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German Pages 354 [352] Year 2015
Cora Bender Die Entdeckung der indigenen Moderne
MedienWelten | Herausgegeben von Dorle Dracklé | Band 4
Für meine Nichte Elischa denn das Leben geht nicht rückwärts und verweilt nicht beim Gestern. (Khalil Gibran)
Cora Bender (Dr. phil.) lehrt am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft der Universität Bremen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienethnologie, politische Ethnologie, Körper und Gesundheit, Kulturtheorie, Nordamerika und Europa.
Cora Bender
Die Entdeckung der indigenen Moderne Indianische Medienwelten und Wissenskulturen in den USA
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
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Inhalt Vorwort | 9
A M ODERNISIERUNG I 1 2 3
Einführung | 15 Medien und die Ethnologie | 17 Wissenskultur als Konzept | 29 Indigene Medien Nordamerikas: Überblick über die Forschung | 35
II
Lac Courte Oreilles: Wirtschaft, Politik, Repräsentation | 41
1 2
Meine Forschung | 41 Lac Courte Oreilles – ein historisches Portrait | 47
B M EDIEN III
Zu den Entstehungsbedingungen indigener Medien: Lac Courte Oreilles und die Treaty Rights-Kontroverse | 83
1 2
Indigene Vertragsrechte | 83 Die Rolle indigen kontrollierter Medien in der Treaty Rights-Kontroverse | 88 Die Anfänge des LCO Journal American | 96 Der Tourismus als Bereich pragmatischer Kooperation | 103 WOJB und der Ärger um die Sendefrequenz | 106 Die Rolle von WOJB in der Treaty Rights-Kontroverse | 108 Lokale Umweltpolitik | 113 Indigener Aktivismus und Kultur | 115
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IV 1 2
V 1 2 3 4 5 6 7 8
Souveränität | 121 Indigene Medien und das Problem der Pressefreiheit | 121 Die Strategien indigener Medien | 131 WOJB | 155 Einführung | 155 Sendungen | 156 Team | 159 Finanzierung | 164 Konkurrenz | 165 Publikum | 166 Einzelne Sendungen | 169 WOJB: »Sharing Diversity« | 181
C W ISSENSKULTUR VI
Die Einrichtung eines indigen kontrollierten Bildungssystems | 187
1
Indian Education – indigene Bildung und ihre Subjekte | 187 Zur Geschichte indigener Bildung in Lac Courte Oreilles | 188 Die Entstehung des indigen kontrollierten Bildungssystems | 192 Die Lac Courte Oreilles Community School in der Gegenwart | 209 Das LCO Ojibwe Community College | 220 Sprachrevitalisierung | 224 Krieg der Schilder | 231
2 3 4 5 6 7
VII 1 2 3 4 5 6
Der Wandel der Festkultur | 235 Vom Big Shindig zum Cultural Healing | 235 Indian Fairs | 239 Die Revitalisierung des Soziallebens | 246 Lac Courte Oreilles und die Volkskultur in Hayward | 254 Powwows: Vom 4 July Powwow zu Honor the Earth | 255 Die Verdrängung von Alkohol aus der Öffentlichkeit | 270
VIII Religion, Wissen und Identität in der indigenen Moderne | 285 1 2
Probleme der Forschung | 285 Christianisierung und Verschriftlichung | 289
3 4 5 6 7
Religiöse Diversifizierung | 292 Modernisierung, Medien und Millenarismus | 296 Subjektive religiöse Imaginationen heute | 306 Der Midewiwin-Ursprungsmythos heute | 310 Fazit: Indigene Moderne und subjektive Imagination | 312
IX
Lac Courte Oreilles: Charakteristika einer indigenen Moderne | 315
Kleine Auswahl indigener Medienadressen im Internet | 327 Nachrichten und Zeitungen | 327 Indigenes Fernsehen im Internet | 327 Indigenes Radio im Internet | 327
Interviews und Gespräche | 329 Literatur | 331
Vorwort
Gleichgültig, wie lange man sich mit einem Manuskript herumschlägt, wie lange man feilt und verbessert und wieder neu schreibt, der Tag der endgültigen Abgabe kommt dann doch ganz unbarmherzig plötzlich. So viel könnte noch gemacht werden, so viele Interviews, Fotos, Sendemitschnitte und Soundaufnahmen, die in Zusammenarbeit mit meinen Partnerinnen und Partnern im Feld entstanden, blieben ungenutzt. Das vorliegende Buch ist mein erstes, und mir wird bewusst: Das erste, das allererste Buch, schreibt man nur einmal. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das Manuskript aus den Händen zu geben – als schicke man sein Kind zum ersten Schultag los. Kaum ist es um die Ecke gebogen, fällt einem siedendheiß ein, dass man ihm keine Taschentücher eingepackt hat. Dann tröstet man sich mit dem Gedanken, dass es wohl groß genug ist, seinen Tag ohne Taschentücher herumzubringen. In ähnlicher Weise hoffe ich von meinem Buch, dass es seinen Weg in die weite Welt der Wissenschaft schon machen wird, und entschließe mich jetzt, das weitere Herumfeilen daran einfach einzustellen. Sein Nachfolger steht schon in den Startlöchern und wird sich hoffentlich in kürzerer Zeit zur Publikationsreife entwickeln. Das Buch geht auf meine Dissertation zurück, die ich 2004 unter dem Titel »Souveränität und Patriotismus: Indigen kontrollierte Medien und die Modernisierung der Wissenskultur in der Ojibwe-Reservation Lac Courte Oreilles, Wisconsin« am Fachbereich 8 Philosophie und Geschichtswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu Frankfurt a.M. einreichte. Erstgutachter war Prof. Dr. Christian Feest, Zweitgutachter Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl; das dritte Gutachten erstellte Prof. Dr. Johannes Fried. Wenn ich anlässlich der Publikation ein Resümee ziehen darf, so würde ich gern betonen, dass ich vor einigen Jahren großes Glück hatte, mit meinem Projektplan über indigene Medien in den USA nach Frankfurt a.M. zu kommen, nicht nur wegen der Bedeutung der Frankfurter Ethnologie insgesamt, sondern insbesondere, weil Herr Feest mein Projekt in das DFG-Forschungskolleg 435 »Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel« einbrachte. Mit dem theoretischen Rahmen des Forschungskollegs, insbesondere dem Begriff der Wissenskultur, erhielt ich ein überaus
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brauchbares konzeptuelles Werkzeug, das sich in meinen Forschungen über die Geschichte und Kultur einer Ojibwe-Reservation im Norden des US-Bundesstaats Wisconsin fruchtbar anwenden ließ. Ein weiterer Grund, warum das Frankfurter Forschungskolleg für mich ein Glücksgriff war, bestand in der Möglichkeit, für eine Serie von Forschungsaufenthalten jedes Jahr wieder zu kommen. Das korrespondiert meines Erachtens sehr gut mit den Eigentümlichkeiten von Feldforschung in Kommunitäten des indigenen Nordamerika, wo das Mißtrauen gegen hit-and-runForschungen tief verwurzelt ist. Statt des traditionell in der Ethnologie angestrebten durchgehenden Forschungsjahres habe ich die dem Buch zugrundeliegenden Forschungen in jährlichen Aufenthalten zwischen jeweils mehreren Wochen und mehreren Monaten Dauer durchgeführt und bin auf diese Weise seit 1997 bis heute immer wieder Teil und Teilnehmerin des Reservationslebens. Die Devise »See you next year!« leben zu können, wäre nicht möglich gewesen ohne die Mithilfe vieler: Freunde, Familie, Lehrer, Kollegen, und vor allem der Bewohner von Lac Courte Oreilles, die mit mir zusammen gearbeitet haben. Als Autorin bleibt mir an dieser Stelle nur die angenehme Aufgabe, all jenen zu danken, die am Entstehen meines Buches direkt oder indirekt wichtigen Anteil hatten. Zuallererst möchte ich stellvertretend für das ganze DFG-Forschungskolleg 435 »Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel« seinem Sprecher Professor Dr. Johannes Fried und dem Leiter der Geschäftsstelle, Ulrich Kloos, danken. Viele Diskussionen, die ich im Forschungskolleg mit Kollegen aus den Geschichtswissenschaften, der Philosophie und Soziologie hatte, sind in die Arbeit eingegangen, insbesondere jene mit Thomas Kailer, Andreas Niederberger und Andreas Franzmann, die ich nicht nur als Kollegen sondern auch als Freunde kennen und schätzen gelernt habe. Allerherzlichster Dank gebührt jedoch zuerst meinem Doktorvater Prof. Dr. Christian Feest, der meine, aber nicht nur meine, Arbeit seit 1999 mit unermüdlichem Einsatz und stetiger Ermutigung angeleitet hat. Gedankt sei auch dem Denkkollektiv des von ihm ins Leben gerufenen Teilprojekts »Konstitution und historische Transformation indigener Wissenskulturen in Nordamerika«, Henry Kammler, Liane Gugel, Christian Carstensen, Michael Schlottner und Susanne Jauernig. Das Teilprojekt wurde in drei DFG-Begehungen ebenso kompetent wie kritisch begutachtet von Prof. Dr. Klaus-Peter Köpping, dem ich viele Anregungen verdanke. Weitere Nordamerikanistinnen und Nordamerikanisten, mit denen ich in der Zeit meines Frankfurter Forschens und Schreibens für mich wichtigen Austausch hatte, sind Alexandra V. Roth, Sylvia Kasprycki, Doris Stambrau, Rainer Hatoum und Peter Bolz. Zu ganz herzlichem Dank bin ich auch Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl verpflichtet, der meine Dissertation mitbetreut und 2005, wie vor ihm auch schon Herr Feest, Lac Courte Oreilles besucht hat. Auch meinen Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Historische Ethnologie und dem Frobenius-Institut in Frankfurt a.M. gilt für anregende Diskussionen und kritische Nachfragen mein Dank, insbesondere Volker Gottowik, Holger
V ORWORT
Jebens und der jüngst viel zu früh verstorbenen Editha Platte. Die Frobenius-Gesellschaft zeichnete im Jahr 2005 meine Dissertation mit dem Forschungsförderungspreis aus; dafür sei den Mitgliedern der Auswahlkommission an dieser Stelle gedankt. Frau Prof. Dr. Dorle Dracklé danke ich ebenfalls ganz herzlich, nicht nur weil sie das Buch in ihre Reihe »Medienwelten« aufgenommen hat. Sie war es auch, die 1999 die formidable, unvergessliche Summer School Media Anthropology an der Universität Hamburg organisiert und geleitet hat. Aus der Summer School ist nicht nur das EASA-Netzwerk Media Anthropology hervorgegangen, sondern sie hat auch viele großartige Kontakte und dauerhafte Freundschaften gestiftet. Frau Dracklé und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Summer School, insbesondere Ian Dent, John Postill, Filipe Reis und Mark Pedelty, verdanke ich mit diesem Erlebnis nicht nur meine Verortung, sondern zu einem guten Teil auch meine Beheimatung in der Ethnologie. Mit Dankbarkeit erwähne ich auch James P. Danky und seine Familie sowie Christiane Bongartz für einen guten Start in Madison; Prof. Karl Schlesier für erste Kontakte; Prof. Oswald Werner, Prof. Madeline Iris und Leighton Peterson und dem Team von KTNN für eine wunderbare Fieldschool in Window Rock im Jahr 1998. Ich danke Dee Grimsrud und Lisa Marine von der Wisconsin Historical Society für Hilfe bei der Lokalisierung historischer Bilder; Heide Pawlik, Melanie Korita, Christine Zackel und Annette Schroedl für Korrekturen; Anja Schulte und Lucy Waldron für Hilfe bei der Transkription von Interviews; Matthias Precht und HansPeter Müller für ein paar wichtige Tipps und Tricks rund um Technik und Bildbearbeitung; sowie meiner Lektorin beim transcript Verlag, Birgit Klöpfer, für Unterstützung und langen Atem. Prof. Dr. Erhard Schüttpelz, Anja Dreschke und Martin Zillinger danke ich nicht nur für viele Jahre Inspiration und Austausch, sondern auch speziell für einen denkwürdigen Abend in Frankfurt im Jahr 2004. Meinen Freundinnen und Freunden, meinen Eltern, Großeltern und Geschwistern danke ich für ihre Unterstützung, insbesondere Ute Mewes fürs Zuhören; Gundi Große für eine großzügige Leihgabe; Volker Rixmann für seine Hilfe unmittelbar vor Abgabe der Dissertation. Ganz besonderer Dank geht an Katja Boeddinghaus, Christian Wollenteit, Anja Rothenbusch, Karin Kohl, Markus Seipold und meinen Bruder Grischa. Die Verbundenheit mit Euch ist das Salz meines Lebens. Den Leuten aus Lac Courte Oreilles, den vielen Freundinnen und Freunden, die ich dort gefunden habe, meinen Ratgebern und Gesprächspartnern vor Ort, den Lehrenden und Lernenden an der LCO High School, am LCO Ojibwe Community College und an der College Library, sowie den Mitgliedern des Tribal Governing Board und der Stammesverwaltung, insbesondere dem früheren Tribal Chairman Gaiashkibos und dem früheren Vize-Tribal Chairman Mic Isham, danke ich ebenso herzlich wie all den indigenen Medienmachern, Autoren, DJs, Volunteers und Journalisten, vor allem Paul DeMain und Patricia Loew, deren bewundernswerte
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Arbeit ich kennen lernen durfte. Ohne die Geduld, Sympathie, den Humor und die konstruktive Kritik, mit der sie meine Forschung und mein Schreiben begleitet haben, wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Besonders erwähnen möchte ich Nicky und David Kellar. Camille Lacapa schließlich hat mehr als alle anderen zum Gelingen meiner Forschung beigetragen. Chi-miigwech! Cora Bender Bremen, im September 2010
A Modernisierung
Abb. 1 Indigene Medien und materielle Kultur: Sortiment im Indian Country’s Trading Post in Lac Courte Oreilles, 2005.
Foto: Cora Bender, 2005.
I Einführung
In der vorliegenden Studie geht es um die Rolle selbstkontrollierter Medien bei der Herausbildung einer institutionalisierten indigenen Wissenskultur der Gegenwart.1 Am Beispiel der Ojibwe-Reservation Lac Courte Oreilles in Nordwest-Wisconsin wird so die Entstehung und Konstitution einer lokalen Variante indigener Moderne erkundet. Unter Medien fasse ich in einem ganz allgemeinen Sinn alle technischen Einrichtungen, die die Reichweite einer Kultur erhöhen (McLuhan 1964); im ganz konkreten Sinn aber geht es hierbei um Informations- und Kommunikationsmittel als Teil einer modernen kapitalistischen Weltwirtschaft und ihre Aneignung durch eine marginale Kultur, die Ojibwe im Gebiet der westlichen Großen Seen (Abb. 1). Diese Aneignung von Buch, Zeitung und Radio fand und findet gleichwohl nicht in einem isolierten Rahmen statt. Die gegenwärtige indigene Medienlandschaft der USA und Kanadas erscheint undurchschaubar vielfältig. Viele von der gesellschaftlichen Mehrheit für »ausgestorben« oder »ausgerottet« erklärte Kulturen und lokale Gruppen tun den Schritt in die Öffentlichkeit und reklamieren ihren rechtlichen Sonderstatus. Indigenous, aboriginal, native haben als Bezeichnungen ihren pejorativen Beigeschmack verloren: Als First Nations formulieren und verbreiten z.B. kanadische Ureinwohner heute selbstbewusst ihre Ansprüche. Dazu gehört das Recht auf Selbstdarstellung: Noch nie haben die Indianer Nordamerikas so aktiv auf die Abbildung ihrer Kultur in den Massenmedien Einfluss zu nehmen versucht. Systematisch werden alte Stereotypen der Frontier-Presse in heutigen Medien entlarvt, auch mithilfe einer kritischen historischen Aufarbeitung (Weston 1996; Coward 1999). Nie auch waren Anstrengungen so erfolgreich, eigene Medien aufzubauen und zu unterhalten, die einen zwar randständigen, doch konstant sich entwickelnden alternativen Medienmarkt bedienen. Indigene Mediendienste in 1 | Einige Passagen aus diesem Kapitel wurden bereits 2003 im Begleitband zur Ausstellung »Indian Times: Nachrichten aus dem roten Amerika« hg. von Christian Feest veröffentlicht (Atschekzai und Bender 2003). Die Verwendung erfolgt mit Genehmigung des Herausgebers.
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Kanada unterhalten Radiosender mit vielen, über ganze Provinzen verteilten repeater-Stationen, produzieren indianisches Fernsehprogramm2 und unterhalten Internetseiten. Dreißig indigene Radiostationen in den Vereinigten Staaten sowie eine nur schätzbare Anzahl von pro Dekade mehr als 400 regelmäßig erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften3 unterschiedlichster Wirkungsbreite – vom monatlichen kostenlosen Informationsblatt für die Reservationsgemeinde über PR-Publikationen bis hin zum international verbreiteten Magazin – erreichen ein Publikum, das über die unmittelbar betroffenen Adressaten beträchtlich hinausgeht. Reservationen und urbane Kommunitäten sind politisch und kulturell diversifiziert wie nie zuvor, und indianische Journalisten geraten vor Ort allzu leicht zwischen die Fronten politischer Konflikte. Der 1986 gegründete Interessenverband indigener Journalistinnen und Journalisten, Native American Journalists Association (NAJA), hat heute über 700 Mitglieder in den USA und Kanada, die sich auf ihren jährlichen Fachtreffen über die aktuelle politische Berichterstattung, über Probleme mit Stammesregierungen und ignoranten Mainstream-Medien austauschen. Die mediale Perspektive erweitert auch die Bedeutung des Begriffs »Panindianismus« um einige Dimensionen, denn trotz politischer Diversifizierung hat die Meinungsbildung in Indian Country eine zuvor unbekannte Macht und Dynamik entfaltet, eigene Agendas auf die politische Tagesordnung der Medienlandschaft zu setzen. Während die amerikanische Nation in der Frage der anstößigen Sportlogos und Mannschaftsmaskottchen immer noch gespalten scheint4 , hat dem Wort Squaw, das Ende der 1990er Jahre ins Fadenkreuz der indigenen intelligentsija geriet, das letzte Stündlein geschlagen, überall werden frühere »Squaw Mountains«, »Squaw Lakes« und »Squaw Bays« umbenannt. Auch seinen ureigenen Investigativjournalismus hat die indigene Medienlandschaft: Der Herausgeber der US-weit verbreiteten News From Indian Country, Paul DeMain (Oneida), ist seit 1995 mit der Aufklärung des Mordes an der Aktivistin des American Indian Movement (AIM), Anna Mae Aquash, beschäftigt und hat damit eine Aufarbeitung der Geschichte des American Indian Movement ausgelöst, die bislang hauptsächlich auf eine indigene Öffentlichkeit beschränkt ist.
2 | In Kanada produzieren die I NUIT B ROADCASTING C ORPORATION (IBC) seit 1982 und TELEVISION N ORTHERN C ANADA (T VNC) seit 1992 Fernsehprogramme für die Ureinwohner im hohen Norden. 3 | Vgl. Danky und Hady (1984: 531). 4 | Vgl. z.B. die »›Indian‹ Mascot and Logo Task Force« (Wisconsin Indian Education Association n.d.).
E INFÜHRUNG
1 M EDIEN UND DIE E THNOLOGIE Die Beschäftigung mit Medien ist traditionell kein zentrales Thema der Ethnologie, doch vereinzelt beschäftigten sich Ethnologen schon um die Jahrhundertwende und im frühen 20. Jahrhundert mit außereuropäischen Formen indirekter und nicht-mündlicher Kommunikation (Weule 1915; Hoffman 1888, 1895; Clark 1885, Mallery 1881). Ginsburg sieht als Vorläufer der Medienethnologie die Arbeit von Mead und Metraux (1953) sowie Bateson (1943) über Spiel- und Kriegspropaganda-Filme. Powdermaker mit ihrer der Zeit weit vorauseilenden Studie über Hollywood (1950) sowie das Navajo Film Projekt von Sol Worth und John Adair in den 1960er Jahren (Worth und Adair 1972) sind weitere Einzelprojekte, die sich aber noch nicht zu einer Ethnologie der Medien verdichteten. Einen Sonderbereich des Interesses an Medien finden wir in der Erforschung von Schriftlichkeit bzw. Literalität, die durch Jack Goody (1968) für die Ethnologie erschlossen wurde. Als erstes global verbreitetes Medium trat die alphabetische Schrift zusammen mit dem europäischen Kolonialismus ihren Siegeszug an. In der Forschung besteht kein Zweifel an der engen Verbindung von Schrift und Herrschaft (Kohl 2000: 71-73; Anderson 1983). Die Tatsache, dass in den vergangenen zwei Jahrtausenden die meisten Kulturen der Erde direkt oder indirekt mit Schriftsystemen in Kontakt kamen (Goody 1968: 4-5) bedeutet allerdings nicht, dass die Schrift auf ihrem unaufhaltsamen Siegeszug alle oralen Formen weggewalzt hat. Oralität und Literalität sind, wie u.a. Finnegan (1988) gezeigt hat, keineswegs einander ausschließende Systeme, sondern durchdringen sich gegenseitig. Auch muss zwischen Formen selbst- und fremdbestimmter Schriftlichkeit bzw. Medialität unterschieden werden (Abb. 2). Bei den Ojibwe bedeutet das Wort für »Buch«, masinaigan, zugleich auch »Schulden«, wie aus dem Wörterbuch des Missionars Frederick Baraga hervorgeht.5 Daraus kann man wohl ableiten, dass diese Bevölkerungen das Schreiben zunächst als euro-amerikanische Machttechnik im Pelzhandel kennen lernten. Vielerorts trugen andererseits die Versuche von Missionaren, für die indigenen Sprachen Nordamerikas eigene Zeichensysteme zu entwickeln, dazu bei, diese Sprachen zumindest zeitweise zu erhalten. Das früheste bekannte Beispiel indigener Schriftlichkeit sind die schriftlichen Zeugnisse christlicher Gemeinden der Massachusett, einer Algonquin-sprachigen Gruppe in dem später nach ihnen benannten USBundesstaat Massachusetts nördlich des heutigen Boston. Nachdem der Puritanermissionar und sogenannte »Apostel der Indianer« John Eliot die Bibel im Jahr 1663 in Massachusett übersetzte (die erste Bibel übrigens, die auf dem nordamerikanischen Kontinent gedruckt wurde), entwickelte sich in allen Dörfern ein reges Interesse am Schreiben und Lesen. Historisch erhalten haben sich in dieser Sprache neben christlichem Schrift5 | Baraga gibt als Übersetzung für masinâigan: »A thing to make marks upon, paper; book; letter; debt.« (Baraga [1878] 1992: 224)
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tum u.a. Versammlungsprotokolle, Petitionen und vieles mehr. Die kanadischen Cree benutzen bis heute eine Silbenschrift, die der Methodist James Evans in den 1840er Jahren nach dem Vorbild der Cherokee-Silbenschrift entwickelte, um das Neue Testament in Cree zu übersetzen. (Davon leiteten sich ihrerseits die ebenfalls noch gebräuchlichen Schriften der kanadischen Inuit, Athapasken und Ojibwe ab.) Ein Missionar schrieb sogar Briefe für seine indianische Gemeinde. Eine Handvoll Ponca zog es 1877 vor, sich nicht wie die Mehrheit ihres Stammes vom Niobrara River nach Oklahoma umsiedeln zu lassen. Um in Kontakt mit ihren Verwandten in der Ferne zu bleiben, nahmen sie lieber die Dienste »ihres« Missionars, des späteren Ethnologen James Owen Dorsey, in Anspruch. Sie diktierten ihm Briefe an die Ponca in Oklahoma, die Dorsey später veröffentlichte, und die einen intimen Einblick in die Familienangelegenheiten, Stammespolitik und das Wirtschaftsleben der Ponca dieser Zeit gestatten (Dorsey 1890). Dem Missionar Chrétien LeClercq, der im 17. Jahrhundert bei den Micmac an der Nordostküste das Wort Gottes verbreitete, fiel auf, dass seine indianischen Zuhörer sich während seiner Predigten Notizen machten. Aus ihren Piktographien entwickelte er ein System von 5000 Hieroglyphen, das lange Zeit verwendet wurde, um Texte in Micmac zu schreiben. 1856 entstand sogar ein Katechismus in Micmac-Hieroglyphen, doch das Schiff, das die in Europa gedruckten Exemplare nach Nordamerika bringen sollte, ging mitsamt seiner heiligen Fracht im Atlantik unter. Die Micmac-Hieroglyphen waren bis in die 1970er Jahre noch vereinzelt in Gebrauch. Im Gegensatz zu diesen weitgehend selbstbestimmten Aneignungen von Schriftlichkeit wurde in den Missionsschulen des 19. Jahrhunderts und den ab den 1880er Jahren eingeführten, nicht minder berüchtigten Internatsschulen indianischen Kindern noch bis in die 1930er Jahre hinein das Schreiben zusammen mit der englischen Sprache regelrecht eingeprügelt.
E INFÜHRUNG
Abb. 2 Indigene Medien für den Hausgebrauch: Ein Fotoquilt kombiniert Fotografie und die ältere Technik des Quiltens, mit der aus Stoffresten kunstvolle Kleidungsstücke und Wandbehänge hergestellt werden. Gesehen in Lac Courte Oreilles, 2005.
Foto: Cora Bender, 2005.
1.1 Impulse für eine neue Medienethnologie Einige Titel, die sich explizit mit Media Anthropology befassten, erschienen schon in den 1990er Jahren (Allen, S. 1994; Crawford 1996; Spitulnik 1993). Mittlerweile gibt es zusätzlich zu medienethnologischen Einzelstudien auch Einführungen in das Feld (Dracklé 1999; Ginsburg et al. 2002; Peterson, M. 2003; Askew und Wilk 2002; Coman und Rothenbuhler 2005). Ethnologinnen und Ethnologen müssen der Allgegenwart der Medien zunehmend im Feld selbst begegnet sein (z.B. Kottak 1990), trotzdem hat es den Anschein, dass erst die Debatten um Writing Culture
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und Strategien der Repräsentation fremder Kulturen in den europäischen Medien der Schrift, des Museums und des Bildes in der Ethnologie die Voraussetzungen dafür schufen, die eigenen Ängste vor dem Verschwinden des Fachs in der »Massengesellschaft« zu überwinden (Dracklé 1999) und sich mit den Medien und ihrer Rolle bei der Etablierung von Macht und Autorität zu befassen. Dabei wurden mit »Öffentlichkeit« (Habermas 1962) und »Imagined Communities« (Anderson 1983), mit »Hegemonie« (Gramsci) und »Habitus« (Bourdieu) Konzepte sozialer Formierungsprozesse übernommen, die sich außerhalb der in der Ethnologie herkömmlichen Kulturdefinitionen befanden, so Ginsburg et al. (2002: 5). Hervorheben möchte ich an dieser Stelle aber auch die Tatsache, dass die Repräsentationsdebatte insgesamt von indigenen Kritikern, wie z.B. Vine Deloria Jr. mit seiner brillianten Satire über »Anthropologists and Other Friends« (Deloria, V. 1969, 1980), entscheidend mit angestoßen wurde (Biolsi und Zimmerman 1997). Weitere wichtige Impulse für die neue Medienethnologie kamen nach Ansicht von Ginsburg et al. aus einer Revision und Erweiterung der Visuellen Anthropologie (Crawford 1996; Ginsburg 1998; Ruby 2000; Hockings 1995; Mac Dougall 1998), aus den postkolonialistisch inspirierten Medien- und Kommunikationswissenschaften, die sich mit der Medienpraxis von Minderheiten und diasporischen Gemeinschaften abseits des medialen Mainstreams befassten (Gillespie 1995; Riggins 1992). Ich selber habe während meines Studiums an der Universität Köln in Einführungsvorlesungen zu meinem Nebenfach Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften noch gelernt, der adäquate Platz, von dem aus der Medienwissenschaftler arbeite, sei der Kinosessel. Nicht zuletzt durch den Ethnographic Turn der Cultural Studies wurden Medienwissenschaftler endgültig dazu bewogen, die Sesselsituation zu verlassen und sich den Medien mit dem Mittel lokaler Feldforschung zu nähern. Die britischen Cultural Studies brachten dabei eine Reihe bahnbrechender Rezeptionsstudien hervor, z.B. über amerikanische Soap Operas und Fankultur (Ang 1985). Einen wichtigen Impuls erhält meine Studie auch durch medienwissenschaftliche Untersuchungen über die Frage, wie über das Fernsehen Konzepte wie »Nation« konstruiert werden (Morley 1986; Silverstone und Hirsch 1992). Die globale Präsenz von Medien bedeutet für die an Medien interessierte Ethnologie nicht, ihre lokale Perspektive aufzugeben – im Gegenteil, so Ginsburg: Der ethnologische Zugang zu Medien zeichne sich gegenüber anderen Ansätzen gerade durch einen lokalen Zugang zu einem globalen Phänomen aus, und durch den Fokus auf die sozialen Akteure. Demgegenüber habe die kommunikationswissenschaftliche Konstruktion der Medien als transnationales Forschungsobjekt, dem man sich hauptsächlich auf der Grundlage von quantitativen Datensätzen und Statistiken nähert, den Effekt gehabt, nur ganz bestimmte Arten von Medientechnologien und bestimmte Praxen im Umgang mit Medien in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Der Blick auf lokale Akteure hingegen erweitere diese Perspektive und enthülle Tendenzen einer
E INFÜHRUNG
»Demokratisierung« und »Dezentralisierung« im Umgang vor allem mit erschwinglicher Medientechnologie (wie Video, kleine Zeitungsprojekte, Lokalradio), während gleichzeitig die Einführung von Satellitenfernsehen den hegemonialen Schatten der Großkonzerne und der transnationalen Politik auch auf einst so abgelegene Gegenden wie die kanadische Arktis oder Zentralaustralien werfe (Ginsburg 1993: 560; Ginsburg et al. 2002: 2-3). In einem für 2011 geplanten Sammelband, den ich gemeinsam mit Martin Zillinger unter dem Titel »Medienethographie. Ein Handbuch« herausgebe, werden weitere aktuelle medienethnologische Fragen diskutiert, vor allem Fragen der Forschungsmethodik. Auf der Grundlage von medienethnographischen Berichten erfahrener Feldforscherinnen und Feldforscher wird umrissen, welchen Beitrag die Ethnologie zur Methodendiskussion in der Medienforschung leistet, und wie Feldforscherinnen und Feldforscher »Ethnographie« in der Auseinandersetzung mit Medienakteuren und Mediennutzern definieren.
1.2 Zum Doppelcharakter von Medien Hierbei tritt m.E. ein Phänomen zutage, das ich als Doppelcharakter von Medien bezeichnen möchte. Dieser Doppelcharakter – d.h. die Potenz zur Verdopplung – ist in der Geschichte der kulturwissenschaftlichen Medienforschung auf unterschiedliche Weise diagnostiziert und bewertet worden. Von Walter Benjamin stammt die Erkenntnis, dass die technische Reproduzierbarkeit eines Kunstwerks, seine industrielle Abbildung, das Kunstwerk selbst nicht überflüssig macht, sondern vielmehr die Überprüfung elitärer Kreativitätstheorien erfordert (Benjamin [1936/1939] 2002). Durch die Möglichkeit der industriellen Abbildung des Kunstwerks entsteht ein neues Spannungsverhältnis zwischen dem Kunstwerk (das natürlich seinerseits schon ein Abbild ist) und seiner industriellen Abbildung, die »Aura« (Benjamin [1936/1939] 2002: 22). Bei Horkheimer und Adorno taucht die Verdopplung als eine durch die Kulturindustrie erschaffene »Scheinwelt« auf, die eine »zwanghafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren« (Horkheimer und Adorno [1947] 1998: 176) und die allumfassende Manipulation zur Folge hat: »Je dichter und lückenloser ihre Techniken die empirischen Gegenstände verdoppeln, umso leichter gelingt heute die Täuschung, dass die Welt draußen die bruchlose Veränderung derer sei, die man im Lichtspiel kennenlernt.« (Horkheimer und Adorno [1947] 1998: 134) Diese Dialektik der Zwänge hat, bei aller an ihr geübter Kritik, eine global betrachtende Erforschung von Kultur und Medien überhaupt erst möglich gemacht, denn sie weist nach, dass Kulturindustrie, genauso wie jede andere kapitalistische Industrie, ihre Waren verbreiten und exportieren muss, wenn sie überleben will, und sie beweist uns, dass es kein Entrinnen gibt – dass Medien ubiquitär und in jeder Sozialbeziehung anwesend sind. In der britischen Forschung, die Ansätze aus der amerikanischen Forschung im
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Bereich materieller Kultur (wie z.B. Appadurai 1986; Csikszentmihalyi und Rochberg-Halton 1981) auf Kommunikationstechnologien als Objekte des täglichen Gebrauchs überträgt, werden Medien als Doppelwesen – zugleich materielles Objekt und Überbringer von Informationen und Sinnzusammenhängen – gesehen. Silverstone und Hirsch bezeichnen Medientechnologie als »doubly articulated into our domesticity«: »They provide a means both for the integration of the household into the consumer culture of modern society […] and for the assertion of an individual’s, a household’s or an island’s own identity: a domestic as well as a local culture.« (Silverstone und Hirsch 1992: 4)6 Während die britische Forschung sich mehr mit Fragen befasst, die sich aus der Materialität von Medien, ihrer Technologie und ihrer Appropriation im Konsum ergeben, ist ein Großteil der amerikanischen ethnologischen Medienforschung von der Postmoderne-Debatte in der amerikanischen Ethnologie beeinflusst, widmet sich ganz im Sinne von »Kultur als Text« der symbolbildenden Kapazität von Medien, ihrer Erzeugung von Abbildern (auch im weiteren Sinn) und interessiert sich für die Interaktion von »Wort« und »Welt«: Mit seinem Modell der fünf »-scapes« (»ethnoscapes«, »mediascapes«, »technoscapes«, »financescapes« und »ideoscapes«), deren unvorhersehbare Brüche und Verdichtungen die Grundlage für eine im Fluss befindliche globale Sphäre sind, verdeutlicht Arjun Appadurai die Undurchschaubarkeit, Selbstreferenzialität und Unschärfe der »Global Cultural Economy«. Durch die Verwendung des Suffixes »-scapes« soll deutlich gemacht werden, dass dabei keine objektiv gegebenen sozialen Beziehungen auszumachen sind, sondern dass in diesem Entwurf Materialität, Bild und Akteur in eins fallen. »-scapes« sind »deeply perspectival constructs, inflected very much by the historical, linguistic and political situatedness of different sorts of actors« (Appadurai 1990: 296). Höchst unterschiedliche Entitäten wie »nation-states, multinationals, diasporic communities, […] sub-national groupings and movements […], villages, neighborhoods and families« treten als »actor« auf, der sich am Grunde aller dieser Formationen findet: »for these landscapes are eventually navigated by agents who both experience and constitute larger formations, in part by their own sense of what these landscapes offer« (Appadurai 1990: 296).
6 | Bislang unverdient unbeachtet geblieben sind Medientheoretiker, die Medientechnik eher phänomenologisch und aus einer Körperperspektive betrachten, wie Wilhelm Flusser und Marshall McLuhan, der den Doppelcharakter von Medien als lustvolles narzisstisches und narkotisierendes Spiel des Menschen mit der eigenen Extension, die zugleich sein Abbild ist, interpretiert (McLuhan 1964). Mit McLuhan könnte man sogar so weit gehen zu sagen, dass Medien sich selbst verdoppeln – jedes Medium, ausgenommen nur das Licht, beinhaltet wiederum ein anderes Medium und erzeugt insofern ein Abbild dieses Mediums.
E INFÜHRUNG
1.3 Agency, Medien und Subjekt: Probleme der Forschung Diese subjektivistische, konstruktivistische Sicht ermöglicht einen erhellenden Blick auf die Rolle von Akteuren in Medienzusammenhängen. Appadurai meint, die im späten 20. Jahrhundert aufkommenden »kulturalistischen« Bewegungen (»culturalist movements«) oder sogenannten »›postnational‹ social formations« (Appadurai 1996), stützten sich in ihren Auseinandersetzungen mit den Staaten bzw. der jeweils dominanten Mehrheitsgesellschaft auf eine ausdrückliche und strategisch eingesetzte Mobilisierung »kulturellen Materials« und sind Ausdruck eines neuen »metacultural framework«, in dem Kultur zum Idiom politischer Mobilisierung wird. Für McLagan führt die Konvergenz dieses historischen Prozesses mit einem auf breiter Basis vonstatten gehenden Export der Kommunikations- und Public Relationsstrategien aus der Unterhaltungsindustrie in die Politik zum Entstehen einer Form des politischen Aktivismus, der sich schwerpunktmäßig auf die durch Massenmedien verbreitete Performanz kultureller Differenz stützt. Sie wirft der herkömmlichen Massenkommunikationsforschung vor, sie beschäftige sich in der Regel bloß mit »mainstream political topics« der westlichen Demokratien, wie z.B. der Rolle der Werbung und PR (spin doctors) in Wahlkämpfen, hingegen sei viel zu wenig bekannt, wie einerseits die Akteure transkulturelles Wissen (»the whole domain of cross-cultural knowledge«) evozierten, und wie sich andererseits transkulturelle politische Akteure (»cross-cultural political actors«) ihr Wissen über Massenmedien aneigneten und sich damit eine Position in der Medienmaschinerie sicherten: »how they learn to insert themselves into the North American representation machinery and the translations entailed in this process« (McLagan 2002: 93). In der Tat ist agency, die Fähigkeit zum konkret situierten, reflektierten und absichtsvollen Handeln (Giddens 1990), ein zentraler Problembereich in der Moderne-Diskussion. Welchen Stellenwert hat menschliches Handeln zwischen den Polen absoluter Unsicherheit und Offenheit einerseits und zunehmender Entzauberung und Bürokratisierung andererseits, wie Weber sie für die Zukunft moderner Gesellschaften voraussah? Agency ist ein aus der Handlungstheorie stammender Begriff, der in der Forschung in recht anarchischer Weise Verwendung findet. Um dieses ungeordnete Bedeutungsfeld nicht einzuengen, soll er hier vorläufig nicht ins Deutsche7 übersetzt werden. In der Soziologie taucht agency als Gegenpol zur Struktur auf, womit in der Regel »Gesellschaft« gemeint ist; im Zusammenhang mit Theorien des Wissens überschneidet der Begriff sich stellenweise mit »Handlungswissen« (Niederberger 2001). Im Zusammenhang mit »Kultur« wird agency als »Kreativität«8 diskutiert (Rap7 | Wörterbuch-Übersetzungen des Begriffs wären etwa »Kraft, Tätigkeit, Wirkung« oder »Agentur, ausführendes Organ, Behörde«. 8 | Der Zusammenhang von agency und Wissen kristallisiert sich in dem Satz »Wissen ist Macht«. Barth sieht agency und Wissen in einem performativen Zu-
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port und Overing 2000; Gell 1998; Bourdieu 1979; Giddens 1988). Agency ist ein nützliches Konzept, um hybride kulturelle Formen zu verstehen, die im Zusammenhang mit gesellschaftlichem Wandel und Kulturkontakt auftreten, wie z.B. Tourismus, künstlerisches Schaffen, Performanz etc. Rapport und Overing erläutern agency als diejenige Qualität, die einen Menschen zum Agenten macht: »agents act, and agency is the capability, the power, to be the source and originator of acts« (Rapport und Overing 2000: 1). Wie entsteht diese power? McLagan kann sicherlich zugestimmt werden, wenn sie moniert, dass über die soziale Praxis der interkulturellen medialen Vermittlung noch viel zu wenig bekannt sei. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Studie das Augenmerk immer wieder auf die Vermittler, die Medienakteure gerichtet. Wo agency festgestellt wird, sollte man meinen, bewirkt sie auch etwas. Hier fährt McLagan allerdings einschränkend fort, dass die Frage nach den Resultaten medialer Kulturkampagnen oder nach den Kosten, die dafür kulturell zu zahlen seien, schwierig zu beantworten sei. »Media effects are notoriously hard to trace; research has largely failed to demonstrate that media have any kind of direct or predictable effects on people« (McLagan 2002: 106).9 Bei McLagan wird jedoch deutlich, dass der Subjektivismus, der den Fokus der Medienethnologie richtigerweise auf die Akteure richtet, andererseits einer vollen Abschöpfung ihrer Ergebnisse im Weg stehen kann. Wo die Kulturkritik der Frankfurter Schule das Bild als »Scheinwelt« entlarvt, verabsolutiert eine zu sehr auf individuelle agency und Imagination gerichtete Perspektive das »Bild« gegenüber der »Welt«. Etwas vereinfacht ausgedrückt, diese Perspektive kann sich nicht über Gesellschaft äußern, müsste dies aber tun, wenn sie über media effects Aussagen machen wollte. Daraus entwickelt sich das Dilemma, in der Analyse dieser in einer technisch vermittelten Öffentlichkeit vonstatten gehenden Vorgänge zu sehr den Szenarien verhaftet zu bleiben. Dies zeigt sich in den Diskursen sammenhang: der Wissenskorpus (in diesem Fall ein Fertilitäts- und Initiationsritual der Baktaman in der Ok-Region von Neu Guinea) wird durch die illokutionäre Kraft des Ritualleiters in einer »recreation of revelation« evoziert. Dies setzt eine mehr oder weniger bruchlose Kette (»trajecotry«) voraus, in der die jeweils letzte Aufführung des Rituals zur »fount of tradition« wird (Barth 2002: 5). 9 | Dies wäre, angesichts der gewaltigen Summen, die in die mediale Werbebranche gepumpt werden, möglicherweise anzuzweifeln; richtig ist sicherlich, dass die Manipulationseffekte, die durch Medien angeblich oder tatsächlich erzielt werden können, in einer am Kulturbegriff orientierten Medienforschung nicht zentral sind und höchstens das Thema einer kritischen Fachgeschichte sein können (z.B. Schüttpelz 2002). Marilyn Strathern fasst das Problem als Wechselwirkung zwischen Agent und Technologie auf – weder ist Technologie vollständig kontrollierbar noch der Agent, der den Kreislauf ursprünglich in Gang gesetzt hat (Strathern 1998) – Technik und Agent bedingen einander; insofern ist die Anwesenheit des Mediums bereits sein impact, oder, um mit McLuhan zu sprechen: Das Medium ist die Botschaft.
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über »ethnic conflicts«. Hierbei handelt es sich um komplexe Kulturalisierungen sozialer Gegensätze, wobei das Kulturelle verabsolutiert wird, indem das Politische zu seinem bloßen Anhängsel erklärt wird: »The central problem of today’s global interaction is the tension between cultural homogenization and cultural heterogenization.« (Appadurai 1990: 295; Hervorhebung durch die Autorin) Solche Oberflächlichkeiten erscheinen nach den Erfahrungen des Genozids in Ruanda, angesichts immer wieder aufflammender Medienhypes um die Integrierbarkeit von Migranten in Deutschland oder den Status von Roma und Sinti in der Europäischen Union nicht nur überholt, sondern geradezu gefährlich (vgl. auch Ezli, Kimmich und Werberger 2009). Die agency indigener Akteure hingegen wird häufig nur wahrgenommen, wo sie sich als resistance oder indigeneity konzeptualisieren läßt (Clemmer 1969; vgl. auch Abu-Lughod 1990; Scaglion und Norman 2000). Auch von indigenen Akteuren selbst werden manchmal wirkmächtige Konzepte der Gegenwart, wie z.B. Umweltschutz, rückwärts in die Vergangenheit verlängert. Auf diese Weise werden Idealisierungen geschaffen, denen die tatsächlichen Akteure selbst in der Gegenwart kaum entsprechen können. Es entsteht – nicht zuletzt durch medial vermittelte Bilder – ein Phänomen, das Theresa O’Nell als Diskurs des leeren Zentrums bezeichnet hat: Indigene entwerfen von sich selbst in Bezug zu anderen Indigenen eine Topographie konzentrischer Kreise, in der sie sich selbst und andere Indigene einordnen – je »authentischer«, je »echter« jemand ist, desto näher am Zentrum ist er/sie einzuordnen. Das Zentrum jedoch ist immer leer, denn die authentischsten Indianer sind die aus der Vergangenheit, die bereits tot sind (O’Nell 1996).
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Abb. 3 Moderne intertribale Powwowkultur als Schnittstelle zwischen lokaler indigener Tradition und dem US-Mainstream: Ein Powwowtänzer richtet die Flagge der USA für die grand entry, den feierlichen Einzug der Tänzerinnen und Tänzer. Gesehen in Fond du Lac, Minnesota, 2001.
Foto: Cora Bender, 2001.
1.4 Medien und Wissen An dieser Stelle macht es Sinn, kurz innezuhalten und einen Blick auf die Medieninhalte zu werfen, die in der Forschungsdiskussion als Bild, Image, Imagination, Schein oder Reproduktion konzeptualisiert werden. Mit der Charakterisierung als »Schein« wird noch nichts über ihre soziale Durchsetzungskraft gesagt, außer, dass der, der die mächtigsten Agentien bewegen oder in der Welt des Scheins am geschicktesten agieren kann, seinen Schein, sein »Bild« mit der höchsten Wahrscheinlichkeit wird durchsetzen können. Dadurch entsteht ein Zirkelschluss zwischen Medien und Herrschaftsdiskurs, der außer Acht lässt, dass Medien auch zu anderem dienen als der Stabilisierung von Herrschaft. Wenn man davon ausgeht, dass alle menschliche Kommunikation, alle Inhalte, abgesehen von direkter face-to-face-Kommunikation, über Medien vermittelt werden, dann macht es mehr Sinn, diese Inhalte als »Wissen« zu konzeptualisieren denn als »Bild« oder »Schein«, die gegenüber dem Wissen Kategorien zweiter Ordnung sind. Während beim immer mehrdeutigen »Bild« z.B. seine soziale Zuordnung unklar ist, kann beim »Wissen« mit größerer
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Präzision über Herkunft, Zusammensetzung, Interessengebundenheit und die verschiedenen daran geknüpften erkenntnistheoretischen Diskurse gesprochen werden wie »Wahrheit« und »Erfahrung«. Aus diesem Grund plädiert Fredrik Barth dafür, den Wissensbegriff in den Mittelpunkt einer neuen »Anthropology of Knowledge« (Barth 2002) zu stellen. Clifford Geertz, so berichtet Barth eingangs in seinem Aufsatz, soll darauf hingewiesen haben, dass seiner, Barths, Wissensbegriff im Großen und Ganzen gleichbedeutend sei mit dem, was Ethnologen herkömmlich unter »Kultur« verstehen. Wozu dann ein solcher Wissensbegriff? Barth scheint den Wissens- dem Kulturbegriff vor allem wegen seiner Operationalisierbarkeit vorzuziehen. Obwohl er ebenso wie Appadurai vom Individuum ausgeht, fächert er das Feld anders auf als dieser mit seinem Konzept der »–scapes«: über Wissen und seine Verbreitung können exaktere Aussagen getroffen werden als über Kultur, die im Allgemeinen nur als »diffuse sharing« gedacht wird, meint Barth. Außerdem kann genauer zwischen Wissen einerseits und der Praxis seiner Reflexion und Aktualisierung andererseits unterschieden werden, während der Kulturbegriff ungenau Wissen, Reflexion und Aktion gleichermaßen umfasse (Barth 2002: 1). Barth schlägt eine Dreiteilung des Forschungsfeldes in »corpus«, »media« und »social relations« vor. Unter Korpus wird der Wissensbestand verstanden, über den jede Wissenstradition verfügt, und der durch verschiedene Arten von Medien abgebildet und in verschiedenen mehr oder minder institutionalisierten sozialen Beziehungen kommuniziert wird (Barth 2002: 3). Diese »three faces of knowledge« sind nach seiner Ansicht nicht getrennt voneinander zu untersuchen; vielmehr sollen durch prozessuale, auf agency statt structure fokussierte Ansätze ihr gemeinsames Erscheinen und ihre Interdependenz beschrieben werden. Hierdurch können wir, so Barth, verschiedene zentrale Fragestellungen entwickeln: erstens nach der agency der Wissenden, in deren Handeln sich das Wissen sozial äußert; zweitens die Frage nach der Validität von Wissen, das sich im Rahmen einer Sozialorganisation unterschiedlich verbreitet, Autoritätspositionen stützt, Macht und Ohnmacht schafft. Die Validität von Wissen ist auch mit dem Charakter des Mediums verbunden, durch das es abgebildet und verbreitet wird. Drittens ergibt sich die Frage nach der Veränderung des Wissenskorpus (»trajectory«), viertens die Frage nach der Kohärenz, die mit der Vorstellung eines Wissens-»Korpus« einher gehen muss, d.h. dem Grad von »Systemativität«, der in einer gegebenen Wissenstradition eingehalten wird. Die Frage nach der Wahrheit, obwohl Teil konkreter historischer Wissensdiskurse, stellt sich dieser sich selbst als relativistisch verstehenden Ethnologie des Wissens nicht als wichtigstes Problem dar, denn: »it would not be very fruitful for anthropologists to study the varieties of human knowledge only to dismiss most of them for faulty method.« (Barth 2002: 10) Die Dreiteilung in Korpus, Medium und Sozialorganisation sowie der prozessuale Ansatz bieten verschiedene Vorteile, das Feld zu strukturieren, was im weiteren Verlauf der Arbeit erprobt werden wird.
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1.5 Offene Fragen Für das Problem von »coherence« und »continuity« im Rahmen seiner vergleichenden Darstellung dreier Wissenstraditionen aus Papua New Guinea, Bali und der modernen akademischen Wissenschaften findet Barth interessante Lösungen. Kohärenz von Wissensbeständen sieht er nicht in ihrer abstrakten Logik begründet, sondern in der Sozialorganisation und den Medien, die Wissensbestände umschlagen (Barth 2002: 8). Hingegen ist die Frage nach dem Verhältnis der agency der Wissenden zur Struktur dessen, was sie vorfinden, nur unvollständig thematisiert, wie John Robb in seinem Kommentar moniert: denkbar seien schließlich auch umgekehrte Perspektiven, wo Wissenskorpora »ihre« Akteure überhaupt erst konstituieren (Robb 2002: 13). Noch etwas schwieriger wird es mit der Frage nach dem Charakter des Wandels, dem sowohl die Wissensbestände als auch die Sozialorganisation der Wissenden unterworfen sind – Wandel, den Barth vorerst nur »endogen« konzeptualisiert, als Druck, der durch »idle speculation« der schöpferisch Wissenden auf die Grenzen konventioneller Wissensbestände ausgeübt wird. Alle anderen denkbaren Einflüsse werden unter dem Begriff »external feedbacks from the world« (Barth 2002: 11) subsumiert. Rodseth schlägt in seinem Kommentar vor, den Wandel, Boas folgend, diffusionistisch als »growth of knowledge« zu problematisieren, der sich erstens als »development« (den Wandel von Wissen über die Zeit) und zweitens als »spread« (den Wandel von Wissen durch Verbreitung) darstellt (Rodseth 2002: 12). Für James F. Weiner bedeutet jedoch Wandel nicht immer »Wachstum« und »Verbreitung« von Wissen, sondern auf der Nachtseite auch »Verlust«: »I pose the dilemmas of contemporary indigenous Australians living in settled Australia, who face the challenge of recovering their precolonial traditions after a long period of dispossession and forced forgetting of them in order to reclaim native title rights to their ancestral lands.« (Weiner 2002: 15) Barth modifiziert nach diesen Einwänden seinen Ansatz dahingehend, »structure« immerhin in einem dialektischen Zusammenhang mit agency zuzulassen, und gibt an Weiner gerichtet zu: »certain strands of transmission can be tragically weakened and disrupted and produce deeply mutated knowledge yet be linked to perduring social groups and identities […]« (Barth 2002: 17). Trotzdem bleiben nach der Barth-Lektüre viele Fragen im Zusammenhang sowohl mit dem Wandel als auch mit dem Verhältnis von Struktur und agency offen, z.B. welche Rolle Institutionen der Wissensbewahrung spielen und wie Medien in diesem Schema zu denken sind, die auch hier eine deutlich sichtbare Doppelrolle haben, sowohl als Medien der Abbildung wie der Kommunikation (Barth 2002: 3) – gehören sie damit zum Bereich der agency oder der Struktur? Außerdem ist das Problem deutlich geworden, wie das Verhältnis zwischen »Kultur« und »Wissen« zu definieren wäre, das sich m.E. nicht in einer einfachen Ersetzung des einen Begriffs durch den anderen erschöpfen kann. Die Literatur zum Kulturbegriff in der Ethnologie ist Legion (vgl. Kroeber und
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Kluckhohn 1952); an dieser Stelle kann nur sehr spezifisch auf die mit dem Kulturbegriff verbundene Problematik eingegangen werden. Anstelle einer Definition von Kultur soll vielmehr, im Boasischen Sinn, ein »set of tensions« (Barnard und Spencer 1996: 138) zwischen Kultur und Wissen sowie Kultur und Gesellschaft das Forschungsfeld dieser Studie bestimmen. Als Arbeitsgrundlage dient ein holistisch verstandener Kulturbegriff, der sich an Tylor’s Definition10 orientiert, womit hauptsächlich die Bemühung deutlich gemacht werden soll, das Feld selbst holistisch und nicht eindimensional aufzufassen. In die Betrachtung müssen Lokales, panindianisches und US-amerikanisches (Abb. 3), Geschichte und Gegenwart, Struktur und agency, Wandel und Stasis, Archivmaterial, Feldnotizen und Interviewausschnitte einfließen. Dabei dient als Ausgangspunkt der Darstellung ein Blick auf das gesellschaftliche Sein, in dem nicht nur Akteure agency entfalten, sondern in dem agency als Potenz auch über-personalen Sozialbeziehungen eignet, die sich in wirtschaftlichen Strukturen, gesellschaftlichen Institutionen und sozialer Ungleichheit manifestieren. Diese komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse werden in verschiedenen Wechselwirkungen mit kulturellen Mustern und Diskursen gesehen.
2 W ISSENSKULTUR ALS K ONZEP T Zu erproben wäre die Brauchbarkeit eines Konzepts, das »Wissen« und »Kultur« zusammenfasst und aufeinander bezieht, ohne eines von beiden zu verabsolutieren (vgl. auch Tänzler, Knoblauch und Soeffner 2006). Mein Vorschlag ist hier, vier verschiedene Perspektiven in Anschlag zu bringen.
2.1 Gesellschaft und Wissenskultur Erstens ist jede Gesellschaft eine Wissenskultur, weil es in jeder Gesellschaft Wissensteiligkeit, einen reflektierten Diskurs über Wissen und Praxen der Wissenspflege gibt. Hier gilt, was Weiner sich von seinem australischen Gewährsmann versichern ließ, »any given generation knows exactly what it knows at any given time« – was nichts anderes heißt, als dass es keine Wissenskulturen des Mangels gibt: »If indigenous knowledge of country became mediated through Aboriginal employment on whiteowned pastoral stations in the late 19th and 20th centuries, it is indigenous knowledge of country nevertheless.« (Weiner 2002: 15; vgl. auch Hobart 1995) In einem solchen Betrachtungskontext erscheinen Medien als Vermittler und Archive von Wissensbeständen innerhalb von Kulturen, die in 10 | E. B. Tylor definiert »Culture or civilization« als »complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and many other capabilities and habits acquired by man as a member of society« (Barnard und Spencer 1996: 137).
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internen Prozessen aushandeln, was sie als archivierenswert betrachten, um es an die nächste Generation weiterzugeben. Im Rahmen einer oft von vormoderner Medientechnologie gestützten mündlichen Überlieferung gaben alle indigenen Gesellschaften nördlich von Mexiko ihre medizinischen und geographischen Kenntnisse, ihre handwerklichen Fertigkeiten und ihr religiöses Wissen, ihre Mythen, Lieder und Zeremonien von einer Generation an die nächste weiter. Dazu dienten Bilderschriften (Piktographien) und Gegenstandsschriften wie Wampumgürtel, Kerbstöcke und Knotenschnüre. Verschiedene Plains-Gruppen wie z.B. die Teton Sioux, Kiowa und Blackfoot legten auf gegerbten Häuten Jahreszählungen (ins engl. übersetzt winter counts) an, mit denen sie besondere Ereignisse eines Jahres festhielten. Der Besitzer eines solchen ledernen Geschichtswerkes gab jedem Jahr einen Namen und verzeichnete es mithilfe eines oder mehrerer kleiner Bilder. Aber die Bilderschrift wurde auch verwendet, um im Gelände Nachrichten zu hinterlassen. Während der frühen Reservationsperiode wurden sie auch per Post versendet. Auch die Ojibwe im Gebiet der Großen Seen verwendeten piktographische Zeichen. So unterzeichneten sie z.B. im Jahr 1849 eine Petition an Präsident James K. Polk mit den Symbolen für Kranich, Marder, Bär und Wels. Zeichen wurden darüber hinaus auch auf Birkenrinde festgehalten, die die Ojibwe nicht nur zum Bau von Booten, Häusern und Nahrungsmittelbehältern verwendeten, sondern auch als Medium der Aufzeichnung ähnlich wie Papier. Dies nutzten insbesondere die Mitglieder der Zeremonialgesellschaft Midewiwin, die Rollen aus Birkenrinde zur Aufzeichnung einer piktographischen Partitur ihrer umfangreichen Rituale benutzten. Bei den Nachbarn der Ojibwe, den Potawatomi, legten Heilkundige hölzerne Rezept- oder Medizinstäbe an, in die sie die Symbole für die Zutaten von Kräutermedizinen einkerbten.
2.2 Wissenskulturen im Kontakt Es kann zweitens gesagt werden, dass mehrere Wissenskulturen nebeneinander existieren, die zwar miteinander kommunizieren, sich aber durch unterschiedliche Strukturen, Diskurse, Praxen und vor allem unterschiedliche Reichweite voneinander unterscheiden. So wären beispielsweise bei Barth die Wissenskultur der Ok in Papua-Neuguinea und der Balinesische Hinduismus Wissenskulturen mit lokaler bzw. regionaler Reichweite, während die katholische Kirche und die akademische Wissenschaft Wissenskulturen mit globaler Reichweite sind. Hier erscheinen Medien als die Vermittler zwischen Kulturen, die sich austauschen und von einander abgrenzen. Sie erscheinen aber auch in der erstgeschilderten Perspektive als Medien, die den Angehörigen einer Kultur helfen, den Kulturkontakt und die daraus resultierende Perspektivenverschiebung, die sich für die gesamten Wissensbestände einer Kultur daraus ergeben, zu verarbeiten. Man könnte sogar soweit gehen, den Kulturkontakt als die Mutter allen Wissens zu bezeichnen. Der Kontakt mit den Kulturen der Ureinwohner
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Nordamerikas revolutionierte durch ihre bloße Existenz, durch ihre vielen Innovationen und durch ihren faszinierenden Vorrat neuer Zeichen und Bilder die Wissensbestände des alten Europa, das ganze Sparten neuer Medien damit beschäftigte, diesen Kontakt zu verarbeiten. Umgekehrt ergaben sich für die nordamerikanischen Ureinwohner durch den Kulturkontakt und 500 Jahre euro-amerikanischer »Zivilisierungspolitik« mindestens ebenso tiefgreifende Perspektivenverschiebungen, die sich in vielfältigen Aneignungen europäischer Materialien, Objekte und Techniken äußerten. Weitere Erschütterungen indigener Wissensbestände ergaben sich, zusammen mit einer katastrophalen Bevölkerungsdezimierung, vor allem durch eingeschleppte europäische Krankheiten. Dies führte zur zeitweise sehr weitgehenden Entwertung alter Weltbilder und zur Annahme des Christentums im indigenen Nordamerika. Die Gründe für die Annahme des Christentums und die für die Einrichtung indigener Medienprojekte ähneln sich in charakteristischer Weise: Von beiden verspricht man sich einen Zugang zu bisher unkontrollierbaren Ressourcen. Im Zusammenhang mit Vertreibung und Missionierung sind z.B. die ersten indigen produzierten Zeitungen Nordamerikas im 19. Jahrhundert zu sehen. Im Jahr 1828 gab Elias Boudinot (Cherokee) in der Hauptstadt der Cherokee Nation, New Echota, Georgia, den ersten Cherokee Phoenix heraus (Perdue 1983; Trahant 1995: 2; Murphy und Murphy 1981: 16). Die Zeitungen der Cherokee sind im 19. Jahrhundert insofern eine Besonderheit, als sie anders als andere von und für Indianer gemachte Blätter ohne missionarischen Anstoß entstanden. Der Cherokee Phoenix war nicht nur die erste indianische, sondern auch die erste zweisprachig (in Englisch und Cherokee) gedruckte Zeitung auf dem amerikanischen Kontinent. Sie entstand im Vorlauf der damals drohenden Vertreibung der Cherokee aus Georgia ins »Indianerterritorium«, dem Trail of Tears im Jahr 1838. Der Auftrag der Missionsblätter im 19. und frühen 20. Jahrhundert hingegen lautete »Zivilisierung« der Ureinwohner, doch ein Ergebnis der Publikationstätigkeit war auch, beabsichtigt oder nicht, das indigene Erbe nicht einfach abzuschaffen, sondern zu modernisieren: Das Missionsblatt Anpao The Daybreak beispielsweise wurde von 1878 bis 1937 – also über fast sechzig Jahre hindurch – jeden Monat publiziert und bot bis zu achtzig Prozent seines Inhalts in der Sprache der Lakota. Eine weitere grundlegende Perspektivenveränderung für die Ureinwohner beider Amerika drückt sich in der Zusammenfassung der vielen, kulturell völlig unterschiedlichen, sich keineswegs als Einheit begreifenden Ureinwohner unter der irrtümlichen Bezeichnung »Indianer« durch einen geographisch desorientierten Seefahrer aus. Im Laufe der europäischen Landnahme wurde aus dem Irrtum allerdings eine soziale Realität. Spätestens seit Tecumseh haben sich Angehörige verschiedenster nordamerikanischer Kulturen immer wieder panindianisch definiert, organisiert und kulturell konstituiert. Im frühen 20. Jahrhundert begannen Ureinwohner sich unter modernen Bedingungen politisch zu organisieren. Die erste solche Organisation war die Society of American Indians. Sie
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wurde 1911 gegründet; aus ihr gingen zwei besonders bekannte Publikationen hervor, Wassaja, ab 1916 von dem Arzt Dr. Carlos Montezuma (Yavapai) publiziert, und American Indian Magazine, das der Ethnologe und Archäologe Arthur C. Parker (Seneca) 1913 zum ersten Mal herausgab.
2.3 Verselbstständigung von Wissenskultur Je nachdem wie komplex die Gesellschaft ist, kann drittens auch davon gesprochen werden, dass eine Gesellschaft eine Wissenskultur hat, insofern die Wissensteiligkeit, der Diskurs über Wissen und die Wissensaufbewahrung und -pflege einen verselbstständigten, institutionalisierten Charakter haben und sich in ihnen soziale Ungleichheit perpetuiert. Daraus ergibt sich eine interessante Perspektive für die Betrachtung indigener Gesellschaften. Die These hier ist, dass vor den 1960er Jahren von einer verselbstständigten, d.h. nach westlichem Muster institutionalisierten, indigenen Wissenskultur noch nicht die Rede sein kann, sondern dass diese Wissenskultur mit ihren Institutionen wie selbstkontrollierten Schulen, Colleges, Publikationen etc. das Ergebnis einer in hohem Maße selbstkontrollierten Modernisierung indigener Gesellschaften seit Beginn der 1970er Jahre ist.
2.4 Wissenskultur als neue Qualität der Moderne Bei der Betrachtung jener Modernisierung stellt sich viertens die Frage nach möglichen Verallgemeinerungen – ob mit dem Begriff »Wissenskultur« eine Qualität der Moderne zu beschreiben wäre, in der Kultur und Wissen ein neues Verhältnis zueinander haben. Die Beschäftigung mit modernen Medien bedeutet letztlich für die Ethnologie eine Hinwendung ihres Forschungsinteresses zur »Moderne« (engl. modernity). »Modernity« ist ein vielschichtiger und umstrittener Begriff, der in der Ethnologie als wichtiger Referenzrahmen für die Ausrichtung und Identität des Faches dient (Spencer 1996). Das »moderne Programm«, so der Soziologe Shmuel Eisenstadt, das historisch als distinkter europäischer Zivilisationstypus am Ausgang des Mittelalters entstand, ist im Kern ein Modus der Weltinterpretation, der durch »Offenheit« und »Unsicherheit« gekennzeichnet ist und im Zusammenspiel mit bestimmten institutionellen Formationen steht. Diese Transformationen sind ohne die Entwicklung moderner Medien nicht vorstellbar (Thompson 1995). Hierdurch vollzieht sich ein Wandel der grundlegenden menschlichen Erfahrung von Zeit und Raum, Selbst und Anderem und in der intellektuellen Auffassung von agency und von der Autonomie der Menschen (Berman 1988; Eisenstadt 2003). Die Ethnologie ist in den verschiedenen Phasen ihrer disziplinären Existenz auf unterschiedliche Weise Teil des »modernen Programms« gewesen. Heute begreifen viele Ethnologen ihre Aufgabe darin, zu dessen Offenheit und Unsicherheit durch kulturelle Reflexivität beizutragen. Diese Reflexivität stellt nicht nur die Möglichkeit verschiedener
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Interpretationen transzendentaler Visionen, sondern deren Gegebenheit überhaupt infrage. Sie führt zur Einsicht, dass es tatsächlich eine »multiplicity of such visions« (Eisenstadt 2003, II: 495) gibt. Dabei nimmt die Ethnologie eine widersprüchliche Vermittlerposition an der Grenze (Feest 1997) ein, wie schon die Definition ihres Gegenstandes bei Kohl (2000) verdeutlicht. Die Konzentration der Ethnologie auf Gesellschaften mit geringer demographischer Größe und face-to-face-Kommunikation, sprachlicher und kultureller Homogenität, verwandtschaftlicher Einbettung des Politischen, Schriftlosigkeit, gering entwickelter Technik und subsistenzorientierter Wirtschaftsweise (Kohl 2000: 29-88) stärkt einerseits – sozusagen als Negativfolie moderner Gesellschaften – die Reflexivität und damit das »Programm« der Moderne; andererseits wird allein schon durch den Beweis des Gegenbeispiels die Unentrinnbarkeit der Moderne westlicher Prägung in Zweifel gezogen. Obwohl der Begriff »modern« in Europa mindestens seit dem 5. Jahrhundert gebraucht wird, tauchten »Modernity« und »Moderne« erst an der Wende zum 19. Jahrhundert auf und bezogen sich, besonders in Deutschland, auf »Kultur« als die Summe der neuesten Errungenschaften in Literatur und Kunst (Gumbrecht, zit.n. Kocka 2002: 120). »Modernisierung« (engl. modernization) hingegen ist ein unter amerikanischem Einfluss während der Phase der Entkolonialisierung in der Nachkriegszeit der 1950er und 1960er Jahre entstandenes Konzept. Modernisierung sieht als das Endresultat eines langfristigen und gelenkten gesellschaftlichen Wandels von der »Tradition« zur »Moderne« einen systemischen, gleichsam naturwüchsigen Zusammenhang von Kapitalismus, Industriegesellschaft, Fortschritt, Wissenschaft, Säkularismus und erfolgsorientierter individualistischer Persönlichkeitsorganisation (Kocka 2002). In der Zeit, als dieses Programm stark wurde, schienen die USA als Heimstätte der weltgrößten Konzerne zugleich auch das Mutterland des globalen Nachkriegssystems zu sein, ihre militärisch-industrielle Hegemonie galt als »self-evident and secure« (Thompson 1995: 167). Aus dieser Zeit stammen auch die Vorwürfe des »Kulturimperialismus«, die gegen diese robuste Fortschrittsphilosophie in Stellung gebracht wurden. Hier wurden amerikanische Medien und Medienformate, insbesondere das Fernsehen, erstmals einer gründlichen Kritik unterzogen, die sie in einem Feld konkurrierender ökonomischer, politischer und militärischer Macht verortete und als von Profitinteressen korrumpiert und hemmungslos expansiv kennzeichnete. Der Export ihrer Systeme und Programme in Länder der sogenannten Dritten Welt glich einer »elektronischen Invasion« Afrikas und Asiens mit Werten der Konsumorientierung, die letztlich zu einer kulturellen Transformation und damit zu einer ideologischen Zementierung der wirtschaftlichen Abhängigkeit dieser Länder von den USA führen sollte (Schiller 1969). Viele dieser Argumente fanden später mehr oder weniger simplifiziert Eingang in die Diskussion um Globalisierung, die durch das Wirken transnationaler Konzerne und elektronischer Kommunikationssysteme, so die herkömmlichen Auffassungen, weltweit zu einer vereinheitlichten »McDonalds-
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Kultur« führe. Doch die Befürchtungen haben sich nicht bestätigt, wie vor allem die neuere ethnologische Forschung zeigt.11 Vielmehr wurde, so Eisenstadt, durch die Globalisierung der Nationalstaat geschwächt, der als charismatisch aufgeladener Kulminationspunkt des kulturellen Programms der Moderne und der kollektiven Identität eine ideologische und symbolische Zentralstelle einnahm. Stattdessen entwickelten sich neue soziale Bewegungen mit neuen Visionen kollektiver Identität, die generell eine Verschiebung von staatlich orientierte auf lokale bzw. ethnizistische Bewegungen anzeigen (Eisenstadt 2003 II: 510). Hier sieht Kohl das neue Betätigungsfeld und die große Chance der Ethnologie: »Die Angst vor einem Verlust seines Gegenstandes, die das Fach seit seinen frühesten Anfängen begleitet hat, ist durch die neueste Entwicklung selbst gegenstandslos geworden. Nicht nur in Afrika, Ozeanien und Asien, sondern auch in Ost- und Südosteuropa werden vergessen geglaubte kulturelle Traditionen wiederbelebt und zum Kristallisationspunkt ethnisch-politischer Strömungen.12 In einigen Regionen trägt der weltweite Tourismus dazu bei, dass die eigenen kulturellen Überlieferungen als ökonomische Ressource wiederentdeckt werden.« (Kohl 2000: 171)
Im Gegenteil kann die Ethnologie zu einem komplexeren Verständnis der Moderne beitragen, die weder das Ende der Geschichte darstellt noch sich im Alleinbesitz westlicher Gesellschaften befindet: »Instead of looking at modernization or modernity as the ultimate culmination in the evolution of all known societies, […] modernity has rather to be viewed as one specific type of civilization, which originated in Europe and has spread all its economic, political and ideological aspects throughout the world […].« (Eisenstadt 2003 II: 875) Anstatt also die Hegemonie der euro-amerikanischen Zivilisation für die letztliche Bestimmung des Menschengeschlechts zu halten – Sahlins subsumiert dieses Denken in der Wendung »Western hegemony as human destiny« (Comaroff und Comaroff 1993: 15) –, trägt die Ethnologie zu einem Verständnis der Moderne als »multiple modernities« (Sachsenmaier und Riedel 2002: 119) bei. In der Regel 11 | Überblicke über den aktuellen Stand der Diskussion um »Global Culture« vermitteln Eriksen (2007), Kreff (2003), Inda und Rosaldo (2008), Friedman und Friedman 2008 und Hüwelmeier 2010. Für die ältere Debatte vgl. Featherstone (Hg.) 1990. 12 | Inwieweit diese weltweite »Ethnisierung« sozialer Konflikte andererseits mit der Tatsache zu tun haben könnte, dass im Zuge der Entkolonialisierung der »Dritten Welt« dort in vielen Fällen »amerikanische Wirtschafts-, Politik-, Militär- und Entwicklungsberater« (Kohl 2000: 166) den Platz der ehemaligen Kolonialherren einnahmen, ist eine Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Immerhin zeigt das hier behandelte ethnographische Beispiel, wie die »Ethnisierung« eines wirtschaftlichen Krieges im Gebiet der Großen Seen die Amerikaner in die Position der Hegemonialmacht setzte.
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erstreckt sich dieses ethnologisch informierte Verständnis von »alternativen« oder »multiplen Modernen« (»multiple modernities«) auf Länder und Bevölkerungen außerhalb der USA, vor allem die ehemaligen Opfer des Kulturimperialismus, Afrika und Asien (Comaroff und Comaroff 1993; Sachsenmaier und Riedel 2002). Für die USA wird hingegen derselbe Prozess als das Gegenteil, als »Retribalisierung« dargestellt (Hughey 1998),13 die verschiedene widersprüchliche Entwicklungen aufweist. Winant macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass die ehemals aus Asien in die USA eingewanderten Bevölkerungsgruppen nicht länger als chinesisch, japanisch, koreanisch etc. identifiziert, sondern mit dem neuen, auch von Aktivisten bevorzugten Label Asian Americans in gewisser Weise einer »Rassifizierung« (»racialization«) unterworfen wurden (Winant 1998: 200). Was die indigenen Bevölkerungen Nordamerikas betrifft, so bleibt zu klären, welche Spezifika eine alternative »indigene Moderne« von anderen Modernen unterscheidet (vgl. Povinelli 1999). Inwiefern sind indigene Gesellschaften in ihrer Kultur und Ethnogenese sowie in ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert von der Ankunft und der spezifischen Formation der Moderne in Amerika geprägt? Welche eigenen intellektuellen Diskurse über die Moderne, Modernisierung und welche anti-modernistischen Tendenzen gibt es im indigenen Nordamerika? Wie sieht eine spezifisch tribale indigene Moderne aus, welche Anpassungen erfordert sie, welche Widersprüchlichkeiten bringt sie hervor?
3 I NDIGENE M EDIEN N ORDAMERIK AS : Ü BERBLICK ÜBER DIE F ORSCHUNG Indigene Printmedien sind bibliographisch bis Anfang der 1980er Jahre gut erschlossen, vor allem durch die Arbeit von James P. Danky, dem Zeitungsbibliothekar der State Historical Society of Wisconsin, der in seiner Abteilung den Sammlungsschwerpunkt Native American Periodicals eingerichtet und die Bibliographie Native American Periodicals and Newspapers, 1828-1982 (Danky und Hady 1984) herausgegeben hat. Die drei Bände von Daniel F. Littlefield und James W. Parins vom English Department der University of Arkansas at Little Rock zeichnen sich durch persönliche Inaugenscheinnahme vieler Zeitungsredaktionen aus (Littlefield und Parins 1984, 1986a und 1986b). Die erste Monographie zum Thema indigene Medien, Let My People Know: American Indian Journalism, 1828-1978 (Mur13 | Die Medien haben hier eine zwiespältige Rolle. Einerseits ist unbestreitbar, dass internationale Medienkonzerne zur Verbreitung des von westlichen Politikern bevorzugten Interpretationsschemas beitragen, nach dem angeblich »ethnisch motivierte« Kriege und Krisen in der sog. Dritten Welt die »humanitäre Intervention« rechtfertigen (Allen und Seaton 1999). Andererseits ist genauso unbestreitbar, dass Medien z.B. in Rwanda als Einpeitscher des Massenmords benutzt wurden (McNulty 1999: 274).
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phy und Murphy 1981) ist fehlerhaft und mittlerweile veraltet. In Madison (Wisconsin) entstanden darüberhinaus der Tagungsband Native American Press in Wisconsin and the Nation (Danky, Hady und Morris 1982), in dem auch indianische ZeitungsmacherInnen zu Wort kommen, sowie eine Studie der indigenen TV-Journalistin Patty Loew (Loew 1992; 1998) über die Presseberichterstattung der Lakeland Times (Minocqua, Wisconsin) und der News From Indian Country (Lac Courte Oreilles Reservation, Wisconsin) anlässlich der sogenannten boatlandings in der Auseinandersetzung um Ojibwe-Fischrechte. Weitere von indigenen Autoren verfaßte Texte über indigene Medienarbeit sind die Broschüre Pictures of Our Nobler Selves (Trahant 1995) und das Kapitel Old Crow Wing to White Earth in Gerald Vizenors erzählter Geschichte der Ojibwe (Vizenor 1984). Hier geht es um The Progress, die erste Zeitung der White Earth-Reservation in Minnesota. Von dem prominenten Journalisten Tim Giago (Lakota) stammt außerdem der Band Notes From Indian Country mit seinen für die Regionalzeitung Custer County Chronicle verfaßten Kolumnen (Giago 1984). Der von der National Conference of Christians and Jews gesponserte Band The American Indian and the Media befaßt sich auf praktischer Ebene mit der Frage, wie das Bild der Indigenen in der amerikanischen Öffentlichkeit anders geprägt werden kann, deckt Medienstereotype auf und vermittelt Adressen und alternative Informationsquellen für Journalisten (American Indian Media Image Task Force 1991). An inhaltlicher Forschung sind weiterhin drei Aufsatzbände zu nennen, an erster Stelle der Band Ethnic Minority Media, der 1992 von Harold Riggins herausgegeben wurde, einem ehemaligen Reporter der Toronto Native Times, der sich ganz auf die Situation in Kanada beschränkt. Die Autoren des Bandes befassen sich hauptsächlich mit Aspekten der Assimilation von Minderheiten in die dominante Gesellschaft durch die Minderheitenmedien, wohingegen die Bände von Martindale et al. (1993) und Husband et al. (1994) Fragen aufgreifen, die eher der Applied Anthropology zuzurechnen sind, wie z.B. Journalistenausbildung. In diese Richtung zielt auch die Arbeit von Sheila Reaves von der School of Journalism, University of Wisconsin at Madison (Reaves 1995). Bradley Knopff hat mit Reservation Preservation eine soziologische Dissertation vorgelegt, welche die Rolle von Powwows und Radiostationen im sozialen Wandel der Reservationen Turtle Mountain, Pine Ridge, Lac Courte Oreilles und Roseau River erkundet (Knopff 2001). Die historische Forschung konzentriert sich auf die Anfänge indigener Medienarbeit bei den Cherokee, da sie mit der Erfindung der Cherokee Silbenschrift durch Sequoyah verknüpft sind, sowie mit der gewaltsamen Vertreibung der Indianer des Südostens in Gebiete westlich des Mississippi. Ein weiterer historischer Schwerpunkt ist die Berichterstattung »weißer« Medien über Ereignisse aus den Indianerkriegen und die Rolle der Medien beim Schüren rassistischer Hetzkampagnen (vgl. Blankenburg 1968, Knight 1960 und Watson 1940). Gelegentliche Erwähnung finden indianische Printmedien außerdem in der Literaturforschung (vgl.
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z.B. Ruoff 1983: 310-315 und Krupat 1985; 1989: 207), sowie in journalistischen Fachzeitschriften (wie z.B. Editor & Publisher) und am Rande von Monographien (z.B. Weibel-Orlando 1986; Landsman 1988; Valentine 1995; Spielman 1998). Elektronische Medien – Radiostationen und in geringerem Umfang Lokal-TV – sind in dem frühen Aufsatz von Marianne Stenbaek-Lafon über grönlandisches Radio thematisiert (Stenbaek-Lafon 1982). Sie werden als Ganzes von Michael C. Keith vom Communication Department des Boston College in seiner Studie Signals in the Air von 1995 vorgestellt, in der die Geschichte des indianischen Rundfunks und einige wichtige Grundbedingungen seiner heutigen Existenz, Zulassungsverfahren, Finanzierungsquellen etc., charakterisiert werden. Zwei weitere Radiostudien für den Bereich indigenes Nordamerika sind in dem o.e. Aufsatzband von Riggins enthalten (Riggins 1992). Es herrschen unterschiedliche Ansichten über die Bedeutung selbstkontrollierter Medien für indigene Kulturen und ihre Existenz im Gesamtgefüge einer Mehrheitsgesellschaft. Oftmals sind Aussagen über die spezifische Bedeutung indigener Medien vage formuliert14 , oder sie übernehmen unreflektiert den aktivistischen Standpunkt der Medienbetreiber selbst15 . J.C. Faris schätzt die Möglichkeiten selbstbestimmter Medienproduktion überaus pessimistisch ein: »There has never been a film of them by them for them« (Faris 1992: 171). S.H. Riggins hingegen spricht geradezu von einem Mediengebot für indianische Gruppen, für die das gleiche »publish or perish« gelte wie für Akademiker (Riggins 1992). Indigene Intellektuelle wiederum beurteilen Medien – u.a. aufgrund ihrer Vergänglichkeit, ihrer Verhaftung im Aktuellen sowie der euro-amerikanischen Herkunft ihrer Technologie – ebenso gegensätzlich. Während George Horse Capture, Kurator am New Yorker Museum of the American Indian in einem Gespräch mit mir die Beschäftigung mit indigenen Medien für sekundär hielt16, erachtet der Schauspieler und Autor Gary Farmer sie als überaus wichtig zur Erhaltung indigener Sprachen (Farmer 1994). Leighton Peterson beschäftigt sich auf der Basis langjähriger Forschung und Arbeit als Moderator bei KWRK, dem Jugendsender der Navajo-Radiostation KTNN, eingehender mit dieser Rolle und schätzt sie, abseits von Heilserwartungen, als konstruktiv ein (Peterson 1997).
14 | Vgl. z.B. Keith: »There is little to dispute claims that Native stations have contributed to life in the Indigenous community.« (Keith 1995: 97) 15 | Vgl. z.B. Stenbaek-Lafon: »To be master of one’s own media, is to be master of one’s own fate« (Stenbaek-Lafon 1982: 39) 16 | Persönliches Gespräch mit George Horse Capture, Research Branch des Museum of the American Indian, New York City, 26.05.1997.
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Abb. 4 Der Mittelwellensender KTNN »The Voice of the Navajo Nation« ist die indigene Radiostation mit dem größten geschlossen siedelnden indigenen Publikum der USA. Die als live remote bezeichneten Direktübertragungen dienen als Werbeveranstaltungen für Werbekunden und die Radiostation gleichermaßen. Navajo Nation, 1998.
Foto: Cora Bender, 1998.
Die Idee, dass selbstkontrollierte Medien zur allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung indigener Gruppen beitragen (Abb. 4), hat eine ihrer Wurzeln in der kanadischen Forschung, die in den 1960er Jahren eine durch den Kulturbegriff informierte Medientheorie (Carpenter 1972; McLuhan 1964) mit Community Studies zu verbinden suchte (Graburn 1982; Granzberg und Steinbring 1980; Granzberg 1982; Brisebois 1983; Rupert 1983). Von der postmodernen Debatte um ethnographische Repräsentation (Clifford und Marcus 1986; Marcus und Fischer 1986) noch gänzlich unberührt, förderten diese Studien wichtige Einsichten in kulturspezifisches Medienkonsumverhalten zutage, verhielten sich aber zu dieser anderen Art der medialen Wissensverarbeitung (z.B. Wahrsagen via Fernsehprogramm bei den Ojibwe) rein deskripiv oder paternalistisch, indem sie beispielsweise bei den Beforschten mangelnde Medienliteralität im westlichen Sinn diagnostizierten (vgl. hierzu auch Dracklé 1999). Die kanadische Medienforschung hat das Interesse an der Mediennutzung indigener Kommunitäten nicht verloren, doch die Studien beruhen nicht ausdrücklich auf Feldforschung und präsentieren eher quantitativ gestützte Aussagen als Portraits lokaler Kommunikationsprozesse und Verhandlungen von Sinn und Inhalt von Medien (Thomas 1992; Demay 1991; Bredin 1993). Die Forschung im Allgemeinen hält sich darüber hinaus immer noch an eine nicht weiter begründete Trennung von elektronischen und Printmedien (hier bildet Reaves 1995 die einzige Ausnahme), und sie begrenzt zum Anderen indianische Medienarbeit auf alles, was
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unter der Kategorie »Journalismus« zu fassen wäre (hier bildet auch Reaves keine Ausnahme). Beide Grundannahmen sind möglicherweise Ausdruck des berufsständischen Denkens, das bis vor kurzem die Forschung auf diesem Gebiet dominierte. Das sicherlich wichtigste ethnographisch dokumentierte Beispiel für indigene Zeitungsarbeit ist die von Eike de Vries bearbeitete Navajo Times, die langlebigste unter allen heute noch erscheinenden indigenen Zeitungen (de Vries 2000). Eike de Vries arbeitet einen für die Argumentation dieser Studie äußerst wichtigen Punkt heraus, dass die Printmedien der Navajo ein modernes Selbstbild der Navajo widerspiegeln. Auch die Dissertation von Bradley Knopff kreist um die Frage, wie sich kulturelle Kontinuität unter den Bedingungen beständigen Wandels als moderne indigene Kultur ausdrückt. Dies regte mich zu der Frage an, worin eine solche indigene Moderne bestehen könnte und wie sie an einem konkreten Beispiel zu fassen wäre.
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II Lac Courte Oreilles: Wirtschaft, Politik, Repräsentation
1 M EINE F ORSCHUNG Im Verlauf meiner ersten Recherchen zum Thema indigene Medien wurde ich im Jahr 1997 auf Lac Courte Oreilles aufmerksam, weil es in der damals knapp 3000 Einwohner großen Reservation eine Radiostation, eine Stammeszeitung und ein US-weit vertriebenes Blatt mit panindianischer Reichweite gab. Zudem hatte die Reservation in den 1980er Jahren eine wichtige Rolle bei den sogenannten treaty rights-Auseinandersetzungen um indigene Landnutzungsrechte gespielt. Die Ojibwe-Journalistin und Historikerin Patricia Loew (UW Madison), die in den Jahren von 1988 bis 1994 als Nachrichtenreporterin für die in Madison operierenden Fernsehsender WKOW-TV (ABC) und WHA-TV (PBS) arbeitete und die Auseinandersetzungen vor Ort miterlebte, schilderte diese Rolle so: The Lac Courte Oreilles community has always been this hotbed of political activity […]. I don’t think it’s a coincidence that Lac Courte Oreilles is an epicenter for native media in this continent. And also, it was an epicenter for a major treaty rights battle, probably one of the most significant treaty battles in the last decade. (Interview Patricia Loew)
Die Medienprojekte existierten nicht im luftleeren Raum; im Gegenteil: Schon bei meinen ersten Besuchen in den Jahren 1997 und 1999 wurde mir deutlich, dass Lac Courte Oreilles über eine vergleichsweise dichte eigene Infrastruktur und eigene Institutionen verfügt. Später las ich, dass das eine neuere Erscheinung ist. In einem Zeitungsartikel des lokalen Mainstream-Blattes Sawyer County Record (SCR), das mir in den folgenden Jahren zur ständigen Lektüre werden sollte, erinnerte ein Bewohner von Lac Courte Oreilles, Willis Isham, sich im Jahr 1953 daran, dass 1878, als seine Familie nach Reserve kam, die einzige Verbindung zur Außenwelt in einem Postdienst bestand, der im Winter auf Schneeschuhen von Reserve nach Grandview lief, von wo aus ein weiterer Bote die Post nach
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Superior brachte (Berger 1953). In den 1920er Jahren bestand für kurze Zeit eine kleine Eisenbahnverbindung, die Reserve mit Hayward verband; vor der Einführung von asphaltierten Straßen und Autos dauerte der Weg von Lac Courte Oreilles nach Hayward einen halben Tag. Bis in die 1970er Jahre hinein war Lac Courte Oreilles in jeder Hinsicht auf seinen Nachbarort Hayward angewiesen; man musste in die Stadt, to town, fahren, um einzukaufen, zur Schule zu gehen oder sich ärztlich behandeln zu lassen. In Hayward ist die Bezeichnung out there für die Reservation allgemein üblich. Heutzutage hingegen hat der Stamm eine eigene Basisgesundheitsversorgung, einen eigenen öffentlichen Busverkehr, ein Bildungssystem mit einer sog. K-12-School (Kindergarten bis High School) sowie ein eigenes Community College und eine Bibliothek, eine Radiostation, einen Supermarkt, Jugend- und Seniorenzentren, neben dem Casino und Hotel noch mehrere tribale Wirtschaftsunternehmungen, einige kleinere Privatbetriebe von LCO-Mitgliedern, ein kleines Internetcafé, ein HamburgerRestaurant und einen »Tribal Office« genannten Verwaltungsapparat mit verschiedenen Unterabteilungen wie Wohnungsverwaltung, Sozialstelle und Arbeitsvermittlung (Abb.5). Abb. 5 Skulptur zu Ehren des Bärenklans auf dem Dach des Tribal Office von Lac Courte Oreilles, 2007.
Foto: Cora Bender, 2007.
Lac Courte Oreilles veranstaltet darüberhinaus das größte Powwow in Nord-Wisconsin, das Honor the Earth Powwow, das an jedem dritten Juliwochenende zehntausende von Menschen nach Sawyer County zieht. Lac Courte Oreilles erwies sich mit seiner geographischen und zahlenmäßigen Überschaubarkeit und seiner sichtlichen strukturellen Dichte als denkbar gut geeigneter Ort für eine Forschung über die Wirkungsweise indigen kontrollierter Medien im Rahmen einer indigenen Moderne. Bei meinen ersten Besuchen in den Jahren 1997 und 1999 wurde ich sowohl vom Team der Radiostation, WOJB-FM, als auch von Paul DeMain,
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dem Herausgeber der Zeitung News From Indian Country (NFIC), mit großer Freundlichkeit empfangen und eingeladen, wiederzukommen. Es folgten weitere Aufenthalte von jeweils vier Wochen bis vier Monaten Dauer in Lac Courte Oreilles in den Jahren 2000-2003. In dieser Zeit lebte ich in der Reservation bei verschiedenen Familien und machte mich als Praktikantin bei WOJB nützlich. Das Radio wurde zum Fixpunkt meiner Forschung, von dem aus ich begann, die Reservation zu erkunden. Zuerst standen offene Interviews im Mittelpunkt der Datenaufnahme, später kamen mehr und mehr eigene Beobachtungen und Recherchen in der Bibliothek der State Historical Society in Madison und in anderen indigenen Kommunitäten hinzu. Im Gegensatz zu anderen Forschern, die über Probleme mit Stammesadministrationen klagen, bin ich in Lac Courte Oreilles nie an meiner Arbeit gehindert oder dabei eingeschränkt worden. Trotzdem besprach ich mich vor dem Interview, das der langjährige Tribal Chairman Gaiashkibos mir zu geben bereit war, mit Freunden bei WOJB, ob es ratsam sei, mich als Ethnologin zu outen. Man gab mir professionellen Rat: He probably knows already who you are, so you better talk straight to him. Just tell him, »you know, there’s all these misconceptions about anthropologists, that we dig up graves and collect old bones, that’s just not true«. (Anonym)
Das war nicht einmal notwendig. Der einzige, der mich in Lac Courte Oreilles je als Ethnologin konfrontierte, war Edward Benton Banaise, ehemaliger Aktivist des American Indian Movement, spiritueller Ratgeber, freischaffender Kulturexperte und Autor von Kinderbüchern über traditionelle Ojibwe-Kultur: Edward Benton Banaise: So, you’re a freelance writer? Cora Bender: No, I’m an anthropologist. EB: Ha?! [mit Humor:] Now you scare me! CB: Oh, why? EB: Anthropologists have a very bad reputation in Indian communities! CB: I know! [seufze ich, wie jemand, der schon oft mit einem ungerechten Stereotyp konfrontiert wurde]. EB [versöhnlich]: Well, in the last years, things started to change a little bit. People have more respect today. But in those times, anthropologists would come and take away – everything! They would even dig up our graves! CB: Well, I’m not digging up anybody here…! (Gespräch Eddie Benton Banaise)
Eddie lachte und gab mir ein Interview.
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1.1 Forschungsleitende Fragen In dieser Konversation sind die Ausläufer einer schon im ersten Kapitel erwähnten Debatte zu entdecken, die durch Vine Delorias berühmte Attacke auf die Ethnologie (Deloria Jr. 1969) ausgelöst und in deren Folge die Beziehungen zwischen den Ureinwohnern und der Ethnologie kritisch überprüft wurden (Morrison 1997; Mihesua 1998; Biolsi und Zimmerman 1997; Thornton 1998; Deloria Jr. 1980). Eddie Bentons Rede von den Ethnologen, die »alles« mitgenommen haben, verdeutlicht darüber hinaus, dass die vielen Jahre euro-amerikanischer Kolonial- und Zivilisierungspolitik gegenüber den Ureinwohnern heute von diesen offensichtlich nicht nur als eine gewaltige Krise sondern als versuchter kultureller Genozid aufgearbeitet werden. Die damit einhergehende kulturelle Zäsur wird für die indigene Bevölkerung des Seengebiets in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts angesetzt. In dieser Zeit verschwand nach einer ganz allgemein in der Ethnologie, den Geschichtswissenschaften, der amerikanischen Populärkultur und bei heutigen Indianern verbreiteten Auffassung der überwiegende Teil des damaligen kulturspezifischen Wissens über Mensch, Natur und Übernatürliches mitsamt seinen sozialen Institutionen. Es wurde durch die Fremdherrschaft einer euro-amerikanischen, wissenschaftlich-technokratischen Fortschrittslogik ersetzt, für die hier stellvertretend die als Grabschänderei und Kraniologie angeklagte oder veralberte Ethnologie herangezogen wird. Dies stellt die Kulturen des indigenen Nordamerika als organische Tradierungskontinua infrage (Mauzé 1997). Wie verläuft kulturelle Transmission, wenn die Weitergabe von Wissen zwischen den Generationen unterbrochen wurde, wenn, um die dramatische Formulierung von Eddie Benton nochmals aufzugreifen, »die Ethnologen alles weggenommen« haben? Eine wichtige Frage dieser Studie war es deshalb, herauszufinden, ob die Behauptung von dem kulturellen schwarzen Loch, jenseits dessen nur noch interessengeleitete Rekonstruktionen existieren, überhaupt in dieser Form aufrecht erhalten werden kann. Denn wenn »alles« an kulturspezifischem Wissen »weg« ist, was wird dann in der Praxis dieser Institutionen, in den Interaktionen der LCO-Leute verhandelt? Handelt es sich nur um eine simple Dichotomie zwischen einem in ethnographischen Monographien archivierten Wissenskorpus einerseits und einem amerikanischen kulturellen Lebensstil andererseits, die über politische Mechanismen miteinander verbunden sind? Oder gibt es darüber hinaus andere Formen des Wissens, lebendiges Wissen, indigen kontrollierte Wissenskorpora sozusagen, in denen sich die Formierung einer indigenen Moderne widerspiegelt? Wie kann man dieses Wissen fassen? Wer kontrolliert es? Welche Rolle spielen die heutigen selbstkontrollierten Institutionen, besonders – aber nicht nur – die Bildungsinstitutionen und Medien bei der Pflege und Weitergabe von Wissen, wenn sich dieses nicht mehr in der Familie fortpflanzt? Was unterscheidet diese Strukturen, in denen LCO-Leute heute leben, kommunizieren und arbeiten, von ebensolchen Strukturen und Einrich-
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tungen in benachbarten Kleinstädten des Mittelwestens? Was waren die historischen Faktoren ihres Entstehens, was sind die Bedingungen ihrer institutionellen Verfestigung und Fortdauer? Was denken LCO-Leute über sie, wie sind sie in die lokale Imagination integriert, wie formieren sie andererseits die Diskurse der Kommunität, welche Art von Wissenskultur ist dabei entstanden?
1.2 Zu den ver wendeten Daten und der Art ihrer Darstellung Im ersten Kapitel wurden bereits einige zentrale Fragen rund um agency und Subjektivität in der Forschung aufgeworfen. Ein weiterer Bereich, in dem dies wichtig wird, ist die tatsächliche Feldforschungssituation. Wie bereits erwähnt, ging ein wichtiger Impuls zur methodologischen Erneuerung der Ethnologie, die letztlich zur Beschäftigung mit Medien, Subjekt und Moderne führte, von der indigenen Kritik an der Ethnologie aus. So ist die Medienethnologie als Subdisziplin auch das Ergebnis einer bewusst reflektierten Kollaboration zwischen der Ethnologie und den von ihr Beforschten. Bereits in den 1950er Jahren durch den französischen Filmemacher Jean Rouch praktiziert, in ihrer Tragweite aber lange völlig unterschätzt, ist das Projekt einer anthropologie partagée (Rouch [1974] 2003), einer gemeinsam entwickelten und durchgeführten Forschung, erst durch die Debatten um die Repräsentation der Beforschten in den Medien zum neuen Forschungsideal geworden. Ideal deswegen, weil sich die Gegebenheiten vor Ort, die geographische Distanz zwischen Feld und heimatlichem Schreibtisch, die Konventionen von Autorschaft und die Erfordernisse der Forschungsfinanzierung oft nicht mit diesem Ideal in Übereinstimmung bringen lassen. Was sich aber ganz sicherlich unumkehrbar verändert hat, ist das soziale Verhältnis von Forscherin und Informantin. Für die Darstellung wurden Daten aus zwei verschiedenen Zeithorizonten verwendet. Der erste Zeithorizont ist die Periode der 1970er und 1980er Jahre, in denen die heutige Medienlandschaft in LCO sich herausbildete. Diese Zeit wird anhand von Archivmaterial und Erinnerungen von Zeitzeugen dargestellt. Der zweite Zeithorizont ist die ethnographische Situation, die ich bei meinen Recherchen seit 1997 in Lac Courte Oreilles vorfand. Dieses Vorgehen habe ich gewählt, um in die Studie die Dimension des gesellschaftlichen Wandels zu integrieren, und um archivarisch überlieferte Daten mit solchen aus Interviews und eigenen Beobachtungen zu ergänzen bzw. zu kontrastieren. Dadurch werden essentialistische oder verabsolutierende Verständnisweisen von »culture«, »indigeneity« und ähnlichen Begriffen vermieden – was nicht bedeutet, dass manche meiner indigenen Gesprächspartner sich nicht gern solcher Verständnisweisen bedienten. Die Vorstellung, Kultur sei etwas Wandelbares, Lebendiges, Subjektives und vor allem: Öffentliches, gerät immer wieder, auch in Lac Courte Oreilles, mit einem in einer mythischen Vergangenheit fixierten Kulturbegriff aneinander, der Kultur als ein rares Gut betrachtet.
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Mich interessiert dabei jeweils weniger, wer in dieser Auseinandersetzung »recht« hat, sondern wann und aus welchen Gründen jeweils verschiedene Verständnisweisen von Kultur artikuliert und gelebt werden. Auch soll durch mein methodisches Vorgehen ein Aspekt verdeutlicht werden, der immer wieder angezweifelte und zumeist pessimistisch beurteilte Aspekt des impact, den Medienaktivitäten abseits der dominanten MainstreamMedien haben. Dabei geht es weniger um Medienwirkung im Sinne von manipulationstheoretischen Fragestellungen, sondern Medienwirkung wird in einem Zusammenhang mit längerfristigen Veränderungen der Wissenskultur verstanden. Der ursprüngliche Plan, diese zwei Zeithorizonte auch in der Gliederung der Arbeit voneinander zu trennen, hat sich als zu umständlich und im Rahmen einer Dissertation als impraktikabel erwiesen. Das Problem, mit dem Medien eine solche Forschung sogleich konfrontieren, ist die überwältigende Datenfülle, die sich auftut, sobald man sich den Inhalten zuwendet. Ein einziger Jahrgang einer vierundzwanzigseitigen monatlichen indianischen Reservationszeitung und eine einzige Woche Sendeprogramm eines Radiosenders mit achtzehn Stunden täglicher Sendezeit bieten mehr Details, als man in irgendeinem Forschungsbericht unterbringen kann. Während dieser Umstand die Medien zu einer hervorragenden historischen und Unterrichtsquelle macht, muss eine Studie, die sich schwerpunktmäßig mit dem Sozialleben dieser Medien befasst, eine Wahl treffen zwischen Interaktion und Inhalten. Diese Entscheidung ist immer eine Gratwanderung, bei der wichtige Aspekte außen vorgelassen werden müssen. Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Interaktion zwischen Menschen, weniger auf den Medieninhalten, obwohl diese auch betrachtet werden, die aber isoliert betrachtet den Fokus zu sehr vom »Wissen« in Richtung »Konstruktion« verschoben hätten. Da außerdem der Versuch unternommen werden soll, über den media impact Aussagen zu machen, wird auch den Spiegelungen indigener Aktivitäten im lokalen Mainstream-Blatt Sawyer County Record einiger Raum gegeben. Außerdem wird in der Studie das direkte Zitat von Informanten der zusammenfassenden Beschreibung ihrer Aussagen vorgezogen. Die Verwendung reichlicher Interviewausschnitte begründet sich einerseits in den Techniken der mit Wissen und Kognition beschäftigten kognitiven Ethnologie (Werner und Schoepfle 1987), die zwar nicht als theoretischer Rahmen für diese Arbeit dient, in deren Feldschule bei den Navajo ich 1998 aber meine Forschung über KTNN unternahm, und die in mancher Hinsicht meine Darstellungspraxis geprägt hat. Es geht dabei auch um eine Auffassung, die analog zur Bedeutung des Objekts in der materiellen Kultur dem Interviewausschnitt einen dokumentarischen Wert zubilligt, der ihn zu einem Artefakt aus eigenem Recht macht. Dabei spielt auch eine gewisse Vorsicht gegenüber einem übertrieben eifrigen »Hermeneutismus« eine Rolle, der den Informanten entmündigt, indem er pausenlos zu ergründen versucht, was der Informant »eigentlich« sagen wollte. Zum Schluss ist die extensive Verwendung von Interviewmaterial auch ein Ausdruck einer persönlichen Vorliebe für sprachliche
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Kommunikation und ein kleines Zeichen des Respekts für die Leute von Lac Courte Oreilles, die sich so viel Zeit genommen haben, mir ihre Sicht der Dinge und ihre Welt zu erklären.
2 L AC C OURTE O REILLES – EIN HISTORISCHES P ORTR AIT 2.1 Geographie und natürliche Umwelt Die Ojibwe-Reservation Lac Courte Oreilles am Oberlauf des Chippewa River in Nordwest-Wisconsin liegt südlich des Lake Superior-Tieflandes in einem Gebiet, das landschaftlich immer noch durch die letzte, vor ca. 25.000 Jahren beginnende sog. Wisconsin-Eiszeit geprägt ist. Niedrige, wellenförmige Hügel, zerklüftete Felsbrocken und Sand sind alles, was die Gletscher von den ehemaligen Bergen im nördlichen Drittel Wisconsins, dem sog. Nördlichen Hochland, übriggelassen haben, doch Spuren der Eiszeit sind heute noch überall zu sehen. So sind Lac Courte Oreilles und der acht Meilen entfernte Nachbarort Hayward, der von der Reservation aus gesehen im Nordosten liegt, durch eine eiszeitliche Muräne voneinander getrennt. Das Land war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dicht bewaldet; vor allem die majestätische Weymouthskiefer (engl. white pine) dominierte den nördlichen Nadelwald, der in Flusstälern und durch natürliche Feuer geschaffenen Lichtungen auch von Birken und Zitterpappeln durchsetzt war. Tausende fischreicher kleiner Seen und Flüsse zogen viele Arten von Pelztieren an, wie Hase, Rotfuchs, Wolf, Marder, Luchs, Nerz, Bisamratte, Biber, Otter, wohingegen Weidetiere wie Bisons und Hirsche ursprünglich in dem schattigen und undurchdringlichen Waldland eher selten waren. Eine Besonderheit der Region ist das Vorkommen von Zizania Aquatica, der sog. Wildreis, den die Ojibwe manoomin nennen (Vennum 1988). Er gedeiht in flachen Gewässern, kann per Boot abgeerntet und nach einem Darrvorgang ähnlich wie domestizierter Reis zubereitet werden. Die Lake Superior-Mississippi-Wasserscheide verläuft 25 Meilen nördlich von der Reservation, so dass die Flüsse in der unmittelbaren Umgebung von Lac Courte Oreilles in den Chippwa River und von dort aus in den Mississippi entwässern.
2.2 Besiedelungsgeschichte Dieser Umstand erleichterte zu verschiedenen Zeiten die Besiedelung und Ausbeutung des Landes durch indigene und euro-amerikanische Einwanderer. In Wisconsin leben seit mindestens 12.000 Jahren Menschen; die verschiedenen als Woodland bezeichneten archäologisch nachgewiesenen Kulturen, die seit etwa 800 vor unserer Zeit die Gegend besiedelten, hinterließen u.a. verschieden geformte Grabhügel oder mounds (auch in Lac Courte Oreilles gibt es zwei) und andere Überreste materieller Kultur, die auf Fernkontakte schließen lassen, welche die Woodland-Kultu-
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ren zu verschiedenen Zeiten mit den weiter südlich gelegenen Kulturen entlang des Ohio und Mississippi gehabt haben müssen. Die heutigen Ojibwe-Kommunitäten in Nord-Wisconsin gehen auf eine Besiedelung durch indigene Jäger und Fallensteller im Zuge des kolonialen Pelzhandels zwischen 1670 und 1800 zurück. Die ersten europäischen Besucher waren die französischen Entdecker Groseilliers und Radisson, die Mitte des 17. Jahrhunderts, aus Montreal kommend, in der Bucht von Chequamegon am Südufer des Lake Superior überwinterten und im Spätherbst einen Ausflug zu einem Dorf am Lac Courte Oreilles machten, wo damals noch Ottawa lebten. Man führt die Namensgebung darauf zurück, dass die Franzosen die Ottawa »Kurzohren« (»courte oreilles«) nannten, weil diese sich im Gegensatz zu anderen Ureinwohnern nicht mit schweren Ohrringen schmückten. Nach 1679, als die Ojibwe mit den benachbarten Dakota in eine kürzere Periode relativen Friedens eintraten, etablierten Ojibwe-Jäger in der Bucht von Chequamegon bzw. auf Madeline Island eine permanente Siedlung, von wo aus Jäger für kürzere Aufenthalte ins Inland vordrangen. Die von dem Ojibwe-Autoren William Warren gesammelte orale Geschichte der Region berichtet, dass um 1745 drei Brüder aus dem Bärenclan mit ihren Familien auf einem solchen Jagdausflug ein Kind verloren, das sie am Lac Courte Oreilles begraben mussten. Sie entschieden sich, in der Nähe des Grabes zu bleiben und errichteten eine permanente Siedlung, die mit den Jahren anwuchs und nach dem Zuzug eines Händlers zu einem Handelsposten wurde (Warren 1885: 191). Eine konkurrierende Geschichte besagt, dass es sich um einen toten Ottawa-Krieger handelte, den die Brüder im Wasser fanden. Dies hielten sie für ein glückverheißendes Zeichen und beschlossen, sich in der Gegend niederzulassen, die sie fortan odaawaazaaga’igan nannten, »Ort des toten Ottawa-Kriegers«1 . Euro-amerikanische Siedler wanderten vor allem zwischen 1840 und 1920 ein; die größten Einwanderergruppen europäischer Herkunft in Nord-Wisconsin sind Deutsche, Skandinavier und Polen, wobei Einwanderer angloamerikanischer Herkunft, zumeist Protestanten aus anderen Teilen der USA, sich als Landspekulanten, Bankiers, Eisenbahninvestoren und Sägewerksbesitzer an die Spitze der sozialen Skala setzten, ein Platz, den sie in Sawyer County wie auch anderen ländlichen Gegenden von Wisconsin bis heute behaupten. Hispanische, asiatische oder schwarze Einwanderer gibt es in der Gegend von Lac Courte Oreilles nicht in nennenswerter Zahl. Sawyer County, der als einer der letzten Counties von Wisconsin im Jahr 1883 geschaffen wurde, hat heute ca. 15.000 Einwohner, davon dürfte ca. die Hälfte in oder in der Nähe der Stadt Hayward leben, die als Verwaltungssitz fungiert. Lac Courte Oreilles hatte zum Zeitpunkt der Forschung ca. 5.000 Stammesmitglieder (tribal members), von denen aber nur ca. die Hälfte permanent in der Reservation wohnen, die anderen leben in den Großstädten des Mittelwestens, vor al1 | »Odawasagaegun – the place where we found the Ottowa«, so schreibt Rick St. Germaine (LCOJ February 1986).
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lem in Milwaukee, Minneapolis-St. Paul und Chicago. Zu verschiedenen Zeiten, im Sommer, während der Jagdperioden im Herbst sowie nach den ersten Schneefällen im Winter kommen außerdem noch Touristen nach Sawyer County, deren Zahl in die Zigtausende geht.
2.3 Wirtschaft Die Ojibwe waren als erfolgreiche Jäger und Fallensteller stark am Pelzhandel unter französischer und britischer Kolonialmacht beteiligt; ihre Lebensweise und materielle Kultur wurde tief von dieser ökonomischen Aktivität geprägt. Lokal lag der Pelzhandel von Beginn an in der Hand einiger herausragender Individuen europäischer Herkunft, die sich mit lokalen Ojibwe-Familien verschwägerten. Nach dem Siebenjährigen Krieg zwischen Frankreich und Großbritannien revitalisierte 1765 der Engländer Alexander Henry den Pelzhandel auf Madeline Island im Lake Superior. Alexander Henry heuerte in Sault Ste. Marie Jean-Baptiste Cadeau als Geschäftspartner an, der 1756 eine Ojibwe-Frau geheiratet hatte. Ihre beiden Söhne, John Baptiste und Michael Cadotte übernahmen später das Pelzhandelsgeschäft ihres Vaters. Michael Cadotte folgte dessen Beispiel und heiratete die Tochter eines lokal einflussreichen Ojibwe, Häuptling White Crane. Mithilfe seiner Ojibwe-Verwandtschaft gelang es Cadotte, seine Handelskette jedes Jahr weiter nach Westen auszudehnen, einer der ersten Handelsposten, die Cadotte außerhalb von Chequamegon eröffnete, war Lac Courte Oreilles. Cadotte verheiratete 1821 zwei seiner Töchter mit Lyman und Truman Warren, Nachkommen einer englischstämmigen Familie, die 1818 aus Vermont eingewandert war. Die Warren-Brüder übernahmen die Geschäfte in Lac Courte Oreilles und eröffneten 1836 die erste Sägemühle bei Chippewa Falls, Wisconsin (Levi 1956; Holzhueter 1986). Seit den frühen Jahren des Pelzhandels hatten die Ojibwe kriegerische Auseinandersetzungen mit den westlich siedelnden Dakota, die ebenfalls Anspruch auf die Jagdgründe und Wildreisvorkommen von Wisconsin und Minnesota erhoben. Im Verlauf eines blutigen und langwierigen Kleinkriegs gelang es den Ojibwe bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich, die Dakota westwärts über den Mississippi zu verdrängen (Ritzenthaler 1978: 745). Dieser Krieg endete erst viele Jahre nach den Landabtretungsverträgen von 1837, 1842 und 1854, dem Vertrag von La Pointe, mit dem die Ojibwe von Minnesota und Wisconsin endgültig alle früheren Landrechte an die USA abtraten. Sie erhielten im Tausch dafür Reservationen in ihren alten Siedlungsgebieten Michigan (L’Anse, Ontonagon), Minnesota (Fond du Lac, Grand Portage) und Wisconsin (Bad River, Lac Courte Oreilles, Lac du Flambeau und Red Cliff).2 Diese Reservationen wurden in der Agentur La Pointe zusammengefasst. Juristisch stand das Reservationsland unter Treuhänderschaft der Bundesregierung und 2 | Die Gruppen von Sokaogon und St. Croix in Wisconsin mussten bis 1934 auf Reservationen warten.
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ist heute immer noch, obwohl es sich auf dem Territorium des Bundesstaates Wisconsin befindet, von der Besteuerung durch den Staat Wisconsin ausgenommen. Es war seinen indigenen Bewohnern »für immer« zugesprochen worden, zusammen mit gewissen Nutzungsrechten auf den abgetretenen Ländereien, z.B. dem Recht, dort auch außerhalb der Reservation und außerhalb staatlicher Regelungen zu fischen, zu jagen und Wildreis zu sammeln. Eine der destruktivsten politischen Reformen des späten 19. Jahrhunderts war die Politik der Landzuteilung, d.h. die Zerstückelung des gemeinschaftlich genutzten Reservationslandes in kleine, einzelnen Haushaltungsvorständen zugemessene Parzellen, die im 1887 erlassenen General Allotment Act (oder auch Dawes Act) ihre gesetzliche Fixierung fand. Die Politik der Landzuteilung ist bei den Ojibwe eng mit dem Holzraubbau verbunden, der den niedergehenden Pelzhandel ablöste (s.u.). Weil das Land im Gebiet der Great Lakes so reich an Holz war, wurde bei den Ojibwe mit den Landzuteilungen an einzelne Familien schon in den 1860er Jahren, also viel früher als in anderen Regionen der USA, begonnen. LCO wurde 1873 in Vorbereitung auf das Allotment vermessen, allerdings verlief die Inbesitznahme des fraglichen Landes durch indigene »Allottees« schleppend (Danziger 1979: 97). Bei ihrer Gründung umfasste die Reservation 70.000 Acres, 1978 waren noch 30.529 davon übrig (Lurie 2002). Auch hatte sich, wie in anderen Ojibwe-Reservationen auch, ein charakteristisches Schachbrettmuster gebildet, wobei ca. noch ein Sechstel der Landfläche unter Bundestreuhänderschaft standen und die anderen fünf Sechstel allottiert entweder Ojibwe-Familien oder weißen Aufkäufern gehörten. Nach dem Zusammenbruch des Pelzhandels und den Landabtretungsverträgen etablierte sich in Nordwisconsin kurzzeitig eine boomartig wachsende Holzindustrie, die bis in die 1890er Jahre andauerte. Man schätzt, dass dabei bis zu 40 % des eingeschlagenen Holzes, das im Westen bei der Besiedelung der baumlosen Prärien verwendet wurde, auf dem Transportweg verrottete oder verbrannte, bevor es die Sägemühlen weiter im Süden erreichte (Wisconsin Cartographers Guild 1998: 41). Bis in die 1940er Jahre wurden die Stämme nach Süden geflößt, bis dieses Verfahren so unrentabel wurde, dass es eine ganze Reihe Holzfirmen in den Konkurs trieb. Es war lukrativer, am Chippewa River Sägemühlen zu errichten und statt der rohen Stämme die bearbeiteten Bretter und Balken nach Süden zu verkaufen. Die North Wisconsin Lumber Company, die sich im Besitz von A.J. Hayward und R.L. McCormick befand, die heute als Pioniere und Stadtgründer verehrt werden, eröffnete hier im Juni 1883 ihre neue Sägemühle und betrieb den Company Store, der damals eine ähnlich hegemoniale Stellung eingenommen zu haben scheint, wie heutzutage der 2002 in Hayward neueröffnete Walmart. Die lokale indigene Bevölkerung hatte einige Jahre lang als Sägemühlenarbeiter und Verkäufer des auf ihrem Land stehenden Holzes an diesem Boom Anteil, doch scheint man sie dabei häufig betrogen zu haben:
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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts saß man in Lac Courte Oreilles und anderen Reservationen auf einer kahlgeschlagenen Einöde (Abb. 6). Abb. 6 Panoramaaufnahme einer Gruppe von Ojibwes unter US-amerikanischer Flagge anlässlich einer Fair in Odanah auf der Bad River-Reservation, Wisconsin, 1913.
Wisconsin Historical Society Image ID 45335
Der Holzabbau schien praktischerweise der Umerziehung der indigenen Bevölkerung zu Farmern entgegenzukommen, da ohne Wald ein Leben als Jäger-Sammler-Fallensteller nicht mehr möglich war. »The self-sufficient Chippewa family farm was the economic goal of the BIA […]. Such had been the dream of Washington policy makers since the era of Thomas Jefferson.« (Danziger 1979: 93) Der Traum von der Umerziehung der indigenen Bevölkerung zu Farmern muss aber auch im Zusammenhang mit lokalen Geschäftsinteressen gesehen werden. Zur gleichen Zeit versuchten die landbesitzenden Sägemühlenbetreiber und Eisenbahngesellschaften, ihre kahlgeschlagenen, für Landwirtschaft eigentlich ungeeigneten Landparzellen im cutover district als Farmland an nichtsahnende osteuropäische Immigranten zu verkaufen und starteten dazu eine intensive Werbekampagne, wie mir die Lokalhistorikerin Sue Menzel erzählte: In the years following the cutover, they were looking to sell farm lands to English, German and Scandinavian immigrants. The town of Ojibway, which today has a population of sixty-eight, was supposed to rival Atlanta, Georgia! But these guys [immigrants] came here, had a look at the soil and said, »this is ridiculous! You gotta be kiddin‹!« So they had to sell the land to what they thought were »barbarians« – Romanians, to Polish and other Eastern European immigrants. They said, »it’s o.k., these people can still be educated!« The people who came
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Doch statt der Familienfarm scheint sich bei den Ojibwe zumindest zeitweise ein Wirtschaftsmuster entwickelt zu haben, bei dem sie pragmatisch traditionelle Aktivitäten wie die Wildreisernte, das Fischen und Jagen mit saisonaler Lohnarbeit in der Landwirtschaft, der Hafenindustrie am Lake Superior, im Tourismus kombinierten. Viele meldeten sich freiwillig zu den US-Streitkräften. Die Ojibwe von Red Cliff fuhren sogar als Hilfsmatrosen (»deck hands«) auf den Handelsschiffen auf dem Lake Superior mit (Danziger 1979: 15). Die ausgedehnten Wildreisvorkommen in Lac Courte Oreilles wurden allerdings größtenteils durch einen 1922 errichteten Damm und die Schaffung eines künstlichen Sees zerstört, mit dem ein Betreiberkonsortium Strom für die kleinen Städte der Region, z.B. Eau Claire, produzieren wollte. In der Chippewa Flowage versank damals die alte LCO-Ortschaft Post (die noch auf den ersten Handelsposten zurückging) mitsamt ihrer katholischen Kirche und ihren beiden Friedhöfen (Rasmussen 1998), was in der historischen Erinnerung von LCO heute als primordiale Gewalttat gegen die lokale Ojibwe-Kultur aufgearbeitet wird, hinter der die vollständige Abholzung des Waldes am Ende des 19. Jahrhunderts beinahe ganz zurücktritt. Zugleich ist LCO stolz auf den grassroots-Widerstand, den die Einwohner von Post auf öffentlichen Anhörungen, in vielen Beratungsgesprächen, mit Hilfe anwaltschaftlicher Vertretung und Lobbyarbeit den Umsiedelungsversuchen jahrelang entgegensetzten. Heutzutage spielt die Holzindustrie in Sawyer County keine große Rolle mehr, doch in Hayward existiert noch eine Fabrik, die Pressspanplatten herstellt. Nach dem Ende des Holz-Booms wurden aus den vormaligen Rastplätzen der Holzfäller auf dem Weg zu ihrem Arbeitseinsatz Ferienunterkünfte. Diese oft malerisch gelegenen Ansiedlungen besaßen genügend Infrastruktur, um Freizeitausflügler zu bewirten, die ab den 1890er Jahren durch die Eisenbahn aus den Ballungszentren in die Region gezogen wurden. Dabei wurde die Gegend wegen ihrer vielen Seen, in denen der Muskellunge-Fisch (muskie), und der Walleye (eine Zanderart) leben, vor allem für Sportfischer attraktiv. Im Geschäft mit dem Tourismus mischte der tribe als Ganzes lange Zeit nicht richtig mit. Einzelne LCO-Leute fanden aber als Tourenleiter für Jagd- und Angelausflüge, als Personal in der Dienstleistungsbranche und vor allem mit regelmäßig im Sommer stattfindenden Tänzen Beschäftigung im Tourismus. Der Tourismus blieb das ganze 20. Jh. hindurch der bedeutendste Wirtschaftszweig in und um Sawyer County, und Lac Courte Oreilles mit seinen kulturellen Ressourcen spielte hierbei – von der weißen Community uneingestanden – eine zentrale Rolle.3 Eine besonders wichtige Vermittlerfigur hier3 | Aus einer im S AW YER C OUNT Y R ECORD vom 21.07.1949 abgedruckten Übersicht »What To Do and See In Hayward« geht hervor, wie wichtig die von LCO-Leuten
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bei ist der von italienischen Einwanderern abstammende Geschäftsmann Anthony Wise, dessen Vater Scipio Wise nach dem Ersten Weltkrieg in der Hayward Area als erster professioneller Landspekulant Grundstücke für touristische Zwecke an- und verkaufte (SCR 29.02.1984). Tony Wise war Begründer des Ferienparks Telemark Resort und verschiedener progressiver und kulturell engagierter Tourismuskonzepte. Er brachte u.a. das internationale Birkebeiner Langlauf-Ski-Rennen nach Hayward und holte berühmte Jazzmusiker ins Telemark Resort. Zusammen mit Pipe Mustache, einem geachteten spirituellen Leiter von Lac Courte Oreilles, baute er Historyland auf, ein am Tourismus orientiertes Kulturzentrum zwischen Hayward und der Reservation. Hier wurde Kunsthandwerk verkauft und öffentlich getanzt (SCR 21.11.1974). Der Name Tony Wise wird in Lac Courte Oreilles vor allem deswegen geehrt, weil er anders als andere Geschäftsleute in der Gegend keine Probleme hatte, Indianer in seinen Unternehmungen zu beschäftigen.4 Zum zentralen Faktor im Tourismus wurde die Reservation allerdings erst mit der Eröffnung des in Eigenregie geführten Casinos im Jahr 1995. Heutzutage kommen hunderttausende von Sommer- und Wintertouristen nach Sawyer County. Abgesehen von den regelmäßig stattfindenden touristischen Volksfesten wie dem Musky Festival oder dem American Birkebeiner ist das wichtigste touristische Unternehmen im Sawyer County das Lac Courte Oreilles Casino and Convention Center, das seine Pforten im Jahr 1995 eröffnete. Unter der Reagan-Administration von 1981-1989 wurden finanzielle Zuwendungen an indigene Kommunitäten und Sozialleistungen insgesamt massiv gestrichen. Als Ausgleich zu diesen Verlusten ermutigte man die Stämme, Spielcasinos zu etablieren. Der Indian Gaming Regulatory Act von 1988 gab den Stämmen die Möglichkeit, Glücksspielbetriebe zu öffnen, wenn die jeweiligen Bundesstaaten vergleichbare Glücksspieloperationen auf ihrem Territorium gestatteten. Im Jahr 2001 beschäftigte das Casino ca. 340 Mitarbeiter mit einem Jahresgehalt von insgesamt $ 7 Millionen. Der Sawyer County Record geht davon aus, dass der Großteil dieses Geldes in der unmittelbaren Umgebung, d.h. in der Hayward-Region wieder ausgegeben wird. Jeden Tag kommen ca. 1400 Gäste in das Casino mit seinen 520 Spielautomaten und acht Spieltischen. Das Casino hat Veraufgeführten Tänze für den lokalen Tourismus in Hayward waren, denn außer den Tänzen gab es nur noch vereinzelte Bootsrennen und Basketballspiele. 4 | Telemark geriet wegen schneearmer Winter in den Jahren 1980 und 1981 schließlich im Jahr 1982 in finanzielle Schwierigkeiten und musste Konkurs anmelden (SCR 04.08.1982; SCR 10.08.1983). Von der alten Dankbarkeit dem findigen Geschäftsmann gegenüber (der übrigens Demokrat war), ist im SCR nichts zu spüren. Wise machte noch einige vergebliche Versuche, das Projekt »Historyland« an die Stadt, den County oder an LCO zu verkaufen (SCR 25.07.1984), vor allem wegen der »hundreds of historic artifacts he has collected. […] The Indian artifacts in the Indian Museum are the greatest collection of such relics in Northern Wisconsin, Wise noted.« (SCR 25.07.1984)
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träge mit ca. einhundert Zulieferern oder Dienstleistern, davon viele in der Umgebung (SCR 25.04.2001). Darüberhinaus ist das Casino von den siebzehn indigen betriebenen Casinos in Wisconsin dasjenige mit dem besten Angebot an Musikkonzerten und anderen Veranstaltungen – so meint jedenfalls der Marketingchef Lee Harden. Das kulturelle Angebot im Casino scheint sich allerdings nicht gerade am Geschmack eines bildungsbürgerlichen Publikums zu orientieren, es gibt dort viele Country & Western-Konzerte und derbe Sportveranstaltungen wie Kickboxen (SCR 25.04.2001). Tribal Chairman Gaiashkibos charakterisierte im Jahr 2001 die Situation in Lac Courte Oreilles als gut: »I am proud of our Tribe’s overall progress over the past several years. Our government is stable, we have a good relationship with the business community, and we are recognized in the State of Wisconsin and nationally as a progressive Tribe.« (Gaiashkibos, SCR 13.06.2001) Aber die wirtschaftlichen Probleme sind immer noch groß. Jeff Crone, ein Mitglied des Tribal Council, schätzte im Interview, dass in Lac Courte Oreilles immer noch 70 % der Bevölkerung an der Armutsgrenze leben: Our tribe is a poor tribe, we have approximately 5600 members and about 3000 of those members live on the reservation. We basically have an overall poverty rate of right around 70 %. (Interview Jeff Crone)
Das Casino mit seinem Angebot an Arbeitsplätzen hat seit 1995 eine Remigration von LCO-Leuten aus der Stadt zurück auf die Reservation verursacht, darunter auch jugendliche Gang-Mitglieder, die in Lac Courte Oreilles einen Ableger der Latin Kings aus Milwaukee formierten. Nachdem die Latin Kings in Lac Courte Oreilles jemanden erschossen, der sich »disrespectful« verhalten hatte, bildete sich die Gegenfraktion unter dem Namen »Players«. Heute werden die Aktivitäten von Gangs und die damit verbundene Gewalt in Lac Courte Oreilles als eines der schwerwiegendsten Probleme gesehen (Breu, Niles, Pelot 2003). Abschließend ist zum Tourismus zu sagen, dass durch diesen Wirtschaftszweig bestimmte Bereiche der indigenen Kultur Warencharakter erhielten, dass der Tourismus als interkulturelle Begegnung aber auch eine reflexive Selbst- und Fremdbetrachtung forciert und insofern gravierende Auswirkungen auf die Repräsentation und das Selbstbild der indigenen Bevölkerung hatte. Die Ojibwe in Nordwest-Wisconsin entdeckten, dass ihre Kultur ihnen Möglichkeiten zu einer Wirtschaftskooperation mit lokalen weißen Geschäftsleuten eröffnete, in deren Geschäftsinteressen nicht länger der ungehemmte Kahlschlag lag, sondern die Vermarktung von Land und Leuten in der ganzen Bandbreite der amerikanischen post frontier-Kultur zwischen »Indian Pageants« und »Muskie Festivals«5, die im Kapitel über Festkultur noch eingehender thematisiert werden. 5 | Tourismus und staatlich geförderte Waldregeneration hängen im Gebiet der Western Great Lakes eng zusammen (Kates 2001). Am 04.04.1922 wurde in
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2.4 Repräsentationen der Ojibwe Die Repräsentation der indigenen Bevölkerungen des amerikanischen Nordostens, zu dem auch das Siedlungsgebiet der Ojibwe im Gebiet der Großen Seen gezählt wird, spielt in der Konstruktion des nationalen Selbstverständnisses der USA und Kanadas sowie in der Entwicklung der ethnologischen Disziplin beider Länder eine eminent wichtige Rolle, meint Elizabeth Tooker (Tooker 1978; Stone 1978). Auch J. Anthony Paredes attestiert den Chippewa eine ebenso illustre wie dauerhafte Rolle als ethnographisches Lieblingsbeispiel in der Entwicklung der amerikanischen Ethnologie (Paredes 1980). Robert Ritzenthaler hingegen klagt, die Phantasie des Publikums habe sich nie wirklich an den Waldland-Indianern entzündet (Ritzenthaler 1970). Dieser scheinbare Widerspruch hat zunächst einmal mit der historischen Dimension der Betrachtung zu tun. Während Tooker sich in ihrem Überblicksaufsatz auf Forschungsberichte und Literatur von der frühesten Kontaktzeit im 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart stützt, spricht Ritzenthaler hauptsächlich den Mangel an attraktiven populärwissenschaftlichen Büchern über die Region im 20. Jahrhundert an. Außerdem »fehle« es den Waldlandkulturen an spektakulären Ritualen wie der Hopi Snake Dance und charismatischen Anführern wie Geronimo und Sitting Bull.6 Hierin liegt implizit eine Medien- und Publikumsschelte (i.e. die Sucht nach spektakulären Bildern), aber auch der Versuch, den vergessenen indigenen Bevölkerungen des Waldlands Medienpräsenz und Öffentlichkeit zu verschaffen. Die für Medien attraktivsten Repräsentationen entwarfen in jüngerer Zeit Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit eigenen biographischen Wurzeln in der OjibweKultur. Hier sind vor allem Basil Johnston (Johnston 1976, 1982), Louise Erdrich (z.B. 1984, 1986, 1994, 1998) und Gerald Vizenor (z.B. 1981, 1984, 1987) zu nennen. Nun ist Ritzenthalers Buch aber keinem politischen Ziel gewidmet, keiner Interessenvertretung wie dem paradigmatischen »Ponca case« (Jackson [1881] 1995), sondern der Kultur der Waldlandindianer. Warum aber braucht Kultur Öffentlichkeit? Wenn man die erste schriftliche Erwähnung der später als Chippewa, Ojibwe, Ojibwa oder Ojibway bezeichneten Gruppen in der Region Hayward mit einer Filmvorführung und einem Vortrag des Vorsitzenden der Wisconsin Lakes and Parks Association die Ära der Walderhaltung eingeläutet; den Geschäftsleuten aus dem Hinterland versuchte man mithilfe von »lantern slides and moving pictures« Spenden für die Gründung eines »Northern Lakes Park« zu entlocken (SCR 06.04.1922). 6 | Natürlich war das öffentliche Interesse am Black Hawk War seinerzeit genau so groß wie Jahre später die Aufregung um Geronimos Guerillakrieg. Doch als das Publikum historisch zum Medienpublikum wurde, war die »Grenze« soeben über die Kulturen der Plains und Prärien sowie des Südwestens hinweggerollt, die aktuellsten Bilder von »Wilden« entstanden nicht mehr in New York, Illinois oder Wisconsin.
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der Oberen Großen Seen in den Jesuit Relations im Jahr 1640 als Beginn der Ojibwe-Forschung bezeichnen will (Ritzenthaler 1978), so hat diese eine historische Tiefe von über 360 Jahren (Tanner 1976). Sie umfasst Berichte französischer und britischer Entdecker und Pelzhändler sowie von fünf Expeditionen im Gebiet des Oberen Mississippi zwischen 1767 und 1832, ein rundes Dutzend Autoren missionarischer Profession, Reise- und Abenteuerberichte (Tanner o.J.; Kohl 1860), historische und Regionalliteratur (Schoolcraft 1839; Copway 1847; Jones 1861; Warren 18857) sowie ab der Wende zum 20. Jahrhundert zunehmend ethnologische Fachpublikationen (Hoffman 1888; 1889; 1890; 1891; 1895; Densmore 1910/13; 1928; 1929; Landes 1937; 1938; 1968; Hallowell 1967; Barnouw, V. 1954; 1960; 1977; Friedl 1956; Levi 1956 ; Hilger 1939; Paredes 1980). Im späten 19. Jahrhundert, so John Borneman, habe die amerikanische Ethnologie zusammen mit den verschiedenen nationalen Philologien eine vorhergehende, allgemeine Philologie als Studium des Wortes abgelöst. Während amerikanische English Departments sich mit dem Entwerfen von diskursiven Modellen der Innenpolitik (»domestic policy«) beschäftigt hätten, habe die Ethnologie der amerikanischen Außenpolitik (»foreign policy«) Modell gestanden (Borneman 1995). Eine ähnliche Parallelität ist m.E. in der Literatur über die Waldlandregion festzustellen, mit einer gewissen Akzentverschiebung. Im Verlaufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entstanden aus einer allgemein geschichtlich formulierten Literatur über die Region zwei verschiedene Disziplinen: die wirtschaftshistorisch fundierte Verkehrs- und Kommunikationswissenschaft des ehemaligen Pelzhandelsraums bei Harold Adams Innis (1930; 1971), die nach dem Zweiten Weltkrieg von Marshall McLuhan zu einer allgemeinen Medienwissenschaft weiterentwickelt wurde, sowie eine am Kulturbegriff orientierte, dem Gesellschaftlichen gegenüber skeptische Ethnologie, die ihre wichtigsten Debatten in den 1940er sowie in den 1970er Jahren hat und danach ihre Relevanz einbüßt. Nach Innis ist die kanadische Ökonomie im Erbe der Eroberung und des Kolonialismus geprägt durch die Produktion von »staples«, d.h. für den Kolonial- bzw. Welthandel ausgebeutete, primäre Ressourcen, zu denen er Pelz, Holz, Bodenschätze und später auch Weizen zählt. Die Produktion von staples geht zulasten der Entwicklung einer lokal integrierten Ökonomie. In seinem ersten Buch, das auf der Grundlage seiner Doktorarbeit entstand, befasst Innis sich mit der Canadian Pacific Railroad und entwickelte hier bereits seinen später von McLuhan aufgegriffenen Medienbegriff: Die Eisenbahn war erstens – und vor allem – ein Transportmedium, das die im kanadischen Inland ansässigen Ureinwohner und Siedler mit Botschaften (»messages«, d.h. europäische Artefakte) und Botschaftern (»messengers«, d.h. neue Einwanderer mit ihren Kulturen und Sprachen) in Kontakt brachte. Zweitens war die Canadian Pacific Railroad selbst ein Medium, ein gewaltiges Zeichen, das wie eine Bombe in der Mitte der indigenen Bevölkerung explodierte. Die 7 | Über Warren vgl. auch Williams 1970.
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Kulturen und Gesellschaften der Ureinwohner, die im Zeichen des Pelzhandels noch als in den allgemeinen Kreislauf integriert gedacht wurden, sprangen nach Innis Vorstellung unter der Wucht der überlegenen europäischen Technik, für die die Eisenbahn als Zeichen steht, in Stücke (Babe 2000: 51-88). Während die Medien- und Kommunikationswissenschaft die mediale und technische Integration des US-amerikanisch-kanadischen Mainstreams bearbeitet, scheinen die indigenen Bevölkerungen durch die Abwesenheit eben jener Medien und Technologie gekennzeichnet und werden dem Mainstream als das Fremde, Andere gegenüber gestellt. Dies wird mit dem moralischen Appell an das Publikum verbunden, kulturelle Pluralität zu akzeptieren: »The 1920s marked a fundamental shift in the scientific and scholarly understanding of the Indian through acceptance of the concept of culture and the ideals of cultural pluralism.« (Berkhofer 1979: 176) Die Aussonderung der indigenen Gesellschaften aus dem kanadisch-U.S.amerikanischen Mainstream dokumentiert sich auch in den Arbeiten des Ethnologen Victor Barnouw, der in Lac Courte Oreilles forschte, und seines Bruders, des bekannten Medienwissenschaftlers Erik Barnouw, (Barnouw, E. o.J.; Barnouw, V. 1961). Dies wird im dritten Kapitel noch eingehender erläutert. Victor Barnouw arbeitete als Schüler von Ralph Linton zusammen mit Joseph B. Casagrande, Ernestine Friedl und Robert E. Ritzenthaler zwischen 1941 und 1944 im Wisconsin Chippewa Field Project in Lac Courte Oreilles. Es erscheint als eine besondere Ironie der Geschichte, dass diese jungen Ethnologen das Wissen der alten Leute sammelten und archivierten, während die jungen Leute von Lac Courte Oreilles mit der US-Armee in Europa gegen Nationalsozialismus und Faschismus kämpften. In der lokalen Presse wurde die indigene Kommunität bis zum Beginn der Revitalisierung im Großen und Ganzen ignoriert, aber dies auf eine ganz bestimmte Weise, wie anhand einer Serie deutlich wird. Aus Anlass des 50. Jubiläums der Carnegie Library in Hayward erschien 1953 und 1954 die Sawyer County Historical Review mit Reprints und aktuellen Artikeln über die Geschichte der Region, in denen sich die herkömmliche amerikanische Erzählung von der Ankunft der Moderne in der Wildnis widerspiegelt. Den Bewohnern von Lac Courte Oreilles räumt man in der Serie durchaus einen Anteil an lokaler Geschichte ein, doch es wird dabei zwischen der Geschichte der Ureinwohner und der Einwanderer getrennt. Erstere fällt unter die Kategorie des Pittoresken in der Reisebeschreibung und Landschaftsschilderung und wird damit zur Struktur des Vorgefundenen gerechnet, also zu den Bedingungen, unter denen letztere Geschichte machen (vgl. auch Abb. 7 und Abb. 8). Dem hatte Lac Courte Oreilles zu dieser Zeit noch nichts entgegen zu setzen. Die meiste Zeit des 20. Jahrhunderts hindurch hatten LCO-Leute keine eigene Printplattform, um Dispute auszutragen, Informationen zu zirkulieren oder ihren Standpunkt darzustellen. Sie nutzten dazu in begrenztem Ausmaß den
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Sawyer County Record, der seit 1903 erscheint.8 Seit das Blatt im Jahr 1915 seinen letzten Konkurrenten verschluckte, ist Hayward eine one newspaper town geblieben. Die Reservation Lac Courte Oreilles und ihre Bewohner werden in den Zeitungen aus Hayward jahrelang nicht erwähnt. Das Interesse der Leserschaft am »Anderen« und »Exotischen« schlägt sich hier vielmehr in Nachrichten aus aller Welt nieder. In der Erstausgabe des Hayward Republican findet man eine ganze Seite Berichterstattung über die Weltausstellung, die die konzeptuelle Neuaufteilung der Welt nach dem Abschluss der Eroberung des Westens widerzuspiegeln scheint – neben exotischen Ländern erscheint da auch ein Artikel über die amerikanischen Ureinwohner, genauer: über Indianerpolitik, die der Autor in Kanada für besser gelöst hält. In einer späteren Ausgabe von 1893 geht es um ein von Putnam organisiertes Exhibit auf der Weltausstellung, bei dem kanadische Internatszöglinge ihre neuerworbenen handwerklichen Fähigkeiten vorführen. Das musste lokale Geschäftsleute in Hayward, die eben begannen, Pläne für eine Internatsschule in Hayward zu schmieden, sehr interessieren. In der letzten Ausgabe des Jahres 1909 findet sich ein großer Bericht über »The First Navajo Indian Fair« von Frank Staplin, die paternalistisch als Erfolg des Agenten von Shiprock gefeiert wird. »We have therefore seen the first beneficial effects of education and proper example upon this neglected people.« (SCR 30.12.1909) Obwohl also die lokale Presse die Existenz einer indigenen Kommunität mit eigenen sozialen und kulturellen Anliegen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hayward bis in die 1950er Jahre fast vollständig zu ignorieren verstand, drangen doch auch in diesen »schwarzen Jahren« der indigenen Repräsentation Neuigkeiten aus der Reservation in die lokale Zeitungsöffentlichkeit.
8 | Die Zeitungen damals waren in der Aufmachung nicht viel anders als der heutige S AW YER C OUNT Y R ECORD. Sie boten auf der ersten Seite die wichtigsten Nachrichten an, der Schwerpunkt lag auf den Interessen der Region und der europäischen Einwanderer verschiedener Nationalität; man berichtete regelmäßig über Skandinavien (sogar über Island erschienen Nachrichten); man veröffentlichte Anzeigen lokaler Geschäftsleute, hatte regelmäßig »beauty«- und »popular science«Seiten, außerdem Ankündigungen der Kirchen und sonstiger Organisationen im County.
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Abb. 7 und 8 Zwei Meldungen in derselben Ausgabe des Sawyer County Record: Das erste Foto eines Ojibwe in der Lokalzeitung zeigt einen Ojibwe-Mann mittleren Alters in würdiger, selbstbewusster Pose in traditioneller Bekleidung mit floraler Perlenstickerei und Mokkasins; die Meldung kündigt den Verkauf eines durch den Allotment Act privatisierten Stücks Reservationsland an.
beide: S AW YER C OUNT Y R ECORD 06.09.1917; Foto: Cora Bender, 2010.
Ein wichtiger Bestandteil der Zeitungsberichterstattung waren die von ansässigen Bürgern verfassten »News Items«; auch aus Lac Courte Oreilles kamen Lokalkolumnen, die von anonymen Autorinnen oder Autoren aus dem Umfeld der Reservationsverwaltung, der Internatsschule für indianische Kinder in Hayward oder auch der katholischen Mission verfasst wurden.9 Begriffe wie »our town dads« und »our business council« lassen eine gewisse Intimität der Autoren mit den Verhältnissen in LCO vermuten, legen dabei nicht unbedingt nahe, dass es sich um eine Stimme aus der Kommunität selber handelt. Die erste LCO-Lokalkolumne stand in der Ausgabe des Sawyer County Record vom 27.01.1910. Die Nachrichten der Kolumne »Reserve News« oder »Indian School Notes« machen die Banalität des Lokalen deutlich, berichten aus dem Alltag, von der Arbeit 9 | Mit der Einrichtung der Internatsschule in Hayward befasst sich das Kapitel über Bildung; die katholische Mission wird im Kapitel über Religion thematisiert.
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der LCO-Sägeteams, von Todesfällen, Krankheiten und traditionellen Aktivitäten der Ojibwe: »John Quaderer of White Fish was seen on our streets Monday. Chas. White of Reserve drove to Signor Monday for supplies. E.J. Brigham, the government scaler, has been in Signor for the past week. Alfred Johnson is now hauling wood for Billieboy [sic!]. Alex LaRock, J. Crockadock and Prosper Belille are busy loading cars with pulp wood and getting it ready for shipment. Alex LaRock and wife went to Reserve to attend the funeral of Cyrus Isham’s baby. Mr. Wyme Stock has finished his logging job and the crew have left for their homes. E.J. Kerby of White Fish was seen on our streets last week. John King Fisher who has been going to school at Reserve has been home for the past week on account of sickness.« (SCR 17.03.1910) »The Indians are now making sugar and they say it is fine weather for sugar this year. Ira Isham of Reserve was shaking hands with friends Thursday. Sarah Isham visited in Signor Thursday.« (SCR 24.03.1910) »Elwood LaRonge has joined the U.S. Marines and left last Wednesday for Paris Islands, S. Carolina. […] Chas. Coons is building a restaurant north of where the LaRonge hotel once stood. […] The Indians are now holding a medicine dance about three miles down the Couderay River, this is a part of their religious ceremony.« (SCR 31.05.1923)
Aus den Indian School Notes entwickelte sich die regelmäßige indigene Kolumne in der Mainstream-Zeitung: »Ska-Be-Wis« von Elsie Slater Lee, und »Reserve News« von Ed Martin. »Ska-Be-Wis« von Elsie Slater Lee erschien in der North Wisconsin News, einer kleinen Werbezeitung, die im Umfeld des Telemark Ski Resorts von Tony Wise produziert wurde und Neuigkeiten und Termine für Touristen enthielt, gekrönt von einem für ein solches Format ungewöhnlich ambitionierten Leitspruch: »There is Power in Truth« (Veda Stone Papers, Reel 6: 79). Im Gegensatz zu Ed Martin, dessen Kolumne auch für weiße Leser ein gewisses Maß an Vertrautheit mit der indigenen Kommunität voraussetzt, betrieb Elsie Slater Lee kulturelle Aufklärungsarbeit für Totalanfänger: »April is the Moon of Broken Snow-shoes. The Indian name is a tongue-twister, so I shall pass it.« (North Wisconsin News 18.02.1966) Daneben aber erfährt man von ihr auch einige sehr interessante Interna, z.B. über die Gründung einer revitalisierten Medizingesellschaft für Frauen (Ojibwe ikwe = Frau), die dazu dienen soll, traditionelles Wissen der Ojibwe intergenerationell weiterzugeben, die sich aber zwischen den etablierten anderen Gesellschaften erst ihren Platz suchen muss: »A number of the older members of the Chippewa Indian Ikwenimiidiwin Society are endeavouring to reorganize their group. […] The older people are desirous to fill the vacancies now while they can still teach the younger people the songs
L AC C OURTE O REILLES and ritual that goes with this drum. […] There is no intent among those interested in reorganization to compete or have conflict with other traditional Indian Drum Societies.« (N ORTH W ISCONSIN N EWS 18.02.1966)
Am 15.03.1973 erschien zum ersten Mal eine Kolumne, die zu einer ständigen Einrichtung im Sawyer County Record werden sollte: »Reserve News« von Ed Martin.10 Die Kolumne hat einen Vorläufer in der Zeitung Anishinabe Aki, die von AIM-Mitglied Mike Tribble herausgegeben wurde. Damals hieß die Kolumne »LCO Chit-Chat« und wurde ohne den Namen des Autors veröffentlicht, aber der Stil und die Inhalte sind völlig gleich, so dass Ed Martins Autorschaft angenommen werden kann. Ed Martin wurde 1912 als eins von dreizehn Kindern seiner Familie in Reserve geboren und ging an verschiedenen Orten zur Schule, darunter in Odanah und Drummond, später auf die Internatsschulen in Tomah, Haskell und La Crosse. Seinen High School-Abschluss erhielt er in Haskell, zusammen mit einer Ausbildung zum Drucker. In Lac Courte Oreilles zurück arbeitete er in der Zeit des New Deal beim Civilian Conservation Corps (CCC), verdingte sich in Schlachthäusern und in einer Möbelfabrik, bevor er als erster Mann aus LCO zur Armee eingezogen wurde, um im Zweiten Weltkrieg zu kämpfen. Nach dem Krieg war Ed Martin bei der lokalen Abteilung der Wisconsin National Guard, unter dem späteren Tourismusunternehmer Captain Tony Wise.11 Er arbeitete weiterhin in vielerlei Berufsfeldern, für ein Elektrizitätswerk in Chicago, für die Gewerkschaft in Milwaukee und insgesamt fünfzehn Jahre lang in einer psychiatrischen Klinik, bis er sich 1970 aus dem aktiven Arbeitsleben zurückzog. In einem Interview mit dem Sawyer County Record erklärte er seine Motivation, mit dem Schreiben der Kolumne anzufangen. Er hatte schon in der Internatsschule Haskell eine Schülerzeitung mit dem Namen Osceola News verfasst. »I used to read the Sawyer County Record, and there was nothing about Reserve in there. […] The other places like Stone Lake had their correspondents. There’s a lot of things that go on here that nobody knows about. So I decided I’ll put something in there about Reserve. I wrote a column, and they printed it the following week: visitors, and birthdays, and whatever happened around here.« (EM, Interview im SCR 09.08.1995)
Seine Recherchen brachten andere LCO-Leute dazu, ebenfalls auf Informationssammeltouren zu gehen, bei Anlässen mitzuschreiben oder ihn mit Neuigkeiten anzurufen. 10 | Ed Martin erinnert sich: »Three years ago this month: the Reserve News began its current weekly Report, March 15th.« (EM 31.03.1976) 11 | Mit der Bedeutung von militärischen Netzwerken im Sozialleben indigener Männer befasst sich auch der Abschnitt über das Powwow im Kapitel über Festkultur.
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »›I have different ways of getting news. I don’t get around as much as I used to.‹ People bring him news items or call him. Or he has someone take notes for him at an event. ›If I’m there, I scribble notes.‹« (SCR 09.08.1995)
Namen sind dabei besonders wichtig: »I like to write names down, of those who helped. Sometimes, some guys tell me about a thing that happened quite a time ago, and I say ›You write that down for me, and I’ll put it in the paper.‹« (SCR 09.08.1995)
Seine Arbeit verbindet auch die verschiedenen Institutionen, die auf der Reservation tätig sind: »He also gets news, from the [St. Francis] Church over there, and the [Little Kitchen] Cafe, and WOJB, and LCO Housing, and the medical clinic. He also records the happenings at the Reserve Elderly Center, where he goes almost every day. In addition to taking meals, he plays cribbage with a group […].« (SCR 09.08.1995) »Being a devout Catholic as well as a veteran of WWII, Ed was unabashedly religious and patriotic. He was a long standing member of St. Francis Solanus Mission church and often used his column to promote the events and ceremonies here«,
schrieb Maggy Dumas aus Lac Courte Oreilles in ihrem Nachruf auf Ed Martin, der am 27.03.1999 starb. Nach ihrer Darstellung war Ed Martin als Kind Ojibwe-sprachig aufgewachsen, erhielt aber seinen indianischen Namen »ozhi bii ige wi inini (Man Who Writes)« erst im Verlauf eines Ojibwe-Sprachkurses im Reserve Elderly Center, wo er ihm von Ruth Carley verliehen wurde, einer respektierten älteren Dame, die zur Zeit meiner Feldforschung auch am College unterrichtete, vor allem OjibweSprachkurse und traditionelle Handarbeiten (EM 07.06.1999). Aus der Schilderung wird nicht ganz deutlich, ob es sich um eine religiöse Zeremonie der Namensverleihung handelte, wie sie seit der Revitalisierung in den 1970er und 1980er Jahren wieder im Schwange waren, oder um eine soziale Ehrung und Würdigung seiner Arbeit. Nach Eds Tod wurde die Kolumne noch eine Weile weitergeführt, doch sie ging kurze Zeit später ein. Ed Martin war auch in der LCO-Kommunität tätig, nicht nur in seiner Eigenschaft als Mitglied der katholischen Kirche. Er war beispielsweise mit seiner Kolumne auch ehrenamtlicher Reporter bei der 1977 gegründeten Zeitung von Lac Courte Oreilles, dem LCO Journal (vgl. Kapitel III), und engagierte sich zusammen mit Saxon Gougé (die später Saxon St. Germaine hieß) in einem tribalen ad hoc committee, das dem Membership Ordinance Committee beigeordnet war, wo über die politisch bedeutsame Frage der individuellen Stammeszugehörigkeit beraten und entschieden wurde (LCOJ 4(1), January 1981). Ed Martin interessierte sich
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in seiner Kolumne an erster Stelle für zyklisch wiederkehrende Ereignisse wie Geburts-, Gedenk- und Feiertage sowie Familienangelegenheiten, die mit Neuigkeiten über die strukturelle Modernisierung der Reservation, die Einweihung von neuen Gebäuden, die Einsetzung neuer Institutionen, den Zuwachs an Infrastruktur und den Erfolg wirtschaftlicher Unternehmungen kontrastiert wurden. Aus seiner Kolumne lassen sich anhand dieser langsam sich ändernden zyklischen Begebenheiten sechsundzwanzig Jahre kleinschrittigen lokalen Wandels rekonstruieren, der sich in der strukturellen Modernisierung der Reservation, in einer Intensivierung des Soziallebens, einer Veränderung der Festkultur und der Identität der Kommunität manifestiert. Aus allen politischen Fragen hielt Ed Martin sich heraus, obwohl er mit dem später in öffentlichen LCO-Auseinandersetzungen angefeindeten ehemaligen Vorsitzenden Norman Guibord befreundet war und eher zu jener »alten Riege« der Vor-1968er auf der Reservation zu zählen ist. Weniger durch Appelle als vielmehr implizit, durch die Darstellung der »kleinen« Ereignisse, entwarf Ed Martin eine optimistische Vision von Lac Courte Oreilles als Gemeinschaft, in der Katholizismus, Revitalisierung, Patriotismus, indigene Spiritualität und die strukturelle Modernisierung der Reservation ko-existierten. Er wirkte außerdem prägend auf die Formen späterer indigener Medien von Lac Courte Oreilles, vor allem auf die Kolumne und die biographische Erzählung.
2.5 Politische Repräsentation: Vom Atomismus zur Self-Determination Heute ist die Reservation unter dem offiziellen Namen »Lac Courte Oreilles Band of Lake Superior Chippewa Indians« ein durch die US-Bundesregierung anerkannter Stamm (»federally recognized American Indian tribe«), der vom Lac Courte Oreilles Tribal Governing Board (TGB) regiert wird. Lac Courte Oreilles agiert als souveräne tribale Nation, wie z.B. beim Abschluss des gaming compact mit dem Bundesstaat Wisconsin. Hier wird der Stamm als souveräne Regierung (»sovereign government possessed of all sovereign powers and rights thereto pertaining«) bezeichnet. Souveränität ist eine der wichtigsten Konstitutionsbedingungen indigener Moderne. Der Begriff hat einen komplexen Kontext, vor allem in rechtlicher Hinsicht. Souveränität in Bezug auf indigene Kommunitäten der USA heißt nicht, wie eine Lexikondefinition des Begriffs nahe legen könnte, oberste, uneingeschränkte und unabhängige politische Gewalt (Alfred 2004: 460), sondern bezeichnet den Sonderstatus dieser Kommunitäten und ihrer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Seit der Entscheidung des Obersten Bundesrichters John Marshall im Jahr 1832 gelten Indianerstämme als »einheimische, abhängige Nationen«, die sich in einem »Stadium der Bevormundung« befinden: »Ihre Beziehung zu den Vereinigten Staaten ähnelt jener zwischen einem Mündel und seinem Vormund.« (Feest 1976: 104) Heute sind die politisch als »Stämme« (»tribes«) definierten indigenen Kommunitäten in eingeschränkter Weise souveräne
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Nationen und haben als solche souveräne Gewalt über ihre Bevölkerungen und ihr Territorium, mit Ausnahme jener Rechte, die ihnen explizit durch Vertrag, Bundesgesetz oder andere, sich aus ihrer Abhängigkeit ergebende Umstände aberkannt wurden. Die besondere Rechtsstellung der Ureinwohner innerhalb der USA ist eine »der heikelsten Rechtsfragen der Geschichte Amerikas« (Feest 1976: 27), eine komplexe und tief in der Geschichte verankerte Angelegenheit: »Indian law and Indian history are opposite sides of the same coin.« (Satz 1991: xi) Die Souveränität indigener tribes ist das Ergebnis langer politischer Auseinandersetzungen, in denen indigen kontrollierte Medien eine Schlüsselrolle spielten, und stellt heute die Rahmenbedingungen für deren Wirken innerhalb der modernisierten Wissenskultur und ihren Institutionen. Im Folgenden soll kurz die Geschichte der politischen Gestaltung der Reservation sowie der auf sie wirkenden externen Faktoren nachgezeichnet werden (vgl. auch Abb. 9). Abb. 9 Die katholische Version der Besiedelungsgeschichte von Lac Courte Oreilles fängt erst mit der Ankunft des Katholizismus an: Der 1999 errichtete Wisconsin Historical Marker 426 erinnert an die Geschichte der St. Francis Solanus Mission.
Foto: Cora Bender, 2005.
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Die Ojibwe der frühen Kontaktzeit waren eine egalitäre, klassenlose Gesellschaft, in der es einzelne Individuen aufgrund außergewöhnlicher Fähigkeiten zu Ansehen bringen konnten, sei es als Krieger, Anführer oder Schamanen (der Schamane war häufig das am meisten respektierte und zugleich gefürchtete Gruppenmitglied). Die kleinste soziale Einheit war die Kernfamilie, die aus einem Elternpaar und ihren unverheirateten Kindern bestand. Mehrere Kernfamilien fanden sich zu einer in der Literatur als »band« bezeichneten Gruppe von ca. zwanzig bis fünfzig Mitgliedern unter einem respektierten Anführer zusammen. Zusätzlich zur Familienzugehörigkeit war jedes Individuum Mitglied eines totemischen, exogamen, patrilinearen Clans, der nach einem Tier, einem Vogel oder Fisch benannt war. Die Anzahl und Bezeichnung dieser Clans war von Gegend zu Gegend unterschiedlich: Morgan listete für die Minnesota-Ojibwe 23 Clans auf (Ritzenthaler 1978: 753), Warren nannte 21 (Warren 1885).12 Die Ojibwe-bands der frühen Kontaktperiode teilten eine gemeinsame Sprache und Kultur, doch sie besaßen keine übergeordnete politische Repräsentation, die ihre soziale Flexibilität eingeschränkt hätte. Um den hierdurch geprägten Individualismus hat es in der ethnologischen Literatur um die Mitte des 20. Jahrhunderts eine ausgedehnte Debatte gegeben. Hier ging es zum einen um die Frage, wie in dem letztlich lange Zeit hindurch herrschaftsfreien Raum der Westlichen Großen Seen Autorität und soziale Kohäsion hergestellt wurden (Hickerson 1960; 1962; 1967; 1970; Kinietz 1940; White 1991). Zum anderen stritt man, inwiefern sich dieser Komplex als psychosozialer »Atomismus« bei den Ojibwe bis in die jüngste Zeit erhalten hat (Barnouw 1961; Hallowell 1967). Hickerson will den Atomismus jedenfalls nicht für die südwestlichen Ojibwe von Wisconsin und Minnesota gelten lassen. Hier bildete sich seiner historischen Rekonstruktion zufolge aufgrund des ständigen Krieges mit den Dakota und der hohen Bedeutung der Wildreisernte eine komplexere Sozialstruktur, in der Dorfsiedlungen, lokale Anführer und die überregionale Medizingesellschaft Midewiwin eine wichtige Rolle erhielten (Hickerson 1962). Die Bezeichnung »Stamm« (»tribe«), die Lac Courte Oreilles heute, wie andere indigene Kommunitäten auch, auf sich selbst anwendet, ist also das Ergebnis eines historischen Konsolidierungsprozesses, keine primordiale Kategorie, die einen fiktiven früheren Zustand beschreibt. Zu einzelnen territorialen Stämmen wurden die Ojibwe erst in der Reservationsperiode. Die Wurzeln zur Territorialisierung kann man in dem Krieg der Dakota und Ojibwe um die Jagd- und Wildreisgründe von Wisconsin und Min12 | Ritzenthaler berichtet, dass im Jahr 1972 die meisten Ojibwe in Wisconsin ihre Clanzugehörigkeit kannten, und dass das Clansymbol bei nicht-christlichen Beerdigungen auf Grabmälern verwendet wurde. Das gilt auch noch heute, vierzig Jahre später. Einige aus der Großstadt zurückkehrende tribal members sprachen mir gegenüber allerdings davon, dass sie sich erst einmal von älteren Verwandten über ihre Verwandtschaft aufklären lassen mussten, um herauszufinden, mit wem sie abends ausgehen konnten.
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nesota sehen. Dieser, letztlich durch die koloniale Landnahme im Osten ausgelöste indigene Kleinkrieg diente den amerikanischen Unterhändlern bei den Vertragsverhandlungen über indigene Landabtretungen als willkommener Anlass, sich als Friedensstifter eingreifend zu betätigen. Im Vertrag von Prairie du Chien (1825) übernahmen die USA zunächst lediglich die Rolle der Legitimationsmacht. Mit einer Demarkationslinie, die voneinander trennen sollte, was die Amerikaner Stämme, tribes, nannten, setzte die neue Hegemonialmacht zugleich auch ihre politisch selbstdienliche Konzeption der Begriffe »chief«13 und »tribe« durch. Mit den Verträgen von 1837 und 1842 (den man bezeichnenderweise »Copper Treaty« nannte) erlangten die USA die Verfügung über das ausgedehnte Waldland und die Kupfervorkommen in Ost-Wisconsin und Michigan Upper Peninsula. Mit einer sogenannten Removal Order von 1850 befahl Präsident Zachary Taylor schließlich, die Ojibwe ganz aus Wisconsin zu entfernen und nach Sandy Lake in Minnesota, jenseits des Mississippi, umzusiedeln. Hiergegen setzten die Ojibwe aus Wisconsin sich jedoch energisch zur Wehr. Die Anordnung wurde 1852 schließlich zurückgezogen. Unmittelbarer Auslöser hierfür scheint eine erstaunliche PR-Reise des Häuptlings Buffalo gewesen zu sein, der mit einer fünfköpfigen Begleitergruppe per Birkenrindenboot und Eisenbahn – sozusagen in Umkehr alter Missionarsexpeditionen – nach Washington pilgerte, um eine Audienz beim Präsidenten zu erhalten. Auf dem Weg musste die Gruppe sich für Geld zur Schau stellen, um die Reise bezahlen zu können. Der Präsident, anscheinend beeindruckt, ordnete daraufhin neue Verhandlungen an, die schließlich zum Vertrag von La Pointe führten. Als in den 1920er Jahren deutlich wurde, dass die Landzuteilungspolitik unter dem Allotment Act für einige weiße Landspekulanten lukrativ, für die Indigenen allerdings ein Desaster war, setzte man eine neue Reform in Gang, die 1934 in der Verabschiedung des Indian Reorganization Act (IRA) kulminierte. Dem Klima staatlich sanktionierter Bevormundung der marginalisierten indigenen Bevölkerung wurde durch die Politik des Indian New Deal unter Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren ein Reformmodell entgegengestellt, das auf mehr tribale Autonomie und Selbstbestimmung setzte. Die Politik der Landzuteilung wurde gestoppt und stellenweise rückgängig gemacht. Gelder wurden bereitgestellt, die den indigenen Kommunitäten zu wirtschaftlichem Aufschwung und mehr kultureller Eigenständigkeit verhelfen sollten, anstatt ihre Bevölkerung, koste was es wolle, in den amerikanischen Schmelz13 | Lewis Cass machte 1827 den Menominee folgende Ansage: »We have observed for some time the Menomonees to be in a bad situation as to their chiefs. […] You appear like a flock of geese, without a leader, some fly one way and some another. Tomorrow, at the opening of the Council, we shall appoint a principal chief of the Menomonees. We shall make enquiry this afternoon, and try to select the proper man. We shall give him the medal, and expect the Menomonees to respect him.« (Bieder 1995: 139)
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tiegel zu assimilieren. Cornell beschreibt die politischen Prozesse im Zusammenhang mit dem IRA als eine »Tribalisierung«: Durch die Bestimmungen des Indian Reorganization Act von 1934 sollte das Kunststück vollbracht werden, ein demokratisches Regierungsmodell auf den Reservationen einzuführen, das gleichwohl auf einer politischen Fiktion beruhte (Cornell 2001). Alle Ojibwe-Reservationen in Wisconsin sollten eine Verfassung und einen gewählten Stammesrat, einen Tribal Council, erhalten. An den Problemen, auf die dieses Projekt lokal stieß, zeigt sich nach einer allgemein in der Forschung vertretenen Auffassung die Persistenz älterer Formen der indigenen Selbstregierung durch Personen, die nicht qua Wahl, sondern aufgrund von Verdiensten, Zeremonial- oder Verwandtschaftsstatus Autorität erhalten. Was dabei in der Literatur über den IRA im Gebiet der Großen Seen ignoriert wird, ist die Frage, inwieweit jene Autoritätspositionen, deren Inhaber sich nun gegen die Modernisierung und Demokratisierung sträubten, eigentlich durch die weiter oben geschilderte US-Politik in der Zeit der Vertragsabschlüsse überhaupt erst geschaffen worden waren. Unbestritten jedoch kollidierte die Einführung eines vereinheitlichten, öffentlichen, politischen Raums auf den Reservationen mit einer ganzen Reihe von Interessen, indigenen wie nicht-indigenen, die von einer Reform der Indianergesetzgebung betroffen waren. Um diese politische Energie zu bündeln und für seine Kampagne nutzbar zu machen, berief John Collier, Roosevelts Commissioner of Indian Affairs, in den Monaten vor der Gesetzesverabschiedung eine Reihe von regionalen öffentlichen »Indianerkongressen« ein, bei denen indigene Delegierte sich informieren und Änderungswünsche zu Protokoll geben dürfen sollten. Der letzte dieser Kongresse, der als Forum für die indigene Bevölkerung des Nordostens gedacht war, fand am 23. und 24.04.1934 in der Turnhalle der Internatsschule für Indianer in Hayward statt. Bei der zweitägigen Versammlung schnitten die Delegierten der Oneida, Menominee, Ojibwe und Potawatomi die für sie wichtigen Fragen an, z.B. welche Auswirkung der IRA auf den Status der Verträge hätte, genauer: auf ihre Fisch-, Jagd- und allgemeinen Landrechte. Satz weist zu Recht darauf hin, dass der Kongress von Hayward in der Revision des Gesetzentwurfs und daher wohl auch in der Literatur über den IRA fast vollständig ignoriert wurde (Satz 1994). Diese politische Ignoranz gegenüber den klar formulierten Anliegen der Indigenen sieht er als letztliche historische Ursache für die eruptiven politischen Auseinandersetzungen um Fisch- und Landrechte in Nordwest-Wisconsin in den 1980er Jahren. Gleichwohl ist der Kongress als ein Wirkungsraum indigener agency zu sehen, in dem sich Intellektuelle wie der Jurist Thomas St. Germaine14 aus Lac du Flambeau oder tribale Wortführer wie John Kingfisher aus Lac Courte Oreilles als Repräsentanten ihrer Kommunitäten profilierten und 14 | »St. Germaine received his education at ›the Indian schools‹, the University of Wisconsin in Madison; Highland Park College of Law in Des Moines and the Yale University Law School.« (Satz 1994: 210)
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pointierte Kritik am Gesetzentwurf formulierten. Im Sommer und Herbst 1935 stimmten die Einwohner der Ojibwe-Reservationen darüber ab, ob sie sich eine Verfassung und einen Tribal Council nach den Bestimmungen des IRA geben wollten. In Lac Courte Oreilles, wo man im April noch auf einer öffentlichen Ratsversammlung sieben Delegierte für den Kongress bestimmt hatte (SCR 19.04.1934), war das Abstimmungsergebnis überaus knapp. Von 1559 eingetragenen Mitgliedern waren 871 wahlberechtigt, von diesen stimmten am 15.12.1934 insgesamt 205 mit Ja, 175 mit Nein. »Dissension was so serious at Lac Courte Oreilles that the group was unable to adopt a constitution.« (Danziger 1979: 137) Dieser politische Grunddissens, der LCO als Kommunität charakterisiert, ist noch nicht vollständig erhellt. Auch Satz, der dem indigenen Widerstand gegen den IRA soviel Aufmerksamkeit widmet, geht der Frage nicht weiter nach, warum LCO als einzige Ojibwe-Reservation in Wisconsin gegen die Annahme einer IRA-Konstitution stimmte. BIA Superintendent J.C. Cavill erklärte dies mit dem Widerstand der früheren Häuptlinge und Anführer, die durch das neue politische System ihre Positionen in Gefahr sahen: »In a letter to Commissioner Collier, Cavill claimed that the old system of reservation chiefs and headmen was corrupt and inefficient; agitators from outside had misrepresented the IRA just before the referendum on the constitution, thus assuring its failure; the Business Committee was democratically elected each year and did a fine job under the leadership of intelligent and well-educated young Indians.« (Cavill an Collier, 9. August 1940, paraphrasiert von Danziger 1979: 137)
Durch den Hayward Indian Congress wird aber deutlich, dass sich in der Region bereits eine diversifizierte indigene politische Landschaft gebildet hatte, die man nicht in eine binäre Opposition von »konservativen« und »progressiven« Indianern fassen kann. Die Darstellungen bei Kelly (1988: 73) wie bei Satz ermöglichen auch andere Interpretationen, z.B. dass der indigene Widerstand gegen den IRA sich weniger aus einer nebulösen Fortschrittsfeindlichkeit, sondern eher aus interessengeleiteten Überlegungen derjenigen speiste, die sich sträubten, in einem weiteren Umkehrexperiment der Indianerverwaltung ihre zuerst mühsam in Besitz genommenen Allotments nun doch wieder in den tribalen Allgemeinbesitz zurückzuführen. Das dürfte in LCO durchaus ein Hintergrund gewesen sein. Ein erzürnter Hinweis des Agenten auf »outside agitators« lässt ebenfalls vermuten, dass es sich um ein Netzwerk politischer Opponenten oder eine reservationsinterne Gegenöffentlichkeit handelte, die vom Agenten schwer durchschaubar war. Der Widerstand gegen den IRA wurde jedoch auf pragmatischem Wege ausgehebelt: Bis in die 1960er Jahre hinein wurden in Lac Courte Oreilles die Geschäfte von einem Tribal Business Committee geführt, bis die heute noch geltende LCO-Verfassung 1969 angenommen wurde (Bieder 1995: 201). Zu dieser Zeit scheint, insbesondere unter dem Vorsitzen-
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den Norman Guibord, in Lac Courte Oreilles eine eher auf Assimilation, Anpassung und wirtschaftliche Kooperation mit den Geschäftsleuten von Hayward ausgerichtete Politik betrieben worden zu sein. Guibord wurde Anfang der 1970er Jahre im Zuge der politischen und kulturellen Revitalisierung durch eine mehr aktivistisch ausgerichtete Stammesregierung unter Rick Baker15 abgelöst. In dieser Zeit besaß Lac Courte Oreilles noch kein eigenes Mitteilungsorgan, doch der Bedarf nach einem tribalen Forum wurde deutlich am ersten politischen Dissens in LCO, der sich in den Leserbriefspalten des Sawyer County Record ausdrückte – die Indigenen begannen, Leserbriefe zu schreiben. Konkret ging es um einen Zusatz zur Verfassung von Lac Courte Oreilles, mit der der Stamm sich die Erhebung einer Touristensteuer vorbehielt. Guibord trat öffentlich dagegen auf und wurde im Gegenzug von seinen politischen Gegnern in LCO als »Verräter« und »Ausverkäufer« angegriffen (SCR 02.05.1974). Auch die auf Baker folgenden Stammesregierungen unter Gordon Thayer und Rick St. Germaine waren aktivistisch ausgerichtet und verfolgten eine Politik tribaler Selbstbestimmung, die darauf abzielte, Lac Courte Oreilles wirtschaftlich unabhängig zu machen und politisch von einer Basis tribaler Souveränität aus zu operieren. Die Politisierung, die in den 1970er Jahren überall im indigenen Nordamerika vonstatten ging, muss im Zusammenhang mit mehreren historischen Faktoren gesehen werden, die dazu führten, dass Indigene in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach in großer Zahl die Reservationskommunitäten verließen und sich gänzlich anderen Erfahrungen aussetzten. Zu diesen Faktoren gehört die assimilationistische Politik der US-Bundesregierung, die Termination, d.h. Beendigung oder Aufhebung von Reservationskommunitäten und die sog. Relocation-Programme, mit der Stammesangehörige als Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor in urbane Lebenswelten verpflanzt wurden. Ein weiterer Faktor ist die indigene Teilnahme am Zweiten Weltkrieg. Der Kriegseintritt der USA hatte weitreichenden Einfluss nicht nur auf die Ojibwe am Lake Superior (Ritzenthaler 1943). Wie viele andere Indianer auch zogen Ojibwe in die Städte, um in Fabriken, Werften, Flugzeughangars und bei den Eisenbahnen zu arbeiten. Danziger erwähnt, dass Männer aus Lac du Flambeau in Bau15 | Der nach einem früheren katholischen Priester der St. Francis Solanus Mission benannte Odric »Rick« Baker wurde am 26.05.1931 in Reserve geboren. Er wuchs in der Gegend von Signor auf, ging zur Winter High School und studierte an der University of Wisconsin in Neenah, an der LaSalle University in Chicago und am LCO Community College. Er war Tribal Chairman von 1971 bis 1978 und von 1985 bis 1987. Er wurde zweimal zum Präsidenten des Great Lakes Inter-Tribal Council gewählt und zweimal zum Schatzmeister der National Tribal Chairman’s Association. »During his tenure as LCO Tribal Chairman, he was responsible for putting many of the Tribal Government departments into operation, started the LCO Development Corporation, and started construction of the LCO School system, among his many other accomplishments.« (SCR 09.05.2001)
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projekten der Army und der Navy Jobs an so entlegenen Plätzen wie Neufundland, Kanada und Alaska annahmen. Frauen von Lac du Flambeau derweil verbrachten Hunderte von Stunden damit, für das Rote Kreuz warme Kleidung zu stricken. Sie gaben daneben auch einen monatlichen Rundbrief für ihre Männer bei der Armee heraus. Die Chippewa von Michigan verfassten eine eigene Kriegserklärung, die in der Zeitung Indians at Work (Washington, D.C.) vom 09.04.1942 veröffentlicht wurde: »We are standing once more shoulder to shoulder with our white brothers as we did with George Washington at Valley Forge and in every war for liberty.« (Danziger 1979: 155) Infolge des Krieges verbesserte sich die wirtschaftliche Lage auf den Reservationen kurzzeitig so drastisch, dass 50 % der indigenen Wohlfahrtsempfänger aus der Förderung fielen (Danziger 1979: 156). Andererseits wurde der Indian Service durch kriegsbedingte Sozialeinsparungen gekürzt und aus dem politischen Zentrum Washington D.C. nach Chicago verlegt. Auch andere Einrichtungen des New Deal, von denen Indianer profitiert hatten, ereilte ein trauriges Schicksal, vor allem das Civilian Conservation Corps (CCC), das eine eigene indianische Division hatte. Diese Zivilarmee der Arbeitslosen war im Seengebiet vor allem mit der Aufforstung des Kahlschlags beschäftigt gewesen und hatte vielen indigenen Männern Ausbildung und Einkommen verschafft. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor wurde das CCC ganz gestrichen. Ein harter Schlag für Indian Country: »The ending of the CCC was a heavy, heavy blow to Indian Service, to the Indians, and to social policy in the United States. It is just that: a heavy and undeserved blow«, klagte der Indian Commissioner 1942 (Danziger 1979: 156). Robert Ritzenthaler veröffentlichte aus seiner Feldforschung in Lac Courte Oreilles 1943 einen zweiseitigen Bericht unter dem Titel The Impact of War on an Indian Community, der in seiner ganzen Knappheit und ethnographischen Wohlinformiertheit zum Besten gehört, was über die soziale Realität der Ojibwe in Wisconsin je geschrieben wurde (Ritzenthaler 1943). »While some of the old men are wont to laugh at the folly of the white man, the majority of the people take the war very seriously and consider it as ›our war‹.The men have a much more stoic attitude toward it than the women who would occasionally ›let loose‹ with derogatory remarks aimed at certain foreign personalities and usually in English, for there are no swear words in Chippewa; the worst thing you can call a person is anamush (dog). Newspapers are a rarity, but quite a few of the people have battery radios, and follow the news reports very assiduously. The war is the number one topic of conversation, and in my contacts with them the first question put to me was usually ›How is the war going?‹ Even some of the older folks who couldn’t read or speak a word of English and had never seen a map or even a picture of a tank or battleship would ask me questions about it.« (Ritzenthaler 1943: 325)
Seiner Beobachtung nach hatte der Krieg keine tiefgreifenden Auswirkungen auf das soziale Miteinander in der Reservation (außer dass einige jun-
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ge Frauen Ehen mit ungewöhnlich alten Männern eingingen), doch er sah voraus, dass die Rückkehr der Männer aus dem Feld einige neue Einflüsse mit sich bringen würde. In der Nachkriegszeit kehrte die US-Regierung zu einer assimilationistischen Politik zurück, die zunächst hauptsächlich in Form eines »Relocation«-Programms ab 1947-48 Gestalt annahm: Die indigene Bevölkerung sollte in die urbane Lohnarbeit eingegliedert werden, damit der Staat sich dann in einem zweiten Schritt seiner kostspieligen Treuhänderschaft für die Reservationen entledigen konnte. Dieses zweite Ziel wurde mit der House Concurrent Resolution 108 gesetzlich abgesichert, die die Grundlage für den Rückzug des amerikanischen Staates aus seinen Verpflichtungen gegenüber den indigenen Kommunitäten bildete.16 Die Politik der Terminierung trat politisch als simple Philosophie der Gleichbehandlung auf, in ihren Auswirkungen war sie jedoch destruktiv und wurde von vielen Betroffenen als »anti-indianisch« bewertet (Fixico 2004: 387). Bis heute geistert sie außerdem als bedrohlicher politischer Schatten durch politische Auseinandersetzungen, bei denen indigene politische Souveränität auf dem Spiel steht, wie z.B. in der treaty rights-Kontroverse (vgl. Kapitel III). Seit die US-Indianerpolitik im 19. Jahrhundert aus dem Bereich der Außen- in den Bereich der Innenpolitik verlagert wurde, bewegt sie sich, ähnlich einem schwingenden Pendel, zwischen zwei konzeptuellen Polen, dem »Problem« und der »Reform«, meint der indigene Historiker Donald Fixico. Das »Problem« mit den Ureinwohnern, das Amerika zu lösen hat, wird zum einen als Problem der Verwaltung (»administration«) und zum anderen als Problem einer sozialen und kulturellen Zivilisierung (»advancement«) der Ureinwohner selbst beschrieben. In dem Maße, in dem das Problem weiter besteht, erschöpften sich angewandte Maßnahmen, und das Antidot des Scheiterns wird in der Reform gesucht, so Fixico. Jede neue Indianerpolitik wurde, auch wenn sie tatsächlich eine Rückkehr zu älteren Konzepten war, als Reform dargestellt und damit in ein ideologisches Bezugsfeld eingebettet: »The ideologies surrounding reform have been powerful in American culture, and Indian reform has drawn extensively on that power.« (Fixico 2004: 380) Die Politik der Self-Determination, die unter Nixon programmatisch wurde und die Politik der Termination ablöste, war ebenfalls eine solche Reform (Kotlowski 2003). Sie fand ihren gesetzlichen Ausdruck im 1975 verabschiedeten Indian Self-Determination and Education Act und einer Reihe weiterer Gesetze wie dem Menominee Restoration Act (1973), der die Terminierung der Menominee rückgängig machte, dem American 16 | Wisconsin war einer von fünf Bundesstaaten, der tatsächlich Stämme »terminierte«. Hier traf es die wegen eines selbstverwalteten Sägewerks als wirtschaftlich am stabilsten geltenden Menominee, deren Status als Reservationskommunität beendet und in einen County von Wisconsin überführt wurde. Ihre Wirtschaft, die unter die Aufsicht eines Gremiums aus lokalen weißen Geschäftsleuten gestellt wurde, geriet recht bald in Schwierigkeiten.
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Indian Religious Freedom Act (1978) und dem Indian Child Welfare Act (1978), die die Selbst- bzw. Mitbestimmungsrechte indigener Kommunitäten regelten. Das politische Konzept der Self-Determination entstand in Teilen in der Auseinandersetzung mit der später so genannten Red PowerBewegung, die ihre Wurzeln in der Urbanisierung großer Teile der indigenen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg hat. So kann man davon ausgehen, dass die Indianerpolitik der Bundesregierung der USA gerade durch ihre assimilationistische Ausrichtung die Politisierung des indigenen Nordamerika maßgeblich mit beeinflusst hat (Nagel 1995; Josephy, Nagel und Johnson 1999). Es entwickelten sich in den großen Städten der Region, in Milwaukee, Chicago und Minneapolis-St. Paul mit dem Zuzug von urban relocatees neue, in Indian Centers organisierte Kommunitäten einer panindianischen Diaspora17, die sich unter dem Eindruck der Erfahrungen der Bürgerrechtsbewegung und im Widerstand gegen die assimilationistische Bundespolitik rasch politisierte und eine kraftvolle expressive Kultur hervorbrachte.18 Die wichtigsten Elemente der indigenen Bewegung waren Selbstorganisation, Bündnispolitik, Protest, Publizität und erfolgreiches Auftreten in Gerichtsprozessen (Fixico 2000). Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 1960 organisierte der Ethnologe Sol Tax in Zusammenarbeit mit dem 1944 gegründeten National Congress of American Indians (NCAI) die bis dato größte und repräsentativste politische Versammlung des indigenen Nordamerika, die American Indian Chicago Conference im Juni 1961, auf der sich bedeutende konzeptuelle Weichenstellungen ereigneten, vor allem die Bildung einer radikalen Fraktion, die sich die völlige politische Unabhängigkeit der Reservationen als souveräne, mit den USA und Kanada durch Staatsverträge als gleichberechtigt anerkannte Nationen zum Programm machte (Lurie 2002: 4652). Die Reformprozesse des Indian Reorganization Act hatten sich weitgehend abseits medialer Öffentlichkeiten abgespielt. Die Reformen der Gesetzgebung der 1970er Jahre hingegen sind eng mit dem Erscheinen indigener agency in der Öffentlichkeit verbunden. Hierzu trug entscheidend die Tätigkeit indigener Publizisten und Schriftsteller, allen voran Vine Deloria Jr., bei, außerdem die medienwirksamen Aktionen des 1968 in Minneapolis-St. Paul gegründeten American Indian Movement (AIM) sowie die vermehrte Gründung selbstkontrollierter Zeitungsprojekte. Als historisch bedeutsame Daten gelten hier die mehrfache Besetzung von Alcatraz ab 1964 (Johnson 1994), der Broken Treaties March (1972), die Besetzung eines BIA-Gebäudes (1972) und die Besetzung von Wounded Knee (1973) durch AIM. Die daraus resultierende Medienerfahrung war, dass indigene Gruppen eine eigene politische Agenda in die US-Öffentlichkeit bringen können. In den urbanen Indian Centers entstanden in17 | Die Twin Cities Minneapolis-St. Paul z.B. hatten zu Beginn der 1970er Jahre eine indigene Bevölkerung von ca. 15-20.000 (Fixico 2000: 131). Vgl. auch Lobo und Peters (2001), hierin besonders Lobo (2001) und Gonzales (2001). 18 | Über die indigene Großstadterfahrung vgl. Jackson 2002.
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digene pantribale Zeitungen, wie z.B. der Warrior aus dem American Indian Center in Chicago19, Trails, ein Newsletter, der 1964 in Minneapolis in Zusammenarbeit mit dem Urban American Indian Committee of Minneapolis, dem Twin Cities Tribal Council und dem Upper Midwest Indian Center hergestellt wurde; außerdem Smoke Signals aus dem St. Paul American Indian Center in Minneapolis-St. Paul (Minnesota). Ein Newsletter mit der witzigen Bezeichnung Smog Signals erschien aus der Mitte der American Indian Information and Action Group in Milwaukee und informierte über Neuigkeiten für Interessierte im Umfeld der indigenen politischen und Selbsthilfe-Organisationen Consolidated Tribes of American Indians, United Indians of Milwaukee und United Indians of Milwaukee Youth Council. Das Magazin erschien zeitweise monatlich und wurde von Walter Funmaker (Winnebago) herausgegeben. Obwohl der anspruchslose Achtseiter über kein nennenswertes Layout verfügt und die Verbreitung auf Milwaukee beschränkt gewesen sein dürfte, hatte man sich viel vorgenommen: »The purpose of this paper is to bring a better understanding of the American Indian to society in large; to encourage active support of the Indian organizations in the city; and to present a place for people to air problems or ask questions.«
Ein weiterer Faktor der Revitalisierung ist die Rückkehr indigener Großstädter in die Reservationen. Der Aufenthalt in der Stadt war für die Individuen selten von langer Dauer; viele urbane Indianer kehrten nach einer gewissen Zeit in ihre Heimatreservationen zurück, die als Referenzorte für die Identität eine noch wichtigere Rolle spielen als Israel für die jüdische Gemeinde der USA oder die postkolonialen Staaten Afrikas für Afroamerikaner: »Indian people are aware of being different from Whites, and in the matters that count to themselves the differences are not equated with inferiority but with meaningful social identity.« (Lurie 1962: 829)20 Auf den Reservationen bildeten sich politische Gruppen sowie indigene Lobbyorganisationen und neue Verwaltungsstrukturen. Auch vor der durch Nixon so genannten Ära der Self-Determination entstanden im Zusammenhang mit Lyndon B. Johnson’s Great Society-Programmen die ersten indigenen Lobbyorganisationen, die in gewisser Weise spiegelbildlich zu den staatlichen Einrichtungen passten, nach dem Handshake-Prinzip: Während sich 1961 in Wisconsin die Stammesregierungen gerade zum Great Lakes Intertribal Council (GLITC) organisierten, fand das ebenfalls neugegründete Office of Economic Opportunity (OEO) in GLITC prompt 19 | Die früheste erhaltene Ausgabe des WARRIOR befindet sich laut Danky und Hady (1984) in der Bibliothek der Princeton University. Sie datiert vom 20.10.1959. 20 | Als Felder der Differenz machte Lurie Humor, religiöse Einstellungen (auch wenn die Indigenen Christen waren), Umgangsformen, Einstellungen gegenüber Umwelt und materiellem Wohlstand sowie die »expectations of one another« aus.
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einen geeigneten Ansprechpartner und machte GLITC zur wichtigsten Verteilerstelle der Gelder aus Lyndon B. Johnson’s War on Poverty-Programmen (Lurie 2002: 51). Auch in diesem Zusammenhang entstanden früh Publikationen, bei denen allerdings teilweise nicht ganz klar ist, ob man sie streng genommen als »indigen kontrolliert« bezeichnen kann. Die Great Lakes Agency News z.B. war eine achtseitige PR-Zeitung der Unterabteilung der BIA Great Lakes Agency in Ashland, Wisconsin, die am 30. Juni 1964 zum ersten Mal erschien, herausgegeben von Superintendent E.J. Riley. Diese Publikation diente späteren PR-Zeitungen der indigenen Organisationen auf überregionalem Niveau, wie dem Great Lakes Intertribal Council (GLITC) oder der Great Lakes Indian Fish and Wildlife Commission (GLIFWC) in der Aufmachung und Zielsetzung als Vorbild. Im Jahr 1967 zog der Great Lakes Intertribal Council nach und publizierte die Great Lakes Indian Community Voice, deren erste Ausgabe am 13.03.1967 in Menominee, Michigan, erschien. Die Great Lakes Indian Fish and Wildlife Commission publizierte ihr PR-Organ Masinaigan. Im Rahmen des ebenfalls durch das Office of Economic Opportunity finanzierten Community Action Program (CAP) (Office of Economic Opprtunity o.J.21; Cobb 2002), erschien z.B. ein Newsletter in Odanah auf der Bad River Reservation unter dem Titel Smoke Signals. Das schon mehrfach erwähnte American Indian Movement (AIM) wurde 1968 in Minneapolis gegründet, zunächst als indianische Selbsthilfeorganisation gegen die Polizei. Rasch bildeten sich in anderen Großstädten lokale chapters, vor allem in Cleveland, Denver und Milwaukee. AIM gilt als urbanes Phänomen mit wenigen bis gar keinen Anhängern in Reservationskommunitäten, doch für Lac Courte Oreilles stimmt dies nicht, vielleicht wegen seiner geographischen Lage zwischen Minneapolis im Westen und Milwaukee im Osten. In LCO fand sich schon 1970 ein chapter zusammen, das sich aus lokaler Reservationsbevölkerung rekrutierte. Auf die lokale AIM-Fraktion gehen in LCO viele politisch wirksame und identitätsstiftende Veränderungen zurück: die Besetzung des Winter Staudamms 1971, auf die auch das Honor the Earth Powwow zurückgeht; das provokative fish-in, das die Initialzündung für die treaty rights-Kontroverse gab; sowie die Gründung einiger lokaler Zeitungsprojekte. Eine Frau aus LCO, Saxon Gouge, gründete zusammen mit zwei ebenfalls lokalen LCO-Leuten22 ein Mitteilungsblatt mit dem Namen We-Sa-MiDong23, das im Mai 1969 nach eigenen Angaben zum 18. Mal erschien. 21 | Bei dem Titel handelt es sich um eine undatierte Broschüre des Office of Economic Opportunity, die auf ca. 1967 zu datieren ist. 22 | Peter Larson, der bei der Gründung der selbstkontrollierten Schule in LCO eine Rolle spielen sollte, und Ed Barber. 23 | »Wii« ist ein das Futur anzeigendes Verbpräfix, »sa« wird eingeschoben, um einer Aussage emphatischen Nachdruck zu verleihen; und »mii« bedeutet so viel wie »so ist es« (Nichols und Nyjolm 1995). Zu »dong« konnte ich bislang keine Entsprechung finden.
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Bibliothekarisch erhalten haben sich nur Ausgabe 18, Mai 1969. We-SaMi-Dong war kein einseitig ausgerichtetes Kampfblatt. Hier hatte Saxon Gouges Sohn, der spätere Tribal Chairman von LCO, Rick St. Germaine, eine Sportkolumne, und Sister Sirilla von der St. Francis Solanus Mission in LCO schrieb über die Anfänge ihres Ordens in Reserve im Jahr 192724 . Der Nachfolger des Blattes, Anishinabe Aki25 meldete, im Herbst 1970 habe We-Sa-Mi-Dong die Publikation eingestellt, die Produzenten seien aus der Arbeit ausgestiegen. Das von AIM-Mitglied Mike Tribble gegründete Blatt Anishinabe Aki war nach eigenen Aussagen im Jahr 1970 das einzige »tribal newspaper« in Wisconsin.26 »The broad circulation of tribal newspapers […] seems to have followed in the aftermath of the success of intertribal presses.« (Straus 2001: 90) Was die Professionalität der Aufmachung betrifft, fällt auf, dass, obwohl urbane indigene Kommunitäten sich aus Angehörigen der unterschiedlichsten, oft tausende von Meilen entfernten Heimatreservationen zusammensetzten, sich das Know-how der Zeitungsproduktion anscheinend nicht weiter als allenfalls regional verbreitete. Anishinabe Aki, nicht anders als We-Sa-Mi-Dong, sieht wenig professionell aus im Vergleich z.B. mit dem 1969 bereits acht Jahre alten Apache Scout der White Mountain Apaches in Whiteriver, Arizona, der die bereits 1959 gegründete Zeitung der Navajo, die legendäre Navajo Times zum Vorbild gehabt haben dürfte. Große Ähnlichkeit der frühen tribalen Blätter von LCO besteht hingegen mit dem Chicago Warrior des Chicago Indian Community Center. Das lokale AIM-chapter besetzte Anfang August 1971 in LCO für drei Tage den Winter Staudamm und erklärte medienwirksam »Indian Power«. Es ging um einen land claim, genauer: die Verfügung über die Chippewa Flowage27. Die Betreiberfirma des Staudamms, Northern States Power, hatte sich darauf eingerichtet, nach Ablauf ihrer 50-Jahres-Lizenz eine Verlängerung problemlos genehmigt zu bekommen, doch schon Jahre vor Ablauf dieser Frist hatte eine Koalition aus lokalen Umweltschützern, Resort-Besitzern und der Stammesregierung von LCO Einwände gegen die Erneuerung der Lizenz geltend gemacht. LCO forderte die Lizenz für 24 | Sister Sirilla sprach fließend Ojibwe, was darauf schließen lässt, dass die Sprache zumindest in den ersten Jahren ihres Wirkens in LCO noch im Schwang gewesen sein muss. 25 | A NISHINABE A KI heißt soviel wie »Land der Ojibwe«; der Herausgeber des Blattes, Paul DeMain, verwendet für seine heutige Publikation O JIBWE A KIING die grammatisch korrekte Form, verzichtet aber auf die politisch korrekte Bezeichnung »Anishinaabe« für »Ojibwe«. 26 | Erhalten haben sich die Ausgaben Vol I: 1-2, Okt.-Nov. 1970; IV-XI, Jan-Aug. 1971; Vol. II: 1-3, Okt.-Dez. 1971 auf Mikrofilm aus der Sammlung Veda Stone (Veda Stone Papers). 27 | Aus dem Stausee, in dem 1923 zwei Friedhöfe versunken waren, wurden auch noch in den 1970er Jahren immer wieder Gebeine Verstorbener ans Ufer gespült.
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sich. Bei der Anhörung Ende August 1971, bei dem wegen des Rummels um die Besetzung der Gouverneur von Wisconsin sowie der Senator anwesend waren, tat sich AIM-Mitglied Eddie Benton als »spokesman for the band« hervor. Er war nicht der einzige Sprecher für LCO – neben ihm traten auch Tribal Chairman Rick Baker sowie die beiden für LCO tätigen Anwälte auf – aber Benton schlug einen Ton an, wie man ihn in Hayward noch nicht gehört hatte, und brachte LCO zum ersten Mal aktiv mit einem politischen Anliegen in die Medien, wobei geschichtliches Wissen über die Flutung von Post der ethnischen Selbstidentifizierung (»people«) den Status des »Wissens« verleiht. Die Geschichte macht aus den Leuten, die sich »wie Sklaven fühlen«, ein Kollektiv, das um seine Sonderrechte streitet (»first landlords of this continent«); gleichzeitig wird dieses Kollektiv in die amerikanische imagined community eingebettet (»for all of America«), und damit jene Art kommunikativer Oberfläche angeboten, mit der der »gute Wille« der Mehrheit eingehandelt werden soll: »Ed Benton accussed [sic!] Northern States Power of stealing the land from the Indians, destroying their wild rice beds, washing away the graveyeards of his people and stated that the Indians were just looking for some ›justice‹ from NSP. He said the Indians were just ›fighting for their rights as people‹ and as ›first landlords of this continent‹ and that the Indians wanted to start collecting rent. He said the Indians feel as if they were ›in slavery‹, and now they were willing to fight NSP. […] Benton [said] he felt the Indians could operate the dam just as well as NSP, for both the Indians and all of America.« (SCR 02.09.1971)
Darüber hinaus legte Benton den Gouverneur und den Senator auf Maßnahmen fest: »In introducing Gov. Lucey, Benton asked that Lucey create an Indian Affairs Commission to be headed by an Indian acceptable to state Indians, and that the Commission be staffed by Indians. Lucey said he would establish such a department as soon as possible, and that it would be headed by an Indian. […] he said that he felt their ›grievances were well documented and that under the license had received a ›shabby‹ treatment. […] Lucey was followed by Senator Nelson who was asked by Benton if he would enter a recapture bill in Congress – and if so, Benton promised a nation-wide campaign favoring the bill, the ›like of which you have never seen.‹« (SCR 02.09.1971)
Dass ein Indianer in einer Auseinandersetzung mit ursprünglich höchstens lokaler Reichweite einem Bundespolitiker mit einer nationalen Medienkampagne drohen konnte, war eine Neuheit im politischen Geschehen. Die Antwort der Geschäftsleute, der ol’ boys von Hayward, ließ nicht lange auf sich warten: »Relicensing of Chippewa Flowage favored by citizen group petition«, berichtet der Sawyer County Record am 11.11.1971. Eine Gruppe namens »The Concerned Citizens for the Preservation of the Chippewa Flowage« hatte eine Unterschriftenliste herumgehen lassen.
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Der Titel ließ die Geschichte so aussehen, als ging es in der Auseinandersetzung um Rettung vs. Zerstörung von Damm und Stausee. Tatsächlich wurden sowohl Tribal Chairman Rick Baker als auch die AIM-Fraktion von Lac Courte Oreilles nicht müde zu betonen, dass man die Chippewa Flowage erhalten, nicht zerstören wollte. Die Concerned Citizens, von den tribalen Aktivisten öffentlich unter Druck gesetzt, mussten zugeben, dass es ihnen in erster Linie nicht um den Schutz des Stausees, sondern vielmehr um die Gewerbesteuer der Northern States Power Company zu tun war, die für die Nutzung der Chippewa Flowage an Sawyer County abgeführt wurde, damals eine Summe von immerhin ca. $ 34.000. Erst im November 1984 einigten Lac Courte Oreilles und Northern States Power sich auf einen Vergleich, der allerdings in Lac Courte Oreilles selbst umstritten war, weil er der Stromfirma weiterhin das Recht gab, den Staudamm zur Stromproduktion zu unterhalten.28
2.6 Indianerpolitik und indigene Agency Die Indianerpolitik der Gegenwart ist nach Robert L. Bees Ansicht anders als die vorhergehenden historischen Perioden schwer zu fassen. Dies liege, mit Bezug auf Deloria Jr., an einem zunehmenden Mangel an politischem Denken in der Indianerpolitik: »[Indian] policy has become increasingly ad hoc.« (Bee 1992: 139) Diese »policy ad-hoccery« (Bee 1992: 140) sei nicht per se eine ungünstige Ausgangsvoraussetzung für indigene Souveränitätsbestrebungen; schädlicher sei die auf den Krieg gegen die Armut gerichtete Politik der frühen 1960er Jahre gewesen: »The anti-poverty enthusiasm tended to ignore the special legal status of Indian tribes as distinct from all other minorities. […] For this reason it has not been fruitful for Indians to join forces in a constellation of interest with the poor, or with other ethnic or racial minorities, so as to gain specific rights for Indians only.« (Bee 1992: 154) In einem zunehmend undurchsichtigen Feld, in dem weder der Kongress noch die Institutionen der Indianerverwaltung initiativ werden (es sei denn in einer akuten Krise), müssten Indianer aus einer nicht formal definierten Position heraus agieren: »Because Indians occupy no formal position in the power structure of Washington, they must wage a kind of guerilla warfare to exercise what power they have.« (Bee 1992: 152) Hierbei werden drei Faktoren zunehmend wichtig, der erste Geld, mit dem dann anwaltschaftliche Vertretung und die Dienste professioneller Lobbyisten bezahlt werden können, mit denen Gerichts- und politische Prozesse zugunsten der indigenen Interessen beeinflusst werden (Bee 1992: 152). Hierbei spielen tribale Casinos 28 | Im Austausch dafür erhielt LCO von Northern States Power 4.500 Acres Land, außerdem eine Einmalzahlung von $ 250.000 sowie das Recht, direkt unterhalb des Staudamms selbst ein Wasserkraftwerk zu betreiben und den Strom an den Konzern zu verkaufen. Manager des Kraftwerks, das jahrzehntelang keinen Profit erwirtschaftete, wurde der frühere Tribal Chairman Rick Baker.
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als Motoren der Modernisierung eine große Rolle. In diesen Bereich des politischen Wissens, das vielleicht eher als Know-how anzusprechen ist, fallen auch die Gründungen tribaler PR-Publikationen wie des Masinaigan und andere Veränderungen der tribalen Wissenskultur, deren Ideale sich in den 1990er Jahren in die Richtung eines neoliberalen Professionalitätsideals entwickelten. Eine andere Frage ist, welche langfristigen Auswirkungen diese Unsicherheit und Unbestimmbarkeit in der Politik auf die Prozesse der Identitätsformierung haben. Nagel (1995) befasst sich mit dem Phänomen, dass sich zwischen 1960 und 1990 die Anzahl derjenigen Amerikaner, die bei Zensus-Umfragen ihre ethnische Herkunft als »Native American« bezeichnen, von 523.591 auf 1.878.285 gesteigert, also mehr als verdreifacht hat. Für dieses »ethnic switching« oder »ethnic renewal« sieht sie im Wesentlichen zwei Gründe, erstens die symbolische Aufladung der »Indianerikone« durch die Protestbewegungen, wodurch das Image des Indianers einen vorher nicht gekannten Sexappeal erhielt. Zweitens materielle Vorteile: »Castile (1992) notes the connection between these ideational and material realms, commenting that American Indians were able ›to manipulate their symbolic position [in American history and society] in ways that grant[ed] them a political leverage far greater than their numbers justif[ied]. By keeping a sharp eye on the political waves of ethnicity, which they [could] not raise themselves, shrewd timing […] allow[ed] them to ride those waves and maximize their impact in positive ways.‹« (Nagel 1995: 955-956)
Auch Harmon in ihrem Abriss der Forschung über indigene Identität stellt fest: »[…] being Indian has not consistently hurt.« (Harmon 2004: 258) In einem für die Akteure zunehmend schwieriger bestimmbaren politischen Feld muss ethnische Identität einerseits flexibler werden. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass sie in anderen als direkten politischen Auseinandersetzungen mit der Zentralgewalt formiert wird. Die 1980er Jahre waren in den USA durch einen Widerspruch charakterisiert: die fortschrittliche Gesetzgebung der 1970er Jahre begann in dieser Zeit zu greifen, gleichzeitig waren die unmittelbar wirksamen politischen Entscheidungen und das Klima durch die massiven Sozialkürzungen und den Konservatismus der Reagan-Administration geprägt. In dieser Atmosphäre entwickelte sich in den USA vielerorts ein in der Literatur so genannter »weißer Backlash«, der sich energisch gegen die in den 1970er Jahren errungenen politischen Siege der Ureinwohner richtete. »The backlash was spearheaded by a number of non-Indian organizations, western state officials, and congressional members from states where tribes had gained political and legal victories. Subsequently, bills were introduced that threatened to abrogate Indian treaties, there was renewed discussion of abol-
L AC C OURTE O REILLES ishing the BIA, and some lawmakers argued that Indians should be completely subject to state jurisdiction.« (Wilkins 2002: 116)
Aus diesen widerstrebenden Tendenzen heraus entstand die Indianerpolitik der späten 1980er Jahre, eine bizarre und inkonsistente Mischung (Wilkins 2002) aus Beschlüssen, die die tribale Souveränität einerseits stärkten, andererseits schwächten, wie sich am Beispiel des Indian Gaming Regulatory Act von 1988 zeigt, der das Recht der Stämme zum Betrieb von Glücksspiel von der jeweiligen Politik der Bundesstaaten abhängig macht und damit die wirtschaftliche Entwicklung indigener Kommunitäten mit den wechselnden Besetzungen der state capitols verknüpft, von denen wenig Unterstützung für indigene Souveränitätsansprüche zu erwarten ist, sondern eher eine gewisse Sympathie für den white backlash. Diese Tendenz zur Zersplitterung und Revision setzte sich unter der Regierung Bill Clinton (1993-2001) fort, insbesondere nachdem die Republikaner 1994 in beiden Häusern die Mehrheit erhielten. Auch die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs fallen seit dieser Zeit mehrheitlich zugunsten der Bundesstaaten und gegen tribale Souveränitätsansprüche aus: »a dramatic departure from historical and constitutional precedent« (Wilkins 2002: 118). Ein starker Punkt der Ethnologie in der hier skizzierten Diskussion könnte in ihrem Bemühen bestehen, die sozialen Realitäten von (Post) Kolonialismus und Globalisierung zu erfassen, ohne dabei die agency der Beforschten aus dem Auge zu verlieren, »the capacity to act on the world« (Comaroff und Comaroff 1993: XI; XIV). Aber in der Forschungsliteratur über das indigene Nordamerika spielt indigene agency – die auch nur implizit gedachte Möglichkeit des indigenen Handelns in der Welt – besonders in der mit politischen Wandlungsprozessen seit Beginn der Reservationsperiode befassten Forschungsliteratur eine höchst untergeordnete Rolle. Soziale und politische Veränderungen im 20. Jahrhundert, insbesondere die beiden Reformperioden während des New Deal und der Nixon-Administration, werden gewöhnlich als eine Kette sich gegenseitig informierender Strukturen dargestellt, als Indian policy, als Erkenntnisprozess der Behörden, der durch behördlich in Auftrag gegebene Studien in Gang kommt und sich dann durch die Implementierung besserer Strukturen langsam durchsetzt (z.B. Prucha 1984; Philp 1999; Kotlowski 2003). Diese Perspektive ist sicherlich nicht falsch; viele dieser Prozesse können systemtheoretisch als Kommunikationen zwischen einer staatlichen und einer indigenen Institution verstanden werden. Aber durch den ausschließlichen Fokus auf Institutionen werden die Handlungskompetenz, die Intentionalität und die Autonomie der indigenen Akteure recht weitgehend unterschlagen (Abb. 10). Diese indigene agency ist im folgenden Kapitel Thema.
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Abb. 10 Vom fotografierten Objekt zur aktiven Medienarbeit: Ojibwe-Tänzerinnen posieren für den Lokalreporter des Sawyer County Record beim Honor the Earth Powwow in Lac Courte Oreilles, 2001.
Foto: Cora Bender, 2001.
B Medien
Abb. 11 WOJB lebt von seinen Freiwilligen: Der langjährige DJ David Kellar bei der live-Übertragung des LCO Veterans Day Powwow am 11. November 2002.
Foto: Cora Bender, 2002.
III Zu den Entstehungsbedingungen indigener Medien: Lac Courte Oreilles und die Treaty Rights-Kontroverse
1 I NDIGENE V ERTR AGSRECHTE Die 1980er Jahre waren für Lac Courte Oreilles eine politisch stürmische Zeit, in die auch die Gründung der LCO-Medienprojekte fällt. Die Situation in Wisconsin wurde durch einen Gerichtsprozess um indigene Landnutzungsrechte beeinflusst, der 1983 zugunsten der indigenen Kommunitäten entschieden wurde. Bis 1986 regierten in Wisconsin die Demokraten, doch mitten in die Zeit der politischen Konterbewegung, in der Literatur als white backlash bezeichnet, die sich in Wisconsin Mitte der 1980er Jahre gegen indigene Souveränität formierte, fiel der Regierungswechsel, mit dem 1986 der Republikaner Tommy Thompson an die Macht kam. Im folgenden sollen die Auseinandersetzungen dieser Zeit geschildert werden, wobei besonderes Augenmerk auf den Strategien der Opponenten, dem indigenen Agieren in der Öffentlichkeit und der Identitätsbildung in dieser Zeit des politischen Zwistes liegt. Ein wichtiger und politisch umkämpfter Bereich der Rechtsstellung sind die Landabtretungsverträge (treaties), die indigene Bevölkerungen mit den Kolonialmächten und der US-Regierung abschlossen, durch die die einen hofften, einen Rest Landes ungestört behalten zu dürfen, und die anderen in den Besitz von immer mehr Land zu kommen verstanden. Die Verträge von 1837, 1842 und 1854 haben heute auch eine zentrale Bedeutung für die kulturelle Identität der Ureinwohner, da sie die Reservationskommunitäten begründeten, die heute auch eine territoriale Verortung des sozialen und kulturellen Lebens der indigenen Bevölkerung darstellen. In dieser Perspektive sind die treaties nicht nur als historische Dokumente der Landenteignung zu sehen, sondern sie sind auch Gründungsdokumente der heutigen indigenen Kommunitäten. Als solche werden sie in indigenen Medien oft als »sacred« bezeichnet und – so widersinnig einem Außenstehenden dies vorkommen mag – an Gedenktagen
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zeremoniell gefeiert. In Nord-Wisconsin spielte sich in den 1980er Jahren eine treaty rights-Auseinandersetzung ab, die in bestimmten Ereigniskategorien von den Mainstream-Medien abgebildet wurde. Kamerateams postierten sich an den Bootsanlegestellen (boatlandings), von wo aus die nächtlichen Ausfahrten indigener Fischer auf reservationsferne Gewässer starteten, die ihrer Meinung nach trotzdem unter die Regelungen der Landabtretungsverträge des 19. Jahrhunderts fielen. Eine Form der historisch in der Seenregion von indigenen Bevölkerungen, vor allem von Männern, praktizierten Fischerei ist das Speerfischen. Hierbei werden die Fische durch eine Fackel, in der revitalisierten Form durch einen Scheinwerfer, zum Boot gelockt und mit einem gabelförmigen Fischspeer gestochen; daher der ebenfalls mit der Zeit ideologisch konnotierte Begriff spear fishing1 . Nach meiner Beobachtung gehen indigene Jäger und Angler damals wie heute weniger wegen der Trophäen auf die Jagd als vielmehr, um etwas Abwechslung auf den Tisch zu bringen. Beispielsweise habe ich nur in einem indianischen Haushalt einen ausgestopften Hirschkopf an der Wand hängen sehen, wohingegen in nicht-indianischen Haushalten und auch in Bars ausgestopfte Tiere in oft skurrilen Posen keine Seltenheit sind. Die Jagd hat für die indigene Identität allerdings in den 1980er Jahren wieder einen gewissen symbolischen Stellenwert mit der Revitalisierung von first kill-Zeremonien für Jugendliche erhalten. Während der offiziellen Jagdzeiten schwärmen weiße Freizeitjäger zusätzlich zu den Anglern zu Zehntausenden in die nördlichen Wälder und schießen auf alles, was sich bewegt.2 Im Jahr 1990 wurden in Wisconsin von weißen Sportjägern 399.331 Whitetail-Hirsche geschossen, von indigenen Jägern dagegen 3.842 (Satz 1991: 113). Ebenso verhalten sich die Zahlen beim Fischen: Auf 9.454 durch Sportangler gefangene Muskellunge-Fische kamen 153 auf indigener Seite; beim Walleye ist das Verhältnis 623.525 zu 16.399 (Satz 1991: 114). Es handelt sich also um eine eher symbolische Menge Fisch und Wild, um die es bei den boatlandings zu zeitweise aggressiven und sogar gewalttätigen Konfrontationen kam. Über die Auseinandersetzung, besonders ihren juristischen Verlauf, existiert mittlerweile ausführliche Literatur (Loew 1992, 2001; Nesper 2002; Satz 1991), so dass die Historie des Konflikts, in dem sowohl Lac Courte Oreilles als auch indigene und allgemeine Medien eine große Rolle spielten, hier nicht im Einzelnen nachverfolgt werden muss. Es herrscht in der Literatur Konsens darüber, dass in Lac Courte Oreilles zwar die ersten politischen Schritte dieser Schlacht um die Vertragsrechte geplant und unternommen wurden, dass die Reservation es aber verstand, die gewalttätigen Konfrontationen, die später vor allem in Lac du Flambeau ausbrachen, auf 1 | Interessanterweise wurde das historisch hauptsächlich von Frauen ausgeübte, etwas weniger symbolstarke Netzfischen nicht zum Gegenstand der Auseinandersetzung, obwohl Netzfischen auch noch hier praktiziert wird. 2 | In Lac Courte Oreilles erhielt ich in diesen Wochen regelmäßig den Rat, nicht im Wald spazieren zu gehen.
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ein Minimum zu begrenzen. Pat Ryan, WOJB-Mitarbeiter in dieser Zeit, erinnert sich: It was quiet around here, it really was. It was interesting. (Interview Pat Ryan)
In ihren verschiedenen Publikationen zeichnet Loew die Konfliktlinien aus der Sicht der Ojibwe. Sie nennt außerdem die wichtigsten Konzepte, die in der ideologischen Auseinandersetzung eine Rolle spielten: »[…] on March 8, 1974, two Ojibwe brothers […,] Fred and Mike Tribble of Lac Courte Oreilles were arrested and charged with violating Wisconsin conservation laws. The two had been caught ice fishing on a lake, off their reservation but in a territory on which the Ojibwe claimed treaty rights to hunt and fish. […] The arrests prompted a class action suit against the State of Wisconsin by the Lac Courte Oreilles, who accused the state officials of systematically preventing the Ojibwe from exercising their rights to hunt, fish and gather in the ceded territory as set down in the 1837, 1842 and 1854 treaties.« (Loew 2001: 80-82)
Von Gesprächspartnern wurde mir versichert, dass in der Gegend um Lac Courte Oreilles die Wilderei (zu der auch das Fischen zur Laichzeit im Frühjahr gehört), wenn in Maßen betrieben, bis dahin nicht als großes Problem gesehen wurde. Der Mitarbeiter von WOJB, Pat Ryan, der selbst kein Ojibwe ist, erzählte mir im Interview: In this area, this remote northern region of Wisconsin, many people would go out in the spring and harvest a few spawning fish, ’cos it was easy! I mean literally the people in this area, Whites, a lot of Whites would spear fish! In the spring. Over the years it was overlooked pretty much, you know. Unless someone was really taking advantage, coming out with a huge catch. Twenty, thirty years ago, people would go out and harvest a deer, if they needed meat. And it wasn’t such a big deal about »poaching!« and such, »illegal act!«, carrying huge consequences like it does now. (Interview Pat Ryan)
In den 1930er Jahren hatten Gangstertouristen aus Chicago mit ihren Maschinengewehren wildernd die Gegend unsicher gemacht, aber das war in den frühen 1980er Jahren lange vorbei. Die einzigen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit wegen Wildereidelikten ins Gefängnis kamen, waren Ojibwe. There were lots of gangsters coming up from Chicago, not only Al Capone. There was one conservation ward, Ernie Swift, he is legendary nowadays. 3 He wrote 3 | Wildhüter-Held Ernie Swift, der in den 1930er Jahren das Wild der Region erfolgreich gegen marodierende Schützen der Chicagoer Gang um Al Capone verteidigt hatte, betätigte sich in späteren Lebensjahren als Heimathistoriker (Swift 1953).
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE several books. He was always in trouble because he would arrest gangsters that were hunting deer with machine guns. (Gespräch mit Sue Menzel) 4
Die Geschichte über den Wildhüter-Helden Ernie Swift im Kampf gegen die Gangster ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, weil sie zeigt, wie problematisch die Ankunft des Gesetzes in der Wildnis sich darstellt, die m.E. als ein allgemeines amerikanisches Thema auch in Nordwest-Wisconsin in den treaty rights-Kontroversen dramatisiert wurde, in Szenerien eines Show-downs zwischen Gut und Böse. Mit ihrem Gang vor Gericht, mit dem sie die ihrer Meinung nach durch Verträge garantierten souveränen Landnutzungsrechte bestätigen lassen wollten, holten die Ojibwe von Lac Courte Oreilles das Gesetz, den Staat, die verhasste Zentralgewalt, in die Wälder von Nordwest-Wisconsin. »Eventually, the five other Ojibwe bands joined the suit. Initially, a federal judge ruled against the tribe; however in January 1983, the U.S. Seventh Circuit Court of Appeals reversed this decision.« (Loew 2001: 80-82) Bei diesem Gerichtsbeschluss handelt es sich um die sog. Voigt Decision, die besagte, dass der Bundesstaat Wisconsin kein Recht hatte, in die Regelung der Fischerei auf Ojibwe-Reservationen einzugreifen. Die Voigt Decision legte außerdem fest, dass die Verträge von 1837 und 1842 den Ojibwe Sonderrechte einräumten, außerhalb ihrer Reservationsgrenzen zu jagen und zu fischen, ohne sich an Regulierungen durch den Staat Wisconsin zu halten.5 Dieses Recht sollte aber nicht unbeschränkt gelten. In einer langen Serie von Gerichtsprozessen wurden die Parameter der Anwendung ausgehandelt und eine indigene Behörde geschaffen, die Great Lakes Indian Fish and Wildlife Commission (GLIFWC), die zugleich Kontroll- und PR-Organ der indigenen Sonderrechte ist und auch eine Zeitung, Masainaigan, herausgibt. 1989 und 1990 wurde per Gerichtsbeschluss über die Ausdehnung der für Ojibwe geltenden Jagdzeit auf Hirsche entschieden.6 Das verzieh man den Ojibwe nicht: 4 | Tatsächlich befindet sich bis heute auf dem Boden der Reservation, kurz hinter der Kreuzung zwischen County Roads N und CC ein privat geführtes Al Capone Museum, der »Hide Out«. In einem stattlichen Anwesen residierte hier zeitweise der große Gangster aus Chicago, bewirtete Gäste, vergnügte sich mit Frauen und sperrte gekidnappte Gegner in ein eigens integriertes kleines Verlies im Haus. 5 | »Wisconsin had no rights to regulate fishing on Ojibwe reservations and, more importantly, that the 1837 and 1842 treaties guaranteed Ojibwe rights to hunt and fish off their reservations without being bound by state regulations.« (Milwaukee Public Museum, www.mpm.edu, 03.04.2004) 6 | »Between 1987 and 1991, federal court rulings denied and limited the scope of Ojibwe treaty rights and helped shape the manner in which the tribe exercised them. […] the Ojibwe created the Great Lakes Fish and Wildlife Commission (GLIFWC) to oversee their harvests and provide biological expertise to the bands. Following state and tribal input, a 1989 decision established harvest levels and imposed safeguards to protect the fishery resource. A year later, Judge Crabb
Z U DEN E NTSTEHUNGSBEDINGUNGEN INDIGENER M EDIEN »The following year, when the Ojibwe began spearing fish in off-reservation lakes, they were met by angry protesters. […] By 1989, the confrontations had turned violent. […] Signs bearing such vitriolic messages as ›Save a walleye, spear an Indian‹, and effigies of speared Indian heads led to Wisconsin being described in the media as the ›Mississippi of the North‹. The Ojibwe and their supporters borrowed heavily from civil rights workers who had earlier registered African-American voters during the Freedom Summer of 1964.« (Loew 2001: 80-82)
Der indigene Bezug auf die Bürgerrechtsbewegung, der hier zutage tritt, ist sehr interessant. Er scheint im Nachhinein einer Kritik Vine Delorias zu begegnen, das Civil Rights Movement habe sich nur auf die Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung konzentriert und die Indigenen dabei ignoriert bzw. unter das Diktat einer Gleichstellung als Gleichmachung beugen wollen. Doch, so Deloria, die Ureinwohner klagen Exklusivität ein, wohingegen die Afroamerikaner in den USA um Inklusion in die Mehrheitsgesellschaft kämpfen (Deloria 1969: 168-196; Feest 1976: 275-298). Noch komplexer wird die Frage dadurch, dass auch die Anti-treaty rights-Aktivisten Slogans benutzten, die an die Forderungen der Bürgerrechtsbewegung erinnerten, auch in der Namensgebung ihrer Initiativen, die sich z.B. »Equal Rights for Everyone« nannten. In selbstentlarvendem Gegensatz hierzu steht allerdings die Verwendung von rassistischen Parolen wie »timber niggers«, die auf Plakaten der treaty rights-Gegner immer wieder auftauchten. Die Positionen der Indigenen lassen sich in der Darstellung dieser Vorgänge durch die Ojibwe-Journalistin und Medienhistorikerin Patricia Loew nachvollziehen. Sie erzeugt Wissen, indem sie zunächst eine Perspektive vom Allgemeinen auf das Besondere einnimmt: Gegenüber den rassistischen Entgleisungen, die sich im Norden von Wisconsin abspielen, erhalten hier die MainstreamMedien die Rolle einer allgemeinen Geltungsinstanz, die den Konflikt in einen Vergleich mit der Rassentrennung im Süden der USA und dem emanzipatorischen Kampf der schwarzen Bürgerrechtsbewegung einbettet. Daraufhin bewegt sich die Perspektive wieder vom Besonderen auf das Allgemeine, indem die Ojibwe in das Erbe der Bürgerrechtsbewegung, d.h. der liberalsten Werte Amerikas, eingesetzt werden. Tatsächlich ist das in einer kurzen Zusammenfassung genau das, was passierte, wobei jedoch der Rekurs auf die Bürgerrechtsbewegung nicht von den Mainstream-Medien kam, sondern vor Ort, in Lac Courte Oreilles in Zusammenarbeit mit Kirchen und Unterstützergruppen entwickelt und durch indigene Medien verbreitet wurde, bis es auch in die überregionalen Medien gelangte. Trotzdem bleiben die hasserfüllten Parolen der treaty rights-Gegner in gewisser Weise unerklärt: Sie lassen sich nicht aus dem Gerichtsstreit um ein paar Fische und Hirsche ableiten. Meines Erissued a decision that extended the Ojibwe deer hunting season and set rules for trapping.« (Loew 2001: 80-82)
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achtens versteht man aber auch die indigene Bewegung nur dann richtig, wenn man die Gegenbewegung kennt.
2 D IE R OLLE INDIGEN KONTROLLIERTER M EDIEN IN DER TRE AT Y R IGHTS -K ONTROVERSE Anders als Patricia Loew glaubt WOJB-Mitarbeiter Pat Ryan, dass die Situation in LCO insgesamt ruhiger blieb, weil LCO sich nicht ganz so aktiv in die Aktionen einbrachte: The tribe further to the northeast, Lac du Flambeau, and the tribe to the west, the St. Croix tribe, maybe they were a little more active in physically going out and doing the spear fishing. (Interview Pat Ryan)
Aber er unterschlägt dabei die eigene agency. Hierzu Gaiashkibos, späterer Tribal Chairman von LCO: During the treaty rights controversy, when Lac Courte Oreilles led that fight to exercise our off-reservation treaty rights, Lac du Flambeau took it to the boatlandings, they went exercising their rights, they went fishing. They had to fish, and I’m glad, I applaud them for fishing. Because the protesters were protesting them at the landings. Lac Courte Oreilles took a softer approach. We said, »We don’t need all these fish, we got enough fish on the reservation.« We didn’t communicate that to the white public. We did Public Relations! Through the radio station, communicating this out. (Interview Gaiashkibos)
Hier soll die Rolle der indigen kontrollierten Medien, ihr impact auf die Auseinandersetzung sowie einige andere medienbezogene politische Aktivitäten von LCO-Leuten thematisiert werden. Die Auseinandersetzungen fingen in Lac Courte Oreilles viele Jahre vor dem »heißen Frühling« von 1989 an. Dabei sind indigene Medien, indigene Auftritte in allgemeinen Medien, öffentliche Diskurse und politische Handlungen so eng miteinander verzahnt, dass sie hier gemeinsam dargestellt werden sollen. Der Beginn der Auseinandersetzung wird im Sawyer County Record sichtbar, als im Februar 1984 der Reporter Terry Boettcher einen Artikel über ein Bürgergremium (»citizens advisory committee«) veröffentlichte, das vom Wisconsin Department of Natural Resources ins Leben gerufen worden war (SCR 01.02.1984; 07.03.1984). Es ging darum, die sog. Voigt Decision, mit der die Vertragsrechte auf höchstrichterlicher Ebene geklärt worden waren, nun auf der lokalen Ebene umzusetzen. Wie beim Indian Education Act auch gab es hierbei die größten Probleme. Was die Aufgaben dieses und anderer ähnlicher Komitees sein sollten, denen keine Indianer angehörten, bleibt in dem Artikel unklar. Das Komitee erstellte eine Liste verbotener bzw. unerwünschter »fishing practices« zusammen, worunter vor allem die indigenen Fischmethoden wie Eisfischen
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und Speerfischen fielen, und leitete dieses dem Stamme zur neuerlichen Verhandlung über die lokale Auslegung der Voigt Decision zu. Einer der Komitee-Mitglieder machte den Vorschlag, dem Stamm im Tausch für die treaty rights Geld anzubieten, was Lac Courte Oreilles entrüstet ablehnte (SCR 15.02.1984). Auf dem »Annual Fish and Game Hearing« sowie in zahlreichen Leserbriefen äußerten sich Bürger und Sportangler besorgt über die Auswirkungen, die die Ausübung der Vertragsrechte der Indianer auf die Sportfischerei in Hayward haben werde. Nun muss man m.E. vorsichtig sein, diese Aufregung sogleich als rassistische Kampagne zu brandmarken. In Wisconsin hatte es schon in den frühen 1970er Jahren Auseinandersetzungen um indigene Fischrechte im Lake Superior gegeben und Sportangler hatten eine Gruppe namens »Concerned Sportsmen for Lake Superior« (Satz 1991: 104) gegründet. Abb. 12 Das Museum des weißen Sportanglers: Die vom Whiskey-Hersteller Jim Beam gesponserte Fresh Water Fishing Hall of Fame in Hayward, Wisconsin, 2001.
Foto: Cora Bender, 2001.
In einer allgemeinen Perspektive gehen diese Konflikte m.E. auch auf die Geschichte der weißen Landnahme am Lake Superior im 19. Jahrhundert zurück, mit der ein aggressiver weißer Alleinanspruch auf die Ausbeutung der natürlichen Resourcen etabliert wurde, den die Ureinwohner nicht herauszufordern hatten (vgl. auch Abb. 12 und Abb. 13).7 Doch zu 7 | Die Gewaltanwendung scheint in die Auseinandersetzung um den legitimen Rechtstitel auf das Land Nordamerikas eingeschrieben: »Durch Gewaltanwendung wurde aus der an sich grotesken Idee, dass jemand durch Entdeckung eines ihm unbekannten, wiewohl schon besiedelten Landes einen rechtlichen Anspruch darauf erwerbe, ein anerkannter Rechtstitel. Die Ge-
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den Sportanglern gesellten sich mit der Zeit politische Aktivisten, die sich bereits Jahre vorher organisiert hatten. Der Interstate Congress for Equal Rights and Responsibilities (ICERR) wurde z.B. schon 1976 in Salt Lake City (Utah) auf einem Treffen von Gegnern indigener Sonderrechte (»antitreaty rights representatives from ten western states« [Satz 1991: 105]) gegründet. Dessen Wirken in Wisconsin wird in der Forderung nach »equal rights for all« sichtbar, die 1984 im SCR auftauchte (SCR 25.04.1984). Die Anti-Treaty-Fraktion in Nord-Wisconsin bildete sich nach dem Muster des ICERR. Hier forderten die Lokalableger, wie z.B. Wisconsin Alliance for Rights and Resource (WARR) aus Superior, Protect Americans’ Rights and Resource (PARR) aus Minocqua in der Nähe der Ojibwe-Reservation Lac du Flambeau und Stop Treaty Abuse (STA), ebenfalls aus Minocqua die Rückkehr zur Indianerpolitik der Eisenhower-Zeit, die Terminierung der Stämme als rechtliche und politische Einheiten, die Aussetzung der treaties, der tribalen Jurisdiktion, der indigenen Landnutzungsrechte und der damals noch zur Verhandlung anstehenden indigenen land claims (Satz 1991: 105). Dies sind recht weitgehende Forderungen, die eigentlich keinen Raum für Verhandlungen erkennen lassen und die auf die Eliminierung des Gegners abzielen. Die Namen freilich sollten etwas anderes suggerieren, meint Gaiashkibos, langjähriger Tribal Chairman von LCO: To the non-Indian person, when they heard »Stop Treaty Abuse« that sounded like a very good organisation, »Hey, I’m gonna support the Indians!« [ahmt ein Lachen nach:] Ha-ha! It was against the Indians! (Interview Gaiashkibos)
In der Hayward-Region war die Gruppe Equal Rights for Everyone (ERE oder ERFE) aktiv, die sich im Februar 1984 unter der Leitung von Paul Mullaly aus Hayward bildete (SCR 15.02.1984). Das Kraftzentrum von Anti-Treaty-Gruppen waren die öffentlichen Treffen, bei denen verärgerte Sportfischer sich Luft machen konnten. Mullaly kündigte im Februar 1984 die Erstellung mehrerer Thesenpapiere zum Thema treaty rights an, deren Umlauf sich in den Leserbriefspalten der Lokalblätter bemerkbar machte: »LCO encourages racism from childhood. Their children attend separate schools. Their people are encouraged to stay on the reservation instead of entering the mainstream of society. […] What is the real reason for the racism so prevalent among the tribes? Is it really the fear of losing a culture, or does someone fear the loss of all those government grants and special programs the U.S. taxpayer is paying for?« (Leserbrief Lee Winter, SCR 03.10.1984)
Man kann in der Argumentation beobachten, dass die durch die indigenen Sonderrechte in Nord-Wisconsin angeblich drohenden Schäden schrittweise zu einer Bedrohung für die Allgemeinheit erweitert werden. waltanwendung ist aber nie anders motiviert worden als mit der angeblichen ›natürlichen Minderwertigkeit‹ der früheren Bewohner […].« (Feest 1976: 34)
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Ein PARR-Anführer warnte: »Wisconsin will become ›the home of the dead seas‹ if Indian treaty rights are not curtailed.« (Satz 1991: 106) Ein anderer kontrastierte den »American creed« mit dem »Indian greed«, der angeblichen Gier der Indianer. Die Zeitung von PARR veröffentlichte in verschiedenen Ausgaben schwarze Listen von Unterstützern der indigenen Seite, die dort als »Traitors to the Constitution« gebrandmarkt wurden, was Satz wiederum an die Kommunistenhatz unter Senator McCarthy erinnerte (Satz 1991: 111). Paul Mullaly zeichnete Lac Courte Oreilles und alle anderen indigenen Kommunitäten als Aliens, die sich mit den Erzfeinden Amerikas zu verbünden drohten: »Just to shake you up a little more, there are presently almost 300 tribes recognized and hundreds more seeking recognition. On the surface, this seems okay to some people, but it does not sit well with others, thinking that our neighbor reservation will be negotiating with Libya, East Germany, or Cuba. (We have clippings of tribal negotiations with these nations on file.)« (Leserbrief Paul Mullaly, SCR 16.01.1985)
Diese Bemerkungen machen deutlich, in welchem Kontext die Anti-Treaty-Gruppen zu verorten sind. Es handelt sich, mit den Worten des Soziologen Michael C. Hughey, um eine nativistische Reaktion auf die Herausforderung des Americanism durch eine politische Häresie. Hughey fasst in seinem Aufsatz Americanism and Its Discontents (Hughey 1998) das »amerikanische Dilemma« (Myrdal 1944) als einen Widerspruch auf, der in die zentralen politischen und kulturellen Ideale Amerikas eingeschrieben ist. Es handelt sich um einen Widerspruch zwischen exklusiven und inklusiven Werten, der besagt, dass Demokratie ein Privileg ist. Die Privilegien demokratischer Bürgerschaft sollen nur auf solche Gruppen Anwendung finden, die in bestimmter Weise dazu qualifiziert, berechtigt bzw. ausersehen sind, sie auszuüben. Hierzu gehören historisch in erster Linie Puritaner, auf deren religiösen Bund die amerikanische politische Gemeinschaft sich nach Hugheys Darstellung letztlich gründet. Die Forderung nach der Ausweitung dieser hauptsächlich auf Glauben und innere Überzeugung fußenden politischen Dazugehörigkeit von weißen, protestantischen Männern auf andere Gruppen wie katholische Immigranten, Schwarze, Juden, Frauen, Hispanics etc. sprengte diese »association of the like-minded« und setzte politische Konflikte von der Art der treaty rights-Kontroverse in Gang. Hughey spricht von einer unvollendeten Säkularisierung Amerikas, in der die Organisation der eigenen Völkervielfalt in die enge, nie vollständig durchbrochene politische und ökonomische Praxis des puritanischen Bundes (covenant) eingepasst wurde. Das Gewicht, das der inneren Grundüberzeugung als letztlich wichtigstem Merkmal der Staatsbürgerschaft zukommt, führt dabei in politischen Konflikten mit Anderen als den zur Gemeinschaft der »like-minded« Gehörenden zu zweierlei: Zum einen entwickelt sich die Tendenz, Americanism als doch recht vage Ideologie nicht hauptsächlich positiv, sondern negativ, in Abgrenzung vom
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Anderen, mithilfe einer totalisierenden Antithese zu formulieren. Immer wachsam gegen Erosionen des American creed, verstehen amerikanische Nativisten jede Herausforderung des konsensuellen Glaubens sogleich als existenzielle Bedrohung des ganzen Gemeinwesens, anstatt bloß als einen lokalen Interessenkonflikt.8 Hinzu kommt zweitens die Tendenz zur Paranoia, der Glaube an die katholisch-kommunistisch-jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung und die Anfälligkeit für eine Ideologie der Hexenverfolgung. Drittens entwickelt sich auf einer allgemeinen Ebene ein letztlich doch wieder gebrochenes Verhältnis zur eigenen Politeia, das Hughey »irritable patriotism« nennt, dessen Ideale verletzlich, fragil und vom Urteil eines Außen oder Anderen abhängig sind. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, welche Dimension der lokale Konflikt um nichts als ein paar Fische tatsächlich hatte. LCO als Speerspitze der treaty rights-Stämme musste seine Interessen durchsetzen, ohne dabei in die Gefahr zu geraten, als »alien menace« zur Bedrohung der ganzen amerikanischen Nation aufgeblasen zu werden. Dies bedeutete, dass man sich, obwohl die Sonderrechte für indigene Kommunitäten, wie Satz meint, vollständig verfassungskonform sind (Satz 1991: 105), nicht einzig auf die Argumentation der politischen Souveränität der indigenen Kommunität stützen konnte. Diese stand am ehesten unter der Gefahr, zur Zielscheibe des rigorosen und paranoiden othering der Indianerhasser zu werden. Vielmehr hatte eine Philosophie der Inklusion die Forderung nach indigenen Sonderrechten in das Allgemeinwohl einzubetten. Diese fand man in den politischen Idealen der schwarzen Bürgerrechts- und studentischen Protestbewegung, in der die Generation von Paul DeMain, Gordon Thayer und Rick St. Germaine ihre politischen Ideale erhielten. Doch bevor die Treaty-Rights-Kontroverse sich in Nord-Wisconsin zuspitzte, hatte es an anderen, scheinbar viel unwichtigeren Fragen im Zusammenhang mit tribal jurisdiction und tribal sovereignty schon Auseinandersetzungen gegeben, in denen LCO-Akteure sich erprobt hatten. In der Literatur herrscht die Ansicht vor, dass Indianer in den USA nicht dem gleichen systemischen Rassismus unterliegen wie Schwarze. Dabei sind Verachtung und Vorurteile aus der weißen Bevölkerung auch im liberalen Great Lakes-Gebiet eine allgemeine indigene Erfahrung im öffentlichen Schulsystem, am Arbeitsplatz und in der lokalen Konsumwelt. And of course, if you go downtown and you go to the stores and stuff like that, the clerks would be following you around and makin’ sure you didn’t steal anything. (Anonym)
8 | Auf diesem Hintergrund ist m.E. die moralische Vehemenz, mit der amerikanische Fachkollegen die Mechanismen des othering in der amerikanischen Populärkultur und in den Mainstream-Medien entlarven, auch als Reaktion auf den amerikanischen Nativismus zu verstehen (vgl. Kohl 2000: 169).
Z U DEN E NTSTEHUNGSBEDINGUNGEN INDIGENER M EDIEN XX’s mother, she is Indian but she doesn’t look like, like if you don’t know about these things you probably wouldn’t be able to tell. She worked at a restaurant in town and overheard all these conversations that the tourists had about Indians and that they don’t have manners etc. They’re still racist here. In one store there is a woman that wouldn’t wait on Indians. (Anonym)
Supermärkte sind nicht der einzige Ort, wo LCO-Leute selbst als Konsumenten mit Diskriminierung rechnen mussten. Am 26.07.1981 gab es vor einer Bar in Hayward eine Schlägerei, in die ein LCO-Mann verwickelt war. Bei den 1981er Lumberjack Championships hingegen verprügelte ein LCO-Mann einen Touristen aus Minneapolis. Diesen Vorfällen waren andere vorausgegangen.9 Was an diesen Kleinstadtereignissen so viel böses Blut stiftete, war das Verhalten der Polizei: »[Tribal Chairman Thayer charged] that Hayward police had once again handled a disturbance involving Indians in a discriminatory manner.« (SCR 03.02.1982) Ähnliche Klagen kamen auch aus Red Cliff, wo sich Polizei und Reservationsbewohner regelrechte Gefechte lieferten (LCOJ 4(4), April 1981). Doch erst als Tribal Chairman Thayer drohte, er werde zur besten Reisezeit die Stadt mit indianischen Streikposten absperren und so den geldspendenden Touristenstrom blockieren, nahm man im Hayward Town Council die sieben Hauptbeschwerden zur Kenntnis, die er vorzubringen hatte, vor allem die Forderung nach einer unparteiischen Untersuchung des Polizeiverhaltens und die Einstellung eines Polizisten indigener Herkunft. Letzteres wurde schnell abgewehrt: »Because the law requires full-time Hayward police officers to live within city limits, this demand was retracted.« (SCR 03.02.1982) Man machte nicht sehr eindeutige Zusagen, bei nächster Gelegenheit indigene Bewerbungen um Teilzeitstellen bei der Polizei stärker zu berücksichtigen (SCR 03.02.1982). Es scheint tatsächlich bis 1991 gedauert zu haben, um den ersten (indigenen?) Polizisten für die Reservation anzustellen (SCR 23.01.1991). Ende der 1970er Jahre wurden Erfahrungen wie diese noch nicht als Konfrontation mit weißem Rassismus verarbeitet, aber sie prägten das Klima zwischen Reservation und Kleinstadt. Es erscheint daher nur verständlich, dass LCO-Leute zu begeisterten Kunden wurden, als im September 1979 ein Geschäftsmann aus Hayward, Tom Poss, seines Zeichens Vorsitzender der Demokratischen Partei von Sawyer County, in LCO einen Supermarkt mit dem anheimelnden Namen »Little Bit of Sweden« eröffnete. Seine Stellung in LCO war ähnlich singulär wie der seiner Vorgänger der Pelzhandelszeit – 85 % seiner Kundschaft waren Indianer aus Lac Courte Oreilles. Doch seine Freude währte nicht lange. Keine drei Monate später wurden Pläne publik gemacht, dass LCO in Zusammenarbeit mit der Northwest Regional Planning Commission und der Economic Development Administration Bundesgelder in Höhe von $ 1.200.000,– be9 | Vor allem das LCO J OURNAL berichtete hierüber (vgl. z.B. LCOJ 3(7), July 1980; LCOJ 4(8), August 1981).
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antragen würde, um in der Reservation ein kleines Einkaufszentrum und eine Vergnügungsstätte zu bauen, die neben der lokalen Jugend auch Touristen anlocken sollte (ein sogenannter roller rink, in dem sich heute der Boys & Girls Club befindet). Im Juli 1981 eröffnete das LCO Commercial Center, Tom Poss musste seinen Laden aufgeben. Im Februar 1980 veranlasste er seine kleine Demokratische Partei von Sawyer County, über die gewitzelt wurde, ihre vollständige Mitgliederversammlung passe in eine Telefonzelle, zur Verabschiedung einer Resolution, die die Finanzierung des Supermarkt-Vorhabens durch die Economic Development Agency (EDA) und das Housing and Urban Development (HUD) stoppen sollte: »The resolution called for an investigation of practices used by two federal agencies in the granting of federal monies, as well as calling for an end to what the resolution called ›using grant monies to go into competition with the private sector.‹« (SCR 06.02.1980) Der erzürnte Tribal Chairman von LCO, Rick St. Germaine, suchte Poss auf, um mit ihm über die Resolution zu sprechen, musste ihn aber, da dieser hartnäckig blieb, unverricheter Dinge verlassen. Nicht verweigern hingegen konnte Poss St. Germaine einen Stapel Eintrittsanträge für die Demokratische Partei, die St. Germaine mitnahm. »LCO tribe to jump into mainstream of county politics«, titelte am 13.02.1980 der Sawyer County Record: »The Lac Courte Oreilles Tribe, ›faced with what appears to be partisan political opposition to its 1.2 million dollar commercial center‹, has decided to enter the realm of politics itself to address tribal issues. […] Several tribal members are now actively involved in recruiting other members to join the Democratic Party. […] Tribal members who have joined the party to that date were to attempt to rescind the previous resolution of the 17th and replace it with one that is more in line with the parties’ State Platform which advocates remedies that go beyond the mere announcements of equal opportunity and affirmative action policy.« (SCR 13.02.1980)
Am 20.02.1980 berichtet der – bekanntermaßen konservative – Sawyer County Record nicht ohne einen kleinen Anflug von Häme: »LCO turnout means changes due for County Democratic Party«: »An unprecedented turnout of Lac Courte Oreilles to a Sawyer County Democratic Party meeting will likely go down in Sawyer County political history. […] The effectiveness of the tribe was immediately made apparent at the February meeting. […] an overflow crowd approaching 200 jammed the Sawyer County Circuit Courtroom. There were 184 registered members at the meeting. Tribal Chairman St. Germaine led the attack for the L.C.O. forces.« (SCR 20.02.1980)
Tatsächlich war die Art der Finanzierung des Supermarkts durch Startgelder vom Staat nach der Auffassung des Provinzgeschäftsmannes »unamerikanisch«, d.h. die Indianer brachten den Staat hinein, wo er nicht hineingehörte: »›Grants are fine for educational purposes. But, I still
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think that when they compete with the private sector, they have no place in today’s economy‹ [Poss] said.« (SCR 20.02.1980) Rick St. Germaine konterte gegen diesen impliziten Vorwurf des Sozialismus mit dem Maximalargument, die Beziehungen zwischen den souveränen Regierungen der USA und Lac Courte Oreilles gingen den Geschäftsmann nichts an: »St. Germaine on the other hand points to what he called the tribe’s ›special relationship‹ with the federal government through treaty rights as justification for the grant to pursue tribal development. […] With the voting strength in the hands of the new members, the outcome of the voting was almost anti-climatic. The resolution calling for the investigation was overwhelmingly rescinded. A resolution calling for support of L.C.O.’s position on the commercial center just as overwhelmingly replaced it. Then the focus turned to Chairman Poss and wife, Charlotte, secretary-treasurer of the organization. A resolution asking for their resignations went through: Would they resign voluntarily? No, they said. Never.« (SCR 20.02.1980)
Poss musste aber trotzdem gehen. Neben Tribal Chairman Rick St. Germaine war vor allem Paul DeMain in die Aktion involviert. DeMain war seit 1977 Herausgeber des LCO Journal und ist heute als Firmenchef von Indian Country Communications und Herausgeber zweier überregionaler Zeitungen neben Mark Trahant, Tim Giago und Richard LaCourse einer der profiliertesten indigenen Journalisten der USA. »Thomas Poss resigns Dem chairmanship«, frohlockte er im Juli 1980 (LCOJ 3(7), July 1980). Mit dieser indianischen Unterwanderung der Sawyer County Democrats verband DeMain, selbst Mitglied der Demokratischen Partei, politische Hoffnungen: Bei den allgemeinen Wahlen im November 1980 beteiligten sich über 600 LCO-Leute, mehr als je zuvor, und verhalfen unverhofft einigen demokratischen Kandidaten im als fest republikanisch bekannten Sawyer County zum Sieg über die republikanische Konkurrenz. »The political picture of the county may be turning around«, hoffte Paul DeMain. Der Supermarkt eröffnete am 08.07.1981. »A Landmark in Tribal Development«, titelte das LCO Journal: »The opening was the result of Tribal efforts to establish a grocery store in the area for almost a decade.« (LCOJ 4(7), July 1981) Der Supermarkt, der 30 LCO-Leute anstellte, fing sogleich an, in der lokalen Presse Anzeigen zu schalten und sich damit erstens über die Medien zu etablieren aber auch bei den Medien, denen an der Anzeigenkundschaft gelegen sein musste. Auch LCO-Kolumnist Ed Martin berichtete regelmäßig über alle Neuerungen im reservationseigenen Supermarkt. Im Juni eröffnete dort ein Arts & Crafts Store, der lokale Touristen bedienen sollte:
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Dieser Coup wurde zum Vorbild für die LCO-Taktik im Umgang mit den treaty rights-Gegnern. Der in der Protestbewegung der frühen 1970er Jahre sozialisierte Paul DeMain und der politisch progressive Tribal Chairman machten, indem sie LCO kurzerhand zur Demokratischen Partei von Sawyer County umfunktionierten, die Reservation symbolisch zur moralisch gerechtfertigten Mehrheit und reklamierten damit die amerikanischen universellen Werte für LCO. Rick St. Germaine wurde im März 1980 bei einer Zeremonie in der Mensa der LCO High School öffentlich geehrt: »for his courage in challenging new frontiers« (LCOJ 3(3), March 1980).
3 D IE A NFÄNGE DES LCO Journal American In Lac Courte Oreilles hatte man seit den Tagen der Besetzung der Chippewa Flowage Anstoß an der wenig engagierten Berichterstattung des Sawyer County Record genommen. 1977 machte man Anstrengungen, ein eigenes Sprachrohr für LCO-Politik, Kultur und Lokalnachrichten auf die Beine zu stellen. Als das LCO Journal im August 1977 zum ersten Mal erschien, war dies die erste LCO-Publikation seit sieben Jahren. Das LCO Journal hatte in LCO eine ähnlich hegemoniale Stellung wie der SCR in Hayward; von diesem unterschied es sich aber in mehreren entscheidenden Punkten. Zuerst einmal war sein Herausgeber kein Angestellter einer Zeitungskette, wie der Sawyer County Record, sondern einer Stammesregierung, die das Journal ins Leben gerufen hatte und finanzierte. Herausgeber war das LCO Tribal Government, damals unter der Leitung von Rick Baker. Die Ausgabe 1(1) zeigt auf dem Titelbild ein Foto vom Honor the Earth Powwow, dem vierten seiner Art. Zu sehen sind sechs Männer, die sich für die grand entry in einer Reihe postiert haben. Einer hält eine amerikanische Flagge; bei den zwei Männern in der Mitte handelt es sich wahrscheinlich um zwei lokal sehr geehrte Traditionalisten, Pipe Mustache und Bill Sutton, die beide entgegen heutigen lokalen Ojibwe-Gepflogenheiten große Federhauben nach Art der Plains-Kulturen tragen. Zu diesem Zeitpunkt hieß das Blatt noch LCO Journal American und trug das Wappentier der USA, einen weißköpfigen Seeadler, im Kopf. Weiter hinten findet sich aber auch schon das LCO-Symbol (»Lac Courte Oreilles 10 | »Green Thumb« war ein im Staat Wisconsin wirksames Beschäftigungsprogramm für einkommensschwache Arbeitnehmer über 55 Jahre, das 1982 aufgrund von Kürzungen im Sozialhaushalt der Reagan-Administration ersatzlos gestrichen wurde (SCR 08.09.1982). Anscheinend hat die Great Lakes InterTribal Commission diese Programme für die Reservationen übernommen (SCR 11.03.1992).
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– Pride of the Ojibwa«). Die erste Ausgabe hatte acht Seiten, die bis zum Ende des Jahrzehnts auf 24 Seiten anschwollen. Das Journal erschien zunächst alle zwei Monate. Tribal Chairman Rick Baker verkündete auf der zweiten Seite, dass der Stamm eine »printing operation« gestartet und zu diesem Zweck eine Druckerpresse samt Zubehör für $13,000 gekauft hatte. Auch sei man auf der Suche nach einem Journalisten: »to begin a better quality newsletter and spend more time keeping the Tribal members up-to-date on Indian affairs.« (Rick Baker im LCO Journal American 1(1), 1977) Er versprach außerdem mehr Transparenz in tribalen Geschäften – der Council werde zukünftig an jedem zweiten Donnerstag im Monat öffentliche Meetings abhalten, damit tribal members sich über die »day-to-day activities of the Tribe« auf dem Laufenden halten könnten. An politischen Themen hatte der Tribal Chairman Steuerangelegenheiten und die Aktivitäten einer regionalen »anti-Indian organization« unter dem Namen Citizens League for Civil Rights, deren Lobby-Aktivitäten bei Kongressabgeordneten, Senatoren und Wisconsin-Politikern man im Tribal Government als äußerst bedrohlich einstufte.11 Der Rest der ersten Ausgabe bestand im Wesentlichen aus Berichterstattung vom Powwow, die Rede des Tribal Chairman auf dem Powwow, Danksagungen von zwei neu- bzw. wiedergewählten Council-Mitgliedern an ihre Wähler; außerdem ein paar Sportnachrichten und Lokales aus der LCO Krankenstation und der Verwaltung. Die zweite Ausgabe scheint nicht erhalten. Die dritte Ausgabe (LCOJ 1(3), December 1977) wurde bereits von Paul DeMain herausgegeben. When you look at the LCO J OURNAL A MERICAN which was the first issues, the attempt was to take the issue of tribal news to a new level. If you read the Sawyer County paper at that time, you might find a article every once in a while dealing with the reservation and so they weren’t covering all kinds of things. And so getting a local newspaper for the reservation was the importance of that publication. (Interview Paul DeMain)
Wie Rick Baker zuvor setzte Paul DeMain sich bereits auf seiner ersten Titelseite mit den anti-indianischen Aktivitäten in der Region auseinander. Unter dem Titel »Anti-Indian Article Misrepresents Tribe« nahm er sich eine Serie vor, in der ein Autor namens Roger Baxter unter der Überschrift »The White Rebellion« veröffentlicht hatte. Baxter, zitiert DeMain, beschrieb das Verhältnis der weißen Majorität zur indigenen Ureinwohnerschaft historisch als eine Mischung aus Mitleid und Verpflichtung (»pity and obligation«). LCO konstruiere sich selbst als souveräne Nation, um unter Hinweis auf veraltete Verträge die vielen eigenen 11 | »The Citizens League for Civil Rights has been lobbying Congressmen and Senators and State Representatives to diminish Tribal government. Their attacks on me and the status of the reservations represent the biggest threat we have in Indian affairs today.« (Rick Baker im LCO J OURNAL A MERICAN 1(1), 1977)
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Sünden (»a multitude of sins«) zu verdecken. Der Schulprotest von Lac Courte Oreilles und die Gründung einer eigenen Schule (s. Kapitel VI) seien nichts anderes als ein Ausdruck von Arroganz; die Reservation, in der Gewalt, Missmanagement und Verschwendung von amerikanischen Steuergeldern herrschten, sei von indianischen Rassisten (die außerdem nicht wirklich vollblütige Indianer seien sondern eigentlich Mischlinge oder Weiße) für Weiße geschlossen worden, denen man eine ungerechte Touristensteuer aufzwingen wolle. Er wies darauf hin, dass die Citizens League for Civil Rights derzeit Senatoren, Kongressabgeordnete und die amerikanische Öffentlichkeit auf diese unhaltbaren Zustände aufmerksam mache. Diese Artikel waren in der Wisconsin Sport News, einem in Ashland, Wisconsin, produzierten kleinen Freizeitblatt erschienen, das hauptsächlich in Schulen der Region auslag. Wegen dieser weiten Verbreitung gab Journal-Herausgeber DeMain sich wahrscheinlich auch so große Mühe, Baxter Punkt für Punkt zu widersprechen. Außerdem rief er zu Protestbriefen oder Boykott der Wisconsin Sport News auf, stellte aber auch Versäumnisse auf der eigenen Seite fest. Seiner Meinung nach konnte solche Propaganda nur erscheinen, wo die abwesende tribale Public Relations ihr den Raum dazu ließ. Er erkannte, dass die Aufgabe einer tribalen Publikation auch darin lag, die nicht-indianische Öffentlichkeit mit anderen Lesarten lokaler Geschichte vertraut zu machen: »The article takes advantage of an absence of good tribal public relations and, the public’s lack of knowledge concerning the historical and present day legal claims of Indian tribes and their governments.« (LCOJ 12, 1977) Wie groß die zu füllende Lücke tatsächlich war, zeigt ein Blick auf die Lokalzeitung, den Sawyer County Record im Jahr 1977. LCO-Kolumnist Ed Martin hatte in seiner Kolumne das ganze Jahr hindurch Neuigkeiten veröffentlicht, die die vielfältigen sozialen und kulturellen Aktivitäten in LCO ins Licht stellen sollten: »There’ll be a drum and dance practice this evening at the Community Center, Signor.« (EM 26.01.1977) »Linda Corbine, Eula Ford and Mary Ellen Baker are attending the University of Wisconsin – Eau Claire.« (EM 23.02.1977) »A new weight reducing club has been formed. It is called Ga shi Kwe.« (EM 23.03.1977)
Doch in Hayward war man anscheinend nicht willens, die Arbeit des Kolumnisten zur Kenntnis zu nehmen. Wie stattdessen das Wissen über Lac Courte Oreilles in der nicht-indianischen Öffentlichkeit generiert wurde, zeigen die im Jahresrückblick des SCR veröffentlichten Angaben über LCO, die als »reine Fakten« in ihrer Zusammenschau aber gleichwohl dazu angetan sind, die von Baxter in deutlicher Sprache artikulierten Vorurteile gegenüber der indigenen Nachbarkommunität zu befeuern:
Z U DEN E NTSTEHUNGSBEDINGUNGEN INDIGENER M EDIEN »LCO reservation receives $ 843.376 – Ten members of LCO Band sentenced in county court for conservation violations. […] LCO schedules grand opening of their new $ 500.000 community center – Plans progress for open house of new hospital [die kleine LCO-Klinik] – Two area residents arrested in shooting incident. […] LCO Indian fishing, hunting cases appealed to the State Supreme Court […] – LCO Indians cases appealed to State Supreme Court […] – LCO awarded $ 354.273 in work funds.« (SCR 28.12.1977; 04.01.1978)
Diese Fakten belegen natürlich nur, was in der Gegend jeder »weiß« – dass Lac Courte Oreilles ein staatlich bezuschusster Unruheherd ist, in dem Gewalt, Verbrechen und politischer Dissenz gedeihen. DeMain wurde klar, dass die Strategie der positiven Berichterstattung allein keinen Klimaumschwung hervorrufen würde, und dass lokale Berichterstattung ohne Einbettung des Lokalen in einen größeren panindianischen Wissenshorizont keinen Sinn machte: We started dealing right away with more national issues because from my point of view tribal members needed to know what other tribal people were doing. And so there’s mixed articles of national and regional importance in there. (Interview Paul DeMain)
Zur Absetzung der eigenen Reichweite von Baxters Provinzialismus war der Artikel flankiert von einem Bericht über eine NGO-Konferenz in Genf unter der Federführung des NGO-Special Committee on Human Rights, wo der International Indian Treaty Council12 aufgetreten war u.a. in personam des heute in Berlin lebenden indigenen Künstlers Jimmie Durham, der den USA Rassismus und Vertragsbruch vorgeworfen hatte. Außerdem kündigte das Journal die Erstellung einer High School-Zeitung in einer LCO High School Journalism Class an, sowie einen mit drei College-Credits veranschlagten Kurs, der in Zusammenarbeit mit dem Mount Senario College in Ladysmith angeboten wurde. Drei Monate später spezifizierte DeMain den Zusammenhang zwischen der fehlenden indigenen Presse und der Apathie und Feindseligkeit der weißen Publizistik: »A few years back there was only a handful of Indian owned and operated newspapers. Today the Indian Media Directory has listed over 146 Indian oriented publications. Across the country papers will continue to be established as Indian journalists meet the increasing demand for Indian news, filling a void left by non-Indian publications, most generally ignorant and apathetic to issues important to the American Indian.« (LCOJ March/April 1978)
12 | Der International Indian Treaty Council war Juni 1974 in Standing Rock als Lobbyorganisation für die UNO gegründet worden, um für »international recognition of the sovereignty of Indian Nations« zu arbeiten. Der Council hatte 1977 »consultative status« und ein Büro bei der UNO in New York (LCOJ 12, 1977).
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Er arbeitete auch heraus, dass die von Baxter und anderen in Anschlag gebrachte Civil Rights-Argumentation in Wirklichkeit die Rhetorik der Termination Policy der Ära Eisenhower war, die mit der Gültigkeit und Zeitgemäßheit der Landabtretungsverträge des 19. Jahrhunderts zugleich die kulturelle Existenz der indigenen Kommunität und die Berechtigung indigener Differenz infrage stellten: »[…] some outright belligerent in their stance, calling for the abrogation of sacred treaties, elimination of the Indian land base, a cut off of housing, educational and medical funding and decrying the need for every American Indian to become a carbon copy of the white man.« (LCOJ March/April 1978) Das LCO Journal war wohl die erste Publikation im Norden von Wisconsin, die die Diskriminierung von Indianern im Alltag aufdeckte und den Begriff Rassismus darauf anwandte. Es kam z.B. die Meldung, dass in einem Restaurant in Black River Falls eine Winnebago-Frau keine Bedienung erhielt mit der Begründung, in diesem Restaurant dulde man keine Indianer (LCOJ 3(7), July 1980). Aber man versuchte es auch mit Humor. Zwei Ausgaben später brachte das LCO Journal eine Karikatur, in der ein Indianer mit Zöpfen einen Anzug und Hut tragenden Weißen aus einem Café hinauswirft. Am Eingang steht auf einer Tafel: »Sorry – no breachclout – no moccassins – no service« (LCOJ 3(9), September 1980). In dieser Zeit ist in der Zeitung die Organisation des Nebeneinanders von Souveränitätsansprüchen und Solidarisierung von Minoritäten der USA untereinander zu beobachten, in Artikeln über treaty rights, in Berichten über die finanzielle Konsolidierung des Stammes, OjibweSprachkursen, die Schuleröffnung, den Tribal Court13, den LCO Childrens Code14 , der Ojibwe Calendar (mit den Ojibwe-Namen der Monate) und im Longest-Walk-Manifesto, das abgedruckt wird zusammen mit Fotos, auf denen LCO-Mitglied Dave Baker, AIM-Mitglied Clyde Bellecourt und Boxstar Muhammad Ali zusammen mit einer Gruppe indianischer Kinder abgebildet sind (LCOJ 1(7), Fall 1978). Ganz im Sinne des am radikalen Black Power orientierten American Indian Movement, mit dem DeMain damals noch sympathisierte, scheint die Solidarisierung der Minderheiten hier nicht unter dem Dach des amerikanischen Universalismus stattzufinden, 13 | Der Tribal Court existierte seit 1977 und scheint wie manch andere soziale Erscheinung in LCO, sehr vom Charisma eines Mannes geprägt zu sein, des Honorable Judge Edward T. Barber nämlich, von dem LCO-Leute heute noch in Tönen höchsten Respekts sprechen. 1978 arbeitete er mit Jim Schlender und Duane Slayton, dem Tribal Attorney, zusammen (LCOJ 1(7), Da gwa gig »Fall«). 14 | Diese Erklärung der Stammesregierung, in der es weniger um Kinder- und Jugendpolitik geht als vielmehr um die Frage, wer die Jurisdiktion und die Verfügungsgewalt über LCO-Kinder hat, hängt mit dem Indian Child Welfare Act (Public Law 95-608) zusammen, ein Gesetz, das am 08.11.1979 in Kraft trat. Es regelt das tribale Bestimmungsrecht bei gerichtlichen Adoptions-, Pflegschafts- oder Sorgerechtsentscheidungen über Kinder, die Stammesmitglieder sind (LCOJ 3(1), January 1980; LCOJ 3(3), March 1980).
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sondern dezidiert anti-amerikanische Züge anzunehmen: »We are not U.S. citizens. We have treaties with the United States, and the U.S. does not make treaties with its own citizens. We protest the 1924 citizenship act. We do not claim U.S. citizenship.« (LCOJ 1(7), Fall 1978) Ein weiterer Punkt der Berichterstattung über die treaty rights-Gegner lag in der Aufdeckung ihrer Lobbystrukturen. Im September 1981 veröffentlichte das LCO Journal z.B. einen Brief, mit dem die Citizens League for Civil Rights Mitglieder werben wollte, und in dem politische Verbindungen in den Congress hinein aufgezählt wurden (LCOJ 4(9), September 1981). Er versuchte auch, die politische Kraft des Supermarkt-Coups und die just vonstatten gegangene »Eroberung« der Sawyer County Demokraten auf die treaty rights-Kontroverse zu übertragen: »The CCR and ICERR have characteristically been resort owners, non-tribal businessmen within the reservation boundaries and the sportsman who visits yearly. They have sued the Tribe on several occasions over legal jurisdiction within the reservation and some have counseled the tourists to actively break Tribal Law inside the boundaries [d.h. jagen zu gehen ohne tribal ausgestellten Jagdschein]. Now at a time when the political organization of the Tribe has a new base, the need to stop legislators15 who identify with these ideas is at our borders.« (Paul DeMain, LCOJ 3(3), March 1980).
Hayward war, wie bereits in Kapitel II rekonstruiert, seit der Jahrhundertwende mit dem republikanischen Sawyer County Record als einziger Zeitung eine typische one newspaper town. Dieses Organ bekam nun in Gestalt der bescheidenen aber engagierten Reservationszeitung ein politisches und publizistisches Gegengewicht (LCOJ 3(11), November 1980). Nach 1984 arbeitete Paul DeMain als Berater des demokratischen Gouverneurs von Wisconsin, Earl, bis dieser nach den Wahlen 1986 von Thommy Thompson abgelöst wurde und DeMain zurückkam. Als Herausgeber des zum News From Indian Country erweiterten ehemaligen LCO Journal begleitete DeMain danach die Auseinandersetzung publizistisch und versuchte, der weißen Presse ein Gegengewicht zu bieten, indem er u.a. in seinen Artikeln mehr indigene Stimmen zu Wort kommen ließ (Loew 1992). Er nutzte sein in Madison erworbenes politisches Wissen, um z.B. die Strategie des republikanischen Kandidaten für das Amt des Gouverneurs, Thommy Thompson, zu analysieren, der seiner Meinung nach die Wut der treaty rights-Gegner für seinen Wahlkampf im Jahr 1986 zu instrumentalisieren versuchte (was ihm gelang). Thompsons Einschwenken auf die paranoide Denkweise der treaty rights-Gegner, so meinte DeMain, fachte die Auseinandersetzung ungeheuer an. Tatsächlich scheint auch Thompson die Technik der totalisierenden Antithese auf die indigene Seite angewandt zu haben, um sich mit seinen Wählern zu fraternisieren 15 | Gemeint war ein Lokalpolitiker namens Vince Vesta, ein Mitglied von CCR, der zu diesem Zeitpunkt gerade versuchte, den alten Congressman Obey abzulösen.
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(man beachte, wem hier pauschal die Eignerschaft an allen Ressourcen des Landes, auch den Touristen, zugesprochen wird): »We cannot stand by and let our fishing areas, hunting grounds and tourism industry be threatened.« (Thompson in der Ashland Daily Press 1986, Satz 1991: 96) Eine Strategie mit der zunächst einseitig parteinehmenden weißen Presse in Auseinandersetzung zu treten, waren die Leserbriefspalten des Sawyer County Record, die die LCO-Leute nicht allein der Gegenpartei überließen. Zeitzeuge Dick Brooks, der ehemalige General Manager der Radiostation WOJB, meint, das Blatt habe sich in der treaty rights-Kontroverse im Großen und Ganzen zurückgehalten: The Sawyer County Record pretty much didn’t rock the boat so much, but they printed a lot of the letters-to-the-editor of these jerks. And those letters were very revealing. These people didn’t understand the law, didn’t understand the court decision, the U.S. constitution. Difference between ignorant – not know – and ignorant – not wanting to know what you could have learned. (Interview Dick Brooks)
Walt Bresette, ehemaliger politischer Reporter bei WOJB und Public Relations Officer bei GLIFWC, begann im Sommer 1984 seine Kolumne »Native Americana« im Sawyer County Record (z.B. 19.09.1984). Er schrieb argumentativ brillante Leserbriefe an den SCR, in denen er die Sache der Indianer zum Allgemeinwohl und die braven Bürger von der ERFE zu »contras of the North« erklärte. Sie entwürfen düstere Szenarios über angebliche indigene Tiermassaker und »Indians stealing the goldfish right out of your bowls«. Damit, so Bresette, verhielten sie sich eigentlich gegen die allgemeinen Interessen, denn sie verscheuchten damit nur die ängstlichen Touristen. Zusammenfassend waren die treaty rights-Gegner »white males« mit einer »anti-Indian, anti-government campaign [that] is an attempt to revive manifest destiny« (Leserbrief Walt Bresette, SCR 15.08.1984). Bresette notierte besorgt den Stimmungsumschwung in der öffentlichen Meinung des »good old progressive Wisconsin«: »There have been numerous anti-Indian meetings around the nation and here in northern Wisconsin. They are becoming socially acceptable; being reported in the media without a flinch, as one might report a ladies club luncheon.« (Leserbrief Walt Bresette, SCR 15.08.1984) Er beschwor demgegenüber die liberalen, transzendenten und universalen Werte Amerikas: man solle sich vorstellen, es handele sich um »anti-American, anti-White, antiChristian, anti-Black, anti-Jew, or anti-Women gatherings« – wie würde die Nation dann reagieren? Zum Schluss regte er an, man solle die nächsten Treffen von ERFE aufsuchen und sie mit Fragen konfrontieren wie z.B.: »What is the stand on the Equal Rights Amendment? […] Do they believe the Indians are more of a threat to the resources than acid rain, nuclear waste, mining, or asbestos tailings?« (Leserbrief Walt Bresette, SCR 15.08.1984) Als Antwort auf Bresette schrieb der ERFE-Aktivist Lee Winter
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aus Radisson, der Stamm fordere Sonderrechte aufgrund von »out-dated treaties made over 150 years ago with full-blooded Indians«. »Mr. Bresette claimed these special rights due to the fact that the Ojibwa Nation was the first occupant of this area. […] The Ojibwa originally lived along the St. Lawrence in Canada. Pushed west by the Iroquois, they settled in southern Canada and were later forced south by the Sioux […]. Later in the 1700’s they moved south into Upper Michigan and Wisconsin, displacing or annihilating the people who already occupied the territory. Did the Ojibwas give these people a treaty? Did they receive special rights because they were the prior inhabitants?« (SCR 31.08.1984)
Daraufhin konterte ein für die Sache der Indigenen engagierter Leserbriefschreiber: »Treaties between two separate sovereign entities should and must be considered sacrosanct (inviolable) unless both parties agree to change. […] We cannot criticize the Soviet Union for breaking treaties and then petition our government to do likewise.« (Leserbrief Ken Toebe, SCR 06.09.1984)
Abb. 13 Repräsentationen des indigenen Fischens: geschnitzte und bemalte Fischköder im George W. Brown Ojibwe Museum in Lac du Flambeau, Wisconsin, 2008.
Foto: Cora Bender, 2008.
4 D ER TOURISMUS ALS B EREICH PR AGMATISCHER K OOPER ATION Dieser Leserbrief macht deutlich, dass die in Lac Courte Oreilles erhobenen politischen Forderungen lokal nicht nur auf Ablehnung, sondern auch auf Zustimmung und Kooperation stieß. Sein Autor Ken Toebe war von der Vereinigung der im Tourismusgeschäft tätigen Geschäftsleute von
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Sawyer County, der Hayward Lakes Resort Association, die sich anders als der Sawyer County Board um Verständigung der Parteien im Interesse eines für den Tourismus förderlichen Friedensklimas bemühte. Der Tourismus ermöglichte in Nordwisconsin seit der Wende zum 20. Jahrhundert eine pragmatische Kooperation. Toebe arrangierte z.B. im April 1985 ein Treffen zwischen dem Stamm, der Resort Association und dem Governeur von Wisconsin, um den lokalen Tourismus wieder auf Touren zu bringen (SCR 17.04.1985). Während der County Board die Politik der tauben Ohren fortsetzte, versuchte die Tourismus-Vereinigung die Kooperation aufrechtzuerhalten, traf sich mehrmals mit LCO-Vertretern und erarbeitete mit diesen zusammen ein Tourismuskonzept16 für die Region, das Paul DeMain dem Gouverneur vorlegte. Es enthielt die Aufforderung zur lokalen Zusammenarbeit, um Events wie das Musky Festival und das Honor the Earth Powwow überregional bekannter zu machen. »The resort and tribal spokesmen suggested that the Wisconsin Fine Arts Board help promote and bring back pow-wows in the Sawyer County area, to be held in conjunction with international, national, regional and state activities and events. Happenings such as the Musky Festival, Independence Day, Honor the Earth, and the American Birkebeiner are greatly enhanced by having Native American dancers and singers perform […].« (SCR 17.04.1985)
Soweit man es aus der lokalen Presse rekonstruieren kann, beteiligten sich LCO-Leute aktiv an den vielen öffentlichen Treffen, die in dieser Zeit veranstaltet wurden, und organisierten selber Konferenzen, wobei sie versuchten, mit den im Tourismus tätigen Unternehmern und mit den Touristen selber im Gespräch zu bleiben. Die Counties, sowohl die einzelnen County Boards als auch deren übergeordnete Struktur, die Wisconsin Counties Association, scheinen demgegenüber an dauerhafter Kooperation weniger interessiert gewesen zu sein. Man berief zwar eine Konferenz ein, um dort im Interesse des Tourismus mit den Stämmen zu diskutieren. Thema war: »the protection of natural ressources, county government interests, peaceful relations and northern Wisconsin’s tourist-based economy« (SCR 23.05.1984). Anwesend war u.a. Paul DeMain in seiner Funktion als »governor’s Native American Affairs Advisor« und ein indigener Experte namens Sam Deloria, der in New Mexico einer Kommission zur Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Stämmen vorstand, sowie Jim Schlender aus Lac Courte Oreilles, die hier ihre Ansichten über die politische Souveränität der Stämme verteidigten (SCR 23.05.1984): 16 | Viele dieser schönen Ideen blieben leider Makulatur. Auch noch 1991, als die ehemaligen Gegner vor Gericht entschieden: »State, Chippewa decide to end Treaty Rights case« (SCR 22.05.1991), und der SCR ein »excellent year for tourism« voraussagte, blieb LCO in den Plänen unberücksichtigt und in den Zeitungsartikeln unerwähnt.
Z U DEN E NTSTEHUNGSBEDINGUNGEN INDIGENER M EDIEN »Sam Deloria, head of a national commission on state/tribal relations based in New Mexico, said Indians have no personal treaty rights, but that such rights belong to the tribes as political entities. […] After a board member complained that whites have no input into tribal governments and are outsiders, Schlender compared the tribal status to that of a commonwealth like Puerto Rico or a territory such as Samoa, who make their own laws. He said the tribes were respected by other countries – Great Britain, France, Spain – before the U.S. was formed.« (SCR 06.06.1984).
Aber die Wisconsin Counties Association verabschiedete ungeachtet dieses Treffens Anfang Oktober eine Resolution, die den Kongress dazu aufforderte, die treaty rights der Indianer einzuschränken. Dies wurde von der politischen Lobbyvertretung der Indianer, dem Great Lakes Inter-Tribal Council (GLITC) als »outrageous« und »deplorable« bezeichnet (SCR 03.10.1984). Die Great Lakes Indian Fish and Wildlife Commission veranstaltete Ende Juni eine zweitägige Konferenz, um erstens die stammesinterne Öffentlichkeit zu informieren und zweitens, um Befürchtungen in der Bevölkerung über die Auswirkungen der Voigt Decision zu begegnen (SCR 19.09.1984). Anfang Oktober fand eine Kundgebung auf Madeline Island statt, um den Landabtretungsvertrag von 1854 zu feiern. Es kamen ca. 2000 Teilnehmer (SCR 03.10.1984). Auch die Kirchen schalteten sich ein und veranstalteten ihrerseits eine zweitätige Konferenz (SCR 21.11.1984). Dort betonte Walt Bresette die Bedeutung eines indigen kontrollierten Bildungssystems und die Einbeziehung indigener Inhalte in die Lehrpläne öffentlicher Schulen: »The real villain which has failed us all is the educational system, that refuses to deal with either tribal governments or treaties.« (SCR 21.11.1984) Auf einer von ERFE veranstalteten Protestkundgebung mit republikanischen Kongresskandidaten sowie Sprechern der Wisconsin Assembly Concerning the Effect of Indian Treaty Rights traten LCO-Leute auf und ergriffen das Wort. Es kam zum Austausch einiger leidenschaftlicher Statements auf beiden Seiten, aber es wurden auch Witze gerissen, berichtete der SCR-Reporter Terrell Boettcher. Die Kundgebung endete mit zwei konkurrierenden Resolutionen; die erste forderte den County Board dazu auf, ein geplantes County-Tribe Relations Committee nicht zu bilden, weil Indianer dann überproportional gut vertreten seien, die zweite forderte erneut ein Referendum (SCR 22.08.1984). Aber LCO-Leute gingen nicht nur auf die ERFE-Zusammenkünfte. LCO hatte nach dem Muster des Supermarkt-Coups unter der Leitung von Arlene Isham eine eigene Unterorganisation der »Equal Rights for Everyone« in LCO gegründet und so die weiße hate group nach dem Muster der Demokratischen Partei von Sawyer County einfach umfunktioniert. Dies hielt Arlene Isham allerdings nicht davon ab, ERFE in einem Leserbrief an den SCR als »ridiculous« zu bezeichnen. Sie warf der Organisation vor, den LCO-Jagdertrag im Zusammenhang mit den treaty rights von 645 Hirschen zu beklagen, wo gleichzeitig jedes Jahr ca. zwanzigtausend Hirsche
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von nichtindianischen Wilderern geschossen würden (Leserbrief Arlene Isham, SCR 29.02.1984). Offensiv beteiligte Lac Courte Oreilles sich in diesem Jahr mit einem Powwow am Musky Festival und warb so um die Gunst der Touristen (es gab hierzu einen begeisterten Leserbrief einer Touristin aus Illinois im SCR 27.06.1984). Eine junge Frau aus LCO, Tish Begay, wurde zur Musky Queen gewählt (SCR 27.06.1984), in Zeiten der Konfrontation um die Fische hatte dies sicherlich einen gewissen Symbolwert.
5 WOJB UND DER Ä RGER UM DIE S ENDEFREQUENZ »WOJB radio on the air«, meldete am 14.04.1982 John Anderson (LCO), dessen Artikel man im SCR auf Seite 16 platziert hatte. Die Radiostation wurde zum stärksten Werkzeug in der Auseinandersetzung, dessen LCO sich bedienen konnte: »The voice and concerns of the LCO Ojibwa will now be heard, and the people of the northern Wisconsin, Minnesota, and Michigan area will now have an opportunity to listen to the music, ideas and ideals of the tribe.« (John Anderson, SCR 14.04.1982) Die WOJB-Leute forderten das Publikum auf, sich mit Rat und Meinung bei der Station zu melden, die nur so gut sein könne wie die Menschen, die sie repräsentiere (SCR 14.04.1982). In der weißen Bevölkerung des Sendegebiets gab es von Beginn an große Vorbehalte gegen den Sender, die sich in einer Auseinandersetzung um seine Sendefrequenz entluden. Der SCR machte diskret Meinung mit der Platzierung von Positiv- und Negativschlagzeilen: Auf S. 14, ganz hinten im SCR findet sich am 12.05.1982 die Ankündigung, dass WOJB seine Sendezeit auf 18 Stunden täglich erweiterte. Nach vorne auf Seite 5 gerutscht, finden sich dann die ersten Negativschlagzeilen: »TV set owners protest WOJB signal interference«. Auch diese Auseinandersetzung, die an sich einige Charakteristika einer Provinzposse hat, geriet schnell zu einer Konfrontation auf der Basis totalisierender Gegnerschaften. In der Schlagzeile deutet sich schon an, dass mit »TV set owners« eine imaginierte Allgemeinheit konstruiert wird. Bei einem »community meeting«, an dem auch ein Vertreter der Federal Communications Commission (FCC) teilnahm, beschwerten sich dann ca. 125 Fernsehgerätebesitzer und einige »media-in-question-representatives« über die Störsignale, die WOJB auf einem lokalen Fernsehkanal hervorrief. Der FCC-Vertreter erklärte den Anwesenden, die Sache sei durch einen handelsüblichen FM-Filter im Wert von »about $ 8,10« zu beheben, trotzdem zirkulierten die Bürger noch am Abend eine Petition, die später mit 235 Unterschriften an fünf Senatoren und Kongressmitglieder geschickt wurde, und in der man nach sofortiger Abhilfe der unhaltbaren Situation verlangte, während WOJB versprach, jedem TV-Besitzer nach besten Kräften zu helfen, um den Empfang zu regulieren (SCR 21.04.1982; SCR 26.05.1982). In der Ausgabe vom 12.05.1982 des SCR sind viele Leserbriefe zum Thema WOJB-Interferenzen abgedruckt,
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die meisten in deutlich erregtem Tonfall. State Senator Theno schob den schwarzen Peter der FCC zu, die WOJB die falsche Frequenz zugeordnet hätte; nun müsse man die Radiostation auf eine andere Frequenz verlegen (SCR 19.05.1982). Die Auseinandersetzung beherrschte die Leserbriefspalten des SCR noch eine ganze Weile; verschiedentlich wurden Politiker mit Protest-Unterschriftenlisten zur Stellungnahme aufgefordert (SCR 14.07.1982). Die FCC ließ sich zu einer Erklärung herbei, man werde die Radiostation mit besonderer Aufmerksamkeit beobachten und bei jedem Verdacht Maßnahmen der »appropriate action« ergreifen (SCR 14.07.1982). Am 01.09.1982 druckte das Tribal Governing Board von Lac Courte Oreilles eine Erklärung im SCR zum Thema Interferenzen ab, die nahe legen sollte, dass die Auseinandersetzung von interessierter Seite wachgehalten wurde: »In monitoring WOJB’s progress and local community response, we find that […] no letters regarding TVI have recently appeared in the Sawyer County Record and the FCC has not reported much activity. Nevertheless, other actions indicate to the Lac Courte Oreilles Tribal Governing Board that the television interference question is still being raised by some residents on or adjacent to the Reservation.« (SCR 01.09.1982)
Man forderte demgegenüber den Respekt ein, der einer souveränen Regierung gebührte: »It has long been the experience of Lac Courte Oreilles that the Tribe has been accused of transgressions behind closed doors, without extending basic courtesies and following appropriate protocols regarding intergovernmental affairs.« (SCR 01.09.1982) Man kündigte für den nächsten Tag eine öffentliche Veranstaltung mit dem Senator Robert Kasten an, zu dem die Öffentlichkeit dringend eingeladen wurde, und zwar in Hayward selbst im Sawyer County Courthouse. »We have witnessed the destructiveness of group process when malice and hatreds surface. We hope that the spirit of cooperation will preveal. We expect this of our Tribal membership and staff and expect no less from the wider community.« (SCR 01.09.1982) Ende Dezember 1982 hatte sich die Aufregung beruhigt und die Station fand auch in der weißen Bevölkerung langsam Anklang: »[…] many positive actions between the Lac Courte Oreilles people and their neighbors go unnoticed and unreported. […] We would like to publicly thank Glen Hall of radio station WOJB for the help he voluntarily gave us enabling us to get good TV reception.« (Leserbrief George und Nina McDermott, SCR 22.12.1982) Heute sendet WOJB immer noch auf 88.9 Megahertz; mittlerweile sind die meisten TV-Sets der Umgebung mit Satelliten- oder Kabelanschlüssen versehen.
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6 D IE R OLLE VON WOJB IN DER TRE AT Y R IGHTS -K ONTROVERSE Die Präsenz des Senders, der kontinuierlich über die Auseinandersetzung berichtete und die Version der Ojibwe öffentlich machte, wirkte sich im Sendegebiet politisch direkt aus. Pat Ryan: And the central group was out of the Lac du Flambeau area, northeast of here, so that’s where [WOJB] went. So, that was kind of ironic, the place where it began, in this sense, was the quietest, we were kind of in the middle of it. Cora Bender: The eye of the hurricane. PR: Right! Exactly! So we went where the action was! I was up by Lac du Flambeau and somehow we would find out which boatlanding these protesters where gonna target and that’s where we went. (Interview Pat Ryan)
Dick Brooks, der ehemalige General Manager der Radiostation, den ich in Minneapolis interviewen konnte, meint, dass die Radiostation den Treaty-Gegnern das Wasser abgrub, indem sie den Diskurs über Rassismus medial verbreitete: We said »let’s quit talking about hunting and fishing rights and let’s talk about racism«. WOJB was instrumental in forming the Ad-Hoc-Commission on Racism in 1984. This commission was formed. We had Nazi Holocaust survivors, Native people and Black Civil Rights people who testified about the degrees of racism they had found within the community. (Interview Dick Brooks)
Die Rassismus-Kommission sollte sich aus potentiell wichtigen institutionellen Bündnispartnern von LCO, z.B. Vertretern des National Council of the Churches, des Bildungssystems (insbesondere der Colleges und Universitäten im Staat Wisconsin), Vertretern von Verwaltungsbehörden (»delegates from state and federal agencies and legislative bodies«) sowie des Büros des Gouverneurs zusammensetzen. Sie sollte eine Reihe öffentlicher Anhörungen durchführen und die Ergebnisse veröffentlichen und der U.S. Commission on Civil Rights, der Wisconsin Equal Rights Commission, dem U.S. Präsidenten, dem U.S. Kongress sowie dem National Council of the Churches zusenden (SCR 12.09.1984). Die bei den Ureinwohnern Wisconsins populäre Bildungspolitikerin Veda Stone war Vorsitzende der Kommission, die am 29. und 30. Oktober ihre erste Anhörung in der Telemark Lodge, dem früheren Ferienpark von Demokrat Tony Wise, abhielt. Als Veranstalter traten das Büro des Gouverneurs von Wisconsin sowie der Wisconsin Indian Resource Council in Stevens Point auf. Als »facilitator and parlamentarian« fungierte Larry Leventhal aus Minneapolis, der Jahre zuvor schon einmal Tribal Attorney gewesen war und sich Mitte der 1970er Jahre bei der Formierung einer ähnlichen Kommission betätigt hatte, die das Vorgehen des FBI auf Pine Ridge unter-
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suchte (SCR 24.10.1984). Bei dem ersten Hearing sprachen 38 LCO-Leute über ihre Erfahrungen mit weißem Rassismus in Nord-Wisconsin, vom 12jährigen Ryan Carley, den weiße Teenager verprügelten, bis hin zu tribal elder17 James Pipe Mustache, der als Kind in der Schule geprügelt wurde, wenn er sich »indianisch« verhielt (»when we tried to do anything Indian«). Der Bericht der Kommission enthielt zahlreiche Beispiele des zunehmenden Rassismus in der weißen Bevölkerung und empfahl Änderungen in der Wissenskultur, um diesen Tendenzen gegenzusteuern: »The Final Report of the commission […] stressed the role of churches, schools on all levels […], urged the creation of state, county and local forums for Indians and whites to discuss issues of mutual concern; and urged the mass media to play a more responsible role.« (Satz 1991: 108) LCO-Leute nutzten die Gelegenheit, ihre sonstigen Beschwerden zu artikulieren und ihre Analyse vorzutragen, welche Konflikte sich ihrer Meinung nach tatsächlich hinter dem Streit um die Fischrechte verbargen. Rick St. Germaine meinte, ERFE sei aus Ignoranz, Angst und Misstrauen entstanden; er sprach Vorfälle von Missbrauch (»abuse«) im Hayward Schulsystem an, die zur Schaffung des LCO-Schulsystems geführt hätten, sowie die Auflösung des Townships Reserve als Verwaltungseinheit, die der County Board als, so wörtlich, »illegal means of taking power away from Indian people« einfach durchgepeitscht habe. Nachdem der Stamm begonnen habe, seine Vertragsrechte einzuklagen und eine aggressivere Politik der wirtschaftlichen Entwicklung angenommen habe, hätten die Vorfälle von offen zur Schau getragenem Rassismus bedeutend zugenommen, so St. Germaine (vgl. SCR 12.12.1984). Bei der Anhörung sprachen auch Paul DeMain und LCO Vize-Tribal Chairman James Schlender. Veda Stone fasste ihre Erfahrungen so zusammen: »I’ve been involved in Indian education in Wisconsin for over 20 years, and I’m ashamed to say that in 1984 we still have so-called well-trained professional people who have no more knowledge of their state’s Indian people than if they were here from Peru.« (Veda Stone, SCR 12.12.1984) WOJB hatte nicht nur auf seine Hörer, sondern vor allem auch auf die Mainstream-Medien Einfluss: By 1985-86 the overt racism in the Hayward area was pretty much smoothed out. But it moved east over to Lac du Flambeau where it got very, very intense. Television and other media would do these reports about these huge demonstrations at the boatlandings and they would say that the demonstrators at the boatlandings were using »racially derogatory epithets«. WOJB took recordings of people saying, »timber niggers«, »wagon burners«, »Kill an Indian, save a Walleye«, and we would broadcast that stuff verbatim. We started talking to mem17 | Im Unterschied zum Begriff »the elderly«, der im Englischen etwa das gleiche bedeutet wie »die Senioren« im Deutschen, ist elder oder tribal elder im Kontext indigenen Gebrauchs des Englischen ein Ehrentitel und wird auf ältere Stammesangehörige angewendet, die sich in der Erhaltung der Sprache und Kultur der Gemeinschaft Verdienste erwiesen haben.
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE bers of the press. »Give ’em enough rope to hang themselves«, that’s how we call it here! It changed the way the mainstream media were talking about this, they quit saying »unfavorable racial comparisons«, and said, »they were calling Indians timber niggers«! We caused the Milwaukee Journal, the Milwaukee Sentinel and the broadcasting networks to actually start using the actual words these people were saying, these horrible, ugly, racist words. (Interview Dick Brooks)
Diese Informationspolitik wirkte sich sogar auf den Sawyer County Record aus. Der Chairman des Sawyer County Board, Wayne Somerville, hatte eine Einladung, vor der Kommission zu sprechen, mit barschen Worten abgelehnt: »I don’t know what they are doing up here and I couldn’t care less«, zitierte der SCR den Lokalpolitiker. Die Reaktion, so meinte das Blatt in ungewohnt kritischem Ton, liege ganz auf der Linie des Sawyer County Board, der auch schon vorher die Gründung eines »joint relations committee« mit Lac Courte Oreilles abgelehnt habe (SCR 05.12.1984). Rassismus existiere ganz generell durch die wirtschaftliche Kontrolle einer weißen Mehrheit, aber auch durch Handlungen wie z.B. »the gerrymandering of local subdivisions in a manner that weakens the voting strength of tribal members.« (SCR 12.12.1984) Dafür seien verantwortlich: »Neglects in the education system, as well as the attitudes and social values of the non-Indian society, disregard the status of tribal governments.« (SCR 12.12.1984) Dies führe zu Konflikten über Rechtsfragen, zu Einschüchterung auf der einen Seite und Sozialneid (»jealousy«) der nicht-indianischen Mehrheit auf der anderen Seite in Bezug auf öffentliche Sozialprogramme oder das Selbstbestimmungsrecht der Stämme. »Racism is manifest within our educational institutions, our economic enterprises, our government institutions, the mass media that gives us information, the social fabric that surrounds us, and even within our places of worship.« (SCR 12.12.1984) Dick Brooks meint, dieser diskursive Wechsel hätte auf effektive Weise den weißen backlash in Wisconsin zum Schweigen gebracht: On the air and off the air this changed the frame from hunting and fishing rights to racism, very effectively shutting down the anti-Indian movement. (Interview Dick Brooks)
Nach dem Vorbild der Bürgerrechtsbewegung fuhren viele weiße Zeugen zu den konfrontativen boatlandings mit: We mobilized people who were in support of the Indian nation. Many of us were white people and we were going there to witness. Our presence there helped to calm things. (Interview Pat Ryan)
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Schließlich gelang es sogar, die aus dem ganzen Bundesstaat zusammengezogenen – und zum großen Teil schwarzen – Polizeikräfte zu Zeugen zu machen: On April 29, we got the call that there was this big demonstration up on the border of Wisconsin on the Upper Peninsula of Michigan. I remember, it was a very cold, snowy, kind of a rotten spring day. We were like »there’s not gonna be many protesters, it’s just miserable!« The spear fishing takes place at night, it was way out somewhere. We got there and it was just incredible! The amount of press, the generators and the lights and the network television and all kinds of regional and local news media. And there was a huge presence of police. In riot gear. The police actually lined on both sides the boat-landing ramp that went to the water. And created an opening so that the Indian fishermen could come in and land their boats and get out on the lake. And the demonstrators were shouting and yelling at the police! »Why are you protecting them?!« There were a lot of protester boats out on the lake waiting for the Indians to go out and begin their harvest [um sie dann zu rammen, CB]. But this was different because there were a lot of police, and for the first time I noticed there were several Black police officers. Which is kind of different to see [here up north]. You could see »Brown County« on their arms on their arm patches. We knew that meant they were from Milwaukee, the largest city in Wisconsin. And it was the first time I noticed a protester sign that said, »Timber niggers, go home!«. Timber rights was another big part of the treaty rights. But it was really interesting to see these signs that actually had the word »nigger« on’em and these Brown County police officers of who several were Black, staring at these guys. And these signs began to kinda slowly go down and they disappeared. You could see it was beginning to boil even between the police and these protesters. […] I had a tape recorder, I would interview people, ahm, on both sides of the issue, and there were usually three or four of us from WOJB, Dick Brooks, was really a good interviewer, ah, he was there most of the time, and, we would gather our material and go back to the studio and edit it and we would broadcast a lot of it. (Interview Pat Ryan)
Daraus wurden die später preisgekrönten Dokumentationen von den boatlandings: WOJB produced two or three programs that aired on National Public Radio. At that time WOJB won awards for special programs but also for the overall broadcast, for the fact that we were continually staying on this issue, educating about treaty rights. We brought in a satellite uplink in the mid-eighties, with a portable satellite we’d uplink and broadcast nationally. (Interview Dick Brooks)
Mir ist aus dieser Zeit nur ein interner Konflikt um die politische Linie von WOJB bekannt, der in den Leserbriefspalten des SCR auftauchte und deswegen hier erwähnt werden soll. Es ist allerdings nicht ganz klar, ob es sich hierbei um ein grundsätzliches, für Lac Courte Oreilles wichtiges Problem handelt oder um einen Zwist zwischen WOJB-Beschäftigten, der
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seinen Weg in die Öffentlichkeit fand. Ein Leserbrief eines anscheinend mit Interna vertrauten aber nicht indigenen Hörers von WOJB spricht von »ego wars« und »personality conflicts« in der Radiostation, während ein im Frühjahr 1984 entlassener WOJB-Mitarbeiter sich ebenfalls in Leserbriefen öffentlich distanziert und der Radiostation in den treaty rightsAuseinandersetzungen eine Vermischung der Funktionen der Akteure und der Beobachter vorwirft: »[…] the dangers of having the newsmakers (as in the Voigt actors) be the news directors (as the WOJB board)« (SCR 27.06.1984). Jim Schlender vom Great Lakes Intertribal Council (GLITC) antwortete dem Autoren in einem weiteren Leserbrief, er sei bloß ein »disgruntled former employee«. Ein anderer Leserbriefschreiber, vielleicht ein Freund des Geschassten, findet den Rausschmiss übertrieben und legt nahe, dahinter lägen politische Gründe, nämlich die Scheu, bei WOJB einen News Reporter zu beschäftigen, »who investigates too close to home« (SCR 27.06.1984). Allerdings sind die Vorwürfe so nebulös, die Sprache so persönlich gefärbt, dass den Leserbriefen selbst keine stichfesten Angaben entnommen werden können, um welche Probleme es sich eigentlich wirklich handelt. Ein weiterer Streit brach aus, als man bei WOJB den Plan fasste, die treaty rights-Gegner selbst ins Studio zu laden: We put Jim Schlender (GLIFWC), and some of the anti-treaty people all in the same room on this national broadcast. We were moving this thing a lot further than just northwestern Wisconsin. (Interview Dick Brooks)
Diese Taktik war zunächst keineswegs Konsens in LCO. Gaiashkibos, ehemaliger Tribal Chairman von LCO, erinnert sich: I was so upset with Dick Brooks one time. He brought in Dean Christ, »Stop Treaty Abuse«. He brought these guys to the radio station for a round table discussion, and I hit the ceiling! I says, »why are you bringing these jerks and these idiots to our radio station in the heart of Indian Country, letting them broadcast their racism over a hundred thousand watts Indian power!« And he says, »wait a minute, Gaiashkibos, think about it! This is First Amendment rights. This is freedom of speech. And this radio should exercise that. Secondly, we have a very intelligent audience. Don’t you think, don’t you believe in the listener? Let the listener make up their own mind! Let these guys talk about their own ignorance, and and and I think they’ll shoot themselves in the foot!« Well, when he said it that way, I thought about it, [lacht] I said, »right!« Because that’s what they did! They made such fools of themselves on the air, that I don’t think they want to come back here, and they did it to themselves, we didn’t do it to them! So, that’s part of what the radio station did. Yeah, yeah! (Interview Gaiashkibos)
Trotzdem gewannen die Indigenen nicht auf ganzer Linie. Vor Gericht wurden 1991 die treaty rights der Ojibwe wieder eingeschränkt: »In 1991, Judge Crabb ruled that the Ojibwe did not have the right to harvest timber commercially – a ruling that state officials viewed as a major victory.«
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(Loew 2001: 80-82) Danach kam die Auseinandersetzung vor Gericht zu Ende: »That same year, she issued a summary judgment and allowed both sides the opportunity to appeal. When neither did, a contentious and expensive seventeen-year legal battle finally ended.« (Loew 2001: 80-82) Pat Ryan von WOJB erinnert sich im Interview an den weiteren Verlauf der Kontroverse vor Ort: Eventually the whole thing fizzled out [lässt die Hand fallen]. It fizzled out, because there was nothing that could be done. These treaties are the supreme law of the land, and it was gonna happen. Some of the protesters were being arrested, it was becoming a huge headache for’em and they were seeing they weren’t gonna change things. (Interview Pat Ryan)
7 L OK ALE U MWELTPOLITIK Als Ursache hierfür könnte auch ein weiterer politischer Streit in Betracht kommen, der die indigenen und nicht-indigenen Parteien vor Ort, ähnlich wie im Tourismus, zu einer pragmatischen Zusammenarbeit zwang, in der die überregionalen Organisationen der treaty rights-Gegner keine Rolle spielten: die Umweltpolitik. Mitten in den Streitereien um die Radiostation und die Anstellung indianischer Polizisten fanden sich die Townships von Sawyer County und die Regierung von Lac Courte Oreilles in einem Komitee zusammen, um sich mit den Auswirkungen geplanter Mining-Projekte auseinander zu setzen. Im November 1978 hatte der Energiemulti Exxon beim Wisconsin Department of Natural Resources den Plan für eine Kupfer-Zink-Mine bei Crandon, Wisconsin, in der Nähe der Ojibwe-Reservation Mole Lake, eingereicht. Mole Lake gab eine Umweltstudie in Auftrag, die zu dem Ergebnis kam, dass die Wasserversorgung von Mole Lake durch das Projekt gefährdet sein könnte (LCOJ 4(2), February 1981). Die anderen Stämme hatten sich seit 1980 damit befasst u.a. in Konferenzen wie z.B. das Great Lakes Tribes and Mining Development am Nicolet College in Rhinelander, Wisconsin, und durch Kontakte mit dem Center for Alternative Mining Development Policy in Madison. Zwei Jahre später waren ca. 1,800 Acres Land in Sawyer County von Bergbau- bzw. Energiegesellschaften gepachtet worden, um Probebohrungen durchzuführen. Unter diesen Gesellschaften befand sich auch die deutsche Uranerz USA. Leserbriefe im SCR lassen vermuten, dass in den nördlichen Counties von Wisconsin die allgemeine Stimmung gegen solche Projekte ausschlug: »In a dairy/farming community, operation of a mine turns productive farmland into land unsuitable for agricultural purposes for generations.« (SCR 08.09.1982) In Hayward gab es mit der Northern Alliance eine Umweltschutzgruppe, die sich auch aktiv gegen das Projekt ELF wandte, das in Clam Lake angesiedelt war. ELF ist eine Abkürzung für »extremely low frequency«, ein militärisches Kommunikationssystem, das mit dem Amtsantritt von Ronald Reagan ein For-
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schungsbudget von $34 Millionen erhielt. Gegner des Projekts führten ins Feld, dass die elektromagnetischen Wellen, die das System aussendet, negative Einflüsse auf das menschliche Zentralnervensystem ausübten, und das die Einsetzung des Projekts ohne den informierten Konsens der Bevölkerung auf ein gigantisches Experiment am Menschen hinausliefe. Befürworter, zu denen lokal auch der Moderator einer privaten Radiostation, Harry Thibideau aus Hayward, gehörte, erklärten die Bedenken als unbewiesen (LCOJ 4(3), March 1981). Daneben gab es Pläne für die Einrichtung einer Endlagerstätte für Atommüll. Bei einem Hearing am 27.07.1981 vertrat Tribal Chairman Rick Baker LCO mit seiner Position gegen die Einrichtung des Projekts in Nordwest-Wisconsin, das in einem Gutachten 1980 als beste von 25 ausgewählten Lagerstätten bezeichnet worden war (LCOJ 4(8), August 1981). Das LCO Journal berichtete kontinuierlich über Umweltthemen, vor allem aus der Perspektive von indigenen Kommunitäten, in deren Umgebung Uran- und andere Abbauprojekte im Gange waren, z.B. in der Navajo-Reservation. (LCOJ 3(7), July 1980). Dies wurde auch in Zusammenhang gebracht mit Friedenspolitik. »Over our Dead Bodies«, versprach das LCO Journal im Oktober 1980 jedem, der auf die Idee käme, eine Lagerstätte für radioaktiven Abfall in der Nähe von Reservationen in Wisconsin zu errichten. Eine Resolution der NCAI-Convention über indigene Atompolitik wurde im TGB mit den Stimmen aller anwesenden Council Members verabschiedet. Sie lehnte die stereotype Identifizierung von Indianern mit der Anti-Atom-Bewegung ab, sprach sich aber gleichzeitig entschieden gegen jede Politik aus, die die atomare Verseuchung indigenen Landes oder den Bau nuklearer Einrichtungen zuließ und verlangte, in jeder Kommission oder sonstigen Einrichtung Sitz und Stimme zu erhalten, die solche Pläne im Gebiet der Ojibwe des Seengebiets vorsah (LCOJ 3(12), December 1980). Das LCO Journal druckte die gesamte Resolution inklusive der genauen Abstimmungsergebnisse ab. Das Journal brachte auch Karikaturen zum Thema. In der Ausgabe von Februar 1980 beispielsweise findet sich ein Cartoon mit einem weißen Anzugträger, der vor einer Kulisse grauenhafter Umweltzerstörung einem Indianer großspurig erklärt: »Trouble with you people is you never know how to use the land« – ein aus der populären panindianischen Mohawk-Zeitung Akwesasne Notes übernommenes Zitat. In der Ausgabe von April 1980 sprach ein Weißer vor einer ähnlichen Kulisse mit einer verdorrenden Pflanze: »We’re all going to have to make sacrifices… especially you, Mother Earth.« (LCOJ 3(4), April 1980) Die pragmatische Kooperation zwischen Sportanglern und Lac Courte Oreilles kam m.E. zustande, weil man in Sawyer County die Reservation in den treaty rights-Auseinandersetzungen als eine eigenständig handelnde Kraft kennen lernte, die eine Agenda auf die mediale Tagesordnung der Nation zu bringen verstand. Im Sommer 2003 schließlich bewiesen die Stämme von Wisconsin ihre neuerworbene Macht und kauften die Mine kurzerhand auf, um das Projekt dauerhaft zu beenden. Das Verhältnis von
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LCO und der weißen Mehrheitsbevölkerung von Sawyer County gilt heute als befriedet aber immer noch potentiell gefährlich, wie der ehemalige Tribal Chairman Gaiashkibos beschreibt: I live right on a lake, I live on the water. And I went outside last night, and I was lookin’ at the moonlight dancing on the water. And the lake was [sehr betont:] just smooooth as glass, like a mirror, eh? But underneath the water, there’s some jagged rocks, you know what I mean? And that’s how I’d describe the relationship between Lac Courte Oreilles and Hayward. […] The issues are not so much for hunt’n an‹ fish’n. That’s pretty much a mute issue now. The issue today is zonin‹. Sawyer County wants to impose their zonin‹ laws.18 (Interview Gaiaskibos)
Auch Dick Brooks, der heute fern von der Reservation in Minneapolis-St. Paul lebt, traut dem Frieden nicht: Racism is so deeply rooted in the history of the US. The US was built with stolen land and resources from Indian nations with the blood and labour and lives of the Africans. And we have never dealt with that in this country. We don’t have »classism«. If you mention »class«, you’re immediately branded a communist, an agitator. It’s the worst thing you can do. So a lot of our classism appears as racism. We’ve sort of moved our classism into racism, but – it’s the same thing! Racism is like a lot of sharp-jagged rocks just under the surface of the water and during the storm of the treaty rights thing, these rock were showing. It’s still there. (Interview Dick Brooks)
8 I NDIGENER A K TIVISMUS UND K ULTUR Angesichts der allgemeinen Politisierung und Revitalisierung der Reservationskommunitäten in den 1970er Jahren und dem, was darauf folgte, wurde der Ethnologie der Vorwurf gemacht, ihr fehle das Handwerkszeug zur Erfassung dieses Wandels, und sie befasse sich stattdessen nostalgisch mit den Resten »traditioneller« Kultur: »Such changes on the American Indian scene have caught anthropologists with their theoretical cupboards bare. […] anthropological theory does not seem to have changed quickly 18 | Dabei handelt es sich um die Planungs- und Verwaltungshoheit über Land und Verkehrswege, in den Worten von Gaiashkibos: »We want our roads back. But they turn our rights over to the towns, the towns get the money [for maintaining the roads] through the county. The county gets their money through the state. We’re saying, ›we should have a right of ways on these roads. These roads belong to us, and they’re getting the money!‹ So we don’t have a say over which roads are gonna get ploughed, which roads get salted in the wintertime, which roads are gonna get worked on. Because they’re getting the money for that. So these are a few of the issues «. (Interview Gaiashkibos)
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enough or purposively enough to explain or even account for the sudden development of ›Red Power‹.« (Clemmer 1972: 214) Dieser Vorwurf war nicht neu. Doch unbestreitbar kamen aus der Ethnologie dieser Zeit die ersten Modelle zur Erfassung von Kulturkontakt und Kulturwandel (Spicer 1961). In den Kriegsjahren 1941-1944 kam jeden Sommer eine Gruppe junger Ethnologiestudenten, unter ihnen Robert Ritzenthaler und Victor Barnouw, nach Lac Courte Oreilles, die unter der Leitung von Ralph Linton ethnographische Daten über alle zugänglichen Aspekte von Ojibwe-Kultur in Wisconsin sammelten. Diese Feldtrips, von der Columbia University und vom Milwaukee Public Museum finanziert, wurden für Ritzenthaler wie für Barnouw zu einer wichtigen Grundlage ihrer weiteren wissenschaftlichen Arbeit. Unter der Leitung von Linton, der 1936 bereits ein Memorandum for the study of acculturation (Linton, Redfield und Herskovits 1936) veröffentlicht hatte, befassten sich die Ethnologen mit den Prozessen des Kulturwandels. Wieweit das, was man als »traditionelle« Ojibwe-Kultur bezeichnete, bereits desintegriert war, wurde zehn Jahre später zum Thema eines Forschungsstreits, den Bernard F. James mit seiner depressiven Sozialstudie von Reserve (»Deer Point«) auslöste, für die er das Jahr 1951/52 in Lac Courte Oreilles verbracht hatte (vgl. auch James 1954a, 1954b, 1970). Nach seiner Darstellung, die er später an die »Culture of Poverty«-Diskussion anband (Lewis 1961), gab es abgesehen von der katholischen Mission und der Regierungsschule in dieser Zeit in Reserve keinerlei institutionalisiertes Sozialleben (James 1961: 726-7). Die Leute seien in Familien sowie in informellen Cliquen organisiert gewesen.19 Er erwähnt allerdings eine ausgeprägte Aufteilung der Familien in zwei Fraktionen, die sich selbst als »traditional« bzw. »progressive« bezeichneten. In Reserve habe es zu dieser Zeit nur eine einzige Person gegeben, die sich in einer anderen Ortschaft der Reservation (wahrscheinlich Whitefish) an den alten Zeremonien beteiligt hätte. In der Tat legte auch Ritzenthalers zehn Jahre früher entstandene Studie über das medizinische Wissen der Ojibwe von Lac Courte Oreilles nahe, dass die »traditionelle« Kultur, wie sie in den Arbeiten von Hoffman, Landes, Densmore und bei Kohl geschildert wurde, aus dem Blickfeld verschwand. Beispielsweise hatten sich Veränderungen in der Konzeption der Medizingesellschaft entwickelt, die Ritzenthaler anhand eines Vergleichs seiner Erlebnisse mit den Schilderungen von Hoffman (1885/86) und Kohl (1860) diagnostizierte. Sein Fazit war, dass die Medizingesellschaft ihre einstige Rolle als Archiv medizinischen Wissens fast vollständig verloren hatte und stattdessen zu einer mobilen Klinik geworden war, wo Menschen 19 | Was James hier als »Cliquen« bezeichnet, könnte man durchaus für eine den Ojibwe gemäße Form der Sozialorganisation halten. Es scheint mir allerdings unklar, ob er Zugang zu allen diesen Cliquen hatte. Nach meiner eigenen Kenntnis des Cliquenlebens von LCO ist es z.B. durchaus möglich, dass James sich der »wrong posse« angeschlossen hatte und deswegen über viele Aktivitäten anderer informeller Netzwerke in der Reservation nichts wusste.
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nicht Belehrung sondern Heilung suchten. Dies führte der Ethnologe auf die schlechte Versorgungslage der indigenen Bevölkerung zurück, der kaum angemessene Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung standen. In drei Sommern Feldforschung sprach er immerhin mit zwanzig Initianden, die durch das Ritual hindurchgegangen waren. Dies spricht m.E. eher für eine Persistenz kultureller Formen, die hier offensichtlich den aktuellen Gegebenheiten angepasst aber nicht gänzlich aufgegeben wurden. Ritzenthaler bezifferte die Verlustrate auf achtzig Prozent »weiße« und zwanzig Prozent »indianische« Kulturanteile, war sich aber der eingeschränkten Aussagekraft dieser Behauptung bewusst, da es z.B. erhebliche Unterschiede zwischen den Altersklassen gab (Ritzenthaler 1953: 177). James hingegen warf seinen Vorgängern vor, die »traditionelle« Kultur der Ojibwe als holistisches Ganzes sei klinisch tot, und die Ethnologie konstruiere sich mit der These von der Persistenz kulturell geprägter Persönlichkeitskonfigurationen bloß einen Gegenstand, der ihr in Wahrheit längst abhanden gekommen war. Er beschrieb das, was er in Reserve erlebt hatte, als »reservation subculture of the ›poor-White‹ type« und plädierte für die Abschaffung der Reservation, die er als Hauptgrund für die desolaten Zustände ausmachte. In einem Kommentar auf den Artikel machte Nancy O. Lurie, spätere Kuratorin am Milwaukee Public Museum, auf die Nähe dieser Argumentation zur Politik der »Termination« von Indianerreservationen der Regierung Eisenhower aufmerksam, die sie als den eigentlichen Hintergrund der Misere der 1950er Jahre betrachtete, da sie durch die Auflösungsdrohung soziale Stagnation und Ängste in der indigenen Bevölkerung hervorgerufen habe. »His studies […] were carried out during a period of extreme anxiety and despair on the part of many Indian groups, not just the Wisconsin Ojibwa. […] In anticipation of termination and with the emphasis on relocation, administrators discouraged long term projects and community development which had slowly begun to take form since the 1930’s.« (Lurie 1962: 830) 20
Hier wird m.E. deutlich, dass die Ethnologie sich gar nicht so schwer tat, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, ob Kulturverlust oder Revitalisierung. Allerdings hatte sie, im Vergleich zu einer statistisch operierenden Sozialforschung, wie James sie betrieb, ein komplexeres Problemverständnis und kam deswegen nicht so leicht zu eindeutigen Aussagen über das, was vor sich ging. Im Rückblick stellen sich die Ereignisse und der kulturelle Wandel, die in Lac Courte Oreilles wie auf anderen Reservationen vonstatten gingen, als langfristiger Prozess einer allgemeinen Modernisierung dar, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt, und in der die indigenen Kommunitäten zuerst einmal ihre Daseinsberechtigung mit politischen Mitteln neu erstreiten und für sich selbst definieren mussten. Die Revitalisierung, die sich von den urbanen Zentren Chicago, 20 | Zur Kritik an James vgl. auch Roufs (1974).
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Minneapolis-St. Paul und Milwaukee aus in die ländlichen Reservationen fortsetzte, traf hier auf eine anders zusammengesetzte Mehrheitsgesellschaft. »Contemporary Indian identity is a ›product of the dynamic relationship between Natives and non-Natives«, zitiert Harmon (2004: 251) William Simeone (1995: xxi). Anders als in städtischen Gemeinden wurde in Nordwest-Wisconsin keine ethnische Minderheitenpolitik betrieben, sondern die Trennlinie verlief zwischen »weiß« und »rot«, wobei die abwesenden Schwarzen in den politischen Diskursen durchaus anwesend waren, einerseits als Folie für rassistische Abwertungen, aber auch mit ihrer Widerstandsgeschichte gegen den Rassismus, deren Lehren als Philosophie der Inklusion gegen die totalisierenden Strategien des weißen backlash in Stellung gebracht wurden. An dieser Stelle sei noch einmal Bee zitiert, der einen fundamentalen Unterschied zwischen indigenen und anderen ethnischen oder Minderheitenanliegen sieht: »For this reason it has not been fruitful for Indians to join forces in a constellation of interest with the poor, or with other ethnic or racial minorities, so as to gain specific rights for Indians only.« (Bee 1992: 154) Es lässt sich aber in diesem Fall nicht erkennen, dass der symbolische Schulterschluss von »schwarz« und »rot« zum Nachteil der indigenen Souveränitätsbestrebungen ausgefallen wäre; vielmehr ist ein Wissenstransfer zwischen der afroamerikanischen und der indigenen Bevölkerung zu beobachten, der in einem Transfer von Kategorien zur Benennung von Erfahrungen und politischen Strategien besteht. Der Transfer zwischen diesen Gruppen, die nicht direkt miteinander kommunizierten, wurde über die Kirchen und die indigenen Medien von Lac Courte Oreilles bewerkstelligt. Dass mit dem Begriff Rassismus die Erfahrungen der indigenen Bevölkerung in Nordwest-Wisconsin mit ihren weißen Nachbarn anscheinend so treffend zu beschreiben waren, deutet auf die Mechanismen hin, unter denen indigene Identität sich in diesem ländlichen Gebiet formierte. Nagel (1995) geht davon aus, dass für Indianer Identität, anders als für Schwarze, eine Frage der Wahl ist: »European Americans and African Americans represent two ends of an ethnic ascription continuum, in which Whites are always free to remember their ancestry and Blacks are never free to forget theirs. […] American Indians reside at the intersection of two racial regimes: hypodescent and self-identification. […] In much of the United States, however, American Indian ethnicity is largely a matter of individual choice; Indian ethnicity is an ethnic option that an individual can choose or not.« (Nagel 1995: 949f.)
Aber wie sich gezeigt hat, war indigene Identität im ländlichen Nordwesten keine Frage der freiwilligen Selbstzuschreibung von Ethnizität, sondern kam als Protest gegen eine negative Fremdzuschreibung zustande. Diese negative Fremdzuschreibung setzt sich aus gewissen, gegenüber Indianern weit verbreiteten Stereotypen sowie aus einem exakten lokalen Wissen über die familiäre Herkunft jedes einzelnen zusammen. In den
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überschaubaren Verhältnissen in der Provinz stellte die familiäre Herkunft eine der Grunddeterminanten der sozialen Existenz dar. Obwohl sich durch den Zuzug ehemaliger relocatees nach Lac Courte Oreilles und nicht-indigener Stadtbewohner nach Hayward diese Überschaubarkeit aufzulösen beginnt, ist die negative Fremdzuschreibung heute immer noch ein wichtiges Moment der Identitätsbildung in Lac Courte Oreilles, wie im Kapitel über das Bildungssystem noch deutlich werden wird. Auch die abwesenden Schwarzen sind immer noch in den Diskursen anwesend. Zur Zeit meiner Forschung lebten in Sawyer County keine Schwarzen; der LCO-Zensus von 2000 listet zwei Schwarze auf. In Lac Courte Oreilles erklärte man mir, im Sommer kämen vereinzelt Schwarze als Touristen in die Gegend, und weiße Einheimische blieben auf der Straße stehen und starrten ihnen nach. In der lokalen Disco wird für Touristen und Einheimische »Fifties« und »Rock« gespielt, Codewörter, die jeder entschlüsseln kann, ohne dass es ausgesprochen werden muss: keine schwarze Musik. Nach diesen Betrachtungen ist auch die Frage von Nagel, warum sich das indigene kulturelle und politische Revival im Vergleich zu anderen ethnischen Revivals in umgekehrter Weise entwickelt, von selbst beantwortet: »This resurgence of nondominant ethnic identity does not fit clearly into traditional models of ethnic change which carry a heavy presumption that ethnic change invariably moves in the direction of assimilation (i.e. from minority to majority).« (Nagel 1995: 949) Die Erklärung verschiedener Identitätsbildungen ausschließlich aus einem instrumentellen oder utilitaristischen Verständnis von Ethnizität reicht am konkreten Material nicht weit genug. An dieser Stelle soll lediglich ein Problem aufgegriffen werden, das schon in der Einleitung erörtert wurde – die Frage der sozialen Konstruktion. Dem indigenen Aktivismus, dessen Akteure mit der Zeit lernten, wie man sich in die amerikanische Repräsentationsmaschinerie einklinkt, wurden weitaus mehr journalistische Zeitungsartikel und TV-Übertragungen gewidmet als sozialwissenschaftliche Untersuchungen; wo indigener Aktivismus selbst zum Thema gemacht wird, besteht allerdings die Tendenz, das Wirken indigener Organisationen (vor allem das des American Indian Movement) – auch in der Negativdarstellung – über zu bewerten, weil häufig genug die Dynamik panindianischer, urbaner sozialer Formen nicht verstanden wird, meint Johnson (Johnson 1994). Ein weiterer Grund könnte sein, dass das von McLagan (2002: 93) identifizierte interkulturelle Wissen (»cross-cultural knowledge«), das von den indigenen Aktivisten evoziert wird, als genau jene mediale »Verdoppelung« von Kultur anzusprechen ist, die in der Forschung, wie in der Einleitung dargelegt wurde, zumeist negativ konnotiert ist. Panindianismus als indigene Ethnizität gilt, wenn schon nicht als »Schein«, »Fake«, so doch als eine Behauptung im Zusammenhang mit einer politischen Agenda. Die »supratribal American Indian ethnicity« – also der dem Aktivismus zugrundeliegende Panindianismus – bezeichnet Nagel als pure Sozialkonstruktion (»purely a social construction«) (1995: 950), der gegenüber die Diversifizierung
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der indigenen Bevölkerung in Hunderte von kulturell unterschiedlichen Gruppen einen primordialen Status zu haben scheint. Nun ist dies gerade für das Seengebiet, wo »Stammesidentitäten« unter dem Druck der amerikanischen Landnahme geprägt wurden, eine nicht ganz zutreffende Aufteilung. Die Konstruktion erklärt vielleicht die enorm angewachsene Zahl derjenigen, die selbst sich bei Zensusumfragen als »American Indian« bezeichnen, hat aber weniger Erklärungskraft in bezug auf die sozialen Manifestationen der Revitalisierung. Aber das, was als urbane politische Bewegung entstand, kehrte auf die Reservationen zurück, und zwar nicht nur als nebulöse »Identität«, sondern als politische Mobilisierung und kulturelle Revitalisierung mit Organisationsformen, Veranstaltungen und Ereignissen, die in ihrem Zusammenhang am besten als indigen kontrollierte, institutionalisierte Wissenskultur zu beschreiben sind. Für Lac Courte Oreilles und seine weißen Nachbarkommunitäten in Sawyer County bedeutete die zunehmende Tendenz der Separierung der Reservation, ihre größere Unabhängigkeit und die stärker vertretenen Souveränitätsansprüche auch eine Diversifizierung der regionalen Öffentlichkeit und der Mechanismen der Repräsentation. Dies manifestierte sich einerseits in einem erhöhten Bedarf nach Öffentlichkeit für die Themen, die Lac Courte Oreilles betrafen; andererseits konnten die lokalen Konflikte mit der weißen Nachbarschaft anscheinend nicht mehr durch die herkömmlichen ausgleichenden Repräsentationsmechanismen wie Touristentänze, Fairs und indigene Kolumnen aufgefangen werden. Über die Abbilder der Lebenswelt, wie Ed Martin sie präsentierte, hinaus im SCR angemessen vertreten zu sein, war seit den Tagen von Chairman Rick Baker Anfang der 1970er Jahre ein wichtiges Anliegen der Stammesregierungen von LCO, die viel Arbeit und Zeit in die Implementierung eigener Medien investierten. Aber es hatte sich nicht nur die Öffentlichkeit von Sawyer County bzw. Nordwest-Wisconsin diversifiziert; das gleiche galt auch für Lac Courte Oreilles selber. Durch Politisierung und Revitalisierung hatten sich schon vorhandene Tendenzen zur politischen Diversifizierung verstärkt, die Reservation war eine plurale Gesellschaft geworden, in der zwar immer noch kein großes Statusgefälle oder gravierende soziale Ungleichheit zu bemerken war, in der aber verschiedene Familienverbände, politische Zusammenschlüsse, Initiativen und profilierte Einzelpersonen agierten und Interessenkonflikte zutage traten. Hier allerdings stießen die indigenen Medien, besonders das LCO Journal, dessen Herausgeber Paul DeMain seinen journalistischen Auftrag sehr ernst nahm, auf Grenzen ihrer Arbeit, die gerade in der politischen Souveränität lagen, zu deren Sicherung sie selbst so viel beigetragen hatten. Dies wird im folgenden Kapitel thematisiert.
IV Souveränität
1 I NDIGENE M EDIEN UND DAS P ROBLEM DER P RESSEFREIHEIT Indigene Journalisten in Reservationskommunitäten sind in vielerlei Hinsicht mit anderen Arbeitsvoraussetzungen konfrontiert als ihre Kolleginnen und Kollegen in allgemeinen Medien. Zum einen operieren sie in einem anderen kulturellen und zum zweiten in einem anderen rechtlichen Feld. Die meisten indigenen Medien werden von Stammesregierungen finanziert und kontrolliert. Die im ersten Verfassungszusatz über Religions- und Redefreiheit (First Amendment)1 festgelegte Pressefreiheit wurde nicht automatisch in die Verfassungen der Stämme übernommen, obwohl der 1968 verabschiedete Indian Civil Rights Act (ICRA) Einschränkungen der Pressefreiheit aus der Jurisdiktion der Stämme ausdrücklich herausnahm. Der National Congress of American Indians, die 1944 gegründete größte Organisation nordamerikanischer Stammesregierungen, bekannte sich in einer Resolution im Jahr 2003 zur Pressefreiheit und zum Recht auf Information und forderte alle Mitglieder dazu auf, dementsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.2 Trotzdem haben bis heute nur 68 der knapp 560 Stammesverfassungen Zusätze, die die Pressefreiheit auf ihrem Territorium absichern. Der Verband indigener Journalisten, Native American Journalists Association (NAJA), 1986 gegründet, veranstaltet jährliche Treffen, auf denen die über 700 Mitglieder 1 | »Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peacably to assemble, and to petition the government for a redress of grievances.« (aus der amerikanischen Bill of Rights) 2 | »The NCAI supports the principles of free speech, free press, and the rights of the people to have access to information and/or to communicate and express freely information and carry out media in an independent manner; […] The NCAI encourages Tribal Nations to ensure Freedom of the Press and develop those Media Policies so the rights of the people will not be abridged […].« (NCAI Resolution, ABQ-03-042, www.na ja.com/resolution.html, 21.11.2003)
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ihre Probleme diskutieren. Auf der NAJA-Konferenz, die ich im Sommer 2002 in San Diego besuchte, waren Konflikte mit Stammesregierungen unter den meistgenannten Problemen. In der Diskussion wurden die verschiedenen Strategien im Umgang mit tribalen Pressepolitiken deutlich. Eine nicht-indigene Journalistin, die für eine tribale Publikation an der Ostküste arbeitete: A lot of issues wouldn’t help the tribe if they were put into public, so I simply don’t report about them. The XY Newsletter is only for tribal members. We have nine proofreaders, they don’t change quotes but they sometimes request that certain issues not be published. I see it as an in-house PR for the tribal government. The newspaper is very much the »Good News« of the tribe, it is not the Fourth Estate. (Teilnahmeprotokoll)
Ein indigener Journalist, der bei einer allgemeinen Tageszeitung angestellt war, stimmte ihr zu: I believe there are a lot of issues that are better kept in the tribe. (Teilnahmeprotokoll)
Eine indigene Journalistin sah einen Ausweg darin, sich bei einem anderen Stamm einen Job zu suchen: Reporting on political issues at home – it’s too difficult. If you’re working for another tribe, that makes it easier. (Teilnahmeprotokoll)
Ein indigener Journalist erzählte, dass er von Stammesmitgliedern dazu aufgefordert wird, sich nicht von seinem Arbeitgeber einschüchtern zu lassen: If it’s an issue touching on the way the tribe functions, I think it needs to be out there. Even tribal members think that. I have received three calls by tribal members in the past month, saying »We have a First Amendment, here, too.« (Teilnahmeprotokoll)
Aufgrund der besonderen Rechtssituation ist die Gefahr, sich als Nachrichtenredakteur einer stammeseigenen Radiostation oder eines vom Business Department der Stammesverwaltung bezahlten PR-Blattes mit dem Stammesrat zu überwerfen und seine Arbeitsstelle zu verlieren, durchaus real, und ist im Gegensatz zu den diskreten Mechanismen der marktwirtschaftlichen Meinungsmache als konkreter politischer Druck beschreibbar. Nicht wenige Stammesregierungen scheinen die Folgen von Berichterstattung, die sie für negativ halten, zu fürchten. Der bekannte indigene Journalist Mark Trahant erklärt das Problem als ein amerikanisches:
S OUVERÄNITÄT »The ›Indian country‹ press has presented a free-speech conundrum since it began: While its practitioners live in a country where free-speech rights are guaranteed by law, the First Amendment doesn’t apply to those journalists.« (Trahant 1997: 8)
Ein anderer indigener Journalist dreht diese Perspektive noch einmal um. Hier erscheinen die indigenen Medien als die Agenten des Fremden, des Anderen in Amerika: Government agencies deny native media access because they’re considered foreign press. The media don’t represent America’s diversity. (Teilnahmeprotokoll)
In Lac Courte Oreilles sind diese Probleme ebenfalls Teil des Arbeitsalltages der indigenen Medien; und wider Erwarten war es in Interviews nicht schwer, hierüber Aussagen zu erhalten. Auch hier berichteten Medienleute über Probleme mit verschiedenen Stammespolitikern oder mit ganzen Administrationen, über Beeinflussungsversuche und dergleichen mehr. Nicht wenige Leute von Lac Courte Oreilles beschwerten sich über eine undurchsichtige Politik auf der Reservation und beklagten Korruption und Vetternwirtschaft. Doch was diese Art von Politik betrifft, habe ich in Lac Courte Oreilles buchstäblich zu jeder Behauptung auch eine Gegenbehauptung erhalten; außerdem sind ähnliche Vorkommnisse in der Nachbarstadt Hayward ebenso bekannt. Die Episoden verdeutlichen, dass in small town-Settings jener Nepotismus, der vor allem der Reservationspolitik vorgeworfen wird, zum Alltag gehört. Es wäre auch nicht ganz zutreffend, eine grundsätzliche Dichotomie aufzumachen zwischen Journalisten auf der einen und Stammespolitikern auf der anderen Seite. In Lac Courte Oreilles haben viele Politiker zeitweise bei verschiedenen indigenen Medien gearbeitet, und Medienmacher auch in der Politik und im Bildungssystem mitgemischt. Das Feld der tribal politics von dieser Seite her aufzurollen, wäre also ein problematisches Unterfangen, da es sich bei den Konflikten selten ausschließlich um First Amendment-Probleme handelt, sondern oft genug auch um Ausläufer langjähriger, verzweigter Konflikte zwischen Individuen oder Gruppen. Trotz der Sympathie, der man sich angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen und des oft heroischen Einsatzes indigener Journalisten in den Reservationen nicht erwehren kann, ist Vorsicht angebracht, sich in der Forschung die Probleme der indigenen Medien zu sehr zu eigen zu machen. Hier trifft zu, was ein lokaler Medienmitarbeiter mir über seine Arbeit berichtete: People don’t wanna speak out, and that’s one thing that I noticed, that people want me to do it for’em. (Anonym)
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In ähnlicher Weise wurde mir im Verlauf der Forschung bewusst, dass die politische Unzufriedenheit auf der Reservation damit auch an meine Forschung weitergereicht wurde, mit der Aufgabe, zu schreiben, worüber die indigenen Medien Probleme haben zu berichten. Diesen Auftrag kann und will meine Darstellung nicht erfüllen, weil die Art von Datenmaterial, die eine qualitativ orientierte ethnographische Forschung zutage fördert, für die Erhärtung politisch oder sogar strafrechtlich relevanter Fakten nicht geeignet ist. Dorle Dracklé hat dies in ihrem Aufsatz über den Korruptionsdiskurs im Alentejo treffend auf den Punkt gebracht: »As in all studies of corruption it will be equally impossible in mine to adduce exact figures [or] to document cases of corruption in such a way that they could stand empirical scrutiny. After all, I was not on the scene in the Alentejo as an anthropological spy […].« (Dracklé 2005: 195)
Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, hier auf die sonst in meiner Studie übliche Verwendung von Klarnamen zu verzichten und die Aussagen stattdessen zu anonymisieren, obwohl alle Interviewten, sowohl Journalisten als auch Stammespolitiker, vor dem Interview auf die mögliche Verwendung ihrer Klarnamen hingewiesen wurden und darin einwilligten. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Dies sind die Erzählungen dreier leitender Medienmacher, Paul DeMain (Abb. 18), Joe Morey und Dick Brooks. Die Berichte von Paul DeMain können nicht anonymisiert werden, weil er in der Geschichte des indigenen Journalismus eine so herausragende Rolle spielt und selbst politisch so aktiv ist. Ebensowenig können die Geschichten von Joe Morey, der zeitweise in LCO eine Lokalzeitung herausgab, und von Dick Brooks, dem langjährigen General Manager von WOJB, anonymisiert werden, ohne die Szenerie derartig zu verfremden, dass die Schilderung ihren Sinn verliert. Ich halte es allerdings für angebracht, die Namen der Leute, über die sie sprechen, zu anonymisieren, und einige persönlich gefärbte Kommentare zu streichen, insbesondere dort, wo ich keine Gelegenheit hatte, die Meinung der Gegenseite zur betreffenden Frage einzuholen. Die Darstellung verliert dadurch natürlich an genau jener Historizität, der ich mich mit wissenschaftlicher Leidenschaft verpflichtet fühle. Aber der Fokus soll in diesem Kapitel nicht auf der Aufdeckung von angeblichen oder wirklichen politischen Skandalen liegen, die, so sehr sich die lokale Bevölkerung auch darüber erzürnt, aus kulturwissenschaftlicher Perspektive als Einzelereignisse nicht so viel Relevanz haben, sondern eher als das Perpetuum Mobile der Reservationskommunikation angesehen werden können. In den Konflikten werden vielmehr bestimmte Probleme sichtbar. Im Alentejo ist dies die grundlegende soziale Unsicherheit der Region nach dem EU-Beitritt Portugals. Für LCO machen der Diskurs über Vetternwirtschaft und die Beschwerden über Verstöße gegen die Meinungsfreiheit Probleme der Sozialstruktur nach der Revitalisierung sichtbar: die Diversifizierung der Reservationsbevölkerung durch Zuzug ehemaliger relocatees aus der Stadt
S OUVERÄNITÄT
und durch die Entstehung eines – wenn auch noch sehr kleinen – indigenen Bildungsbürgertums, sowie die Probleme der kulturellen Aneignung von Medien als Formaten, die sich nicht völlig frei in die Verhältnisse der Reservationen übersetzen lassen. Abb. 14 Zeichen indigener Moderne: Mit den Klantotems verziertes Hinweisschild zum Tribal Office in Lac Courte Oreilles, 2005.
Foto: Cora Bender, 2005.
1.1 Die politischen Verhältnisse in Lac Courte Oreilles Die Konflikte um die Verfassung nach dem Indian Reorganization Act (1934) waren in Lac Courte Oreilles, wie bereits dargelegt, besonders ausgeprägt und sind bis heute nicht vollständig beigelegt. Laut Danziger (1979: 103) gab es im Jahr 1964 noch keine demokratische politische Repräsentation. Anstelle eines gewählten Tribal Council war ein fünfköpfiges Tribal Business Committee mit seinem Büro in Reserve die von der von der Geschäftswelt in Hayward und der Indianerverwaltung anerkannte regierende Körperschaft in LCO. Die heute geltende Verfassung stammt von 1969, und seitdem hat es immer wieder Versuche verschiedener Seiten in LCO gegeben, diese Verfassung zu verändern, die von vielen als unzureichend betrachtet wird. Es geht dabei vor allem um zwei Probleme, zum ersten um die Frage der Mitgliedschaft und zum zweiten um die Gewaltenteilung, die in der Verfassung nicht ausreichend verankert ist, wie mir ein Stammespolitiker erklärte:
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE We don’t have separation of powers here. There’s no judicial branch, no executive, no legislation, there’s just the Tribal Council, the Tribal Governing Board. (Anonym)
1.2 Das Tribal Governing Board Heute wird Lac Courte Oreilles von einem siebenköpfigen Team, dem sogenannten Tribal Governing Board (TGB) regiert, von denen jedes Jahr abwechselnd drei bzw. vier Mitglieder neu gewählt werden, so dass jedes Mitglied im Tribal Council alle zwei Jahre in den Wahlkampf zieht. Der Tribal Council wählt aus seiner Mitte den Tribal Chairman, den stellvertretenden Tribal Chairman und den Secretary-Treasurer (den Finanzverantwortlichen) des Stammes. Diese drei erhalten Gehälter aus Bundesgeldern. »The rest of the council (salaries) are paid from other sources, predominantly the casino.« (SCR 13.06.2001)3 Die Stammesverwaltung ist in verschiedene departments und tribal programs organisiert, von denen jedes einen speziell verantwortlichen Ansprechpartner im TGB hat (Abb. 14). Zusätzlich hat jedes tribale Unternehmen ein board of directors, dem verschiedene, aus besonderen Gründen hierfür befähigte LCO-Leute angehören. Beispielsweise ist die Direktorin der Radiostation im Board of Directors des stammeseigenen Colleges. Dieses System wurde Anfang der 1980er Jahre eingeführt, um die Beteiligung von Stammesmitgliedern an der Regierung und Verwaltung von LCO zu erhöhen (LCOJ 3(1), January 1980).
1.3 Politische Dynamik In Lac Courte Oreilles scheint die Ansicht weit verbreitet, Regierungen überhaupt, darunter auch die eigene Stammesregierung, seien undurchsichtig und schwer kontrollierbar. An diese Grundhaltung wird von Kandidaten im Wahlkampf um Posten im Tribal Governing Board appelliert, wie ein Beispiel illustriert. »The most important issues affecting our tribe today are accountability, openness, access to information, and membership«, erklärte die Kandidatin Susan LaMorie Aasen in einem Kandidatenforum des Sawyer County Record (SCR 13.06.2001). Ein LCO-Politiker Mitte 30, der im Jahr 2000 neu in den TGB gewählt wurde, erklärte mir im Interview, dass die Armutsverhältnisse, in denen er in Lac Courte Oreilles aufwuchs, ihm die persönliche Motivation für seine Bewerbung gewesen seien: I was born and raised on the reservation. My mother raised seven children in a one room cabin on the reservation, and my father abandoned us when I was 3 | Die Finanzsituation von LCO scheint aber teilweise so prekär, dass die Gehälter nicht gezahlt werden können und Stammespolitiker sich andere Einkommensquellen suchen müssen. (SCR 13.06.2001).
S OUVERÄNITÄT fourteen. So she raised seven kids on welfare. Out of all my siblings I’m the only one who became college-educated. I received my GED back in 1980, began attending college courses here in LCO back in 1984, 1985 4, and then moved on, received my associates degree and my bachelors degree back in 1990. [When I became involved in politics], basically, I started addressing the issues that affect all Lac Courte Oreilles people, issues such as financing, our moneys – how they’re spent, how they’re distributed, and the bigger issue of employment. […] And so one of the bigger issues that I addressed getting involved in politics was creating jobs for the people of LCO, and how we could better do that. (Anonym)
Aber nach der Wahl scheint es für Kandidaten auch mit den besten Absichten schwer, ihre Linie durchzuhalten. Ahm [schwerer Seufzer], I guess [lacht] – it’s, it’s, it’s the experience I have being elected to this council, is when you’re not on the council, you’re on the outside looking in and when you’re on the council, you’re on the inside, and so your agenda will change once you’re on this council. I don’t like that? But that’s the way it is. (Anonym)
Die Wahlen zum Tribal Council kann man auf verschiedene Weise gewinnen. Wichtig ist eine Empfehlung von mindestens einem Mitglied des Tribal Council selbst. That first year I lost by nine votes. But I had no support from the council. There’s seven people on our council, and I received no support or endorsements from any one of them. And yet I still lost out by only nine votes which is a pretty good thing to do here on the rez. (Anonym)
Neben der Empfehlung eines dienstälteren Mentors verhilft auch die eigene Familie einem Kandidaten zu einem Sitz, wie ein ca. 40jähriger LCOPolitiker mir unumwunden darlegte: Cora Bender: You come from a big family here in LCO? Antwort: Yes. CB: Maybe one of the biggest. A: One of the biggest! CB: – most important families? A: Well, I wouldn’t say most important but one of the biggest. And in tribal politics, size means everything! At least during election time. CB: Which means [in election times] you can muster your relatives! A: Yeah, hopefully. The education helps too, though. (Anonym)
Neben der Empfehlung und der großen Familie, die einem Kandidaten die nötigen zwei- bis dreihundert Stimmen verschafft, sind Medien ein 4 | Anmerkung: ein TGB-Mitglied, das aus dem neuen LCO-Schulsystem kommt.
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dritter Weg zu einer Position im TGB. Auf medialem Weg wird einerseits die Empfehlung propagiert, andererseits kann der Kandidat so seine Familie mobilisieren, oder auch all jene, die nicht mit einem Familienmitglied im TGB vertreten sind. Manche Kandidaten versuchen sich mit kritischen Leserbriefen an den Sawyer County Record Gehör zu verschaffen.
1.4 Narrationen der Unzufriedenheit Die Familien scheinen sich von einem Mitglied im Tribal Council vor allem eine bevorzugte Behandlung bei der Vergabe von Arbeitsstellen zu erwarten, die in LCO immer noch Mangelware sind. Meine historische Analyse hat ergeben, dass die großen und alteingesessenen Familien von LCO alle jeweils auf einen europäischen oder europäisch-stämmigen Einwanderer des 18. und 19. Jahrhunderts zurückgeführt werden können, der in der Region wirtschaftlich erfolgreich war. M.E. mussten sich viele Angehörige anderer Familien, die ebenfalls alte LCO-Familien sind, aber nicht zum Kreis der Erfolgreichen gerechnet werden, in der zunehmenden Armut im 20. Jahrhundert außerhalb der Reservation ihr Auskommen suchen. Diese kehren seit den 1970er Jahren bis heute in die Reservation zurück. Hier wird aber von denjenigen, die sich als Alteingesessene betrachten, weil sie nicht in die Arbeitsmigration gingen, der Rückzug oft recht pauschal als Woge fremder Elemente wahrgenommen und mit diversen sozialen Problemen, wie z.B. den Aktivitäten von Gangs nach großstädtischem Muster in Lac Courte Oreilles, in Zusammenhang gebracht. Das enge Netz verwandtschaftlicher Beziehungen der alteingesessenen Familien scheint sich allerdings in den letzten Jahren stellenweise aufzulösen: [Thirty, forty years ago] there used to be like five, six family groups, that’s it. But now there’s families coming back from all over the place, you know, first thing you do is, »oh who’s your ma, who’s your grandma?« You gotta go up two generations till: »Oh, o.k., you’re Corbine!« (Anonym)
Ob allerdings in jedem Fall der Anstellung eines Verwandten von Vetternwirtschaft im Sinne einer durch Familieninteressen korrumpierten politischen Entscheidung die Rede sein kann, soll an dieser Stelle zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden. Die Fragen, mit denen ein TGB-Mitglied, ein leitender Angestellter im Casino oder ein Sozialarbeiter in der Verwaltung sich befassen müssen, erfordern heutzutage vor allem auch eine gute Ausbildung, die es m.E. strukturell zunehmend schwieriger macht, Posten rein nach Familienloyalität zu besetzen. Außerdem ist in einer Gemeinde mit so überschaubarer Einwohnerzahl tatsächlich jeder mit jedem verwandt. Auch die unschuldigste Einstellungsentscheidung kann so im Nachhinein als Nepotismus interpretiert werden. Andererseits scheinen ein problematisches Arbeitsklima und eine Mobbing-Atmosphäre in LCO-Einrichtungen und Betrieben keine Seltenheit zu sein.
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Eine Arbeitsmarktsituation, in der es einige Jobs gibt, für deren Verteilung die betroffene Kommunität auch noch selber zuständig ist, ist für das Klima sozialer Solidarität vielleicht noch abträglicher als eine Situation, in der es überhaupt keine Arbeit gibt und die Betroffenen sich gegenseitig über die Runden helfen. Eine für das Verständnis der Probleme in Lac Courte Oreilles besonders interessante Begegnung hatte ich mit einem pensionierten Mitglied des Tribal Governing Board, einem Mann, der ab 1991 insgesamt sieben Jahre im TGB tätig gewesen war. Auf dieser Erfahrungsgrundlage schilderte er mir seine Sicht der Politik in Lac Courte Oreilles. Seine Familie führt sich selbst auf einen prominenten Häuptling zurück, der bei den Verträgen von 1842 und 1854 für Lac Courte Oreilles unterzeichnet hatte. Seine Mutter, eine Ojibwe aus White Earth, und sein Vater, Nachkomme erblicher Häuptlinge, hatten sich am Hampton Institute in Virginia kennen gelernt, sein Vater arbeitete für das BIA; mein Interviewpartner kam auf einer Reservation in Montana zur Welt. Sein Berufsleben war bewegt; er hatte nach seiner Militärzeit im Zweiten Weltkrieg beim BIA und bei verschiedenen Privatfirmen verantwortungsvolle Posten innegehabt und wurde nach seiner Pensionierung 1988 von seiner Familie dazu überredet, nach Wisconsin zurückzukehren und sich um einen Sitz im TGB zu bewerben. Als ich ihn im Oktober 2000 aufsuchte, wohnte der alte Herr in einem gepflegten Haus am Stammsitz seiner Familie. Seine Erzählung und der Respekt, den seine Umgebung ihm erwies, umgaben den tief religiösen Mann mit der Aura eines Aristokraten, der sich Jahre seines Lebens mit Krethi und Plethi in der nach seiner Ansicht hoffnungslos unprofessionellen Stammesadministration herumgeärgert hat und nun, ein wenig verbittert aber in Einklang mit sich, seinen Werten und seinem Schöpfer, seinen Lebensabend verlebte. Antwort: You gonna have to have a clear conscience when you go to the grave. And if you get involved in something like that, you even have to answer for it! If you’re dishonest, you’re gonna pay. That’s the way I taught my children. Cora Bender: And what do you think with what do you pay for that, what is it, what do you have to pay? A: Judgment Day. Judgment Day. Cos you may not pay for it here, but when the final time comes, you gonna have to answer for it. All the things that you did. (Anonym)
Nach seiner Darstellung bestehen die beiden größten Probleme in der unvollständigen Gewaltenteilung in LCO und in der immer noch strittigen Frage der Stammesmitgliedschaft. Die Stammesregierung, der Tribal Council, der alle wirtschaftlichen, politischen und sozialen Geschäfte von LCO beaufsichtigt, kontrolliert sich im Großen und Ganzen selbst. Immer wieder moniert wird auch die Ausgabensituation des Stammes, wobei insbesondere die Ausgaben für die Modernisierung des Schulgebäudes, der Kauf der Ferienanlage Herman’s Landing, die Bilanzen des Casinos und
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das Management der Stammesbetriebe im Fokus der Kritik stehen. Der Tribal Council als größter Arbeitgeber des Stammes genießt zugleich als Regierungsorgan Immunität vor gerichtlicher Verfolgung, was z.B. bedeutet, dass ein Angestellter, der sich schlecht behandelt, zu unrecht geschasst fühlt oder einen Betrug entdeckt hat, seinen Arbeitgeber nicht vor Gericht bringen kann, ohne dass dieser selbst darin einwilligt, so mein Interviewpartner. Der einzige Weg wäre der Gang zum Bundesgericht und eine Anklage der Stammesregierung unter den Bestimmungen des Indian Civil Rights Act. Dies hängt mit der rechtlichen Sondersituation der Stämme und ihrer Mitglieder zusammen. Die Staatsbürgerschaft eines amerikanischen Indianers, der Mitglied eines anerkannten Stammes ist, besteht in dreifacher Weise, in Bezug auf die Vereinigten Staaten, auf den Bundesstaat, in dem er lebt, und auf die Stammeskommunität, die ihn als Mitglied anerkannt und in ihre Mitgliedslisten (»tribal roll«) aufgenommen hat (Baca 1988: 231). Nach welchen Kriterien sich Stammesmitgliedschaft bemisst, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich und hängt von den historischen Umständen der »Stammwerdung« ab. In LCO gab es seit den Gründungstagen der Reservation Konflikte um die Mitgliedschaft (Danziger 1979: 94,103). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind alle auf der census roll von 1940 eingetragenen Individuen sowie ihre direkten Nachkommen (lineal descendants) LCO-Stammesmitglieder; außerdem alle zwischen 1966 und 1969 Geborenen mit wenigstens einem Achtel »LCO-Blut« sowie alle nach 1969 Geborenen mit zumindest einem Viertel »LCO-Blut«. Es genügt also nicht, ein »Vollblut«-Indianer zu sein – wenn unter den Eltern und Großeltern die falsche Mischung von Mitgliedschaften in Bad River, Red Cliff oder White Earth besteht, dann besteht u.U. auch für Individuen, die kulturell vollständig in LCO verankert sind, kein Anspruch auf Mitgliedschaft. Die Stammesmitgliedschaft gestaltet sich beispielsweise so: I’m from the White Earth reservation. And I do have descendancy from [LCO], so if they ever pass the this lineal descendancy thing that they’re trying to pass here on the reservation I’ll probably qualify. Right now I’m enrolled in the White Earth reservation through my father? And I also have Indian blood quantum from the St. Croix Tribe, too, from my mother. And my grandmother. (Anonym)
Oder so: My great-grandma is enrolled full-blood Turtle Mountain Chippewa. Her husband, my great-grandpa, when the census people went around, he told them he was white, because he was looking for work. And you couldn’t get work anywhere if you were Indian. So that’s why his family chose not to be enrolled. Same with the people who come from Canada. The Turtle Mountain Tribe says we don’t accept Canadian Ojibwe because the BIA and the government won’t recognize Canadian Ojibwe. In Turtle Mountain, you got to have a parent on the roll and you have to be a quarter Ojibwe – except the Canadian! – The Menominee, the
S OUVERÄNITÄT Pequot, the Navajos are Nations whereas we are still tribes. Among the Ojibwe, they are all split up into bands, and you have to be a »Quarter LCO« to be enrolled. A full-blood Ojibwe could end up with being enrolled nowhere, because he hasn’t got enough of either LCO or St. Croix or Redcliff or whatever to get on a tribal roll. So he isn’t even counted as Indian! (Anonym)
Derzeit gibt es eine breit getragene Bewegung in LCO, das Prinzip der linearen Abstammung an die Stelle des tribalen »Blut«-Nachweises zu setzen, dies hat sich aber noch nicht durchgesetzt.
2 D IE S TR ATEGIEN INDIGENER M EDIEN Über die Finanzierung können Stammesregierungen Druck auf tribale Publikationen ausüben; deswegen ist die Frage, woher ein Medienprojekt sein Geld bekommt, von zentraler Bedeutung für die politische Kultur der Reservation. In Lac Courte Oreilles haben sowohl der Herausgeber des LCO Journal, Paul DeMain, als auch WOJB Wege gefunden, um sich dieser Probleme zu entledigen, indem sie sich auf andere Märkte begeben haben; für eine tribale Publikation scheint es jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine dauerhaft sichere Position in Lac Courte Oreilles zu geben; dies kann sich natürlich auch wieder ändern. Abb. 15 und 16 Die beiden Publikationen der Firma Indian Country Communications von Paul DeMain: News From Indian Country (2007) und Ojibwe Akiing (2004).
Fotos: Cora Bender, 2010.
2.1 Vom LCO J OURN AL zu N E WS F ROM I NDI A N C OUN TRY Das LCO Journal war von Beginn an nicht nur ein politisches Kampforgan in der treaty rights-Kontroverse, es war eine engagierte GemeindeZeitung, der hohe journalistische Standards und erheblicher Arbeitseinsatz des Herausgebers zugrundelagen. Mit Ausgabe 5 im März/April 1978 war die Zeitung schon auf 16 Seiten angeschwollen (1(5), March/April 1978). Man kann davon ausgehen, dass jede einzelne dieser Seiten von allen LCO-Leuten mit Interesse gelesen wurde: 1979 schätzte DeMain die
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Leserschaft auf 3.500 bis 4.000 Leserinnen und Leser, basierend auf einer Abonnentenliste von 700 und einer Auflage von 1.200 Stück pro Ausgabe. In Lac Courte Oreilles war das Blatt an drei Stellen erhältlich, im später aus Lac Courte Oreilles vertriebenen Little Bit of Sweden-Supermarkt, im Log Cabin Store in Northwoods Beach (ein ebenfalls von Nicht-tribal members betriebener Laden) und im Büro der Stammesregierung (EM 12.09.1979). Straus ist der Auffassung, die US-weite Versendung von tribalen Zeitungen sei eine neue Erscheinung (Straus und Valentino 2001: 90), doch das LCO Journal wurde schon 1979 an LCO-Leute in 26 Bundesstaaten der USA und an Abonnenten in Deutschland, Dänemark und Mexiko verschickt (EM 27.06.1979). Mitte 1979 wurde ein fester Preis von anfangs $ 0,40, später $ 0,25 eingeführt und die Erscheinungsweise ab der Ausgabe Oktober 1979 von alle zwei Monate auf monatlich umgestellt. Die kleine Druck- und Kopierwerkstatt stellte außerdem Flugblätter, Werbeannoncen, Visitenkarten u.ä. her. Die Rückmeldung aus den Reihen der LCO-Bewohner, die es nicht gewohnt waren, ihren Anliegen öffentlich Gehör zu verschaffen, war zurückhaltend positiv: »Tribal members are only beginning to utilize the newspaper as a forum to increase inter-tribal, outside and inner-tribal communications. Many members have stopped in at the tribal printing office to provide ideas, dropping off articles and suggesting materials.« (LCOJ March/April 1978) Konflikte mit der hier noch als weitsichtig gelobten Stammesregierung ließen nicht lange auf sich warten; sie waren aufgrund der Doppelfunktion des vom Stamm angestellten Journalisten als ein der tribalen Öffentlichkeit verpflichteter Zeitungsherausgeber und PR-Verantwortlicher von LCO geradezu vorprogrammiert: Because there was a lot of PR information that the Tribal Government wanted to get out to its members which was good information but it was there were certain parts of it that were suspect and there were certain parts of it that certain people tried to censor from time to time. I was fired twice because I did stuff that the Tribal Chairman didn’t like. For example I changed the newspaper from the LCO J OURNAL A MERICAN to the LCO J OURNAL and was fired because I didn’t consult the Tribal Chairman. The Tribal Chairman had named it. I thought »American« didn’t need to be on there. 5 [lacht] There was a big fight at the Tribal Council 5 | Der Untertitel der Zeitung änderte sich mehrmals. Bis Ausgabe 2(6): JulyAugust 1979 heißt die Zeitung L AC C OURTE O REILLES J OURNAL , ohne Zusatz; Ausgabe 2(7) fehlt, aber ab Ausgabe 2(8): October 1979 heißt die Zeitung L AC C OURTE O REILLES J OURNAL : A VOICE OF THE O JIBWA N ATION . Dieser Zusatz wird bis Ausgabe 5(2): February 1982 beibehalten. Dann kommt für eine Weile John Anderson ins Team und der Untertitel der Zeitung ändert sich zu G REAT L AKES I NDIAN N EWS (LCOJ 5(3), March 1982). Bis Ausgabe 5(5): May 1982 heißt es dann G REAT L AKES I NDIAN N EWS , dann verschwindet John Anderson aus dem Impressum und Duane Miller kommt. Ab dieser Ausgabe geht es wieder weiter mit A VOICE OF THE O JIBWA N ATION , so heißt der Untertitel dann bis zur Ausgabe im August 1984, dem letzten Monat, in dem Vickie Bower als Herausgeber fungiert.
S OUVERÄNITÄT level about who would get to name the newspaper’s next issue and all that. (Interview Paul DeMain)
Den ständigen Interessenkonflikt zwischen der Verpflichtung für die tribale Öffentlichkeit und der Loyalität zum Arbeitgeber, der die tribale Souveränität verkörperte, empfand er als große Belastung: I need to be there because the community is counting on me and I have to sort through all the politics, I have to sort through all the money politics and bad feelings. (Interview Paul DeMain)
Allerdings war der Konflikt nicht nur grundsätzlicher Natur sondern auch an die beteiligten Personen und ihre Auslegung von der Natur des Verhältnisses zwischen Stammesregierung und LCO Journal gebunden. Während einige Stammespolitiker ihn zu gängeln versuchten, bestanden andere auf der Ausübung von Pressefreiheit: The Tribal Chairman wanted control. He wanted to read the publication before it went out to see what was in it, make sure it said what he was saying. That’s what the issue raised at the council level: there was people who believed in freedom of the press and in leaving the editor alone, and the Tribal Chairman didn’t like that. (Interview Paul DeMain)
Wenig später spitzten sich die Konflikte zu, als es um den ungeklärten Verbleib von Geldern aus verschiedenen LCO-Programmen ging: I had conflict of interest because I was an editor trying to publish what the truth was and at the same time the Tribal Chairman had his own view of what was going on. I published an article about the FBI investigating and when he was claiming that the FBI wasn’t investigating, I was fired a second time. (Interview Paul DeMain)
In dieser Situation machte DeMain den Sawyer County Record zum Medium der Gegenöffentlichkeit von LCO: In fact I put two different releases out to the S AW YER C OUNT Y R ECORD, one which was the official view of the Tribal Chairman and the Tribal Council who was supporting him, and one was the official view what N EWS F ROM I NDIAN ah the LCO J OURNAL ah public information office knew! (Interview Paul DeMain)
Unter anderen Stammesregierungen hingegen hörten die Beeinflussungsversuche auf und die allgemeine Informationspolitik bekam einen höheren Stellenwert. Verschiedene Tribal Chairmen veröffentlichten regelmäßig Berichte unter dem Motto From the Tribal Chairman im LCO Journal (z.B. LCOJ 3(9), September 1980). Man veröffentlichte die Protokolle der Stammesvollversammlungen (z.B. im LCOJ 3(1), January 1980)
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oder veranstaltete öffentliche Foren zu besonders umstrittenen Themen wie die Einschränkung des allgemeinen Jagdrechts auch für Stammesangehörige.6 There was people here who supported the truth in news over control of news. […] they thought the tribal members had a right to know what was going on in the community and continued to push. (Interview Paul DeMain)
Das LCO Journal wuchs langsam auf 24 Seiten an (1/1980), während es Paul DeMain gelang, mehr Mitwirkende und qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Seit Herbst 1981 arbeitete John Anderson aus LCO, Professor am katholischen College St. Scholastica in Duluth, der später historische Kolumnen schrieb, als Fotograf und freier Autor beim Journal mit. Herausgeber Paul DeMain standen jetzt ein Business Manager, ein Publisher, zwei »Composition«-Verantwortliche und eine Fotoverantwortliche zur Seite, außerdem wurden der LCO-Kolumnist Ed Martin Sr. und ein weiterer LCO-Mann, Pat Baker, als Reporter geführt (LCOJ 4(3), March 1981). Als Paul DeMain Ende 1982 vom damals neugewählten Gouverneur von Wisconsin, Anthony S. Earl, zum Advisor on Native American Issues ernannt wurde und nach Madison ging, geriet das LCO Journal in eine Krise.7 WOJB trat als Finanzier und Sponsor des nun mit einem WOJBLogo geschmückten Journals auf bis im Juli 1987 Paul DeMain zurückkam und die Herausgeberschaft wieder übernahm. Das Layout änderte sich in dieser Zeit personeller und finanzieller Instabilität von Ausgabe zu Ausgabe, auch fielen einzelne Ausgaben ganz aus. In der Tendenz fiel das Blatt auf den Standard des selbstgemachten Newsletters zurück, er6 | Ein Plan, der erheblichen Unmut unter den indigenen Sportsfreunden hervorrief (LCOJ 4(4), April 1981). 7 | Allerdings muss betont werden, dass es auch während dieser instabilen Phase Jahre gab, in denen das LCO Journal interessante und professionell geschriebene Artikel präsentierte. Im Oktober 1985, beispielsweise, begann Rick St. Germaine, zu diesem Zeitpunkt Herausgeber des LCO J OURNAL , eine historische Serie über LCO: »The more I delved into what I call ›pieces of the grand puzzle‹ the more I began to realize how ignorant I am about the world around us.« Für dieses Projekt arbeitete er mit dem Lokalhistoriker Eldon Marple, Präsident der Sawyer County Historical Society, sowie mit Edwin Tainter, John Anderson und Frances DeNasha aus LCO zusammen, »a tribal matriarch who has a big heart« (LCOJ October 1985). In dieser Ausgabe erschien seine Geschichte der Ortschaft Old Post, zusammen mit einem Portrait von Frances DeNasha. Es folgten Artikel über Signor, Whitefish, Odawasagaegun (die frühe Geschichte von Lac Courte Oreilles), Round Lake und Chief Lake. Gleichzeitig schrieb John Anderson Portraits von elders. Saxon Gougé (St. Germaine) griff in einer regelmäßigen Kolumne Themen der historischen lokalen Kultur auf, z.B. »The Great Depression« (LCOJ May 1986) oder präsentierte Themen aus ihrer Lehrtätigkeit, z.B. »American Indian Poetry« (LCOJ June 1986).
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holte sich dann aber leicht, obwohl es den alten Standard erst wieder erreichte, als Paul DeMain (der 1985 hin und wieder Editorials und Berichte schrieb und als »deep threat« im Impressum geführt wurde) mit der in Madison gewonnenen Expertise in seine alte Funktion zurückkehrte.8 Die Entscheidung, wie es mit der Publikation weitergehen sollte, war eine Mischung aus praktischen und ethischen Erwägungen. In der Zwischenzeit waren die progressiven Aktivisten Gordon Thayer und Rick St. Germaine nicht mehr in ihren Ämtern, und die neue Administration von LCO war nicht bereit, die Publikation zu finanzieren. Als man vor der Wahl stand, die Zeitung als Organ der Stammesregierung sterben zu lassen oder in Eigenregie weiterzumachen, entschieden sich Herausgeber und Redaktion gemeinsam, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Dies ist in den wirtschaftlich schwachen und abgelegenen Märkten, als die sich die reservationsbasierten indigenen Medienlandschaften präsentieren, immer noch eine Seltenheit (Michel 1998). Zunächst ging es darum, die Verträge mit Inserenten und Abonnenten zu erfüllen. We formed N EWS F ROM I NDIAN C OUNTRY in 1987. As a private business. We went out and borrowed five thousand dollars for our first computer, advertising for a laser printer so we could print the thing. We did everything manually, I mean all of the paper work was done manually. We didn’t have accounting programs, we didn’t have computers. (Interview Paul DeMain)
Die Anfänge waren mit großen Opfern verbunden, die die Angestellten erbrachten, so meint Paul DeMain, weil sie gleichzeitig auch Anteilseigner der Zeitung waren und an ihr Projekt glaubten. Nachdem man mit größter Anstrengung einige Ausgaben als Monatsblatt herausgebracht hatte, waren schließlich nur noch 40 Dollar auf dem Konto der Zeitung. We had forty dollars in the account – and we says, »what do we do? We go on from this day on or we don’t!« We got everyone a $ 10 check, and they cashed the checks, filled up with gas and came back on Monday to work! (Interview Paul DeMain)
Im Frühjahr gelang es schließlich, im Vorlauf der Powwow-Saison einige Werbekunden zu gewinnen: And by late March and April we started making some good advertising contacts, with the openin’ of powwow-season and everything else. Basically, we survived. (Interview Paul DeMain)
8 | »So really the experience in the governors office, I mean is like a PR and political area, brings you in contact with a lot of personalities and issues, that sort of enhanced my skills as a newspaper editor. Working with the governor of Wisconsin was a good experience «. (Interview Paul DeMain)
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Nicht nur die Powwow-Saison sondern auch ein veränderter Schwerpunkt retteten das Zeitungsprojekt, wie sich Pat Calliotte, selbst nicht indigen, erinnert. Sie arbeitete damals schon bei dem Blatt und ist seitdem seine Mitherausgeberin. Die Idee war, durch eine regionale Verbreiterung des Themenangebots einen größeren Markt anzusprechen, den man als eine Publikation, die auf eine einzige Stammeskommunität fokussiert war, nicht erreichen konnte (vgl. Abb. 15 und Abb. 16). Und dabei stellte sich heraus, dass man eine vergleichsweise große Marktlücke entdeckt hatte: It was Paul’s idea to take the paper regional, and within I’d say the second month [of going regional], we started getting calls from the state of New York, the state of California. People were so hungry for a national native newspaper that it didn’t make any difference that we were only covering the Great Lakes area. It was the closest thing, and they wanted a paper. And it was at that point that Paul and I made the decision that we should go national. (Interview Pat Calliotte)
Das Konzept ging auf. Über die Jahre gelang es DeMain, aus den bescheidenen Anfängen die erfolgreiche Firma zu machen, die sich heute Indian Country Communications nennt. Bei ICC erscheinen die Zeitungen News From Indian Country, Ojibwe Akiing und die monatliche Powwow- und Casino-Beilage Explore Indian Country. ICC vertreibt außerdem Ojibwe-Sprachkassetten und verschiedene andere Ojibwe-Bildungsmaterialien wie z.B. Kinderbücher und hat vor kurzem in Lac Courte Oreilles einen trading post eröffnet, in dem indigenes Kunsthandwerk, T-Shirts, Bücher, Schmuck, ein Internetzugang und italienischer Kaffee angeboten werden (Abb. 17). Abb. 17 Trading Post in Lac Courte Oreilles, 2005.
Foto: Cora Bender, 2005.
S OUVERÄNITÄT
2.1.1 Der Produktionszyklus Das »going national« zu bewerkstelligen, hieß in gewisser Weise auch, sich das Format der US-weit vertriebenen Zeitung anzueignen und es zu indigenisieren. Diese Techniken werden im Folgenden kurz beschrieben. Die Zeitungen werden von insgesamt sechs Mitarbeitern produziert: There’s six of us who put this thing out. Only six, but people seem to think we have a five-story building. We just control the flow of information. (Interview Paul DeMain)
Die ethnische Zusammensetzung des Teams ist fifty-fifty. Paul DeMain ist Oneida-tribal member, Fotografin Kimberlie Hall ist nach eigener Aussage »unrecognized Turtle Mountain Chippewa«, Vertriebsleiterin Kim Mayotte ist LCO-tribal member, ebenso der Graphiker Willard Gouge. Die Sekretärin und die Mitherausgeberin sind nicht indigener Herkunft. Bei der Produktion der Zeitung, die ich für einige Tage vor Ort mitverfolgen durfte, wird die Ausgabe der Zeitung als »space« betrachtet. Zur Visualisierung werden die einzelnen, noch leeren Seiten an der Längswand des Produktionsraums aufgehängt. Es kommt nun darauf an, bis zum entscheidenden Termin, an dem die Ausgabe in Druck geht, zwei Dinge zu tun, die mir als »selling space« und »filling space« erläutert wurden. Das bedeutet, einerseits den noch leeren Raum der Ausgabe mit Artikeln zu füllen und andererseits Werbefläche zu verkaufen. Die Werbeflächen sind grob aufgeteilt in »ads«, d.h. Werbeannoncen, und »classifieds«, d.h. Privatanzeigen. »Filling space« umfasst mehrere unterschiedliche Tätigkeiten, die die Mitarbeiter als »gathering news«, »editing news«, »photos« und »layout« beschrieben. Diese Tätigkeiten gehen parallel vonstatten und bedingen einander, d.h. von der Menge der verkauften Werbefläche hängt ab, wie viele Seiten die Ausgabe umfassen und welche Artikel sie bringen kann. Oftmals wirft ein am Schluss hinzugewonnener oder verlorener Werbeauftrag das Layout mehrerer Seiten über den Haufen.
2.1.2 A S SOCI AT ED P RE S S und die freien Autoren Um das Genre der nationalen und regionalen Zeitung zu indigenisieren, musste man sich zunächst neuer Informationsquellen versichern. Man heuerte freie Autoren an und wurde Kunde bei Associated Press. We started subscribing to A SSOCIATED P RESS , which carries stories from all over. I honestly don’t remember at what particular date we started with the AP. I know that A SSOCIATED P RESS made it possible. We also advertised for people to freelance for us so that we could get more than just A SSOCIATED P RESS . (Interview Pat Calliotte)
Heute bezahlt Indian Country Communications ca. $ 200 monatlich für den AP-Nachrichtendienst, aus dem der überwiegende Teil der aktuellen Nachrichten stammt. Die Summe ist deswegen so niedrig, weil die Re-
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daktion nicht bei AP direkt angemeldet ist, sondern bei einem Zwischenhändler, einem Informationsdienst für Publikationen der Milchwirtschaft (einem in Wisconsin wichtigen Wirtschaftszweig), der die AP-Nachrichten kauft und an seine Kunden weiterverkauft. We pay about $ 200 a month for AP service. They sublease their stories to a number of organizations that allow small newspapers to get it. As normal customers it would be way to costly! This organization that we’re getting our AP news from started as a news service for dairy publications. (Interview Paul DeMain)
AP wiederum erhält seine indigenen Nachrichten von lokalen Mainstream-Zeitungen, die sie an AP verkaufen, oder von eigenen indigenen Reportern. Pat Calliotte über diese reiche Quelle: Pat Calliotte: The value of having all Paul’s AP stories that are in the front section? There’s no where else where you can get that kind of an overview. You could get one of those stories from the paper it was originally published in, but that’s it. So we compile. Cora Bender: It’s so amazing that the main thing is to subscribe to the AP service and just get all the Indian stories out of there. PC: Right – and then throw away 80 % of it because we don’t have room for it. Yah! Interview Pat Calliotte)
Paul DeMain, der für die Auswahl der hard news der Zeitungen zuständig ist, achtet bei der Auswahl nach eigener Aussage auf »diversity, environmental issues, sovereignty, national meetings« und »shorties«: I don’t know if I select that much nowadays. What I’m looking for when I’m selecting news articles is diversity on regions, and issues that are relevant to other tribes and so. Sometimes there’s a lot of real home-town articles done on an issue that don’t necessarily impress me as being something of national significance, so I eliminate them, sometimes there’s hearings being held on something, and there’s stories about some local things that I just don’t think are nationally important. And part of it is I know we only have a certain number of pages. So I’m selecting for diversity across the country, I’m selecting for prominent environmental issues, I’m selecting for prominent sovereignty issues, national meetings, and then we do run a lot of shorties, brief articles what’s up, shortened down. And that brings a little bit of local significance to the paper, that is, someone’s killed in an accident, someone’s indicted, short brief articles that AP runs, that we shorten up even a little more. (Interview Paul DeMain)
Pat Calliotte ist für die Kulturseiten und die freien Autoren zuständig, die die zweite wichtige Informationsquelle für Indian Country Communications darstellen:
S OUVERÄNITÄT Paul feeds me whatever AP stories he comes across while he’s going through, and he gives me maybe twenty stories that have to do with the culture section more that with the news section. I go through and just cut out 80 % of them and work them in with the freelancers. (Interview Pat Calliotte)
Nach seiner Meinung über die Artikel von AP gefragt, äußerte Paul DeMain sich überraschend positiv: We’ve got some people at AP, we got Art Colson, Tom Kelly, there’s three or four AP writers that are native, and they do a good job. What I like about the AP style is the fairly straightforward picture that they sketch, it is actually less biased than much of what tribal writers produce. It is less emotional. (Interview Paul DeMain)
Pat Calliotte dagegen äußerte sich kritisch über AP, möglicherweise weil die Artikel in der Kultursektion weniger kompetent sind als die harten Fakten: AP often has to be rewritten. Not so much in the last few years because now they have Indian reporters. And they’re also better educated about Indian issues. But we still go through and change – they will invariably start their paragraph »state and tribal officials did such and such…«. No! »Tribal and state officials did such and such«. That sounds very nit-picky. But words are very important. And this is a Indian newspaper and we’re gonna tell it Indian way. We do little things like that. It’s not so much changing the words that they use as it’s things like – we always capitalize »Native« and »Indigenous« when »native« means »Native American«, not »native grasses or native plants«. I think those things are very subtle, but they’re very important. I learned that back in the beginnings of the women’s liberation movement, there was a book protesting how they used the word »he« and »man« to mean »everybody«. So this woman wrote a book using »she« and »woman« as the generic – I cannot tell you the impact of that book! […] I try to apply the same kind of thing when I’m editing A SSOCIATED P RESS . (Interview Pat Calliotte)
Die genaue Anzahl der freien Autoren ist schwer zu schätzen; sie liegt bei ca. 40-50, wobei einige davon höchstens ein bis zweimal pro Jahr für die Zeitung schreiben. Ihre Aufgabe besteht darin, Geschichten zu bringen, die AP nicht bringt, z.B. über Bisons, die anscheinend von den Plains über das Plateau bis hin nach Kalifornien ein Thema von panindianischem Interesse sind. We’ve just run three stories on buffalo. One is on the Salish-Kutenai, trying to get more say in the management of the Federal Buffalo reserve that’s on their reservation. The AP reports, except for one, I thought had been biased against that. Our free lancer wrote a very good evenhanded telling-both-sides-kind of story. The second buffalos story was in a Sioux reservation in South Da-
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Weitere wichtige Themen des Kulturteils sind Sprachrevitalisierungsprogramme, die es »immer in die Zeitung machen«; aber auch andere kulturelle Bildungsbemühungen. Anything to get a positive goal to our youth makes it in the paper. Cultural stuff is important. And I think has value. We may be talking about a small tribe in California, who is reviving their basket-weaving. It has applications – there’s basketweavers in tribes all over the US! (Interview Pat Calliotte)
Die Zeitung hat eine vergleichsweise große Sektion mit Buchbesprechungen, für die Pat Calliotte wiederum eine Politik festgelegt hat: I think it’s important to make people aware of what’s out there. I also like reviews that are interesting of themselves in the way that they’re written. […] The main problem that we have, and free lancers and NFIC both suffer from it, is that just because an Indian person writes a book, does not mean it’s good! But at the same time we don’t wanna put down one of our own people who’s gone through hell to get their book published. Which is why I have a rule. Which the Indian people that work here interestingly enough do not agree with me: we do not print reviews on books by white people about Indians. (Interview Pat Calliotte)
Diese Politik entstammt ihren Kontakten zu dem indigenen Schriftstellerverband Word Craft Circle: That’s from my association with Word Craft Circle, which is a native organization of published native writers, who talk about how hard it is to get your book published if you’re native. (Interview Pat Calliotte)
Ihre indigenen Mitarbeiter sehen das allerdings manchmal anders. Die Auswahl wird von dem bestimmt, wofür indigene Leser sich interessieren:
S OUVERÄNITÄT And once in a while they’ll talk me into it – »this is a really good book and we should review it, because it’s important even though it wasn’t written by an Indian person.« [lacht!] This is part of the Dover Book Series, written by white people, and they have the beadwork designs. I’ve seen this book – fantastic! Bead workers will love it! (Interview Pat Calliotte)
Trotz dieser erfolgreichen Umcodierung des Zeitungsformats ist es nicht leicht, für eine indigene Zeitung Großkunden einzuwerben. Die Fotografin Kimberlie Hall, die hierfür zuständig ist: Native America has a buying power of 35 Billion Dollars. However, we don’t have many business advertisers, like Coca-Cola. It’s hard to get those guys. They would rather put 50.000 Dollars in a large mainstream newspaper than 500 Dollars in a small one like us. (Interview Kimberlie Hall)
Obwohl Indian Country Communications der größte und erfolgreichste private indigene Arbeitgeber in LCO ist, haben ihre Publikationen kaum noch eine direkte Bedeutung in lokalen politischen Auseinandersetzungen. Ojibwe Akiing, das Blatt für die Region Minnesota-Wisconsin-Michigan9, wurde 1997 ins Leben gerufen, weil es seit dem Eingehen des LCO Journal keine über längere Zeit verlässlich erscheinende Stammespublikation gegeben hatte. Aber aus LCO bekommt man für Ojibwe Akiing auch Kritik: There are many people they say our paper is too hard to read, because it’s geared for high school and college level reading. They say there’s not enough about LCO in there. (Interview Pat Calliotte)
Tatsächlich wendet man sich an eine Leserschaft, das durch die institutionalisierte indigene Wissenskultur erst entstanden sein dürfte, ein indigenes Bildungsbürgertum: I like to call it a very select group of readers. People who are interested in other tribes and what they are doing. People who are interested in a national perspective as opposed to only a local perspective. People who have some education, or people who enjoyed their education while they received it, would be a better way to say it. And that’s not everyone. And we don’t aim to be for everyone. (Interview Pat Calliotte)
9 | Tatsächlich erreicht man mit der Regionalpublikation ein ganz anderes Publikum als mit der nationalen N EWS F ROM I NDIAN C OUNTRY. Nach Auskunft von Pat Calliotte lesen über 90 % der Leser von O JIBWE A KIING die überregionalen N EWS F ROM I NDIAN C OUNTRY nicht.
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Abb. 18 Paul DeMain, Zeitungsherausgeber und Journalist, bei einer Diskussionsveranstaltung am Lac Courte Oreilles Community College, 2000.
Foto: Cora Bender, 2000.
2.2 »Covering the rez« – weitere Zeitungen von Lac Courte Oreilles Ein indigenes Massenpublikum versuchte der zeitweilige Herausgeber einer Reservationszeitung von Lac Courte Oreilles, Joe Morey, zu bedienen (Abb. 19 und Abb. 20): Paul and I, we’re getting on pretty well. We don’t cross paths in bad ways because we are kind of totally different papers, really. He sells it for two dollars, that eliminates that core that I’m reachin’ out to. It’s a specific audience, you know. Mine is more really the core of the rez. I wanna hit the main people within the rez who aren’t out there, just the average folks, that’s the ones that I wanna hit. The average folks who don’t have money, who don’t have the high jobs around the reservation. (Interview Joe Morey)
Nachdem Paul DeMain 1987 das LCO Journal in News From Indian Country verwandelt hatte, gab es einige Jahre lang keine Zeitung für die Reservation, bis 1993 das Lac Courte Oreilles Community Journal erschien, das von Mic Isham, der zeitweise auch als stellvertretender Tribal Chairman fungierte, herausgegeben wurde und bis zum Juni 1997 regelmäßig erschien. Danach wurde das Lac Courte Oreilles Community Journal mehr oder weniger eingestellt. Im August 1997 erschien die LCO Times, herausgegeben von Joe Morey aus LCO, der das Blatt mit den Resten des LCO Community Journal fusionierte und ab Januar 1998 als LCO Journal Times herausbrachte. Im März 1999 startete Morey die wöchentliche Chippewa Sun, mit der er versuchte, nicht nur Lac Courte Oreilles, sondern auch St. Croix, Bad River, Lac du Flambeau und Red Cliff zu erreichen. Doch die Chippewa Sun ging im September des gleichen Jahres ein. Morey verließ die Reservation, um im Mai 2000 zurückzukehren. Im
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Juli 2000 startete er die Times of Lac Courte Oreilles, die mindestens bis Ende 2002 als wöchentliches Blatt erschien. Ich hatte im Januar 2001 Gelegenheit zu einem Interview mit ihm. It’s tough around here. It’s such a small community, it’s so political, everything’s different in a tribe, on a reservation, than it is in other communities. Every week I make one group of people happy, and one group of people hate me. And the following week that group that hates me, they love me, and that other group is mad at me [lacht]. Every time I go somewhere, somebody’s just tap me on the shoulder and tell me something. But I get more compliments than I get complaints. People enjoy the paper. And even the ones that get mad at me they still enjoy the paper and love to have the paper out every week. (Interview Joe Morey)
Seine wöchentliche Arbeitsroutine sah vor, dass er dienstags auf Informations-Sammeltour durch die Reservation fuhr: Cora Bender: When you go out and gather news, how do you do that? I mean, locality plays a role, so you’re working out of your house right now, so how do you get the info? Joe Morey: People call me or they’ll run into me out in the open public. CB: But what is the public in LCO? Because everybody is either at their workplace or at home or in their cars, where do you meet them? JM: There is a couple of contact people at the school. I have a mailbox there, and they put all the stuff in the mailbox that they want in the paper that week, like pictures. I go to the Health Center and the Tribal Office and the college, and then I would go to the commercial center and I would get the ads from there. I have a mailbox at the commercial center where people mail me stuff. So that’s my little route. And along that route, I run into people talking to me. So what should take me an hour, takes me a few hours, because I end up in offices talking to people, finding stuff out, and everybody wants to talk, that’s pretty much how it happens. And then they tip me off, you know »this would be a good idea for a column«. That’s pretty much how I get it. (Interview Joe Morey)
Zu dieser Zeit war das Blatt der Theorie nach privatwirtschaftlich, also durch Anzeigen finanziert. Im Gegensatz zu anderen Reservationen, wo elaborierte Stammeszeitungen unter nicht unerheblichem Finanzeinsatz als PR-Organe herausgegeben werden, hat sich in Lac Courte Oreilles seit dem alten LCO Journal keine professionelle, vom Stamm finanzierte Zeitung mehr etablieren können. Dies führten einige Gesprächspartner auf den Unwillen der Stammesregierung zurück, Geld für eine Publikation auszugeben, mit der man sich – wie mit Paul DeMains LCO Journal – nur öffentlichen Ärger einhandelt. Ein Stammespolitiker begründete dieses Desinteresse der Stammesregierung grundsätzlich:
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE Cora Bender: Why doesn’t the tribe pay for a tribal publication? Many tribes have one! Antwort: Actually, we have a couple times. But what happens with that it becomes a more of a kind of a propaganda tool. You know it’s funded by the government, so therefore they say what’s in it. And I believe the press should always be a free press. […] I don’t think that tribal funds should fund a free press. (Anonym)
Joe Morey versuchte, das Reservationsblatt als kleines Privatunternehmen über die Runden zu bringen. Seine größten Anzeigenkunden waren das LCO Casino und das LCO Commercial Center: Those two advertisers, and Grindstone Creek10, that pays for all the production of the paper. And the advertisements beyond that are profit every week. (Joe Morey)
Über die Schwachstellen dieses Finanzierungsmodells sprach Morey illusionslos. Er schilderte offen die Schwierigkeiten, in die er geriet, sobald es darum ging, über Probleme im Zusammenhang mit den Anzeigenkunden zu berichten. Ein Vorgang, der sich jüngst zugetragen hatte, war ein Streit zwischen der Belegschaft und der Leitung eines Stammesbetriebes. Jemand hatte einen Leserbrief geschrieben und wollte diesen in der Zeitung veröffentlicht sehen: It was a very horrible letter, it was very bad, attacking the management of the enterprise. (Interview Joe Morey)
Er konnte diesen Brief nicht einfach veröffentlichen, er konnte die Veröffentlichung aber auch nicht rundheraus ablehnen, wenn er es sich nicht mit der dahinter stehenden Interessengruppe verscherzen wollte: If I would have printed it, yeah, there would have been a situation well, here, o.k., it’s one of my advertisers, am I gonna print a letter that’s gonna tear him to pieces, but yet this group of people have standing in the community, too. How are they gonna interpret it? (Joe Morey)
Das Ergebnis von zuviel journalistischem Eifer: I’m in a tough situation. If I get them all mad at me, then, you know, they’re not gonna make it obvious. Slowly I’m gonna run into these big walls. (Interview Joe Morey)
10 | Hierbei handelt es sich um die kleine Spielhalle (»Casino«) im Einkaufszentrum.
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Als Ausweg aus den Konflikten um seine Berichterstattung hatte er im Januar 2001 für seine Zeitung ein Editorial Board, also ein Aufsichtgremium, zusammengestellt, in dem neben ihm und seiner Frau noch drei Mitglieder tätig waren, ein späterer TGB-Abgeordneter, der damals noch in der LCO Schule arbeitete, eine Frau aus der Stammesverwaltung, die als Kolumnistin für die Zeitung schrieb, sowie seine Tante, die er als elder unbedingt brauchte: And then my aunt is an elder. So I just asked her to be on it, too, cos she’s pretty well into the ways of the elders, and I wanted to have an elder on there, just to get in there, how they feel about things. (Interview Joe Morey)
Das Editorial Board sollte ihm in schwierigen Fällen Rat geben, wie er sich zu verhalten hatte: This way I have something to fall back on and say: »Well, it wasn’t me. Three out of five people decided that this is better for the paper, better for the community, better for you.« (Joe Morey)
Das Problem mit dem Leserbrief ließ sich mit Hilfe des Editorial Board in den Griff kriegen: Joe Morey: So I did this, I went to the board, and what they decided was, cut out half of that letter. The beginning part makes sense, the end makes sense, the middle is just attack. Cut it out and print it that way, that’s what we do. And it made him look better, it made the people who were doing the attacking look better, from my point of view, the letter made sense. Cora Bender: So did you talk to that person who wrote that letter before you printed it? JM: I tried but I couldn’t get hold of him. CB: So you just cut that out and printed it. And did you get any reaction by that person? JM: Nope, he never did come back and said anything about that so I think in the end maybe even he knew the letter looked good after we edited it that way; if I would have printed it the way it was it would have made him look bad, just for attacking somebody that way, and it would have made my advertiser look bad, being attacked that way. And it’s a small community like that, what am I gonna do if I if I don’t print that letter at all, I got that side mad, and if I print it, I got this other side mad at me, so I took the middle road. (Interview Joe Morey)
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Abb. 19 und 20 Zwei lokale Zeitungen von Lac Courte Oreilles, das Lac Courte Oreilles Community Journal (1997) und the Times – Lac Courte Oreilles (2000).
Fotos: Cora Bender, 2010.
2.3 WOJB – Radio von »Indianern« für »Weiße«? Das Verhältnis zwischen der Radiostation WOJB und den Stammespolitikern ist noch komplexer als das zwischen Zeitung und Stammespolitik, weil der Aufwand, die Station zu installieren, zu finanzieren, Personal zu gewinnen und Senderoutinen zu entwickeln, so viel größer war und LCOPolitiker und andere Mitwirkende aus der Reservation tiefer in diese Prozesse involviert waren als im Falle der Stammeszeitung. Beeinflussungsversuche seitens der Stammesregierung stellen sich anders dar als im Fall des LCO Journal; sie sind interessanterweise weniger auf die politische Berichterstattung gezielt als auf das Musikformat.
2.3.1 WOJB und die Professionalisierung der Stammespolitik In der Literatur über die verschiedenen Indianerpolitiken der US-Regierungen wird der Regierung Jimmy Carter in der Regel kein nennenswertes Profil zugebilligt. Doch Präsident Carter hat möglicherweise mit seinem Native American Stimulus Program kaum weniger Einfluss auf die Verhältnisse in Nordwest-Wisconsin ausgeübt, als die Regierung Reagan mit dem Gesetz über indigenen Spielbetrieb. Als diese Gelder bereitgestellt wurden, bewarb LCO sich mit einem Ausbildungsprogramm in Telekommunikation, das im April 1978 bewilligt und mit $ 140.000 aus dem Budget des US Department of Labor finanziert wurde. Das Bewerbungsverfahren war kompetitiv: nur 119 von 300 indigenen Anträgen erhielten Unterstützung (SCR 26.04.1978). Hieraus wurde vier Jahre später die Radiostation WOJB. Als die Station 1982 auf Sendung ging, hatte sich der politische Wind bereits gedreht: in Washington regierte nun Ronald Reagan, der die Deregulierung des Medienmarktes vorantrieb. Im Juni/ Juli 1978 wurde das LCO Telecommunications Program im LCO Journal inhaltlich vorgestellt. Es sollte einen von der US Civil Rights Commission kritisierten Mangel an Minderheitenbeteiligung im Rundfunk beheben helfen:
S OUVERÄNITÄT »One need only to turn on his T.V. set to note that Indian role models on television, films, news, and sports broadcast are sorely lacking. The United States Civil Rights Commission has documented the lack of minority participation in broadcasting and indicates that this deficiency in participation is even more pronounced amongst American Indians.« (LCOJ 1(7), Fall 1978)
Im September 1979 reichte das LCO Tribal Governing Board einen Antrag auf Genehmigung eines Grants von $ 10.000 zur Teilfinanzierung einer Durchführbarkeitsstudie (feasibility study) bei der staatlichen Telekommunikations- und Informationsbehörde im Handelsministerium ein. Es ging um den Bau und Betrieb einer regionalen, nicht-kommerziellen Radiostation, die die »public telecommunication needs« der Reservationen Lac Courte Oreilles, Bad River, Red Cliff, Lac du Flambeau, Fond du Lac, St. Croix Ojibwe sowie der »non-Indian communities in the area« dienen sollte.11 Kurze Zeit später, am 11.10.1979, ging bei der Federal Communications Commission ein Antrag auf Genehmigung einer neuen Radiostation ein. Die nicht-kommerzielle, dem öffentlichen Bildungsauftrag verpflichtete FM-Radiostation sollte in Reserve, Wisconsin, auf Kanal 205 bei 88.9 Megahertz mit einer Sendeleistung von 100 Kilowatt arbeiten. Der Transmitter sollte sich zwei Meilen östlich von Reserve befinden, das Sendestudio im tribal office in Reserve (es wurde tatsächlich zuerst in der LCO High School untergebracht). Betreiber der Radiostation war die Lac Courte Oreilles Public Broadcasting Corporation, die in vollständiger Übereinstimmung mit den Statuten der LCO Verfassung als »nonprofit corporation« für die Aufsicht über die Radiostation gegründet worden war (SCR 17.10.1979). Schon im Februar 1980 hatte man gehofft, der erste Sendetag von WOJB werde im Dezember sein (LCOJ 3(2), February 1980). Im Februar 1980 begab sich der stellvertretende Tribal Chairman Gordon Thayer12 , der als offizielle Health, Telecommunications und Social Service Liaison im TGB fungierte, auf einen dreitägigen Lobbytrip nach Washington13; am 12.03.1980 erhielt LCO Bescheid von der Corpo11 | »File No 116-P/C-790112-P, was accepted for filing on June 7, 1979 under provisions of Title III, Part IV of the Communications Act of 1934, as amended (47 U.S.C. 390-94-397-99, and in accordance with CFR Part 2301.« (SCR 12.09.1979) 12 | Gordon Thayer wurde im September 1980 zum Tribal Chairman gewählt. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er bereits seit 1977 im Tribal Governing Board, hatte vorher bei einer sozialen Einrichtung namens United Indians Inc. in Minneapolis gearbeitet, und war Chairman des Indian Advisory Committee to the State Department of Health and Social Services. In seinem Leben war Thayer mit der U.S. Air Force in Vietnam gewesen und hatte sich mehrere Medaillen zusammengeflogen (LCOJ 3(9), September 1980). 13 | »The purpose of this trip was to lobby for the proposed radio station, commercial center, and seek additional funding support for our youth, elderly and alcohol programs.« Auf dieser Reise besuchte man Congressman Obey und Se-
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ration for Public Broadcasting, dass der Stamm einen Support Service Grant von $ 152.500 für die Errichtung der Station erhielt. Dieser Grant war einer von neun verschiedenen Grants, um die 75 Antragsteller sich in diesem Jahr bemüht hatten (LCOJ 3(3), March 1980). Im August 1980 meldete das LCO Journal, dass die FCC zwei indigenen Kommunitäten die Baugenehmigung für einen Mittelwellensender erteilt hatte, wovon der eine WOJB werden sollte (LCOJ 3(8), August 1980).14 Die Bauarbeiten, die im Januar 1981 begannen, hatten auch Auswirkungen auf Siedlungsstruktur von LCO, die man an die Erfordernisse und neuen Möglichkeiten durch den Sender anzupassen versuchte. In Verhandlungen mit der lokalen Energieversorgerfirma stellte sich heraus, dass der Stamm Geld sparen konnte, wenn die Stromversorgung für den Radiotransmitter mit der für geplante Neubauprojekte gekoppelt werden konnte. Also verlegte man geplante Projekte auf Plätze entlang der Stromversorgung für die Radiostation (LCOJ 4(1), January 1981). Das durch die Carter-Regierung mit Anschub versehene tribale Telekommunikationsprogramm sah sich aber, bevor WOJB überhaupt auf Sendung gehen konnte, nach dem Antritt der Regierung Reagan mit ernsten Finanzproblemen konfrontiert: Tribal Chairman Gordon Thayer und der Projektleiter der Radiostation, Bob Albee (selbst kein Ojibwe) begaben sich auf weitere Lobbytrips nach Madison, die Hauptstadt von Wisconsin (LCOJ 4(4), April 1981). Man hatte anscheinend Erfolg, denn einen Monat später erhielt LCO für sein Radioprojekt einen Grant in Höhe von $ 75.000 von einer katholischen Stiftung, die sich Campaign for Human Development nannte. Vor der Stiftung musste man die Ziele, die man mit dem Projekt verfolgte, rechtfertigen: »The grant was made as part of the U.S. Catholic Conference mission to enable low-income communities to attack the underlying cause of poverty. According to Gordon Thayer, tribal chairman and president of the L AC C OURTE O REILLES O JIBWA P UBLIC B ROADCASTING , ›communications between Indians and non-Indians is becoming increasingly important for proper understanding among people. Many of the issues facing Indian people are the very same ones which non-Indians must face, such as inflation, government spending, environmental preservation and recreation, employment, energy, housing and cultural identity. It is time that all people of the region begin to face these realities together and provide support for one another.« (LCOJ 4(5), May 1981)
Dies stieß in der katholischen Kirche nicht auf ungeteilte Zustimmung. Manche Kirchenmitglieder kritisierten die Verwendung der in den Genator Nelson und diskutierte u.a. die »Tom Poss controversy«, den Stand der Verhandlungen um die Chippewa Flowage sowie Fragen des »progress of our tribe in general« (LCOJ 3(3), March 1980). 14 | Im zweiten Fall handelte es sich um eine Erweiterung der Sendeleistung von KTDB, seit 1972 Radiostation der Ramah Navajo Community in New Mexico.
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meinden gesammelten Spenden für etwas so kirchenfernes wie eine indianische Radiostation (Catholic Herald, zitiert in: LCOJ 4(5), May 1981). Besorgt über den feindseligen Tonfall antwortete Gordon Thayer, die Idee sei unter der Regierung Jimmy Carter gewesen, Telekommunikation als ökonomischen Stimulus für »rural« und »minority areas« zu fördern. Er legte dar, wie sehr der Planungsprozess schon zur Professionalisierung der Reservation beigetragen hatte: Man habe sich nach der Beteiligung an dem durch das Department of Labor geförderten Telecommunications Program an andere Institutionen gewandt, mit denen man vorher nie in Kontakt gewesen sei, nämlich z.B. die Corporation for Public Broadcasting, National Public Radio, private Stiftungen und andere Entitäten, um durch proposals an zusätzliche Gelder zu kommen. Man habe bereits $ 20.000 in ein Versuchsstudio gesteckt, das in der LCO Schule operiere (LCOJ 4(12), December 1981). Das Interesse im Stamm sei groß gewesen, man habe für Kinder und Erwachsene Kurse eingerichtet, in denen Programmplanung geübt wurde, und schließlich sei über das intercom-system der High School jeden Mittag eine von Schülern gemachte Sendung mit Musik, Nachrichten und Kommentaren gelaufen. Viele Leute zweifelten immer noch, ob WOJB schließlich irgendwann Wirklichkeit werde, schließlich sei von den Entwicklungen nichts zu sehen, wie das Commercial Center, dessen Bau man verfolgen könne. Der Bedarf nach guter, klarer und akkurater Berichterstattung sei groß auf der Reservation, da im System des moccasin telegraph – der geläufige Ausdruck für die orale Kommunikation in Reservationsgemeinden – viele nicht immer ganz korrekte Gerüchte zirkulierten. Im Dezember 1981 wurde der 405 Fuß hohe Radiotower fertiggestellt, am 03.04.1982 war es dann schließlich soweit. Vom 05. April bis zum 03. Mai sendete die Station ein verkürztes Programm von 16.00 Uhr bis 01.00 Uhr nachts; ab dem 03. Mai dann begann das reguläre Programm von 18 Stunden Sendezeit täglich und einem täglichen Sendebeginn von 06.00 Uhr früh. Die Einbindung in die Kommunität von LCO wurde im Juli 1983 am Rande des Honor the Earth Powwow, das von WOJB zugleich auch zum ersten Mal live übertragen wurde, im Rahmen einer »WOJB Dedication Ceremony« rituell sichergestellt. Paul DeMain als Berater des Gouverneurs kam extra aus Madison, zusammen mit dem Gouverneur von Wisconsin, Earl, der bei der Zeremonie persönlich anwesend war (SCR 20.07.1983). Bei dieser Gelegenheit wurde das Wort von der »Brückenfunktion« der Radiostation geprägt. Laut Sawyer County Record kam es von Tribal Council-Mitglied James Schlender: »WOJB-FM was seen as a ›bridge for understanding between non-Indians and Indians‹.« (SCR 20.07.1982) Schlender nannte die Radiostation außerdem ein »tool for self-determination«. Tribal Chairman Thayer sprach davon, wie sehr sich durch das Honor the Earth Powwow und die Radiostation die Reservation über ihre früheren engen Grenzen hinaus erweitert habe:
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Der Gouverneur, wahrscheinlich von Paul DeMain beraten, antwortete im Geiste der Völkerverständigung: »Governor Earl said that the State of Wisconsin ›wants to cooperate with you. For a long time, communication has been pretty one-sided. Indian persons haven’t had the same opportunity to get their message across and have people recognize their culture and explain what is happening on the reservation.‹ The station is ›not just inward-looking, but looks also to the other areas of northern Wisconsin, Minnesota and Michigan‹, he said.« (SCR 20.07.1982)
LCO-Kolumnist Ed Martin schildert die Zeremonie, die von den elders Archie Mosay und Pipe Mustache sowie von einem protestantischen Geistlichen geleitet wurde. In seiner Aufzählung stehen vorher unscheinbare LCO-Leute wie Mosay und Mustache an gleich prominenter Stelle wie der Gouverneur von Wisconsin: »WOJB’s grand opening was Saturday, July 16. Opening was by Walt Bresette, invocations were by Archie Mosay, Pipe Mustache and Rev. Marvin Wilbur, introductions were by Eugene Begay, a welcome was given by Gordy Thayer, and the introduction of Governor Earl was by Paul DeMain. The King Fisher Singers sang. Governor Earl was given a scissors by Gordon Thayer to cut the ribbon. From there on, it was open house. Luncheon was served, and the staff answered many questions. The logotype for WOJB was designed to reflect the origins of the people who created this unique public station. The call letters, W-O-J-B, represent Wisconsin OJiBway. The symbol within the O is a stylized Thunder Bird, one of the spirits (or ›Manitous‹) of traditional Ojibway culture.« (EM 20.07.1983)
Die große Bedeutung, die die Implementierung der Radiostation – über die in Programmen und Anträgen formulierten Heilserwartungen hinaus – für die Stammespolitik hatte, ist klar; sie bewirkte einen ungeahnten Professionalisierungsschub. Keiner der Beteiligten ahnte damals, als wie treffend und gleichzeitig wie konfliktträchtig sich die doppelte Positionierung der Radiostation als »Brücke zwischen den Kulturen« und als »Werkzeug der Selbstbestimmung« noch erweisen sollte.
2.3.2 WOJB: Konflikte um Finanzierung und Musikformat Im Juli 1982, knapp zwei Monate nach seinem ersten Erscheinen on the air führte WOJB den ersten membership drive durch, bei dem
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in dreieinhalb Tagen $ 11.000 eingeworben wurden. 15 Bei diesem ersten pledge drive deutete sich schon die zukünftige Ausrichtung der Radiostation an: »About 80 % of the pledges came from the non-Indian community and the mostoften mentioned programming was the Indian-related material and programs from the C ANADIAN B ROADCASTING C ORPORATION which WOJB airs each day, according to [General Manager] Hall.« (SCR 04.08.1982)
Das bedeutet, die Radiostation spielte mit indigen orientierten Sendungen Geld ein, das zu über 80 % von einem nicht-indigenen Publikum gespendet wurde, und machte sich damit auf Dauer finanziell unabhängig von der Stammesregierung. Tatsächlich scheint es vor allem das Musikformat gewesen zu sein, für welches das Publikum sich begeisterte. WOJB machte mit seiner ungewohnten Mischung aus Powwow-Klängen, Folk-Musik und Chicago-Blues eine Punktlandung in einer großen Marktlücke im an Radioformaten nicht sehr diversifizierten Nordwesten von Wisconsin. Dick Brooks, späterer General Manager der Radiostation, erinnert sich: The atmosphere at WOJB was very upbeat, very positive. We had no money to operate on! I said let’s go on the air and ask our listeners for money. We signed on in April, we went on the air on July 4 to ask our listeners for money. It was incredible, the money just poured in! The response of that first fundraising was absolutely phenomenal! We had really, really touched a nerve. WOJB didn’t just bring the Voice of the Ojibwe Nation, it also brought the voice of the local musicians, local people, and local artists, local politicians, it was so unheard of, and it brought the voice of the Chicago Blues and folk music from around the world, it just opened up the entire northwestern Wisconsin community to all kinds of music that were never commercially viable on the local radio stations. And this was extremely well received, and people really liked the idea that it was coming from the reservation! (Interview Dick Brooks)
Durch die pledge drives wurde außerdem die dreimal jährliche aktive Erneuerung der Anbindung dieses Publikums an die Radiostation und an LCO sichergestellt. Zu Beginn des Jahres 1985 geriet WOJB in eine schwierige Finanzlage, weil die Anschubfinanzierung auslief und die Station nun die volle Wucht ihrer doppelt marginalen Position als Minoritäten- und Provinzradio zu spüren bekam, so schilderte es der damalige General Manager Joe Goldman in einem Interview mit dem Sawyer County 15 | Membership drives oder pledge drives sind eine Methode der Geldbeschaffung für Community Radio oder Public Radio, bei denen kampagnenartig tagelang die bekanntesten Moderatorinnen und Moderatoren des Radios über Gründe reden, warum die Hörerschaft der Radiostation Geld überweisen soll. Der Grundton ist zuweilen sehr humorvoll, zuweilen aber auch beabsichtigt enervierend, nach dem Motto: »Wir hören nicht auf, bis wir unser Geld zusammen haben.«
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Record.16 Dick Brooks, der an der Krisenintervention und Neukonzeption beteiligt war, sah allerdings auch Probleme in der Programmpolitik und im Musikformat: WOJB traditionally has news in the morning, when we have our heaviest listener ship. Basically, the programming is built around a morning and afternoon drive time with news. During the day there’s a fairly free eclectic mix of music, and then at night it broke down into Blues on Monday, Powwow music on Tuesday. We used to have Powwow music on Tuesday, Thursdays and Sundays. (Interview Dick Brooks)
Das bedeutet, man hatte im Prinzip ein eklektisches (d.h. freies) bzw. World Music-Format mit einem besonders hohen Anteil an PowwowMusik. Any station that deals with racism, with military madness, that deals with peace and justice issues, that deals with music as an art rather than just a commercial medium is progressive by definition. (Interview Dick Brooks)
Dies ist aber nicht unbedingt die Musikrichtung, die indigene Radiohörer bevorzugen. Ähnlich wie ich es 1997 bei meiner Feldforschung bei den Navajo im Südwesten der USA festgestellt habe, bevorzugt auch in Wisconsin das mittlere bis ältere Alterssegment der Reservationsbevölkerung traditionelle Country & Western-Musik oder Rock’n‘Roll der 1950er Jahre. Anscheinend versuchte der Stamm es eine Weile lang mit diesem Musikformat. In the time after I left WOJB started playing Country & Western music, which I felt was a total mistake! It is a tribal radio station, either we act like one, or what’s the point? (Interview Dick Brooks)
Country & Western ist ein Musikformat, das in den USA traditionell von privatwirtschaftlich betriebenen Radiosendern bedient wird, die wiederum wenig Anlass hätten, ihre Werbeträger mit Sendungen für indigenes Publikum oder mit aktivistischer Berichterstattung zu konfrontieren. Es scheint also, als ob WOJB eine Weile lang den Spagat zwischen einem Counry & Western-Musikformat und indigen orientierten Wortsendungen versucht hätte. Das Problem bestand darin, dass das progressive weiße Segment in Nordwest-Wisconsin, das Geld für ein alternatives, eklektisches Musikformat ausgab, sich für die Country & Western-Charts nicht interessiert. Dick Brooks war der Meinung, dass man sich, wenn man das Format der Kommerzradios annimmt, an ihnen messen lassen
16 | »The double whammy of being both a minority radio station and one in a rural area« (SCR, 02.01.1985).
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muss, und dass die Radiostation dadurch eine Zeitlang an Kenntlichkeit im Äther einbüßte: When you’re run by volunteers and you sound like everybody else, you don’t sound as good! WOJB still has a lot of rough edges around a unique program. (Interview Dick Brooks)
Durch dieses Problem wird vor allem deutlich, dass der Selbstkonstruktion – auch im Rahmen einer anscheinend so simplen Angelegenheit wie der Diskussion des Musikprogramms – Grenzen gesetzt sind. Mit der Entscheidung über das Musikprogramm fällt zugleich eine viel weiterreichende Entscheidung, nämlich die Selbstzuordnung in einen nationalen Kanon der Radioformate, die auch politische Bedeutung haben. Country & Western-Formate sind politisch konservativ; eine politisch progressive Programmausrichtung kann sich nicht mit einem Musikformat auf den Markt begeben, das ein konservatives Publikum bedient, und umgekehrt. Eine Ausnahme ist hier die Radiostation der Navajo Nation, KTNN, die progressive Nachrichten mit Country & Western-Musik zusammen präsentieren kann, weil sie ein geschlossen siedelndes und ausreichend großes Publikum von mehr als 200.000 Navajo bedient. Mithilfe der von Dick Brooks und Sandy Lyons gegründeten Firma »Lyon-Heart Productions« aus Springbrook (Wisconsin) machte WOJB sich an die Neustrukturierung des Programms. Ziel war: »target under-served audiences.« Damit waren erstens Senioren gemeint, in zweiter Linie Frauen, in dritter Linie die indigene Bevölkerung im Sendegebiet, die man auf ca. 5.000 schätzte. Als viertes Zielpublikum wurden potentielle Hörer ausersehen, die man diplomatisch als »people who are concerned with the region’s outdoor environment« bezeichnete. Mit dieser Wortkombination von outdoor und environment wird auf die pragmatische Kooperation des Stammes mit den Sportanglern in der Umweltpolitik angespielt. Zu dieser Zielbestimmung gab es aufgrund der Sendeleistung von WOJB keine Alternative: The thing is, WOJB was thought of as a local station, so ideally a 100-Watt station would have covered the reservation, but they decided to have a 100.000 Watt station, and that covers up to a hundred miles a way, which is a totally different audience! (Interview Dick Brooks)
Hier macht das Medium die Message: WOJB had the mission to be a bridge between the two cultures. It has brought thousands of people to the reservation, it has made hundreds and hundreds of friends with LCO, Red Cliff and the Ojibwe people that never existed before. It broke down a lot of barriers, it made inroads, made conditions much better, and that feels good! It’s still there, still alive. (Interview Dick Brooks)
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Brooks war nach eigener Auskunft der einzige nicht-indigene Leiter, den die Radiostation je hatte (möglicherweise hat er den Gründer, Bob Albee aus Minneapolis, vergessen). Brooks wichtigster Beitrag zu WOJB waren seine Bemühungen, die Einkommensbasis der Station zu verbreitern, meint der Sawyer County Record. Tatsächlich gaben Dick Brooks und seine Frau Sandy Lyons, die zusammen eine ganze Reihe preisgekrönter Programme für WOJB produzierten17, der Station mit dem neuen Finanzierungsmodell auch ihr jetziges Profil. 1985 erhielt die Station ca. 30 % ihres Einkommens vom LCO Tribal Government und nur zu 8 % von den Hörern. Im Jahr 1991 waren es nur noch 2 % durch das Tribal Government und 35 % von den Hörern.18
17 | Darunter z.B. die Dokumentation »Mending the Broken Hoop: The 100th Anniversary of the Wounded Knee Massacre«, für die das Paar 1991 den Golden Reel Award erhielt (SCR 21.08.1991). 18 | »Member support increased from $ 18.394 in 1985 to $ 169.316 last year. Other income last year came from foundations ($ 22.093), business underwriting ($ 40.226), the Corporation for Public Broadcasting ($ 75.002), special events ($ 27.370), the LCO government ($ 5.000), and other sources ($ 18.554).« (SCR 21.08.1991)
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1 E INFÜHRUNG Im Folgenden soll anhand einer Fallstudie von WOJB ein Blick auf das Medium selbst geworfen werden (Abb. 21). Die verschiedenen Dimensionen eines Mediums – Produktion, Publikum, Inhalte – lassen sich m.E. am besten in einer integrierten Weise darstellen, wenn das Medium als Arbeitsplatz begriffen wird, womit zugleich ein Forschungsdesiderat angesprochen wird (vgl. Dracklé 1999; Ginsburg 1994; Dreßler 2008). Das Ziel der Darstellung ist nicht, die verschiedenen Dimensionen des Mediums einzeln abzuhandeln und getrennt voneinander erschöpfend darzustellen. Der Fokus liegt vielmehr auf der sozialen Interaktion der Medienproduzenten, die zwischen Produktion, Publikum und Inhalten vermitteln. Tatsächlich scheint es so, dass die menschliche Arbeit jene Tätigkeit ist, welche die für die Forschung methodisch so schwierig überwindbare Grenze zwischen dem Medium als virtuellem Raum und der Materialität seiner Produktion ständig passiert (vgl. Miller und Slater 2001). Für die Gelegenheit, einigen Medienproduzenten bei WOJB und anderen indigenen Medienprojekten bei der Arbeit zuzuschauen und hinterherzulaufen, bin ich den Beteiligten zu großem Dank verpflichtet. Die dabei entstehende Reflexivität stört den Arbeitsprozess doch erheblich, der in Medien meist unter Zeitdruck stattfindet. Sie bedeutet auch einen Einbruch in die Blase subjektiver Arbeitsintimität, in die sich selbst in einem Großraumbüro alle zurückziehen. Im Ensemble der Verwaltung von Lac Courte Oreilles liegt das Gebäude des Tribal Office tatsächlich in unmittelbarer Nachbarschaft der Radiostation, ein so kurzer Weg, dass ihn auch im autogeprägten Mittleren Westen jedermann zu Fuß zurücklegen würde – wenn denn zwischen diesen beiden tribalen Entitäten Kontakt bestünde. Als ich im Herbst 2002 für weitere Recherchen bei WOJB zu Gast war, hatte die Kommunikation zwischen dem Tribal Council und der Radiostation, die nie besonders geschmeidig war, vollständig aufgehört. Das einige Jahre zuvor eingesetzte tribale radio board, ein Aufsichts- und Ratgebergremium, war praktisch nicht existent.
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Bei WOJB erklärte man mir: They basically leave us alone. (Tagebuchnotiz)
2 S ENDUNGEN Der außergewöhnliche Klang von WOJB, der aus dem Radio-Ensemble der kommerziellen Sender und dem auf Klassische Musik spezialisierten Bildungsbürger-Rundfunk Wisconsin Public Radio, klar heraussticht, prägt sich vielen Ersthörern dauerhaft ein. Jim Bailey, ein 1983 aus Los Angeles zugezogener ehemaliger Festangestellter von WOJB, schildert sein Hörerlebnis, zum ersten Mal in den Sendebereich der Radiostation zu geraten: One night I was driving in the dark, coming from Milwaukee, and just turning around the radio dial, and I heard Indian drum music. [Macht einen Powwowgesang nach.] That intrigued me immediately! And then I couldn’t find it again. The next time I tried to tune in, I heard Blues music. It took me a while to understand that it was a multi-format radio station I was listening to. (Interview Jim Bailey)
Abb. 21 In den Worten eines Hörers aus LCO: »We’re fucking proud of the station!« – Der Ojibwe-Radiosender WOJB-FM in Lac Courte Oreilles ist auch ein Emblem des indigenen Selbstwertgefühls (2000).
Foto: Cora Bender, 2000.
Nicht zuletzt wegen ihrer unkonventionellen Sendepolitik gilt die Radiostation im konservativen Sawyer County als trouble maker. »›The station is un-American; it shouldn’t be on the air‹«, zitiert das Wallstreet Journal
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einen Anwohner. Eine Rentnerin beschwerte sich: »the station ›is against nuclear, against Contras, against everything‹«, und noch schlimmer als das: »›They play that horrible Indian music.‹« (Wallstreet Journal 08.07.1988)1 Hierin spiegelt sich das bereits erwähnte Motiv, indigene Medien als Agenten des Fremden zu imaginieren: Als WOJB-Reporter Eric Schubring im Jahr 1987 für einige Wochen nach Nicaragua ging und von dort Interviews und politische Berichterstattung in die backwoods von Wisconsin schickte, begannen lokale Bürger die Station »Radio Managua« zu nennen. Über die Jahre wurden viele Sendungen neu entwickelt und wieder verworfen oder abgesetzt, wenn das Personal fehlte. Die unverwechselbare Kombination aus alternativen Nachrichten und Magazinsendungen, eklektischer, format-unabhängiger Musik und Sendungen speziell für ein indigenes Publikum hat sich aber durchweg erhalten. WOJB-FM sendet heute 18 Stunden täglich werbefrei in englischer Sprache, das Programm besteht zum Teil aus importierten Sendungen, die von den Satellitendiensten von National Public Radio (NPR), Public Radio International (PRI), American Indian Radio on Satellite (AIROS) und Pacifica Radio stammen (vgl. Ruedenburg 2002). Täglich werden vier bzw. fünf verschiedene importierte Nachrichtensendungen angeboten: • »NPR Morning Edition«, die reguläre, eher als konservativ bezeichnete Nachrichtensendung von National Public Radio, am Wochenende auch als »Weekend Edition«; • »Pacifica Radio News«, die kritische, eher dem amerikanischen linken Spektrum zuzurechnende Alternative zu »NPR Morning Edition«; • »As It Happens«, ein Nachrichtenmagazin der Canadian Broadcasting Corporation; • »National Native News«, ein fünfminütiges Nachrichtenmagazin mit rein indigenen News, das von der Koahnic Broadcasting Corporation in Alaska produziert und über American Indian Radio on Satellite (AIROS) vertrieben wird; • »Independent Native News«, ein mit »National Native News« konkurrierendes Nachrichtenprogramm, das von Native Voice Communications in Anchorage (Alaska) produziert und durch das Internet vertrieben wird; • »Native America Calling«, ebenfalls über AIROS vertrieben, eine einstündige panindianische Diskussionssendung, bei der Zuhörer anrufen können. Hinzu kommen die lokal produzierten Nachrichten: • »Local Morning Edition«, täglich von 8.00-9.00 Uhr, ein public affairsFormat, das von Eric Schubring moderiert wird. Schubring bringt Nach1 | Vgl. auch den Artikel von Robert Johnson (1988).
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richten von Associated Press, Interviews mit Wissenschaftlern, Militärs, kritischen Journalisten wie z.B. Mathew Rothschild, Herausgeber des Magazins Progressive aus Madison (Wisconsin). • »Saturday Morning Fire«, ein zweistündiges indigenes Magazin, das von Camille Lacapa (zeitweise auch von Paul DeMain) moderiert wird und jeden Samstagmorgen lokale, regionale und nationale indigene Kulturnachrichten ebenso wie »LCO School News« und Telefoninterviews mit populären indigenen Künstlern, Musikern, Politikern und Journalisten bringt. Zusätzlich gibt es eine Sparte regelmäßiger Sendungen, die sich kritisch mit Zeitfragen auseinandersetzen und ebenfalls ein eher alternatives Publikum ansprechen, wie z.B. die von Pacifica produzierte Schwulen- und Lesbensendung »This Way Out«, das ebenfalls von Pacifica produzierte Enthüllungsmagazin »Counterspin« oder das politische Magazin »Alternative Radio« des Aktivisten und Journalisten David Barsamian (vgl. Barsamian 2001; 2003). Der Anteil selbsthergestellter Sendungen ist relativ hoch. Hierzu gehören das morgendliche Nachrichtenmagazin »Morning Edition« (Eric Schubring), das samstägliche Kulturmagazin »Saturday Morning Fire« (Camille Lacapa), die Jugendsendung »Rebel Radio« (Camille Lacapa) und Musiksendungen wie der Rhythm’n‘Blues-Abend »Blue Monday« (Mike Dukin), die täglich von Frauen gestaltete eklektische Musiksendung »Patchwork« (volunteers), die indigene Musiksendung »Drum Song« (Barb Lacapa), die sonntägliche Bigband-Sendung (Freiwillige) und schließlich die legendäre Country & Western-Show »Honky Tonk« (Mahlon Nickence; David und Nicky Kellar). Die Station gewinnt ihre Identität u.a. aus ihren insgesamt siebzehn Musiksendungen, die teilweise importiert, zu einem großen Anteil aber von den beteiligten Festangestellten und unbezahlten Freiwilligen (volunteers) gewährleistet werden. Das WOJB-Musikformat versteht sich als bewusste Alternative zum regulären Angebot kommerzieller Spartensender, die auf Formate wie Country & Western, Top Forty, Urban Contemporary etc. spezialisiert sind (in NordWisconsin findet man in der Regel nur die ersten beiden). Das Programmschema entwickelte sich mit der Zeit, wie Dick Brooks erklärte, und viele Sendungen, die kurze Zeit liefen, gingen wieder ein.2 Wichtige Sendepunkte sind die täglichen Zeiten des Berufsverkehrs, wenn Nachrichten gesendet werden, sowie das selbstgestaltete Musikprogramm, das je nach Ausrichtung unterschiedliche Interessengruppen anzieht. 2 | Teil des Programms waren u.a. eine Kindersendung am Mittwochabend, eine Reggae-Show am Wochenende, für die ein Praktikant aus Belize verantwortlich war. Ein elder namens Joe Shibidish aus der Fond du Lac-Reservation in Minnesota unterhielt Ende der 1980er Jahre eine Show in Ojibwe (S OUTH C OUNT Y J OURNAL 31.03.1988; Klump 1988). Es gab auch ein lokales Magazin mit dem Titel »As the Rez Turns«, das von dem späteren Stammespolitiker und Vize-Chairman Mic Isham gestaltet wurde.
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An regelmäßigen Sendungen mit spezifisch indigenem Fokus hatte WOJB im Jahr 2002 die bereits erwähnten »National Native News«, »Native America Calling«, eine neue Nachrichtensendung »Independent Native News« der Firma Native Voice Communications aus Anchorage, Alaska, die Musiksendung »Drum Song« an Dienstagabenden sowie das Magazin »Saturday Morning Fire« am Samstagmorgen zu bieten. Diese einfache Aufzählung würde allerdings die besondere Offenheit der Radiostation für ihr indigenes Publikum übersehen, die sich u.a. darin äußert, dass während des ganzen Tages hindurch die volunteer-DJs überaus viele indigene Poptitel spielen und LCO-bezogene Durchsagen bringen, dass in nachmittägliche Musiksendungen oft Gäste miteinbezogen werden, die zufällig vorbeischauen wie z.B. der bekannte Musiker Keith Secola, der Satiriker Jim Northrup oder der Musiker Frank Montano aus Red Cliff. Die Frage, ob zuviel oder zuwenig Sendungen mit indigenem Fokus laufen, ist vielschichtiger als sie auf den ersten Blick aussehen mag. Sie wird noch eingehender beleuchtet.
3 TE AM 3.1 Zusammensetzung und Arbeitsteilung Die Radiostation hat im Jahr 2002 sieben Festangestellte in neun Positionen: • General Manager – Leitung, Camille Lacapa • Program Director – Programmverantwortliche, Camille Lacapa (Abb. 23) • Operations Director – Sendeleitung, Nicky Kellar (Abb. 22) • Office Manager – Sekretariat, Carolyn Nayquonabe • Underwriting Director – zuständig für die Geschäftskunden, Shelley Galloway • Membership Director – zuständig für die Hörer, die regelmäßig Geld spenden, Shelley Galloway • Engineer, der Allroundtechniker, Brent Christensen. Zusätzlich sind ein Moderator, der morning host Eric Schubring, sowie ein DJ, Mike »Jammin‹ Ice Man« Dukin, eine der wichtigsten Stimmen von WOJB, fest angestellt. Diese Arbeitsteilung ist nicht absolut gesetzt und variiert je nach Bedarf. Wenn ein vakanter Posten nicht schnell genug neu besetzt werden kann, übernehmen die anderen Mitarbeiter den Aufgabenbereich. Shelley Galloway z.B., die viele Jahre lang den Bereich »Membership« betreute, ist auch für alle Computerfragen und für die Internet-Auftritt der Radiostation zuständig. Andersherum war Jim Bailey auf eigenen Wunsch Development Director von WOJB, ein Titel, den nach seinem Weggang anscheinend niemand aufgriff. Eine Besonderheit,
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die WOJB, wie alle sich zum Community Radio zählenden Stationen3, als Arbeitsplatz eignet, ist die hohe Zahl der Freiwilligen, die unentgeltlich für die Radiostation arbeiten. Bei WOJB sind das ca. vierzig. Sie stellen die eigentliche human resource von WOJB dar, ohne sie könnte die Radiostation nicht existieren. Die Freiwilligen gestalten Programm. Sie nehmen in kleinen Teams unter hohem persönlichem Einsatz Sendeverantwortung wahr und helfen bei den dreimal jährlich stattfindenden Spendenkampagnen tatkräftig. Die ethnische Zusammensetzung des Radioteams variiert. Von den sechs bis acht Festangestellten waren zwischen 1997 und 2002 in der Regel die Hälfte aus LCO, die andere Hälfte nicht-indigene Leute aus der Gegend, die z.T. mit LCO-Leuten verheiratet waren. Von den Freiwilligen waren in der Regel nicht mehr als 20 % LCO-Leute oder anderer indigener Herkunft. Es lohnt sich dabei ein Blick auf die Arbeitsteilung. Mit Ausnahme von Dick Brooks, der die Station von 1985 bis 1991 als General Manager leitete, waren alle anderen Leiter von WOJB indigener Herkunft (Interview Dick Brooks). Camille Lacapa, die Douglas Baker (LCO) Ende der 1990er Jahre ablöste und bis 2005 die Radiostation leitete, ist OjibweHopi/Tewa. Die beiden populärsten Sendemoderatoren mit dem größten Anhang, Mike Dukin und Mahlon Nickence, sind bzw. waren ebenfalls LCO-Leute (Mahlon Nickence verstarb im Jahr 2002). Bei WOJB sind Karrieren von der Putzkolonne bis ins Management nicht unmöglich, und auch volunteers werden bisweilen zu Festangestellten. Als Camille Lacapa bei der Radiostation anfing, plante sie nur ungefähr ein Jahr zu bleiben, weil ihr eigentliches Karriereziel war, Kunstlehrerin zu werden und Native American Art History zu unterrichten. Aber da sie zugleich alleinerziehende Mutter eines Sohnes war, wurde aus dem Provisorium mit der Zeit ein fester Arbeitsplatz. Camille Lacapa: I started off as a secretary, and then I became Membership Director, and then I became the General Manager. So a lot has changed over the years, from when I first started. I used to play music, too. When I first started working here I was the only woman [lacht]. Really, nothing but men! Nicky was here to clean, you know, help clean the radio station. Cora Bender: So the cleaning lady and the secretary took over. Camille Lacapa, Nicky Kellar: [beide lachen.] CL: Yeah, I like that! (Interview Nicky Kellar und Camille Lacapa)
Die Offenheit der Arbeitsteilung wird im Team als Offenheit des Klimas wahrgenommen. Alle Festangestellten arbeiteten bereits seit zehn, fünfzehn Jahren bei der Radiostation, im Vergleich zur Schule und zum College eine erstaunliche personelle Stabilität.
3 | Über Community Radio in den USA vgl. z.B. Lewis und Booth 1989.
WOJB It’s like being on a baseball team. Everybody is responsible for doing their work and making sure it’s done. If one team member gets sick or they’re not cooperating then the whole team suffers. And that’s why it is easier at WOJB, a baseball team, a very successful baseball team. (Interview Camille Lacapa)
Auf diese Teamarbeit verlässt sich nicht nur der blinde chief announcer und star host Mike »Jammin’ Ice-Man« Dukin, es verlassen sich darauf auch die vielen Mütter, die bei WOJB arbeiten. One of the best things about this station for me is everybody that I work with. As Camille mentioned, it’s a form of team work, and everybody works with me. That’s important, because I have to do a few things different than anybody else here does. (Interview Mike Dukin) All of the women that work here are mothers. If you do need to take a child to the doctor or whatever needs to be done at home with your home life, you can be flexible there, too. You’re not locked into a time block. You can go home for the afternoon and make up your hours another time. (Interview Nicky Kellar)
Die Anforderungen, die das Medium des Radios stellt, dessen achtzehn Stunden täglicher Sendezeit sichergestellt werden müssen, sowie das Format des Community Radio, das auf einem hohen Input unbezahlter Arbeit beruht, führt auf der anderen Seite zu hohen Erwartungen, was den Einsatz betrifft, und zu rigider Selbstausbeutung. It’s not a nine-to-five-job either. […] For instance, Camille tonight has to cover an air shift that starts at eight o’clock and goes until midnight. We all work weekends, and we all have to be able to juggle our schedules, so that it fits with what’s going on here. (Interview Nicky Kellar)
Das führt zu verschiedenen Anpassungen, die einerseits in rückhaltloser Identifikation mit dem Sender, andererseits in verschiedenen Ausweichstrategien bestehen. In der Redaktion hat sich meiner Beobachtung nach eine Kerngruppe von drei Frauen gebildet, die den Sender durch diese Identifikation leiten. Das bedeutet hauptsächlich, dass man jederzeit einzuspringen bereit ist, wenn Freiwillige ausfallen oder wenn es gilt, sich für Sendeschichten während der ungeliebten Spendenkampagnen einzutragen. Ausweichstrategien bestehen z.B. in der Weigerung einer Mitarbeiterin, sich zusätzlich zu ihrer Redaktionstätigkeit auch als Moderatorin zu betätigen. Die vielen Versuche, sie dazu zu überreden, wehrte sie ab mit dem Argument, sie sei zu schüchtern um zu moderieren; tatsächlich aber schützt sie damit den Zeitrahmen ihrer Arbeitstätigkeit und schafft sich, was es eigentlich bei WOJB nicht gibt, einen nine to five-Job. Weitere Ausweichstrategien bestehen in heimlichen Bummelstreiks, die sogleich als Verstoß gegen die Arbeitsmoral verstanden werden. Der bereits erwähnte langjährige morning host Eric Schubring, selbst nicht indigener
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Herkunft, der seit 1985 die Nachrichtenredaktion bei WOJB betreut, erinnerte sich im Interview an eine Diskussion mit einem ehemaligen Leiter der Radiostation: I earn $ 20.000 a year. I live very frugal, but you can’t survive on this. I have other sources of income, like most of the rest. […] I once said to the former General Manager of the station […] I said, I would work harder if I got more money. He said, »well you’re not working hard, now?!« There is a pervasive attitude that you’re not supposed to make money off the station. But I tell you, $ 10,50 an hour is not enough. […] I think that’s typical for non-profit organizations: We must suffer for our hearts, it’s a privilege. I don’t know, it’s the American character. As a veteran I have health care. Being a veteran is a huge advantage in this jingoistic country, it’s the jackpot! (Interview Eric Schubring)
3.2 Politisierung Generell ist aber eher eine Tendenz feststellbar, dass die Arbeit bei WOJB Freiwillige und Festangestellte gleichermaßen politisiert. Es geht dabei nicht nur um ein Interesse für politische Themen und öffentliche soziale Belange. In vielen Interviews bestätigten WOJB-Angestellte, Freiwillige und Hörer, dass die Radiostation einen bleibenden Eindruck bei ihnen hinterlassen hat, weil sie sie in Prozesse des gesellschaftlichen Wandels hineinzog, denen sie vorher passiv gegenüberstanden. When I first came here I don’t think I felt that I was politically involved. Now I’ve become an angry cat. I mean things get me mad! What they’re doing to our environment, just because progress is better. Also, the racism towards Indian people, man I hate that! I became totally interested in social justice, peace, treaty rights, women’s rights, gay rights, disableds’ rights. I kind of side with the working persons, I’ve come close to that. (Interview Mike Dukin) I can’t count the number of people that told me the reason they moved to the area was to be in the reception of the radio station! Or people that told me, the reason why they didn’t leave the area, was ’cos they didn’t wanna leave the radio station. A lot of people who start learning about tribal culture, who start going to the powwow, that found sobriety, a lot of people coming to grips with their own racism and stereotypes, and being empowered by that! Understanding that there’s other world views out there that are valid! (Interview Dick Brooks)
Ein ausdrucksstarkes Beispiel kommt von Journalist und PR-Fachmann Jim Bailey, auf dessen Arbeit bei einem der konservativen Blätter der Region WOJB soviel Einfluss ausübte, dass er seinen Job schließlich verlor. Er erinnert sich im Interview mit mir an die früheren Touristen-Powwows von LCO als eine Quelle seines Interesses für die indigene Kommunität (vgl. Kapitel II und VII):
WOJB I’ve been an anti-establishment type guy my whole life. A liberal gay. […] My family brought me up here every summer since I was born. And we always went to powwows, as tourists often do. [When I came back later to this area] I went into the newspaper business […]. But there was a great deal of controversy going on over Indian treaty rights in the mid-1980. By then I was a listener to WOJB, all day. I drive so far back and forth, I listened all the time, I listened at home. I turned to WOJB’s news department to give me information, to introduce me to Indian stuff, so I could write fairly about it in the newspaper. I was impressed by WOJB’s stature. It did not take long for WOJB to become respected nation-wide. […] I was just impressed as could be by the quality and the intellectual challenging material they broadcast. And I find most radio very boring. (Interview Jim Bailey)
Die Konversion wird in den meisten Fällen möglicherweise nicht einmal hauptsächlich durch die inhaltliche Berichterstattung ins Werk gesetzt, sondern durch die Praxis der freiwilligen Mitarbeit: A lot of people that came to the station played music but the reason why they came was because they had something to say and they found a place to say it, and they found people receptive to what they were saying. That empowered people. People went on and became national producers, working in Alaska, Florida, around the country. It’s been very powerful for a lot of people. (Interview Dick Brooks)
Hier kommt die Bedeutung des Musikformats ins Spiel. Volunteers betätigen sich hauptsächlich in der Gestaltung des eklektischen Musikprogramms. Unter den Engagierten finden sich nicht nur Hobby-DJs, sondern auch spezialisierte Musiksammler, die ihre Expertise in das Community Radio einspeisen. Der Frührentner und Alternativgärtner John Sobiesky, der bei verschiedenen Musiksendungen und Spendenkampagnen mitmacht, beschreibt seine poetische Sicht des Programms: I do a lot of flower gardening. See, that’s another part of the station, they play music that you can’t hear anywhere else. I grow flowers and things that you don’t see anywhere else, because I don’t buy the stuff out of greenhouses, my garden seeds are from South Africa, New Zealand and England and France and Germany and Canada, I got some stuff from Mexico and it’s all legal!4 (Interview John Sobiesky)
4 | Der implizite Verdacht, gegen den John Sobiesky sich hier wehrt, ist der, Marihuana anzubauen – ein landwirtschaftliches Produkt, das trotz der harschen Winterbedingungen in Sawyer County bestens zu gedeihen scheint. Immer wieder entdeckt die Polizei größere Plantagen (SCR 15.08.1984; 10.10.1984).
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4 F INANZIERUNG Über die Finanzierung von WOJB wurde bereits einiges gesagt. Heutzutage finanziert WOJB sich im Wesentlichen aus drei verschiedenen Quellen: von der Corporation for Public Broadcasting (CPB), von den Spenden listener-members sowie von Geschäftsleuten, die Geld spenden und dafür in kurzen Ansagen während des laufenden Programms genannt werden (business underwriters). Hinzu kommen eigens beantragte Grants für technische Erneuerungen. Alle diese Gelder müssen umständlich eingetrieben werden. Zu den business underwriters gehört auch das Casino des Stammes, das mit einem Anteil von ca. $ 50.000 im Jahr den größten Geschäftskunden von WOJB darstellt. Der nächstgrößte underwriter ist mit einer Summe von jährlich ca. $ 1.800 eine kleine Privatbank in Hayward, die sich im Besitz eines tribal member befindet. Jim Bailey: They support WOJB very handsomely. But then, again, they did not until the tribe turned to them as their bank. When the XX Bank was the tribe’s bank, they gave money. As soon as the tribe withdrew its funds and put them in the new bank, the XX Bank quit giving money. […] We got a major timber coporation in town that used to give money to WOJB till they got in a fight with the tribe, a legal dispute, over cutting timber more than they were contracted to. And then they quit giving money to WOJB because the tribe sued them. (Interview Jim Bailey)
Für ihre Spenden werden business underwriters im Programm mit underwriting messages bedacht, d.h. während des laufenden Programms erwähnt der Moderator in einem möglichst sachlichen Tonfall den Geschäftskunden und worin dieser sich geschäftlich hervortut. Jim Bailey empfand seine Arbeit, die darin bestand, diese Übereinkünfte mit Geschäftskunden abzuschließen, das Geld von ihnen einzutreiben, die Botschaften für sie zu texten, sicherzustellen, dass sie mit den entsprechenden Regularien der Telekommunikationsbehörde Federal Communications Commission (FCC) übereinstimmten, sie dann den Moderatoren zu übergeben und zu überwachen, dass sie anständig und regelmäßig verlesen werden, als »Paradox«: It is kind of a paradox, because there one is selling advertising on what is by definition non-commercial radio. (Interview Jim Bailey)
Mögliche Unterstützer von WOJB haben ein ganz bestimmtes Profil. Man stützt sich vor allem auf große öffentliche und private Institutionen wie z.B. die Kliniken in Duluth und Hayward und andere im Gesundheitswesen tätige Firmen: They have to have an advertising need that is fulfilled by the strict constraints of public radio, and they have to be philosophically in tune with WOJB. (Interview Jim Bailey)
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5 K ONKURRENZ Wer als die Hauptkonkurrenz von WOJB zu bezeichnen wäre, hängt davon ab, welches Publikumssegment des Senders man anschaut. Im Hinblick auf das weiße, progressive Element ist sicherlich Wisconsin Public Radio die stärkste Konkurrenz. Darüber hinaus gab es beispielsweise im Jahr 2002 im Umfeld der Mole Lake Reservation Pläne zur Errichtung einer oder mehrerer low power stations, deren Senderadius auf die Reservation begrenzt wäre. Solche Reservationsradios wären sicherlich eine starke Konkurrenz für WOJB, bis heute ist jedoch noch keine on air. Die Konkurrenz in LCO selbst und bei der indigenen Bevölkerung der unmittelbaren Umgebung sind der AM und der FM-Sender von WHSM, die durch die Firma Quarmstrom Media in Cloquet (Minnesota), betrieben werden. Diese Firma hat sich auf den Aufkauf von bankrotten Radiostationen in ländlichen Gegenden spezialisiert. Das Rezept besteht darin, dass die Mitarbeiter der Radiostation sich in die lokale Kleinstadtgesellschaft einleben, bei Wohltätigkeits- und Sportorganisationen und im politischen Leben, in Komitees, chamber boards und ähnlichem mitarbeiten. Ob das nun dem Idealbild eines freien Journalisten entspricht oder eher nicht, es scheint zu wirken, wie mir der General Manager von WHSM erläuterte, ein ehemaliger Werbefachmann aus Las Vegas, der sich, wie das im Mediengeschäft üblich zu sein scheint, einer aggressiv marktwirtschaftlichen Sprache bediente. Welch malt als Berufsoptimist das wirtschaftliche Bild in Hayward und auf der Reservation ein wenig optimistischer als andere, mit denen ich sprach, und äußerte sich als einer der wenigen Gesprächspartner aus Hayward mit offener Sympathie über Lac Courte Oreilles. Er rühmt sich guter Kontakte zum Stamm, für dessen Casino er schon gearbeitet hat: It’s amazing what they’ve done out there. And I have a terrific relationship with the tribal council, government board, I like those people a lot. […] I helped them when they had the initial designs for the layout of the casino and convention center. […] Our radio station puts different concerts on out there. 5 In fact we just had one there last Sunday, a big band show out there. So we bring live entertainment out there in addition to what they do. And they’ve been very cooperative with me all the way along of doing that. (Interview Joe Welch)
In der Tat scheinen sich in der Stammesverwaltung viele lieber an den kommerziellen Sender zu halten anstatt an die stammeseigene, als »Radio Managua« verschriene Station. Allerdings ist WOJB an allen Veranstaltungen beteiligt, die einen eindeutig tribalen Charakter haben, wie z.B. die Powwows, die WOJB live überträgt. Umgekehrt nutzt WOJB die Kultur-Infrastruktur des Stammes ebenfalls selektiv: Wenn WOJB Konzerte für das Mainstream-Publikum veranstaltet, finden diese in der 5 | Damit ist das Casino gemeint.
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Regel nicht Im LCO Convention Center sondern im kleinen Saal eines deutschen Restaurants im Nachbarort statt. Das liegt wiederum am Publikumsprofil: Das weiße progressive Element, das sich Konzertabende mit einem unbekannten Country-Blues-Gitarrensolisten anhört, ist wahrscheinlich nicht unter den als rednecks bezeichneten Touristen zu suchen, die die Stammgäste des LCO Casino & Convention Center stellen. Die Meidungshaltung beruht teilweise auch auf persönlichen politischen Animositäten: Als ich im Dezember 2002 mit dem damaligen stellvertretenden Tribal Chairman Mic Isham sprach, war dieser für den nächsten Tag bei WHSM zum Interview angemeldet, behauptete aber, WOJB würde ihn aufgrund eines alten Konflikts (s.u.) »nicht mehr zur Tür reinlassen«. ExWOJB-General Manager Dick Brooks beschwerte sich noch 2001 darüber, dass in der Warteschleife im Telefonsystem des Tribal Office der Klang des Kommerzsenders aus Hayward ertöne anstatt WOJB (das hat sich in der Zwischenzeit geändert).
6 P UBLIKUM Ein besonders kritischer Bereich des Wissens im Zusammenhang mit Medien ist jenes Wissen vom und über das Publikum. Mit den Fragen nach dem media impact, nach Manipulation, Verkaufsstrategien und Märkten, eröffnen sich essentielle Fragen nach dem, was das Medium »ist«. Aufgrund eines Mangels an statistischem Material über die Radiostation kann ich diese Fragen für WOJB nicht beantworten. Für wichtiger halte ich an dieser Stelle die Debatten, die es in LCO darum gegeben hat, während einige Kräfte aus dem Tribal Council wiederholt versuchten, mit dem Hinweis auf mangelnde Hörerbeteiligung aus LCO ins Musikformat und Sendeschema einzugreifen. Der letzte Frontalzusammenstoß liegt schon einige Jahre zurück, hat aber bleibende Spuren in der Erinnerung der Beteiligten hinterlassen. Eigentlich geht es um einen politischen Konflikt, in dem aber implizit mit essentialistischen Ethnizitätskategorien gekämpft wird. In der Ausgabe der LCO Journal Times vom 13.03.1998 erschien eine Kolumne von Mic Isham, damals stellvertretender Stammesratsvorsitzender. Isham schrieb, er habe im Jahr 1995 auf die Frage von Dick Brooks, was er vom WOJB-Programm halte, geantwortet, er finde, WOJB sei eine »hippie freak, gay lesbian station«. Der hierin enthaltene Vorwurf war, dass WOJB einer nicht-indianischen Hörergemeinde mehr verpflichtet sei als der Reservation, der die Radiostation gehört: »LCO people are interested in LCO/Native Issues, not lumberjack, gay and lesbian or hippie issues.« (Mic Isham, LCO Journal Times 13.03.1998) Dieser Angriff rief stürmische Gegenreaktionen, aber auch Zustimmung, hervor. Brooks erwähnte in seiner Replik, dass Mic Isham selbst bei WOJB tätig gewesen war. Wenige Wochen nach dem Start des Programms »As the Rez Turns« trat Mic Isham als Kandidat bei den Wahlen zum Stammesrat an. Die anderen Kandidaten protestierten, er verschaffe sich mit seiner Sen-
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detätigkeit unfaire Vorteile in der Wahl. Der Sender, meint Brooks, habe damals Mic Isham unterstützt, trotz heftiger Einwände von prominenten LCO-Politikern wie Al Trepania, Gaiashkibos, Margaret Diamond, Connie Corbine und Don Carley. Nun stoße er der Station das Messer in den Rücken. Man versuchte, das Problem durch eine Wiederbelebung der dahindämmernden Institution des boards zu beheben, der die Sendetätigkeit von WOJB eigentlich unterstützen und auf Einbindung in die Kommunität achten sollte. Auf einem »strategic board meeting« fasste man zwei Beschlüsse, erstens, mehr Native programming bereitzustellen (die Station sendet seither die über Satellit eingespeisten Sendungen »Native America Calling« und »National Native News«); und zweitens die Institution des WOJB-Board of Directors zu einer Dauereinrichtung zu machen, die dazu dienen sollte, die Station in ihrer konzeptuellen Arbeit, also auch beim Beantragen von Geldern und bei der Programmplanung, zu unterstützen. Aber dieser Vorstand hat seit seiner Einsetzung nur wenige Male getagt und kann als nicht-existent betrachtet werden. Ein Mitarbeiter des Native Studies Department am College, Eric Redix (ein LCO-tribal member), schrieb kurz nach dem Konflikt in einem Aufsatz, die hinter dem Konflikt liegende Frage sei essentieller Natur: Was sei eine indigene Radiostation, wie sei sie zu definieren? Dies hänge wiederum davon ab, wie man heutzutage definieren würde, was ein Indianer sei (Redix 1999). M.E. muss diese Frage so lange unbeantwortet bleiben, wie man von der Antwort zugleich die Lösung für den Konflikt erwartet. In einer nicht-essentialistischen Perspektive liegt die Antwort auf die Frage nach der Definition einer indianischen Radiostation gerade in dem Konflikt selbst: Eine indigene Radiostation ist eben eine Radiostation, um die Indigene sich streiten. Die Ansicht, dass zu wenig LCO-Leute WOJB hören, ist ein Konstrukt, das auf zwei Wegen zustande kommt. Einerseits führt ein zu mechanistisches Verständnis vom Zusammenhang zwischen Radioformat und Publikum zu der Erwartung, Radio und Reservation müssten einander 1:1 entsprechen, damit WOJB als »echtes« indianisches Radio bezeichnet werden könnte. Andererseits besteht die Tendenz bei den nicht-indigenen Angestellten und volunteers der Radiostation, aufgrund ihrer eigenen starken Identifikation mit dem Sender den Unterschied zwischen Publikum und Team tendenziell zu verwischen: I would say it’s people with big hearts and open minds. People accepting of others. You’d have to describe them as liberal. (Interview Jim Bailey) If you’re politically progressive, you’re listening to WOJB. Most politically progressive people are white and well-educated. Our listeners are »societial conscientious«, that’s a type of person that believes in civil rights and justice. But we also have Republicans and conservatives listening to the station because they like the music. […] They love the music, but they might not like the type of news they hear. The average WOJB listener is white and well-educated. That’s because most people in this area are white, and to listen to a lot of variety, to
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE accept a lot of challenge in their listening, to hear songs that they never heard before, mixed with other songs that they never heard before, that generally takes either self-educated or well-educated people. That generally requires a lot of learning. In addition to that there are an abnormally high percentage of native people listening to the station, as well! (Interview Dick Brooks)
Nach meiner persönlichen Erfahrung ist WOJB in LCO nicht weniger gut verankert als im »weißen« Umfeld in Nord-Wisconsin. Jeder, den ich in LCO dazu befragte, hörte WOJB; und sehr viele drückten ihre Sympathie für den Sender in starken Worten aus, wie jener tribal member, der mir versicherte, We’re fucking proud of the station! Viele alte LCO-Leute hören die Radiostation den ganzen Tag lang; viele jüngere schalten zu bestimmten Sendungen ein. Auch die vielen Anrufer aus LCO (und nach meiner Erfahrung rufen LCO-Leute nicht gern bei fremden Institutionen an), die wissen möchten, ob das Tribal Office nach dem Schneesturm morgen wieder aufhat, ob John heute schon da war, wie viel Uhr es ist und wie das Wetter wird, verdeutlichen die Nähe des indigenen Publikums zu seinem Sender. Abb. 22 WOJB ist auch eine Radiostation der starken Frauen: Eine langjährige Mitarbeiterin von WOJB, Nicky Kellar, on the air (2000).
Foto: Cora Bender, 2000.
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7 E INZELNE S ENDUNGEN 7.1 Lokalbezogene Berichterstattung in Reser vationskulturen Lokale Berichterstattung ist ein beherrschendes Thema unter indigenen Journalisten, wie die Diskussionen auf der bereits in Kapitel IV erwähnten Tagung des indigenen Journalistenverbandes Native American Journalists Association (NAJA) in San Diego vom 19.-22.06.2002 zeigten. Dargestellt wurden bereits die Konflikte um Pressefreiheit unter den Bedingungen indigener Souveränität. Aber es geht darüberhinaus auch um die subjektive, die eigene Eingebundenheit in die Kommunität mit ihrer jeweils eigenen tribalen Kommunikationskultur, deren Regeln sich nicht ohne weiteres mit den ethischen Standards und den Arbeitsroutinen des modernen Journalismus vertragen. Auch darüber wurde auf der NAJA-Konferenz viel gesprochen: Covering Indian Country is extremely complex. Once you get thrust into a story, what do you fall back on? (Teilnahmeprotokoll) Coverage of rez issues can be intimate and challenging, because it’s like reporting on the people of your block. They know you, they know who you’re dating and so forth. (Teilnahmeprotokoll)
Dem setzen indigene Journalisten ihre eigenen professionellen Grundsätze entgegen, die nicht nur für weiße Journalisten bei indigenen Medien gelten, sondern auch für indigene Journalisten, die in einer anderen als ihrer Herkunftskommunität arbeiten (was für viele ein Ausweg aus dem Beziehungsgeflecht ist): Don’t go by Indian Time. As a journalist, you’re making a commitment to deadlines. Be as professional as you can. Don’t assume that one thing applies to all tribal communities. An experienced Navajo journalist told me in Navajo Country, people usually don’t go to the direct source. People usually have other people who speak for them. When you’re making calls, you think »who does the speaking for this person?« Respect the elders. Don’t do hit-and-run interviews with them. Respect ceremony. There have been some bridges burnt in my tribe. Never loose track of your role. Don’t see yourself as an adopted member of the tribe. Learn the history, don’t think there is something like »the Indian language«. (Teilnahmeprotokoll)
Eric Schubring löste für sich persönlich das Problem durch räumliche Distanz (er wohnte zum Zeitpunkt meiner Feldforschung eine gute Autostunde entfernt von Lac Courte Oreilles), und verminderte Reibungsflächen, indem er seine lokale Berichterstattung in eine allgemeine Perspektive erweiterte:
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE I look at Native issues in a broader way, for example, the Chronic Wasting Disease issue. I look at how it will affect Native ways, e.g. the brain tan, which is the traditional way of tanning soft hide. I look at the news and think whether that has Native American implications or implications for this community. (Interview Eric Schubring)
Tatsächlich ist die WOJB-»Morning Edition« von lokaler, LCO-bezogener Berichterstattung wegorientiert und konzentriert sich auf unverfänglichere regionale, Wisconsin-bezogene oder nationale Nachrichten. Der Nachrichtensektor ist segmentiert in non-Native und Native news, die allerdings räumlich-zeitlich so eng zusammengeschoben sind, das ihre Trennung kaum auffällt. Morning host Eric Schubring erläutert sein Dilemma: There is a community radio station over there in […] which so milque toast that it’s kind of shocking. […] They never have any coverage of mining issues in Wisconsin, you know, these multi-national conglomerates coming to mine twenty-five miles from the radio station over there and they never talk about it! Of course we dont talk about what’s going on with the Tribal Council either, but… [lacht]. (Interview Eric Schubring)
Die Unabhängigkeit seiner Berichterstattung sah er nicht nur durch den Tribal Council gefährdet sondern auch durch den neuangeschafften Nachrichtendienst von Associated Press. Vor AP, wo WOJB seit Mitte 2002 Nachrichtenkunde ist, meint Schubring, gab es auf WOJB nicht wirklich News: We got AP now for six months. I don’t know how we ever did without it. I remember, I would read papers and call people to get my stories for the News. We didn’t do News. (Interview Eric Schubring)
Die AP-Nachrichtenauswahl, die er an diesem Vormittag las, beschäftigten sich mit den gerade stattfindenden Wahlen zum Kongress, die in Nord-Wisconsin sich verbreitende Tierkrankheit Chronic Wasting Disease (eine Art Hirsch-BSE), sowie die notorische Halloween-Party der Studenten in Madison, bei der (wie jedes Jahr) jede Menge Glas zu Bruch gegangen war. Später sprach er in einem seiner üblichen zwanzigminütigen Morgeninterviews mit dem Journalisten Matthew Rothschild vom Magazin Progressive (Madison) über die Wahlen. Die Morgennachrichten mit dem Interview wurden auf Tape aufgezeichnet und für eine Wiederholung um 17.00 Uhr bearbeitet. Um 12.00 Uhr mittags gab es eine weitere Nachrichtensendung; danach wurde die Sendung des nächsten Tages geplant. AP-Nachrichten erhielt WOJB nur bis 12.00 mittags (das ist preiswerter), also musste er sich andere Wege überlegen, an die Wahlresultate zu kommen. Der einzige konkrete LCO-Bezug der Wahldiskussionen an diesem und an den folgenden Vormittagen war ein Hinweis, dass das Casino eine Fahrgelegenheit zu den Wahllokalen anbot. Dabei führte der aktuel-
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le Urnengang zur Ablösung der republikanischen Regierung in Wisconsin durch die Demokraten, und für alle elf Stämme Wisconsins stellten sich augenblicklich höchst interessante politische Fragen, insbesondere im Zusammenhang mit den zur Neuverhandlung anstehenden gaming compacts. Eric Schubring hielt WOJB aus diesen Diskussionen vollständig heraus. Auf die Frage, wie oft im Monat ihm bei seinen Recherchen Native American issues begegnen, antwortete er: Well, that’s an issue here. I know people want more news from the rez, and there’s interesting news of the rez, but I’m probably not the right person for this job. I’ve been to Tribal Council meetings, and I’ve always asked myself, how should we report this? (Interview Eric Schubring)
Das liegt seines Erachtens auch an der mangelnden Medialität der Stammespolitiker: I’ve had poor success at getting tribal leadership to make regular visits to the radio station. (Interview Eric Schubring)
Die heißen politischen Themen, die Indian Country bewegen, kommen eher in der panindianisch orientierten Sendung »Native America Calling« (NAC) zur Sprache. Hierbei handelt es sich um eine täglich ausgestrahlte einstündige Liveshow mit der Möglichkeit für Hörer, über Telefon direkt mitzudiskutieren. Sie erreicht über ca. 60 teilnehmende Radiostationen in den USA und Kanada wöchentlich ca. 37.000 indigene Hörer und wird produziert von der Koahnic Broadcasting Corporation in Anchorage, Alaska. Der Moderator der Sendung, der populäre Harlan McKosato beschäftigt sich mit aktuellen Themen, z.B.: • »Cyber Shamans – Is Native culture and religion under a threat on the Internet? Can tribes protect their culture from cyber pseudo shamans?« (Sendedatum 17.06.2002) • »Native Journalism: Objectivity or Activism?« (Sendedatum 20.06. 2002) • »Preventing Obesity in Native Children« (Sendedatum 12.06.2002) • »Wireless in Indian Country – a credit program to provide incentives of wireless telecommunications carriers to serve tribal lands« (Sendedatum 23.04.2002) Auch Geschichte, Umweltschutz, Musik, Gesundheitspolitik und tribale Casinos werden bei NAC diskutiert.6 »National Native News«, eine tägliche fünfminütige Sendung mit panindianischen Nachrichten wird seit April 2000 von der Navajo-Journalistin Bernadette Chato produziert und 6 | Einen Überblick über Themen gibt die Homepage der Sendung: www.native americacalling.org.
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moderiert. »National Native News« und »Native America Calling« werden vom LCO-Publikum überaus positiv angenommen. Auch LCO-Leute, die das Musikformat von WOJB ablehnen, hören in der Regel jeden Mittag die indigenen Nachrichten, die die skizzierte Lücke im lokalen Informationsangebot füllen. Camille Lacapa erklärte in einem Interview mit dem Rundbrief des Satellitendienstes American Indian Radio on Satellite (AIROS): »NAC fills a programming void and because it’s national rather than locally produced, it doesn’t have to worry as much about being a tightrope walker in regard to community controversies.« (AIROS Newsletter n.d.) Die Distanz zu lokalen politischen Zusammenhängen erlaube es der Sendung, kritische Themen gründlicher und eingehender darzustellen: »I think Native America Calling is all about trying to keep people connected, exchanging cultures.« (Camille Lacapa, AIROS Newsletter n.d.)
7.2 Ojibwe-sprachliche Sendungen Pläne für Ojibwe-sprachliche Sendungen auf WOJB gab es schon viele, doch die Umsetzung scheint schwierig, weil die Beherrschung des Ojibwe in Lac Courte Oreilles auf ein sehr niedriges Maß gesunken ist. Diesen allgemeinen Trend des Sprachverlustes kleiner Kommunitäten führt die Forschung nicht zuletzt auf den Einfluss der durch Massenkommunikationsmittel wie Radio und Fernsehen dominanter werdenden ehemaligen Kolonialsprachen (vgl. Fishman 1991). Mit der Implementierung indigen kontrollierter Radiostationen in indigenen Kommunitäten sind dementsprechend hohe Erwartungen verbunden: »Now, native people are taking back their destiny, and are determining their own future. Radio is an important tool for establishing control of our cultures. […] Native language programming is the most important aspect of our network. It has to be developed by the community members, or supported in areas where a specific language is alive and strong.« (Farmer 1994: 64)
Für eine sprachlich immer noch relativ stabile Kommunität wie die Navajo, die in gewisser Weise in Nordamerika einen singulären Einzelfall darstellen, ist Radio ein interessantes Medium zur Stabilisierung, Standardisierung und Modernisierung ihrer Sprache (Peterson 1997). Was aber tut die überwiegende Mehrheit der indigenen Durchschnittskommunitäten mit weniger kulturellen Ressourcen? Für September 2000 hatte man bei WOJB den Start einer halbstündigen Sendung geplant, die in Zusammenarbeit mit der Ojibwe Language Society gemacht werden sollte, schließlich aber doch nicht zustande kam. Als stabil erweist sich hingegen die kleine Sendung »Ojibwe Phrase of the Month«, ein mehrmals täglich gesendetes »Hörstückchen« in Ojibwe und Englisch, für dessen Produktion immer Freiwillige aus den Sprachkursen des Colleges gewonnen werden. Im hier dokumentierten Fall sind die beiden Stimmen die von Cleo und Dennis White, ein Ehepaar Anfang/Mitte 50, White Earth bzw. LCO-tribal
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members, die beide im Bildungssystem des Stammes arbeiten und auch als volunteers Zeit bei WOJB verbringen. Camille Lacapa: On behalf of the Lac Courte Oreilles Language Society and WOJB I’m pleased to bring you the Ojibwe phrase of the day followed by the English translation. Each new week, a new phrase is added to build upon a phrase that refers to the activities of this particular months. November is known as –… Dennis White: gashkadinoo giizis, Freezing Moon. Cleo White: Anii gisinaag agoojiing mashkawagwaadiing ge’goo. Nii wapii eshpimiing agoojiing a’aw gashkadinoo giizis. Dennis White: As it becomes colder outside, when things are freezing, this is when the freezing moon hangs in the sky. Cleo White: Biizikaw gimingikawanag miinowaa giibaa binzi kaawaagaan babaa eyaayan aagooging. Dennis White: Wear your mittens, and your coat, too, when you go out and about. Cleo White: Eshpimin keyaa inaabin, anaagoo ina? Giwaabamag. Dennis White: Look up in the sky. Do you see the stars? Camille Lacapa: The Ojibwe phrase of the day is made possible by our elders, the Ojibwe language society and WOJB’s listener-members. Miigwetch bizindimiig. (Sendemitschrift WOJB, 06.11.2002, »Morning Edition«)7
Es handele sich um »exclusive not inclusive programming«, meinte ein nicht-indianischer Kritiker über die »Ojibwe Phrase«. Nun gibt sich die »Ojibwe Phrase« tatsächlich kein erkennbares didaktisches Ziel, aber über den reinen Text hinaus sind auch Details der Tonaufnahme wichtig für ein Verständnis der kleinen Sendung. In der hier vorliegenden Tonaufnahme des Wechselsprechens fällt z.B. auf, dass Dennis White mit seiner angenehmen Stimme Schmelz und Romantik in den Text legt, in dem er Worte wie »sky« und »stars« sanft betont, während seine Frau Cleo ihren Ojibwe-Text in der Manier einer Kursanfängerin (die sie nicht ist) abliest. Ob beabsichtigt oder nicht, hierdurch kann anderen Sprachanfängern mehr Selbstbewusstsein vermittelt werden, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Darüber hinaus drückt der englische Text die gefühlsbetonte Ästhetik der »Ojibwe Phrase of the Month« aus, den das Ojibwe-unkundige Publikum den Ojibwe-Worten allein nicht entnehmen könnte.
7.3 Indigene Musikklänge zwischen Pow wow und Contemporar y Die Radiostation gewinnt ihre Identität nicht nur aus Nachrichten und Informationen, sondern auch aus ihren zum Zeitpunkt der Forschung insgesamt siebzehn Musiksendungen, die teilweise importiert, zu einem großen Anteil aber von den beteiligten Festangestellten und unbezahlten 7 | Transkription nach Gehör.
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Freiwilligen, den volunteers, gewährleistet werden. Das WOJB-Musikformat wird als eclectic oder variety bezeichnet und versteht sich als bewusste Alternative sowohl zu National Public Radio mit seinem Klassikprogramm als auch zum regulären Angebot der kommerziellen Spartensender, die in Hayward8 die Marktführer sind. Diese Radios geben ihren Hörern ein festgelegtes Format vor, das sie nur annehmen oder ablehnen können. Bei WOJB sind dagegen interessante Auseinandersetzungen um die gespielte Musik nicht nur als Teil der Sendepolitik zu bemerken, sondern die einzelnen DJs setzen sich in ihren Sendungen mit den Musikwünschen des Publikums auseinander und reflektieren ihren eigenen Musikgeschmack. Eine Arbeit über indigenen Musikgeschmack der Gegenwart existiert meines Wissens bislang nicht, obwohl m.E. bei der indigenen Bevölkerung generell Musik – nicht nur indigene – die bevorzugte Medien- bzw. Kunstform ist, zu der alle Altersklassen einen Bezug haben, auch Gruppen, die sonst kein Interesse an Literatur oder bildender Kunst haben. Auch gestatten die Unterhaltungen mit indigenen Informanten, warum sie eine bestimmte Musikrichtung bevorzugen, interessante Einblicke über Prozesse der Identitätsformierung, die genau an der Grenze zwischen Subjekt und Gesellschaft, persönlicher Biographie und politischer Historie angesiedelt sind. Der Musikgeschmack ist zudem emotional geformt, weniger von Überlegungen der Political Correctness bestimmt. Michael Schlottner, der sich eingehend mit dieser Musik befasst hat (Schlottner 2001; 2002), vermittelt einen Überblick über das Genre der Contemporary Native American Music, die von der Traditional Native American Music abzugrenzen ist. Zu ersterem sind alle gegenwärtigen indigenen Musikstile zu zählen, die Adaptionen aus dem musikalischen Afro- und Anglo-Amerika darstellen, mit einem Spektrum das von Blues, Rap und Reggae bis zu Rock, Folk, Cajun, New Age und Country & Western reicht (Schlottner 2002: 384). Zu letzterem sind alle indigenen Formen von Musik zu zählen; dazwischen steht in seiner spezifischen transkulturellen Vermittlerrolle das Powwow mit seinen verschiedenen Stilrichtungen (vor allem Northern und Southern). Michael Schlottner kommt zu dem Schluss, dass indigene Popmusik »zu den bedeutsamsten Indizien für die zeitgemäße Präsenz von Minderheiten und nicht-westlichen Bevölkerungen in der globalen Mediengesellschaft« zählt (Schlottner 2002: 383). Sie wirkt als kulturelle Vermittlerin indem sie »kulturelle Codierungen, die zunächst nur für einen begrenzten Rezipientenkreis bedeutsam sind, decodiert, neu zusammenstellt und mit Formen, Stilen und Texten encodiert, die auf translokaler oder gar transnationaler Ebene verständlich erscheinen.« (Schlottner 2002: 383) Aus der Perspektive einer 8 | Hier gibt es mit WHSM einen FM- und einen AM-Sender. Ersterer bedient das jüngere Publikumssegment ab 25 Jahren mit Musik unter dem Label contemporary und das ältere Publikumssegment ab 49 Jahre mit Musik, die »music of your life« genannt wird. Hierzu gehören Künstlerinnen und Künstler wie Barbra Streisand, Frank Sinatra und Whitney Houston.
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introvertierten Popularisierung ist seines Erachtens festzustellen, »dass die Gattung breite Anerkennung findet als ein Vehikel, das indianische Belange, Werte und Sichtweisen eingehend artikuliert.« (Schlottner 2002: 390) Im folgenden soll der Diskurs um indigenen Musikgeschmack in Lac Courte Oreilles am konkreten Beispiel untersucht werden. Dabei stellt sich heraus, dass es um die Frage, was »richtige« indianische Musik ist, eine interessante Debatte gibt. Die derzeit einzige dezidiert der indigenen Musik gewidmete Sendung im Angebot von WOJB ist »Drum Song«, aber in die Betrachtung soll auch die Arbeit indigener Mitarbeiter bzw. volunteers einbezogen werden, die sich an Sendungen mit nicht ausschließlich indigenem Musikinhalt beteiligen. Neben »Drum Song« kommen hier vor allem »Blue Monday« (Mike Dukin), »Patchwork« (Cleora White) und »Honky Tonk« (Mahlon Nickence) in Betracht.
7.3.1 Blue Monday »Blue Monday« ist Mike Dukins Show, die zusammen mit »Honky Tonk« und »Drum Song« populärste Musiksendung im Wochenprogramm. Dort wird, der Name lässt es erahnen, vor allem Blues gespielt: I have a fondness for different styles of music. I love the New Orleans stuff. I think my favorite style of music is the music that came out of Chicago, the stuff that came out of Chess Records: Bo Diddley, Chuck Berry, Muddy Waters, Jimmie Reed, I think that’s what I like the best. (Interview Mike Dukin)
Mike Dukin ist ein interessanter Gesprächspartner, der mir die Widersprüche indigener Identitätsbildung zwischen blood quantum, Ojibwe culture und Indian look offen schilderte. Er nimmt seine eigene Position als Aushängeschild und Stimme von WOJB als prekär wahr, denn er ist blind, was besonders zu Anfang für viele ein Problem darzustellen schien. Außerdem ist er zwar tribal member aber reservationsfern aufgewachsen, und obwohl er nicht sehen kann, weiß er, dass er nicht »wie ein Indianer« aussieht: Cora Bender: You are an enrolled tribal member? Mike Dukin: Oh, yeah, oh yeah! [But] […] I don’t look Indian at all. […] And there’s enough people around here that kind of like to flaunt that. […] They’re kind of parading, kind of using that to their advantage: »I’m an Indian, I’m an Indian, you gotta listen to me« – you know.
Seine Familiengeschichte ist die vieler Einwohner von LCO: As I was told, my great grand parents, or at least, [my mother’s] grandfather, lived on the [Lac Courte Oreilles] reservation. As I understand it, when they were getting citizenship papers and all that, I guess he had to have an American name. And he didn’t have one, so [they?] pointed at the first name on the black-
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Das Wissen über die ethnische Geschichte der Familie, aus der sich der Status ableitet, bedarf in der Familie selbst eines Experten, der es erforscht und verwaltet: I have a cousin that totally researched it. She did all that. I really haven’t put any energy in it because if I wanted to know more about it I just call Pat and ask her. (Interview Mike Dukin)
Der Ausweg ist ein individuelles Verständnis seiner eigenen Ethnizität und eine professionelle Haltung zu seiner Arbeit: I really believe that […] somebody could’ve said »well, I mean he’s blind, we want to make room for a real Indian person to do what he’s doing!« But the fact that I am Native, I really believe that’s why I’m still here. And also, you know, they all say I do a good job. I’m hoping that I’m a good representative of the tribe. I hope. But my Indianness, how I carry myself as an Indian person, is more of a personal thing, kind of a spiritual thing. (Interview Mike Dukin)
7.3.2 Honky Tonk Die Show »Honky Tonk« hörte ich 1999 zum ersten Mal, nachdem Mike Dukin mich auf sie aufmerksam gemacht hatte, dessen Worte sie am besten beschreiben: We have an older fellow that does the probably best Country & Western show you’ll ever hear anywhere. Its not the Garth Brooks type but […] it’s a very popular program. (Interview Mike Dukin)
Mahlon Nickence, der zum Zeitpunkt des Interviews sechzig Jahre alt war und seit zehn Jahren einmal in der Woche bei WOJB Platten auflegte, war ein in der ganzen Kommunität bekannter und bei vielen beliebter Frührentner. Er war als jüngstes einer Familie mit vierzehn Kindern in LCO geboren worden und hatte die Reservation nach dem Tod seiner Mutter verlassen, um mit vierzehn Jahren in Chicago in einer Fabrik zu arbeiten. Nach einem Unfall im Jahr 1970 war er zusammen mit seiner Frau nach LCO zurückgekehrt, wo er seitdem engagiert community-Arbeit leistete. Zusammen mit seinen beiden Töchtern engagierte er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr von LCO, die er aufgebaut hatte, half einmal im Monat beim Bingo der St. Francis Solanus Gemeinde und betreute die »Honky Tonk«-Show, die so beliebt war, dass sogar aus anderen Bundesstaaten Publikumsanfragen nach Kassettenaufnahmen kamen. Professionalität war nicht seine erste Sorge:
WOJB Well, I’ve been here about ten years and I don’t I don’t know if I became a professional or not. I keep punching the wrong buttons and coming up with the wrong songs […]. Well, I don’t know if they [the listeners] just like the music or wanna hear me makin’ up these goofs on the radio [lacht]. But anyway I enjoy doing this! (Sendemitschrift »Honky Tonk«, 06.11.1999)
Seine Musikvorliebe wurde durch seine Kindheit im LCO der Kriegs- und Nachkriegsjahre geprägt, als Radios und Phonographen die Musik aus Nashville nach LCO brachten: I play this old Country music and I’ve been listening to this ever since I can remember, this old music. […] I was born and raised here, yeah. And the families around here were pretty poor. […] We didn’t have no television. We had radios, and phonographs and stuff like that. (Interview Mahlon Nickence)
Die Familie veranstaltete in ihrem Ein-Zimmer-Haus häufig Square Dance-Abende, zu denen ein Nachbar mit der Geige aufspielte. That was our entertainment when I was a young kid […] In fact a lot of these Indians here that didn’t leave the reservation, they didn’t see television till maybe the middle 50‘s or 60‘s, when electricity started comin’ through. (Interview Mahlon Nickence)
Als Musikliebhaber brachte er eines Tages seine Plattensammlung zu WOJB und fing an, regelmäßig eine Sendung zu betreuen. Er schätzte, dass er mit der Zeit zwischen $ 5.000 und $ 7.000 in Schallplatten und CDs angelegt hatte. In seiner Sendung legte er vorwiegend alte Countrymusik auf, wobei er keinen großen Wert auf Political Correctness legte. Die meisten der Titel beschäftigen sich mit dem ewigen Thema der amerikanischen Blues- und Country-Musik, whiskey and women. Trotz der konsequenten Anti-Alkohol-Politik des Senders schien niemand etwas dagegen einzuwenden zu haben, dass an Samstagabenden saufselige Stimmung über den Äther kam. Das mag an dem Umstand gelegen haben, dass Mahlon Nickence bekanntermaßen das Trinken einige Jahre zuvor aufgegeben hatte (wie übrigens viele seiner Altersgruppe). Auch vor einem Song mit Texten, in denen »Indianer« verunglimpft wurden, schreckte er nicht zurück, wenn die Musik ihm gefiel. In seiner Show am 06.11.1999 beispielsweise lief nach dem populären satirischen Titel »Indian Car« des Ojibwe-Jazzmusikers Keith Secola ein Stück eines ungenannten, höchstwahrscheinlich aber nicht indigenen Country & WesternSängers. Es handelte von einer aus Holz geschnitzten Statue eines Indianers, der sich in eine ebenfalls aus Holz geschnitzte Indianerin verliebt, die gegenüber vor dem antique store steht. Während Secolas Stück über die rostigen Reservationsautos als Fall eines privileged joking echte Satire darstellt, entsteht die Komik im zweiten Fall in einer top-down-Perspektive zu Lasten des Indianers, durch die Ähnlichkeit der geschnitzten Statue mit
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dem populären Stereotyp des starren, unbeholfenen Wilden. Mit seinem Hörpublikum, das sich zu einem großen Teil aus der Reservation rekrutierte, war Nickence bestens synchronisiert. Er bekam pro Abend weit mehr Hörwünsche als er bedienen konnte, nach eigenen Aussagen ca. 50-60, und spielte selten Titel, die nicht von irgendwem für irgendwen bestellt worden waren: That was ah Keith Secola an‹ you hear »The Indian Car«, and that went out to Grandma Bernice from the Corbine Clan. (Sendemitschrift »Honky Tonk«, 06.11.1999)
Mahlon Nickence verstarb am 23.02.2001 und wurde, von vielen auf der Reservation betrauert, mit einer langen Autoprozession zu Grabe getragen.
7.3.3 Patchwork »Patchwork« nimmt im wöchentlichen Sendeschema von WOJB breiten Raum ein. Das von weiblichen volunteers gestaltete Musikprogramm läuft montags bis freitags von 10.00-12.00 Uhr vormittags direkt nach den Magazinsendungen. Die bereits erwähnte freiwillige Radiomoderatorin Cleo White, freischaffende Künstlerin, tribal member der White Earth Reservation in Minnesota und mit Dennis White aus LCO verheiratet, betreut das Programm jeden Donnerstag und legt nicht nur Platten auf, sondern macht auch Interviews für WOJB. Ihr Musikgeschmack hat sich, anders als bei Mahlon Nickence, der einige Jahre älter war als sie, aus der expliziten Ablehnung der lokalen Vorliebe für Country & Western entwickelt: Well, I guess my father liked Country. I didn’t care for Country music. I used to think it was tavern music. I liked the Beatles! [lacht] (Interview Cleo White)
Sie begann als volunteer bei WOJB, nachdem sie 1994 mit ihrem Mann zusammen aus Chicago nach LCO zurückgekehrt war, wo sie als urban Indian professionals mehrere Jahre gelebt hatten. Im Interview äußerte sie sich sehr erleichtert über die Rückkehr nach LCO und leitete daraus ihre Aufgabe ab, moderne indigene Popmusik zu spielen: I play a variety of women music, I also like to play native American contemporary music, […] I like to play Joy Harjo, Wayquay, Sharon Burch, Buffy St. Marie, Joanne Shenandoah, just to name a few. And then there’s also some men that I like to listen to, I like John Trudell and Native Roots, they’re good, they’re a Reggae band. (Interview Cleo White)
7.3.4 Drum Song Barb Lacapa, Mitte vierzig, Mutter von fünf Kindern, Schwester von WOJB-General Manager Camille Lacapa, betreut seit einigen Jahren die Sendung Drum Song, die als einzige von ursprünglich drei wöchentlichen
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indigenen Musiksendungen übrig blieb. Barb Lacapa berichtete über die gleichen Probleme wie Cleo White, dem Reservationspublikum moderne indigene Popmusik nahe zu bringen: You know we have both contemporary and what they call powwow songs, I like playing the contemporary, but most of the people here on the reservation and the other listeners outside the reservation are more [kleine Pause] they wanna hear powwow songs. (Interview Barb Lacapa)
Darüber hat sie am Telefon auch Gespräche mit Hörern, die mit ihren Hörwünschen ihren eigenen Plan durcheinanderbringen: I get a lot of feedback from the listeners. They rather listen to powwow songs but we gotta reach ah everybody. […] sometimes they call in, they wanna hear a certain group which is hard to [kleine Pause] I mean, you’re planning your own music for that time, now, you know why [seufzt] »ah I played this drum group last week«, so I play a different style or try to do a little bit different you know. Things like that. (Interview Barb Lacapa)
Ihre Sendung versucht sie an die Erwartungen des Publikums anzupassen, für das Musik von den Navajo oder Apache des Südwestens genau so fremd ist wie für den weißen Durchschnittsamerikaner: When I come in, I usually try to play all the contemporary native American plus I look up the new releases. If they haven’t been that many played or they have some new CDs in there or cassettes, I give them a try. I try to play contemporary, you know, maybe I play that for an hour, hour and a half, and I try to mix it in with some other Indian groups. […] And I’m sure they don’t understand [the music of] the tribes down there, like the Apache crown dance. I try to let them listen to them, I say, well let’s give these guys a try. (Interview Barb Lacapa)
Das Publikum hat eine Vorliebe für die bereits bekannten und traditionelleren indigenen Gruppen: I get some listeners that want Buddy Redbow, Floyd Westerman, they like that Joanne Shenandoah, they like most of the older contemporary, they’re not used to some of the newer contemporary, like I like the Reggae style. (Interview Barb Lacapa)
Nach den NPR-Nachrichten, die die Sendung unterbrechen, zieht sie ein anderes lokal produziertes Medium heran – die Zeitung –, um den imaginären Powwow-Abend am Mikrophon zu gestalten: Then I get N EWS F ROM I NDIAN C OUNTRY, and then let the listeners know what powwows are coming to our area for the week or the week after. Like, »let’s go to Illinois!«, or: »let’s go to North Dakota!« or some place, you know. I try to make
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE it sound like if I was at a powwow. What would they listen to first? »Well, let’s listen to a flag song first!« and: »A grand entry song!« (Interview Barb Lacapa)
Barb Lacapa wollte sich nicht genau festlegen, wie viele Anrufe sie pro Sendung bekommt, meinte aber, dass die meisten Anrufe nach 22.30 Uhr kommen: After 10.30 I do get a lot of calls from young kids that been drivin’ around and are home now and so now they turn the music up and say, »will you play this song for my honey?«- a round dance, or a love song, or something. (Interview Barb Lacapa)
Dieser Umstand ist besonders interessant, da sie einer gängigen These in den Konflikten um die Radiostation widerspricht, die da lautet, dass WOJB zu wenig junges Publikum anziehe: I get a lot of young kids, I hear a lot of young kids calling me. They want to dedicate a song to so-and-so. They do know a lot of the Drum Groups that are locally around here, and they want to hear them. Local groups. That’s who they want to hear. (Interview Barb Lacapa)
Auch älteres Publikum ruft an und wünscht sich Lokales. Anscheinend hat die panindianische Radiosendung für das Publikum von LCO also ihre stärkste Bedeutung als Forum lokaler Powwowgruppen. In dieser Perspektive wird die Schwierigkeit, den Hörern international orientierte Popmusik oder fremdartig klingende indigene Musik nahe zu bringen, besser verständlich. In der Sendung findet ein stilles Tauziehen statt zwischen der auf variety und guten Musikgeschmack orientierten Musikpolitik der Radiostation und dem Publikum, das seine lokalen Favoriten hören möchte. Diese Spannung macht die Sendung andererseits interessant. Sie ist für Hörerwünsche zugänglich und daher vom Hörer manipulierbar, andererseits muss der Hörer sich einer Konfrontation mit fremdem, überlokalem aussetzen, wenn er seine Hörwünsche durchsetzen will. Ein gewisses Publikumssegment, die inhaftierten Indigenen, muss sich allerdings besonders ausgefallener Mittel bedienen, um Hörwünsche durchzugeben: Barb Lacapa: I do get a lot of calls from people in jail, and they know how to call for collect, and they’ll say, play this! And the phone will hang up on them. So I’ll try to play a song for them. Camille Lacapa: [an mich gerichtet] Do you know how to do that? Cora Bender: No. Camille Lacapa: When you make a collect call, the operator, it’s like a machine [imitiert die Automatenstimme]: »Please say your name after the tone!« Well these people that are in jail will just scream out a drum group. They’ll say: »Walking Bull!« and they’ll hang up. [Wir lachen.] So you hear the collect
WOJB call, and they’ll say [imitiert die Automatenstimme]: »You have a collect call from [tief:] Walking Bull«. [Wir lachen.] (Interview Barb und Camille Lacapa)
Hier kommt, trotz des Ringens um Musikgeschmack, die Tendenz zum Tragen, dass die indigene Kommunität keins ihrer Mitglieder ganz ausschließt: Camille Lacapa: Women will call and say: »Can you play a song for my sweetie, he’s in Burnett County [Jail]«, and they’ll be listening, and so they send messages through the radio, so they ask me: »Can you play this song?« And I do my best to do that, you know. Barb Lacapa: Yeah, I try to reach out, because I understand, that’s the only way they can say, »hey!«, you know, maybe they can’t visit them, but at least they’re thinking of them. (Interview Barb und Camille Lacapa)
Abb. 23 Die Leiterin der Radiostation WOJB, Camille Lacapa, bei einer Diskussionsveranstaltung am Lac Courte Oreilles Community College, 2000.
Foto: Cora Bender, 2000.
8 WOJB: »S HARING D IVERSIT Y« In der Bewertung dieser Daten wird klar, dass berechtigte Zweifel an der Übertragbarkeit von europäischen Modellen der Geschmacksforschung als »Psychoanalyse des Sozialen« (Bourdieu 1992: 31) auf amerikanische Verhältnisse bestehen. Dies hat sich schon am Beispiel von Adornos immer wieder gescholtener Abqualifizierung populärer Musik gezeigt (vgl. Adorno 1941). Auch Bourdieus Mikrobiologie der Macht, die in Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft entfaltet ist, lässt sich nicht ohne weiteres auf die hier angeführten Fallbeispiele übertragen, da in Amerika die Elitenformation und die Identitätsfindung über Musikgeschmack anders funktionieren als in Europa. Wenn man die o.e. Aussagen über die Debatten bei WOJB zugrundelegt, dann wäre derjenige Musik-
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stil, der hier dem Bourdieu’schen »legitimen Geschmack« am nächsten käme, die vom WOJB-Publikum als fremde Folklore unverstandenen traditionellen, vormodernen Musikformen anderer indigener Kulturen, die bei WOJB hin und wieder gespielt werden. Dies wäre jene Musik, die in Lac Courte Oreilles am weitesten von jeder sozialen Aussage weg wäre: »Die Musik verkörpert die radikalste, die umfassendste Gestalt jener Verleugnung der Welt, zumal der gesellschaftlichen, welche das bürgerliche Ethos allen Kunstformen abverlangt.« (Bourdieu 1992: 42) Aber der grundsätzliche Unterschied liegt darin, dass in Lac Courte Oreilles die Musik nicht als subtiler Ausschlussmechanismus eingesetzt wird, sondern eng an das Leben angepasst ist. Die indigene Musikgemeinde in Lac Courte Oreilles ist eine direkte Kommunikationsgemeinschaft, die sich mithilfe technischer Mittel, Telefon, Zeitung, Radio, Taperecorder, über lokale Gruppen, Hörerwünsche und Diskussionen mit dem DJ verständigt; aus dieser Gemeinschaft sind nicht einmal die im Gefängnis Einsitzenden ausgeschlossen. Insoweit das andere, in die weiße Kommunität gerichtete öffentliche Image von WOJB betroffen ist, so kann man die Funktion der Radiostation am ehesten als Institution der kulturellen Modernisierung für ein progressiveres, d.h. das fortschrittlich-individualistische Segment der Mainstream-Gesellschaft in Nord-Wisconsin beschreiben. Insofern sind indigene Medien hier nicht nur Instrumente des kulturellen Protests und Ergebnis einer auf einer progressiven Vision aufbauenden indigenen Selbst-Modernisierung, sondern wirken auch auf die US-Gesellschaft zurück, ganz wie Faye Ginsburg es für kanadische und australische Ureinwohner-Medien beschrieben hat. So herum betrachtet ist die Radiostation ein interessantes Werkzeug kultureller Umkehr: der Bildungs- und Entwicklungsdiskurs, den die amerikanische Gesellschaft jahrzehntelang den indigenen Einwohnern angedeihen zu lassen für nötig hielt, wird auf diese Weise umgedreht.9 Hier unterhält eine lokale Stammeskommunität ein Medium, das lokale Weiße und Touristen zur Vernunft, Toleranz, Offenheit erzieht. Insofern nützt die Station doch wieder der Kommunität, der sie – angeblich – zu wenig indigene Inhalte zukommen lässt. Sie schafft, was Faye Ginsburg »discursive space for indigenous people« genannt hat (vgl. Ginsburg 1994). Die Radiostation hält sich, und vielleicht ist das der beste Weg, im Stamm einigermaßen konsensfähig zu bleiben, aus der Stammespolitik heraus. Sie wirkt, was die lokale Kultur betrifft, nicht standardisierend; sie implementiert keine elitären Diskurse; sie erfüllt manche hochfliegende Erwartung an Sprachund kulturelle Revitalisierung nicht, aber sie bietet den Mitgliedern der Kommunität vielfältige Anschlussmöglichkeiten und Foren für das tägliche Leben, die diese auch nutzen. Die Radiostation ist in das tägliche Leben der Kommunität eingebettet und für alle erreichbar. WOJB versucht nicht, LCO-Leuten beizubringen, was es heißt, Ojibwe zu sein. Erinnern wir uns: Eine indigene Radiostation ist eine Radiostation, um die Indigene sich 9 | Zur Kritik des Entwicklungsbegriffs in der Ethnologie vgl. Hobart 1993.
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streiten. WOJB vermittelt dem weißen Mainstream in Nordwest-Wisconsin, was es heißt, »anders« zu sein. Oder, wie es einer der nicht-indigenen Freiwilligen der Station ausdrückt: This station is not about building consensus. It’s about sharing diversity. (Gespräch Tim Severud)
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C Wissenskultur
Abb. 24 Moderne indigene Wissenskultur und ihr eigenes Bildungssystem: Eingang der neuen Bibliothek des Lac Courte Oreilles Ojibwe Community College mit panindianischer Farbsymbolik, Adlerdarstellung und dem bei den Ojibwe beliebten floralen Muster auf schwarzem Untergrund nach dem Vorbild der traditionellen Perlstickerei, 2009.
Foto: Cora Bender, 2009.
VI Die Einrichtung eines indigen kontrollierten Bildungssystems
1 I NDIAN E DUCATION – INDIGENE B ILDUNG UND IHRE S UBJEK TE Im amerikanischen Diskurs um den allgemein als zu schlecht gekennzeichneten indigenen Bildungsstandard wird immer wieder das crabs in a bucket-Syndrom als Grund für Schulversagen genannt – wenn eine Krabbe im Eimer versuche, hinauszuklettern, zögen die anderen sie immer wieder zurück. Unausgesprochen unterstellt dieses Gleichnis den Indigenen, dass sie an der diagnostizierten Schulmisere im Wesentlichen selbst schuld sind, da sie angeblich als Kollektiv gar nicht wollen, dass einzelne Stammesmitglieder sich aus dem allgemein niedrigen Bildungsniveau und damit auch den schlechten sozialen Verhältnissen herausarbeiten. Doch m.E. kann der angebliche indigene Unwille zur Bildung am Beispiel von Lac Courte Oreilles nicht nachgewiesen werden. Die Geschichte verdeutlicht im Gegenteil, dass Schulbildung für Indianer im Seengebiet von den staatlichen Autoritäten und den zuständigen Kirchen nach der Einrichtung von Reservationen und dem Beginn des Holzraubbaus entweder als lohnendes Finanzgeschäft oder als Herrschaftsinstrument gesehen wurde, an dem die örtliche Indianerverwaltung, die Regierungsvertreter und die Lokalfürsten sofort das Interesse verloren, wenn es nicht ihren eigenen Interessen diente. In Interviews und Lebenserinnerungen, in den von LCO-tribal member Ed Martin verfassten Kolumnen im Sawyer County Record und den später auftauchenden indigenen Medien dokumentiert sich außerdem, dass die Ojibwe sowohl als Individuen als auch als Kollektiv vielfältige Anstrengungen unternahmen, ja: unternehmen mussten, sich selbstbestimmt Bildung anzueignen, und dass ihrem eigenen Verlangen nach Bildung häufig nicht entsprochen wurde. Was in der Literatur mit dem Begriff »Indian education« umrissen wird, ist durch eine Konfrontation zwischen zwei grundsätzlich divergierenden Konzepten geprägt, meint die indigene Erziehungswissenschaftlerin K. Tsianina Lomawaima. Ob es sich um Bildung für Indianer (»edu-
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cation for Indians«) oder um indigene Bildung (»education by Indians«) handele, entscheide sich letztlich im politischen Feld konkurrierender Interessen, in welches das Thema seit Beginn der Kolonialisierung eingebettet sei. So wurden die Parameter indigener Schulbildung immer davon bestimmt, ob die politische Agenda gerade um die Schaffung von Reservationen oder ihre Terminierung, die Relocation indigener Bevölkerungen in die Großstädte oder die Förderung indigener Selbstbestimmung kreiste (Lomawaima 2004: 423). Nach Lomawaima ist auch die Forderung von Margaret Szasz von 1977, die Erforschung indigener Bildung noch mehr auf Fragen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit zu richten, bislang immer noch nicht genügend beherzigt (Szasz 1977). Eine zusammenhängende Darstellung der Geschichte der indigenen Bildung in Wisconsin existiert bislang noch nicht. Hinzu kommt der öffentliche Diskurs um die schlechten Schulnoten und hohen Abbrecherquoten indigener Schüler, der das gesamte Feld indigen kontrollierter Bildungsinstitutionen in negativem Licht erscheinen lässt, trotz der Tatsache, dass viele Schülerinnen und Schüler indigener Herkunft erfolgreiche Schulkarrieren vorweisen können (Reyhner 2001). Wie stellt sich der Konflikt dar, wenn er im Zusammenhang des Wissenskulturkonzeptes gesehen wird? Er entfaltet sich vor allem als eine Auseinandersetzung mit langer Vorgeschichte, in der es selten wirklich um die Schulkinder geht, viel öfter dagegen um Geld und Herrschaft. Die historische Analyse macht verständlich, um welches Problem es in der Gegenwart indigen kontrollierter Schulen geht, dass nämlich indigen kontrollierte Bildung nicht nur als Bildung zu betrachten ist, sondern auch als Ausdruck indigener Souveränität hohen Symbolwert besitzt. Eine Bewertung ihrer Erfolge oder Misserfolge findet deshalb nicht in einem interessenfreien Raum statt, sondern enthält zugleich auch Urteile über die Effizienz autonomer indigener Regierungen. Freilich wird kaum in einem anderen gesellschaftlichen Sektor so deutlich, wie viele Steine man den Indigenen im Verlauf der letzten einhundert Jahre bei ihrer Suche nach selbstbestimmten Aneignungen der Moderne in den Weg gelegt hat. Auf diesem Hintergrund muss manches öffentliche Lamento über schlechte indigene Schuldbildung, das in den vergangenen Jahren auch durch die amerikanische Mainstream-Presse verbreitet wurde, als Krokodilstränen bezeichnet werden.
2 Z UR G ESCHICHTE INDIGENER B ILDUNG IN L AC C OURTE O REILLES Patricia Loew widmet der Situation in Bad River um die Jahrhundertwende ein Kapitel ihrer Dissertation (Loew 1998). Sie beschreibt ein Tauziehen zwischen den verschiedenen, in das Schulwesen involvierten Interessengruppen als ein Ergebnis der Peace Policy unter Präsident Ulysses Grant, der zwischen 1869 und 1876 die erzieherischen Bemühungen um die Zivilisierung der Indianer in die Hände von Kirchen und Missions-
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gruppen legte. Hier betätigte sich die katholische Kirche besonders stark, die 1874 ihr Bureau of Catholic Indian Missions gründete und mit Hilfe einer spendenfreudigen Ordensfrau aus wohlhabender Familie die Zahl ihrer Schulen vervielfachen und das Finanzvolumen ihrer Schulprogramme von $ 8.000 auf $ 394.000 erhöhen konnte. Die Katholiken, die seit Mitte der 1880er Jahre eine Schule in LCO unterhielten, waren nicht die ersten auf der Reservation. Im Jahr 1832 wurde die erste Schule für Kinder aus Lac Courte Oreilles gegründet. Es handelte sich um eine methodistische Missionsschule, die unter der Leitung dreier Ojibwe aus Kanada stand; einer von ihnen war der bekannte Autor George Copway (Ruoff 1994). Um das Jahr 1875 errichtete der Presbyterianer-Reverend Louis Mannypenny in LCO eine Schule; daneben existierten eine ganze Reihe privat organisierter kleiner Küchentischschulen, die Schule der katholischen Mission St. Francis Solanus (die heute noch betrieben wird), sowie in Reserve eine Regierungstagesschule, die am Ostufer des Little Lac Courte Oreilles stand. In den 1890er Jahren machte sich ein langsamer Umschwung in der Bildungspolitik bemerkbar, Religion und Staat doch lieber wieder voneinander zu trennen. Das Bureau of Indian Affairs gründete nach dem Vorbild der berühmt-berüchtigten Internatsschule des Colonels Henry Pratt, Carlisle, insgesamt vierundzwanzig weitere reservationsferne Internatsschulen, wo indigene Kinder, so hoffte man, möglichst schnell durch die Methode der Immersion ihrer Herkunftskultur entfremdet und in die amerikanische Gesellschaft assimiliert werden würden. Viele Kinder aus LCO wurden nach Haskell in Lawrence, Kansas, verfrachtet. Vor einigen Jahren hat Brenda Child vom American Indian Studies Department der University of Minnesota (Minneapolis-St. Paul), selbst Ojibwe aus Red Lake (Minnesota), die Briefkorrespondenz zwischen den Internatsschülern und ihren Familien daheim als Quelle zur Rekonstruktion der Internatsschulerfahrung entdeckt. Sie widmet ihre Aufmerksamkeit vor allem den verschiedenen Rebellionsstrategien gegen die herrschenden Zustände, die die Schüler als so unerträglich empfanden, dass viele wegliefen, wie z.B. Francis DeMarr aus LCO, der sich 1925 zusammen mit Isadore Doxtator (Oneida) zu Fuß auf den Weg nach Hause machte. Man griff sie in Nebraska wieder auf. (Child 1998). Doch ist Haskell, trotz vieler trauriger Fälle wie diesem, ein illustratives Beispiel, dass eine an sich völlig verfehlte Indianerpolitik ungeahnte Folgen zeitigen kann. Neben dem US-Militär gelten die Internatsschulen des BIA, in denen Schüler aller indianischer Nationen vereinigt wurden, als wichtigste, obschon unfreiwillige, Kaderschmiede des politischen Panindianismus und als Zentren indigener revitalisierter Kultur. Barb Lacapa aus LCO beispielsweise, die heute bei WOJB Powwow-Musik auflegt, war Schülerin in Haskell und lernte dort, wie sie mir berichtete, den Unterschied zwischen den Southern und Northern styles des Powwow-Singens kennen. Anstatt völliger Assimilation, wie man gehofft hatte, entwickelte sich in den Internatsschulen ein völlig neues Amalgam verschiedener indigener und europäischer Kultureinflüsse.
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In Hayward operierte von 1901 bis 1933 eine von drei Internatsschulen innerhalb des Bereichs der Agentur La Pointe für Kinder indigener Herkunft, die anderen beiden Internatsschulen befanden sich in Lac du Flambeau und Tomah. Nach der Schließung der Internatsschule in Hayward wurden Kinder aus LCO zumeist in die öffentlichen Schulen der umliegenden Gemeinden, vor allem Hayward und Winter, geschickt. Patricia Loew urteilt über die Internatsschule in Hayward, sie sei in einem grauenhaften äußeren Zustand gewesen und sei von einem Direktor geleitet worden, der es für normal hielt, undisziplinierte Schüler wie Schwerverbrecher an eine Eisenkugel zu ketten (Loew 1998: 139). Mir wurden in LCO von mehreren Seiten solche Erinnerungen berichtet. D.W. Adams arbeitet in seinem Artikel über die Bedeutung der assimilationistischen Erziehungs- und Bildungspolitik heraus, wie tief die Schulpraxis tatsächlich von ökonomischen Erwägungen im Zusammenhang mit dem Landzuteilungsgesetz, dem Allotment Act von 1887, geprägt war. Adams zufolge ging es dabei hauptsächlich um die schleichende Enteignung indigener Allottees, deren Sozial- und Familienleben so konditioniert werden sollte, dass sie der Landzuteilung und dem Landverkauf möglichst wenig Widerstand entgegen setzten (Adams 1988). Dies ist für die Schulpolitik in Lac Courte Oreilles ebenfalls gültig. Die Internatsschule in Hayward wurde von den gleichen, übrigens durchweg protestantischen, Räuberkapitalisten installiert, die die Abholzung der letzten Waldbestände auf der Reservation organisierten. Gegen den erklärten politischen Willen aus Washington schaffte man es durch hartnäckige Lobbypolitik, den Bauauftrag für die Schule von Lac Courte Oreilles nach Hayward zu verlegen. Der Commissioner of Indian Affairs wollte die Schule, für deren Bau der Kongress insgesamt $ 75.000 bereitgestellt hatte, eigentlich auf dem Gebiet der Reservation errichten lassen, was sie de facto zu einer Tagesschule gemacht hätte, doch die Clique der ol’ boys von Hayward, allen voran der Kongressabgeordnete des Districts, Myron McCord, der ein Holzfabrikant und zufälligerweise Ziehvater des Ortsgründers A.J. Hayward war, und Kapitalist McCormick, der sich die Unterstützung des State Superintendent of Public Instruction hatte sichern können, ließen nichts unversucht, die Schule in Hayward anzusiedeln. Ihre Argumente waren erstens die Kosten – angeblich sei es so viel teurer, die nötigen Baumaterialien von Hayward nach Reserve zu karren (wobei man aber nie Probleme gehabt hatte, umgekehrt das auf der Reservation geschlagene Holz auf dem billigsten Wege nach Hayward zu schaffen); zweitens war McCormick Anhänger einer rigorosen Assimilationspolitik gegenüber den Ureinwohnern und plädierte dafür, die Kinder von den Familien zu trennen, um sie schneller zu Amerikanern zu machen. Im Hintergrund dürfte eine Rolle gespielt haben, dass eine staatliche Schule mit hundert bis zweihundert Kindern in einem kleinen Ort wie Hayward als Quelle lukrativer staatlicher Aufträge durchaus ein Wirtschaftsfaktor war. Schulleiter und Agent kooperierten außerdem, wenn es darum ging, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Lac Courte Oreilles und den weißen
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Geschäftsleuten in Hayward zugunsten der letzteren Partei zu gestalten. Die tiefgreifende kulturelle Zäsur, als die heute auf der Reservation die Periode der Internatseinschulung gesehen wird, resultiert m.E. auch aus dieser historischen Erfahrung von Erziehungsanstalten als Werkzeugen politischer Entmündigung und wirtschaftlicher Übervorteilung. Die BIAPolitik der Internatsschulen, im Merriam-Bericht von 1928 als »grossly inadequate« bezeichnet, wurde durch die Reformen des Indian Reorganization Act (IRA) schrittweise abgebaut. Wie das vielfache Neben- und Nacheinander verschiedener Schulprojekte in LCO sich auf die Wissenskultur und die indigene Haltung zur Bildung ausgewirkt haben, kann hier nur gemutmaßt werden. Einerseits wird das Durcheinander erlahmend und ermüdend gewirkt haben, andererseits bezeugen die vielen Schulprojekte durchaus das große Interesse der Bevölkerung von LCO an lokalen Schulen. Schulen wurden nicht immer bloß von Weißen organisiert. Von 1883 bis 1887 unterhielt beispielsweise ein Mann namens Dominique Ducharme im Haushalt der Familie Oshogay in LCO eine kleine Schule. Aber es ist anzunehmen, dass viele Kinder durch das Netz dieser Bildung fielen. Ein Beispiel ist Al Baker Sr., heute Ende 60, der als Kind in den 1940er Jahren aus der öffentlichen Schule geworfen wurde, weil man ihn für zu dumm zum Lernen hielt. Er lernte nie lesen und schreiben, scheint das aber bis heute für kein großes Handicap zu halten, weil ihm im Gegenzug die Ojibwe-Sprache erhalten blieb, die er als Kind noch zu Hause von den Eltern lernte. Rückblickend sieht er dies als eine Wegscheide zwischen zwei Alternativen, die er Indian way und education way nennt. Als junger Mann ging Al Baker Sr. erst zur Armee, dort lernte er das Lackiererhandwerk, dann arbeitete er im Südwesten in verschiedenen Großstädten. Als er nach Lac Courte Oreilles zurückkehrte, beteiligte er sich an den Protestaktionen von AIM und malte die Schilder, mit denen der Winter Damm und die Zufahrtsstraßen nach LCO abgesperrt wurden. Seit zwanzig Jahren betreibt er auf der Reservation eine Lackiererei. Cora Bender: Where did you go to school? Al Baker Sr.: I didn’t go to school. CB: You didn’t go to school? AB: No. CB: You didn’t like it? AB: No, they kicked me out, they said I wasn’t [unverständlich] CB: They said what? AB [überdeutlich]: They said I couldn’t learn nothing so they kicked me out. […] [laut]: I don’t know how to read and write. I’m doing this [klopft auf seine Arbeit, die Buchstaben und Wörter, die er aus Folie ausschneidet]. This is God-gifted. And nobody taught me, I taught myself. CB: And how did you go on after that, what did you do when you were a little older? AB: Learned to trap, learned to hunt ’n trap ’n fish and do stuff like that. CB: Here in LCO.
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE AB: [zustimmend:] Hm-hm. [Pause] Most people go to school, I didn’t go to school. [CB: so you learned] I didn’t get [con]taminated. I learned our ways. I learned my language and I learned, learned [Pause, dann mit einem Seufzer:] the Indian way. [CB: hm-hm.] Now I’m going to learning [Pause] how do I say it, the education way. [CB: hm-hm.] My kids know the Indian way, too. They also got the education. CB: So did you learn the language at home? AB: Oh yeah. CB: From your parents. AB: Yeah. CB: So is it your first language? AB: Yeah. English is my second. CB: Why did the teachers think you wouldn’t learn? AB: No, I don’t know what it was. I don’t know what it was back in those days. I don’t know. Today, I don’t think that they would kick anybody out of school, they would find out what’s wrong with them. How come he can’t read or how come he can’t learn. So I really don’t understand that. (Interview Al Baker Sr.)
3 D IE E NTSTEHUNG DES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS Nach dem in der Forschung vermittelten Bild war es hauptsächlich die Regierung Kennedy, die Anfang der 1960er Jahre auf der Grundlage einer langangelegten Studie die assimilationistische Bildungspolitik der beiden Nachkriegsjahrzehnte durch eine progressive Politik reformierte. Durch verschiedene Gesetze wie den Johnson-O’Malley Act (1934) und den Elementary and Secondary Education Act (1965) waren schon früher spezielle Budgets für die Förderung indigener Kinder an öffentlichen amerikanischen Schulen vorgesehen, doch im Jahr 1969 kam der sogenannte Kennedy-Report des Senate Special Subcommittee on Indian Education zu dem Schluss, dass öffentliche Schulen mehr daran interessiert waren, diese Sonderzuschüsse zu kassieren, als den indigenen Schülern tatsächlich zu einer angemessenen Bildung zu verhelfen. Das Komitee empfahl in einer Umkehr der bisherigen bildungspolitischen Ziele dringend die Integration indigener Kultur, Geschichte und Sprache in die Lehrpläne öffentlicher Schulen und die Einbeziehung indigener Eltern in die Schulerziehung ihrer Kinder. Der 1972 erlassene Indian Education Act schrieb diese Ziele fest und pumpte Gelder in die Indian Education, überließ es dann aber den Stämmen, selbst mit den lokalen weißen School Boards um Lehrplanänderungen zu kämpfen (Danziger 1979; Fixico 2000: 143). Die indigene kulturelle und politische Revitalisierung ist ohne das indigene Engagement für eine selbstbestimmte Bildungsagenda nicht denkbar. Bildung wurde als eins der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Werkzeug der Selbstbestimmung und des self-empowerment gesehen.
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Lomawaima ist sogar der Ansicht, dass das indigene Interesse an der Bildung sich leitmotivisch durch das ganze 20. Jahrhundert zieht, in dem z.B. die Mehrheit der indigenen Collegeabsolventen sich für Studiengänge und Abschlüsse in Erziehungswissenschaften/Pädagogik entschieden hätten (Lomawaima 1995: 333). Besonders wichtig ist m.E. die Frage, woher denn tatsächlich dieser Antrieb – die agency – für die Betroffenen kam, sich in solche Auseinandersetzungen zu begeben. Die bloße Konstatierung eines Mangels zieht nicht automatisch die Notwendigkeit nach sich, diesen auch zu beheben. In der Regel wird dies aber als eine selbstverständliche Schlussfolgerung aus den desolaten schulischen Zuständen und dem Versagen assimilationistischer Modelle dargestellt. Indigene agency entwickelt sich m.E. jedoch nicht aus einem Bereich des Mangels oder einer Situation der Schwäche. Im Gegenteil löste sich durch das Internatsschulsystem und die rigorose Unterdrückung indigener Kultur und Sprache für die indigenen Schüler jene Routinisierung von Handlungen auf, die diese prognostisch wissbar machten. Die in der Literatur immer wieder zitierten Erinnerungen ehemaliger Insassen von Internatsschulen drücken nicht nur Entsetzen über die sadistischen Methoden aus, sondern immer wieder auch Panik und tiefe Verstörung durch die Auflösung bzw. Umkehr kausaler Kategorien von Handlungen. Michael Wolf aus Lac Courte Oreilles erinnerte sich 1951 in einer Rede vor der State Public Welfare Commission in Madison an seine Zeit in einer Internatsschule, bevor er ans Hampton Institute ging: »I was six years old and the only English at my command were words repeated most often by the lumberjacks. Those words, as I found later in life, were not too decent. Very vividly do I remember my first test in this ›great educational system‹. A white man was pointing at a tub which was under a pump and he was saying something. I took it for granted that he wanted me to pump water and I nodded my head. He came over and pulled my ears and shook me. […] Regardless of the ear pulling, I wanted to satisfy this new master of mine – I was afraid of him – so I filled the tub with water. When he returned, he grabbed me by the back of the neck and led me to a dingy cell with a very small window light, and there I was confined for three days with four other boys. In the afternoon, he led me to a woodpile where I chopped kindling with a ball and chain around my ankles.« (Wolf o.J.: 2)1
Wie soll jemand aus einer solchen Situation heraus agency gewinnen? Die Soziologin Joane Nagel kommt zu dem Schluss, dass im Verhältnis von Aktivismus und Identität ersterer das Primat vor letzterem hat – dass indigene Identität sich aus der Erfahrung des politischen Aktivismus entwickelt hat, wohingegen die herkömmliche Auffassung davon ausgehe, dass eine bestimmte Identität bestimmte Individuen zu Aktivisten ma1 | Es handelt sich um die Lebenserinnerungen von Michael Wolf. Ray Wolf händigte mir im November 2000 eine Kopie davon aus.
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che, dass also Identität dem Aktivismus vorausgeht (Nagel 1995). Dieser »Henne und Ei«-Frage kann man entkommen, wenn man die Möglichkeit einbezieht, dass die agency des Aktivismus sich im konkreten Fall auch aus anderen Quellen speist als politischen Einsichten, sondern dass es »bei der Justierung der Standpunkte […] im Wortsinne um Fragen der ›Haltung‹ gehen kann« (Hauschild 1995: 20), die anders als politisch, also z.B. familiär, geschult werden. Scaglion und Norman warnen in ihrem Aufsatz über individuelle agency bei den Abelam im Sepik-Distrikt von Papua-Neuguinea vor einer zu einseitigen Anwendung der Kategorien Anpassung und Widerstand: »To cast the agency of marginalized people solely in terms of ›resistance‹ [= activism] a priori narrows our understanding of the ways in which groups, and individuals within them, assert autonomy, maneuver to construct social meanings, and actively participate in processes of historical change.« (Scaglion und Norman 2000: 122)
Nach ihrer Ansicht beschränken die Themen von Dominanz vs. Widerstand sich eher auf hierarchische Settings. Um in Gesellschaften, die, wie die Abelam, eher egalitär strukturiert sind, nach anderen Strategien der Agenten und anderen Ausdrucksformen von agency zu suchen, bedienen sie sich der biographischen Methode. Dieses Verfahren soll hier für einen Exkurs genutzt werden, der an einem Fallbeispiel verdeutlicht, woher die dem Aktivismus zugrundeliegende indigene agency kommt. Der Fall verdeutlicht außerdem die enge Verknüpfung der durch Tourismus und Indian Fairs geprägten Reservationskultur der Zeit vor den 1960er Jahren mit dem Aktivismus und der Entstehung des indigen kontrollierten Bildungssystems. Es wird deutlich, dass indigene Bildung im Zusammenhang mit der Revitalisierung des Reservationslebens in der Mitte der 1970er Jahre zu sehen ist. An den Biographien verschiedener Akteure läst sich erkennen, dass indigenes Engagement in der Bildung mit einer bestimmten, kulturell und familiär geprägten Haltung selbstbewusster Repräsentation einhergeht, die im konkreten Fall in der Reservationskultur der Indians Fairs, Touristentänze und Powwows eingeübt wurde.
3.1 Saxon St. Germaine konfrontiert die rassistische Schulpraxis Wir gehen zurück nach Hayward im Jahr 1949. Im lokalen Sawyer County Record wurde in der ersten Juliausgabe wie jedes Jahr der Beginn der sommerlichen Donnerstagspowwows mit Tänzerinnen und Tänzern aus Lac Courte Oreilles angekündigt. Als Besonderheit versprach das Blatt für dieses Jahr einen »mammoth pageant«, also eine groß angelegte narrative Show, die jeden Samstag und Sonntag in Hayward auf dem Festplatz stattfinden sollte. Die Veranstaltungen wurden mit Fotos angekündigt, die zu dieser Zeit noch eine Seltenheit im Sawyer County Record waren.
D IE E INRICHTUNG EINES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS »The pageant opens with an Indian powwow as one sees in modern times. Sam Frogg, narrator, leads his grandson, one of the solo dancers, to a hill where he relates to him the legend of the tribe from the time previous to the coming of the white man up to the present. The dancers immediately change back in character to those of their forefathers and the action of the story begins. Throughout the story many beautiful ceremonies are enacted. Richard DeNomie, who plays the part of the chief, tells many stories in sign language.« (SCR 07.07.1949)
Hier taucht zum ersten Mal der bereits erwähnte Aktivist des American Indian Movement, der spätere Kulturexperte und spirituelle Ratgeber von Lac Courte Oreilles, Eddie Benton Banaise, auf, der 1971 prominent bei der Besetzung des Winter Staudamms mitwirken sollte: »Edward Benton is the star dancer. He gives the audience an Eagle Dance of the Southwest and a Hoop Dance. It took a little 3-year-old boy in Indian costume to steal the show from an array of excellent dancers. The small boy dances with the men and uses a hoop in a solo dance. After the narrator carries us from early history to the present time, the pageant ends with the same powwow of modern times that one saw at the beginning of the evening.« (SCR 21.07.1949)
Zusätzlich zu den Fotos enthielten die Artikel ein ungewöhnliches Detail, den Namen des Pageant Directors: Saxon Grace Benjamin. In der Regel wurden im Sawyer County Record bei den LCO-Tanzfesten die Veranstalter nicht angegeben, wenn es keine weißen Organisatoren gab. Es scheint, als ob LCO-Tanzveranstaltungen einfach geschahen, ohne dass jemandes organisatorische Expertise in der Zeitung hätte gewürdigt werden müssen. Saxon Grace Benjamin aber wurde bezeichnet als »member of the local tribe who has directed other pageants in North Dakota and Oklahoma.« (SCR 07.07.1949) Ich recherchierte den Namen ergebnislos, bis ich bei der erneuten Durchsicht von Interviews aus LCO auf eins stieß, das ich im Jahr 2000 mit der Mutter von Rick St. Germaine, ehemaliger Tribal Chairman und seit vielen Jahren Professor an der University of Wisconsin Eau Claire, gemacht hatte. Auf Saxon St. Germaine war ich aufmerksam gemacht worden, weil sie in LCO zusammen mit einigen anderen elders aus Post in den 1990er Jahren eine Zeitung mit dem Namen Bimikawe produziert hatte (Abb. 25).
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Abb. 25 Bimikawe, eine von elders in Lac Courte Oreilles produzierte Zeitung, 1998.
Foto: Cora Bender, 2010.
In meinen Interviewnotizen las ich, dass ihre Mutter, Julia Corbine, LCOtribal member, ihr Vater, Ernest Benjamin, schottischer Herkunft gewesen war. Nun wusste ich, dass ich mit der Veranstalterin des »mammoth pageant« und mit der Herausgeberin der ersten Zeitung von LCO, We-Sa-MiDong, selbst gesprochen hatte. Im Interview hatte sie diese damalige Aktivitäten nicht erwähnt. Aber sie sprach über die rassistische Praxis in der indigenen Bildung der Nachkriegsjahre, und wie ihre familiäre Prägung sie dazu brachte, für sich persönlich durchzusetzen, was ihr damals noch viel wichtiger erschien als die Integration indigener Kultur in das Curriculum: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Die Siebenundachtzigjährige empfing mich im Januar 2001 bei sich zu Hause in ihrem behaglich ausgebauten Blockhaus, das früher ihren Eltern als Ferienunterkunft gedient hatte. Das Auffälligste an ihrem Haus war die Abwesenheit von Medien. Anders als in anderen, zumeist vielköpfigen Haushalten der Reservation, wo ständig ein, oft sogar zwei Fernseher gleichzeitig mit Programm für Kinder und Erwachsene laufen, herrschte in ihrem Haus tiefe Stille, nicht einmal das Ticken einer Uhr war zu hören, nur das Knacken eines Feuers im Kamin. Ich hatte sie auf einer Veranstaltung der College-Bibliothek über die Erfahrungen von LCO-Leuten in Internatsschulen kennengelernt. Im Interview erzählte sie ihre Biographie als Bildungsgeschichte, als Ringen um Bildung und Ausbildung. Die zurückhaltende Dame, die stets leise, aber pointiert sprach, hielt die Arbeit ihrer drei Söhne für weitaus verdienstvoller als ihre eigene. Ihr Beispiel ist aber nur eins für das Wirken von Frauen in der angeblich männerdominierten Ojibwe-Kultur. Sie wurde 1914 geboren. Ihre Mutter, Jahrgang 1886, war in Bayfield am Südufer des Lake Superior unweit der Reservation Red Cliff auf die katholische Schule gegangen. Ihre Eltern begegneten sich in South Dakota, wo
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ihr Vater im Dienst des Bureau of Indian Affairs als Lehrer bei den Sioux arbeitete. Die Familie scheint auf der Suche nach einer Existenz oft umgezogen zu sein u.a. nach Fort Totten, ND, nach Montana, wo sie sich als Homesteaders versuchten, nach Greenwood, SD, und wieder zurück nach Reserve, wo Ernest Benjamin eine Schule eröffnete: My Mom said she never ever wanted us to go to Boarding School, and Dad said the same thing. I was seven and my sister was nine when he got the school started. We had about twenty-some students when we started. (Interview Saxon St. Germaine)
In der Familie herrschte ein sehr auf Bildung und Wissensaneignung orientiertes Klima; der Vater war fest entschlossen, seine Töchter aufs College zu schicken. Ihre Mutter, die als Hausfrau auf Indian Fairs ebenso brillierte wie als Bildungsautodidaktin, scheint als ihr Vorbild eine noch größere Rolle gespielt zu haben: My mother had gone through the 8th grade. She was always determined that she was gonna be educated. She bought a book called »High School Self-Taught«. It was a thick book and had all the different subjects, like it had English, History, Sciences, and she just studied that all the time. And if she didn’t understand something – I went to college then – she would say, »now, explain this to me!« and I would sit there and explain it and she would ask questions and finally she’d say, »I got it!« and she had it. And she wouldn’t forget it, either. She was always reading the newspaper. She could do anything. They’d always get a »First« at the Fair, they’d set up a booth and she’d decorate it [sie lächelt]. She just surprised a lot of people because she was very dark, you know. (Interview Saxon St. Germaine)
Saxon und ihre Schwester studierten an der University of North Dakota Musik, Französisch und Sport. Als es nach den Abschlüssen ins Berufsleben ging, kam die Konfrontation mit der ungerechten Schulpraxis, die indigenen Absolventen vorschrieb, vor ihrer vollen Anerkennung zunächst zwei Jahre als Hilfslehrer zu arbeiten, und das für ein Drittel dessen, was nicht-indianische Lehrer verdienten: Back then, when [my sister] graduated, they had a ruling in the Bureau of Indian Affairs that if an Indian graduated from College, that in order for them to teach, they would have to work as an under-regular teacher for two years for $ 45 a month. Then, if they made that, then that was for one year. Then the next year, they would work for sixty dollars a month. Whereas the other [non-Indian] teachers would start out at a $ 120 a month. That’s what they did with Indians. (Interview Saxon St. Germaine)
Aber nicht mit Saxon Benjamin:
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE When I graduated I made up my mind that they weren’t gonna get by with that, so I went and started teaching right in that one-room rural school [in Fort Totten] where I had attended school [as a child]. And I was working for $ 75 a month, there. Which was better than the BIA. Then the second year I got a temporary job, and they were paying me a $ 120 as a temporary teacher, but they wouldn’t let me go in as a regular teacher. And a lot of those teachers only had two years of school, you know. And yet they wanted me to work under them! I refused to do it. And then there was Sam Thompson, he was one of the education [supervisors]. I’d been giving the Principal a hard time, ’cos their policy was, »you don’t encourage Indians to go to college«. The girls were to just be housewives, you know, and the boys were to be farmers. That was the big thing. When I was teaching, these kids had to take seven years of »Homemaker«, and the boys had to take seven years of Agriculture, and it was just the exact same thing every year! The students were complaining, they said, »why can’t we take typing and short-hand and work?«, but they wouldn’t let them, they had to be farmers and they said, »the Indians always went back to the blanket anyway«, that’s the way they put it. When Sam Thompson came here, he talked for twenty minutes about why you should not encourage Indians to go to college. Of course he didn’t know who the Indian was ’cos I don’t look Indian, you know. And so I just kept sitting there. »Are there any questions?«, he said. Of course I put my hand right up. »Should I not have been encouraged to go to college?« He was just looking at me and he said, »such a pretty girl as you should have been married long time ago.« I said, »I asked you a civil question and I am expecting and waiting for a civil answer.« And he says, »I’ll talk with you about that later.« […] Later, I stopped him, I said, »all right, it’s later, I want an answer about why I cannot go into this school as a regular teacher«. […] He said, »well, you don’t have any experience with teaching Indians.« I said, »I’ve got two years experience teaching Indians.« I said, »right in this public school down here we have Indians in here as well as white children. Employees’ children, and children from the outskirts here of the rez of Fort Totten.« I said, »75 % of my children in there were Indian.« He says, »ah, we make an exception in your case.« So he went back to Washington, and he sent everything, he worked it all out, so I went in there as a regular teacher. I was the first Indian [teacher] in the United States who was able to go in on a regular salary. (Interview Saxon St. Germaine)
Saxon St. Germaine engagierte sich später beim American Indian Movement in LCO, unterrichtete Literatur und Sprachen an Schulen in Sawyer County, indigene Literatur Nordamerikas an der University of Wisconsin Eau Claire und schließlich das Fach Culture am LCO Community College. Die Betrachtung dieses Falles im Rahmen des Wissenskultur-Ansatzes, der Bildung im Zusammenhang mit anderen kulturellen Äußerungen und Praktiken sieht, macht es möglich, die Langzeitwirkung der frühen Indian Fairs und Pageants abseits einer zunehmenden kommerziellen
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Vereinnahmung indigener Kultur zu beschreiben. Shows wie die Indian Fairs, auf denen Saxon St. Germaines Mutter immer »den ersten machte« und der »mammoth pageant«, bei dem 1949 mit Saxon Benjamin zum ersten Mal eine indigene Akteurin namentlich genannt wurde, übertrugen, wie hier in drei biographischen Kontexten (Eddie Benton, Saxon und ihre Mutter) sichtbar wurde, indigene agency aus dem Bereich der Volkskultur und des Tourismus – jenem Bereich, in dem die indigene Bevölkerung in ihrer kulturellen Differenz lokal noch am meisten geachtet wurde – in die Auseinandersetzung um indigene Bildungspolitik. Ihr Beispiel zeigt in exemplarischer Deutlichkeit, wie eng in der historischen Realität die als so getrennt konzeptualisierten Bereiche höherer Bildung einerseits und indigene Selbstdarstellung auf Indian Fairs und Pageants andererseits zu einer einzigen Wissenskultur verschmolzen. Auf der Grundlage dieser Darlegungen lässt sich die Geschichte der indigenen Bildung in Lac Courte Oreilles als spannungsvolle Wechselwirkung zwischen sich gegenseitig informierenden Strukturen und einer aus verschiedenen Quellen gespeisten agency erläutern, die in Lac Courte Oreilles schließlich zu einem eigenen institutionalisierten Bildungswesen führte. Saxon St. Germaine scheint ihre agency jedenfalls erfolgreich auf ihren Sohn übertragen zu haben, der spätere Tribal Chairman Rick St. Germaine, der heute als Professor an der University of Wisconsin in Eau Claire tätig ist. Er war Funktionsträger der National Indian Education Association (SCR 24.04.1975) und Autor der Vorlage des Wisconsin Indian Education Act von 1980 (LCOJ 3(5), May 1980).
3.2 Upward Bound und PEP-Programme Anfang der 1970er Jahre organisierte Ada Deer, Menominee-Aktivistin und Bildungspolitikerin aus Keshena, Wisconsin, spätere Direktorin des American Indian Studies Program der University of Wisconsin Madison, im Rahmen des Upward Bound-Programms2 der Stevens Point State University (heute: University of Wisconsin at Stevens Point) eine sechswöchige Sommerschule als Einstiegskurs in höhere Bildung für Reservationsjugendliche aus Red Cliff, Lac du Flambeau, Lac Courte Oreilles und indigene Jugendliche von High Schools aus ganz Nord-Wisconsin (SCR 13.05.1971). Im gleichen Jahr wurde auf Initiative der Pädagogin Veda Sto2 | Upward Bound-Programme wurden vom Office of Economic Opportunity als Teil des von Präsident Lyndon B. Johnson ausgerufenen War on Poverty organisiert. Teilnehmende Studenten, vor allem Indianer, Afro-Amerikaner, HispanoAmerikaner und andere ethnische Minderheiten, verbrachten im Sommer sechs bis acht Wochen an Colleges oder Universitäten, »participating […] in an educational, cultural and recreational program aimed at motivating them toward college carreers« (Office of Economic Opportunity o.J.: 41). Im gleichen Rahmen wurden auch sog. C.A.P. [Community Action Project]- und andere Indian Opportunities-Programme finanziert.
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ne3 ein Programm ins Leben gerufen, das den Titel Parent Education Program (PEP) trug. Es bot anfangs sechzig, später über 200 indigenen Studenten zwischen 18 und 65 Jahren mit und ohne High School-Abschluss weniger Nachhilfe in Kindererziehung als vielmehr einen Crash-Kurs in kultur- und bildungspolitischem Know-how: »During the first year, students studied legislative provisions for education, the administration of local school systems and how to be teacher-aides and paraprofessionals. […] Many of the participants became active in community Indian education committees and some were home and school coordinators for their local school systems.« (Journal of American Indian Education 14(2), 1975: n.p.)
In den Folgejahren wurden zusätzlich Kurse in journalistischem Schreiben, Soziologie, Sprecherziehung, Kunst und Literatur angeboten. Für einige Teilnehmer führte PEP zum Associate Degree und weiter durch die Pforten akademischer Ausbildung.4 Aus Lac Courte Oreilles nahmen u.a. der Kolumnist Ed Martin und die Aktivistin Ruth Carley teil, die Ojibwe noch als Kind gelernt hatte, und die ich später als elder in einem OjibweKurs am LCO Community College Kurse kennen lernte (EM 07.11.1974; 19.09.1979).
3.3 LCO-Schüler als Aktivisten: Der Schulboykott von 1975 Am letzten Tag des Jahres 1975 machte Lac Courte Oreilles dem öffentlichen Schulsystem von Hayward eine Kampfansage. »L.C.O. Indians claim discrimination; will boycott local school system«, titelte der Sawyer County Record aufgeregt (31.12.1975). Die Berichterstattung des Blattes über den Schulboykott ist unverblümt einseitig. Stellenweise wird in den Berichten z.B. nicht klar, wer gerade spricht, der Autor des Artikels oder der Sawyer County School Board. Auch erscheint die Struktur des Artikels dazu geeignet, Voreingenommenheit zu erzeugen: Zuerst wird der Leser darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Mitglieder des Hayward Community School Boards aus ganzem Herzen einer Untersuchung des Vorwurfs der Diskriminierung durch eine dritte, unabhängige Partei zustimmten. Dann erfährt das Lesepublikum erst, was die Indigenen überhaupt gesagt haben, doch nur sehr kurz und kursorisch:
3 | Veda Stone ist selbst nicht Ojibwe, aber eine in der Geschichte der jüngeren indigenen Bildung Wisconsins eminent wichtige Figur. Sie war damals Direktorin des Wisconsin Demonstration in Indian Educational Opportunities Program, später Direktorin der Native American Studies am katholischen Mount Senario College in Ladysmith, Wisconsin. 4 | Das Programm wurde vom BIA finanziert; der Higher Educational Aids Board von Wisconsin bot »educational grants« an, und das Education Committee des Great Lakes Intertribal Council förderte das Programm.
D IE E INRICHTUNG EINES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS »Lac Court Oreilles Tribal Chairman, Odric Baker, without previously notifying school officials, declared on Twin Ports Television Channels Monday, Dec. 22, that some 300 Indian children would boycott Hayward Schools January 5 th, protesting discriminatory treatment they were receiving in school.« (SCR 31.12.1975)
Danach widmet sich der Artikel dem Standpunkt des Hayward School Systems: »Claims that Indian culture and library materials are being ignored by the school have no basis in fact [wer spricht?]. Hundreds of volumes of Indians books are found in libraries, there are several units of study in this curriculum, Chippewa language is taught, private tutoring is available, and special counsellors and home-school coordinators are on the job.« (SCR 31.12.1975)
Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Zu Beginn der 1970er Jahre hatten im Schnitt nur 40-60 % der Reservationsbevölkerung im Gebiet der Great Lakes vier oder mehr Jahre High School-Ausbildung, und nur drei oder vier Prozent kamen nach der High School in den Genuss einer weiterführenden Ausbildung (Danziger 1979: 201). In LCO hatte man vor, recht zügig eine eigene High School zu eröffnen. Die in New Post bestehende Grundschule (K-3) sollte zu einer kompletten K-12-Einrichtung ausgebaut werden, die Kindergarten, Junior School, Middle School und High School-Bildung in einem anbot. »Their plans are to open the facility on Monday, January 12«, entsetzte sich der Autor des Sawyer County Record. Doch das Interesse der LCO-Familien an der eigenen Schule war anscheinend groß: »Preliminary registration on this school indicated that about 80 Hayward students would enroll.« (SCR 07.01.1976) Ein wichtiger Hintergrund scheint das Geld gewesen zu sein, das dem Sawyer County School Board verloren zu gehen drohte, wenn die Reservation ihr eigenes Schulsystem etablierte: »In response to Mr. Baker’s statement that from $ 250.000 to $ 300.000 would be lost to Hayward Schools, it was pointed out by school officials that less than $ 100.000 could be transferred legally to any private Indian school that might be set up by the tribal council.« (SCR 31.12.1975)
Gleichzeitig rechnete die Zeitung dem Publikum vor, dass der Versuch der Indianer, ein unabhängiges Bildungssystem zu starten, scheitern musste: »Hayward school officials […] had received no word from the federal government or state agencies concerning funding of the LCO school. All monies received by the Hayward School system are by law available only to public schools. A school spokesman stated that, if such funds were taken from the Hayward schools and given to the LCO school, it would be necessary for the government to change existing statuses.« (SCR 07.01.1976)
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Schließlich konnte LCO das Department of Public Instruction in Madison dazu bringen, ein Team nach Hayward zu entsenden, das die Vorwürfe und Hintergründe des Schulboykotts von 60 bis 70 LCO-Schülern untersuchte. Als der Bericht fertig war, ließ man aus Hayward, nun schon etwas kleinlaut, wissen: »[…] while no discrimination charges had been substantiated by the Madison team, the report dealt with a number of areas that have been cause for complaints from LCO leaders. These included the lack of Indian representation on the school board, causes of truancy, funding of programs, lack of sensitivity, lack of curricular offerings, dropout problems, social problems, including exchange of insults, and lack of Indian teachers on the school staff.« (SCR 04.02.1976)
Der Zeitzeuge Stoney Larsson aus LacCourte Oreilles, der seit vielen Jahren in verschiedenen Funktionen an der Schule arbeitet, erinnert sich im Interview: So finally, as a group they walked out of the school. The students walked out and lined up on the side of the road there, just said, if you wanna fight us, let’s just do it now, and they refused to go back in. My dad [Peter Larsson] was on the Tribal Council then. Rick Baker was the Tribal Chairman, then, and they had meetings, and the decision was, well, we’ll just start our own school so we can not only teach the academics but teach our history and culture, and in an atmosphere that’s more conducive for us. That’s how the school began as a result of that. There was a bunch of meetings between the parents and the school and the council and the Hayward School district. (Interview Stoney Larsson)
Das neue LCO-Schulsystem wurde in mehreren Schritten implementiert. Zuerst scheint man eine Grundschule eingerichtet zu haben, die dann schrittweise, mit Unterrichtseinrichtungen an verschiedenen vorübergehenden Standorten, erweitert wurde. Ed Martin, LCO-Kolumnist, kündigte das wichtige Ereignis an: »The LCO Ojibwe School (K-3) will have the dedication ceremonies on Saturday, January 24 th. A tour of the school and viewing of art exhibits will start at 12 noon. At 2 p.m. dedication ceremonies and the naming of the school, followed by a peace pipe ceremony, and hanging of the Eagle Feather. There will be guest speakers, and performances by the school children. The concluding events will be a traditional Indian feast and dance. The school is situated at New Post.« (EM 07.01.1976)
Jeder weitere Schritt wurde in der lokalen Öffentlichkeit angekündigt und entsprechend gefeiert. Die Eröffnung des neuen Gebäudes der LCO High School im Jahr 1978, die publizistisch bereits vom seit August 1977 operierenden LCO Journal begleitet wurde, bezeichnete man euphorisch als
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»historic event«: »the beginning of something new and great: the first Ojibwe high school in the nation.« Neben Tribal Chairman Rick St. Germaine hielten Vertreter des BIA, LCO-Politiker Gene Begay für die Presbyterianische Kirche, Dennis White (Abb. 27) als Instructor und jemand vom Great Lakes Inter-Tribal Council verschiedene Ansprachen. Schülerin Dolores Kykendall, die zusammen mit einem Mitschüler »in full Indian costume« das Band durchschnitt, beschrieb in einem Artikel im LCO Journal, wie die Institution eingesegnet und in die tribale Imagination integriert wurde: »The purpose of the ceremony was to dedicate the school in the traditional way to the Great Spirit above. This was represented by prayers, and the hanging of an eagle feather, which was done by Bill Sutton and James (Pipe) Mustache. Both are tribal elders, and Bill is also a member of the culture staff here. The feather means safety for the grounds. For example, if a bad storm were to come, it would go around us and we would not be harmed, according to Bill.« (LCOJ 1(7), Fall 1978)
Im Februar 1979 berichtete das LCO Journal, Lac Courte Oreilles verfüge nun über ein komplettes Bildungssystem.5 Die Schule, der man das zeitige Aus vorausgesagt hatte, startete im Herbst mit 112 Schülern der K-7-Schule (d.h. Kindergarten bis 7. Klasse) in New Post und 95 Schülern in der 8-12-Schule in Round Lake ins neue Schuljahr, was einer Erhöhung von immerhin 12 % gegenüber dem Vorjahr entsprach. Diese Information war dem Sawyer County Record immerhin eine Titelschlagzeile wert (SCR 19.09.1979). Die aus den Fairs und Pageants übernommenen expressiven Formen des Powwows wurden zum festen Bestandteil der Schulkultur und des culture curriculum. Die Graduierung wurde an der LCO High School jedes Jahr zu einer feierlichen Würdigung der eigenen Identität, bei der ein hochrangiger LCO-Politiker die Zeugnisse und Preise überreichte und elders wie Pipe Mustache, Bill Sutton und Earl Thomas den Kindern Federn überreichten sowie Gebete sprachen. In Hayward unternahm man einige Bemühungen, den Anforderungen der reformierten Bildungspolitik zu entsprechen, aber RassismusVorwürfe und Schülerstreiks gab es dort nicht zum letzten Mal. Nicht alle Eltern aus LCO nahmen ihre Kinder aus dem Hayward-System. Das Indian Education Program der öffentlichen Schulen in Hayward wurde 1976 unter dem Public Law 318 Title IV-A Johnson O’Malley Programs 5 | »Lac Courte Oreilles now has educational services from birth to retirement. Pre-school services, Headstart, an Elementary School in New Post, High School at Round Lake, Special Education Services (school psychologist, diagnostic testing), Teacher Training Project with 26 tribal members working toward teacher careers and ITAC Account and Data Processing School. The Tribe also manages Higher Education, College and Vocational Assistance and Manpower Training Programs from the Department of Labor.« (LCOJ 2(2), February 1979)
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gegründet. Teil des für 300 Kinder ausgelegten Programms sind indigene Angestellte, ein Home-School Coordinator (damals der langjährige LCOPolitiker Art Tainter6), ein Tutor sowie Lehrpersonal und das Indian Education Parent Advisory Committee, ein Elternbeirat. Wie kurz bemessen das Programm war, zeigt sich z.B. daran, dass der Hayward School Board sich erst im Juli 1991 dazu entschließen konnte, für die ca. 500 LCO-Kinder in Hayward einen zweiten Ojibwe-Sprachlehrer einzustellen, nachdem die einzige Stelle vakant wurde (SCR 17.07.1991).
3.4 Höhere Bildung Ein Ergebnis der erhöhten indigenen Kontrolle über das Bildungssystem war neben der gezielten beruflichen Weiterbildung7 die Öffnung akademischer Pforten für LCO-Schüler. LCO richtete ein Higher Education Program ein, das LCO-Studenten, die die Reservation zum studieren verließen, finanziell unterstützte. 1979 waren dies bereits 75 Studenten, die mit ca. $ 4.500 jährlich gefördert wurden. Diese Gelder wurden mithilfe eines Punktsystems vergeben, das neben Leistung auch Reservationsresidenz zum Kriterium machte (LCOJ 2(3), April 1979). Welche Institution sich damit brüsten kann, das erste Native Studies Department der Region gegründet zu haben, ist unklar. Kandidaten sind die katholischen Colleges St. Scholastica in Duluth (Minnesota) und Mount Senario in Ladysmith (Wisconsin) sowie das System der University of Wisconsin, wo an verschiedenen Standorten Native American Studies Departments und American Indian Centers eingerichtet wurden. Auf jeden Fall ist am Archivmaterial evident, dass die ersten indigenen Collegeabsolventen der 1970er und 1980er Jahre eine Ausbildung am katholischen Mount Senario College erhielten, das Mitte der 1990er Jahre seine Pforten schloss. Die American Indian Centers der öffentlichen Universitäten, die indigenen Studenten als Anlaufstelle dienten, haben ebenfalls eine hohe Bedeutung für die lokale Wissenskultur der Reservationen. Ganz wie von den paternalistischen Bildungspolitikern der 1950er Jahre befürchtet, ließen deren Absolventen sich nicht dauerhaft in den Großstädten nieder, sondern kehrten vielfach nach LCO und in andere Reservationen zurück. Aber nicht, um hier wieder unter die elende Decke der Rationen und staatlichen Unterstützung, zum sogenannten blanket, zurückzukehren, sondern 6 | Art Tainter hatte dieses Amt von 1976 bis 1993 inne und wurde dafür auf der American Indian Awareness Week 1993 mit einer Adlerfeder geehrt (SCR 09.06.1993). Während meiner Forschung vor Ort war Douglas Baker, der frühere General Manager von WOJB, der Home-School-Coordinator, und ich konnte mich aus eigener Anschauung davon überzeugen, wie wichtig Ansprechpartner aus LCO in der Hayward-Schule für die LCO-Kinder sind. 7 | Man hatte eine LCO Educational Task Force gegründet, die sich hauptsächlich um berufliche Fortbildung für Stammesmitglieder, insbesondere für Tribal Employees, bemühte (LCOJ 2(3), April 1979).
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um hier als Organisatoren und Lehrkräfte in das tribale Bildungssystem einzusteigen. Im Gepäck hatten sie ihre an der Universität erworbenen Kenntnisse und die mit anderen indigenen Kommilitonen diskutierten Kulturkonzepte. Die Bedeutung von Bildungsleistungen einzelner für das kollektive Selbstwertgefühl in Lac Courte Oreilles kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. LCO-Kolumnist Ed Martin berichtete solche Ereignisse regelmäßig stolz im Sawyer County Record. Hier nur eine kleine Auswahl aus vielen Jahren Berichterstattung. Ed Martin berichtet beispielsweise über George O’Shogay, Ojibwe Language Instructor am LCO Community College, Jahrgang 1914, »another outstanding elder who is interested in keeping alive the Ojibwe cultures [sic!], especially the language. To help him in this, he attended the University of Wisconsin-Milwaukee, taking up linguistics, the science of languages. He taught the Chippewa language at Mt. Senario College, Ladysmith, for nine years and taught three years at Unity School, Balsam Lake. At present, he is teaching the language at the LCO High School, going on his second year. In his teenage years, he answered the call of ›Go West, Young Man.‹« (EM 21.12.1983) »The Flandreau Indian School, South Dakota, held its annual pageant. From here, we had Becky Taylor, Cathy Fleming and Doreen Wolfe taking part in the pageant. Miss Wolfe was runner-up in the Indian Princess contest. All are students of the school. […] St Francis School: The children went out on performance at the University of Wisconsin-River Falls.« (EM 28.04.1976) »Florence Thayer is on vacation from St. Scholastica College, Duluth. She is majoring in sociology and Indian studies.« (EM 30.06.1976) »Dawn Kagigebi is back from the University of Wisconsin-Stevens Point. She was one of our students attending there for the summer session.« (EM 04.08.1976) »Mr. O’Shogay recently completed his training at the University of WisconsinMilwaukee. He will also be in the teaching business at Mount Senario College, Ladysmith. […] Marie Kuykendall is attending the University of Wisconsin-Milwaukee. She is taking up the Nursing Career to be an RN.« (EM 27.10.1976) »Mary Ellen Baker [is] attending the University of Wisconsin-Eau Claire. This is in the health program…« (EM 23.02.1977) »Margaret Taylor received her diploma from the University of Wisconsin-River Falls. She acquired the 45 credit hour requirement of the Parent Education Program. This was her 5 th year at the school.« (EM 01.016.1977) »Theresa Williams is attending school at Tempe, Arizona. We have three high graduates from LCO school […]« (EM 25.01.1978)
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »Ruth Carley and Thelma Morrow are attending the Woodland Indian Curriculum Project at Rhinelander. This program allows students to develop lesson units for pre-school children that will reinforce Ojibwe culture and values.« (EM 25.06.1980) »Julia Beth Walksout is attending school at Eau Claire, university; Ernie St. Germaine is working at Stout, University, Menomonie. They are daughter and son of Mrs. Saxon Gouge [Saxon St. Germaine, Mutter von Rick St. Germaine.]« (EM 29.08.1974) »We learn from Mrs. Ruth Carley that her son Alfed is attending school at Lummi Indian Business Council […]. He is studying forestry.« (EM 11.07.1974)
Außerdem veröffentlichte Ed Martin regelmäßig Namenslisten von LCOLeuten, die Bildungsleistungen vollbracht hatten, z.B. eine Liste mit Leuten, die ihre G.E.D.-Abschlüsse erhalten hatten (EM 17.05.1978), eine Liste von LCO-Studenten an der University of Wisconsin in Eau Claire (unter ihnen auch Vernon Martin, der zum Zeitpunkt meiner Forschung am LCO College Trommelkurse unterrichtete [EM 18.10.1978]), sowie eine Liste von LCO-Studenten an der University of Wisconsin River Falls (EM 21.06.1978). Er listete sogar die Namen all jener auf, die ihre Angehörigen in Schulen an weiter entfernten Orten besuchten (EM 07.11.1974). Im Jahr 1969 wurde das Department of American Indian Studies an der University of Minnesota, Minneapolis-St. Paul, eröffnet (Danziger 1979: 198); an der University of Wisconsin in Madison gründete man 1968/69 eine Task Force, die nach gründlicher Prüfung bereits bestehender American Indian Programs anderer Universitäten 1972 das American Indian Studies Programm in Madison ins Leben rief, dessen Direktor heute Ada Deer ist. 1976 änderte man dort seine Politik und konzentrierte sich weg von der Rekrutierung indigener Studenten hin zur Verankerung indigener Inhalte im universitären Bildungsplan und von mehr Präsenz indigener Kultur im Uni-Alltag. Damit einher ging eine Verpflanzung des Programms von der juristischen zur erziehungswissenschaftlichen Fakultät.8 In der Folge bildeten sich American Indian Studies Programme an den meisten Standorten des UW-Systems, an der UW Eau Claire existiert das 1976 von Veda Stone ins Leben gerufene Programm. Veda Stone ging es vor allem darum, mehr indigene Studenten zum Hochschulbesuch zu ermutigen.9 1979 wurde das UW-Stevens Point Indian Center10 eröffnet 8 | Vgl. www.wisc.edu/amindian/about.html, 24.03.2003. 9 | Vgl. www.uwec.edu/AIS/history.htm, 24.03.2002. 10 | »A nine-member board has been established for the new Native American Center at the University of Wisconsin – Stevens Point. The directors will review, develop and comment policy for the center as it begins to coordinate a variety of services for the state’s 11 Indian tribes.« Die beiden Direktoren, Sidney C. Lewis sowie der schon aus Mount Senario bekannte Mark Powless (Oneida) wurden vom
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und ein allgemeines Aufsichtsgremium gleich dazu, das American Indian Language and Culture Education Board, dessen Mitglieder immerhin vom Gouverneur persönlich ernannt wurden. Heute ist das Nachfolgegremium, das American Indian Studies Program am Wisconsin Department of Public Instruction, in Wisconsin für die Aufsicht über die schulischen Programme im Bereich American Indian Language and Culture zuständig – ein weiteres Beispiel für die wachsende Bedeutung der einzelstaatlichen Indianerpolitik. Das Gremium zertifiziert Lehrpersonal, gibt Informationsbroschüren heraus und ist insofern auch ein interessanter Fall zum Studium von Standardisierungsprozessen z.B. im Sprachunterricht.11 Heute existieren weitere American Indian Studies-Programme in Milwaukee, Green Bay, River Falls und Oshkosh. American Indian Studies-Programme sind auch deswegen bedeutsam, weil sich in ihrem Umfeld eine ganze Sparte von studentischen Publikationsaktivitäten entfaltete, aus denen wiederum Verbindungen zu Bildungsaktivitäten in LCO nachgewiesen werden können. Publikationen im Umfeld von American Indian Studies-Programmen wandten sich häufig an ein mehr professionelles Publikum wie z.B. Lehrer. So gab der seit 1976 erscheinende Neshnabe Gigdowen des American Indian Studies-Programms der Bemidji State University, Minnesota, Informationen für Lehrerinnen und Lehrer von Ojibwe und Potawatomi heraus. Das Upward Bound Program der UW Stevens Point gab im Sommer 1969 den Point Arrow heraus, eine selbstgemachte Studentenzeitung, an der auch ein Dennis White, wahrscheinlich der spätere LCO-Schuldirektor, beteiligt war. Er sprach seinen indigenen Kommilitonen Mut zu: »We have to live within the dominant white society. We can no longer remain completely isolated. […] We need Indian teachers, Indians in business, Indians at all professional levels, doctors, lawyers, administrators. We need education. We still have a long ways to go. And we have to do it ourselves.« (Dennis White, Point Arrow 29.07.1971)
Der Red Messenger ist der Newsletter des Wisconsin Indian Youth Council an der University of Wisconsin River Falls. In ihm schrieben Roseanne Barber, die heute in LCO in der Stammesverwaltung arbeitet, sowie ein Mann namens Jerry Smith, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um den heute in Lac Courte Oreilles öffentlich als Keeper of the Knowledge geehrten spirituellen Berater und Kulturexperten gleichen Namens handelt. Great Lakes Inter-Tribal Council ausgesucht. Das Center erhielt einen Bundeszuschuss in Höhe von $ 88.000, der jährlich erneuert werden musste. Für den Rest des Programms, das immerhin aus einem Projektleiter, einem Planungsspezialisten, einem Praktikanten, einer Sekretärin und zwei studentischen Hilfskräften bestand, musste die University of Wisconsin aufkommen (LCOJ 2(4), May 19, 1979). 11 | Vgl. www.dpi.state.wi.us/dpi/dlsea/equity/ailce.html, 28.03.2003.
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Die erste Ausgabe des Wisconsin Indian Youth Council Newsletter erschien zum ersten Mal am 14.01.1963 in Eau Claire, Wisconsin. Eine weitere Publikation des Wisconsin Indian Youth Council erschien unter dem Titel W.I.Y.C. Indian Council Talk, im Dezember 1969 nach eigenen Angaben als Vol. 7(1). Man berichtete auf der Titelseite von einem gemütlichen Zusammentreffen des WIYC im Wohnzimmer von Sozialarbeiterin Veda Stone. Mit unter den gewählten Funktionsträgern des WIYC war der bereits erwähnte Vernon Martin. Die Wisconsin Native American Student Association gab am 1. Mai 1972 zum ersten Mal den WNASA Newsletter heraus. WNASA hatte ein Board of Directors, dem der spätere LCO-Schuldirektor Dennis White vorstand. Aus der im Blatt abgedruckten Adressenliste könnte man wahrscheinlich alle zur damaligen Zeit an Native Studies Departments tätigen Studenten extrahieren. An der Marquette University in Michigan entstand im Juli 1970 die erste Ausgabe der Nishnawbe News, »published for Indians of the Great Lakes Area by the Organization of North American Indian Students« (Nishnabe News 1(1): 1). Dem Blatt ist anzusehen, dass ein recht starkes Finanzpolster bei der Produktion zur Verfügung gestanden haben muss, anders als bei den anderen Blättern, die eine einfachste Aufmachung aufweisen. Die Zentralorganisation der Organization of North American Indian Students gab ab Sommer 1969 auch den ONAS Newsletter heraus. Ende Juli 1982 kündigte John Anderson, Chairman der LCO Ojibwe Community College Task Force12, an, man werde nun nach einem Jahr Planung zur Tat schreiten und in LCO ein Community College eröffnen. Wie im Fall der Schule auch, wurde die Gründung der Institution vorangetrieben und das College in Betrieb genommen, bevor man die Finanzierung für ein Gebäude, gar nicht zu reden vom Bau selbst, unter Dach und Fach hatte. Dieses Verfahren weist m.E. einen echten Bedarf nach, Fakten zu schaffen. Anderson erklärte, das College werde zunächst Gebäude der High School, der Tribal Governing Offices sowie des Elderly Centers und der Elementary School in New Post mitbenutzen; mit dem Bau eines eigenen Gebäudes hoffe man, innerhalb der nächsten zwei Jahre zu beginnen (SCR 28.07.1982). Das College könne unter Public Law 94-471, dem Tribally Controlled Indian Community College Act von 1978, bis zu $ 3.000 oder $ 4.000 pro Student erhalten13. Das LCO College erhielt im Juli 1983 als 19. Tribally Controlled Community College die offizielle Anerken12 | Mit der College Task Force scheint ein weiteres politisches Kraftzentrum in LCO zu entstehen, Mitglieder waren u.a. Marie Kuykendall (später Tribal Planner), AIM-Mitglied Eddie Benton und seine Tochter Marilyn, auch AIM-Mitglied Mike Tribble und andere (SCR 28.07.1982). 13 | Man musste den Etat aus vielen Geldquellen zusammenkratzen, potentiell infrage kamen u.a. Title IV Developing Institutions, Higher Education Aids, the Snyder Act, Band Analysis, private Institutionen und LCO Treaty Settlement Funds (SCR 28.07.1982).
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nung der Bundesbehörde und wurde damit in die Lage versetzt, bis zu $ 3.000 pro eingeschriebenem Student an Zuschüssen zu erhalten (SCR 13.07.1983). Im September 1982 war es soweit. Im SCR berichtete Anderson in seiner Kolumne von der Eröffnung des Colleges, bei der ebenfalls eine Zeremonie abgehalten wurde: »Stoney Larsson, Social Studies Instructor, sang a flag song to give the occasion a greater aura of importance.« (SCR 01.09.1982) Bill Sutton sprach als tribal elder ein Gebet. Abb. 26 Zusammentreffen der Zeichen am Bau: Ein der traditionellen Perlstickerei nachempfundenes florales Muster, eine Skulptur mit dem Klantotem Migizi (Adler) sowie ein Weihnachtskranz am Gebäude der Lac Courte Oreilles-Schule, 2009.
Foto: Cora Bender, 2009.
4 D IE L AC C OURTE O REILLES C OMMUNIT Y S CHOOL IN DER G EGENWART 4.1 Er wartungen an ein indigen kontrolliertes Bildungssystem Im vorangegangenen Teil wurde gezeigt, dass Bildungspolitik für Indianer in den USA den Vorgaben der Indianerpolitik folgt, und dass sie auch unter den gleichen Bewegungsgesetzen, zwischen einem meist viel zu lange ignorierten »Problem« und einer von Interessen verzögerten »Reform«, vonstatten geht. Die Ausbildung einer verselbstständigten Wissenskultur im Zeichen der Selbstbestimmungspolitik scheint zum Teil
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unter den gleichen Vorzeichen zu stehen. Auch hier knüpfen sich an die Reform Hoffnungen, die teilweise an Heilserwartung erinnern. Die Fehler der Vergangenheit sollen nun mit einem mal alle wieder gut gemacht werden; das neue System hat außerdem einen hohen ideellen Wert als Ausdruck tribaler Souveränität. Das konzeptuelle Problem, wie es sich in indigenen Beiträgen zur Schulphilosophie äußert (z.B. Lomawaima 2004), besteht darin, die als holistisch verstandenen indigenen Wissenssysteme mit einem Schulsystem in Einklang zu bringen, das als Erbe des Kolonialismus gesehen wird, oder, um es mit den Worten von Al Baker Sr. aus Lac Courte Oreilles zu fassen, »Indian way« und »education way« zusammen zu führen. In der Praxis zeigt sich mit der Implementierung des selbstkontrollierten Bildungssystems zunächst eine qualitativ neue Stufe der Revitalisierung in einem sprunghaft intensiver werdenden Sozialleben; gleichzeitig aber auch in Konflikten um Kontrolle der Institution. Die revitalisierte Kultur fand im selbstkontrollierten System der Aus- und Weiterbildung, in Kursen, Workshops und Wochenendseminaren ihren Ausdruck, wozu sicherlich die Tatsache beitrug, dass als Lehrpersonal der Sprachkurse, Tanzworkshops und Reflexionen über lokale Geschichte in erster Linie lokale LCO-Bewohner herangezogen wurden. Die bereits erwähnte Saxon St. Germaine, zu diesem Zeitpunkt Saxon Gouge, organisierte am College eine Native American Studies Class, bei der verschiedene Dozenten aus LCO so unterschiedliche Themen wie »History of LCO«, »Tribal Government« (Eugene Begay), »Chippewa Flowage« (Rick Baker), »LCO School System« (Rick St. Germaine), »Ojibwe Language« (Elizabeth Schmock), »Inter-tribal Organization« (Gordon Thayer), »WOJB« (Bob Albee) und »Dancing« (Becky Taylor) unterrichteten. Alle Dozenten sind lokale Experten, es werden keine Externen hinzugezogen (EM 16.05.1984). Einige Ausschnitte aus der LCO-Kolumne von Ed Martin vermitteln außerdem einen Eindruck von der Fülle des revitalisierten Soziallebens. »Indian singing and dancing: an introduction to music and dance of Native Americans. Classes (adults) will begin Wednesday, January 30th, 7 to 9 p.m. at the Study Center, and will run for one night a week for ten weeks. Four college credits will be offered for all those who attend the classes. John Anderson and Dennis White (St. Scholastica College of Duluth) and Bill Sutton from Hayward, will be the instructors.« (EM 24.01.1974) »A big time was had at the Study Center. This was in conclusion of the final class of the Indian song and dance program. Four college credits were earned by each of the twenty-nine enrolees. The instructors were John Anderson and Dennis White of St.Scholastica College, Duluth. Jim Billyboy and Bill Sutton were the leading drum singers. Some of the dances included the snake, fish, round, ’49, women, war, stomp, calumet or pipe, and the stop and go. It was very interesting and encouraging to see others taking part, from tots to elders. At times, there were a hundred or more participants and spectators. The drum used to belong
D IE E INRICHTUNG EINES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS to the college and was made by Bill Sutton. The next program (volunteers) will be the making of costumes.« (EM 18.04.1974) »The Ojibwe language classes will be held on Tuesday and Thursday nights at the Center. George O’Shogay will be the instructor. Mr. O’Shogay recently competed his training at the University of Wisconsin-Milwaukee. He will also be in the teaching business at Mount Senario College, Ladysmith. All are urged to attend these classes to learn or brush up on our native language. Our grandparents and parents spoke it fluently, we know most of it, but our children are way behind in this, especially our grandchildren. It is beautiful to keep one’s own language.« (EM 27.10.1976) »Elizabeth Schmock teaches Chippewa at the Hayward Elementary School.« (EM 02.11.1977) »Art classes are now being taught at the former Headstart building. They are held on Tuesday nights. Al Baker Sr., artist and sign painter, welcomes all, young and old, to try the brush and easel.« (EM 01.03.1978) »The LCO School boasts of an Indian dance club. They have performed at and attended various pow wows beyond our borders. This week, they’ll journey to Ladysmith to attend an Indian play and then to Eau Claire to have their singing and dancing taped or recorded.« (EM, 24.05.1978) »Marcella Guibord and Margaret Cooper are the cultural instructors at the New Post School.« (EM 04.02.1976)
Die LCO-Schule, der anfänglich in Hayward niemand ein langes Leben voraussagte, hat über die Jahre ihre Existenz behauptet und ihren Standort ausgebaut. Sie befindet sich heute in einem modernen, hellen Gebäude unweit des Tribal Office und der Radiostation mitten im politischen und Verwaltungszentrum von Lac Courte Oreilles und hat vielen LCOFamilien einen Weg in die Bildung eröffnet, der vorher nicht zugänglich war.14 Aber die Probleme der indigenen Bildung waren damit immer noch nicht vom Tisch. Anfang 1995 waren 25 % der Schüler im Hayward School District indigener Herkunft. Gleichzeitig waren indigene Schüler durchgehend mit weniger als 10 % vertreten bei den leistungsintensiveren und sozial prestigeträchtigeren Schulaktivitäten, z.B. naturwissenschaftlichen Leistungskursen, Schulchor, Schulband und Schuljahrbuch. Überrepräsentiert dagegen waren Schülerinnen und Schüler indigener Herkunft in besonderen Förderkursen für lernbehinderte und sozial gestörte Kinder (SCR 04.01.1995). Dies wurde im Dezember 1994 auf einem Treffen eines Eltern-Gremiums, des Title V Indian Parent Advisory Committee, festgestellt. Die Ursache: Armut. »Poverty in the family is the highest indicator 14 | Vgl. auch die Homepage der Schule: www.lcoschools.bia.edu.
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of a lack of success in school, and it is something that all of our community has to become concerned about and work on«, kommentierte der Superintendent des Hayward Community School District, Wayne Reid. Wie soll man einen solchen Mangel verwalten? Die Armut kann ein Schuldistrikt nicht abschaffen. Stattdessen produzierte das Treffen Appelle und Selbstkritik. Man solle die Zahl der Familien mit alleinerziehenden Elternteilen reduzieren, fordert jemand aus dem Parent Advisory Committee; es sei so schwierig, Lehrer indigener Herkunft zu finden; die Eltern indigener Schüler ließen sich immer noch viel zu selten bei Elterntagen sehen. Art Tainter, seit 1976 Home-School-Coordinator für die Schüler aus Lac Courte Oreilles, kritisierte dagegen das Versagen der Schule in einigen praktischen Fragen – dass zu wenig von den Planungen tatsächlich umgesetzt worden war u.a. der Bedarf nach mehr Tutoren für indigene Schüler, die Anstellung eines zweiten Home-School-Coordinators, Geld für die American Indian Week und eine Strategie, mehr indigene Lehrer anzustellen (SCR 04.01.1995). Im März 1998 gab es wieder Probleme an der Hayward High School, Schüler drohten eine Protestaktion an. Sie warfen der Schule vor, die Zero Tolerance Policy des Hayward School Districts über den Umgang mit Alkohol und anderen Drogen den indigenen Schülern aus LCO gegenüber in unfairer und diskriminierender Weise anzuwenden. Tribal Chairman Gaiashkibos bat den School Board, sich mit dem Tribal Governing Board zu treffen. »The perception now in our community is that the policy is not being implemented fairly and equally.« Art Tainter: »[…] there are more kids now that are dissatisfied. They feel unimportant.« Er monierte abermals die seiner Meinung nach viel zu niedrige Rate an Lehrern indigener Herkunft, die gemessen am Anteil indigener Schüler bei ca. 25 % liegen müsste. »›Maybe there is a reason why they don’t apply (for jobs), and that bothers me‹, he said.« (SCR 18.03.1998) Auch in der Gegenwart ist das Bildungssystem in Hayward immer noch ein Ort, an dem sich Rassismus und Vorurteile äußern, wie der Tribal Chairman Gaiashkibos meint: Interpersonal relationships between the communities? I think our kids experience that in the public school. We have about 450 to 500 Native American Indian children going to public school. There’s always a thing of racism about Indian and non-Indian, [like them] always givin’ little war whoops and little innuendo things to make our kids feel bad, make ’em feel less worthy. The kids experience that first hand. So, that’s part of what’s going on in the community. (Interview Gaiashkibos)
4.2 Bildung und Identität Bildung hat, ähnlich wie eine erfolgreiche Wirtschaft, auch einen starken symbolischen Wert als LCO-asset, wie aus Interviews und Gesprächen mit LCO-Bildungsverantwortlichen, dem Direktor der Schule, Craig Eunau,
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dem Administrator der Schule, Stoney Larsson, und dem Dean des Colleges, Ann-Marie Penzkover, deutlich wird (vgl. Abb. 26): Even if you had a job in town, there was so much racism and resentment that you would eventually quit. These things have just changed during the last five years. One reason is education. Because of better education, more people have jobs in town now. […] Now there’s people from LCO in social services, at the county and at various businesses in town. Now, Indian kids see some role models in town. (Gespräch Ann-Marie Penzkover) Our people in the past have been forced to change more so than other groups. Our religion was banned legally for a long time, people were removed and relocated in the 1950s. It’s hard on their identity. (Interview Craig Eunau) There is a pervasive attitude in Hayward that Indian people can’t learn or can’t be taught. You hear that here and there, subtle things like people’s comments in stores. (Interview Craig Eunau)
Dieses Inferioritätsgefühl wird durch die Ignoranz und abwertende Stereotype in den allgemeinen Medien verstärkt. There’s a biased media coverage I think. They still show the old movies on TV that still reflect negative things, those old cartoons and things like that. I remember when I grew up – I’m a child of post-World War II, so I remember Popeye-cartoons with funny Nazis and Japanese. You don’t see those on TV anymore. But you see dumb-dumb-Indian things. It irritates me. […] Watch the news, there’s a Black history month. We don’t have a Native American month, I mean we have one – November – but the national media or the world media hasn’t picked up on that, hasn’t done anything with it. (Interview Craig Eunau)
Also existiert es nicht: Kids feel that. Maybe we’re not as important as somebody else. (Interview Craig Eunau)
Die Schule wird als potentieller Akteur in der öffentlichen Auseinandersetzung gesehen; daraus, dass sie diese – vielleicht übersteigerte – Erwartung nicht erfüllen kann, erwachsen Schuldgefühle: Even we as a school we don’t do as much as we could. We could do more to push those issues in the public, then we’d have more Native pride. (Interview Craig Eunau)
Die LCO-Schule operiert heute als private, zu ca. 95 % ihres Etats vom BIA finanzierte Schule. Da die Schule nur für solche Kinder Finanzierung erhält, die zu einem Viertel oder mehr Indianer sind, wie mir der Schul-
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direktor erklärte (»a quarter or more Indian«), sind in der Regel 25-40 von insgesamt 300 Schülern nicht in der Finanzierug vorgesehen und werden von der Schule, die kein Schulgeld erhebt, kostenlos ausgebildet. Craig Eunau schätzte, dass die Schule mit ca. 50 % des Finanzierungsrahmens einer öffentlichen Schule auskommen muss, dass das Angebot aber alles umfasst, was zu einer modernen Ausbildung gebraucht wird. We have all those programs, like »gifted and talented«. (Interview Craig Eunau)
Die Schule hat ein lokal begrenztes Einzugsgebiet. Die meisten der 160 Schüler der Middle School und High School kommen aus LCO, ca. acht bis zehn Schüler werden jeden Tag mit dem Bus aus der Bad River-Reservation am Ufer des Lake Superior herbeigefahren. Als herausragendsten Unterschied seiner Schule zu den anderen öffentlichen Schulen bezeichnete Craig Eunau den »cultural aspect«. Hier bildet die Erfahrung, die LCO-Kinder mitbringen, den kulturellen Hintergrund, der ihre schulischen Bedürfnisse (educational needs), definiert: Indian children are no different from other kids, they have a different background of experiences. They face other issues: a lot of prejudice which works, by the way, both ways. This is due to things that happened in the past, we have to balance that out. (Interview Craig Eunau)
Andererseits steckt das traditionelle kulturelle Wissen in einem Korpus, der sich aus der Sicht einer High School als unzugänglich und unzeitgemäß darstellt: Cora Bender: How do you get all the knowledge for teaching cultural issues, textbooks, the curriculum. Craig Eunau: Right, that’s one of the issues that we face. If you look, there’s a catalog right here, that I picked up during the day, I was gonna send it out to the tutors. There’s several materials in here. »Chippewa Customs« by Frances Densmore. This is a fairly old book! »Kitchi Gami: Life Among the Ojibway«. There is material out there. How accurate it is… You know, history’s written by people who determine what’s important to them when they write it! And everybody has a bias when it comes to writing history. CB: But Densmore, Kohl and so forth, that is being used? CE: Right. Well, the language is taught by language speakers. That’s an issue, too. We need language speakers who are also teachers! […] The challenge I guess is having people in the future going to college and become teachers and come back here and serve their community, or serve another Indian community. (Interview Craig Eunau)
Darüber hinaus gibt es eine Praxis des kulturellen Unterrichts in der Schule, die sich in dynamischer, pragmatischer Weise aus gemeinschafts-
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stiftenden Zeremonien, panindianischer Tanzkultur und kulturspezifischen Fertigkeiten, cultural skills, zusammensetzt: One of the things we do every Monday, we have an assembly and we do an opening prayer for the week. We have the flags on with the drum and some intertribal music and different honoring songs. That’s the K-12 assembly. The whole school starts out the week with this assembly. And then the end of the week we have a powwow every Friday afternoon. Once every month we have a formal powwow, everyone wears an outfit.15 (Interview Craig Eunau)
Ojibwe culture als Lehrfach ist im Lehrplan durch Sprachkurse, durch »Outdoor Skills Training« und Handarbeiten vertreten. Ojibwe muss bis zur 8. Klasse als Pflichtfach belegt werden, in den letzten vier Jahren bis zum High School-Abschluss wird es als Wahlfach angeboten. We also have the cultural activities: ricing, hunting, fishing, maple syrup16 . We have our big feasts at the powwows with the game that has been hunted by the students. (Interview Craig Eunau)
Die als Cultural Staff an der High School angestellten Lehrer sind alle aus Lac Courte Oreilles. We have a language teacher, we have an outdoor skills person. They are tribal members. Louis White. Dennis White is the curriculum coordinator. Doug White, Jim Miller, Alfred Mustache. They also teach basket making and birch bark gathering. (Interview Craig Eunau)
Im Mai 1995 wählte die Wisconsin Indian Education Association eine Lehrerin aus LCO zum Wisconsin Indian Educator of the Year.17 Bei regelmäßig stattfindenden Summer Camps oder Ojibwe Language Immersion 15 | Alle in LCO ausgerichteten indoor powwows, also vor allem das Veterans Powwow am 11. November und das Sobriety Powwow am Silvesterabend werden in der neugebauten Turnhalle der Schule abgehalten. Die Schule richtet übrigens auch selbst ein überregional bekanntes contest powwow aus, bei dem jährlich Preisgelder von über $ 10,000 vergeben werden. 16 | Die LCO-Schule hat einen eigenen sugarbush an der Larsen Road. 17 | Mary Butler Hart, die an der LCO-Grundschule Ojibwe unterrichtete, hat eine wenn nicht gerade stromlinienförmige, doch für Lac Courte Oreilles nicht untypische Bildungsbiographie. Sie wuchs als Kind noch in dem rein Ojibwe-sprachigen Haushalt ihrer Großeltern in Signor auf, bevor sie mit sechs Jahren in Couderay außerhalb der Reservation in die öffentliche Grundschule kam. Danach ging sie bis 1957 in Winter zur High School. Nach einem Leben als Hausfrau und Mutter und nach dem Tod ihres Mannes ging sie 1980 »back to school«, und zwar zum katholischen Mount Senario College in Lady smith, wo sie 1985 einen B.A. in Elementary Education mit Nebenfach Native American Studies abschloss. Sie
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Weekends werden elders in die Schule eingeladen und unterrichten die Kinder in Ojibwe oder in der Kunst, ein Birkenrindenhaus zu bauen. Der Unterricht in Ojibwe Culture soll also auch die Lücken füllen, die durch die Sozialexperimente der Boarding School und der Relocation in den Familien aufgerissen wurden. It helps our children understand their past, it helps to keep lost skills alive. If you don’t teach the kids, how they’re gonna learn it? We don’t live in the family units any more that we used to live in, you know, those generation upon generation. Maybe they can rebuild that lost heritage. In a way the school is picking up things that were formerly taught in families. If you don’t have a parent or grandparent, the school has to take over. (Interview Craig Eunau)
Es gibt auch die Praxis, eigenes kulturelles Wissen an die nicht-indigene Mehrheit zu vermitteln, vor allem durch Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer aus der Region.18
arbeitete einige Jahre als Ojibwe-Sprachlehrerin und Home-School-Coordinator in Balsam Lake, bevor sie an die LCO Community School kam. 18 | Im Februar 2001 begrüßte dabei der Principal Dennis White die weißen Lehrer mit einem Gebet in Ojibwe, gefolgt von einer Darbietung der Lac Courte Oreilles School Drum, anwesend u.a. Jeff Crone, Stoney Larsson und Rusty Barber (SCR 14.02.2001).
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Abb. 27 Rollenvorbild: Dennis White, Verwaltungschef der Lac Courte Oreilles High School, mit selbst hergestellter, perlenbestickter Weste, die das florale Muster auf schwarzem Samt in leuchtenden Farben zur Geltung bringt, 2005.
Foto: Cora Bender, 2005.
4.3 Leistungsorientierung und traditionelle Werte Aus einer Selbstdarstellung in einer Annonce im SCR von 2001 wird deutlich, dass zum Selbstbild der LCO-Schule immer noch ihr Ursprung in einer Protestbewegung der LCO-Schüler gehört. Doch die Konsolidierung der Schule in der Gegenwart stellt neue Fragen und Konflikte auf die Ta-
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gesordnung. Was sind die eigenen Qualitätskriterien, und wie ist eine Balance zu finden zwischen den Zielen der Leistungsgesellschaft und den als traditionell geachteten Werten? »The Lac Courte Oreilles Ojibwe School is a comprehensive academic, culturally and community based education system designed to meet the needs of the Lac Courte Oreilles Community and the future of the Lac Courte Oreilles Reservation. Our curriculum is constantly being revised and improved to better incorporate the wisdom and beauty of our Ojibwe heritage. We continue to teach the skills necessary to live and be successful in today’s modern technological society. […] Special programs include Ojibwe language and culture, Powwow Club, […] Youth Press, […] and the American Indian Science and Engineering Society.« (SCR 25.04.2001)19
Es gibt verschiedene Konflikte, in denen sich die Schwierigkeiten der Modernisierung manifestieren. Die Tatsache, dass das Selbstbild nicht völlig frei konstruierbar ist, sondern im Zusammenhang mit der vom Anderen entgegengebrachten Achtung oder Missachtung entsteht, wird deutlich im stillen, zähen Ringen um Respekt und Anerkennung durch Hayward. It has taken us 25, 30 years to gain acceptance. A lot of parents think that the Hayward School system is better, but I don’t think so. We teach them a great deal of respect and understanding of our tradition. Our gym makes indoor powwows possible, also sports. Sports is a big issue in terms of getting a good image. (Interview Stoney Larsson)
Die Diskussion um Qualitätsstandards hat mehrere Facetten. Sie scheint in Teilen eine von außen kommende zu sein, z.B. brachte die New York Times am 18.05.2000 eine Titelstory über »Indian Schools, Long Failing, Press for Money and Quality«, die der lokale SCR sogleich aufgriff. Es geht dabei um Professionalitäts-und Qualitätsstandards, die anscheinend in vielen Reservationsschulen ein Thema sind. Die Kolumnistin Doreen Yellow Bird berichtet, dass im Jahr 2002 18 von 23 Schulen in North Dakota mit hohem indigenem Schüleranteil, von denen die meisten BIAoder tribale Schulen waren, bei Vergleichstest mit amerikanischen Durchschnittsschulen durchfielen. Sie führt dies auf eine immer noch negative allgemeine Erwartungshaltung gegenüber indianischen Schülern zurück, denen man keine starken intellektuellen Leistungen zutraut. In Lac Courte Oreilles kommt eine mangelnde personelle Kontinuität hinzu, die lange vorherrschte: What has hurt us most over the years is the turnover of administrators. We’ve been changing them almost every year. Today we finally got some consistency going. (Interview Stoney Larsson) 19 | Vgl. auch die Website des Colleges: www.lco.edu.
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Das grundsätzliche Problem, das sich für die indigene Schule aus der Implementierung von allgemeinen amerikanischen Leistungsstandards ergibt, ist die soziale Ungleichheit, die damit in die Reservationsgesellschaft importiert wird. Hier scheint in der Schule selbst Unklarheit zu herrschen, inwieweit man, um Lac Courte Oreilles als Kommunität dem Mainstream gleichzusetzen, die Versager in LCO ausgrenzt oder integriert. Stoney Larsson plädiert für mehr Ausgrenzung: [The LCO School] is more like a family group. A lot, maybe about 2/3 of our employees are tribal people, so at work, we have a lot of internal tribal issues. Because it’s a tribal community, everybody knows everything about everybody. We want to foster a feeling of togetherness, unity, pride, culture. But we still teach »academics«, we prepare our kids for a career. We want to upgrade our education, at the same time, teachers don’t want to give kids homework to do because they don’t do it anyways. I think that’s wrong. You gotta push things. If you’re pushing them harder to achieve, you instill in them the idea of goal-setting and career. Every once in a while I get some bad kids. We want to get gang members out of the school. Get them out of the picture by eliminating that element. (Interview Stoney Larsson)
Der Leiter der High School, Craig Euneau, will hingegen niemanden ausschließen: Craig Eunau: LCO people have had a tough time with the local public education system. I’m a newcomer here, I perceive things a little different from my peer in the Hayward public schools system. I’m a reality therapist, that’s what I believe in. People need to be helped to deal with change. […] Even dealing with the parents: We parent as we’ve been parented. It’s a cycle. We repeat the same things. […] When we came from real strict parents, we were liberal with our kids, which is one of the excuses that society has right now to … we were too liberal with our kids, you know, and therefore, everybody is nuts and all that stuff. […] I might decide not to suspend the child, because I believe that at home it might be more serious than when he’s here. […] I’m a big believer in counseling and therapy groups and things like that which may be too liberal for some people but I Cora Bender: So you believe in therapy rather than boot camp? CE: Right! I mean, boot camp may be right for some individuals, but other individuals might refuse to change. (Interview Craig Eunau)
Der Kompromiss liegt darin, eine Alternative zur Alternative, und damit eine Doppelstruktur zu schaffen. We’re expanding our educational system, we develop our own Alternative School for the vast number of kids that are not in school, about thirty. I see that as a need. (Interview Stoney Larsson)
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5 D AS LCO O JIBWE C OMMUNIT Y C OLLEGE Das Lac Courte Oreilles Community College ist schon von weitem an seinem künstlerisch gestalteten Eingang zu sehen, der in den vergangenen Jahren neu gebaut wurde (Abb. 24). Das College, das im Sommer 1982 seine Pforten eröffnete, unterscheidet sich in zwei Punkten erheblich von anderen ländlichen Community Colleges. Erstens verdankt es seine Existenz dem rechtlichen Status des Stammes als souveräner Entität. Wie der Self Study Report es ausführt: »In August 1982, the Lac Courte Oreilles Tribal Governing Board chartered the Lac Courte Oreilles Ojibwe College and provided Articles of Incorporation.« Das bedeutet, bei der Gründung und der Führung des Colleges war der Bundesstaat Wisconsin nicht beteiligt. Verhandlungen, die das College mit Bildungsinstitutionen und -bürokratien des Staates Wisconsin führt, finden also rechtlich – und anscheinend manchmal auch atmosphärisch – auf einer »governmentto-government«-Ebene statt. Aus dieser Besonderheit leitet sich auch die finanzielle Sondersituation des Colleges ab, das auf der Grundlage von Public Law 95-471, dem Tribally Controlled Community College Assistance Act von 1978 operiert. Um vom Staat Wisconsin mehr Kooperation und finanzielle Unterstützung zu erhalten, öffnete das College sich im Jahr 1998 auch für nicht-indianische Studenten. Heute sieht das College sich, wie auch die Radiostation WOJB, in der Funktion, eine Brücke zwischen den Kulturen herzustellen. »It clearly is the center of the community’s vision in terms of not only promoting higher education, but also in terms of bridging cultures; creating a sense of hope and prosperity for future generations; and providing a central ›place‹ for the community to gather and celebrate […].« (Fairbanks 1998: 8)
Dies erklärten College-Mitarbeiter und Studenten einem Team von Evaluatoren bei einer Begehung im März 1998. Die Zahlen sprechen in diesem Fall die gleiche Sprache. Aus einem durch den Stamm in Auftrag gegebenen Zensus von 1996, in den ich im Jahr 2001 kurz Einblick nehmen konnte, ging hervor, dass von den Einwohnern der Reservation (LCO-Leute mit Wohnsitz in Sawyer County oder anderswo nicht mitgerechnet) 26,3 % ein College besucht hatten und immerhin noch 13,7 % von ihnen auch Collegeabschlüsse hatten. Zum Vergleich: eine Business School hatten nur 0,9 % und eine Vocational School nur 7,2 % der Befragten besucht. Auch die altersmäßige Zusammensetzung spricht für die Einbettung und das Vertrauen, welches das College bei der Bevölkerung von LCO genießt. We have very few traditional-age students, now there’s a few from the high school, but generally the kids want to go away from home. Many of the older people have been damaged by education in boarding schools and bad treatment because of racism, and for them, education has a bad taste. They’ve
D IE E INRICHTUNG EINES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS worked in minimum wage jobs, and now they acquire their high school diploma and then go to college. We take people without high school diploma. We’re the only school in Wisconsin who does that. (Gespräch Ann-Marie Penzkover)
Das College bietet Associate of Arts, Associate of Science und Associate of Applied Science-Abschlüsse an, möchte aber in naher Zukunft auch B.A.-Abschlüsse anbieten können. Heute sind ca. 500 Studentinnen und Studenten eingeschrieben, von denen in den vergangenen Jahren in der Regel zwei Drittel weiblich und ein Drittel männlich waren. Der Anteil der Studenten indigener Herkunft drückt sich in den Reports des Colleges als »Indian student count full time equvalency«, kurz ISCFTE aus und beträgt für das LCO College konstant ca. 30020. Diese Zahl hat für das College eine enorme Bedeutung, denn sie liegt den Berechnungen für die Finanzierung des Colleges durch das Bureau of Indian Affairs zugrunde. Generell beträgt der Anteil der indigenen Studenten ca. 77 % und der nicht-indigener Studenten ca. 23 %, wobei die Zahlen über die Jahre konstant blieben. Diese Zahlen sehen etwas weniger günstig aus, wenn man die Zusammensetzung des Lehrkörpers hinzuzieht. 1998 waren von den vierzehn fest angestellten Dozenten nur vier indigener Herkunft, und von den fünfzehn Lehrbeauftragten zehn indigener Herkunft. Für die Probleme, qualifiziertes indigenes Lehrpersonal anzuheuern, macht das College die prekäre Finanzsituation verantwortlich. Die Grundfinanzierung des Colleges ist durch Public Law 95-471, den Tribally Controlled Community Colleges Act, sichergestellt, wobei es sich um Gelder handelt, die durch das BIA verteilt werden. Die Höhe der letztlich an das College überwiesenen Summe hängt aber von der Zahl der eingeschriebenen Studenten im Vergleich zum Enrollment Level anderer tribal kontrollierter Colleges und schließlich von der Entscheidung des US-Kongresses ab. Diese Finanzierungsquelle macht zwischen 50 und 60 % des Collegehaushalts aus. Als zweitwichtigste Finanzierungsquelle sind in der Planung die verschiedenen Grants aus zentralen, bundesstaatlichen und Stiftungsmittel mit ca. 26-29 % für den Collegehaushalt angesetzt, was in den Berichten allgemein als zu hoch eingeschätzt wird, da Grants zweckgebunden und nur kurzfristig verfügbar sind. Die dritte Finanzierungsquelle, »tuition and fees«, belaufen sich bei ca. $ 80 pro Credit auf 27 % des Haushalts. Das College hat es sich zur Aufgabe gemacht, für die indigene Bevölkerung in Nord-Wisconsin höhere sowie Weiterbildungsmöglichkeiten bereitzustellen, wie das Mission Statement es ausdrückt. »The mission of the Lac Courte Oreilles Ojibwe Community College is to provide, within the Indian community, a system of post-secondary and continuing education with associate degree and certificate granting capabilities. In carrying out the mission, the Lac Courte Oreilles Ojibwe Community College curriculum will reflect Ojibwe culture and tribal self-determination. The college will provide op20 | Lac Courte Oreilles Ojibwe Community College (1998: 41)
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE portunities for individual self-improvement in a rapidly changing technological world, while maintaining the cultural integrity of the Ojibwe.« (Mission Statement, Lac Courte Oreilles Ojibwe Community College 2000: 3)
Die »Philosophy« fährt fort: »The college curriculum will reflect identified needs and interests of the Lac Courte Oreilles Band of Lake Superior Chippewa by providing academic, vocational, adult basic education, cultural, and community programs. The primary purpose is to meet the needs of the Indian population and maintain an open door policy.« (Mission Statement, Lac Courte Oreilles Ojibwe Community College 2000: 3) 21
Die Verwurzelung in der Gemeinde ist ein wichtiger Punkt. Das College sieht seine Rolle darin, für Gemeindeprojekte und auf LCO bezogene Forschung eine Plattform zu bieten, in LCO als wichtigste Quelle für bildungsbezogene Information zu dienen und Fachleute für die in LCO operierenden Betriebe auszubilden. »Leadership for cultural preservation« steht ebenfalls auf der Prioritätenliste. Das Lehrangebot sah 1997 Associate of Arts-Abschlüsse in Fächern wie Casino Management und Suchtberatung, Tribal Management, Native American Studies und Liberal Arts vor; Associate of Applied Sciene-Abschlüsse wurden in den Bereichen Agriculture and Natural Resource Management, Medical Assistant und Nursing angeboten. Daneben konnten sog. Certificates in Bereichen wie Native American Culture Education Aide und Computer Literacy erworben werden. Das Angebot ändert sich ständig, wie Ann-Marie Penzkover bei einer Führung für eine auswärtige, nicht-indigene Reisegruppe durch das College erklärte: Ann-Marie Penzkover: We have 70 employees on »soft money« which means we have written grants for them and hired them for a limited time. A few of the staff are on »hard money«-budget, like most of the administrators. We have also Native American teachers who teach beadwork and canoe-building. Publikum: Do you teach how to make arrowheads? AMP: No, we don’t teach that. (Teilnahmeprotokoll)
Die größte Abteilung des Colleges ist das Business Department, gefolgt von Gesundheit, zu der auch Mental Health and Substance Use Disorder Counceling gehören. Die Lehrerausbildung ist ebenfalls ein Schwerpunkt. Neu eröffnet wurde ein Studiengang Transportlogistik, außerdem gibt es Computertechnologie und Krankenpflege (Gespräch Ann-Marie Penzkover). Native American Studies gehören nach Auskunft von AnnMarie Penzkover nicht zu den größten Departments. 21 | Diese grundlegenden Erklärungen wurden 1990 als das Ergebnis einer Mitarbeiterklausur festgelegt.
D IE E INRICHTUNG EINES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS There is still a 60 % unemployment rate on the rez, nationwide it is about 3 to 5 %, and we have many poverty-related problems. We want to use technology for example to bring water to every door. There’s even still a few houses in LCO which have outhouses. (Gespräch Ann-Marie Penzkover)
Das College ist nicht nur eine Bildungsinstitution sondern hat auch eine Funktion der symbolischen Repräsentation nach außen; es verschafft Lac Courte Oreilles Prestige. »I didn’t know what you people had out here«, is a common comment of people from the area. Many students that go out are good ambassadors for us. (Gespräch Ann-Marie Penzkover)
Dabei kommt sogar den technischen Einrichtungen symbolische Bedeutung zu. Im Jahr 1998 hatte das College immerhin 22 Unterrichts- und 27 Büroräume. At the beginning we had to do our Science experiments with road kill. 15 years ago we didn’t have one computer, now we have five fully equipped computer labs. (Ann-Marie Penzkover)
Besonders stolz ist man auf die College-Aula, das James Pipe MustacheAuditorium mit seiner architektonischen Kreisform. Die Bibliothek wurde im Jahr 1992 als Public Library gegründet und verfügt über einen auch für Außenstehende zugänglichen Online-Katalog, über CD-Datenbanken der Statuten von Wisconsin und des State Library Union Catalog. Außerdem ist mit Proquest ein Volltext-Zeitungsindex zugänglich. 1998 veranstaltete die Bibliothek in Zusammenarbeit mit dem LCO Headstart Program eine »winter story time session« für Schulklassen, die von Medizinmann und Kulturexperte Jerry Smith durchgeführt wurde (LCO Ojibwe Community College 1998a: 40). Im Jahr 1998 besaß die Bibliothek 15.300 Bücher, 987 Videos, 766 Hörbücher und 711 Staatliche Dokumente. Sie bezog ca. 100 Zeitschriften, davon viele indigene Zeitungen aus der Umgebung, und schaffte im Jahr 1998-99 1.230 Bücher und 224 Audiovisuelle Lernmittel an. Außerdem hat die Bibliothek auch einen Auftrag, nach außen zu wirken, z.B. arbeitete dort im Jahr 2000 eine Angestellte der Bibliothek, Hazel Kellar, auf der Grundlage eines Library Services and Technology Act-Grants, der dazu dienen sollte, die Bibliotheken in Wisconsin mit modernen Material über indigene Kulturen auszustatten: I am the coordinator to make sure that there is good Native American material in public and school libraries. (Gespräch Hazel Kellar)
Zu dieser Außenwirkung gehört auch das »Bookmobile«, das die Bibliothek im Jahr 1993 anschaffte. Seitdem steuert es nach einem festen Fahrplan die Reservationskommunitäten an und veranstaltet in Kindertages-
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stätten und Seniorenzentren von LCO Lesestunden. Laut Eigenaussage wird dabei großer Wert auf die Werke indigener Autoren, auf indigene Geschichte und Kultur gelegt (LCO Ojibwe Community College 1998: 63). An diesem Beispiel wird die Verschränkung oraler und medialer Formen der kulturellen Kommunikation besonders deutlich. Ab 1998 arbeitete der Bibliotheksassistent Melvin J. Hall, 45 Jahre alt, LCO-tribal member, mit dem »Bookmobile«. Melvin Hall wurde am LCO College ausgebildet und bewarb sich bei der Bibliothek, weil er dort die Atmosphäre zuträglich fand, und wegen seiner persönlichen Vorliebe für populäre Wissenschaft: I like research books and things like that. Things that offer facts and all that. There’s always something new coming in here, or we have the computers so we can always go to the internet. Which is good. (Interview Melvin Hall)
Wenn er mit seinem Bookmobile die Seniorenzentren der Reservation abfährt, stellt er fest, dass das Lesebedürfnis bei den Älteren lokal durchaus unterschiedlich ist, in Reserve liest man mehr als im abgelegenen New Post. Neben Büchern bringt er den alten Leuten auch Videos: I bring video tapes, too, movies, academy award winning movies. And tapes of science, astronomy and things like that. (Interview Melvin Hall)
In der Ojibwe-Kultur fühlte er sich wie viele zu Beginn nicht sicher: I’m learning a little bit at a time here. But now I’m starting to feel more comfortable with people, knowing the elders, respecting them. I guess, it’s just basically, the thing is sitting and listening to them. I’m not much for giving my own opinion when I’m there. I love listening to them when they talk. Because they’re just – it’s just so natural, I don’t know! [lacht]. Really makes you feel at ease. (Interview Melvin Hall)
Wissen über die eigene Kultur und Gemeindeeinbettung, zwei Seiten derselben Medaille, eignet sich auch der Assistant Librarian des Colleges hauptsächlich oral an, indem er mit den elders, die er mit Büchern und Hollywood-Spielfilmen versorgt, zusammensitzt und ihnen zuhört.
6 S PR ACHRE VITALISIERUNG Lisa Philipps Valentine protokolliert Ojibwe-Sprachpraxis in einer Kommunität in Ontario, die wegen ihrer Abgelegenheit nach wie vor wählerisch in der Auswahl der Neuerungen sein kann, die sie rezipiert. Seit die Gemeinde sich 1986 erstmals Stromgeneratoren zulegte, sind technische Neuerungen nicht durch eine übermächtige Macht von außen, sondern auf Wunsch der Gemeinde, stets überlegt und mit Zögern implementiert worden und befinden sich nach wie vor unter der Kontrolle der el-
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ders (Valentine 1995: 32). Sie zeigt, dass Technologie wie Telefon, Zeitung, eine Community-Radiostation, Video sowie die Sendungen der Wawatay Native Communications Society und Wawatay Lokal-TV von den Ojibwe von Lynx Lake indigenisiert – d.h. den eigenen Bedürfnissen und Kommunikationsgepflogenheiten entsprechend angepasst werden und die Gemeinde keineswegs zerstören. Diese schöne Studie, die deutlich zeigt, dass Kommunikationstechnologie in Gemeinschaften mit vornehmlich direkter Kommunikation nicht per se destruktiv wirken muss, beschreibt dennoch m.E. eine kulturelle Ausnahmesituation, die höchstens noch mit einigen Navajo-Kommunitäten vergleichbar wäre. Der überwiegende Teil der indigenen Bevölkerung zumindest der USA lebt dagegen in weit weniger abgeschiedenen Verhältnissen, auf Reservationen in der Nähe zu urbanen Zentren oder in Städten, wo der Sprachverlust sehr viel weiter fortgeschritten ist. Bei einer Konferenz der Great Lakes Indian Fish and Wildlife Commission im Lac Courte Oreilles Casino and Convention Center im September 2000, auf der die Teilnehmer sich zwei Tage lang mit der Aufarbeitung der Treaty Rights-Kontroverse befassten, hielt ein Aktivist eine Rede über die Tradition der Ojibwe. Die Bedeutung der Sprache für die Kultur könne nicht überschätzt werden, ohne die Sprache sei die Kultur ausgerottet, und die Sprache sei fast schon verloren. Er selbst hatte nach eigener Aussage Ojibwe noch muttersprachlich gelernt. Über das Englische äußert er sich abfällig. Anishinaabemowin is our sacred language. How can English be a sacred language when it consists of five other languages? It was made up somehow on the way. (Teilnahmeprotokoll)
Ein anderer Konferenzteilnehmer wollte bei dieser Gelegenheit wissen, dass Ojibwe als komplizierteste Sprache der Welt ins Guinness Buch der Rekorde eingegangen sei, eine Information, die auch im Internet und durch die indigenen Mailinglisten schwirrt. Dies macht den Diskurs deutlich, in den die Sprache zunehmend eingeordnet scheint, die mehr und mehr als sakraler Korpus erscheint. Am College scheint man das anders zu sehen. Hier ist die Teilnahme an den Grundkursen des Ojibwe für alle Studierenden Pflicht. Im Winter 2000 hatte ich für einige Wochen Gelegenheit, mich unter die Studierenden zu setzen und mitzulernen. Der Sprachkurs wurde von Red Cliff-tribal member Keller Paap, dreißig Jahre alt, unterrichtet, der sich zeitweise von David Bisonette, LCO, etwa gleichaltrig, vertreten ließ. Die Klasse wurde von zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht, außer mir waren noch zwei weitere Teilnehmerinnen nicht-indianischer Herkunft. Als Ratgeberinnen agierten zwei alte Damen, Clara Beebe, siebenundachtzig Jahre alt, und ihre beste Freundin, Ruth Carley, gleichen Alters. Beide Frauen hatten schon viele derartige Kurse mitgestaltet u.a. auch Handarbeit und Kunsthandwerk wie Quilt und Perlstickerei, in der vor allem Clara Beebe sich noch mit großem Einsatz engagierte. Die Atmosphäre in der Klasse war nicht un-
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freundlich, aber ein wenig befangen. Den jüngeren Studenten aus Lac Courte Oreilles, besonders den Frauen, schien es weniger leicht zu fallen, sich im Unterricht zu Wort zu melden. Wenn sie aufgefordert wurden zu sprechen, taten sie dies leise und äußerst zurückhaltend. Der Unterricht wurde zumeist mit Medien gestaltet, die der Lehrer selbst hergestellt hatte, Vokabellisten, Lauttabellen und Übungsbögen. Als Nachschlagewerk wurde das Ojibwe-Lexikon von Nichols und Nyholm verwendet (Nichols und Nyholm 1995), dessen Orthographie als Standardschreibweise galt. Themen der Übungsbögen waren u.a. einfache Konversationen, (»What is your name?« etc.), traditionelle Wortkreise wie die Klannamen, zeitlose wie das Wetter und Worte für innere Zustände und Gefühle (»hungry«, »happy« etc.), aber auch leicht modernisierte wie Zahlen, Wochentage und einfache Konsumgüter. Die beiden jungen Ojibwe-Lehrer der Schule, die Ojibwe selbst als Fremdsprache gelernt hatten, gestalteten den Unterricht mit Humor: »Clara«, sprach David Bisonette eine der beiden alten Ladies an, »I heard they make a calendar at WOJB and you’re going to be pictured. Your photo’s gonna be in that calendar. You’re gonna be Miss April?« Clara lächelte fröhlich und antwortete ohne Zögern: »No! I’m Miss December!« (Teilnahmeprotokoll)
Mein Eindruck vom Ablauf des Sprachkurses war, dass es hier weniger darum ging, die Ojibwe-Teilnehmer zu Höchstleistungen anzuspornen als ihnen vielmehr einen Einstieg in die selbstkontrollierte Institution der Wissenskultur und einen Zugang zu schulischen Diskursformen zu bieten, mit denen die meisten schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung dürfte sein, dass die Sprachkurse Pflichtfach für alle Studenten sind. Die Sprachkurse sind Teil eines großangelegten Language Revitalization Projects. Keller Paap wurde im Jahr 1998 als Direktor des Ojibwe Language Revitalization Project angeheuert und fertigte für LCO die Pilotstudie an, die auf der Grundlage einer Umfrage einen ambitionierten 3-Jahres-Masterplan 1999-2002 für die Sprachrevitalisierung in LCO vorsah. Als ich Keller Paap im Winter 2002 wiedersah, hatte er seine Stelle am College verlassen und arbeitete bei einem Language Immersion-Projekt in Hayward, bei dem Schulanfänger nur in Ojibwe unterrichtet werden.22 Originally we started by grant money that was applied for through the Federal Government in the early 1990s. There was a Native Languages Act of some kind passed, Federal Government allocated a certain amount of money every year to
22 | Bei meinem vorläufig letzten Besuch im Frühjahr 2009 war die Schule von Hayward auf die Reservation verlegt und dem LCO-Schulsystem angeschlossen worden.
D IE E INRICHTUNG EINES INDIGEN KONTROLLIERTEN B ILDUNGSSYSTEMS go towards efforts to revitalize and restore native languages of North America. So, the LCO College applied for some of that money. (Interview Keller Paap)
Mit dem Startzuschuss von $ 50.000 machte man sich an die Planung des Projekts, das in Zusammenarbeit mit ähnlichen Sprachwiederbelebungsprogrammen in den USA und Kanada entstand. Die Idee war, zunächst den Sprachverlust aufzuhalten, indem man die Sprache stabilisierte, um sie daraufhin durch ein Programm wiederzubeleben, das alle Generationen von LCO ansprechen sollte: It’s a community-wide multi-intergenerational approach where we try and use programs that cater to very, very young children all the way up to the elders. So it’s a huge project, it’s a life-long work. (Interview Keller Paap)
Zuerst machte Keller Paap sich mit einer Umfrage ein Bild vom Stand der Ojibwe-Sprachkenntnisse in LCO. We hired a few surveyors who went out in the community and conducted surveys with people in their homes, at work, just all over the place. (Interview Keller Paap)
In der Umfrage wurden 371 Personen aus 51 % der Haushalte von LCO in einem Zeitraum von 3-4 Wochen befragt. Das Ergebnis der Umfrage bot keinen Anlass zu Optimismus: »As was expected, results of the survey indicated near devastation of the language of the people of Lac Courte Oreilles. […]« (Lac Courte Oreilles Language Revitalization Project 1999: 1)
Die Umfrage ergab, dass es in der Reservation noch ca. 20-25 fluent speakers gibt, von denen die meisten Frauen über 70 Jahre sind. Es wurden insgesamt 30 Menschen in dieser Altersklasse interviewt. 15 % der Frauen dieser Altersklasse hatten funktionelle Ojibwe-Sprachkenntnisse, von den Männern nur 11 %; 43 % der Frauen und 37 % der Männer verstanden die Sprache passiv und konnten einige einfache Redewendungen sprechen. In der Altersgruppe der 40-60jährigen wiesen nur fünf Befragte gute Sprachkenntnisse (»high level of fluency«) auf, in der Altersgruppe der 20-40jährigen fand sich unter 100 Befragten niemand, der seine Ojibwekenntnisse als fluent bezeichnen mochte. Vorhandene rudimentäre Sprachkenntnisse schienen aus Sprachkursen zu stammen. Von den insgesamt 371 Befragten gaben nur drei Personen an, dass Ojibwe ihre Muttersprache sei, neun Personen gaben an, Ojibwe als Fremdsprache gelernt zu haben, und zwei gaben an, Ojibwe und Englisch zu Hause gleichzeitig gelernt zu haben. Die Idee, eine solchermaßen auf dem Rückzug befindliche Sprache durch Kurse wieder zu beleben, erscheint illusorisch.
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Aber das Sprachrevitalisierungsprojekt führte zu neuer Vernetzung und Expertise ganz anderer Art. Keller Paap: The master plan is a combination of research from various methods of current and past Native Language Revitalization programs and schools, all the way from the Maori in New Zealand to the Hawaiians to people in North America, both Canada and the US who’ve been working on it. It’s a whole number of projects. Cora Bender: Who has been involved locally? KP: Elders. We formed an Ojibwe Language Preservation Board. It’s comprised of a number of community members coming from different areas. We have younger people, middle aged and older people. (Interview Keller Paap)
In diesem Ojibwe Language Preservation Board, in dem zwischen zwölf und fünfzehn Senioren tätig sind, trifft man sich einmal monatlich und bespricht das weitere Vorgehen. Außerdem trifft sich jeden Mittwoch die ebenfalls erst kürzlich gegründete Ojibwe Language Society zu ihrem language table. Die Idee brachte Keller Paap aus seinem Studium an der University of Minnesota mit, wo in den späten 1980er Jahren die Ojibwe Language Society als Club indigener Studenten geformt wurde. Das Modell scheint sich zu bewähren. Ojibwe wird so außerhalb von Stundenplänen und Leistungsstandards zu einem Anlass für soziale Kommunikation. Die Schüler müssen nichts zahlen sondern lediglich etwas zu essen mitbringen. The average attendance is about ten to fifteen people. But it’s not just a language table. The instructors will teach for food. It’s free and it’s open to the public, it’s not a class, it’s not offered for credit, there’s no pressure. I think people like that, they just like to come in and eat and work on Ojibwe language in a relaxed environment. (Interview Keller Paap)
Andere lokale language chapters außerhalb von LCO haben in ihren jeweiligen Kommunitäten zur Entwicklung von Sprachrevitalisierungsplänen beigetragen: The other [Ojibwe Language Society] chapters have assisted communities in developing an Ojibwe language curriculum, like for example conducting Ojibwe Language Camps in different areas in natural settings across Ojibwe country. Or they’ll fund students to go to language conferences in the area or nationally. (Interview Keller Paap)
Zusätzlich zu diesen Aktivitäten arbeitete Keller Paap zum Zeitpunkt des Interviews als Lehrer an der LCO-Schule und in der Planung des Immersion-Programmes. Er war an der Restrukturierung der Native StudiesAusbildung am College beteiligt, wo in Zukunft auch ein Fortgeschrittenenkurs eingerichtet werden sollte, arbeitete an verschiedenen Konzepten
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einer Ojibwe-sprachlichen Sendung bei WOJB, von denen sich, wie im Kapitel über WOJB schon thematisiert wurde, nur die allerbescheidenste umsetzen ließ und bis heute hielt. It is a »phrase of the month«. We have elders who are going to be recorded and those recorded excerpts are going to be aired daily for the month. The January phrase has something to do with trapping, when they go out fur trapping. People will hear that daily. And then that’ll change every month. It’s a little step. (Interview Keller Paap)
Und er wirkte in einem Elder Oral History Documentation Project mit, bei dem Senioren interviewt wurden. We ask ’em questions like about various traditional practices in traditional Ojibwe culture, the sugar bush, the wild rice or about their childhood or whatever they wanna relate. We have a growing archive of tapes that would be used for current and future development and implementation into curriculum and programs. That’s brought us to Madison and to Milwaukee. Various community members have donated tapes, as well of people who are no longer living for transfer to digital media, so they’ll preserve better than the deterioration that’s happening now. (Interview Keller Paap)
Seine Erfahrungen mit ähnlichen Projekten in anderen indigenen Kommunitäten waren gut: I’ve been in communities where I’ve gone out, recorded people, and it’s been like »Wow!« – you know, you put the tape recorder on and they’ll just start talking, in Ojibwe, like – hours! You just keep changing the tapes. And then they’ll say, OK let’s go outside, and so you follow them out and they’re just chattering away, talking to each other. (Interview Keller Paap)
Aber in den Ojibwe-Kommunitäten von Wisconsin ist der Sprachverlust seiner Ansicht nach zu groß, um durch solche Maßnahmen noch aufgehalten werden zu können. Einige Probleme mit dem Sprachrevitalisierungsprogramm entstehen vor allem aus der Erwartung, durch diese Maßnahmen Ojibwe als Umgangssprache wirklich retten zu können. Hier ergibt sich eine Kluft zwischen den tatsächlichen Dimensionen einer großangelegten Sprachrevitalisierung und dem, was die Leute zu leisten bereit sind: Usually, people who come through the college are working on an Associate’s Degree, so oftentimes they won’t take any more language than they have to. Very few people will wanna go way up in the higher levels of the language courses. […]I’m pretty much the only one trying to get all these initiatives up and running. And it’s exhausting! It’s very hard work to do because you’re not only trying to teach people the language but really ultimately what you wanna do is you wanna
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE change people’s thinking and attitude about life, their world view! In a way that they can themselves be empowered, be motivated to take it upon themselves. It’s like any other radical political movement. People have to realize it for themselves before they actually get pumped up about it and want to do it. (Interview Keller Paap)
Es scheint bei den verschiedenen kulturell Engagierten auf der Reservation durchaus unterschiedliche Haltungen zu dem Wissen zu geben, das gepflegt, revitalisiert, erhalten werden soll. Woher ergeben sich, trotz der vergleichbaren aktivistischen Haltung zur Kultur, die Unterschiede im Umgang mit der Sprache, wie es am Ojibwe Community College gepflegt wird, und wie es der Aktivist sieht, der Ojibwe noch als Kind gelernt hat, für den sie jetzt aber den Status sacred erhält? M.E. sind die Gründe hierfür in den unterschiedlichen Wegen der Professionalisierung innerhalb der institutionalisierten Wissenskultur zu suchen. Im Zuge der eigenen Professionalisierung als Kulturexperten und spirituelle Ratgeber entwickeln manche Aktivisten ein Verständnis von Ojibwe, demzufolge die Sprache für den exklusiven Gebrauch weniger bestimmt ist, während sie an Schule und College in inklusiven Settings unterrichtet wird, die möglichst vielen einen Zugang ermöglichen sollen. Die Arbeit des Sprachlehrers Keller Paap lebt von der Vision, ihr wieder zum Umgangsstatus zu verhelfen: Keller Paap: I mean, importance … I guess, for me it’s very important! The language has so much importance to the definition of a people, of their world view, of their identity, of their spirituality, of their humor. All the things of life are embedded in a person’s language or in the language of a community. I try to use it as much as I can. When I go visit people and find out that they are speakers I try and use Ojibwe as much as I can. I think it is very important that people get up and speak that language first at community meetings. And there are people who do that so it does have that status. Cora Bender: Are you sometimes frustrated about the amount of work that you see? Keller Paap: I’m not frustrated, I just am very concerned. I’m very focused, and it’s to the point now with this community, where …if nothing’s done – there’s a window, and it’s closing, you know? And once that window closes, our elders go, those last speakers, there’s nobody else. It’s just on tape, in a book. (Interview Keller Paap)
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Abb. 28 Signage: Ein neues Ortsschild erinnert an den alten Namen der ersten Ojibwe-Siedlung am Lac Courte Oreilles, »der Ort, an dem wir den toten Ottawa-Krieger fanden«, 2009.
Foto: Cora Bender, 2009.
7 K RIEG DER S CHILDER Ein Teil der Initiative zur Wiederbelebung des Ojibwe in Lac Courte Oreilles nennt sich signage. Hierin kann man eine Variante der Verschriftlichung von Ojibwe erblicken, und in gewisser Weise auch eine Umkehr der geläufigen Praxis, indigene Ortsnamen in die Mainstream-Kultur aufzunehmen, das Wissen um ihre Herkunft aber zu verdrängen (Abb. 28; Vogel 1991). We’re trying to label things – if you look around in here you might see some. (Interview Keller Paap)
In der College-Bibliothek, wo das Gespräch stattfand, hatte Hazel Kellar die meisten Gegenstände und Möbel mit Schildchen beklebt, auf denen die jeweilige Ojibwe-Bezeichnung zu lesen stand (Gespräch Hazel Kellar). Keller Paap möchte am liebsten die ganze Reservation damit ausstatten: They’ve been doing a good job here in the library. We take a number of different words and just put up signs in Ojibwe, so for people it has a visual presence as well. Ideally that should be reservation-wide. It should in be in all the tribal entities, in people’s homes even. Like at our house we have things labeled in Ojibwe. (Interview Keller Paap)
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Zum signage-Projekt gehört auch die Ausschilderung der Reservation mit Orts- und Grenzschildern. Man ist der Meinung, dass man damit die alten Namen der Siedlungsplätze, von denen es ca. fünfundzwanzig in LCO gibt, wieder in Schwang bringen kann. Außerdem verschafft man sich damit auch gegenüber Hayward Profil. It would raise the status of the language. It would heighten the awareness about it and be a reminder and a reinforcer for people to see the presence of the language. (Interview Keller Paap)
Die ersten Schilder wurden im Frühjahr 1984 aufgestellt. LCO-Kolumnist Ed Martin berichtete stolz: »Something new has enhanced the landscape in beauty. These are the LCO community signs, the first being at Trepania Road. The design is the work of Gaiashkibos, tribal council member, and the signs were painted by our local sign artist, Al Baker Sr., Sr. The LCO Enterprises are to be commended for their part in making these welcome signs possible.« (EM 30.05.1984)
Um diese Schilder gibt es bis heute mit der weißen Nachbargemeinde und den Touristen, die nach Lac Courte Oreilles kommen, häufig Konflikte, was mit dem Schachbrettmuster des Landbesitzes auf der Reservation zusammenhängt. Wenn Auswärtige sich in Sawyer County ein Stück Land an einem kleinen See kaufen, werden sie von Maklerfirmen häufig nicht darüber aufgeklärt, dass ihr zukünftiger Privatbesitz sich innerhalb der Grenzen einer Reservation befindet, und dass sie sich an die Regularien des Stammes zu halten haben, der z.B. die Jagd und das Sportfischen einschränkt. Der Ärger über Einschränkungen entlädt sich an Al Baker Sr., dem ehemaligen Opfer des weißen Bildungssystems, und seinen Schildern, die Aggressionen hervorrufen: Al Baker Sr.: They paint’em up, shoot at’em. I don’t know if you’ve lived here for a while to find out what’s goin’ on. It’s not a big thing, it’s a little thing, it’s [Pause] I think some people don’t think [Pause]. I think some people think that they don’t have to go by tribal ordinances. Cora Bender: So they don’t take the tribe serious, yeah? AB: Yeah. CB: And you want to teach them. AB: No, I don’t wanna teach’em anything. All I wanna do is let’em know, »hey, you’re on a reservation!« [Pause] »And you gotta try and get along with us!« Our signs don’t say: »Stay off!« they say »Welcome to [Pause, dann sehr deutlich:] our land.« (Interview Al Baker, Sr.)
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Abb. 29 Ortseingangsschild des Malers Al Baker, Sr.
Foto: Cora Bender, Lac Courte Oreilles (Wisconsin), 2001.
Der ehemalige Tribal Chairman Gaiashkibos erinnert sich: »Actually it was under my direction that this ›new welcoming‹ sign was erected; a shift from the past sign [dating from] the early 70’s that stated something such as, ›You are now entering the Lac Courte Oreilles Indian Reservation, No Trespassing, No Hunting, No Fishing, No Picking the Fruits Of The Land, Trespassers will be Prosecuted.‹ And this sign served it’s purpose too! When I became the Chairman for the very first time which was 1986 -- very contentious year and term -- the Voigt Federal Legal Case was going on, a lot of controversy, at the same time the Tribe depended on tourism for revenue too, i.e., bingo and casino gambling was just on the horizon and so I worked closely with the Hayward Chamber of Commerce -- actually I sat on their board and I also joined and sat on the Hayward Lakes Board of Directors in order to influence the non-Indian
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE community and make peace in order for the entire area to benefit from tourism -- which has it’s pluses and negatives that we both discussed. Anyway, the ›new‹ Welcome sign said the same thing only with different language, I spun it positive -- ›Tribal Ordinances Enforced!‹ Just a little history about the sign...« (Gaiashkibos, eMail 18.01.2011)
VII Der Wandel der Festkultur
1 V OM B IG S HINDIG ZUM C ULTUR AL H E ALING Feste sind ein wichtiger gesellschaftlicher Bereich, in dem kulturelles Wissen in der Praxis sichtbar wird. Sie gliedern die Zeit, in dem sie Alltagsroutinen unterbrechen und teilweise umkehren, und schaffen Gemeinschaft, indem sie Güter umverteilen oder symbolisch verschwenden und Menschen in Wettbewerben und Spielen in symbolische Positionen zueinander bringen. In der Festkultur feiert sich die Gesellschaft über repräsentative Riten selbst. Feste bieten ihren Mitgliedern Möglichkeiten der individuellen Krisenbewältigung und schaffen symbolische Mechanismen des Gruppenzusammenhalts (Durkheim 1912; Van Gennep 1909; Geertz 1983). Traditionelle religiöse Inhalte treten dabei aber zunehmend hinter neuen Anforderungen zurück, politische Repräsentation, Kulturindustrie, Konsum und Tourismus drücken auf traditionelle Formen kommunaler Festkultur und bewirken einen Zerfall in einerseits begrenzte, private Feiern und andererseits öffentliche, oft kommerzielle, jedermann zugängliche Veranstaltungen (Hauschild 2000: 67-70). Die Festkultur ist im Seengebiet ein wichtiger kultureller Rahmen für die Formierung einer indigenen Moderne, in dem indigene agency und das Wirken indigener Medien gleichermaßen sichtbar werden. Im Seengebiet schafft indigene Festkultur einen Raum für die Integration verschiedener, seit der Kolonialzeit aufeinandertreffender kultureller Einflüsse (Abb. 30-35). Die hauptsächlich auf die Jagd bzw. den Pelzhandel ausgerichtete Ökonomie der indigenen Gesellschaften war, obwohl Teil des kapitalistischen Weltsystems, nicht an die Zeitrhythmen der Lohnarbeit gebunden, jene Trennung von Arbeitszeit und »leisure as a definite and bounded part of time«, die Gusfield für ein distinktes Kennzeichen industrieller und postindustrieller Gesellschaften hält (Gusfield 2003: 73). Trotzdem war sie davon beeinflusst. Die indigene Festkultur war besonders flexibel und tendenziell mit jenen Gütern verbunden, die
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man im Pelzhandel zu erlangen hoffte.1 Ein besonders begehrtes Tauschobjekt, das auf diesem Weg zu den Ojibwe kam, war Alkohol, der sowohl als Tauschware als auch als kommunikatives Schmiermittel im Handel selbst diente. Die Tatsache, dass Branntwein, Bier oder Alkohol bei indigenen Gesellschaften nur als Importware auftauchten und also die indigenen Konsumenten nicht jene agency über den Alkohol erhielten, die den Produzenten von Alkohol kulturell zu eignen scheint, kann als einer der wichtigsten Gründe für die zunehmende Ausgeliefertheit indigener Gesellschaften an den Alkohol gesehen werden (Feest 1981: 209). Abb. 30 Festkultur und indigene Repräsentation: Die Zeitung der Potawatomi berichtet vom Indian Summer Festival in Milwaukee, 2008.
Foto: Cora Bender, 2010.
In den Jahrzehnten nach der Wende zum 20. Jahrhundert nahmen Ojibwe an der neu entstehenden Fest- und Freizeitkultur der Post-FrontierGesellschaft teil, wie Patricia Loew in ihrer Dissertation über die Ojibwe von Bad River nachverfolgt. Wie andere auch gingen sie ins Kino, spielten Baseball und vergnügten sich auf Tanzabenden (Loew 1998). Nachdem der Tourismus zur wichtigsten Einnahmequelle in Nordwisconsin geworden war, wurden dort größere öffentliche Volksfeste üblich, mit denen man Touristen etwas bieten und ihnen das Geld aus der Tasche locken konnte. An diesen Festen beteiligten sich LCO-Leute, wie viele andere In1 | Trenk weist auf die zeitweilige religiöse Besessenheit indigener Propheten mit den Gütern der Weißen im Seengebiet hin, die an Cargo-Kulte der Südsee denken lassen (Trenk 2001: 15).
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR
dianer in der Umgebung auch. Die Ojibwe-Schriftstellerin Louise Erdrich entwirft in ihrem Roman The Beet Queen überzeugend die Theorie, dass die amerikanischen Volksfeste in der Zeit der Depression und der Dürreperiode im Mittleren Westen den Charakter säkularisierter Dank- und Opferfeiern bekamen (Erdrich 1986). Ike Gokey, ein hochbetagter Gesprächspartner, den ich in Red Cliff im Haus seiner Tochter Liz Montano und ihres Mannes Frank Montano kennen lernte, erinnerte sich im Gespräch, als Kind bei einer großen Indian Fair in Ashland dabei gewesen zu sein, wo Hunderte Angehörige verschiedener Stämme in Tanz-Outfits vor Touristen auftraten, wo aber auch im Schatten der Maskerade die vom religiösen Bann des Religious Crimes Act bedrohten Rituale der Medizingesellschaft aufgeführt wurden, ohne dass es jemandem auffiel. Beim Folgenden handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Interview, das ich mit Liz und Frank Montano führte, den Veranstaltern des jährlich stattfindenden Redcliff Powwows, eine familiäres Tanzfest ohne Preisgelder. Während wir sprechen, betritt Liz’ hochbetagter Vater Ike Gokey den Raum. Liz und Frank haben beide sehr kräftige, leicht rauchige Stimmen, die von Ike dagegen ist eine schwache Greisenstimme, die vom kräftigen timbrierten Alt seiner Tochter gestützt wird, die sich in den Szenen seiner Erinnerung genau so gut auszukennen scheint wie er selbst. Cora Bender: Hello-? Ike Gokey [sehr leise alte Männerstimme im Hintergrund]: Hello, hello. Liz Montano: This is my father Ike Gokey-? CB: Nice to meet you. LM: This is [kleine Pause, dann grinsend:] Helga! No! [alle lachen: naaaa!] Cora! Frank Montano [an Ike Gokey]: She was asking about the pageant, she wants to know more about it. When did that start and what was it about, was it sort of like a powwow or IG: It was like a powwow. FM: When was that? IG: 1924. FM: That was the last one? IG: Mh. LM: So you were about six years old when that last … took place up there. IG: Mhm. Yeah. They had games, war games. And stuff like that. And they had the young kids in war games. I don’t know. Showing the people what they did, I suppose. FM: Something like a play or something, ha? IG: Yeah. FM: I think it was a form of theater. [Liz, zustimmend: hm-hm.] Like that’s what I think it was about. IG: Yeah, and that was advertising for local business people. LM: His parents spoke fluent Ojibwe, that’s all they spoke. Except to the kids, because at that time they were afraid for him and his sisters. They were afraid to teach the Ojibwe language to them, because they were told that
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE wasn’t good, they’re pagans, and so they they didn’t teach him the language, so he couldn’t teach me the language. [an ihren Vater:] Do you remember your parents talking Ojibwe, when you’d come into the room, they’d quit-? [Offensichtlich eine Episode, die ihr Vater früher schon erzählt hatte.] IG: Hm-hm. CB: Did you go to school here-? In Redcliff? IG: No, I went to school in Tomah [?] till they chased me out. [Alle lachen.] CB: And may I ask you what did you do after school, did you go to work here, or did you leave? Or Ike: After school Liz [laut]: He went to the war! [Pause, die Kaffeetassen werden neu eingefüllt. Es geht weiter mit Kriegserinnerungen an ein Gefecht im Zweiten Weltkrieg in Luxemburg. Ike erzählt plötzlich sehr flüssig und kräftig, ist aber für mich schwer zu verstehen. Im Hintergrund Powwow-Geräusche und der Funkverkehr der Feuerwehr.] LM: I was gonna start saying there that this guy left this America, went way over to fight for America, even though America killed his his grandparents, his relatives. I don’t know if I could do that. [lacht kräftig.] The irony is America had a plan of genocide for the Indian and then when America is in trouble, they call on the Indian to go help’em. And the Indian goes and helps. And then he comes back home and what-? Nothing! Gets treated like shit! [Lacht wieder kräftig.] (Interview Ike Gokey, Liz und Frank Montano)
Anders als in Redcliff, wo nach 1924 anscheinend keine größeren Fairs mehr stattfanden, wurden in LCO Touristentänze über die Jahre zu einer lokalen Tradition, die erst in den frühen 1980er Jahren diskontinuiert und durch ein politisch motiviertes Powwow abgelöst wurde. Alexandra Harmon weist auf die Funktion dieser Art romantisierender Kulturdarstellungen als strategisches Instrument hin, mit dem indigene Kommunitäten sich den guten Willen und die Akzeptanz der nicht-indianischen Umgebung erkaufen, die dazu bewogen werden soll, die weniger akzeptablen Instrumente der politischen Souveränität und der kollektiven, an Sozialismus gemahnenden Wirtschaftsweisen zu akzeptieren. In den 1920er Jahren begannen z.B. die Miami in Indiana einen Indian Pageant, der dazu dienen sollte, ihrer Umgebung positive Bilder von sich selbst zu vermitteln. »This strategy had an important rebound effect: by pulling old and young into a collaborative effort to define Miamis to the world, it helped to create a modern Miami tribe.« (Harmon 2004: 260) Dieser Mechanismus – bei dem es sich m.E. nicht unbedingt um eine Strategie, sondern um deren viele handelt – ist auch in der Geschichte von Lac Courte Oreilles nachweisbar.
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Abb. 31 Dieses Foto entstand auf der Wisconsin Fair im Jahr 1906. Zu sehen ist das von der Wisconsin Archaeological Society gesponserte »Lac Courte Oreilles Village«, zu dem sich auch einige Mitglieder der Archäologenvereinigung gesellt haben.
Wisconsin Historical Society, Image ID 33363. Fotograf unbekannt.
2 I NDIAN F AIRS Ein wichtiges Repräsentationsmedium, das die LCO-Leute für sich selbst umfunktionierten, waren die Indian Fairs, eine Art lokaler Landwirtschaftsschauen, die in LCO wie in anderen Reservationen des Seengebiets vom Indianeragenten in Zusammenarbeit mit dem Regierungsfarmer jährlich abgehalten wurden, um die Reservationsbewohner auf ihrem Weg in die Zivilisation anzuspornen, indem man ihre Erfolge in der landwirtschaftlichen Umerziehung ins Licht stellte. Die lokale Zeitungsberichterstattung im Saywer County Record zeigt dabei, dass die zivilisatorische Propagandaschau im Verlauf weniger Jahre von LCO-Bewohnern in die Hand genommen und zu einer beachteten LCO Arts and Crafts Show umgewandelt wurde. Die erste LCO Indian Fair wurde am 14. und 15. Oktober 1914 in Reserve veranstaltet. »That the Indians on the Court Oreilles reservation can accomplish as much as their white brothers in the agricultural line is evident from the first annual fair.« (H AY WARD R EPUBLICAN 15.10.1914)
So urteilt der Schreiber einer Lokalzeitung. Noch kommen die Indigenen nur am Rande vor, die eigentlichen Helden sind der Regierungsfarmer
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Cross2 , der als Organisator der Ausstellung vorgestellt wird, und der Indianeragent Cato Sells: »The interest taken by the Indians is a gratifying indication of the responsive sentiment among the Indians to the appeal of Commissioner Cato Sells, looking toward the industrial advancement and self-support.« (H AY WARD R EPUBLICAN 15.10.1914)
Die Berichterstattung über die Fairs wurde mit den Jahren ausgedehnter und enthusiastischer. Bereits 1916 widmet der Saywer County Record der Ausstellung, die am 29. und 30.09.1916 stattfand, einen dreispaltigen Bericht sowie zwei Drittelseiten im Innenteil. Das Programm verlief über zwei Tage von morgens 10.00 Uhr bis nachmittags um 16.00 Uhr. Nach einer morgendlichen »Parade by Indians headed by Band« folgten am ersten Tag komische Wettspiele wie z.B. »Climbing greasy pole by boys«, »Sack race, potato race, elephant race, tug of war«, aber auch Wettläufe und ein Bootsrennen. Am zweiten Tag wurde nach dem Aufmarsch ein landwirtschaftlicher Vortrag gehalten, dann folgte die Preisverleihung, eine Parade des preisgekrönten Viehs, eine Partie des indigenen Ballspiels LaCrosse, ein Baseball-Spiel »Reservation Indians vs. School« sowie ein »Toggle game between women«. Nicht uninteressant erscheint die Liste des Festkomitees und der Preisrichter, die sich mit wenigen Ausnahmen aus der Reservationsbevölkerung rekrutierten. Die dort aufgezählten Gokey (oder Gokee), LaRush, Isham, Billyboy, Cloud (Anakwad), Frogg, Cadotte, LaRonge, Guibord, Wolf, DeMarr, Corbine, Gougé, Quaderer, Mustache, Baker, Diamond, Kingfisher, Thayer, Belille sind allesamt Namen der vielköpfigen Familien von Lac Courte Oreilles.3 Wahrscheinlich um das Interesse der Teilnehmer zu belohnen und das Wettkampfprinzip der Ausstellung zu reflektieren, brachte der Sawyer County Record auch eine lange Namensaufzählung der Preisgekrönten in vier Wettbewerbsklassen (»Live Stock and Poultry«; »Farm and Garden Products«, »Baking«, »Canned Fruit«, »Preserves«) sowie »Sewing, Embroidery, Crochet and Beadwork« mit vielen Unterkategorien wie »Best pair beaded moccasins«, »best beaded belts«, »best hand made reed mat« sowie »best Indian costume« für Männer und Frauen. Eine Schuldemonstration (»best 20 sentences about the horse«) und eine »Baby Show«, bei der zusätzlich zu den dicksten Kartoffeln auch das hübscheste Baby unter 12 Monaten gleichsam als Produkt glücklicher Landwirtschaft gefeiert wurde, 2 | Cross hatte sein Amt von 1914 bis 1922 inne und zog dann nach Kansas, um dort eine bessere Position anzunehmen (SCR 30.11.1922). 3 | Robert Ritzenthaler rekonstruierte den historischen Prozess, wie die Ojibwe von Lac Courte Oreilles Familiennamen annahmen: durch Ehen mit euro-amerikanischen Händlern in der Pelzhandelszeit und später durch Kontakt mit den Arbeitern in den Holzfällerlagern während der Zeit des Kahlschlags (Ritzenthaler 1945a).
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rundeten das Kaleidoskop möglicher Gewinner ab.4 Im Jahr 1917 wurde die Fair angekündigt mit dem ersten, jemals im Sawyer County Record abgedruckten Foto, einer Darstellung, mit der die Ojibwe zufrieden gewesen sein müssen. Zu sehen ist ein Ojibwe-Mann mittleren Alters in würdiger, selbstbewusster Pose in traditioneller Bekleidung mit floraler Perlenstickerei und Mokkasins (SCR 06.09.1917; Abbildung s. Kapitel II). Zusätzlich zu den selbstveranstalteten Fairs nahmen LCO-Leute an den jährlichen Sawyer County und den Wisconsin State Fairs teil, stellten dort Wigwams auf und führten Tänze vor. Im Jahr 1906 entstanden bei dieser Gelegenheit einige Aufnahmen (Abb. 31; vgl. auch Bieder 1995: 178). Die größte Indian Fair in Reserve fand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges statt und wurde als »Indian Festival, Corpus Christi and Soldiers Home Coming« am 19. Juni 1919 gefeiert, um 46 aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrte Soldaten zu ehren. »The committees in charge are completing the plans for this big event which will draw large crowds from various places in Northern Wisconsin«, kündigte der Sawyer County Record an. Nach der von Reverend Doherty aus St. Paul geleiteten Messe folgte eine Prozession sowie ein Festessen für alle indianischen Soldaten, danach hielten Billy Boy (oder Billyboy, wie die Familie später hieß) aus Lac Courte Oreilles, Horace Greeley aus Bad River, Frank Bressette aus Red Cliff und Frank Wishcob aus Lac du Flambeau (alle Männer waren tribal members), ihre Ansprachen, die von A.H. Wilkinsin, Senator des Staates Wisconsin, Hans P. Puley, Sheriff von Sawyer County und von R.C. Craige, Agent von LaPointe und Superintendent der Internatsschule in Hayward, beantwortet wurden. Schließlich sprach sogar der Gouverneur von Wisconsin, der bereits im Jahr 1915 eine Abordnung aus Lac Courte Oreilles empfangen hatte und nun eigens zu dem Ereignis angereist war. Nach dem Gouverneur wurden »Indian Victory dances and Indian games« geboten, für Musik sorgte eigens die Hayward City Band. Am bekanntesten von den Fotos, die hierbei entstanden, ist die Gruppenaufnahme, auf der sich die zurückgekehrten jugendlichen Weltkriegsveteranen um eine Gruppe im Halbkreis sitzender alter Ojibwe-Männer in Festkleidung, teilweise mit Federkopfschmuck, aufgebaut hat; im Bildvordergrund liegt ein rundlicher Mann in provokanter Bequemlichkeit, den historischen Informationen zufolge Ira O. Isham, der Übersetzer von Lac Courte Oreilles. Kleines Detail: Der genau mittig platzierte Träger einer Plains-Federhaube hat sich eine schicke Sonnenbrille auf die Nase gesetzt (Abb. 32)
4 | Pretty babies contests gibt es heute immer noch: Von einem »pretty babies contest« in Round Lake berichtet der S AW YER C OUNT Y R ECORD am 13.7.1983; von einem »most photogenic babies contest« in Lac Courte Oreilles ist am 06.01.1993 im S AW YER C OUNT Y R ECORD die Rede.
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Abb. 32 Siegesfeier anläßlich der Heimkehr von Weltkriegssoldaten in Lac Courte Oreilles am 19.06.1919.
Wisconsin Historical Society Image ID 35070. Fotograf: Unbekannt.
Im Gegensatz zu diesem spannungsreichen und etwas finsteren Bild sind jedoch die anderen der am 19.06.1919 entstandenen Bilder die vielleicht heitersten aller historischen Fotos von Lac Courte Oreilles. Die lebendigen Schnappschüsse zeigen LCO-Leute und nicht-indianische Besucher des Festivals beim Bummeln und Gaffen während der Zeremonien. Sogar die Schwarzweißabbildung lässt die fröhliche Buntheit der alles andere als traditionell zu nennenden Festkostüme der LCO-Leute erahnen. Eine Gruppe von fünf Frauen beispielsweise lässt sich mit selbstbewusstem Lächeln in schrill gemusterten Kleidern ablichten, während im Hintergrund im Wind eine amerikanische Fahne sich bauscht (Abb. 33). Ein anderes Bild zeigt eine Gruppe junger Frauen, die anlässlich der Feier in feinen Sommerkleidern und mit Papierkopfschmuck posieren. Das Bild war später Teil einer Ausstellung über die indigene Bevölkerung Amerikas, die vom ersten Fotokurator der Wisconsin Historical Society in Madison zusammengestellt wurde (Abb. 34).
Abb. 33 (rechte Seite) Schnappschüsse von der Heimkehrfeier für Weltkriegsveteranen in Lac Courte Oreilles am 19.06.1919.
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Wisconsin Historical Society, collections of Charles E. Brown, PH 2483.
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Abb. 34 Junge Frauen aus Lac Courte Oreilles posieren in feinen Kleidern mit Papierkopfschmuck auf der Feier für Weltkriegsheimkehrer am 19.06.1919.
Wisconsin Historical Society, Image ID 23767. Fotograf: Unbekannt. »Last Thursday was the biggest day ever experienced on the Court O’Reilles [sic!] reservation when on that day 2.500 people assembled in a Victory celebration in honor of the Indian boys who served in the world war. The Indian village was tastefully decorated for the occasion […]. Chief Billy Boy, who was master of ceremonies held by the Indians, made our governor one of the chiefs of the Chippewa tribe, giving him the name of Pug-o-ne-gi-zik, meaning, Hole in the Day. 5
5 | Der Name Hole-in-the-Day ist nach Auskunft, die ich von LCO-Leuten erhielt, ambivalent belegt, denn er bezeichnet sowohl eine Sonnenfinsternis als auch ein kreisrundes Loch in den Wolken, durch das die Sonne scheint. Wenn man dem Historiker Edward D. Neill folgen will, ist er außerdem im Zusammenhang mit einer militärischen Siegesfeier der Amerikaner doppeldeutig. Hole-in-the-Day Jr., ein Anführer aus Leech Lake, plädierte 1862 dafür, dass die Ojibwe sich dem Sioux-Aufstand in Minnesota anschließen sollten, weil er eine Zwangsrekrutierung indigener Männer im Zuge des amerikanischen Bürgerkriegs befürchtete: »He sent messengers through to the lake«, zitiert Neill einen Zeugen namens Wasec, der vor den amerikanischen Behörden aussagte, »saying that our Great Father intended to send men, and take all Indians and dress them like soldiers, and send them away to fight in the south; and if we wish to save ourselves we must rise and fight the whites […].« (Warren 1885: 504). Die Sitte, zu Besuch weilende Politiker in den »Stamm« aufzunehmen und ihnen Ojibwe-Namen zu verleihen, wurde von Lac Courte Oreilles auch auf DeValera, Präsident von Irland, und von Lac du Fleambeau auf General Eisenhower ausgedehnt, der den Namen Gi-ni-wi-gi-jig (Spirit Bird) erhielt (G reat L akes A gency N ews 2(1), 30.09.1965).
D er W andel der F estkultur Three moving picture machines were busy throughout the day making films6 of this unique celebration.« (SCR 26.06.1919)7
Larry Nesper (2003) bezeichnet die Errichtung des kleinen Stadions, der Wa-Swa-Gon Indian Bowl, in Lac du Flambeau, der Nachbarreservation von LCO, und die indigene Nachkriegskultur als »Simulation Culture« und »Being Indian for Tourists«. Seine Diagnose liegt auf der Linie der eingangs erwähnten und von vielen Theoretikern kritisch beäugten medialen Verdoppelung von Kultur. Problematisch erscheint hierbei die Zuschreibung einer binären Wertigkeit. Hier haben wir eine reale bzw. echte, dort eine simulierte, gespielte oder gefakete Kultur. Diese Wertzuschreibungen übersehen, dass die soziale Interaktion bei sogenannten simulierten Kulturereignissen genauso real ist, auch wenn die Akteure Kostüme tragen. Einen besonders interessanten Fall erwähnt Patricia Loew. Als Buffalo Bill Cody mit seiner Wild West-Show 1896 zum ersten Mal nach Ashland kam, heuerte er hunderte indigener Reiter und Schützen unterschiedlicher kultureller Herkunft an. Das Zusammentreffen nutzten die ehemals verfeindeten Dakota und Ojibwe zur Abhaltung einer Ratsversammlung, wo sie formell Frieden miteinander schlossen (Loew 1998: 191-213).
6 | Meine Nachforschung nach den Filmrollen verlief leider ergebnislos. In der State Historical Society of Wisconsin in Madison wurde man nicht fündig; auch war man der Meinung, das Filmmaterial müsse in der Zwischenzeit unter allen Umständen verrottet sein. 7 | Der Armeedienst und die Stationierung von LCO-Männern in Übersee hat dazu beigetragen, dass Briefkorrespondenz zum Teil der Kommunikationskultur in LCO wurde. Ein junger Mann namens John Rousseau kehrte 1919 nach drei Jahren, die er mit der kanadischen Armee in England verbracht hatte, mitsamt seiner gerade ihm angetrauten englischen Braut nach Reserve zurück (SCR 18.09.1919). Am 03.02.1921 hielt die Reserve-Abteilung der American Legion eine Trauerfeier für LCO-Mitglied William DeMarr, Angehöriger des 3. Batallions, 50. Infanterie, ab. DeMarr, ein Enkelsohn von Ira Isham, war als amerikanischer Soldat in Mayen, Deutschland, stationiert und starb am 26.11.1920 im Koblenzer Krankenhaus an den Folgen eines Autounfalls. Das begleitende Foto zeigt DeMarr in Uniform. Auch seine drei Brüder waren bei den Streitkräften (SCR 03.02.1921). Alle haben mehr oder weniger regelmäßig an ihre Familie geschrieben.
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Abb. 35 Der auf der Siegesfeier zu Besuch weilende Gouverneur von Wisconsin, Emanuel L. Philipp, wird von LCO-elders zeremoniell geehrt.
Wisconsin Historical Society, collections of Charles E. Brown PH 2483. Fotograf: Charles E. Brown.
3 D IE R E VITALISIERUNG DES S OZIALLEBENS Die Revitalisierung der indigenen Festkultur im Zeichen der amerikanischen Post-Frontier-Gesellschaft kann uns helfen, die Revitalisierung des indigenen Soziallebens in den 1970er und 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts zu verstehen, die sich unter politischen Vorzeichen abspielte. Im Zeitraum zwischen 1970 und 1985 wandelte sich das soziale und kulturelle Leben in Lac Courte Oreilles, und damit die Festkultur, abermals grundlegend. Hierbei spielen die Medien eine doppelte Rolle. Sie gestatten uns als Medien der Dokumentation einen Einblick in diesen Wandel, und andererseits haben sie diesen Wandel mitverursacht. In den 1970er Jahren steigt die Anzahl der Tänze, Festivitäten und anderer Initiativen in Lac Courte Oreilles, die nur für LCO-Publikum ausgerichtet waren, sprunghaft an. Zentral werden die Verdrängung von Alkohol aus der Reservationsöffentlichkeit und eine neue, in Begrifflichkeiten von Kultur und politischer Identität reflektierten Sinnstiftung für und durch Feste im Rahmen eines patriotischen amerikanischen Diskurses. Vom big shindig, dem großen Besäufnis, geht die Entwicklung zum dance, celebration oder Powwow als Forum einer kulturellen Heilung (»cultural healing«, Abb. 36). Die Rolle der indigenen Medien wird hierbei im Folgenden genauer betrachtet.
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Abb. 36 Kulturelle Heilung statt Kulturverlust: Indigene Wege der Alkohol- und Drogentherapie in Lac Courte Oreilles, 2009.
Foto: Cora Bender, 2009.
Unter den Festivitäten, die der aus Lac Courte Oreilles berichtende Kolumnist des Sawyer County Record, Ed Martin, erwähnt, finden wir viele, die auch in anderen kleinen, katholisch geprägten Ortschaften des Mittelwestens üblich sind, z.B. einen St. Valentine’s Day Dance in St. Francis Solanus und einen St. Patrick’s Day Dance im LCO Athletic Club (EM 14.03.1974). Es gab Tupperware-Parties, Muttertags- und Erntedankfeste, für die die Männer vorher zur Jagd gingen und die Frauen Wildreis im traditionellen Stil zubereiteten. Es gab einen LCO Bowling Club, Weihnachtsparties, bei denen der Chor »Stille Nacht, Heilige Nacht« in Ojibwe sang, oder Kostümfeste in der Stammesverwaltung, bei denen eine Blues Band mit dem Namen »Pat Baker and the Lost Tribe« aus LCO spielte.8 Und es gab die ersten Tanzveranstaltungen, bei denen man sich Alkoholabstinenz auferlegte: »There’ll be a disco dance at the Tribal Building Thursday night, April 19. […] no alcoholic beverages of any kind will be permitted on the premises. The dance is sponsored by the LCO youth group.« (EM 11.04.1979).
Auf »drum and dance practice«-Abenden in den neugegründeten Community Centers in Signor und Round Lake eignete sich eine anscheinend mehr oder weniger gefestigte Gruppe von 20-40 Teilnehmern die revitalisierte Kultur an:
8 | Dies war nicht die einzige Rockband aus LCO: »Crazy Horse, a local band, has been playing for various clubs in the area. Their music is for all, young and old.« (EM 11.07.1979)
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »This is an opportune time to learn the various songs and dances used in ceremonial or powwow events.« (EM 26.01.1977)
Auch besuchte man Feste auf anderen Reservationen wie z.B. Bad River: »A reception and dance was held at the Odanah Community center. There were about two to three hundred guests. Music was provided by the Bad River dance band […].« (EM 21.11.1979)
Die Schulen und Colleges der Region trugen besonders zur Entstehung der neuen Festkultur bei. Die LCO Ojibwe School, die auch die nationale Native American Awareness Week ausrichtete9, wurde z.B. vom Honor the Earth Committee als Ort ihrer neuen »Honor the Earth traditional Dagwaagi (fall)«- und »Siigwan (spring)«-Powwows genutzt. Die Schule verlieh auch ihrer eigenen Abschlussfeier den Charakter einer religiösen Zeremonie: »The LCO Ojibwe School, New Post, had their graduation exercises last Friday, May 20, 1977. John M. Quaderer, principal, gave the opening address and con9 | Arthur C. Parker war einer der ersten Vertreter der Idee eines American Indian Day, die eng mit den frühen Versuchen, die amerikanische Staatsbürgerschaft für Indianer durchzusetzen, verbunden ist. Parker überzeugte ausgerechnet die Pfadfinder, einen solchen Tag zur Feier des First American zu bestimmen, und für die nächsten drei Jahre geschah dies auch. 1915 dann verabschiedete die American Indian Association auf ihrem jährlichen Kongress in Lawrence, Kansas, einen formellen Plan zur Durchsetzung eines solchen Gedenktages. Der Präsident der Organisation, Sherman Coolidge (Arapaho), veröffentlichte am 28.09.1915 eine Erklärung, in der die Nation dazu aufgefordert wurde, den zweiten Samstag im Mai als American Indian Day zu begehen. Die Erklärung beinhaltete außerdem den ersten formellen Aufruf, Indianern die amerikanische Staatsbürgerschaft zu geben (Anonym n.d.). »The Native American Studies Program of Northland College, Ashland, will present Native American Awareness Day this coming Friday, March 26ths, all day. We have a number of students enrolled at the college. It will be a nice place to go there and spend the day.« (EM 24.03.1976) Geboten wurden u.a. ein Filmprogramm und die Krönung einer Native American Council Princess. Auch die LCO-Schule beteiligte sich jedes Jahr an der Native American Awareness Week und bot eine Woche mit Workshops und Seminaren unter der Leitung von Dr. Louis W. Ballard (Cherokee-Quapaw) an, »internationally known Indian music educator, composer, writer and lecturer« (SCR 17.03.1982). In der Mensa wurde den Schülern »traditional food« serviert; Rick St. Germaine unterrichtete einen Workshop in LCO-Geschichte, es gab ein Frybread-Wettessen, Wettläufe, ein Powwow, einen Filmabend mit zwei Filmen (»Spirit of the Hunt« und »Crow Dog’s Paradise«), einen »traditional Indian dress-up day« für alle Schüler, einen »traditional Indian legends performance day« und einen »grandparents day« (SCR 14.03.1984).
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR ducted the exercises. William Sutton gave the invocation. James Mustache, S., assisted, Professor John Anderson, Director of Indian Studies from St. Scholastica College, Duluth, was the principal speaker. Pete Larson, Tribal Council Vice-Chairman, assisted by Theresa Williams, Tribal Council member, presented the diplomas. Dr. Rick St. Germaine, Director of LCO Education System, gave the closing remarks. An eagle feather was attached to each diploma. This also symbolizes bon voyage and an award for accomplishment. It is an important symbol… tobacco was passed around. This is done prior to all councils or gatherings. It is the main communicating force with the Great Spirit. The graduates were attired in native costumes… three drums were used, the little boys, juniors and the adults.« (EM 01.06.1977)
An den katholischen Colleges von St. Scholastica College, Duluth, und Mount Senario, Ladysmith, hingegen veranstalteten indigene Studenten Powwows, Mount Senario beispielsweise jedes Frühjahr (SCR 26.05.1982). An der katholischen Missionsschule St. Francis Solanus in LCO dagegen fanden nie Powwows statt, wohl aber fuhren Tanzgruppen aus LCO zu anderen Schulen und führten dort Powwowtänze vor – indigene Kultur als Folkloreveranstaltung für ein nicht-indigenes Publikum: »The St. Francis Mission journeyed or bussed to St. Anthony’s school at Park Falls, April 26. there they performed in native costume of our traditional dances: flag, swan, buck and doe, snake, hoop, feather, war, pipe, eagle, buffalo, and the ever so popular, the 49. An unexpected surprise happened after the performance, our children were asked for autographs from the fans. The dancers were under the direction of Sister M. Felissa.« (EM 02.05.1974) »St. Francis School children will journey to the Washburn public school to do an Indian program of dancing and singing […]. The school has been doing this type of entertaining to out-of-town places for many years. Halloween party in the school this coming Friday […]« (EM 02.11.1977)
3.1 Religiöse Zeremonien, Familienfeiern und Beerdigungen In Lac Courte Oreilles sind auch heute noch die Familien meist kinderreich und weit verzweigt. In Ed Martin’s Kolumne waren daher familienbezogene Anlässe wie Silberhochzeiten, Taufen und Beerdigungen zentraler Bestandteil der LCO-Berichterstattung. »Mrs. Katie Gokey had a picture taken recently at the home of her grandchild, Mr. Hans Robertson of Oconomowoc. This was a 5-generation-sitting. […] The whole family is made up of 69 grandchildren, 72 great grandchildren and 21 great, great grandchildren. Mrs. Gokey is 85 years old.« (EM 29.12.1976)
Im LCO Journal kamen im November 1981 die ersten Beerdigungsanzeigen unter der Überschrift »Walking on …« (LCOJ 4(11), November 1981).
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Bei Ed Martin waren sie von Beginn an Teil der wichtigen LCO-Neuigkeiten. Sie zeigen, dass die neue revitalisierte Festkultur nicht nur als Ausdruck einer politisch motivierten tribalen Souveränität funktionierte, sondern dass sie sinnstiftend bis in die Familie hineinwirkte und sie als indigene Familie revitalisierte. Dabei erhielten Beerdigungen zunehmend auch patriotische Untertöne. Eine typische Annonce: »Our condolences to the family of Charles Belille, Jr., who passed away last week. He was 41 years old. Mr. Belille was accorded military rights at the Round Lake Indian cemetery. The flagbearers were: Tom Carley, […]. The honorary firing squad consisted of: Lyle Gouge […] and Roger Diamond, commanding. Taps were by Gunnard Laakson, and echo taps by Paul Duffy. Flag presentation was by Ed Barber. Mr. James Mustache officiated at the funeral services.« »Mr. Holbrook, a WW II veteran, was given military rites at the Historyland burial grounds [der Friedhof am Südrand von Hayward]. Mr. James Mustache officiated […].« (EM 24.11.1976)
Die Protagonisten der Revitalisierung, allen voran Pipe Mustache, wurden auch auf familiärer Ebene in die Festkultur mit einbezogen, wie eine Beerdigung unter Teilnahme von Pipe Mustache am 27.07.1977 zeigt. »A memorial dinner was held at the Study Center November 14, 1977. This was in honor of Mrs. Mary Gokey who passed away three years ago.« (EM 30.11.1977)
Frauenbeerdigungen scheinen generell bei Ed Martin etwas weniger »Airtime« zu bekommen als die von Männern; vielleicht weil die militärische Karriere fehlt, die zu erzählen wäre: »Our deepest sympathy to the family members of Lily LaRush, 57, who passed away Dec. 29. Funeral services were held at the St. Ignatius Church, New Post, with Father Cardy officiating. Burial was at the new Post Cemetery.« (EM 06.01.1980)
Aber im Falle eines beispielhaft bedeutsamen Lebenslauf wird auch einer Frau genügend Platz in der kollektiven Erinnerung eingeräumt. Aus den kurzen Beerdigungsbiographien scheint sich das Genre der Kurzbiographie in indigenen Zeitungen entwickelt zu haben: »Our condolences to the family members of Mrs. Katie Gokey who left us on April 20, 1979. she was 87 years old. […] Mrs. Gokey had been very active in church and community affairs during her life time residence. The was one of the original members of the quilting bee, which in her time was held in various homes. It is now held in the St. Francis school basement. Mrs. Gokey was the grand, greatgrand, and great-great-grandmother of 182 children and the mother of eight
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR daughters and five sons. Her husband and one son preceded her in death.« (EM 02.05.1979)
Die Retraditionalisierung des Soziallebens spricht aus vielen kleinen Anlässen, bei denen Rituale der Vergangenheit wieder aktualisiert werden. First Kill-Zeremonien für Jugendliche, die ihren ersten größeren Jagderfolg feiern, sind ein gute Beispiel. Sie lassen sich in einer Gesellschaft, die die Jagd nie ganz aufgegeben hat, mit Leichtigkeit wiederbeleben: »Eugene Fleming got his first deer, and as is our custom, gave a big feast, native style, at the Study Center. Relatives, friends, here and from far and wide enjoyed this memorable event. Tobacco, as is the usual custom, was passed around.« (EM 11.04.1974) »Rusty Spenser got his first buck. As is the custom, a big feast is planned for him, probably at the Study Center.« (EM 30.11.1977)
Auch die Sitte, Neugeborenen oder Kleinkindern bei einem kleinen Familienfest einen oder mehrere Paten, name-sakes, zu verpflichten, ist als Zeremonie, bei der Menschen aller Altersklassen einen indianischen Namen erhalten, ohne große Schwierigkeiten in die Festkultur zu integrieren: »An Indian name ceremony took place Thursday Aug. 26. Shanna Marie Ledbeter, 11 months old, was given the name of Ne-we-iashi-kwe, meaning ›Northwind Lady‹, and Brenda Jean Ledbeter, mother, was given the name of Gi-wedin-nu-kwe, meaning ›Point of Land‹. Pipe Mustache did the ceremony.« (EM 01.09.1982) »In the recent Indian name giving ceremony at the Ellen Gordon residence, Amber Corbine was given the name of Red Sky Woman. In the ceremony, other namesakes must be present. Little Amber, one year old, has these persons: Becky Taylor, Rick St. Germaine, Mavis and Duck White, and Jackie and Bill Cadotte. Pipe Mustache gave a ritual speech after tobacco was passed around. As the little one was presented to each person, he or she repeated her new namesake.« (EM 03.11.1982).
Diese Rituale für das Individuum koexistieren anscheinend unproblematisch mit dem Katholizismus in Lac Courte Oreilles: »A traditional dinner was held at the Round Lake Community Hall last Friday November 28th. This was the occasion of the first deer kill for Larry Taylor, a 14 year old hunter. Larry, no doubt, will follow in the footsteps of the great hunters of the past, of which an uncle, now retired, that have kept the hunters prestige in an unending lineage. […] Some of our youngsters are taking catechism lessons at the St. Joseph Church, Hayward. Last week, a Golden Mass was said, and later, a pot luck supper was given at the school cafeteria.« (EM 03.12.1975)
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »Ahsinees Larson had his first birthday party at the Tribal Center, January 19. the next day, a give-away event took place. This is an old Indian custom.« (EM 25.01.1978) »The St. Francis Solanus Church solemnized another milestone in the lives of our youngsters as they received their First Holy Communion Sunday, November 20, 1977.« (EM 30.11.1977)
Eine typische Fronleichnamsprozession in Lac Courte Oreilles zeichnet uns das Bild einer unerwarteten Koexistenz von indigener Kultur, Katholizismus und amerikanischem Patriotismus: »Bishop George A. Hammes of the Superior Diocese honored us with his presence at the St. Francis Solanus Church’s annual Corpus Christi Celebration Thursday, June 10. […] In the Eucharistic procession, Monty Diamond carried the U.S. flag, and Albert Isham carried the papal flag, both wearing full Indian costumes. The children were also in Indian costumes as they strewed wild flowers on the pathway. Leon Corbine led them, carrying the school’s feather flag. […] The semi wigwams [i.e. Altarwigwams] were decorated by Ellen Paulserud, Mary Ellen Larson, Alvin Baker Sr., Harriet Penass, […]. Each wigwam contained a small altar. The three wigwams were made by Douglas Baker […].« (EM 16.06.1982)10
3.2 Kulturelle und soziale Initiativen Zwischen der intimen Familienfeierlichkeit und dem großen Nationalzeremonial des Powwow am 4. Juli (s.u.) entwickelten sich kulturelle Initiativen, Clubs und Centers in großer Zahl. Die hier adressierten Themen verraten Humor und den Einfluss allgemein in der amerikanischen Öffentlichkeit diskutierter Fragen, vom Übergewicht bis zur Bedrohung durch UFOs. Eine Auswahl: »The senior citizens got together and formed a club called the Sour Doughs.« (EM 14.02.1974) »Round Lake Recreational Association« (EM 30.5.1974) »Russell Barber, Chairman; Thelma Morrow, Secretary […] Round Lake will eventually have a recreational center, since the population has increased with the addition of new homes […]. Another incentive is that more are interested in Indian culture revival, including the surrounding areas.« (EM 04.07.1974)
10 | Das gleiche wird am 20.06.1984 berichtet.
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR »The New Post Community Club has been very active in providing recreational activities in the area. They have sponsored dances, bingo and card games, dinners, parties for the old and the young, summer affairs etc.« (EM 19.12.1974) »Richard A. Hetlevedt of the Mutual UFO Network, Chippewa Falls, was here accompanied by Kevin Guibord of the same city. They met at the home of Norman Guibord discussing UFO’s. So if anyone sees an unusual sky object in this area, contact 715-865-3671 and it will be forwarded to the right source.« (EM 27.03.1975) »Another first has been instituted into the community. This is the LCO TOPS, a health department branch involving the weight problem.« (EM 14.01.1976)11
In diesen Clubs und Initiativen wird das Know-how der Sitzungskultur geprobt, es werden Geschäftsordnungen erlassen, Vorstände gewählt, Tagesordnungen festgelegt etc.: »A meeting of the minds, Pat Martinson, Pete Larson, Don Carley, Ed Martin and Al Froemel met at Al’s place and drafted an amendment to the Athletic Club’s by-laws. This amendment was the creation of a Board of Directors, their qualifications, terms, duties, and meetings. A land clearing project was instituted last Saturday in preparation for the future club house.« (EM 28.03.1974)
Die Clubs, zu denen z.B. der LCO Athletic Club, der Tribal Members First, der Ain-dah-ing Club und der Paquauahwong Club gehörten, formulierten ein starkes Interesse an Bildung und kulturellen Aktivitäten, wobei sowohl die Lokalgeschichte als auch Wissen über indigene Traditionen einen praktischen Bezug aufweisen und sich in Weihnachtsfeiern u.ä. einbauen lassen mussten. So trat der Lokalhistoriker Eldon Marple im LCO Sportclub auf, oder eine Jugendgruppe erstellte unter Anleitung eines Sozialarbeiters ein Wandgemälde. »[…] one of the youth workers and a group of his charges did a fine job on mural painting of their center. The mural covers a whole wall depicting a sunset scene. […] Movie nights will soon be on the program […].« (EM 31.01.1979)
Außerdem gab es einen LCO Theater Club, der auch an der UW Eau Claire auftrat, mit einem Vierakter unter dem Titel, »Ojibwe Creation«. Als Regisseurin fungierte Saxon St. Germaine (vgl. Kapitel VI), unter den studentischen Schauspielern war auch Paul Lacapa, ein Bruder der späteren Direktorin der Radiostation WOJB, Camille Lacapa. Dieses Stück dürfte wohl auf den Mammoth Pageant unter Regie von Saxon St. Germaine zu-
11 | Die Probleme mit dem Übergewicht werden in der LCO Kolumne interessanterweise zum ersten Mal nach der Ölkrise Mitte der 1970er Jahre wahrgenommen.
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rückgehen (vgl. Kapitel VI). Die katholische Mission bot ebenfalls einige Traditionen an, an die man anknüpfen konnte, wie z.B. den Frauenchor: »Speaking of the Ladies‹ Choir, they sang carols at the elderly homes here […]. The choir consists of Bernice and Eunice Dennis, Chris Isham, Marilyn Tribble 12, Jean Gouge, Virginia and Margaret Taylor […]. Sister Felissa, conductor […]« (EM 10.01.1974) Es entwickelte sich das Interesse an den traditionellen, ehemals hauptsächlich durch die katholische Kirche geförderten Handarbeiten wie Perlenstickerei, die nun im Zuge der Revitalisierung in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt wurde. Im Dezember 1979 gründet LCO seine eigene LCO Arts Guild und beteiligt sich an einer Ausstellung indigener Kunst in Madison (LCOJ 2(10), December 1979) und am First Wisconsin Indian Arts Festival 1984 in Eau Claire.13 Diese Initiativen scheinen einem Zyklus aus Gründung und Absterben unterworfen gewesen zu sein, so dass häufig die Revitalisierung von vorne anfing, was möglicherweise mit der staatlichen Finanzierung und mit der Mobilität von Individuen zu tun hat.
4 L AC C OURTE O REILLES UND DIE V OLKSKULTUR IN H AY WARD LCO-Leute beteiligen sich auch heute noch gern an Volksfesten und anderen repräsentativen Gemeinschaftsveranstaltungen in Hayward, vor allem am seit 1949 stattfindenden Musky Festival: »Quite a few of us attended the 27th Annual Musky Festival in Hayward.« (EM 30.06.1976)
Nachdem die Reservation jedoch anfing, sich politisch bemerkbar zu machen, vor allem durch die kämpferische Besetzung des Winter-Staudamms im Jahr 1972, wurden diese Volksfeste mehr und mehr zu Foren konkurrierender Repräsentation. 1974 beteiligte sich LCO auch an der Wahl zur Silver Anniversary Musky Festival Queen; von sieben Bewerberinnen auf den Titel kamen immerhin fünf aus Lac Courte Oreilles u.a. Trixie Nayquonabe, Tochter des hoch verehrten elder Bill Sutton. Den Titel errang aber doch – Zufall? – eine der beiden nicht-indianischen Bewerberinnen (SCR 27.06.1974). Das Birkebeiner Ski-Langlaufrennen, von dem mit LCO eng verbundenen (und verbündeten) Geschäftsmann Tony Wise 12 | Marilyn Tribble war übrigens auch in der Bowling-Mannschaft »LCO Babes« (EM 04.02.1976). 13 | Ziele waren u.a.: »to encourage the arts among Wisconsin Indians, to revive old Wisconsin Indian arts and crafts; to encourage the creative talents among Wisconsin Indians« (EM 04.07.1984).
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seit 1972 jährlich in der Gegend von Hayward veranstaltet, wurde mit den Jahren eins der größten Skirennen der USA, das bis heute Touristen in großer Zahl nach Hayward bringt. Es wurde 1982 auf die Liste der Top 100 Tourist Attractions in North America gesetzt. Im gleichen Jahr kamen auf 1783 Einwohner von Hayward ca. 17.000 Touristen und 7000 teilnehmende Skifahrer aus aller Welt (SCR 22.12.1982). Das lokale Business, vor allem der Spanplattenhersteller Louisiana-Pacific und die JohnsonTimber Corporation stellen Ausrüstung und Personal zur Verfügung, die Einwohner helfen in bester amerikanischer Volunteer-Tradition einmütig und zweckfrei, das ganze zu einem »great event« zu machen (SCR 10.02.1982). Auch LCO beteiligt sich, indem WOJB das Rennen in voller Länge live überträgt und Sportler nach LCO eingeladen werden. Etwas anders verhält es sich mit den Lumberjack Championships und der 1978 nach vierjähriger Bauzeit in Hayward eröffneten Freshwater Fishing Hall of Fame. Hierbei handelt es sich um zwei Kulminationspunkte lokaler nicht-indigener Repräsentation, an denen LCO absichtlich nicht beteiligt scheint. Die Fishing Hall of Fame ist ein Museum des weißen Sportanglers, zu dessen Schausammlung Dutzende von Geschäftsleuten, Sammler und ortstreue Angeltouristen Objekte beisteuerten (SCR 28.02.1974). Die in einem Gebäude in Form eines monströsen grünen Fischs untergebrachte Institution zelebrierte im Juli 1974 ihre große Eröffnung (»Fish Dedication Ceremony«), nicht zufällig in jenem Monat, in dem traditionellerweise LCO seine Powwows abhält. Was dem einen sein Powwow, ist dem anderen seine Fish Dedication (Abbildung s. Kapitel III). Anders als das Sportfischen und das revitalisierte Powwow, die als lebendige kulturelle Praxis angesehen werden können, haben die vom Sägenfabrikant Stihl seit 1980 gesponserten Lumberjack Championships allerdings eine Dimension von Konstruktion, die eher an Disneyland erinnert.
5 P OW WOWS : V OM 4 J ULY P OW WOW ZU H ONOR THE E ARTH 5.1 Zur Kulturgeschichte des Pow wows In diesem lokalen Volkskulturzusammenhang ist auch das Powwow zu sehen, das für Lac Courte Oreilles eine kaum zu überschätzende Bedeutung als Forum kultureller Kommunikation hat. Das Powwow hat eine ins 19. Jahrhundert zurückreichende Kulturgeschichte; seine frühen Formen breiteten sich im 19. Jahrhundert von den Pawnee der südlichen Plains ausgehend nach Norden aus. Es wechselte auf seiner Wanderroute seine soziale Funktion, wurde von einem Heilritual auf den südlichen Plains zu einem Tanz der Kriegergesellschaften der nördlichen Plains, und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert erscheint es als das panindianische Kulturfestival, als das wir es heute kennen (Wissler 1916; Kurath 1957; Murie 1914; Fletcher und LaFleche 1911; Howard 1951). Dem Powwow
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als früher moderner Hybridform widmete sich eine mit den Jahren immer umfangreichere Forschungsliteratur, die sich unter ethnologischen (z.B. Powers 1990; Howard 1983, Hatoum 1999, 2003; Toelken 1991), aber auch musikologischen (Browner 2000) und politikwissenschaftlichen (Mattern 1999) Gesichtspunkten mit dem Phänomen beschäftigt, auf das Howard Mitte der 1950er Jahre zum ersten Mal die Aufmerksamkeit lenkte. Erst seit kürzerem schreiben auch indigene Autoren über das Powwow (Horse Capture 1994; Desjarlait 1997). Die frühe Literatur hat sich vor allem mit dem Panindianismus beschäftigt, den Howard als indianische kulturelle McDonaldisierung brandmarkte, die letztendlich alle kulturspezifischen Formen wegwalzen würde (Howard 1983: 74; Hertzberg 1971). An dieser Stelle soll aber die mediale Kapazität des Powwows im Vordergrund stehen, sein Charakter als Forum des Kulturkontakts und der Repräsentation, wozu im 20. Jahrhundert auch nichtindianische KleinstadtFairs, Rodeos und Wildwest Shows beigetragen haben (Powers 1990). Die Powwow-Kultur hat eine wichtige Vermittlerposition zwischen den lokalen Tribalkulturen und der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft, ohne erstere zu ersetzen. Guss stellt über öffentliche Festivitäten dieser Art generell fest: »The same form, […] may be used to articulate a number of different ideas and over time can easy oscillate between religious devotion, ethnic solidarity, political resistance, national identity, and even commercial spectacle.« (Guss 2000: 9) Die Powwowkultur in Lac Courte Oreilles hat verschiedene Wurzeln, von denen einige im lokalen Tourismus und andere im indigenen Aktivismus der 1970er Jahre zu suchen sind. Ein wichtiger Umstand war die Kooperation zwischen LCO-Leuten und dem fortschrittlichen und den Ureinwohnern in Sympathie verbundenen Geschäftsmann Tony Wise (vgl. Kapitel II). Sein in Kooperation mit den Ojibwe aufgebautes Kulturzentrum Historyland kann als ein Stück medial verdoppelter Kultur betrachtet werden. Doch es hat traditionelle Formen wie z.B. die Medizingesellschaft nicht ersetzt, sondern für Lac Courte Oreilles die kulturelle Kommunikation mit der Mehrheitsgesellschaft vermittelt und einen Platz im kulturellen Ensemble freigehalten. In Historyland eröffnete das Gathering of the Tribes-Powwow am amerikanischen Nationalfeiertag den Reigen der dienstäglichen und donnerstäglichen Touristenpowwows. »The purpose of the Historyland powwows is to maintain the cultural backbone of the Chippewas and to educate visitors to the true Indian culture.« (SCR 01.07.1971)
Bis 1979 wurde das Gathering of the Tribes-Powwow mit dem im Wesentlichen gleichen Text im Sawyer County Record angekündigt. »Indian chants, dancing, and colorful costumes will take over the spotlight at Hayward’s Historyland Sunday, Monday, and Tuesday, July 2-3-4, when more than 500 Indians from ten tribes join local Chippewas here for the ›Gathering
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR of the Tribes Powwow‹. […] Described in Indian Ways Magazine as a ›blazing spectacle of color, pageantry, and emotion that is the most authentic woodland Indian singing and dancing in existence today […].‹ In addition to the ›live‹ Indian ceremonies, Historyland also features a Chippewa Indian Village, where Indians from the Chippewa nation offer tours and perform various tasks characteristic of their tribe. […] A 100-foot long Grand Medicine Lodge, where religious ceremonies of the Chippewa nation were held, is also located at Indian Village.« (SCR 29.06.1972; 28.06.1978)
1978 erschien zum ersten Mal eine Ankündigung eines neuen Powwows (das tatsächlich schon seit 1971 stattfand) mit dem Titel und Motto »Honor the Earth«. Der Ankündigungstext richtet sich an Touristen, was man daran erkennen kann, dass die Autoren die Aussprache des Namens Lac Courte Oreilles erklären: »The Lac Courte Oreilles (pronounced Lac Couderay) Tribe’s Honor the Earth Pow Wow Committee has announced that this year’s Fifth Annual Traditional Honor the Earth Pow Wow will be held the weekend of July 28th, 29th and 30th. Tribal members will host dancers and singers from all parts of the country for the three days at the Lac Courte Oreilles Ojibwe Reservation’s recreational park and pow wow grounds. Special events will include Moccasin and LaCrosse games, daily giveaways and feasts. The pow wow will be highlighted by the Grand Opening of the recently completed Lac Courte Oreilles Ojibwe High School.« (SCR 14.06.1978)
Im nächsten Jahr hatte das neue Powwow das alte Gathering of the TribesPowwow bereits von der Titelseite der Zeitung verdrängt. Allerdings fanden, obwohl die Veranstalter des neuen Powwows dies zu missbilligen schienen, immer noch die Donnerstagstänze in Historyland statt (SCR 27.06.1979). Das revitalisierte Powwow bot, und das war neu, neben den üblichen Tänzen auch eine Theatergruppe und eine Rockband. Es wurde bewusst als Forum einer revitalisierten, nicht einer nachgespielten Kultur verstanden: »[…] The Event is sponsored by the Lac Courte Oreilles Tribe and is one of the most important activities sponsored on the reservation. […] the Lac Courte Oreilles boxing team will be sponsoring a boxing exhibition. […] Then, […] members of the American Indian theatre group, ›Echo Hawk‹14, will be performing at the L.C.O. Tribal office. […] Finishing the night off will be the rock band ›Pipestone‹ at the L.C.O. Tribal gym. […] The Honor the Earth Pow Wow is a celebration mixed with contemporary and traditional Indian values. The mixture of culture and religion unfolds into an event that strides to remind people of the substance that Mother Earth provides for all human beings. The public is welcome and encouraged to attend any or all of these events as guests of the L.C. O. tribe.« (SCR 18.07.1979) 14 | Echo Hawk traten auch an anderen Orten in Wisconsin auf u.a. beim Waupun Indian Council, mit ihren Stücken, die legends genannt wurden und Titel hatten wie »Spiderwoman« und »Bear Dance« (LCOJ 3(3), March 1980).
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Das Powwow wurde vom Honor the Earth Committee vorbereitet, dem zeitweise so prominente LCO-Leute wie Bill Sutton, Paul DeMain und Stoney Larsson angehörten, und das auch andere kulturell orientierte Feste sponsorte: »The Honor the Earth Education Foundation has been active in raising funds for cultural education in the community. They have participated in pow wows here and other areas. The present active members are: Louis White, Stony Larson, Bill Sutton, Marilyn Tribble, Bill Cadotte, Thelma Morrow, Willard Gouge and Paul DeMain.« (EM 27.06.1979) »A fall festival, Da Gwa Gig, will be held at the LCO Tribal building this Friday evening, Nov. 17. The potluck feast will start at 5 p.m. and then an open powwow will start at 7 p.m. This is sponsored by the LCO Honor the Earth Committee.« (EM 15.11.1978)
Das Komitee betrieb eine aktive Pressepolitik und versorgte den Sawyer County Record mit PR-Texten, die das Powwow zur Klammer zwischen der Staudammbesetzung durch AIM und einer mythischen Vergangenheit machte. »Protest to Celebration«, schreibt der Sawyer County Record 1980, als das Powwow sieben Jahre alt war: »The Honor the Earth Celebration evolved […] in hopes of providing a format to spread the word to other Indian nations and people and inform them of some of the basic issues and feelings concerning the Chippewa Flowage. […] many members of the tribe participate, much like that of relatives many years ago who gathered at Madeline Island after the harvest to give thanks to the earth, to have their religious ceremonies, traditional games and then to be reunited with friends and relatives they hadn’t seen for a year. Today’s Honor the Earth is just that. It is not a re-enactment of what once was, but a gathering of people who hold their traditions and way of life at the highest level.« (SCR 16.07.1980)
Heute hat LCO fünf regelmäßig stattfindende Powwows, deren Ausrichtung den Wandel der Festkultur am deutlichsten widerspiegelt: • das LCO Veterans Day Powwow am 11. November, dem Veteranenfeiertag (Abb. 38); • das LCO Sobriety Powwow am Silvesterabend, das eingerichtet wurde, um trockenen Alkoholikern und ihren Familien ein Silvesterfest zu bieten; • das LCO Headstart Powwow im Oktober für die Schulanfänger; • das LCO Ojibwe School Contest Powwow im Juni, bei dem Preisgelder von insgesamt mehr als $ 10.000 für jugendliche Tänzer ausgeschüttet werden; • und das große Honor the Earth Powwow im Juli (Abb. 37).
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Die Powwows bewarb der Tribal Council mitsamt Fotos von sich selbst in der Ausgabe 2000 des Fun Guide, einer Sonderbeilage des Sawyer County Record für Touristen. Mit den Jahren wurde das als Protestveranstaltung begonnene Honor the Earth Powwow zur offiziellen Nationalfeierlichkeit von Lac Courte Oreilles, die laut einer Schätzung von Honor the EarthMC Eddie Benton ca. $ 50.-70.000 kostet. Heute kann man es als eine totalisierende Zeremonie bezeichnen, an der sich die gesamte tribale Infrastruktur zu beteiligen hat, für das Monate vorher im Stamm Spenden und unentgeltliche Dienste eingefordert werden und dessen Eintrittsbutton von Kindern der LCO High School in einem Malwettbewerb gestaltet wird. »The gathering originated in 1971 in protest to the relicensing of the Chippewa Flowage, and has since grown into the largest traditional event on the reservation, featuring inter-tribal dancing and singing, arts and craft displays, exhibitions, traditional Indian food stands, Indian princess contest, Indian women’s workshop, regional softball tournament, daily honor feasts and give-aways, horseshoe contest, Indian country western and rock music, and host of other events.« (SCR 14.07.1982)
Abb. 37 Programm des Honor the Earth-Powwows, das jedes Jahr Tausende Besucher nach Lac Courte Oreilles zieht, 2001.
Foto: Cora Bender, 2010.
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Im Gegensatz dazu ist beispielsweise das Powwow der Reservation Red Cliff am Südufer des Lake Superior eine mehr oder weniger privat organisierte Familienveranstaltung, die innerhalb der noch stark vom Katholizismus geprägten Reservationskultur von Red Cliff keinen hohen Status hat. Jedes Jahr zieht Honor the Earth über 10.000 Besucher nach Sawyer County, jedes Jahr wird die Veranstaltung größer in den Lokalmedien angekündigt, 1999 z.B. in einer ganzseitigen Annonce im Sawyer County Record. Ich habe in LCO allerdings auch mit einigen Leuten gesprochen, die die Teilnahme an dem Powwow ablehnen, weil sie es für zu kommerziell und den gemeinschaftlichen Nimbus für geheuchelt halten. Anscheinend gab es auch eine kurze Auseinandersetzung um seine korrekte geschichtliche Darstellung, wie aus einem Interview hervorgeht, das ich im Jahr 2001 mit Eddie Benton Banaise führte, dem früheren AIM-Aktivisten, der das Powwow zuerst mitbegründet hatte, und seit 1991 regelmäßig als sein MC auftritt. Cora Bender: How did the powwow develop from a small commemorative gathering of AIM people or Winter Dam protesters to what it is now? Eddie Benton Banaise [sehr amerikanisch]: By faith, belief, dedication, hard work! [lacht] And it was a time when it very nearly disappeared. CB: When was that? EB: Oh, say, eh, say the years preceding the time I came into it to be the MC, say 12 years ago. The people who were involved in the powwow tried to write the history of it, eliminating the protest powwow, eliminating the dam take-over, and all of that! And that would have given the public to believe that it’s the tribal government that [halber Satz unverständlich] not true! CB: Somebody wrote a history of the powwow?15 EB: Yeah. CB: Who? EB: Ah, well. When I’d ask, people liked to say it wasn’t them! [lacht] It’s, you know, people that live here. They really didn’t want the powwow to be commemorative of the dam take-over, thinking that we may hurt our non-Indian relatives’ feelings and the like [die nicht-indigenen Bewohner von Sawyer County]. And I said, »how long has our feelings been hurt? How long?« So, after some persuading then it was: »ah yeah, we need to tell our story, we’re saying that America’s gotta tell the truth in their history. Well, what about us?« So, it has remained. Now that story is getting stronger, and it’ll stay in place, [mit Nachdruck] it will stay in place. I’m confident of that now. Otherwise, it will become just another powwow, just another thing to go to. Another summer event! And if we allow it to happen that way, then that’s what’ll happen. CB: And that’s how it was in the years between? EB: Ah, people [on the committee] were distancing themselves from it’s origins, from its roots and from its meaning. I mean maybe they didn’t really mean 15 | Die Broschüre konnte ich leider nicht aufspüren.
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR to do that but nevertheless that is what was going on. I don’t think anybody said, »let’s wipe the history out«. I think it just never occurred to them. So when they were reminded, the book that you see now, the brochure, that’s the story that was revised, and I revised a lot of that. […] There hasn’t been a real blatant discord – lack of awareness. You know, like: »it’s a powwow. Just a powwow.« Well, it’s not just a powwow! That’s not a controversy, that’s lack of awareness, lack of feeling about it. To have a belief and a feeling about something, that’s what I believe must be there. And that’s what I try to create, that’s what I try to maintain. Even in committee meetings, even in planning meetings. Let’s keep the meaning of this in perspective. Don’t get off the track, ’cos if we get off the track, we might as well have a carnival, and rides, you know! (Interview Edward Benton Banaise)
5.2 Frauen in der Pow wow-Kultur: Princess Pageants Auch innerhalb des Powwow-Rahmens kommt es zu Entlehnungen und Aneignungen aus der amerikanischen Mainstream- bzw. der panindianischen Kultur. Indigene Miss-Wahlen sind in vielen Kommunitäten seit fünfzig und mehr Jahren Bestandteil der Festpraxis. Wie bei ihren amerikanischen Vorbildern auch geht es bei indigenen Misswahlen um die Verkörperung von patriotischem Sentiment durch das ideale Abbild einer Frau. Allerdings werden diese Ideale nicht in Körbchengröße und Taillenumfang gemessen, sondern im Vordergrund stehen eher solche weiblichen Werte, die nach Maßstäben sowohl der weißen als auch der indigenen Kultur als traditionell bezeichnet werden können. Neben Vorbildlichkeit in Sachen Lebensführung geht es hier auch um Kenntnisse der indigenen Sprache, tänzerische Fähigkeiten, einen Bezug zur traditionellen Kultur und Einbettung in die Verwandtschaftsnetzwerke der Kommunität. Vielerorts hat eine indigene Miss Community durchaus ernstzunehmende Repräsentationspflichten, indem sie auf öffentlichen Veranstaltungen der umgebenden Mainstream-Kultur oder anderen indigenen Gemeinschaften ihre Heimatkommunität vertritt. Die Miss Navajo Nation, beispielsweise, bezieht von der Regierung der Navajo ein eigenes Gehalt und bekommt für die Dauer ihres Amtes einen Dienstwagen samt Chauffeur gestellt. In Lac Courte Oreilles wird die Praxis der indigenen Misswahl zum ersten Mal 1982 in Zeitungsberichten erwähnt. Im Jahr 1982 organisierten Camille Lacapa, spätere Direktorin des Radiosenders WOJB, ihre Mutter Betty Lacapa und die Powwow-Tänzerin Becky Taylor aus LCO zusammen den Miss LCO Pageant (EM 30.06.1982). Ed Martin klärte die Leser über die kulturelle Tradition indigener Miss-Wahlen auf: »It is interesting to know that the first Miss Indian America was crowned in 1953 at Sheridan, WY. She was Arlene Wesley, a Yakima from Washington. Rebecca Anderson, our 1981-82 Princess will be on her way to Sheridan to compete in the 1982 Miss Indian America pageant […].« (EM 21.07.1982)
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Die Wahl der Miss LCO Princess wurde zum regelmäßigen ersten großen Ereignis des viertägigen Powwows. Sie wurde z.B. von Ojibwe-Aktivist Walt Bresette und Eddie Bentons Tochter Marilyn Benton geleitet und war eine ernste, keine frivole Angelegenheit. Kriterien für die Kandidatur waren u.a. »must be single, never married, and without dependent children«, »must wear authentic Indian attire for the talent show […] and throughout the Honor the Earth powwow« (SCR 27.06.1984). Das LCO Princess Committee bestand auch nicht aus gaffenden Männern, sondern aus sieben im kulturellen Leben von LCO aktiven Frauen, unter ihnen die vor einigen Jahren verstorbene Lucy Begay, Mutter des langjährigen Tribal Council-Mitgliedes Gene Begay.16 Bis heute haben sich die Misswahlen in Lac Courte Oreilles erhalten. Sie gehören zum festen Repertoire der Powwows und zur Berichterstattung in der lokalen Mainstream-Presse. Hier wird deutlich, dass Panindianismus und lokale tribale Kultur einander beeinflussen, ohne dass notwendigerweise ein Medium das andere verdrängt. Im Gegenteil, lokale Powwows sind in vielen Kommunitäten Teil des jährlichen Festzyklus geworden und haben für die Revitalisierung spezifisch tribaler Kultur erst den nötigen diskursiven Freiraum geschaffen. Insofern hat dieses Nebeneinander der Formen strukturelle Ähnlichkeit mit der Art von Koexistenz, die in indigenen Gesellschaften auch Oralität und verschiedene Formen von Medialität aufweisen.
5.3 Pow wows und Patriotismus Die Powwowkultur ist die kommunikative Oberfläche zum Austausch mit dem amerikanischen Mainstream, der sich durch extensive Verwendung amerikanischer patriotischer Symbole ausdrückt, auch in der Miss-Wahl:
16 | Ihr von LCO-Kolumnist Ed Martin erstelltes Profil verdeutlicht die vielfältigen kulturellen Einflüsse, die auf diesem Powwow miteinander zu vereinbaren waren, und gleichzeitig die Vorbildfunktion des Individuums, dem es gelingt, diese Einflüsse zu vermitteln. Ihren Navajo-Nachnamen erhielt Lucille Mustache, geb. am 26.05.1907, von Na-Talth Bahe (Navajo), den sie 1926 in einer Navajo- und einer standesamtlichen Trauung ehelichte. Sie hatten zwei Söhne, Eugene A. und Duane E. Begay, und von diesen wiederum zwölf Enkel und sieben Urgroßenkel: »She speaks fluent Chippewa and is always willing to translate and interpret for the many who do not have the knowledge. Her parents were members of the Medewin Society (Medicine Dance) and the Big Drum Society. She belongs to the Medewin Society. Her son Eugene, sits in his grandfathers position as a member of the Big Drum Society. She remembers the days when everyone spoke the Indian language and lived in the traditional way. She remembers the advice from her mother about womanhood and responsible wife and mother, which she advocates to all women. […] She reads the Bible every day and attends the Ojibwey spiritual and drum ceremonials.« (EM 20.07.1983)
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR »The present Princess‹ Crown was made and donated by Velma Eisenberg, a Kowa [Kiowa? Tewa?] from Kayenta, AZ. This crown will be used each year. It has five tiers with an eagle in the center flanked by the two U.S. flags. The crown has the colors of yellow, organge and brown with a blue background. It is all beaded.« (EM 21.07.1982)
Der Patriotismus hielt in LCO seinen Einzug besonders durch zwei Pforten, die LCO-Schule und die Beerdigungen von Veteranen. Am 07.11.1979 wurde in der Schule die erste Gedenkveranstaltung für LCO-Veteranen abgehalten. »The Lac Courte Oreilles schools will be sponsoring a special Veterans Day observation with traditional dance. According to Stony Larson, dance coordinator for the school, the dance is called the ›49 dance‹. It dates back to the first World War, and the Indians of Oklahoma. As the story goes, 50 Indians went into the service of their country in World War I, but only 49 returned. The dance is done in memory of the one who did not return, and for all of the Indians since who have fallen in battle. ›It’s a social dance‹, explains Larson, with both men and women taking part. They used to have them at our reservation years ago, but it kind of died out. We’re trying to revive it. The dance will honor five surviving World War I veterans at LCO. […] The public is invited.« (SCR 07.11.1979)
Das wachsende Bewusstsein in der Forschung, dass heutige indigene Kommunitäten nicht nur Teil der pluralen amerikanischen Gesellschaft, sondern zunehmend selbst plurale Gesellschaften sind, hat zur Anwendung prozessualer, nicht-essentialistischer Forschungsansätze auf das Powwow beigetragen, das als »public arena« (Mattern 1999), »platform for [internal tribal] political debate« (Herle 1994), und als »social drama« (Goertzen 2001) gesehen wird, in dem Widersprüche zwischen kommunitären und individualistischen Tendenzen in indigenen Gemeinschaften vermittelt werden (Gelo 1999). Die Forschung hatte allerdings bislang noch kein großes Interesse an dem indigenen amerikanischen Patriotismus im Powwow, der ein so augenfälliges Merkmal dieser Kultur ist. Bei meiner ganz dem Powwow gewidmeten Feldforschung im Sommer 2001 interviewte ich hierzu Gesprächspartner bei Powwows in Wisconsin und Minnesota (vgl. Bender 2004). Der Gebrauch patriotischer amerikanischer Symbole wie der amerikanischen Flagge und des Wappentiers der USA, des weißköpfigen Seeadlers, florierten in den 1880er Jahren in der Kunst der indigenen PlainsBevölkerungen nach ihrer endgültigen Verbringung auf Reservationen. Interessanterweise war dies auch eine Periode extremer Popularisierung und Kommerzialisierung patriotischer Symbole in der allgemeinen amerikanischen Gesellschaft, die sich nach der Schließung der Grenze endgültig konsolidierte und gleichzeitig in ihre ersten Wirtschaftskrisen geriet. Das »Flag Protection Movement« wurde gegründet, um den Abdruck der amerikanischen Flagge auf Zigarrenschachteln, Toilettenpapierverpa-
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ckungen und sogar Toilettenbecken selbst zu verhindern. Das Verbot solcher popkultureller Freiheiten im Umgang mit den Symbolen der Nation setzte sich aber erst durch die Militarisierung des patriotischen Diskurses im Zuge des Ersten Weltkrieges durch (O’Leary 1999: 230-232). Heutzutage wird die amerikanische Flagge durch den Flaggencode geschützt, der sie als lebendes Wesen definiert: »The flag represents a living country and is itself considered a living thing.« (United States Code, Title 36, Chapter 10, § 176: »Respect for the Flag«)17 Der Flaggencode spezifiziert auch die Regeln, nach denen die Flaggenehrung sich zu vollziehen hat, eine Art öffentliches, nationales Zeremonialwissen, das indigene Kommunitäten nach der Wende zum 20. Jahrhundert über das Militär und das Internatsschulwesen erreichte.18 Heutzutage kommen patriotische Symbole im Leben indigener Bevölkerungen vor wie bei anderen Amerikanern auch. Sie werden im Fernsehen, an Häusern und oft in Konsum-Umgebungen wie Einkaufszentren, Familienrestaurants und Supermärkten inflationär verwendet. Bei Powwows finden sie Verwendung in der Tanzkleidung (beispielsweise in einem extra für Powwow-Kostüme verwendeten Stoff, der mit einem Muster durcheinandergewürfelter Flaggen bedruckt ist), und in der Art und Weise der Veteranenehrung. Die bei Powwows übliche Grand Entry wird immer von Veteranen angeführt, die zum spektakulär dröhnenden Trommelton das Tanzrund betreten – tanzend, wohlgemerkt, nicht marschierend. Der Powwow-Klang selbst wird zum Medium einer imagined community (Anderson 1986). The drum is like a child […] The drum hide represents the mother’s womb, and the drumbeat is the heartbeat of our nation. If you take care of it in a good way, it’ll work for you. If you do the wrong things, it comes back to you and to the people around you. (Interview Corky White) The powwow will start with the dancers lining up at the east entrance. They’re coming in from the east, and when they come in they use the Grand Entry song. Everywhere [i.e. at all powwows, C.B.] people usually stand up and their own spiritual advisors will talk for that powwow [i.e. speak a prayer in the local Native language]. After that they go into the flag song and the veterans song. The veterans are always the first in any powwow, the flags and the veterans. (Interview Joe Martineau)
17 | Vgl. www.usflag.org. 18 | Im Gegensatz zu den Plains-Bevölkerungen waren die Ojibwe und andere Gruppen der Westlichen Großen Seen vor dem 20. Jahrhundert nicht besonders am amerikanischen Patriotismus interessiert, meint Pohrt (1976: 46). Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der weißköpfige Seeadler zusammen mit den Farben der amerikanischen Flagge bei den Ottawa schon vor 1851 auftaucht (Graham 1983).
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Sie tragen Flaggen und Eagle Staffs, lange, mit Federn geschmückte Stäbe: For instance, my family might bring an American flag. If I’m too busy my Mom [will] ask for two veterans to hang that flag. And there’s flags at the powwow that people bring: ›Please could you carry this. It’s a veteran’s flag, could you carry it out there?‹ If Lac du Flambeau brings a bunch of flags, when they get here we ask them to help us out carry our flags also. We have the American, Canadian, POW-MIA [Prisoner of War, Missing in Action], Army, Navy, Air Force, Coast Guard, Marines, all those flags! We work it out so all the flags come around the circle. Every year we end up with way over thirty flags. (Interview Joe Martineau)
Nach dem Flaggen- und dem Veteranenlied werden die Flaggen links und rechts der kleinen Tribüne des Master of Ceremonies (MC oder emcee) postiert, bis sie später am Abend in einem formellen Zapfenstreich zurückgezogen werden. Am nächsten Morgen findet nach einem wiederholten zeremoniellen Posting of the Colors eine Geschenkausgabe an die Veteranen statt, die in der Regel ein Powwow-T-Shirt, eine Baseballmütze, Jacken u.ä. erhalten. Der lokale Veteranenkommandeur hält bei dieser Gelegenheit eine kleine patriotische Ansprache. Today, at this time for the veterans, it feels good to see that we have quite a few veterans registered. For the sacrifice that they’ve given to the country. This country right here, the United States, where today, when we look at it, we take democracy pretty lightly. But when we look throughout the world, when we look at some of these countries that are oppressed that does not have freedom of speech, freedom to move about their country as we do. But we have soldiers, airmen, navy, serving, helping people in this peace time. But sometimes, peacetime doesn’t last forever. Sometimes our government ask our troops to go out and to do something to restore democracy to another country. Or just to go out to build new roads, build them villages, schools, with our engineers. (Teilnahmeprotokoll)
Die angebliche Wirksamkeit solcher öffentlicher Anerkennungszeremonien wird in der Literatur als Begründung für die vergleichsweise hohe Beteiligung indigener Bevölkerungen an den U.S. Streitkräften herangezogen. Auch die Streitkräfte selbst, wie z.B. das Naval Historical Center in Washington, D.C., portraitieren die Geschenkverteilungen als gloriose Ehrungen in stolzer Kriegertradition. Dabei wird übersehen, dass solche Kriegerehrungen auch da stattfinden, wo das Kriegerideal traditionell eher schwach ausgebildet ist, wie z.B. bei den Navajo, und dass viele von den geehrten indigenen Soldaten weiblichen Geschlechts sind. Außerdem wird man als Zeuge vor Ort oftmals kaum über den keineswegs heroischen Gesundheitszustand der Veteranen hinwegsehen können, die unter den Folgen des Kontakts mit Agent Orange, unter Alkoholismus und Depressionen leiden. Die kulturellen Auswirkungen des Militärdienstes werden
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in der Literatur unterschiedlich bewertet (Camurat 1993). Nach ihrer Teilnahme am Ersten Weltkrieg trugen sogenannte »warrior home-coming celebrations« vielerorts zu einer allgemeinen kulturellen Revitalisierung bei (Holm 1985; Powers 1990). Im Gegensatz zu diesen allgemeinen Behauptungen, mit denen sich auch die U.S. Streitkräfte gern schmücken), erinnern sich die vier von Dawn Scher Thomae für das Milwaukee Public Museum interviewten, aus Wisconsin stammenden indigenen Veteranen zwar an armee-typische Demütigungsrituale zum Zeitpunkt ihres Eintritts, nicht aber an Homecoming Celebrations irgendeiner Art (Thomae 1993). Die Veteranenehrung bei Powwows entstand also eher aus einem diagnostizierten Mangel an symbolischer Anerkennung, wie sich ein Gesprächspartner aus Fond du Lac (Minnesota) erinnert: We had a lot of vets that we knew were vets; we had lots of [vets] that we didn’t know were vets and all of them had the same thing in common: nobody really recognized them and said, »we’re proud’a you!« Once we set [the powwow], eight or nine vets died the first year. They were fulfilled. All of these guys went and volunteered to fight, they didn’t have to be drafted, they went because they wanted to, and lived and died and gave their life to the country. So, it affected all of them that we finally recognized, »we’re proud’a you!« (Interview Joe Martineau)
Genau so bedeutsam wie diese Symbolik, aber bislang noch unbeachtet in der Forschung, erscheinen die Veteranennetzwerke, die sich zu Drum Groups zusammenfinden, Powwows organisieren, und sich gegenseitig helfen, mit den Nachwirkungen ihres Militärdienstes, mit Alkoholismus und Gesundheitsproblemen fertig zu werden. Vernon Martin aus Lac Courte Oreilles, der heute Trommelkurse am LCO College unterrichtet, erzählt: My mother went to the Presbyterian Church in the little village we lived in. And my Dad was a Catholic, so we were kind of a split family. I never felt at home in any religious group. When I went to the military and they asked me what religion I was I put »Presbyterian« on. [My former wife] was with the Native American Church, where they use Peyote and I used to go with her to a ceremony every once in a while but I didn’t feel comfortable there, either. So, I kept floundering around in Milwaukee, went to different churches and finally my wife and I divorced. And I thought, gee, I gotta start doing something! So I went back to a friend of mine who was in Milwaukee at the time. He was a drummer, he was a drum-maker. He said, why don’t you come over and practice with us? I sang with him for about five or six years and learned all that he could teach me, all the songs that he knew. He was a Navy veteran. He passed away about five years ago. His name was Joe Ackley. So I give credit to him for teaching me. Well, [drumming] keeps my life in order. And I have these [sacred] things in my home, I have the drum, and I got my feathers, and that keeps me straight. (Interview Vernon Martin)
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Vernon Martin selbst wird wiederum von einem anderen Ojibwe-Veteran, George Armour, als derjenige bezeichnet, der ihn mit dem Trommeln in Kontakt brachte (Thomae 1993). In diesen Interviews erscheint das Powwow nicht nur für die Kommunität als ganzes, sondern auch für die einzelnen Subjekte als Ort der kulturellen Heilung, das Trommeln und Singen als spirituelle Praxis, die Alkohol- und Drogenfreiheit erfordert. Nüchternheit beim Powwow ist erst seit jüngerer Zeit die Regel; bei meiner Powwow-Recherche im Jahr 2001 versicherten mir alle Informanten, dass noch in den siebziger und frühen 1980er Jahren Powwows häufig ausufernde Trinkgelage waren, wo es bei aggressiven Auseinandersetzungen auch Todesfälle gab. Die Powwows wurden also erst später trockengelegt. Die Bedeutung des Powwows als Verdienstfest für Veteranen und andere Rollenvorbilder muss im Zusammenhang mit den politischen Auseinandersetzungen um indigene Souveränität und der schwierigen Frage nach der Einbindung indigener Kommunitäten in den amerikanischen politischen Diskurs gesehen werden. Die beiden Weltkriege und die Verdienste indigener Soldaten bei den US-Streitkräften sind die Grundlage für die Anerkennung der Ureinwohner als Staatsbürger, das heißt, im Gegensatz zu allen anderen amerikanischen Bürgern werden Indianer erst auf der Basis einer Leistung in die Gemeinschaft gelassen. »Congress unilaterally declared all native-born American Indians citizens of the United States in 1924. This was done as further recognition of the voluntary contributions of Indian veterans of World War I who had received citizenship in 1919.« (Satz 1991: 105). »In the post-World War II Cold War period, dominant groups continued to accept internal cultural pluralism as a way of presenting a politically and economically unified front against the threat posed by international communism, which then was thought to be a greater evil than that of foreigners within the social order. Although the term ›assimilation‹ was abandoned, it continued to be expressed in a muted and limited form as pro-Americanism and anti-communism: for minorities and ethnics, the stridency of their anti-communism was taken as a measure of their pro-Americanism.« (Hughey und Vidich 1998: 174).
Indigene Kriegsheimkehrer machten im Seengebiet häufig allerdings die Erfahrung, dass ihre Verdienste vor Ort nicht gewürdigt wurden: We’re so proud of the flag but so hurt by the things that happened. And even us veterans, we’re even more so proud, you know! We’d fight for that flag but but but at the same time we would come back and we couldn’t even buy flour in the store because they wouldn’t let us in there, you know. In Cloquet [Minnesota], my Grandma saw signs down on the lawns that said, »Indians stay off the lawn!« No-one else but just the Indians. That was my Grandma, that wasn’t very long ago! (Interview Joe Martineau)
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Demgegenüber werden bei Powwows nicht nur indigene sondern alle anwesenden Kriegsveteranen, ungeachtet ihrer Hautfarbe und kulturellen oder nationalen Herkunft, geehrt. Ein Interview mit Pat Ryan, dem irischstämmigen ehemaligen WOJB-Mitarbeiter und Vietnam-Veteran, der auch in der heißen Phase der treaty rights-Konflikte mit von der Partie war (vgl. Kapitel III), verdeutlicht die heilende und versöhnende Wirkung, die das Powwow auf die amerikanische Gesellschaft insgesamt haben soll (vgl. auch Bender 2008). Es vermittelt in stellvertretender Krisenbewältigung19 den tiefen amerikanischen Grundkonflikt zwischen dem militärischen Export des American Way of Life und der subjektiven Sinnsuche: The day I left the Marine Corps I shut it off, you know. Nobody wanted to hear about it, and I wasn’t in any way willing to talk about it. Just wanted to forget it. I made it, I survived, I had problems with it. I felt like a pawn, I felt used. I’d been on kind of a search to figure out – I s’pose – »life«, to put it generally. I went to India, I went to China, and I ended up here. From all this running around to find some of the esoteric teachings from other cultures, I found that the Native American people have it and it’s right here in my own back yard! So I was drawn here, drawn to the radio station [WOJB]. I got closer to that, and ah it’s been quite a journey. (Interview Pat Ryan)
Die Erlösung aus seinem Kriegstrauma erlebte Ryan beim Honor the Earth Powwow Mitte der 1980er Jahre: I really kind of was denying my war participation. Being a veteran, a lot of people would never know I was. But it was at the very first powwow I went to after I’d started at the radio station. I was invited to come to the Honor the Earth powwow. I was there just watching. A veterans dance was announced and the MC [wahrscheinlich Eddie Benton, der selbst als Marine in Vietnam gewesen war] was repeatedly singing »all veterans come down, this is for you, all veterans of any war, come down, all races! All creeds come to the ring and join your brother veterans in the dance round!« and I… I did … I was prompted … I was elbowed by a friend I was with. So I went down and we began to go round and the crowd grew of veterans and it was beginning to feel…something, I was beginning to feel something, I wasn’t sure and during the dance it began to rain, and it started to rain hard and it didn’t seem to matter, it was kind of fitting in a way! We were all sloshing around and became kinda muddy. And I swear on the last big drum beat on the song when it ended, the rain stopped. And I was kinda looking around and I looked up ’cos I saw others looking up and there were literally four bald ea-
19 | Ich verdanke diesen Begriff meinen Diskussionen mit Prof. Dr. Ulrich Oevermann und seinen Mitarbeitern im DFG-Forschungskolleg »Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel«, besonders Dr. Andreas Franzmann.
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR gles 20 flying around above us and you could tell everyone was a little awestruck. But then I’d look at some of the Indian veterans, the warriors, and it was like they were looking as this is the way it should be. It wasn’t any big deal. But it did something to me! That kind of began another road into my looking at my time in the military and admitting that I’m a veteran. But it came to me because of, you know the Indian way is to honor the veterans, welcome them home and we never got that, the white Americans never got that, in fact we got the opposite. So that felt good you know! It was a welcoming, a welcoming home for the first time, so that kept me tied to the [radio] station [WOJB], the Indian way, it seemed an appropriate place to be. (Interview Pat Ryan)
Das Powwow ist ein kommunikatives Angebot an den fragilen amerikanischen Patriotismus, den »irritable patriotism« (Hughey 1998: 86), eine Praxis der Inklusion und dadurch Heilung in einem imaginierten Kriegerbund.21 Abb. 38 Vor Beginn des Veterans Powwow, das in der Turnhalle der High School von Lac Courte Oreilles jeden November abgehalten wird, schleppt ein Tänzer, der sich bereits sein bustle umgeschnallt hat, in einem Koffer sein Tanzoutfit in die Umkleidekabine. Im Hintergrund hat sich eine Gruppe junger Männer um eine Trommel versammelt und stimmt sich ein. Der tiefe Klang der großen Trommel lässt die Halle unmerklich vibrieren. An den Wänden grüßt patriotischer Wandschmuck, den die Schulkinder gebastelt haben, die Kriegsveteranen von Lac Courte Oreilles, 2001.
Foto: Cora Bender, 2001.
20 | Zur Erinnerung: der weißköpfige Seeadler ist das Wappentier der USA. Die Zahl vier wird in der revitalisierten panindianischen Kultur häufig zusammen mit den vier (Haut-)Farben Schwarz, Rot, Gelb und Weiß verwendet. 21 | Vgl. auch meinen Artikel über eine Heilzeremonie indigener Performer am Gedenktag des Anschlages vom 11. September in New York (Bender 2008).
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6 D IE V ERDR ÄNGUNG VON A LKOHOL AUS DER Ö FFENTLICHKEIT 6.1 Alkohol: Implikationen für die Forschung Das indigene Trinken konfrontiert die Forschung mit der Grundsatzentscheidung, wie sie sich zu den hier beobachtbaren Phänomenen stellt; ob sie indigenes Trinken in erster Linie als ein Problem wahrnimmt, ob sie es ignoriert, oder ob sie diese herkömmlichen Bewertungskriterien überprüft und verwirft, um indigenes Trinken als eine kulturelle Praxis aus eigenem Recht zu betrachten. Jeder dieser Standpunkte kann sich bestimmter Unterlassungen schuldig machen, jeder hat aber auch seine Berechtigung. Die Entscheidung kann dafür ausfallen, indigenes Trinken als Thema auszublenden, um nicht selbst noch zur Sichtbarkeit von Phänomenen beizutragen, die schon oft genug zum Aufhänger verachtender und abwertender Stereotype geworden sind. Aber die Beschäftigung mit den Medien von Lac Courte Oreilles kommt am Alkohol nicht vorbei. Exzessiver oder in anderer Weise missbräuchlicher Alkoholkonsum wird in Lac Courte Oreilles selbst, wie auch in anderen indigenen Stadt- und Reservationskommunitäten, als eins der drängenden Probleme wahrgenommen, mit denen sich die dortigen Medien und eine zunehmend institutionalisierte reservationsinterne Beratungskultur intensiv beschäftigen. Die Behandlung indigenen Trinkens als Problem ist konstitutiver Teil der indigenen Moderne geworden. Anstelle des Trinkens als rauschhaftes Ritual der Rebellion, mit dem Indianer sich noch in den 1960er und 1970er Jahren ihrer Indianness versicherten und kulturellen Protest ausdrückten (Lurie 1971), wird in der indigenen Moderne heute eine Kultur der Beratung und Therapie als Ausdruck von Indianness gesetzt. Dies ist wiederum mit interessanten Professionalisierungstendenzen verbunden; es entwickelt sich hier eine Doppelstruktur, wobei Beratungs- und Therapieangebote sowohl aus tribalen Institutionen als auch einer »alternativen« indigenen Temperenzkultur kommen. Aber die ethnologische Forschung muss vorsichtig sein, sich deren Perspektiven nicht zu eigen zu machen, sondern sie wiederum als eigenständiges kulturelles Artefakt zu betrachten. Genau so wie es indigene Formen des Trinkens gibt, haben sich auch indigene Formen der Abstinenz als kulturelle Adaptionen entwickelt, frühe historische Formen im Seengebiet z.B. entstanden im Zusammenhang mit nativistischen Bewegungen (Trenk 2001). Da auf diesem Gebiet aber seit der Zeit der Missionare weiße Reformer mit ihrer jeweils eigenen Agenda tätig sind, die auf indigenes Trinken oder Nicht-Trinken einwirken, ist indigene Abstinenz ein mindestens ebenso komplexes kulturelles Artefakt wie indigenes Trinken, da es sich um eine Adaption von Konzepten handelt, die indigenisiert werden. In der weiteren Umgebung von Lac Courte Oreilles scheint die erste Temperenzgesellschaft eine Gründung von Father Otto Skolla, dem Nachfolger Friedrich Baragas, gewesen zu sein. Sie wuchs zwischen 1845 und 1850 auf immerhin 160 Mitglieder
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an (Levi 1956: 50). Die heutigen Alkohol-Diskurse auf Reservationen nur oder hauptsächlich als das Wirken weißer Kämpfer gegen den Dämon Alkohol und daher als wenig kulturspezifisch zu betrachten, wäre daher eine zu einseitige Perspektive. Indigener Alkoholkonsum scheint für die amerikanische Öffentlichkeit ein schwieriges Thema zu sein. Das hartnäckige Negativstereotyp vom »drunken Indian« äußert sich nicht nur in Witzen und abfälligen Bemerkungen, sondern auch in den Schuldgefühlen, wie sie z.B. weiße Casino-Besucher in Lac Courte Oreilles mir gegenüber zum Ausdruck brachten über den für sie peinvollen Anblick trinkender Indianer an der Casino-Bar. Es scheint hier eine Schuldökonomie zu geben, die dazu führt, dass indigene Trinkkultur zumeist als eine an die weiße Mehrheitsgesellschaft gerichtete Botschaft interpretiert wird: »According to such thinking, Indian culture has just about phased out, if it is not entirely gone, and excessive drinking by the minority group that still persists as Indian must be due to low self-esteem, feelings of rejection, and the effects of prejudice and material deprivation vis a vis white, middle-class culture and society.« (Lurie 1971: 312)
6.2 Alkohol und indigene Festkultur Marin Trenk sieht den Alkohol im indigenen Nordamerika eingepasst in eine individualistische spirituelle Praxis, in welcher der Rausch im Prinzip jedermann als Weg zu spirituellen Erfahrungen offen steht. Diese unter Rückgriff auf Weston LaBarres Konzept des »narcotic complex of the New World« (Trenk 2001) so bezeichnete »kulturelle Programmierung« sei der Hintergrund für die Tatsache, dass indigenes Trinken in Nordamerika generell mehr kulturelle Ähnlichkeit mit dem zeremoniellen Trinkmuster Mittelamerikas hat als mit den Trinkgewohnheiten der Einwanderer, von denen Indianer den Alkohol erhielten. Feest hat allerdings darauf hingewiesen, dass eine zu einfache Gleichsetzung von religiösen Praktiken und denen des Alkoholkonsums, etwa der Visionssuche, problematisch sein kann, denn oftmals existieren diese Praktiken jahre- oder jahrzehntelang neben einander; auch haben sie häufig genau entgegengesetzte soziale Auswirkungen (Feest 1981). Mein Vorschlag ist hier, stattdessen von einer Verschiebung des Rauschs aus dem religiösen in den Bereich der Festkultur sprechen, wo sich neue Formen und Unterscheidungen profaner und religiöser Anlässe bilden. Alle Beobachter stimmen darüber ein, dass indigener Alkoholgenuss viel weniger eine individuelle als vielmehr eine soziale, im Kollektiv ausgeübte Angelegenheit ist. Indigenes Trinken rhythmisiert das Sozialleben, wenn auch in anderer Weise als dies in anderen modernen Gesellschaften der Fall ist. Auch kann man, wie z.B. in einer Kurzgeschichte des Ojibwe-Satirikers Jim Northrups mit dem Titel »Your Standard Drunk«, eine indigene Kultur der trunkenen Performanz ausmachen, bei der z.B. Lebensgeschichten erzählt werden.
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Diese Gelegenheiten sind weder religiös noch dem profanen Alltagsleben zuzuordnen. Jim Northrup erzählt von dem Ojibwe Luke Warmwater und seinem Cousin Dunkin, die sich auf einem dreiwöchigen Dirty Drunk an einem versteckten Ort im Wald befinden, wohin nur Eingeweihte ihren Weg finden. »Luke and Dunkin had many visitors during their drunk. […] Jack Sky came to drink and talk. He told his favorite story, his life story. […] The story was good enough to get him drunk and fed many times.« (Northrup 1997: 79-82) Im weiteren Verlauf erhalten die jüngeren von den älteren Trinkern eine Art kultureller Initiation in Form von Belehrungen, z.B. wie man einen Hirsch mit Tabak ehrt und ihn zerlegt. Ein weißer Trinker gesellt sich dazu, der sich in indianischer Gastfreundlichkeit übt und viel Bier spendiert, sich aber als so wenig trinkfest erweist, dass man ihn schließlich mit einem Dankeschön-Zettel an der Jacke in seinen Truck setzt und hinter ihm abschließt. Nach einer Weile bricht man die Party einfach ab und wendet sich anderen Tätigkeiten zu: »[…] they decided the drunk was over. ›Let’s send everyone home when we run out of beer.‹ – ›Yah, time to get ready for ricing, anyway.‹ Both of them were dreading the three weeks worth of hangover they had coming.« (Northrup 1997: 79-82) Die Abgrenzung des Trinkgelages vom profan-nüchternen Alltag als Zeit des Geschichtenerzählens und Streitens, der Reflexion und kulturellen Selbstvergewisserung, und die Performanzaspekte legen es m.E. nahe, indigenes Trinken im Zusammenhang mit Transformationen der lokalen Festkultur zu betrachten. In Lac Courte Oreilles, wie in anderen Reservation in der Region auch, ist der Alkoholkonsum zumindest im hier überschauten Zeitraum seit der Revitalisierung aus der kommunalen Festkultur, vor allem von den Powwows, verbannt worden. Hierbei waren die indigenen Medien instrumentell, vor allem die Radiostation WOJB. Diese Kultur des Kampfes gegen den Alkohol war einer der zentralen Diskurse, mit denen sich die der indigenen Souveränität verschriebenen Stammesregierungen unter Gordon Thayer und Rick St. Germaine an die eigene und die breitere Öffentlichkeit der Region wandten. Die indigene Anti-Alkohol-Kampagne begann in den indigenen Medien, zuerst im LCO Journal, dann machte die Radiostation sie zu ihrem Anliegen. Sie war ein indigenes Medienereignis, wobei die Medien als Kommunikationskanäle die Botschaft formten. Eine Zeitung eignet sich für bestimmte Formen des Kampfes gegen den Alkohol besonders gut, beispielsweise für das öffentliche Bekenntnis, das bis dahin nicht Teil der Reservationskultur war. Gleichzeitig individualisiert sie die Auseinandersetzung mit dem Alkohol durch die Weise, wie sie konsumiert wird, nämlich in einem profanen Alltagszusammenhang durch eine Einzelperson. Sie ist auch geeignet, den Alkoholkonsum buchstäblich zu »kon-text-ualisieren«, und hier ist interessant, in welchem Kontext das Trinken dargestellt wird, ob versucht wird, durch Darstellungen einer idealisierten Tradition modellbildend zu wirken, oder ob Alkohol historisiert und als Teil einer lokalen Geschichte gesehen wird. Interessant ist auch, dass sich eine Reservationszeitung grundsätzlich von einer lokalen Mainstream-Zeitung unterscheidet, auch
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wenn, wie im Fall des LCO Journal und des Sawyer County Record annähernd zur gleichen Zeit mit den gleichen im Artikel auftretenden Sprechern über den Alkohol berichtet wird. Während die Berichterstattung im Sawyer County Record über den indigenen Alkoholkonsum immer ein Sprechen über das Andere ist, sprechen im LCO Journal die Akteure selbst über ein Problem, das sie nicht aussondern oder auf Andere projizieren können. Gleichwohl wird im Zusammenhang mit Alkohol häufig von einer Schuld gesprochen und diese dann in einem größeren historischen Rahmen verortet. Eine Radiostation wiederum ist in ihrer medialen Praxis selbst näher an der Festkultur der Hörer als eine Zeitung, erstens durch ihr Musikprogramm, zweitens durch ihre Existenz als Institution, die öffentliche Feste, z.B. das Powwow, live überträgt oder solche Feste für das Publikum ausrichtet. Drittens ist eine Radiosendung mit einem Moderator eine Simultankommunikation, was gewisse Implikationen für die Rhythmik des Soziallebens der Radioakteure mit sich bringt. Ein Moderator muss unter allen Umständen zu seiner Sendung kommen. Wenn dies mit der Praxis des lokalen Alkoholkonsums kollidiert, entstehen Konflikte. In Lac Courte Oreilles wurde daraus ein Prozess, in dem die Station ihre eigene Praxis reflektierte und eine Politik formulierte, die dann wieder als Konzept in den Kampf gegen den Alkohol eingespeist wurde. Der Kampf gegen den Alkohol in indigenen Medien ist auch im Zusammenhang mit der Frage nach dem medialen impact zu betrachten. Über die Kampagne etablierten sich indigene Medien in Lac Courte Oreilles sowohl bei ihren Stammesadministrationen als auch beim weißen Mainstream-Publikum. Womöglich ein medialer Zirkelschluss: die Tatsache, dass Medien über Alkoholprobleme berichten, ist in der Wahrnehmung des Publikums gleichbedeutend mit ihrer Einwirkung auf dieses Problem. Ergo: die Berichterstattung selbst fungiert als Beweis für den media impact.
6.3 Die Anti-Alkohol-Kampagne im LCO J OURN AL Das LCO Journal übernahm eine Kampagne des Indian Health Service, der den Alkohol in jener Zeit als indianisches Gesundheitsproblem Nummer Eins betrachtete (LCOJ 3(2), February 1980). Die Zahlen waren dementsprechend zunächst weniger lokalbezogen als vielmehr auf den nationalen Level, die Appelle waren ebenfalls eher allgemeiner Natur. »I am Alcohol«, ein Auszug aus dem Winnebago Dry Sheet lässt z.B. den Teufel Alkohol mit fiktiver Stimme sprechen (LCOJ 3(3), March 1980). In der Ausgabe vom März 1981 wird es dann spezifischer, als sich unter der Überschrift »Tribe to combat drug and alcohol abuse« Tribal Chairman Gordon Thayer zu Wort meldet: »According to Gordon Thayer, Chairman, much of the technical problems with LCO’s alcohol and drug abuse program comes from the lack of coordination and funding. […] The importance of renewed dedication to fighting the alcohol
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE and drug abuse problems developed after several incidents occurred within the school system where students as young as in the grade school were caught using alcohol or other drugs.« (LCOJ 4(3), March 1981)
Der Entwurf einer »Declaration of War on Alcoholism & Chemical Abuse« seines Nachfolgers, Tribal Chairman Rick St. Germaine, fand noch deutlichere Worte: »The abuse and misuse of alcohol and chemicals by people on the Lac Courte Oreilles Reservation has reached epidemic proportions.« Er verlangte vom Stamm, offen zuzugeben, dass der Alkohol das Problem Nummer 1 des Stammes sei, und dass Placebokuren nicht geeignet seien, es zu lösen. Vielmehr müsse jeder Stammesangestellte sich in den Kampf gegen den Alkohol einreihen. Im Rahmen eines zu erstellenden Zeitplans müssten sich alle Stammesinstitutionen auf den Kampf gegen den Alkohol einstellen, insbesondere das Bildungssystem und die tribalen Sozialdienste. Dringend notwendig sei die Gründung von Betreuungseinrichtungen für Kinder und Alte und Familienberatungsstellen. Der Stamm müsse außerdem klarstellen, dass er Verstöße gegen Sperrzeiten und gegen Alkoholverbote nicht dulden werde. Das Bildungssystem des Stammes müsse im Kampf gegen den Alkohol und die Drogen bei Kindern und Jugendlichen positive Werte, Selbstbewusstsein und Entscheidungsstärke verankern. Insbesondere die »Tribal Family« sei im Fokus der Anstrengungen. An dieses in Lac Courte Oreilles starke Element der Sozialstruktur müsse sich auch das kulturelle Angebote des Stammes richten, man bräuchte weniger an einzelne Altersgruppen gerichtete Angebote, die elders, Eltern und Kinder trennten, und man bräuchte eine kritische Haltung zu den Mainstream-Medien, vor allem zum Fernsehen: »Television is a destructive factor in all societies and is doing more to acculturate and assimilate Indian children and grownups into the dominant society than any other social element. Tribal events and education programs should be structured so as to influence families to ›withdraw‹ from addictive television viewing in the amounts of time which they now devote to it. […] And most importantly, our tribal government and its leaders should acknowledge their most important occupation, that of ›role models‹ to our children and the community.« (LCOJ 4(3), March 1981)
Im Mai 1981 veröffentlichte Mary Ellen Larson (Baker) das erste öffentliche Alkoholikerbekenntnis im LCO Journal, verbunden mit einem Appell, Alkoholiker nicht aus der tribalen Kommunität auszuschließen: »Awareness of alcohol use and related problems have only begun to surface and be accepted as a problem at Lac Courte Oreilles. […] If you have a loved one that is going through HELL! Believe me that person needs your love, honesty and understanding. Do not, if you possibly can, punish them. They are punishing themselves enough.« (LCOJ 4(5), May 1981)
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Im April 1982 startete der Reporter des Sawyer County Record, John Galligan, eine mehrteilige Serie zum Thema »Alcohol abuse in Sawyer County«, die das Thema Alkohol in der weißen Mehrheitsgesellschaft als soziales, in Lac Courte Oreilles jedoch als kulturelles aufbereitete. Paul Paulos, der später auch bei WOJB arbeitete, war zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren »Sawyer County alcohol and drug abuse counselor«. Seiner Schätzung zufolge war in Sawyer County jeder fünfte Einwohner ein Alkoholiker: »more than 2.300 alcoholics in a county of 13.000 people.« (SCR 28.04.1982) Ob in diese Zahlen die Reservation miteinbezogen ist, wird aus dem Artikel nicht ganz klar, zu vermuten ist es aber: »A portion of that [Sawyer County] population, however, has taken a much closer look at itself. The Lac Courte Oreilles Indian Tribe has approximately 2.500 members, 1.669 of which live on the LCO reservation.« (SCR 28.04.1982) Einem in Lac Courte Oreilles erstellten »Alcohol/Drug Abuse plan« zufolge hatte es im Jahr 1980 in der 1.669-Seelengemeinde zwölf versuchte Selbstmorde gegeben, von denen sechs tatsächlich zum Tod geführt hatten. Diese hohe Selbstmordrate wurde mit Alkohol- und Drogenmissbrauch in Verbindung gebracht, der wiederum selbst als »intense cultural conflict« bezeichnet wurde.22 Es etablierte sich bei der Stammesadministration eine für das Alkoholproblem zuständige Infrastruktur, die nicht nur Definitionen des Problems für die LCO-Öffentlichkeit entwickelte, sondern auch Definitionen der Kommunität selber, die sich von einer beliebigen nicht-indigenen Kleinstadt deutlich unterscheiden. »›Alcohol and drug abuse have changed our traditional family structure‹, says Lac Courte Oreilles tribal member and health administrator Doris Thayer of the invasion by alcohol of a much larger family – the tribal community.« Die souveräne tribale Entität definierte sich nach innen nicht als plurale Gesellschaft, sondern als Familie, und zwar nicht als mehrere Familien, sondern als eine. Das hat natürlich gewissen Implikationen, die hier nicht völlig entwickelt werden, u.a. ist mit der Vision der Reservation als einer Familie auch ein bestimmtes Autoritätsmodell verbunden. Wenn LCO eine Familie ist, wer sind die Eltern, wer die Kinder? Meine Vermutung ist, dass es sich hier um ein katholisches Modell handelt, das seine historischen Wurzeln im Wirken der Missionare hat, für die der Alkoholkonsum in Nordwisconsin eine »Seuche«, »Fluch« und »Plage« insbesondere, aber nicht nur der Indianer war. »The Indian is simply an overgrown child. Selling liquor to him, is very much like selling to a child.« (Ashland Daily Press 03.01.1911; Danziger 1979: 131) Dieses Bild des Ureinwohners 22 | »Facilitated by the racial and geographic boundaries which describe the tribe, and driven by the intense cultural conflict of tribal alcohol abuse, the LCO leadership has been able and willing to enumerate the problem to an extent that the non-Indian community has not. The alcohol abuse problem is the most pressing tribal concern. […] According to the 1981 Alcohol/Drug Abuse Plan, 12 tribal members attempted suicide in 1980. Of these, six died. […] In 1982 nine suicide attempts within the LCO school system alone [were reported].« (SCR 28.04.1982)
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als Kind war allgemein verbreitet. Tendenziell paternalistische und entmündigende Ansichten wie diese galten allerdings nicht nur für die Ureinwohner; auch über die Trinkgewohnheiten der Sägemühlenarbeiter in ihren Lagern in den Wäldern von Wisconsin machten die Temperenzler sich Sorgen.
6.4 Indigener Alkoholkonsum: E xterne vs. interne Perspektiven Die Geschichte des indigenen Alkoholkonsums geht aber nicht in die offiziellen indigenen Mediendiskurse ein. Vielmehr wird hier das Problem mit einem kulturellen Kollaps in Verbindung gebracht: Indianer trinken, weil sie angeblich ein Identitätsproblem haben, nicht etwa weil die Lebensumstände so elend sind oder es in der Peripherie kaum anderen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung gibt. Es ergibt sich ein vom sozialen ins kulturelle gewendeter Schulddiskurs. »Thayer […] believes alcohol became a major problem for the tribe during the last 20 years. During that period, she says, the economic, educational and religious foundations of tribal culture were strongly challenged by the ways of the non-Indian world.« (SCR 21.04.1982) Mary Ellen Baker als Kronzeugin der Kommunität erklärt das Problem als einen Konflikt zwischen Katholizismus und »traditional Indian religion«, der ihr Elternhaus geprägt habe. »Mary Ellen Larson shared that feeling. ›I was searching to be a part of something when I drank‹, she says. The conflicts within her family clearly confused her. Her parents had managed a compromise between Catholicism and traditional Indian religion. But her mother, who was beaten for speaking Ojibwe, tried to protect Mary Ellen from a similar fate by encourageing her to deny her race. When Mary Ellen complained of being chastised at school, her mother would demand, ›Why did you tell them you were Indian?‹« (SCR 21.04.1982)
Die Perspektive des Artikels, wiewohl sympathisierend mit den Problemen von LCO, unterscheidet sich von den Berichten des LCO Journal in der kommunikativen Absicht. An Sawyer County gerichtet, sondert Lac Courte Oreilles die imaginierte Schuld für das Problem aus und reicht sie an die Öffentlichkeit weiter. Dies ist aber auch als eine Re-Aktion zu sehen. Die Mehrheitsbevölkerung von Sawyer County war nun einmal das Publikum, aus dem die negativen Stereotypen über »drunken Indians« und Witze über Bierdosen am Straßenrand von Lac Courte Oreilles kamen, die ihren Weg sogar in die Literatur fanden (z.B. James 1961). Aber die Formierung des Alkoholdiskurses als kulturelles und Identitätsproblem spiegelt m.E. die übergeordneten Strukturen wider, innerhalb derer in den USA soziale Ansprüche formuliert werden können. Hier ist m.E. im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre, zwischen Lyndon B. Johnson’s War on Poverty und Nixons kulturalistischer Wende eine Umorientierung eingetreten. Bee ist der Meinung, dass die massive Anti-Armuts-Kampa-
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gne die exklusive Kontrolle des BIA über die Reservationen aufgebrochen und eine Welle enthusiastischer neuer Leute, Programme und Arbeitsweisen in die Reservationen brachte. Aber die souveräne tribale Entität muss ihre Ansprüche anders als durch sozialen Mangel begründen: »The government’s willingness in the 1960’s and early 1970s to see Indian issues as primarily issues of poverty represented a threat to the tribes‹ power in federal relations […]. The anti-poverty enthusiasm tended to ignore the special legal status of Indian tribes as distinct from all other minorities.« (Bee 1992: 147; 154)
Die Finanzierung der tribalen Anti-Alkohol-Infrastruktur und die tribalen Medien gaben die Formen und Kanäle vor, diese Stereotypen durch eine kulturell begründete Anklage und positive kulturelle Gegenmodelle zu konterkarieren. John Anderson aus LCO, der zu dieser Zeit als Public Relations Officer der LCO High School oft Artikel im Sawyer County Recrod veröffentlichte, schrieb in der Ausgabe vom 05.05.1982 beispielsweise über die traditionellen Ojibwe-Verwandtschaftsvorstellungen unter dem Titel: »No orphans among the Ojibwe«. Der Artikel richtet sich gleichermaßen an indigene wie nicht-indigene Leser der Zeitung: »There were no orphans among the Ojibwe. Everyone was related in some way whether it be by clan, by blood, by marriage, by membership in the Midewiwin, or by simply being a member of the tribe. […] When traveling and then stopping at a strange village, one had only to ask where some members of one’s own clan lived to be welcomed and treated with great hospitality. […] Close relationships among the Ojibwe were common, so that everyone felt he belonged to a family. These ties did much to keep the Ojibwe a close-knit tribe.« (John Anderson, SCR 05.05.1982)
Fast hat es den Anschein, als ob hier die Vision einer goldenen Vergangenheit entworfen werden soll, die sich als ein konfliktfreies soziales Netz darstellt. Man fragt sich, wie die zeitgenössischen Ojibwe-Familien mit ihren vielfältigen Herausforderungen diesem Vergleich überhaupt standhalten sollen: »My kids were not receiving any of the basic needs that all children are required to have to function in this world of ours today.« (Mary Ellen Baker, LCOJ 4(5), May 1981) Aber die Geschichte über die traditionellen Ojibwe verdeutlicht ebenso wie Mary Ellen Bakers Appell, dass Lac Courte Oreilles vielleicht das Schuldproblem nach draußen verlagerte, aber keinesfalls das Problem selbst. Die Trinker und ihre Gewohnheiten kann die Kommunität aufgrund ihrer Normen und ihrer familiären Sozialstruktur nicht in gleichem Maße verdrängen oder an eine andere Instanz abgeben wie die weiße Mehrheitsgesellschaft. Diese Perspektive hat sich seit den Tagen der traditionellen Ojibwe-Familie tatsächlich nicht sehr geändert. LCO-Leute wissen, dass sie niemanden sonst haben, zu dem sie gehen können, daher machen innertribale Sanktionen keinen
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Sinn. Ich bin während meiner verschiedenen Feldforschungsaufenthalte sowohl in Lac Courte Oreilles als auch bei den Navajo Zeugin einer ganzen Bandbreite verschiedener Trinkgewohnheiten geworden, vom Bier vor dem Fernseher über die fröhliche Zecherei in der Disco oder an der Bar des reservationseigenen Casinos bis hin zu jenen in der Literatur oft thematisierten Besäufnissen, die auf Europäer und Euroamerikaner so frappierend zielgerichtet wirken. Eine Frau wird am frühen Abend von einem Freund abgeholt, mit dem sie ausgeht. Nach zwei Stunden liefert dieser sie in einem fast bewusstlosen Zustand wieder ab. Sie schläft auf der Couch ein, am nächsten Tag wird kein Wort über das Vorkommnis verloren. (Aus meinen Tagebuchnotizen)
Das deckt sich mit J.O. Whitakers Beobachtung aus Standing Rock: »social sanctions against the heavy drinker or alcoholic are virtually non-existent.« (Lurie 1971: 317) Individuen werden nicht wegen ihres Verhaltens aus der Kommunität ausgeschlossen, wie auch Dick Brooks in Lac Courte Oreilles erfuhr, der seine rigide Anti-Alkoholkampagne an diese Norm anpassen musste. Er schildert dies als seine eigene Lernerfahrung, die er in der Reservation machen musste, während er versuchte, sie zu verändern: My immediate reaction was, as I said, to cut myself off and cut those people off: »OK, if you drink you can’t be here«-kind of thing. And again, that was me trying to change the community. I finally had one Indian fellow took me aside, he says, »I know you’re doing the right thing, I know your heart’s in the right place and you really believe in what you’re doing, and that you really respect our culture and our people«, he says, »but you have to understand that in our community everybody belongs here, that we have people that are terrible drunks but they’re part of our community and we have to take care of them and they belong here. Maybe in your community you can throw those people away, but we won’t do that here.« Boy that really hit home with me! Then I really started to begin to understand the native culture on a deeper level. (Interview Dick Brooks)
Demgegenüber gibt die weiße Gesellschaft in der Umgebung sich immer noch große Mühe, indigenes Trinken mit Schande zu belegen. Im Ortsgebiet von Hayward könnte die Polizei an jedem Wochenende Dutzende Zecher festnehmen, die die lokalen Discotheken und Bars nachts in Ermangelung von Taxis oder öffentlichem Busverkehr in allen möglichen Stadien der Alkoholisierung mit dem eigenen Auto ansteuern oder verlassen. Aber hierbei handelt es sich hauptsächlich um Touristen, auf deren Ortstreue man angewiesen ist und mit denen man es sich nicht verscherzen will. Stattdessen werden nach allgemeiner Wahrnehmung übermäßig viele Alkoholkontrollen auf dem Reservationsgebiet gemacht; die Verhafteten werden donnerstags im Sawyer County Record namentlich an den Pranger gestellt, und da jeder Ortsansässige weiß, welche Familiennamen der Reservation zuzurechnen sind, wird die Liste der betrunkenen Fahrer
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jede Woche zu einem jener peinvollen Momente der öffentlichen Sichtbarkeit indigenen Trinkens, von denen schon vorher die Rede war. In Lac Courte Oreilles sind die Alkoholkontrollen ein ausgiebig diskutiertes Thema, wie sich an einem kleinen Beispiel aus dem Feld zeigt. In eine solche Kontrolle geriet ich Ende November 2003, als ich nachts mit dem Auto unterwegs war. Die Polizei, die in der Nähe meiner Unterkunft die Straße gesperrt hatte, ließ mich erst passieren, forderte mich dann aber per Lichtsignal zum Anhalten auf und überprüfte anscheinend über Funk mein Kennzeichen. Der Officer, der schließlich zu mir kam, wollte weder meine Papiere sehen noch interessierte ihn, ob ich getrunken hatte. Er entschuldigte sich mit filmreifer Manierlichkeit für die Störung und ließ mich weiterfahren, mit dem Hinweis, in der Gegend treibe sich jugendliches Gesindel herum, ich möge bitte alle auffälligen Vorkommnisse der Polizei melden. Als ich fünf Minuten später bei meiner Gastgeberin ankam und die Geschichte erzählen wollte, wusste sie schon Bescheid. Eine Freundin aus einem anderen Teil von Lac Courte Oreilles, die sich nachts mit dem Abhören des Polizeifunks die Zeit vertreibt, hatte sie über das Handy ihrer Cousine (das einzige Telefon im Haus) angerufen und ihr mitgeteilt, dass die Beamten über Funk Informationen über Cora Bender und ihr Mietauto erhalten hatten. Die Geschichte wurde mit ausgiebigem Interesse diskutiert; dabei waren die Meinungen zwiespältig, die einen hielten die Kontrollen für einen Ausdruck einer rassistischen Praxis bei der Polizei, eine andere Meinung war, dass auf der Reservation tatsächlich härter durchgegriffen werden müsse. »That’s a bad area over there; these kids steal cars and break into houses and then they disappear over the back roads so the police can’t follow them«, sagte jemand. (Aus meinen Tagebuchnotizen)
6.5 Das Sobriety Movement Die sobriety-Bewegung, die Ende des 19. Jh. ihren ersten Aufschwung hatte, dann aber diskontinuiert wurde, begann hundert Jahre später, sich wieder durchzusetzen. LCO-Kolumnist Ed Martin informierte seine Leserschaft häufig über alkoholismusbezogene Termine, z.B. darüber, dass das LCO Alcoholism Program einen Workshop unter dem Motto »Training the Trainees« durchführte. Ungerührt aber berichtete er in der gleichen Ausgabe von der »hangover soup«, die montags im Café beim Supermarkt serviert wurde (EM 23.06.1982). WOJB kontaktierte das sobriety movement in LCO und änderte seine eigene Firmenpolitik im Umgang mit Alkohol; später zogen andere Abteilungen der Stammesverwaltung nach. I worked with the sobriety community and the Health Department and others, and I set very firm policies about repercussions, of drinking on the job or missing because you’re hung-over. It was in writing, there were three steps and then you lost your job. And as long as it was laid out like that, everybody was fine with
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE it. […] I was pretty hard-nosed about it. This was later when I became General Manager. But by the end of the six years that I was there, that was very highly respected, many other departments on the reservation said, »we like the way this is working.« It was not like I invented it! But they adopted the fact that I put out clear-cut guidelines. Everybody was treated exactly the same, so you could be an alcoholic that was OK but you couldn’t be… not showing up for work or have it interfere with your work, that was the guidelines. […] I guess I was really the first one to start doing it. And then others started doing it. (Interview Dick Brooks)
WOJB führte das alkoholfreie Fest ein: And one of the things we did at WOJB, from day 1 we made that an alcohol-, drug-free area. In that all events would be drug- and alcohol-free. Because we wanted everybody in the community to be able to come to these events, and there were people in the community that were struggling with sobriety. And we didn’t wanna be a problem, make’em feel they couldn’t come because there was alcohol being served. We helped inaugurate, along with Mary-Ellen Baker, a new-years eve powwow, that was a sobriety powwow. I suppose they got the 19 th or 20 th annual coming up now! And you know, powwows talk about sobriety a lot. WOJB was always a voice of that. (Interview Dick Brooks)
Die Diskussion um den Alkohol erstreckte sich auch auf die Auswahl des Musikprogramms: We had quite a debate in the early years about what songs we’d play or not play. We didn’t wanna censor music but at the same time, we didn’t wanna glorify drug and alcohol use. That didn’t mean you couldn’t play it! There are certain genres of music that are pretty tough to play if you avoid alcohol and drugs, altogether! I mean, half the Rock’n’Roll and Blues, and you know, what do you do – not play Charlie Parker? [lacht]. I mean we were sensitive to that. The rule was: you better have a darn good reason for playin’ it. If you gonna play »Cocaine Blues« or »Sloppy Drunk« or whatever song, you better have a really good reason for playing that song if it in any ways promotes or glorifies alcohol and drug use. (Interview Dick Brooks)
Der Säufer-Blues wurde bei WOJB zur Lehrballade umfunktioniert: And sometimes people did have a good reason. One time, I remember, there was an old Blues song called »Sloppy Drunk« – »gonna get sloppy drunk any way I can« – and it was played in reaction to a big party going on on the rez. [By playing this we] said, you know, this is what was going on, and people noticed! [Our rule was] we’re not gonna do shows that talk about havin’ a good time gett’n loaded! One the other side, we’d get a lot of shows talking about not getting drunk, not getting loaded, about sobriety, and we did a lot of things that glorified sobriety and made it sound like a good thing. That was a program that came directly out of the needs of the community. (Interview Dick Brooks)
D ER W ANDEL DER F ESTKULTUR I think I probably hit the high point, I was probably right there when it crested and people said, this is enough, there’s too many people dying, you know? […] So, that’s how it was when I got there. And the Tribal Office now, I think, is smoke-free! The power of Mary Ellen Baker and many, many other people, […] have had in restoring sobriety, has been a very, very powerful thing. One of the most encouraging things I’ve ever seen in my life. I mean, really wonderful things happened. (Interview Dick Brooks)
6.6 Strukturen der Alkoholtherapie Wie im Bildungssystem scheint es auch in der Alkoholtherapie zu gelingen, LCO-Leute selbst als Agenten der neuen Wissenskultur auszubilden, wobei sich interessanterweise Doppelstrukturen zu bilden scheinen. In Lac Courte Oreilles gab es seit 1990 Halfway-Programme zur Reintegration straffällig gewordener Männer, im März 2000 eröffnete der Stamm sein neugebautes Halfway House (SCR 15.03.2000). Das College bietet Programme für Studenten mit Suchtvergangenheit an (SCR 27.03.1991). Heute gibt es in Lac Courte Oreilles zwei Einrichtungen für Alkoholkranke, das als öffentliche Institution geführte Halfway House, in das auch straffällig Gewordene einquartiert werden, und das privat geführte Cultural Learning Center von Mary Ellen Baker, die sich an der Universität und am katholischen College Mount Senario zur Drogentherapeutin ausbilden ließ und dann auf die Reservation zurückkehrte: »She attended the university of Wisconsin and Mount Senario College and received her councelor certification with the Wisconsin State Certification Board on Alcohol and Drug Abuse in 1984.« (EM 07.11.1984).
Auch ihre Tochter arbeitete in der Suchtbekämpfung: »[Mary Ellen’s daughter] Sue is a worker in the Testing Reality and Investigating Life Styles (TRAILS) program, a youth prevention course which teaches kids from ages seven to 16 that there are other things to do besides drinking and using drugs.« (SCR 21.04.1982)
Der Erfolg der Sobriety-Bewegung in Lac Courte Oreilles zeigt sich nicht nur in den Biographien trockener Alkoholiker, sondern vor allem auch bei den Anlässen selbst. Genauso wie Individuen können auch Anlässe, Räume, öffentliche Ereignisse entweder »sober« oder »drunk« sein. Während ich meinen Eindruck, dass sehr viele meiner Gesprächspartner in LCO nicht tranken, nicht statistisch belegen könnte, weiß ich aus eigener Anschauung, dass Powwows, Weihnachts- und Jubiläumsfeiern, tribale Verwaltungsbüros, Firmen und andere Einrichtungen, darunter auch WOJB und Indian Country Communications, »sober« sind, und zwar nicht en passant, so wie z.B. an einer deutschen Universität »im Prinzip« nicht getrunken wird, was bedeutet, dass Alkohol kein Thema ist. Jede/r
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weiß, dass man in Unterrichtsveranstaltungen nicht betrunken erscheint, während es allerdings kulturell völlig akzeptabel ist, sich z.B. auf einer Habilitationsfeier im Kreise der Kollegen zu betrinken, und es für Mitarbeiter sogar ein soziales Muss darstellen kann, mit dem Lehrstuhlinhaber zu einem festgesetzten wöchentlichen Termin in der Stammkneipe des Instituts zu zechen. Im Vergleich hierzu ist LCO-Öffentlichkeit strikt alkoholfrei, in einem Sinne, dass Alkohol im Gebrauch abwesend, in den Diskursen aber ständig anwesend ist. Während einzelne Individuen, die dort arbeiteten, durchaus unterschiedliche Alkoholkonsumgewohnheiten an den Tag legen, wird auf die Alkoholfreiheit des öffentlichen Raums in Ansprachen immer wieder verwiesen; auf Powwows treten regelmäßig Redner auf, die über das Ende ihrer Trinkerkarriere berichten und dafür Beifall bekommen.
6.7 Alkohol und Humor Trotz der Erfolge des Sobriety-Movement ist unübersehbar, dass Alkoholgenuss in Lac Courte Oreilles heute nach wie vor eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung ist. LCO-Leute trinken heute entweder zu Hause, bei Freunden und Verwandten, in den Bars in Hayward oder auf längeren Trips »to the cities« (Minneapolis-St. Paul), wo manche/r für einige Tage regelrecht verschütt geht. Frauen trinken meiner Beobachtung nach nicht weniger als Männer. Jugendliche fahren mit dem Auto durch die Gegend und trinken heimlich. Auf dem Gebiet der Reservation selbst gibt es einige Bars, in die mich niemand zwecks ethnographischer Inaugenscheinnahme begleiten mochte; die allgemeine Meinung über diese Orte war, dass man dort schnell und leider zuweilen auch handgreiflichen Streit bekommt. Neben den Strategien der Abstinenzbewegung gibt es auch in den täglichen Diskursen auf Reservation über Alkohol ein Ringen um die agency über den Stoff. Dies äußert sich in einem humorvollen Umgang mit Alkohol, in der Praxis, zwischen Alkohol- und Nicht-Alkohol-Zeiten eine strikte Zäsur zu setzen, die gleichwohl von Individuen in beide Richtungen überschritten wird, und in verschiedenen Reflexionen über die Geschichte des eigenen Umgangs mit Alkohol, die keinen Eingang in die offiziellen tribalen Mediendiskurse finden. Im Gegensatz zu den meisten Publikationen, in denen das indigene Trinken eine düstere, traurige Aura des Sinnlosen und Moribunden hat (vgl. z.B. Shkilnyk 1985), hatte ich auf verschiedenen Forschungen nicht nur bei den Ojibwe von Wisconsin und Minnesota, sondern auch bei urbanen Indianern in Chicago und New York, im Südwesten der USA und bei verschiedenen Kommunitäten in Kanada, eher den Eindruck, dass für Indianer selbst das Trinken keine traurige Angelegenheit zu sein scheint, und dass auch schwerer Alkoholismus mit einer guten Portion Humor gesehen wird. Als Beispiel für eine mit Humor reflektierte Autobiographie des Trinkens dient hier ein Ausschnitt aus einem Interview, das WOJB mit dem im ganzen indigenen Nordamerika populären, aus
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Spokane stammenden Schauspieler, Filmemacher und Autor Sherman Alexie machte: »I grew up on the rez, you know, it’s funny, in my family the women are very traditional, the men aren’t. The men were sort of [nuts] and the women were sort of powwows and more traditional and getting involved in the ceremonies a lot more than the men do. Most of the men in my family are drunks which is our other kind of Indian tradition and I don’t follow that until I got to college and then I decided to [follow] our sacred tradition and drink for six or seven years, excessively, until I sobered up. And then I did get into that other sacred Indian tradition of Sobriety for Indians, and I’ve been sober for nine years now.« (Sherman Alexie, Interview mit Cleo White, 2000)
Hier dokumentiert sich die Setzung einer strikten Zäsur zwischen Trunkenheit und Nüchternheit, die durchaus als repräsentativ gesehen werden kann, wie sich auch schon in Jim Northrups Kurzgeschichte zeigte. Die strikte Trennung zwischen Alkoholexzess und Nüchternheit ist für Außenstehende allerdings schwierig zu sehen, sie fällt erst durch eine längere Beschäftigung mit den Gepflogenheiten und den Biographien der Menschen auf. Alkohol ist also Teil der Reservationskultur23, aber kein wirklich integrierter Teil. Das zeigt sich auch am Umgang mit der Geschichte des eigenen Alkoholkonsums. In der Forschung wird ihr Alkoholkonsum, wie z.B. bei Danziger, nie anders gesehen denn als Ausdruck kulturellen Verfalls. Aber in der Zeit der Prohibition nutzten einige LCOLeute ihre als Tour Guides gesammelten Kontakte und geographischen Kenntnisse und engagierten sich im Schmuggel und bei der Schwarzbrennerei, die ansonsten im indigenen Nordamerika noch bei den Tlingit an der Nordwestküste sowie in Nordwest-Mexiko verbreitet war. Unter den Bedingungen des Alkoholverbots für Indianer zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Alkoholgenuss wenn schon nicht zum emanzipatorischen Akt, so doch aber zu einer Strategie, den Paternalismus zu unterlaufen: »Many Lac Courte Oreilles Chippewas considered the tavern keepers their friends and refused to testify against them in court.« (Danziger 1979: 131) Diese Geschichten sind heute in Lac Courte Oreilles Teil der Oral History, aber in den offiziellen Mediendiskursen wird diese kulturelle Praxis der Vergangenheit nicht hoch geschätzt. Es gehört vielmehr zu den im Zusammenhang mit dem Reservationsalkoholismus propagierten Wissensbeständen, dass die Ojibwe der Vergangenheit, kulturell und psychisch intakt, nicht getrunken hätten. Eine Frau Mitte 40, LCO tribal member, die mit ihrer Familie auf dem ihrer Urgroßmutter im 19. Jahrhundert zugeteilten allotment lebt, schilderte mir im Interview ihre archäologische Recherche in einen historischen Müllhaufen:
23 | Über indigenen Alkoholgebrauch in einem urbanen Umfeld vgl. z.B. Lowery (2001).
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE Anonym: People didn’t have a lot of garbage like we do [nowadays], not a lot of cans and bottles, and they used them and re-used them a lot and recycled them. […] What they had was what they would call a slop-pail in your house where you just throw your garbage in and then you would dump this in this slop-hole that they would dig [outside] and put their garbage in there. And so we dug up this slop-hole and we found some old whiskey bottles, and so we knew they drank! Somebody drank! And we were laughing, too: »Well, how did they get liquor?« – because long time ago they didn’t sell or couldn’t sell liquor to Indians. But I met older men from here, and they would tell me stories that there would be some mixed-bloods and they would go and buy because they would fool the stores that sold the beer and the wine, and they would go in there, and they would go and buy for everybody! Or my aunt would tell me there was a man that would come out, like a bootlegger–? And he would sell [liquor] to the Indians, and then they would go back in the woods and they’d have a party! He would make money off of them because they couldn’t go in the tavern and drink. Cora Bender: So they had drinking parties. Anonym: They had drinking parties out there. [sehr heiter:] We still do that till this day! [lacht] Old custom! (Anonym)
VIII Religion, Wissen und Identität in der indigenen Moderne »Worship in the Church of your Choice« (S AW YER C OUNT Y R ECORD 18.07.1984)
1 P ROBLEME DER F ORSCHUNG Neuere ethnologische Forschungen zum Zusammenhang von Religion, Medien und Moderne richten sich zumeist mehr oder weniger explizit gegen die Hypothese, dass mit einer Modernisierung zugleich auch eine Säkularisierung der Öffentlichkeit und ein Rückzug religiöser Praktiken und Anschauungen ins Private verbunden sei (Habermas 1962). An Beispielen aus postkolonialen Gesellschaften wie Indien, Ghana und Brasilien, die als alternative Modernen verstanden werden, wird klar, dass es nicht darum gehen kann, Religion und Medien als voneinander getrennte und irgendwie mechanisch verbundene Bereiche zu betrachten. Ethnologische und ethnologisch informierte medienwissenschaftliche Forschungen über Medien und Religion weisen vielmehr nach, dass es sich um zwar verschiedene, aber eng verwandte Praktiken der Imagination in der Moderne handelt (Holsten 2000; Moore 2000; de Vries 2001; Meyer 2004; van de Port 2006). Die Literatur schildert die Ojibwe-Religion als »rich, deep, personal and of daily concern« (Ritzenthaler 1978: 754). Durch Träume, Tabak und Visionssuche konnten Menschen mit übernatürlichen Wesen, manidog, kommunizieren, die in menschlicher oder nicht-menschlicher Gestalt hilfreich oder verderblich wirkten und ihnen medizinisches und anderes Wissen übermittelten. Am mächtigsten war neben gitchie manido der Donnervogel, der heute als Symbol in der Popkultur beliebt ist und z.B. die große Satellitenschüssel der Radiostation WOJB schmückt. Gefürchtet waren die Gegenspieler der Donnerer, die Unterwassermonster, und besonders in der Einsamkeit des Winterjagdlagers das jähe Erscheinen des windigo, des kannibalischen Hungermonsters, in das potentiell jedes Familienmitglied vom Säugling bis zum Greis sich verwandeln konnte, um im Fressrausch über seine Nächsten herzufallen. Individuelle Rituale
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wie die Visionssuche zur Pubertät und die Zeremonie der Namensverleihung an Kinder standen im Vordergrund der religiösen Praxis; die einzige größere zeremonielle Versammlung war die der Midewiwin-Zeremonialgesellschaft, die zur Krankenheilung und als Archiv medizinischen Wissens diente, und über deren prä- oder postkontaktliche Datierung die Forschung lange gestritten hat (Hickerson 1962; Vecsey 1983). McNally wirft allerdings dieser älteren Forschung vor, mit ihrem besonderen Augenmerk auf Kohärenz und Systemativität von Glaubensinhalten ein unzeitgemäßes Bild des religösen Lebens der Ojibwe zu entwerfen: »[Studies on Ojibwe religion] all describe Ojibwe religion primarily in terms of its coherence as a system of belief or as a structure of religious specialists, training our eyes on a kind of traditional Ojibwe religion that is increasingly hard to find at the turn of the twenty-first century.« (McNally 2000: 8) Auch Lee Irwin fordert, das Studium indigener Religion nicht auf eine historische oder mythisch verklärte Vergangenheit zu reduzieren: »Native religions cannot be reduced to ›traditional‹ reservation ceremonies, but must include the urban, Western educational politics of identity negotiation, gender diversity, and cultural boundaries that are constantly shifting and realigning.« (Irwin 2004: 117) Wenn das Forschungsinteresse auf Strukturen fixiert ist, die der Vergangenheit angehören, ist es schwierig, kulturelle Veränderungen anders denn als Kulturverlust und Entropie zu bewerten. Wenn wir das thesaurierte Wissen der Monographien über die religiösen Praktiken der Vergangenheit als den Barth’schen Korpus von Kenntnissen zugrundelegen, die es zu wissen gilt, dann müsste, trotz der Revitalisierung und des gestiegenen allgemeinen Interesses an traditionellen religiösen Formen in der Tat in Lac Courte Oreilles ein Kulturverlust diagnostiziert werden, denn das religiöse Wissen ist hier heutzutage ungleich verteilt – vage bei den einen, hoch spezialisiert bei den anderen. Doch die Frage stellt sich, von welchem Wissenskorpus gehen wir aus, welche Inhalte und Praktiken zählen wir dazu? Und wie verstehen wir das Wirken von Gruppen sowie die Rolle des Subjekts in bezug auf den Korpus religiösen Wissens? Der Versuch, Aspekte indigener Religion als Ausdruck nicht nur einer allgemeinen, sondern einer spezifisch indigenen Moderne zu diskutieren, erscheint mir vielversprechend, weil nachverfolgt werden kann, welche Rolle religiöse Diskurse in der Formierung der indigenen Moderne gespielt haben, und wie sie durch die Modernisierung selber geformt wurden. Doch die von Irwin geforderte Modernisierung und Historisierung des Studiums indigener Religionen ist in der Forschungspraxis nicht so leicht zu bewerkstelligen. Religion ist unter Indigenen aus vielerlei Gründen ein heikles Thema. Das religiöse Wissen indigener Kommunitäten ist heutzutage manchmal Bestandteil von Auseinandersetzungen um politische Souveränität und spielt in politische Konflikte um Landnutzungsrechte und die Kontrolle über archäologische Funde hinein. Auch sind indigene religiöse Praktiken seit Ende des 19. Jahrhunderts häufig im Zeichen des Kommerzes missbraucht und ihren usprünglichen Eignern
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entfremdet worden, durch rote wie weiße Geschäftemacher und Selbstdarsteller: If an Indian man comes up to you and says, »you wanna learn about my religion, you gotta give me hundred dollars and some tobacco« – no! You know, what religion is? I’d like to share with you, ’cos I think it’ll be good. That’s how we all should be, you know. (Interview Joe Martineau)
Aus diesem Grund ist in indigenen Medien Religion, abgesehen von allgemeinen Aussagen über Spiritualität in Fragen der Lebensführung, eher selten ein Thema; es wird in der Regel sogar bewusst gemieden. Religion und Medien werden explizit voneinander getrennt, indem z.B. bei Powwows während des Eröffnungsgebets alle Tonaufnahmegeräte ausgeschaltet werden müssen, ebenso, wenn jemandem eine Adlerfeder heruntergefallen ist, die mit einem kleinen zeremoniellen Tanz aufgehoben werden muss. Diese Medienfeindlichkeit in rituellen Situationen ist m.E. ein recht komplexes Phänomen, dem eine eigene Studie zu widmen wäre. Van de Port führt die Medienfeindlichkeit im brasilianischen Candomblé auf mehrere Gründe zurück. Zum einen sei im Candomblé der menschliche Körper das einzig wahre Medium, in dem das Sakrale oder Numinose sich materialisiert; zum anderen hätten traditionelle Autoritäten den dominanten Authentizitätsdiskurs der Öffentlichkeit übernommen, demzufolge »echte« Religion und moderne Medientechnologie miteinander unvereinbar seien (van de Port 2006: 445). Eine Befürchtung, die das Medienverbot in rituellen Kontexten in vielen indigenen Kulturen motiviert, ist sicherlich die beinahe unkontrollierbare Ausbeutung des Bildes für kommerzielle Zwecke. Ein indigener Journalist sprach auf der bereits in vorherigen Kapiteln erwähnten Tagung des indigenen Journalistenverbandes NAJA im Jahr 2002 über die Verletzung der Etikette durch nichtindigene Journalisten im Dienste eigener Interessen: Once, [a] tribe had a battlefield ceremony commemorating [a historical tribal leader and a battle of the late 19th century]. A group of elders assembled, an eagle bone whistle was blown to honor dead Indians and soldiers. This friend of mine recorded the ceremony and used the clip in a feature. (Teilnahmeprotokoll)
Diese Medienfeindlichkeit und das Misstrauen gegenüber Spionen aller Art ist an meiner Forschung nicht spurlos vorbeigegangen. Meine Dokumentation muss an manchen Stellen vage bleiben, und die Zitate aus Gesprächen und Interviews sind anonymisiert, um Informanten nicht bloß zu stellen. Diese Zurückhaltung in religiösen Fragen resultiert m.E. aus einer historisch tief verwurzelten Scham. Der Austausch zwischen indigenen und nicht-indigenen Gesprächspartnern über Religion ist von der Historie der euro-amerikanischen Zivilisierungspolitik überschattet, vom Religious Crimes Act und brachialen Christianisierungsmethoden im Schulsystem. Der Glaube an Hexen, böse Schamanen und Schadenszau-
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ber, der mir in Lac Courte Oreilles begegnet ist, diente in der Vergangenheit immer wieder als Aufhänger für Verachtung und Abwertung durch die weiße Einwandererbevölkerung und als Vorwand für autoritäre Zivilisierungs- und Christianisierungsmaßnahmen. Die alte Praxis der christlichen Schmährede gegen die »Heiden« spricht auch heute noch aus den Ansichten mancher lokaler Katholiken: In the Indian religion there are many, many superstitions, which is a bad thing to put power into something that has no power. Like when you hear someone talk about death. Lets say a dad in a family dies and his son heard this tapping on the roof three times, three nights, and then the dad dies, he will go back and believe it, because of those taps. Not because the man’s life is done [lacht]. They firmly believe that. (Anonym)
Allerdings ist Lac Courte Oreilles selbst auch kein Hort religiöser Toleranz. Insbesondere religiöse Praktiken aus der New Age-Kultur gelten als lächerlich und peinlich, wie ein LCO-Mitglied berichtete: I went and saw this psychic after my [relative] died, because I could feel all this energy, you know. […] [The psychic] is a white lady. She consults different people but not too many people know about it. And I think my family would laugh at me if they knew that I went to see a psychic. ’cos Indians would scoff at that kind of stuff, because they believe in that, you know. So why go see somebody about it, it’s almost like you don’t believe so you gotta go see a psychic to prove. Indian people believe in that stuff, they just don’t make a big thing about it, you know. (Anonym)
Aus diesen Zitaten spricht eine Bandbreite religiöser Auseinandersetzungen und subjektiver religiöser Praxen, die so bislang in der Forschung noch nicht berücksichtigt wurde, die aber in ihrer historischen Entwicklung gesehen werden müssen. Im Folgenden wird sich das Kapitel also mit der tiefgreifenden Veränderung befassen, die sich in den vergangenen einhundert Jahren in Lac Courte Oreilles im religiösen Leben abgespielt hat. Die bis nach dem Zweiten Weltkrieg gültige Dichotomie von Katholizismus und Heidentum, paganism, auf der Reservation wurde von einer immer weiter reichenden Diversifizierung abgelöst, die bis heute anhält. Damit einher geht eine Verschiebung der Konstitution und damit auch der Bedeutung von Religionszugehörigkeit. Während in der Vergangenheit über die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Glaubensgemeinschaft im Wesentlichen die Glaubensgemeinschaft bestimmte, sind in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren subjektive Praktiken der kulturellen Imagination zum zentralen Faktor der Religionszugehörigkeit geworden. Das bedeutet, hier kann man über einen relativ kurzen Zeitraum hinweg verfolgen, wie Religion von der totalen sozialen Gegebenheit bzw. einem überindividuellen Symbolsystem (Durkheim [1912] 1998; Geertz [1973] 1983) zu einem wichtigen Bestandteil der Identitätsbildung wird, für
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die Praktiken der subjektiven Imagination wiederum zentral sind. Diese Entwicklung ist von vielen Konflikten und Auseinandersetzungen begleitet, die im Folgenden in ihrer Bedeutung für das Wissenskulturkonzept beleuchtet werden sollen. Das Kapitel geht kurz auf die Christianisierung der Ojibwe und die Diversifizierung der religiösen Sphäre in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Im Fokus der Analyse steht allerdings der aus dem LCO Journal und einigen Augenzeugenschilderungen rekonstruierte Einbruch einer nativistischen Bewegung in die bis dato eher stille Szenerie in Nordwest-Wisconsin im Jahr 1981. Die bislang noch nicht in der Literatur thematisierte, von den Beteiligten prophet movement genannte Bewegung ging von Kanada aus und verursachte anscheinend auch in mehreren US-Reservationen beträchtliche Unruhe. Ihr Verlauf ist in Lac Courte Oreilles durch den Reporter des LCO Journal zeitnah und dicht am Geschehen dokumentiert, ein historisch wahrscheinlich einmaliger Umstand. Einige Beispiele für subjektive religiöse Imaginationen rund um die Institutionen der modernen indigenen Wissenskultur werden in den letzten Abschnitten des Kapitels vorgestellt und erörtert. Mein Befund hier ergibt, dass das Subjekt bei der Konstitution und Vermittlung von Wissensbeständen unter den Bedingungen der indigenen Moderne eine entscheidene Rolle erhält, die Barth nicht berücksichtigt (Barth 2002).
2 C HRISTIANISIERUNG UND V ERSCHRIF TLICHUNG Die Christianisierung der Ojibwe, die heutzutage mehrheitlich katholisch getauft sind, begann in der Zeit der französischen Kolonialpräsenz schleppend und kam erst nach den großen Epidemien – die Masern grassierten in den 1820er Jahren, Pocken und Cholera zwischen 1834 und 1837 – und der Konzentration der indigenen Bevölkerung auf die Reservationen richtig in Schwung. Aus diesem Grund ist die Christianisierung der Ojibwe bisher hauptsächlich als Zeichen kultureller Assimilation oder als politisches Mittel zum Zweck, selten aber als eigenständige kulturelle Aneignung interpretiert worden. Dabei haben sowohl protestantische Kirchen als auch der Katholizismus die frühen Ojibwe-Intellektuellen geprägt, wie den schon erwähnten William Warren, den Methodistenpfarrer George Copway, und den katholischen Priester, Autor und Journalisten Father Philipp Gordon. Hierbei spielt sicherlich eine Rolle, dass die Kirchen und Missionare bei allem christlichen Eifer nicht darauf aus waren, indigene Bevölkerungen als Ganzes beiseite zu schieben oder auszurotten. Missionare begleiteten ihre Ojibwe-Gemeinden bei staatlich angeordneten Umsiedelungen und hielten in guten wie in schlechten Tagen bei ihnen aus. Auch waren Missionare die ersten, die an einer Verschriftlichung indigener Sprachen arbeiteten. Die beiden Missionare, die zuerst bei Sault Ste. Marie im Jahr 1641 mit Ojibwe in Kontakt kamen und von diesen zu einem Besuch eingeladen wurden, kamen beide ums Leben, ohne bei den Ojibwe viel erreicht zu haben. Als Pionier der Mission im späteren Bun-
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desstaat Wisconsin gilt Father Claude Allouez, der sich im August 1665 von Kanada aus auf seinen beschwerlichen Weg machte und sich in der Bucht von Chequamegon niederließ, wo er die erste Siedlung mit dem Namen La Pointe du Saint Esprit gründete (nicht zu verwechseln mit dem später von französischen Händlern gegründeten Handelsposten La Pointe auf Madeline Island). Es gelang ihm in den folgenden dreieinhalb Jahren ungefähr fünfhundert Menschen zu taufen, bevor er erschöpft von seinem Dienst nach Quebec zurückkehrte. Father James Marquette, der ihn 1669 ablöste, musste die Mission unter dem Eindruck der zunehmenden Feindseligkeiten zwischen den Ojibwe und den benachbarten Sioux 1671 verlassen. Erst ca. 150 Jahre später wurden die Ojibwe in der Gegend von Chequamegon wieder missionarischer Bemühungen teilhaftig; diesmal war der Händler Lyman Warren, seines Zeichens Kongregationalist, der treibende Motor. Der von ihm nach La Pointe gebetene Missionar Frederick Ayer bekam den Auftrag, eine Schule zu gründen. 1841 kam Leonard Wheeler, ebenfalls Kongregationalist, hinzu, der die Ojibwe begleitete, als sie laut Vertrag von 1854 von Madeline Island nach Bad River umgesiedelt wurden (Levi 1956: 66). Zu den bekanntesten Missionaren gehört Friedrich oder Frederic Baraga, der 1797 in Österreich-Ungarn geboren, 1831 nach Arbre Croche am Lake Michigan und 1835 nach La Pointe, Madeline Island, kam. Baraga scheint eine schillernde, charismatische Persönlichkeit gewesen zu sein. Er war, wie vor ihm auch Allouez, sehr sprachbegabt; er hatte in Wien neben einer juristischen auch eine linguistische Universitätsausbildung erhalten. Als er nach La Pointe kam, fand er als Grundstock für seine Mission einige frankokanadische Händler vor, die mit Ojibwe-Frauen verheiratet waren. Alle anderen Ojibwe waren nach seiner Definition unter die Heiden zu zählen, doch die Bevölkerung von La Pointe, ob rot oder weiß, beteiligte sich mit großer Begeisterung am Bau einer Kirche, die im August 1835 fertiggestellt wurde. Baraga las sonntags fünf mal in drei oder vier verschiedenen Sprachen die Messe, wobei er sich Zeitzeugen zufolge von seinen eigenen Predigten so mitreißen ließ, dass er mitunter in Tränen aufgelöst die Messe abbrechen musste (Levi 1956: 47). Das bleibende Verdienst dieses Narzissten und Exzentrikers, der einer alten Frau eine tränenreiche Szene machte, als sie ihm mitteilte, dass sie ihn wegen ihrer Armut sonntags nicht mehr bewirten konnte, ist in seinen Übersetzungen von Bibeltexten in die Sprache seiner Schäfchen und in seinem Ojibwe-Wörterbuch zu sehen. Bis 1839 schrieb Baraga das Gebetbuch Anamie Masinaigan, ein Leben Jesu in Ojibwe, sowie Gagikwemasinaigan, ein Predigtbuch, das u.a. eine Zusammenfassung des Alten Testaments und die Briefe der Apostel enthielt (Levi 1956: 47). Heutzutage integriert die indigene Wissenskultur diese Tradition. Das Museum und Kulturzentrum in der Ojibwe-Reservation Fond du Lac, Minnesota, wo Baraga ebenfalls aktiv war, stellt zwei seiner Bücher in Ojibwe aus. Father Otto Skolla, der Baraga im Oktober 1845 ablöste, fand nach Levis Darstellung am Lake Superior eine christliche Ojibwe-Gemeinde vor, die allerdings bei aller Bravheit dem Laster der Trunksucht zugeneigt
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schien. Skolla gründete die erste indigene Temperenzlergesellschaft der Region, die bis 1850 ca. 160 ständige Mitglieder aufwies. Während der Removal Order 1850 verließen die meisten Ojibwe Madeline Island, und die Mission scheint sich bis zur Ankunft der Franziskaner Casimir Vogt und John Gafron im Jahr 1878 mehr schlecht als recht fortgebracht zu haben.1 Vogt und Gafron betreuten auch Lac Courte Oreilles, wo sie 1883 die erste Kirche bauten, für die sie in den Lagern der zumeist katholischen Waldarbeiter Geld gesammelt hatten. Father Phillip Gordon war der erste katholische Priester von Ojibwe-Herkunft in den Vereinigten Staaten. Er betreute die Ojibwe von Lac Courte Oreilles im Jahr 1914 und von 1918 bis 1924 während der schwierigen Zeit der Auseinandersetzungen um den Winter-Staudamm und die Überflutung der Ortschaft Post. Sein bleibendes Monument in Lac Courte Oreilles ist die schöne, ganz mit rotem Pfeifenstein verkleidete Kirche der St. Francis Solanus Mission in Reserve. Aber Gordon war noch mehr als nur Seelsorger, er war Mitglied der Society of American Indians und ein erklärter Feind der US-amerikanischen Indianerverwaltung, schrieb Artikel für das American Indian Magazine, für das von der SAI publizierte Quarterly Journal, sowie für den Indian Sentinel, der vom Bureau of Catholic Indian Missions publiziert wurde. Als besonders wichtiger Beitrag kann sicherlich seine 1918 in Lac Courte Oreilles herausgegebene eigene Zeitung A-ni-shi-na-be E-na-mi-ad bezeichnet werden: »a periodical which went far beyond its stated mission of bringing Catholic clerics, who worked among the Chippewa into closer union. Gordon’s plea for unity in order to fight the tribe’s ›common evils‹ was not limited to the afflictions that attacked the moral and spiritual well being of his congregation. Gordon was also intensely interested in the secular events that shaped the lives of La Pointe Agency residents. He said as much in his first issue: ›For the time being, the last page of this paper will be devoted to the work of bringing about a better temporal [original emphasis] condition among Indians.‹« (Loew 1998: 168)
Neben diesen intellektuellen Traditionen entwickelte sich bei den Ojibwe auch ein Volkskatholizismus, der bislang noch weitgehend unerforscht hinsichtlich seiner Auswirkungen für die lokale Wissenskultur ist. Sylvia Kasprycki untersucht die Rolle der materiellen Kultur in den Verhandlungen zwischen den Menominee von Wisconsin und ihren Missionaren in ihrem Aufsatz Rush Mats and the Practice of Native Christianity (Kasprycki 1996). Artefakte der indigenen Kultur wurden im Verlauf der Missionierung in die Kreisläufe des christlichen Glaubens eingegliedert. Die Einzelteile von Altarsets beispielsweise, die man im Original in den entlegenen Frontiergebieten nur selten bekam, wurden von christianisierten Indianern hergestellt: 1 | Zwischen 1835 und 1904 wurden insgesamt 3.677 Personen indigener Herkunft getauft (Levi 1956: 50).
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »[…] the practice of using rush mats as altar cloths also significantly paralleled the ritual use of these artifacts in traditional culture. It must have seemed a logical continuation of an old custom, whose symbolic implications remained entirely hidden to the missionaries. Formerly, rush mats had held sacred bundles and served as spreads for the ceremonial handling of the paraphernalia contained in them; now they were used as altar cloths and antependiums, setting off the sacred space in which the central Christian ritual was performed. It may be suspected that the indigenous converts – at least initially – conceptualised the celebration of Mass in much the same way as they did traditional sacrifices to the spirits; the material environment of such religious activity, in any case, remained familiar.« (Kasprycki 1996: 49)
Die Menominee-Frauen begannen, sich der christlichen Symbolik zu bemächtigen, die sie in ihre Matten einwebten, anstatt der traditionellen übernatürlichen Mächte, die sonst auf den Matten dargestellt wurden, wie z.B. auf einer Ottawa-Binsenmatte, die in den 1850er Jahren in der katholischen Kirche in Cross Village, Michigan, als Altardecke diente, obwohl sie mehrere Reihen von Donnervögeln darstellte. »In bridging the gap between Catholic teachings and Native experience, rush mats played a vital part in the Menominee’s endeavour to bring the alien notions conceptually and materially within their grasp.« (Kasprycki 1996: 49) McNally (2000) befasst sich mit der seit den 1880er Jahren institutionalisierten Praxis des Kirchenliedsingens bei den Ojibwe von White Earth (Minnesota) und zeigt, dass der Katholizismus nicht nur als Verschriftlichungsinstanz zu sehen ist, sondern eine ganze Reihe medialer Ausdrucksformen bot, mit deren Hilfe lokale Ojibwe die Moderne in ihr eigenes kulturelles Idiom überführten. Ergebnis war ein selbstgeschaffener, zumindest zeitweise stabiler diskursiver Freiraum zwischen den herrschaftlichen Autoritäten von Reservationsverwaltung und Mission, die doch eigentlich alles daran setzten, alle der Assimilation im Wege stehenden kulturellen Aktivitäten wie z.B. die ihrer Meinung nach ins Unanständige ausufernden Gabenfeste, give-aways, zu unterbinden (McNally 2000: 81-122).
3 R ELIGIÖSE D IVERSIFIZIERUNG Die katholische Mission St. Francis in Reserve hat heute durch ihre Schule noch einen wichtigen Platz in der Wissenskultur der Reservation. Sr. Felissa Zander und Sr. Maryrose Theobald unterhalten die Schule mit ca. 100 Schülerinnen und Schülern, da sie weder staatliche noch BIA-Zuschüsse erhalten, durch Spenden, Kirchenbingo, Handarbeiten und sparsames Wirtschaften:2 2 | Neben den Schwestern arbeiten an der Schule noch drei »lay teachers« und eine Schulassistentin, die aus LCO kommt, ebenso wie die Busfahrer, die die Kinder täglich von Zuhause abholen.
R ELIGION , W ISSEN UND I DENTITÄT IN DER INDIGENEN M ODERNE Our school is tuition free but he children learn how to help with different things. They do a lot of cleaning. They clean the school, help clean the yards. They clean the cafeteria, they serve the food. We cannot afford to hire a janitor. We cannot afford to hire people to dish out the food. They serve the food themselves. They clean up after the dinner which is also different than other schools. But they learn to pitch in and help. And when we do the bead work which is native to their culture, we do that in the cold winter months. The beadwork they contribute to the souvenir shop and we sell that and it helps them. They learn how to help pay the tuition through the beadwork that they make. (Interview Sr. Felissa Zander)
Die Rolle der katholischen Kirche in der Revitalisierung indigener Kultur wird in den allgemeinen Darstellungen nicht erörtert, aber in Lac Courte Oreilles scheint die Mission durchaus ihren Anteil daran gehabt zu haben. Die an den katholischen Colleges von St. Scholastica in Duluth (Minnesota) und Mount Senario in Ladysmith (Wisconsin) gegründeten Native Studies Departments veranstalteten Powwows, Mount Senario beispielsweise jedes Frühjahr (SCR 26.05.1982). In Lac Courte Oreilles betrieb die lokale Mission eine Folklorisierung indigener Kultur, die, ähnlich vielleicht wie der indigene Tourismus, durchaus ihren Anteil an der Bewahrung und Regeneration des Soziallebens hatte, z.B. in Form von Handarbeitskränzchen, quilting bees, die im kirchlichen Rahmen seit dem 19. Jahrhundert bestanden. Die strukturelle Ähnlichkeit zum Tourismus zeigt sich z.B. darin, dass an der katholischen Missionsschule St. Francis Solanus in LCO nie Powwows stattfanden, wohl aber fuhren Tanztruppen aus St. Francis Solanus zu anderen Schulen und führten dort Powwowtänze vor: »St. Francis School children will journey to the Washburn public school to do an Indian program of dancing and singing […]. The school has been doing this type of entertaining to out-of-town places for many years. Halloween party in the school this coming Friday […].« (EM 02.11.1977)
Heute kann die Mission St. Francis Solanus immer noch als gut in die Kommunität eingebettet bezeichnet werden, obwohl viele Jüngere gegenüber der katholischen Kirche eine kritische Einstellung haben. Der stellvertretende Tribal Chairman Mic Isham z.B. bezeichnet sich selbst als »recovering Catholic«. Hinter solchen Bemerkungen stehen häufig persönliche Erfahrungen. Ein Gesprächspartner aus der Reservation Fond du Lac in Minnesota, den ich im Zusammenhang mit den Powwows der Region interviewte, sieht den Katholizismus als eine ursprünglich gute, durch die Schwäche einzelner aber korrumpierten Religion: It was the government, but I have an underlying belief that the Catholic Church also did such bad things. The core of every religion is good, so the original beliefs are pure, they’re good, they’re valued. Later, we as human beings tend to twist them sometimes. So yeah, if you get beat up by a nun, you don’t really like Catholicism! Original Catholicism is really good, because it’s religion, and it’s
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE pure, it’s from God! You know, that’s how it gets twisted over the years, that’s my thought, anyway. (Interview Joe Martineau)
Ob an der Missionsschule von St. Francis Gewalt oder Missbrauch vorkamen, kann ich nicht verifizieren; mir persönlich wurde nichts dergleichen berichtet, obwohl viele ältere Leute in LCO allgemein negative Erinnerungen an ihre Schulzeit hatten, egal, wo sie diese verbrachten. Zur Ehre der Nonnen von St. Francis muss betont werden, dass ihr Engagement mit den Ojibwe von Lac Courte Oreilles auf einer zumeist lebenslangen und engen Bindung beruht, dass sie sich innerhalb der für sie geltenden Grenzen für die Kultur der Ojibwe interessieren, vielfach auch die Sprache lernen und verschiedene Elemente der Ojibwe-Kultur in ihre Version des Katholizismus einflechten: »Sr Sirilla emphasized the teachings of the Chippewa language at the school. Among other things, prayer in this language radiates a close feeling of fellowship and better living.« (EM 31.03.1976)
Dies berichtete Ed Martin von einer Veranstaltung in der Mission. Sr. Sirilla, die zu diesem Zeitpunkt 85 Jahre alt war, sprach fließend Ojibwe. Ihre Nachfolgerin, Sr. Felissa Zander, eine von neun Töchtern einer katholischen Familie in Milwaukee, trat 1956 wie vor ihr fünf ältere Schwestern in den Orden der Sisters of St. Francis ein. 2001 feierte sie ihr vierzigstes Dienstjahr als Leiterin und Lehrerin an der St. Francis Solanus Schule in Reserve: »My educational philosophy is to teach the whole child – and the spiritual is the greatest part.« (Sr. Felissa, SCR 25.04.2001). Sie erinnert sich an ihre ersten Jahre in LCO: When I first came here it was very isolated. […] The people [in the town of Hayward] would say: »They are pagans out there.« But that is not true, because they did believe in God. They always did. American Indians always believed in God. (Interview Sr. Felissa)
Es scheint, als ob auch die katholische Kirche sich den neuen Verhältnissen durch mehr Öffnung anpasste: They are mixing more. We communicate, like this community circle thing. Years ago you would have never done that. Now you can bring in anybody. Which is good. (Interview Sr. Felissa)
Dies spricht auch aus einer mit Elementen der Ojibwe-Kultur angereicherten Priesterweihe Anfang der achtziger Jahre, über die LCO-Kolumnist Ed Martin berichtet:
R ELIGION , W ISSEN UND I DENTITÄT IN DER INDIGENEN M ODERNE »LCO was well represented at the ordination of Kevin Gordon 3 […] at the St. Francis Church grounds, Red Cliff […]. Mayta (Isham) Bender gave the opening address and called for the passing of tobacco as an honorary Indian ritual to the Great Spirit. A small fire was going on as the pinches of tobacco were dropped into it from the people, including the priests and Bishop Fliss. This great respect and honor shown for this ritual touched the hearts of all as an emblem of spiritual adherence to the Great Spirit.« (EM 03.08.1983)
Die noch in den 1950er Jahren geläufige Dichotomie zwischen Katholiken und Heiden, pagan Indians, hat sich inzwischen zugunsten einer diversifizierten Glaubenslandschaft aufgelöst. »Worship in the Church of your Choice«, bewirbt der Sawyer County Record seine Liste von nicht weniger als 39 verschiedenen Kirchen in der Gegend von Hayward u.a. auf der Reservation die beiden katholischen Kirchen St. Francis Solanus (Reserve) und St. Ignatius (New Post), sowie verschiedene protestantische Kirchen wie LCO Full Gospel (Round Lake), Indian Mission Home (Stone Lake), Signor Assembly of God (Signor)4 und Presbyterian Indian Mission (Whitefish) (SCR 18.07.1984). Aus der Perspektive der Ordensfrau stellt sich die Glaubenslandschaft in Lac Courte Oreilles als Dreiteilung von Katholiken, Religionsfernen und individualistischen Synkretisten dar, mit denen sie auch die intensivsten Diskussionen über Religion hat: Sr. Felissa: They have a beautiful religion and they teach right and wrong. They always did. They have beautiful things, beautiful customs. There is nothing wrong with that. But a Catholic Indian differs from a Native American Indian who follows the Native religion. The big difference is the Trinity. Both believe in the Great Spirit but American Indian religion does not believe in the Trinity. Sometimes somebody that follows the American Indian religion says to me, »I believe in the same God, we believe the same as you.« I’d say, »Yes, you believe in the same God, but you do not believe in Jesus.« Cora Bender: And what do they answer? SF: Well, »God is enough. The Great Spirit is enough.«. – »You do not want to learn about Jesus?« – »No, what I have is o.k.« (Interview Sr. Felissa)
Viele LCO-Leute mittleren Alters schilderten mir eine gescheiterte Anbindung an protestantische oder katholische Kirchen im Kindesalter, die sie dann später als eine subjektive, an spirituellen Fragen interessierte, aber nicht allein religiös motivierte Sinnsuche im Erwachsenenalter zu Ende bringen.
3 | Kevin Gordon war ein Nachkomme des ersten katholischen Priesters mit Ojibwe-Herkunft, Father Philipp Gordon (EM 20.7.1983). 4 | Hier predigte z.B. Frank Holmes von der Mission to the American Indians in Siren (Wisconsin), ein »Native American evangelist«, der auch im Radio auftrat (EM 29.02.1984).
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4 M ODERNISIERUNG , M EDIEN UND M ILLENARISMUS 4.1 Der Prophetenkult von 1981 in Lac Courte Oreilles In der Waldlandregion sind Konflikte um religiöse Grundsätze historisch eher friedlich und ohne großes Aufsehen verlaufen, zumindest im Vergleich zu anderen Regionen des indigenen Nordamerika, wie dem Südwesten mit seinem Pueblo-Aufstand im Jahr 1680 oder den Plains mit der Geistertanzbewegung, die 1890 im Massaker am Wounded Knee erstickt wurde und hierdurch zu trauriger Berühmtheit gelangte (Knaut 1995; Mooney 1896). Um so erstaunlicher erscheint die Tatsache, dass eine nativistische Prophetenbewegung, die sich Anfang der 1980er Jahre aus Kanada kommend auch auf viele Reservationen im Mittleren Westen ausdehnte, in der Forschung bislang völlig unbeachtet geblieben ist. Diese Forschungslücke ist wahrscheinlich kein Zeichen bewusster Ignoranz, sondern vielmehr der allenthalben waltenden Reservationsverschwiegenheit geschuldet, die auch mich einige Jahre lang ahnungslos in Lac Courte Oreilles herumforschen ließ, bis ich zum ersten Mal und rein zufällig im Umfeld der katholischen Gemeinde etwas über die Propheten aus Kanada erfuhr. Für ein besseres Verständnis des historischen Kontextes der Prophetenbewegung erscheinen einige einführende Bemerkungen über die Geschichte nativistischer Bewegungen im östlichen Waldland angebracht. Der Nativismus ist im indigenen Nordamerika als unmittelbare Folge des Kulturkontakts bereits seit dem frühen 17. Jh. nachweisbar. Im östlichen Waldland erscheint er historisch vor allem als prophetische Reformbewegung, bei dem der Kampf gegen Alkohol und für Erneuerung der sozialen Kommunikation im Vordergrund standen, wie z.B. bei den Propheten der Delaware im 18. Jh. und dem Seneca-Propheten Handsome Lake Anfang des 19. Jh. (Feest 1998). Die Ojibwe wurden von verschiedenen indigenen Bewegungen berührt. Von allen Ojibwe-Reservationen in Wisconsin scheint Lac Courte Oreilles die einzige gewesen zu sein, wo um 1808 die Botschaft des Shawnee-Propheten Tenskwatawa, Bruder des berühmten Tecumseh, für kurze Zeit Fuß fassen konnte (Warren 1885; Vecsey 1883). Der Drum Dance, auch als Dream Dance bezeichnet, kam um 1877, wie nach ihm auch der Ghost Dance im Jahr 1889 durch Botschafter aus dem Westen von den Dakota zu den Ojibwe. Über die Geschichte des Ghost Dance bei den Ojibwe ist laut Vecsey nicht viel bekannt. Sie breitete sich hauptsächlich in Minnesota aus und hatte in Leech Lake ihre stärkste Basis. Obwohl der Geistertanz hier nach 1892 seine Energie verlor, scheint die letzte Schlacht, die US-Truppen je gegen Indianer führten, die Schlacht von Leech Lake im Jahr 1898 gewesen zu sein, die zu den Nachbeben der Geistertanzbewegung zu zählen ist. Dem Drum Dance liegt ein Ursprungsmythos zugrunde, demzufolge eine junge Dakota-Frau vor der US-Armee fliehend nach mehreren Tagen Hunger und Entbehrungen eine Vision hatte, in der der Große Geist sie die Herstellung einer Trom-
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mel und einen dazugehörigen Tanz lehrte, den sie dann zu den Ojibwe brachte. Der Drum Dance ist u.a. auch Thema in zwei von Wisconsin Public Television produzierten Videoclips, in denen Eddie Benton über Themen und Motive traditioneller Ojibwe-Musik und Religion reflektiert (Ojibwe Music 2000; Ojibwe History 2001). Beide Filme wurden im Regionalfernsehen von Wisconsin Public Television ausgestrahlt, die Inhalte werden so durch die Medienarbeit eines kulturellen Experten in die Öffentlichkeit gebracht. Der Stiftungsmythos ist somit einerseits öffentlich zugängliches Wissen, andererseits wird durch die Produktion der Medien die Rolle des religiösen Experten betont, der das Wissen korrekt wiedergibt und auslegt. Während meiner Feldforschung in Lac Courte Oreilles stellte ich religiöse Fragen zunächst nicht ins Zentrum der Recherchen, weil mir überbewusst war, dass das Thema als heikel und umstritten galt. Doch die Leute kamen von selbst immer wieder auf religiöse Themen zu sprechen, weil ihr eigener Lebensalltag davon geprägt ist. Ein Mitglied der katholischen Gemeinde von Lac Courte Oreilles erzählte mir im Jahr 2002 folgende Geschichte: There was a group of Ojibwe that came from Canada. They came in here and started that whole business, trying to revive cultural things. It is interesting, but it really scared some people. They were so scared, they would not leave their homes after dark. Once in a while somebody brings it up, because it is in there, the cultural stuff. And then that group came in and they had sessions up here by the tribal building and some people firmly believed what these guys said and they had to bring them gifts, blankets and their best guns, everything. And then the group took off with all the gifts. They disappeared. It was a big scam. It was terrible. I will never forget that. And all at once for two weeks you heard about this wonderful group providing all this and then they started to tell me all the money they had to give and all the gifts they had to give, and [I heard that] from people I thought would not fall in to that! And all at once that group disappeared and then the law was after them, too. They will never come back on this reservation again. That was something! (Anonym)
Später entdeckte ich bei meinen Archivrecherchen im LCO Journal vom Januar 1981 einen Artikel über die Begebenheit. Unter der Überschrift »Canadian Messengers shake reservation with prophecies« (LCOJ 4(1), January 1981) erzählt der Autor, wahrscheinlich Paul DeMain, die Geschichte von den drei Propheten aus Kanada: »The events for LCO began on November 11th, 1980, when the Lac Courte Oreilles Tribe had gathered for the annual 49 Honor Dance at New Post, Wisconsin.« (LCOJ 4(1), January 1981) Ein Ojibwe, der aus Grand Portage, Michigan, zu Besuch war, stellte eine Gruppe spiritueller Anführer (»spiritual leaders«) vor, welche die Feuersbrünste vorausgesehen haben wollten, die im Sommer 1980 viele kanadische Reservationen heimgesucht hatten. Diese Männer kamen mit einer wichtigen Botschaft für Lac Courte Oreilles. Sie sagten das Ende der
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weißen Zivilisation voraus. Nur jene Indianer, die sich auf die kommende Zeit der Stürme, Feuersbrünste und der allgemeinen Zerstörung vorbereiteten, hatten, so die drei Prophete, eine Überlebenschance. Im Jahr 2005 erinnert Paul DeMain sich im Interview: As they were travelling in quite a big circle from Canada, they went on down to Winnebago country and apparently held some ceremonies and ah had some kind of ceremony in which there was elders there and they were told that what would have to happen is that these guys would have to interpret what was being said by the spirits in Chippewa to someone who knew English and Ho-Chunk and then those people would translate it from Ho-Chunk to for the elders to listen to it, and the elders pretty much said, »get’em outta here! The spirits, if they’re gonna tell us this great prophecy will speak directly to us in the Ho-Chunk language!« (Interview Paul DeMain)
In Lac Courte Oreilles jedoch traf die Botschaft auf einige offene Ohren: But there was a couple of hundred people that went to wigwam shaking here and they were told all kinds of things about their personal lives. (Interview Paul DeMain)
Damals schrieb er im LCO Journal von den Drohungen, mit denen die Propheten ihre Aktivitäten umgaben: »People were warned not to write about them or their ceremonies or face death within a year.« (LCOJ 4(1), January 1981) Die Warnung schien zu wirken, denn das Ereignis wird weder von Ed Martin in seiner LCO-Kolumne noch in den Ausgaben des LCO Journal vom November oder Dezember 1980 erwähnt. Wer an der vor dem Untergang schützenden Zeremonie teilnehmen wollte, musste Geschenke mitbringen, Kleidung, Waffen, Decken, auch Fallen und Geld. Einer der drei hatte erklärt, pro Reservationsbewohner ein Dollar – soviel müsse schon zusammenkommen, um einen anständigen Schutz aufzubauen. Dann wurde die Zeremonie vertagt, »because ›the spirits were mad that there was not yet enough offerings from the people.‹« (LCOJ 4(1), January 1981) Die drei Propheten (»prophets«), wie sie schon bald genannt wurden, spalteten den Stamm und erschütterten die gerade im Aufbau befindliche tribale institutionalisierte Wissenskultur: »[Disbelievers] were being told that the whiteman and christian [sic!] had brainwashed them into asking questions of this type. Disbelievers became fearful of what was being said, believers began to denounce many of the Tribe’s programs, saying that the Tribe was no longer providing the right type of education and services to promote the old Indian way. They claimed that our children were becoming more and more like the whiteman, losing contact with the old ways.« (LCOJ 4(1), January 1981)
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Die Zeremonie wurde schließlich doch veranstaltet. Aber nachdem die Teilnehmer genaue Instruktionen erhalten hatten, sich Wigwams zu bauen und keine Powwows mehr zu besuchen, da sie eine Modernisierung und kulturelle Korruption darstellten, reisten die Propheten plötzlich ab. Sie besuchten die Reservationen Mille Lacs, Leech Lake und White Earth in Minnesota, tauchten auch in der urbanen Gemeinde in Minneapolis-St. Paul auf und besuchten auch andere indigene Kommunitäten. Am 12.12.1980 kam die Gruppe dann nach Lac Courte Oreilles zurück und bereitete eine zweite Zeremonie vor. Am 14.12.1980 wurde ein Mitglied der Gruppe verhaftet, weil die Polizei ihn unter Alkoholeinfluss am Steuer erwischte. Seine Freunde zahlten, wahrscheinlich mit dem in den Reservationen eingesammelten Geld, die Kaution und verschwanden am 16.12.1980 aus der Gegend, diesmal für immer.
4.2 Aufklärung und Scham: Indigene Deutungen Ein am nächsten Tag veranstaltetes Treffen in Lac Courte Oreilles brachte Anführer aus LCO und anderen Reservationen in Wisconsin zusammen, unter ihnen prominente elders und Traditionalisten wie Archie Mosay aus St. Croix, Pipe Mustache und Bill Sutton aus Lac Courte Oreilles, politische Aktivisten wie Eddie Benton (der zu dieser Zeit Direktor des Red School House in St. Paul war) und Clyde Bellecourt, Mitbegründer des American Indian Movement (AIM) und damals Direktor der Heart of the Earth Survival School in Minneapolis, und viele andere. Die Arbeit des indigenen Journalisten, der die Diskussion für seinen Artikel protokollierte, erlaubt einen Einblick in die Debatte. Während einige Anwesende offenbar immer noch an die Propheten des Untergangs glaubten, setzten sich die Protagonisten und Funktionsträger einer rationalen, modernisierten Richtung durch: »Said Ed Benton, ›we already have our own sacred places on our reservation, we already have people that can cure by traditional medicines… and our own prophecies tell us of how we would lose our traditions, but they also say that there will be a rebirth, a revival of our traditions. I don’t want our children to be afraid to face tomorrow, I want them to have hope […].« (LCOJ 4(1), January 1981)
Clyde Bellecourt wünschte sich eine Kamera: »›I wish we would have had a camera when these people were staying in the Fair Oaks Motel in Minneapolis, because I was told by a young man […] that after these ceremonies, these gifts and money were spent on parties […].‹« (LCOJ 4(1), January 1981) Journalist Paul DeMain ermöglichte durch seine Kenntnisse anderer indigener Medien der Region eine Einbettung der Geschehnisse in einen größeren Rahmen. Anscheinend hatte die Bewegung in Kanada einige Kommunitäten noch tiefer in Aufruhr versetzt:
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »Then the discovery of a news article printed by the Indian News Media in March of 1980, Vol.20, No.10, from Ottawa, Ontario, and written by Michells Moresette of the Ottawa Journal which told of a Quebec Tribe which was visited by a ›prophet‹ during the summer of 1979. […] The group had found a home on the Rapid River Reserve near Maniwaki, Quebec, in Canada shortly after a spiritual pow wow in Toronto. In the ensueing five months that they lived at Rapid Lake before being run out by the people the band of 300 members had totally closed their school, torn the crosses off the mission and cemetery and accepted their reserve as the chosen place for the revival of Indian culture. […] The article describes how drinking in the band of 300 people was almost completely stopped, children were well fed and hunting trips reached a 20 year high. A positive change that soon began to turn into a nightmare.« (LCOJ 4(1), January 1981)
Das Ergebnis ist tiefempfundene Scham: »They now want to forget that they […] allowed crosses to be ripped from the Catholic church and cemetery, that they frightened away their local priest, teachers, principal, doctor, and dentist and that they stopped sending their children to school, this despite the fact that the prophet’s children, Ojibweys who spoke only English, all attended school. […] It appears that [the ›prophets‹] did make their move, into Western Canada, to Thunder Bay and then to Grand Portage, Luck and Bad River, Wisconsin, to Hannaville and anywhere else they found an ear. Each time performing the ceremony […]. They were reportedly headed to Oklahoma, but are believed to be back in Canada at the present time.« (LCOJ 4(1), January 1981)
Im Mai 1981 druckt das Journal einen Artikel ab, der als das Ergebnis einer Gruppendiskussion eine Deutung versucht: »It is a product of several meetings and the people who attended who have discussed at length the movement advocated by the Canadian messengers.« (LCOJ 4(5): May 1981) Auch hier wird deutlich, wie tief die Bewegung die Kommunitäten getroffen hat: »The Indians in Ontario are very angry and saddened by the trouble this movement has now caused them.« (LCOJ 4(5), May 1981) Es wird auch deutlich, dass ein komplexes Wissen über die Bewegung zum Heilungsprozess dazu gehört: »Now that we know much about this whole thing, it shows that it is much more complicated than simply a money ripoff. If it was only a money rip off, it would have been stopped long ago.« (LCOJ 4(5), May 1981) Die Autoren beziehen einen Teil ihrer Informationen offensichtlich aus dem kanadischen Fernsehen: »This movement or cult or whatever the whiteman calls it, started in Western Canada. Recently Canadian television just showed a program on this. This movement went up and down the West Coast.« (LCOJ 4(5), May 1981) Andererseits erinnert man sich, dass man von der Bewegung schon durch Voraussagen Wissen erhalten hatte: »Some of our tribes in the midwest were told long ago that this movement would come amongst them. They were told not to follow them.« (LCOJ 4(5), May 1981) Sie betonen die oralen Kommu-
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nikationsformen sowohl der Bewegung (»the Indian way«) als auch der Gegenbewegung: »This movement was sent in the Indian way to the middle of Canada. […] Out in Western Canada, a few hundred Indians still follow this movement. This winter a few tribal chiefs from Manitoba and Minnesota twice met with their medicine men. […] Fifteen or twenty of the medicine men and traditional Indians then found out what the whole movement was. It was very hard, and took months for the medicine men to stop this movement.« (LCOJ 4(5), May 1981)
Hier sehen die Autoren die Grenzen indigener Berichterstattung: »This cannot and will not be put in writing.« (LCOJ 4(5), May 1981) Die Ablehnung, diesen Prozess in der Zeitung zu beschreiben, hat m.E. nur an der Oberfläche mit Pietät oder konservativer Medienverachtung zu tun. Denn das Ende der Bewegung wurde zwar durch einen öffentlichen indigenen Zeitungsdiskurs dokumentiert, ihre unmittelbare Folge war jedoch keine rationale Ernüchterung, sondern die Erneuerung der allgemeinen religiösen Kommunikation, zu der auch die Bibel gehört, die als oral vermittelte Quelle endzeitlichen Wissens fungiert: »We asked the medicine men why did God let this happen? […] We called tribes all around the country and we also traveled and talked to some of our old people […]. They all told us, yes, this end of the world is coming. No, not everyone is going to die, and no there will be no-one place for survival, and there will not be any one group given the right to be the chosen group to give the people survival. We also talked to Christians who know the bible, who tell us the same thing our medicine men are telling us. It will be a while till this end of the world comes. There is nothing we can do except get closer to God.« (LCOJ 4(5), May 1981)
So wird verständlich, dass die millenaristische Bewegung, auch wenn die Propheten sich öffentlich als falsch entpuppten, eine nativistische Umkehr bei vielen auslöste: »Well, now we have been woke up. Some good things are coming out of it. Many are joining the Midewiwin, many are getting their children and grandchildren Indian names. In different areas Indians are now stopping dance contest powwows [d.h. Powwows, bei denen um Preisgelder konkurriert wird]. Many are turning to Indian drums, and some are sticking with only the ceremonial drums and small, no-money pow-wows. These are the kind of pow-wows our people were given.« (LCOJ 4(5), May 1981)
Der kommunikative Impetus der Bewegung drang auch in die Leserbriefspalten des LCO Journal. In einem Leserbrief widersprach eine Frau aus LCO der Darstellung der Autorengruppe und bekräftigte ihre Treue zur Bewegung:
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE »As we read over the previous articles on this movement, it saddens us that the true teachings of the Indian people can be so misinterpreted […]. A lot of us do not live in harmony, where is the Love and Respect we once had for each other? Where is our Indian way of life our brothers of the North talked about? […] Our brothers from the North did not come to frighten us, but to wake us up to our way of life we’re losing. To show us through the shaking tent that the spirits are concerned about the Indian people. […] If these people who wrote the previous articles know the end is coming and will not die, why aren’t they out there talking to ALL the Indian people?« (LCOJ 4(6), June 1981)
In der Folge der Bewegung setzte ein rationaler Diskurs über Religion ein, in dem sich Standardisierungsprozesse bemerkbar machen wie z.B. ein Bedarf nach Torhütern. Dies zeigt sich beispielsweise schon im September 1981 im LCO Journal. Ein »6th Annual Meeting of Elders« (Teilnehmer leider unbekannt) veröffentlichte ein Communique #3, in dem die elders sich über die Kommodifikation von Religion empörten u.a. über »sundances being run in West Germany by a Lakota“(LCOJ 4(9), September 1981). Schließlich wirkte die Bewegung sich auch auf die Politik der Stammesadministrationen aus, deren Bildungsprogramme einen nativistischen Schub erhielten und für die Traditionalisten geöffnet wurden: »Now, on our reservations we see many programs being drawn toward us, asking us for help. Many of our programs are now trying to get our people ready for something.« (LCOJ 4(5), May 1981) Die Autoren schließen: »Well, now you know about the movement from the west that has hit us. Yes, it has waken many people up.« (LCOJ 4(5), May 1981)
4.3 Zum Ojibwe-Nativismus: Einige Schlussfolgerungen Der Prophetenkult hat historisch in der Region durchaus Vorläufer. Die genaueren Umstände, insbesondere die auslösenden Faktoren der Bewegung, müssen noch erhellt werden, doch ihre bilderstürmerische Vehemenz steht in augenfälligem Gegensatz zur allgemeinen Annahme von der Friedlichkeit des Ojibwe-Nativismus, der mit dem Dream- oder Drum Dance hauptsächlich um soziale Kohärenz, pantribale Freundschaft und Ausgleich mit der weißen Mehrheitsgesellschaft gerungen hat (Vecsey 1983; Vennum 1982). Interessant erscheint mir auch die Tatsache, dass der religiöse Import aus Kanada die Austauschbeziehungen mit Dakotaund Lakota-Gruppen im Westen abgelöst zu haben scheint, und dass USOjibwe sich häufig selbst-abwertend in den kanadischen Ojibwe spiegeln. Ich habe von Informanten häufig Bemerkungen gehört, die Ojibwe in Kanada seien more traditional. Das interessanteste Forschungsproblem, mit dem die aus Kanada kommende Bewegung uns konfrontiert, besteht m.E. in der Tatsache, dass sie weder einzig im Lichte der als starr gescholtenen Forschung über Ojibwe-Religion, noch als popkultureller Hype verstehbar ist. Hier sei nochmals auf den Zusammenhang zwischen indigener Modernisierung, institutionalisierter Wissenskultur und indigener
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Medienöffentlichkeit hingewiesen, in dem sich die Bewegung entfaltete. Es scheint, als ob sie, abgesehen von dem erwähnten Bericht im kanadischen Fernsehen und einem Bericht in der kurz danach geschlossenen Regionalzeitung Ottawa Journal, weitgehend unter Ausschluss des nicht-indigenen Mehrheitspublikums ablief. Indigene Medien spielten eine besondere Rolle. Sie wurden nicht von Vertretern der Bewegung interessengeleitet eingesetzt, anders als z.B. die Hopi prophecy, die von interessierten Traditionalisten aktiv in den Medien verbreitet wurde (Geertz 1992), sondern sie dokumentierten deren Verlauf zeitnah zu ihrem Ende hin – aus einer besonderen Perspektive, die mit den Ausdrucksmitteln des aufgeklärten Printjournalismus die Rückkehr zu einer allgemeinen religiösen Weltinterpretation begleitet. In seinem ungewöhnlich persönlichen Kommentar erklärte Paul DeMain: »I am not afraid to say that I believe in the powers of the Drum. I do, and that is why I have participated with the traditional religions and practices in the past. I also am not afraid of dying within a year, because I have written about our visitors from Canada. […] If there is a bottom line to our experience, it would be that there has been an awakening, that people returned to the Drum, that people have taken a newed interest in the old ways. There is nothing to be ashamed about in this. […] I believe that we can survive with the natural world. […] If the judgment day were to come today, I would be happy to be one of those that did not survive, for those that are chosen will have a long and lonely road to follow […]. But I believe in tomorrow, the next decade, the next century, why else would our elders work so hard to keep our ways alive.« (LCOJ 4(1), January 1981)
Im Lichte allgemeiner Forschung über nativistische Bewegungen scheint es außerdem möglich, dass die allgemeinen oder Mainstream-Medien indirekt als Auslöser der Bewegung wirkten. »People who are used to being politically and economically deprived typically are not driven to escape their dismal, although familiar circumstances. It is only when everyday deprivation becomes conspicuous and measurable, relative to to some other imagined or experienced state, that it can impel people to act in order to change their lives.« (Lindstrom 1996: 372)
Eine solche Relationenverschiebung, die in der Vergangenheit durch Kulturkontakt vermittelt wurde, hat sich m.E. hier im Vorfeld auch abgespielt, und zwar durch die Einführung neuer Medien, die insbesondere in isolierten kanadischen Kommunitäten erst Anfang der 1980er Jahre zugänglich wurden. Es ist noch zu klären, wann die Kommunitäten in Kanada, in denen die Bewegung ihren Ausgang nahm, Zugang zu Satellitenfernsehen bekamen. Granzberg (1982) weist in seiner Studie des seit den späten 1970er Jahren bestehenden TV-Einflusses auf Algonkin-Gruppen in Zentral-Kanada auf den kulturspezifischen Umgang der Kommunitäten mit dem Fernsehen hin. Die von ihm beobachteten indigenen TV-Konsu-
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menten sahen deutliche Parallelen zwischen dem Fernsehen und ihren eigenen religiösen Praktiken des dreaming, divining und conjuring tent, der sog. Schüttelzelt-Technik, bei der ein Heilkundiger verschiedene Geister, manidog, in ein kleines Zelt einlädt, um von ihnen etwas der menschlichen Kenntnis Verborgenes zu erfahren, die Ursache einer Krankheit, den Aufenthaltsort einer Person oder den zukünftigen Ausgang eines Konflikts. Die Anwesenheit der Geister zeigt sich von außen durch heftiges Schütteln des kleinen Zeltes. Diese Technik beherrschten zur Zeit der Forschung Robert Ritzenthalers in den 1940er Jahren noch zwei OjibweHeiler in Wisconsin (Ritzenthaler 1943: 326). »[The] parallels between conjuring and television were overtly recognized and were used to interpret television. Field workers were often told that television was like dreaming or like the conjuring tent. In fact, in many communities, the native word for conjuring tent was the word that was felt to best apply to television.« (Granzberg 1982: 49)
Das Jahr 1980 war ein Krisenjahr. Der Antritt der Reagan-Administration, das Geiseldrama in der amerikanischen Botschaft in Teheran und die allgemein in den Medien entworfenen Atomkriegszenarien können auf besondere Weise zum Entstehen der millenaristischen Bewegung beigetragen haben, aber diese Zusammenhänge werden noch genauer zu prüfen sein. Wie bereits erwähnt, schilderte mir Paul DeMain, der frühere Reporter des LCO Journal und jetzige Herausgeber von News From Indian Country im Jahr 2005 die Ereignisse noch einmal selbst. In seiner persönlichen Erinnerung nimmt ein ritualisiertes Lehrgespräch mit seinem Mentor Pipe Moustache einen zentralen Platz ein: Cora Bender: [The prophets] were Ojibwe, right? Did they speak Ojibwe? Paul DeMain: Oh yes, they spoke fluent Ojibwe, and that was part of the whole thing that went on. And so, let’s analyse the whole thing. Not that there isn’t some essence of truth, perhaps to what is going on in the message. O.k.? If the message is that consumption is heading in a direction that’s gonna eventually destroy the earth. It doesn’t mean that it’s gonna happen next month. If if the message is that global warming is taking over, if the message is that everyone’s reliance on credit card ah transactions and money and Exxon Mobile and George Bush and whatever it may be. […] you’ve had these movements in the past that erupt where there’s a deep sense of betrayal about modernism, a deep sense of betrayal about Christian missionary action, a deep sense of regret that we’re loosing the language, that the environment is being damaged you know and all kinds of things that are going on where there are people who have angry minds and souls CB: Of course. But that doesn’t necessarily make people act. PDM: I think you have to look at what makes people in a community vulnerable to this stuff. At one point I became quite frightened at the atmosphere that I was living in, you know. I was living in that little house powered with gas
R ELIGION , W ISSEN UND I DENTITÄT IN DER INDIGENEN M ODERNE lights. It didn’t have electricity up there, so I had gas lights and it was quiet and it was a creepy old house that was really nice in a lot of ways but during this time I was very much aware of the threats that occurred against me, saying »if you write about this you gonna die within a year«. And I says, »I’m gonna write about this, I have a responsibility, I think, to let native people know that this is going on.« And so I wrote about them and so there was people in the community that says, »there’s discussion about you dying within the next year because you wrote about and defied these people«, like I says, people running around fully believing everything that they were saying and doing everything that they asked. So, I called Pipe Mustache up. (Interview Paul DeMain)
Im Folgenden gibt Paul DeMain sein Telefongespräch mit Pipe Moustache im O-Ton wieder, wobei er Pipes Stimme rau, streng und eine Spur brüsk klingen läßt, seine eigene dagegen ehrerbietig, hoch und ein wenig ängstlich. Paul de Main: And I: »Hey, Pipe! Ey, wa’a [name-sake]«, you know And [Pipe]: »What? I’m getting ready to go to sleep!« And I said, »hey, you know about all the stuff that is going on with these Canadian people, and there’s threats and all that.« [Pipe]: »Yeah, I read your article, yah yah yah.« [PDM]: »It’s kinda scary. Because there are people who attribute these people with a great deal of spiritual power and they displayed it in certain ways, and I’m kind of scared, you know. So what do you think? Is my fear a proper response to this?« [Pipe]: »Well, what’s your Indian name?« And I says, »well my Indian name is Scabewis.« [Pipe]: »And who did you get it from?« I says, »you gave it to me.« [Pipe]: »And you had wa’as [name-sakes], and they’re powerful people?« And I says, »yes, I consider them to be well embedded in the traditional community, and they’re powerful in their knowledge and everything.« [Pipe]: »And they all have clans, right?« And I says, »yeah.« [Pipe]: »And you have a clan? What’s your clan?« And I says, [energisch:] »Bear Clan«, you know. [Pipe]: »And do you believe in the Creator?« And I, »yeah, I believe in the Creator.« [Pipe] »And you belong to Big Drum.« [PDM]: »Yeah I belong to Big Drum.« [Pipe]: »You belong to Midewiwin.« [PDM]: »Yeah, I belong to Midewiwin.« And he says, »Do you believe in that tobacco, you know, and prayer?« And I says, »yeah I believe in all that stuff.« [Pipe]: »Well, then why the hell are we havin’ this conversation?«
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE CB: [lacht] PDM [Pipe]: »I’m goin’ to sleep. Good night!« Boom! You know, and the message was basic. You got faith? Do you trust in those things you believe in? This is a lot of people that these guys gotta go … through and a lot of positive elements of spiritual power that these people have to go through … to get to me! And psychologically, you know, maybe 75, maybe even 90 % of the battle against bad medicine is if someone believes they’re vulnerable to it. So, when I start doubting all those things that I believe in and saying, »something’s scaring me«, you know, Pipe saying, »they’re gonna have power over you. If that’s the way you gonna think. If you don’t believe these guys will hurt you, they’re not gonna hurt you!« It’s gotta go through all this other stuff, and if it’s bad medicine, it’s true bad medicine, it’s gonna bounce back and it’s gonna be so horrible things for them to deal with because playing with bad magic, bad medicine, bad anything, is dangerous! (Interview Paul DeMain)
5 S UBJEK TIVE RELIGIÖSE I MAGINATIONEN HEUTE In der Literatur werden Magie und Schadenszauber bei den Ojibwe als Symptom kultureller Krisen und als Auflösungserscheinungen gewertet; diese Art von religiöser Praxis wäre demnach nicht als Ausdruck religiösen Wissens anzusprechen sondern als Symptom seines Verlusts. Genaugenommen kann jedoch im vorliegenden Fall nicht einmal mit Sicherheit von einer »Praxis« gesprochen werden, denn alles, was ich hierzu an Informantenaussagen aufnehmen konnte, war ein Sprechen über etwas, das andere tun, bzw. ein Sprechen über das, was Zweite sagten, was Dritte tun (vgl. auch Favret-Saada 1977). Es wurde hierdurch deutlich, dass der Diskurs über die schädlichen Auswirkungen eines geheimen rituellen Treibens durchaus verbreitet ist, aber wie weit genau, und ob dieses Treiben tatsächlich besteht, kann ich nicht aus eigener Anschauung verifizieren. Natürlich gab keiner meiner Gesprächspartner mir die Erlaubnis, ihn/sie namentlich zu zitieren, aber Aussagen wie die Folgenden waren nicht unüblich, in allen Reservationskommunitäten, wo ich mit Leuten darüber ins Gespräch kam, nicht nur in LCO: XX and XY are really bad news! XX is not a humble person, XY charges people for the ceremonies, and you never, ever do that. (Anonym) The only really spiritual person here is XZ. But he has been abused a lot, they always asked him to do ceremonies for them, and they never gave anything back. (Anonym) I’ve travelled a lot with spiritual people, and there is something in each of us that you can, like some people know who’s on the phone before they answer?
R ELIGION , W ISSEN UND I DENTITÄT IN DER INDIGENEN M ODERNE I can sense people. […] You can actually get physically sick when you go into a sweat lodge and there’s people in there that are not good. (Anonym) YX is practicing things, bad things. But he is not the only one. (Anonym)
Die Deutung, hierbei handele es sich um eine kulturelle Verfallserscheinung, erscheint mir widersinnig, weil unklar ist, welche Art von Praxis als Horizont zu dienen hätte, von dem aus gesehen der Verfall zu diagnostizieren wäre. Vielmehr deuten diese Aussagen auf eine rege Auseinandersetzung um die Tätigkeit spiritueller Berater hin, die in der Reservation aktiv sind. Einige Gesprächspartner in Lac Courte Oreilles redeten mit mir auch über Geistererscheinungen auf der Reservation, die sich u.a. in der Schule, im Tribal Office und in der Radiostation manifestierten. In manchen Fällen wurden spirituelle Ratgeber hinzugezogen, die die Phänomene erklärten. Der Ansatzpunkt für meine Gespräche mit Informanten war das Symbol, mit dem sich die Radiostation WOJB selbst schmückt, der Donnervogel. Camille Lacapa erklärte mir die Bedeutung: They say, according to our belief, when it’s raining and thundering out there and you can hear that [sie klatscht in die Hände] lighting clap, they say that’s the thunderbird out there, flying around. And you’re not to be afraid of him, because that’s where your prayers go, your thoughts, your good thoughts. When you’re praying you send that up to the thunderbird and he carries that, he’s like a messenger, to the Great Spirit. They say that when it’s raining and thundering like that, you wanna put down tobacco and say a prayer, so that you’re safe from the lighting, because that is powerful. (Camille Lacapa)
Einer der Freiwilligen berichtete über Erscheinungen in der Radiostation: I’ve seen things there. See, I’m kind of in tune to spirits, they come to me. […] Some people have that gift when they see things and others can’t. At WOJB I’ve seen strange things. I can hear voices talking. And not that I’m crazy! But I hear and I’ve seen people, you know like, shadows, not in a physical format, because I don’t think they’re able to show themselves as fully. But we have, I think, a couple of people there that are there because they don’t know how to go on to the other level to where they’re supposed to go. I think they’re spirits that are kind of lost. […] So, at WOJB I think there is a spirit there, people have seen it. In the production room, sometimes if I’m there late at night, occasionally I’ve seen something walk out of the production room or walk into the production room. (Anonym) I think [WOJB] is a big magnet, it draws other things to it. I think it draws not only the spirits there but also I think that it also draws people who are kinda like on the verge of paranoia and those who are [Pause] we call them crazy people, people who are on the verge of being insane. We’ve had people come to the station, out of nowhere. (Anonym)
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE The radio station was always a good one for collecting ghost stories. [XY] and I used to talk about how, you know, the only reason was because of the energy that the station put out drew all the spiritual energy from all over kinda into the station, and things were seen and heard. People have seen images and things like that, they’ve felt things and, you know, all the other things that go along with seeing spirits and stuff like that, but I was never afraid of anything, you know, I kinda …. kinda have just joked about it? Not that I don’t believe there are spirits like that and they come to visit us, because they come to us and probably try to talk to us when things aren’t proper and things aren’t happening correctly, and all that. You know, just something that happens, it’s a normal everyday fact of life. It has never bothered me. (Anonym) We used to get hit by lightning quite a bit, in the early years, until we started actually erecting a feather staff every year. That’s a tree that is erected with an eagle feather on it. (Anonym)
Die Vorstellung, dass WOJB Geister anzieht, ist nicht nur mit dem Gebäude und den Sendeanlagen verbunden sondern auch mit dem ersten Standort des Senders in der damals neugegründeten K–12-Schule der Reservation: There was one story that I might relate, but I don’t know whether or not it’s got anything to do with any hauntings or anything. When they were building the gym, a gentleman got run over by a forklift and was killed. He was a non-Indian person that was working for the development corporation at the time and from what I remember he was hard of hearing, the piece of equipment was backing up and he didn’t hear it and just kinda, before anybody knew it he was underneath it and that was the end of him. And, you know, I mean, there’s been a lot of problems with the building of that school. And you might get some people that say, you know, well, they didn’t originally do correct ceremonies to start the school properly. (Anonym)
Wie bereits in Kapitel VI ausgeführt, finden sich sowohl im LCO Journal als auch in Ed Martins Kolumne viele Hinweise auf Zeremonien, die den schrittweisen Aufbau der Schule begleiteten. Ob gerade das neue Gebäude aus Unachtsamkeit keine anstandsgemäße Einweihung erhielt, und aus welchen Gründen dies möglicherweise unterblieb, kann ich an dieser Stelle nicht erhellen. Es gibt hierzu auch skeptische Stimmen: I don’t really know any ghost stories. Frankly, I’ve never heard any of the stories. (Anonym)
Wichtig für den Zusammenhang ist hier der Diskurs, der Moderne, Wissenskultur und übernatürliche Phänomene zusammenbringt:
R ELIGION , W ISSEN UND I DENTITÄT IN DER INDIGENEN M ODERNE You hear stories of people building on graveyards, and they have hauntings in the houses, and all they need to do is appease the spirits of the people that they disturbed. And once they did that, that was the end of the haunting. So, maybe there is something about that little area there that they never did a ceremony properly. Maybe they never prayed and asked the spirits to give them a good blessing on building the school. And that’s angered the spirits, that’s angered the people that give blessings out. (Anonym)
Auch das alte Tribal Office war nach Informantenaussagen ein Ort, an dem Geister wahrgenommen wurden. Zur Zeit meiner Feldforschung war es in einem schmucklosen, braungestrichenen Flachbau untergebracht, der Anfang 1978 fertiggestellt worden war. Es hatte bereits 1974 ein neues Verwaltungsgebäude gegeben, das den damaligen Stammesrat, die Wohnbehörde, die Finanzverwaltung, Gesundheitsverwaltung und die Registratur beherbergte: »We cannot refer to it always as the new building. Perhaps city or town hall would be appropriate.« (EM 17.01.1974)
Das schlug damals LCO-Kolumnist Ed Martin vor. Das Gebäude wurde 1977 modernisiert, unter zu Hilfenahme eines Grants von $ 500.000 (wie der Sawyer County Record nicht zu vermerken vergaß), und hieß, wie auch heute sein Nachfolger, Tribal Office (SCR 28.12.1977). Das Gebäude wies äußerlich keine Zeichen auf, die es als tribale Institution auswiesen, es war gleichwohl in das Gemeinschaftsleben von LCO integriert und wurde für eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Zeremonien genutzt, beispielsweise für Totenwachen. Bevor im Jahr 2002 das durch den unabhängigen Bestattungsunternehmer Jamie Friend betriebene LCO Funeral Home am County Highway K gebaut wurde, hielten viele LCOFamilien ihre Totenwachen für Verstorbene, wakes, im Tribal Office ab, das dann regelmäßig geschlossen werden musste. Im April 2001 erklärte Tribal Chairman Gaiashkibos, dieser Zustand sei nicht länger haltbar. Er plädierte dafür, ein neues Tribal Office zu bauen, anscheinend aber entschied man sich zunächst für die preiswertere Variante einer Modernisierung (SCR 25.04.2001). I’ve heard stories about people working in the Tribal Office hearing children’s voices, like they’re giggling, having a good time, and when they went to look for the children, they couldn’t find them, you know, and spiritual things like that. (Anonym) XX told me she saw a man, a young man in buckskin, run across the road, turned and looked at her and ran into the woods. It was early in the morning and she was driving, she was gonna go to school or something. And she talked to her father-in-law about it and he told her who it was, some spirit. And then another
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE lady who had seen some things in her house just a little while ago. XY was telling me about this and they went over to see ZZ about it. (Anonym)
Mittlerweile ist das Tribal Office in einem großen, modernen Neubau untergebracht. Ob die Geister mit umgezogen sind, vermag ich nicht zu sagen.
6 D ER M IDE WIWIN -U RSPRUNGSMY THOS HEUTE Auf der Reservation sind verschiedene Ritualgesellschaften, lodges, aktiv, von denen sich insbesondere die Three Fires Midewiwin Lodge unter der Leitung von Eddie Benton regelmäßig in den Medien präsentiert, z.B. in einer Ankündigung der kleinen lokalen Algoma University in Sault Ste. Marie, Ontario, über ein zeremonielles Sommercamp für Jugendliche im August 2009 (www.saultthisweek.com, 01.03.2010). Die Tradition des Midewiwin stiftet Sinn nicht nur über rituelle Aktivitäten, sondern auch durch Narration. Besonders wichtig ist hierbei das Motiv der Wanderung, das im Ursprungsmythos der Medizingesellschaft Midewiwin niedergelegt ist. William Warren übernimmt die Geschichte der Jüdischen Stämme, auf deren Folie er die mythische Wanderung der Ojibwe vom Atlantik ins Seengebiet darstellt; diese Geschichte wird von Edward Benton Banaise in seinem Mishomis Book für Kinder in eine ästhetisch ansprechende, zusammenhängende Darstellung der traditionellen Ojibwe-Kultur integriert, mit erklärenden Bildern versehen, in denen auch modernere Einzelheiten der Ojibwe-Kultur vorkommen wie z.B. kunstvolle Flickenteppiche in der Form großer, gleichsam explodierender Sterne, star quilts, und ein Powwow-Tanz-Kostüm (genauer: der von Männern über dem Kreuzbein getragene Federkranz, bustle). So wird dieses Wissen in einen zeitgemäßen Korpus verwandelt. Die Bezüge zu William Warren werden nicht thematisiert. Während aber bei William Warren verschiedene Stimmen realer Gesprächspartner zu Gehör kommen, die ihre Version von Ojibwe-Geschichte erzählen, erfindet Eddie Benton einen fiktiven Sprecher, Mishomis, der das Bedürfnis nach einem kulturellen Ideal anspricht und weniger eine historisch situierte Figur vorstellt. Die Wanderung der Ojibwe, die Benton ausführlich darstellt, wird von einem anderen Kulturexperten von Lac Courte Oreilles, Jerry Smith, in einem Zeitungsinterview mit dem Sawyer County Record neu interpretiert. Sowohl bei Warren als auch bei Benton ist die Ostküste des nordamerikanischen Kontinents als Ausgangspunkt der Wanderung der Ojibwe auch deren »original homeland« (Benton Banaise 1988: 1). Von dort aus geht die Wanderung über verschiedene Haltepunkte, bei denen jeweils eine Seemuschel am Firmament auftauchte, die die Wanderung leitete und beschützte, nach Madeline Island im Lake Superior, wo man sich schließlich niederließ. Hier wird der Mythos mit der von William Warren aufgezeichneten oral history der Region verküpft. Ihr zufolge ge-
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riet das Leben der Ojibwe auf Madeline Island eines bösen Tages in eine Krise, eine Hungersnot wurde von einigen bösen Medizinmännern dazu ausgenutzt, ein Schreckensregime über die Gemeinde zu errichten. Dabei soll es Menschenopfer und Kannibalismus gegeben haben. Schließlich erschlug man die bösen Medizinmänner und verließ die Insel. Warren erinnert sich, dass die Geschichte Teil seiner Kindheit war; Eddie Benton, der in einer Zeit in Lac Courte Oreilles groß wurde, in der die Reservation noch sehr vom Gegensatz zwischen katholischen und von Katholiken so genannten pagan Indians geprägt war, interpretiert die Zwietracht und Vertreibung von Madeline Island als von den Missionaren gestifteten Unfrieden: »The Black Coats and their Indian converts seemed bent on dividing up the Ojibwey villages into factions. The Christian Indians were encouraged to resent and reject the followers of the Midewiwin Lodge. […] It was about this time that the followers of the Midewiwin were accused of devil-worship and cannibalism. It is possible that some misguided individuals might have attempted to use mud-ji’mush-kee-ki’(›bad medicine‹) on rival factions in the community.« (Benton Banaise 1988: 106)
Jerry Smith, der als spiritueller Ratgeber und Kulturexperte vor allem bei der jüngeren und mittleren Generation von Lac Courte Oreilles in höchstem Ansehen steht, interpretiert die Geschichte zirkulär und platziert das »original homeland« auf Madeline Island, von welchem die Ojibwe vertrieben werden, um einen Wander-Zyklus zu beginnen. In einem Artikel des Sawyer County Record wird dieses Wissen transkulturell neu interpretiert, in diesem Fall mischt sich die Stimme des ehemaligen WOJBMitarbeiters Jim Bailey hinzu, der einen Ausschnitt aus seinem Interview mit Jerry Smith paraphrasiert: »In a story that somewhat parallels the banishment of Adam and Eve from the Garden of Eden, the Ojibwe who lived here originally were punished for misuse of their knowledge by being made to leave their home on Madeline Island, go to the east and live there by the Atlantic Ocean. They forgot where their homeland originally was. At the same time sickness began to shorten their lives. Then the Great Spirit looked down and said ›It’s time to mend the Ojibwe people‹ by giving them the medicine lodge.« (SCR 25.04.2001)
Danach wird die Geschichte weiter erzählt wie bei Benton auch. Die Ojibwe kehren, von der himmlischen Muschel geleitet, nach Madeline Island zurück. Hier wird die Geschichte mit der Oral History der Region verknüpft, wie sie auch bei Warren auftaucht: »After returning to Madeline Island and occupying it for a while, the Ojibwe began to make forays into the mainland. […] It was some Bear Clan people from Madeline Island who came down the Namekagon River valley where the Reserve
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D IE E NTDECKUNG DER INDIGENEN M ODERNE community is now. By the shore of Lac Courte Oreilles, they found the body of an Ottawa warrior.« (SCR 25.04.2001)
Diese zirkuläre Darstellung mit Madeline Island nicht nur als Ziel sondern auch als Ausgangspunkt der Wanderung bietet den indigenen Rezipienten eine Möglichkeit der biographischen Anknüpfung. Die meisten LCO-Leute haben eine solche Migrationsbiographie und sind erst in älteren Jahren, vielleicht auch nach Arbeitsunfällen, auf die Reservation zurückgekehrt. Die Rückkehr ist zumeist auch mit einer persönlichen Hinwendung zu dem verbunden, was man our culture nannte. So engagierte Mahlon Nickence sich beim Kirchenbingo und in der Radiostation, Saxon St. Germaine machte Lokalzeitungen, andere gingen in die Stammespolitik. Aufgrund seiner Arbeit als spiritueller Ratgeber hat Jerry Smith eine große Nähe zu den heutigen Identitätsproblemen, mit denen die Leute in Lac Courte Oreilles sich beschäftigen, und er entwirft hier eine Version der Wanderungsgeschichte, die in der Identitätskonstruktion der heutigen Menschen Dynamik entfalten kann.
7 F A ZIT : I NDIGENE M ODERNE UND SUBJEK TIVE I MAGINATION In diesem Kapitel wurde anhand ausgewählter Beispiele die Formierung religiöser Diskurse in Lac Courte Oreilles im Zuge der Modernisierung und der Bildung einer institutionalisierten Wissenskultur betrachtet. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Dynamik kultureller Veränderungen komplexer ist als eine Dichotomie zwischen traditional und modern zulassen würde. Seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich eine zuvor relativ überschaubar in »Katholiken« und »Heiden« eingeteilte religiöse Landschaft zunehmend diversifiziert. Die Modernisierung und Inkorporierung der Reservation als souveräne Entität, die Herausbildung einer indigenen Moderne sind dabei von verschiedenen spezifischen Widersprüchen und Anpassungen begleitet, die Lac Courte Oreilles von anderen modernen Gesellschaften unterscheiden. Die nativistische Bewegung aus Kanada, die, so lautet zumindest die Vermutung, durch eine medial vermittelte Relationenverschiebung in Gang gesetzt wurde, führte zu einer dauerhaften Revitalisierung religiöser Praxis in der Reservation. Dabei wurden gleichzeitig Professionalisierungstendenzen deutlich. Die Rolle spiritueller Berater, die die Bewegung stoppten und das lastende Schamgefühl darüber aufgriffen und zu heilen versuchten, wurde deutlich gestärkt. Die Transformation von Sozialbeziehungen, in denen Wissen weitergegeben wird, zeigt sich anhand der biographischen Beispiele. Obwohl es in Lac Courte Oreilles für die Individuen üblich ist, viele Jahre ihres Lebens außerhalb der Reservation zu verbringen, sind doch andererseits starke – wenn auch nicht bruchlose – Tradierungsketten zwischen den Generationen nachweisbar. Spirituelle Berater, die auch
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medial, als Autoren und Interviewpartner in Zeitungen, in Erscheinung treten, transformieren den Korpus religiösen Wissens, der in den klassischen Monographien ab dem Ende des 19. Jahrhunderts niedergelegt wurde. Da aber gleichzeitig im religiösen Leben keine Standardisierungstendenzen in Richtung einer einheitlichen Institutionalisierung, z.B. als Kirche, zu bemerken sind, scheint sich die Unsicherheit über die Position dieser spirituellen Berater in Anschuldigungen zu äußern, dieser oder jener engagiere sich in schädlichem rituellem Handeln. Es ist möglich, dass sich hier weniger eine Institutionalisierung abspielt als vielmehr die Herausbildung einer indigenen Variante dessen, was Robert N. Bellah »Civil Religion« genannt hat (Bellah 1967). Religion ist in Lac Courte Oreilles heutzutage so lebendig wie eh und je, religiöses Wissen speist sich jedoch aus anderen Quellen als früher, und seine Praxis entfaltet sich in einem anderen makrogesellschaftlichen Bezugsrahmen. Wiederum wurde deutlich, wie der Wissenskultur-Ansatz helfen kann, die Wechselwirkung zwischen indigenen Wissensinhalten und indigenen Medien darzustellen, die nicht in einer einfachen Gegenüberstellung begriffen werden können. Wie durch die Darlegung deutlich wurde, kann der Rückgriff auf einen zum Kanon gefrorenen Korpus des Wissens über Religion bei den Ojibwe bei der historischen Spurensuche und Interpretation der nativistischen Bewegung helfen; als Messlatte eines fiktiven indigenen Wissenshorizontes taugt er nicht und würde lediglich in eine Ethnologie des Mangels führen. Der Wissenskorpus, um den es tatsächlich geht, wird vielmehr im Handeln der Subjekte formiert. Dieses Handeln speist sich aus einer ganz anderen Schnittmenge sozialer Erfahrung als bloß ein mehr oder weniger lückenhaftes Wissen über rituelle Praktiken des 19. Jahrhunderts. In dieser Schnittmenge enthalten sind Spuren aktueller politischer Krisenszenarios, nativistische Praktiken, fundamentalistische Deutungen der Apokalypse des Johannes und wahrscheinlich auch aus Büchern stammendes Wissen über historische nativistische Bewegungen wie den Geistertanz. Parallel hierzu herrscht jedoch in Lac Courte Oreilles und anderen Reservationen der Region durchaus ein rationaler Diskurs über religiöse Praxis, der nicht länger ausschließlich von der katholischen Kirche dominiert wird, die in gewisser Weise von der Revitalisierung (als Re-Spiritualisierung) profitiert aber gleichzeitig auch ihren hegemonialen Status eingebüßt hat. Der rationale indigene Diskurs über Religion hat sich m.E. nach dem Abklingen der Bewegung mit dem neuen Bedarf nach Torhütern für kulturelle Fragen etabliert. Comaroff und Comaroff kritisieren die Kategorisierung »mystischer« Aktivitäten als »dealing with cultural disintegration« (Comaroff und Comaroff 1993: XVIII). Rituelle Aktivitäten sind in ihrer Darstellung vielmehr täglicher Bestandteil des praktischen Lebens in einer postkolonialen afrikanischen Moderne, in der die Aufführung der großen, totalisierenden, öffentlichen Zeremonien eine eher seltene Erfahrung darstellt. In gewisser Weise analog zu diesem Nebeneinander des öffentlichen Zeremonialismus und der alltäglichen, nicht durch Autoritäten sanktionierten rituellen Praxis kann für Lac Courte Oreilles eine
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ähnliche Gleichzeitigkeit verschiedener religiöser Formen und Diskurse nachgewiesen werden, an denen Medien wiederum konstituierenden Anteil haben. Einer der wichtigsten Schlüssel, den die Ethnologie besitzt, um diesen Entwicklungen auf die Spur zu kommen, ist, neben der historischen Rekonstruktion, die Analyse subjektiver Praktiken. In einem Setting, das so sehr auf Identitätsbildung, auf Definition und Redefinition symbolischer Grenzen beruht, ohne dabei aber durch klare Grenzziehungen aufteilbar zu sein, vermittelt uns der Fokus auf dem Subjektiven und Emotionalen in den Praktiken kultureller Imagination sehr viel mehr als nur eine Momentaufnahme persönlicher Befindlichkeiten. Wie Identitäten entstehen, wie imaginierte Gemeinschaften und Abgrenzungen gegen andere zustandekommen und vor allem, was sie im Leben von Menschen tatsächlich bedeuten, das erfahren wir aus den Zeugnissen von Subjekten, die über ihre Praktiken der Grenzziehung, Grenzüberschreitung, Definition und Neudefinition von Zugehörigkeit berichten.
IX Lac Courte Oreilles: Charakteristika einer indigenen Moderne
In den vorangegangenen Kapiteln wurde am Beispiel der Reservation Lac Courte Oreilles die Entstehung einer indigenen Moderne mit einer verselbständigten institutionalisierten Wissenskultur untersucht. Der Fokus lag dabei auf den indigen kontrollierten Medien, die diesen Wandel befördert und seine Folgen vermittelt haben. Die indigenen Medien wurden in ihrer Einbettung in die lokale Wissenskultur und Bildungspolitik, als Arbeitsplatz und Werkzeug kulturellen Protests, als Objekt von Manipulationsversuchen, als Werkzeug für einen internen gesellschaftlichen Wandel, als Auslöser und Vermittler religiöser und Identitäts-bezogener Diskurse dargestellt. Um zu Aussagen über die sozialen Auswirkungen dieser Medien zu gelangen, wurden WOJB und das LCO Journal auch inhaltlich, in ihrer bildprägenden Kapazität, aber schwerpunktmäßig als Akteure in der sozialen Interaktion zwischen Lac Courte Oreilles und seiner Umgebung und innerhalb der Reservation als Institutionen einer neugewonnenen Selbstbestimmung betrachtet. Dabei hat sich gezeigt, dass die traditionellen Arbeitsfelder der Ethnologie – die Bereiche direkter Kommunikation und Interaktion, die Darstellung des Politischen in seinen Mikrostrukturen und seine Einbettung in Verwandtschaft (Kohl 2000) – auch unter den Bedingungen der Moderne deren »scheinbare Beziehungslosigkeit in sinnvoll zu untersuchende kleinere, in zeitlich-räumlich miteinander in Verbindung stehende Einheiten (sprich: Beziehungen zwischen Menschen)« auflösen kann (Dracklé 1999: 262; s.a. Miller 1995). Der Wissenskultur-Ansatz ermöglicht dabei eine Zusammenschau von Komplexen, die herkömmlicherweise nicht zusammen gesehen werden, z.B. in Verbindungen zwischen der Bildungs- und der populären Volkskultur, der indigenen Souveränität und dem indigenen Patriotismus, dem Midewiwin-Wanderungsmythos und der modernen indigenen Migration. Medien haben für die Herausbildung einer eigenen indigenen Moderne eine große Bedeutung. In den politischen Auseinandersetzungen der 1980er
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Jahre ist die Wirkungsweise von indigen kontrollierten Zeitungen und Radio bis in Einzelheiten hinein nachweisbar. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten betätigen indigene Medien sich dabei in einem engagierten Investigativ- und Dokumentationsjournalismus. Ohne das Mitwirken indigener Medien wäre die treaty rights-Kampagne den Stämmen von Nord-Wisconsin m.E. verloren gegangen. Die Rolle indigener Medien in der internen Modernisierung ist hingegen genau so widersprüchlich wie die Moderne, die daraus entstand. Als politische Gemeinschaft hat Lac Courte Oreilles sich weitgehend von den assimilationistischen Konzepten der 50er Jahre gelöst, und LCO-Politiker aller Couleur vertreten heute den Anspruch auf Selbstbestimmung. Diese Entwicklungen werden von vielfältigen Diskursen um Professionalität und Qualitätsstandards begleitet. In Lac Courte Oreilles entwickelte sich im Zuge der Modernisierung ein Spannungsverhältnis zwischen Medien und Stammesregierung. Die weitere Ausdifferenzierung des Verwaltungssystems und der tribal verwalteten Programme schafft neue Notwendigkeiten, die Reservationspolitik in der Reservationsöffentlichkeit darzustellen und bei Wahlen zum Stammesrat mediale Wahlkämpfe auszutragen. So kommen indigene Medien nicht nur dazu, indigene Politiker zu kontrollieren (oder dies zumindest zu versuchen), sie tragen auch zu deren Professionalisierung bei. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass indigene Souveränität, bei deren Implementierung indigene Medien eine so große Rolle spielen, ohne eine gleichzeitige Festschreibung demokratischer Rechte für die Rechtsstellung und die Arbeitsbedingungen indigener Journalisten auf ihren Reservationen ein Handicap darstellt. Es rief in Lac Courte Oreilles so starke Interessenkonflikte hervor, dass die anfänglich engen Beziehungen zwischen der Stammesregierung und dem LCO Journal und der Radiostation über die Jahre immer weiter aufgelöst wurden und heute praktisch entaktualisiert sind. In den 70er und 80er Jahren haben sich politische Aktivisten um Sitze im Tribal Council bemüht. In den vergangenen zehn Jahren macht sich hingegen ein neuer Diskurs bemerkbar, der sovereignty aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus interpretiert und in den Resten reservationsinterner kommunaler Eigentumsverhältnisse potentiell eher Hindernisse für den erhofften indigenen Wirtschaftsboom sieht. Mit dieser vielfach auch von Indigenen kritisierten Casino-Philosophie einher geht eine von vielen Stammesmitgliedern als undurchsichtig erlebte politische Praxis, in der es keine ausreichenden öffentlichen Foren für Konfliktlösungen gibt. Dies zeigt sich beispielsweise an dem bereits viele Jahre schwelenden Streit um die Stammesmitgliedschaft. So ist der Zugang zur Stammesmitgliedschaft in einer Weise gestaltet, dass die historisch bei den Ojibwe üblichen Praktiken der langsamen Ansammlung von Autorität als Händler, Ratgeber, Redner, Schlichter von Konflikten, die ein Individuum vom Rand ins Zentrum des politischen Geschehens bewegten, sich wandelten und immer mehr jenen Praktiken Platz machen mussten, die heute in der Ethnologie als »policing the boundaries« bezeichnet werden. Dies hat wiederum Einfluss auf das Klima, in dem kulturelle Transmis-
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sion stattfindet. »Kultur« wird unter den Bedingungen dieses essentialisierten, biologisierten Zugangs zur Gemeinschaft zu einem knappen Gut; seine Verwaltung und Weitergabe höchst konfliktreich, wie sich auch am Beispiel der alten kulturellen Praxis der Akquirierung fremder Expertise zeigt. Welche Rolle z.B. heutzutage ein vom Stamm angestellter nicht-indigener Archäologe in der Kommunität spielen kann, ist durch die historische Erfahrung der Ojibwe mit fremden Autoritäten vorgeformt, die den Ojibwe gegenüber entweder als Cultural Broker oder als Bevormunder, als Händler oder Regierungsfarmer, auftraten. Die Rolle externer Experten, die bei der Errichtung einer eigenen institutionalisierten Wissenskultur unverzichtbar sind, wird m.E. heutzutage ebenfalls immer stärker unter den Bedingungen des »policing the boundaries« ausgehandelt, nicht immer zum Vorteil der Kommunität. Andererseits ist die indigene Kritik an den eigenen Verwaltungen und der politischen Führung auch vor dem Hintergrund einer über viele Jahrzehnte zwanghaft eingeschliffenen Selbstabwertung zu betrachten, die historisch noch aus dem Eroberungsdiskurs stammt. Die Wahrnehmung der eigenen Professionalität, Qualitätsstandards, Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit ist meiner Erfahrung nach oft unangemessen negativ. Die indigenen Medien von Lac Courte Oreilles haben es verstanden, bei der Durchsetzung indigener Souveränität mitzuwirken und sich gleichzeitig mit der Eroberung regionaler bzw. nationaler Märkte von der Stammesregierung finanziell unabhängig zu machen. Sie haben potentiell die Möglichkeit, Foren für die stammesinternen Konflikte zu bieten, haben sich jedoch mit der Wahl ihrer regionalen bzw. nationalen Formate, die eigentlich eine ungeheure Verbreiterung der indigenen medialen Reichweite darstellen, aus der lokalen Berichterstattung herausgezogen. Sie wirken aber ganz entscheidend mit bei der Herstellung und Aufrechterhaltung eines »diskursiven Freiraums« für tribale Kommunitäten, denen unter der Bush-Administration in den vergangenen Jahren politisch der Wind heftig ins Gesicht wehte. Ein genauerer Blick auf die Konflikte zwischen Stammesregierung und den Medien hat gezeigt, dass die Indigenisierung von Medien nicht hauptsächlich eine Frage der technischen Aneignung ist, sondern dass dabei in Wirklichkeit komplexe Apparate und Strukturen indigenisiert werden müssen, d.h. z.B. Radioformate, die sich als komplexe Strukturen aus politischen Grundüberzeugungen, Finanzierungsmodellen und ästhetischen Praxen darstellen. Diese Radioformate können nicht nach Belieben umcodiert werden, selbst wenn das indigene Publikum mit seinen quer zum amerikanischen Mainstream liegenden Bedürfnissen nach progressiver Berichterstattung und seinem eigentümlichen Musikgeschmack zwischen konservativem Country & Western und lokaler Powwow-Musik von keinem dieser Radioformate angesprochen wird. Die Nutzung von allgemeinen kommerziellen Nachrichtendiensten wie Associated Press durch indigene Medien zeigt, besonders im Fall der nationalen News From Indian Country, dass es keineswegs keine Nachrichten über indigene Kommunitäten gibt, sondern dass es auf
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die richtigen Techniken ankommt, diese Nachrichten zu indigenisieren. Insofern trifft auch auf die indigene Aneignung von komplexen Systemen wie Nachrichtendiensten, Medienformaten, ja sogar von ganzen Bildungssystemen zu, was Patricia Loew, auf Benedict Anderson (1991) Bezug nehmend, für das Verhältnis der indigenen Bevölkerung zur Kultur der Druckerpresse festgestellt hat. Durch die schrittweise Umfunktionierung dieser Systeme vom Unterdrückungswerkzeug zu einer Waffe gegen die Unterdrückung sei es den ehemals kolonial Entmündigten gelungen, sich von der imaginierten Gemeinschaft Amerika, in welche sie hineinassimiliert werden sollten, mithilfe eben jener Zivilisierungswerkzeuge wieder abzugrenzen (Loew 1998: 2). Mittlerweile sind aus den »Kampfwerkzeugen« selbstkontrollierte Institutionen geworden, in denen sich nach Ansicht der indigenen Bevölkerung ihre Souveränität manifestiert, die dabei aber auch unter dem Druck einer ziemlich deutlich formulierten Heilserwartung stehen. An der Herausbildung selbstkontrollierter Institutionen, vor allem dem tribalen Bildungssystem, haben indigene Medien einen wichtigen Anteil, allein schon durch ihre kontinuierliche Berichterstattung über die jeweiligen neuesten Fortschritte und durch die Dokumentation einer Fülle neuer Termine und Aktivitäten im Umfeld dieser Institutionen, die zu den wichtigsten Zentren der revitalisierten Kultur wurden. Hier entwickelte sich durch das Zusammenwirken von tribalen Medien und dem entstehenden Bildungssystem eine besondere Dynamik hinsichtlich der Festkultur in Lac Courte Oreilles, die im Großen und Ganzen ent-alkoholisiert und zu einem der kulturellen Heilung verschriebenen Forum wurde. Diese Dynamik konnte sich m.E. nur entfalten, weil die selbstkontrollierten Institutionen von Lac Courte Oreilles von Anfang an eine hohe Anzahl von LCO-Leuten als Mitarbeiter, auch in Leitungspositionen, aufwiesen, die durch die Bildungsprogramme des Stammes gezielt gefördert wurden. Gleichzeitig kämpfen die meisten dieser Institutionen mit personeller Instabilität, die durch vielerlei Faktoren zustande kommt. Die LCO-Schule und das College sind heute ein Ausdruck des erstarkenden Selbstwertgefühls der LCO-Bevölkerung, sie kämpfen aber immer noch mit den Folgen der ehemaligen politischen Bevormundung durch die Leute aus Hayward und mit der dort immer noch herrschenden herablassenden Grundhaltung, die auffallend oft die Folie für eine überkritische Selbstdurchmusterung in Lac Courte Oreilles darstellt. Das subtilste Problem dieser selbstkontrollierten Institutionen sind m.E. die latenten Ängste und Vorbehalte der LCO-Bevölkerung, die sich in einer ambivalenten religiösen Imagination rund um diese Institutionen manifestieren. Dies hat m.E. einerseits mit der Tendenz zur Instabilität zu tun, die vor dem Hintergrund der historisch allzu oft erfahrenen radikalen Umschwünge in der US-Indianerpolitik bei den Betroffenen eine eher abwartende, ablehnende Haltung hervorruft. Auch ist in vielen internen Streitereien für die LCO-Öffentlichkeit klar zutage getreten, dass unklar ist, wer die selbstkontrollierten Institutionen kontrolliert. Und zum Schluss sind diese In-
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stitutionen, obwohl im Streit mit der Mehrheitsgesellschaft, doch auch korrespondierend zu ihr entstanden. Es hat den Anschein, als ob sich zur Mediation der hierdurch hervorgerufenen Vorbehalte und Ängste eine Parallelstruktur eines Beratungsdiskurses entwickelt, in dem spirituelle Ratgeber, die bei keiner Neueröffnung und keiner institutionsinternen Feierstunde fehlen, durch zeremonielle Handlungen die institutionelle agency bändigen. Auch Medien sind als Institutionen, wie sich im Falle der Radiostation gezeigt hat, ambivalent belegt. Die Instabilität der Institutionen und die Rolle spiritueller Ratgeber verdeutlicht die bei den Ojibwe damals wie heute zentrale Rolle starker Individuen. Manche Institutionen sind selbst von der Präsenz einer Person abhängig. Ein tribales Gericht, vor dem z.B. die in LCO oft lange schwelenden Arbeits- und Familienstreitigkeiten entschieden werden könnten, hörte nach dem Ableben des in der ganzen Reservation hochgeschätzten Judge Barber für Jahre auf zu existieren und ist erst in jüngerer Zeit wiederbelebt worden. Was die Konstitution persönlicher Autorität betrifft, so scheint es aufgrund der Diversifizierung der Wissenskultur mehr denn je Uneinigkeit darüber zu geben, welche Qualifikation ein Individuum mitbringen muss, um diese Rolle anerkanntermaßen zum Wohle der Gemeinschaft auszufüllen. Die hierbei genannten Werte spiegeln zugleich die Diversifizierung der Wissenskultur wider: gute Familienherkunft, gute Ausbildung, spirituelle Kräfte und ein enger Bezug zur eigenen Kultur, gute Artikulations- und Durchsetzungsfähigkeiten gegenüber der nicht-indigenen Welt sind Eigenschaften, die einander u.U. diametral widersprechen. Daher gibt es nicht wenige persönliche Konflikte zwischen starken Individuen, die sich letztlich nach dem in der klassischen ethnographischen Literatur über die Ojibwe bereits beschriebenen Muster entladen. Ob dabei Schadenszauber tatsächlich betrieben wird oder ob nur der Vorwurf schwelt, ist unklar. Ein Punkt, der noch weiterer Erhellung bedarf, besteht in der Konstitution persönlicher Autorität durch direkte Weitergabe von Wissen und Haltungen von einer Generation an die nächste. Hier scheint, entgegen anderslautender Befürchtungen, die Transmission in der Familie nicht vollständig unterbrochen, sondern hat sich eigentümlich spezialisiert. Während in der Familie Wolf beispielsweise, die sich auf den letzten Erbhäuptling des 19. Jahrhunderts, Maingan, zurückführt, einen autoritativen Professionalitätsdiskurs in die Stammesadministration trägt (oder dies zumindest versuchte), hat sich über die Linie, die von dem letzten Schamanen von LCO, Shoniageeshik über Pipe Mustache zum Journalisten Paul DeMain geht, ein Diskurs alternativer Machttechniken übertragen, der LCO-Institutionen rituell oder per investigativem Zeitungsartikel »reinigt« und zu viel persönliche Macht zerstäubt. Auch Saxon St. Germaine mit ihrer Mutter und ihrem Sohn Rick, dem Bildungspolitiker und Tribal Chairman, konstituieren eine Transmissionslinie, in der indigene agency aus dem Bereich der Post-Frontier-Volkskultur in die Bildung transferierte. Weiter Beispiele könnten leicht gefunden werden.
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Die Medien von LCO spielen bei der Formierung persönlicher Autorität eine durchweg konstruktive Rolle. Sie bewirken eine wachsende Politisierung und kulturelle Reflexivität bei den Individuen, sie stellen durch ihre exponierten Persönlichkeiten (Moderatoren etc.) positive Rollenmodelle und durch Portraits von LCO-Leuten positive und wirklichkeitsnahe Biographiemodelle zur Verfügung. Die Tatsache, dass ihr Arbeitsalltag durch ein gewisses Maß an Anpassungsdruck an die amerikanische Arbeitsmoral und durch Selbstausbeutung der Redaktionen gekennzeichnet ist, mag einzelne dort verärgern; im Zusammenhang mit der häufig geübten Kritik an der Arbeitsmoral vieler Einheiten der Stammesverwaltung wird jedoch klar, wie wichtig es ist, dass WOJB und das Team von Indian Country Communications auch praktisch die Werte vermitteln, die sie inhaltlich vertreten. Die Implementierung indigen kontrollierter Institutionen zieht nicht nur in Lac Courte Oreilles Debatten um die damit verbundenen Werte nach sich. Für viele indigene Intellektuelle ist die indigene Souveränität, wie sie sich heute präsentiert, ein Ergebnis externer und interner Kolonisation (Alfred 2004). Taiaiake Alfred sieht die größte Herausforderung in der Meisterung des Wertekonflikts, der sich aus dieser Verwurzelung indigener Souveränität im Kolonialrecht ergibt. Es gehe darum, den Begriff der Souveränität von diesen Wurzeln zu lösen und zu transformieren, um zu angemessenen postkolonialen indigenen Regierungssystemen kommen zu können. Tatsächlich hätten aber viele indianische Politiker, vor allem die der gegenwärtigen Generation, ein Politikverständnis, das sich in keiner Weise von dem Machthunger nicht-indigener Politiker unterscheide: »Indigenous politicians regard the nationhood discourse as a lever to gain bargaining positions.« (Alfred 2004: 468) Dieser Art von Souveränität, die ein bloßes soziales Konstrukt und in keiner Weise in der natürlichen Welt verankert sei, wäre nach seiner Ansicht ein Konzept entgegenzuhalten, das an die Stelle des intellektuellen Imperialismus ein modernes, postkoloniales Verständnis der Situation setzt und auf der intellektuellen, politischen und rechtlichen Anerkennung der existierenden Diversität von Sprachen und Wissenssystemen beruht. Dies leitet er aus Reflexionen ab, die er als »Native philosophical alternative« bezeichnet: »Many traditionalists hope to preserve a set of values that challenges the destructive, homogenizing force of Western liberalism and materialism: they wish to preserve a regime that honors the autonomy of individual conscience, noncoercive forms of authority, and a deep respect and interconnection between human beings and the other elements of creation.« (Alfred 2004: 470)
In dieser postkolonialen, multikulturellen Vision werden eine ganze Reihe von Problemen der »indigenen Souveränität« angesprochen, die eigentlich Probleme der Modernisierung indigener Kommunitäten und der Formation einer indigenen Moderne sind. Es stellt sich durch die Konsolidierung einer selbstkontrollierten institutionalisierten Wissenskultur
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den Akteuren die Frage der Selbstgestaltung – nach welchen Grundsätzen operieren indigene Regierungsorgane und Bildungseinrichtungen, und wie sieht eine indigene tribale Öffentlichkeit aus? Wie und nach welchen Prinzipien sollen diese Prozesse gesteuert werden? Hier existieren eine ganze Reihe widersprüchlicher Wertnormen. Die Haltung, dass LCO eine Familie ist, aus der keiner aufgrund seines Verhaltens ausgeschlossen werden kann, sei er auch Alkoholiker oder Gefängnisinsasse, ist nach meiner Erfahrung ein Grundwert, der LCO charakterisiert und z.B. von nichtindianischen Nachbargemeinden abgrenzt, wo die Marginalisierung zur sozialen Alltagspraxis gehört. Die Bildungsinstitutionen stehen jedoch unter dem Druck, erfolgreiche Absolventen zu produzieren, und es scheint nicht klar, wie man mit Individuen verfahren will, die sich z.B. zu Straßengangs nach dem Muster der umliegenden Großstädte zusammenschließen. Die Lebenswelt von Reservationsjugendlichen kommt in indigenen Medien, trotz einiger Anstrengungen, die hier unternommen werden, zu selten vor, obwohl LCO-Familien kinderreich sind und Jugendliche sich z.B. in der Powwow-Kultur sehr zu Hause fühlen. Hier macht die Navajo Nation mit ihrer Jugendwelle KWRK vor, wie indigenes Jugendradio sich anhören könnte. Die indigenen Medien in LCO haben sich auf der Grundlage eines bürgerlich-intellektuellen Publikums, das sie ansprechen, selbständig gemacht; teilweise kommt dafür aus LCO Kritik. WOJB aber balanciert m.E. erfolgreich zwischen dem bildungsbürgerlichen und dem nach amerikanischen Maßstäben eher proletarisch geprägten Publikum von LCO, wirkt pädagogisch auf die Bildungsbürger ein, ohne dem indianischen Publikum elitäre Diskurse aufzudrängen. Die Musiksendungen sind ein Forum für lokale Kommunikation, und in Diskursen wie dem um indigenen Musikgeschmack sind m.E. das lebendige Wissen von Lac Courte Oreilles anzutreffen, das keiner Rückversicherung bei Experten und Institutionen bedarf. Der Musikgeschmack ist ein Bereich des Alltagslebens, in dem LCO-Leute ohne Vorbehalte über ihre Prägungen und ihre Expertise reden, ansonsten macht sich, was das eigene kulturelle Alltagswissen betrifft, eher die Haltung bemerkbar, dies sei unzulänglich und irrelevant. Die Medien vertreten gegenüber den LCO-Politikern einen postkolonialen Multikulturalismus als Bildungsideal, nach dem Motto, »jeder muss werden dürfen, was er ist«, während manche LCO-Politiker sich eher auf den Standpunkt eines amerikanischen Provinzialismus zu stellen scheinen, nach der Devise, »jeder will werden, was wir schon immer waren«. Beide Auffassungen vertreten aber ähnlich überzogene Erwartungen an die Art von kulturellem Programm, das Medien und Bildungssystem zu liefern hätten, nach einem wahrscheinlich aus der amerikanischen Indianerpolitik ererbten Schema von Reform und Heilserwartung. Dabei besteht die Tendenz, Medien, wie z.B. den Kalender, den LCO jährlich herausgibt, schwerpunktmäßig zur Dokumentation dessen einzusetzen, was als authentische Ojibwe-Kultur Geltung hat, also das Wissen der
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Alten, traditionelles Wissen um Wildreis, die Verwendung von Birkenrinde, medizinisches Wissen etc. (Vgl. Abb. 39) Abb. 39 Elders als Kulturbewahrer: Der LCO-Kalender für das Millenium zeigt Mary Frogg Sutton, eine der letzten Frauen und Männer in LCO, die Ojibwe noch muttersprachlich beherrschen.
Foto: Cora Bender, 2010. Foto auf dem Kalender © Alfred C. Bonanno, 1999.
Es gibt also durchaus unterschiedliche Konzepte, was unter kulturellem Wissen zu verstehen wäre. Die von Barth vorgeschlagene Einteilung in Wissenskorpus, Sozialbeziehungen und Medien hat sich am Beispiel der Religion in Lac Courte Oreilles als ein nützliches Gerüst erwiesen, erweckt jedoch den Eindruck, es existiere sozusagen in der Mitte des Geschehens a priori ein objektiver Korpus kulturellen Wissens, der durch verschiedene Techniken der Akteure evoziert wird wie ein Ahnengeist. Unter den Bedingungen der Wissensteiligkeit, die sich in modernen indigenen Wissenskulturen wie Lac Courte Oreilles entwickelt hat, erscheint dieser Begriff, wenn man ihn falsch versteht, zu statisch. Wie wäre hiermit z.B. das religiöse Wissen zu fassen, das sich in der Ethnographie von Lac Courte Oreilles, in der Praxis der spirituellen Berater, der drei falschen Propheten aus Kanada und den introvertierten religiösen Anschauungen eines indigenen Radiomoderatoren niederschlägt? Entweder existieren zu einem ersten Korpus mehrere alternative oder Gegen-Korpora, oder aber »Korpus« wäre nur als eine von verschiedenen möglichen Erscheinungsformen von Wissen in sozialer Interaktion zu verstehen, z.B. als die Form, die Wissen annimmt,
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wenn es in Professionalisierungs- und sozialen Differenzierungsprozessen zu einem Objekt von Kontrolle wird. Eine dritte Variante des Umgangs mit dem Begriff könnte, wie sich gezeigt hat, darin liegen, mit »Korpus« jene bestimmte Eigenschaft von Wissen zu bezeichnen, den Akteuren als objektive Kraft entgegen zu treten, die das Wissen vom bloßen Gedanken, vom Bild, von der persönlichen Erfahrung unterscheidet, und mit dem Wissensbestände realitätsbildende Kraft erhalten. Mit Korpus wäre dann die dialogische Qualität von Wissen zu bezeichnen: Eine Konstruktion wirkt dann sozusagen im Auge des Gegenübers als Wissen auf den Akteur zurück. Daran lässt sich eine Reflexion über die von Robb in der Kritik an Barth aufgeworfenen Frage nach dem Verhältnis historischen Wissens und sich neu bildender Wissenseliten anknüpfen. Hierbei geht es um den kulturellen Genozid an der Urbevölkerung Nordamerikas, der aus dieser Perspektive zu jenen in der Einleitung beschriebenen Tendenzen der Verabsolutierung kulturell motivierter Konfliktlagen zu zählen wäre. Als ethnographisches Datum ist er ein Aspekt des dieser Studie zugrundeliegenden Forschungsgebiet, eine im heutigen politischen Diskurs des indigenen Nordamerika paradigmatische Dichotomie zwischen den Opfern, den nordamerikanischen Ureinwohnern, einerseits und den Tätern, den Einwanderern und ihren Kulturen, andererseits. Diese Dichotomie soll hier nicht geleugnet aber auch nicht zum Antagonismus aufgeblasen werden. Am konkreten Material zeigt sich immer wieder, dass diese aus der heutigen Beurteilung der Geschichte stammenden Definitionen des wer gegen wen den historischen Akteuren nicht jederzeit und an allen Orten in dieser Weise präsent waren. Die Ojibwe der Jahrhundertwende im Nordwesten von Wisconsin unterschieden sich in vielem nicht von ihren polnischen Nachbarn – sie waren Katholiken und Schwarzbrenner, sie schlugen sich als Schmuggler, Fallensteller, Kleinbauern und Tagelöhner durch, sie wurden von den lokalen Kapitalisten übervorteilt und hatten weder eine politische Vertretung noch eine öffentliche Stimme. Allerdings darf hier wiederum die lokale Perspektive nicht verabsolutiert werden: Im Ganzen gesehen hat es einen nordamerikanischen Genozid gegeben; im Ganzen gesehen haben die Ureinwohner den nordamerikanischen Kontinent an die Einwanderer, an Europa, verloren, und gibt es immer noch systematische Unterdrückung, Ignoranz, Verachtung, Rassismus, Feindseligkeit und Ausbeutung im Umgang mit indigenen Bevölkerungen und ihren Kulturen. Wie entstehen diese neuen Diskurse? Seit wann »wissen« nordamerikanische Ureinwohner von ihrem Genozid? In Isabel Fonsecas Forschung über die historische Erinnerung des Holocaust bei osteuropäischen Roma und Sinti finde ich eine interessante Parallele. Kollektive Erinnerung, so ihre Beobachtung, bildet sich erst seit den frühen 1990er Jahren im Zusammenhang mit einer gerade entstehenden eigenen Intelligenz, wohingegen im täglichen Diskurs der osteuropäischen Roma und Sinti die Erinnerung an den Holocaust annulliert, schlicht nicht vorhanden ist (Fonseca 1996). Die Frage, die sich daran anschließt, lautet: was ist dazu nötig, dass etwas gewusst wird? Bilden sich
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neue soziale Gruppen wie z.B. Minderheiteneliten im Zusammenhang mit einem historischen Erbe, das gewusst werden muss? Weitere eingangs gestellte Fragen richteten sich auf den Charakter des Wandels, dem sowohl die Wissensbestände als auch die Sozialorganisation der Wissenden unterworfen sind – Wandel, den Barth vorerst nur endogen konzeptualisiert, als Druck, der durch »idle speculation« der schöpferisch Wissenden auf die Grenzen konventioneller Wissensbestände ausgeübt wird. Aus der Perspektive der Medienethnologie lässt sich hierzu sagen, dass ein Wandel der Wissensbestände sich als Wechselwirkung zwischen Struktur und agency zeigt, und häufig durch die Einführung von Mainstream-Medien ausgelöst wird, die eine enorme Perspektivenverschiebung vermitteln. Der Wandel liegt also nicht so sehr in einer kulturellen Korruption oder McDonaldisierung als vielmehr in der Einführung eines völlig neuen Bezugsrahmens, der ältere Wissensbestände nicht in jedem Fall automatisch entwertet, aber die Kategorien ihrer Anwendung verändert. Welche tiefgreifenden Einsichten andere, nicht-westliche Wissenssysteme uns über die agency von Medien vermitteln können, wird erst in neueren Forschungen langsam sichtbar (vgl. z.B. Hahn und Schüttpelz 2009; Zillinger 2010). Selbstkontrollierte Medien haben die Kapazität, bei der Verarbeitung dieser Perspektivenverschiebung zu helfen. Hierin ähnelt eine indigene Reservationszeitung funktional durchaus der indigenen Kunst, wie z.B. den Eyedazzler genannten Navajo-Teppichen, mit denen die kulturelle Entwurzelungserfahrung während der Zeit der Deportation verarbeitet wurde, den patriotischen Perlstickereien der Plains-Kulturen der frühen Reservationsperiode oder den Binsenmatten mit christlichen Motiven. Durch die Studie wurde auch klar, wie komplex die Entstehungsbedingungen indigener Medien im Rahmen von Wissenskulturen sind. Diese Bedingungen begründen einerseits die Existenz indigener Medien, indem sie zur Motivation zu ihrer Entstehung beitragen, andererseits bilden sie fortlaufend den Themenpool, aus denen indigene Medien die Mosaike ihrer Präsentationen zusammensetzen und begründen daher Medien inhaltlich. Andererseits begründen (nicht: legitimieren!) Medien durch ihre Sinnkonstruktionen die Existenz ihrer eigenen Bedingungen. Außerdem wurden Einsichten zum Verhältnis von Kultur und Wissen gewonnen. Was das Verhältnis von Wissen und Kultur betrifft, so sind m.E. die Vorteile des Wissens- vor dem Kulturbegriff bei Barth gleichzeitig auch seine Nachteile. Man muss hier einfach einwenden, dass Kultur mehr umfasst als bloß jenen Aspekt, der operationalisierbar, d.h. in seiner sozialen Verteilung genauer messbar, als Korpus genauer bestimmbar und seinen medialen Erscheinungsformen genauer rekonstruierbar ist. Kultur bezeichnet, wie Barth selbst sagt, Aspekte des menschlichen Denkens und Handelns, die der Wissensbegriff nicht abdeckt, die aber trotzdem nicht aus der Forschungsproblematik herausgerechnet werden können, die diffus, emotional, uneindeutig, über mehr als nur eine bestimmte Anzahl involvierter sozialer Gruppen verteilt und deren historische Kontinuität oft nicht direkt
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kausal zu erklären ist. Zum Schluss steht auch die Frage, inwieweit Kultur, insofern Kultur als messbar und operationalisierbar konzeptualisiert wird, nicht doch wieder zur Hierarchienbildung (ver)führt; nicht ganz zufällig führt Barth seine ethnographischen Fallbeispiele in einer Reihenfolge zunehmender Komplexität vor. Nach einer im Rahmen des Forschungskollegs »Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel« entwickelten Wissensdefinition, die ich hier aufgreifen möchte, ist Wissen »gleichbedeutend mit dem konzeptuellen Aspekt von Kultur« (Feest 2003). Das bedeutet, den Wissensbegriff aus dem Kulturbegriff abzuleiten. Wissen ist also weder kulturell kontaminiert noch in erster Linie durch irgend ein konkret bestimmbares Merkmal seines Aggregatzustandes definiert, z.B. wo und wie es aufbewahrt wird, ob es experimentell überprüft oder in Visionen erlangt wurde, ob es in einem Medium gespeichert ist oder nur im Kopf der Leute, ob es aktuell genützt wird oder entaktualisiert der Revitalisierung entgegendämmert. Wissen wird aufgefasst als der allgemeinste Aspekt von Kultur, als Kultur selbst im Gewande ihrer mentalen Abstraktion. Diese Zusammenfügung der beiden allgemeinsten Begriffe Wissen und Kultur führt dazu, dass sie einander kontinuierlich relativieren, und dass sie beide lebendig bleiben, anstatt zu erstarren (Abb. 40). Gegen eine essentialistische oder naturalistische Definition von Wissen bewirkt der Kulturbegriff, Wissen als kulturell konstituiert zu verstehen. Und umgekehrt, wo der Kulturbegriff dazu verführt, in einen formlosen Konstruktivismus zu verfallen, hilft der Wissensbegriff, die Besonderheit menschlicher Wirklichkeit zu beschreiben, die weder mit naturgesetzlicher Regelhaftigkeit noch als Akt reiner Selbstschöpfung beschreibbar ist. Aus dieser gegenseitigen Relativierung entsteht das Spannungsfeld, in dem unsere Forschung sich bewegt. Abb. 40 Kultur ist vor allem eins: lebendig. LCO-Kids am Beginn des 3. Jahrtausends.
Foto: Cora Bender, 2001.
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Kleine Auswahl indigener Medienadressen im Internet
N ACHRICHTEN UND Z EITUNGEN www.indianz.com, eine Webseite mit Nachrichten und politischen Kommentaren indigener Journalisten wie z.B. Tim Giago. www.indiancountrytoday.com, die Homepage der bekannten US-weit vertriebenen Zeitung gleichen Namens. www.indiancountrynews.com, die Homepage der Medienfirma Indian Country Communications des indigenen Journalisten Paul DeMain, Herausgeber der US-weit vertriebenen Zeitung News From Indian Country. http://lcotimes.com, die Webseite der neuen Zeitung von Lac Courte Oreilles, LCO Times. http://ldftv.com, eine Webseite, die unter dem Motto »Tell it like it is« kritische Nachrichten über die Ojibwe-Reservation Lac du Flambeau (Wisconsin) verbreitet.
I NDIGENES F ERNSEHEN IM I NTERNE T www.aptn.ca, indigenes Public Television aus Kanada, das zu bestimmten Zeiten als live stream mitverfolgt werden kann. www.indiancountrynews.net, die Homepage von Indian Country Communications (s.o) führt auch lokal produziertes indigenes Fernsehen.
I NDIGENES R ADIO IM I NTERNE T www.knba.org, indigenes Radio aus Alaska mit Links zur Live-Diskussionssendung Native America Calling und zur Nachrichtensendung National Native News. www.wojb.org, die indigene Community Radio-Station der Lac Courte
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Oreilles Band of Ojibwe in Reserve, Wisconsin, deren Programm als live-podcast empfangen werden kann. www.nativetelecom.org, das Konsortium produziert Sendungen für indigenes Public Television und Public Radio.
Interviews und Gespräche
Interviews wurden auf Band aufgenommen und transkribiert. Gespräche sind im Text nach meinen Teilnahmeprotokollen und Feldtagebüchern wiedergegeben. Agent, Dan 21.06.2002 (Gespräch) Bailey, Jim 17.10.2000 (Interview) Benton Banaise, Edward 23.07.2001 (Gespräch) Benton Banaise, Edward 23.07.2001 (Interview) Brooks, Dick 28.07.2001 (Interview) Calliotte, Pat 28.11.2003 (Interview) Crone, Jeff 19.12.2002 (Interview) DeMain, Paul 08.05.1997 (Interview) DeMain, Paul 28.11.2003 (Interview) DeMain, Paul 29.10.2005 (Interview) Dukin, Mike 08.05.1997 (Interview) Dukin, Mike 04.11.1999 (Interview) Eunau, Craig 26.11.2003 (Interview) Gaiashkibos 11.10.2000 (Interview) Gouge, Willard 29.11.2003 (Gespräch) Gokey, Ike 11.07.2001 (Interview) Hall, Kimberlie 28.11.2003 (Gespräch) Hall, Melvin 10.11.2000 (Interview) Horse Capture, George 26.05.1997 (Gespräch) Isham, Mic 19.12.2002 (Interview) Kellar, Hazel 19.10.2000 (Gespräch) Kellar, Nicky 08.05.1997 (Interview) Kellar, Nicky 31.10.2002 (Gespräch) Kellar, Nicky und Camille Lacapa 08.05.1997 (Interview) Lacapa, Camille und Barb Lacapa 19.10.2000 (Gespräch) Lacapa, Barb 20.10.2000 (Interview) Lacapa, Camille 08.05.1997 (Interview) Lacapa, Camille 23.09.2000 (Gespräch) Larsson, Stoney 26.11.2003 (Interview) Loew, Patricia 14.11.2002 (Interview)
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Martin, Vernon 24.07.2001 (Interview) Martineau, Joe 17.07.2001 (Interview) Menzel, Sue 06.11.2002 (Gespräch) Montano, Liz und Frank 11.07.2001 (Interview) Morey, Joe 07.01.2001 (Interview) Nickence, Mahlon 06.11.1999 (Interview) Nickence, Mahlon 11.01.2001 (Interview) Penzkover, Ann-Marie 25.11.2000 (Gespräch) Ryan, Pat 17.11.2002 (Interview) Schubring, Eric 05.11.2002 (Gespräch) Schubring, Eric 06.11.2002 (Interview) Schubring, Eric 08.11.1999 (Interview) Sobiesky, John 04.10.2000 (Interview) St. Germaine, Saxon 04.01.2001 (Interview) Welch, Joe 09.01.2001 (Interview) White, Cleo 21.12.2000 (Interview) Wolf, Ray 22.10.2000 (Interview) Zander, Felissa 09.11.1999 (Interview)
Literatur
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