charakter einer älteren, etwas melancholisch zurückblickenden Republikanerin. Beide Figuren liegen im Widerstreit mit dem "escritor" oder der "escritora" dieser Zeilen.
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5. Zum Selbstverständnis der spanischen Intellektuellen im Exil
5.1 Von der Erhabenheit des Verzichts Im Rahmen der vielfaltigen Literatur über das republikanische Exil berücksichtigen besonders zwei Werke das Wirken der spanischen Intellektuellen. Das erste Werk Crònica de una emigración stammt von Carlos Martínez und erschien 1959 in Mexiko. Der zweite Titel El exilio de 1939 ist ein dreibändiges Standardwerk der postfranquistischen Geschichtsaufarbeitung und wurde 1976 in Madrid von José Luis Abellán herausgegeben. Carlos Martínez, Autor der weniger umfangreichen Chronik, knüpft in seinem Werk an persönliche Erinnerungen an. Durch seine Zugehörigkeit zur Exilgeneration und seine eindeutigen Sympathien bleibt sein Buch unberührt von dem Zwiespalt gegenwärtiger Geschichtsbewältigung. Ein weiteres dreibändiges Werk, das seinen Schwerpunkt auf eine extensive Dokumentation der Stationen des Exodus legt, ist Javier Rubios El exilio de la guerra civil de 1936-1939. Es erschien 1977 in Madrid und ergänzt durch einen empirischen Ansatz die beiden vorhergenannten Bücher. Die Mehrzahl der republikanischen Intellektuellen fand Zuflucht in Zentral- und Südamerika. Besonders zahlreich waren jene, die sich in Mexiko niederließen. Die Regierung Mexikos hieß wie keine andere die asylsuchenden Spanier willkommen. Nach und nach etablierten sich die republikanischen Gelehrten an den Universitäten, in den Wissenschaftsinstituten und in den Medien des neuen Kontinents. Innerhalb weniger Monate gründeten sie die ersten Exilzeitschriften. Carlos Martínez beschreibt das Treiben in den Cafés der mexikanischen Hauptstadt und die neu entstehenden Kulturzirkel. Unter der Schirmherrschaft der republikanischen Exilregierung und der Parteien der ehemaligen Volksfront wurde ein Hilfswerk für die vor allem in den französischen Sammellagern internierten Kriegsflüchtlinge aufgebaut. Im Kreis der Gelehrten äußerte sich gleichzeitig ein Verlangen, sich wieder fachlichen Themen zu widmen. Die Zeitschrift Romance, die Nachfolgerin von Hora de España, kann hinsichtlich ihrer kulturellen Gewichtung als exemplarisch für die intellektuelle Abwendung vom Weltgeschehen angesehen werden.111 Unter den republikanischen Intellektuellen im Exil wird die Heimat zum zentralen Thema geistiger Auseinandersetzung. Wie die Generación del 98 greifen Vertreter der "'Vgl. Unterkapitel 2.4 Bibliographische Spuren im Exil.
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5. Zum Selbstverständnis im Exil
verschiedensten freiberuflichen Gruppen zur Feder und versuchen, das Wesen Spaniens zu erfassen. Einerseits bewegt sie Nostalgie, andererseits aber das Bedürfiiis, die Niederlage der II. Spanischen Republik zu begreifen. In ähnlicher Weise, wie es nach dem Verlust der Kolonien um die Jahrhundertwende geschah, wird auch nach 1939 das Problem der nationalen Selbsterkenntnis aufgegriffen. Hoben die republikanischen Intellektuellen in den Jahren 1936 bis 1939 den Antifaschismus als ethische Auszeichnung ihres Landes hervor, so kehrten sie nach der Niederlage zu Unamunos These des quijotesken "fracaso" zurück. Das Ausbleiben eines historischen Fortschritts wird als Symptom eines zyklischen Scheiterns interpretiert, an dessen Wurzel der Idealismus eines Don Quijote liege. "El español" schwebe in Utopien universeller Größe. Durch seinen Idealismus befruchte er die Welt, ohne jedoch in ihr bestehen zu können. Der Gegensatz zwischen der republikanischen und der franquistischen Seite wird nicht berücksichtigt. In dieser Debatte wird Francos Regime als Fremdherrschaft angesehen und deshalb vernachlässigt. Der in den südamerikanischen Zeitschriften geführte Dialog ist bemüht, eine Nation zu charakterisieren, ohne die in ihr wirkenden gesellschaftlichen Kräfte in Betracht zu ziehen. Die Niederlage der Republikaner wird als Niederlage Spaniens gedeutet, nicht als Sieg der Falangisten und Monarchisten. Wie die Generación del 98 verinnerlicht die republikanische Intelligenz das 'Wesen' Spaniens als ihr eigenes. Oder vielmehr, sie vermittelt in ihrem Spanienbild ihr eigenes Selbstverständnis. Nur wenige Exildenker, wie der Philologe und Historiker Américo Castro oder der Philosoph Eduardo Nicol, stellten sich gegen den ausufernden Pathos und verlangen eine kritische Geschichtsdarstellung. Beispielhaft für den Narzismus der spanischen Intelligenz vor 1936 ist die gleichermaßen von Republikanern und Nationalisten betriebene Fortfuhrung der Ideen aus Ganivets Idearium español (1897). Das in London erschienene Buch des Republikaners Salvador de Madariaga, The genius of Spain and other essays on contemporary Spanish literature (1930), und der gleichlautende Titel des späteren Franco-Anhängers Ernesto Giménez Caballero, Genio de España (1934), überbieten einander an Selbstlob. In der Diskussion über "la esencia de España", die im Exil wieder auflebt, betrachtet die Intelligenz erneut die Gesamtheit der iberischen Geschichte als ihr schicksalhaftes Erbe. Die Interpreten der hispanidad wollen die Einzigartigkeit Spaniens kulturgeschichtlich ableiten. Ihr Ausgangspunkt ist die Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel an der Schwelle zum 16. Jahrhundert. Der Sieg über die Mauren wird aus dem Geist des hidalgo erläutert und dieser Geist wiederum im Rahmen der positivistischen Rassen- und Milieutheorie erklärt.112 Das Unterfangen, die ganze Lebensvielfalt in einem Wesen unterzubringen, fuhrt dazu, daß nicht selten Seneca, Don Quijote und sein bäuerlicher Knappe gemeinsam Portrait stehen müssen. In einer über Jahre währenden Polemik mit dem Autor von España, un enigma histórico, dem ll2
Vgl. Castro, A. "Mi interpretación de la historia de los Españoles". La Torre 15. 19. San Juan de Puerto Rico (1968): 105-120. S. 108; und España en su historia. Cristianos, Moros, Judíos. Buenos Aires 1948.
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Historiker Claudio Sánchez Albornoz, fuhrt Américo Castro die undifferenzierte Betrachtung der iberischen Geschichte auf dogmatische Blindheit zurück.113 Er beklagt, daß die Kehrseite der reconquista, die allmähliche landwirtschaftliche, handwerkliche und wissenschaftliche Verarmung, von den spanischen Gelehrten nicht reflektiert werde: Algunos alegan textos de la Antigüedad para probar que la "psicología" y el "temperamento" de los habitantes de la península hace veinticinco siglos eran ya españoles (...) La razón de todo este caos es muy simple. Los historiadores españoles se han apropiado una historia que no les pertenece, a fin de compensar la angustiosa presencia de lo que su psique siente como un exceso de equipaje: la presencia de los musulmanes y de los judíos españoles.114 Das Verkennen der maurischen und jüdischen Einflüsse innerhalb der iberischen Kultur ist symptomatisch für das nationale Selbstverständnis der Generación del 98 und ihrer Nachfolger.115 Es erklärt jedoch nicht die fortwährende Selbstschau des spanischen Bildungsbürgertums. In der These des zyklischen Scheiterns, die unter anderem den Verlust der Kolonien als acte de grandeur darlegt, wird Spanien nicht nach einem eigenen Maßstab bewertet. Die spanische Intelligenz mißt ihr Land an dem englischen Empire und an der Kolonialmacht Frankreich. Die Lobeshymne auf die Verzichtleistung Spaniens - ihr vermeintlicher Verzicht auf die Rolle einer Weltmacht sowie auf die Innovationen von Wissenschaft und Technik - ist nichts anderes als ein sich überschlagendes Lamento. Das Versagen des spanischen Bürgertums, sich 1872 oder 1931 auf Dauer als politische Macht durchzusetzen, wird durch asketisch gefärbte Selbsterhöhung kompensiert. Auch die stets wiederkehrende vernunftkritische Abgrenzung gegenüber Europa drückt eine zum Verzicht sublimierte Bewunderung aus. Die Verwechselung mit dem 'nationalen Wesen' ist innerhalb des spanischen Bürgertums so vollkommen, daß dieser Topos einem Denkmal für den eigenen Stand gleichkommt. Der übersteigerte Idealismus, den das Bildungsbürgertum als spanisches Wesen beschreibt, ist sein eigenes Bewußtsein. Seine geistige Verwandschaft mit Don Quijote wird in Arnold Hausers Charakterisierung von Cervantes' Helden bildhaft: Wenn Don Quijote die Unvereinbarkeit der Welt und seiner Ideale auf die Verzauberung der Wirklichkeit zurückführt und die Diskrepanz der subjektiven und objektiven Ordnung der Dinge nicht begreifen kann, so bedeutet das nur, daß er den welthistorischen Wandel verschlafen hat und daß ihm
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Vgl. Sánchez Albornoz, C. España, un enigma histórico. Mexico 1953. Castro, A. "Mi interpretación de la historia de los Españoles". Op. cit. S. 106 f. U5 Vgl. Castro A. "Los visigodos no eran aún Españoles". Nueva Revista de Filología Hispánica 15. 1-2. México (1961): 3-5; und "Los Españoles no han sido así como dicen los libros al uso". Papeles de Son Armadans 10. 112. Madrid / Palma de Mallorca (1965): 31-40. 114
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5. Zum Selbstverständnis im Exil infolgedessen seine Traumwelt als die einzig reale, die Wirklichkeit dagegen als eine Zauberwelt voll böser Dämonen erscheint.116
Das Wirken einiger Denker und Literaten steht im Widerspruch zum Klischee der spanischen Vorliebe für das Irrationale. Zusammen mit den Vertretern eines aufgeklärten Weltbildes, Juan Luis Vives, Luis de Léon oder Feijoo, bringen auch die Befürworter des "desengaño" Bewegung in das undialektische Geschichtsbild der Exilrepublikaner. Gracián, Quevedo und Cadalso haben die Desillusion als höchstmögliche Welterkenntnis angesehen. Schließlich ist der Zweifel erlaubt, ob Cervantes mit dem Idealismus Don Quijotes Schule machen wollte. Das Verhältnis zwischen Sancho Panza und seinem exzentrischen Herrn kann als philosophischer Widerstreit zwischen gesundem Menschenverstand und weltfremdem Illusionismus gedeutet werden. Im Werke des Philosophen der Madrider Schule, José Gaos, findet sich erneut die These, Spanien habe sich willentlich dem modernen Zeitalter entzogen. In seinem Buch Sobre Ortega y Gasset y otros trabajos de historia de las ideas en España y la América española (1957) übergeht er die Tatsache, daß bis auf die kurzlebigen Ausnahmen der I. und II. Republik nie eine demokratische Macht in Spanien existierte. Die These des "quijotismo" setzt voraus, daß ein Land von dem Verlauf der Weltgeschichte unbeinflußt bleiben kann. Aber die Besetzung der Landgüter durch die spanischen Bauern, die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie durch Kataloniens Generalitat während der Revolution von 1936, aber auch die Luftangriffe, die während des Bürgerkriegs zum Sieg der Franquisten führten, sind alles Zeichen für Spaniens Einbezogenheit in die sozialen Kämpfe und den technischen Wandel unseres Jahrhunderts. Irreführend ist auch José Gaos' Darstellung eines einheitlichen technischen Fortschritts in Europa. In Wirklichkeit wird die Entwicklung Spaniens lediglich an der Industrialisierung jener unmittelbar nördlich gelegenen Regionen gemessen. Gaos' Geringschätzung des modernen Zeitalters verbirgt kaum die Sehnsucht nach einer Epoche, in der die spanischen Gallionen noch die Weltmeere beherrschten.117 Die Reihe derjenigen republikanischen Intellektuellen im Exil, die statt einer kritischen Geschichtsdarstellung eme Apologie der Rückständigkeit verfaßten, ließe sich fortsetzen. Im wesentlichen können ihre Aussagen wie folgt zusammengefaßt 116
Hauser, A. Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1983. S. 427. Es ist bezüglich der Kurzsichtigkeit der ehemaligen Weltmacht Spanien bezeichnend, daß die Zerstörung der Armada eher durch ein technisches Hindernis als durch das Können der englischen Flotte verursacht wurde. Die hochbordigen Segelkriegsschiffe der Armada waren im Vergleich zu den englischen Schiffen neuen Types schlecht zu manövrieren. Mehr als die Hälfte der Armada scheiterte 1588 vor den Hebriden und der Westküste Irlands, weil es ihr nicht gelang, gegen atlantische Sturmwinde auf das offene Meer hinauszukreuzen. Vgl. Lloyd, Ch. "Die Armada". Atlas zur Seefahrtsgeschichte. Übs. Niels Neelsen. Oldenburg und Hamburg 1975.
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werden: Es besteht ein wesensimmanenter Gegensatz zwischen Spanien und Europa; die spanische Dichtung und Kunst sind den philosophischen Systemen nichtspanischer Denker überlegen; die spanische Mentalität beruht auf quijoteskem Idealismus und ist in einer utilitaristisch denkenden Welt zum Scheitern verurteilt; in senecaischer Resignation ehrt Spanien moralische Werte, die weitgehend vergessenen wurden. Ob Francisco Ayala das spanische Weltgefuhl als Antimachiavellismus und als "política de Cristo" definiert oder José Ferrater Mora den "fracaso" zum Wesensmerkmal einer Nation verallgemeinert oder ob Juan David Garcia Bacca die Bestimmung des Spaniers als ein der Idee der Eucharistie angelehntes "transustanciarse" begreift, verweisen alle Interpreten auf die 'Krise der Renaissance' als Ausgangspunkt des Schismas zwischen ihrem Land und Europa. Gemeint ist die Krise der katholischen Kirche angesichts der großen humanistischen Geistesbewegung und der folgenden Reformation, im Zuge derer sich im 16. Jahrhundert die Wissenschaften von der Theologie abgrenzten. Ungeachtet des Zusammenhangs zwischen der Gegenreformation und der Unterdrückung wissenschaftlicher Erkenntnis beharren sie auf der Unvereinbarkeit von Hispanität und Vernunft. Unter den spanischen Philosophen ist Maria Zambrano die erste, die im Exil eine kulturphilosophische Interpretation ihres Landes präsentiert. Mit Pensamiento y poesía en la vida española (1939) setzt sie ihre für Hora de España begonnene Erörterung der spanischen Ideengeschichte fort. Mit den Worten "La poesía unida a la realidad es la historia" beginnt ihre als Vorlesung konzipierte Schrift. Die Trennung von Dichtung und Wirklichkeit sowie von Wirklichkeit und Geschichte, welche dieser Satz impliziert, ist für sie eine Folge rationaler Abstraktion. Läßt man ihre darauffolgende Kritik an der Philosophie "desde Parménides a Hegel" beiseite und liest man diesen Satz im Kontext der "vida española" im Jahr der Niederlage, so scheint die intendierte Reintegration der Dichtung in die Wirklichkeit vor allem auf eine 'andere' Geschichte hinauszulaufen. Für die Autorin existiert eine Tiöhere' Geschichte, die oberhalb der faktischen, 'prosaischen' Historie verläuft.118 Dieser 'höheren' Geschichte öffnet sich die Philosophin durch die razón poética. Ihr Denken tendiert von der Definition einer 'spanischen Seinsweise' zu einer universellen Vernunftkritik. Ihre Abwendung vom politischen Geschehen, das Fehlen jeglichen Bezugs zu konkreten historischen Ereignissen entspricht dem geistigen Milieu, das sich ihre Generation im Exil schuf. Da sich Maria Zambrano auf die Entdeckung einer metaphysischen 'Realität' konzentriert, umgeht sie die ausschweifende Auseinandersetzung um das 'spanische' Wesen. Wenn sie ebenfalls auf das Spanienbild der Generación del 98 rekurriert, so bleibt dieses lediglich ein Grundstein und wird nicht zum Hauptmotiv ihres Schreibens. Von der Definition eines spanischen Denkens geht sie zu der Praxis der razón poética über. Ilir eigenwilliger, einsamer Weg kreuzt sich lediglich mit dem der anderen spanischen Denker im Exil. In den vierziger Jahren verfaßt zum Beispiel Juan David García Bacca eine extensive, systematische Schrift über das 'spanische' Denken, die 118
Vgl. Zambrano, M. "El espejo de la historia". índice de Artes y Letras 11. 99. Madrid (1957): 7.
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auf Calderóns Auto sacramental La vida es sueño basiert.119 Maria Zambrano, die 1949 die Nachfolge von García Bacca an der Universidad de México ablehnt, konzentriert sich ihrerseits auf eine poetische Umsetzung ihrer metaphysischen Weltanschauung. Die Berührung ihres Denkens mit der Vorstellung von Spaniens 'Verzicht' ist dennoch maßgebend für die Evolution ihres philosophischen Denkens. Das Beruhen der razón poética auf einem vermeintlich 'spanischen' Weltgefuhl, das sich, wie Américo Castro schreibt, als "culto a una misteriosa deidad" äußert, erklärt die irrationalistisch-christliche Ausrichtung ihres Werkes.120 Das 'spanische' Weltempfinden bewahrt Züge der katholischen Orthodoxie. Anhänger der spanischen Urgeist-These werden bei Maria Zambrano als "español no pervertido", "español de veras" oder bei García Bacca als "español castizo" und "español auténtico" von Andersdenkenden unterschieden.121 Heterodoxe Denker sind für sie, was einst die conversos für die katholische Kirche waren. Auch wenn der Philosophiehistoriker José Luis Abellán schreibt, die Philosophen im Exil hätten "una reafìrmación de lo esencial español" geleistet, so kolportiert er ein vom spanischen Katholizismus geprägtes Nationalbild.122 Zum Ausdruck kommt das Dilemma einer Schicht, die sich nicht als bedeutende gesellschaftliche Kraft etablieren konnte. Aus ihrer politischen Zwitterposition während der Diktatur Primo de Riveras wurde sie durch die Ereignisse von 1931 und 1936 herausgerissen. Nach der Niederlage von 1939 fällt sie in dieselbe Haltung zurück. Ihre Thematisierung Spaniens wird charakterisiert durch eine an die Tradition der reconquista anknüpfende Geschichtsschreibung. Sie enthält keinen kritischen Gedanken über die vonrepublikanische Ära und stellt ein Portrait Spaniens aus der Sicht der Bourbonenherrschaft dar. Aus "las dos Españas" ist durch Vergangenheitsnostalgie, durch eine agnostizistische Haltung, bei der Spanien als ewiges Rätsel dargestellt wird, sowie durch die Hinwendung zu einer übersinnlichen 'Wahrheit' wieder eine Nation entstanden. Dieser Prozeß wird im Werk von Maria Zambrano durch eine Synthese von Dichtung, Philosophie und Geschichte reflektiert: El poeta que siente la filosofía como última perspectiva de su poesía; el filósofo que no se conforma con usar de la razón, que no se resigna a renunciar a la belleza; el historiador que se sentía penetrado por el tedio de las citas, de la mezquindad del hecho.(PyP 26) Die dichterische Vernunft beansprucht hiermit, eine ganzheitliche Betrachtung zu leisten. Die Anziehungskraft des "Schönen" und der Widerwille gegenüber der "Dürftigkeit von Fakten" deuten aber eine ästhetisierende Richtung an.
"'García Bacca, J. D. Filosofia en metáforas y parábolas. México 1945. 120 Castro, A. "Mi interpretación de la historia de los Españoles". Op. cit. S. 106. 121 Vgl. Zambrano, M. Pensamiento y poesia en la vida española. Op. cit. S. 38. Im folgenden als PyP abgekürzt. Vgl. auch García Bacca, J. D. Introducción literaria a la filosofía. Caracas 1964. S. 280. n2 El exilio de 1939. Op. cit. Bd. 3. S. 172.
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Der Autor von El exilio de 1939, José Luis Abellán, weist die Kritik des Philosophen Eduardo Nicol an dem Konzept der "España delirante" als bedeutungslose Ausnahme in einer langen Reihe von Anhängern ab. Dagegen erinnert Carlos Martínez in Crónica de una emigración an einen Disput aus dem Jahre 1948 ein Indiz für die Kontroverse, welche dieses Konzept verursachen konnte. Die Polemik wurde ausgelöst durch den einstigen Herausgeber von Hora de España und später von Romance, Sánchez Barbudo, der abermals den Irrationalismus zur spanischen Seinsweise deklarierte. In Presencia, einer im selben Jahr von jungen Intellektuellen gegründeten Exilzeitschrift, äußerten Jacinto Viqueira, Manuel Durán und Angel Palerm ihre Einwände gegen diesen aus ihrer Sicht reaktionären Standpunkt.123 Für sie standen die I. und II. Republik in der Tradition der Wegbereiter und Denker der spanischen Aufklärung. Carlos Martínez warnt selbst vor der Annahme, der Irrationalismus führe unentwegt zu einer intuitiv gewonnenen Offenbarung. Wie Mystizismus, Transzendenzsehnsucht und die Überbewertung der eigenen Kultur, schreibt er, könne der Irrationalismus ebenfalls dem Faschismus eine ideologische Grundlage bieten. Damit ruft er in Erinnerung, daß sich sowohl die Republikaner als auch die Nationalisten auf das Denken der Generación del 98 berufen konnten. Carlos Martínez räumt dagegen Eduardo Nicol eine besondere Stellung in der Debatte um das spanische Selbstwertgefühl ein. Obwohl die skeptische Haltung des Philosophieprofessors bis heute keine angemessene Würdigung gefunden hat, wird sich jede kritische Geschichtsschreibung auf seine sowie auf Américo Castros Entmystifizierung des hispanismo beziehen müssen. In "Conciencia de España" wirft Nicol seinen in der Tradition Unamunos und Ganivets stehenden Exilfreunden vor, sie wären lieber Don Quijote als Cervantes: Tuvimos el mismo espíritu de empresa imperial que los comerciantes ingleses y menos talento que ellos, menos sagacidad política. Y no tiene sentido que en el siglo XX sigamos todavía tomando por castillos a los molinos de viento y hagamos de nuestras inepcias motivo de orgullo espiritual.124 Ais "mistificación poética"125 bezeichnet er die Legende des erhabenen Verzichts, durch welche der Niedergang der spanischen Weltmacht im 16. und 17. Jahrhundert verklärt wird. Auf Unamuno und Ortega y Gasset, deren jeweils theistische und glaubenskritische Anschauung Weitabgewandtheit lehren, erwidert der Ikonokiast: Un pueblo entero no puede ser místico, ni renunciar voluntariamente a la vida temporal (...) España no tiene esencia, ninguna nación la tiene, y España menos. Y el error filosófico se complica en el error político cuando, al buscarle una esencia, que por serlo habría de resultar totalmente representativa, se eligen los caracteres de una parte sola.116
'"Martínez, C. Crónica de una emigración. México 1959. S. 467. 124 Nicol, E. "Conciencia de España". La vocación humana. México 1953. S. 216. ™Ibid., S. 215. m Ibid„ S. 218 und 200.
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Eduardo Nicol verlangt schon in den vierziger Jahren von der spanischen Philosophie, daß sie sich mit anderem befasse als mit sich selbst. Erst wenn sie sich den Menschheitsfragen zuwende, könne sie eine universelle Qualität erlangen. Für ihn besitzt Philosophie im Gegensatz zu Kunst eine ethische Funktion. Sie sei der Wahrheit verpflichtet und müsse sich der Menschheit gegenüber verantworten. Die namhaften spanischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, sowohl Unamuno als auch Ortega y Gasset, seien jedoch in ihrer Thematisierung Spaniens einer ästhetisierenden Tendenz gefolgt. Ein Künstler, schreibt er, müsse hingegen nur vor sich selbst Rechenschaft ablegen. Aus diesem Grunde stagniere der "pensamiento artístico" in einem fortwährenden Solipsismus.127
5.2 Dichtung einer erträumten Wirklichkeit Maria Zambrano war unter den republikanischen Intellektuellen die erste, die sich im Exil mit einer philosophischen Wesensbestimmung der spanischen Kultur befaßte. Das Erscheinen von Pensamiento y Poesía (1939) wurde in einigen Exilzeitschriften erwähnt. 128 Um so bemerkenswerter erscheint, daß sich die republikanischen Intellektuellen in der später einsetzenden Thematisierung der spanischen Mentalität nicht auf die Philosophin der dichterischen Vernunft beziehen. Auch wenn bereits Unamuno behauptet hatte, die Spanier würden die Literatur der Philosophie vorziehen, erhielt Garcia Baccas Buch Filosofía en metáforas y parábolas (1945) mit großer Wahrscheinlichkeit auch durch Maria Zambranos Denken einige Anstöße. Man kann sich auch des Eindrucks eines gewissen chauvinistischen Vorurteils gegenüber Maria Zambrano nicht erwehren, wenn Ferrater Mora, der für dieselben südamerikanischen Zeitschriften wie sie schrieb, die Autorin erst in der vierten Auflage seines Diccionario de filosofía im Jahr 1965 nennt. 129 Pensamiento y poesía en la vida española entstand im Rahmen einer Vortragsreihe, die Maria Zambrano im ersten Jahr ihres Exils in La Casa de España in Mexiko hielt. Die Reihe wurde im selbem Jahr von dem Fondo de Cultura Económica als Buch veröffentlicht. Eine zweite Auflage erschien 1987 in Madrid. In diesem Buch definiert die Autorin zum ersten Mal die razón poética, die für sie zugleich die spanische Denkweise ist. Ihre erste kulturphilosophische Abhandlung im Exil ist zusammen mit La confesión, genero literario (1941) grundlegend für das Verständnis ihres späteren Werkes. Die didaktische Prämisse, unter der Pensamiento y poesía en la vida española geschrieben wurde, fuhrt zu einer größeren Kohärenz gegenüber späteren Büchern. Hacia un saber sobre el alma (1950), El hombre y lo divino (1955) oder Persona y democracia (1958) entstanden hingegen aus Essaysammlungen, und ihr Aufbau läßt nicht immer einen inhaltlichen Zusammenhang erkennen.
nl
lbid„ S. 207.
128 129
Vgl. Unterkapitel 2.4 Bibliographische Spuren im Exil. Ferrater Mora, J. Diccionario de filosofía. 1. Aufl. La Habana 1941; 4. Aufl. Buenos Aires 1965.
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Wie die Philosophin schreibt, soll die dichterische Vernunft eine Antwort auf die "Krise des europäischen Rationalismus" darstellen. Den aus ihrer Sicht zu überwindenden Rationalismus nennt sie auch 'radikalen Idealismus' oder einfach 'Idealismus'. Diese wechselhafte Terminologie verlangt eine Präzisierung: Der eigentliche Stein des Anstoßes ist für die Autorin der objektive Idealismus, der ihr in seiner cartesianischen oder hegelschen Prägung radikal erscheint, weil er rational ist.130 Der objektive Idealismus geht von der Erklärbarkeit einer von Gott gelenkten Welt aus. Wie der Name ihrer eigenen Philosophie verrät, tendiert Maria Zambrano dagegen zu einer irrationalen Weltinterpretation, die sie paradoxerweise mit den Begriffen "realismo español" und "materialismo español" belegt. Die beiden Weltanschauungen, die sich in diesem und in ihrem späteren Werk gegenüberstehen, sind zwei Varianten des Idealismus, der objektive und der subjektive Idealismus. Der objektive Idealismus begreift das Bewußtsein als selbständige Wesenheit, die der materiellen Welt als schöpferisches Prinzip übergeordnet ist. Der subjektive Idealismus definiert die Welt aus einer individuellen Perspektive heraus und negiert in weiten Teilen, wenn nicht gänzlich, die vom denkenden Subjekt unabhängige Außenwelt. Der objektive Idealismus tendiert zur Intelligibilität der Welt, der subjektive Idealismus dagegen zum Agnostizismus, der in letzter Instanz die objektive Realität für unerkennbar erklärt.131 Die subjektive Herangehensweise der Autorin äußert sich zunächst in ihrer Darstellung des Dichters, dessen Lebenshaltung als Beispiel für die dichterische Vernunft dienen soll. Aber die zur Metapher erhobene Dichterfigur ist schließlich nur eine unter vielen möglichen - nämlich die Dichterfigur der Romantik: (...) el poeta seguía su vía de desgarramiento, crucificado en las apariencias en las adoradas apariencias de las que no sabe ni quiere desprenderse, apegado a su mundo sensible: al tiempo, al cambio y a las cosas que más cambian, cual son los sentimientos y pasiones humanas, a lo irracional sin medida, Íbamos a decir, sin remedio, porque esto es sin remedio ni curación posible (...) no quiso aceptar consuelo alguno y escarbó, escarbó en el misterio. Su única cura estaba en la contemplación de la propia herida y, tal vez, en herirse más y más. (PyP 19) Aus Piatons 'Republik' verbannt, habe die Dichtung überlebt und die auf ihr beruhende Einsicht biete die Lösung der europäischen Krise. Den Rationalismus, der mit Hegel seinen Höhepunkt erreicht habe, sieht die Autorin als Auslöser der spirituellen Notlage, die unmittelbar vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges Europa kennzeichnet. Die politische Instabilität ist für Maria Zambrano nur Symptom einer
130
Vgl. "La crisis del racionalismo europeo". PyP 15-23. Vgl. "Idéalisme" Les notions philosophiques. Encyclopédie philosophique Sylvain Auroux. 2 Bde. Bd.l. Paris 1990. S. 1194-1196.
131
universelle.
Hg.
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tiefer liegenden Bewußtseinskrise. 132 Die dichterische Vernunft versteht sich gleichwohl als Lösung einer eher seelischen Not. In Anlehnung an den Existentialismus kritisiert sie die Vernachlässigung des Irrationalen durch die antike und klassische Philosophie. Damit meint sie den "fracaso originario" der menschlichen Existenz. Doch auch dem Existentialismus fehle eine für sie grundlegende Eigenschaft, die der "humildad intelectual" , 133 Ihre Kritik ist christlich-moralischer Natur und bleibt weitgehend systemimmanent. Aus diesem Grunde überwindet die dichterische Vernunft nicht die Weltanschauungen, die sie nach allen Seiten protestierend bemängelt. Maria Zambranos Idealismus äußert sich durch eine Verselbständigung von Vernunft, Zeit und Geschichte. Losgelöst von dem menschlichen Subjekt erscheinen diese als die eigentlichen Akteure. Gerade die Geschichte, zu deren Protagonisten sie in den davorliegenden Jahren mit aller Entschiedenheit gehörte, ist eine abstrakte Größe geworden: Estamos en el ciclo todavía de las revoluciones y toda revolución - hasta la contrarevolución - se anuncia a sí misma rompiendo con el pasado (...) Reconciliación con el pasado, lo cual vale lo mismo que liberarse plenamente de él vivificándole y vivificándonos. Tal debe hacer la nueva historia. (PyP 26) In ihrer Deutung einer scheinbar metaphysisch gelenkten Welt werden das Subjekt der Geschichte und die gesellschaftlichen Gegensätze vernachlässigt. Sie formuliert im Wunsch nach einer "reconciliación con el pasado" ihre Abkehr von einer Sozialrevolutionären Position. Der starke christliche Einfluß ist im Harmonisierungsdrang von Pensamiento y poesía en la vida española unüberhörbar: Porque el poeta ha sido siempre un hombre enamorado, enamorado del mundo, del cosmos; de la naturaleza y de lo divino en unidad. Y el nuevo saber fecundo sólo lo será si brota de unas entrañas enamoradas. Y sólo asi será todo lo que el saber tiene que ser: apaciguamiento y afán, satisfacción, confianza y comunicación efectiva de una verdad que nos haga de nuevo comunes, participantes; iguales y hermanos. Sólo asi el mundo será de nuevo habitable. (PyP 24) Die dichterische Vernunft, die Natur und Gott als Einheit begreift, kündigt sich als Botschaft der Liebe und Weltemeuerung an. Aber diese 'Erneuerung' ist in mehrfacher Hinsicht von Vergangenheitsnostalgie geprägt. Die Autorin bezieht sich auf eine irgendwo in der Geschichte angesiedelte, idealisierte Vergangenheit. Ihr Wunsch nach Versöhnung kann nur im Zusammenhang mit ihrem früheren politischen Engagement 132
Diese Haltung teilt Maria Zambrano mit dem Autor von Chart for rough waters, Waldo Frank. Sie arbeitete mit an der 1942 in Buenos Aires erschienenen Übersetzung seines Buches, das die weltpolitische Krise als Beginn einer christlich-revolutionären Erneuerung darstellt. Vgl. Unterkapitel 2.4 Bibliographische Spuren im Exil. 133 Vgl. "Soberbia de la razön". PyP 23-25.
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verstanden werden. Wenn Maria Zambrano die Epoche, nach der sie sich zurücksehnt, auch nicht präzisiert, ermöglicht zumindest ihr Zukunftsentwurf einige Rückschlüsse: En suma, este saber nuevo tendrá que ser un saber de reconciliación, entrañamiento. Y podemos, por lo menos, esperar que surja por este camino la nueva medida que ocupe el lugar de la antigua medida razonable. Lo que se ha llamado también objetividad (...) La objetividad que parecía ser algo exclusivamente lógico, al faltamos hoy en el desgraciado mundo europeo, vemos que era ante todo objetividad social, viva objetividad como una mano paternal, firme y protectora, que fuese atando disparidades, desenlazando nudos, señalando el camino posible entre la maraña. (PyP 25) In Pensamiento y Poesía en la vida española ist dies der einzige Bezug, den die Autorin zu einem politischen Ziel ihrer Philosophie herstellt. Es bleibt unerwähnt, zu welchem Zeitpunkt diese durch "objetividad social" ausgezeichnete Gesellschaftsform existiert haben soll. Klar ist jedoch, daß es sich nicht um das Modell der II. Spanischen Republik handelt. Die mit juste mesure waltende Hand ist die eines Alleinherrschers oder einer Minorität, deren Macht mit den Attributen "väterlich, stark und schützend" moralisch legitimiert wird. Ihre auch in diesem Werk wiederholte Ablehnung des "capitalismo europeo burgués" und die rührseligen Worte, mit denen sie in Delirio y destino des abgesetzten Königs Alfons XIII. gedenkt, erwecken den Eindruck einer spät entdeckten Königstreue. Aber gemeint ist nicht allein Spanien, sondern der "mundo europeo", und die "objetividad social" meint vermutlich die vorrevolutionäre Gesellschaftsordnung - die Zeit vor der Oktoberrevolution von 1917, durch welche der "ciclo de revoluciones" eingeläutet wurde. Maria Zambranos Verwendung der Begriffe "realismo español" und "materialismo español", die zusammen die Grundlage der dichterischen Vernunft bilden, wirft die Frage nach der Eigentümlichkeit dieser spanischen Variante auf. Es ist interessant, daß die Autorin unter der sehr vagen Überschrift "El realismo español como origen de una forma de conocimiento" den 'spanischen Realismus' vorwiegend von dem deutschen Idealismus abzugrenzen sucht. Ihr ist selbstverständlich der Einfluß der deutschen Romantik auf die spanische Romantik und die Bedeutung des krausismo für die Vertiefung der deutsch-spanischen Geistesverwandtschaft bekannt. Der Einfluß Krauses, seine Vorstellung einer auf harmonischem Rationalismus beruhenden, idealen Menschengemeinschaft klingt in ihren eigenen Äußerungen deutlich an. Ihr eigener Lehrer Ortega y Gasset betrieb seine philosophischen Studien in Marburg, Leipzig und Berlin. Sein bekanntestes Werk La rebelión de las masas (1929) ist ein Bekenntnis zu Nietzsches Elitetheorie. Im 'spanischen Realismus', schreibt Maria Zambrano, drücke sich ein Bewußtsein aus, das dem Verliebtsein in die Welt entstamme. Ein Verliebtsein, das keine Abstraktion von den Dingen der Welt, keine 'Befreiung' von ihnen erlaube. Hier liege der Ursprung der spanischen Mystik, die so verschieden von der deutschen Mystik der Wegbereiterin der Reformation - sei:
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5. Zum Selbstverständnis im Exil En España, ni el místico quiere desprenderse por entero de la realidad, de la idolatrada realidad de este mundo (...) Este apego a la realidad tiene sus consecuencias: imposible viene a ser el sistema, imposible casi la abstracción, imposible casi la objetividad. (PyP 40)
Was hier beschrieben wird, ist eine Form von Pantheismus, der ebenfalls ein Element des krausismo ist. Maria Zambranos Äußerungen erregen Skepsis durch die Verwendung des Begriffs Realismus für eine Anschauung, die mit Wirklichkeitstreue nichts gemein hat. Die Verherrlichung der Realität setzt ihre Verklärung voraus. Das Anbetungsobjekt ist nicht die Welt, sondern das zum Verehrungsgegenstand sublimierte Symbol der Welt. Eine Weltinterpretation, die das Göttliche in der Welt sucht, ist dem Göttlichen und nicht der Welt zugewandt. Die Unmöglichkeit der Systematisierung, welche die Autorin empfindet, beruht auf der erlebnisgebundenen Form mystischer Einsicht, die eine rationale Abstraktion verhindert. Der "realismo español" ist die Verabsolutierung des subjektiven Empfindens und Denkens, ihre Emanzipation von der gegebenen Wirklichkeit. In derselben Weise wie man nach genauer Betrachtung feststellen muß, daß der "realismo español" schließlich eine Form des Idealismus ist, wird man die Bedeutung von "materialismo español" fern von dem üblichen Gebrauch dieses Wortes suchen müssen. Maria Zambrano definiert ihn zunächst als eine extreme Äußerung des spanischen Realismus. Er bedeute, schreibt sie, die Konsekration der Materie (PyP 43). Der "materialismo español" ist nicht mit dem Begriff Materialismus im klassischen Sinne zu verwechseln, demzufolge das Sein dem Bewußtsein übergeordnet ist. Die 'spanische' Variante bezeichnet eine emphatische Hinwendung zur Materie. Und die Autorin räumt selbst ein, daß sich dieser 'Kult' von der angebeteten Wirklichkeit verselbständigt: Se llega a verificar en él algo semejante, en cierto modo a la abstracción, puesto que en este materialismo español funciona una forma de abstracción no de origen intelectual, sino engendrada por ser un extremismo. (PyP 44) Die Abstraktion als intellektuelle Handlung, das Scheiden des Wesentlichen vom Zufalligen, wird als Grundstein einer jeden gedanklichen Systematisierung von der Autorin abgelehnt. Der 'spanische Materialismus' meint die Loslösung von der objektiv erfahrbaren Wirklichkeit, die Erhebung der Dinge zum Symbol. Die symbolische Kraft rührt aber nicht vom Wesen der Dinge, sondern von einer ihrem Ursprung nach meist religiösen Deutung. Es ist demnach nicht verwunderlich, wenn sich die Autorin in ihrer Erläuterung des "materialismo español" wieder auf den mystischen Sensualismus bezieht. Der Dichter, in dem sich nach Maria Zambrano die spanische Denkweise personifiziert, ist eine Zwitterfigur zwischen Schelm und Mystiker. Er vereint in seiner Haltung gegenüber dem Leben das pikareske Ausschöpfen jedes einzelnen Augenblickes und die kontemplative Haltung des Mystikers vor dem Fluß der Zeit. Wie Unamuno sieht sie in der Dichtung die Form, in der sich die spanische
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Philosophie stets ihrem 'Wesen' entsprechend unmethodisch und zerstreut geäußert habe. Durch Gegensatzpaare wie "filosofía" und "pensamiento" oder "pensamiento filosófico sistemático" und "pensar" hebt die Autorin die antiintellektualistische Tendenz der dichterischen Vernunft hervor. In ihrer Sicht würde jeder Anspruch auf Wissenschaftlichkeit notwendigerweise eine Entfremdung vom Leben mit sich bringen. Statt eine Disziplin zu erlernen, gilt es, eine Fähigkeit wie das mystische Empfangen der Offenbarung zu entfalten: Al no tener pensamiento filosófico sistemático, el pensar español se ha vertido dispersamente, ametódicamente en la novela, en la literatura, en la poesía. Y los sucesos de nuestra historia, lo que real y verdaderamente ha pasado entre nosotros, lo que a todos los españoles nos ha pasado en comunidad de destino, aparece como en ninguna parte en la voz de la poesía. Poesía es revelación siempre, descubrimiento. Y sucede en nuestra cultura española que resulta muy difícil, casi imposible manifestar las cosas que más nos importan, de modo directo y a las claras. Es siempre sin abstracción, es siempre sin fundamentación, sin principios, como nuestra más honda verdad se revela. No por la pura razón, sino por la razón poética. (PyP 51) Die These von der dichterischen Äußerungsform spanischer Philosophie findet auch im bereits erwähnten späteren Werk von Juan David Garcia Bacca einen starken Widerhall. Ein Problem stellt die Verwicklung von Geschichte und Dichtung dar. Dem Bestreben, in der Geschichte einer stark hierarchisierten Gesellschaft eine "comunidad de destino" herauszufinden, bleiben in der Tat nicht sehr viele andere Möglichkeiten, als diese in der Kultur im weitesten Sinne zu suchen. Doch gerade 1939 allein in der Dichtung und Literatur die Geschichte einer durch soziale Not und Krieg zerrütteten Nation sehen zu wollen, erscheint zweifelhaft. Wenn die Autorin schreibt, Dichtung repräsentiere "los sucesos de nuestra historia" und "lo que real y verdaderamente ha pasado entre nosotros"(PyP 51), so steht Dichtung hier abermals als Metapher für eine idealisierte Vereinigung von Gegensätzen. Widerprüchlich ist es auch, warum die Autorin von einer vom Weltgeschehen losgelösten spanischen Historie ausgeht, hat sie doch zuvor die Schaffung des ersten absolutistischen Staates durch die Katholischen Könige und die Entdeckung Amerikas als wesentliche Schritte in der Geschichte Europas hervorgehoben (PyP 28). Der Rückzug in eine rein spanische Geschichtsschreibung ist durch die These einer Spaltung zwischen Spanien und Europa im 16. Jahrhundert motiviert. Das daraus resultierende Geschichtsbild läßt mehr als nur die Kolonisationsgeschichte außer Acht: España siguió recogida en si misma, pobretona, al margen de tanta magnificencia. Era imposible que participara en ella (...), preferiendo su pobreza, acogiéndose a su silencio, metiéndose en si misma. En esto ha sido, sí, ejemplar (...) Su forma de conocimiento poético seguía su curso (...) Conocimiento poético en que ni se escinde la realidad, ni se escinde el hombre, ni
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5. Zum Selbstverständnis im Exil se escinde la sociedad en minorías de selección y masa. Si en algo ha consejado España su unidad, ha sido la unidad de la gracia. (PyP 53)
Die hier evozierte Anmut bedeutet geistige Askese. Der 'Spanier', heißt es weiter, verachte jenes Wissen, das durch Mühe erlangt werde. Demjenigen dagegen, der die Armut des Verstands bevorzuge und auf jede Eitelkeit verzichte, komme die "revelación graciosa y gratuita" (PyP53) der dichterischen Vernunft entgegen. Aufgrund ihrer irreführenden Terminologie sind Maria Zambranos philosophische Konzepte am ehesten durch ihre Abgrenzung zu anderen Konzepten vermittelbar. In Pensamiento y poesía en la vida española weist sie Piatons Kritik der Dichtung zurück und verwehrt sich gegen Hegels Geschichtsphilosophie. In den konsequent durchgebildeten philosophischen Systemen dieser Vertreter eines objektiven Idealismus findet sie, wie viele ihrer Zeitgenossen, keine Antwort auf die Fragen einer scheinbar aus den Fugen geratenen Welt. Die "crisis del racionalismo europeo" (PyP 15) ist Europa am Vorabend des II. Weltkrieges. In philosophischer Hinsicht ist es die Krise des Vernunftoptimismus, die aus dem Widerspruch zwischen dem Glauben an einen gesetzmäßigen Fortschritt und dem Bewußtsein der sich ankündenden Zerstörung resultiert. Nicht allein für die Autorin ist es unbegreiflich, daß der II. Weltkrieg sowie der mit ihm unmittelbar zusammenhängende Spanienkrieg in eben der europäischen Geschichte ihre Ursachen haben sollen. Unbegreiflich deshalb, weil die Autorin in der abendländischen Kultur den höchsten Ausdruck menschlicher Zivilisation sieht. Unfaßbar auch, weil sie den Widerspruch zwischen der Gesellschaftsmoral und der politischen Praxis nicht wahrnimmt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte nämlich in Europa alles andere als ein friedliches Zusammenspiel unterschiedlicher Kräfte, die auf ein gemeinsames künftiges Wohl zustrebten. Die Autorin hat sich mit ihrem Verlassen Spaniens von der revolutionären Strömung der II. Spanischen Republik gelöst. Das Leid, das sie erlebt hat, und die Isolation Spaniens im antifaschistischen Kampf führten zum Zweifel an der Richtigkeit des eigenen Engagements. Aber von diesen konkreten Ereignissen ist weder in Pensamiento y poesía en la vida española noch in ihrem später veröffentlichten Werk die Rede. Sie besinnt sich auf das Christentum, das auch im Grundton ihrer 'Essays für die Republik' zu hören war. In einer rationalen Welterklärung vermag Maria Zambrano "una verdad que nos haga de nuevo (...) iguales y hermanos" nicht zu finden (PyP 24). In diesen Worten kommt erneut der Idealismus der Autorin zum Ausdruck, der von der Idee ausgehend das Sein reformieren will. Die These eines aus der Geschichte ihres Landes erwachsenen urspanischen Geistes erfüllt den Zweck nationaler Selbstaufwertung. Um nicht auf alle mythischen Aspekte dieser Darlegung einzugehen, sei auf das Paradoxon hingewiesen, nach welchem das 'spanische' Wesen einerseits kulturhistorisch hergeleitet wird, andererseits aber als in seiner Geltung unveränderlich und ewig definiert wird. Maria Zambrano entfaltet aus der inneren Schau und aus der Gebetshaltung selbst - "acogiéndose a su silencio, metiéndose en si misma" - eine Ethik, die, weit davon entfernt, eine wirkliche Veränderung zu fordern, auf eine die
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Wirklichkeit transzendierende dichterische 'Wahrheit' verweist (PyP 53). Die razón poética ist das sublimierte Relikt einer erträumten Wirklichkeit.
5.3 Vorspiel zur "unerklärlichen Hingabe" Mit der Verleihung des Premio Cervantes im Jahre 1988 wurde Maria Zambrano als Autorin der poetisch-metaphysischen Schrift Claros del Bosque bekannt. Diese Folge von aperçus, die inzwischen auf Französisch, Italienisch und Deutsch vorliegt, präsentiert die Autorin als Anleitung zur "unificación entre pasividad y conocimiento"134. Einige Kenner von Maria Zambranos Werk haben ihr Denken als Phänomenologie bezeichnet.135 Aber wie das Mitglied des Augustinerordens und Autor von Los senderos olvidados de la filosofìa, José Demetrio Jiménez, einschränkt, soll wiederum darunter nicht eine methodische Anlehnimg an die Lehre Edmund Husserls verstanden werden: Fenomenología entendida como "estudio del 'fenómeno'; y fenómeno es aquello que se manifiesta, que aparece. Esto no implica ni obliga al uso del método fenomenològico de Husserl, pues se trata de la acepción original de la palabra fenómeno' (...) pues el hombre es un ser sumido en la facticidad de una existencia que ha de interpretar constantemente desde su concretez.136 Klassifizierungen dieser Art ufern ins Ungewisse aus, da sie den Unterschied beider Ansätze nicht präzisieren. In José Demetrios Jiménez Worten wird vor allem die Beteuerung hörbar, das 'spanische' Denken sei mehr als andere Anschauungen dem Leben zugewandt. Das Ziel der folgenden Erörterung ist es zu erfahren, inwiefern die dichterische Vernunft in der Tat die Ansprüche der Phänomenologie erfüllt. Edmund Husserl begründete seine Lehre als geistiges Schauen und als Intuition. In kritischer Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Erkenntnis will die Phänomenologie durch die epoché - die Einklammerung der Außenwelt, des Bewußtseins, des bereits vorhandenen Wissens - eine unmittelbare und unverfälschte Erkenntnis über das Wesen des Betrachteten gewinnen. In Claros del bosque definierte María Zambrano die dichterische Vernunft unter anderem als Entzifferung des Gefühls und als "saber originario"1*1. Ein zentraler Aspekt ihrer Philosophie ist auch die anzustrebende Passivität des Verstands, die als in sich ruhende Leere mit der phänomenologischen epoché vergleichbar ist: '"Zambrano, M. Claros del bosque. 2. Aufl. Barcelona: Seix Barrai, 1988. Aus dem Kommentar im Bucheinband. Im folgenden als Cl. abgekürzt. '"Aranguren, J. L. "Los sueños de Maria Zambrano". Revista de Occidente 12. 35. Madrid (1960): 207-212; Ortega Muñoz, J. F. "La fenomenología de la forma-sueño en Maria Zambrano". Anthropos 70/71. Barcelona (1987): 103-111. Maillard, Ch. "Ideas para una fenomenología de lo divino en Maria Zambrano". Anthropos 70/71. Barcelona (1987): 123-127. '"Jiménez S. - Mariscal OSA, J. D. Op. cit. S. 32 f. "'Zambrano, M. Claros del bosque. Op. cit. Aus dem Kommentar im Bucheinband.
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Una órbita que solamente se manifiesta a los que fian en la pasividad del entendimiento aceptando la irremediable discontinuidad a cambio de la inmediatez del conocimiento pasivo con su consiguiente y continuo padecer. (Cl. 14) Und an anderer Stelle heißt es: (...) el ensayo de tener luego cada ser viviente un espacio propio, pura cualidad: ese hueco, ese vacío que sella allí donde aparece, la conquista suprema de la vida, el aparecer de un ser viviente. Un ser viviente que resulta tanto más "ser" cunato más amplio y cualificado sea el vacio que contiene. (Cl. 64) Die Frage, die sich aufdrängt, lautet, ob die von Maria Zambrano beschriebene "órbita" erkenntnisfördemd ist, oder einen von intellektueller Rivalität freien Raum schaffen soll. Erlaubt die dichterische Vernunft eine vorurteilsfreie Erkenntnis, wie es die Phänomenologie zu tun vorgibt? Oder bedeutet sie die Bestätigung einer Glaubenswahrheit? Vermittelt sie eine ganzheitliche Einsicht oder entspricht ihre hybride Verbindung von Ästhetik, Philosophie und Religion einer modernen Variante christlicher Mystik? Die eben zitierten Worte der Autorin stellen zunächst José Demetrio Jiménez' Annahme, die Autorin würde von der Konkretheit des Lebens ausgehen, in Zweifel. Auch der Philosoph José Luis Aranguren, der als erster in Spanien das Werk von Maria Zambrano würdigte, deutet ihr Denken, in diesem Falle auf der Grundlage von El sueño creador (1965), als Phänomenologie. Die Philosophin, schreibt er, wolle den Traum "desde su pura forma y no desde una interpretación de su contenido"I38 verstehen. Wenig weiter fuhrt er jedoch aus, daß die Autorin zwischen "sueños primordiales" und "sueños de finalidad moral" unterscheide. Tatsächlich differenziert sie zwischen Träumen der Psyche und Träumen der Person.139 Sie wertet jedoch die erstgenannte Form als unkreativ und wirklichkeitsverzerrend ab und konzentriert sich auf die Träume der Person, welche sie als Schicksalsentwurf darstellt.140 Diese Einteilung setzt selbst eine Interpretation und Wertung der Träume voraus. So kann der Behauptung, die Autorin behandle den Traum von seiner bloßen Erscheinung her, widersprochen werden. Ohne einen Zusammenhang zwischen ihrer Traumdeutung und den mystisch-religiösen Quellen ihres Denkens herzustellen, entdeckt José Luis Aranguren bei Maria Zambrano den Einfluß von San Juan de la Cruz.141 Ihr Schreiben selbst stellt er in die Nähe einer 'Dichtung des Unsagbaren':
'"Aranguren, J. L. Op. cit. S. 209. 139 Vgl. Kapitel 7. Geschichte, Traum und Zeit. '""Zambrano, M. "El sueño creador". Obras reunidas - Primera entrega. (Im folgenden als OR abgekürzt.) Madrid: Aguilar, 1971. S. 44 ff. ""Aranguren, J. L. Op. cit. S. 211.
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Y de lo que ella habla parece que no se puede hablar. Sin embargo, si María Zambrano se hubiera callado, algo profundo y esencial habría faltado, quizá para siempre, a la palabra española.142
Mir scheint, daß bereits die Inspiration durch San Juan de la Cruz der Hypothese einer 'Ausklammerung' jeglichen vorhandenen Bewußtseins widerspricht.143 Denn der Mystiker und seine Adepten setzen die Existenz Gottes voraus und sehnen sich allein nach einer Erfahrung, die sie Gott näher bringt. Die Wahrheit, die sie anstreben, ist die, von welcher sie ausgehen. Das Ansinnen des Mystikers vollzieht einen Zirkelschluß. Seine Einsicht in das Göttliche ist subjektiv. Hingegen äußert sich die eloquenteste Anhängerin Maria Zambranos, Chantal Maillard, in ihrem Sinne, wenn sie schreibt: La mística es por tanto un conocimiento silencioso, inmediato, de mucha más hondura que el discursivo, directo y completo.144 Die dichterische Vernunft will aber nicht allein eine Form der Anschauung, sondern auch eine bestimmte Weise der Vermittlung von Erkenntnis sein. Die Irrationalität von Dichtung, schreibt Maria Zambrano in "Mística y poesía", bewirke eine Verschiebung oder Entstellung des Logos, welche das 'Verschwiegene' entdecke.145 Claros del bosque und andere in den letzten Lebensjahren der Autorin erschienene Werke wie De la aurora (1986) oder Notas de un método (1989) zeugen von der Vervollkommnung eines eigenen lyrischen Stils. Aber ihr Inhalt scheint keine neue Erkenntnis zu bieten, sondern entspricht einer mystisch-pantheistischen Variation von "Hacia un saber sobre el alma" (1934), "Más sobre La Ciudad de Dios" (1941), La confesión: género literario (1943) und anderen von der christlichen Mystik inspirierten Schriften. Im Rahmen der folgenden Herausarbeitung der Grundzüge ihres religiösen Bewußtseins sollen die inhaltliche Nähe sowie das zeitliche Entstehungsverhältnis zwischen den frühen philosophisch-religiösen Aufsätzen und den aperçus in Claros del bosque veranschaulicht werden. "El freudismo, testimonio del hombre actual" (1940) wird zu den oben genannten Texten hinzugezogen, weil dieser Essay Maria Zambranos Auffassung der göttlichen Prädestination - nicht zuletzt im Hinblick auf ihre eigene Berufung - vermittelt. Im folgenden wird auch ihre "Carta sobre el exilio" (1961), in der das Selbstverständnis der Autorin dem eines christlichen Märtyrers ähnelt, betrachtet. Die Vermutung liegt nahe, daß die Autorin parallel zu ihren eher theoretischen Abhandlungen eine Poesie der Ekstase' entwarf, die sie zum größten Teil jedoch später veröffentlichte. In dieser Hinsicht können die im folgenden "¡Ibid., S. 212. 143 In Claros del bosque flicht die Autorin Zitate aus dem Cántico espiritual von San Juan de la Cruz ein. Die Quelle ihrer Zitate wird von Marie Laffranque in der französischen Übersetzung von Claros del bosque angegeben. 144 Maillard, Ch. Op. cit. S. 126. 143 Zambrano, M. "Mística y poesía". OR 150.
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behandelten frühen Aufsätze als Vorspiel dessen betrachtet werden, was sie in Claros del bosque die "unerklärliche Hingabe" nennt. "Hacia un saber sobre el alma" wurde von den postum erschienenen Schriften Max Schelers Tod und Fortleben sowie Ordo Amoris inspiriert, die Javier Zubiri 1934 für den Verlag Revista de Occidente übersetzte.146 Maria Zambranos Rezeption dieser Schriften veranlaßte sie zu einer ersten umfassenden Vernunftkritik.147 Ihr in diesem Zusammenhang entstandener Aufsatz berührt die Kernfrage ihrer lebenslangen philosophisch-religiösen Auseinandersetzung. Er beginnt mit einer Abgrenzung von der klassischen Philosophie, die mit Descartes auf Abwege geraten sei, verdeutlicht werden: El "Cogito" es la proclamación de la soledad humana que se afirma a sí misma. Y poco importa que Descartes afirme todo lo tradicional: Dios y los misterios expresados en la teología , la razón, hasta la familia y el orden social constituido (...) La nueva creencia (...) irá eliminando todo lo que no sea reductible a ella. Los misterios ya no cuentan y del hombre desnudo se ha borrado toda imagen, ya no es copia, es el mismo original.148 Das in sich begründete rationale Bewußtsein bedeutet für Maria Zambrano die Entzauberung der Welt. Durch den methodischen Zweifel von Descartes gerät die Beziehung des Menschen zu Gott ins Wanken. Der Mensch sei nicht länger in einem höheren Wesen aufgehoben, sondern sehe sich fortan genötigt, eine gewisse Skepsis an seinem Lebenssinn zu ertragen. Wenn die Seele als Inbegriff des Bewußten und des Unbewußten definiert werden kann, ist es nicht verwunderlich, daß die Autorin nach dem Rationalismus die Psychoanalyse als schwerwiegendste Irrlehre unserer Zeit empfindet. In "Hacia un saber sobre el alma" ist ihre Kritik an Freud schon angedeutet. Erst 1940 aber in "El freudismo, testimonio del hombre actual" begründet sie ihre ablehnende Haltung gegenüber dieser sich verbreitenden Disziplin.149 Die Abstammung des Menschen erscheint für Maria Zambrano nicht allein im Sinne einer 'Gotteskindschaft', sondern auch als Identifikation mit dem leiblichen Vater unantastbar. Aus der Selbstreflexion Descartes' und der Lehre Freuds entsteht eine Neubestimmung von Bewußtsein und Unterbewußtsein. Das Verwerfliche am Selbstverständnis des modernen Menschen sieht Maria Zambrano in der Erschütterung des religiösen Glaubens und in der Mißachtung der durch Kultur und Abstammung überlieferten menschlichen Eigenschaften:
146
Scheler, M. Muerte y supervivencia. Ordo amoris. Übs. Javier Zubiri. Madrid: Revista de Occidente, 1934. '""Zambrano, M. "Hacia un saber sobre el alma". Revista de Occidente 46. 138. Madrid (1934): 271276. l48 Zambrano, M. La confesión: género literario. 2. Aufl. Madrid: Mondadori, 1988. S. 46. Im folgenden als Conf. abgekürzt. '""Zambrano, M. El freudismo, testimonio del hombre actual. La Habana: La Verónica, 1940.
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Todas estas teorías deshacen la trascendendia, dejan la vida humana reducida a la pura eminencia.150 María Zambranos Kritik an Freud ist auch bezeichnend fur ihre Weltvorstellung. Offensichtlich verbindet sie mit dem christlichen Glauben im Gegensatz zu anderen Religionen eine größere Nähe zu Gott und eine daraus resultierende Überlegenheit des abendländischen Menschen. Die folgenden Worte der Autorin sind Ausdruck einer unreflektierten Haltung gegenüber der Tatsache daß, die christliche Lehre nicht im Okzident sondern im Orient ihren Ursprung hat und daß das Evangelium die Geschaffenheit des Menschen nach dem Antlitz Gottes nicht als ein Privileg des Christen verkündet:151 Y surge asi una definición cínica del hombre. El hombre europeo, el de la cultura cristiana de Occidente, "hecho a imagen y semejanza de Dios", de un Dios creador, se va a definir como obscuro, informe furor sexual; demonio insaciable perpetuamente insatisfecho, devorador de todo.152 Die Polemik, die María Zambrano gegen die klassische Philosophie und die modernen Wissenschaften fuhrt, scheint hier von dem Geist der Gegenreformation getragen zu werden. Über die Diskriminierung anderer Religionen hinaus setzt sie den Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus fort. Bereits 1934 sprach sie in "Hacia un saber sobre el alma" dem Protestantismus die Fähigkeit ab, sich der Seele des Menschen anzunehmen.153 Vor dem Bürgerkrieg war die Autorin - durch ihre Anlehnimg an den Schüler von Edmund Husserl, Max Scheler, und durch ihre Nähe zur existentialistischen Bewegung 'Esprit' - eine Anhängerin des katholischen Personalismus. Im Exil wendet sie sich erneut der Seelenlehre zu.154 In La confesión: género literario (1943) greift sie auf die augustinischen Bekenntnisse zurück in der Absicht, das Bedürfiiis des Menschen hervorzuheben, sich einem überweltlichen, persönlichen Gott anzuvertrauen. Sören Kierkegaard, ebenso wie Jean-Jacques Rousseau, Nietzsche, Lautréamont, Baudelaire, Rimbaud und die surrealistische Bewegung, werden als erhabene Beispiele der Verlorenheit des modernen Menschen präsentiert. Anders als der Titel es ausdrückt, 1}0
Zambrano, M. "El freudismo, testimonio del hombre actual". Hacia un saber sobre el alma. 3. Auf. Madrid: Alianza, 1989. S. 112. 151 Die Absicht der Fundación María Zambrano, im Jahre 1991 die Aktualität der Autorin gerade durch diesen Aufsatz zu feiern, spricht für ihren eigenen missionarischen Eifer. Sie fördert damit die Vorstellung einer religiös begründeten Superiorität des Abendlandes. Vgl. Kongressband. Philosophica Malacitana 4. Málaga (1991): 15-29. I52 Zambrano, M. "El freudismo, testimonio del hombre actual". Op. cit. S. 113. '"Zambrano, M. "Hacia un saber sobre el alma". Op. cit. S. 25. l54 Die Zeitschrift Cruz y Raya, bei der María Zambrano ihre publizistische Laufbahn begann, war in Spanien das Sprachrohr des sich als geistige Revolution verstehende Bewegung 'Esprit'. Vgl. Mounier, E. "El movimiento Esprit y la revolución espiritual". Cruz y Raya 11. Madrid (1934): 3-4.
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geht es der Autorin nicht um die Definition einer literarischen Gattung. Leitgedanke dieser Schrift ist die Vereinigung des Menschen mit Gott durch das Bekenntnis seiner Schuld. Die genannten Dichter und Denker werden als Opfer einer Kultur beschrieben, welche die Fähigkeit zur Schulderkenntnis verloren habe. Das eigene Schuldbewußtsein der Autorin kommt in "Delirio de la paloma", einem kurzen Kapitel ihres autobiographischen Romans Delirio y destino zum Ausdruck, aber auch in ihrem in Claros del bosque geäußerten Wunsch, frei von dem Gewicht des Vergangenen zu atmen. Unschuld ist in dieser Schrift der Schlüssel zu einem im Begriff "universo" metaphorisch gefaßten ewigen Leben. Nur ein Mensch mit unschuldigem Herzen, heißt es, könne das Universum bewohnen (Cl. 75). La confesión: género literario, das unter dem Eindruck des II. Weltkrieges entstand, nennt seinerseits explizit die zu sühnende Schuld. Gemeint ist die Schuld der revolutionären Tat oder, um mit den Worten ihres Lehrers Ortega y Gasset zu sagen, die Beteiligung an dem 'Aufstand der Massen': Acción precipitada, nacida de un corazón obscuro. Es la acción revolucionaria que en los casos mejores ha surgido del anhelo de salir de la soledad, de encontrar la realidad. Y ha sido nuestra característica, la característica de nuestra vida que nos debería llevar hasta hacer nuestra confesión: haber actuado - nosotros, europeos - tras veinte siglos de cristianismo y otros más de filosofía como unos adolescentes (...) de haber cedido a la tentación de precipitar lo que aún no estaba en el tiempo, ni quizá lo llegué a estar nunca. (Conf. 33) In ihrem Aufsatz "Más sobre La Ciudad de Dios", der zunächst 1941 in der Zeitschrift Caribe erscheint, übernimmt sie die augustinische Vorstellung der Geschichte als Kampf zwischen einem Welt- und einem Gottesstaat. Die "historia verdadera", die über der geschichtlichen Faktizität stehe, ist die Heilsgeschichte. Die einzige Hoffnung Europas liege in seiner christlichen Vergangenheit und nicht in etwaigen philosophischen Utopien, die sich, bedingt durch die Verzweiflung des Menschen während des II. Weltkriegs, verbreiten würden. Die Überlegenheit der Religion gegenüber der Philosophie beruhe darauf, daß allein sie in der Lage sei, eine jedem Menschen zugängliche Ethik zu vermitteln: La Ciudad de Dios cristiana, donde se alojara la vida eterna, no es una utopía. Aquí la esperanza no ha sido racionalizada, ni se presenta en el reino del ser atemporal. Es la esperanza desnuda, sin sometimiento a cosa alguna, con una desnudez que jamás había tenido. Es la esperanza que brota pura, porque ha encontrado su cauce apropiado, que no es el de la razón, sino el de la fe.155 Um ihren Begriff der Zeit zu veranschaulichen, erinnert sie in diesem Aufsatz an die Worte von Emmanuel Mounier, dem französischen Vertreter des katholischen 155
Zambrano, M. "Más sobre La Ciudad de Dios". Hacia un saher sobre el alma. Op. cit. S. 128 f.
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Personalismus. "El tiempo es la paciencia de Dios", zitiert sie.156 Wie bereits berichtet, hatte der Herausgeber der Zeitschrift Esprit durch seine Kritik an der spanischen Republik der Philosophin im Juni 1938 den Anstoß zu ihrem Essay "Testimonio para Esprit" gegeben.157 Daß sie Mounier gerade in einem Essay zitiert, in dem sie die 'Schuld' des politischen Eingreifens als Bekenntnis formuliert, hat symbolischen Charakter. Es ist in gewisser Weise ein Kniefall: die reumütige Rückkehr zu einer spirituellen Bewegung, die, von der ethischen Entwicklung des Individuums ausgehend, eine soziale Veränderung herbeifuhren wollte, aber den Klassenkampf ablehnte. Ihre Ansicht, daß die Revolution aus der Verzweiflung und letztlich aus der Sehnsucht des Menschen nach dem 'Gottesstaat' erwachse, beinhaltet zugleich aber die Möglichkeit der Vergebung: El mundo de la cultura occidental, en su forma europea, se ha mantenido merced al trasmundo, y a su tiempo ha tenido la profundidad de tener la eternidad como fondo. Es, ha sido, la idealidad constitutiva del europeo, idealidad que por impaciencia se ha roto queriendo traer a todo trance la Ciudad de Dios, asfixiada por la otra, por la ciudad real.158 Die Unterscheidung zwischen einer Geschichte der Fakten und einer Geschichte der Hoffnung setzt sich fort in der Opposition von "realidad" und "realidad suprema". Damit wird auch die Dichotomie, welche sie zwischen "realidad" und "verdad" etabliert, nachvollziehbar. In Claros del Bosque ist dagegen der implizit eingeführte Gegensatz von Wirklichkeit und Wahrheit auf eine intuitive Lektüre angelegt. In "El cumplimiento", einem Fragment aus diesem Buch, stellt Maria Zambrano das existentielle Erlebnis, das in ihrem Leben wohl die Ausrufung der Republik im Jahre 1931 war, als Auszeichnung der zum 'wahren' Leben Berufenen dar. Nur jene, die die Erfüllung des historischen Moments erfahren hätten, schreibt sie, blieben vor der Blendung durch die Geschichte gefeit: Y así quedara siempre, para quienes estuvieron despiertos durante el acontecimiento, la presencia de la vida inconfudiblemente, de una vida de verdad o verdaderamente vida, sin todavía mella alguna de su inevitable hija, la historia. Y no hay engaño posible para este sentir, indisolublemente sentir y conciencia de que la vida no ofrezca esa condición, de ser indefinible e inmensa, inasible, don y regalo que no invade, que necesita, sí, de moral que la conduzca. Mas de moral inspirada también por la muerte y no sólo por la historia. (Cl. 44 f.) Die Wiedergeburt des Menschen zu einer "realidad suprema", zu einer "vida verdadera en la luz", wie es in ihren von der augustinischen Lehre inspirierten 156
Ibid., S. 130. Vgl. Unterkapitel 3.4.4. "Testimonio para Esprit". 158 Zambrano, M. "Más sobre La Ciudad de Dios". Op. cit. S. 130 f. 157
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Schriften heißt, bedeutet aber nicht allein die Überwindung einer gespaltenen Existenz durch eine metaphysisch gewonnene Einheit. Bisweilen grenzt Maria Zambranos Denken an Okkultismus, so zum Beispiel, wenn sie in La confesión: género literario der intellektuellen Erkenntnis eine übersinnliche Fähigkeit entgegenhält, mit den Verstorbenen in Verbindung zu treten (Conf. 68). Die Erfahrung des "Zentrums" der Seele - ein Begriff, der in Claros del bosque wiederkehrt - sei demjenigen vorbehalten, der seine Existenz nicht hinterfrage. Hier hege der Zugang zu dem vom modernen Zeitalter verdrängten Wissen (Conf. 41).159 Weiterhin verbindet sie mit ihrem Glauben an die augustinische Prädestinationslehre eine in "El freudismo, testimonio del hombre actual" dargelegte Vorstellung, daß der Mensch eine an seinen Namen gebundene Berufung erfülle: Nuestra individualidad, tan concreta, está ligada al nombre que recibimos de nuestro padre que es nuestro sello, nuestra distinción. Tener nombre es tener un origen claro, pertenecer a una estirpe, tener un destino. Sentirse llamado con voces inconfundibles, sentirse ligado y obligado. Porque al tener nombre sentimos que aventuramos en cada acción nuestra, todo este capital que se nos ha llegado, nos sentimos responsables de cosas que no nos afectarían de ser sólo nuestras y en grado mucho mayor de las que nos afectan directamente. 160 Der Mensch folgt somit - nach der Namensgebung durch den Vater - einer von Gott berufenen Existenz. Die Vorstellung des leiblichen Vaters und die des göttlichen Schöpfers liegen in Maria Zambranos Äußerung nah beieinander. In Poesía y pensamiento en la vida española verweist sie auf ihre vermeintliche Berufung als Vermittlerin einer übersinnlichen Botschaft. Sie habe das Schicksal und die Seligkeit erfahren, die jedem "mediador" vorbehalten seien (PyP 19). Ihre Suche nach einem entsprechenden literarischen Ausdruck spiegelt sich in ihrem Interesse an den augustinischen Bekenntnissen und den quietistischen und mystischen Schriften wider.161 Weshalb die Autorin an dem Protestantismus oder, wie sie schreibt, an den "luterodoxias" Anstoß nimmt und in ihnen eine weitere Ursache für die Entfremdung des Menschen sieht, begründet sie nicht. Es liegt allerdings nahe, daß sie eine Abneigung gegen den Protestantismus hegen muß, insofern als sie sich aufgrund ihres Namens mit der imaculata identifiziert.162 Auch evoziert ihre "Carta sobre el exilio" den Leidensweg und die Erleuchtung eines Heiligen: Su actitud y su gesto son los del que va a romper a hablar, tanto que (...) puede ser también una imagen de la voz (...). La voz del que ha renunciado al llanto y se le ha bajado desde los ojos abiertos, tan abiertos por eso al 159
Vgl. auch "Dos fragmentos acerca del pensar". Orígenes 40. La Habana (1956): 3-6. Zambrano, M. "El freudismo, testimonio del hombre actual". Op. cit. S. 120. 161 "San Juan de la Cruz - de la "noche oscura" a la más clara mística" schrieb María Zambrano noch vor ihrem Verlassen Spaniens für Hora de España. Es erschien aber erst, als sie im Exil war, in der argentinischen Zeitschrift Sur 9. 63. Buenos Aires (1939): 43-60. •"Zambrano, M. "A modo de biografia". Anthropos 70/71. Barcelona (1987): 69-73. S. 70.
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alma como una lluvia, no del cielo, pero sí de los ojos que están mirando al cielo. Y esta voz es la voz de la diafanidad. Es la presencia de una voz inaudible, la del exiliado también inaudible; la voz para decir las palabras concebidas diáfanamente, es decir, sin carga de pasión alguna (...) Y esa verdad, esa palabra diáfana, está ahí con él, en su presencia; la tiene consigo, es la prenda que un día dará que se desprenderá de él sin violencia, de la misma manera que él se ha desprendido de todos sus ropajes y figuras, incluso de las más legítimas.163 In Los bienaventurados (1990) erscheint das Exil ebenfalls als eine Analogie religiöser Läuterung. Der Herausgeber von Claros del Bosque stellte dieses Buch als "obra singualarísima, digna de la madurez de la gran pensadora"164 vor. Diese Bezeichnung und der Zeitpunkt seines Erscheinens im Jahre 1977 erwecken den Eindruck, daß es sich um ein Spätwerk handelt. Aber die Autorin selbst läßt den Zeitpunkt der Entstehung dieser lyrischen Schrift offen: Claros del bosque (...) aparece como algo inédito salido de ese escribir irreprimible que brota por sí mismo y que ha ido a parar a cuadernos y hojas que nadie conoce, ni yo misma, reacia que soy a releerme.165 Wie bereits dargelegt, kann davon ausgegangen werden, daß die aperçus, die Claros del bosque beinhaltet, schon in den vierziger und fünfziger Jahren entstanden.166 Im Jahre 1955 kündigte nämlich die kubanische Zeitschrift Ciclón dreimal einen Beitrag namens "El vacío y la belleza" von María Zambrano an, ohne ihn jemals zu veröffentlichen. Claros del bosque enthält einen gleichnamigen kurzen Text, in dem es heißt: Y en el umbral mismo del vacío que crea la belleza, el ser terrestre, corporal y existente, se rinde; rinde su pretensión de ser por separado y aun la de ser él, él mismo; entrega sus sentimientos que se hacen unos con el alma. Un suceso al que se le ha llamado contemplación y olvido de todo cuidado. (Cl. 53) Die Texte, die María Zambrano als "fragmentos" bezeichnete, fanden in Orígenes, der Kunst- und Literaturzeitschrift des kubanischen Dichters und Freundes, José Lezama Lima, einen Platz. Zuerst erschien "La metáfora corazón", eine Einleitung oder Vorstufe zu dem gleichnamigen Text in Claros del bosque. In diesem 1944 veröffentlichten Aufsatz heißt es:
163
Zambrano, M. "Carta sobre el exilio". Op. cit. S. 67. Zambrano, M. Claros del bosque. Op. cit. Aus dem Kommentar im Bucheinband. ,65 Ibid. l66 Vgl. Unterkapitel 2.4 Bibliographische Spuren im Exil. 164
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5. Zum Selbstverständnis im Exil La metáfora es una definición que roza con lo inefable, única forma en que ciertas realidades pueden hacerse visibles al los torpes ojos humanos.167
Es folgten 1946 in "Los males sagrados: La envidia" Ausführungen über eine durch gezielte Einsamkeit hervorgerufene Erfahrung persönlicher Integrität. Das Erlebnis des Unsagbaren und die Begegnung mit dem Heiligen - "el ángel aparece siempre a los que logran la soledad" - sind Vorboten einer sich bald verdichtenden Symbolik.168 Die Hermetik und Kürze der "fragmentos" entsprechen Maria Zambranos Vorstellung der Offenbarung als unmittelbare und jäh versiegende Quelle des Wissens. In der Einleitung zu Claros del bosque definiert sie eine, wie sie meint, abstraktionsfreie Anschauungsweise, in der Denken und Fühlen eins sein sollen. Die Teilhabe an dieser Form ganzheitlicher Erkenntnis verlange jedoch einen Tribut. Im Austausch gegen eine unmittelbare und umfassende Einsicht müsse die Diskontinuität des Wissensprozesses ertragen werden: Mas lo que se vislumbra, se entrevé o está a punto de verse, y aun lo que llega a verse, se da aquí en la discontinuidad. Lo que se presenta de inmediato se enciende y se desvanece o cesa. (Cl. 14) Die "Waldlichtungen", sind ihrerseits Metapher für die Vollkommenheit und zugleich für die sporadische, diskontinuierliche Erscheinung des Erkenntnismoments. Eine noch deutlichere stilistische Übereinstimmung mit Claros del bosque zeigen die aperçus, welche Maria Zambrano 1953, ebenfalls unter der Überschrift "Fragmentos", in Orígenes veröffentlichte.169 In "La materia" kündigt die Reduktion der Materie auf den Staub und letztlich auf das Nichts als Widerspiegelung des Göttlichen das verborgene, präexistente Wesen an, von dem in Claros del bosque die Rede ist (Cl. 28). "El cristal", "El vegetal" und "Vivir es anhelar" vermitteln die Sehnsucht nach einer Symbiose zwischen "el organismo visible y el invisible que lo mantiene".™ Die Sehnsucht nach einer Synthese von sinnlicher und übersinnlicher Existenz bildet das Motiv der "fragmentos" und von Claros del bosque. Möglicherweise ist Claros del bosque nicht, wie es ankündigt wurde, ein Werk der "Reife". Manche Texte scheinen eher - neben Maria Zambranos essayhaften Streifzügen durch die Metaphysik - als exercices d'admiration konzipiert worden zu sein. Die Kapitel fuhren vom "El despertar" über "Pasos", "El vacío y el centro", "Palabras" und "Signos" zur "Entrega indecifrable". Die im allgemeinen sprachimmanente Interpretation von Maria Zambranos Werk betrachtet dieses Buch als 'Metapher in sich'. Die ausschließliche Betonung seines ästhetischen Charakters
1
"Zambrano, M. "La metáfora del corazón (Fragmento)". Orígenes 1. 3. La Habana (1944): 3-10. S. 3; und in: Hacia un saber sobre el alma. Op. cit. 168 Zambrano, M. "Los malos sagrados: La envidia. (Fragmento)". Orígenes 3.9. La Habana (1946): 11-20. S. 19. "»Zambrano, M. "Fragmentos". Orígenes 10.33. La Habana (1953): 8-13. 170 Ibid., S. 12.
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vernachlässigt aber den in ihm anklingenden Einfluß christlicher Mystik.171 Doch wie in den oben behandelten Aufsätzen, die als Vorspiel zur "unerklärlichen Hingabe" angesehen werden können, wiederholt die Autorin in Claros del bosque ihre Ansicht über die Auserwäliltheit bestimmter Personen: Y al fin en algunos seres humanos se cumple la union de las dos respiraciones. Humanos, decimos, porque sôlo de ellos podemos percibirlo con certeza. (Cl. 101) Eine Differenzierung zwischen Mystik, Pantheismus, Personalismus und Phänomenologie ließe sich nur schwer vornehmen und wäre vielleicht auch nicht im Sinne der Autorin. Eine Zwitterstellung zwischen allen diesen Anschauungen käme ihrer Intention wohl am nächsten. Die These eines auserwählten Zugangs zur Wahrheit ist letztlich die logische Folgerung jedes Denkens, das durch Subjektivität und Irrationalismus eine Vermittlung seiner Einsicht ausschließt. Das Verschwiegene, das die Metapher vor den "unbeholfenen Augen" des Menschen enthüllen soll, ist keine neue Dimension menschlicher Existenz. Wie die Philosophin in "Mistica y poesia" erläutert, ist das, was sie mit Hilfe der poetischen Sprache zum Vorschein bringen will, "lo que debe ser callado".112 Es handelt sich um eine vom Rationalismus verdrängte Glaubenswahrheit. In ihren frühen Schriften, in denen sie das Fundament ihrer poetisch-metaphysischen Fragmente niederlegte, griff die Autorin auf Elemente der christlichen Mystik zurück - auf die Vorsehung, auf die Auszeichnung bestimmter Personen und ihre daraus resultierende Mittlerrolle zwischen einem höheren Wesen und dem Menschen. Ihre Perspektive verschiebt sich nach und nach von einer 'spanischen' Weltanschauung zu einer abendländischen, christlichen Vision. Den welterneuernden Antrieb sieht sie nunmehr in der christlichen, europäischen Kultur. Von dieser spirituellen Vorrangstellung, die sie zunächst auf Spanien und später auf das Abendland übertrug, ist in den Fragmenten kaum noch eine Spur zu finden. In zunehmendem Maße identifiziert Maria Zambrano den Rationalismus mit dem Abendland und versteht sich selbst als eine heterodoxe Denkerin. Durch diese neue Perspektive fließen Elemente einer pantheistischen Naturmetaphorik in ihre aperçus ein. Auch wird das übersinnliche Wesen, dessen Berührung sie sucht, nicht mehr deutlich als persönlicher Gott des Christentums denominiert. Dennoch durchziehen zwei Hauptkonstanten das religiöse Denken der Philosophin. Dies ist erstens das Schuldbekenntnis als Ausgangspunkt einer metaphysischen Überwindung irdischen Daseins und zweitens das Streben nach einer absoluten Wahrheit, die - weil sie in dieser Welt nicht existiert - vom Übersinnlichen hergeleitet wird.
171
Vgl. Dorang, M. "Kalliope auf Holzwegen". Die Philosophin 6. Tübingen (1992): 87-90. Zambrano, M. "Mistica y poesia". Op. cit. S. 150.
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5. Zum Selbstverständnis im Exil
Meine Interpretation von Maria Zambranos Schreiben als Ausdruck eines mystischen Denkens setzt eine bewußte Auseinandersetzung mit dem Rationalismus von Seiten der Autorin voraus. Ihr Bemühen, die klassische Vernunft zu überwinden, bedeutet, daß sich die Autorin nicht allein von der Lyrik der Mystiker inspirieren läßt. Ihre Intention verlangt, daß sie das metaphysische Denken und den ästhetischen Ausdruck in einer solchen Weise verbindet, daß ihr Wort die Schranken einer Kultur überspringt, die dem Glauben weitgehend abgeschworen hat. Der Inbegriff von Denken und Fühlen heißt nun "el corazón", und der Leser wird eingeladen, ihm auf intuitiv ertastbaren Wegen jenseits von "la mente discursiva, la gran ordenadora" zu folgen (Cl. 68). Doch wie unsicher auch immer die gewählten Pfade beschrieben werden, so ist das Ziel nicht unbekannt. Von zahlreichen Umwegen unbeschadet, enden die Wanderungen des Herzens stets in der "inmensidad de la única respuesta" (Cl. 68).
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6. Das dramatische Werk La tumba de Antigona
6.1 Antigone - Ein Archetyp der dichterischen Vernunft In der langen Reihe derer, die in diesem Jahrhundert den Stoff des Ödipus-Mythos wieder aufgegriffen haben, nimmt Maria Zambrano nicht allein als Frau im Kreis der überwiegend männlichen Autoren eine besondere Stellung ein. Ihre 1967 veröffentlichte Tragödie La tumba de Antigona bot ihr die Möglichkeit, die historischen Umwälzungen, die sie persönlich erlebte, aufzuarbeiten. Mit dieser mythologischen Figur identifizierte sie ihre Schwester und sich selbst. Es ist also nicht verwunderlich, daß die Entstehung dieses Bühnenstücks eine zwanzigjährige Geschichte hat. Bereits 1948 veröffentlichte Maria Zambrano mit "Delirio de Antigona" einen ersten Entwurf ihres Dramas. Das umfangreiche Vorwort der Autorin zu La tumba de Antigona liefert darüber hinaus eine Synthese der dichterischen Vernunft. Alle diese Aspekte werden hier in die Betrachtung von Maria Zambranos dramatischem Werk miteinbezogen. Diese Arbeit berücksichtigt deshalb die Entstehungsgeschichte von Maria Zambranos Antigone unter Bezugnahme auf ihre ästhetische Schrift El sueño creador und ihren ersten dramatischen Entwurf "Delirio de Antigona". Im Zusammenhang mit anderen Schriften, wie El hombre y lo divino, Persona y democracia und Claros del Bosque sowie "La conciencia histórica; el tiempo", die Hinweise für eine Interpretation des Dramas liefern, wird das sehr ausfuhrliche Vorwort der Autorin diskutiert. Die Tragödie selbst umfaßt drei Ebenen eine philosophische, eine historische und eine persönliche. La tumba de Antigona bildet einerseits die dramatische Gestaltung der religiös-philosophischen Anschauung der Autorin. Andererseits stellt sie eine Allegorie des spanischen Bürgerkrieges dar, in welcher wir zwei mit der Schriftstellerin vergleichbaren Figuren begegnen.
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6. Das dramatische Werk
6.1.1 Zur Entstehungsgeschichte von Maria Zambranos Antigone Der Titel La tumba de Antigona kündigt bereits an, daß die Autorin sich auf den tragischen Augenblick der Agonie der Heldin beschränken wird. In ihrer Interpretation gibt sich Antigone nicht selbst den Tod, sondern überschreitet ihr menschliches Dasein und geht in die Ewigkeit ein. Noch vor der ersten Veröffentlichung dieses Dramas im Jahre 1967 in der mexikanischen Edición Siglo XXI erschien eine verkürzte Fassung des umfangreichen Vorworts ohne jeglichen Hinweis auf das dazugehörige Bühnenstück in der Revista de Occidente (Sept. 1967).173 Das Drama selbst, das in der Inszenierung durchaus die Möglichkeit geboten hätte, Antigones Widerstand gegen den Tyrannen als Aufruf gegen die Franco-Diktatur in den Vordergrund zu stellen, wurde in Spanien erst 1986 veröffentlicht.174 Im Jahre 1989 folgte eine weitere Ausgabe im Verlag Mondadori, aus der ich im folgenden zitiere.175 Im Jahre 1948 erschien in Kuba, ebenfalls mit einem gewichtigen Vorwort versehen, "Delirio de Antigona", das sie bereits ein Jahr zuvor in Paris verfaßt hatte.176 Dieses ihrer Schwester gewidmete Fragment ist ein erster Entwurf ihres Bühnenstücks. Auch in El sueño creador, das sie erstmals 1965 in einer Sammlung der Universidad Veracruzana publizierte, finden wir ein Kapitel namens "El personaje autor: Antigona".177 Das Vorwort von "Delirio de Antigona" definiert die griechische Jungfrau als Tribut der Menschlichkeit an die Toten: ¿Es inadmisible imaginar que Antigona pertenezca a esta estirpe de heroínas primaverales, raptadas por los muertos, por los infiernos, de donde resurgen una y otra vez? Pero Antigona es algo más: es la primavera de la conciencia humana, la pureza de la conciencia y por ello resurgirá una y otra vez de su sepulcro para alumbrar el mundo (...) Y es la esencia del misterio de esta perfecta virginidad, que en ella son la misma e idéntica cosa; conciencia y piedad pues que la conciencia no discierne indebidamente y sólo entiende de lo que es más que justo, de lo justo según la lógica divina. (DA 15) Der Stoff selbst trägt den Widerstandsgedanken in sich. Darüber hinaus liefert La tumba de Antigona eine wahre Genealogie des spanischen Konflikts, weil die mythischen Figuren die im Bürgerkrieg implizierten Parteien symbolisieren. Doch im Gegensatz zu Jean Anouilhs Theaterstück aus dem Jahre 1944 bleibt die Botschaft von La tumba de Antigona letztlich die der Versöhnung. Für die Autorin ist die griechische 173
Zambrano, M. "La tumba de Antigona". Revista de Occidente 54. Madrid (1967): 273-293. "La tumba de Antigona". Litoral 121-122-123. Torremolinos (1986): 25-85; und in: Senderos Los intelectuales en el drama de España Barcelona: Anthropos, 1989. S. 199-265. 175 Zambrano, M. La tumba de Antigona. Madrid: Mondadori, 1989. Im folgenden abgekürzt als TA Pr für den Prolog und TA für die Tragödie selbst. 176 Zambrano, M. "Delirio de Antigona". Orígenes 5. 18. La Havana (1948): 14-21. Nachfolgend abgekürzt als DA Pr für das Vorwort und DA für den dramatischen Entwurf "Delirio primero". 177 Nachfolgend zitiert aus: "El sueño creador". OR 17-112. Hier abgekürzt als Sc. l74
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6. Das dramatische Werk
Tragödie ein "oficio de la piedad", wie es in ihrem erstmals 1955 veröffentlichten Buch El hombre y lo divino heißt (HyD 210). Unter der Prämisse der Frömmigkeit weist der Widerstand Antigones auf eine überweltliche Ordnung hin und will den diesseitigen Herrschaftsverhältnissen keine Bedrohung sein: Tal orden no podía establecerse por la razón, ni por la conciencia descubierta por la filosofía. Pues es un orden hecho de razones secretas, sutiles, paradójicas; de razones del corazón que sólo el delirio da a conocer. (HyD 210) Antigone spricht zu uns im Todeswahn. Ihre Tat, den Bruder Polyneikes entgegen dem Verbot durch den Tyrannen zu begraben, vollzog sie aus einem Urempfinden heraus, das sich in Maria Zambranos Bühnenstück als das christliche Gewissen entwickelt. So ist ihre Heldin die Verkünderin der neuen, die Antike überwindenden Religion. Antigone folgt einer Vision, die ihr die Kraft verleiht, ihr Schicksal auf sich zu nehmen. Durch die Anerkennung und das Sühnen der menschlichen Schuld erlöst sie den Stamm der Labdakiden aus der Gewalt der 'Götter des Verhängnisses'. La tumba de Antigona wurde am 24.3.1990 im Rahmen des I. Kongresses über Leben und Werk von Maria Zambrano im städtischen Theater von Vélez-Málaga unter der Regie von Antonio Jiménez Millán uraufgeführt. In seiner Adaptation erlaubte sich Juan Hurtado, das Bühnenstück um sieben Figuren zu erweitern.
6.1.2 "El sueño creador" Eine Symbiose von Autorin und dramatischer Gestalt Maria Zambrano schreibt im Vorwort von Senderos - Los intelectuales en el drama de España, daß sie zum ersten Mal während ihres Aufenthalts im Paris der Nachkriegsjahre mit dem Stoff des griechischen Mythos arbeitete. In ihren Worten ist Antigone ein Geist, der durch ihre Schwester zu ihr spricht: No la forcé a que me diera su nombre, caí a solas en la cuenta de que era ella, Antígona, de quien yo me tenía por hermana y hermana de mi hermana que entonces vivía y ella era la que me hablaba; no diría yo la voz de la sangre, porque no se trata de sangre sino de espíritu que decide, que se hace a través de la sangre derramada históricamente en destino insoslayable que las dos apuramos. (Send 8) María Zambranos Antigone-Interpretation ist also, neben einer religiösen Botschaft und einer Genealogie des spanischen Konflikts, auch Ausdruck ihrer persönlichen mystischen Weltanschauung. Die thebanische Prinzessin versinnbildlicht das Schicksal, das ihr und ihrer Schwester auferlegt wurde. In diesem Zitat erscheint das Leben der Autorin selbst als eine Art Buße. Antigone ist Araceli, ist die Autorin selbst, möchte man in einer logischen Umkehrung von Maria Zambranos Phantasien
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behaupten. In La tumba de Antigona erhält die Heldin tatsächlich autobiographische Züge der Autorin und ihrer 1972 verstorbenen Schwester. In "El personaje autor: Antigona", einem Kapitel aus ihrem Werk El sueño creador, beschreibt Maria Zambrano das Verhältnis des Autors zu seiner poetischen Gestalt als Symbiose. Die poetische Gestalt zehrt von der Lebenszeit, welche ihr der Autor leiht, um ihre Geschichte zu erzählen (Sc 59). Diese Betrachtung entspricht der Vorstellung von Carl Gustav Jung, der das Werk als Schicksal und psychologische Bestimmung des Dichters darstellte. Wo das Schöpferische überwiege, schrieb er, überwiege auch das Unbewußte als lebens- und schicksalsgestaltende Kraft gegenüber dem bewußten Willen. Das Bewußtsein würde - "von der Gewalt eines unterirdischen Stromes mitgerissen" - zum hilflosen Zuschauer der Geschehnisse.178 Maria Zambranos Konzeption des schöpferischen Traumes steht dem sehr nahe, was Jung eine künstlerische 'Urvision' nannte: Sueño creador quiere decir tanto el sueño del autor que crea como el sueño necesitado de creación. Y sueño necesitado de creación quiere decir que el personaje necesitase recrearse o ser recreado. (Se 60) Diese Aussage, die das Visionäre zugleich als Eigenschaft des Autors und des hypostasierten dichterischen Gegenstandes versteht, erinnert an Maria Zambranos frühes Essay "¿Por qué se escribe?". Auch in diesem Aufsatz aus dem Jahre 1934 weist die Autorin dem Schriftsteller eine lediglich vermittelnde Rolle gegenüber dem selbständig zur Enthüllung drängenden Stoff zu. 179
6.1.3 Ein Fragment: "Delirio de Antigona" Das "Delirio primero", das den ersten Aufzug der 1948 in Havanna gedruckten Frühfassung der Tragödie bildete, wurde fiir La tumba de Antigona nicht übernommen. In diesem Entwurf konzentrierte sich der Konflikt auf Antigones Auflehnung gegen ihr Schicksal. Das Fragment beginnt mit den Worten "Nacida para el Amor me ha devorado la piedad". Es sind dieselben Worte, welche Maria Zambrano von dem Geist Antigones vernommen zu haben meint (Send 8), und auch dieselben, mit welchen sie ihre Schwester Araceli in Delirio y destino beschreibt (DyD 249). Dann folgt die Klage der jungfräulich Sterbenden "y qué hacer con estas entrañas que gimen y siento por primera vez, cuando ya no es tiempo" (DA 19). In Sophokles' Tragödie heißt es, Antigone habe auf dem Weg zu ihrem Felsengrab über ihre vereitelte Hochzeit mit Haimon geweint. In der ersten AntigoneInterpretation der spanischen Philosophin erhebt die in der Unendlichkeit der 178
Jung, C. G. "Psychologie und Dichtung". Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft. Gesammelte Werke. Bd. 15. Ölten 1976. S. 97-120. S. 118. 179 Mitte der zwanziger Jahre begann eine regelmäßige Veröffentlichung von Auszügen aus Jungs Werk in der von Ortega y Gasset herausgegebenen Revista de Occidente. Bereits Maria Zambranos erstes Buch El horizonte del liberalismo (1930) steht unter dem Einfluß seiner Typenlehre.
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Unterwelt ergraute Heldin hingegen Vorwürfe gegen ihren Verlobten. Antigones Sehnsucht nach sinnlicher Erfüllung steht geradezu im Widerspruch zu der im Vorwort von "Delirio de Antigona" betonten Keuschheit des Opfers. Die aus einem langen Monolog bestehende Szene "Delirio primero" ist eine Abrechnung mit Haimon. Er wird als "pálido principe de niebla dorada, húmedo siempre y helado, llama sin fuego" bezeichnet, der sie nicht verfuhrt und nicht geschwängert habe (DA 19). Das unerfüllte Begehren der Heldin erreicht seinen Höhepunkt, indem sie bekennt, sie habe aus Rache gegen ihren Verlobten den Körper des toten Bruders Polyneikes umarmt (DA 20). Das Inzestmotiv wiederholt sich noch mehrfach in "Delirio de Antigona", indem sich die Heldin als "esposa prometida a los muertos" erkennt (DA 20) und schließlich nach ihrem Vater "único hombre a quien conocí" ruft. In diesem Wahnmonolog mündet Antigones Lust in den Tod. Ihre erste Klage gegen Haimon wird durch den an das männliche Geschlecht gerichteten Vorwurf der Nekrophilie verstärkt (DA 20). In der Unerfulltheit ihres Begehrens nach Haimon überträgt Antigone ihre Liebe auf die Toten und bleibt damit im Bann des Familienfluchs, anstatt ihn zu brechen. Antigone ist selbst nicht imstande, ihre Lust, außer durch bloße Erwartung, zu äußern. Die eigene Passivität schlägt um in Vergewaltigungsphantasien (DA 20), in denen das Opfer eine befreiende Verwandlung erlebt. Haimons Verlangen nach ihr schildert Antigone als einen einzigen sehnsuchtsvollen Blick, der ihren Nacken streifte. Mit gesenktem Haupt harrt sie erwartungsvoll seines als "cuchillo fino" versinnbildlichten Triebes. Es fallt schwer, sich einen Weg vorzustellen, wie Maria Zambrano diese sehr irdische Gestalt aus dem Labyrinth der Psyche in das schuldlose Dasein der späteren Antigone hätte herausführen können. Diesen ersten Ansatz, in dem Antigone von den Lebenden und den Toten verlassen ist und an ihrer Einsamkeit verzweifelt, hat die Autorin daher aus gutem Grund aufgegeben. In La tumba de Antigona erinnert nur die siebte Szene "La harpía" an das Ringen Antigones mit dem Unterbewußtsein. Die Auseinandersetzung findet hier in Form eines Streitgesprächs zwischen der Prinzessin Thebens und der als beflügeltes Ungeheuer verkleideten Psychoanalyse statt. Dabei soll Antigone dazu verleitet werden, in ihrer Jungfräulichkeit nicht die Reinheit, sondern die Frigidität zu erkennen. Die Inszenierung einer dramatischen Figur, mit der sich die Autorin identifiziert, wirft Fragen hinsichtlich ihres eigenen Lebenslaufs auf. Man könnte geneigt sein, einen Zusammenhang zwischen dem ersten Dramen-Entwurf und der endgültigen Trennung von ihrem Ehemann Alfonso Rodríguez Aldave im Jahr 1948 zu suchen oder in Antigones Liebe zu den Toten die zum Begehren sublimierte Trauer der Autorin um einen oder um die Gefallenen des Bürgerkriegs zu sehen. Zuviel bliebe dabei jedoch bloße Spekulation. Es ist, so meine ich, der Titel dieses fragmentarischen Entwurfes, der zu einer Klärung der Diskrepanz zwischen der frühen und späten Antigone-Figur führen kann.
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"Delirio de Antigona" und "Delirio primero" verweisen wie der Titel von Maria Zambranos autobiographischem Roman Delirio y destino auf eine initiale, schuldbehaftete Phase im Leben, aus welcher heraus die auserwählte Person oder Figur zu einem Verständnis ihrer Prädestination erwacht. Erst dann, in der Anerkennung des bisherigen Lebens als Wahn, beginnt die Annahme der Vorherbestimmung, die allen Ereignissen ihres Lebens, selbst der in der Phase des "delirio" begangenen Sünden, Einheit und Sinn verleiht: Sólo despues de una cadena de culpas, de errores, de delirios llega el instante del reconocimiento, de la identificación: el protagonista se reconoce como sujeto de culpa; se libra con ello de ser el objeto, el simple objeto sobre el que ha caldo el favor o la condenación del destino que planea sobre los hombres y sobre los dioses. (TA Pr 28) Es besteht auch eine Analogie zwischen dieser Opposition und einer anderen, welche Maria Zambrano in ihrer Traumtheorie entwickelt. Die Autorin unterscheidet in "El sueño creador" und ihrem postum veröffentlichten Buch Los sueños y el tiempo (1992) zwischen "el sueño de la psique" und "el sueño de la persona". Während die erstgenannte Traumart als eine marginale Erscheinung abgetan wird, ist die zweite für sie Ausdruck des vitalistischen Lebenselans, mit dem sich die 'Person' jenseits ihrer faktischen Lebensumstände projiziert.180
6.1.4 Zum Prolog von La tumba de Antigona Der Prolog wird, anders als bei Sophokles, nicht von der Protagonistin gesprochen. Es ist die Autorin, die in einem umfangreichen Text ihre Interpretation des Mythos anbietet. In Art und Umfang erinnert dieses Vorwort an Sören Kierkegaards AntigoneEntwurf.181 Maria Zambrano nimmt explizit Bezug auf das Interesse des dänischen Philosophen für diese mythische Gestalt und bezeichnet ihn selbst aufgrund seines christlichen Glaubens als eine Art Antigone (TA Pr 35). Sein eigener tragischer Konflikt habe sich wohl in dem "mundo de los hermanos, en el del Hijo" gelöst, schreibt sie unter Bezugnahme auf das in ihrem dramatischen Werk vorkommende gelobte Land "la ciudad de los hermanos". Sie dürfte Kierkegaards ästhetische Abhandlung in der Übersetzung von Juan Gil Albert gekannt haben, die 1942 unter dem Titel Antigona im Verlag Séneca in Mexiko erschien.182 Es ist durchaus denkbar, daß sie sich von einigen Ansätzen seines noch sehr schematischen Entwurfes inspirieren ließ. Vor allem hat Maria Zambrano ihre Idee der 'erzählenden Verstorbenen', wie Antigone zum Schluß des Prologs und der Tragödie dargestellt wird, von Kierkegaard übernommen.183 Sie selbst fuhrt dieses Charakteristikum in 180
Vgl. Kapitel 7. Geschichte, Traum und Zeit. Kierkegaard, S. "Der Widerschein des antiken Tragischen in dem modernen Tragischen". Entweder/Oder. Erster Teil. Düsseldorf 1964. S. 149-176. 182 Vgl. Sören Kierkegaard. International Bibliografi. Hg. Jens Himmeistrup. Kopenhagen 1962. Nr. 1724. 183 Kierkegaards Antigone-Entwurf wird von einem fiktiven Erzähler "vor den Symparanekromenoi" oder 'Mitverstorbenen' gelesen. Vgl. Kierkegaard, S. Op. cit. S. 148. 181
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ihrem kurzen Aufsatz "Del origen del teatro" auf eine noch ältere Tradition, nämlich die des religiösen Theaterspiels, zurück: En estas obras el personaje humano no está nunca solo; dialoga con los muertos, con los dioses. Y el protagonista es a veces alguien que ha muerto y que vuelve a contar su verdadera historia. Pues que en el teatro, en el gran teatro de la vida, la vida se entrelaza con la muerte; el instante inmediato deja ver al más allá; y así era también el teatro en la Edad Media, los "Misterios" (...) Los "Autos Sacramentales" llevan esta concepción del teatro a su máximo esplendor en España, donde Calderón y Tirso de Molina hacen todavía del teatro una especie de liturgia.184 Für María Zambrano steht die Figur der Jungfrau oder der "muchacha" im Vordergrund. Diese bringt sich nicht im Grabe um, sondern erfährt den Zeitraum des Sterbens als Überschreitung ihrer selbst und der Welt. Damit teilt sie mit Kierkegaard auch die Vorstellung, nach der Antigone "wiewohl lebendig, in einem andern Sinne doch verstorben" ist.185 Maria Zambrano schafft eine Figur, die ihr Schicksal annimmt und ihr Opfer als Erlösung des Stammes Labdakos begreift. Antigone stirbt in der Gewißheit, daß die einzige Überlebende, ihre Schwester Ismene, vom Fluch erlöst, eines natürlichen Todes sterben wird. Das Vorwort, das als eine explizite Darstellung von Maria Zambranos Geschichtsphilosophie bezeichnet werden kann, beginnt und endet als Erzählung. Dichtung und Philosophie sind im Prolog entsprechend dem Credo der Autorin ineinander verwoben. Es ist von einer Gestalt die Rede, die den Wahngesprächen Antigones lauscht und diese "lo más fielmente posible" übersetzt. Diese Gestalt taucht als einer der beiden Unbekannten in der Schlußszene des Bühnenstücks "Los desconocidos" wieder auf. Auf diese Weise bringt die Autorin die Figur des Schriftstellers und - was ihrer Auffassung nach das gleiche ist - des Vermittlers in die Tragödie ein. Bei Maria Zambrano beginnt das eigentliche Leben Antigones im Felsengrab, nachdem sie ihre Bestimmung auf Erden, den blinden Vater zu geleiten und den Bruder Polyneikes zu begraben, erfüllt hat: Mas podía Antígona darse la muerte, ella que no había dispuesto nunca de su vida? (TA Pr 17) Die Selbsttötung hätte, so die Autorin, lediglich eine Fortfuhrung der Zerstörung bedeutet, während die Tragödie als Dichtung eine Botschaft verlange, welche die reine Vernichtung überwinde. Vor allen anderen Aspekten des Ödipus-Mythos sei es Antigones "lamentación sin fin y sin finalidad", die dichterische Kraft besitze, eine Kraft, die am Ende zur Inspiration des "primer desconocido" wird. Mit den Worten "Su voz desatará tu lengua" wird die Schriftstellergestalt von dem zweiten '"Zambrano, M. "E1 origen del teatro". Educación 18. San Juan de Puerto Rico (1965): 48-49. '«'Kierkegaard, S. Op. cit. S. 168.
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Unbekannten aus dem Grab der Heldin fortgeschickt. Es bietet sich um so mehr an, diese Figur in Beziehung zu der Autorin zu setzen, als sie im Vorwort zu Senderos Los intelectuales en el drama de España die Entstehung dieses Bühnenstücks als Transkription einer durch Antigone an sie gerichteten Rede darstellt (Send 8). Der Gedanke, daß die Inspiration von der dichterischen Figur und nicht von der Vorstellungskraft des Schriftstellers stamme, ist bei María Zambrano die Variation einer grundsätzlichen Umkehrung, nämlich der Umkehrung des Wahrheitsgehaltes von Dichtung und Wirklichkeit. Die Wahrheit liegt in der Sicht der Autorin unterhalb der Geschichte begraben, in den "tumbas de la verdad". Sie erleidet das Los derer, "clase de seres - personajes y excepcionalmente humanas criaturas", die sie besitzen (TA Pr 32). Da erst das Opfer die Offenbarung der Wahrheit ermögliche, entsteht die Spannung der Tragödie aus Antigones Ringen um ein Verständnis ihres Schicksals und des dafür notwendig werdenden Verzichts auf das Leben: Antigono entró en su tumba, según Sófocles, lamentando sus nupcias no habidas. Entra delirando. Y sólo entonces vislumbra, aunque el poeta no lo manifieste, que no lo fue consentido tener esposo para que en ella, por su total sacrificio, se deshiciera el nudo familiar y quedase para siempre de manifiesto la ley de los hombres, la de los dioses y la ley verdadera que se cierne sobre ellas (...). (TA Pr 37 f.) Das neue Gesetz, das über allem Bisherigen steht und dessen Authentizität die Autorin im Ursprung allen Seins situiert, ist das Prinzip der Vergebung. Die universelle Gültigkeit dieses Prinzips zeigt sich für die Autorin durch die Existenz der mythischen Figur Antigones. Sie ist in ähnlicher Weise wie die Autorin selbst Vermittlerin der christlichen Botschaft der Versöhnung. Die Autorin verhält sich hier wie in anderen Texten so, daß sie ihre Leserschaft nie auf dem ganzen Weg der Entdeckung des Geheimnisses begleitet. Das Mysterium, obwohl vielfach angedeutet und durch mythische Symbolik nahegebracht, bleibt letztlich unbenannt. Denn die Benennung würde den Anspruch erheben, etwas zu erfassen, das in seiner Vollkommenheit letzlich unbestimmbar bleibt. Die Glaubensfrage wird bei Maria Zambrano insofern in heterodoxer Weise behandelt, als sie auf pantheistische oder heidnische Elemente rekurriert, auf die Natur, die Götter der Antike, und wie die gnostischen Mystiker eine rauschhafte, ekstatische Vereinigung mit dem Göttlichen kennt. Der Wahn, der "delirio" ist für sie ein Zeichen der Berührung des Menschlichen durch das Göttliche. Der "mediador", Vermittler oder Mittelwesen, ist ebenfalls von Gott oder von einer Gottheit auserwählt, die Existenz eines höheren Willens kundzutun. In dieser Hinsicht ist die Philosophin dem katholischen Dogma durchaus verhaftet. Das Leiden, das Opfer und das Kreuz haben für ihre Interpretation der Seinsbestimmung der Menschheit nichts von ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren. Die Aufnahme von Naturmetaphorik und Mythos sind Instrumente der dichterischen Vernunft, einer Philosophie, welche das Wissen und letztlich die Philosophie selbst der Theologie unterordnet. Die Autorin versteht sich als Mittelwesen zwischen Gott und den Menschen. Ihre Erweiterung der
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christlichen Symbolik um die "Waldlichtungen", das "Ungeheuer", die "Sphinx", Ödipus und Antigone ist Ausdruck ihrer Überzeugung von der allgegenwärtigen Vernehmbarkeit der göttlichen Botschaft.186 Ihr poetisches Bezugssystem mündet unausweichlich in die Leugnung der rationalen Erkenntnis und in die Notwendigkeit des irdischen Leidens als Weg zur Wiedergeburt durch die Gnade Gottes. Die Funktionsweise dieses Bezugssystems, die philosophische Wertung der in ihrem Werk wiederkehrenden Denkbilder und Figuren, lassen sich nirgends so deutlich aufzeigen wie im Vorwort von La tumba de Antigono. Aus der Ungewißheit des Ursprungs, aus der mangelnden Identifikation mit dem Gottvater, erwacht die Angst des modernen Menschen. Allein die Erkenntnis des göttlichen Ursprungs allen Seins könne den Menschen aus seiner Not befreien. In diesem intimen und individuellen Konflikt gewinnt die Figur des Ödipus ihre Bedeutung. Seine Herkunft nicht ahnend - und Maria Zambrano meint nicht die leibliche Herkunft - irrt er und irrt umher. Er ist der Stellvertreter des abendländischen Menschen, eine nach ihrem Sein fragende Gestalt. Ihr Werdegang ist durch das Duell zwischen der 'wahren' und der 'falschen' Geschichte bestimmt. Gemeint ist einerseits die Geschichte, welche das Opfer verlangt, und andererseits die ethische Geschichte, die durch die Botschaft des Opfers die Wirklichkeit überwindet. Der Grund, weshalb Opfer im Vorwort von La tumba de Antigono als weibliche Figuren wie Antigone, die Jungfrau von Orléans oder auch "esa cadena de Santas, doncellas enmuradas" dargestellt werden, steht im Zusammenhang mit der Widmung dieser Schrift. Sie richtet sich an ihre Schwester Araceli und Laurette Séjourné. Sicher soll dem weiblichen Opfer in besonderer Weise gedacht werden. Aber Maria Zambranos Vorwort schließt das Leid auserwählter männlicher Figuren nicht aus. Hölderlin wird als Beispiel eines von Gott Gezeichneten herangezogen. Nicht unwahrscheinlich ist es dennoch, daß die Autorin aus biographischen Gründen in der weiblichen Figur die geeigneteste Darstellerin der "piedad-amor-razón" findet. Sie ist hier Vorbotin des "Dios desconocido", des vergebenden, christlichen Gottes. Antigone ist von den Göttern der griechischen Antike verlassen. Ihr verzweifelter Schrei, "Vedme aquí dioses", bleibt unbeantwortet. Durch die Überwindung des Racheprinzips transzendiert die Heldin das Reich der antiken Götter, das selbst der "historia apócrifa" zuzuordnen ist. Das Gleichnis zwischen dem Mythos und der Geschichte des christlichen Sühneopfers beruht darauf, daß Antigone zwei gegensätzlichen Kräften, der Wirklichkeit und der Wahrheit, der falschen und echten Geschichte, die als Vektoren gezeichnet ein Kreuz bilden, ausgeliefert ist:
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Vgl. Zambrano, M. Claros del Bosque. Op. cit.; auch "El espejo de la historia". Op. cit.; und "La esfinge: la existencia histórica de España". Cuadernos del Congreso por la libertad de la cultura 26. París (1957): 3-8.
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6. Das dramatische Werk Y así la historia apócrifa asfixia casi constantemente a la verdadera, esa que la razón filosófica se afana en revelar y establecer y la razón poética en rescatar. Entre las dos, como entre dos maderas que se cruzan, sufren un suplicio las víctimas propiciatorias de la humana historia. (TA Pr 23)
Aus dem obigen Zitat gilt es festzuhalten, daß Maria Zambrano abermals "la razón filosófica" und "la razón poética" einander unversöhnlich gegenüberstellt. Es sind die zugeordneten Prädikate, einerseits "revelar y establecer" und andererseits "rescatar", welche an dieser Stelle die Definition der Autorin erläutern. Ungeachtet der vielfältigen philosophischen Strömungen meint "la razón filosófica" die rationalistische, und in den Augen der Autorin irregeleitete, cartesianische Schule. Und die dichterische Vernunft meint hier jene philosophische Strömung, welche die Vernunft und Selbstreflexion als unzureichendes Instrument ablehnt und sich auf die Intuition und das Erahnen beruft. Erlösen oder retten kann man nur etwas, dessen Richtigkeit gewiß ist, offenlegen und darlegen hingegen nur etwas, dessen Gültigkeit in Zweifel steht. Und Descartes' größter Fehler ist, wie die Autorin wiederholt in ihrem Werk zu verstehen gibt, sein Zweifel. Es gibt einen Begriff, den die Autorin ausschließlich im Prolog von La tumba de Antigona verwendet: "los servidores de la historia apócrifa". Der Beschreibung zur Folge sind die Diener der falschen Geschichte jene, welche die sakrale Bedeutung des Opfers am Kreuz bis zur Unkenntlichkeit entweihten. Aus dem aufrechten Kreuz, dessen vertikale Richtung die Verbindung des Menschen zu Gott symbolisiere, schufen sie ein liegendes Kreuz, "una aspa". Die Vernichtung dieses Verweises auf das himmlische Gottesreich diene der Instrumentalisierung des Opfers. Losgelöst von seiner heiligen Bestimmung, könne dem Opfer eine beliebige Bedeutung auferlegt werden: Y ala víctima fijada en ella se le hace girar, ir recorriendo todas las posibles posiciones según el viento que corre, según las intenciones y conveniencias de quienes disponen de ella. Y el movimiento tanto puede ser de izquierda a derecha como de derecha a izquierda. Y si se queda quieta, el aspa tiene la figura de una equis, de una incógnita. (TA Pr 23) Im Prinzip verurteilt María Zambrano jeden Ansatz, die Geschichte anders als in einem christlich-religiösen Sinne zu deuten. Die passionierte Symbolik ihres Prologs richtet sich gegen all jene, die den geschichtlichen Werdegang selbst zu bestimmen versuchen, sowohl gegen die fortschrittlichen als auch gegen die konservativen Kräfte. Die Autorin empfindet sich selbst als in der falschen Zeit geboren, in einer 'gottlosen' Zeit, in der die "vocación Antigona" ihre erlösende Wirkung verfehlt (TA Pr. 35). Die Autorin identifiziert sich mit Antigone als Sühneopfer und als Verkünderin einer höheren Wahrheit:
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Y así la función de mediador se encuentra hoy sin lugar adecuado alguno para ejercerse, y el llamado a ese oficio sin medio alguno de visibilidad. Y así, la acción primera, originaria y primordial de los primeros mediadores y, huelga decirlo, del Mediador sobre todos, ha debido de consistir en abrir espacio, el espacio propio, cualificado donde su función divina en un caso, humana mas siempre bajo el peso de lo divino en algún modo, se verifica. La ambigüedad en la actitud y el gesto; el equívoco, la tergiversación en la palabra es la primera barrera que circunda el espacio donde la acción y la figura del mediador aparecen. (TA Pr 24) Die Auflehnung Antigones gegen Kreons Verdikt ist eine Allegorie des Kampfes zwischen 'Wahrheit' und 'Wirklichkeit'. Ihre Berufung heißt "abrir espacio", Raum, der an anderer Stelle Lichtung heißt, Ort göttlicher Offenbarung: "claros que se abren en el bosque de la historia" (TA Pr 36). Die Autorin der dichterischen Vernunft gesteht sich selbst die Rolle einer Prophetin zu. Ihre Philosophie erhebt den Anspruch, Dichtung und Deutung zugleich zu sein. Ihre Weltinterpretation beruft sich vorzugsweise auf die Literatur, die Ausdrucksebene der in ihrer Sicht wahren, fortschreitenden Geschichte. Die Rolle, welche sie dem Dichter zuschreibt, ähnelt der eines Hellsehers aus der Zeit, in welcher die Kunst eine ausschließlich sakrale Bestimmung hatte, in der die 'Priesterin' den Augur sprach. In der im Drama vermittelten Weltanschauung erlangt die Zeit eine außergewöhnliche Bedeutung. Gemeint ist nicht die objektiv existierende Zeit, sondern das Bewußtsein der Zeit. In derselben Weise, wie die Autorin die disparate, komplexe Wirklichkeit zugunsten einer religiösen 'Wahrheit' verwirft, unterscheidet sie in ihrem Zeitbegriff zwischen "la temporalidad, como estallido, como dispersión" und "la duración".1*1 Ahnlich wie Bergsons Begriff der durée, reflektiert auch ihre Konzeption einen Stimmungszustand und nicht die Ordnungsbeziehung zwischen koexistierenden oder aufeinander folgenden Prozessen.188 In der dichterischen Vernunft erhält die Zeit, auf mystische Art substantiiert, ein Wesen. "Cronos, mediador primero entre los dioses" befreie oder verberge die Wahrheit (TA Pr 25). Die Vorstellung der Zeit als eines schöpferischen, selbstwirkenden Wesens läßt sich nur vor dem Hintergrund der Passivität der Wahrheitserkenntnis erklären. Das Verständnis des menschlichen Daseins als "padecer" verlangt geradezu die Ersetzung der aktiv gewonnenen Erkenntnis durch eine Offenbarung, deren Erwartung und unverhoffte Erscheinung die zeitliche Dimension verabsolutiert. Wie die Glaubenswahrheit ist die Offenbarung eine empfangene Gabe. Der Weg zu ihr ist das Erleiden ihrer Ankunft. Die Zeit wird in der Offenbarung nicht chronologisch, als "transcurrir", sondern als Öffnung empfunden. Das folgende Zitat, das Maria Zambranos Sicht erläutert, enthält einen indirekten Hinweis auf Heideggers Holzwege:
'"Zambrano, M. "El tiempo y la verdad". La Torre 11.42. San Juan de Puerto Rico (1963): 29-43. S. 39. 188 Vgl. Bergson, H."De la durée en général". L'évolution créatrice. 1981.
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6. Das dramatische Werk Ya que el bosque, dicho sea de paso, se configura más que por los senderos que se le pierden, por los claros que en su espesura se abren, aljibes de claridad y de silencio. Templos. Cuando el hombre quiera saber de estos claros en lugar de seguir el imperativo de recorrer sus senderos, la historia, el pensamiento comenzará a desenmarañarse. Los claros que se abren en el bosque, gotas de desierto son como silencios de la revelación. (TA Pr 32)
In diesem Kontext erhält das Opfer seine Gestalt und Funktion. Es ist ein erleidendes Subjekt, das durch Selbstaufgabe und Hingabe zum empfangenden Gefäß einer übersinnlichen Präsenz wird. Durch das Opfer wird abermals "la promesa de la resurrección" erfüllt (TA Pr 33). Die Hauptfigur lädt alles Leiden auf sich. "Pues que la hazaña ha de ser ésa: rescatar la fatalidad" (TA Pr 29). Mit dem persönlichen Schuldbewußtsein setzt in der Sicht der Autorin die Ablösung der Götter der Antike durch einen erhabeneren Gott ein. "El Dios desconocido" ist der vergebende Gott des Christentums. Er kennt die Leidenschaft und Rache der antiken Götter nicht. Er verlangt Reue und Buße, erlöst jedoch den Menschen von seiner Schuld. Erst durch die Annahme eines persönlichen Gewissens wird der Mensch von den verhängnisvollen Mächten, denen gegenüber sein Wille nichtig war, befreit: Y así, todos los personajes poéticos o reales coma Antígona y Sócrates, que transcendierion, se encontraron solos y ejecutaron una acción en la que no habían pensado: desenmascarar a sus Dioses. (DA Pr 18) Wie alle Figuren der griechischen Mythologie erscheint Kronos im Werk Maria Zambranos als eine verschlüsselte Reminiszenz der Geschichte des Sündenfalls der Menschheit. Die These des Urmonotheismus vertretend, deutet sie die griechische Mythologie als Überbleibsel eines ursprünglichen Wissens, das der Mensch bei seiner Vertreibung aus dem Paradies besaß. Kronos, der seine Geschwister befreite und seine Kinder auffraß, ist Symbol der Leidensgeschichte der Menschheit. Der Wille der Menschheit vermag nichts gegen das Rad der Zeit, in dessen Kreisen sich die 'wahre' und 'falsche' Geschichte ablösen. Maria Zambranos Aufsatz "El tiempo y la verdad" bietet Aufschluß über ihre Konzeption der Wahrheitserlösenden Zeit. Die Figur des Mittlers, ohne den die offenbarte Wahrheit keine Inkarnation fände, heißt hier wohl in Erinnerung an die eigene Biographie "el vencido". Im Vorwort von La tumba de Antígona nennt sie ihn "el desposeído" oder el "desenajenado". Ein weiterer Hinweis darauf, daß die Autorin sich selbst zu den Auserwählten zählt, ist ihre "Carta sobre el exilio", die an anderer Stelle bereits kommentiert wurde.189 Opfer und Mittler sind ein und dasselbe Subjekt, das Zeit und Wahrheit erleidet: La verdad que oculta o presente exige la existencia de un sujeto que la padezca y que al padecerla actualice, haga positiva su negación.190
189 l90
Vgl. Unterkapitel 5.3. Vorspiel zur "unerklärlichenHingabe". Zambrano, M. "El tiempo y la verdad". Op. cit S. 40.
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Im Prolog ihres Bühnenstückes heißt es, das Opfer sei nach wie vor der geheime Nährboden, aus dem die Geschichte schöpfe. Sein Leidensweg führe das Opfer zuerst in die Unterwelt, symbolisiert durch das Höhlengrab, in welcher seine Läuterung vollzogen werde: Ello sucede así diríamos, ya en esta tierra, donde sin abandonarla el dado al amor ha de pasar por todo: por los infiernos de la soledad, del delirio, por el fuego, para acabar dando esa luz que sólo en el corazón se enciende, que sólo por el corazón se enciende. (TA Pr 20) In der Auseinandersetzung mit der dichterischen Vernunft ist man geneigt, gewisse Momente, die als Einsicht in das Menschliche erscheinen, aus der archaischen Weltsicht, in welche die Autorin sie eingezwängt hat, herauslösen zu wollen. Man möchte glauben, daß die erkenntnisbringende Zeit mehr als eine Metapher sei. Aber dieses Bild berührt nur die Erscheinung und nicht das Wesen der Erkenntnis, deren Subjekt der Mensch bleibt. Maria Zambrano leistet im Vorwort von La tumba de Antigono eine christliche Umdeutung des eigenen Leidensweges, ihres politischen Engagements und ihres Exils. In ihrer Dichotomie der Menschheitsgeschichte zwischen einer "historia verdadera" und einer "historia apócrifa", zwischen "eligidos" und "servidores", spiegelt sich die elitäre Geisteshaltung ihres Lehrers Ortega y Gasset wider. Was jener politisch-philosophisch zu begründen versuchte, übernimmt Maria Zambrano im Rahmen eines christlichen Mystizismus, der ihr viel Raum für eine narzißtische Selbstinterpretation gewährt. Ihre Haltung ist vor der Frage nicht gefeit, die sich an jede Geschichtsdarstellung als ein von Gott bestimmter Leidensweg richten läßt: Worin besteht das Leiden, wenn es als Auszeichnung Gottes, als Reinigungsprozeß, der zu ihm fuhrt, betrachtet werden soll? In dieser Ambiguität nistet doch die Seligkeit der 'Auserwählten'. Es erscheint widersprüchlich, daß eine Intellektuelle, die politisch aktiv war, sich auf eine bloße Deutung des Weltgeschehens beschränkt, zumal auf eine religiöse. Dieser Widerspruch löst sich insofern auf, als die Autorin dabei, wie in den Jahren ihres politischen Engagements, eine Mission zu erfüllen meint. Die Übertragung der Heilslehre auf die Menschheitsgeschichte hinterläßt, wahrscheinlich im 20. Jahrhundert mehr als je zuvor, einen bitteren Nachgeschmack, weil sie als Zynismus und als offensichtlicher Eskapismus erscheint. Innerhalb von Maria Zambranos mystischer Weltanschauung löst sich das historische Bewußtsein, das die Überwindbarkeit geschichtlich gewachsener Verhältnisse impliziert, in ein metaphysisches Zeitbewußtsein auf. "La conciencia histórica: el tiempo" heißt ein 1958 veröffentlichter Aufsatz der Autorin, der schon in seiner Überschrift die Annullierung des politischen Begriffs aufzeigt. Es existieren in dieser Welt für die einst mit dem Marxismus sympathisierende Autorin keine sozialen Schranken mehr, keine
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•Klassen', sondern lediglich unterschiedliche Zeitsphären, die im Hinblick auf die Erlösung mehr oder minder fortgeschritten sind 191 Selbst angesichts der Ereignisse des II. Weltkrieges ermahnt die Philosophin ihre Leser, sich nicht zu dem Versuch einer historischen Erklärung verleiten zu lassen, sondern diese als schicksalhafte Tragik des menschlichen Daseins hinzunehmen: Más, según parece, podemos esperar que los terribles acontecimientos de que apenas hemos salido los ocidentales, no hayan hecho sino intensificar la conciencia histórica que desde lejos se venía anunciando. Eso hace que la perplejidad llegue al extremo. Conciencia es ya de por sí perplejidad, hacerse cuestión, dudar. Si se acepta algo como una fatalidad del destino o de los dioses; más aún, si ni siquiera se ha sentido la necesidad de pensar en ellos como explicación de lo que nos sucede, lo soportamos simplemente, sin rebelarnos; se vive entonces resbalando sobre los acontecimientos que más nos atañen, que ni siquiera se nos presentan dibujados, ni llegan a tener un rostro, una figura ante nuestros ojos. No da lugar entonces a la perplejidad.i'* Senecas Schriften haben María Zambrano den Übergang von einer politischen Haltung zu einer religiös-philosophischen Betrachtung des Weltgeschehens geebnet.193 Der Gedanke, daß die weiseste Art, der Wirklichkeit zu begegnen, das einfache Ertragen dieser sei, ist der Stoa entliehen und kann in der Ohnmacht eine Quelle menschlicher Würde sein. Aber die stoische Resignation sieht im Gegensatz zur dichterischen Vernunft keine Erlösung weltlichen Leidens durch eine Gottheit vor und sucht dem historischen Geschehen keinen erlesenen Sinn abzugewinnen. Im Denken der Autorin sind auch Einflüsse der augustinischen Lehre erkennbar. Antigone personifiziert die Auserwählten, welche entsprechend der Prädestinationslehre den 'Staat Gottes' bilden werden. Auch ist das Zeitbewußtsein des Kirchenvaters Augustinus, seine Gegenüberstellung der als menschlich empfundenen Zeitfolge und der göttlichen Ewigkeit oder Zeitlosigkeit in der Offenbarungsthese der Autorin vernehmbar.194 Die "duración", die Aufhebung des aufeinander folgenden Wechsels und Wandels, entspricht auf einer spirituellen Ebene der Verdrängung oder Auflösung der Skepsis und der Ratlosigkeit.
"'Zambrano, M. "La conciencia histórica: el tiempo". Zunächst erschienen in Persona y democracia. San Juan de Puerto Rico: Departamento de Instrucción Pública, 1958; Hier zitiert nach:: Cuadernos del Congreso por la libertad de la Cultura 35. Paris (1959): 25-28. l92 "La conciencia histórica: el tiempo". Op. cit. S. 26. 193 Vgl. Zambrano, M. El pensamiento vivo de Séneca. Op. cit. 194 Im Vorwort von La tumba de Antigono fuhrt die Autorin Louis Massignon (1883-1962) an, den die augustinischen Quellen der islamischen Mystik erforschte (TA Pr 34). In einem Brief an José Lezama Lima aus dem Jahre 1973 schreibt sie, daß Louis Massignon seit geraumer Zeit der einzige Lehrer sei, dem sie begegnet wäre. Vgl. Lezama Lima, J. Fascinación de la memoria. La Habanna 1993. S.250. Als weitere Quelle gibt die Autorin im Vorwort Le symbolisme de la croix von René Guénon (1886-1951) an (TA Pr 23).
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Por cerrado que sea el silencio de lo divino, en un remoto horizonte se abre una cierta llamada; un solo punto al que todo el conflicto se remite.195
6.2 Die dramatische Gestaltung der razón poética 6.2.1 Das Antigone-Motiv Während sich die sophokleische Heldin auf das unerschütterliche Gesetz der Götter beruft, ist das Handeln Antigones in der Tragödie der spanischen Philosophin von der "Ley Nueva" geleitet. "A mino hay que obedecerme. Sigue a quien yo sigo", spricht sie zu Kreon. Die Passion Christi wird auf die mythische Figur einer jungen Frau übertragen, deren Sterben oder Übergang in die Ewigkeit symbolische drei Tage dauert - vom Sonnenuntergang bis zum Erscheinen des Morgensterns am übernächsten Tag. Nach dieser Zeit steht sie aus ihrem Felsengrab wieder auf, um in die "tierra prometida" zu gehen. Wie die Autorin im Prolog von La tumba de Antigono erklärt, ist der Protagonistin durch diese Zeit des Sterbens die Möglichkeit gegeben, durch ihr Leiden die Taten des königlichen Geschlechts zu sühnen. In Selbstgesprächen, in Träumen und Visionen sowie in der Begegnung mit den verstorbenen Mitgliedern ihrer Familie löst sich nach und nach der ethische Konflikt. Antigone gibt ihren inneren Widerstand gegen das Schicksal auf und nimmt die Schuld des Vaters, der Mutter und der Brüder auf sich. Die Erzählung Antigone (1814) von Ballanche zeigt die Heldin als Sühneopfer. Aus dieser christlichen Perspektive hatten bereits Garnier die griechische Jungfrau in Antigone ou la piété (1580) und Rotrou in seiner Antigone (1637) dargestellt. In unserem Jahrhundert begeisterte sich die politische Linke wie die Rechte fur diese Apologetin der Gerechtigkeit. Neben André Gides und Jean Anouilhs von der Psychoanalyse beeinflußten Interpretationen der Ödipus-Sage konnte die spanische Schriftstellerin auch auf die Modelle zurückgreifen, die im Kontext des I. und II. Weltkrieges eine militaristische oder antimilitaristische Botschaft vermitteln wollten. Charles Maunas zum Beispiel, der Begründer der faschistischen Action française, schrieb 1948 Antigone, vierge-mère de l'ordre.196 In Deutschland nutzten Alfred Döblin, Bertold Brecht und Rolf Hochhut das Antigone-Motiv fur ihre Botschaft des Pazifismus und des Widerstandes.197
'"Zambrano, M. La tumba de Antigono. Pròlogo. Op. cit. S. 22. " 6 Vgl. Dictionnaire des personnages littéraires et dramatiques de tous les temps et de tous les pays. Hg. Rober Laffont. Paris 1960. 1,7 Vgl. Daemmrich, H. und I. Themen und Motive der Literatur. Tübingen 1987.
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Was den persönlichen Mystizismus, die Identifizierung der Autorin mit der mythischen Heldin, angeht, ist man geneigt, bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen vor allem an Charles Péguy zu denken. Der gläubige Katholik gehörte zu den französischen Autoren, die sie bereits in ihrer Jugend gelesen hatte (DyD 107). Er ehrte 1908 in Mystère de la charité de Jeanne d'Arc die Heiligenfigur, mit der auch Maria Zambrano im Vorwort ihres Dramas Antigone vergleicht. Seine Bekehrung war selbst einige Jahre zuvor durch eine Antigone-Inszenierung nach dem Drama von Sophokles ausgelöst worden.198 Die wiederholte christliche Deutung Antigones rührt von dem ursprünglich ethischen Konflikt her, der seit der griechischen Fassung in dieser Gestalt angelegt ist. In der homerischen Übertragung und bei Sophokles entfaltet sich der tragische Konflikt in einem Widerspruch zwischen Macht und Ethik. "Der Mensch" lautet Ödipus' Antwort auf das Rätsel der Sphinx, die bei seiner Ankunft in Theben die Stadt bedroht. Die Rätsellösung verweist zugleich auf die im tragischen Konflikt zu ergründende Dimension. Die Frage nach Recht und Unrecht wird durch die Gegenfrage nach dem Menschen beantwortet. Im philosophischen Werk der Autorin ist ödipus die Personifizierung des Zweifelnden, der nach ihrem Sein fragenden abendländischen Figur. Für Maria Zambrano entwickelt sich die Kultur des Abendlandes, von der griechischen Antike bis zur Geburt des Christentums und seinem Aufstieg zur maßgebenden Religion, zur Ethik hin. Ödipus wird als eine Allegorie des Scheiterns verstanden. Er ist der in ihrem Werk wiederholt auftretende "hombre de Occidente", der das Verbrechen begeht, vor dem er flieht. In ihrem Aufsatz "Sobre el problema del hombre" beschreibt sie den tragischen Helden als "el sabio-ignorante, el inocente culpable"199. Und in ihrem 1958 erstmals veröffentlichten Werk Persona y democracia heißt es: Hay un protagonista trágico entre todos, un hombre, en quien se concentra la desdicha de la condición humana; pues es culpable siendo inocente; comete el peor de los delitos habiendo huido de ello, porque no sabe quien es. (PyD 56) In der Sicht der Autorin wird die Geschichte des abendländischen Menschen einerseits von dem Humanitätsgedanken und andererseits von dem Zweifel an der eigenen Identität bestimmt. In Maria Zambranos christlicher Interpretation der Antigone wird der mythologische Vatermord mit dem Mord an dem christlichen Gottvater verglichen. Der Gottvater wird ihr zufolge dadurch getötet, daß man seine Existenz leugnet. Der unterschwellige Konflikt von Maria Zambranos philosophischem Drama entsteht in der Spannung zwischen der Suche nach Identität und der christlichen Hingabe an den erlösenden Gott, der 'Wiedergeburt in Christo'.
198
Vgl. Fraisse, Simone. Le Mythe d'Antigone. Paris 1974. S. 43. '"Zambrano, M. "Sobre el problema del hombre". La Torre 3. 12. Rio Piedras, Puerto Rico (1955): 99-117. S. 115.
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6.2.2 Figuren und Aufbau von La tumba de Antigona In den Worten der Antigone formuliert die Philosophin ihren Glauben an die Vorbestimmung: "Nunca he inventado nada yo. Todo me lo fueron dando", sagt Antigone zur Harpyie, dem gräßlichen Wundervogel, der die Verurteilte in ihrem Felsengrab besucht (TA 67). Die Schriftstellerin wird außerdem durch den "desconocido primero" im letzten Aufzug verkörpert. Sein Schicksal ist es, der Stimme Antigones zu lauschen und ihre Botschaft an die Nachwelt zu überbringen. Neben der todesankündigenden Harpyie fuhrt Maria Zambrano, wie Jean Anouilh vor ihr, die Figur der Amme ein. Ana gehört zu den Wesen, die nirgendwo und überall existieren. Von Anbeginn dem Schicksal ihres Zöglings machtlos gegenüberstehend, besteht ihre Rolle darin, dem Mädchen beim Übergang in den Tod und damit in das ewige Leben behilflich sein. Die Begegnung Antigones mit ihrer Schwester Ismene und ihrer Mutter lokaste geschieht in einem Traumzustand oder Erinnerungswahn. Aus dem Reich des Hades gelangen die Brüder, der Vater und der Bräutigam in das Höhlengrab. Alle vier beanspruchen Antigone für sich. Der reuevolle Tyrann Kreon gebietet ihr, aus der Gruft hinaufzusteigen, und will ihr, um für den Tod Haimons zu sühnen, Freiheit und Macht schenken. In der letzten der insgesamt zwölf Szenen erscheinen zwei "desconocidos", geläuterte Figuren, an denen nicht der Fluch der Labdakiden haftet. Einem der beiden Unbekannten folgt schließlich die aus dem Todesschlaf erwachende Heldin. Der Aufbau von La tumba de Antigona entspricht der Dreiteilung des weltüberschreitenden Prozesses, den sich die Autorin als Läuterung (apurar) des irdischen und unterirdischen Lebens und als Einfuhrung in die Ewigkeit vorstellt. So behandeln die ersten zehn Szenen den Machtkonflikt um Theben und Antigones Übertretung der Gesetze. In der elften Szene trägt Antigone biographische Züge der Autorin, als sie in einer Art Beichte über das Exil, ihr Offenbarungserlebnis und die Erfüllung ihrer Ahnung berichtet. Damit hat die sterbende Antigone den Läuterungszyklus abgeschlossen und betritt in der zwölften Szene die letzte der drei symbolischen Stufen, die aus ihrem Felsengrab hinauffuhren. Auf diese Weise werden die drei kosmischen Ebenen - Welt, Unterwelt und Überwelt - die eine Parallele zu der historischen, persönlichen und philosophischen Dimension von Maria Zambranos Bühnenstück aufweisen, durchschritten.
6.2.3 Eine Aufarbeitung persönlicher Kriegserlebnisse Im Stoff des griechischen Mythos erschließt die spanische Philosophin drei Sinnebenen: die Tragödie der conditio humana, den Bruderkrieg als Exempel des spanischen Bürgerkrieges und schließlich die Aufopferung Antigones als Widerspiegelung des eigenen Lebensweges und des Schicksals der Schwester.200 2ooygi Vorwort zu Senderos - Los intelectuales en el drama de España. Op. cit. S. 8.
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"Antigono" ist der Name, den Maria Zambrano ihrer Schwester während der langen Jahre ihrer durch den II. Weltkrieg verursachten Trennung gab. In einem Kapitel ihres autobiographischen Romans Delirio y destino, "La hermana", erklärt die Autorin ihre Zuneigung und Bewunderung für Araceli, die während der Kriegsjahre mit der Mutter in Paris lebte. Trotz der drohenden Gefahr der eigenen Deportation nahm sie sich eines jüdischen Jungen an und wurde deswegen von der Gestapo gefoltert. Ihrer Schwester, die, wie Maria Zambrano schreibt, nicht aus politischem Engagement, sondern aus Mitgefühl und Pietät handelte, ist dieses Bühnenstück zusammen mit Laurette Séjourné gewidmet. Im umfangreichen Vorwort von La tumba de Antigono bezeichnet die Autorin ihre Protagonistin als Archetyp. Sie verkörpere die unzähligen Opfer, deren Vision sich nicht mit der Wirklichkeit habe vereinbaren können. Schutzsuchend hätten sie sich in eine Wahnexistenz zurückgezogen, in welcher sie wie lebendig Begrabene ihr Dasein fristen würden: Es la estirpe de los enmurados no solamente vivos, sino vivientes. En lugares señalados o en medio de la ciudad entre los hombres indiferentes, dentro de una muerte parcial que les deja un tiempo que los envuelve en una especie de gruta que puede esconder un prado o en un jardín donde se les ofrece un fruto puro y un agua viva que les sostiene ocultamente: sueño, cárcel a veces, silencios impenetrables, enfermedad, enajenación. Muertes aparentes. (TA Pr 34) Bietet die Beschreibung ihrer Schwester in Delirio y destino als einer Frau, die die Realität des faschistischen Terrors wie einen Alptraum verwirft, weil sie nicht imstande ist, die Wirklichkeit, die sie erlebte, zu verkraften, den Schlüssel zum Wahn aller weiblichen Gestalten, die Maria Zambrano beschreibt?201 In einem Brief an José Lezama Lima aus dem Jahr 1972 schreibt sie zum Tod von Araceli, diese sei an der Geschichte psychisch erkrankt, an dem, was ihr im besetzten Paris widerfahren sei.202 Im Prolog von La tumba de Antigono zitiert die Autorin auch Dilthey, der in bezug auf Hölderlin an die alte Vorstellung erinnerte, daß der Irrsinn eine Offenbarung der Götter im unschuldigen Wesen sei (TA 35). In La tumba de Antigono erhält die Schwesterliebe zwischen Antigone und Ismene autobiographische Züge. Die thebanischen Prinzessinnen sind wie die Autorin und ihre Schwester im gleichen Monat April geboren. Kreon, heißt es im Drama, soll Ismene die Botschaft überbringen, daß Antigone sich in jedem Aprilmonat durch das unsterbliche Veilchen ankünden werde. Der Bürgerkrieg, das Exil, die Sorge Aracelis um die Mutter - ähnlich der Antigones um den blinden Vater - sind Erlebnisse, welche die Autorin in ihrer Version des sophokleischen Dramas eingebracht hat. Die Figuren und Orte des Geschehens verweisen mehrfach auf die Menschheitsgeschichte, auf die Philosophie und auf die persönlichen Erfahrungen der Autorin.
20
'Vgl. Zambrano, M. "La hermana". DyD 249-251. Lezama Lima, J. Fascinación de la memoria. Op. cit. S. 244-247.
202
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6.3 Die Gruft der Antigone Maria Zambranos Deutung des griechischen Mythos zeigt, daß trotz der Aufnahme fremder Ansätze La tumba de Antigona einer eigenen Konzeption folgt. Wenn einige Aspekte ihres Bühnenstücks einen Vergleich mit Sören Kierkegaards oder Jean Anouilhs Antigone-Version nahelegen, so wäre es hingegen verfehlt, in Hegels Interpretation eine Inspirationsquelle zu suchen. Hegel sah den Konflikt zwischen Antigone und Kreon als "Collision der beiden höchsten sittlichen Mächte".203 Im Gegensatz zur Autorin ging Hegel noch von einer Vorstellung des gerechten Herrschers oder der gerechten Staatsmacht aus. In ihrer Sicht hingegen ist der Bruderkrieg ein Verbrechen an der Geschichte, an Gegenwart und ferner Zukunft. Antigones Vision kündigt eine ethische, von der fatalen Gewalt der Götter befreite Welt an. Sie wird zur Märtyrerin, weil ihre Weltanschauung der Zeit, in der sie lebt, voraus ist. Im Bühnenstück von Maria Zambrano entfaltet sich eine Opposition zwischen Verhängnis und Gewissen. Antigone ist für sie die Verkünderin der christlichen Nächstenliebe, weil sie die "fatalidad" überwindet. Ihr Handeln sprengt den Bann des Schicksals, mit dem das Haus der Labdakiden behaftet ist, weil sie den Fluch der heidnischen Götter nicht hinnimmt. Sie setzt sich durch ihr Handeln über die Gebote der Menschen und der antiken Götter hinweg. Und folgt sie auch einer Prädestination, so ist sie doch von den griechischen Göttern verlassen. Sie agiert allein, von ihrem Gewissen geleitet, auf dem Weg zu einem neuen Gott, der als "la Ley Nueva" metaphorisch beschrieben wird. La tumba de Antigona ist auch, weit mehr, als das Vorwort erwarten läßt, eine verschlüsselte Dramatisierung des Spanischen Bürgerkrieges. Es ist anzunehmen, daß die Autorin mit diesem Bühnenstück ihre Sicht der geschichtlichen Ereignisse für ein Publikum in Spanien aufarbeitete. Dieser Umstand würde auch den im Vorwort nahegebrachten und dennoch fehlenden Bezug auf die politischen Umwälzungen in Spanien erklären. Nicht zufallig wählte der in Spanien verbliebene und nach jahrelanger Gefängnisstrafe befreite Dramatiker Antonio Buero Vallejo in den vierziger Jahren ebenfalls die griechische Mythologie als eine Verkleidung seiner Inszenierung der jüngeren Geschichte Spaniens. In seinem erstmals 1952 aufgeführten Bühnenstück La tejedora de sueños verbirgt sich Spanien in der Figur der untreu gewordenen Penelope.204 Während seine polemische Umwertung des Mythos das spanische Publikum indirekt auf seine Botschaft aufmerksam machte, bot Maria Zambranos Wahl des thebanischen Bruderkrieges eine offenkundige Assoziationsmöglichkeit an. Offensichtlich ist zunächst der einfach zu leistende Vergleich zwischen dem Kampf von Polyneikes und Eteokles mit dem von der Autorin erlebten 203
Hegel, G.W.F. "Vorlesung über die Philosophie der Religion". Sämtliche Werke. Bd. 16. Stuttgart 1928. S. 133. ^Buero Vallejo, A. La tejadora de sueños. Madrid 1952.
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Bürgerkrieg. Doch Maria Zambranos Antigone entwirft darüber hinaus eine, wie im folgenden gezeigt wird, detaillierte Genealogie des spanischen Konflikts. In der Selbstdarstellung der Autorin wird ihr Wunsch vernehmbar, eine übergeschichtliche Stellung in diesem Konflikt einzunehmen. Sie möchte nach ihrer eigenen Darstellung die Trägerin einer ethischen Vorstellung sein, eine Idealistin, die nie gewollt hat, was der Kampf um politische Macht anrichtete. Das weitgehend als Monolog aufgebaute Drama entspricht ihrer Vorstellung von der Beichte als literarischer Gattung, die sie zuerst 1941 in La confesión: como género literario y como método formulierte.205
6.3.1 Eine Genealogie des spanischen Konflikts In La tumba de Antigona stellt der tragische Konflikt, den ich als eine Opposition zwischen Verhängnis und Gewissen definiert habe, auch Verstand und Gefühl bzw. Geist und Seele einander gegenüber. Und die Seele wird, wie die Autorin im Vorwort zu "Delirio de Antigona" 1948 erklärt, durch die Unterwelt symbolisiert. Das Felsengrab der Antigone, in dem die Handlung des Bühnenstücks ihren Verlauf nimmt, ist auch "el secreto reino de los muertos", welcher den Tribut der Jungfrau verlangt: (...) como si los infiernos, los profundos de la tierra y de las almas, tuvieran necesidad de su pureza y como si la misma pureza tuviera que lograr su libertad sólo después de haber sufrido las consecuencias del crimen que les es extraño. (DA Pr 15) Der Zuschauer befindet sich im Reich der Toten, das er aus dem Traum- und Wahndasein Antigones heraus erlebt. Hier werden alle zeitlichen Schranken überwunden. Es herrscht die kontinuierliche Zeit, "la duración", oder die ewige Gegenwart, in der Vergangenheit und Zukunft nebeneinander bestehen. Maria Zambranos Bühnenstück beginnt mit dem Zweifel an den Göttern, den schon Sophokles seiner Heldin in den Mund legte.206 Die männlichen Figuren in La tumba de Antigona verkörpern die gesellschaftlichen Kräfte, die aus der Sicht der Autorin an der Entstehung der II. Spanischen Republik und dem folgenden Bürgerkrieg wesentlich beteiligt waren. Die Brüder Antigones, Polyneikes und Etokles, stellen die kriegführenden Parteien, Republikaner und Nationalisten, dar. Der Vater, Ödipus, ist der Vertreter des republikanischen Ideals. Er tritt als ein Träumer auf, der es nicht vermochte, sich gegen die Widrigkeiten der Realität durchzusetzen. Er ist mit der Generación del '98 und mit den Gelehrten, die 1931 in das Parlament einzogen, geistesverwandt. Kreon repräsentiert seinerseits die aufständische Armee und ihren Führer Franco. Der Sohn des Tyrannen, Haimon, erscheint als die schuldlose Nachkriegsgeneration, die der väterlichen Gewalt zum 205
Zambrano, M. "La confesión: como género literario y como método". Luminar 5.3. México (1941): 292-323. m Sophokles. Antigone. Übs. Wilhelm Küchenmüller. Stuttgart 1992. Vers 921-923.
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Trotz nach Wahrheit und Gerechtigkeit strebt. Dieser durch Antigone personifizierten Wahrheit wegen wählt Haimon den Freitod. Mit Ausnahme von Kreon suchen alle männlichen Charaktere als Gespenster die Gruft Antigones auf. Sie streiten um die Protagonistin, die ihrerseits einen inneren Kampf um Wahrheit fuhrt. Aufgrund ihrer Unschuld und Opferbereitschaft wird Antigone zu einer moralischen Instanz, auf welche die am Konflikt beteiligten Parteien nicht verzichten möchten. Sie wünschen einerseits ihre Absolution, benötigen sie andererseits als Alibi, um ihre Schuld zu kaschieren. So wie Antigone können auch die anderen weiblichen Figuren dieses Bühnenstücks im Rahmen einer Genealogie des spanischen Konflikts eher als Verkörperungen von Ideen oder Gefühlen gedeutet werden. Sie stellen geistige Wesenheiten dar und sind auf einer überhistorischen Ebene angesiedelt. Die Schwester Ismene, die nur im Traum Antigones vorkommt, erscheint als eine Allegorie der Hoffnung und der Ewigkeit. Ana, die Amme Antigones, wird als ein unsichtbares, die materielle Wirklichkeit überschreitendes Wesen beschrieben. Sie symbolisiert Unterbewußtsein und Urwissen. Iokaste, die als Schatten aus der Erinnerung der sterbenden Antigone auftaucht, kann als Urgrund des Konflikts dem Land Spanien und dem spanischen Volk zugeordnet werden. Aber wie ihr Schattendasein bereits anzeigt, ist sie keine reelle Größe, sondern existiert für die kriegführenden Parteien nur als Enigma oder als sublimierte Vorstellung. Die Harpyie erweist sich als größte Gefahr für Antigone. Die Heldin, die aus moralischer Not den toten Bruder Polyneikes begrub, muß selbst noch das Opfer ihres jungen Lebens akzeptieren. In Selbstgesprächen und in Dialogen mit den Besuchern ihrer Gruft ringt sie um Einsicht in ihr Schicksal. Nach und nach gewinnt sie die Gewißheit, daß sie durch ihr Opfer die Schuld des Vaters und der Brüder, die Schuld der Mutter und des Tyrannen sühnen und den Stamm Labdakos von seinem Fluch befreien kann. Die Harpyie stellt sich diesem Bewußtseinsprozeß in den Weg. Umsonst jedoch bemüht sie sich, die Heldin von ihrer Überzeugung abzubringen. Der Streit zwischen Antigone und der Harpyie erinnert - so wie der Kontrast zwischen der Harpyie und Ana - an die augustinische Vorstellung eines Kampfes zwischen Weltund Gottesstaat. Mit der 'männlichen', historischen und der 'weiblichen', metaphysischen Ebene verbindet Maria Zambrano eine dritte autobiographische Ebene. In der Figur Antigones sowie in einem der beiden "desconocidos" porträtiert sie sich selbst als Friedensstifterin und als Übersetzerin einer verdrängten Ürweisheit. Die Botschaft von La tumba de Antigona ist eine Botschaft der Freude, insofern als Ismene als Allegorie der Hoffnung überlebt und Antigone in das gelobte Land eingeht. Die Verkörperung von Hoffnung, Wahrheit, Urwissen und des Landes Spanien selbst durch weibliche Figuren steht in Zusammenhang mit Maria Zambranos idealistischer Weltanschauung. Die Wirklichkeit kann aus der Perspektive der Autorin allein durch ein ethisches oder
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religiöses Prinzip, letztlich aber durch eine Idee überwunden werden. Daher wird das Ideelle als die eigentliche schöpferische Dimension der Existenz durch das Leben gebärende Geschlecht versinnbildlicht.
6.4 Entschlüsselung und Interpretation 6.4.1 Antígona (1. Szene) In der ersten Szene "Antígona" schirmt sich die Märtyrerin von dem in ihr Grab eindringenden Sonnenlicht ab. Dieses Licht, das auch das Attribut "Sol de los vivos" erhält, repräsentiert, über das Reich der irdischen Wirklichkeit hinaus, auch die Vernunft. Über die als "aurora" állegorisch interpretierte Ratio klagt Antigone, sie habe ihr zwar Wissen, nicht aber das offenbarende Wort vermittelt. Die Sonne versinnbildlicht das äußere Sein, das in der elften Szene einen Kontrast mit der von innen rührenden Erleuchtung der Heldin bildet. Denn in dieser ebenfalls nach Antigone genannten Szene hat die Protagonistin den ersehnten Zustand der Offenbarung erreicht, in dem ihre Träume "como lámparas que alumbran desde adentro" wirken (TA 90). Die Entwicklung des Dramas erscheint durch das geäußerte Verlangen nach dem Offenbarungswort als eine Adaption der Gattung der autos sacramentales. In der Genealogie des spanischen Konfliktes stellt Antigone das Gewissen dar und ist das im Vorwort angekündigte speculum justitiae, durch das wir die inszenierte Geschichte betrachten sollen.
6.4.2 La noche (2. Szene) Auch die zweite und die dritte Szene, "La noche" und "Sueño de la hermana", sind als Monologe der Protagonistin konzipiert. Es sind Selbstgespräche der Verzweiflung und des Wahns, in welchen es der Autorin jedoch nicht gelingt, ihre Protagonistin als Charakter zu zeichnen. So wie die Licht- und Schattensymbolik zwei symmetrisch entgegengesetzte Welten zeichnet, kommt Antigone auch bei ihrer Selbstdarstellung nicht über ein dualistisches Konzept von Gutem und Bösem hinaus. Ihrem Entschluß, sich von der Todesfurcht nicht besiegen zu lassen, fehlt das Mindestmaß an innerem Zwiespalt, den eine moderne Heldin benötigt, um glaubwürdig zu wirken. Antigone ist in ihrem Zweifel an den Göttern, in ihrem Ruf nach dem Bruder oder dem Verlobten pathetisch, aber nicht tragisch. Die Charaktere von Maria Zambranos Tragödie sind schematisch gezeichnet und leben von der Substanz des Mythos. Selbst wenn die Protagonistin sich nicht wie bei Sophokles erhängt, sondern in eine Überwelt gelangt, bleibt das Urbild der mythischen Gestalt erhalten. Worte wie die folgenden sind für ein modernes Publikum undramatisch, weil die Heldin in sich widerspruchslos ist. Als Charakter wirkt Antigone etwas blaß, weil sie von Anfang bis Ende eine geradlinige Entwicklung verfolgt:
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Y tampoco a ti, puerta de mi destino, te golpearé, ni te pediré que te abras. Estás ahí, obedece: obedece como yo. Como yo, sé infranqueable. (TA 42) Die Ankündigung der 'Wiedergeburt' in der zweiten Szene hebt die Möglichkeit einer Spannungsentwicklung auf. Man sieht den Verlauf der Handlung erwartungslos voraus. Wiederum ist es diese psychologische Schlichtheit, welche der Tragödie Allegorisches verleiht. Nach dem Prinzip der Allegorie nehmen die Figuren stellvertretend für eine Idee oder eine Wesenheit ihren Platz in dem recht statischen Bühnenbild ein, das als Grab mit Spanien nach der republikanischen Niederlage von 1939 assoziiert werden kann. Das Gewissen, dargestellt durch Antigone, ist dem Bruderkrieg zum Opfer gefallen. Die männlichen Thronanwärter - Ödipus, Polyneikes, Eteokles, Haimon und Kreon - finden sich nach und nach am Opferaltar ein, welchen Antigones Gruft darstellt, um sich von ihrer Schuld zu befreien. Der Figur der Heldin kann auch Maria Zambranos Vorstellung der "historia verdadera" oder der ethischen Überwindung der Geschichte zugeordnet werden. Die ideelle Freiheit, von der ihre Handlung zeugt, ist einem anderen, höheren Prinzip verpflichtet, das mit dem Kampf um weltliche Macht nichts gemein hat.
6.4.3 Sueño de la hermana (3. Szene) Ismene ist die geliebte Schwester und geistige Erbin Antigones. Der Frühling, insbesondere der ihr und Antigone gemeinsame Geburtsmonat April, ist das Erkennungszeichen dieses Geschwisterpaares. Er symbolisiert die ewige Wiederkehr des Gerechtigkeits- und Freiheitsgedankens und die Hoffnung, welche Ismene als letzte Überlebende des königlichen Geschlechts verkörpert. Der Monat April ist für die Autorin mehr als eine Anspielung auf die christliche Resurrektion, denn es ist der gemeinsame Geburtsmonat von Maria Zambrano und ihrer Schwester Araceli und zudem noch ein historisch wichtiges Datum, da die II. spanische Republik am 14. April 1931 ausgerufen wurde. Dieser Monat, von dem in der dritten und zehnten Szene die Rede ist, kann als eine verschlüsselte Konfiguration von Republik, Gerechtigkeit, Freiheit und Hoffnung gedeutet werden. In der Szene "El sueño de la hermana", in der sich Antigone in einem langen Monolog an Ismene wendet, setzt der Prozeß ihrer Selbsterkenntnis ein. Es tauchen Kindheitserinnerungen auf, und Antigone gewinnt allmählich Einsicht in die Vorherbestimmung ihres Lebens. Die Hinnahme ihres Schicksals befähigt sie dazu, der Schwester, die ihr bei der Totenehrung des Bruders nicht half, zu verzeihen. Untrennbar verbunden eilte jede für sich unbewußt ihrem Unglück entgegen. Die Gerechtigkeit wurde geopfert, die Hoffiiung muß überleben. Diese Szene bedient sich eines Motivs, das Maria Zambrano auch in Persona y democracia verwendet, um ihre Vorstellung der Geschichte zu vermitteln (PyD 75). In La tumba de Antigona erinnert sich die Hauptfigur an ein Kinderspiel, das in Spanien
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Rayuela genannt wird. Es ist ein Spiel, bei dem Kinder auf einem Bein von einem Feld in das andere hüpfend den mit Kreide symbolisierten Weg zwischen Himmel und Erde zurücklegen. Durch den Wurf eines Steines wird das zu erreichende Feld markiert. Tritt das Kind auf seinem Weg dahin auf eine der am Boden aufgezeichneten Linien, muß es zum Ausgangspunkt zurück. Gelingt es ihm jedoch, fuhrt es von dem erreichten Feld aus den nächsten Steinwurf aus, bis es in den als Halbkreis dargestellten Himmel gelangt. Antigone erinnert sich nun, daß sie, als sie mit ihrer Schwester spielte, immer diejenige war, die auf die Linie trat. Sie folgert daraus, daß sie dazu bestimmt war, die Gebote des Tyrannen zu übertreten. In einer zweiten Analogie verweist die Autorin auf den spanischen Bürgerkrieg, seine Toten, den nie endenden Ruf nach Rache und die nach 1939 von Franco verordneten Hinrichtungswellen: La sangre así trae sangre, llama sangre porque tiene sed, la sangre muerta tiene sed y luego vienen las condenas, más muertos, todavía más en una procesión sin fin. (TA 47) Das Blut dürfe nicht am Stein trocknen, erklärt Antigone, in Erinnerung an ihre Totenehrung des Bruders, sondern müsse zur Mutter Erde zurück. Die Wiederkehr der roten Farbe im Veilchen und im Feldmohn symbolisiert für sie die nötige und befriedende Trauer. Der Antigone-Mythos bietet sich wegen seiner Thematisierung der letzten Ehrung, also der Trauer, für die Darstellung des Spanienkonfliktes an. Die Erinnerung an den 'Bruderkrieg' oder Bürgerkrieg bleibt so lange bitter, haßerfüllt, wie nicht aller Opfer gedacht wird. Erst dann kann, wie uns die Autorin vermittelt, der nötige Verarbeitungsprozeß, der zur Versöhnung führt, vollzogen werden. Der Monat, in dem Antigone lebend eingemauert wird, ist ebenfalls April (TA 47). Das Datum signalisiert hier den Sieg des Diktators Franco im Frühjahr 1939. Ungeehrt blieben ihre Toten zurück, als die Republikaner vor der anrückenden faschistischen Armee über die Pyrenäen flohen. Die unterlassene Totenehrung ist Ursache ewiger Reue.
6.4.4 Édipo (4. Szene) In der vierten Szene erscheint Antigone der Geist ihres Vaters. Der ehemals Blinde ist sehend geworden. Demütig und reuevoll nähert er sich seiner Tochter und ehemaligen Begleiterin im Exil. Er deutet ihr Opfer als Sühneopfer, durch welches alle Sünder von ihrer Schuld erlöst würden. Die erste Frage Antigones an Ödipus, ob er ein Gott sei, wirft etwas Licht auf die allegorische Identität beider Figuren. "Porque tú naciste, sí, de mi pensamiento", spricht Ödipus etwas später. Durch diese zweifache Anspielung auf einen Gott und auf eine ideelle Geburt erinnert Maria Zambrano an die Göttin Pallas Athene, die bewaffnet dem Kopfe Zeus' entsprang. Diese ewig jungfräuliche Göttin galt den Republikanern als Symbol der "inteligencia militante", wie Maria
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Zambrano in ihrer Rezension von El Mono Azul aus dem Jahre 1938 bezeugt.207 Der "razón militante, armada de casco, lanza y escudo", wie sie in den Bürgerkriegsjahren schrieb, begegnen wir nunmehr in Antigones Kampf um das menschliche Gewissen. Antigone vertritt das Gerechtigkeitsideal, Ödipus die II. Spanische Republik, aus der dieses Ideal geboren wurde. Und dennoch ist Antigone aus einem Irrtum heraus entstanden: Hija soy del error" (TA 51). Der Vatermord Ödipus' ist als eine Anspielung auf die atheistischen Tendenzen der Republik zu verstehen. Das Inzestverhältnis, das Maria Zambrano, den attischen Dramatikern folgend, als Fluchehe zwischen Mutter und Sohn und als Liebesbeziehung zwischen Vater und Tochter gelten läßt, ist in dieser Allegorie des spanischen Konfliktes platonisch gemeint. In der sich nun langsam entfaltenden Genealogie bedeutet Ödipus' Beziehung zu lokaste, die ein Abstraktum, eine "Quimera" bleibt, der absolute Anspruch, den die Republik auf Spanien erhob (TA 51). ödipus' ständiges Reden von lokaste, ohne sie beim Namen zu nennen, als habe sie keine eigene Identität, habe ihr die Mutter entfremdet, klagt Antigone. Die Kehrseite dieses egozentrischen Verhaltens ist Ödipus' vollkommene Inanspruchnahme der Tochter. Mit anderen Worten, die II. Spanische Republik habe die Idee Spaniens und die Idee der Gerechtigkeit als ihren unteilbaren Besitz verstanden. Aber die 1931 entstandene parlamentarische Demokratie war ja selbst, wie die Schlußworte Ödipus' zu verstehen geben, kaum mehr als "una nube blanda, cálida, llevada por el viento" (TA 51). Seine Tragödie, erklärt er der Tochter, sei es gewesen, daß er, von den Ereignissen bedrängt, aus dem Traumen in die konkrete Wirklichkeit hätte eintreten zu müssen. Die Umsetzung der republikanischen Ideale in die materielle Wirklichkeit, die zwangsläufige Konfrontation mit widrigen Kräften habe die Republik zu früh erprobt: Un hombre, un hombre tuve que ser. Y yo era un sueño. Yo era apenas el despertar de una luciérnaga, el parpadear de una llama, un poco de aliento, un palpitar de un corazón pálido. Yo no era casi nada. Era casi, era apenas y tuve que ser eso: un hombre. (TA 52) In der Frage Antigones nach dem Ursprung des Übels taucht das Rätsel, das die Sphinx vor den Toren Thebens dem einstigen Wanderer Ödipus stellte, wieder auf. Erneut lautet die Antwort "der Mensch". Seine Idee, sein Traum, so vielfach vollkommener als er selbst, konnte sich der menschlichen Realität nicht ohne wesentliche Einbuße anpassen.
207
Zambrano, M. "La inteligencia militante - El Mono Azul". Los intelectuales en el drama de España. Op. cit. S. 59 f. Vgl. Unterkapitel 3.4.2 "La inteligencia militante - El Mono Azul".
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6.4.5 Zur 5., 6. und 7. Szene Bevor Antigone ihre vom Vater genannte Bestimmung, die Sündigen von ihrer Schuld zu erlösen, erfüllen kann, muß sie sich selbst einem Prozeß der Läuterung unterziehen. Durch sie hindurch sollen die Beteiligten des tragischen Konflikts neu geboren werden. "La lavandera soy yo", spricht sie in der dritten Szene zu Ismene, als sie den Sinn ihres Opfers zu erahnen beginnt (TA 46). Die Begegnung mit den drei weiblichen Figuren, die in den folgenden Szenen die gefangene Antigone aufsuchen, gestaltet sich zu einem Ritual der Selbstreinigung und letzten Prüfung. Zunächst tritt Ana, die Amme, auf, ein wohlwollender, schützender Geist, die einzige Figur, die der Heldin überlegen ist. Sie fuhrt die Sterbende in die hingebungsvolle Fügung des 'Ichs' in das Schicksal ein. Als zweite erscheint das stumme Gespenst der Mutter, deren Inzestbeziehung zu Ödipus zu vergeben, Antigone Selbstüberwindung abverlangt. Mit dieser Begegnung wird die zweite Phase ihrer Läuterung eingeleitet. Und schließlich, nachdem die Amme und die Mutter jeweils vertrauensvolle Hingebung und Barmherzigkeit von der Verurteilten gefordert haben, dringt die Harpyie, der weibliche Unheilsdämon, in die Felsenhöhle ein. Sie kommt mit der Absicht, den Glauben und die Entschlossenheit Antigones zu zerrütten. Die Figuren der Amme und der Harpyie repräsentieren zwei ideelle Gegner. Sie kämpfen gegeneinander so wie Erzengel und Satan. Beide künden der Heldin auf jeweils eigene Weise ihren nahenden Tod an. Iokaste, die Spanien verkörpert, geht in ein anderes Reich als das der übrigen Toten ein. Sie kehrt in den Mutterschoß der ihr attribuierten "Tierra" zurück. Ihr Ausweg ist eine Rückentwicklung: "Vuelve a ser niña, doncella y no te cases." (TA 61).
6.4.6 Ana, la nodriza (5. Szene) "Ana, la nodriza" ehrt die Sterbende durch eine kleine Gabe aus Wasser und Basilikum, die sie für das Reinigungsritual benötigen wird. Sie ist eine Hekate-Figur, eine Art Göttin des Geisterlebens, die sowohl in der Welt der Lebenden als auch der der Toten weilt. Wenn Antigone im Vorangegangenen mit der Wahrheit und mit dem Gewissen verglichen werden konnte, so ist Ana das Urgedächtnis, das diese beiden nährte. In Maria Zambranos Werk Notas de un método (1989) findet sich eine entsprechende allegorisch-philosophische Beschreibung von Anas geheimnisvollem Wesen: Nodriza, madre del pensamiento, la memoria, sierva en su pasividad, sostiene y sustenta el pensar en su ir y venir. Ella, si se la deja servir, desciende hasta los "ínferos" del alma, de la psique, hasta la zona psicofisica. Pues que mantiene, aunque oscuramente, la llama del origen celeste tanto como el engranaje de las entrañas y de todo lo que en ellas, y también
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por ellas, gime triturado bajo el tiempo de la "razön" o bajo el tiempo acceptado, sea racionalizado o no.20S Diese Gestalt, die Antigone auf den Übergang in das ewige Leben vorbereitet, kann ebensowenig wie die Harpyie der Genealogie des spanischen Konfliktes direkt zugeordnet werden. Sie gehören einer metahistorischen, philosophischen Ebene an und deuten die Geschichte, indem sie ihr entweder einen höheren Sinn zusprechen oder diesen zynisch verleugnen. Ana weist ihrem Zögling den Weg zur Überschreitung des Irdischen: "Porque a ti te espera otra cosa, mejor que el descanso" (TA 56). Die Harpyie, die Antigone in christlicher Nächstenliebe als "Alte" oder "Freundin" bezeichnet, glaubt ihrerseits keineswegs an das Jenseits. Mit dem, wie sie Antigone vorwirft, selbstverschuldeten Tod tritt nach ihrer Darstellung das endgültige Nichts ein. Der furchterregende Vogel prophezeit Antigone einen folgenlosen Tod und hält ihr höhnisch das versäumte irdische Glück vor Augen. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Unsinn des Opfers erhält dieselben Vorzeichen, unabhängig davon, ob Antigone als Allegorie des Gewissens oder als individuelle, der Autorin vergleichbare Figur gesehen wird. Der Dialog mit der Amme zeichnet diese als ein entsprechend der razön poetica intuitiv handelndes Wesen. Nicht sehend, sondern fühlend, ermahnt sie ihren Zögling, würde Antigone den Sinn ihres Schicksals erfahren (TA 59). Das Wissen, das Ana 'wortlos' der Heldin vermittelt, ist ein "saber originario". Sie lehrte sie das Deuten längst vergessener Symbole: "(...) mientras que tu tenias que acordarte de lo que no te decia, de lo que no te contaba" (TA 58). Ana und Antigone, erfahren wir in der fünften Szene, sind Wesen einer Zwischenwelt. Bereits als Kind habe Antigone in der Welt der Lebenden wie der Toten verkehrt. Das Handeln der Protagonistin wird von beiden als Schicksal interpretiert. Es ist selbstlos, frei von jeglichem Eigeninteresse und einer höheren Wirklichkeit der "historia verdadera" gewidmet. In der Figur der Ziehmutter kommen die Intuition als fließender Übergang zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem sowie der Glaube an einen das Leiden transzendierenden Sinn als Merkmale christlichen Denkens zum Ausdruck.
6.4.7 La sombra de la madre (6. Szene) In der sechsten Szene "La sombra de la madre" tritt, durch Antigones Monolog vermittelt, die Mutterfigur lokaste auf. Sie stellt den Urgrund des Konfliktes, Spanien, dar. Über sie erfahren wir in der vierten Szene, daß Ödipus sie zu vergessen neigte (TA 50). Iokaste, die wiederholt dem Begriff "tierra" zugeordnet wird, erscheint in einer späteren Beschreibung Polyneikes' auch als das anklagende Volk: 208
Zambrano, M. "El ir y venir de la memoria". In "Los lugares de paso donde se verifica el transcender". Notasele un mètodo. Madrid: Mondadori, 1989. S. 83 f.
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Pregonaba sus quejas como los oradores del pueblo en la plaza pública. Hacía de todo pública protesta. Y protestaba sin haber sacrificado a los Dioses del cielo, y sin haber invocado siquiera los Dioses de la Sangre (TA 77). In diesen Worten schwingt eine Reminiszenz an die Volksfrontbewegung und ihre Klerusfeindlichkeit mit. Im Kontrast dazu wird Ödipus als eine Allegorie der Republik aus dem Jahre 1931 und ihrer intellektuellen Führung erkennbar. Diese liberale, geistige Elite, die 1936 ihre Macht an die Volksfront verlor, evoziert die Autorin entsprechend Ortega y Gassets geisteselitärer Machtkonzeption durch ihren Bezug auf die unbefragten "Dioses de la Sangre". Ödipus ist der Vertreter der Generación del '98, derjenigen, die 1936 ins Exil gingen und den Bürgerkrieg von weitem erlebten, so wie der thebanische König den Zweikampf seiner Söhne.209 Antigone, die Protagonistin der Gerechtigkeit und des Gewissens, erkennt in ihrer Auseinandersetzung mit der Mutter das Problem der Idealisierung und Sublimierung durch das Kind: "Esa pureza de la Madre es el sueño del hijo." (TA 62). Die Erlösung dieser leidvollen, herumirrenden, gespenstischen Figur, durch die Spanien und auch das spanische Volk dargestellt werden, findet die Autorin in den Worten "la razón sin nombre de la vida", welche die Tragik des Menschengeschlechts resümieren (TA 63).
6.4.8 La harpía (7. Szene) Am Schluß der Szene "La harpía" wehrt sich Antigone gegen den Einfluß des Untiers mit den Worten: "SI, sí, sí. Yo creo." (TA 70). Der griechischen Sage des Königs Phineus entsprechend peinigte das beflügelte Ungeheuer das Opfer in seiner Verbannung, indem es seine Nahrung raubte und besudelte.210 Die Nahrung Antigones ist geistige Nahrung, sie ist ihr Glaube. Mit psychoanalytischer Spitzfindigkeit unterstellt die Harpyie der Jungfrau Frigidität als Motiv ihrer Tat. Sie habe der Vermählung mit Haimon entgehen wollen. Die "razonadora", wie Antigone sie nennt, stellt die Heldin als Leidtragende eigener Intrigen dar und verleumdet die Existenz eines höheren Prinzips. In der Sicht dieser Rachegöttin gibt es keine Überwelt. Das Verhalten Antigones könne deshalb nicht anders als durch Eigeninteresse bestimmt sein. Sie habe nur zu spät bereut, zu spät das 'männliche' Herz des Diktators zu erweichen versucht. Erst als sie zu ihrer Gruft gefuhrt wurde, habe sie geweint. In Gegenposition zu der versöhnenden Ana entwickelt die Harpyie eine atheistische Weltanschauung. Ihr Reden will die Verlogenheit moralischer Wertmaßstäbe entlarven. Verwandte Gefühle 20
'In diesem Zusammenhang ist es nicht unwesentlich zu wissen, daß sich Ortega y Gassets Schüler und Anhänger sowie seine Mitarbeiter in der Revista de Occidente beim Aufstand der faschistischen Generäle 1936 in zwei gegnerische Lager trennten und er selbst 1937 der Republik den Rücken kehrte. 210 Vgl. Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft. Hg. Georg Wissowa. Stuttgart 1958.
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werden fein seziert und voneinander getrennt, gegensätzliche Empfindungen einander gleichgestellt und gepaart. Gut und böse sind keine Entscheidungskriterien. Als einziges Handlungsmotiv erscheint unwillkürlich das eigene 'Ich'. So sei es einerlei, argumentiert das Untier, ob Antigone geliebt oder es selbst gefürchtet werde. Dagegen ist es für die Harpyie ein bedeutender Unterschied, ob Antigone aus Liebe oder Barmherzigkeit handelte. Die Autorin karikiert in dieser Szene die in ihren Augen seelenzersetzende Psychoanalyse. Für die Glaubenszeugin umfaßt das Wort "amor" Zuneigung und Mitgefühl. Die "araña del cerebro", wie die Haipyie genannt wird, treibt dagegen durch ihre Annäherung von Haß und Liebe und ihre Dichotomie von Zuneigung und Eros ein Verwirrspiel, das die Heldin zum Wortbruch führen soll. Durch ihre Direktheit und Schamlosigkeit entspricht die Harpyie mehr als alle anderen Gestalten einer modernen dramatischen Figur. Das verzerrte Spiegelbild, das sie der Heldin vorhält, erzeugt einen ästhetischen Reiz, der in diesem spannungsarmen Bühnenstück weitgehend fehlt. Hatte Ana versucht, ihren Zögling mit dem Schicksal zu versöhnen, so säht die Harpyie Zweifel. Ist Frigidität die Ursache von Antigones Unglück? War ihre Intellektualität der Grund für dieses Schicksal? Oder war Haimon, der nunmehr tot vor ihrer Gruft hegt, impotent? Der scheußliche Pesthauch der geflügelten Mischgestalt breitet sich über das Leben der unschuldigen Heldin aus. Es gelingt der Harpyie jedoch nicht, in Antigones Geist einzudringen, und so entläßt sie sie in die Einsamkeit ihrer über alles verehrten Wahrheit. Die Harpyie spielt die Rolle der Versuchung. Ihre Anspielungen auf das unerfüllte irdische Leben der Heldin sollen diese gegen ihren Tod aufbegehren lassen. Dem Selbstmitleid verfallen, hätte Antigone vermutlich ihren Glauben verleugnet, und ihr Leiden wäre vergeblich. Ihre dann sinnlos gewordene Tat hätte sich als Selbstvernichtungsakt in die Fluchgeschichte des Stammes Labdakos eingereiht. Die "historia apócrifa" hätte gesiegt, das Verhängnis über das Gewissen. Auf der geschichtsphilosophischen Ebene rerpäsentiert die Harpyie, die in der Mythologie als Jagdhund des Zeus gilt und durch ihre Funktion den Erriyen, den Rachegöttinnen, verwandt ist, eine spezifische Interpretation des spanischen Bürgerkrieges. Mit dem Zynismus eines Hedonisten betrachtet die Harpyie das vermeintlich sinnlose Opfer. Sie ist die Allegorie des Individualismus und der Selbstsucht, einer modernen ichbezogenen, materialistischen Welt. Als Repräsentantin der "historia apócrifa" vertritt sie das ahistorische Bewußtsein schlechthin, das bar jeden Idealismus das absurde Wechselspiel von Vernichtung und Selbstzerstörung als Weltprinzip bejaht.
6.4.9 Los hermanos (S. Szene) In "Los hermanos" spricht Antigone als Wahrheitssuchende, als Philosophin, mit Polyneikes und Eteokles, die jeweils die Republikaner und die Franquisten verkörpern. Ihre pazifistische Gesinnung konfrontiert die Brüder mit dem Unheil, das sie durch ihren Machtkampf über das Land und sich selbst gebracht haben. Die Schwester duldet keine Ausflüchte: "Siempre hay enemigos, patrias, pretextos." (TA 72).
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Polyneikes, den die Autorin bereits im Vorwort als "hermano exógamo" bezeichnet, weil er in der Mythologie aus der Verbannung in den Kampf um Theben zieht, wird auch im Bühnenstück als der über die Landesgrenzen hinaus Schauende dargestellt (TA Pr 27). Im Gegensatz zum Zwillingsbruder Eteokles, der sich mit dem Usurpator, der mit Franco vergleichbaren Figur Kreon, gegen Vater und Bruder verbündet, hat Polyneikes seinen Blick stets in die Ferne schweifen lassen (TA 75). Während der Darsteller der Republikaner sein Unrecht zu begreifen beginnt, bekennt sich Eteokles zum Totalitarismus. Das Unheil habe mit der Selbstbezichtigung Ödipus' seinen Anfang genommen, spricht er. Stattdessen hätten die Götter durch großzügige Menschenopfer besänftigt werden sollen: Yo digo que nuestro padre fue débil, que faltó, pues que de haber ofrecido el sacrificio que digo yo, todo estaría como estaba, en orden y sin verdad. (TA 78). Es wird daran erinnert, daß König Alfonso XIII., der 1923 die Exekutive an den Diktator Primo de Rivera übergab, nach dem Wahlsieg der Republikaner im Jahre 1931 das Land ohne Aufsehen in seinem Sportwagen verließ. Maria Zambranos Ödipus-Figur vereint somit die Darstellung der bürgerlichen Republik von 1931, der liberalen Generation von 1898 und des entmachteten spanischen Königs. Wie sieht aber die Wahrheit aus, die Antigone ihren Brüdern vor Augen hält? Wie im Dialog zwischen den Geschwistern aufgezeigt wird, ist eine überzeitliche Wahrheit gemeint. Die Lösung der Autorin erscheint wenig tröstlich, denn die Erleuchtung, von der hier die Rede ist, entsteht aus der Tragödie selbst heraus. Wie sollte daher durch die Glaubenserkenntnis das Unheil abgewendet werden? La verdad es la que nos arrojan los dioses cuando nos abandonan. Es el don de su abandono. Una luz que está por encima y más allá y que al caer sobre nosotros, los mortales, nos hierre. Y nos marca para siempre. Aquellos sobre quienes cae la verdad, son como un cordero con el sello de su amo. (TA 77) Der Widerspruch liegt in der christlichen Lehre selbst, denn diese predigt, daß der Mensch im Leiden Gott erfahre. Demgemäß soll sein Handeln darauf ausgerichtet sein, Leid abzuwenden, aber sein Leiden wird nicht als sinnlos angesehen. Der gleichlautende Vorwurf Antigones an beide Kriegsparteien besagt, daß sie allen unmittelbaren Zwängen zum Trotz nicht das Recht hatten, solche Vernichtung und Verwüstung anzurichten. Die Vorliebe Antigones für Polyneikes spiegelt die Sympathie der Autorin für die Republikaner wider, die in ihren Augen daran scheiterten, daß sie ihre Träume nach der irdischen Wirklichkeit richteten, anstatt die irdische Wirklichkeit nach ihren Träumen zu gestalten. In der Person Polyneikes räumt Maria Zambrano den Republikanern das Vorrecht des Bewußtseins um diesen Zwiespalt ein.
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6.4.10 LIega Hemön (9. Szene) Haimon, der sich in der neunten Szene den streitenden Geschwistern nähert, gehört wie die Protagonistin und Ismene zu den schuldlosen Figuren dieser Tragödie. Der von eigenem Versagen freie Sohn des Diktators erscheint als Allegorie der Nachkriegsgeneration im franquistischen Spanien. Sein Verlangen nach der eingekerkerten Repräsentantin der Wahrheit endet im Selbstmord. Der Topos der wahrheitsliebenden Jugend setzt sich in der Figur Haimons fort. Durch seinen Tod schließt sich ein unentrinnbarer Kreislauf, der den Tyrannen zum Leidtragenden der eigenen Gewalt macht. In diese Szene, in der Antigone den Druck der an sie gerichteten Ansprüche der Brüder und des Geliebten aushalten muß, fließt erneut das Inzestmotiv ein. Hier und in der vorletzten Szene greift die Autorin das Bild des "esposo-hermano" auf, das schon in ihrem ersten fragmentarischen Entwurf "Delirio de Antigona" zur Sprache kam. Die erotische Beziehung zwischen Geschwistern, die einem weniger strengen Tabu als das Mutter-Sohn-Verhältnis unterliegt, weil sie die Allmacht des Vaters nicht in Frage stellt, gewinnt in Maria Zambranos Darstellung einen emanzipatorischen Aspekt. Durch diese Beziehungsform kann sich die Heldin dem alleinigen Besitzanspruch des Verlobten entziehen. "Pero es queyo toda, yo ünicamentepara el esposo ...", zweifelt Antigone (TA 81). Hier zeigt sich ihr Wunsch, den "amor dividido" zu vereinen, als ein moderner Konflikt (TA 94). Die Idee des "hermano-esposo" besitzt eine durch die Blutsbande symbolisierte Tiefe und Ewigkeit. In dialektischer Verbindung dazu entfaltet diese Beziehungsform eine pluralistische und dadurch distanzierende Eigenschaft. Die brüderliche Beziehung läßt nämlich die Vorstellung einer Vielzahl gleichartiger Beziehungen zu. Dagegen ist der Anspruch des Bräutigams exklusiv. Soll das platonisch-erotische Ideal Antigones in ein philosophisches Bezugssystem übersetzt werden, so müssen die Motive der drei männlichen Gestalten näher betrachtet werden. Polyneikes will seine Schwester in ein fernes, jungfräuliches Land ohne Geschichte, "la ciudad de los hermanos" entfuhren.211 Seine Vermählung mit der Tochter des Königs von Argos bezeichnet er als einen Irrtum (TA 80). Haimon macht die Heldin ihrem Bruder streitig, weil er als einziger aus Liebe zu ihr gestorben ist, wogegen die Brüder im Haß gegeneinander den Tod fanden. Aber er willigt schließlich ein, ihr Gatte und Bruder zu werden. Eteokles schwankt seinerseits zwischen väterlicher Herrschsucht und Verzweiflung. Antigone soll sich dem nahenden Kreon ergeben und Eteokles' Delegierte an der Seite des Tyrannen werden (TA 83). Dem Bruder Polyneikes und dem Verlobten verspricht die Märtyrerin in das 'Land ohne Geschichte', das eine Analogie zu Augustinus Gottesstaat ist, zu folgen. In 21
'Im Schlußdialog der Szene "Llega Hemön" wurde Polyneikes Aufruf durch einen Druckfehler Eteokles in den Mund gelegt (TA 82).
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Antigones Entscheidung offenbart die Autorin ihre eigene parteiische Meinung. Wenn es auch die Republik nicht vermochte, eine "historia ética" zu schreiben, so schwebte der Republik diese vor, sie war ihr Traum. Doch die Botschaft Maria Zambranos geht noch darüber hinaus. Antigone, die Allegorie von Wahrheit/Gerechtigkeit, ist für alle unverzichtbar. Haimon, der das Leben und die Zukunft repräsentiert, kann ohne sie nicht sein. "Estaba siempre ahí, a la espera, ofreciéndome la vida (...)", erinnert sich die Verurteilte (TA 93). Und Eteokles weiß, daß auch sein Lager ihrer - zumindest als Alibi - bedarf. Die Synthese von Wahrheit und Gerechtigkeit ist das christliche Gewissen. Antigones Gewissen ist der Grund, weshalb die ruhelosen Geister ihre Gruft besuchen. Sie kommen zur Beichte. Die Unschuld der Heldin treibt sie dazu. Nur durch sie, die wie Jesus Christus die Schuld aller auf sich nimmt, kann ihnen vergeben werden. Antigones Erleuchtung wird ihnen in dem Maße, wie sie ihre Schuld beichten, zuteil.
6.4.11 Creón (10. Szene) Kreons Auftritt fugt sich in die lineare Entwicklung dieses 'Mysterienspiels' ein. Mit der Frage "¿También tú, tampoco puedes pasarte sin venir a esta tumba?" empfangt ihn sein Opfer. Selbst der Tyrann muß sich vor Antigone verneigen. Losgelöst aus dem Kontext des Franquismus gliche diese Figur Nero oder jedem anderen Tyrannen der Geschichte. Doch dieser Herrscher besitzt die Eigenart, "¡Arriba, arriba!" zu befehlen und erinnert damit an den Kampfaufruf der aufständischen Generäle im spanischen Bürgerkrieg (TA 86). Der Einwand der jungen Heldin ist von Doppelsinnigkeit erfüllt, als sie gerade diese nichtig erscheinenden Worte polemisch aufgreift: "Arriba, arriba. ¿Tu sabes dónde es arriba?" Damit deutet sie auf die Vernichtung humanistischer Werte im Faschismus. Andererseits spricht sie als eine zu Gott hin schreitende Märtyrerin. Kreons Bemühungen, auch nach der Selbsttötung seines Sohnes Haimon die Verurteilte zur Rückkehr in seinen Palast zu bewegen, ist eine Anspielung auf Francos Bereitschaft, bestimmten im Exil lebenden Persönlichkeiten Amnestie zu gewähren. In den sechziger Jahren, als dieses Bühnenstück in Mexiko erschien, wurde von manchen Intellektuellen die Möglichkeit der Rückkehr nach Spanien erwogen. Damals schrieb die Autorin in "Carta sobre el exilio" über das Exil als letzte Bastion eines längst nicht mehr militanten, jedoch ethisch-religiösen Widerstandes gegen den Franquismus. 212 In ihrem Streit mit dem Despoten argumentiert Antigone aus der Erfahrung ihres Exils mit Ödipus heraus. "Gracias al destierro conocimos la tierra", antwortet die Sterbende und trifft damit den Tenor des oben genannten offenen Briefes (TA 87). In den erzählerischen Kontext eingebettet, fällt es kaum auf, daß diese Aussage keine Antwort auf Kreons Ersuchen ist, sondern ein weiterer Hinweis auf den politischen Hintergrund dieses Dramas. Die Tür zu Antigones Todeszelle bleibt offen, als Kreon 2l2
Zambrano, M. "Carta sobre el exilio". Op. cit. Vgl. Unterkapitel 5.3. Vorspiel zur "unerklärlichen Hingabe".
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sie verläßt. Das Leben der Protagonistin aber siecht dahin, sie ist schon jenseits der Grenze "de donde a una alma humana le es dado el volver" (TA 86). Bereits zum zweiten Mal geht die Sonne unter.
6.4.12 Antigona (11. Szene) Von Antigones Vision erfahren wir im fünften und längsten Monolog. Die elfte Szene, die wie die erste nach der Hauptfigur benannt ist, entspricht der dramatischen Gestaltung von Maria Zambranos Vorstellung einer religiös-philosophischen Transzendenz. Die Seelenwanderung fuhrt die thebanische Prinzessin von dem Schauplatz des Krieges weg, fern von dem Reich der Sonne. Der Philosophie und persönlichen Mystik der Autorin entsprechend, sucht Antigone das innere Licht der göttlichen Erleuchtung: Pues que sólo me fio de esa luz que se enciende dentro de lo más oscuro y hace de ello un corazón. Allí donde nunca llegó la luz del Sol que nos alumbra: Sí; una luz sin ocaso en el centro de la eterna noche. (TA 90) Wie in der ersten Szene erscheint die Sonne hier als eine Analogie des rationalen Verstandes. Gemeint ist das grelle Licht, das, wie Antigone beklagt, alles in dualistische Opposition bringt. Alles von der Sonne Abstammende sei ein gespaltenes Doppel: "luz y sombra; día y noche; sueño y vigilia (...) Hermano y esposo que no pueden juntarse y ser uno solo." (TA 94) Das wahre Licht, erfahren wir von der Repräsentantin der dichterischen Vernunft, erreiche uns allein durch jene Träume, die unsere unsicheren Schritte leiten (TA 90). An dieser Stelle gleitet das Wahngespräch der Sterbenden über in eine lange Ausführung über das Exil. Anhand von Antigones Kindheitserinnerungen legt die Autorin ihr emotionales Verhältnis zur Heimat und ihr Leiden im Exil dar. Wir tauchen mit Antigone in das fortwährende Ringen um ein Selbstverständnis desjenigen ein, "que se encuentra un día sin nada bajo el cielo y sin tierra" (TA 91). Das Exil führt die Protagonistin an, weil es zum Gleichnis ihrer einsetzenden Seelenwanderung wird. Vom Gesichtspunkt der Autorin aus ist die Auswanderung Ursprung ihrer weltüberwindenden Philosophie. Der nie endende Aufstieg, mit dem sie das Exil vergleicht, ist ein geistiger Leidensweg. Entsprechend Maria Zambranos philosophischem Denken, schildert Antigone das Leben unter dem Aspekt der Prädestination. Die durch die Offenbarung ermöglichte Anerkennung des individuellen Leidensweges als "camino recibido" teilt das Leben in eine erste Phase des "delirio" und eine zweite des "destino". Die Autorin zeigt dieses Moment der allumfassenden Einsicht in das Schicksal an der Figur Antigones auf. Die Offenbarungserkenntnis geschieht als Bestätigung einer stillschweigenden Ahnung. Bilder, Träume, Phantasien geben plötzlich ihre Geheimnisse preis:
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6. Das dramatische Werk Yo me quería dar aliento diciéndome: "Antígona, tienes novio, estás prometida; celebrarás un día tus bodas". Pero luego se me desvanecía la imagen. Y la vida prometida se me volvía a aparecer sin nombre y sin figura alguna, como un espacio claro. Como un horizonte y como una tierra diferente sin huellas de humanas plantas. La soñaba y entonces la veía. Desierta la sentía, como una llamada que me hacía ir obstinadamente hacia un punto invisible, por senderos que no llevan a ninguna parte. En sueños tenía siempre que subir tres escalones, como ésos. (TA 93)
Die mystische Erfahrung der Antigone ist die Entdeckung des "Astro único", der ihr einst auf ihren Wanderungen mit dem blinden Vater erschien. Es ist das Sinnbild des einzigen, christlichen Gottes "sin nombre y sin figura", der die Heldin die griechischen 'Götter des Verhängnisses' zu überwinden hilft. Nach dem Erscheinen dieses höchsten Gestirns "que el sol, la luna y las estrellas todas reflejan (...) al que todas las luces remiten", ging ihr persönlicher Stern, der Morgenstern, auf. Fortan folgte sie einer Berufung, durch ihre Handlungen erfüllte sie das Unabänderliche. Der Stern des Wanderers oder des Hirten, der bei Anbruch des dritten Tages in die Gruft Antigones hineinscheint, ist ein Sinnbild für die Weisheit des Herzens. Ihrem Herzen folgend gelangt Antigone zum Göttlichen in sich: Hay que esconderlo a veces, eso sí. Y dejarlo que ayune para que reciba su secreto alimento. (TA 94) In dieser Tragödie kommt noch einmal die religiös motivierte Sehnsucht der Autorin nach innerer Einheit zum Ausdruck. Die Mitte, der einzigartige Stern oder das Herz, beschwören das Aufgehen einer dualistisch verstandenen Welt in die alles umfassende Einheit Gottes. "Y allí todo será como un solo pensamiento. Uno solo." (TA 94)
6.4.13 Los desconocidos (12. Szene) Die letzte Szene dieses Bühnenstückes "Los desconocidos" gibt uns zunächst ein spannendes Rätsel auf. Antigone liegt im Todesschlaf. Von verschiedenen Seiten kommend, treten zwei Unbekannte auf sie zu. Sie kommen jeweils in der Absicht, die Sterbende mitzunehmen. Mit dem Auftritt der "desconocidos" sprengt die Tragödie den Rahmen der Legende und gewinnt an Lebhaftigkeit. Wie in dem Aufzug "La Harpía" gelangt ein moderner Zug in das Bühnenstück. Der ästhetische Reiz entsteht dort, wo der Mythos verfremdet wird. Im Dialog der beiden Unbekannten erkennt der Zuschauer in der Person des "primer desconocido" eine Schriftstellergestalt. Sie verkörpert den am Schluß des Vorworts angekündigten Zuhörer und Übersetzer der Worte Antigones. Diese Figur ist mit denselben Fähigkeiten ausgestattet wie Antigone und ihre Amme, die beide in Verbindung mit den Toten treten können:
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(...) puedo bajar a los pozos de la muerte y del gemido y puedo subir; entro en el laberinto y salgo. Y siempre de estos lugares de encierro saco a alguien que gime y me lo llevo conmigo. Y lo pongo arriba en medio de las gentes, a que cuente su historia en voz alta. (TA 96) Der zweite Unbekannte ist als Hermes erkennbar, der Götterbote und Begleiter der Geister der Verstorbenen in die Unterwelt. In dieser Tragödie ist er, wie ihn der Religionsforscher Mircea Eliade beschrieb, der "Gefährte des Menschen"213. Der Gott der Wege eignet sich auch als lebensphilosophisches Symbol. Darüber hinaus ist er als Sohn des Zeus und der arkadischen Gottheit Maja dazu prädestiniert, zwischen den Kulten zu vermitteln. In La tumba de Antigona stellt er sich durch die Worte vor "Suelo pasar muy de prisa, ando atareado: me mandan, me piden." (TA 95). Dieser Herold prophezeit dem ersten Unbekannten Antigones Eingang in das ewige Leben und bestimmt ihn dazu, die Worte der Märtyrerin zu empfangen. Damit erhält die Schriftstellergestalt, der Vorstellung Maria Zambranos entsprechend, die Bedeutung einer geistigen Leitfigur: Pues que tu la oirás el primero. Y estas palabras que se aglomeran ahora en tu garganta, saldrán sin que lo notes. Su voz desatará tu lengua. (TA 99) Die Schriftstellergestalt verläßt mit dieser Weissagung die Gruft, und Hermes weckt Antigone, um sie in die "Amor tierra prometida" zu geleiten (TA 98). Das im selben Augenblick wie die Heldin erwachende Pathos raubt der letzten Szene die Spannung, die sie bis zur vorletzten Zeile beibehalten hatte. "Los desconocidos" endet mit der Gewißheit der Heldin, in das Gottesreich einzugehen. Durch eben diese Gewißheit und durch die bereits erwähnte allgemeine Linearität der schematisch gezeichneten Charaktere vergibt La tumba de Antigona wiederholt ihre Chance, die Imagination des Zuschauers zu beflügeln. Die Gunst deijenigen, die im Theater einer poetischen Illusion erliegen möchten, wird durch die voraussehbare Reaktion der dramatischen Figuren verspielt.
6.5 Zusammenfassung La tumba de Antigona handelt von der dichterischen Vernunft. Dieses Bühnenstück stellt den Versuch dar, einen Abschnitt der Geschichte im Sinne der Heilsgeschichte ästhetisch zu interpretieren. Die Virginität der Heldin ist ein Zeichen der Selbstlosigkeit ihres Handelns und der Immaterialität ihres Seins. Sie wird von einem 2n
"Doch ist er kein Totengott, auch wenn die Sterbenden sagen, Hermes habe sie ergriffen. Er darf ungestraft die drei kosmischen Ebenen durchqueren. Er geleitet die Seelen in die Unterwelt, und immer ist er es, der sie auch wieder auf die Erde zurückfuhrt, wie etwa Persephone, Eurydike oder in den Persern (629) des Äschylos, die Seele des Großkönigs." Eliade, Mircea. Geschichte der religiösen Ideen. Von der Steinzeit zu den Mysterien von Eleusis. Aus dem Französischen übersetzt von E. Darlap. Freiburg 1978. Bd. I. S. 254.
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höheren Prinzip geleitet, ihr Bewußtsein ist erfüllt von Frömmigkeit. Der Rekurs auf die Mythologie entspricht dem Anspruch der Autorin auf überzeitliche Gültigkeit und muß nicht als Schutz vor der franquistischen Zensur angesehen werden. Es ist kein Versuch von Maria Zambrano bekannt, dieses Bühnenstück vor 1986 in Spanien in Druck zu geben. Die Vorstellung, daß der spanische Bürgerkrieg Teil eines Läuterungsprozesses sei, hätte das Franco-Regime nicht irritiert, denn er lehnte sich an dieselben christlichen geschichtsphilosophischen Thesen an. Nur die Identität der Autorin und die Vorliebe Antigones für ihren Bruder Polyneikes hätten ideologische Bedenken erwecken können. Die Absicht, diese Tragödie gleichzeitig als Allegorie des spanischen Bürgerkrieges, als figurative Umsetzung ihrer Philosophie und als Selbstdarstellung zu gestalten, verlangte von der Autorin Präzisionsarbeit. Der Aufbau von La tumba de Antigona, der es erlaubt, daß sich bis zum Ende die universelle, die spanische und die persönliche Geschichte der Autorin durch die Handlung ziehen, ist - entgegen der sonstigen Tendenzen der Philosophin - eine rationale Hochleistung. In der Verbindung dieser drei Handlungsstränge liegt möglicherweise die Unterentwicklung der Charaktere begründet. Sie müssen beinah identitätslos bleiben, um Geschichte und Mythos zugleich zu verkörpern. Die Virtuosität dieses Bühnenstücks besteht darin, daß jede Figur einen Fächer aus mehreren Masken vor ihr Gesicht hält. In ihrem zwei Jahre zuvor veröffentlichten Essay "El origen del teatro" erinnert Maria Zambrano an die kultische Bedeutung der Maske. Die im Wahn befreite Person könne sich nur, schreibt sie, unter dem Schutz der Maske äußern. Erst das verborgene Gesicht wagt es, sich der Ekstase der Wahrheit hinzugeben: Pues ¿cómo es posible delirar en alta voz, si no es bajo una máscara? La máscara es ya representación, configura el personaje, lo fija. Máscara es sabido que en griego, de donde la palabra nos viene, quiere decir persona. Y asi la primera aparición de la persona humana en nuestra tradición a lo menos, se dá bajo algo que la encierra y la manifiesta al mismo tiempo. Es como si la máscara revelara lo que una criatura humana es en verdad, como si sacara afuera su intimidad más recóndita y los sucesos más ocultos de su vida. Als Gott den Menschen aus dem Paradies vertrieb, überließ er ihm nach Maria Zambrano die Gabe der Schöpfung in der Form der Kunst, der bildenden Kunst und der Dichtung. In der griechischen Mythologie ist analog dazu der Raub Prometheus' bekannt, der den Göttern das Feuer entwendete und die Menschen damit beschenkte (TA Pr 25). Durch diese Gabe gelingt es dem Menschen, der Wirklichkeit, in der zu leben er verdammt ist, zu entfliehen, aber auch, diese zu überwinden. In der Sicht der Autorin ist Sophokles' Tragödie Antigone das Beispiel einer solchen Überwindung irdischer Realität. Um 442 vor unserer Zeit geschrieben, ehrt diese Tragödie eine Haltung, die der christlichen Ethik entspricht. Sophokles' Vision ist ein Humanitäts214
Zambrano, M. "El origen del teatro". Op. cit. S. 48 f.
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bekenntnis. Für Maria Zambrano ist alles Streben der klassischen, abendländischen Philosophie von Thaies bis Seneca eine unaufhaltsame Suche nach dem einzigen, wahren Gott. Sophokles' Antigone bedeutet eine ethische Vision und für Maria Zambrano die Ahnung eines Gesetzes, das mit dem "fìat lux", der Weltschöpfimg entstand. Die höhere Wahrheit, für die Antigone in den Tod geht, erlangt sie durch Intuition oder Inspiration, welche die Gegensätze zwischen Idee und Wirklichkeit aufhebt. Antigone personifiziert die Integrität der ethischen Person.
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7.1 Metamorphose einer Welttranszendenz Die Verbindung von Geschichte, Traum und Zeit im Werk von Maria Zambrano steht im Zusammenhang mit einem dualistischen Weltbild, das ihr Denken nach 1939 auszeichnet. Der Sieg der Franquisten über die Republik, die faschistische Repression, der II. Weltkrieg und die Shoa beeinflußten nachhaltig das politische Denken der Philosophin. Als Zeitzeugin der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zweifelt sie daran, daß der Mensch aus eigenem Antrieb eine bessere Welt gestalten könne. Ihre Erfahrung besagt das Gegenteil, denn Francos Spanien erscheint ihr als ein noch menschenfeindlicheres Regime als die Monarchie, welche die Republik 1931 ablöste. Ihr Zweifel fuhrt Maria Zambrano dazu, zwischen der Idee, der Sehnsucht oder dem Traum einerseits und deren Verwirklichung andererseits streng zu scheiden. Ödipus ist in ihrem Bühnenstück La tumba de Antigona die blasse Erscheinung des republikanischen Traums - eines Traums, der ausgelöscht wurde, weil er unter dem Druck historischer Notwendigkeit voreilig in die Wirklichkeit hineingedrängt wurde. Das Wahre situiert die Autorin von nun an in den Bereich des Ideellen. Ihr Denken wird bestimmt von dem Versuch einer Welttranszendenz, welche Elemente des Christentums und der Lebensphilosophie in sich aufnimmt. Ausgehend von einer, wie sie schreibt, dem metaphysischen Wesen des Menschen feindlichen Wirklichkeit, drängt es sie, nach einer Überwindung derselben zu suchen. Wege in die metaphysische Realität findet sie in der "duración" und in dem "sueño de lapersona", die jeweils eine Abstraktion von Zeit und Traum bezeichnen. In El hombre y lo divino (1955), Persona y democracia (1958), El sueño creador (1965) und Los sueños y el tiempo (postum 1992) entwirft sie zunächst eine an Ortega y Gasset angelehnte Geschichtsphilosophie und wendet sich nach und nach, auf Max Scheler, Henri Bergson, Carl Gustav Jung und auch George Berkeley zurückgreifend, einer individuellen Welttranszendenz zu. Dabei entwikkelt sie eine, auf der Zweiteilung von Geschichte, Traum und Zeit in eine materielle und ideelle Dimension gründende, Skala, die letztlich in "la vida verdadera" mündet. Das 'wahre' Leben ist im Sinne der Autorin ein geistiges Dasein, das von jedem unmittelbaren Weltbezug befreit ist. Die Weltentrücktheit selbst gewährt den Zugang zu einer tieferen Einsicht und Weisheit, als der rationellen Weltanschauung vergönnt ist. Erst in diesem Zustand gelingt die mystische Durchdringung des Sinnlichen und Übersinnlichen, die Maria Zambrano in Claros del bosque poetisch formuliert.
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Ihre dualistische Lehre entwickelt eine Welttranszendenz in drei Stufen, die als Symbol der Dreifaltigkeit in den Träumen ihrer Antigone-Figur wiederkehrt. Sie unterscheidet zunächst zwischen einer falschen, den Menschen als Gottesschöpfung verleumdenden Geschichte und einer wahren Geschichte. Dabei gilt es, das Ideal vor einer Reduktion und Verzerrung durch die materielle Verwirklichung zu retten. Ursache dieser Verzerrung ist nach Ansicht der Autorin die Selbstherrlichkeit des modernen Menschen und sein Wunsch, die Geschicke der Welt unabhängig von einer überweltlichen Instanz fuhren zu wollen. Was sie "absolutismo"115 nennt, ist der ungebändigte Wille zur Selbstverwirklichung, den sie an der Moderne kritisiert. Im Gegensatz zu ihrem eigenen früheren politischen Engagement beruft sich Maria Zambrano im Exil auf ein Geschichtsverständnis, nach welchem der Mensch den historischen Prozeß auf sich zu nehmen lernen müsse, ohne ihn gestalten zu wollen. Ihre Gesellschaftskritik fuhrt sie von einem konservativen, christlichen Standpunkt aus. Das Heil liegt nunmehr für sie in der Loslösung vom Weltgeschehen. Ihre Vorstellung der "duración" oder reinen Dauer, die eine innere Seinssebene des Geistes definieren soll, resultiert aus einer Abstraktion vom historischen Geschehen. Was Edmund Husserl für die Phänomenologie als "Ausschaltung der objektiven Zeit" beschrieb, wird zum Prinzip ihres metaphysischen Denkens. Die Wahrnehmung einer übersinnlichen Realität ist erst möglich, wenn die Schranken des "tiempo sucesivo" aufgehoben sind. 216 Die Überwindung der Wirklichkeit gelingt im Irrationalen. Sie fuhrt in das Reich der dichterischen Vernunft, in dem all jenes lebt, dem eine Existenz in der materiellen Welt verweigert wird. So wie die zeitliche und räumliche Gebundenheit des Lebens durch eine 'wahre' Geschichte überschritten und die Zeit selbst zur bezugslosen Dauer hypostasiert wird, wendet sich die Philosophin in ihrer Traumlehre einer von dem Menschen abstrahierten 'Person' zu. Die Neigung des Menschen, die 'eingeschränkte' Wirklichkeit im Unbewußten zu übertreffen, sei, schreibt sie, eine Antwort auf eine von ihm intuitiv wahrgenommene metaphysische Realität. Es interessieren sie daher nicht die "sueños de la psique". Die Traumform, welcher sie in ihrem Werk Aufmerksamkeit schenkt, ist der "sueño de la persona".111 Dieser vom christlichen Existentialismus übernommene Begriff der Person bezeichnet eine sich vom allgemein Menschlichen abhebende geistige Wesenheit, das innere Ich oder Selbst. Den "sueño de la persona" beschreibt die Autorin als einen Prozeß der Individuation. Der Traum ermögliche eine Zusammenfuhrung des Menschen mit seiner höheren Bestimmung und schließlich die Vereinigung mit Gott. Die 'wahre' Geschichte, die reine Dauer und der Traum als Äußerungsform einer inneren, geistigen Wesenheit bilden die drei Stufen, welche auch die Antigone-Figur der Philosophin bei 215
Zambrano, M. "El absolutismo y la estructura sacrificial de la historia". PyD 82-92. Für die Phänomenologie schreibt Edmund Husserl: "So wie das wirkliche Ding, die wirkliche Welt kein phänomenologisches Datum ist, so ist es auch nicht die Weltzeit, die reale Zeit, die Zeit der Natur im Sinne der Naturwissenschaft und auch der Psychologie als Naturwissenschaft des Seelischen (...) Was wir hinnehmen, ist (...) erscheinende Zeit, erscheinende Dauer als solche." "Ausschaltung der objektiven Zeit". Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Den Haag 1966. S. 4. 2l7 Diese beiden Traumformen definiert die Autorin in "El sueño creador". OR 17-112. 216
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der Überschreitung des materiellen Daseins durchlebt. Die Metamorphose von Maria Zambranos Welttranszendenz fuhrt von dem Trugbild der Wirklichkeit zu dem Traumbild der Wahrheit.
7.2 Die "verleumderische" und die "wahre" Geschichte Das geschichtsphilosophische Werk von Maria Zambrano ist in der Zeit von 1944, als sie El pensamiento vivo de Séneca veröffentlichte, bis zur Mitte der sechziger Jahre entstanden. Zu diesem Zyklus gehören La agonía de Europa, El hombre y lo divino sowie Persona y democracia, das als Sammelband früherer Essays herausgegeben wurde. El pensamiento vivo de Séneca und La agonía de Europa entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck des II. Weltkrieges. El hombre y lo divino sowie Persona y democracia, die Gegenstand der folgenden Betrachtung sind, stellen dagegen die Lehre dar, welche die Autorin aus dem politischen Geschehen der vergangenen zwanzig Jahre zog. Einige ihrer zur Thematik Geschichte und Zeit erschienenen Essays blieben einmalige Publikationen, so bespielsweise der oben zitierte Aufsatz "El espejo de la historia" (1957), "Sobre el problema del hombre" (1955) und "El tiempo y la verdad" (1963), auf die ich im folgenden eingehe. Die Eindrücke der republikanischen Niederlage, des Exils und des II. Weltkrieges fuhren im Denken Maria Zambranos zu einer Abkehr von ihrem einstigen Sozialrevolutionären Engagement. Ihre Konzeption der Geschichte nach 1939 kann als Versöhnung mit Ortega y Gasset gesehen werden, denn sie folgt ihm in seiner Konzeption der Ideengeschichte. So wie Ortega geht sie von der Annahme aus, auf den philosophisch-religiösen Ursprung des Abendlandes zurückgreifen zu müssen, um die Gegenwart erklären zu können. So fuhrt sie den Leser in "Sobre el problema del hombre" auf sechzehn Seiten von "la vacilación adánica" über "la revelación griega de lo humano" zu "la llegada del cristianismo" und "la situación actual".21* Der Anspruch, eine allumfassende und zugleich weltüberschreitende Geschichtsauffassung zu vermitteln, beinhaltet einen Widerspruch, in dem schon ihr Lehrer verfangen war. Ein Beispiel für den Versuch, die Wirklichkeit einer überweltlichen Ordnung anzupassen, liefert Ortega y Gasset in seinem Aufsatz "El tránsito del cristianismo al racionalismo" aus dem Jahre 1933. Trotz ihres unterschiedlichen Standpunktes zur Glaubensfrage verbindet beide die Vorstellung einer metaphysischen Realität: El destino humano constituye una melodía en que cada nota tiene su sentido musical colocada en su puesto entre todas las demás. Por eso la canción de la historia sólo se puede cantar entera - después de todo, como la vida de un hombre sólo se entiende cuando se cuenta de su principio a su fin. La historia es sistema - un sistema lineal tendido en el tiempo (...) Porque en la vida humana va inclusa toda otra realidad - es ella, la realidad radical, y cuando una realidad es la realidad, la única que propiamente hay - es, claro está, trascendente. He aquí por qué la historia - aunque no lo hayan creído 2l8
Zambrano, M. "Sobre le problema del hombre". Op. cií.
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las últimas generaciones - es la ciencia superior, la ciencia de la realidad fundamental - ella y no la física.219 Letztlich soll die Geschichte von einem Punkt, der selbst nicht in der Wirklichkeit angesiedelt ist, also von einer übergeordneten Realität her verstanden werden. Ortega entwirft hier ein Bild der Menschheitsgeschichte als welttranszendierende Abfolge, "generaciones, unas cuantas precisas y determinadas que se suceden"120. Sie ist mit der heilsgeschichtlichen Vorstellung, welche Maria Zambrano bevorzugt, verwandt. Ein weiteres Merkmal von Maria Zambranos erneuter Annäherung an Ortega y Gasset ist, wie im folgenden gezeigt wird, ihre Übernahme seiner auf einer Antinomie von Geist und Materie beruhenden Elitetheorie. Wie in der Einleitung bereits angedeutet, nimmt die Autorin auch Bezug auf das Denken von Scheler, Bergson und Jung sowie auf die Immanenzphilosophie von Berkeley. Ihre Verknüpfung von Sichtweisen aus dem Personalismus, der Lebensphilosophie, der Psychologie und dem christlichen Glauben ist ein Bemühen, auf die kriegerische Selbstzerstörung der Menschheit zu reagieren. Im Vordergrund steht dabei der Gedanke, daß der Mensch ohne spirituelle Führung nicht auskommen könne. Ein wesentliches Ziel ihrer geschichtsphilosophischen Reflexionen ist es, dieses inhärente Bedürfiiis aufzuzeigen. Nach 1939 ist ihr Denken von einer großen Scheu vor der historischen Verantwortung des Menschen erfüllt, vor dem "quehacer que el hombre inexorablemente tiene impuesto".221 Die Geschichte hat sich für sie als Falle entpuppt, die Wirklichkeit als eine Spiegelgalerie, welche den Menschen verführe und von seiner Bestimmung ablenke. In ihrem poetischen Essay "El espejo de la historia" erhebt Don Quijote seine Stimme, um die 'Schimäre der Wirklichkeit' zu konfrontieren. Mehr als andere Aufsätze zur Geschichte, welche die Philosophin in den fünfziger und sechziger Jahren schrieb, befaßt sich "El espejo de la historia" mit dem aus der Geschichte erwachsenen Selbstverständnis des Individuums. Behandelt wird die Identität eines Menschen, dessen Selbstbild durch die Wirren der Geschichte zerstört wurde. Dieser Essay ist die dritte spanische Publikation der Exilschriftstellerin. 222 Die seelische Unruhe, welche, wie sie schreibt, durch ein Spiel von sich vielfach überschneidenden Selbstbildern verursacht sei, lege sich in der Hinwendung zu einem höheren Wesen. Im Mittelpunkt der Selbstfindung steht die Verantwortung für die Teilnahme an der "tragedia" der Geschichte. "Se ha pasado de la historia hecha en sueños a la historia hecha sueño", schreibt sie, um die Diskrepanz zwischen dem Ideal und der zum Alptraum gewordenen Wirklichkeit zu veranschaulichen. Das historische Scheitern erfahrt eine Steigerung als persönliche Schuld, weil der Mensch in seinem Versuch, die Geschichte zu bestimmen, Eigenmächtigkeit vor Gott behauptet. Aus diesem Sündenfall heraus 219
0rtega y Gasset, J. "El tränsito del cristianismo al racionalismo". Revista de Occidente 123. Madrid (1933): 340-361. S. 344 f. 220 Ibid., S. 344. 221 Zambrano, M. "El hombre ante su historia". Op. cit. S. 12. 222 Die Madrider Zeitschrift ¡nsula hatte 1952 und 1955 jeweils einen Aufsatz der Autorin veröffentlicht. Indice würdigt die Autorin durch eine kurze Vorstellung ihrer Person und den Verweis auf einige ihrer im Exil enstandenen Werke. Op. cit. S. 7.
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kann sich das Leben jedoch als "argumento" konstituieren, wenn der Mensch zum Glauben findet. Aus der Retrospektive gestalten sich dann die einzelnen Sequenzen eines Lebens zu einer weltüberschreitenden, authentischen Wahrheit. Die Hinwendung zum Metaphysischen geht einher mit der Vorstellung einer rein ideellen Umsetzung des menschlichen Willens als religiöse Sittlichkeit. Der den Menschen ablösende Begriff der "persona" definiert eine geistige, aus innerer Aktivität handelnde Wesenheit. In diesem Kontext wird die Bedeutung von "tiempo real" als Abstraktion von gesellschaftlichen Zusammenhängen, als eine von weltlichen Implikationen entleerte Geschichte evident.223 Die Zeit, im Sinne von Bergsons durée, ist die bevorzugte Existenzsphäre eines zum Überweltlichen tendierenden Geistes, ein metaphysischer Ort des Seins: Pues la historia, sueño absoluto, roba el tiempo, nuestro tiempo "real", el de la vida. Bajo ese sueño no vivimos de verdad; sólo padecemos esa eternidad sin salida, ese mimetismo de la eternidad. Y aun el que actúa lo hace así, padeciendo el hechizo del tiempo histórico, endiosándose en él; perdiendo su tiempo, el de su vida, el que le fue dado para la pasión y la vigilia; para soñar, si, y para transformar su sueño en sustancia moral; para reducir la inicial ambigüedad de todo humano ensueño y poder morir un día como persona y no como personaje.11* Der Sinn des historischen und persönlichen Scheiterns liegt in der christlich motivierten Selbsterkenntnis, der Anerkennung des göttlichen Willens. Maria Zambranos früheres politisches Engagement hat sich in eine gläubige Unterwerfung unter den göttlichen Willen verwandelt. Der wesentliche Stellenwert, den die Autorin nunmehr der Zeit beimißt, hängt zusammen mit ihrer Überzeugung, die historischen Ereignisse nicht unmittelbar, sondern erst aus der Retrospektive durchschauen zu können. Sie stellt die Geschichte als einen vom Menschen unabhängigen Prozeß dar. Die Geschichte besitze einen eigenen unerbittlichen Rythmus und werde jedem zum Verhängnis, der über das angegebene Tempo hinauszukommen versuche.225 Die Relativität von Wahrheit ist für sie unerträglich geworden. Die "duración" oder reine Dauer soll eine von Trugbildern befreite Historie sein.
7.3 Eine Fabel der abendländischen Geschichte Maria Zambrano hat in Persona y democracia die Geschichte als Reich des Leidens und der Leidenschaften beschrieben (PyD 15). Trotz aller Beteuerung der Selbstvergessenheit behält sie sich aber die Aufgabe einer geistigen Führerin vor, selbst wenn sie kein direktes politisches Ziel mehr verfolgt. Die aus ihrer Stellung innerhalb der intellektuellen Minorität Spaniens entwickelte Rolle gilt einem "intento 223
Auch im Sinne von Bergson ist "le temps réel", die vom Individuum erlebte Zeit. Vgl. Bergson, H. L'évolution créatrice. Op. cit. S. 4. 224 Zambrano, M. "El espejo de la historia". Op. cit. S. 7. 225 Siehe auch PyP 55.
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de guía a través de la situación histórica actual" (PyD 20). Ihre Geschichtsbetrachtung weist ihr einen Platz als Führerin in dem "grupo de hombres especialmente dotados" zu (PyD 50). María Zambranos Überlegungen gehen allein von einer "historia de Occidente" aus. Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt ihrer Reflexionen, sondern "el hombre de Occidente", dem sie aufgrund einer vermeintlich ausgeprägten Leidensfahigkeit eine privilegierte Stellung einräumt. Sie revidiert endgültig ihren ehemaligen sozialkritischen Standpunkt und tauscht ihn gegen ein elitäres Konzept ein, das auf einer Analogie zwischen Mehrheit und Materie einerseits sowie Minderheit und Geist andererseits beruht. Ihr Ziel ist die Bändigung des "monstruo de lo social" durch eine Entwicklung der 'Person'. Es geht ihr in diesem "momento de la Historia en que la minoría sincroniza menos con las multitudes" um eine individuelle, ethische Evolution, durch die sich soziale Forderungen erübrigen (PyD 24). Mit ausdrücklicher Bezugnahme auf Ortega y Gassets Elitetheorie La rebelión de las masas werden diese hinsichtlich eines heilsamen Werdeganges der Geschichte ausgeklammert: La masa es un hecho bruto, un "estar ahí" como materia, significa una degradación porque aparta la realidad pueblo, que es una realidad humana, de aquello en que la realidad humana alcanza su plenitud: el vivir como persona. Lo cual entrena responsabilidad, conciencia. Todo ello se da en un cierto tiempo, en una cierta manera de vivir el tiempo. Y en ella se evita la catástrofe. (PyD 145) Wo es der Philosophin um die Entwicklung einer geistigen Wesenheit geht, ist es nur schlüssig, daß die zur materiellen Verwirklichung strebende Mehrheit einen Störfaktor in ihrem Geschichtsbild darstellt. Aber ihre Analogie von Mehrheit und Materie geht im Sinne der Vitalismusthese von Henri Bergson und José Ortega y Gasset noch weiter. Gebunden an die Opposition von Geist und Materie ist die Vorstellung des Dynamischen versus des Statischen, des alles bewegenden Geistes gegenüber der toten Materie, welche die Autorin mit einem schlichten "estar ahí" belegt. Ihr Gesellschaftsbild stellt dem 'gemeinen' Volk ein ideelles "pueblo" entgegen. Die Katastrophe, welche sie als Anspielung auf die spanische Revolution und den II. Weltkrieg anfuhrt, entstehe durch die sich in Bewegung setzende "masa". Ortega y Gassets Buch La rebelión de las masas aus dem Jahre 1929, das ihr als Inspiration diente, wurde vielfach übersetzt und avancierte nach 1945 zum Bestseller. Das gesittete Selbstverständnis des Abendlandes war durch die Opfer des Faschismus und des II. Weltkrieges in eine Krise geraten. Ortegas bereits vor dem Krieg dargelegte These, die Sozialrevolutionären Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts würden eine 'unvermeidbare' Reaktion nach sich ziehen, lieferte eine willkommene wenn jedoch unkritische Erklärung der politischen Ereignissen der letzten Jahre. Weshalb gerade die abendländische Geschichte als "historia sacrificial" gesehen wird, hängt mit Maria Zambranos Vorstellung zusammen, daß der Humanismus Leitgedanke und zugleich Stolperstein des Abendlandes sei. Der Freiheitsgedanke
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wird für sie zum Götzen, wenn er zum "absolutismo" erhoben werde. Der Verwirklichungsdrang des Menschen räche sich dadurch, daß statt eines Fortschritts ein geschichtiicher Rückschritt einsetze. Die konkrete Gestaltung der Geschichte verlaufe in eine dem Heilsgeschehen entgegengesetzte Richtung. Maria Zambrano paart in "Cultura y tradición" die Extremismusthese mit einem existentialtheologischen Ansatz, bei dem die Heilsgeschichte als eine vornehmlich abendländische Angelegenheit aufgefaßt wird: Desde los orígenes de esta cultura occidental, la crisis debió de estar latente. Tenemos la tradición de la crisis y afortunadamente ciertas formas que recogen su experiencia. Lo que no es de estrañar, ya que la crisis pertenece a la esencia misma de la vida y especialmente de la humana. Si el hombre no estuviese permanentemente en crisis no sería hombre. Las crisis surgen en virtud de la trascendencia. Esta crisis nacida con la condicón misma humana la podemos vislumbrar recogiendo lo hasta ahora expuesto aquí como la propia de alguien, un ser, que ha de atravesar un medio cambiante, cambiando él mismo también, en busca de incorporarse definitivamente a un orden vivo e inmutable, sin contradicción.226 Diese unveränderliche, widerspruchslose Ordnung, nach der sich, so die Autorin, der Mensch sehne, prägt ihre eigene Geschichtsdarstellung. Denn von der Antike und vom Christentum ausgehend, entwirft sie eine Kurve, deren Verlauf erst im Zeitalter der Reformation und später der Aufklärung brüchig wird, um schließlich in das von Krisen erschütterte 20. Jahrhundert zu münden. Ihr Buch El hombre y lo divino will das Verhältnis des Menschen zu Gott durch die abendländische Geschichte hindurch verfolgen.227 Wie einer ihrer ersten Kritiker, Julio Rodríguez Luis, 1956 in der kubanischen Zeitschrift Ciclón schrieb, ist die Absicht der Autorin, "transmitir al lector el espíritu de una época en que la divinidad convivía perfectamente con el hombre"12*. Das Buch bedient sich einer suggestiven Erzählweise und enthält strenggenommen eine Sammlung philosophisch-religiös inspirierter Fabeln. Der folgende Auszug aus dem Kapitel "El futuro, Dios desconocido" ist exemplarisch für die Verbindung von Finalität und Romantisierung, welche die razón poética ausmacht: Sabido es que los atenienses, que habían elevado un ara al Dios desconocido a cuya sombra les habló San Pablo de la resurrección de la carne, le volvieron las espaldas, ellos tan dispuestos a escuchar toda palabra. Vivían sin duda un momento de extremada fatiga, ésa tan difícil de vencer porque es
"'Zambrano, M. "Cultura y tradición". In: "Una forma de pesamiento: La "Guía" ". OR 370. 227 Zambrano, M. El hombre y lo divino. 5. erw. Auflage. Madrid, Siruela, 1991. Im folgenden abgekürzt als HyD. "«Rodríguez Luis, J. "Maria Zambrano y lo divino". Ciclón 2.1. La Habana (1956): 53-54. S. 54.
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7. Geschichte, Traum und Zeit ya inercia. Es un momento por el que pasan todas las culturas cuando se han saturado de investigar (...). (HyD 277)229
In ihrer Art, das Evangelium als Lehrbuch der Geschichte zu verwenden, wirkt die Autorin wie eine Predigerin. Dem dichterischen Element ihres Denkens folgend, entwickelt sie mehrere Variationen dieser biblischen Szene, welche sie gern als den Schnittpunkt zwischen antiker und christlicher Kultur sieht. Die folgende Passage aus dem Vorwort von La tumba de Antigona macht die Zweckbestimmung ihrer Erzählung erneut deutlich. Das Christentum, interpretiert sie, sei die Vollendung der Antike. An anderer Stelle wird dieses Fazit zu der Behauptung erweitert, die Religion sei die Vollendung der Philosophie230: La pasión de Antigona se da en la ausencia y en el silencio de sus dioses. Se diría que bajo la sombra del Dios Desconocido a quien los atenienses no descuidaron de erigir una ara. Como se sabe, San Pablo al pie de ella anunció la resurrección ante el silencio de los atenienses. La vertiginosa promesa creó un silencio en vez de una ciega precipitación, de las muchas en que se engendra la historia apócrifa - no por ello menos cierta - que recubre la verdadera. (TA Pr 23) Über ihre zunehmende religiöse Neigung bietet darüber hinaus Maria Zambranos Anklage der 'Götzen der Moderne' Aufschluß. "La ausencia, el vacío de Dios", welche die naturwissenschaftliche Weltsicht geschaffen habe, gleiche einem Vakuum, das durch neue Idole besetzt werde (HyD 127). So zum Beispiel durch das historische Bewußtsein, das im Menschen die Illusion erwecke, sein Schicksal selbst gestalten zu können. In "El Futuro, Dios desconocido" heißt es zu diesem vermeintlichen Irrweg: Implacable exigencia que se hace sentir sobre cada hombre, ésta de vivir en vistas al futuro. El proyecto histórico, el régimen social y político que se realizará en el futuro y sólo en el futuro. (HyD 285) Zweifellos richtet sich die Sehnsucht der Autorin auf eine vergangene Epoche, von der die Genesis erzählt. Und deshalb wird auch das gegenwärtige Zeitalter als Etappe der Eschatologie interpretiert. Nietzsches 'Übermensch' und Heideggers "Nichts' bilden für sie die letzten Stufen der Idolatrie.231 Die Geschichte bleibt, so sehr die Autorin ihre 'Irrwege' verurteilen mag, ein Selbsterkenntnisprozeß des Menschen als Kreatur Gottes. Ödipus, von dem sie schreibt, er habe alles gewußt, außer wer er sei, ist der tragische Vertreter des "hombre de Occidente" (HyD 148). In den Anfängen der abendländischen Kultur habe der Mensch seine Unvollkommenheit und seine seelische Verbindung zu Gott noch gespürt. Doch scheine die menschliche Beschaffenheit so zu sein, schreibt sie im 229
Vgl. D. Martin Luther. Die ganze Heilige Schrift " Von der Apostelgeschichte" C. XIII. 16-33. Hg. Hans Volz. München 1972. 230 Vgl. Unterkapitel 7.6 Die Fiktivität des Seins. 231 Vgl. Zambrano, M. "El delirio del superhombre" und "La última aparición de lo sagrado: la nada". HyD 143-175.
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selben Kapitel, daß der Mensch seinem "sentir originario" nicht nachgehe. Er kompensiere seine Not durch einen seinem urprünglichen Empfinden entgegengesetzten, negativen Ausgleich. Sie formuliert hiermit das Umkehrungsprinzip, mit dem jede Form von theologischer Skepsis als fehlgeleitete Suche nach dem Göttlichen gedeutet werden kann. Nietzsches Entwurf des TJbermenschen' als gottverwandtes menschliches Wesen beinhalte eine indirekte Anerkennung des Heiligen. Er sei zugleich als eine Überreaktion gegenüber der klassischen Philosophie und gegenüber dem Cartesianischen Bewußtsein, das sich selbst genüge, entstanden. In der Überwindung der Bewußtseinsphilosophie habe sich der "espíritu", welcher die göttlichen Eigenschaften des Menschen vereine, befreit. Die Aufklärung, welche Maria Zambrano als "la etapa de lo 'humano'" im Sinne einer Einschränkung definiert, habe durch die Unterdrückung des Wunsches nach Eintracht mit Gott den 'Übermenschen' hervorgebracht: Y la réplica fue el superhombre de Nietzsche. Recuperación de lo divino, en todo aquello que la idea de Dios y, más aún, lo divino definido por la filosofía había dejado atrás, oculto. Era una réplica, más que contra el cristianismo, contra la filosofìa. Pues en realidad, Nietzsche fue arrastrado a su anticristianismo por su rebelión contra la filosofía, contra toda la filosofía. (HyD 156). Auch die Erscheinung des "Nichts' im lebensphilosophischen Denken des 20. Jahrhunderts begreift Maria Zambrano als Ausdruck der spirituellen Not und als unwillkürliche Rückkehr zu einer metaphysischen Tradition. Das Nichts, schreibt sie, sei "la suprema resistencia", vor welche der Mensch gelange, der die Idee einer übergeordneten Wirklichkeit verworfen habe. Ursprünglich, erinnert sie, sei das Nichts von Mystikern wie San Juan de la Cruz oder Miguel de Molinos als letzte zu überwindende Hürde bei ihrer Vereinigung mit Gott empfunden worden. Der Begriff des Nichts bei Heidegger und Sartre erscheint ihr dagegen als ein steriles Absolutum, das nirgendwo hinführe: "la nada es la total soledad" (HyD 169). Ihrer Kritik entspricht die der katholischen Lebensphilosophie. Zusammen mit Karl Jasper und Gabriel Marcel erhebt sie den Vorwurf, das Sein dürfe nicht auf ein "mero proyecto de ser" reduziert werden: La nada es lo irreductible que encuentra la libertad humana cuando pretende ser absoluta (...) Quien pretende ser absolutamente acaba sintiéndose nada dentro de una resistencia sin fronteras. Es lo sagrado que reaparece en su máxima resistencia. (HyD 174) Das Krisenbewußtsein des Abendlandes im 20. Jahrhundert, das Fragen nach dem Sein, die existentielle Sorge und Angst erscheinen ihr als eine direkte Fortsetzung von Hiobs verzweifeltem Ruf nach Gott. Maria Zambranos geschichtsphilosophische Reflexionen folgen Max Schelers Intention, jene "unzerreißbare Struktureinheit von
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156 Welt-, Selbst- und Gottesbewußtsein"232, definierte, zu veranschaulichen.
die er als das Wesen des Menschen
Ihrer Weltsicht liegt, wie bereits angedeutet, eine Hierarchisierung der Welt nach dynamischem Geist und statischer Materie zugrunde. Dieses Prinzip beinhaltet in einem ersten Schritt die Hervorhebung des Abendlandes als Geburtsstätte der Philosophie und des Christentums.233 In einem zweiten Schritt zieht die Philosophin eine Trennungslinie zwischen Geisteselite und Masse. Und schließlich überträgt sie, wie im folgenden gezeigt wird, ihre kulturelle und soziale Auslese auf eine psychologische und religiöse Individuaron. In ihrem Spätwerk prägt sie den Begriff des "bienaventurado" oder des Seligen. Er bezeichnet ein Wesen, dem die Welttranszendenz geglückt ist. Los bienaventurados haben, wie sie in ihrem gleichnamigen Buch aus dem Jahre 1990 schreibt, den Weg des einzigen Wortes beschritten und befinden sich im Prozeß, geistige Substanz zu werden.234
7.4 Zeit und Traum - Wege einer Transzendenz Entsprechend der Vorstellung, die Menschheit erleide ihre eigene Transzendenz, teilt Maria Zambrano die abendländische Geschichte in drei Etappen ein: die Antike, das christliche Zeitalter und schließlich die noch zu überwindende Moderne. Sie appelliert daran, die Vereinsamung und Verzweiflung des modernen Menschen durch die Annahme eines christlichen Existentialismus, den sie razón poética nennt, zu überwinden. Als Schülerin Max Schelers vertraut sie auch darauf, daß das Wesen des Menschen ihn unwillkürlich zum Glauben hin bewege. Ihre These, "el hombre es el ser que padece su propia trascendencia"235, bezieht sich auf die Geschichte als Eschatologie und auf die Entwicklung der Person. Aus ihrer Scheidung der Geschichte in eine "historia apócrifa" und eine "historia verdadera" leitet sie eine Traum- und Zeittheorie ab, welche das dem Menschen eingeborenen Streben zur Metaphysik eröffnen soll. Wie die wahre Geschichte ist auch die individuelle Überwindung des Irdischen eine geistige Bewegung in der Zeit. Der folgende Auszug aus "El tiempo y la verdad" vermittelt einen Einblick in die innere Struktur dieses Prozesses, den sie in ihrem dramatischen Werk durch die Figur Antigones versinnbildlicht hat: 232
Scheler, Max. "Die Stellung des Menschen im Kosmos." Späte Schriften. München/Bern (1976): 7-71. S. 68. 233 Die griechische Philosophie ist kein Einzelfall eines frühgeschichtlichen Unternehmens, die Welt mit dem Mittel vernunftmäßigen Denkens zu erklären. Die vorsokratische Naturphilosophie bezog ihre astronomischen Kenntniss aus dem Osten. Es kann daher nicht, wie es die Autorin tut, von vollkommen abgeschlossenen Kulturkreisen ausgegangen werden. Vgl. Störig, H-J. "Die vorsokratische Philosophie bis zum Auftreten der Sophisten". Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Frankfurt a M 1990. S. 126-143 S. 127. 234 Zambrano, M. Los bienaventurados. Madrid: Siruela, 1990. S. 64. 235 Zambrano, M. Los sueños y el tiempo. Madrid: Siruela, 1992. S. 8 und 9. Im folgenden als SyT abgekürzt.
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Es la verdad, esta que el tiempo descubre, la verdad de los vencidos, y del hombre en tanto que vencido por esa sombra que tan fácilmente le puede arrastrar a los "inferos" de la infrahistoria, donde el tiempo se escinde y aun se descompone. La verdad que oculta o presente exige la existencia de un sujeto que la padezca, y que al padecerla actualice, haga positiva su negación. El sujeto que a ella corresponde no es el sujeto puro del pensar, sino el hombre todo que acepta una especie de condensación de la responsabilidad total del hombre, sin lo cual la historia no alcanzaría el nivel de la palabra, no sería propiamente decible. El camino de la historia necesita de este padecer verdad y tiempo a la vez.236 Die Apologie des Opfers entspringt María Zambranos Vorstellung der Auserwähltheit bestimmter Menschen. In seinem Leiden verkörpere das Opfer eine Wahrheit, die sonst verleugnet werde. Allein durch das Martyrium werde diese Wahrheit materialisiert. Der Wahrheitsträger ist der von vornherein Besiegte. Nur die Ankunft der 'Zeit der Wahrheit' kann ihn von der Aufopferung und Passivität erlösen. Seine einzige Handlung ist die des erwartungsvollen Leidens. Dieser Weltbezug, welcher die Würde des Menschen als Resignation und nicht als Auflehnung gegen das Unrecht definiert, verlangt eine Form von Kompensation. Die Autorin findet sie in ihrer Vertiefung des Seelenlebens, des 'anderen' Lebens, zu dem ihre Traum- und Zeittheorie fuhrt. Das postum veröffentlichte Buch der Autorin Los sueños y el tiempo behandelt ein Gebiet der Philosophie und der Psychologie, dem sie sich schon in den fünfziger Jahren widmete.237 Wie schwer die Rezeption dieses verspäteten Werkes allgemein fällt, zeigt eine Besprechung in El País (6.6.1992), die das Buch als Ausdruck spontaner Intuition sehen möchte. Die Philosophin ist in Spanien in intellektuellen Kreisen zwar dem Namen nach bekannt, aber vor allem ihr Frühwerk bleibt weitgehend ungelesen. Mit der Schwierigkeit des Textes konfrontiert, versucht der nachfolgend zitierte Rezensent einen Quereinstieg. Die Denkerin wird im Zeichen der postmodernen Vogue und nicht im Kontext ihres eigenen Werkes interpretiert: (...) María Zambrano simplemente habla - o se enchufa a aquella voz sin nombre para tomar momentáneamente el timón y dar forma a sus vagos murmullos. Damit trifft der Rezensent Ton und Ansatz jener Philosophen, von denen Paul Valéry einst schrieb, sie schufen Systeme, deren Autorenschaft sie nachträglich leugneten, denn die 'wahre Botschaft' müsse ihrer Meinung nach einen überpersönlichen Ursprung haben.238 "«Zambrano, M. "El tiempo y la verdad". Op. cit. S. 40. 237 Vgl. "Los Sueños y el tiempo". (Esquema de "El sueño creador"). Diógenes 5. 19. Buenos Aires (1957): 42-53; und "El sueño creador". In: OR. M8 Valéry, Paul. "Introduction à la méthode de Léonard de Vinci". Varietés. Oeuvres. Bd. 1. Paris 1957. S. 1164.
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Tatsächlich relativiert die Philosophin selbst ihre Autorenschaft durch das wiederholte Verweisen auf die eigene Person als "quien esto escribe".239 Ihre erklärte Intention ist es aber, als spirituelle Führerin aufzutreten. Sie glaubt, als Medium einer geheimnisvollen Ahnenfigur zu wirken.240 Aber der Rezensent verfolgt entschieden zu weit die Absicht, Maria Zambrano in eine Vorreiterposition innerhalb der postmodernen Geistesbewegung zu stellen. Seine Behauptung, Maria Zambranos Diskurs sei die Erfüllung von Michel Foucaults Wunsch nach einer, der eigenen Stimme vorausgehenden 'Stimme ohne Namen', fuhrt Maria Zambranos Werk ad absurdum. Der Ursprung und das Ziel ihrer Rede sind alles andere als beliebig. Dennoch fuhrt die Verlockung des Zeitgemäßen den Rezensenten zu folgender Bilanz: Maria Zambrano sabe que todo lo que se pueda decir sobre el tiempo y los sueños, esos fantasmas, no va a servir para nada. Y por eso simplemente habla (o se agarra a la voz, ya saben). Es ist vielmehr so, daß die Autorin, wie sie in der Einleitung von Los sueños y el tiempo ankündigt, den inneren, metaphysischen Zusammenhang des Lebens veranschaulichen möchte. Die Träume seien, schreibt sie, eine Art "prehistoria de la vigilia, muestran la contextura metafísica de la vida humana allí donde ninguna teoría o creencia puede alcanzar" (SyT 3).
7.5 Die Kreation des anderen Ich María Zambranos Zeitkonzept behandelt nicht die Ordnungsbeziehung zwischen koexistierenden oder aufeinander folgenden Objekten und Prozessen. Womit sich die Autorin befaßt, ist das, was schon Henri Bergson als erlebte Zeit bezeichnet hat. Ausgehend von dem Erlebnis der Zeit kann diese, so die Autorin, in "tiempo sucesivo", "duración" und "atemporalidad" unterteilt werden. Die Zeit in ihrer jeweiligen Äußerungsform definiert die unterschiedlichen Seinsebenen des Menschen. "El tiempo sucesivo", der mit dem konkreten Leben und der Vernunft verbunden ist, stellt die niedrigste Seinsebene dar: El tiempo, el modo en que el hombre vive el tiempo y vive en el tiempo, depende de ese trascender inexorable. De este estar dentro de la realidad, por ella circundado, y de esta exigencia de atravesarla para ir ganando otras capas de la realidad; y más allá de la realidad, del ser que con ella no coincide. (SyT 12) Die Mehrdeutigkeit ihres Realitätsbegriffes läßt die Wirklichkeit, wie im obigen Zitat, als eine von mehreren Schichten gebildete, im "más allá" endende Seinssphäre erscheinen. Andererseits verwendet die Autorin in der Einleitung ihres Buches den 239 240
Vgl. Vorwort von El hombre y lo divino. Op. cit. S. 11. Im Vorwort von Senderos - Los intelectuales en el drama de España bezieht sich die Autorin auf eine geistige Ahnenfigur, die ihr Schreiben lenke. Op. cit. S. 8.f.
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Begriff "realidad" in bezug auf eine dem Individuum eigene Wirklichkeit, "su propia realidad", die sich von "la realidad que le circunda" unterscheide und allein im Traum erlebbar sei. Sinnbild des individuellen Lebens ist eine Säule oder Spirale, deren Steigung stets neue Ebenen erschaffe. Das Leben sei eine eigene Kreation (SyT 143). Die Seinsphilosophie, welche die Autorin in ihren Überlegungen über die Funktion des Traums entwickelt, folgt der Absicht der dichterischen Vernunft, auch jenem Geltung zu verschaffen, was "la conciencia", ausschließe (SyT 18). Die eklektische Zusammenfìihrung von Jungs Traumlehre, Bergsons Zeittheorie und Berkeleys Immanenzphilosophie verleiht dem Aufbau von Los sueños y el tiempo etwas Ungreifbares und insofern Traumverwandtes. So entspricht die Form des Werkes der Funktion des Traums, wie sie von der Autorin beschrieben wird. Der Traum eigne sich, heißt es, fur die Auseinandersetzung mit dem Sein, weil er die Wirklichkeit nicht ordnen könne und somit dem Wesen des Seins selbst entspräche (SyT 4). Grundlegend für ihren Entwurf einer Welttranszendenz ist der Vitalismus. Dieser Vorstellung zufolge ist alles Leben von einer metaphysischen Urkraft beseelt. Die Materie selbst ist unbelebt und kann daher überwunden werden. Die geistige Kraft, für welche die Autorin zahlreiche Namen findet, ist letztlich Gott. So schreibt sie in einer Passage des Kapitels "El absoluto de los sueños": En el principio era ya la vida y no la materia. De la vida puede salir, por fragmentación, la materia. Al decir materia estoy diciendo espacio, extensión. La vida fragmentada dio el espacio y el tiempo en su conjunto, en su integridad espacio-tiempo. El espacio-tiempo total es vida, es una vida única, íntegra, donde todo vive, es... Dios. (SyT 143) Die 'namenlose' Stimme, die hier zu uns spricht, ist die von Henri Bergson. Die Autorin hat seine Lehre des präexistenten élan vital übernommen. Die Vorstellung einer dualistischen Trennung zwischen Leben und Materie sowie die Zuordnung der Materie zum Raum einerseits und des Bewußtseins zur Zeit andererseits sind von seinem obenerwähnten Werk L'évolution créatrice aus dem Jahre 1907 beeinflußt. Ausgehend von der Überlegenheit des als Geist verstandenen Lebens über die Materie zeichnet sich die Bedeutung ab, welche der Traum in einem übersinnlichen Zusammenhang haben kann. Der Traum ist für Maria Zambrano "vida primaria" (SyT 65) oder auch "la vida sin más" (SyT 62), an anderer Stelle femer definiert als "la vida verdadera" und "la vida eterna" (SyT 142). Mehr noch, es wird die These vertreten, der Mensch könne im Traum zu einem vorgeburtlichen Leben (SyT 90) zurückkehren und in die Gemeinschaft "de los que ya nacieron del todo: de los muertos" eintreten (SyT 65).24i
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In Persona y democracia vertritt die Autorin auch die These, die als geistige Wesenheit definierte Person könne den biologischen Tod überwinden. Vgl. PyD 126.
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Die Autorin disqualifiziert im darauffolgenden Kapitel "La verdad de los sueños" die bewußte Erkenntnis als eine erzwungene Wahrnehmung. Die aus kritischer Selbstreflexion gewonnenen Einsichten bezeichnet sie als "verdades obtenidas", wohingegen die Träume "la verdad objetiva" aufzeigten (SyT 148). Diese Umkehrung des klassischen Konzepts von Objektivität und Subjektivität wird damit begründet, daß das im Traum oder in Grenzsituationen des Lebens Erfahrene die reine Wahrheit sei, eine "verdad sin sujeto" (SyT 149). Gemeint ist eine Wahrheit, die sich "en los momentos escasos y decisivos" zeige oder sich offenbare (SyT 148). Maria Zambranos Traumtheorie beruht in Anlehnung an Max Scheler auf der Vorstellung der Verlassenheit des Menschen in einer ihm fremden und feindlichen Wirklichkeit.242 Und weil diese "a su vivir completo, a su vivir total" nicht geeignet sei, besitze der Mensch die in seinem Wesen angelegte Ebene des Traums (SyT 29). Das Phänomen des Traums erfülle im Menschen "la condición planetaria de la ocultación y la revelación" (SyT 23). Von "la realidad desconocida", die das Wesen des Menschen bestimme, schließt die Philosophin auf den "Dios desconocido (...) el que el hombre siente oscuramente en la raíz en sombra de su ser" (SyT 30 f.) Ohne diese Glaubenswahrheit, welche María Zambrano durch ihre Traumtheorie zu beweisen sucht, nehme der Mensch nicht wirklich am Leben teil: El Dios desconocido (...) es también revelación. El hombre, análogamente, despojado de lo oculto y desconocido, separado de aquello que en su ser resiste a la claridad de su propia conciencia, reducido a sujeto puro, que existe porque duda y piensa, carece de realidad, y más que de realidad, de vida. No es sujeto viviente. Sólo el ser divino lo sería por si mismo, pues su mismo pensamiento, su verbo que es su luz, es misterio para el hombre. (SyT 30) Der Grund, weshalb María Zambrano nicht eine rationale Begründung des Glaubens anstrebt, liegt in den Umständen unserer Zeit. Die razón poética ist durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrhunderte genötigt, in das Unbewußte und Irrationale auszuweichen. Die Grundlage einer neuen Metaphysik kann nur in den Lehren gefunden werden, die nach wie vor das Sein idealistisch definieren und das Unbewußte sowie die Intuition als Urkraft oder Urweisheit begreifen. Wohlbemerkt bleiben all jene Ansätze unberücksichtigt, welche das Materielle und das Immaterielle sowie das Bewußte und Unbewußte als komplementäre Eigenschaften des Menschen verstehen. Maria Zambrano nimmt in Los sueños y el tiempo Bezug auf den Vitalismus und auf das kollektive Unbewußte, ohne jedoch die Begründer dieser Theorien zu nennen. Allein George Berkeley (1685-1753), der sich das Ziel setzte, gegen die Behauptungen 242
In diesem Zusammenhang bezieht sich die Autorin wiederholt auf Max Schelers Werk Die Stellung des Menschen im Kosmos. Vgl. HyD 35 und 344.
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des philosophischen Materialismus und des Atheismus die Existenz Gottes nachzuweisen, wird als eine Quelle ihres Denkens erwähnt. Der Autorin scheint es zu genügen, auf den Grundgedanken von Berkeleys Immanenzphilosophie, "ser es ser percibido", zu verweisen, um ihre eigene Seinstheorie zu demonstrieren. (SyT 67)243 Die Logik von Maria Zambranos Denken vollzieht folgende Schritte: In seinem Unterbewußtsein, "en la raíz en sombra de su ser", nimmt der Mensch "vivencias" oder psychologische, emotionale Erlebnisse wahr, welche ihn die Existenz Gottes erfahren lassen. Gott ist wiederum der Ursprung allen 'wahren' Lebens, weshalb Maria Zambrano über den Skeptiker schreiben kann: "No es sujeto viviente". Mit anderen Worten, nur der ist, der Gott wahrnimmt. Aus Berkeleys Satz leitet sie die Existenz Gottes ab und aus der Wahrnehmung des höchsten Schöpfers die Existenz des 'lebendigen' Subjekts. Um diesen Zirkelschluß aufzuheben und die Existenz Gottes außerhalb des subjektiven Empfindens 'denken' zu können, muß die Autorin notgedrungen das bewußt Wahrgenommene übergehen. Das Denken, das mit der dichterischen Vernunft, mit der Philosophie des ursprünglichen Empfindens vereinbar ist, nimmt seinen Anfang in einem "pasadopuro", in einem "punto vacio" oder "vacío cualitativo". Maria Zambranos Denken beruht auf der Voraussetzung, daß jenseits des materiellen Seins, das historisch verifizierbar ist, eine Überwelt existiert: Desde ese punto fuera de la vida es desde donde únicamente se puede pensar (...) Hay que pensar desde un punto fuera de toda historia, lo que a Ortega le sería absolutamente inconcebible. Y desde este punto ahistórico se abre una posibilidad, porque este punto situado en el vacío no puede ser cualquier punto, sino uno desde lo cual la comunicación es posible. Un vacío cualitativo. (SyT 144) Diesen Punkt außerhalb der Geschichte findet die Autorin in der "atemporalidad del sueño" (SyT 8).244 Die entscheidende Qualität des Traums oder ähnlicher Erfahrungen während des Wachseins "en momentos extraordinarios" (SyT 8) sei die, daß der Mensch seine Rolle als Subjekt aufgäbe und passiver Empfänger einer übersinnlichen Wahrheit werde. Maria Zambranos Wunsch nach einer "vida sin más, succeso sin más, sin sujeto" (SyT 62) kommt bereits in ihrem Aufsatz El sueño creador, der 1965 in Xalapa erschien und in der Teilsammlung Obras Reunidas 1971 aufgenommen wurde, zum Ausdruck. In dieser frühen Schrift nimmt sie explizit Bezug auf Jungs Lehre vom individuellen und kollektiven Unbewußten. Die Verbindung seiner Traum- und Archetypentheorien mit Bergsons Zeitanschauung bildet demgegenüber eine Weiterentwicklung, die erst in Los sueños y el tiempo ihren Niederschlag findet. Sie hat in ihrem postum veröffentlichten Werk den Traum in Beziehung zu Bergsons 243
Im lateinischen Original "Esse estpercipi", übersetzt "Sein heißt, wahrgenommen werden". Im Gegensatz zur Meinung der Autorin hat Ortega y Gasset wohl versucht, von einem Punkt außerhalb der Geschichte aus zu denken. Vgl. Unterkapitel 7.2 Die "verleumderische" und die "wahre" Geschichte.
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Aufhebung der sukzessiven Zeit gebracht. "La epoje del tiempo sucesivo" (SyT 6), die sie dem Leser nahelegt, meint nichts Geringeres als die Hinwendung zum Unbewußten und die Überwindung der Vernunft. Denn diese Form der Zeit ist, wie sie schreibt, die des Bewußtseins, "el tiempo sucesivo de la conciencia" (SyT 60). Der Traum erhält in diesem Zusammenhang die Funktion einer "prueba, en sentido negativo" (SyT 21) oder ist, anders ausgedrückt, das Positive der Negation Gottes: Los sueños son un caso de rescate y aparición de lo oculto, de lo perdido, de lo abismado. Los sueños son, ante todo la revelación de una ocultación espontánea - automática - o realizada por el hombre (...) Necesidad de perder para rescatar lo perdido de un modo más indeleble, de un modo que no sea ya el simple ha sucedido así, sino el no puede dejar de estar dado por la discontinuidad de la ausencia (SyT 21 f.) Die Diskontinuität entspricht in dem prämierten Werk Claros del bosque der Erscheinungsweise der Gottheit oder der absoluten Wahrheit. Die Traumkonzeption der Autorin ist mit der mystischen Versenkung und Kontemplation eng verwandt. In El sueño creador unterscheidet Maria Zambrano zwischen "sueños de deseo", die sie als Träume der Psyche bezeichnet, und "sueños de lapersona", welche Träume der Vorherbestimmung und des Schicksals seien. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dieser Differenzierung und den beiden Entwürfen ihres dramatischen Werkes. So entspricht das frühe Fragment Delirio de Antigona einem Traum des Begehrens und stellt den Leidensdruck einer der Autorin verwandten Figur dar. Die Tragödie La tumba de Antigona ist dagegen von einem Traum der Person inspiriert und deutet das Leben der Philosophin im Sinne einer ethisch-religiösen Welttranszendenz.245 Die Handlung dieser zweiten Traumkategorie, schreibt die Autorin, besitze für die Entwicklung der Person eine ethische Bedeutung.246 Freuds Traumlehre von den gesellschaftlich tabuisierten, im Unbewußten und im Traum weiterlebenden Triebtendenzen betrifft für sie dagegen "un caso particular y minoritario" (SyT 21). Sie übernimmt Jungs Vorstellung der Individuation, einer bestimmten Menschen vorbehaltenen Entwicklung der individuellen Persönlichkeit. Der "ser persona" entferne sich von dem "hombre anónimo", weil seine Existenz von einer Berufung bestimmt sei. Sein Leben erfülle einen Sinn und vereinige in sich das Erbe aller Phasen einer transzendent gedachten, abendländischen Geschichte. Die Autorin übernimmt Jungs Konzept des kollektiven Unbewußten, wobei sie den Begriff "subconsciente histórico o de la historia" vorzieht (Sc 35). Dieser Präferenz entsprechend, bezeichnet sie in ihrem späteren Buch den Traum als "prehistoria de la vigilia" (SyT 3). Die Quintessenz ihrer Verbindung von Bergsons Zeitkonzeption, Jungs Traumlehre und Berkeleys Immanenzphilosophie ist ein Prozeß der selektiven Wahrnehmung, den Maria Zambrano "la inhibición inexorable" nennt. Mit diesem Begriff der 'unerbittlichen Verdrängung' grenzt sich die Philosophin zunächst von Freuds Theorie eines durch moralische Gebote eingeleiteten Verdrängungsprozesses ab (SyT 68). In 245 24S
Vgl. Kapitel 6 Das dramatische Werk. Zambrano, M. "El sueño creador". Op. cit. S. 32. Im folgenden als Sc abgekürzt. Vgl. auch SyT 8.
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einem zweiten Schritt erläutert sie den Verdrängungsprozeß in Anlehnung an das Denken Bergsons als eine Inkapazität des Verstandes, "el fluir incesante de las vivencias" wahrzunehmen. Diese Unfähigkeit rühre aus der Unmöglichkeit des Intellekts, außerhalb der sukzessiven Zeit zu denken. Und, da nach Berkeleys Immanenzphilosophie erst die Wahrnehmung die Existenz entfalte, fielen alle nicht rational perzipierten Erlebnisse in ein Schlummerdasein, zu dem der Mensch nur durch das Unbewußte gelangen könne: Queda lo no eligido por la claridad de la conciencia, fuera del tiempo, bajo el tiempo en los infiernos de la temporalidad sin tiempo, allí donde el no haber tiempo es una verdadera, radical privación. De allí serán sacados por la actividad mediadora que es soñar, en el mundo intermediario de los sueños. Pues que en esta privación de tiempo lo que la padece se precipita y cae en una profundidad abismal, no ha perdido su completa realidad, pero tampoco su apetencia de realidad. Es la situación típica de lo condenado. Ya mayor poder de la conciencia, sigue un mayor número de estos condenados al no tiempo, al no ser. (SyT 69) Für María Zambrano ist der Verstand im Gegensatz zur Intuition ein zu starres Instrument, als daß er dem unendlichen und überfließenden Lebensstrom begegnen könne. Der Überfluß der "vivencias", welche wir nicht bewußt wahrnehmen, fallt - so die Autorin - in die Zeit des Unbewußten, in "la duración donde yace" (SyT 70). Diese ist die reine, kontinuierliche Zeit, die Bergson la durée nannte und der Intuition zuschrieb. Die unerbittliche Verdrängung ist demnach ein durch die Unzulänglichkeit des Bewußtseins ausgelöster Vorgang, "por el mismo funcionamiento de la conciencia que no alcanza a repartir el tiempo por igual entre todo lo que ante ella surge (...)" (SyT 70). Der Einfluß von Berkeleys Immanenzphilosophie wird in zwei Thesen der Autorin besonders deutlich. Zunächst in dem Gedanken, daß die Wahrnehmung das Sein bestimme, und dann in der Annahme, daß dieses Sein, jenseits der materiellen Wirklichkeit, in einer metaphysischen Realität angesiedelt sei. Der subjektive Idealismus bildet die Grundlage, auf der Maria Zambrano Aspekte des Denkens von Berkeley, Bergson und Jung miteinander verknüpfen kann. Die Vorstellung, daß die Wahrnehmung den Lebensimpuls stiftet, eröffnet die Vision eines grenzenlosen Seins, "esta especie de réplica de la conciencia y que no es sino la súplica de todo lo vivido por llegar a ella" (SyT 18). In diesen Worten ist der Kerngedanke von Henri Bergsons Werk L'évolution créatice enthalten. Diese These besagt, daß die beschränkte Bewußtheit eine Verschmelzung mit dem Ganzen des Lebens verhindere. Kraft der Intuition und der Unbewußtheit des Instinktes könne der ursprüngliche Lebensimpuls - in Maria
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Zambranos Worten, "das Flehen zu sein" - vernommen werden.247 Das Hauptproblem von Bergsons Vitalismus und Maria Zambranos Entwurf der dichterischen Vernunft ergibt sich gerade aus der ihnen zugrundeliegenden dualistischen Weltsicht, welche das Materielle und Ideelle in einen Gegensatz zueinander stellt. Diese Zweiteilung entwickelt sich zum Haupthindernis fur die angestrebte Einheit von objektiver Wirklichkeit und subjektivem Erlebnis. Die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Jungs Archetypentheorie und Bergsons Begriff des élan vital ist durch die gemeinsame Vorstellung einer Urkraft gegeben, die das Wirken des Menschen determiniere.248 In El sueño creador und Los sueños y el tiempo ist das ekstatische Zeitempfinden, das als "duración" bezeichnet wird, ein Traumzustand. Dieser Zeitbegriff bezieht sich sowohl auf irreal erscheinende Situationen heftigster Affekterregung als auch auf einen unbewußten Zustand. Die Unterscheidung zwischen Traum lind Traumzustand ist deshalb angebracht, weil es sich bei Maria Zambrano offensichtlich um einen erwünschten und selbstausgelösten Zustand handelt. Damit ist nicht allein die Unmotiviertheit des in diesem Zustand Erlebten, sondern auch diejenige des Weges dahin in Frage gestellt. Sofern von einer persönlichen Entwicklung ausschließlich oder vornehmlich im Unbewußten ausgegangen wird, bietet es sich auch an, diese Ekstase "de un simple vivir sin más" (SyT 55) hervorzurufen. Deutlicher noch als durch die Begriffe des Traumzustandes oder der Ekstase umschreibt der im Kapitel "Ypnos" von Los sueños y el tiempo beschriebene Weg von der Wirklichkeit zu dem reinen Leben - das Entrücktsein, welches die Autorin anstrebt. Dieses Entrücktsein ist für die Autorin erst möglich durch einen "acto de confianza", der dem Gläubigen ermögliche, auch konkrete, bedrohliche Situationen wie im Traum zu durchschreiten. Die "oración" oder das Gebet, das "la vigilia del creyente" verabschiede, sei die adäquate Weise, um in den ursprünglichen Zustand des Absoluten zurückzukehren (SyT 56). Die Autorin verknüpft einerseits die subjektive Wahrnehmung von Gefahr als etwas Irreales und andererseits das Traumerlebnis mit einer metaphysischen Existenz. Daran wird deutlich, wie sie zwei Formen der psychischen Verdrängung sublimiert. Kommen wir zum Schluß auf das zu sprechen, was sie den ursprünglichen Zustand des Absoluten oder auch "la vida sin más" nennt. In El sueño creador schreibt die Autorin in Abwandlung von Simone Weils Wort "la vie est impossible", daß nicht das 247
Die Ratio verdrängt, so Bergson, all das Wissen, das nicht auf die unmittelbar bevorstehende Handlung ausgerichtet ist. Im Gedächtnis, im Unbewußten und im Instinkt sei das Wissen über die psychische Person, ihre Geschichte und auch über ihre vorgeburtliche Geschichte aufbewahrt. Vgl. Bergson, H. L'évolution créatrice. Op. cit. S. 5. 248 Nach Jungs Theorie können diese Archetypen oder "Grundmuster des instinkthaften Verhaltens" anhand von mythologischen Motiven studiert werden. Vgl. Jung, C. G. Die Archetypen und das kollektive Unbewußte. Gesammelte Werke. Bd. 9. Ölten 1976. S. 56. Dagegen bezieht sich Sigmund Freud auf die Mythologie, um die Ergebnisse der psychoanalytischen Untersuchung bildhaft darzustellen.
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Leben, sondern das Sein unmöglich sei: "Mas en verdad, ser es imposible; ser como criatura, sin más" (Se 27). Und in "La vida: sueño-vigilia", einem Kapitel aus ihrem postumen Werk, weist sie auf das Tierreich hin, in dem Träumen und Wachen ineinander übergingen (SyT 15). An anderer Stelle vergleicht sie diesen anspruchslosen und beneidenswerten Zustand mit dem einer Alge im Meer (Sc 18 f.). Nun wird der Mensch in ihrer Sicht durch den Traum in diesen Zustand des einfachen Seins versetzt. Sein Verhängnis bestehe darin, daß er, im Gegensatz zu anderen Kreaturen, dazu verdammt sei, seinen initialen Traum im Leben zu verwirklichen oder die Zerrissenheit zwischen Leben und seiner im Traum angelegten Bestimmung zu ertragen: •Se podría definir al hombre como el ser que padece su propia trascendencia. Como el ser que trasciende su sueño inicial. Pues que el ser en la vida, así sin más, se encuentra en estado de sueño; está ahí (...) Pues que es él, el ser, quien se sueña en la vida. (Se 27 f.) Mas sucede que el sueño, el inicial sueño irreducible, se va transformando en cada despertar. Y así como la vigilia estabilizada cae en el sueño, el soñar la despierta. Soñar, despertar, se van dando en un escala. La escala de los sueños en que el sueño inicial se desvela. (Se. 29 f.) Der Lebensentwurf geschehe im Traum und bestimme auch die Hindemisse, welche die Person zu überwinden habe. Der Höhepunkt der schöpferischen Entwicklung sei erreicht, wenn das Subjekt im Traum seiner Bestimmung entgegenschreite (Sc 44). Der ethische Gehalt solcher Träume verlange eine "acción verdadera", die ein Denken, eine Kontemplation oder eine tatsächliche Handlung sein könne. Die allmähliche Vereinigung des Subjekts mit seinem transzendenten Wesen führe Träume herbei, die Maria Zambrano als monoeidetisch und als "teoremas del destino" definiert (Sc 39 f.). Diese Traumskala entspricht dem Fortschritt der reifen Persönlichkeit, von der es in Los sueños y el tiempo heißt, "cobrando mayor intensidad y aun significación según se sube la escala de la individualidad" (SyT 15). Die Voraussetzungen einer solchen Traumdefinition sind: die Annahme, daß Träume sich verwirklichen (Sc 50); daß sie "el destino, la ley que pesa sobre la persona" enthalten und daß die Berufung und wahre Verwirklichung der Person durch eine zu überwindende Vergangenheit oder eine zu sühnende Schuld bedingt und stimuliert werde (Sc 35). Die Ablehnung der Vergangenheit erscheint paradox, weil diese selbst Teil des Schicksals ist. In der linearen Verkettung von seelisch-geistigen Vorgängen wirkt das objektive Geschehen der Vergangenheit wie ein Makel, der sich irrtümlicherweise in eine Berufung eingeschlichen hat. In Los sueños y el tiempo fuhrt die Autorin aus, daß es darum gehe, ein umfassendes Selbstbild zu erlangen. Dieses soll ein überzeitliches Selbsturteil bilden: Porque conocemos sería vernos en unidad (...) si se realizase la informulada esperanza de vernos en todos nuestros tiempos y al par en un supratiempo
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7. Geschichte, Traum und Zeit que nos libere y nos salve de toda servidumbre de la temporalidad. Pues sólo desde un lugar atemporal, mas que incluya la temporalidad, toda la temporalidad\ podríamos vemos en la realidad verdadera. (SyT 147)
Die Momentaufnahme verleumde das innere Selbst, weil es eine Analyse statt einer Synthese liefere, heißt es an der selben Stelle. Die Autorin lehnt auch eine analytische Auseinandersetzung mit dem Traum ab. Die Selbstreflexion wird sowohl für den Bereich des wirklichen Geschehens als auch für den Bereich des Irrealen verworfen. Nicht die Analyse, sondern die Entzifferung des Traums, schreibt sie, könne seine Botschaft klären. Und diese könne nur auf der Grundlage einer "razón amplia y total, razón poética que es al par metafísica y religiosa" durchgeführt werden (Sc 50). Ich habe darauf hingewiesen, daß die Annahme, die seelisch-geistige Entwicklung des Menschen finde vorwiegend im Unbewußten statt, das Hervorrufen des Traumzustandes motiviere. Weiterhin bindet das Interesse an einer religiösen Deutung des menschlichen Wesens Maria Zambranos Interpretation des wirklichen und des erträumten Geschehens in einen Zirkelschluß ein. Der Traum, der allein aus einer religiösen Perspektive gedeutet werden soll, wird wenig Kritisches über die Psyche des eigenen Selbst in Erfahrung bringen können. Es ist widersprüchlich, daß die materielle Existenz in Raum und Zeit einerseits als sklavisch empfunden wird und andererseits der Anspruch erhoben wird, in einem überzeitlichen Urteil das Selbst fassen zu können. Man gewinnt den Eindruck einer Selbstinterpretation, welche die Unebenheiten des Lebens glättet und das vermeintliche Schicksal in eine berechenbare Bahn führt. Eine Idee von dieser Form zweckgebundener Deutung vermittelt die Autorin in El sueño creador: Realizarse poéticamente es entrar en el reino de la libertad y del tiempo donde, sin violencia, el ser humano se reconoce a sí mismo y se rescata, dejando al transformarse, la oscuridad de las entrañas y conservando su secreto sentido ya en la claridad. Se trataría pues, tomando las cosas elementalmente, no de analizar, sino de contar simplemente un sueño. (Se 51) Die aus religiöser Sicht erwünschte moralische Unbescholtenheit ruft die Intentionalität an einer Stelle auf den Plan, an der das Subjekt hinter der Wahrheit hätte zurücktreten sollen. Der Traum, den Freud als ein Wiederauftauchen des Verdrängten im Unbewußten analysierte, dient bei Maria Zambrano der Verklärung. Ihre Anschauung beruht auf dem lebensphilosophischen Prinzip, das der inneren Erfahrung vor der äußeren Wirklichkeit Priorität verleiht. Die Ablehnung des
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Bewußtseins und damit des bewußt Wahrnehmbaren reduziert Wahrheit auf eine Willensfrage: "el Yo es atención simplemente, mientras que la persona es voluntad" (SyT 144). Der Begriff "sueño" muß im Werk von Maria Zambrano in seinem erweiterten Sinn aufgefaßt werden. So ist er nicht allein Ausdruck für Traum, sondern bedeutet Traumbild, Vision.
7.6 Die Fiktivität des Seins Die geschichtsphilosophischen Reflexionen der spanischen Denkerin stellen den inhaltlichen Übergang zu ihren mystischen Aphorismen in Claros del bosque und Notas de un método dar. Ihre Abwendung von der Wirklichkeit gleitet in ein Pathos des Geheimnisvollen. Der Begriff "realidad" bezeichnet einmal nichts weiter als ein Bild, eine Schimäre, eine Illusion (Cl 35 f.). Zum anderen steht "realidad" fur eine übersinnliche Wirklichkeit, die eine Einheit mit der Wahrheit bildet. Daneben gibt es noch die "realidadpoética", die nicht allein diejenige meint, welche ist, "sino la aun no habida o no habida ya y la que no es".(FyP 126) Eine Form von Beschwörung des Immateriellen und Ideellen also, doch die poetische Figuration bleibt fiktiv. Es ist nur folgerichtig, wenn die französische Übersetzung von Claros del bosque in der Serie Philosophie imaginaire erschien. Diese Denkrichtung erhebt den Anspruch, lebendig zu sein, weil sie sich selbst erfinde: "où la pensée s'éprouve, elle laisse informe la frontière entre fiction et réalité. "249 Diese Selbstdefinition könnte zufriedenstellend sein, auch für eine Gattung, die der Philosophie zugehörig sein möchte, wenn die 'imaginäre Philosophie1 nicht die Intention hegte, allgemeingültige Wahrheit zu erschließen. Das Problematische dieses Anspruchs entsteht nicht auf der Ebene einer neuen Bestimmung von Wahrheit. Vielmehr stimmt der Umstand skeptisch, daß sich die Wahrheit ihrer Botschaft "hors du temps, hors des différences tranchées, en un aber où ce qui a été écrit est indiscernable de ce qui s'écrit et de ce qui s'écrira" bewähren soll. Mit dieser etwas umständlichen Umschreibung wird der Anspruch eines Ewiggültigen, einer absoluten Wahrheit erhoben. Dadurch wird deutlich, daß die esoterische Philosophie Maria Zambranos nur scheinbar eine radikale Trennung von den Belangen dieser Welt vollzieht. Der Äther, in dem ihr Gedankengebäude schwebt, ist ein Dogma, denn eine überzeitliche Wahrheit beansprucht Gültigkeit in jeder Epoche und für jede Form menschlichen Daseins. Die razón poética bewegt sich entlang einer christlichen Geschichtsdeutung. Das dichterische Element besteht inhaltlich in der Freizügigkeit, mit der jedes Geschehen metaphorisch interpretiert wird. Stilistisch kommt es in einer Verwünschung der 'entzauberten' Welt zum Ausdruck, durch welche der Glaube an das Übersinnliche wiederbelebt werden soll.
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Zambrano, M. Les clairières Herausgebers.
du bois. Éditions de l'Éclat. Toulouse 1989. Nachwort des
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Es besteht dennoch eine Tendenz, das Denken der Nachfolger Nietzsches, zu denen Maria Zambrano gehört, als 'postmetaphysisches' Denken zu begreifen.250 Wie aber kann das Reden über Gott und Religion metaphysikkritisch sein? Das quiproquo stammt von Martin Heideggers willkürlicher Definition von Metaphysik. Wie im Kapitel 8 näher erläutert wird, bezeichnete er jede seinem Denken vorausgegangene Philosophie als Metaphysik, womit der Begriff 'postmetaphysisch' zum irreführenden Synonym für den vernunftkritischen Ansatz der Postmoderne wurde.251 Wie die Belebung der Metaphysik allem Widersinn zum Trotz als postmetaphysisch bezeichnet wird, zeigt Juan García González' Präsentation der dichterischen Vernunft. Das ganzheitliche Wissen, das er in Maria Zambranos Denken entdeckt, belegt er in seinem Aufsatz "¿Pensamiento postmetafísico en Maria Zambrano?" durch folgendes Zitat der Autorin: Filosofía, poesía y religión necesitan aclararse mùtuamente, recibir su luz una de otra, reconocer sus deudas, revelar al hombre medio asfixiado por su discordia, su permanente y viva legitimidad, su unidad originaria. 252 Es liegt nicht in meiner Absicht, die historische und literarische Interdependenz von Philosophie, Dichtung und Religion leugnen zu wollen. Doch muß die Frage gestellt werden, woraus sich ein "conocimiento poético" konstituiert, der besagt, das Hauptproblem des Menschen erwachse aus dem Zwiespalt zwischen Denken und Glauben. Das Dichterische, das hier zwischen Philosophie und Religion geschoben wird, erfüllt das Ziel der Verknüpfung zwischen Vernunft und Glauben in einer der nachaufklärerischen Philosophie adäquaten Weise. Der Rekurs auf Dichtung - nicht als lyrische oder literarische Gattung, sondern als Wahrnehmungsform - ist erst nach der Verbreitung einer naturwissenschaftlichen Weltdeutung erforderlich geworden. Das Dichterische der razón poética ist das Mehr, "hasta lo que jamás ha podido ser" (FyP 126), das über das nachweislich Ergründbare hinausgeht. Es ist nicht im Sinne des Unerforschten und daher Unbekannten zu verstehen, sondern im Sinne des Unnachweisbaren. Die in dieser Weise hergestellte Verbindung zwischen Denken und Glauben besiegelt die Prädominanz des Übersinnlichen in der philosophischen Konzeption Maria Zambranos. Die subtile Verschiebung einer vordergründigen Äquivalenz zwischen Philosophie, Dichtung und Religion zum Vorteil des Glaubens liefert ein philosophisch-ästhetisch gefärbtes religiöses Motiv. Da dieses Motiv in seinem religiösen Gehalt nur selten erkannt wird, fehlt bislang eine Diskussion über Denken und Glauben im Zusammenhang mit dem Werk der Autorin. Das folgende
250
Mit Nietzsche verbindet die spanische Denkerin der subjektive Idealismus, der die Existenz der materiellen Welt negiert, und der dionysische Begriff von Leben. Nietzsche ist für sie das Inbild des "bienaventurado". Sie mutmaßt, der Wahn habe ihn daran gehindert, ein christlich gesinntes Hauptwerk zu schreiben. Vgl. Los bienaventurados. Op. cit. S. 69. 251 Vgl. Löwith, Karl. "Diltheys und Heideggers Stellung zur Metaphysik". Heidegger - Denker in dürftiger Zeit. Stuttgart 1984. S. 258-275. 252 Zitiert nach García González, Juan. "¿Pensamiento postmetafísico en Maria Zambrano?". Philosophica Malacitana 4. Málaga (1991): 121-129 S. 127.
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Kapitel "Die Hüter des Geheimnisses" versteht sich als ein erster Ansatz, diese Auseinandersetzung nachzuholen.
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8. Die Hüter des Geheimnisses
8.1 Die razón poética Eine Philosophie des ästhetischen Schauens Maria Zambrano gehört zu den Philosophen des 20. Jahrhunderts, die das Geheimnis des Seins als ein sich in der Kunst offenbarendes Erlebnis definieren. Die Bedingung eines subjektiven Zugangs zu diesem Geheimnis, das Zugrundelegen einer unmethodischen Herangehensweise und schließlich die Poetisierung des philosophischen Diskurses bilden für das Verständnis eher eine Hindernisstrecke als eine Anleitung. Jener, der diesen labyrinthischen Parcours betritt, weiß nicht, ob und wann er das Ziel erreichen mag. Wenn er es in Reichweite zu sehen meint, freut er sich, den richtigen Abzweig genommen zu haben. Aber einige Schritte weiter erfährt er, daß "los secretos verdaderos no consienten en ser desvelados"15^, da sie sonst in unserer Seele an der Stelle, die ihnen bestimmt sei, eine Leere hinterlassen würden.Was auf dieser Strecke erfahren werden soll, ist nicht die Aufklärung des Geheimnisses, sondern seine Existenz. Der Läufer muß erkennen, daß der zurückgelegte Weg zu einem Irrgarten gehört, den die Hüter des Geheimnisses eigens zu diesem Zweck angelegt haben. Die Inszenierung des Kryptischen ist eine Kunst, die es im folgenden zu studieren gilt. Die Antithese der Begriffe "razón poética" belegt die Absicht, Gegensätzliches miteinander zu verbinden: Die Vernunft ist seit der Erkenntnistheorie des 17. Jahrhunderts bestrebt, durch Logik, durch eine vom menschlichen Geist nachvollziehbare Begründung, universelle Gültigkeit zu erreichen. Descartes ging vom einzelnen Subjekt aus, das erkennend und handelnd einer objektiven Welt der Dinge und Ereignisse gegenübersteht. Dichtung dagegen wirkt suggestiv und will ganz dem Subjektiven überlassen sein. Das Universelle des Gedankens beruht auf der Überprüfbarkeit seines Inhalts in der Praxis. Das universelle Wesen der Dichtung entsteht hingegen aus der Individuation künstlerischer Empfindung. Die Opposition von Objektivität und Subjektivität soll in der dichterischen Vernunft durch einen Ansatz, der beide verbindet, überwunden werden. Es geht der Autorin darum, eine ganzheitliche weltanschauliche Denk- und Lebenshaltung, welche sie als diejenige des Dichters definiert, zu entwickeln. Der Begriff Vernunft wird in seiner aufklärerischen Bedeutung durch den Zusatz des 'Dichterischen' von vornherein aufgehoben. Er meint 253
Zambrano, M. "Cuba y la poesía de José Lezama Lima". ínsula 260/261. Madrid (1968): S.4.
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hier nicht das aktive Vermögen des Menschen, sich vom Überlieferten und Überkommenen zu emanzipieren. Vernunft ist hier im Sinne Piatons passive Teilhabe am Göttlichen, dem alleinigen Subjekt aller Erkenntnis. Die Vernunft - wenn man sie noch so nennen darf - verliert somit ihre gesellschaftskritische Relevanz. Maria Zambranos Philosophie des ästhetischen Schauens hat ihren Ursprung in der vom Symbolismus beeinflußten spanischen Avantgarde der dreißiger Jahre. 1934 formulierte sie mit "¿Por qué se escribe?" eine Art Manifest ihrer Generation.254 In einer spiritualistischen Interpretation der Tätigkeit des Schriftstellers bekundete sie ihren Glauben an die Magie des Wortes. Der Wahrheitsanspruch, den die Autorin mit ihrem Schreiben verbindet, setzt ihrem idealistischen Grundsatz entsprechend, eine Selbständigkeit des Stoffes gegenüber dem Dichter und Schriftsteller voraus, die sie bereits im obengenannten Aufsatz beschrieb: Porque si el escritor revela el secreto no es por obra de su voluntad (...) Es que existen secretos que exigen ellos mismos de ser revelados, publicados.255 Diese Haltung beinhaltet nicht die Absicht, das Geheimnis aufzudecken, sondern es zu verkünden. Die Fähigkeit des Dichters beruht darauf, sich von dem Ausdruckswillen der Sache selbst überfluten zu lassen. Es gilt, das Unsagbare aufzugreifen. In der Verbindung von Irrationalismus und Offenbarungswahrheit wird das Schreiben zu einer Glaubenstat. Das poetische Sagen postuliert Ursprünglichkeit und Authentizität und begründet in dieser seine Selbstgenügsamkeit - mit anderen Worten seinen Verzicht auf Argumente: Ser fiel a aquello que pide ser sacado del silencio (...) Fidelidad que, para lograrse, exige una total purificación de las pasiones, que han de acallarse para hacer sitio a la verdad. La verdad necesita de un gran vacío, de un silencio donde pueda aposentarse, sin que ninguna otra presencia se entremezcle con la suya, desfigurándola.256 Die hier beschriebene Katharsis enthält eine mystisch-religiöse Konnotation, die weder der Romantik noch dem Surrealismus fremd gewesen ist. Auch Maria Zambranos Vorstellung, jedes Buch solle "algo de una bomba" haben, hat mit dem Surrealismus den Wunsch nach gewaltiger Wirksamkeit gemeinsam. Ihre Glorifizierung des Schrifstellers, ihre Kennzeichnung seiner Tätigkeit als Martyrium vermitteln eine Kunstauffassung, in der Ästhetik und Glauben ineinanderfließen: Y esta comunicación de lo oculto, que a todos se hace mediante el escritor, es la gloria, la gloria que es la manifestación de la verdad oculta hasta el presente, que dilatará los instantes transfigurando las vidas (...) Gloria de la que es sujeto recipendario despues del activo martirio de perseguir, capturar 254
Nach dem Ende des Franco-Regimes trug sie zur Rehabilitierung der Exildichter bei. Ab 1977 würdigte sie in spanischen Zeitschriften das Wirken ihrer ehemaligen Weggefährten Emilio Prados, Miguel Hernández, José Herrera Petere, José Angel Valente, Juan Ramón, Federico García Lorca und anderer. 255 Zambrano, M. "¿Por qué se escribe?". Op. cit. S. 325. 256 Ibid., S. 324.
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y retener las palabras para ajustarías a la verdad. Por esta búsqueda heroica recae la gloria sobre la cabeza del escritor, se refleja sobre ella.251 Aus der Sicht der Autorin ist der Dichter oder Schriftsteller Vermittler des sich ihm offenbarenden Geheimnisses. Dieses Geheimnis kann als Mysterium bezeichnet werden, da es seine Rätselhaftigkeit nicht aufgibt. Weitabgewandtheit - Leere und Stille - ist die Prämisse für das Empfangen dieser metaphysischen Wahrheit. Man kann die hier beschriebene Tätigkeit mit dem Vorgang einer 'regressiven' Hermeneutik vergleichen. Denn der Dichter deutet nicht den Sinn einer Botschaft, sondern dichtet die Botschaft eines vernommenen Sinnes. Es ist gerade die Umkehrung eines sinnerschließenden Weltentwurfs, die hier unternommen wird oder, um mit Jürgen Habermas zu sprechen, "an die Stelle der Beschreibung des unvermittelt Angeschauten tritt die Interpretation eines Sinnes, der sich jeder Evidenz entzieht".25* Dieser Sinn ist einer jenseitigen Welt entsprungen, er ist gegeben, und die Aufgabe des Schriftstellers besteht, so Maria Zambrano, darin, ihm sprachlich zu entsprechen. Der beschriebene Prozeß besitzt Ähnlichkeit mit dem der Produktion abstrakter Kunst, insofern als einer Inspiration im Werkstoff - in diesem Fall Sprache - Form gegeben wird. Die Ästhetisierung des Wahrheitsbegriffes ahmt künstlerische Spontaneität nach, indem Unmittelbarkeit zum Ursprung eines von Selbstreflexion unverfälschten Blickes deklariert wird. Aber im Gegensatz zur Kunst kann sich die Philosophie, selbst die Metaphysik, nicht von einer gewissen Intentionalität freisprechen. Es ist der Anspruch auf Wahrheit selbst, der ihr das Unverhoffte, Zufallige versagt. Der Umstand, daß die Metaphysik ihre Wahrheit einer Überwelt entnimmt, ändert nichts an der Motiviertheit ihres Wahrheitsbegriffes, denn er erhebt Anspruch auf Gültigkeit in dieser Welt.
8.2 Deutsche Spuren einer 'spanischen' Weltanschauung Vor Maria Zambrano hat der Dichter und Freund ihres Vaters, Antonio Machado, den Begriff "duda poética" verwendet und diesen dem methodischen Zweifel Descartes entgegensetzt. Die Ähnlichkeit beider philosophischer Konzepte beruht auf ihrer gemeinsamen Opposition gegen den Rationalismus. Antonio Machados humorvolle Gelehrtenfigur Juan de Mairena empfiehlt ihren Schülern vor allem gesunden Menschenverstand. Sie definiert den poetischen Zweifel als "duda humana, de hombre solitario y descaminado, entre caminos (...) que no conducen a ninguna parte.,r259 In dieser Evozierung von Einsamkeit und Ziellosigkeit wird Machados lebensphilosophischer Pessimismus spürbar. Aber die Ziellosigkeit bedeutet für ihn zugleich die Ablehnung einer absoluten Wahrheit. Denn trotz seiner Kritik an den französischen Denker bleibt Machado selbst ein Skeptiker. Und es ist vor allem die Skepsis, die sein 257
Ibid., S. 327. Habermas, J. "Die metaphysikkritische Unterwanderung des okzidentalen Rationalismus: Heidegger". Der philosophische Diskurs der Moderne. Ffm. 1991. S. 159-190. S. 173. 259 Machado, A. Juan de Mairena II. (1936-1938). Madrid 1986. S. 25 f. 258
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Denken von dem Maria Zambranos grundlegend unterscheidet. Das Credo des frankophilen Dichters war mehr, als ihm selbst bewußt war, vom Cartesianismus geprägt, als er schrieb: Aprende a dudar, hijo, y acabarás dudando de tu propia duda. De este modo premia Dios al esceptico y confunde al creyente.160 Eine Philosophie, die sich wie Maria Zambranos razón poética in die Tradition der spanischen Literatur stellt, will selbstverstänlich das Erbe von Antonio Machado und Miguel de Unamuno umfassen. Aber die Grundstimmung von Maria Zambranos eigenem Werk ist von solcher Schwermut, daß Machados geistreiche Bonhommie und Unamunos anarchistische Aufsässigkeit im Vergleich dazu ganz fremd erscheinen. Trotzdem kann Maria Zambrano vor allem als Nachfolgerin Miguel de Unamunos angesehen werden. Beide Denker verbindet das ungebrochene Bemühen, eine sinnliche Wahrnehmung Gottes durch den Menschen, sei es poetisch oder emphatisch, zu belegen. Die folgende Passage aus Unamunos Del sentimiento trágico de la vida, das zuerst 1913 erschien, lieferte das Modell, an das sich das Denken der Generation von 1927 anlehnte. Unamuno deutet hierin außerdem eine sprachphilosophische Konzeption an, welche Maria Zambrano in ihrem Werk umsetzte, nämlich das Substantiieren des Sublimen in der Sprache: Y el concepto de Dios, siempre redivivo, pues brota del eterno sentimiento de Dios en el hombre, ¿qué es sino la eterna protesta de la vida contra la razón, el nunca vencido instinto de personalización? (...) Porque la conciencia aun antes de conocerse como razón, se siente, se toca, se es más bien como voluntad, y como voluntad de no morir. (...) ¿Qué son los esfuerzos de un Bergson, verbigracia, sobre todo en su obra sobre la evolución creadora, sino forcejeos por restaurar al Dios personal y la conciencia eterna? Y es que la vida no se rinde. Y de nada sirve querer suprimir ese proceso mitoépico o antropomórfico racionalizar nuestro pensamiento, como si se pensara sólo para pensar conocer y no para vivir. La lengua misma, con la que pensamos, nos impide. La lengua, sustancia del pensamiento, es un sistema de metáforas base mítica y antropomórfico.261
y y lo a
Auf ihre geistige Verwandtschaft mit den Vertretern der Generación del '98 machte Maria Zambrano durch eine Veröffentlichung aufmerksam, die zugleich den Vorrang des spanischen Denkens innerhalb der europäischen Geisteskultur aufzeigen sollte. Unter der triumphierenden Überschrift "Antonio Machado y Unamuno precursores de Heidegger" veröffentlichte sie 1938 in der südamerikanischen Zeitschrift Sur, mit einem eigenen Kommentar versehen, Antonio Machados Einschätzung des deutschen 260
Ibid., S. 7. Unamuno, M. de. Del sentimiento trágico de la vida en los hombres y en los pueblos. Madrid 1966. S. 126 f.
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Denkers.262 In erster Linie ging es dem spanischen Dichter darum, durch den Mund seiner apokryphen Gelehrtenfigur Juan de Mairena die Originalität Martin Heideggers in Frage zu stellen. Sören Kierkegaard und Henri Bergson, argumentiert er in seinem im Januar desselben Jahres in Hora de España veröffentlichten Aufsatz, hätten vor Heidegger die Einsamkeit, die Endlichkeit und die Angst als Urtatbestände des Menschlichen hervorgehoben. Machado fragt, ob nicht Dichtung schon immer - er fuhrt die Mystik Teresa de Avilas, die Dichtung Paul Valérys sowie seine eigene an diese Sorge über die Vergänglichkeit der Existenz reflektiert habe. Indem Maria Zambrano Unamuno und Machado als Urheber einer Philosophie der poetischen Vision hervorhebt, bekundet sie ihre Zugehörigkeit zur lebensphilosophischen Strömung. Im Rahmen meiner bibliographischen Forschungen entdeckte ich eine bisher in keiner Bibliographie der Autorin enthaltene Publikation Maria Zambranos aus dem Jahre 1948, "El problema de la filosofìa española". In diesem Aufsatz hebt die Autorin erneut den "carácter precursor" des spanischen Denkens hervor.263 Sie beruft sich diesmal auf Menéndez y Pelayos Versuch, in seinem Buch La ciencia española die geistesgeschichtliche Vorreiterposition der spanischen Intelligenz nachzuweisen. Das Unsystematische, welches sie als Spiegel der Verflechtung der spanischen Philosophie mit der Literatur und Dichtung definiert, sei bisher Ursache der geringen Beachtung spanischer Denker gewesen. Doch jetzt zeige sich, daß gerade das Vernachlässigte das Neue beinhalte. Im Zeitalter der Lebensphilosophie, der radikalen Frage nach dem Urgrund des Seins, schreibt sie, erweise sich abermals Unamunos "poética expresión" als wegweisend für eine neue "Filosofia que no desdeñe a la Poesia". Unamuno war in der Tat, durch seine Lektüre Kierkegaards beeinflußt, unbewußt zum Wegbereiter der europäischen Lebensphilosophie geworden. Auch der philosophische Gehalt von Machados Dichtung ist, wie der Dichter selbst bezeugt, unabhängig von der deutschen Lebensphilosophie aus seiner Begeisterung für die französische Kultur entstanden. Aber Maria Zambranos direkte Lehrer Ortega y Gasset und Javier Zubiri haben, wie es dem Bildungsideal des 'Krausismo' entsprach, in Deutschland studiert. Wäre der spanische Bürgerkrieg nicht ausgebrochen, hätte Maria Zambranos Lebenslauf sie vielleicht auch nach Freiburg, Berlin oder Marburg geführt. Ortega kannte Heidegger persönlich. Seinem Denken gegenüber aber hielt er Distanz, da dieses seinem eigenen Ideal 'deutscher' Systematik nicht entsprach. Zubiri war Schüler Heideggers und übersetzte 1933 für die Zeitschrift Cruz y Raya "Was ist Metaphysik?" (1929).264 Ihm, José Gaos und Juan David Garcia Bacca sind die frühen Übersetzungen der Schriften Martin Heideggers und Max Schelers zu verdanken. 262
Zambrano, M. "Antonio Machado y Unamuno precursores de Heidegger". Sur 8.42. Buenos Aires (1938): 85-87. 263 Zambrano, M. "El problema de la filosofia española". Las Españas. México (Aprii 1948): 3 und 13. ""Heidegger, M. "¿Que es metafisica?". Cruz y Raya 6. Übs. Javier Zubiri. Madrid (1933). S. 83115.
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Maria Zambrano selbst schrieb 1939 in Filosofía y poesía über Heidegger, seine Philosophie stände in der direkten Tradition des deutschen Idealismus seit Kant und besitze nicht im geringsten einen "carácter advenedizo "(FyP 189) Das Werk Sein und Zeit, mit dem Heidegger 1927 berühmt wurde und seine Lehrer Edmund Husserl und Max Scheler im Blickpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit ablöste, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Spanische übertragen worden. 1948 veröffentlichte José Gaos einen Auszug von Sein und Zeit in der mexikanischen Zeitschrift Filosofía y letras, dem drei Jahre später die vollständige spanische Fassung folgte. Zuvor aber waren 1944 Garcia Baccas Übersetzungen von Hölderlin und das Wesen der Dichtung (1936) sowie Vom Wesen des Grundes (1929) erschienen. Neben Heidegger reizte, wie schon mehrfach erwähnt, auch der früh verstorbene Max Scheler nachhaltig die Neugier spanischer Intellektueller. Der Umstand, daß sein Werk außer im Deutschen vor allem im Spanischen vorliegt, steht im Zusammenhang mit seinem dezidiert katholischen Standpunkt.265 José Gaos und Javier Zubiri haben zunächst Teile seines Werkes für den Verlag Revista de Occidente übersetzt. In Ortegas Verlag erschienen allein zwischen 1927 und 1936 Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, Die Stellung des Menschen im Kosmos, Tod und Fortleben, Probleme einer Soziologie des Wissens und Der Formalismus in der Ethik. José Gaos setzte diese Arbeit im Exil fort. In Javier Zubiris eigenem Werk nimmt die Phänomenologie die Züge einer neuen Form christlichen Spiritualismus' an. Zur Veröffentlichung seiner Übersetzung von Ordo Amoris sowie Tod und Fortleben schrieb Maria Zambrano ihren Aufsatz "Hacia un saber sobre el alma".266 Der in dieser Überschrift enthaltene Gedanke ist für ihr ganzes philosophisches Schaffen leitend. Sie gehört zusammen mit Javier Zubiri und José Gaos zu den spanischen Nachfolgern Schelers. Mit Heidegger verbindet sie der Bezug auf die sinnerschließende Funktion von Dichtung und, wie im folgenden gezeigt wird, eine Neigung zum Mystischen, von der auch das Werk des ehemaligen Priesteranwärters nicht frei ist. Offensichtlich revidierte Maria Zambrano im Verlauf der Entstehung der razón poética ihre einstige kritische Haltung gegenüber dem Werk von Martin Heidegger. In Los bienaventurados stellt sie ihn aufgrund seiner Verknüpfimg von Dichtung und Denken an die Spitze der Philosophie des 20. Jahrhunderts und beschreibt ihn als Märtyrer und Erlöser des abendländischen Denkens: (...) la filosofía (...) ha acabado por darse casi por completo a ella, a la historia, historizándose a sí misma, negándose. Y así aparece gracias al más renombrado de los filósofos de este siglo - Heidegger - que le es necesario volverse a la poesía, seguir los lugares del ser por ella señalados y visitados, para recobrarse (...). Gracias a Heidegger (...), aunque en otros textos aparezca. Las situaciones, por esenciales que sean, han de estar sostenidas, apuradas por un protagonista que aparezca con caracteres de credibilidad. 265 266
Vgl. Max Scheler Bibliographie. Hg. Wilfried Hartmann. Stuttgart/Bad Cannstatt 1963. Zambrano, M. "Hacia un saber sobre el aima". Op. cit.
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Ni tan siquiera Nietzsche hubiera bastado, alemán como él y más paciente que él en soportar la cruz de la filosofía al borde de que se entregue totalmente, de que salga de las manos del hombre de occidente, único, que sepamos en llevar la cruz del pensamiento filosófico,267 Abermals wendet sich die Autorin gegen eine in historischen Zusammenhängen denkende, weltzugewandte Philosophie. Zu der deutlich signalisierten Nähe, welche die Autorin zum Denken Heideggers empfindet, kommt die Vorstellung einer schicksalhaften Bestimmung deutscher Philosophen hinzu.
8.3 Die spekulative Kunsttheorie bei Maria Zambrano und Martin Heidegger Es scheint widersprüchlich, daß Maria Zambrano in Filosofía y poesía (1939) zunächst davon ausgeht, daß weder Philosophie noch Dichtung das Wesen der Existenz in seiner Gesamtheit erfassen können. Die Philosophie ist fur sie Ursprung eines den modernen Menschen plagenden, destruktiven Zweifels, "una duda acerca de todo lo que hasta ahora se le había ofrecido". Die Dichtung sieht sie dagegen als "continuadora de una tradición, de un mundo en que el hombre era hijo confiadamente; en que todo se le daba y lugar alguno le estaba vedado" (FyP 129). Mehr als die idealistische Geschichtsinterpretation der Autorin, die keine Frage nach der Ursache von Gottesskepsis und Nihilismus stellt, interessiert hier vor allem ihre Verbindung von Dichtung und Glauben. Der in dieser Gleichstellung implizierte Gedanke geht über den Machados hinaus, nach dem Dichtung traditioneller Ort existentialistischer Sorge sei. Bei Maria Zambrano ist poesía viel weiter gefaßt: Sie steht als Hinweis auf das Übersinnliche und liefert die Anschauungsweise, durch welche die Rückkehr zur ursprünglichen Seinsbestimmung erfahren werden könne. Die Tradition, in welcher ihre Kunsttheorie steht, ist die der christlichen LogosInterpretation. Das Wort Gottes bestimmt das Sein. "En el principio era el Verbo", zitiert sie das Johannesevangelium (FyP 117). Ähnlich dem Fiat lux, mit dem Gott seine Schöpfung aus dem Chaos hervorholte, sei auch der Dichter befähigt, das Sein aus dem Nichtsein an das Licht treten zu lassen. Der französische Philosoph JeanMarie Schaeffer argumentiert in seiner hervorragenden Untersuchung der kunstphilosophischen Strömungen seit dem 18. Jahrhundert, daß nach der Unterminierung des religiösen Glaubens durch die Skepsis die Kunst selbst an die Stelle der Religion getreten sei und die Funktion des 'Mysteriums' übernommen habe.268 Im folgenden stelle ich seine Grundthesen über die Entstehung der spekulativen Kunsttheorie als philosophische Strategie der deutschen Romantik und ihre Funktion in 267 268
Zambrano, M. Los bienaventurados. Op. cit. S. 51. Schaeffer, J.-M. L'art de l'âge moderne. L'esthétique et la philosophie de l'art du XVIIIe siècle à nos jours. Paris 1992.
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der 'entzauberten Welt' des 20. Jahrhunderts vor. Sie treffen in besonderem Maße auch auf die razón poética zu und schaffen daher eine Grundlage für einen Vergleich zwischen dem Denken von Maria Zambrano und Martin Heidegger. Als théorie spéculative de l'Art bezeichnet Jean-Marie SchaefFer die diversen philosophischen Strömungen, die der Kunst eine ontologische oder seinsoffenbarende Funktion zuweisen. Ungeachtet ihrer jeweiligen Erscheinungsform leitet die spekulative Kunsttheorie ihre Grundsätze von der Metaphysik ab. Sie agiert vor dem Hintergrund einer geistig-spirituellen Krise, die sich in einer Zergliederung der Wirklichkeit in polemischer Vielfalt äußert. In diesem Zusammenhang werden der Kunst - und ihrem idealen Paradigma der Dichtung - mehrere Funktionen überantwortet. In erster Linie besitzt die Kunst Aussagekraft über das Sein und wird somit zum Instrument der philosophischen Ontologie. Sie vermittelt ein transzendentes Wissen oder "savoir extatique", das der Wissenschaft unzugänglich ist, und kann die ersehnte Einheit oder Ganzheit wiederherstellen. Die Verwahrer dieses jenseits des alltäglichen Diskurses entstehenden Wissens sind Dichter und jene Philosophen, die sich über die prosaische Wirklichkeit erhoben haben. Darauf aufbauend, bedient sich die théorie spéculative der Kunst als Ersatz für den philosophischen Diskurs und zugleich als Statthalter der Metaphysik. In Erinnerung an Kants Urteil, daß eine metaphysische Existenz nicht durch den philosophischen Diskurs nachgewiesen werden könne, schreibt Jean-Marie SchaefFer: Dans une certaine mesure les romantiques acceptent le verdict kantien: leur thèse philosophique centrale affirme en effet l'impossibilité pour la discursivité philosophique d'accéder à l'Absolu. Mais ils proposent une solution de rechange, qui n'est autre que la théorie spéculative de l'Art: la poésie - et plus généralement l'Art - remplacera le discours philosophique défaillant. On le voit: la sacralisation de l'Art dote les arts d'une fonction de compensation (...) l'oeuvre d'art reprendra donc VÍmpetus métaphysique et réalisera la présentation du contenu de la philosophie.269 Jean-Marie Schaeffer weist in seinem Vorwort darauf hin, daß die Sakralisierung der Kunst keine Erfindung der Romantik ist, sondern daß das Bild des prophetischen Dichters von der Antike bis zur Renaissance wiederkehrt. Das katholisch-orthodoxe Grundmotiv von Maria Zambranos Schreiben erfahrt im Rahmen ihrer Ausarbeitung der dichterischen Vernunft eine Akzentverschiebung, der zufolge das, was als ihr Spätwerk gilt, zur spekulativen Kunsttheorie gezählt werden darf. In Claros del bosque, Notas de un método oder Los bienaventurados hat die spanische Denkerin das Instrumentarium dieser Weltanschauung vorzüglich gemeistert. Die sprachlichsinnliche Vermittlung des Absoluten, welche sie in Pensamiento y poesía en la vida española oder in Filosofia y poesía zum Programm erklärte, findet eine Umsetzung in ihrem späteren Werk. Hier dient die dichterische Sprache der Veranschaulichung des im Text unmittelbar präsenten Gegenstand der Anbetung. Durch die Poetisierung des philosophischen Diskurses nimmt die Sprache das Absolute in sich auf. Dies erklärt, ™Ibid. S. 19 f.
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weshalb Maria Zambrano in dem Maße, in dem sie sich dem Göttlichen nähert, auf direktes Hinweisen verzichtet. Darin beruht der mystische Charakter dieser Schriften. So sehr jedoch die dichterische Vernunft durch die Verschmelzung von Sprache und Anbetungsgegenstand ihre programmatische Absicht erfüllt zu haben scheint, darf dennoch nicht übersehen werden, daß der Verzicht auf Diskursivität ein durch die Aufklärung notwendig gewordener Kunstgriff ist. Schließlich besitzt auch das Unmethodische eine Logik: Jede intendierte Beweisführung einer übernatürlichen Existenz muß im 20. Jahrhundert unwillkürlich der diskursiven Ebene ausweichen. Zur religiösen Ersatzfunktion von Dichtung seit der Aufklärung schreibt Jean-Marie Schaeffer: Surtout, il existe une différence fondamentale entre la révolution romantique et ces sacralisations antérieures de la poésie: l'exaltation romantique de la poésie remplit une fonction compensatrice face à la crise du Weltbild traditionnel, ce qui n 'était pas le cas chez les défenseurs antérieurs de la fonction "divine" de la poésie.™ Die théorie spéculative de l'Art, unter die sowohl die kunstphilosophische Anschauung der deutschen Romantik als auch Heideggers Fundamentalontologie zu rechnen sind, verleiht der Dichtung eine seinsoffenbarende Funktion. Dichtung soll unser Blickfeld über das rational Vernehmbare der profanen Wirklichkeit hinaus erweitern. Doch wenn Kunst als solche dies erfüllt, bleibt die Frage, ob sie dies im Auftrag der philosophischen Ästhetik vermag. Diese der Kunst auferlegte ontologische Funktion ist aber gerade das a priori der philosophischen Ästhetik. Von einer methodologischen Trennung zwischen dem Betrachtungsgegenstand und dem angenommenen Ergebnis dieser Betrachtung wird abgesehen. Das postulierte Ergebnis selbst bestimmt die Betrachtungsweise. Die Zirkularität dieses Denkens entspricht seinem metaphysischen Ursprung. Wie die folgende Definition des 'Wesens' von Dichtung verzichtet es gänzlich auf Argumentation und Veranschaulichung. Das bedeutet aber, daß Dichtung nicht Gegenstand kritischer Reflexion ist, sondern mystisch-religiöse Ideen zum Ausdruck bringt: La "cosa" de la poesía - la que encuentra y ofrece - no es la cosa conceptual del pensamiento, sino la complejísima y real, la fantasmagòrica y soñada, la que hubo y la que no habrá jamás (...) El poeta saca de la humillación del no-ser a lo que en él gime; saca de la nada a la nada misma, a la que da nombre y rostro. El poeta no se afana para que de las cosas que hay, unas sean y otras no lleguen a este privilegio. Más bien se afana, padece, estudia para que todo lo que hay y lo que aún no hay llegue a ser. El poeta no teme a la nada, desciende al caos para elevarlo hasta el orden de que es cifra la palabra. (FyP 126)
™lbid„ S.20.
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Bei Heidegger heißt es "das stiftende Nennen des Seins und des Wesens aller Dinge".111 Auch die Vorstellung, wonach die Sinnverschiebung der Dichtung, die "dislocación del 'Logos'", das Verschwiegene enthülle, verbindet die razón poética mit der Entbergungsthese der Fundamentalontologie (FyP 150). Wie diese versteht sich die dichterische Vernunft nicht als Vollendung des 'neuen' Denkens. Sie zeige lediglich den Weg eines zukünftigen Denkens an, in dem Dichtung, Denken und Religion eine Einheit bilden sollen: Y más allá de poesía y filosofia aparece la unidad última por total y por abierta a un futuro inacabable; el horizonte religioso (...) Religión, poesía y filosofia han de ser miradas nuevamente con una atención dispuesta a recibirlas en lo que tienen de común y en lo que tienen de irreduciblemente diferente, si se halla. Solamente ante una mirada de este género, y en su abierto horizonte, la filosofia encontrará justificación,272 An keiner Stelle untersucht die Autorin, wie sie es hier von der Philosophie fordert, die Ähnlichkeit und die Unterschiede von Religion, Dichtung und Philosophie. Der Grund hierfür mag in der Einschränkung "si se halla" bereits angedeutet sein. Eine Unterscheidung kann ihr vor allem deshalb nicht gelingen, weil ihre eigentliche Intention die Vereinigung von Glauben, Ästhetik und Denken ist. Vor diesem Beweggrund der Autorin wird die von ihr entwickelte razón poética als Theismus erkennbar: La Divina Comedia realiza (...) una unión (...) entre poesía, religión y filosofía (...) Otro momento de unidad profunda entre las tres cosas se verifica (...) por el camino de la mística. Por esto - es preciso, al menos, dejarlo ahora señalado (...) que toda poesía sea en último término mística, o que la mística sea en su raíz poesía; una forma de religión poética o religión de la poesía. (FyP 175) Die poetische Benennung und Betrachtung der Welt wird von einer intuitiven Einsicht in das Übersinnliche stimuliert. Zusammen mit dem cartesianischen Subjekt der Erkenntnis verschwindet aus Maria Zambranos philosophischer Ästhetik die Skepsis und die aus ihr resultierende Angst. Die Erfahrung des Geheimnisses beruht auf dem Glauben. Wie die christlichen Mystiker vor ihr übernimmt sie Plotins Ansicht, nach der Metaphysik erfahrbar, jedoch nicht erklärbar ist. In diesem Grundsatz ist auch die lebensphilosophische Vorstellung der Überlegenheit der Intuition über den Geist bereits enthalten. Im Verlauf der Jahre intensiviert die Autorin zunehmend ihren literarischen Dialog mit dem Werk Heideggers. Ein Beispiel hierfür, auf das im folgenden eingegangen werden soll, bildet Claros del bosque (1977). Der Grund dafür, daß sie dem 271
Heidegger, M. "Hölderlin und das Wesen der Dichtung". (Entstanden 1936 in Rom.) Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung. Gesamtausgabe. Bd. 4. Fftn. 1981. S. 33-48. S. 43. 272 "Poema y sistema". OR 247 f.
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Existentialisten und Atheisten Jean-Paul Sartre dagegen fremd bleibt, dürfte in seiner entschiedenen Ablehnung des christlichen Existentialismus liegen. Ihre weltanschaulichen Positionen sind einander entgegengesetzt, denn in der Deutung der Welt entläßt Sartre das Subjekt Mensch nicht aus der Verantwortung. Ganz cartesianisch meint er: "(...) l'homme déchiffre lui-même le signe comme il lui plaît. Der Dialog, den es fur Maria Zambrano zu fuhren gilt, verharrt dagegen im festen Rahmen einer metaphysischen Weltkonzeption. Wie dies, angesichts Heideggers Intention, die Metaphysik zu überwinden, zu erklären ist, bedarf einer Erläuterung. Wenn Heidegger behauptet, die Metaphysik überwinden zu wollen, so meint er die Philosophie als Ganzes. Diese habe nur das "Seiende als Seiendes" gedacht und das "Sein des Seienden" nicht zu bestimmen vermocht. Seine Fundamentalontologie bleibt selbst jedoch Metaphysik im ursprünglichen Sinne.274 Sie ist eine Lehre des Übersinnlichen, denn Heideggers Begriff des Seins ist losgelöst vom Gegenständlichen, Konkreten und Lebendigen. Gegenüber dem Seienden ist fur ihn das Sein der Tatbestand der Existenz von Seiendem. Aber diesem Tatbestand wird nicht in historischen oder naturwissenschaftlichen Bezügen nachgegangen, denn was Heidegger interessiert, ist viel 'ursprünglicher' und steht nicht in Reichweite wissenschaftlicher Disziplinen: Das Sein ist niemals ein Seiendes. Weil aber Sein und Wesen der Dinge nie errechnet und aus dem Vorhandenen abgeleitet werden können, müssen sie frei geschaffen, gesetzt und geschenkt werden. Solche freie Schenkung ist Stiftung.275 Sein angestrebter "Rückgang in den Grund der Metaphysik" entspricht ebenso wie die razón poética einer Neubelebung der Lehre des Übersinnlichen. Der einstige Schüler und Kritiker Heideggers, Karl Löwith, sieht die Wirksamkeit seines Werkes in dem vorherrschenden Pathos einer sich geheimnisvoll verbergenden Offenbarung und der Negation der Rationalität begründet. Allem von Heidegger je Gesagten liegt, so schreibt er, ein unausgesprochenes religiöses Motiv zugrunde, "das sich zwar vom christlichen Glauben abgelöst hat, aber gerade in seiner dogmatisch ungebundenen Unbestimmtheit um so mehr diejenigen anspricht, die nicht mehr gläubige Christen sind, aber doch religiös sein möchten. " 276 Wir haben gesehen, daß die Autorin 1938 Unamuno und Machado als Vorgänger Heideggers bezeichnete, aber die Urheberschaft der philosophischen Ästhetik steht hier nicht zur Debatte. Das wiederholte Auftauchen ähnlicher philosophischer 273
Sartre, J.-P. L'existentialisme est un humanisme. Paris 1970. S. 38. Vgl. Weischedel, W. "Die seinsgeschichtliche Überwindung der philosophischen Theologie bei Heidegger". Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeilalter des Nihilismus. Dannstadt 1983. S. 458-494. "'Heidegger, M. "Hölderlin und das Wesen der Dichtung". Op. cit. S. 14. 276 Vgl. Löwith, Karl. "Heidegger - Denker in dürftiger Zeit". Heidegger - Denker in dürftiger Zeit. Zur Stellung der Philosophie im 20. Jahrhundert. Sämtliche Schriften. Bd. 8. Stuttgart 1984. S. 124-234. S. 233. 274
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Gedanken, weist, wenn nicht auf die Kenntnis des anderen Werkes, so zumindest auf ein gemeinsames Erbe hin. In diesem Fall geht das verbindende Erbe auf die fast zweihundertjährige Tradition der romantischen Kunsttheorie zurück. Im Vorangegangenen wurde daraufhingewiesen, welche wesentliche Bedeutung die Nenn-Funktion von Dichtung für das Denken beider Autoren besitzt. Aus diesem Präzept ist die dionysische Vorstellung des Dichters als Mittler zwischen Überwelt und Welt abgeleitet. Das durch Dichtung erfahrbare "savoir extatique" zielt auf eine übersinnliche Wahrheit hin. Die Überwindung der diskursiven Philosophie vollzieht sich durch die Inanspruchnahme der Seherfähigkeit des Dichters durch den Philosophen. Anders als Heidegger hat Maria Zambrano darauf verzichtet, ihre Weltinterpretation auf das Werk eines bestimmten Dichters zu begründen. Heideggers ideologisch verklärte Hölderlindeutung im Sinne eines 'deutschen Schicksals' zeigt die Absurdität und Kurzsichtigkeit eines solchen Verfahrens.277 Daß die Philosophie Spaniens in ihren literarischen Werken zu suchen sei, war bereits für die Generation von 1898 ein Topos. Ob Cervantes' Don Quijote, Calderón de la Barcas La vida es sueño oder Galdós' Misericordia, Dichtung und Literatur waren fur diese und die nachfolgende Generation ein fortwährender Anreiz zur Meditation. Wie bereits hervorgehoben wurde, ersetzten Maria Zambrano und Heidegger - je nach Begabung - den philosophischen Diskurs durch eine lyrische Sprache bzw. einen sich erhaben gebärdenden Jargon.278 Maria Zambranos dichterische aperçus wurden 1977 in Claros del bosque veröffentlicht. Aber die Autorin begann, wie oben erwähnt, schon in den vierziger Jahren, kurze kryptische Texte zur Metaphysik zu verfassen.279 Es ist anzunehmen, daß die spanische Philosophin zu diesem Zeitpunkt noch keine breite Leserschaft fur die im später prämierten Stil verfaßten Texte fand. Der Titel ihres Buches stellt einen direkten Bezug zu Heideggers 1950 erschienener Essaysammlung Holzwege her. Dieser betrifft nicht einzelne Aussagen Heideggers, sondern entspricht einem Echo auf den im Epigraph zu Wort gebrachten Geist seines Werkes. Zu den 'Waldlichtungen' fuhren nämlich die "Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören" : EL CLARO del bosque es un centro en el que no siempre es posible entrar; (...) Algún pájaro avisa y llama a ir hasta donde vaya marcando su voz. Y se la obedece; luego no se encuentra nada, nada que no sea un lugar intacto que parece haberse abierto en ese solo instante y que nunca más se dará así. (Cl. 11)
277
Im 1963 geschriebenen "Vorwort zur Lesung von Hölderlins Gedichten" schreibt er: "Hölderlins Dichtung ist für uns ein Schicksal. Es wartet darauf daß die Sterblichen ihm entsprechen. ". Vgl. Werke. Gesamtausgabe. Frankfurt a. M. 1981. Bd.4. S. 195. 278 Vgl. Adorno, Th. W. "Jargon der Eigentlichkeit - Zur deutschen Ideologie". Gesammelte Schriften. Bd. 6. Ffm. 1973. S. 413-526. 279 Vgl. Unterkapitel 2.4 Bibliographische Spuren im Exil; und 5.3 Vorspiel zur "unerklärlichen Hingabe".
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Schon diese wenigen Worte machen ersichtlich, daß die 'Waldlichtung' keinen Ort meint, sondern ein 'Ereignis'. So lautet auch die Zweitüberschrift von Heideggers damals noch unbekannten und erst postum erschienenen Beiträge zur Philosophie. Eine vergleichbare Schreibweise, wie wir sie in Claros del bosque finden, hat Heidegger bewußt der Veröffentlichung nach seinem Tode vorbehalten. Seine Mitte der dreißiger Jahren verfaßten Beiträge zur Philosophie - Vom Ereignis wurden erst 1989 zum Jubiläumsjahr des 100. Geburtstages des Denkers herausgegeben. Die Vorwegnahme des philosophisch-poetischen Diskurses durch die zeitlich frühere Veröffentlichung von Maria Zambrano ist keine Frage der Stilpräferenz. Für beide Philosophen ist dichterische Sprache das Merkmal eines qualitativ neuen Denkens. Maria Zambrano hat Heideggers Werk gekannt, aber sie ist ihm durch die Poetisierung des eigenen Diskurses in gewisser Weise vorausgeeilt. Damit einhergehend hat sie, im ausgeprägten Bewußtsein ihres christlichen Erbes, die Richtung ihres Denkens als philosophische Theologie frühzeitig zu erkennen gegeben. Während Heidegger in einer zweifelhaften Abgrenzung mit der Metaphysik haderte, ist die Philosophin "den entflohenen Göttern" schon nachgegangen.280
8.4 Genieästhetik und 'Übermensch' Die Vorstellung, daß in der Kunst die verschlüsselten Zeichen einer höheren Wahrheit liegen, geht einher mit einer Unterscheidung zwischen Eingeweihten und Unverständigen. Der Interpret, in diesem Fall die Philosophin, kommt innerhalb dieser Hierarchie gleich nach dem Künstler. Nach und nach nimmt sie die ihm zugewiesene Zwischenstellung zwischen Gott und Menschen selbst ein. Maria Zambranos Synthese von Denken und Fühlen will dennoch, so wie Religion, jedem Menschen zugänglich sein. Der Dichter, die paradigmatische Figur des neuen Denkens, suche nicht nach sich selbst, schreibt sie, "sino a todos y cada uno" (FyP 198). Mit der Übertragung der Metaphysik auf die Dichtung vollzieht sich eine Loslösung vom Katholizismus. Der Autorin, deren mangelnde Skepsis ich kritisiert habe, muß zugestanden werden, daß dieser Schritt selbst einen Zweifel an der Möglichkeit von Theologie bedeutet. Es ist die Hinnahme der Wirkungslosigkeit der orthodoxen Kirchenlehre, die sie dazu bewegte, "das Wort zu suchen, das imstande sei, zum Glauben zu rufen und im Glauben zu bewahren", wie Hans-Georg Gadamer über das Werk ihres deutschen Pendants bemerkte.281 Die Abstraktheit und Ambivalenz dieses philosophisch-ästhetischen Zwitters, welches durch das Hineintragen von Kunstfremdem in die Kunst entsteht, erlauben eine beliebige ideologische Besetzung seiner Konzepte. Unter anderem macht Maria Zambranos von Selbstreflexion unabhängiger Wahrheitsbegriff die Kunstphilosophie 280 281
Heidegger, M. "Hölderlin und das Wesen der Dichtung". Op. cit. S. 47. Gadamer, H.-G. "Martin Heidegger und die Marburger Theologie". Heidegger. Perspektiven Deutung seines Werkes. Hg. Otto Pögeler. Köln/Berlin 1969. S. 169-178. S. 169.
zur
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auch filr eine Elitetheorie nutzbar, welche die Kunstrezeption als Kriterium der sozialen Auslese versteht. Ortega y Gasset, in dessen geistige Nähe Maria Zambrano vor allem aus Gründen der Traditionspflege gebracht wird, stand dem Katholizismus sehr kritisch gegenüber. Die von ihm verbreitete kunstphilosophische Anschauung ist weldich und von Nietzsches Begriff des 'Übermenschen' geprägt. In La deshumanización del arte (1925) erklärte er die Avantgarde-Kunst des frühen 20. Jahrhunderts zum Instrument einer neuen Gesellschaftsordnung. Auf dieser Weise, hoffte er, würde der, wie er schreibt, seit hundertfunfzig Jahren um sich greifende Egalitarismus beendet. Die Rezeption abstrakter Kunst ermögliche eine Trennung zwischen 'Geisteselite' und "Massenmensch': Todo el malestar de Europa vendrá a desembocar y curarse en esta nueva y salvadora escisión. La unidad indiferenciada, caótica, informe, sin arquitectura anatómica, sin disciplina regente en que se ha vivido por espacio de ciento cincuenta años no puede continuar. Bajo toda la vida contemporánea late una injusticia profunda e irritante: el falso supuesto de la igualdad real entre los hombres.2*2 Europa ist in Ortegas Sicht an der französischen Revolution und den in ihrer Losung "Liberté, Egalité, Fraternité" verkörperten Forderungen erkrankt. Gegen die Klassifizierung seines Werkes als Ausdruck einer Elitetheorie wird gern der Einwand erhoben, Ortegas minoría sei klassenübergreifend gedacht. Dies erscheint mir jedoch als eine wiederholte verschleierte Einladung dazu, sich mit der Unterscheidung zwischen 'Über-' und 'Untermenschen' anzufreunden. Das zweifelhaft angewandte Attribut Tdassenübergreifend' soll die Übertragung der politischen Macht auf eine erlesene Minderheit rechtfertigen. Die politischen Implikationen der dichterischen Vernunft stehen nicht in gleicher Weise im Vordergrund. Leicht könnte man dazu verleitet werden, Maria Zambrano den Vorwurf zu machen, die razón poética sei geradezu weltentrückt und predige die Flucht in die Innerlichkeit. Aber auch ihre Weltanschauung kennt Begnadete und Unbegnadete, ein Prinzip, das sich in ihrem überhöhten Bild des Okzidents fortsetzt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen ihrer Weltsicht und der des Autors von La rebelión de las masas bleibt dennoch. Maria Zambranos Verständnis der Geschichte als Heilsgeschichte verbreitet keine apokalyptische, gewaltverherrlichende Vision einer nahenden neuen Ordnung. Nach 1939 scheint sie in ihrem Schreiben konkrete politische Problemstellungen auszuklammern. Dem Streben der Menschheit nach Gerechtigkeit, selbst dem Versuch, in Spanien eine Republik zu gründen, kommt retrospektiv eine temporalisierende Dimension zu, in der Schicksalshaftigkeit und Passivität Korrelate bilden. Sie nimmt eine fatalistische, aufopfernde Haltung an, die keine historischen Kontrahenten mehr kennt. "España del fracaso" heißt es 1989 in ihrer an das Königspaar gerichteten Rede anläßlich der Verleihung des Premio Cervantes, "La que 282
Ortega y Gasset, J. La deshumanización del arte. Madrid 1987. Alianza. 6. Auf. S. 15.
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forzosamente tuvo que fracasar, porque había ido más allá de su época, más allá de los tiempos".283 Auch der gesellschaftliche Konflikt, den die Autorin in ihrem Buch Persona y democracia "el enigma de lo social" nennt, wird befriedet durch den Gedanken, "cada hombre habita una zona del tiempo en el que convive propiamente con los demás que en él viven" (PyD 17). In dieser konzilianten Sicht kommt ihre Übernahme von Henri Bergsons Zeitbegriff zum Ausdruck - eine Seinsform, in welcher der Mensch sich seines geistigen, lebendigen, der toten Materie gegensätzlichen Wesen habhaft werden soll. Trotz aller esoterischen Unberührbarkeit trägt ihr philosophisches Werk Merkmale eines reaktionären Diskurses: Denn die Opferung des Seins an das Schicksal negiert seine Gestaltbarkeit. Und die Forderung nach einer ethischen Geschichte ist abwegig, wo die Verantwortlichkeit des Individuums in seiner "Berufung' aufgehoben wird.
8.5 Die Verwünschung einer entzauberten Welt Die Vernunftkritik der Autorin, ihre Polemik gegen "la conciencia - terrible devoradora de realidades"284, die Bedeutung, die sie der inneren Stimme zumißt, all dies, zusammen mit der Abqualifizierung von Wissenschaftlichkeit sind Kennzeichen einer romantischen Weltdeutung. Die Erhebung von Kunst zum Kult, sowohl zum Kultgegenstand als auch zum Medium der Welttranszendenz, hat bei Maria Zambrano ihre Wurzel in einer Interpretation des Prometheusmythos. Im Unterschied zu Schleiermachers Anklage gegen das Postulat prometheischer Weisheit, deutet sie die Sage im Sinne einer Berufung des Dichters durch die Götter und setzt eine entsprechende - wenn auch unbewußte - Kunstanschauung des Dichters voraus (TA Pr 25). Aus dieser Haltung heraus kritisiert sie Paul Valéry, der in Abgrenzung zu den poètes maudits Kunst und Dichtung als Ausdruck des Menschen und nicht als Schöpfung eines übergeordneten Genies versteht. "Qui dit exactitude et style invoque le contraire du songe" zitiert sie ihn und wertet seine poésie pure als Zeichen der Selbstgefälligkeit und fortschreitenden seelischen Verarmung des modernen Menschen (FyP 183). Dagegen weist die Einheit von Traum und Dichtung in der Romantik fur sie auf ein noch nicht erloschenes Bewußtsein vom Absoluten hin. In dem Maße aber, wie der Mensch selbstgenügsam werde, erliege er den "mares de nada" und der "angustia". Ihre Kunsttheorie wird von der Prätention geleitet, der "lenguaje sagrado" der Dichtung sei vom Bezug zur diesseitigen 'Schattenwelt' befreit. Der in der Dichtung angezeigte Weg hin zur übersinnlichen Wirklichkeit verlangt wie die Mystik eine agnostizistische Haltung. Für Maria Zambrano ist der künstlerische Schöpfungsakt "delirio" und folgt allein der Eingebung, durch welche der Poet zum Botschafter einer metaphysischen Ordnung wird: 283
284
"Discurso de Maria Zambrano en la entrega del Premio Cervantes 1988". Maria Zambrano. Ambitos literarios. Premio Cervantes. Hg. Ministerio de la Cultura. Barcelona 1989. S. 54. Zambrano, M. "Nostalgia de la tierra". Op. cit. S. 233.
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El filósofo quiere poseer la palabra, convertirse en su dueño. El poeta es un esclavo; se consagra y se consume en ella por entero. Fuera de la palabra, él no existe, ni quiere existir. Quiere, quiere delirar, porque en el delirio la palabra brota en toda su pureza originaria (...) Por eso el poeta no toma ninguna decisión, por eso también es irresponsable (...) el poeta, en verdad, no es responsable, no sabe lo que dice. (FyP 145) Und dies gilt, folgt man der Autorin, für alle Dichter. Unbeirrt hält sie an ihrem Prinzip fest, jede ästhetische Haltung im Sinne eines Gottesbeweises umzudeuten. Paul Valérys bewußter Umgang mit Sprache sei lediglich das Geständnis eines über Jahrhunderte gehüteten Geheimnisses, dessen Inhalt darin besteht, daß auch der göttlich inspirierte Traum des Dichters "trabajo" beanspruche. Mit diesem Kunstgriff wird auch der Vorläufer der Symbolisten, Baudelaire, im Sinne ihrer These gewonnen: Esta ética poética no es otra que la del martirio. Todo poeta es mártir de la poesía; se entrega a ella sin reservarse ningún ser para sí, y asiste cada vez con mayor lucidez a esta entrega. Y tan Intima es su convivencia con las fuerzas divinas que engendran el delirio, que ha llegado con Baudelaire a convertirla "inspiración"en trabajo. (FyP 146) Die Sakralisierung der Kunst, wie Jean-Marie Schaeffer in seinem bereits zitierten Buch anfuhrt, prägt seit etwa zweihundert Jahren das ästhetische Verständnis des Abendlandes.285 Die spekulative Kunsttheorie habe sich in gegenseitiger Beeinflussung von Kunst und Philosophie entwickelt. Er deutet diesen Prozeß einerseits als Auswirkung des Legitimationsversuchs der Kunst, nachdem diese ihre traditionelle Funktion - religiöser, didaktischer oder ethischer Art - verloren habe. Andererseits habe die Kunst fur die Philosophie in dem Maße an Bedeutung gewonnen, wie die rationale Theodizeen nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen seien. Rimbauds Vorstellung der visionären Kraft des Dichters, seine emphatischen Worte aus dem berühmt gewordenen Brief an Paul Demeny, die in Maria Zambranos Manifest "¿Por que se escribe? noch anklingen, wären demnach Ausruck einer notgedrungenen Annäherung zwischen Kunst und Philosophie: Je dis qu'il faut être voyant, se faire voyant. Le Poète se fait voyant par un long, immense et raisonné dérèglement de tous les sens. Toutes les formes d'amour, de souffrance, de folie; il cherche lui-même, il épuise en lui tous les poisons, pour n'en garder que les quintessences. Ineffable torture où il a besoin de toute la foi, de toute la force surhumaine, où il devient entre tous le grand malade, le grand criminel, le grand maudit - et le suprême Savant! Car il arrive á l'inconnu! (...) Je reprends: Donc le poète est vraiment voleur de feu. Il est chargé de l'humanité, des animaux même; il devra faire sentir, palper, écouter ses
285
Schaeffer, J.-M. L'art de l'âge moderne. Op. cit. S. 22 f.
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inventions; si ce qu'il rapporte de lá-bas a forme, il donne forme; si c'est informe, il donne de ¡'informe (...)2S6 Ein gemeinsames Merkmal aller Varianten der spekulativen Kunsttheorie ist die Übertragung eines privilegierten Zugangs zum Authentischen und Wahren auf den Dichter. Das Hinausfuhren auf Metaphysik beginnt bei religiösen Dichtern wie Novalis und Rimbaud und bei Vertretern des Nihilismus wie Nietzsche und Heidegger mit dem Verzicht darauf, das 'ahnende Sagen' des Dichters auszuweisen. Dichtung gilt ihnen als hermeneutisches Instrument. Als bevorzugter Ort inspirierter Erkenntnis soll von ihr ausgehend das intuitive Herantasten des 'neuen' Denkens erfahren werden. Die Wahl der Dichtung als vermeintlicher Urgrund des Seins' bedeutet nicht zuletzt eine Verabsolutierung der Sprache. Die Sprache soll, im Zuge des Ablösungsprozesses aus der profanen Wirklichkeit, aus ihrem geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext herausgelöst werden. Auf diese Weise soll sie die der Existenz unterliegende geheimnisvolle Gesetzmäßigkeit preisgeben. 'Logos' ist im christlichen Sinne als menschgewordene göttliche Vorsehung zu verstehen, als "contradicción impensable de ser a la vez y con igual plenitud divino y humano" (FyP 117). Zugleich ist Logos als Sprache zum Verbindungselement zwischen Göttlichem und Menschlichem bestimmt. Das Göttliche existiert jenseits der menschlichen Lebensphäre, doch der Mensch kann durch Empfangen des Wortes an ihm partizipieren. Die angenommene entstehungsgeschichtliche Präzedenz des Wortes vor dem Seienden determiniert den Menschen als Schöpfimg eines übernatürlichen Wesens. Der Idealismus der sprachzentrierten Kunstphilosophie beruht nicht immer, wie bei Maria Zambrano, auf einer Ablehnung der Evolutionstheorie. Es ist unter anderem auch die Tatsache, daß sich der Mensch durch Sprache auszeichnet, die dazu verleitet, das Sein allein durch Sprache wahrnehmen zu wollen. Diese Tendenz fuhrt zur Hypostasierung der Sprache, wie es die folgenden beiden Zitate aus Heideggers Werk ersichtlich machen: Die Sprache ist Monolog. Dies sagt jetzt ein Zweifaches: Die Sprache allein ist es, die eigentlich spricht.287 Die Sprache als die Sprache zur Sprache bringen.288 Diese Verselbständigung der Sprache kehrt das Verhältnis zwischen Sein und Bewußtsein um. Die Sprache, die Ausdruck des Bewußtseins ist, wird ihrem Primat übergeordnet. Und der Kontext - Tätigkeit, Geschichtlichkeit, Gesellschaftlichkeit, also das konkrete Sein - in dessen Zusammenhang Bewußtsein und Sprache entstehen, wird aus der Perspektive dieser Umkehrung heraus interpretiert. 286
Rimbaud. A. Correspondance. Rimbaud à Paul Demeny - Charleville, 15 mai 1871. Oeuvres complètes. Paris 1972. S. 251 f. 287 Heidegger, M. "Der Weg zur Sprache". Unterwegs zur Sprache. Pfullingen 1959. S. 265. ™Ibid. S. 242.
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Die ursprüngliche sakrale Bestimmung von Kunst, auf welche Maria Zambrano sich beruft, betrifft die Malerei der Ur- und Frühgeschichte. Ihre Wahl des poetischen Kunstwerks als Organ eines qualitativen, neuen Denkens begründet Maria Zambrano durch die Wirkung von Dichtung. Das dichterische Kunstgebilde inspiriere wie die bildende Kunst zur Kontemplation und zum Nachsinnen über den "tiempo-espacio perdido". Die moderne abendländische Gesellschaft habe es aber verlernt, schreibt sie, die bildende Kunst in dieser Einheit von Zeit und Raum zu betrachten. Ihr würde lediglich eine räumliche Bedeutung beigemessen.289 Maria Zambranos Auseinandersetzung mit der unterschiedlichen Wirkung von Dichtung und Malerei erschöpft sich in Filosofía y poesía in diesen wenigen Äußerungen.290 Auch geht es der Autorin hier nicht um die Kunst als solche, sondern um Kunst als hermeneutisches Instrument der Philosophie. Wichtiger als alle kunsttheoretische Überlegungung ist für sie daher die Affirmation der mystischen Kraft der "palabra-acción". Die Wirkung dieser beruhe auf der Fähigkeit, das Urgedächtnis zu wecken. Das dichterische Sagen sei eine Reminiszenz an den verlorenen Garten Eden und ein Zeugnis der immerwährenden Sehnsucht des Menschen nach Gott: Pues que el hombre moderno, tan poco dado a la reflexión, se llegó a habituar sin más a situar su historia trascendente en la historia individual la historia que le hace individuo -, y esta, a su vez, dentro de lo meramente psicológico, en una psicología independizada, confinada en sí misma, donde todo proceso creador resulta extraño, advenedizo y aun anómalo. Mas algunos poetas lúcidos , entre ellos Rimbaud no parecen haberse confiado al engaño de lo meramente psicológico. Han sabido que la nostalgia que los devoraba no se refería tan solo a su infancia, sino a un tiempo anterior a todo tiempo determinable. Y saben lo que más cuenta, que su pasión de la palabra es por devolverle su perdida inocencia, con la cual la suya propia sería recobrada; en verdad, obtenida. Creyentes en la inmaculada concepción de la palabra, de la palabra inocente - Hölderlin - de pureza activa en que la pasividad se consume y el espíritu - nous poieticos - se consuma, la palabra en el orden de la creación, don o huella al menos de la única criatura inviolada, del fíat por ella pronunciado tras de haber respondido: Ecce ancilla. (A 228) Das Kunstwerk erscheint hier nicht allein als Analogie des Übersinnlichen, sondern als Zeugnis eines Läuterungsprozesses, durch welchen der Dichter letztlich auch von der Erbsünde erlöst wird. Diese Passage ist exemplarisch für die Überfrachtung von Kunst mit fremden Inhalten. Über die christliche Mystifizierung der Kunst hinaus sind auch die Spitzen der Autorin gegen die Psychoanalyse vom Gegenstand her gänzlich unmotiviert. Gerade der Bezug auf einen Dichter des späten 19. Jahrhunderts fuhrt ihre Sorge um einen Einfluß der Psychoanalyse auf die Kunst ad absurdum. Rimbauds 289 290
Vgl. Zambrano, M. "Apuntes sobre el lenguaje sagrado y las artes". OR 221. Eine Sammlung ihrer Essays über die Malerei veröffentlichte Maria Zambrano in: Algunos de la pintura. Madrid 1989.
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"lucidez" beruht bestenfalls darauf, daß die Lehre Freuds erst nach dem Tod des Dichters an Bedeutung gewann. Weshalb Maria Zambrano die Dichtung zur Metaphysik erhebt, wird, sofern man ihren mystifizierenden Drang nicht teilt, anhand ihrer Kunstauslegung selbst nicht nachvollziehbar. Erst als "Bedürfnis nach einem Äquivalent für die vereinigende Macht der Religion", wie Jürgen Habermas schreibt, kann die aktuelle Bedeutung so zahlreicher Anachronismen nachvollzogen werden.291 Der vergleichbare Stellenwert der Dichtung in María Zambranos razón poética und Heideggers Fundamentalontologie beruht auf der - je nach Sprachgebrauch - Faszination des Unsagbaren', 'Erhabenen' oder 'Unbegangenen' sowie der Vorstellung, dieses Enigma in der Dichtung zu erleben. Dichtung wird in der Philosophie zur Stellvertreterin des Glaubensmysteriums. Sie soll Organ einer Glauben und Vernunft vereinenden Anschauung, Ort religiöser Erhebung und göttlicher Offenbarung sein. Die Geistesverwandtschaft zwischen beiden Denkern wird durch das folgende Zitat erneut deutlich: (...) indem Hölderlin das Wesen der Dichtung neu stiftet, bestimmt er erst eine neue Zeit. Es ist die Zeit der entflohenen Götter und des kommenden Gottes. Das ist die dürftige Zeit, weil sie in einem gedoppelten Mangel und Nicht steht: im Nichtmehr der entflohenen Götter und im Nochnicht des Kommenden. 292 Ob aus einer christlich-mystischen oder einer vorgegebenen metaphysikkritischen Konzeption her, Dichtung wird zu einem eschatologisch geprägten, sinnerschließenden Weltentwurf. Beide Philosophen haben die subjektzentrierte Vemunfterkenntnis, sei sie geschichtlicher oder naturwissenschaftlicher Art, aus ihrem Ansatz ausgeschlossen. Wenn Dichtung eine der Vernunft überlegene Erlebniswahrheit darstellen und einen neuen welterschließenden Ansatz liefern soll, lohnt es sich, ihrem 'Geheimnis' nachzugehen.
8.6 Die Kunst und der Glaube Meine kritische Betrachtung der Philosophie des ästhetischen Schauens Maria Zambranos weist ihr einen nicht unbedeutenden Rang innerhalb der lebensphilosophischen Vernunftkritik zu. Ich habe im Vorangegangenen die Parallelen zwischen ihrem und Heideggers Ansatz, die Dichtung als Hermeneutik einer metaphysischen Wahrheit zu betrachten, hervorgehoben. Wie bereits ausgeführt, darf Maria Zambrano als die spanische Mit- und Gegenspielerin des namhaften deutschen Denkers angesehen werden. Weil ich mit dem Begriff Metaphysik eine Tradition aufzeige, mit welcher Heidegger und seine Nachfolger sich selbst nicht identifizieren "'Habermas, J. "Die metaphysikkritische Unterwanderung des okzidentalen Heidegger". Op. cit. S. 166. 292 Heidegger, M. "Hölderlin und das Wesen der Dichtung". Op. cit. S. 45.
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würden, erscheint es sinnvoll, diesen Begriff noch einmal zu präzisieren. Dies tue ich in Anlehnung an Wilhelm Weischedels Werk Der Gott der Philosophen, in dem er auf die klassische Definition von Metaphysik zurückgreift: Danach wäre das Entscheidende im Wesen der Metaphysik, daß in ihr das Gegebene, die Wirklichkeit, von einem Punkte her gesehen wird, der nicht unmittelbar in dieser Wirklichkeit selber aufzufinden ist.29i Mit ihrer Ablehnung der Vernunft und ihrer Kritik an jedem systemhaften, methodischen Denken haben sich die Apologeten des ästhetischen Denkens selbst das Instrumentarium entzogen, mit dem Descartes und zuletzt Hegel bemüht waren, durch rationale Argumentation eine metaphysische Weltanschauung zu begründen. Weniger die Dichtung als die Poetisierung des philosophischen Diskurses erfüllt im Denken von Maria Zambrano und Heidegger die Funktion der Wiederbelebung von Metaphysik in einem von Aufklärung und Wissenschaft geprägten Zeitalter. Eine rational begründete Metaphysik würde in unserer Gegenwart dem Druck der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht standhalten. Der Rückgriff auf Dichtung als unmittelbare Wahrnehmungsweise und zugleich suggestiv wirkender Diskursivitäts-Ersatz ist ein Kunstgriff, der notwendig geworden ist, um auf Höheres hinzuweisen, ohne es auszuweisen. Das 'Unsagbare', das ursprünglich die mystische Erfahrung qualifizierte, ist heute zum Markenzeichen ästhetischen Denkens geworden. So schreibt zum Beispiel Wolfgang Welsch über das ästhetisches Denken: Es erkennt der Wahrnehmung vielmehr originäre Wahrheit zu. Dafür ist es im Gegenzug dann auch bereit, letztlich den Preis der Nicht-Kommunizierbarkeit zu entrichten (...) Ästhetisches Denken hat wesentlich ästhetische Überzeugungs- und Evidenz-Bedingungen,294 Für den Autor dieser Sätze ist die für die Erfahrung "originärer Wahrheit" zu leistende Konzession die der Nicht-Kommunzierbarkeit. Aber, wenn dieses Unvermittelbare die Wahrheit enthalten soll, dann ist diese Wahrheit auch der entrichtete Preis. Es bleibt nur noch die Behauptung ihrer Wahrnehmung. Der Umstand, daß Kunst im allgemeinen als sinnerschließendes Medium bei den Philosophen so en Vogue gekommen ist, basiert auf einem weitverbreiteten Kunstverständnis, das dem Künstler eine Zwitterstellung zwischen dem Profanen und dem Sakralen einräumt. Die Moderne hatte gehofft, die Welt bis ins letzte Detail erklären zu können. Aber die Postmoderne rennt ihr - scheinbar leichten Fußes - mit einem ganzen Kunstschatz davon. Die Stimmen der ästhetischen Denker übertönen die ihrer Kritiker wie Löwith oder Habermas, um nur einige zu nennen. Doch auch wenn der Ausgang dieser Auseinandersetzung bereits entschieden zu sein scheint, so liegt dies wohl eher an dem Ausmaß der Krise des rationalistischen Weltbildes als an den Errungeschaften des ästhetischen Denkens.
293
Weischedel, W. "Die seinsgeschichtliche Überwindung der Philosophischen Theologie bei Heidegger". Op. cit. S. 476. 294 Welsch, W. "Zur Aktualität ästhetischen Denkens". Ästhetisches Denken. Stuttgart 1993. S. 56.
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Wenn man tatsächlich die sinnerschließende Eigenschaft der Kunst ernst nimmt, kommt man, denke ich, nicht umhin, nach dem Verhältnis von Künstler und Kunstwerk zu fragen, welches die Anhänger und Kritiker der philosophischen Ästhetik vermitteln. Dabei kann nicht grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen einer idealistischen und materialistischen Deutung dieses Verhältnisses getroffen werden. Wohl aber läßt sich, wie ich im folgenden darlegen möchte, bei den Kritikern der Sakralisierung der Kunst ein Kunstverständnis materialistischer Tendenz herausarbeiten. Dieses unterscheidet sich von dem der spekulativen Kunsttheorie durch ein Festhalten am Menschen als Ursprung des Kunstwerkes. Er selbst - und nicht ein höheres Wesen - bleibt, wie sublim sein Werk auch sein mag, das kunstschaffende Subjekt. Das Kunstverständnis idealistischer Prägung beinhaltet dagegen die Annahme einer göttlichen oder überweltlichen Eingebung. Eine deuüiche Tendenz zur Metaphysik weist auch jener kunstphilosophische Ansatz auf, der das Kunstwerk völlig losgelöst von allen individuellen, zeitlichen und örtlichen Qualitäten betrachtet und aus diesem zum Abstraktum erhobenen Zeichen das Echo einer TJrsprungswahrheit' wiederhallen lassen will. Die Frage nach dem Verhältnis von Künstler und Kunstwerk mündet in die Frage nach dem jeweiligen Menschenbild ein. Ist die ästhetische Kreation ein entzweiendes Element, das die Erlesenheit einiger weniger begründet, oder äußert sich in ihr das Geheimnis des Menschen schlechthin? Die Betrachtung von Kunst als Berührungspunkt mit dem Übersinnlichen sowie ihre Hypostasierung überhöhen und diskreditieren zugleich die Sinnlichkeit, welche sich gerade im Menschen gegen die vollkommene Beherrschbarkeit der Natur - und auch seiner Natur - sträubt. Blickt man zurück auf die Anfange der romantischen Kunstphilosophie am Ende des 18. Jahrhunderts, wird man feststellen, daß der Dichter, wie Novalis ihn darstellte, selbst ein Objekt ist, durch das sich ein überweltliches Wesen kundtut: Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizism gemein. Er ist der Sinn für das Eigenthümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnißvolle, zu Offenbarende, das Nothwendigzufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare (...) Der Dichter ist wahrhaft sinnberaubt - dafür kommt alles in ihm vor. Er stellt im eigentlichsten Sinn Subject Object vor - Gemüth und Welt (...) Der Sinn für Poesie hat nahe Verwandtschaft mit dem Sinn der Weissagung und dem religiösen, dem Sehersinn überhaupt. Der Dichter ordnet, vereinigt, wählt, erfindet - und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum gerade so und nicht anders,295 Der Poet ist nach dieser Behauptung nur insoweit ein Subjekt, als er sich einem von ihm selbst nicht lenkbaren Wahrnehmungsstrom hingibt. Daß es sich um eine Strategie handelt, die kraft des Emphatischen überzeugen will, wird deutlich, wenn Novalis weiter ausfuhrt, die Welt müsse romantisiert werden, um ihren "ursprünglichen Sinn" wiederzufinden. Wenn aber die Welt nicht romantisch ist, sondern ihr ein romantischer 295
Novalis. Schriften. Das Philosophische
Werk. Bd. 2. Berlin, Stuttgart/Köln/Mainz 1981. S. 685 f.
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Anblick übergestülpt werden soll - "dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten" -, bedeutet dies nichts anderes als die bewußte, poetische Verfremdung einer entzauberten Welt.296 Jean-Marie Schaeffer hat die Fortsetzung dieser Verfremdung als Ansatz der spekulativen Kunsttheorie bis in die Gegenwart hervorgehoben: Toute sacralisation d'une réalité profane implique son travestissement. La sacralisation de l'Art n'échappe pas à la règle. Elle travestit la part de vie prosaïque à laquelle les arts, eux non plus, ne sauraient s'échapper, ne serait-ce que dans leurs liens avec le monde de l'argent, le clientélisme, l'esprit de chapelle, et autres réalités qui ne sont que trop humaines.291 In den Kunsttheorien materialistischer Tendenz behält dagegen das künstlerische Subjekt alle 'Rechte' an dem von ihm geschaffenen Werk. Es gibt keinen über ihm stehenden Geist oder Genie, das seine Handlung leitet. Die Kunst ist in diesem Sinne jedoch nicht auf ein simples Zusammenwirken bestimmter Elemente zurückzufuhren. Ihre Entstehung und Wirkung bleibt trotz aller Annäherungsversuche letztendlich verschlüsselt. Das Kunstwerk weist so zurück auf die schöpferische Qualität des Menschen. Die Anerkennung der Kunst als Wesensattribut des Menschen würdigt den Künstler und nicht einen übergeordneten Geist. Diese beiden in der Tradition der aristotelischen Poetik und der Scholastik stehenden Ästhetiktheorien konkurrieren seit dem Mittelalter in immer neuen Gewänden gegeneinander. Von Aristoteles ausgehend, bildet gerade die objektive Realität die Grundlage der künstlerischen Vorstellungen und Empfindungen. Die Kunst ahmt nicht nur das Geschehene nach, sondern entwirft auch das Mögliche. Das Phantastische ist also mit der künstlerischen Wahrheit vereinbar. Aristoteles' Gedanke, daß der Mensch Schöpfer des Kunstwerks und die Wirklichkeit Ursprung seiner Inspiration ist, findet man bei Dante, der europäischen Aufklärung, der Sturm- und Drangbewegung und einem Teil der Romantik wieder. Schon Goethe erkannte mit Unwillen, daß die nachfolgende Dichtergeneration geradezu einem lyrischen Rausch verfiel, und warnte sie, daß die Muse wohl zu begleiten, aber nicht zu leiten verstehe.298 Die religiös geprägte Kunst-Metaphysik sah in aller Kunst einen Ausdruck göttlicher Offenbarung. Es ist diese Tradition, die eine Fortsetzung im poetischen Traum und im Geniebegriff der Romantik und des französischen Symbolismus findet. Allesamt weichen sie den komplexen Ursachen fur die Entstehung und Wirkung des Kunstwerkes aus. Die Flucht in das Vage, das nicht näher Bestimmbare mag Verlegenheit vor der Größe von Kunst ausdrücken. Aber die Reduktion der Kunst auf 296
Ibid., Bd. I. S. 545. Schaeffer, J.-M. L'art de l'äge moderne. Op. cit. S. 22 f. 298 Goethe, J.W. v. "Für junge Dichter - Wohlgemeinte Erwiderung". Gesammelte zur Literatur. Bd. 12. München 1973. S. 359. 297
Werke. Schriften
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das Göttliche, das Genie oder das Unbewußte lenkt vom Menschen und seinem Können ab. Negiert wird die Individualität des Künstlers ebenso wie die spannungsvolle Einheit von Einmaligkeit und Universalität des Kunstwerks. Übrig bleibt die Anziehungskraft der Kunst, deren Unergründlichkeit zum Statthalter einer sich nicht offenbarenden metaphysischen Wahrheit wird. Paul Valéry, der als poète sublime gegenüber der spekulativen Kunsttheorie die Stellung eines Ikonoklasten einnimmt, sieht in der Figur Leonardo da Vincis den Prototyp des künstlerisch tätigen Menschen. Er vergleicht die Genese des Kunstwerkes mit dem sinnlichen und geistigen Prozeß, den der Maler der Joconda auch in seiner Tätigkeit als Naturforscher und Baumeister vollzog: (...) il suffit d'observer quelqu'un qui se croit seul et s'abandonne; qui recule devant une idée; qui la saisit; qui nie, sourit ou se contracte, et mime l'étrange situation de sa propre diversité. Les fous s'y livrent devant tout le monde299 Seine eigene Dichtung, die anfangs von Rimbaud und Mallarmé inspiriert war, bezeichnet er als eine bewußte, künstliche Modellierung der Sprache. Erwünscht sei die Wirkung, welche jegliche Literatur eines gewissen Alters hervorrufe, d.h. ein Wortschatz und eine Syntax, die dem allgemeinen Sprachgebrauch entfremdet sind. Den Schriftsteller und Dichter nennt er "un agent d'écarts".30° Auf diese Weise schaffe er die Illusion des Machtvollen, der Reinheit oder der Tiefe von Sprache: Pour agir par le langage, il agit sur le langage. Il exerce sur ce donné une action artificielle - c'est-à-dire voulue, reconnaissable (•••).vn Folgt man seinem poetologischen Gedankengang, so sind es gerade diese écarts, die man am ehesten mit dem Ausdruck 'Entrückungen' übersetzt, welche die Vertreter der philosophischen Ästhetik als seinsoffenbarend begreifen. Bei der Poetisierung des philosophischen Diskurses werden solche 'Entrückungen' nachgebildet. So, wie dichterische Sprache die Illusion der Erhabenheit schafft, kann sie auch die Illusion des Übernatürlichen fördern. Paul Valéry schreibt in der Einfuhrung seiner Methodenlehre, ein Kunstwerk solle uns stets zeigen, "que nous n'avions pas vu ce que nous voyons".302 Kunst besitzt fur ihn eine bewußtseinserweiternde Funktion, doch die ästhetische Tätigkeit nimmt denselben Verlauf wie die naturwissenschaftliche Entdeckung. Sie ist ein geistiges Abenteuer von sich überschlagenden Gedankengänge und beruht auf der Zufälligkeit und Einfachheit der genialen Idee. Die Vorstellung, daß die Künste und die 299
Valéry, P. "Théorie poétique et esthétique. Introduction à la méthode de Léonard de Vinci". Variétés. Oeuvres. Bd. 1. Paris 1957. S. 1153-1199. S. 1158. 300 Valéry, P. "Pièces sur l'art. Les droits du poète sur la langue". Oeuvres. Bd. 2. S. 1262-1265. S. 1264. 301 Ibid. 302 Valéry, P. "Introduction à la méthode de Léonard de Vinci". Op. cit. S. 1165.
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Wissenschaften einander entgegengesetzt seien, verschiedenartigen Erscheinung ihrer Ergebnisse.
rühre,
meint
er,
aus
der
Diese These, welche die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Dichtung ausklammert - es geht Valéry um die Kunst, nicht um das Wahre - kann von der spekulativen Kunstphilosophie nicht angenommen werden. Zum einen ist die hier formulierte Erkenntnistheorie subjektzentriert, und der Inspirationsgegenstand, die Zündstelle des kognitiven Prozesses, ist die Welt. Eine sich auf dieser Grundlage entwickelnde Wahrheitstheorie würde unwillkürlich zu einem Konzept der relativen Wahrheit führen. Die philosophische Welttranszendenz dagegen ist auf eine absolute Wahrheit hin ausgerichtet. Sie strebt von dem sinnlich Unvollkommenen zum übersinnlich Vollkommenen hin. Die spekulative Kunsttheorie, die sich als Neuerung und als Überwindung der bisherigen Philosophie begreift, setzt sich das Ziel, die Relativität von Wahrheit zu umgehen. Dichterische Sprache, als Medium einer neuen Erkenntnisform, überkommt 'aus sich selbst heraus' alle Abwegigkeiten früherer Philosophien, weil sie als 'ursprünglich' gesetzt wird. Die Absicht der spekulativen Kunsttheorie, über die Dichtung die Frage nach dem Sein neu zu stellen, muß gezwungenermaßen die Kunst aus ihrem Entstehungskontext lösen und den dialektischen Charakter der Ästhetik übersehen. Denn die erkenntnisbringende Eigenschaft von Kunst, wie sie Valéry beschreibt, ist mit einer singulären Wahrheit unvereinbar. Einen wesentlichen Schritt in der Entmystifizierung des 'Geheimnisses' von Dichtung hat Theodor W. Adorno unternommen, als er im Widerstreit gegen die ontologische Sprachtheorie die Subjektivität des Kunstwerkes als bestimmendes Element seiner Wirkung hervorhob. Die Subjektivität dürfe jedoch nicht auf eine starre Opposition von Individuum und Gesellschaft hinauslaufen, denn das Gesellschaftliche sei im Individuellen enthalten. Die Empfindungen des Dichters, die als seine Subjektivität umschrieben werden, sind nichts absolut Individuelles, sondern subjektiver Ausdruck der allgemeinen Auseinandersetzung von Individuum und Gesellschaft und daher vermittelbar. Was Paul Valéry als écarts bezeichnete, analysiert Adorno als Individuation der Sprache. Sprache sei von ihrem Wesen her gesellschaftlich. Der Dichter rücke durch seine individuelle Komposition die Sprache an die äußerste Grenze der kommunikativen Rede - "à ses risques et périls'™, wie der Verehrer Leonardo da Vincis schrieb. Adorno erklärt, daß es die dichterische Sprachgestalt selbst sei, welche zur Illusion ihrer Selbständigkeit verleite: Die spezifische Paradoxie des lyrischen Gebildes, die in Objektivität umschlagende Subjektivität, ist gebunden an jenen Vorrang der Sprachgestalt in der Lyrik, von dem der Primat der Sprache in der Dichtung überhaupt, bis zur Form von Prosa, herstammt. Denn die Sprache ist selber ein Doppeltes. Sie bildet durch ihre Konfigurationen den subjektiven Regungen gänzlich 303
Valéry, P. "Les droits du poète sur la langue". Op. cit. S. 1264.
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sich ein, ja wenig fehlt, und man könnte denken, sie zeitigte sie überhaupt erst. Aber sie bleibt doch -wiederum das Medium der Begriffe, das was die unabdingbare Beziehung auf Allgemeines und die Gesellschaft herstellt (...) Der Augenblick der Selbstvergessenheit, in dem das Subjekt in der Sprache untertaucht, ist nicht dessen Opfer ans Sein. Er ist keiner der Gewalt, auch nicht der Gewalt gegen das Subjekt, sondern einer von Versöhnung: erst dann redet die Sprache selber, wenn sie nicht länger als ein dem Subjekt Fremdes redet sondern als dessen eigene Stimme. Wo das Ich in der Sprache sich vergißt, ist es doch ganz gegenwärtig; sonst verfiele die Sprache, als geweihtes Abrakadabra, ebenso der Verdinglichung wie in der kommunikativen Rede,304 Die Freiheit von Form und Ausdruck werde ausgelöst durch die Zurückfuhrung der kollektiven Sprache auf eine dem Subjekt eigene. Es ist, als sei uns seine poetische Stimme bekannt, weil sie unserem eigenen poetischen Sinn nicht fremd ist. Was aber dieser Sinn ist, wie er geweckt wird, wie er zu Kunst gedeiht, bleibt weitgehend noch Geheimnis, es sei denn, wir begnügen uns mit der Antwort, das Künstlerische sei menschlich. Diese Feststellung weist zurück auf das Geheimnis des Menschen selbst, auf seine kreative Eigenschaft, die ihn vor allen anderen Wesensmerkmalen auszeichnet. Was auch immer der Mensch erfindet und schafft, er bleibt seiner Kreation voraus, so daß das Geheimnis der Kreativität selbst im Menschlichen aufbewahrt ist. An diese Grenze stößt die Wissenschaft, der es gelungen ist, die Natur - auch die Natur des Menschen - weitgehend künstlich zu formalisieren, nicht aber den schöpferischen Sinn des Menschen. Die Tendenz zahlreicher Philosophen seit der Romantik, die Dichtung als welterschließende Hermeneutik aufzufassen, ist unter anderem auch eine Reaktion auf den Versuch der Wissenschaft, den Menschen mechanisch und technisch zu ersetzen. Die fortschreitende Entwicklung der Naturwissenschaften seit dem 19. Jahrhundert geht einher mit einer Ethik der Vermarktbarkeit, mit dem Prinzip also, das recht sei, was Profit erzielt. Da dieses Prinzip die Orientierung der Wissenschaft dominiert, wurde die aufklärerische Intention des Rationalismus, der die Naturwissenschaften förderte, ad absurdum gefuhrt. Der Mensch ist trotz aller gewonnenen Erkenntnis über die Natur und sich selbst - sich selbst und der Natur entfremdet. Der Rückzug der Philosophie in die Dichtung entspricht einer Weigerung, sich dieser übermächtigen Realität auszuliefern. Schon die Bezugnahme auf Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts - Novalis, Hölderlin, Rimbaud - zeigt den Willen, vom Gegenstand und vom Ansatz her der Vergangenheit zugewandt zu bleiben. Der Dichter als Paradigma einer neuen Anschauung kann, soll und will nichts über die gegenwärtige Welt aussagen. Seine Botschaft soll eine ewiggültige sein. Mit Hilfe der 304
Adorno, Th. W. "Rede über Lyrik und Gesellschaft". Noten zur Literatur. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1958. S. 73-193. S. 85 f.
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Dichtung will Maria Zambrano die Reminiszenz an einen "saber originario", Heidegger "das Wissen um eine alte Weisheit" beleben. Die Ungenauigkeit solcher Kategorien macht sie ideologisch beliebig besetzbar. Sie zeigen einen Mangel an, die Sehnsucht nach einem 'Fehlenden', dem nur zu begegnen sei, wenn die Zukunft nach der Vergangenheit ausgerichtet werde. Bei Maria Zambrano ist die Kunst Symbol des Gartens Eden: Se descubre en el arte (...) la huella de una forma perdida no ya de saber solamente, sino de existencia (...) Testimonio de que el hombre ha gozado alguna vez de un vivir diferente, dentro de un espacio y de un tiempo propios, dentro de un lugar central y no en su alejada periferia, cuando los rayos divergentes no se habían separado aún, donde por tanto los contrarios no enseñoreaban la llamada "realidad", ni las abstracciones la llamada "vidaV os Die spekulative Kunsttheorie, und mit ihr die dichterische Vernunft, befaßt sich nicht mit den konkreten Problemen der Menschheit. Auch behandelt sie nicht im engeren Sinne Dichtung oder Literatur. Die Anlehnung an die Poesie als Hermeneutik einer metaphysischen Bestimmung des Seins ist eine Form von weitabgewandtem Elitarismus. Eine von der übrigen Welt abgesonderte Sphäre wird geschaffen, in der nur der flüchtige Eindruck, das unmittelbare Erlebnis, die Hingabe an den Augenblick als Merkmale des heraklitischen Lebensstromes Geltung finden. Das Improvisierte und das Fragmentarische von Maria Zambranos Werk sind Symptome dieser Dynamik der stets unerfüllten Möglichkeit. Gleichzeitig sind sie Ausdruck eines absoluten Relativismus, der die Wirklichkeit in eine Reihe von substanzlosen, letztlich unbestimmbaren Erscheinungen auflöst. Die Philosophen, die sich mit Rimbauds prophetischem Dichter identifizieren, suchen Zuflucht vor zunehmender Einflußlosigkeit in einer naturwissenschaftlich geprägten Welt. Sie bilden einen cénacle, in dem letztlich die subjektive Stimmung, der Seelenzustand realer wirkt als die äußere Wirklichkeit. Indem sie aber die Kunst zum einzigen Erkenntnismodell deklarieren, bezeugen sie indirekt ihre Hochachtung fur die Kreativität des Menschen. Ihre Würdigung des menschlichen Wesens äußert sich durch ihre Überzeichnung der hermeneutischen Eigenschaft von Kunst. Man kann behaupten, sie hätten sich, indem sie sich von der Wirklichkeit abwandten, dem zugewandt, was in der Welt gegenwärtig verkannt und bedroht ist. Daß dieser Reflex unbewußt ist, zeigt sich an ihrer Mystifizierung der Kunst als empfangene Gabe oder als abstraktes Phänomen. Diese Mystifizierung ist selbst aber ein Merkmal der Entfremdung vom Menschen. In der spekulativen Kunsttheorie spiegelt sich also der geschichtliche Prozeß, aus dem sich diese Philosophie zu lösen wünscht. Die Flucht in eine 'höhere Bewußtheit', welche sich durch eine Inszenierung des Kryptischen vor der übrigen Welt verschließt, ist demnach nicht vollkommen 305
Zambrano, M. "Apuntes sobre el lenguaje sagrado y las artes". OR 221.
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gelungen. Mit der Hinwendung zur schöpferischen Erkenntnis der Kunst, besonders der Dichtung, vollzieht die spekulative Kunsttheorie eine Annäherung an das Menschliche. In einer Gegentendenz aber entfernt sie sich vom Menschlichen, indem sie die Kunst als etwas Außermenschliches verabsolutiert. Ihre Haltung zeugt zugleich von Abwehr und konformistischer Anpassung. Das Kunstwerk wird zum Symbol des letzten menschlichen Restes, den die Wissenschaft noch nicht marktgerecht zu verwerten vermochte. Darin besteht die Hellsichtigkeit der in der Tradition der Romantik stehenden Kunstphilosophie. Dennoch ist die Loslösung des Kunstwerkes vom künstlerischen Subjekt ein Zugeständnis an die Selbstentfremdung des Menschen. Als "Hüter des Geheimnisses' des Menschen haben sich die Anhänger der philosophischen Ästhetik an den gegenwärtigen Verlauf der Geschichte adaptiert.
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9. Bibliographie der Werke und Essays von Maria Zambrano Die mit * versehenen Schriften sind auch als unselbständige Publikationen erschienen. Die mit ** versehenen Veröffentlichungen werden zum ersten Mal in einer Bibliographie der Autorin aufgeführt. Die mit *** versehenen Aufsätze sind auch als selbständige Publikationen erschienen.
Bücher in der Reihenfolge ihrer ersten Erscheinung Horizonte del liberalismo. Nuevo liberalismo. Madrid: Morata, 1930. Los intelectuales en el drama de España. Santiago de Chile: Panorama, 1937. Los intelectuales en el drama de España. Ensayos y notas (1936-1939). 2. erw. Ausg. Madrid: Editorial Hispamerca, 1977. Senderos. Los intelectuales en el drama de España. 3. erw. und um frühe politische Essays gekürzte Ausg. Barcelona: Anthropos, 1986, 1989. Filosofia y poesia. Morelia: Publicaciones de la Universidad de Michoacana, 1939; 2. Ausg. Obras reunidas. Primera entrega. Madrid: Aguilar, 1971; 3. Ausg. México: Fondo de Cultura Económica, 1987. Pensamiento y poesia en la vida española. México: La Casa de España, 1939; 2. Ausg. Madrid: Endymion, 1987; 3. Ausg. 1940.» El freudismo, testimonio del hombre actual. La Habana: La Verónica, 1940; 2. Ausg. 1950.* Isla de Puerto Rico. Nostalgia y esperanza de un mundo mejor. La Habana: La Verónica, 1940. Rumbos para América, nuestra misión en un nuevo mundo. Übersetzung in Zusammenarbeit mit Luis Orsetti und José Basiglio von Chart for rough waters (1940) von Waldo Frank. Buenos Aires: Americalee, 1942.*" El pensamiento vivo de Séneca. Buenos Aires: Losada, 1944; 2. Ausg. Madrid: Ediciones Cátedra, 1987. La agonía de Europa. Buenos Aires: Sudamericana, 1945; 2. Ausg. Madrid: Mondadori, 1988. Hacia un saber sobre el alma. Buenos Aires: Losada, 1950; 2. Ausg. Madrid: Alianza, 1987, 1989. El hombre y lo divino. México: Fondo de Cultura Económica, 1955, 1966; 2. Ausg. México: Brevarios, 1973; 3. Ausg. Madrid: Siruela, 1991. Persona y democracia. San Juan de Puerto Rico: Departamento de Instrucción Pública, 1958; 2. Ausg. Barcelona: Editorial Anthropos, 1988. La España de Galdós. Madrid: Cuadernos Taurus, 1960; 2. Ausg. Barcelona: La Gaya Ciencia, 1982. Spagna. Pensiero, poesia e una città. Übs. Francesco Tentori. Firenze 1964. España, sueño y verdad. Barcelona: Edhasa, 1965, 1982. El sueño creador. Paris: Gallimard, 1964; 2. Ausg. Madrid: Turner, 1986; und 1965.» La tumba de Antigono. México: Siglo Veintiuno, 1967; und 1986.* Obras reunidas. Primera entrega. Madrid: Aguilar, 1971.
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Claros del Bosque. Barcelona: Seix Barrai, 1977, 1988. Les Clairières du Bois. Übs. Marie Laffranque. Toulouse: Éditions de l'Éclat, 1989. Waldlichtungen. Übs. Gerhard Poppenberg. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1992. El nacimiento. Dos escritos autobiográficos. Madrid: Entregas de la Ventura, 1981; und 1987*. Dos fragmentos sobre el amor. Málaga: Begar, 1982. Los lugares de la palabra en Claros del bosque, Voz y texto. Grabación homenaje. Madrid: Ministerio de Educación y Ciencia. Servicio de Publicaciones, 1982. Andalucía, sueño y realidad. Granada: Ediciones Andaluzas Unidas, 1984. Entremos más adentro en la espesura. Sevilla: Valero Hnos., 1984. Algunos lugares de la pintura. Madrid: Espasa-Calpa, 1989. De la aurora. Madrid: Turner, 1986. De l'aurore. Sommières: Éditions de l'Éclat, 1989. La confesión: género literario. Madrid: Mondadori, 1988; und 1941* Delirio y destino. Los veinte años de una española. Madrid: Mondadori, 1989. Notas de un método. Madrid: Mondadori, 1989. Los bienaventurados. Madrid: Ediciones Siruela 1990. Los sueños y el tiempo. Madrid: Siruela, 1992 (postum).
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