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German Pages 562 [563] Year 2021
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 12
Die Endlagersuche nach dem Standortauswahlgesetz Normgebung zwischen Konsistenz und Widerspruch
Von Christopher Langer
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTOPHER LANGER
Die Endlagersuche nach dem Standortauswahlgesetz
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs
Band 12
Die Endlagersuche nach dem Standortauswahlgesetz Normgebung zwischen Konsistenz und Widerspruch
Von Christopher Langer
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.
Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Dissertation im Jahre 2020 angenommen.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de GmBH, Birkach Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-18110-0 (Print) ISBN 978-3-428-58110-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2019/20 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertationsschrift angenommen. Die vorliegende Druckfassung berücksichtigt – mit Ausnahme der Neubenennung des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (vormals Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit) – den Verfahrensstand der Endlagersuche und einschlägige Literatur bis Ende September 2019. Herzlich danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Markus Ludwigs für die engmaschige Betreuung während des Dissertationsvorhabens. Die nahezu fünfjährige Beschäftigung an seinem Lehrstuhl hat mir nicht nur neue Einblicke und wertvolle Erfahrungen beschert, sondern vielmehr als zentraler Baustein erst den Start in den neuen Berufsweg Jurist ermöglicht. Herrn Professor Dr. Kyrill-Alexander Schwarz danke ich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens, die hilfreichen Anmerkungen sowie die angenehmen Gespräche im Umfeld der Veröffentlichung und darüber hinaus. Die Fritz Thyssen Stiftung hat das Promotionsprojekt durch die Finanzierung der Lehrstuhlstelle im Zeitraum November 2015 bis Oktober 2017 gefördert. Die Mitarbeit im Forschungsprojekt „Das Recht der Energiewende“ bot die Gelegenheit, vertiefte Einblicke in die diffizile Materie des Energierechts zu gewinnen, Kontakte zu knüpfen und das Thema der Arbeit in einen weiteren Kontext einzuordnen. Dem Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort GmbH danke ich für die großzügige Unterstützung durch die Refinanzierung der Druckkosten. Gedankt sei weiterhin der Stiftung Umweltenergierecht. Die Mitgliedschaft im Doktorandennetzwerk hat durch den Austausch mit jungen Wissenschaftlern, die sich in unterschiedlichen Phasen ihrer jeweiligen Vorhaben befanden, wesentlich geholfen, aufkommenden Hürden mit größerer Gelassenheit zu begegnen. Ein ganz besonderer Dank gilt allen Mitarbeitern und Kollegen am Lehrstuhl von Prof. Ludwigs, die mir die gemeinsame Zeit in unvergesslicher Erinnerung verbleiben lassen. Namentlich erwähnt seien insbesondere Herr Patrick Sikora, Frau Patrizia Zentgraf und Herr Felix Huller, die nicht nur mit großer Geduld und Humor so manche Laune ertragen, sondern auch durch anregende und kontroverse Diskussionen zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Ohne die stete Motivation und den Beistand durch meine gesamte Familie – meine Eltern Rudi und Susanne Langer sowie meine Brüder Simon und Fabian – wären mir Studium und Promotion nicht möglich gewesen. Insbesondere, dass sie mir bei
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Vorwort
jedweden Herausforderungen mit Rat und Tat zur Seite stehen, weiß ich sehr zu schätzen. Meinem Vater danke ich zudem sehr für die gründliche und zügige Lektüre des Manuskripts. Zuletzt möchte ich Frau Elisa-Sophie Fickenscher danken, die mir in den letzten Jahren in allen Lebenssituationen ein unschätzbarer Rückhalt war und bei aller Arbeitsbelastung für viele wunderbare Momente gesorgt hat. Würzburg, im November 2020
Christopher Langer
Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Erkenntnisinteresse und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . 27 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Einstieg in die Atomwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verworfene Endlageroptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bisherige Endlagerprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Weg zum Konzept des alternativen Standortvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33 35 49 60 66
C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsannäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance . IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 69 83 101 119 148
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte . . . . . . . . . . . . . III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151 152 183 224 328
E. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Endlagersuche als Komplexitätsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Komplexitätsreduktion als konsistenter Lösungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Widerspruch durch überhöhte Partizipationserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit: Das StandAG – ein Gesetz zwischen Konsistenz und Widerspruch . . . . .
490 490 491 493 494
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Erkenntnisinteresse und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . 27 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Historie der Endlagersuche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Endlagersuche als Sinnbild einer Multi-Level-Governance . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Der Einstieg in die Atomwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Verworfene Endlageroptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Nationale Entsorgungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Das Konzept des nuklearen Brennstoffkreislaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Die Standortsuche für das Nukleare Entsorgungszentrum . . . . . . . . . . . . . 38 c) Der Übergang zum integrierten Entsorgungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Überholte Endlagerideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Entsorgung im Weltall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Verbringung ins Antarktis- bzw. Grönlandinneneis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Entsorgung in den Ozeanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 d) Lagerung an oder nahe der Erdoberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 III. Bisherige Endlagerprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Schacht Konrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Schachtanlage Asse II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Erkundungsbergwerk Gorleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Der Weg zum Konzept des alternativen Standortvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Einschnitt beschleunigter Atomausstieg 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Neubeginn Endlagersuche – das Standortauswahlgesetz (StandAG) . . . . . . . . 64 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
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Inhaltsverzeichnis
C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Begriffsannäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Wandel von „Government“ zu „Governance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Ziele der Governanceforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Unterfall der Multi-Level-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Ausgangspunkt: Theorie der Politikverflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Gefahr: „Politikverflechtungsfalle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Kennzeichen der Multi-Level-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Territorial abgrenzbare politische Entscheidungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Bundespolitische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Föderale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Kommunale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Internationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Supra-/internationaler und nationaler Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Völkerrechtliche Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Nationaler Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 d) Empfehlungen internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Wissenschaftliche Disziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Gesellschaftliche Akteursvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Politische und staatliche Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Privatwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 d) Anti-Atom-Bewegung und Umwelt-NGOs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 e) Sonstige Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 101 1. Die Endlagersuche als „wicked problem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Zentrale Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Problemdimensionen der Endlagersuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Lösungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Die Endlagersuche als sozio-technisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Begriffserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Sozio-technische Herausforderungen der Endlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Inhaltsverzeichnis
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c) Lösungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Das NIMBY-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Begriffserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Lösungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Das Effektivitäts-/Demokratiedilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Ursachen des Dilemmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Lösungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Begriff und Funktionen von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Öffentlichkeitsbeteiligung als rechtsstaatliche Anforderung . . . . . . . . . . . . 121 b) Öffentlichkeitsbeteiligung als demokratische Komponente . . . . . . . . . . . . 122 c) Öffentlichkeitsbeteiligung im Kontext des politikwissenschaftlichen Legitimationsdreiklangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Chancen und Ziele von Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Anforderungen der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Zeitliche und inhaltliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Modus der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Entscheidungskompetenzen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Wertende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Herausforderungen und Risiken von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Hürden für erfolgreiche Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Risiko der enttäuschten Erwartung – Partizipationsverflechtungsfalle . . . . 145 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung . . . . . . . . . . . . . 152 1. Völkerrechtliche Vereinbarungen und Empfehlungen internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Joint Convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Rechtscharakter als „Gemischtes Abkommen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Rechtscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
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Inhaltsverzeichnis bb) Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Espoo-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Empfehlungen internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Recht der Europäischen Union und EURATOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Primärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Europäisches Umweltschutzziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) EURATOM-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Charakter des EAGV und Rechtsstellung der EURATOM . . . . . . 167 (2) Verhältnis zum AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (3) Kapitel 3: Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Anwendungsbereich des AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (1) Energiekompetenz (Art. 194 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (2) Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Sekundärrechtliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM) . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (1) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (2) Verhältnis zur Joint Convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (3) Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Richtlinie zur nuklearen Sicherheit (RL 2009/71/EURATOM) . . . . 179 cc) UVP-Richtlinie (RL 2011/92/EU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 183 1. Schutzpflichten des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Herleitung der Schutzpflichtdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Objektiv-rechtlicher Gehalt der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Schutzfunktion der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) „Stufentrias“ des Art. 1 Abs. 1 bis Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 dd) Staatliches Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 ee) Grundrechtsschranken und Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Betroffene Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit . . . . . . . . . . 192 (1) Schutzgüter des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit 193 (2) Gefahren- und Risikovorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
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(3) Adressaten der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (4) Entscheidungsspielräume des Staates und Untermaßverbot . . . . . 199 (5) Die staatliche Schutzpflicht als subjektives Recht . . . . . . . . . . . 202 (6) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Verhältnis zum Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Verhältnis zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen . . . . . . . . 204 (1) Gestaltungsoffenheit der Staatszielbestimmung . . . . . . . . . . . . . . 205 (2) Staatszielbestimmung als objektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (3) Gleichlauf der Schutzausrichtungen zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . 207 (4) Schutzverstärkung und Generationenverantwortung . . . . . . . . . . 208 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Umfang der Schutzpflicht bei der Endlagersuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Gewährleistung von Langzeitsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (1) Stand der Wissenschaft und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Dynamische Schadensvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Risikovorsorge und Restrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Risikominimierung durch Alternativenvergleich? . . . . . . . . . . . . . . . 215 dd) Rechte künftiger Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 ee) Staatsaufgabe Endlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Abwehrrechte der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Standortauswahlgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Zwecke des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Bestmögliche Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Nachweiszeitraum: „Eine Million Jahre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) Partizipatives Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 dd) Wissenschaftsbasierendes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 ee) Transparentes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 ff) Selbsthinterfragendes und lernendes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 gg) Generationengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 hh) Grundsatz der nationalen Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 ii) Exportverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 jj) Ergebnisoffenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 kk) Vorgabe technischer Entsorgungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 ll) Einbeziehung anderer Abfallarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 mm) Reversibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 nn) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
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Inhaltsverzeichnis b) Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe . . . . . . . . . . . . 241 (1) Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (2) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (3) Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (a) Entscheidungsfindung im Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (b) Wissenschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (c) Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb) Bundesamt für Strahlenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 cc) Bundes-Gesellschaft für Endlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 dd) Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung . . . . . . . . . . 253 ee) Nationales Begleitgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 ff) Deutscher Bundestag und Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 gg) Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (1) Grundsätze der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (2) Informationsplattform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (3) Stellungnahmeverfahren und Erörterungstermine . . . . . . . . . . . . . 261 (4) Fachkonferenz Teilgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (5) Regionalkonferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (6) Fachkonferenz Rat der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (7) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Vorbereitendes Verfahren (§§ 3 bis 5 StandAG 2013) . . . . . . . . . . . . 268 (1) Der Bericht der Endlagerkommission (§ 4 StandAG 2013) . . . . . 268 (a) Aufarbeitung der Vergangenheit und Analyse internationaler Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (b) Das Prinzip Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (c) Modale Elemente des Standortsuchverfahrens . . . . . . . . . . . 272 (d) Endlager mit Reversibilität als technische Entsorgungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (e) Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (aa) Geowissenschaftliche Ausschlusskriterien . . . . . . . . . . . 273 (bb) Geowissenschaftliche Mindestanforderungen . . . . . . . . 274 (cc) Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (dd) Sicherheitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (f) Beteiligung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (g) Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (h) Informationszugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (i) Neuorganisation Behördenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
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(j) Veränderungssperren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (k) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (l) Exportverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (m) Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz . . . . . . . . . 285 (2) Evaluierung des Standortauswahlgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (a) Bindungswirkung des Berichts der Endlagerkommission . . . 286 (b) Umsetzung der Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Standortauswahlverfahren „im engeren Sinne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (1) Festlegung von Standorten zur übertägigen Erkundung . . . . . . . . 292 (2) Festlegung der Standorte für eine untertägige Erkundung . . . . . . 296 (3) Untertägige Erkundung und Standortentscheidung . . . . . . . . . . . . 300 (4) Standortsicherungsvorschriften (§ 21 StandAG) . . . . . . . . . . . . . . 304 cc) Anlagengenehmigung (§ 9b Abs. 1a AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 d) Zwischenergebnis Standortauswahlgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 2. Atomgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a) Beendigungs- und Sicherstellungszweck (§ 1 Nr. 1 AtG) . . . . . . . . . . . . . . 312 b) Staatsaufgabe Endlagerung (§ 9a Abs. 3 AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Endlagergenehmigung (§ 9b Abs. 1a AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 d) Atomrechtliche Zwangsmaßnahmen (§§ 9d – g AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 aa) Enteignungen (§§ 9d und 9e AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 bb) Vorarbeiten an Grundstücken (§ 9f AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 cc) Veränderungssperren (§ 9g AtG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. Ergänzende fachgesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Öffentlich-rechtliche Zulassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Sonstige Vorschriften mit Bezug zum Standortauswahlverfahren . . . . . . . . 323 c) Abgrenzung zu weiteren Fachgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Grundlagen des Grundsatzes der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Planung als Aufgabe der Exekutive? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 c) Die Entscheidung Südumfahrung Stendal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 aa) Wesentliche Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 d) Standortentscheidung nach dem StandAG als zulässige Legalplanung . . . 334 aa) Übertragbarkeit der Stendal-Grundsätze auf das StandAG . . . . . . . . 335 bb) Initiative und Vorbereitung durch die Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . 337
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Inhaltsverzeichnis cc) Geeigneter Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 dd) Vorliegen „guter Gründe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (1) Beschleunigungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (2) Besonderheiten der Endlagersuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (3) Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (4) Legitimationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 a) Maßstab der Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 bb) Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG auf die Legalplanung? . . . . . 350 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Verkürzung durch Legalplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 aa) Formelle Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Materielle Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 c) Rechtsschutzoptionen im StandAG 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 aa) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nach § 17 Abs. 4 StandAG 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (1) Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (2) Klageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (3) Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 359 (4) Klagezeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 bb) Unions- und völkerrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 (1) Vorgaben des Art. 11 UVP-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 (2) Vorgaben des Art. 9 Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 cc) Stellungnahme zum Rechtsschutzsystem des StandAG 2013 . . . . . . 367 (1) Legalplanung im Einklang mit verfassungsrechtlichen Rechtsschutzanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 (2) Würdigung des § 17 Abs. 4 S. 5 StandAG 2013 . . . . . . . . . . . . . . 370 (3) Verstoß gegen internationale Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 d) Rechtsschutzoptionen StandAG 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 aa) Reformüberlegungen zum StandAG 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (1) Unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 11 UVP-RL . . . . . . . . . . . 374 (2) Umweltverfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 (3) Normenkontrollklage gegen Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 (4) Systemumstellung zum konzentrierten Rechtsschutz . . . . . . . . . . 376 (5) Ergänzung des StandAG um fachgerichtlichen Rechtsschutz . . . 377
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(6) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 bb) Modifiziertes Rechtsschutzsystem des StandAG 2017 . . . . . . . . . . . 380 (1) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nach § 19 Abs. 2 StandAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (a) Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (b) Klageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (2) Abschwächung der Bindungswirkung der Standortentscheidung 382 (3) Beibehaltung Zwischenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (4) Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 (a) Beschränkung des Kontrollumfangs auf Umweltrechtsverletzungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 (b) (Kein) Rechtsschutz gegen Fehler im Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (c) Phasenspezifischer Rechtsschutz und Präklusion . . . . . . . . . 392 (d) Notwendigkeit weiterer Verfahrensphasen? . . . . . . . . . . . . . . 394 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 3. Enteignungen im Standortauswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 a) Begriff und Abgrenzung zur Legalenteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 b) Die enteignungsrechtliche Vorwirkung im Verfahren der Standortsuche 401 c) Zulässigkeit der enteignungsrechtlichen Vorwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 aa) Gesetzliche Anordnung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung . . . . 405 bb) Wohl der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 (1) Enteignungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 (2) Erforderlichkeit der Enteignungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 cc) Vorliegen triftiger Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (1) Verhältnis zu den „guten Gründen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 (2) „Triftige Gründe“ der Standortauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 (a) Keine (unmittelbare) Beschleunigungswirkung . . . . . . . . . . . 414 (b) Besondere Legitimation durch Parlamentsgesetz . . . . . . . . . 415 (c) Durchsetzungsbedürftigkeit von Großprojekten . . . . . . . . . . 416 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 dd) Entschädigungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 4. Verbot des Einzelfallgesetzes
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
a) Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 aa) Beeinträchtigung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 bb) Anforderungen an die „Allgemeinheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 cc) Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG als lex specialis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
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Inhaltsverzeichnis dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 b) Rechtfertigung der gesetzlichen Standortfestlegung als Einzelfallgesetz
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aa) Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 bb) Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als spezieller Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . 431 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 5. Sachverständige Beratung und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 a) Grundlagen staatsrechtlicher Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 aa) Legitimationssubjekt: Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 bb) Legitimationsobjekt: Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 cc) Arten der Legitimationsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 (1) Institutionell-funktionale Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 (2) Organisatorisch-personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 (3) Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 dd) Bestimmtes Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 b) Zulässigkeit externer Beratung im Gesetzgebungsprozess . . . . . . . . . . . . . 445 aa) Funktionen und Spannungslagen sachverständiger Beratung . . . . . . . 446 (1) Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 (2) Spannungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 bb) Legitimationsdefizit von Endlagerkommission und Nationalem Begleitgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 cc) Kein Legitimationserfordernis bei reiner Beratungstätigkeit . . . . . . . 452 dd) Zulässigkeit entscheidungspräformierender Beratung im StandAG 454 c) Wertungswiderspruch zwischen Gremienbeteiligung und Legalplanung?
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d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 6. Bündelung von Kompetenzen auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 a) Föderale Aufgabenverteilung und vertikale Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . 461 aa) Verwaltungskompetenzen des Bundes im System der Art. 83 ff. GG 462 (1) Fakultative Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG 463 (2) Sperrwirkung des Art. 87c GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 (3) Endlagersuche als Aufgabe mit Eignung zur zentralen Erledigung 467 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 bb) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 b) Kommunales Selbstverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 aa) Planungshoheit als Ausprägung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 bb) Zulässigkeit von Einschränkungen der Planungshoheit . . . . . . . . . . . 472 cc) Anhörungs- und Klagerechte als Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
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dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 7. Umsetzung der Entsorgungsrichtlinie 2011/70/EURATOM . . . . . . . . . . . . . . 477 a) Behördenorganisation im StandAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 aa) Aufgabenverteilung und Behördenzuständigkeit im StandAG . . . . . . 479 bb) Trennungsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 2 RL 2011/70/EURATOM . . . 480 cc) Vergleichbarkeit zur Diskussion um „Unabhängigkeit“ im Regulierungsrecht der Netzindustrien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 dd) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 b) Exportverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 E. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 I. Endlagersuche als Komplexitätsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 II. Komplexitätsreduktion als konsistenter Lösungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 III. Widerspruch durch überhöhte Partizipationserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 IV. Fazit: Das StandAG – ein Gesetz zwischen Konsistenz und Widerspruch . . . . . 494 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. AbfallR ABl.EU Abs. AcP AEUV a. F. AIDN AK AkEnd AKW allg. Alt. AöR APuZ Art. AT AtG AtomRS atw Aufl. aviso AVR BAnz BASE Bautechnik BauGB bayer. BayVBl. BayVerfGH BBergG BCG Bd. BeckOK Beil. BfB BfE BfS
andere Ansicht am angegebenen Ort Zeitschrift für das Recht der Abfallwirtschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz/Absätze Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Association Internationale du Droit Nucléaire Aarhus-Konvention Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagersuche Atomkraftwerk allgemein Alternative Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Aus Politik und Zeitgeschichte (Zeitschrift) Artikel Allgemeiner Teil Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Atomrechtssymposium Internationale Zeitschrift für Kernenergie Auflage aviso – Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich Bundesanzeiger Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Bautechnik – Zeitschrift für den gesamten Ingenieurbau Baugesetzbuch bayerisch Bayerische Verwaltungsblätter – Zeitschrift für Öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bundesberggesetz Boston Consulting Group Band Beck’scher Onlinekommentar Beilage Bundesanstalt für Bodenforschung Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit Bundesamt für Strahlenschutz
Abkürzungsverzeichnis BGBl. BGE BGH BGR BI BImSchG BMBF BMI BMJ BMU BMUB BMVI BMWi BNFL BRD BT-Drs. BUND BVerfG BVerfGE BVerfGK BVerwG BVerwGE CASTOR CDU CiuZ COGEMA CSU DAEF dass. DAtF DAtK DBE DDR ders. dies. dif. DIW DM dms DÖV DStR DUH DVBl.
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Bundesgesetzblatt Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH Bundesgerichtshof Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Bürgerinitiative Bundesimmissionsschutzgesetz Bundesministeriums für Bildung und Forschung Bundesministerium des Innern Bundesministerium für Justiz Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit/ Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Bundesministerium für Wirtschaft und Energie/Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie British Nuclear Fuels plc Bundesrepublik Deutschland Bundestagsdrucksache Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Sammlung der Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts cask for storage and transport of radioactive material Christlich Demokratische Union Deutschlands Chemie in unserer Zeit (Zeitschrift) Compagnie générale des matières nucléaires Christlich-Soziale Union in Bayern Deutsche Arbeitsgemeinschaft Endlagerforschung dasselbe Deutsches Atomforum Deutsche Atomkommission Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselbe(n) differenzierend Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Deutsche Mark der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management Die Öffentliche Verwaltung – Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Umwelthilfe Deutsches Verwaltungsblatt
22 DWK EAG EAGV EDRAM EGV Einf. Einl. EL EnBW ENTRIA EntsorgFondG EntsorgÜG
EnWG EnWZ ERAM ErwG ESK et EU EuR EURATOM EurUP EuS EUV e. V. EVU EWeRK EWS f. FDP ff. FJSB FMStErgG FMStG Fn. FORATOM FÖS FRM FS GAIA gem.
Abkürzungsverzeichnis Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft International Association for Environmentally Safe Disposal of Radioactive Materials Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung Ergänzungslieferung Energie Baden-Württemberg AG Forschungsplattform Entsorgungsoptionen für radioaktive Reststoffe Gesetz zur Errichtung eines Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung Gesetz zur Regelung des Übergangs der Finanzierungs- und Handlungspflichten für die Entsorgung radioaktiver Abfälle der Betreiber von Kernkraftwerken Energiewirtschaftsgesetz Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben Erwägungsgrund Entsorgungskommission Energiewirtschaftliche Tagesfragen – Zeitschrift für Energiewirtschaft, Recht, Technik und Umwelt Europäische Union Europarecht (Zeitschrift) Europäische Atomgemeinschaft Zeitschrift für europäisches Umwelt- und Planungsrecht Ethik und Sozialwissenschaften (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein Energieversorgungsunternehmen Zeitschrift des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht in der Kommunalen Wirtschaft e. V. Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende Freie Demokratische Partei fortfolgende Forschungsjournal Soziale Bewegungen (Zeitschrift) Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote(n) Europäisches Atomforum Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e. V. Forschungsreaktor München Festschrift GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society (Zeitschrift) gemäß
Abkürzungsverzeichnis GeschO-K
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Geschäftsordnung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe GewArch Gewerbearchiv (Zeitschrift) GfK Gesellschaft für Kernforschung GG Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ggü. gegenüber GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH GrCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union GrdlVerwR Grundlagen des Verwaltungsrechts GRS Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH GS Gedächtnisschrift GSF Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung/Gesellschaft für Strahlenforschung GWK Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen mbH HdbStR Handbuch des Staatsrechts Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz I+E Zeitschrift für Immissionsschutzrecht und Emissionshandel IAEA International Atomic Energy Agency ICRP International Commission on Radiological Protection i. d. F. in der Fassung i. d. R. in diese Richtung/in der Regel i. d. S. in dem Sinne i. E. im Ergebnis IE-RL Richtlinie über Industrieemissionen i. H. v. in Höhe von IJNL International Journal of Nuclear Law IMAK Interministerieller Arbeitskreis zur Auswahl eines Standortes für ein nukleares Entsorgungszentrum INLA International Nuclear Law Association insb. insbesondere ipmr International Public Management Review i. S. d. im Sinne der/im Sinne des IStR Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) i. S. v. im Sinne von ITAS Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse i. V. m. in Verbindung mit J. Eur. Public Policy Journal of European Public Policy J. Risk Res. Journal of Risk Research JA Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) JAIP Journal of the American Institute of Planners JCMS Journal of Common Market Studies JEPM Journal of Environmental Planning and Management JIES Journal of Integrative Environmental Sciences JLE Journal of Law and Economics JMLSCM Journal of Humanitarian Logistics and Supply Chain Management Joint Convention Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management
24 JPE JPL JR JSI JURA JuS JZ Kap. K-Drs. KEWA KfK KFK KIT KJ KKW K-MAT KOR krit. lit. Lit. Ls. m Mio. Mrd. m. w. N. N&R NABEG NAS NATO NBG NEA NEP NEZ NdsVBl. NGO NJW NLB Nr. Nrn. NRWVerfGH NuR NVwZ NZI o. A. o. ä. OECD o. g.
Abkürzungsverzeichnis Journal of Political Economy Journal of Planning Literature Juristische Rundschau (Zeitschrift) Journal of Social Issues Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) JuristenZeitung Kapitel Kommissions-Drucksache Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-Gesellschaft mbH Kernforschungszentrum Karlsruhe Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs Karlsruher Institut für Technologie Kritische Justiz (Zeitschrift) Kernkraftwerk Materialien der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe Zeitschrift für kapitalmarktorientierte Rechnungslegung kritisch litera Literatur Leitsatz Meter Million Milliarde mit weiteren Nachweisen Netzwirtschaften und Recht (Zeitschrift) Netzausbaubeschleunigungsgesetz National Academy of Sciences der USA North Atlantic Treaty Organization Nationales Begleitgremium Nuclear Energy Agency Nationales Entsorgungsprogramm Nukleares Entsorgungszentrum Niedersächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Nichtregierungsorganisation Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nuclear Law Bulletin (Zeitschrift) Nummer Nummern Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht ohne Angabe oder ähnliche Organisation for Economic Co-operation and Development oben genannt(e/er)
Abkürzungsverzeichnis ÖJZ Os. OVG PAR PlVereinhG PSQ PTB PVS PWK rd. RdE REM RFDA RL Rn. ROG RoV Rs. RSK RW Rz. S. s. s. a. sog. SPD SPSR SSK STAAT StandAG stellv. str. StrlSchV st. Rspr. StWissStPr SUP SZ TaTuP THORP u. a. UAbs. UfU UN UNECE UPR Urt.
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Österreichische Justizzeitung Orientierungssatz Oberverwaltungsgericht Public Administration Review Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren Political Science Quarterly (Zeitschrift) Physikalisch-Technische Bundesanstalt Politische Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Projektgesellschaft Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen rund Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift) Renewable Energy Magazine Revue française de droit administratif Richtlinie Randnummer(n) Raumordnungsgesetz Raumordnungsverordnung Rechtssache Reaktorsicherheitskommission Rechtswissenschaft (Zeitschrift) Randziffer Seite/Satz/Sätze siehe so auch/siehe auch sogenannte(r/n/s) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Swiss Political Science Review Strahlenschutzkommission Der Staat – Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht Standortauswahlgesetz stellvertretend(e/r) strittig, streitig Strahlenschutzverordnung ständige Rechtsprechung Staatswissenschaften und Staatspraxis (Zeitschrift) Strategische Umweltprüfung Süddeutsche Zeitung Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis (Zeitschrift) Thermal Oxide Reprocessing Plant und andere/unter anderem Unterabsatz Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V. United Nations/Vereinte Nationen United Nations Economic Commission for Europe Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) Urteil
26 USA u. U. UVP UVPG v. VEBA VERW VerwArch VfZG VGH vgl. Vorb. vr VSG VSpV VStG VVDStRL VwGO VwVfG WAA WCED WF WiVerw z. B. ZEuS ZfPP ZfU ZfZ ZG zit. ZJS ZNER ZParl ZRP ZSE z. T. ZUR zust.
Abkürzungsverzeichnis Vereinigte Staaten von Amerika unter Umständen Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom/von Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG Die Verwaltung – Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaften Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Verwaltungsrundschau (Zeitschrift) Vorläufige Sicherheitsanalyse für den Standort Gorleben Veränderungssperren-Verordnung Verbands- und Standortauswahlgesetz Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wiederaufarbeitungsanlage World Commission on Environment and Development Wertermittlungsforum (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) zum Beispiel Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Politische Psychologie Zeitschrift für Umweltrecht & Umweltpolitik Zeitschrift für Verbrauchssteuern Zeitschrift für Gesetzgebung zitiert als Zeitschrift für das juristische Studium Zeitschrift für das neue Energierecht Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften zum Teil Zeitschrift für Umweltrecht zustimmend
A. Einleitung I. Erkenntnisinteresse und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Gorleben, Asse und Wackersdorf auf nationaler Seite, Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima im globalen Kontext. Diese Ortsnamen repräsentieren die Schattenseiten der Kernenergie.1 Sie stehen einerseits für intransparentes und unsachgemäßes Handeln von staatlicher Seite. Andererseits zeigen die verheerenden Reaktorunfälle mit einer z. T. erheblichen Anzahl an Todesopfern das beträchtliche Schadenspotenzial, das mit der Nutzung der Kernenergie einhergeht. Als Resultat wird die Thematik der Atomkraft in der Gegenwart primär von negativen Emotionen2 und einer gewissen Skepsis gegenüber staatlichen Entscheidungen begleitet. Diese Ausgangssituation gilt zumindest für Deutschland. Weltweit ist hingegen ein signifikanter Anstieg der Kernenergienutzung zu verzeichnen.3 Und auch in Europa zeigt das Vorhaben Hinkley Point C,4 dass keineswegs von einer durchgängig ausstiegsorientierten Atompolitik ausgegangen werden kann. Angesichts der aktuellen Diskussion zum Klimawandel ist eine Fortsetzung dieser Entwicklung mit der Atomkraft als CO2-neutrale und damit vermeintlich umweltfreundliche Energiequelle nicht unwahrscheinlich. Folgerichtig stellt sich auch weiterhin die Frage nach der Entsorgung bestehender und künftig anfallender Abfallmengen. Weltweit befindet sich noch kein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb.5 Damit fehlen 1 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 244; ähnlich Kersten, aviso 3/2016, S. 20, 21. 2 Vgl. die einzelnen Beiträge in Smeddinck (Hrsg.), Emotionen bei der Realisierung eines Endlagers, 2018. 3 Jaeckel, Gefahrenabwehrrecht und Risikodogmatik, 2010, S. 18; zur nuklearen Renaissance ferner Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 113 f. 4 Zur beihilferechtlichen Genehmigung der vom Vereinigten Königreich gewährten staatlichen Förderung durch die Europäische Kommission, vgl. Beschluss (EU 2015/658) v. 8.10.2014, SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N), ABl. 2015, L 109, S. 44; bestätigt durch EuG, Rs. T-356/15, ECLI:EU:T:2018:439 – Österreich/Kommission. 5 Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 110; Dietze, Internationale Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2012, S. 167; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 282; aktuell sind Schweden und Finnland mit den Bemühungen zur Errichtung eines Endlagers am weitesten fortgeschritten. In Finnland wird nach der Standortentscheidung für Olkiluoto derzeit das Grubengebäude aufgefahren. Die Inbetriebnahme ist für das Jahr 2025 vorgesehen, vgl. SZ, Art. v. 4.11.2018, https://www.sueddeutsche.de/wissen/atommuell-endlager-finnland-olkiluoto-1.4191 627, (geprüft am 26.9.2019). In Schweden soll das Endlager in Forsmark situiert werden.
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A. Einleitung
für nationale Entsorgungsstrategien wertvolle Anhaltspunkte in Form von BestPractice-Modellen. Die politischen Kräfte in Deutschland haben nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein Gelegenheitsfenster (sog. window of opportunities6) erkannt, um die proklamierte „Energiewende“ mit einem Neustart der Endlagersuche anzureichern. Dabei stehen sie vor intrikaten Herausforderungen. Die Branche der Energieerzeugung ist im Umbruch. Zum Jahresende 2022 werden mit den KKW Emsland, Isar und Neckarwestheim die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Konventionelle Energieträger wie die Braun- und Steinkohle stehen aufgrund ihrer Klimaschädlichkeit vor dem Aus oder sehen sich mit fehlender Wirtschaftlichkeit (z. B. Erdgas) konfrontiert. Die Transformation zu einem Energiemix, der auf erneuerbaren Energien fußt, bedingt steigende Strompreise. Zudem hinkt der Ausbau der Energienetze als Grundvoraussetzung für Versorgungssicherheit und Netzstabilität der ursprünglichen Zeitplanung hinterher. Prima facie erscheinen die Problemlösungskapazitäten der nationalen Energiepolitik ausgelastet. Für die Endlagersuche treten jedoch noch zusätzliche Komplexitätsstufen hinzu. Bisherige Versuche zur Realisierung einer Endlagerstätte blieben erfolglos und haben Vertrauen in die Kompetenzen der Entscheider erschüttert. Zudem handelt es sich bei einem Endlager für radioaktive Abfälle um ein großes Infrastrukturprojekt mit stark polarisierender Wirkung. Nichtsdestotrotz hat sich der Gesetzgeber für den Neustart der Endlagersuche nicht nur zum Ziel gesetzt, den Standort für eine Endlageranlage zu finden. Das Standortauswahlgesetz (StandAG) soll zudem gewährleisten, dass das Suchverfahren wie auch die abschließende Standortentscheidung von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Die nachfolgende Analyse zeigt auf, inwieweit mit dem StandAG tatsächlich ein „umweltrechtspolitischer Quantensprung“7 gelungen ist. Dazu gilt es zunächst die Ausgangssituation aufzuarbeiten, um ein Verständnisfundament zu bilden. Wertvolle Erkenntnisse lassen sich nicht nur der Historie der Endlagersuche entnehmen. Auch die sozial- bzw. politikwissenschaftliche Perspektive kann die Untersuchung um hilfreiche Erklärungsansätze bereichern.8 Die so gewonnenen Einsichten dienen als Grundlage für die Analyse des rechtlichen Rahmens der Endlagersuche. Der Fokus 6 Zur Frage, ob aktuell ein „window of opportunities“ besteht, vgl. Brunnengräber/Mez/ Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59; Brunnengräber/Mez, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 289, 309 f.; bejahend Häfner, Das Standortauswahlgesetz und die AntiAtom-Bewegung, 2015, S. 15; Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 56; Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 393; Flachsbarth, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 21, 23 f. 7 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 262. 8 Auf eigene empirische Befunde wird freilich verzichtet; vgl. hierzu Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 119 ff.; für eine rechtssoziologische Fallstudie zum Endlager Schacht Konrad (für schwach- und mittelradioaktive Abfälle), vgl. Pape, Politik und Recht der Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2016.
I. Erkenntnisinteresse und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
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liegt auf der einfach-rechtlichen Verfahrensgestaltung des StandAG und ihrer Vereinbarkeit mit internationalen, europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben. Als zentrales Erkenntnisinteresse ist die Frage zu klären, inwieweit die verfahrensrechtliche Konstruktion des StandAG einen konsistenten Regelungsrahmen bietet, der die Projektrealisierung gewährleisten kann oder ob die ambivalente Zielsetzung des Gesetzgebers nicht eher zwangsläufig Widersprüche produziert. Die Arbeit folgt im Übrigen der politischen Marschroute und geht auf Finanzierungsaspekte nur am Rande ein. Fragen der Finanzierung wurden rechtlich und politisch von der Standortsuche getrennt.9 Das im Jahr 2017 erlassene Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung10 führt als Gesetzespaket nunmehr die Handlungs- und Finanzierungspflichten im Bereich der Endlagerung radioaktiver Abfälle in staatlicher Hand zusammen.11 Mit dieser wesentliche Streitpunkte entschärfenden12 Maßnahme ist beabsichtigt, die Finanzierung für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung der Kernkraftwerke langfristig zu gewährleisten.13 Als Kernpunkt erfolgt hierzu neben der Etablierung eines Entsorgungsfonds, auf den die Rückstellungen der Betreiber übergehen, die Schaffung von Sondergesellschaftsrecht im Bereich der nuklearen Nachhaftung.14 Zugleich federt
9 Das Standortauswahlgesetz enthält zwar mit den §§ 28 ff. StandAG einen begrifflich mit „Kosten“ überschriebenen Abschnitt. Die streitigen Fragen zur Finanzierung der Endlagersuche waren aber einer eigenen Kommission (Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs – KFK) übertragen und wurden mit dem „Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung“ v. 27.1.2017 (BGBl. I S. 114, 1222) in einem Mantelgesetz gesondert geregelt. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes ging die Umlagepflicht nach § 28 f. StandAG im Wesentlichen auf einen neu gegründeten staatlichen Entsorgungsfonds über, vgl. Ruttloff, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 29 StandAG Rn. 3. 10 Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung vom 27.1.2017, BGBl. I S. 114, 1222; in Kraft getretenen am 16.6.2017 mit Genehmigung durch die Europäische Kommission, Entscheidung v. 16.6.2017 – C (2017) 4249 final, SA.45296 (2017/ N); instruktiv zur Entstehungsgeschichte sowie für einen Überblick zu den einzelnen Gesetzen, vgl. Ludwigs, in: Feldmann/Raetzke/Ruttloff (Hrsg.), Atomrecht in Bewegung, 2019, S. 19 ff.; ders., RW 2018, S. 109 ff. 11 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, Vorb. EntsorgFondG Rn. 12; Ludwigs, RW 2018, S. 109, 110; zu Fragen der Wirtschaftlichkeit im Kontext der neuen Finanzierungsordnung, vgl. Pape, FS Schmidt-Preuß, S. 935 ff. 12 Zuvor wurde beispielsweise mit Blick auf das Verursacherprinzip angeführt, dass nicht die Atomkraftwerksbetreiber, sondern vielmehr die Politik die Verursacherin der erneuten Standortsuche sei. Schließlich schien mit dem Salzstock Gorleben schon ein geeigneter Standort gefunden, der anschließend aus politischen Gründen wieder in Frage gestellt wurde, vgl. dazu Arndt, Gutachten zur Kostentragung für alternative Standorte im geplanten Endlagergesetz, 2012, S. 5; Moench, DVBl. 2015, S. 213, 219. 13 Vgl. Frenz, RdE 2017, S. 393, 394 ff.; Kessler/Schulz, NVwZ 2017, S. 577, 581 f.; König, DER KONZERN 2017, S. 61; Schmitz/Hellenberg/Martini, NVwZ 2017, S. 1332, 1333 ff. 14 Explizit krit. Krieger, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 25, 36 ff.; ähnlich Uwer, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 2, 7 f.; a. A. Wieland, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 42, 47 ff.; darstellend Beurskens/Mainka, DER KONZERN 2017, S. 425 ff.
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A. Einleitung
eine Enthaftungsmöglichkeit zugunsten der Energieversorgungsunternehmen die hohe Eingriffsintensität der neuen Regelungen ab.15
II. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in drei Blöcke: In zwei grundlegenden Kapiteln werden zunächst die Historie der Endlagersuche in Deutschland aufgearbeitet (Kapitel B.) und die Endlagersuche als Sinnbild einer Multi-Level-Governance charakterisiert (Kapitel C.). Das Herzstück der Arbeit bildet die Analyse des rechtlichen Rahmens der Endlagersuche (Kapitel D.). 1. Historie der Endlagersuche in Deutschland Die Geschichte der Endlagersuche zeigt starke Wechselwirkungen und Bezugspunkte zur kommerziellen Nutzung der Kernenergie.16 Im Rahmen der historischen Hinführung wird deshalb zunächst der Einstieg in die zivile Nutzung der Atomkraft skizziert. Erkenntnisquellen bieten zudem verworfene Endlageroptionen. Zum einen können Lehren aus gescheiterten nationalen Entsorgungsstrategien insbesondere aus den Bemühungen um die Errichtung eines nationalen Entsorgungszentrums am Standort Gorleben gezogen werden. Zum anderen erklärt sich das nach heutigem Standard verfolgte Konzept der Endlagerung in tiefen geologischen Formationen aus der Abgrenzung zu überholten Entsorgungsideen (z. B. Verbringung ins Weltall oder die Antarktis). Die Endlagersuche mag in Deutschland zwar vor einem Neustart stehen, sie beginnt aber keineswegs bei Null. Dies zeigt ein Blick auf die bisherigen Endlagerprojekte (Schacht Konrad, Schachtanlage Asse II, Endlager Morsleben sowie das Erkundungsbergwerk Gorleben). Die vorgenannten Etappen bilden gleichsam die Ausgangsbasis für einen von politischer Seite forcierten Strategiewechsel zu einer Endlagersuche mit alternativem Standortvergleich. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang mit den Vorschlägen des Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) im Jahr 2002, gewann im Zuge des beschleunigten Atomausstiegs im Jahr 2011 neue Fahrt und mündete letztlich in das dieser Untersuchung zugrunde liegende Standortauswahlgesetz.
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Vgl. Ludwigs, RW 2018, S. 109, 110. S. a. in einer Gesamtbilanz zu Wertekonflikten im Umfeld der nuklearen Entsorgung Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 392. 16
II. Gang der Untersuchung
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2. Endlagersuche als Sinnbild einer Multi-Level-Governance Als zweite Säule des Verständnisfundaments werden die Erfahrungswerte aus der historischen Hinführung um die Perspektive der Sozial- und Politikwissenschaften ergänzt. Zu diesem Zweck erfolgt eine Einordnung der Endlagersuche als Sinnbild einer Multi-Level-Governance. Nach einer Annäherung an den schillernden Governance-Begriff wird die von der Standortsuche berührte Ebenenstruktur – bestehend aus territorial abgrenzbaren politischen Einheiten, hierarchisch verbundenen Regelwerken, beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen und der gesellschaftlichen Akteursvielfalt – näher beleuchtet. Aus dieser Mehrebenen-Konstellation resultieren spezifische Komplexitätsprobleme, welche die Termini „wicked problem“, „soziotechnisches System“, „NIMBY-Syndrom“ und „Effektivitäts-/Demokratiedilemma“ schlagwortartig umreißen. Solchen Herausforderungen begegnen Multi-LevelGovernance-Ansätze mit alternativen Steuerungsmethoden und deliberativen, d. h. dialogorientierten Handlungsformen,17 zu denen insbesondere eine verstärkte Einbindung der Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse zählt. Ein besonderes Augenmerk gilt daher der Rolle der Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimitätsfaktor. Zum Abschluss des Kapitels werden der Begriff und die Funktionen von Partizipation vorgestellt sowie die Chancen und Ziele von Öffentlichkeitsbeteiligung beschrieben. Eine Darstellung der Gelingensbedingungen von Partizipationskonzepten legt die Basis für die Erläuterung von Herausforderungen und Risiken bei defizitärer Ausgestaltung der Beteiligung. 3. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland Auf Grundlage der bislang gewonnenen Erkenntnisse analysiert ein aus vier Abschnitten bestehender Hauptteil den rechtlichen Rahmen der Endlagersuche in Deutschland. Zunächst erfolgt eine Darstellung der internationalen und europarechtlichen Vorgaben (D. I.). Das nationale Regelungsregime hat zum einen entsorgungsspezifische Regelwerke (z. B. Joint Convention, Entsorgungsrichtlinie RL 2011/70/ EURATOM), zum anderen fachrechtsübergreifende, verfahrensdeterminierende Direktiven (z. B. Aarhus-Konvention, UVP-RL) zu berücksichtigen. Konkrete Vorgaben ergeben sich weiterhin auf nationaler Ebene aus verfassungsrechtlichen Grundlagen (D. II.). Insbesondere stehen die Grundrechte in ihrer Wirkdimension als objektive Schutzpflichten im Fokus. Namentlich das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entfaltet im Bereich der nuklearen Entsorgung spezifische Anforderungen in Form einer dynamischen Schadensvorsorge und Risikominimierungspflichten. Ergänzungen erfährt der 17 Grundlegend zur deliberativen Demokratietheorie Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 349 ff.; vgl. weiterhin Holtkamp/Bogumil/Kißler, Kooperative Demokratie, 2006, S. 74 ff.
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A. Einleitung
Schutzumfang durch das Eigentumsgrundrecht sowie in seiner temporalen Erstreckung durch die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG. Maßgeblich für die Ausführung der Standortsuche sind letztlich die Vorschriften des einfachen Rechts (D. III.). Der Namensgebung entsprechend steht das Standortauswahlgesetz (StandAG) im Mittelpunkt. Dessen Ziele, Akteure18 sowie das Verfahren der Standortsuche werden eingehend vorgestellt. Implikationen für die Standortsuche lassen sich weiterhin dem Atomgesetz entnehmen. Darüber hinaus ist das Verhältnis zu verschiedenen weiteren fachgesetzlichen Regelungen klärungsbedürftig. Ob das Design der Endlagersuche einen konsistenten Regelungsrahmen bereithält oder vielmehr unter Widersprüchen leidet, erörtert der finale Abschnitt zu den verfassungs- und europarechtlichen Problemstellungen (D. IV.). Die Konzeption der Standortsuche als gestuftes Legalplanungsverfahren wird an dieser Stelle auf seine Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip, den Anforderungen des Gebots effektiven Rechtsschutzes und dem Verbot des grundrechtseinschränkenden Einzelfallgesetzes untersucht. Die Verfahrensgestaltung konfligiert durch die implizite enteignungsrechtliche Vorwirkung zudem mit dem Eigentumsgrundrecht. Die Konzentration von Kompetenzen auf Bundesebene steht überdies auf dem Prüfstand des Prinzips vertikaler Gewaltenteilung. Weitere Spannungsfelder ergeben sich durch die Einbindung plural besetzter Gremien im Hinblick auf das Demokratieprinzip sowie hinsichtlich der Umsetzung von Vorgaben der Entsorgungsrichtlinie 2011/70/EURATOM (Behördenorganisation und Exportverbot). Die Schlussbetrachtung E. ordnet das Standortauswahlgesetz abschließend in einer auf die wesentlichen Erkenntnisse fokussierten Darstellung zwischen die Pole „Konsistenz“ und „Widerspruch“ ein.
18 Zur Verbesserung der Lesbarkeit wird für die Bezeichnung von Personengruppen in der Folge das generische Maskulin verwendet.
B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland Eine jede rechtliche Bewertung von Gesetzgebungsvorhaben verdient zunächst einen Blick auf deren Genese. Die Entstehungsgeschichte bietet Verständnishilfen für die Interpretation der Zwecke und Zielrichtung des Gesetzes, aber auch zur Auslegung einzelner Regelungen. Während eine Gesetzesgenese üblicherweise an den Rahmenbedingungen der ersten Gesetzesentwürfe ansetzt, reicht die Historie der Entsorgung radioaktiver Abfälle in Deutschland weiter zurück. Sie zeigt vielmehr starke Wechselwirkungen mit dem Verlauf der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Wenig überraschend erfuhr die Suche nach einem Endlager mit der Laufzeitbegrenzung der Kernkraftwerke im Rahmen des sog. Atomkonsenses im Jahr 20001 einen neuen Schwung. Das absehbare Ende der kommerziellen Nutzung der Atomenergie erleichterte eine Prognose der zu entsorgenden Abfallmengen. Ebenso verhielt es sich nach der Rücknahme der Laufzeitverlängerungen2 im Wege der 13. Atomgesetznovelle3 im Jahr 2011, welche erstmals genaue Abschalttermine für die einzelnen Kraftwerke festsetzte. Das nachfolgende Kapitel soll einen kursorischen Überblick über die verschiedenen Stadien der Nutzung der Kernenergie (I.) geben. Nicht mehr verfolgten Endlageroptionen (II.) werden aktuelle Standorte (III.) gegenübergestellt. Der Weg zu einem nunmehr präferierten Konzept des alternativen Standortvergleichs (IV.) wird ausgehend von der Einsetzung des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagersuche (AkEnd) im Jahr 1999 (1.) über den beschleunigten Atomausstieg 2011 (2.) bis zum Neustart durch das StandAG (3.) nachgezeichnet.
I. Der Einstieg in die Atomwirtschaft Durch die Pariser Verträge erlangte die Bundesrepublik Deutschland nicht nur wieder weitgehende völkerrechtliche Souveränität. Mit ihrem Inkrafttreten am 5. Mai 1955 begann auch die atomrechtspolitische Entwicklung in der Bundesre1 BMU, Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nu kleare_Sicherheit/atomkonsens.pdf, (geprüft am 19.6.2019); umgesetzt durch das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v. 22.4.2002, BGBl. I S. 1351. 2 11. AtG-Novelle vom 8.12.2010, BGBl. I S. 1814; instruktiv zu rechtlichen Fragen der Laufzeitverlängerung Schwarz, JZ 2010, S. 1118; Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1004, 1011 ff. 3 13. AtG-Novelle vom 31.7.2011, BGBl. I S. 1704.
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
publik Deutschland.4 Die neue Technologie versprach billige und beinahe unerschöpfliche Energie und wurde folglich zunächst nahezu uneingeschränkt positiv gesehen.5 Kontroversen entstanden lediglich um die Frage, inwieweit Deutschland auch militärisch zur Atommacht aufsteigen sollte.6 Zwar wurde mit der sog. Londoner Akte vom 3. Oktober 19547 ein ABC-Waffenverbot für die neu gegründete Bundeswehr verankert. Unter dem Eindruck des Kalten Krieges bestanden aber durch den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß dennoch Bestrebungen, die Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen auszurüsten.8 Auf ziviler Ebene folgte die Gründung der deutschen Atomkommission am 26. Januar 1956 und nur ein Jahr später die Inbetriebnahme des ersten Forschungsreaktors in Garching bei München. Nach dem Beitritt zur Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) im Jahr 1957 wurde mit dem 1960 in Kraft getretenen Atomgesetz9 die rechtliche Grundlage für den Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie geschaffen. Zwar existierte von Seiten der Energiewirtschaft eine gewisse Skepsis, ob die versprochenen großen wirtschaftlichen Vorteile im Hinblick auf die hohen Investitionskosten und das Betriebsrisiko tatsächlich bestehen.10 Dies änderte sich aber grundlegend mit der verstärkten staatlichen
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Für einen dezidierten Überblick Goeppner, Vorgeschichte und Entstehung des Atomgesetzes vom 23.12.1959, 2013, S. 2 ff.; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 29 ff., 56 ff.; Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010; ebenso Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 12 ff.; Eckert, VfZG 1989, S. 115, 117 ff., der allerdings in der historischen Gesamtschau noch früher ansetzt; vgl. weiterhin Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 72 ff. 5 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 74 f. m. w. N.; Winter, ZfU 2012, S. 209 f. 6 Vgl. hierzu Göttinger Erklärung von 1957, https://www.uni-goettingen.de/de/text-des-g% C3 %B6ttinger-manifests/54320.html, (geprüft am 26.9.2019), in der 18 Atomforscher einen verantwortlichen Umgang mit der Kernenergie forderten. 7 Textfassung abrufbar unter http://www.cvce.eu/obj/die_schlu%DFakte_der_londoner_ neunmachte-konferenz_london_28_september_3_oktober_1954-de-9929e166 - 3f19 - 4768 - 94 fd-74564959bc5a.html, (geprüft am 26.9.2019); zum Inhalt Schulz, Das Parlament 40/2004, S. 2; die Londoner Akte bildete als Reaktion auf das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Grundlage für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und den am 9.5.1955 erfolgten NATO-Beitritt. 8 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 73 f.; diese Frage aufwerfend Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 119 f. 9 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 23.12.1959, BGBl. I S. 814. 10 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 75 f.; Löbl, in: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Heft 93, 1961, S. 7; vgl. auch Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 94 f., 135 f.
II. Verworfene Endlageroptionen
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Förderung zur Vermeidung einer potenziellen Energielücke.11 Mithilfe von zinsverbilligten Krediten, Bürgschaften und direkten Zuschüssen speiste der Versuchsreaktor Kahl im Juni 1961 den ersten Atomstrom in deutsche Netze ein.12 Es folgte der Netzanschluss des ersten kommerziellen Leistungsreaktors in Gundremmingen am 12. November 1966.13 Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war dies bereits am 9. Mai 1966 mit dem AKW Rheinsberg der Fall.14
II. Verworfene Endlageroptionen Mit dem staatlich unterstützten Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie waren auch erste rudimentäre Schritte in der Endlagerforschung verbunden. Insbesondere das Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) erarbeitete ein Verfahren zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und der Etablierung eines nuklearen Brennstoffkreislaufes.15 Bereits im Jahr 1963 hatte die damalige Bundesanstalt für Bodenforschung16 die Einlagerung aller radioaktiven Abfälle in Steinsalz vorgeschlagen.17 Eine erste alternative Standortsuche wurde in den Jahren 1964 bis 1966 in Niedersachsen durchgeführt.18 Nachdem diese letztendlich ergebnislos verlief,19 forcierte ab dem Jahr 1973 die Bundesregierung in Kooperation mit der Industrie unter Federführung der Kernenergie-Wiederaufbereitungsgesellschaft mbH (KEWA) die Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums (NEZ).20
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Vgl. dazu Armand/Etzel/Giordani, Ziele und Aufgaben für EURATOM, 1957, passim, die eine Energieknappheit als entscheidenden Hemmschuh für den wirtschaftlichen Fortschritt sehen; krit. Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 82 ff. 12 Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1990, S. 442; König, ZNER 2012, S. 232; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 8. 13 Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1990, S. 369 f. 14 Müller, Geschichte der Kernenergie in der DDR, 2001, S. 176; näher zum AKW Rheinsberg S. 155 ff. 15 Breloer/Breyer, atw 2013, S. 2, 2; zum Konzept des nuklearen Brennstoffkreislaufs, vgl. Birkhofer, in: Czakainski (Hrsg.), Perspektiven der Kernenergie, 1984, S. 132 ff. sowie den nachfolgenden Abschnitt B. II. 1. a); näher zum Kernforschungszentrum Karlsruhe Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 119 ff. 16 Inzwischen umbenannt in Bundesgesellschaft für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). 17 BfB, Bericht zur Frage der Möglichkeiten der Endlagerung radioaktiver Abfälle im Untergrund, 15.5.1963, S. 2, 23; Breloer/Breyer, atw 2013, S. 2; vgl. weiterhin Tiggemann, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85 m. w. N. 18 BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 16, 49. 19 Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 159 ff.; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 80. 20 Breloer/Breyer, atw 2013, S. 2, 3; weitergehende Ausführungen in Abschnitt B. II. 1. b).
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
Zentrale Grundlage war die mit der sog. Entsorgungsnovelle von 197621 für den Betrieb von Kernkraftwerken eingeführte Notwendigkeit eines Entsorgungsnachweises. Sollten bei dem Nuklearen Entsorgungszentrum noch alle Anlagen zur Wiederaufarbeitung und Endlagerung an einem Standort realisiert werden, sah das von politischen Motiven geleitete integrierte Entsorgungskonzept,22 welches den Entsorgungsvorsorgegrundsätzen 198023 zugrunde lag, eine räumliche Trennung und zeitlich gestaffelte Realisierung von Wiederaufarbeitungs- und Endlageranlagen vor.24 Die soeben skizzierten verschiedenen Ansätze in der bundesrepublikanischen Entsorgungspolitik werden nachfolgend chronologisch aufgearbeitet (1.). Neben diesen nationalen Bemühungen zur Beseitigung der radioaktiven Abfälle wurden in den Anfängen der Kernenergienutzung auch international weitere Entsorgungsoptionen diskutiert. Eine überblicksartige Vorstellung erfolgt im Anschluss (2.).25 1. Nationale Entsorgungsstrategien a) Das Konzept des nuklearen Brennstoffkreislaufs Die Frage der Endlagerung von radioaktiven Abfällen spielte in der Anfangszeit der nuklearen Forschung noch keine zentrale Rolle.26 Vielmehr war sie ein Baustein des sog. nuklearen Brennstoffkreislaufs.27 Diesem Konzept liegt zugrunde, dass die in einem Kernreaktor verbrauchten Brennstoffe durch Wiederaufbereitung erneut in Reaktoren Verwendung finden.28 Im Fokus der Überlegungen stand zu Beginn jedoch 21
4. AtG-Novelle vom 30.8.1976, BGBl. I S. 2573 ff. Weitergehende Ausführungen in Abschnitt B. II. 1. c). 23 Vgl. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 686 f. sowie Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik“, Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik”, BT-Drs. 8/ 4341, S. 155 ff. 24 Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999, Rn. 983. 25 Vgl. Abschnitt B. II. 2. 26 Gesprochen wird von „randständig“, vgl. Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 206; die Entsorgungsfrage als „Lebenslüge der Kernenergienutzung“ bezeichnend Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 133. 27 Ausführlich mit einer Differenzierung zwischen Leichtwasserreaktoren und Brütertechnologie Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 24 ff., 62, 63 ff.; instruktiv Birkhofer, in: Czakainski (Hrsg.), Perspektiven der Kernenergie, 1984, S. 132 ff.; schematische Darstellungen bei Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 406 sowie Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 27. 28 Darstellung bei Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 195 ff., die jedoch treffend darauf hinweisen, dass es sich nicht um ein „geschlossenes System“ handelt und dem Begriff daher „suggestiven Charakter“ zuschreiben; näher zur Wiederaufarbeitung und insbesondere der Anlage am Kernforschungszentrum Karlsruhe Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 549 ff. 22
II. Verworfene Endlageroptionen
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weniger eine Reduzierung des zu entsorgenden Atommülls. Zwar beginnt der Kreislauf mit dem Abbau uranhaltiger Erze und endet mit der Entsorgung radioaktiver Abfallstoffe.29 Auch können sowohl die benötigten Uranmengen als auch die anfallenden und endzulagernden Abfallmengen durch den Prozess der Wiederaufbereitung und Wiederverwendung reduziert werden.30 Die wahre Absicht bestand allerdings darin, die Abhängigkeit der Bundesrepublik vom Import von Natururan bzw. angereichertem Uran zu reduzieren.31 So wurde in optimistischen Prognosen davon ausgegangen, dass in einem Kreislauf zwischen Leichtwasserreaktoren und „Schnellen Brütern“32 auf der einen Seite und Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) auf der anderen Seite die Ausnutzung des eingesetzten Urans bis um den Faktor 60 höher sei als beim einmaligen Einsatz in einem Leichtwasserreaktor.33 Dies geschieht dadurch, dass in Leichtwasserreaktoren34 das aus Uran238 durch Neutronenbestrahlung unvermeidbar entstehende Plutonium gezielt vermehrt wird. Dieses Plutonium dient dann wiederum als Brennstoff in Reaktoren mit Schneller-Brüter-Technologie. Dieser Argumentation standen jedoch vielfältige kritische Stimmen gegenüber, die dem Brüter-Konzept einen primären Nutzen aus militärischer Perspektive zuschrieben.35 Das bei der Wiederaufarbeitung sowie dem Brutprozess entstehende Plutonium hätte etwa auch als Grundstoff für nukleare Sprengkörper dienen kön29
Strauß, Kraftwerkstechnik, 2009, S. 53. S. a. Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 34 (Fn. 126); näher zum Prozess der Wiederaufbereitung John, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2014, § 10 Rn. 96. 31 Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 204; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 26; Roser, atw 1999, S. 650 f. 32 Im Schnellen Brutreaktor wird im Unterschied zum Leichtwasserreaktor u. a. flüssiges Natrium als Kühlmittel sowie neben Uran238 auch Plutonium als Brennstoff eingesetzt. Durch den Brutprozess bleibt während des Betriebs die Menge an eingesetztem Plutonium nicht nur erhalten, sie nimmt netto sogar zu. Insofern wäre die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente von Leichtwasserreaktoren nur für eine Erstausstattung der Schnellen Brüter relevant, vgl. Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 63 f., 66 m. w. N.; die Kontroverse um diesen Reaktortyp entzündete sich vorwiegend an dem Umstand, dass mit dieser Technologie zwar ein höherer Wirkungsgrad zu erzielen sei, die Folgen eines Unfalls aber ungleich schwerer wiegen würden, vgl. Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 195 ff. 33 Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 26; Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 67 m. w. N. 34 Leichtwasserreaktoren, in denen H2O als Kühlmittel fungiert, werden in Siede- und Druckwasserreaktoren unterteilt. In Ersterem verdampft das Wasser im Druckbehälter, wohingegen beim Druckwasserreaktor die Verdampfung im Dampferzeuger eines zweiten Kreislaufs stattfindet. Als Brennstoff kommen Uran235 sowie Uran238 zum Einsatz, vgl. Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 23, 62. 35 Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945 – 1975, 1983, S. 169, der den Wunsch nach „Autarkie“ als Deckmantel für den „Vorrang der Plutoniumproduktion“ bezeichnet; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 196, 197; darstellend Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 70 ff.; Eckert, VfZG 1989, S. 115, 122; die Wirtschaftlichkeit bestreitend Fischer/Hahn/Küppers u. a., Der Atommüll-Report, 1989, S. 159 ff. 30
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
nen.36 Die Frage, welche Motive für die Konzeption ausschlaggebend waren, spielte für die Endlagerthematik nur eine untergeordnete Rolle. Unabhängig davon blieben nur die Abfallmengen zu entsorgen, die beim Prozess der Wiederaufarbeitung anfielen bzw. erst gar nicht einer Wiederaufarbeitungsanlage zugeführt wurden. Diese sollten nach einer Sammlung in zentralen Zwischenlagern (Ahaus und Gorleben) einer endlagergerechten Konditionierung unterzogen und schließlich in tiefen geologischen Formationen eingelagert werden. Ein solches Entsorgungskonzept mit Wiederaufarbeitung wurde von der Bundesrepublik grundsätzlich bis zum Jahr 1998 favorisiert, mit der Änderung des Atomgesetzes vom 22. April 200237 aber endgültig beendet. Die problembehaftete Entwicklung der Brütertechnologie38 ließ durch die fehlende Wirtschaftlichkeit ein zentrales Element des (zivilen) Nutzens allerdings schon früher entfallen.39 Obwohl das Konzept des Brennstoffkreislaufs über Jahrzehnte Bestand hatte, erfuhr es im Detail fortwährend Modifikationen. Kennzeichnend hierfür waren u. a. die widerstreitenden Interessen von Industrie, Politik auf Bundes- und Landesebene sowie zunehmende Proteste von Seiten der Zivilbevölkerung.40 Nachfolgend sollen die für den Bestandteil „Entsorgung/Endlagerung“ relevanten Zwischenschritte dieser Entwicklung kursorisch aufbereitet werden. b) Die Standortsuche für das Nukleare Entsorgungszentrum Zur Umsetzung des letzten Abschnitts des nuklearen Brennstoffkreislaufs favorisierte die Bundesregierung Anfang der 1970er Jahre den Gedanken eines Nuklearen Entsorgungszentrums (NEZ) mit der räumlichen Zusammenfassung von Einrichtungen zur Wiederaufarbeitung, Brennelementefertigung, Konditionierung und Endlagerung.41 Wesentliche Triebfeder war die Nutzung von Effizienzgewinnen
36 Strauß, Kraftwerkstechnik, 2009, S. 55; Eckert, VfZG 1989, S. 115, 122; Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 72 f. 37 Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v. 22.4.2002, BGBl. I S. 1351, mit einer Übergangsfrist für festgelegte Wiederaufarbeitungsmengen bis zum 1.7.2005, vgl. BT-Drs. 14/6890, S. 16 f., 22 f. 38 U. a. erwiesen sich sowohl Bedarfskalkulation für Atomstrom als auch die Abschätzung der frei verfügbaren Uranvorräte als grob fehlerhaft. Somit erschien ein ökonomischer Betrieb von Brutreaktoren zunehmend unwahrscheinlicher, vgl. Roßnagel, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprobleme der Wiederaufarbeitung, S. 17, 50 ff. m. w. N.; vgl. auch Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 457 ff., 478 f. 39 Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 197. 40 Zu Letzterem vgl. Radkau, APuZ 46 - 47/2011, S. 7, 10 f. 41 Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 68; BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 16; umfassende Darstellung bei Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 229 ff.; zusammenfassend Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 404 f.; Tiggemann, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 90 f.; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als na-
II. Verworfene Endlageroptionen
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wie etwa eine erhebliche Reduzierung von Transportkosten zwischen den einzelnen Anlagenteilen.42 Im Auftrag der Bundesregierung war mit der Standortfindung federführend die KEWA befasst, die für einen Alternativenvergleich in einer bundesweiten Studie von 1973 – 1976 zunächst Umwelt-, Sicherheits- sowie wirtschaftliche Kriterien entwickelte.43 Der Fokus lag auf den Anforderungen für eine Wiederaufarbeitungsanlage. Das Endlager stellte eher eine zusätzliche Anforderung an den Standort.44 Weiterführende geologische Untersuchungen an den auf diese Weise ermittelten Gemeinden Ahlden (Salzstock Lichtenhorst), Börger (Salzstock Wahn) und Faßberg wurden aufgrund der ablehnenden Haltung der Bevölkerung vor Ort im August 1976 eingestellt.45 Dem Scheitern der KEWA-Studie folgte ein Auswahlverfahren der niedersächsischen Landesregierung.46 Diesem Standortfindungsprozess, der von einem interministeriellen Arbeitskreis (IMAK) geleitet wurde, lag ein erweiterter Kriterienkatalog zugrunde.47 Ebenso wurde der Standort Gorleben mit einbezogen. Im Rahmen der KEWA-Studie war er noch aufgrund der Lage in einem Vorranggebiet für Fremdenverkehr ausgeschieden.48 Im Vergleich mit den Standorten Wahn, Lichtenhorst und Mariaglück erwies sich Gorleben aufgrund der Ausdehnung des Salzstocks, dessen Tiefenlage und Unverritztheit als am besten geeignet.49 Bedenken wegen der Grenzlage zur ehemaligen DDR stellte man zutionale Aufgabe, 2005, S. 21; zu einer Liste der jeweiligen Anlagen, vgl. Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 58. 42 Möller, Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S. 239; Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 59; anders Fischer/Hahn/Küppers u. a., Der Atommüll-Report, 1989, S. 103 f., welche die Kostenminimierung als „marginal“ bezeichnen. 43 Zu den einzelnen Kriterien, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 69, im Übrigen zum Verfahren S. 67 ff.; BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008. 44 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 143 f.; dies explizit kritisch bewertend Möller, Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S. 254 f. 45 BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 17; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 21. 46 Mit einer umfassenden Darstellung des Auswahlprozesses Tiggemann, Gorleben als Entsorgungs- und Endlagerstandort, Expertise zur Standortvorauswahl für das „Entsorgungszentrum“ 1976/77, 28.5.2010; kürzer ders., atw 2010, S. 606, 610 ff.; zur Gesamtdarstellung des Verfahrens, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 77 ff., zu den Kriterien vgl. S. 78 ff.; ebenso Bluth/Schütte, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 37, 38 ff. 47 BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 17, 51. 48 Tiggemann, atw 2010, S. 606, 611. 49 BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 51; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005,
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
rück.50 Vielmehr wurde diese Lage sogar aus strukturpolitischen Erwägungen als günstig eingestuft.51 Ministerpräsident Ernst Albrecht gab schließlich am 22. Februar 1977 schließlich die Entscheidung des Niedersächsischen Kabinetts für den Standort Gorleben bekannt.52 Die Bundesregierung schloss sich dem – trotz Bedenken aufgrund der Grenznähe – am 5. Juli 1977 an.53 Daraufhin erhielt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) den Auftrag, den Antrag auf Planfeststellung eines Nuklearen Entsorgungszentrums am Standort Gorleben zu stellen. c) Der Übergang zum integrierten Entsorgungskonzept Das vorstehend skizzierte Nukleare Entsorgungszentrum wurde jedoch niemals realisiert. Die niedersächsische Landesregierung rückte 1979 im Anschluss an den von einer internationalen Expertenkommission verfassten „Gorleben-Report“54 und dem darauf folgenden sog. „Gorleben-Hearing“55 von einem Konzept mit WiederS. 22 f.; Tiggemann, atw 2010, S. 606, 611 f., mit einer Darlegung zum Ausschluss der anderen Standorte; ders., in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 94 ff.; krit. Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 209, welche die Auswahlkriterien aus heutiger Sicht als unzureichend betrachtet. 50 Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 94 f., insb. S. 96; zu den Bedenken, vgl. auch Tiggemann, Gorleben als Entsorgungs- und Endlagerstandort, Expertise zur Standortvorauswahl für das „Entsorgungszentrum“ 1976/77, 28.5.2010, S. 53 ff., 66 ff., zur Zustimmung der Bundesregierung S. 81 ff.; ders., atw 2010, S. 606, 611. 51 Tiggemann, atw 2010, S. 606, 611, mit Verweis auf die Investitionssumme von voraussichtlich 8 bis 10 Mrd. DM sowie 3.000 bis 4.000 Arbeitsplätzen; die günstigen Eigentumsverhältnisse sprachen aber wohl ebenfalls für Gorleben, vgl. ders., Gorleben als Entsorgungsund Endlagerstandort, Expertise zur Standortvorauswahl für das „Entsorgungszentrum“ 1976/ 77, 28.5.2010, S. 74. 52 Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 416 f. m. w. N., mit der Einschränkung auf einen „vorläufigen Standort für eine mögliche Anlage“. 53 Zu den Erwägungen der Bundesregierung, die auf der Notwendigkeit eines Entsorgungsnachweises und internationalen Beziehungen zur USA fußten, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 95 ff.; zu den Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke, BT-Drs. 8/1281, S. 10; weiterhin Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 419 ff.; ders., in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 97 f., 99. 54 Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 24; für eine Zusammenfassung von kritischen Stimmen, vgl. Hatzfeldt/Hirsch/Kollert, Der Gorleben-Report, 1979. 55 Hierbei handelte es sich um ein unter dem Titel „Rede – Gegenrede“ in Hannover vom 28. – 31.3. sowie am 2. und 3.4.1979 stattfindendes Symposium der Niedersächsischen Landesregierung zur grundsätzlichen sicherheitstechnischen Realisierbarkeit eines integrierten nuklearen Entsorgungszentrums; zum Inhalt und Ergebnissen, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 98 ff. m. w. N.; die Neuartigkeit einer solchen Öffentlichkeitsarbeit betonend Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 611.
II. Verworfene Endlageroptionen
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aufbereitungsanlage am Standort Gorleben bzw. in Niedersachsen ab.56 Hintergrund waren auch die massiven Proteste der Bevölkerung vor Ort und von Umweltorganisationen, die sich unter dem Eindruck des Störfalls im Kernkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg (USA) verschärften.57 Fachlich wurde der Verzicht auf die Wiederaufbereitungsanlage damit begründet, dass deren eigentlicher Vorteil erst im Verbund mit der Reaktortechnik des Schnellen Brüters eintrete. Dessen Entwicklung hatte sich aber weiter verzögert.58 Der Salzstock Gorleben sollte allerdings weiterhin auf seine Eignung als Endlagerstätte untersucht werden.59 Ebenso verblieb es bei der Projektierung eines Zwischenlagers.60 Das nunmehr verfolgte integrierte Entsorgungskonzept61 verabschiedete sich hingegen nicht vollständig von der Idee der Wiederaufarbeitung.62 Diese sollte vielmehr an einem anderen Standort in der Bundesrepublik realisiert werden.63 Diese Entwicklung war augenscheinlich auf 56 Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 24; ebenso Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 146 f. 57 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 146; Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 100 f.; vgl. auch zu den Protesten detailliert Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 484 ff.; weiterhin Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 304 f.; Radkau, APuZ 46 – 47/2011, S. 7, 11. 58 Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 662 ff.; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 26 f.; für eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Regierungserklärung von Ministerpräsident Albrecht, vgl. Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 60. 59 Vgl. kritische Darstellung der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 141; unter dem Hinweis, dass mit der Änderung der Konzeption die ursprünglichen Auswahlkriterien entwertet wurden. 60 Dies führte in Kombination mit den Planungen zur Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage im nur 25 km entfernten Dragahn zu Befürchtungen der NEZ-Gegner, das Konzept solle nun schrittweise umgesetzt werden, vgl. dazu Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 603, 641, 700 ff.; zum Ganzen Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BTDrs. 17/13700, 23.5.2013, S. 100 f., zu Auszügen der Regierungserklärung von Ministerpräsident Albrecht. 61 Zur Begriffsdifferenzierung als Ergebnis der Sitzung von Regierungschefs von Bund und Ländern am 28.9.1979, vgl. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 683. 62 Kritisch zur Idee der Wiederaufarbeitung und die direkte Endlagerung befürwortend Fischer/Hahn/Küppers u. a., Der Atommüll-Report, 1989, S. 159 ff. 63 Wenngleich mit einer nun vorgesehenen einmaligen Wiederaufarbeitung lediglich eine Uraneinsparung von 10 bis maximal 20 % erreicht werden konnte und die Idee des ursprünglich geplanten nuklearen Brennstoffkreislaufs nicht zu realisieren war, vgl. Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 28; zu technischen Details der geplanten Anlage m. w. N. Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 61 f.; zu möglichen Standorten Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 702 ff.
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
politische Erwägungen im föderalen System zurückzuführen.64 Schließlich ist zu konstatieren, dass mit einer räumlichen Trennung der Entsorgungsschritte wesentliche Vorteile des Brennstoffkreislaufes entfielen, obgleich Risiken im Bereich Proliferation65 oder Transport bestehen blieben oder sich sogar erhöhten.66 Trotz der Verzögerungen beim Bau der Wiederaufbereitungsanlage wurde das Entsorgungskonzept dem Grunde nach auf Basis der Entsorgungsgrundsätze vom 29. Februar 1980 beibehalten.67 Die direkte Endlagerung bestrahlter Brennelemente wurde lediglich erforscht und noch nicht als praktizierbarer Entsorgungsweg eingestuft.68 Noch 1988 sah das Konzept weiterhin den Bau und die Inbetriebnahme der WAA Wackersdorf69 bis zum Jahr 1996, die Einlagerung schwach radioaktiver Abfallstoffe im Schacht Konrad sowie die Nutzung des Standortes Gorleben als Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe vor, sofern sich dessen Eignung bestätigen sollte. Eine Abkehr von diesen Plänen zeichnete sich erst im Frühjahr 1989 ab, als das Energieversorgungsunternehmen VEBA bekannt gab, mit dem französischen Unternehmen COGEMA über die Aufarbeitung abgebrannter Brennelemente in der Anlage in La Hague zu verhandeln.70 Nach Gesprächen mit den Regierungen Frankreichs und Großbritanniens stellte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 6. Juni 1989 fest, dass eine vertraglich dauerhaft abgesicherte Wiederaufarbeitung in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft als Teil des integrierten Entsorgungskonzepts und damit als Entsorgungsnachweis für abgebrannte Brennelemente anerkannt werden kann.71 Faktisch beendete diese Ent64
S. a. Breloer/Breyer, atw 2013, S. 2, 3. Unter Proliferation ist der ungewollte Zugriff auf nukleares Material von außen und dessen Nutzung für und Weiterverbreitung als Massenvernichtungswaffen zu verstehen. 66 Vgl. Schlussfolgerung bei Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts, 1988, S. 62; ebenso die Darstellung der Kritik des bayer. Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß bei Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 681. 67 Vertiefend zu den Entsorgungsgrundsätzen Lange, Die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke, 1990, S. 17 ff.; zu deren Genese und unterschiedlichen Positionen von Bund und Ländern, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 101 ff.; vgl. auch Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 686 f. 68 Die direkte Endlagerung als „Stiefkind der bundesdeutschen Entsorgungspolitik“ bezeichnend und die Wiederaufarbeitung explizit kritisch beurteilend Fischer/Hahn/Küppers u. a., Der Atommüll-Report, 1989, S. 141 ff. 69 Zur Genese des Standortes Wackersdorf, vgl. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 713 ff. 70 Begründet wurde das Vorhaben mit wirtschaftlichen Vorteilen gegenüber einer Wiederaufarbeitung im Inland. In der Folge nahmen weitere Betreiber deutscher Kernkraftwerke Verhandlungen mit der COGEMA und der BNFL (Betreiber der britischen Wiederaufarbeitungsanlage THORP in Sellafield) auf, vgl. Roser, atw 1999, S. 650, 651; Roßnagel/Gündling, Die Wiederaufarbeitung im Ausland und das deutsche Atomrecht, 1991, S. 16; Roßnagel, DVBl. 1991, S. 839. 71 BMU, Pressemitteilung 44/89, 6.9.1989; erste Verträge zur Wiederaufarbeitung wurden dann bereits im Jahr 1990 geschlossen, vgl. Roßnagel/Gündling, Die Wiederaufarbeitung im 65
II. Verworfene Endlageroptionen
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scheidung den Versuch, eine Wiederaufarbeitungsanlage in Deutschland zu realisieren.72 Im Hintergrund spielten sicherlich auch die massiven Proteste gegen den Bau der WAA Wackersdorf73 eine gewichtige Rolle, welche im Lichte der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl74 einen zusätzlichen Schub erreichten. Im Jahr 1991 wurde als Konsequenz eines Urteils des BVerfG75 auch das Genehmigungsverfahren des Schnellen Brüters Kalkar abgebrochen.76 Im Rahmen dieser Entwicklungslinie wurde mit der Atomrechtsnovelle von 199477 die direkte Endlagerung bestrahlter Brennelemente als gleichberechtigter Entsorgungsweg zur Wiederaufbereitung zugelassen.78 d) Zwischenfazit Mit der Aufgabe der Brütertechnologie und der Abkehr von einer Wiederaufbereitungsanlage in Deutschland waren das Konzept des nuklearen Brennstoffkreislaufs bzw. dessen wesentlichen Teile obsolet. Als potenzielle Entsorgungsalternativen im Gebiet der Bundesrepublik blieben lediglich die Zwischenlagerung Ausland und das deutsche Atomrecht, 1991, S. 22; die Vereinbarungen bedeuteten gleichzeitig eine Abkehr vom Konzept alle Bereiche der Entsorgung in nationaler Verantwortung zu lösen, vgl. Borck, Die Endlagerung radioaktiver Abfälle aus Deutschland im Ausland, 2014, S. 12; BfS, Dezentrale Zwischenlager, 2008, S. 17. 72 Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 357; s. a. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 724; Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 17 f.; Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 721 f.; Popp, in: Hocke/ Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 53, 58 f. kritisiert die „abrupte“ Beendigung des Projekts Wackersdorf seitens der DWK und sieht darin einen Wendepunkt für die bis dahin „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Staat in Fragen der Kernenergie“. 73 Zum Scheitern der WAA Wackersdorf trotz bestehender Teilerrichtungsgenehmigungen und teilweisen Baufortschritts, vgl. Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 407; Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 719 ff.; Becker, Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne, 2011, S. 211; kürzer Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 38 f.; ausführlich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Kliment, Kernkraftprotest und Medienreaktionen, 1994. 74 Vgl. hierzu Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 337 ff.; zur Unterrichtung des Bundestages durch Bundesregierung, vgl. auch BT-Drs. 10/ 6442. 75 BVerfGE 81, 310 – Kalkar II. 76 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 39 f.; Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 475; neben Sicherheitsbedenken die ökonomische Komponente betonend Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 342. 77 7. AtG-Novelle vom 19.7.1994, BGBl. I S. 1618 ff.; Roser, atw 1999, S. 650. 78 Schmidt-Preuß, Rechtsfragen des Ausstiegs aus der Kernenergie, 2000, S. 11; Roser, atw 1999, S. 650 f.; Müller-Dehn, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn (Hrsg.), AtG 2002, § 9a Rn. 179.
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sowie die Endlageroptionen Schacht Konrad und Gorleben, die weiter untersucht, erforscht bzw. projektiert wurden. Letztlich kommt dies dem heutigen Status quo relativ nahe. Die industrielle Wiederaufarbeitung – auch im Ausland – ist nach der Atomrechtsnovelle 200279 seit dem Jahr 1. Juli 2005 verboten.80 Als einzige Entsorgungsmöglichkeit verbleibt somit die direkte Endlagerung.81 Die bis dahin erforderliche Zwischenlagerung erfolgt nunmehr nur noch in Ausnahmefällen in den zentralen Zwischenlagern in Ahaus und Gorleben. Vielmehr wird mit der Einrichtung von dezentralen, an den Standorten der Kernkraftwerke angesiedelten Zwischenlagern82 die Anzahl von Transporten bestrahlter Brennelemente verringert und das Prinzip einer regionalen Lastentragung verfolgt.83 2. Überholte Endlagerideen Dem in Deutschland schon früh verfolgten Konzept der Isolation radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen stehen verschiedene andere Entsorgungsalternativen gegenüber, die in der Vergangenheit parallel diskutiert und zumindest teilweise oder vorübergehend praktiziert wurden.84 a) Entsorgung im Weltall Insbesondere die USA untersuchte während der 1970er und 1980er Jahre die Option, radioaktiver Abfälle im Weltall zu entsorgen.85 Aus Kostengründen sollte diese Alternative jedoch grundsätzlich nur für kleine, besonders langlebige Abfallmengen angewandt werden.86 Im Einzelnen wurde die Verbrennung der Abfälle in 79
Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v. 22.4.2002, BGBl. I S. 1351. 80 BT-Drs. 14/6890, S. 16 f., 22 f.; ausführlich zum Verbot der Wiederaufarbeitung Schmidt-Preuß, Rechtsfragen des Ausstiegs aus der Kernenergie, 2000, S. 11 ff.; Gewaltig, Kernenergie und Wiederaufarbeitung, 2003, S. 131 ff.; Huber, DVBl. 2001, S. 239, 242; Wollenteit/Gebauer, ZUR 1999, S. 250; Müller-Dehn, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn (Hrsg.), AtG 2002, § 9a Rn. 182; vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 16 Rn. 231 ff. 81 Vgl. Röhlig/Geckeis/Mengel, CiuZ 2012, S. 140, 143 f.; John, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2014, § 10 Rn. 95. 82 Zur Verfassungsmäßigkeit der dezentralen Zwischenlagerung, vgl. BVerfGK 14, 402 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld. 83 S. a. Gesetzesmaterialien, BT-Drs. 17/6890, S. 17. 84 Vgl. Darstellung bei Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 171 ff.; AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 23 ff.; Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 10 ff.; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016 m.w.N; mit einer überblicksartigen Bewertung aus technischer Sicht Röhlig/Geckeis/Mengel, CiuZ 2012, S. 140, 143 f. 85 Rabben, Rechtsprobleme der atomaren Entsorgung, 1988, S. 38; die ursprüngliche Idee an die Sowjetunion adressierend Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 126. 86 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 23.
II. Verworfene Endlageroptionen
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der Sonne, die Verbringung in die Umlaufbahnen (z. B. von Erde, Mond oder anderen Planeten) sowie der Transport aus dem Sonnensystem heraus diskutiert.87 Neben den im Vergleich zu einer geologischen Lagerung erhöhten Kosten ist jedoch insbesondere das Sicherheitsrisiko eines Raketenfehlstarts zu bedenken, welches von der National Academy of Sciences der USA (NAS) im Bereich von 1 bis 10 % angegeben wird.88 Einen Hinderungsgrund bildet zudem Kapitel IX des sog. Weltraumvertrages.89 Das am 10. Oktober 1967 in Kraft getretene Abkommen bindet die Bundesrepublik Deutschland nach Ratifizierung seit 10. Februar 1971 rechtlich. Demnach haben sich die Unterzeichner verpflichtet, den Weltraum von schädlichen Kontaminationen frei zu halten. Die Entsorgung im Weltall ist somit zum einen aufgrund der Kostensituation nicht geeignet eine umfassende und vollständige Lösung zu bieten. Auch das Risiko von Zwischenfällen im Umfeld des Startvorgangs mit dann großflächigen Kontaminationen lässt diese Variante ungeeignet erscheinen.90 Zum anderen bestehen Restriktionen aus völkerrechtlichen Verpflichtungen.91 b) Verbringung ins Antarktis- bzw. Grönlandinneneis Ebenfalls auf die National Academy of Sciences sind die schon im Jahr 1957 entwickelten Konzepte für eine Lagerung von radioaktiven Abfällen in Eis und Permafrost zurückzuführen.92 Die in Betracht gezogenen Techniken variierten von einer Verankerung an der Eisoberfläche bis zu einem eigenständigen, zerfallswärmeinduzierten Absinken zur Erdoberfläche.93 Während sogar der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagersuche (AkEnd) in seinem Abschlussbericht im Jahr 2002 die vorteilhaften klimatischen Bedingungen mit großflächigen und entsprechend mächtigen Eiskappen noch als persistent betrachtete,94 wird der dauerhaft sichere 87 Mit weiteren detaillierten Nachweisen BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 1 f. 88 Zitiert nach Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 10; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 2. 89 Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper, BGBl. 1969 II S. 1967. 90 Vgl. GRS, Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland, 2008, S. 6, 8. 91 S. a. Empfehlung der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 184 f., die ihre Ablehnung insb. auf das „inakzeptabel hohe(n) Risiko massiver Radionuklidfreisetzung in der Biosphäre“ stützt. 92 Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 11 f.; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016 S. 3 f. m. w. N. 93 Zu einem Überblick über die von den deutschen Wissenschaftlern von Erichsen und Philberth vorgeschlagenen Methoden, vgl. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 126 ff. 94 Vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 23.
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
Einschluss im Eis im Kontext der globalen Erwärmung zunehmend in Zweifel gezogen.95 Dies führte neben den erwartet hohen Transport- und Konditionierungskosten sowie letztlich nicht ausreichend erforschten Fragen über geophysikalische und geochemische Auswirkungen zu einer Abkehr von dieser Entsorgungsidee.96 Aus völkerrechtlicher Perspektive ist zudem nach Art. 5 des am 23. Juni 1961 in Kraft getretenen Antarktisvertrags97 die Lagerung von radioaktiven Abfällen in der Antarktis ausgeschlossen. c) Entsorgung in den Ozeanen Für die Entsorgung radioaktiver Abfälle in den Ozeanen wurden verschiedene Techniken diskutiert und zum Teil auch praktiziert. Im Einzelnen handelte es sich um eine Nutzung der Verdünnungswirkung, die Einlagerung in den Sedimentschichten der Ozeane sowie eine Verbringung in Subduktionszonen.98 Die Versenkung im Nordatlantik und Pazifik – vornehmlich für schwach- und mittelradioaktive Abfälle – welche einige OECD-Staaten bis Mitte der 1980er Jahre durchführten,99 wurde von der Nuclear Energy Agency (NEA) der OECD mit Blick auf die Verteilung der Aktivität auf große Wassermengen für einige Abfallarten bei Einhaltung entsprechender Grenzwerte als unbedenklich eingestuft.100 Die Abwurfzonen befanden sich hierbei weit entfernt von Küsten und aktiven Plattenrändern in Meerestiefen zwischen 2.000 und 4.000 Metern. Die dort vorherrschende 95 Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 11 f.; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 3 f. 96 So auch Empfehlung der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 185, mit dem Hinweis auf fehlende „hinreichend sichere Form der Endlagerung“ aufgrund des langen Nachweiszeitraumes. 97 Für weitergehende Informationen bzgl. des Antarktisvertrags und seiner Folgeverträge, vgl. die Webseite des Secretariat of the Antarctic Treaty, http://www.ats.aq/index_e.htm, (geprüft am 26.9.2019); vgl. auch Dietze, Internationale Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2012, S. 75. 98 Vgl. Alley/Alley, Too hot to touch, 2012, S. 29 ff.; Rabben, Rechtsprobleme der atomaren Entsorgung, 1988, S. 48 ff.; Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, KMAT 67, 3.6.2013, S. 12 ff.; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./ AG3 – 75, 5.1.2016, S. 4 ff. m. w. N.; mit einer Zuordnung zu den historischen Abläufen Möller, Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S. 110 ff., 202 ff.; zur von der Bundesrepublik Deutschland praktizierten Versenkung, vgl. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 129 ff. 99 Für einen Überblick der versenkten Abfallmengen auch aus der Bundesrepublik Deutschland, vgl. IAEA, Inventory of radioactive waste disposals at sea, 2015; zur von der Bundesrepublik Deutschland praktizierten Versenkung, vgl. Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 355; Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 129 ff.; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 13, 16. 100 Vgl. OECD/NEA, Review of the continued sustainability of the dumping site for radioactive wastes in the North-East Atlantic, 1985.
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geringe Strömung und hohe Wasserdichte ließ nachteilige Konsequenzen für eine mögliche Radionuklidausbreitung nur begrenzt erwarten.101 Die Verbringung in den Meeresboden wurde vor allem aufgrund der geringen Störfallwahrscheinlichkeit und des hohen Rückhaltepotenzials der Sedimentschichten befürwortet.102 Allerdings sind auch hiergegen das Argument langer Transportwege sowie das Bestehen großer Wissenslücken bezüglich der Tiefseebedingungen und die mangelnde Beherrschbarkeit von Störfällen ins Feld zu führen.103 Der Gedanke der Versenkung in Subduktionszonen104 fußt schließlich auf der Überlegung, dass mit dem Abtauchen einer tektonischen Platte die Abfallstoffe von der Biosphäre isoliert werden könnten. Allerdings besteht aufgrund der tektonischen Aktivität entlang der Grabenzonen ein erhöhtes Risiko für Zwischenfälle und eine ungewollte Radionuklidfreisetzung.105 Allen soeben geschilderten marinen Entsorgungsideen ist gemein, dass sie dem Regelungsregime der London Dumping Convention106 von 1972 unterstehen. Seit der 1996 erfolgten Ergänzung durch das London Protocol107 ist nicht nur die Entsorgung auf, sondern auch im Meeresboden und im tieferen Meeresuntergrund ausgeschlossen. Somit steht neben Sicherheits- und Kostenbedenken auch das völkerrechtliche Regelungsregime den Entsorgungsalternativen in den Ozeanen entgegen.108
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Die verschiedenen Argumente skizzierend Möller, Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S. 63; AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 24. 102 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 24; die Mächtigkeit der Tiefseeschlämme, in die ein Transportbehälter absinkt, sorgt für eine Bindung möglicherweise freigesetzter Radionuklide und kann so die Verbringung in die Biosphäre hemmen. 103 Vgl. Überblick zu „Hüte-Konzepten“ bei Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 95 f.; Alt/Kallenbach-Herbert/ Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 13; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 7 m. w. N. 104 Der Begriff aus der Plattentektonik beschreibt Bereiche, in denen zwei Kontinentalplatten aufeinandertreffen. Dabei taucht eine Lithosphärenplatte (Erdkruste und lithosphärischer Mantel) unter die andere in das Erdinnere ab. 105 Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 13; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 7 f. m. w. N. 106 London Dumping Convention, Convention on the Prevention of Marine Pollution by Dumping of Wastes and Other Matter, LC72. 107 London Protocol, Protocol on the Convention on the Prevention of Marine Pollution by Dumping of Wastes and Other Matters, 1972 (as amended in 2006), 1996. 108 S. a. Empfehlung der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 187 unter maßgeblichem Rekurs auf Sicherheitsbedenken.
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
d) Lagerung an oder nahe der Erdoberfläche Eine oberflächennahe Lagerung auch hochradioaktiver Abfälle ist derzeit gängige Praxis. Allerdings ist diese Technik in erster Linie als Zwischenlösung bis zu einer dauerhaften Entsorgung vorgesehen.109 Grundsätzlich bestünde aber auch die Möglichkeit diesen Zeitraum nahezu beliebig zu erweitern.110 Vorteile eines solchen Verfahrens sind die permanente Zugänglichkeit der Abfälle, ihre Überwachbarkeit und die Möglichkeit der sofortigen Intervention bei Störfällen.111 Eine solche Dauerlagerung widerspricht allerdings der aus den ethischen Prinzipien abgeleiteten Forderung, dass eine Entsorgungslösung derart auszugestalten sei, dass sie kein dauerhaftes aktives Tun für kommende Generationen auslöst.112 Nach den Empfehlungen der IAEA ist daher – mit Ausnahme von einigen kurzlebigen Isotopen – die Lagerung in tiefen geologischen Formationen zu bevorzugen.113 Als weitere Schwachstellen einer oberflächennahen Endlagerung werden zudem die unsichere Prognose hinsichtlich gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, die Gefahr von Unfällen, Kriegen, terroristischen Anschlägen, die Proliferationsgefahr sowie der finanzielle Aufwand für künftige Generationen und klimatische Unwägbarkeiten genannt. Zumindest für langlebige radioaktive Abfälle wird dieses Verfahren daher nahezu einhellig abgelehnt.114 e) Zwischenfazit Die vorstehend skizzierten Entsorgungsoptionen versprechen auf den ersten Blick einen einfachen und schnellen Weg sich der radioaktiven Abfälle dauerhaft zu entledigen. An dieser Stelle ist allerdings zu beachten, dass die genannten Konzepte jeweils mit einem unterschiedlichen Kenntnisstand bezüglich Folgen und Machbarkeit der Verfahren entwickelt wurden. Insofern liefern die Ideen zwar durchaus einen wertvollen Beitrag zur Diskussion rund um das Thema Endlagerung. Eine 109 BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 8 ff. m. w. N. 110 Zu verschiedenen Vorschlägen, vgl. Fischer/Hahn/Küppers u. a., Der Atommüll-Report, 1989, S. 166 f. 111 Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 14 f. 112 Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S. 15; GRS, Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland, 2008, S. 6 f.; i. d. R. Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30.5.2011, S. 15, 104. 113 IAEA, IAEA Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006, S. 13 ff.; s. a. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 89. 114 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 24; Alt/Kallenbach-Herbert/Neles, Fragen der Standortauswahl, K-MAT 67, 3.6.2013, S 14 f.; BGR, Entsorgungspfade der sogenannten Kategorie C, K-Drs./AG3 – 75, 5.1.2016, S. 9 f.; so auch Empfehlung der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 187 f., mit Verweis auf einen fehlenden Langzeitsicherheitsnachweis.
III. Bisherige Endlagerprojekte
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Analyse zeigt aber, dass allen Verfahren ähnliche Schwächen anhaften. Zu nennen wären hier, neben einem teilweise unverhältnismäßigen Kostenaufwand für Konditionierung115 und Transport, die entgegenstehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen und – letztlich entscheidend – der fehlende Langzeitsicherheitsnachweis. Es entspricht daher nahezu einhelliger Auffassung, dass eine dauerhafte Entsorgung in tiefen geologischen Formationen erfolgen soll.116
III. Bisherige Endlagerprojekte Nach diesem Überblick über den Entsorgungsprozess im Wandel der Zeit sowie verworfene Entsorgungsstrategien bleibt festzuhalten, dass die Forschung und politische Diskussion im Bereich der Endlagerung keineswegs ergebnis- und folgenlos geblieben ist. So existieren auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland insgesamt vier Standorte, die als Endlager für radioaktive Abfallstoffe projektiert, erkundet und zum Teil sogar – zumindest befristet – betrieben wurden. Im Einzelnen handelt es sich um die ehemalige Eisenerzgrube Schacht Konrad nahe Salzgitter (1.), das ehemalige Salzbergwerk Schachtanlage Asse II (2.) auf dem Gebiet der Gemeinde Remlingen (Landkreis Wolfenbüttel), das zentrale Endlager der ehemaligen DDR in Morsleben (3.) sowie das Erkundungsbergwerk im Salzstock Gorleben (4.). Die Meilensteine in historischer Perspektive sowie ein Ausblick zur weiteren Vorgehensweise an den jeweiligen Standorten werden nachfolgend kursorisch aufbereitet. 1. Schacht Konrad Das ehemalige Grubenerzgebäude Schacht Konrad nahe Salzgitter wurde am 22. Mai 2002 als Endlager für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung117 in einem Umfang von 303.000 m3 genehmigt.118 Das von der Phy115 Die Konditionierung bezeichnet die Überführung von radioaktiven Abfällen in einen chemisch stabilen, in Wasser nicht oder nur schwer löslichen Zustand, vgl. im Detail http:// www.grs.de/begriff-der-woche-konditionierung-radioaktiver-abfaelle, (geprüft am 26.9.2019). 116 Vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 25 f.; IAEA, IAEA Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006; OECD/ NEA, The Safety Case for Deep Geological Disposal of Radioactive Waste: 2013 State of the Art Symposium Proceedings, 2014; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 188 ff., 200 ff.; s. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 227; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 89. 117 BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S 16 f.; die Abfälle stammen aus dem Betrieb und dem Rückbau der Kernkraftwerke sowie aus Industrie, Medizin und Forschung. 118 Für eine ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 137 f.; ebenso Tiggemann, Die „Achilles-
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
sikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) eingeleitete Planfeststellungsverfahren nahm dabei einen Zeitraum von nahezu 20 Jahren ein.119 Gegen den abschließenden Planfeststellungsbeschluss erfolgten zudem zahlreiche Klagen.120 Das OVG Lüneburg hat diese mit Urteil vom 8. März 2006121 zurückgewiesen, ohne eine Berufung zuzulassen und dabei insbesondere die Pflicht zu einer vergleichenden Standortüberprüfung verneint. Das Bundesverwaltungsgericht verwarf die dagegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerden mit Beschlüssen vom 26. März 2007.122 Verfassungsbeschwerden blieben ebenfalls erfolglos. In einem der Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht der Stadt Salzgitter schon die Beschwerdefähigkeit abgesprochen.123 Weiterhin wurden die atomgesetzlichen Grundlagen der §§ 9a Abs. 3 S. 1, 9b Abs. 4 S. 1 i. V. m. § 7 Abs. „ Nrn. 1, 2, 3 und 5 sowie § 9b Abs: 4 S. 2 AtG a. F. – zumindest in Bezug auf ein Endlager für Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung – für verfassungsgemäß erklärt.124 Die Errichtung des Endlagers begann im Jahr 2007.125 Das Projektlaufzeitende ist aktuell nach mehrmaligen Verzögerungen für das erste Halbjahr 2027 vorgesehen.126 Der sich anschließende Einlagerungsbetrieb soll einen Zeitraum von 40 Jahren nicht übersteigen.127 Mit der Wahrnehmung der Betreiberaufgaben ist mit Wirkung vom 25. April 2017128 die
ferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 167 ff.; unter Einbeziehung der technischen Gegebenheiten Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 438 ff. 119 Vgl. Darstellung bei Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 354, dort Fn. 29; zu den einzelnen Verfahrensschritten ferner Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 17 ff. 120 U. a. klagten die Kommunen Lengede, Salzgitter und Vechelde sowie zwei Landwirte, vgl. Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 66. 121 OVG Lüneburg, Urt. v. 8.3.2006 – 7 KS 128/02 – Schacht Konrad, ZUR 2006, S. 489. 122 BVerwG, Beschluss v. 26.3.2007, Rs. 7 N 72/06 u. a., NVwZ 2007, S. 833, 837, 844 – Schacht Konrad. 123 BVerfG, Beschluss v. 21.2.2008, Rs. 1 BvR 1987/07 – Planfeststellung Schacht Konrad, NVwZ 2008, S. 778, mit dem Hinweis, dass ein bloßer Rekurs auf Eingriffe in grundrechtlich geschützte Belange und das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage nicht ausreiche. Vielmehr müsste eine Verletzung einer mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben oder die Eigentümerstellung betreffende Rechtsposition geltend gemacht werden. 124 Vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 18 – Schacht Konrad; für ein Endlager für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle hat das Bundesverfassungsgericht dies ausdrücklich offengelassen. 125 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 66. 126 Vgl. BGE, Fertigstellung des Endlagers Konrad verzögert sich, 8.3.2018; zum vorherigen Ziel 2022, vgl. BMU, Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, August 2015, S. 10. 127 BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 17. 128 BMUB, Übertragung der Wahrnehmungen von Aufgaben und Befugnissen auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, 24.4.2017, http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Da ten_BMU/Download_PDF/Endlagerprojekte/aufgabenuebertragung_BGE_bf.pdf, (geprüft am 26.9.2019).
III. Bisherige Endlagerprojekte
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Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) beauftragt.129 Die bei Planung und Erkundung bereits angefallenen bzw. für die Errichtung, den Einlagerungsbetrieb und die Stilllegung des Endlager Konrads geschätzten Kosten betragen rd. 7,5 Mrd. Euro.130 2. Schachtanlage Asse II Bei der Schachtanlage Asse II handelt es sich um ein ehemaliges Kali- und Steinsalzbergwerk. Die vom Bund gegründete und dem Forschungsministerium unterstellte Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) erwarb das Bergwerk im März 1965 für 700.000 DM.131 Die durchgeführten Untersuchungen zur sicherheitstechnischen Eignung werden aus heutiger Sicht kritisch betrachtet.132 Ein Alternativenvergleich mit weiteren potenziellen Standorten erfolgte nicht. Vielmehr sollte wohl eine vermeintlich günstige Gelegenheit genutzt werden.133 In den Jahren von 1967 bis 1978 wurden in der Asse II etwa 47.000 m3 schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingebracht und verschiedene Endlagertechniken erprobt.134 Der Betrieb erfolgte auch nach Inkrafttreten der sog. Entsorgungsnovelle 1976 auf Grundlage von bergrechtlichen Betriebsplänen sowie strahlenschutzrechtlichen Umgangsgeneh129 Die Wahrnehmung der Pflichten aus § 9 Abs. 3 S. 4 AtG erfolgt nach § 58 Abs. 5 AtG jedoch erst ab 1.1.2018; vgl. auch Abschnitt D. III. 1. b) cc). 130 Vgl. mit einer detaillierten Aufstellung BMU, Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, August 2015, S. 10; die Finanzierung richtet sich nach dem Anteil an den zu entsorgenden Abfällen und erfolgt zu etwa 60 % aus dem von den Energieversorgungsunternehmen im Zuge des Atomausstiegs finanzierten „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ und zu ca. 35 % aus Steuermitteln (z. B. für Abfälle der Energiewerke Nord, Rubenow und der Forschungsreinrichtungen). Der Rest (ca. 5 %) entfällt auf private Abfallverursacher, wie zum Beispiel die Brennstoffproduktion in Deutschland, vgl. https://www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlen schutz/endlagerprojekte/schacht-konrad/fragen-und-antworten-zur-errichtung-des-endlagerskonrad, (geprüft am 26.9.2019); der Entsorgungsfond übernimmt den ursprünglich von den Betreibern der Kernkraftwerke zu entrichtenden Anteil, vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 2 EntsorgFondsG Rn. 12. 131 Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 145; Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 41 (Fn. 176); König/Hoffmann, ZUR 2009, S. 353; die Endlagerkommission spricht hierzu abweichend von einem Kaufpreis in Höhe von 800.000 DM, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 132; ebenso Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 419; Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 564. 132 S. a. Darstellung bei Fischer/Hahn/Küppers u. a., Der Atommüll-Report, 1989, S. 100 f.; für eine nähere Darstellung, vgl. Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 416 ff. 133 Möller, Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S. 128 ff.; König/Hoffmann, ZUR 2009, S. 353. 134 Einen Überblick zur Historie geben König/Hoffmann, ZUR 2009, S. 353; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 16.
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
migungen.135 Die nunmehr zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt bediente sich hierfür weiterhin der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) als Beliehene i. S. d. § 9a Abs. 3 AtG.136 Nach dem Ende der Einlagerung im Jahr 1978 stellte man den Eintritt von Salzlösungen in das Grubengebäude fest. Der hohe Durchbauungsgrad sorgte zudem für Stabilitätsprobleme. Die Schwierigkeiten führten schließlich zu dem Entschluss, die Schachtanlage Asse II stillzulegen. Die folgenden Maßnahmen zur Sicherung137 begleitete heftiger Protest aus Kreisen der Bevölkerung.138 Nachdem sich im Jahr 2008 Verdachtsmomente erhärteten, die GSF behandle in der Asse kontaminierte Salzlaugen jenseits der einschlägigen Grenzwerte ohne entsprechende Genehmigung,139 beschloss der Bundestag die Unterstellung der Grube unter das Atomrecht und den Übergang der Betreiberaufgaben auf das Bundesamt für Strahlenschutz.140 Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II (Lex Asse)141 vom 25. April 2013 wurde die Rückholung der eingebrachten Abfälle als zu verfolgende Option für die Stilllegung rechtlich fixiert. Die Rückholung steht unter dem Vorbehalt, dass bei der Durchführung keine für die Bevölkerung und/oder die Beschäftigten unvertretbaren radiologischen oder sonstigen sicherheitstechnischen Gefahren entstehen.142 Mit der Rückholung soll nach aktuellen Planungen, trotz Beschleunigungsbestrebungen,143 nicht vor dem Jahr 2033 begonnen werden.144 135 Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 209; König/Hoffmann, ZUR 2009, S. 353, 354 f.; vgl. auch Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 27, 29. 136 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 41 f.; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 16. 137 Vgl. BfS, Endlager Asse II, 2010, http://www.bfs.de/de/bfs/druck/netzpublikationen/np1 0/bfs_20_10.html, (geprüft am 19.6.2019); für eine detaillierte Schilderung Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 425 f. 138 Zur Entstehungsgeschichte des Forschungsbergwerks und zum Überblick über Bürgerproteste, vgl. Gellermann, Die Asse – Werte, Wahrheiten, Widersprüche, 2014; zu den widerstreitenden Interessenlagen Gaßner/Buchholz, ZUR 2013, S. 336, 338. 139 Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 354 m. w. N.; Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 64. 140 10. AtG-Novelle vom 24.3.2009, BGBl. I S. 556; mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016 (BGBl. I S. 1843) ist die Aufsicht auf das neu errichtete Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) übergegangen. 141 Gesetz vom 20.4.2013, BGBl. I S. 921; vgl. zur Gesetzesgenese Entwurf, BT-Drs. 17/ 11822 vom 11.12.2012; Beschlussempfehlung und Bericht des Umweltausschusses, BTDrs. 17/12537 vom 27.2.2013 sowie Gesetzbeschluss des Deutschen Bundestages vom 1.3.2013, BR-Drs. 165/13. 142 Vgl. hierzu mit einer ausführlichen Darstellung zur Reichweite dieser Voraussetzungen Gaßner/Buchholz, ZUR 2013, S. 336, 338 ff. 143 Gaßner/Buchholz, ZUR 2013, S. 336, 340 f.; ausführliche Darstellung in BfS, Schachtanlage Asse II – Gesamtdarstellung zur Rückholungsplanung, 2014. 144 BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 17; BfS, Schachtanlage Asse II – Gesamtdarstellung zur Rückholungsplanung, 2014, S. 15.
III. Bisherige Endlagerprojekte
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Angedacht ist, die Abfälle vor Ort zu konditionieren und in ein neu zu errichtendes Zwischenlager zu verbringen, bis sie der Endlagerung zugeführt werden können.145 Insofern bestehen hier auch Auswirkungen für die Dimensionierung eines künftigen Endlagers, soweit die entsprechenden Abfallmengen dort aufgenommen werden sollen.146 Der Bund, welcher die Kosten für die Rückholung, Sicherung und Stilllegung der Schachtanlage Asse II zu tragen hat, geht hierbei von spezifischen Gesamtkosten in Höhe von ca. 5 Mrd. Euro aus.147 Die Betreiberaufgaben werden nach Beauftragung durch das BMUB mit Wirkung vom 25. April 2017148 von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) wahrgenommen.149
3. Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben Mit der deutschen Wiedervereinigung hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auch die Betreibereigenschaft für das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) übernommen. Hierbei handelt es sich um das ehemalige Salzbergwerk Bartensleben in der Nähe des Ortes Morsleben.150 Bereits im Jahr 1970 erfolgte die Auswahl als Endlagerstandort zur Aufnahme der Abfälle aus dem ersten KKW der DDR in Rheinsberg.151 Nach einer ersten probeweisen Deponierung von radioaktivem Material aus dem Zwischenlager Lubmin erhielt das ERAM, folgend 145
BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 17; hierbei soll es sich um ein Volumen an konditionierten Abfällen zwischen 175.000 und 220.000 m3 handeln, vgl. Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 428 m. w. N. 146 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 80; mit der zwischenzeitlichen Einfügung des Abs. 6 in § 1 StandAG wurde klargestellt, dass die Abfallmengen nur aufgenommen werden, falls bei einer Auslegung des Endlagers sowohl auf hoch radioaktive als auch auf schwach- und mittelradioaktive Abfälle keine Abstriche am Kriterium der bestmöglichen Sicherheit vorgenommen werden müssen, vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 16. 147 BMU, Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, August 2015, S. 12. 148 BMUB, Übertragung der Wahrnehmungen von Aufgaben und Befugnissen auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, 24.4.2017, http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Da ten_BMU/Download_PDF/Endlagerprojekte/aufgabenuebertragung__BGE_bf.pdf, (geprüft am 26.9.2019), S. 1 f. 149 Die Wahrnehmung der Pflichten aus § 9 Abs. 3 S. 4 AtG erfolgt nach § 58 Abs. 5 AtG jedoch erst ab 1.1.2018; vgl. auch Abschnitt D. III. 1. b) cc). 150 Für eine detaillierte Darstellung der Historie, vgl. Beyer, Die (DDR-)Geschichte des Atommüll-Endlagers Morsleben, 2004; Ebel, in: Abele (Hrsg.), Zur Geschichte der Kernenergie in der DDR, 2000, S. 309 ff.; überblicksartig BfS, Stilllegung des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) – Die Beteiligung der Öffentlichkeit, 2011; BfS, Zeittafel Endlager Morsleben; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 135 ff. 151 Müller, Geschichte der Kernenergie in der DDR, 2001, S. 259, 262; zu den am Standort Gorleben realisierten Anlagen des geplanten NEZ, vgl. Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 43.
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
auf zwischenzeitliche Befristungen, im Jahr 1986 eine dauerhafte Betriebsgenehmigung.152 Im Anschluss an die Überführung in bundesrepublikanische Trägerschaft unter Fortgeltung der Betriebsgenehmigung nach DDR-Recht153 beendeten Klagen von Anwohnern, Bürgerinitiativen und Umweltverbänden die Einlagerung im September 1998 vorerst. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden ca. 37.000 m3 schwachund mittelradioaktiver Abfälledeponiert.154 Im Jahr 1997 begrenzte das Bundesamt für Strahlenschutz das bereits 1992 eingeleitete Planfeststellungsverfahren zum Betrieb eines Endlagers nach dem AtG auf die Stilllegung.155 Aufgrund von Prognosen zur mangelhaften Standsicherheit156 verzichtete das BfS 2001 unwiderruflich auf eine weitere Einlagerung von Abfallstoffen. Verschiedene Maßnahmen sicherheitstechnischer Art, wie Stabilisierungsversuche und Verfüllungen folgten. Ein Planfeststellungsbeschluss durch das Land Sachsen-Anhalt ist bislang jedoch noch nicht ergangen.157 Durch das BfS werden derzeit umfangreiche Arbeiten zur Ergänzung der Planfeststellungsunterlagen entsprechend den Empfehlungen der Entsorgungskommission des Bundes (ESK) durchgeführt.158 Im Zuge der Stilllegung sollen circa 4,8 Mio. m3 gemahlenes Steinsalz über Rohrleitungen in das Grubensystem eingebracht werden.159 Insgesamt ist für diese Arbeiten nach Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses ein Zeitbedarf von 15 bis 20 Jahren anzusetzen. Die geschätzten Gesamtkosten für das ERAM – ohne den laufenden Offenhaltungsbetrieb – belaufen sich auf 2,4 Mrd. Euro. Ca. die Hälfte wurde bereits aufgebracht. Die Kostentragungspflicht trifft den Bund.160 Die Betreiberaufgaben gingen mit Wirkung vom 25. April 2017161 auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) über.162
152
Beyer, Die (DDR-)Geschichte des Atommüll-Endlagers Morsleben, 2004, S. 34 ff. BVerwGE 90, 225 – Morsleben; zur Überleitung durch den mit dem Einigungsvertrag in das Atomgesetz eingefügten § 57a, vgl. Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 47, 51; Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 209. 154 BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 18; Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 51; zur Abfallherkunft und Zusammensetzung Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 15. 155 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 136; Kuhbier/Prall, ZUR 2009, S. 358, 359; näher zum Umfang der Genehmigung für das ERAM, vgl. Kloepfer/ Brandner, ZUR 1993, S. 269 ff. 156 Vgl. hierzu Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 17. 157 Zu Wassereintritten, Maßnahmen des BfS und dem Stand des Planungsverfahrens, vgl. BfS, Endlager Morsleben, 2015; vgl. auch Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 432 ff. 158 BfS, Endlager Morsleben, 2015, S. 4. 159 BfS, Plan zur Stilllegung des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben, 2009, S. 145. 160 Zu einer Aufstellung und zeitlichen Verteilung der Kosten, vgl. BMU, Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, August 2015, S. 10 f. 153
III. Bisherige Endlagerprojekte
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4. Erkundungsbergwerk Gorleben Der Verzicht auf den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage beendete im Jahr 1979 die Planung zur Realisierung eines Nuklearen Entsorgungszentrums am Standort Gorleben. Gleichwohl sollte neben der Zwischenlagerung von Brennelementen weiterhin die Eignung des Salzstocks als künftiger Endlagerstandort untersucht werden.163 Im Herbst 1979 startete hierzu die oberirdische Erkundung.164 Im Vergleich zu dem geplanten Nuklearen Entsorgungszentrum nahmen die benötigten Areale an der Erdoberfläche einen deutlich geringeren Umfang in Anspruch.165 Nichtsdestotrotz waren die mit den Arbeiten einhergehenden Tiefbohrungen ab Januar 1980 von heftigen Protesten durch Atomkraftgegner und damit einhergehenden Polizeieinsätzen begleitet.166 Die überirdische Erkundung wurde gemeinsam von Physikalisch-Technischer Bundesanstalt (PTB), Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sowie der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) durchgeführt. Deren Ergebnisse mündeten in einen zusammenfassenden Zwischenbericht der PTB im Mai 1983,167 auf dessen Grundlage die Bundesregierung am 13. Juli 1983 den Beschluss zur untertägigen Erkundung fasste.168 Diese Erkundung erfolgte als bergrechtliche Maßnahme aufgrund des am 9. September 1983 erlassenen Rahmenbetriebsplans169 unter An161
BMUB, Übertragung der Wahrnehmungen von Aufgaben und Befugnissen auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, 24.4.2017, http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Da ten_BMU/Download_PDF/Endlagerprojekte/aufgabenuebertragung_BGE_bf.pdf, (geprüft am 26.9.2019), S. 1 f. 162 Die Wahrnehmung der Pflichten aus § 9 Abs. 3 S. 4 AtG erfolgte gem. § 58 Abs. 5 AtG jedoch erst ab 1.1.2018; vgl. auch Abschnitt D. III. 1. b) cc). 163 Vgl. hierzu die Ausführungen in den Abschnitten B. II. 1. b) und c); für einen Gesamtüberblick Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 141 ff. 164 Vgl. hierzu Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 106 ff.; Basis bildeten hierbei die von der BGR im Mai 1977 ermittelten Kriterien, vgl. Bluth/Schütte, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 37, 42. 165 Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 209. 166 Zur Besetzung der Bohrstelle und der Ausrufung der „Republik freies Wendland“, vgl. Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 728 ff.; kürzer Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 304; Uekötter, Am Ende der Gewissheiten, 2011, S. 97, 99, 161. 167 Zur Endfassung des Berichts im Wortlaut, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 140 ff.; keine Einflussnahme durch die Bundesregierung feststellend, ders., a. a. O., S. 148; a. A. a. a. O., S. 514; zum Ganzen Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 158 ff. 168 Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 107; zu den Ergebnissen des Berichts, vgl. Übersicht S. 120 ff. 169 Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 63 f., 182 m. w. N.; eine atomrechtliche Genehmigung, wie sie von Gorleben-Gegnern gefordert wurde, war mit dem Verweis auf bloße Erkundungsmaß-
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
wendung der von der Kommission für Reaktorsicherheit (RSK) erarbeiteten „Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk“170. Das Abteufen171 von Schächten zu einem Erkundungsbereich 1 begann sodann im Jahr 1986.172 Der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin drängte darauf, dass es sich bei dem Erkundungsbergwerk Gorleben aufgrund der lediglich bergrechtlichen Genehmigungen und der möglichen Auslegung auf ein künftiges Endlager um einen „Schwarzbau“ handele.173 Mit der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den EVU vom 14. Juni 2000 (Atomkonsens I) wurde daher vereinbart, die Erkundung längstens für einen Zeitraum von zehn Jahren zu unterbrechen.174 Ungeachtet der Bestätigung der Eignungshöffigkeit175 sollte dieses sog. „Gorleben-Moratorium176 genutzt werden, um verschiedene Zweifelsfragen zu klären.177 Namentlich handelte es sich um die Gasbildung im dichten Salzgestein, nahmen nicht erforderlich, vgl. BVerwGE 58, 54 – Salzstock Gorleben; zusammenfassend Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 52. 170 Empfehlung der RSK an das BMI vom 15.9.1982, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 5.1.1983; zum Inhalt der Sicherheitskriterien und zur Diskussion, ob diese unabhängig oder explizit für den Standort Gorleben ermittelt wurden, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 127 ff.; die Allgemeinheit der Kriterien betonend: Bluth/Schütte, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 37, 42 f. 171 Hierunter versteht man die Erstellung von senkrechten Hohlräumen zur Erschließung von Lagerstätten. 172 Breloer/Breyer, atw 2013, S. 2, 4; zu einem Überblick der Erkundungsmaßnahmen, vgl. Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 46 ff. 173 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 64; vgl. hierzu: Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 179 f, 275, 510, 513; dies wiederlegend S. 326 ff. m. w. N. 174 BMU, Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nu kleare_Sicherheit/atomkonsens.pdf, S. 9. 175 Zum Begriff Hoppenbrock, Finanzierung der nuklearen Entsorgung und der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2009, S. 45 f.; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 325; zur Anerkennung der Eignungshöffigkeit durch die Bundesregierung, vgl. Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, Anhang 4; ebenso Wagner, NVwZ 2001, S. 1089, 1091; Moench, atw 2013, S. 103, 104 mit Verweis auf BVerfGE 104, 238, 240 – Moratorium Gorleben; Posser, FS Dolde, S. 251, 254 f.; Ossenbühl, DVBl. 2004, S. 1132, 1138. 176 Zur Verfassungsmäßigkeit des Gorleben-Moratoriums, vgl. BVerfGE 104, 238 – Moratorium Gorleben; insb. liegt kein Verstoß gegen das bundesfreundliche Verhalten vor, vgl. dazu auch Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 59, 64; Moench, atw 2013, S. 103, 104. 177 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 57; vgl. auch BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 27, 57; Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 30; ausführlich zu den zu klärenden Zweifelsfragen BMU, Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, https://www.
III. Bisherige Endlagerprojekte
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Fragen der Rückholbarkeit sowie die Eignung von Salz im Vergleich mit anderen Wirtsgesteinen.178 Die am 15. Juni 2005 erlassene Veränderungssperre179 hatte das Ziel, ungeachtet des Moratoriums eine weitergehende Fachplanung zu verhindern, die Anlagen zur nuklearen Entsorgung entgegenstehen könnte. Nach dem Auslaufen des Moratoriums zum 1. Oktober 2010 erfuhren die wieder aufgenommenen Erkundungsarbeiten180 im Herbst 2012 eine erneute Unterbrechung.181 Mit Inkrafttreten des Standortauswahlgesetzes wurde die Erkundung des Salzstocks Gorleben schließlich endgültig gestoppt. Damit ist der Standort jedoch nicht grundsätzlich ausgeschieden. Vielmehr nimmt er nach der Regelung des § 36 Abs. 1 StandAG182 ergebnisoffen am weiteren Auswahlverfahren teil.183 Folgerichtig wurde das im Jahr 1977 von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt eingeleitete Planfeststellungsverfahren im Juli 2014 für erledigt erklärt. Den Status quo sicherte zunächst eine Verlängerung der auslaufenden Veränderungssperre bis zum 31. März 2017.184 bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/atomkonsens.pdf, (geprüft am 19.6.2019), Anlage 4. 178 Zur Beantwortung dieser Fragen, vgl. BfS, Konzeptionelle und sicherheitstechnische Fragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2005, im Ergebnis sei keinem Gesteinstyp der Vorzug zu geben (vgl. Abschnitt 4.13.2); ebenso und daher die sofortige Aufhebung des Moratoriums fordernd Bröskamp, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 55, 59; a. A. Appel, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 61, obgleich dieser ebenfalls die Eignungshöffigkeit Gorlebens anerkennt. 179 Verordnung zur Festlegung einer Veränderungssperre zur Sicherung der Standorterkundung für eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle im Bereich des Salzstocks Gorleben (Gorleben-Veränderungssperren-Verordnung – GorlebenVSpV), vom 25. Juli 2005 (veröffentlicht im BAnz. 2005, Nr. 153a); die Verordnung legte fest, dass in einem konkret benannten Gebiet (§ 1) Veränderungen des Untergrundes unterhalb einer Tiefe von 50 m nicht vorgenommen werden durften (§ 2 Abs. 1). Somit war die Erteilung von Erlaubnissen für Salzabbau, Fracking o. ä. verboten. 180 Vgl. Energiekonzept der Bundesregierung, BT-Drs. 17/3049, S. 9; dies erfolgte trotz kritischer Stimmen auf Grundlage des alten Rahmenbetriebsplans, vgl. Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 77 f.; ein alternativer Standortvergleich wurde nicht für erforderlich gehalten, vgl. BGR, Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland, 2007. 181 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 78; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 367; zum abschließenden Stand der Erkundungsarbeiten und einer möglichen Eignung, vgl. BGR, Synthesebericht für die VSG, 2013. 182 Näher zur Einbeziehung Gorlebens Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 36 StandAG Rn. 5 f.; Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 222 f. 183 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30, dort noch als § 21 bezeichnet. 184 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 140, 163, 385, zur Gesetzessynthese der Verlängerung S. 461 ff.; vgl. Verordnung zur Festlegung einer Veränderungssperre zur Sicherung der Standorterkundung für eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle im Bereich des Salzstocks Gorleben (Gorleben-Veränderungssperren-Verordnung – GorlebenVSpV), veröffentlicht im BAnz AT 21.7.2015 V1; zum vorzeitigen Außerkrafttreten der Veränderungssperre im Falle eines Ausscheidens des Standorts aus dem Auswahlverfahren gem. § 29 Abs. 2 Satz 5 StandAG 2013, vgl. § 5 GorlebenVSpV; kritisch hierzu
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
Im Anschluss an diesen Zeitpunkt sollte nach Vorschlag der Endlagerkommission eine allgemeine, für das gesamte Bundesgebiet geltende Regelung zum Ausschluss von nuklearen Entsorgungsanlagen entgegenstehender Fachplanung treten.185 Diese Funktion übernimmt mittlerweile die Standortsicherungsklausel in § 21 StandAG.186 Als Betreiber während des Offenhaltungsbetriebs fungiert wie auch für die bisher dargestellten Endlagerprojekte die BGE.187 Eine besondere Brisanz erfährt die Diskussion um Gorleben auch darin, dass die Energieversorger im Hinblick auf die konstatierte Eignungshöffigkeit188 erhebliche Summen in die Erforschung des Standortes investieren.189 Zudem zahlten die EVU für Infrastrukturkosten, die im Zusammenhang mit der Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums am Standort Gorleben entstanden, unter dem Stichwort „Regionalentwicklung“ einen pauschalisierten Betrag in Höhe von 200 Mio. DM an die öffentliche Hand.190 In und für den Wegfall des Regelungszwecks plädierend Wollenteit, ZUR 2014, S. 323, 326 f.; anders OVG Lüneburg, Urt. v. 16.3.2017, 7 LC 80/15 Rn. 63 ff.; allgemein zur Historie der Veränderungssperre Gorleben Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855, 856. 185 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 56; vgl. auch Abschnitt D. III. 1. c) bb) (4). 186 Vgl. dazu Frenz, RdE 2018, S. 58 ff.; ders., DVBl. 2018, S. 285 ff.; Weiss, DVBl. 2018, S. 1204 ff.; Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855 ff.; näher zu den Vorschriften der Standortsicherung in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (4). 187 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Übertragung der Wahrnehmungen von Aufgaben und Befugnissen auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, 24.4.2017 S. 1 f.; bzw. https://www.bge.de/de/bge/aufgaben, (geprüft am 30.9.2019); zum Zeitpunkt, vgl. Fn. 161 und 162. 188 Anstelle vieler Albrecht, Gutachten zur „Eignungshöffigkeit“ des Salzstockes Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle, 1993; die Eignungshöffigkeit wird selbst von Verfechtern einer alternativen Standortsuche nicht durchgängig bestritten, vgl. u. a. Appel, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 61; Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 257 f.; BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 22. 189 Streitig war in diesem Zusammenhang insb., inwieweit die bereits geleisteten 1,8 Mrd. Euro auf die Kosten eines künftigen Endlagers angerechnet werden können, näher dazu Moench, DVBl. 2015, S. 213, 220; ders., atw 2013, S. 103, 104; weiterhin Fouquet/Uexküll, ZNER 2003, S. 310, 317; Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 332 ff.; Kessler, IStR 3/2006, S. 98 f.; Röhlig/Walther, Memorandum zur Entsorgung hochradioaktiver Reststoffe, 2014, S. 31 f.; zu den Kosten des Offenhaltungsbetriebs, vgl. BMU, Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, August 2015, S. 13 f. Der am 27.6.2017 geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag (vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Energieversorgungsunternehmen über die Finanzierung des Kernenergieausstiegs, 26.6.2017) verpflichtet die EVU allerdings zu einem weitgehenden Rechtsbehelfsverzicht, vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, Vorb. EntsorgFondG Rn. 19. Dies schließt insbesondere auch Erstattungsansprüche für Erkundungskosten von Gorleben ein. 190 Vgl. Mehnert, Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe, 2005, S. 30 f.; Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BTDrs. 17/13700, 23.5.2013, S. 231 ff., 233, 236, kritisch hierzu Sondervotum S. 571 ff.; Tigge-
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diesem Kontext wurde die mangelnde Transparenz der Mittelverwendung kritisiert, mithin sogar von „Bestechung“ gesprochen.191 Daher bezweifeln einige Stimmen, dass im Hinblick auf die kontroverse Vorgeschichte des Erkundungsbergwerks Gorleben192 und den damit verbundenen Vertrauensverlust eine ergebnisoffene Einbindung des Standortes in das Auswahlverfahren überhaupt möglich ist.193 5. Zwischenfazit Die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfallstoffe mag zwar vor einem Neuanfang stehen, sie beginnt aber keineswegs bei Null.194 Die bestehenden Endlagerstandorte können wertvolle Anhaltspunkte und Erfahrungswerte bieten.195 Dies gilt zum einen hinsichtlich technischer Erkenntnisse sowie der Kostenentwicklung, zum anderen aber auch in Bezug auf gesellschaftliche Akzeptanz. Schließlich haben sich die Standorte Asse II und das ERAM innerhalb weniger Jahrzehnte nach Abschluss der Einlagerung als mangelhaft standsicher erwiesen. Umfangreiche Sicherungsmaßnahmen inklusive entsprechender Kosteneffekte sind das Resultat. Der Schluss liegt nahe, dass ehemalige Bergwerke aufgrund des hohen Durchbauungsgrades wohl nicht die bestmögliche Sicherheitsperspektive bieten.196 In Bezug auf das projektierte, genehmigte und im Bau befindliche Endlager Schacht Konrad zeigt sich, dass ursprüngliche Zeitpläne, auch aufgrund entsprechender Rechtsschutzverfahren, zum Teil erheblich überschritten werden. Einen Sonderfall stellt hingegen das Erkundungsbergwerk Gorleben dar. Ausweislich § 36 StandAG
mann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 457 ff., 470 ff. 191 Vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 571 ff., insb. 575 f.; Tiggemann, Die „Achillesferse“ der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, S. 457 ff., insb. 473. 192 Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 366, die von Gorleben als „einem Symbol des Widerstands gegen die Kernenergienutzung“ sprechen. 193 Vgl. dahingehend auch Bedenken der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 162 f.; sachlich differenzierend Röhlig/Geckeis/Mengel, CiuZ 2012, S. 140, 141; John, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2014, § 10 Rn. 111; einen Ausschluss Gorlebens aus dem Suchverfahren rechtlich für zulässig haltend Wollenteit, Kurzgutachten zur Möglichkeit des Ausschlusses eines Standortes Gorleben, 7.2.2012, https://www.greenpeace. de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20120207-kurzgutachten-endlagersuchgesetzausschluss-gorleben.pdf, (geprüft am 26.9.2019); dies überzeugend ablehnend König, ZNER 2012, S. 232, 235 f. 194 Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 123 spricht insofern von einem „dritten Neuanfang“; vgl. auch in Bezug auf die Konzeption der Beteiligungsverfahren Durner, NuR 2019, S. 241, 242. 195 S. a. Schlussfolgerungen der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 27, 78, 164 f. 196 Vgl. auch die Schlussfolgerungen bei BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, 2008, S. 34.
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nimmt es ergebnisoffen am aktuellen Auswahlverfahren teil.197 Neben den unbestreitbar wertvollen geologischen und technischen Ergebnissen während der langjährigen Erkundungsphase bleibt die Einsicht, dass das politisch motivierte, administrativ organisierte Verfahren zur Auswahl des Standortes Gorleben die Menschen vor Ort nicht überzeugen konnte.198 Massive, zum Teil gewaltbereite Proteste, verhärtete Fronten und tiefes Misstrauen gegenüber Entscheidungsträgern waren die Folge.199 All diese Elemente bilden letztlich eine Grundlage für den vom Gesetzgeber vorgesehenen Neustart der Endlagersuche.
IV. Der Weg zum Konzept des alternativen Standortvergleichs Das Standortauswahlgesetz baut allerdings nicht nur auf Erfahrungswerte aus bisherigen Endlagerprojekten in Deutschland. Seine Existenz ist vielmehr vorläufiger Schlusspunkt einer Entwicklung, die bereits gegen Ende des letzten Jahrhunderts begann. Erste wertvolle Erkenntnisse und Anhaltspunkte lieferte der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (1.). Während dessen Vorschläge noch keine rechtliche Umsetzung fanden, markierte die Reaktorkatastrophe von Fukushima einen Einschnitt, der über den beschleunigten Atomausstieg im Jahr 2011 (2.) letztlich in den Neubeginn der Endlagersuche mit dem StandAG mündete (3.). 1. Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte Mit der oben beschriebenen Zulassung der Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente im Ausland sowie der direkten Endlagerung als gleichberechtigte Entsorgungsalternative konzentrierte sich die Entsorgungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den 1990er Jahren auf die Zwischenlagerung, die Realisierung des Endlagers Schacht Konrad sowie eine Erkundung des Salzstocks Gorleben. Nach der Bundestagswahl 1998 wurde unter der rot-grünen Bundesregierung mit einer Einführung von Restlaufzeiten für Kernkraftwerke der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie eingeleitet.200 Im Hinblick auf die Endlagerung bedeutete dies, dass nun 197
S. a. Böhm, GS Schmehl, S. 435, 438. S. a. Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 12 ff.; näher zu den spezifischen Herausforderungen der Endlagersuche in der MultiLevel-Governance-Perspektive in Abschnitt C. III. 199 Die tiefe Spaltung der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure zeigt sich allein in dem Umstand, dass sich die Endlagerkommission in ihrem Abschlussbericht nicht auf eine einheitliche Position einigen konnte. Der Abschnitt zum Thema Gorleben wird synoptisch mit Alternativformulierungen dargestellt, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 138 ff.; zur Protestgeschichte vgl. auch Conze, Die Suche nach Sicherheit, 2009, S. 666 ff.; zum militanten Potenzial der Anti-Atom-Bewegung Rucht, in: Roth/ Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008, S. 245, 264. 200 Fixiert wurde dies mit dem Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v. 22.4.2002, BGBl. I S. 1351; Grundlage hierfür 198
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auch erstmals die abschließenden Abfallmengen genauer abschätzbar waren. Gleichzeitig sollte jedoch auch eine neue Herangehensweise an die Thematik Entsorgung und Endlagersuche verfolgt werden.201 Zu diesem Zweck richtete das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) einen Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) ein. Das mit 16 Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen besetzte Gremium202 hatte die Aufgabe ein nachvollziehbares Auswahlverfahren auf der Basis wissenschaftlich fundierter Eckpunkte zu entwickeln. Eine Vorstellung dieser Kriterien sowie Verfahrensvorschläge erfolgte im Dezember 2002.203 So wurde die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen an einem Standort empfohlen, der sich aus der Überprüfung mehrerer Standortalternativen ergibt und eine nachgewiesene Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren bietet.204 Allerdings modifizierte der AkEnd das von der Bundesregierung präferierte „Ein-Endlager-Konzept“.205 Weiterhin sprach er sich für eine Möglichkeit zur Rückholung der Abfälle aus.206 Neben der Festlegung von geowissenschaftlichen207 und sozialwissenschaftlichen208 Kriterien und solchen zur Eignungsprüfung209 wurde ein Konzept für eine frühzeitige und umfangreiche Öffentlichkeitsbeteiligung entwickelt. Im Hinblick auf die Vorwürfe war der sog. Atomkonsens I, vgl. BMU, Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_ BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/atomkonsens.pdf, (geprüft am 19.6.2019); zur Diskussion über den Rechtscharakter und die Zulässigkeit, vgl. Schorkopf, NVwZ 2000, S. 1111, 1113; Wagner, NVwZ 2001, S. 1089, 1091; Huber, DVBl. 2001, S. 239, 242 f.; vgl. weiterhin Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1004, 1007 ff.; Winter, ZfU 2012, S. 209, 244. 201 Die Bundesregierung machte deutlich, dass sie das bisherige Entsorgungskonzept als gescheitert ansehe. Die Entsorgung sollte daher auf einer wissenschaftlich-technisch begründeten Standortauswahl unter frühzeitiger Beteiligung der Öffentlichkeit und der Begrenzung des endzulagernden atomaren Abfalls fußen, vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage in BT-Drs. 14/5162, S. 11. 202 Zu den Mitgliedern, vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 251 ff. 203 Siehe AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002. 204 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 20, 28; näher zu den Vorschlägen des AkEnd Brenner, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 99, 100 ff.; Nies, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 93, 94 ff.; s. a. Kromp/ Lahodynsky, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 63, 65. 205 Dies beinhaltete alle Arten von radioaktiven Abfällen an nur einem Standort endzulagern. Dazu sollte auf die Standorte Schacht Konrad und Gorleben verzichtet und ein neuer geeigneter Standort ermittelt werden. Der AkEnd hielt die von ihm entwickelten Kriterien zwar auch bei einer Einheitslösung für anwendbar, jedoch eine Trennung im Hinblick auf „Sicherheits- und Nachweisaspekte(n) (für) unerlässlich“, vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 27 f.; s. a. Kromp/Lahodynsky, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 63, 65; Brenner, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 99, 107 f. 206 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 30 f. 207 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 83 ff. 208 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 189 ff. 209 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 200 ff.
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zu Mittelflüssen am Standort Gorleben erarbeitete der AkEnd auf Transparenz angelegte Szenarien zur Regionalentwicklung.210 Seine Arbeit wurde weit überwiegend positiv beurteilt und bildete die Grundlage für das weitere Vorgehen in der Endlagerforschung.211 Im Abschlussbericht waren auch konkrete Vorschläge für eine institutionelle Umsetzung angegeben. Die einzelnen Schritte sollten durch ein zentrales, demokratisch legitimiertes Gremium verantwortet werden, um so die Entscheidungsakzeptanz zu erhöhen und einen breiten politischen Konsens zu erreichen.212 Gleichwohl verblieb es in der Folgezeit bei dem Konzeptstatus. Ein Ende Juni 2005 vom damaligen Bundesumweltminister Trittin vorgelegter Entwurf für ein Verbands- und Standortauswahlgesetz (VStG) wurde in der verkürzten 15. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet.213 Die sich ändernden politischen Mehrheiten beeinflussten die Energiepolitik maßgeblich in Richtung der in den Fokus geratenen Klimaschutzziele.214 Unter dem Dogma der Kernenergie als „Brückentechnologie“215 beschloss die von CDU/CSU und FDP geführte Bundesregierung im Jahr 2010 eine Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten.216 Eine alternative Endlagersuche war zu dieser Zeit nicht mehr auf der Agenda. Vielmehr wurde die Erkundung des Standortes Gorleben nach Auslaufen des Moratoriums wieder aufgenommen.217
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AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 217 ff.; darauf Bezug nehmend Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 116 f. 211 Vgl. den Rekurs in den Gesetzesmaterialien zum StandAG, BT-Drs. 17/13471, S. 2; weiterhin DAEF, Aspekte eines Standortauswahlverfahrens für ein Endlager für Wärme entwickelnde Abfälle, 2014, http://www.daef2014.org/DAEF/assets/daef_broschuere_okt_2014. pdf, (geprüft am 26.9.2016); Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 18; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 261; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 552; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 355; König, ZNER 2012, S. 232, 234; Hofmann-Dally, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 95, 98 f.; Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 13; zwischen Ergebnissen und Verfahren differenzierend, Kromp/Lahodynsky, in: Hocke/ Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 63, 80; hingegen deutlich skeptisch Brenner, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 99, 108 ff. 212 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 233 ff., insb. 235 f., 245 f. 213 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 64; Däuper/Bosch/ Ringwald, ZUR 2013, S. 329. 214 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 67. 215 Vgl. BT-Drs. 17/3049, S. 8 f.; s. a. Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1004, 1012; die Laufzeitverlängerung als „Brückenpfeiler“ bezeichnend Burgi, NJW 2011, S. 561, 562. 216 Vgl. 11. AtG-Novelle vom 8.12.2010, BGBl. I S. 1814; zum Ganzen bei Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 358 f.; zum Inhalt der 11. sowie der gleichzeitig verabschiedeten 12. Atomrechtsnovelle, vgl. Zusammenfassung bei Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 70 ff.; zur Zulässigkeit der Laufzeitverlängerung, vgl. Schwarz, JZ 2010, S. 1118 ff. 217 Vgl. Energiekonzept der Bundesregierung, BT-Drs. 17/3049, S. 2, 9 sowie Abschnitt B. III. 4.
IV. Der Weg zum Konzept des alternativen Standortvergleichs
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2. Einschnitt beschleunigter Atomausstieg 2011 Die Verlängerung der Restlaufzeiten war jedoch nur von kurzer Dauer.218 Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima-Daiichi am 11. März 2011 infolge eines erdbebenbedingten Tsunami219 hatte auch Auswirkungen auf das politische Handeln in Deutschland. Nach einem vorangegangenen Moratorium220 mit der sofortigen vorläufigen Stilllegung der sieben ältesten Reaktoren sowie des störanfälligen KKW Krümmel wurden mit der 13. Atomrechtsnovelle221 die aus dem Jahr 2010 stammenden Laufzeitverlängerungen und zusätzlichen Reststrommengen zurückgenommen und der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahresende 2022 beschlossen.222 Eine im Vorfeld von der Bundesregierung eingesetzte EthikKommission kam zu dem Ergebnis, dass die Realität des Reaktorunfalls von Fukushima einen substanziellen Einfluss auf die Bewertung des Restrisikos habe und die mögliche Unbeherrschbarkeit eines Unfalls somit eine zentrale Bedeutung auch im nationalen Rahmen einnehme.223 In Bezug auf die Endlagerung empfahl die Ethikkommission eine rückholbare Lagerung innerhalb des Bundesgebiets unter „höchsten Sicherheitsanforderungen“. Dies bedinge eine Ausweitung des Suchraumes über den Standort Gorleben hinaus.224 Während die verfassungs- und unionsrechtliche Zulässigkeit der sog. Ausstiegsnovelle auch aufgrund zahlreicher Klagen der Energieversorgungsunternehmen hoch umstritten war,225 ergab sich mit 218
Zur Rechtsgeschichte des Atomausstiegs, vgl. Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, S. 1025. Zum Ablauf der Katastrophe, vgl. Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 360 ff.; zu einem damals aktuellen Stimmungsbild: Wegener, ZUR 2011, S. 225 f.; zur Situation in Deutschland Gallego Carrera/Hampel, atw 2013, S. 175 ff. 220 Zur Rechtswidrigkeit des Moratoriums, vgl. die Besprechung der Urteile des VGH Kassel v. 27.2.2013, 6 C 824/11 und 6 C 825/11 zu den KKW Biblis A und B bei Battis/Ruttloff, NVwZ 2013, S. 817 ff.; Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1004, 1013 f.; ebenso im Vorfeld: Ewer/ Behnsen, NJW 2011, S. 1182 ff.; Cosack/Enders, DVBl. 2011, S. 1446 ff.; Rebentisch, NVwZ 2011, S. 533 ff.; Schwarz, atw 2011, S. 506 f.; a. A. Frenz, NVwZ 2011, S. 522. 221 13. AtG-Novelle vom 31.7.2011, BGBl. I S. 1704. 222 Zur Begründung der Bundesregierung, vgl. BT-Drs. 17/6070, S. 5 ff. 223 Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30.5.2011, S. 25; s. a. Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 73; kritisch hierzu und machtpolitische Motive vermutend Winter, ZfU 2012, S. 209, 217. 224 Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30.5.2011, S. 105. 225 Vgl. in einer Gesamtschau zu den erhobenen Klagen und unter Berücksichtigung des Unionsrechts Ludwigs, NVwZ 2016, S. 1; Schlömer, Der beschleunigte Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, 2013; Mann/Sieven, VerwArch (106) 2015, S. 184; Kraß, FS Dolde, S. 223; umstritten war insb. die Reichweite des Eigentumsschutzes von Art. 14 GG und die Frage eines Anspruchs der EVU auf Entschädigungszahlungen, befürwortend: u. a. Moench, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 13, 41 ff., Kahl/ Bews, JURA 2014, S. 1004, 1015 ff.; Schwarz, DVBl. 2013, S. 133; a. A. Ewer, NVwZ 2011, S. 1035, 1039; mit der Begrenzung auf frustrierte Aufwendungen Ludwigs, NVwZ 2016, S. 1, 3; zwischenzeitlich hat das BVerfG mit Urteil v. 6.12.2016 das Ausstiegsgesetz weitgehend für 219
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
Blick auf die Endlagersuche nun eine klare Perspektive. Mit einem festen Enddatum für die jeweiligen Kernkraftwerke bzw. vielmehr durch die feststehenden Reststrommengen war auch der zukünftig anfallende radioaktive Abfall klar prognostizierbar.226 Dies schuf die Möglichkeit, den Planungsprozess für eine Endlagersuche zumindest hinsichtlich des quantitativen Bedarfs227 stringent weiter zu betreiben. 3. Neubeginn Endlagersuche – das Standortauswahlgesetz (StandAG) Die vorstehende Schilderung zeigt auf, dass die Endlagersuche in den vergangenen Jahrzehnten unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit administrativ gesteuert und von politischen Motiven geprägt wurde. Dies führte zu fortdauernden und zunehmenden gesellschaftlichen Widerständen gegen den Suchprozess.228 Demgegenüber manifestiert das Standortauswahlgesetz vom 23. Juli 2013229 einen echten Neustart.230 Dieses Mantelgesetz231 beherbergt neben der Einführung des gleichnamigen Standortauswahlgesetzes als Stammgesetz232 in Art. 1 weitergehende Regelungen zur Änderung von weiteren Fachgesetzen.233 Der Gesetzgeber verfolgt verfassungsgemäß erklärt, vgl. BVerfGE 143, 346 – Atomausstieg; vgl. hierzu näher Berkemann, DVBl. 2017, S. 793; Börner, RdE 2017, S. 119; Büdenbender, DVBl. 2017, S. 1449; Froese, NJW 2017, S. 444; Ludwigs, NVwZ Beilage Heft 1/2017, S. 3; Moench, FS SchmidtPreuß, S. 215; Ziehm, ZNER 2017, S. 7. 226 Zur Zweckbestimmung der Beendigung in § 1 Nr. 1 AtG, vgl. Abschnitt D. III. 2. a). 227 BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 8 ff. 228 Vgl. die obigen Ausführungen zur Auseinandersetzung um den Standort Gorleben oder die WAA Wackersdorf; s. a. Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548 f.; Brunnengräber/Hocke, FJSB 4/2014, S. 59, 63 f.; allgemein zum Misstrauen gegen den „Atomstaat“ Radkau, Die Ära der Ökologie, 2011, 211 ff., 368 ff.; Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79 ff.; Uekötter, Am Ende der Gewissheiten, 2011, S. 97, 99, 161; Geulen, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. ATRS, S. 386 f. 229 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553; in Art. 1 wird das Standortauswahlgesetz erlassen, welches das konkrete Verfahren der Standortsuche regelt. Darüber hinaus sind Änderungen im Atomgesetz (Art. 2), die Errichtung des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung (Art. 3) sowie weitere administrative Regelungen enthalten. 230 Zur Begriffsverwendung Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 203 f.; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 242; a. A. Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, die von einem „mittleren Weg durch die Kontingenz der Regulierungsmöglichkeiten“ sprechen. Für radikalere Vorschläge zur Neukonzeption der Endlagersuche, vgl. etwa Ueberhorst, in: Plate (Hrsg.), Forschung für die Wirtschaft 2014, 2015, S. 209 ff. 231 Zum Begriff BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, Rn. 717 ff.; allerdings handelt es sich nicht lediglich um eine Anpassung der Rechtslage; das Stammgesetz StandAG regelt schließlich das Verfahren der Standortsuche neu und ist somit als Kodifikationsgesetz einzustufen, vgl. Krings, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 2 Rn. 33. 232 Zum Begriff vgl. BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, Rn. 320. 233 Im Einzelnen, vgl. Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 21 f.
IV. Der Weg zum Konzept des alternativen Standortvergleichs
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mit dem StandAG das Ziel, in einem klar definierten, ergebnisoffenen Verfahren unter Einbeziehung des gesamten Staatsgebietes einen Endlagerstandort zu finden, der die im Vergleich bestmögliche Sicherheit für den Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet.234 Hierbei wird von einem Konzept der „weißen Landkarte“ ausgegangen.235 Der Standort Gorleben nimmt folglich gleichberechtigt am Auswahlverfahren teil.236 Die Implementierung eines Standortvergleichs und die Wahl des Betrachtungszeitraums greifen Empfehlungen des AkEnd auf.237 Ebenso verhält es sich mit der verstärkten Einbeziehung der Öffentlichkeit. Einen Schwerpunkt des Gesetzes bilden partizipatorische Elemente.238 So erarbeitete bereits vor dem Beginn der Standortsuche eine einvernehmlich durch Bundestag und Bundesrat besetzte Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe239 die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen.240 Eine weitere Aufgabe dieser sog. Endlagerkommission war eine Evaluation des Gesetzes.241 Auf Grundlage ihres Abschlussberichts242 wurde das StandAG fortentwickelt und am 5. Mai 2017 neu erlassen.243 Während des bis zum Jahr 2031 dauernden Standortfindungsprozesses übernimmt dann ein pluralistisch besetztes Nationales Begleitgremium (NBG)244 deren Aufgaben und steht dem Standortauswahlprozess unter dem Blickwinkel der Gemeinwohlorientierung beiseite.245 Die Beteiligung der Öffentlichkeit wird während des gesamten Verfah234 Zu den Gesetzeszielen, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 19; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 248 ff.; näher zu den Zielen des StandAG in Abschnitt D. III. 1. a). 235 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 67; zum „Prinzip der weißen Landkarte“: Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 369 f.; Müller, FJSB 2016, S. 134, 135; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181; Hamacher, „Tag der Verantwortung“ bei der Endlagersuche?, 19.4.2017, http://www.juwiss.de/44 - 2017, (geprüft am 26.9.2019). 236 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30 f. 237 BT-Drs. 17/13471, S. 2. 238 Zur Bedeutung der Partizipation bei umstrittenen Projekten Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 549 ff.; konkret zum StandAG ab S. 553 ff. 239 Näher zu Besetzung, Aufgaben und Arbeitsweise der Endlagerkommission in Abschnitt D. III. 1. b) aa). 240 Vgl. § 3 StandAG 2013; zu den Aufgaben der Endlagerkommission, vgl. BT-Drs. 17/ 13471, S. 20; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830 f.; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 410 ff. 241 Vgl. Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 36 f.; ders., DVBl. 2014, S. 408, 415 f.; diese Evaluierung zum Zeitpunkt der Gesetzesanwendung als „eine wahrhaft revolutionäre Neuerung“ bezeichnend Bull, DÖV 2014, S. 897, 898; krit. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281; ebenso Posser, FS Dolde, S. 251, 266. 242 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016. 243 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 244 S. a. Abschnitt D. III. 1. b) ee). 245 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 22; Smeddinck, FS Erbguth, S. 501 ff.; ders., Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 27; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 356; näher zum NBG in Abschnitt D. III. 1. b) ee).
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B. Historische Hinführung zur Endlagersuche in Deutschland
rens durch partizipatorische Elemente wie Bürgerdialoge, Regional- und Fachkonferenzen sowie Bürgerversammlungen gewährleistet.246 Zur Erhöhung der Legitimationswirkung hat der Gesetzgeber die einzelnen Entscheidungsschritte im Wege eines Legalplanungsverfahrens konzipiert.247 Dies bedeutet, dass wesentliche Eckpunkte auf dem Weg der Standortfindungen dem Bereich der Exekutive entzogen und auf den Gesetzgeber übergeleitet werden. Die Summe dieser Punkte rechtfertigt es, bezüglich des Standortauswahlgesetzes von einem „atomrechtspolitischen Paradigmenwechsel in der Endlagersuche“248 zu sprechen. Zwar sind einzelne Elemente wie der Standortvergleich oder die Forderung nach einem „Mehr“ an Bürgerbeteiligung bereits in der Vergangenheit diskutiert worden. Jedoch handelte es sich dabei eben nur um Forderungen aus Teilen der Gesellschaft und der politischen Opposition oder um Empfehlungen von Fachkommissionen. Mit dem Standortauswahlgesetz werden diese Elemente nunmehr gesetzlich geregelt und bilden die verbindliche Wegschnur auf dem Pfad der Endlagersuche.249
V. Zusammenfassung Die Geschichte der Endlagersuche in Deutschland hat ausgehend von einem ersten alternativen Standortvergleich in Niedersachen250 eine mittlerweile mehr als 50-jährige Vergangenheit. Diese Vergangenheit war geprägt von Rückschlägen und Fehlentwicklungen, sei es aufgrund fehlenden Wissens oder zumindest diskutabler politischer Motive. Jedenfalls provozierten die als intransparent und staatlich oktroyiert erachteten Entsorgungsversuche massiven gesellschaftlichen Widerstand und führten letztendlich zu einem Stillstand in der Entsorgungsfra-
246 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 2, 23 f.; Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 27 ff.; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 252 f.; näher zum Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung in Abschnitt D. III. 1. b) gg); für einen Vergleich zu anderen Großvorhaben, vgl. Durner, 15. AtomRS, S. 311 ff.; ders., NuR 2019, S. 241 ff. 247 Vgl. Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 22, 31 f.; Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 401 ff.; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 253 f.; ausführlich zur Zulässigkeit dieses Verfahrensansatzes Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 262 ff.; krit. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 306 ff. 248 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 80; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270, 280 f. 249 S. a. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 261; zur Frage, ob aktuell ein „window of opportunities“ besteht, vgl. Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59; Brunnengräber/ Mez, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 289, 309 f.; bejahend: ders., Das Standortauswahlgesetz und die Anti-Atom-Bewegung, 2015, S. 15; Brunnengräber/Mez, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 56; dies., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 393; dies., in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 21, 23 f. 250 Vgl. Abschnitt B. II.
V. Zusammenfassung
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ge.251 Gleichwohl bietet diese Historie aber auch die Möglichkeit, die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen für die weitere Standortsuche nutzbar zu machen.252 Dass der Gesetzgeber dies beabsichtigt, zeigt sich in dem prononciert auf Verfahrenstransparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung angelegten Weg und dem damit verbundenen Versuch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zur Umsetzung der atomrechtspolitischen Ziele zu gewinnen. Insofern wird das auf Konsens gerichtete Vorgehen der Bundesregierung durchaus zutreffend als ein „Novum in der Atompolitik und Ausdruck eines neuen Politikstils“253 benannt. Dies unterstreicht, dass der Gesetzentwurf zum StandAG von – mit Ausnahme der Linken – allen im Bundestag vertretenen Fraktionen getragen wurde.254 Den Anforderungen der Endlagersuche, die in der einschlägigen Literatur wahlweise als „Extrem-Problem“255, „besondere Herausforderung“256 oder als „herausragende(s) Umweltproblem“257 bezeichnet werden, begegnet der Gesetzgeber mit dem StandAG als „Sondergesetz“,258 das ein neuartiges Auswahlverfahren mit einem „Amalgam aus parlamentarischer Kontrolle, Öffentlichkeitsbeteiligung und gerichtlichem Rechtsschutz“259 etabliert. Auf diese Weise soll ein Höchstmaß konsensualer Entscheidungsfindung garantiert und folglich der Endgültigkeit einer bestimmten Standortentscheidung Rechnung tragen werden.260 Inwieweit die Regelungen des Standortauswahlgesetzes den Anforderungen der Verfassung sowie des Unionsrechts gerecht werden und inwiefern das Verfahren geeignet ist, die gesellschaftspolitischen Spannungen rund um das Thema atomare Entsorgung zu lösen, ist in der Folge zu untersuchen. 251 S. a. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270, der die Endlagersuche als „technisch gescheitert, politisch umkämpft sowie rechtlich kaum steuerbar“ bezeichnet; Posser, FS Dolde, S. 251, 254 f.; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 354 f.; Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 12.; von einer „Selbst-Diskreditierung des politisch-administrativen Komplexes“ sprechend Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 411. 252 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 26 f.; Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 60; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 61 f. sowie Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (a); krit. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 748. 253 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 80; krit. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 68 f. 254 Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 273; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 549; BT-Drs. 17/13471, S. 1; a. A. Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 88. 255 Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 416. 256 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 260. 257 König, ZNER 2012, S. 232, 233. 258 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 260; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des StandAG im Lichte des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, vgl. Abschnitt D. IV. 4. 259 Wiegand, NVwZ 2014, S. 830. 260 Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 210 spricht von einem „geschärften Bewusstsein für die Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen“.
C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance Der Blick auf die historische Entwicklung der Endlagersuche liefert allerdings lediglich einen Teilbeitrag für die Bildung eines Verständnisfundaments zur Würdigung der rechtlichen Grundlagen. Der Komplexität der Standortentscheidung als infrastrukturelles Großvorhaben1 wird eine Analyse ausschließlich in rechtswissenschaftlichen Kategorien kaum gerecht. Mit dem Standortauswahlgesetz erfährt die Endlagersuche in Deutschland einen Neuanfang.2 Als Reaktion auf bis dato fehlgeschlagene Versuche3 setzt der Gesetzgeber auf ein transparentes und faires Verfahren mit einer umfassenden Beteiligung der Öffentlichkeit und einen Dialog in allen Verfahrensphasen.4 Weiterhin wird die Standortsuche in einem gestuften Legalplanungsverfahren in verschiedene Phasen unterteilt, die jeweils ein Bundesgesetz abschließt.5 Insofern weicht das Standortauswahlgesetz an mehreren Stellen von konventionellen Fachplanungskonzepten ab.6 Die (juristische) Bewertung der Besonderheiten des Standortauswahlgesetzes (StandAG) verdient daher eine zumindest ansatzweise Weitung des Untersuchungsrahmes.7 Der Einordnung des Neustarts als „Ausdruck eines neuen Politikstils“8 entsprechend, wird die Suche nach einem 1 Allgemein zur Zulassung von Großvorhaben als komplexe Verwaltungsentscheidung Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 551; Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 39; Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 254; Wächter, DÖV 2015, S. 121 f., 128; Steinberg, ZUR 2011, S. 340. 2 Vgl. statt vieler Smeddinck, EurUP 2017, S. 195; Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/ Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 195. 3 Zur Entstehung des StandAG im Spannungsfeld von Konflikt und Konsens, vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 242; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270. 4 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 2. 5 S. a. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 2, 11; näher zum Verfahren und den einzelnen Verfahrensphasen in Abschnitt D. III. 1. c) bb). 6 Vgl. etwa Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 497 ff., der in seiner Analyse zum Rechtsschutzsystem „experimentelle Ausnahmen“ identifiziert und diese auf die mit der Legalplanung beabsichtigte „graduell entpolitisier(t)e (…) und verfachlich(t)e (…)“ Standortauswahl zurückführt (S. 499); ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280. 7 S. a. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 751; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 4 f.; zur ganzheitlichen Betrachtung eines Politikfeldes durch GovernanceAnalysen, vgl. Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 50; Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 227. 8 Hohmuth, Die atomrechtspolitische Entwicklung in Deutschland seit 1980, 2014, S. 80.
I. Begriffsannäherung
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Standort für eine Entsorgungsanlage in diesem Kapitel als Beispiel einer MultiLevel-Governance kategorisiert.9 Hierzu erfolgt zunächst der Versuch einer Annäherung an den schillernden Governance-Begriff und dessen abstrakte theoretische Grundlagen (I.). Im Anschluss werden die verschiedenen Elemente und Arenen10 dargestellt, aus denen sich die Multi-Level-Perspektive für die Endlagersuche ergibt (II.). Entscheidende Verständnishilfen für die rechtliche Bewertung der Instrumente des Standortauswahlgesetzes bieten Problemstellungen und Phänomene, welche die Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance mit sich bringt (III.).11 Diesen Herausforderungen begegnen Governance-Ansätze mit alternativen Steuerungsmethoden und deliberativen, d. h. dialogorientierten Handlungsformen,12 zu denen insbesondere eine verstärkte Einbindung der Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse zu zählen ist.13 Ein Überblick über die Wirkung solcher partizipatorischer Elemente als Kommunikations- und Legitimationsfaktor (IV.) beschließt diesen Abschnitt.
I. Begriffsannäherung Sprachlich auf das lateinische Verb „gubernare“ (steuern) zurückzuführen, wurde der Governance-Begriff zunächst von der Weltbank zu Beginn der 1990er Jahre als normativ akzentuierter Gegenbegriff zur klassischen, hierarchischen Steuerung
9 S. a. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 85; allgemein zu den Vorteilen der sozialwissenschaftlichen Perspektive als Ausgangsbasis für einen normativen Zugriff HoffmannRiem, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 195, 196, 207 ff. 10 Unter „Arena“ ist ein Bereich kollektiven Handelns zu fassen, der durch spezifische institutionelle Regeln sowie durch territoriale, funktionale und soziale Grenzen der Interaktion bestimmt ist, vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 251, 266; Benz, in: Benz/Scharpf/Zintl (Hrsg.), Horizontale Politikverflechtung, 1992, S. 147, 153. 11 Diese kontextbezogene Präzisierung ist für jede Governance-Analyse essenziell, um praktisch relevante Aussagen zu generieren, s. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der EndlagerGovernance, 2018, S. 64; Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 33; ähnlich Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 43. 12 Grundlegend zur deliberativen Demokratietheorie Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 349 ff.; vgl. weiterhin Holtkamp/Bogumil/Kißler, Kooperative Demokratie, 2006, S. 74 ff. 13 Zum Bedarf kooperativer und deliberativer Steuerungsformen bei der Endlagersuche, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 48 ff.; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 10 ff.; so bereits die Forderung des AkEnd, vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 61; instruktiv zu deliberativen Handlungsformen Neyer, JCMS 2003, S. 687, 696 ff.; Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1153; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 14; zu ihrer Bedeutung bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle, vgl. Lehtonen, JIES 2010, S. 175, 179 ff.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
gebraucht.14 In der Folge verbreitete sich im politik- und sozialwissenschaftlichen Kontext15 ein theoretischer Ansatz, der von der Beobachtung eines gesellschaftlichen Wandels ausging und die klassischen Aussagen der Steuerungstheorie weiterentwickelte.16 Eine einheitliche Definition zum Begriff Governance existiert aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowie der unterschiedlichen Problembereiche, Gegenstände und Hintergründe nicht.17 Vielmehr wird das Konzept als „notorious slippery“18 bezeichnet. Abhängig vom Erkenntnisinteresse und des zu untersuchenden Sektors können dem Ausdruck unterschiedliche Bedeutungen und Zielsetzungen zukommen.19 Zur Eingrenzung des Governance-Begriffs im politikwissenschaftlichen Kontext wird nachfolgend zunächst der steuerungstheoretische Reformbedarf 14 Grundlegend World Bank, Sub Saharan Africa. From Crisis to Sustainable Growth, 1989; darauf aufbauend dies., Governance, 1994; dies., Governance and Development, 1992; vgl. auch zum Schlagwort „Good Governance“ Czada, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 201 ff.; Hill, in: Schuppert (Hrsg.), GovernanceForschung, 2005, S. 220 ff.; zur kursorischen Zusammenfassung der Begriffsentstehung, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 64; näher zur Wortbedeutung Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 17. 15 Zur zunehmenden Verbreitung des Governance-Begriffes, vgl. Jann, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 21 f.; auf die in der Institutionenökonomie verankerte wirtschaftswissenschaftliche Wurzel wird in der Folge nicht mehr eingegangen. Grundlegend dazu: Williamson, JLE 1979, S. 223 ff.; ders., The mechanisms of governance, 1996; vgl. weiterhin Benz/Lütz/Schimank u. a., in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 9, 10 f.; Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 17 f. 16 Vgl. Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 18 ff.; Schuppert, GrdlVerwR I, § 16 Rn. 20 ff.; Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 38; dies., in: Mayntz (Hrsg.), Über Governance, 2009, S. 7, 8; Benz/Lütz/Schimank u. a., in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 9, 11 f.; Bache/Flinders, in: dies. (Hrsg.), Multi-level governance, 2005, S. 195, 197; Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung (37) 2004, S. 451, 452; krit. zur Unschärfe Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das öffentliche Recht, 2004, S. 24; ähnlich Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 47. 17 Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 68; vgl. auch Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13; Mayntz, in: dies. (Hrsg.), Über Governance, 2009, S. 7, 8; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 33; die Europäische Kommission definiert Governance in ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“ denkbar weit als „Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen, die die Art und Weise, wie auf europäischer Ebene Befugnisse ausgeübt werden, kennzeichnen, und zwar insbesondere in Bezug auf Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz“, vgl. Europäische Kommission, Europäisches Regieren (Weißbuch), KOM (2001) 428 endg. v. 25.7.2001, S. 10 (dort Fn. 1); hierauf die zurückhaltende Rezeption im Bereich der Rechtswissenschaften zurückführend Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 50; vgl. weiterhin Hoffmann-Riem, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 195 f.; Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das öffentliche Recht, 2004, S. 24. 18 Pierre/Peters, Governance, politics and the state, 2008, S. 7; Rhodes, Understanding Governance, 1997, S. 7. 19 Für einen Überblick der verschiedenen Begriffsverständnisse, vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 17 ff.; Rhodes, Understanding Governance, 1997, S. 46 ff.
I. Begriffsannäherung
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skizziert, welcher sich aus einem Dreiklang von Denationalisierung, Mehrebenenverflechtung und Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft20 ergibt (1.). Daran schließt eine Vorstellung verschiedener Ziele der Governance-Forschung sowie die Herausarbeitung des beabsichtigten Erkenntnishorizonts für die hier vorzunehmende Analyse an (2.). Auf dieser Basis erfolgt eine weitere Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf das Konzept der Multi-Level-Governance (3.). 1. Wandel von „Government“ zu „Governance“21 Die zunehmende Verbreitung des Governance-Begriffes in den Sozial- und Politikwissenschaften lässt sich auf einen doppelten Prozess der Veränderung von Realität bzw. der veränderten Wahrnehmung und Interpretation dieser Wirklichkeit zurückführen.22 Dabei setzte sich die Einsicht durch, dass der klassische Interventionsstaat der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit mit seinem hierarchischen Befehlsmodell von Geboten, Verboten und Strafandrohungen (Government) nicht mehr wirksam arbeitete.23 Aufgrund der inhärenten Mängel seines tradierten Instrumentariums war er nicht länger in der Lage, die sich ihm stellenden ökonomischen und sozialen Probleme zu lösen.24 Ursächlich hierfür zeichneten sich in erster Linie Entwicklungen, die mit den Stichworten von Denationalisierung, Mehrebenenverflechtung sowie einer zunehmenden Auflösung der Trennung von Staat und Gesellschaft charakterisiert werden.25 Denationalisierung bzw. Globalisierung umschreibt das Phänomen, 20 Vgl. auch Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 15 f. 21 Zum Titel, vgl. Bröchler/Blumenthal, in: dies. (Hrsg.), Von Government zu Governance, 2006, S. 7 ff.; mit Bezug zur Entsorgung radioaktiver Abfälle vgl. Kuppler, JIES 2/2012, S. 103 ff.; ähnlich Schuppert, AöR 2008, S. 79 f.; zum gegensätzlichen Verständnis der beiden Begriffe Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 58; für eine tabellarische Gegenüberstellung Geißel, in: Schwalb/ Walk (Hrsg.), Local Governance – mehr Transparenz und Bürgernähe?, 2007, S. 23, 26. 22 Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 64; grundlegend Benz/ Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 14 f. 23 Mayntz, Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 186 f.; s. a. für den Bereich des Energierechts Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 42 ff. 24 Diese resultieren aus Veränderungen, die nicht nur den Staat, sondern auch die Wirtschaft und die Gesellschaft betreffen. Sie spielen sich auf lokaler, nationaler sowie internationaler Ebene ab und schließen Verfahren, Modalitäten sowie die Ergebnisse der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ein, vgl. Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 38; Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 11; Di Fabio, VVDStRL (56) 1997, S. 235, 238 f.; den Umstand betonend, dass in den unterschiedlichen Aufgabenfeldern höchst unterschiedliche Ausprägungen vorliegen Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 15; zur diesbezüglichen Reformbedürftigkeit des Rechts, vgl. Möllers, VerwArch (93) 2002, S. 22, 26 ff.; Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 19. 25 S. a., wenngleich den Verzicht auf den Einsatz imperativer Machtmittel zugunsten dialogischer Formen der Gemeinwohlverwirklichung als Zeichen von Handlungsfähigkeit deutend Schmidt-Preuß, VVDStRL (56) 1997, S. 160, 169 f.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
dass soziale, wirtschaftliche und ökologische Probleme nicht mehr innerhalb der Grenzen eines Nationalstaats gelöst werden können.26 Veranschaulichen lässt sich dies insbesondere an den beiden Aspekten der Kongruenz und des Wettbewerbs. Eine Verletzung der Kongruenzbedingung für effektives Regieren liegt vor, wenn sich die Räume, in denen Probleme entstehen, nicht mit den entsprechenden Kompetenzen zur Problemlösung decken.27 Eine Verschärfung der Problematik ergibt sich weiterhin, wenn Nationalstaaten wettbewerblich miteinander konkurrieren.28 Die Steuerungsfähigkeit des Staates wurde zudem durch die Verknüpfung verschiedener Entscheidungsebenen erschwert (Mehrebenenverflechtung). Wenn eine Ebene ohne die andere nicht mehr handlungsfähig ist, besteht die Gefahr von Blockadesituationen.29 Daneben traf Regierungshandeln zum einen auf gesellschaftliche Widerstände. Dies ist insbesondere der Fall, sofern Interessen von gesellschaftlichen (Teil-)Gruppen negativ berührt werden. Zum anderen ergeben sich Vorteile, wenn der Staat die Ressourcen und das Wissen privater Akteure zur staatlichen Aufgabenerfüllung heranziehen kann. Diese Aspekte lassen sich als Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft zusammenfassen.30 Das Ergebnis dieser Entwicklungslinien zeitigte sich in der Ausbildung des sog. kooperativen Staates.31 Im Gegensatz zu traditionellen Konzepten von politischer Steuerung32 zeichnet sich der kooperative Staat durch netzwerkartige Strukturen und
26 Scharpf, Interaktionsformen, 2000, S. 336 f.; Beck, Was ist Globalisierung?, 1998, S. 115; Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, 1998, S. 65 ff., 67; Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 107 f.; Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das öffentliche Recht, 2004, S. 11 ff.; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 18 ff.; instruktiv Brand/ Brunnengräber/Schrader u. a., Global Governance, 2000, S. 23 ff.; Mayntz, in: dies. (Hrsg.), Über Governance, 2009, S. 53 ff.; vgl. auch Peters/Pierre, in: Bache/Flinders (Hrsg.), Multilevel governance, 2005, S. 75, 84 ff.; näher zu umweltpolitischen Gemengenlagen Köck, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 322 f. 27 Vgl. Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, 1998, S. 17 ff.; weiterführend zur Ursache des Effektivitäts-/Demokratiedilemmas, vgl. Abschnitt C. III. 4. a). 28 Vgl. Zürn, PVS 1998, S. 91 ff.; für eine kursorische Darstellung mit veranschaulichenden Beispielen, vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 15 f.; vgl. auch Meine, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 193, 195 f. 29 Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 59 f. 30 Vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 16; zustimmend Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 68; zur Verantwortungsteilung von Staat und Gesellschaft, vgl. auch Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 41 f. 31 Instruktiv zum Begriff und der Notwendigkeit eines reformierten Steuerungsmodus Voigt, in: ders. (Hrsg.), Der kooperative Staat, 1995, S. 33 ff.; Kleger, in: Voigt (Hrsg.), Der kooperative Staat, 1995, S. 93 ff.; grundlegend zur Begriffsbildung Ritter, AöR (104) 1979, S. 389 ff. 32 Zur Begriffsgeschichte und unterschiedlichen Begriffsvarianten, vgl. Mayntz, Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 188 ff.; dies., in: Beyme/Offe (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, 1996, S. 148 ff.; zu grundlegenden Zweifeln an der
I. Begriffsannäherung
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Verhandlungssysteme aus, die aus staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren bestehen.33 Insofern bildete sich in der Verwaltungsrechtswissenschaft ein handlungsorientierter Steuerungsansatz aus, der sich vom Konzept des akteurzentrierten Institutionalismus34 unterscheidet.35 Wesentliche Positionen dieses Entwurfs politischer Steuerung sind ein handelndes Steuerungssubjekt sowie ein Steuerungsobjekt, auf das eingewirkt werden soll.36 Weitere Elemente bestehen in der Formulierung eines Steuerungsziels sowie der Beschreibung verschiedener Steuerungsinstrumente. Zudem bedarf es grundlegender Vorstellungen über die Wirkbeziehungen zwischen Steuerungsaktivität und Steuerungsergebnissen (sog. Steuerungswissen).37 Ein solches Konzept politischer Steuerung ist aufgrund unterschiedlicher Rationalitäten und Handlungssituationen als interaktiver Prozess zu verstehen, in dem diverse Akteure in Netzwerken streiten und kooperieren.38 Das Konzept der Governance hebt gerade diese gewachsene Bedeutung von Verhandlungen und Verhandlungssystemen für die Entwicklung und Implementation von Politik im kollektiven Interesse hervor.39 Die Ursache hierfür setzt der zuvor skizzierte fundamentale gesellschaftliche Strukturwandel, der klassische top-downSteuerung erschwert.40 In nahezu sämtlichen gesellschaftlichen Regelungsbereichen politischen Steuerbarkeit von Systemen unter dem Stichwort Systemtheorie, vgl. Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 30 ff.; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 38 ff. 33 Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 40; Holtkamp/Bogumil/Kißler, Kooperative Demokratie, 2006, S. 46 ff.; s. a. unter dem Stichwort „Selbstregulierung“ Di Fabio, VVDStRL (56) 1997, S. 235, 240 f.; allgemein zu den Herausforderungen der Netzwerkbildung für die Verwaltungsorganisation Schuppert, GrdlVerwR I, § 16 Rn. 134 ff. 34 Für eine Beschreibung des Konzepts, vgl. Mayntz/Scharpf, in: dies. (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, S. 39 ff.; Scharpf, Interaktionsformen, 2000, S. 73 ff. 35 Darin eine „konzeptionelle Wende“ erkennend Franzius, VerwArch 2006, S. 186, 189, 199 ff. 36 Mayntz, Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 190; vgl. auch Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 61. 37 Zur vorstehenden Beschreibung des „handlungsorientierten Steuerungsansatzes“, vgl. Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 20. 38 Mayntz, Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 191; vgl. auch Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 22 ff. 39 I. d. R. für den Bereich des Energierechts Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 48 f., wenngleich krit. zur Anschlussfähigkeit innerhalb der rechtswissenschaftlichen Dogmatik (S. 72 ff.); vgl. grundlegend Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 41; Hocke, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 155, 156; vgl. hierzu auch und dies als „enger gefassten“ Governance-Begriff bezeichnend Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 65. Im Gegensatz dazu umfasse der „weite“ Begriff „die Gesamtheit der politischen Ordnung einer Volkswirtschaft“. 40 S. a. etwa Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 66 f.; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 63; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 34; instruktiv zur Fortbildung der klassischen Steuerungstheorie durch Governance
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
sind einflussreiche und handlungsfähige Organisationen (sog. korporative Akteure41) entstanden. Zeitgleich gewährt der moderne demokratische Verfassungsstaat den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen und damit auch den in ihnen agierenden Organisationen eine relativ weitreichende Autonomie.42 Auf dem Dualismus von Existenz und Handlungsfähigkeit korporativer Akteure jenseits des staatlichen Bereichs beruht zum einen die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Selbstregelung43 ebenso wie die Möglichkeit einer direkten Interaktion zwischen gesellschaftlichen und staatlichen Instanzen.44 In seiner Essenz umschreibt der Governance-Begriff demnach in einer Erweiterung der klassischen Steuerungstheorie als Antwort auf identifizierte Defizite den Modus und die Qualität modernen Regierens in komplexen Strukturen.45 Als Konsensdefinition zu den verschiedenen Governance-Bereichen arbeiteten Arthur Benz und Nicolai Dose hierzu vier Charakteristika heraus.46 Governance bedeute erstens Steuern und Koordinieren (oder auch Regieren) mit dem Ziel des Managements von Interdependenzen zwischen Akteuren.47 Zweitens beruhten Steuerung und KoordiMayntz, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 11 ff.; zu diesem „engen“ Governance-Begriff, vgl. weiterhin Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 54; Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung (37) 2004, S. 451, 460. 41 Unter dem Begriff „korporative Akteure“ versteht man handlungsfähige Zusammenschlüsse von Individuen, vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 25; näher zum Korporatismus Holtkamp/Bogumil/Kißler, Kooperative Demokratie, 2006, S. 38 ff. 42 Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 42. 43 Zum Begriff Schmidt-Preuß, VVDStRL (56) 1997, S. 160, 162 f.; zu Ursachen und Vorteilen, vgl. Di Fabio, VVDStRL (56) 1997, S. 235, 238 ff. 44 Ähnlich Bröchler/Blumenthal, in: dies. (Hrsg.), Von Government zu Governance, 2006, S. 7, 8 f.; zur Einordnung der Öffentlichkeitsbeteiligung des StandAG als „neokorporatistisches Modell“, vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 249; ebenso zur Endlagerkommission Perli, Atommüll – Vom Technik- zum Standortkonflikt?, 2017, S. 60. 45 S. a. Hoffmann-Riem, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 195, 197; krit. zum generellen Perspektivenwechsel von politischer Steuerung zu Governance in der Rechtswissenschaft Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 21, 70. Neben der begrifflichen Unschärfe (dazu auch Hoffmann-Riem, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 195, 197 ff.; Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das öffentliche Recht, 2004, S. 24) spreche zum einen die Funktionsweise von Recht im demokratischen Verfassungsstaat notwendigerweise für die Zuweisung von Kompetenzen und Verantwortungsbereichen an einzelne Akteure, woran das Konzept der Steuerung besser anschließen könne. Zum anderen verfügten holistische Ansätze wie Governance, die sich primär für Grundmuster wie Markt, Hierarchie und Netzwerke interessieren, ganz überwiegend nicht über die notwendige Tiefenschärfe, um rechtsdogmatisch in Bezug auf einzelne Handlungs- und Organisationsformen fruchtbar gemacht werden zu können. 46 Vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 25 f.; darauf zurückgreifend Drögemöller, Schlüsselakteure der EndlagerGovernance, 2018, S. 65 f. 47 In der Regel werden korporative Akteure betrachtet, vgl. auch Benz/Lütz/Schimank u. a., in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 9, 11; Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Gover-
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nation auf institutionalisierten Regelsystemen, welche das Handeln der Akteure lenken sollen, wobei in der Regel Kombinationen aus unterschiedlichen Regelsystemen48 vorlägen. Auch würden drittens Interaktionsmuster und Modi kollektiven Handelns von Governance umfasst,49 welche sich im Rahmen von Institutionen ergeben. Schließlich überschritten viertens Prozesse des Steuerns bzw. Koordinierens regelmäßig Organisationsbereiche, insbesondere auch Grenzen von Staat und Gesellschaft, die in der politischen Praxis fließend geworden seien. 2. Ziele der Governanceforschung Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung ermöglichen Governance-Analysen einen vielschichtigen Zielkanon, der sich auf drei generelle Erscheinungsformen konkretisieren lässt.50 So kann Governance als ein wünschenswertes normatives Konzept der Zivilgesellschaft in Verbindung mit hochgesteckten, ggf. sogar utopischen Vorstellungen in Erscheinung treten.51 Weiterhin beschreiben GovernanceUntersuchungen als deskriptives Konzept einen bestimmten Typus von Entscheidungsprozessen, der unterschiedliche Stakeholder einbezieht und somit vorhandene zivilgesellschaftliche Gegebenheiten analysiert. Letztlich existieren empirischanalytische Entwürfe, welche die Funktion und Relevanz von Partizipation (die Inputseite) in den Blick nehmen.52 Die in diesem Kapitel erfolgende Kategorisierung der Endlager-Governance soll primär die Ursachen von bestehenden Koordinationsdefiziten herausarbeiten, die dazu führten, dass die Endlagersuche bisher erfolglos geblieben ist.53 Insofern wird nance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111, 116 f.; s. a. Simeon/Cameron, in: Bakvis/Skogstad (Hrsg.), Canadian federalism, 2002, S. 278, 292; Stomberg, GovernanceStrukturen im Energierecht, 2019, S. 51. 48 Als Beispiele sind Vertragsregeln, Kompetenzregeln und Kontrollbefugnisse, Mehrheitsund Verhandlungsregeln zu nennen. 49 Zu denken ist etwa an Netzwerke, Koalitionen, Tauschbeziehungen, wechselseitige Anpassung im Wettbewerb, vgl. auch Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 51; diesen Aspekt als wesentlichen Mehrwert des Governance-Konzepts benennend Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 325 f., 330. 50 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 64 f. m. w. N.; ähnlich Brand/Brunnengräber/Schrader u. a., Global Governance, 2000, S. 21 f. 51 Vgl. Bache/Flinders, in: dies. (Hrsg.), Multi-level governance, 2005, S. 195, 195 f.; als Beispiel hierfür dient das Konzept der „Good Governance“, vgl. etwa Czada, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 201 ff. 52 So etwa Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 64 f.; Geißel, in: Schwalb/Walk (Hrsg.), Local Governance – mehr Transparenz und Bürgernähe?, 2007, S. 23, 24 f.; für einen analytischen Ansatz, vgl. Mayntz, in: dies. (Hrsg.), Über Governance, 2009, S. 105, 106 ff. 53 Vgl. Böhm, GS Schmehl, S. 435, 437 f.; allg. zu den governance-theoretischen Ursachen von Koordinationsdefiziten, vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 251, 252 ff.; näher zur Endlagersuche im Kontext der Mehrebenen-Governance Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 87 f.
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für die nachfolgende Untersuchung ein deskriptiv-analytischer Ansatz gewählt.54 Eine derartige Analyse bietet die Chance zur Offenlegung von politischen Handlungsspielräumen,55 kann das Verständnis für die rechtliche Ausgestaltung der Standortsuche fördern56 und dient als Grundlage für deren abschließende Bewertung.57 3. Unterfall der Multi-Level-Governance Zur Erlangung verwertbarer Ergebnisse verlangt die weitere Analyse angesichts der Vielschichtigkeit des Governance-Begriffes sowie der sektoral unterschiedlichen Governance-Strukturen58 eine weitere Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes. Dies gelingt mit dem Konzept der Multi-Level-Governance. Der in der englischsprachlichen Literatur maßgeblich auf Gary Marks und Liesbet Hooghe zurückzuführende Begriff59 stellt eine analytische Methode zur deskriptiven Beschreibung der Europäischen Union als erste internationale, postmoderne Ordnung dar.60 Als wesentliches Kennzeichen lässt sich eine Mehrebenenverflechtung der politischen Strukturen durch supranationale, aber auch intergouvernementale Entscheidungsebenen unter Einbeziehung einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure feststellen. Das Konzept ist allerdings keineswegs auf eine Untersuchung im Kontext der EU beschränkt.61 Als theoretischer Ausgangspunkt fungiert die von Fritz W. Scharpf geprägte Theorie der Politikverflechtung (a). Zur Überwindung der identifizierten „Politikverflechtungsfalle“ (b) erweitert Multi-Level-Governance in einem akteurzentrierten Ansatz die Untersuchungsperspektive um private Akteure (c). 54
S. a. Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 29. Jann/Wegrich, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 175; ähnlich Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 90. 56 Für eine nähere Untersuchung des Standortauswahlgesetzes, vgl. Abschnitt D. III. 1. 57 Vgl. die Schlussbetrachtung in Abschnitt E. 58 In Abhängigkeit von der Art der Leistung oder des Gutes, dessen Regelung bezweckt wird, existieren Unterschiede im Hinblick auf die dominanten Regelungsziele und die vorherrschenden Regelungsinstrumente, vgl. Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 43; zur Notwendigkeit der kontextbezogenen Präzisierung vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 64; Benz/ Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 13, 33. 59 Zur Definition von Governance als „a system of continuous negotiations among nested governments at several territorial tiers“, vgl. Marks, in: Cafruny/Rosenthal (Hrsg.), The Maastricht debates and beyond, 1993, S. 391, 392; vgl. weiterhin Marks/Hooghe/Blank, JCMS 1996, S. 341 ff.; Hooghe/Marks, Multi-Level Governance and European Integration, 2001; dies., in: Bache/Flinders (Hrsg.), Multi-level governance, 2005, S. 15 ff., vgl. etwa auch Rhodes, Understanding Governance, 1997, S. 157 ff. 60 Für eine kursorische Darstellung Knodt/Große Hüttmann, in: Bieling/Lerch (Hrsg.), Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 187, 188. 61 Vgl. zur begrifflichen Neufassung bekannter Theorien Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 112 ff. 55
I. Begriffsannäherung
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a) Ausgangspunkt: Theorie der Politikverflechtung Die maßgeblich auf die Arbeiten Fritz W. Scharpfs zurückgehende Theorie der Politikverflechtung fußt auf einer empirischen Untersuchung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a a. F. und Art. 104a Abs. 4 GG.62 Wenngleich diese Hypothese auf eine föderative Verfassung mit zwei Ebenen und die besondere Fokussierung auf Probleme des kooperativen Bundesstaats in Deutschland beschränkt ist,63 können die grundlegenden Annahmen sowie die formulierten Begriffe den Ausgangspunkt für eine allgemeine Theorie von Politik im Mehrebenensystem bilden.64 Den Ausführungen Scharpfs lassen sich vier zentrale Elemente entnehmen:65 Ein erster Schritt erläutert die Ursachen von Politikverflechtung.66 Der Umstand, dass Mehr-Ebenen-Probleme durch Ein-Ebenen-Entscheidungen nicht optimal verarbeitet werden können, verlange nach alternativen Politikmustern.67 Diese sollen zwar einerseits die Entscheidungsautonomie der dezentralen Einheiten einschränken. Andererseits dürfen die übergeordneten Entscheidungseinheiten aber auch nicht gesamte Aufgabenkomplexe an sich ziehen. Statt dessen hätten sich direkte und indirekte Einfluss- und Steuerungsinstrumente gegenüber den nach wie vor zuständigen regionalen Einheiten ausgebildet.68 Der zweite Baustein der Scharpf’schen Theorie besteht in der Definition normativer Anforderungen an Politik im Mehrebenensystem. Ausgehend von typischen Problemlagen in Zusammenhang mit sog. externen Effekten69 ent62 Grundlegend: Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 29 ff.; instruktiv: Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 20 ff.; Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 56 ff.; zu vergleichbaren Ansätzen in Kanada unter dem Stichwort „intergouvernemental relations“, vgl. Simeon, Federal-Provincial Diplomacy, 2006 (Erstauflage 1971). 63 Auf die begrenzte Reichweite weist der Autor selbst hin, vgl. Scharpf, in: Hesse (Hrsg.), Politikverflechtung im föderativen Staat, 1978, S. 21, 23. 64 S. a. und die Studie von Scharpf „noch heute als richtungsweisend“ bezeichnend Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 58. 65 Zu dieser Kategorisierung, vgl. auch Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 58 ff. 66 Politikverflechtung ergibt sich demnach daraus, dass bei der Zuordnung von Aufgaben auf Ebenen sowohl Dezentralisierungsprobleme (z. B. externe Effekte, Kollektivgutprobleme bei der Nutzung gemeinsamer Ressourcen oder der Erstellung gemeinsamer Einrichtungen durch kleine Gebietskörperschaften) als auch Zentralisierungsprobleme (Überlastung der Informationsverarbeitungs- oder Konfliktregelungskapazitäten, Vernachlässigung der Aufgabenkomplexität) auftreten können, vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 28 f. 67 S. a. Bullinger/Heim/Meyer, in: Hesse (Hrsg.), Politikverflechtung im föderativen Staat, 1978, S. 33, 36. 68 Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 29. 69 Externe Effekte entstehen, wenn Parlamente oder Regierungen in Gebietskörperschaften bei ihren Entscheidungen solche Wirkungen nicht berücksichtigen, die über deren eigener Grenze auftreten. Im Einzelnen handelt es sich um Niveauprobleme (das Ignorieren negativer oder positiver externer Effekte führt zu einer Erstellung von Gütern und Leistungen in zu hohem oder zu niedrigem Umfang), Niveaufixierungsprobleme (das erforderliche Ausmaß an Leis-
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
wickelte er Kriterien, denen Steuerungsprogramme und -instrumente entsprechen müssen.70 In einem dritten, empirisch-verhaltenswissenschaftlichen Element werden Begriffe und Hypothesen gebildet, mit denen sich die Auswirkung institutioneller Strukturen eines Mehrebenensystems auf politische Prozesse und Politikergebnisse beschreiben lassen. Als unmittelbare Folge von Politikverflechtung identifizierte er zudem Probleme der Informationsverarbeitung und der Entscheidungsfindung, die häufig Blockadesituationen bewirken.71 Gleichwohl sei Blockierung keinesfalls der Normalzustand eines Mehrebenensystems, sondern lediglich eine institutionell angelegte Gefahr.72 Dass die Praxis der Politikverflechtung zwischen Bund und Ländern grundsätzlich funktioniere, sei mit der Art und Weise zu erklären, wie Akteure unter Verhandlungszwängen miteinander umgehen (vierter Baustein).73 Wenngleich dieses theoretische Konzept Mehrebenen-Konstellationen eine grundsätzliche Steuerungsfähigkeit zubilligt, ergeben die empirischen Untersuchungen Scharpfs dennoch, dass Politikverflechtung politische Entscheidung zwar nicht blockiere, gleichwohl aber die adäquate Aufgabenerfüllung verhindere.74 Die
tungen dezentraler Einheiten ist nicht mehr gesichert, da diese entweder Probleme externalisieren oder übermäßig von positiven Effekten aus anderen Gebietskörperschaften profitieren), Verteilungsprobleme (ungerechte Verteilung von Ressourcen zwischen Regionen aufgrund von wirtschaftlichen oder sozialen Entwicklungen) und Interaktionsprobleme (wechselseitige Störungen durch unkoordinierte Entscheidungen der Gebietskörperschaften); für eine kursorische Darstellung, vgl. Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 21 f. 70 Vgl. zu den Begriffen und den jeweiligen Steuerungslösungen Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 25 ff., 31 ff. 71 Sofern Restriktionen der Konfliktregelung nicht abgebaut werden, tendiere Politikverflechtung nicht zur effektiven Problemverarbeitung, sondern zu einer Selbstblockade des politischen Systems, vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 55. Da die föderalen Vertreter im Verhältnis Bund/Länder primär an eigenen Gewinnen interessiert seien und sich lediglich in zweiter Linie um die Lösung gemeinschaftlicher Probleme kümmerten, verhandelten sie im Modus des „bargaining“ und nicht des „problem solving“, vgl. auch die Darstellung bei Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 59 f.; Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 23. 72 Vgl. Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 24 73 Durch Veränderung von realen Entscheidungsstrukturen (Verminderung der Zahl der notwendig zu beteiligenden Akteure – z. B. durch bilaterale Vereinbarungen oder Koalitionsbildungen), durch spezifische Verfahrensweisen (Reduzierung der Zahl der gleichzeitig zu berücksichtigenden Entscheidungsalternativen – z. B. durch sequenzielle Bearbeitung von Problemen, Konfliktvertagung oder sektorale Differenzierung) sowie durch Umdefinition der Probleme und entsprechende konfliktvermeidende Lösungen (Minderung des Konfliktniveaus durch Gleichbehandlung, Eingriffsverzicht, Besitzstandswahrung und Strukturerhaltung) ließen sich Verhandlungslösungen erzielen, vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 41 ff., 54 ff., 62 ff.; zusammenfassend Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 24 ff.; krit. zu den Nachteilen der genannten Konfliktvermeidungsstrategien: Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 251, 270. 74 Zu den durchgeführten Fallstudien, vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 76 ff., 107 ff., 133 ff., 158 ff., 187 ff., 205 ff.; näher zu den Gemeinschaftsaufgaben
I. Begriffsannäherung
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autonome Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern sei eingeschränkt. Verflochtene Strukturen führten zu mangelnder Effektivität.75 Insofern leide der deutsche Bundesstaat an einer Überverflechtung.76 b) Gefahr: „Politikverflechtungsfalle“ Angelehnt an die These der Überverflechtung macht Scharpf deutlich, dass institutionelle Reformen in verflochtenen Mehrebenensystemen zwar nicht unmöglich,77 jedoch schwierig umzusetzen seien. Selbst wenn die handelnden Akteure die Defizite eines verflochtenen Entscheidungssystems erkennen, müssten zur Änderung der Lage zunächst Kompetenzen und Macht umverteilt werden. Diese Art des Verteilungsproblems sei aber in Verhandlungen78 ebenso wenig zu lösen, wie Probleme der Ressourcenverteilung.79 Eine zwei oder mehrere Ebenen verbindende Entscheidungsstruktur, die aus ihrer institutionellen Logik heraus systematisch ineffiziente und problem-unangemessene Entscheidungen erzeugt und zugleich unfähig ist, die institutionellen Bedingungen ihrer Entscheidungslogik zu verändern, fasst er mit dem treffenden Begriff der Politikverflechtungsfalle zusammen.80 Die Ergebnisse politischer Entscheidungen, die im Rahmen der Politikverflechtung verlaufen, blieben demnach in der Regel unbefriedigend. Der Status quo stelle für die Beteiligten ein lokales Optimum dar, das durch die wahrscheinlich nur gradualistischen Strategien und rudimentären Reformüberlegungen nicht verlassen werden könne. Wirksame Verbesserung würden hingegen Veränderungen voraussetzen, die
nach Art. 91a GG a. F. und den Finanzhilfen des Bundes an Länder und Gemeinden bei Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 81 ff. 75 Vgl. Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 20; ausführlich zur mangelnden Effektivität des kooperativen Föderalismus Scharpf, Föderalismusreform, 2009, S. 30 ff. 76 Zusammenfassend Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 59 f.; zum Begriff Überverflechtung, vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976, S. 232 ff. 77 S. a. Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 33 f. 78 Zur Kategorisierung des föderalen Bundesstaats als multilaterales Zwangsverhandlungssystem, vgl. Scharpf, in: Benz/Scharpf/Zintl (Hrsg.), Horizontale Politikverflechtung, 1992, S. 51, 63. 79 Die handelnden Akteure seien geneigt, weitreichende Reformen zu vermeiden, die Bund oder Länder regelmäßig ungleich betreffen, vgl. Scharpf, PVS 1985, S. 323, 346. Zudem bestünden Anreize, Entscheidungen auf Experten zu externalisieren, um sie so dem Parteienwettbewerb zu entziehen. Beiden Strategien sind jedoch spezifische Nachteile inhärent. Zögerliche Reformen erlauben nur inkrementelle Veränderungen, womit reale Probleme nur begrenzt gelöst werden. Die Einbeziehung außenstehender Fachleute führt zu einem Verlust an Transparenz und Verantwortlichkeit der Regierungen gegenüber Parlamenten und dem Wahlvolk, vgl. Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 251, 270. 80 Vgl. zu vorstehender Definition Scharpf, PVS 1985, S. 323, 350.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
zumindest kurzfristig die Interessen vieler Akteure verletzen.81 Mittel- und langfristige Vorteile böten demgegenüber keine entscheidenden Handlungsanreize und scheiterten an der politischen Priorität von Sachkompromissen.82 c) Kennzeichen der Multi-Level-Governance So griffig und prägnant das Konzept der Politikverflechtung auch erscheinen mag, darf nicht verkannt werden, dass die aufgestellten Thesen für das föderative System der Bundesrepublik Deutschland entwickelt wurden.83 Gleichwohl enthält es Überlegungen, die für eine weiterreichende Theorie der Mehrebenenpolitik fruchtbar gemacht werden können.84 Fritz W. Scharpf hat seine Untersuchung selbst auf das System der Europäischen Union erweitert und unterstellt, dass „die Hypothese der ,Politikverflechtungs-Falle‘ unter einer Vielzahl höchst verschiedenartiger institutioneller Bedingungen zu überprüfen“ sei.85 Das Konzept der Multi-LevelGovernance erweitert hierzu in einem akteurzentrierten Ansatz86 den Untersuchungsrahmen um Interessenvertreter aus dem privaten Sektor.87 Als grundlegende Charakteristika von Governance in Mehrebenensystemen lassen sich nach dem bisher Gesagten drei Merkmale festhalten. Erstens umfasst der Begriff der Ebene politische Entscheidungseinheiten, die primär nach territorialen Aspekten organsiert sind. Das Erkenntnisinteresse dient zweitens den politischen 81
Vgl. die Darstellung bei Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 28, mit Bezug auf Scharpf, PVS 1985, S. 323, 350; zur Gefahr der Konfliktverschärfung in verbundenen Arenen, vgl. Benz, in: Benz/Scharpf/Zintl (Hrsg.), Horizontale Politikverflechtung, 1992, S. 147, 162 ff. 82 Scharpf, PVS 1985, S. 323, 347. 83 S. a. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 61; zum begrenzten Anwendungsbereich der Theorie Scharpf, in: Hesse (Hrsg.), Politikverflechtung im föderativen Staat, 1978, S. 21, 23. 84 Als generalisierungsfähiges Merkmal von Mehrebenenpolitik isoliert Arthur Benz aus der Theorie Fritz W. Scharpfs insbesondere, dass Akteure aufgrund ihrer Einbindung in mehrere institutionelle Kontexte einerseits Freiräume gewinnen. Andererseits unterliegen sie aber auch besonderen Schwierigkeiten, Interessenskonflikte zu lösen. Die Wirkung der institutionellen Regeln lässt Zielkonflikte entstehen, die sich als Dilemmata kollektiven Handelns beschreiben lassen. Konstruktive Politikergebnisse hängen deshalb davon ab, mittels welcher Strategien Konflikte gelöst werden, vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 61; ähnlich Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 351 f.; Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 237. 85 Scharpf, PVS 1985, S. 323, 331 ff., 352. 86 Grundlegend Marks/Hooghe/Blank, JCMS 1996, S. 341, 348; vgl. auch die Darstellung bei Knodt/Große Hüttmann, in: Bieling/Lerch (Hrsg.), Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 187, 190 f. 87 Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111, 115 f.; ders., Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 61 f.; vgl. auch Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 333; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 274, 274
I. Begriffsannäherung
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Strukturen und Prozessen, die Ebenen miteinander verbinden, koordinieren und steuern. Zudem bestehen drittens Zusammenhänge zwischen den die Ebenen verbindenden Prozessen und Regeln sowie den institutionellen Bedingungen.88 Für eine Multi-Level-Governance-Analyse stellen sich somit die grundlegenden Fragen, welche Probleme in der Mehrebenenpolitik zu lösen bzw. welche Aufgaben zu erfüllen und welche Ziele zu erreichen sind. Zudem ist klärungsbedürftig, welche Akteure mit welchen Rollen und Interessen in der Politik mitwirken und wie sie in institutionelle Kontexte eingebunden sind.89 Zu fragen ist zudem nach spezifischen Strukturmerkmalen und institutionalisierten Regeln innerhalb der Ebenen, auf die Beziehungen zwischen den Ebenen einwirken. Im Kern adressiert dies das Zusammenspiel von intra- und intergouvernementalen Governance-Mechanismen. Letztlich ist von Interesse, mit welchen Steuerungs- und Koordinationsmechanismen die Politik zwischen den Ebenen koordiniert wird.90 Im Ergebnis kennzeichnet eine Multi-Level-Governance-Analyse die Darstellung von Interdependenzen zwischen Ebenen. Sie beschreibt das Zusammenwirken öffentlicher (Regierung/Verwaltung) und privater Akteure (Verbände, Experten, sonstige Vereinigungen). Dazu werden institutionalisierte Regelsysteme innerhalb von Ebenen, in denen Akteure der MultiLevel-Governance handeln (intragouvernemental), ebenso aufgezeigt, wie Koordinationsformen und -mechanismen zwischen den Ebenen (intergouvernemental). Schließlich spielt die Art der Kopplung zwischen den internen und externen Governance-Mechanismen eine Rolle, die darüber entscheidet, wie stark maßgebliche Akteure an jeweilige Regelsysteme gebunden sind.91 4. Zusammenfassung Auch wenn das Konzept der Politikverflechtung zunächst isoliert für eine Untersuchung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern entwickelt wurde, bietet es auch heute wertvolle Ansätze sowohl zur Analyse getroffener Entscheidung als auch zur Erklärung für die fehlende Bereitschaft zur Durchsetzung von Reformen. Entscheidungsblockaden finden sich insbesondere im Bereich redistributiver (auf Umverteilung von Gütern und Leistungen angelegter) Politiken, aber auch bei
88 Vgl. Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111, 116. 89 Letztlich gilt es zu betrachten, inwieweit sie autonom oder abhängig von der Organisation, die sie vertreten, handeln können; zur verbleibenden Bedeutung der Akteurperspektive bei institutioneller Betrachtung Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 92 f. 90 Vgl. Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111, 116. 91 Vgl. für die vorstehende Beschreibung Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111, 121.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
ideologisch stark polarisierenden Materien.92 Dies trifft auf die Endlagersuche in besonderem Maße zu.93 Eine Analyse aus dem Governance-Blickwinkel verspricht daher ein breiteres Problemverständnis. Viele Governance-Ansätze stellen als zentrales Paradigma die staatliche Steuerungsfähigkeit grundsätzlich in Frage. Dabei gehen sie von der Beobachtung aus, dass der Staat mit klassischen Regierungsformen zentralstaatlicher, hierarchischer bzw. top-down-orientierter Steuerung aufgrund zunehmender sozialer Komplexität94 und gesellschaftlicher Dynamiken in vielen Politikfeldern nicht mehr in der Lage zu sein scheint, adäquate, respektive zielorientierte Lösungen im Alleingang zu erreichen.95 Als Reaktion verweisen diese Modelle auf neuartige Kooperationsformen, in denen „der Staat nicht mehr als steuerndes Zentrum, sondern als (…) Interdependenzmanager“96 zwischen unterschiedlichen Interessen vermittelt.97 Die Governance-Perspektive stellt Prozesse in
92 Kropp, Kooperativer Föderalismus und Politikverflechtung, 2010, S. 237 f.; näher zu „redistributive policies“ Dose, in: Blumenthal/Bröchler (Hrsg.), Von Government zu Governance, 2006, S. 23, 34; zu den Ursachen der gesellschaftlichen Entscheidungsblockade bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 42 ff. 93 Insofern von einer „persistenten Entscheidungsblockade“ sprechend Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 14. 94 Niklas Luhmann identifiziert den Begriff der Komplexität als zentrales Element für das Fehlgehen politischer Steuerung. Komplexität hat ihre Ursache in dem Umstand, dass es immer mehr Lösungen gibt. Das politische System läuft bei dem Versuch der Komplexitätsreduktion hingegen Gefahr, irreparable Fehler zu begehen, vgl. Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 12, 404, 460, 638; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 565 f.; als einzig mögliche Form der Regulierung bietet sich die Strategie des muddling through an, vgl. Mez, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 37, 47; dies als eine mögliche Handlungsform nennend Renn/Gallego Carrera, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 85, 88 f.; grundlegend zum Konzept des „muddling through“ Lindblom, PAR 1959, S. 79 ff. 95 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 66 f.; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 63 f.; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 34; Peters/Pierre, in: Bache/Flinders (Hrsg.), Multi-level governance, 2005, S. 75, 84 ff. ebenso zur Endlagersuche Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 57. 96 Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 14 f.; ähnlich Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, S. 43. 97 Als elementarer Unterschied zwischen den grundlegenden Prämissen der Steuerungstheorie wird herausgestellt, dass sich klassisches Government in idealtypischer Weise dadurch auszeichnet, dass die Entscheidungsfindung in hierarchisch geschlossenen Prozessen durch staatliche Institutionen erfolgt, während Governance in modernen Demokratien durch Ebenen überschreitende Verhandlungssysteme, Netzwerke bzw. Entscheidungsfindungsprozesse charakterisiert wird, die verschiedene Formen zivilgesellschaftlicher Beteiligung an Prozessen politischer Regelung und Problemlösung auf allen Ebenen des politischen Systems akzentuieren, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 67 mit Bezug auf Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37; ähnlich Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 325 f., 330.
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
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den Vordergrund98 und kann in einer Analyse somit nicht nur die Öffnung bestehender Verhandlungs- und Entscheidungssysteme zugunsten neuer Akteursgruppen, sondern auch die dabei entstehenden neuen Konstellationen in den Blick nehmen. Dadurch lassen sich zum einen die Mitwirkungsmöglichkeiten aller Akteure analysieren, die von einer Handlung betroffen sind und zum anderen die verschiedenen Interessenvertreter in die Entwicklung und Implementation von Politik einbeziehen.99 Kurz gesagt: Die Involvierung nicht-staatlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Akteure soll die Legitimität, Effizienz und Effektivität politischer Entscheidungen steigern und auf diese Weise die gefühlte Handlungsunfähigkeit des Staates beseitigen.100 Zusammenfassend steht der Begriff der Multi-Level-Governance für unterschiedliche Formen von Ebenen übergreifenden Steuerungs- und Koordinationsstrukturen. Es bietet ein analytisches Konzept, das geeignet ist, die reale Vielfalt von Mehrebenenpolitik zu verstehen.101 Inwieweit die Endlagersuche geradezu als Paradebeispiel für das theoretische Konzept der Multi-Level-Governance fungieren kann, wird im Anschluss näher beleuchtet.
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance Der vorangegangene Abschnitt arbeitete die Funktion und das Ziel von MultiLevel-Governance heraus, Interdependenzen zwischen verschiedenen Akteuren und Ebenen zu erkennen und zu managen. Auf diese Weise soll der in Mehrebenenkonstellationen institutionell angelegten Gefahr von Entscheidungsblockaden (sog. Politikverflechtungsfalle) begegnet werden.102 Dafür, dass die Endlagersuche in der Vergangenheit als „hochgradig intransparent“103 empfunden wurde und letztendlich
98 Dahingegen bezieht sich die Government-Perspektive auf Steuerungs- und Organisationsstrukturen und rückt insb. die durch Wahlen legitimierten demokratischen Institutionen sowie die Koordinationsmechanismen der Hierarchie in den Mittelpunkt der Betrachtung, vgl. Fürst, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 49, 50; Böcher, in: Blumenthal/Bröchler (Hrsg.), Von Government zu Governance, 2006, S. 119, 120. 99 Vgl. auch Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 69; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 34. 100 Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 76. 101 S. a. Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 395 f.; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 63 f. 102 Zu den Ursachen der gesellschaftlichen Entscheidungsblockade bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 42 ff. m. w. N. 103 Vgl. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 85; als Fazit empirischer Untersuchungen Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 144 f.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
erfolglos geblieben ist,104 bieten gerade die im Kontext der Endlagerthematik bestehenden Mehrebenenverflechtungen Erklärungsansätze. Dieser Abschnitt wirft einen kursorischen Blick auf die bei der Endlagersuche betroffenen Sektoren und die Ursachen der innerhalb und zwischen den Ebenen bestehenden Interdependenzen. Während im Entwurf der Multi-Level-Governance von Arthur Benz der Begriff der „Ebene“ stets gebietsbezogen verwendet wird,105 erscheint hinsichtlich der spezifischen Besonderheiten der Endlagersuche eine Erweiterung des Ebenen-Begriffes angezeigt. So existieren neben den gebietsbezogenen Sektoren der territorial abgrenzbaren politischen Entscheidungsebenen (1.) sowie dem supranationalen und nationalstaatlichen Regelungsrahmen (2.) mit den verschiedenen einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen (3.) und der gesellschaftlichen Akteursvielfalt (4.) zwei weitere Felder, deren Komplexität in Summe einen Ansatzpunkt dafür bietet, dass die „staatlich dominierte Endlager-Governance“106 in der Vergangenheit nicht zu zukunfts- und anschlussfähigen Lösungen geführt hat. 1. Territorial abgrenzbare politische Entscheidungsebenen Die klassische Definition des Ebenen-Begriffs im Konzept der Multi-LevelGovernance knüpft an eine gebietsbezogene Eingrenzung an.107 Demnach können Ebenen durch staatliche oder staatsähnliche Institutionen gebildet werden (z. B. in Bundesstaaten oder internationalen Organisationen) oder sie entstehen als mehr oder weniger lose Zusammenschlüsse von in einem Gebiet interagierenden korporativen Akteuren, deren Zusammenwirken durch ein Mindestmaß an Institutionen und Regeln geordnet und stabilisiert ist.108 Zu denken wäre hier etwa an Staatenkooperation, Staaten(ver)bund, interregionale oder interkommunale Zusammenarbeit. Mehrebenenstrukturen liegen also vor, wenn Befugnisse und Mittel zur Verwirklichung verbindlicher Entscheidungen auf territorial abgegrenzte, zentrale und dezentrale Organisationen aufgeteilt sind. 104
S. a. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270, der die Endlagersuche als „technisch gescheitert, politisch umkämpft sowie rechtlich kaum steuerbar“ bezeichnet; Posser, FS Dolde, S. 251, 254 f.; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 354 f.; Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 12; ähnlich und die „schlechte Prozessqualität“ betonend Grunwald, TaTuP 2018, S. 40, 43. 105 Vgl. etwa Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111; ders., Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 22; ders., in: Benz/ Lütz/Schimank u. a. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 297, 298. 106 Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 64; ähnlich Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 183. 107 Vgl. etwa Benz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 111. 108 Benz, in: Benz/Lütz/Schimank u. a. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 297, 289.
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
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a) Bundespolitische Ebene Richtet man den Blick auf das vom Standortauswahlgesetz (StandAG) vorgegebene Design der Endlagersuche in Deutschland, fällt zunächst die starke Stellung des Bundes auf.109 Die Einrichtung von Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ist in § 9a Abs. 3 S. 1 AtG als obligatorische Staatsaufgabe zu Lasten des Bundes festgeschrieben.110 Das StandAG leistet dem Folge und ordnet die Rolle des Vorhabenträgers mit der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) einem Akteur zu, dessen alleiniger Gesellschafter der Bund ist. Die Aufgabe als Regulierungs- und Aufsichtsbehörde obliegt dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als selbstständiger Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU).111 Die Entscheidung über den Abschluss der einzelnen Verfahrensphasen des Suchverfahrens sowie die finale Standortentscheidung trifft schließlich der Bundesgesetzgeber.112 b) Föderale Ebene Wenngleich die Endlagersuche mit dem Standortauswahlgesetz weitgehend in den Kompetenzbereich des Bundes verlagert wird, sind auch die Interessen der einzelnen Länder von dem Vorhaben betroffen.113 Es bedarf keiner prophetischen Gabe vorherzusagen, dass im Laufe der Standortsuche Vorbehalte gegen eine Lokalisierung des Vorhabens im eigenen (Landes-)Gebiet geltend gemacht werden.114 Eine Verfahrensgestaltung im Sinne von Good Governance115 sollte daher die In-
109
Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 190. Zur verfassungsrechtlich induzierten staatlichen Pflicht der Endlagerung, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) ee); näher zu § 9a Abs. 3 S. 1 AtG in Abschnitt D. III. 2. b). 111 Näher zur Rolle der BGE und des BASE im Rahmen der Standortsuche in Abschnitt D. III. 1. b) cc) und dd). 112 Zur Rolle des deutschen Bundestags als maßgeblichen Akteur und Letztentscheider, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) ff); näher zum Verfahren der Standortsuche in Abschnitt D. III. 1. c). 113 Zur Endlagerung als Frage eines „föderalen Konfliktausgleichs“, vgl. Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 356; näher zur Frage der vertikalen Gewaltenteilung und Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern in Abschnitt D. IV. 6. a). 114 In diese Richtung deuten bereits die Sondervoten der Freistaaten Bayern und Sachsen zum Abschlussbericht der Endlagerkommission, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, S. 425 f., 426 f. Diese Stellungnahmen betreffen Wertungen zum Wirtsgestein Kristallin (Granit), welches in beiden Bundesländern großflächig vorhanden ist, vgl. auch Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 413; Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 220; Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 127 (Anm. 3); Drögemöller, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 187, 191 f. 115 Näher zum Begriff Czada, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 201 ff. 110
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
teressen der Länder berücksichtigen.116 Eine institutionell angelegte Einbindung der Länder in den Suchprozess erfolgte etwa bereits durch die Entsendung von acht Vertretern der Landesregierungen in die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe als nicht stimmberechtigte Mitglieder.117 Im weiteren Verlauf der Standortsuche sind die Länder etwa über den Bundesrat an den Entscheidungsprozessen beteiligt.118 c) Kommunale Ebene Als kleinste territoriale Einheit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind die Interessen der Standortgemeinden berührt. Bei der Lokalisierung eines Endlagers auf dem Gemeindegebiet ist das kommunale Selbstverwaltungsrecht insbesondere in Form der Planungshoheit betroffen.119 Das Design des Standortauswahlgesetzes räumt den betroffenen Standortgemeinden und -regionen deshalb Anhörungs- und Mitwirkungsrechte ein.120 Ein Vetorecht gegen die Errichtung eines Endlagers auf dem Gemeindegebiet besteht allerdings nicht. d) Internationale Ebene Die vorgenannten Ebenen betreffen territoriale Einheiten im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland. Zwar hat das Standortauswahlgesetz in § 1 Abs. 2 StandAG den Grundsatz der nationalen Endlagerung121 etabliert, so dass der Blick zunächst allein auf das Staatsgebiet Deutschlands zu richten ist. Aufgrund der chemisch-physikalischen Eigenschaften radioaktiver Abfälle und der damit einhergehenden Radiotoxizität122 sind aber auch die Interessen von Nachbarstaaten zu 116 Zur verfassungsrechtlichen Bewertung des StandAG vor dem Hintergrund bundesstaatlicher Kompetenzverteilung vgl. Abschnitt D. IV. 6. a). 117 Zur Zusammensetzung der Endlagerkommission, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) aa) (1). 118 Zur Modifikation des föderalen Systems durch das StandAG, vgl. Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 30 f. 119 Zur Vereinbarkeit des Standortauswahlgesetzes mit etwaigen Eingriffen in das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG, vgl. Abschnitt D. VI. 6. b). 120 Dies erfolgt beispielsweise durch die Einbindung von kommunalen Vertretern in die Regionalkonferenzen, näher hierzu in Abschnitt D. III. 1. b) gg) (5); krit. zum Umfang der Mitwirkungsrechte Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65 f. 121 Näher zum Grundsatz der nationalen Endlagerung sowie zum vom StandAG vorgesehenen Exportverbot in Abschnitt D. III. 1. a) hh) und ii). 122 Das Bundesverfassungsgericht stuft die friedliche Nutzung der Kernenergie daher als Hochrisikotechnologie ein, vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 219, 298 – Atomausstieg; näher zur Einordnung als Hochrisikotechnologie Schulze-Fielitz, DÖV 2011, S. 785, 785 f.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 66 f.; Roßnagel, NVwZ 1984, S. 137, 137 f.; weiterhin zu spezifischen Risiken bei der Endlagerung Eckhardt/Rippe, Risiko und Ungewissheit bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle, 2016, S. 8; Smeddinck, in: Hill/Schliesky
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
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berücksichtigen.123 Dies gilt umso mehr, sofern sich im Auswahlprozess potenzielle Standorte herausbilden sollten, die sich in der Nähe von Staatsgrenzen befinden. Weiterhin bestehen zumindest theoretische Überlegungen, Lagerstätten in internationaler Zusammenarbeit zu errichten und zu betreiben.124 e) Zusammenfassung Dieser kursorische Überblick zeigt, dass die Endlagersuche die Interessen vieler territorialer Einheiten berührt. Allerdings bewirken die neuen Governance-Strukturen, dass die nationalstaatliche Ebene gestärkt und die föderale Ebene geschwächt wird.125 Bis zum Inkrafttreten des Standortauswahlgesetzes oblag die Genehmigung von Endlageranlagen den jeweiligen Landesbehörden. Zwar erfolgt weiterhin bei allen wesentlichen Entscheidungen eine Beteiligung sämtlicher Behörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden, sofern deren Zuständigkeitsbereiche berührt sind.126 Die Landesbehörden werden in diesem Prozess aber lediglich angehört und befinden sich nicht mehr in einer aktiven, gestaltenden und verfahrensführenden, sondern in einer deutlich passiveren Rolle.127 Insofern zeichnet sich ein gewisser Trade-off zwischen effektiver Zielerreichung und subsidiärer Zuständigkeitsverteilung ab. 2. Supra-/internationaler und nationaler Regelungsrahmen Spiegelbildlich zu den betroffenen politischen Einheiten existieren im juristischen Bereich verschiedene Regelwerke zur Entsorgung radioaktiver Abfälle. Abhängig von Rechtscharakter und erlassenden Rechtsubjekten stehen diese zueinander in einem hierarchischen Verhältnis. Die sich daraus ergebenen Umsetzungs- und Beachtenspflichten sind Ursache für weitere Interdependenzen. Dem nationalen (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 151 f.; instruktiv und differenzierend Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 57 ff. 123 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Entsorgung angebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, KOM (2010) 618 endg., S. 5; s. a. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 36 f.; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 168. 124 Für eine entsprechende Forderung, vgl. Boutellier/McCombie/Mele, IJNL 2006, S. 36 ff.; s. a. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 49; Dietze, Internationale Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2012, S. 55 ff., 128 ff., insb. 168 ff. 125 So etwa Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65; ebenso Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 190 f. 126 Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 30 f. 127 Vgl. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65 f.; Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 30 f. m. w. N.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Gesetzgeber als maßgeblichem Akteur des Suchprozesses kommt bei der Ausgestaltung der Endlagersuche (c) keineswegs eine völlige Gestaltungsfreiheit zu. Vielmehr hat er internationale Übereinkommen (a) und unionsrechtliche Vorgaben (b) zu berücksichtigen.128 Zudem bestehen Empfehlungen internationaler Organisationen zum Umgang mit radioaktiven Abfällen (d). a) Völkerrechtliche Übereinkommen Im zwischenstaatlichen Bereich normiert das Gemeinsame Übereinkommen über die nukleare Entsorgung (Joint Convention)129 einen grundlegenden internationalen Regelungsrahmen für die atomare Entsorgung.130 Dieser völkerrechtliche Vertrag,131 dem die Bundesrepublik mit Unterzeichnung am 1. Oktober 1997 beigetreten ist,132 zielt primär auf die sichere Verwahrung des radioaktiven Abfalls für die Zukunft.133 Anforderungen hinsichtlich Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz134 während des Suchverfahrens lassen sich dem Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention)135 entnehmen. Dieses von der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) entworfene und am 25. Juni 1998 in der dänischen Stadt Aarhus unterzeichnete Abkommen gewährt jeder natürlichen Person sowie bestimmten organisierten Interessenvertretern spezifische Rechte im Bereich des Umweltschutzes.136
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Zur Betonung europarechtlicher Impulse, vgl. Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 545. IAEA, Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, INFCIRC/546, 5.9.1997. 130 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 185 f.; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 270. 131 Näher zu Rechtscharakter und wesentlichem Inhalt in Abschnitt D. I. 1. a); instruktiv Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 204 ff. 132 Die Ratifizierung und Umsetzung in innerstaatliches Recht erfolgte mit Gesetz vom 13.8.1998, BGBl. II S. 1752; vgl. Borchmann, NJW 2000, S. 254, 261. 133 S. a. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 204 ff., 514; vgl. weiterhin Strack, NLB (73) 2004, S. 25 ff.; Primosch, ÖJZ 2001, S. 54 ff. 134 Näher zu den Rechtsschutzanforderungen der Aarhus-Konvention im Lichte der Standortsuche in Abschnitt D. IV. 2. c) bb) (2). 135 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 15.6.1998 – Aarhus-Konvention, BGBl. II 2006 S. 1251. 136 Näher zu Rechtscharakter und wesentlichem Inhalt in Abschnitt D. I. 1. b). 129
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b) Unionsrechtliche Vorgaben Durch die Europäische Union ist die Entwicklung der Kernenergienutzung im Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV)137 geregelt. Der EAGV als völkerrechtlicher Vertag begründet die EURATOM mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 184 EAGV) und stattet sie mit eigenständigen Hoheitsbefugnissen aus.138 Über allgemeine Regelung zum Gesundheitsschutz hinaus ist die Endlagerung im EAGV allerdings nicht ausdrücklich erwähnt.139 Die wesentlichen materiellen Vorgaben zum Umgang mit radioaktiven Abfällen sind dem Sekundärrecht, namentlich der sog. Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM)140 zu entnehmen.141 Mit dieser Richtlinie sollte zum einen die von der Joint Convention etablierten Vorgaben in EU-Recht umgesetzt und zudem im Unionssekundärrecht bestehende Lücken142 hinsichtlich der Thematik Endlagerung geschlossen werden.143 c) Nationaler Rechtsrahmen In Deutschland stützt sich das Recht der zivilen Kernenergienutzung im Wesentlichen auf das Atomgesetz (AtG).144 Dieses enthält auch Vorschriften zur Entsorgung nuklearer Abfälle.145 Insbesondere statuiert es in § 9a Abs. 3 AtG die Endlagerung als Aufgabe des Bundes und sieht in § 9b Abs. 1a AtG hinsichtlich hochradioaktiver Abfälle ein Genehmigungsverfahren für eine Endlageranlage vor.
137 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), BGBl. II 1957, S. 1014; letzte konsolidierte Fassung ABl.EU C 203/1 v. 7.6.2016, zuletzt geändert durch Art. 11, 13 Abs. 2 EU Beitrittsakte 2013 v. 24.4.2012, ABl.EU L 112/21 (EAGV). 138 Vgl. Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 8. 139 Näher zum EAGV in Abschnitt D. I. 2. a) bb). 140 Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 19. Juli 2011 – RL 2011/70/EURATOM, ABl.EU L 199/48 v. 2.8.2011. 141 Näher zur Entsorgungsrichtlinie in Abschnitt D. I. 2. b) aa). 142 Die Richtlinie über nukleare Sicherheit (Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (RL 2009/71/EURATOM), ABl.EU L 172/18 v. 2.7.2009 in der Fassung der Richtlinie des Rates 2014/87/EURATOM vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/71/EURATOM, ABl.EU L 219/42 v. 25.7.2014) spart die Endlagerung aus, vgl. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 509; Karpenstein, RdE 2010, S. 170, 177. 143 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 187 f.; Prieto Serrano, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 197, 210 f.; instruktiv Roßegger, AbfallR 2011, S. 276 ff. 144 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz – AtG), neugefasst durch Beschluss v. 15.7.1985 (BGBl. I S. 1585); zul. geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 10.7.2018 (BGBl. I S. 1122). 145 Näher zu den entsorgungsbezogenen Vorschriften des AtG in Abschnitt D. III. 2.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Das Herzstück der Endlagersuche bildet hingegen das Standortauswahlgesetz.146 Dessen Ziel ist es, in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren für die im Inland verursachten hochradioaktiven Abfälle den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für eine Endlageranlage zu finden (vgl. § 1 Abs. 2 StandAG).147 Das Suchverfahren ist als umfassendes, gestuftes Legalplanungsverfahren konzipiert und inkorporiert insoweit weitere fachgesetzliche Planungsschritte.148 Fragen der Finanzierung wurden rechtlich und politisch von der Standortsuche getrennt. Das im Jahr 2017 erlassene Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung149 führt als Gesetzespaket die Handlungs- und Finanzierungspflichten zusammen.150 Ziel ist es, die Finanzierung für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung der Kernkraftwerke langfristig zu gewährleisten.151 Als Kernpunkte erfolgen hierzu neben der Etablierung eines Entsorgungsfonds, auf den die Rückstellungen der Betreiber übergehen, die Schaffung von Sondergesellschaftsrecht im Bereich der nuklearen Nachhaftung.152 Zugleich federt eine Enthaftungsmöglichkeit zugunsten der Energieversorgungsunternehmen die hohe Eingriffsintensität der neuen Regelungen ab.153 d) Empfehlungen internationaler Organisationen Neben diesen rechtlich verbindlichen Regelwerken existieren zum Umgang sowie zur Lagerung radioaktiven Abfalls sog. „Guidelines“ und Standards interna146 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz – StandAG), Art. 1 des Gesetzes v. 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, zul. geändert durch Art. 2 Abs. 16 des Gesetzes v. 20.7.2017, BGBl. I S. 2018. 147 Zu den Zielen des StandAG und dessen Verfahren, vgl. Abschnitt D. III. 1. a) und c). 148 Näher zum Verhältnis des StandAG zu weiteren fachgesetzlichen Regelungen in Abschnitt D. III. 3. 149 Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung vom 27.1.2017, BGBl. I S. 114, 1222; in Kraft getretenen am 16.6.2017 mit Genehmigung durch die Europäische Kommission, Entscheidung v. 16.6.2017 – C (2017) 4249 final, SA.45296 (2017/ N); instruktiv zur Entstehungsgeschichte sowie für einen Überblick zu den einzelnen Gesetzen, vgl. Ludwigs, in: Feldmann/Raetzke/Ruttloff (Hrsg.), Atomrecht in Bewegung, 2019, S. 19 ff.; ders., RW 2018, S. 109 ff. 150 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, Vorb. EntsorgFondG Rn. 12; zu Fragen der Wirtschaftlichkeit im Kontext der neuen Finanzierungsordnung, vgl. Pape, FS Schmidt-Preuß, S. 935 ff. 151 Vgl. Frenz, RdE 2017, S. 393, 394 ff.; Kessler/Schulz, NVwZ 2017, S. 577, 581 f.; König, DER KONZERN 2017, S. 61; Schmitz/Hellenberg/Martini, NVwZ 2017, S. 1332, 1333 ff. 152 Explizit krit. Krieger, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 25, 36 ff.; ähnlich Uwer, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 2, 7 f.; a. A. Wieland, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 42, 47 ff.; darstellend Beurskens/Mainka, DER KONZERN 2017, S. 425 ff. 153 Vgl. Ludwigs, RW 2018, S. 109, 110.
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
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tionaler Organisationen,154 die den Stand der Wissenschaft widerspiegeln. Zwar sind diese für das Endlagersuchverfahren in Deutschland rechtlich nicht verbindlich.155 Allerdings setzen sie einen Orientierungsrahmen, womit ihnen eine mittelbare Bindungswirkung in Form von Mindeststandards zukommt.156 Als bedeutendste Einrichtung ist die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) in Wien zu nennen. Die IAEA hat sich zum Ziel gesetzt, die Verbreitung der friedlichen Nutzung der Atomenergie zur Steigerung des Friedens, des Wohlstands und der Gesundheit in der Welt zu fördern.157 Neben weiteren Aufgaben – wie z. B. Safeguard-Maßnahmen zum Ausschluss militärischer Nutzungen – schafft die IAEA in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen der Vereinten Nationen weltweite Standards für die Sicherheit, die Gesundheit sowie die Verringerung der Gefahren für Leben und Eigentum.158 Neben der IAEA beschäftigt sich die Nuclear Energy Agency (NEA)159 – eine Sonderagentur der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – mit der Lösung von Fragen des radioaktiven Abfalls. Hierzu gibt sie Studien in Auftrag und hält Konferenzen160 ab. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Gutachten und Berichte können als Referenzpunkte und internationale Erfahrungswerte z. B. im Bereich Öffentlichkeitsarbeit herangezogen werden.161 154 Für einen Überblick zu internationalen Organisationen im Kontext der Endlagerung, vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 28 ff.; zur Auflistung der Guidelines der IAEA, vgl. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 51 ff. 155 Zum Empfehlungscharakter der Vorgaben der ICRP, vgl. Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 153. 156 So etwa BT-Drs. 17/13471, S. 14; s. a. Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 5. 157 Näher zur IAEA Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 117 ff.; Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 31 f. 158 Für die Endlagersuche lt. Gesetzgeber (vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 14) maßgeblich IAEA Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R4, 2006, erneuert durch dies., Disposal of Radioactive Waste, 2012; zu 10 grundlegenden Sicherheitsprinzipien, vgl. dies., Fundamental Safety Principles, Safety Fundamentals No. SF-1, 2006; zum Verhältnis von „Safety Fundamentals“ (generelle Erklärungen), „Safety Requirements“ (detaillierte regulatorische Anweisungen) und „Safety Guides“ (praktische Empfehlungen, vgl. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 118; die jüngsten Empfehlungen betreffen das Management nuklearen Abfalls, vgl. IAEA, The Management System for the Disposal of Radioactive Waste, GSG-G3.4, 2015. 159 Vgl. zu Aufgaben und Organisation der NEA Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 34; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 121 f. 160 Z. B. OECD/NEA, The Safety Case for Deep Geological Disposal of Radioactive Waste: 2013 State of the Art Symposium Proceedings, 2014. 161 Vgl. OECD/NEA, Communication on the Safety Case for a Deep Geological Repository, No. 7336, 2017; dies., Stakeholder Confidence in Radioactive Waste Management, 2013; dies., The Characteristics of an Effective Nuclear Regulator, NEA No. 7185, 2014; vgl. auch Brans/ Ferraro/Estorff, The OECD Nuclear Energy Agency’s Forum on Stakeholder Confidence, radioactive waste management and public participation, 2015.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Relevanz für die Entsorgung radioaktiver Abfälle entfalten weiterhin die Reporte der International Commission for Radiological Protection (ICRP).162 Diese 1928 gegründete, spendenfinanzierte Organisation befasst sich unter anderem mit den Sicherheitsanforderungen zur Endlagerung in tiefen geologischen Formationen.163 e) Zusammenfassung Zum Umgang mit radioaktiven Abfällen existieren eine Reihe von Regelwerken und Empfehlungen, die sich sowohl hinsichtlich ihres Rechtscharakters als auch des hierarchischen Verhältnisses zueinander unterscheiden.164 Zwar liegt der Kern der Verantwortung zur gesetzlichen Regelung der Endlagersuche im Kompetenz- und Entscheidungsbereich nationalstaatlicher Fachpolitiken. Der deutsche Gesetzgeber ist bei der Konzeption eines Standortauswahlverfahrens allerdings nicht völlig frei.165 Vorgaben enthalten zum einen völkerrechtliche Verträge, welche die Bundesrepublik verpflichten. Zum anderen prägen Vorschriften der Europäischen Union, namentlich die Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM), das Design der Endlagersuche. Eine Rolle spielt darüber hinaus das Soft-Law internationaler Organisationen. Diese Regelwerke besitzen zwar lediglich Empfehlungscharakter. Aufgrund des Status als internationale Standards166 werden sie bei Umsetzung nationaler Entsorgungspolitik jedoch häufig rezipiert.167 3. Wissenschaftliche Disziplinen Während die vorangegangenen Abschnitte zur Darstellung der politischen Entscheidungsebenen sowie der unterschiedlichen rechtlichen Regelwerke einen territorialen Bezug aufweisen, sind die mit der Endlagersuche beschäftigten, wissenschaftlichen Disziplinen weder räumlich eingrenzbar noch ist zwischen ihnen prima facie ein Rangverhältnis auszumachen. Gleichwohl bestehen vielfältige und komplexe Verflechtungen, die als Teilaspekt den Beispielcharakter der Endlagersuche für
162 Näher zur ICRP Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 29 f.; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 124 f. 163 Vgl. ICRP, Radiological Protection in Geological Disposal of Long-lived Solid Radioactive Waste, 2013; dies., Radiological Protection Policy for the Disposal of Radioactive Waste, 1997; dies., Principles for the Disposal of Solid Radioactive Waste, 1985. 164 S. a. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 189. 165 Ähnlich Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 61; Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 545. 166 Näher hierzu Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 118. 167 Vgl. etwa Gesetzesbegründung zum StandAG 2013 BT-Drs. 17/13471, S. 14; weiterhin BMUB, Erster Bericht zur Durchführung der Richtlinie 2011/70/EURATOM, August 2015, S. 8, 50 f.; aus der Lit.: Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 178, 192 f.; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 507.
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Multi-Level-Governance-Strukturen unterstützen.168 Richtet man den Blick auf die beteiligten Forschungsfelder, fällt auf, dass die Errichtung von Lagerstätten nicht nur politische und rechtliche, sondern auch naturwissenschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen bereithält.169 Rechtliche, politische und soziale Fragen der Endlagerung sind gleichermaßen zu klären wie die technischen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Problemstellungen.170 Bereits im naturwissenschaftlichen Bereich zeigt sich die Komplexität der Endlagersuche an der notwendigen Expertise verschiedener Teildisziplinen. Aufgrund der chemisch-physikalischen Eigenschaften der zu entsorgenden Stoffe sind nukleare Zerfallsraten zur Ermittlung des Betrachtungszeitraums sowie die entstehende Abstrahlungswärme zu berechnen. Die Einlagerung in tiefen geologischen Formationen (vgl. § 1 Abs. 4 StandAG)171 verlangt wiederum geologische Kenntnisse.172 Da während des Standortsuchverfahrens gem. § 1 Abs. 3 StandAG verschiedene Wirtsgesteinstypen (Steinsalz, Ton und Kristallingestein) gleichberechtigt untersucht werden sollen,173 ist diesbezüglich auch intradisziplinär übergreifender Sachverstand erforderlich.174 Die naturwissenschaftlich und technisch notwendigen Rahmenbedingungen sind hingegen von den politischen Entscheidungsträgern in ein rechtlich belastbares und durchsetzungsfähiges Regelwerk zu formen.175 Dabei müssen unter Mitwirkung sozialwissenschaftlichen Sachverstandes die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Berücksichtigung finden.176 Dies gilt mit Blick auf die langfristigen Auswir168 In diese Richtung Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 191 f.; vgl. etwa zur Relevanz verschiedener Fachdisziplinen für ein spezifisches Endlagerkonzept Driftmann, Das Endlagerkonzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs, 2017, S. 120 ff. 169 Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 49. 170 Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 47. 171 Näher zur tiefengeologischen Bergwerkslösung, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 18 ff.; zum Vorschlag der Kommission Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 200 ff. 172 Vgl. etwa zur Diskussion um die Erforderlichkeit eines „einschlusswirksamen Gebirgsbereichs“ Driftmann, Das Endlagerkonzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs, 2017. 173 Zur grundsätzlichen Eignung aller drei genannten Gesteinstypen, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 208 m. w. N.; Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 221; ähnlich Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 17. 174 Vgl. etwa Driftmann, Das Endlagerkonzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs, 2017, S. 148 ff. 175 Instruktiv zum wissenschaftlichen Dissens als rechtspolitisches Entscheidungsproblem Gärditz, DÖV 2017, S. 41, 48 ff. 176 Vgl. etwa Gutberlet, Mining Report 2015, S. 188 ff.; Hofmann-Dally, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 95 ff.; für eine konfliktsoziologische Untersuchung, vgl. Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79 ff.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
kungen der Entscheidung gerade für künftige Generationen auch hinsichtlich ethischer Erwägungen.177 Nicht zuletzt berührt die Finanzierung des Endlagerprojekts und eventueller standortbezogener Kompensationsleistungen auch ökonomische Fragestellungen.178 Die Beteiligung einer Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen birgt Verflechtungsprobleme, die mit den Schlagworten Sachverständigengefälle179 und Expertendilemma180 gefasst werden können.181 Ersteres beschreibt die Gefahr sachwidriger Einflussnahme auf die hoheitliche Aufgabenerfüllung.182 Zwar übernehmen staatliche Organe letztlich die volle inhaltliche Verantwortung für eine Entscheidung. Aufgrund ihrer begrenzten Wissensressourcen sind sie faktisch aber oftmals nicht in der Lage deren Richtigkeit zu gewährleisten.183 Der zweite Begriff umschreibt Eigenrationalitäten im Expertensystem, mithin die Gefahr, dass Sachverständige ihre Partialinteressen (z. B. Kosten-Nutzen-Erwägungen, mögliche Folgeaufträge, ideologische Vorprägung) zu Lasten des Gemeinwohls durchsetzen.184
177 Buschka, Ethische Normen für eine zukünftigen Generationen gegenüber moralisch vertretbare (End-)Lagerung hochradioaktiver Abfälle, 2009; Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100 ff.; Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), Das Leben führen?, 2014, S. 239 ff.; Grunwald, in: Hocke/ Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 73 ff.; Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30.5.2011; Grunwald, EuS 1996, S. 191 ff. 178 Statt vieler Durner, NuR 2019, S. 241, 250; Welkoborsky, ZfU 2017, S. 85 ff.; zu Friktionen zwischen Entsorgungsplanung und Finanzierungsplanung, vgl. Pape, FS SchmidtPreuß, S. 935, 948. 179 Zum Begriff Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, 78 ff.; Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 357 ff. 180 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 455, 462 m. w. N. 181 Dies unter dem Schlagwort „Faktenkonflikt“ zusammenfassend Renn/Gallego Carrera, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 85, 86; näher zur verfassungsrechtlichen Problematik sachverständiger Beratung an der Standortsuche in Abschnitt D. IV. 5. 182 Vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 12; instruktiv: Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 357 ff. 183 S. a. und vor der Gefahr einer „szientistische(n) Elitenherrschaft“ warnend, Gärditz, EurUP 2013, S. 2, 14; grundlegend Brohm, VVDStRL (30) 1972, S. 245, 292; Burgi, VERW (33) 2000, S. 183, 194 f. 184 Vgl. Steinberg, FS Koch, S. 253, 266; Schulze-Fielitz, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 455, 462; Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 19; Ennuschat, DVBl. 2004, S. 986, 990; Hocke, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 155, 170; näher zur ambivalenten Rolle wissenschaftlicher Einrichtungen im Bereich der Endlagerforschung Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 76 f. m. w. N.; zur Problematik von Eigenrationalitäten, vgl. auch Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 92.
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
95
4. Gesellschaftliche Akteursvielfalt Ein weiterer Komplexitätsfaktor trat bereits bei der vorangegangenen Konturierung des Governance-Begriffs zu Tage. Als markantes Kennzeichen des kooperativen Staats wurde eine Vielzahl von netzwerkartigen Strukturen und Verhandlungssystemen benannt, welche aus staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren gebildet sind.185 Diese strukturelle Entwicklung beschränkt sich nicht auf die Delegation öffentlicher Aufgaben an Private. Sie zeigt sich u. a. auch darin, dass die Politikentwicklung, die Vorbereitung von exekutiven oder legislativen Entscheidungen sowie die Ausarbeitung von Programmen im Zusammenwirken von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren stattfindet.186 Insbesondere im Bereich der Atompolitik bestehen seit jeher starke Wechselwirkung zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Interessen.187 So wäre der Einstieg in die zivile Nutzung der Kernenergie ohne politischen Willen und finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite nicht denkbar gewesen.188 In der wechselvollen Geschichte der deutschen Atompolitik haben sich die Rollen des Staates und der Betreiber kerntechnischer Anlagen wiederholt zwischen den Modi der Kooperation und Konfrontation bewegt. Hinzu kommt eine zunehmende Institutionalisierung privater Interessen.189 Spätestens seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 ist die zivilgesellschaftliche Akzeptanz zur Nutzung von Kernenergie in Deutschland auf ein kritisches Niveau gesunken.190 Die Neuregelung der Endlagersuche steht vor der Herausforderung, entgegenstehende Interessen einer Vielzahl unterschiedlichster Akteure zu berücksichtigen. Divergenzen ergeben sich etwa in machtpolitischen Bereichen, hinsichtlich wirtschaftlicher Potenz oder aber in Bezug auf den Organisationsgrad.191
185
Vgl. Abschnitt C. I. 1. Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 40; näher zur verfassungsrechtlichen Problematik in Bezug auf das Demokratieprinzip in Abschnitt D. IV. 5. 187 Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 68; Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 175; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 400. 188 Näher hierzu bereits in Abschnitt B. I. 1. 189 Instruktiv Brunnengräber/Mez, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 289 ff. 190 Zur veränderten Risikowahrnehmung, vgl. Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30.5.2011, S. 25; dazu Potthast, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 67, 72 f.; zum Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft nach Fukushima, vgl. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 59 f.; Brunnengräber/Schreurs, in: Brunnengräber/Di Nucci/Isidoro Losada (Hrsg.), Nuclear Waste Governance, 2015, S. 47 ff. 191 Die nachfolgende Kategorisierung ist angelehnt an Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 21 ff. 186
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
a) Politische und staatliche Institutionen In der Retrospektive ist in Deutschland eine staatlich dominierte EndlagerGovernance192 festzustellen, die als hochgradig intransparent empfunden wurde.193 Im Wesentlichen kann dies auf die Doppelrolle staatlicher Institutionen als Förderer und gleichzeitig Regulierer im Bereich der Kernenergie zurückgeführt werden. Eine neutrale und moderierende Rolle bei lokalen Protesten ist somit grundsätzlich erschwert.194 Die mit der Endlagersuche befassten politischen und staatlichen Institutionen haben auf gesellschaftliche Forderungen und externe Ereignisse stets nachträglich reagiert und sehen sich demnach mit der Ausgangssituation konfrontiert, dass ihnen auch bei dem Neustart der Endlagersuche nur ein geringes Vertrauen entgegengebracht wird.195 Die Kategorie der politischen und staatlichen Gruppierungen enthält zum einen politische Entscheider und solche Akteure, die aufgrund rechtlicher Vorgaben zwingend in den Prozess der Standortsuche eingebunden sind.196 Zum anderen können darunter Institutionen und Netzwerke gefasst werden, die durch sie gebildet (z. B. International Association for Environmentally Safe Disposal of Radioactive Materials – EDRAM) oder legitimiert (z. B. IAEA) werden.197 Weiterhin zuzurechnen sind die politischen Parteien und Fachgremien, welche die staatlichen Entscheider beraten, wie etwa die Entsorgungskommission (ESK), die Reaktorsicherheitskommission (RSK) oder die Strahlenschutzkommission (SSK).198 b) Wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland Im Zuge der Endlagerforschung hat sich zudem ein heterogenes System von Experten unterschiedlicher Disziplinen herausgebildet, welchem – gewissermaßen als Kontrapunkt zu staatlichen Akteuren – von Seiten der Bevölkerung ein relativ großer Vertrauensvorschuss zukommt.199 Die Argumentationen sowohl von Bürgern 192
Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 64; Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 183; vgl. auch Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 144 f. 193 Vgl. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 85; ähnlich Tiggemann, in: Hocke/ Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 101. 194 S. a. Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 183. 195 Statt vieler Stolle, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 193, 196; Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 183. 196 Zu den institutionellen Akteuren des StandAG, vgl. Abschnitt D. III. 1. b). 197 Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 21, für eine detaillierte Auflistung und nähere Beschreibung der einzelnen Organisationen, vgl. S. 28 ff. 198 Näher hierzu mit weiteren Beispielen Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 44 ff., 59 ff. 199 Vgl. Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 56; Hocke, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006,
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
97
und ihren zivilgesellschaftlichen Assoziationen als auch von organisierten Akteuren wie Parteien, Unternehmen und Verbänden sind wiederholt auf Expertenaussagen und wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt.200 Die Beteiligung von wissenschaftlichen Institutionen bei der Standortsuche kann in verschiedenen Rollen erfolgen. Zu denken ist etwa an die Abgabe von Empfehlungen, die Durchführung von Forschungsarbeiten, die Bereitstellung von Monitoring-Technologien oder die Untersuchung von Governance-Strukturen.201 Die auftretenden Einrichtungen lassen sich dabei in die drei Unterkategorien universitäre und außeruniversitäre staatliche Forschungsstellen (z. B. Karlsruher Institut für Technologie – KIT, Forschungszentrum Jülich, Helmholtz Zentrum München), privatwirtschaftliche Forschungseinrichtungen (z. B. Öko-Institut e. V.) sowie wissenschaftliche Zentren, Netzwerke, Verbünde und Plattformen (z. B. Deutsche Arbeitsgemeinschaft Endlagerforschung – DAEF, Forschungsplattform Entsorgungsoptionen für radioaktive Reststoffe – ENTRIA) aufteilen.202 c) Privatwirtschaft Die im Umfeld der Kernenergie beheimateten privatwirtschaftlichen Akteure stehen vor einer besonderen Herausforderung. Mit dem Ende der Phase staatlicher Förderung und der Hinwendung zu einer ausstiegsorientierten Atompolitik ist das ökonomische Betätigungsfeld auf die Erwirtschaftung möglichst hoher Renditen während der zugestandenen Restlaufzeiten der Kernkraftwerke beschränkt.203 Gleichzeitig sehen sie sich mit der Forderung nach der Kostentragungslast für die nukleare Entsorgung konfrontiert.204 Mangelnde Verdienstmöglichkeiten einerseits und drohende Finanzierungspflichten andererseits fordern und forcieren einen S. 155, 157; s. a. mit empirischen Nachweisen Drögemöller, Schlüsselakteure der EndlagerGovernance, 2018, S. 202 ff.; zum Akzeptanz vermittelnden Potential ferner Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 248; Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 10; Flüeler, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 219, 232; vgl. auch AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 59 f.; zust., wenngleich krit. zur Politisierung wissenschaftlicher Forschung Häfner, EntriaArbeitsbericht-04, 2016, S. 76 f.; ähnlich Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 555; näher zur Pfadabhängigkeit staatlich finanzierter Forschung Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 183 f.; professionellen Sachverstand die Eigenschaft als demokratischen Legitimationsgrund absprechend Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 7. 200 Hocke, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 155. 201 Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 77. 202 Vgl. für eine Beschreibung der einzelnen Einrichtungen und weitere Beispiele, Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 77 ff., 91 ff., 94 ff. 203 Zu ökonomischen Schwierigkeiten nach der gescheiterten Etablierung eines nuklearen Brennstoffkreislaufs, vgl. Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 357 sowie Abschnitt B. II. 1. 204 Statt vieler Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 211 ff.; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 29 ff.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
strategischen Wandel innerhalb der Energieversorgungsunternehmen.205 Damit geht die Erosion von Unternehmen im Bereich der kerntechnischen Industrie und ein Verlust von Fachkräften und praktischer Erfahrung einher.206 Die privatwirtschaftlichen Akteure im Bereich der Kernenergie lassen sich in Energieversorgungsunternehmen (E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW, einschließlich der nachgeordneten Betriebsgesellschaften der einzelnen Kernkraftwerke) und Unternehmen der kerntechnischen (Zuliefer-)Industrie sowie Dienstleister (z. B. Deutsche Gesellschaft zu Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH – DBE, Gesellschaft für Nuklear-Service mbH – GNS) unterteilen. Zudem treten für die Unternehmen entsprechende Dachverbände (z. B. Deutsches Atomforum – DAtF) sowie europäische und internationale Vereinigungen (z. B. Europäisches Atomforum – FORATOM) auf.207 d) Anti-Atom-Bewegung und Umwelt-NGOs Quasi als Gegenspieler zur kerntechnischen Industrie und den Energieversorgungsunternehmen fungiert seit Beginn der 1970er Jahre die Anti-Atom-Bewegung, die der gemeinsame Wertehintergrund einer als mangelhaft angesehenen ethischen Legitimation der Kernenergie prägt.208 Unterstützung erfährt die Anti-Atom-Lobby durch nationale Umweltverbände, die ausnahmslos eine kritische Einstellung zur Nutzung der Atomenergie teilen.209 Nichtsdestotrotz ist ein Großteil der verschiedenen Initiativen informell und autonom organisiert. Dies zeigt sich u. a. daran, dass Proteste nie ausschließlich von großen, formellen Organisationen getragen werden.210 Der langfristige Erfolg der Bewegung gründet sich auf politische und juristische Erfolge gegen einzelne Vorhaben, welche die Planungszeiträume und Bau205 Vgl. auch KFK, Verantwortung und Sicherheit – Ein neuer Entsorgungskonsens, 27.4.2016, S. 14 ff.; Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 182. 206 Kungl, The Incumbent German Power Companies in a Changing Environment, SOI Discussion Paper 2014 – 03, 2014, S. 13 ff.; Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 159; Brunnengräber/Mez, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 289, 298 ff.; Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 171, 184. 207 Vgl. für eine Beschreibung der einzelnen Akteure und weitere Beispiele Häfner, EntriaArbeitsbericht-04, 2016, S. 102 ff., 110 ff., 123 ff. 127 ff. 208 Zur Geschichte des Protests gegen nukleare Einrichtungen, vgl. Conze, Die Suche nach Sicherheit, 2009, S. 666 f.; Rucht, in: Roth/Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008, S. 245, 249 ff.; Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79 ff.; Tresantis (Hrsg.), Die Anti-Atom-Bewegung, 2015; vgl. auch Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 174 ff. 209 S. a. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 129 f. 210 Vgl. Rucht, in: Roth/Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008, S. 245, 259; krit. zum mangelnden positiven Artikulationsvermögen sowie abnehmenden Mobilisierungspotential Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 182, 184.
II. Endlagersuche als Multi-Level-Governance
99
zeiten kerntechnischer Anlagen verlängerten oder die Projekte insgesamt verhinderten (z. B. Schneller Brüter Kalkar, WAAWackersdorf). Das Auftreten der Akteure entfaltete somit eine generelle präventive Wirkung gegen neue kerntechnische Vorhaben. Zudem wurde durch die Anti-Atom-Bewegung seit den 1980er Jahren die Förderung neuer technischer Alternativen wie etwa der Themenbereich Erneuerbare Energien vorangebracht.211 Die Vielzahl an formellen und informellen Interessengruppen lässt sich in bundesweite Organisationen (z. B. ausgestrahlt.de, Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland – BUND, Greenpeace Deutschland e. V.) und lokale bzw. regionale Anti-Atom-Bündnisse unterteilen.212 Zudem existieren lokale Initiativen an Endlagerstandorten (z. B. aufpASSEn e. V., BI Lüchow-Dannenberg, AG Schacht Konrad e. V.) bzw. Zwischenlagerstandorten sowie Dachverbände und Netzwerke.213 Eine hohe Hürde für den erfolgreichen Neustart der Endlagersuche stellt die weiterhin kritische Haltung eines beträchtlichen Teils der Anti-Atom-Bewegung dar.214 e) Sonstige Akteure In diese Auffangkategorie fallen weitere Akteure der Zivilgesellschaft, die keiner der zuvor genannten Gruppen zuzuordnen sind (z. B. Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften).215 Zum Teil findet allerdings eine Einbettung in hybride Governance-Strukturen (z. B. Endlagerkommission)216 sowie eine Einbindung in Partizipationsprozesse durch staatliche Institutionen und Vorhabenträger statt. Eine Schnittstelle zwischen dem politisch-administrativen System bilden Anwaltskanzleien mittels Gutachten, Prozessvertretungen und Beratungen im Gesetzgebungsverfahren.217 Einzelne Medien spielen eine wichtige Rolle zur Herstellung von Öffentlichkeit und der Beeinflussung des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses.218
211 Zu den Erfolgskomponenten, vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 130 f.; ders., in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 177 ff.; Rucht, in: Roth/ Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008, S. 245, 262 ff. 212 Zur Beschreibung der genannten Akteure und für weitere Beispiele, vgl. Häfner, EntriaArbeitsbericht-04, 2016, S. 131 ff., 139 ff. 213 Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 149 ff., 161 ff., 165 ff. 214 Vgl. ausgestrahlt.de (Hrsg.), Atommüll-Kommission: Ein gescheiterter Neustart, 2016, https://www.ausgestrahlt.de/media/filer_public/52/3e/523e7714 - 0ece-41c3-bea4 - 859d29c84 883/atommuellkommission_gescheiterter_neustart.pdf, (geprüft am 30.9.2019); Dersee, strahlentelex 684 – 685/2015, S. 1 ff.; ähnlich Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 83 ff. 215 Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 23 f., konkret zu Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften S. 174 f. 216 Näher zur Besetzung der Endlagerkommission in Abschnitt D. III. 1. b) aa) (1). 217 Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 24; für eine Aufstellung der beteiligten Anwaltskanzleien, vgl. S. 169 ff. 218 Vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 24, 176 f.
100
C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
f) Zusammenfassung Historisch hat sich in der deutschen Endlager-Governance eine ausdifferenzierte Akteurslandschaft herausgebildet, die im Kern weiterhin Polarisierungen und Problemstellungen der letzten Jahrzehnte enthält. Deren Struktur lässt sich daher als komplex und kompliziert beschreiben.219 Die Komplexität ergibt sich schon allein aus der hohen Anzahl an Akteuren.220 Kompliziert sind die Beziehungen zum einen aufgrund der historischen Entwicklung, zum anderen durch den unterschiedlichen Wertehintergrund der Beteiligten. Verstärkend kommt hinzu, dass der Staat als maßgeblicher Koordinator und Entscheider in der Rolle des Förderers und Nutzers der Atomtechnologie tätig war.221 Schon allein deshalb wird ihm nur ein geringes Vertrauenspotenzial zuerkannt. Eine gewisse Komplexitätsreduktion ist zwar durch eine Abnahme der Anzahl an Forschungseinrichtungen und Organisationen zu erwarten.222 Zudem wird der Einfluss der Energieversorgungsunternehmen (EVU) mit dem Ende der kommerziellen Nutzung der Kernenergie weiter abnehmen. Mit der Errichtung des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung nach § 1 Abs. 1 EntsorgFondsG223 und der am 3. Juli 2017 erfolgten Einzahlung von ca. 24,1 Mrd. Euro224 seitens der Kernkraftwerksbetreiber sind nunmehr sowohl die Handlungs- als auch die Finanzierungsverantwortung zur Endlagerung radioaktiver Abfälle in staatlicher Hand vereint.225 Das Ausscheiden der EVU aus dem Diskussionsprozess bedeutet aber nicht automatisch einen einfacheren Weg zur Lösung der Standortfrage. Mit dem Fortschreiten der Standortsuche ist die Bildung neuer Akteure bzw. eine veränderte Positionierung von aktuellen Mitspielern (insb. im Bereich der Anti-Atom-Bewegung) zu erwarten.226 Die politischen Entscheidungen zur Endlagerfrage werden 219
S. a. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 192. Ähnlich Hocke, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 155, 158. 221 S. a. Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 181 f.; vgl. auch Böhm, GS Schmehl, S. 435, 441, die die Rollenverteilung zwischen Staat und Umweltverbänden in der öffentlichen Wahrnehmung kritisiert. 222 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 47; Smeddinck/ Roßegger, NuR 2013, S. 548, 555 f. 223 Art. 1 des Gesetzes v. 27.1.2017, Gesetz zur Errichtung eines Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (EntsorgFondG), BGBl. I S. 114, 1676; zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung v. 16.6.2017 BGBl. I S. 1672. 224 Der Betrag setzt sich aus dem Grundbetrag nach § 7 Abs. 2 EntsorgFondsG i. H. v. 17.930.977.226 Euro sowie dem Risikoaufschlag nach § 7 Abs. 3 EntsorgFondsG i. H. v. 6.216.875.476 Euro zusammen, vgl. BMWi, Kernkraftwerksbetreiber haben Einzahlungen an nuklearen Entsorgungsfonds in Höhe von rd. 24 Milliarden Euro geleistet, 3.7.2017. 225 Die Handlungsverantwortung ergibt sich einfachgesetzlich aus § 9a Abs. 3 AtG, vgl. hierzu Abschnitt D. III. 2. b); näher zum Übergang der Finanzierungsverantwortung Ludwigs, RW 2018, S. 109, 117 f.; s. a. Däuper/Dietzel, EnWZ 2016, S. 542, 545. 226 S. a. Häfner, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 169, 184 f. 220
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 101
deshalb weiterhin zwischen staatlichen Akteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft auszuhandeln sein.227 5. Zwischenergebnis Das grundlegende Erkenntnisinteresse von Governance-Untersuchungen in Mehrebenensystemen bezieht sich auf Strukturen, institutionelle Bedingungen und Zusammenhänge zwischen Ebenen. Mithilfe einer solchen Analyse sollen Interdependenzen erkannt und Erklärungs- und Lösungsansätze entwickelt werden.228 Die Komplexität der Endlagersuche folgt allerdings nicht nur aus dem Zusammenwirken politischer Akteure auf mehreren territorialen Ebenen und den dazugehörigen rechtlichen Vorgaben verschiedener Stufen. Vielmehr sind die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie die machtpolitische Disparität, divergierende Interessenlagen und historisch gewachsene Konfliktlinien229 der unterschiedlichen Stakeholder zu beachten. Insofern fällt die Endlagersuche zwar bereits unter die klassische Umschreibung einer Multi-Level-Governance. Sie enthält darüber hinaus aber noch zusätzliche Komplexitätsstufen. Das Bewusstsein um die Existenz dieser Felder und die zwischen ihnen bestehenden Verflechtungen stellt eine integrale Voraussetzung für das Gelingen eines derart ambitionierten Projekts dar. Ebenso verhält es sich mit den Auswirkungen möglicher isolierter Entscheidungen. Mit welchen Herausforderungen sich der steuernde Gesetzgeber bei der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance in concreto konfrontiert sieht, wird im nachfolgenden Abschnitt veranschaulicht.
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance Die vorangegangene Darstellung verschiedener Ebenen und Sektoren identifiziert die Endlagersuche in Deutschland als Multi-Level-Governance-Struktur. Die Verflechtungen zwischen den einzelnen Feldern wurden allerdings nur angedeutet. Dass die Bemühungen um einen Endlagerstandort in Deutschland bisher erfolglos geblieben sind und der Suche mithin eine „schlechte Prozessqualität“230 bescheinigt wird, hängt mit den spezifischen Besonderheiten der Endlagersuche zusammen, die 227
S. a. Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 90; Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 194 f. 228 Vgl. Abschnitt C. I. 3. c). 229 Dies betonend Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 42 f. m. w. N.; vgl. auch Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 748; Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 409 f.; Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), Das Leben führen?, 2014, S. 239, 240, der die Auseinandersetzung um die Nutzung der Kernenergie als „beispiellos“ bezeichnet. 230 Grunwald, TaTuP 2018, S. 40, 43.
102
C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
sich nicht zuletzt aus der Mehrebenenkonstellation ergeben.231 Veranschaulichen lassen sich diese Herausforderungen mithilfe einer Subsumtion der Standortsuche unter verschiedene Schlagworte und Problemkategorien. So lässt sich die Endlagersuche als wicked problem beschreiben, für welches es grundsätzlich keine einfache Lösung gibt (1.). Ambitioniert ist die Entsorgung radioaktiver Abfälle weiterhin deshalb, weil es sich bei einer entsprechenden Anlage um ein sozio-technisches System handelt (2.). Im Zuge des Suchprozesses werden sich die Planer zudem mit dem Auseinanderfallen von globaler und lokaler Akzeptanz (sog. NIMBY-Syndrom) auseinandersetzen müssen (3.).232 Letztendlich sehen sich die Entscheider einem Effektivitäts-/Demokratiedilemma ausgesetzt (4.), das aus dem ambivalenten Dualismus von Realisierungs- und Akzeptanzstreben resultiert. 1. Die Endlagersuche als „wicked problem“ Der Versuch die Herausforderungen der Endlagersuche näher zu umschreiben und mit einem Schlagwort begrifflich zu fassen, gelingt mit der Einordnung als wicked problem.233 Dieser aus der Politikwissenschaft entlehnte und auf die Studien von Horst Rittel und Melvin Webber zurückgehende Begriff234 umschreibt eine Kategorie von Problemen, die in der Gesellschaft nur unter schwierigen und komplexen Bedingungen zu bearbeiten sind.235 Lösungen lassen sich nur mit erheblichen Anstrengungen finden und sind selten für alle zufriedenstellend (sog. clumsy solutions).236 Wahrscheinlicher sind lange Prozessdauern, Entscheidungsblockaden und soziale Konflikte.237 Dies lässt sich auf sechs grundlegende Charakteristika von wicked problems zurückführen:238 231
Vgl. auch Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 160 f. So etwa Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 123; Jahnke/Liebe/Dobers, ZfU 2015, S. 367, 368; ähnlich mit empirischen Belegen AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 61; Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 108 f. 233 Vgl. Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 409 f.; Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145 ff.; Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389 ff.; Kuppler, JIES 2/2012, S. 103, 106; Brunnengräber/Mez/ Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59 ff.; Kuppler, JIES 2/2012, S. 103, 106 ff.; zur zunehmenden Begriffsverwendung in jüngerer Zeit Danken/Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 17, 19 f. 234 Vgl. Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155 ff.; dies ebenso als Referenzpunkt nehmend Danken/Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 16; Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 17. 235 Vgl. Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 147; Danken/Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 18; Roberts, ipmr 2000, S. 1 f. 236 Näher zum Begriff Verweij, in: Lodge/Wegrich (Hrsg.), The problem-solving capacity of the modern state, 2014, S. 183, 185 f. 237 Vgl. Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 147; instruktiv zu den Konfliktursachen bei Endlagerstandorten Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 39 ff. 232
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 103
a) Zentrale Charakteristika Sie können erstens nur ex post richtig verstanden werden, da es keine einheitliche Problemdefinition gibt.239 Augenscheinlich trifft dies auf die Endlagersuche zu. Alle Anforderungen an die Problemlösung werden erst durchdrungen sein, wenn der Suchprozess abgeschlossen und das Endlager gebaut ist.240 Ein wicked problem ist zweitens nie völlig zufriedenstellend zu lösen („no stopping rule“).241 Mit dem technischen Fortschritt steigt die Wahrscheinlichkeit alternative und noch sicherere Endlagerkonzepte zu entwickeln. Ein konkret anzustrebendes Endziel existiert nicht. Vielmehr bestehen Anreize für ein weiteres Zuwarten und das Verschieben von Entscheidungen.242 Drittens ist die Erwartung einer idealen Lösung unrealistisch.243 Ebenso existieren im Prozess der Problembearbeitung angesichts der wissenschaftlichen Unsicherheiten, der divergierenden gesellschaftlichen Interessen sowie der Wahrnehmung des verbleibenden Restrisikos die Kategorien „richtig“ oder „falsch“ nicht.244 Weiterhin ist viertens jedes wicked problem einzig- und neuartig.245 Globale Standardlösungen sind unwahrscheinlich, da es sich um spezifische Problemkomplexe handelt, die sich von Land zu Land und Anwendungsfall zu Anwendungsfall unterscheiden.246 So sind Analogien zum Umgang mit radioaktiven Abfällen in
238 Vgl. Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 16 ff.; vgl. auch Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 160 ff.; s. a. mit Bezug auf die Endlagersuche Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60; für zehn grundlegende Eigenschaften Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 148 ff.; Danken/Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 16. 239 Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 161; Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 17 f. 240 Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60. 241 Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 18 f., Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 162. 242 In diese Richtung Durner, NuR 2019, S. 241, 251. 243 Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 162 f.; Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 19. 244 Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60; instruktiv Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 57 ff. 245 Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 164; Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 19 f. 246 Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
anderen Ländern zwar sinnvoll und hilfreich.247 Die Anschlussfähigkeit leidet aber unter der Berücksichtigung spezifischer Gegebenheiten (z. B. Geologie, Siedlungsstruktur, Rechtssystem). Darüber hinaus ist fünftens jeder Lösungsversuch eine einmalige Chance („oneshot operation“).248 Konzepte wie Endlager können nicht im Experiment oder Labor erprobt oder beliebig oft wiederholt werden.249 Als abschließendes sechstes Charakteristikum ist festzuhalten, dass es für wicked problems keine vorgefertigten alternativen Lösungskonzepte gibt.250 Sie sind vielmehr in hohem Maße durch eine kulturelle und diskursive Kontextabhängigkeit gekennzeichnet, so dass sie tiefgreifende Konflikt-, Interessen- und Ebenenanalysen erfordern.251 b) Problemdimensionen der Endlagersuche Mit Blick auf die Endlagersuche lassen sich die Herausforderungen in zentrale Problemdimensionen zusammenfassen.252 In zeitlicher Hinsicht sind intra- und intergenerationelle Aspekte und ethische Fragen zu berücksichtigen. Aspekte der Nachhaltigkeit253 und der Generationenverantwortung254 stehen aufgrund der Ei247 Für einen Überblick zu internationalen Erfahrungen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 166 ff.; zur Endlagersuche in der Schweiz, vgl. Kuppler, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 339 ff.; Peters, in: Bebert/ Faber/Schmidl u. a. (Hrsg.), Rechtsfrieden – Friedensrecht, 2016, S. 305 ff.; dies., DÖV 2015, S. 629 ff.; Rahn, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 67 ff.; Hoppenbrock, Finanzierung der nuklearen Entsorgung und der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2009, S. 154 ff. 248 Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 163; Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 20. 249 Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60. 250 Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 164, 166; Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 21. 251 Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60. 252 Vgl. für die nachfolgende Kategorisierung Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 390. 253 Zum Nachhaltigkeitsprinzip, vgl. BVerfGE 118, 79, 110 – Emmissionshandel; Kahl, EurUP 2017, S. 272, 275 f.; ders., DÖV 2009, S. 2, 3; Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 65 f.; krit. zur Beschränkung auf „ökologische Nachhaltigkeit“ Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, S. 9. 254 Vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 67; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 25; Gärditz, EurUP 2013, S. 2, 11 ff.; näher zur verfassungsrechtlichen Fundierung und einfachrechtlichen Umsetzung in den Abschnitten D. II. 1. b) cc) (4) sowie D. III. 1. a) gg) und D. III. 1. c) aa) (1) (b) mit den dortigen Nachweisen.
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 105
genschaften radioaktiver Abfälle und der langen Planungs- und Realisierungszeiträume besonders im Fokus. Mit Blick auf die handelnden Akteure existieren Differenzen bei Ideologien, Interessen, Werten und Präferenzen, die sich über einen längeren Zeitraum verfestigt und Konfliktlinien ausgebildet haben.255 Eine gesteigerte Komplexität ergibt sich bereits aus der schieren Anzahl der beteiligten Gebietskörperschaften, Organisationen und Personen im Rahmen einer landesweiten Standortsuche.256 Weiterhin bestehen in einer Interdependenzdimension Wechselwirkungen und Kohärenzprobleme zwischen den Politikfeldern, die politische, soziale, ökologische, wirtschaftliche und technische Aspekte eng miteinander verzahnen. Letztlich existieren auch für die Endlagersuche unterschiedliche Handlungsebenen im internationalen, europäischen, nationalen und länderspezifischen bzw. lokalen Bereich. c) Lösungsstrategien Die Identifizierung der Endlagersuche als wicked problem bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie erfolglos verlaufen wird. Zur Zähmung257 verzwickter Probleme bieten sich drei unterschiedliche Lösungsstrategien an. Im autoritären Ansatz wird mittels eines top-down-Verfahrens die Anzahl der Akteure und der komplexen Zusammenhänge verringert.258 Die wettbewerbliche Strategie visiert die beste der möglichen Lösungen an und lässt die Akteure um sie konkurrieren.259 Dahingegen ist der kooperative Ansatz auf politische Inklusion, Transparenz und Teilhabe angelegt260 und nutzt deliberative, auf Ausgleich basierende Modi (z. B. Dialoge, Monitoring).261
255
Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 43; explizit zur Wahrnehmung an betroffenen Standorten Tiggemann, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 101; instruktiv auch Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 39 ff. 256 Zur zusammenfassenden Beurteilung des Akteurscreenings, vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 191 ff. sowie Abschnitt C. II. 4. 257 Für diese Begriffswahl („tame“), vgl. Rittel/Webber, Policy Sciences 4/1973, S. 155, 161. 258 Instruktiv Roberts, ipmr 2000, S. 1, 4 f.; vgl. auch Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 23 f.; Danken/Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 27 f. 259 Roberts, ipmr 2000, S. 1, 5 f.; vgl. auch Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 24 f. 260 Roberts, ipmr 2000, S. 1, 6 f.; vgl. auch Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 25 f.; näher zu „Cross-Boundary Collaboration“ Danken/Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 25 ff. m. w. N.; dies für die Endlagersuche befürwortend Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 48 ff. m. w. N.; so bereits AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 61. 261 Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 61; so bereits Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 21 f.; instruktiv zu verschiedenen deliberativen Handlungsformen Neyer, JCMS 2003, S. 687, 696 ff.; zur Funktion von Deliberation bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle Lehtonen, JIES 2010, S. 175, 179 ff.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Die spezifischen Konfliktkonstellationen der Endlagersuche lassen aber auch beim Beschreiten einer kooperativen Herangehensweise nur clumsy solutions erwarten, mit denen die Positionen der unterschiedlichen Akteure ausbalanciert werden.262 Die tief gehenden Differenzen bei Werten, Interessen und Präferenzen der Beteiligten bergen die Gefahr, stets neue Konflikte zu produzieren.263 Ein solch komplexes Problem mit Ebenen übergreifenden Prozessen und divergierenden Interessen bei der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse erfordert letztlich reformierte oder gar neue gesellschaftliche und politische Institutionen, wofür eine Analyse unter Multi-Level-Governance-Gesichtspunkten grundlegende Ansatzpunkte bieten kann.264 d) Zusammenfassung Diese abstrakten und auf die Endlagersuche übertragenen Charakteristika eines wicked problem veranschaulichen die sich stellenden Schwierigkeiten und bestätigen die Einordnung als beispielhaften Anwendungsfall einer Multi-Level-Governance.265 Für die Endlageranlage muss nicht nur der am besten geeignete geologische Ort lokalisiert und die bestmögliche Technologie ausgewählt werden. Vielmehr sind auch Interessendivergenzen aufzulösen und politische Konflikte zu befrieden, um gesellschaftliche Akzeptanz für die Lagerstätte zu erhalten.266 Erschwert wird die Suche durch die von der ionisierenden Strahlung ausgehende Gefahrenlage, welche bis zu einer Million Jahre bestehen bleibt. Dieser nach menschlichem Ermessen kaum fassbare Zeitraum verstärkt technisch-wissenschaftliche Unsicherheiten und befeuert die sehr verschiedenen gesellschaftlichen Problemperzeptionen267. Ein jeder potenzielle Endlagerstandort weist nicht nur geologische Einzigartigkeiten auf, sondern wird sich auch durch regional bestimmte kulturelle, politische und sozioökonomische Gegebenheiten von Alternativen unterscheiden. Die Definition von generellen Leitlinien ist deshalb äußerst ambitioniert. 262
S. a. Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 163. Tatham/Houghton konstatieren, dass das Erarbeiten einer kooperativen Strategie die identischen Herausforderungen aufweist wie das „wicked problem“ selbst, vgl. Tatham/Houghton, JHLSCM 2011, S. 15, 26; für die Tendenz einer „chronischen“ Problemstellung Danken/ Dribbisch/Lange, dms 2016, S. 15, 22 m. w. N. 264 S. a. Kuppler, JIES 2/2012, S. 103, 107 f.; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 59 f., 63. 265 S. a. Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 391, 395 ff.; Kuppler, JIES 2/2012, S. 103, 107 ff.; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 59 f., 63 f. 266 Insoweit von einer „gesellschaftlichen Betriebserlaubnis“ sprechend Bimesdörfer/ Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 410; vgl. weiterhin Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 394; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60 f. 267 Unter Perzeption versteht man den Prozess der reinen sinnlichen Wahrnehmung ohne Reflexion als erste Stufe der Erkenntnis. 263
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2. Die Endlagersuche als sozio-technisches System Neben der Einordnung der Endlagersuche als wicked problem wird die Entsorgung nuklearer Abfälle als sozio-technisches Abfallproblem umschrieben.268 Die Komplexität des Vorhabens ergebe sich demnach daraus, dass nicht nur die technische Realisierung der Anlage zu bewerkstelligen sei, sondern die Herausforderungen vielmehr auch im sozialen Bereich lägen.269 a) Begriffserklärung Unter dem von Thomas Hughes geprägten Begriff des sozio-technischen Systems versteht man eine organisierte Menge von Menschen und mit dieser verknüpfte Technologien, welche in einer bestimmten Weise strukturiert sind, um ein spezifisches Ergebnis zu produzieren.270 Zur Veranschaulichung, inwieweit die Endlagersuche als ein solches System einzuordnen ist, hilft der Blick auf die technologische und soziale Ausgangssituation. Angesichts des radiotoxischen Gefahrenpotenzials der zu entsorgenden Abfälle müssen zur Erreichung der Isolationsziele technische Infrastrukturen errichtet werden, welche für extrem lange Zeiträume den sicheren Einschluss gewährleisten.271 Diese Zielvorgabe verlangt von Entscheidungsträgern und Standortgemeinden Erwägungen, die in sich komplex sind. Zum einen darf die Technik des Endlagerbergwerkes272 nicht versagen. Zum anderen soll die Gesellschaft die getroffenen Entscheidungen mittragen oder zumindest tolerieren.273 Der sozio-technische Charakter der Endlagersuche ergibt sich somit aus der doppelten Komplexität274 einer Verknüpfung von technischen und sozialen Problemen. 268
So etwa Brunnengräber/Di Nucci/Häfner u. a., in: Brunnengräber/Di Nucci (Hrsg.), Im Hürdenlauf zur Energiewende, 2014, S. 389, 392; eingehend Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77 ff. 269 Renate Mayntz spricht von einer „Steigerung funktioneller Interdependenz und sozialer Vernetzung sowie (von einer) paradoxen Wechselwirkung mit den Formen gesellschaftlicher Ordnungsbildung (…) und speziell mit der Organisation politischer Herrschaft“, vgl. Mayntz, Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 78. 270 Instruktiv Hughes, in: Bijker/Pinch (Hrsg.), The social construction of technological systems, 2012, S. 45 ff.; näher hierzu Lösch, in: Maasen/Kaiser/Reinhart u. a. (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftssoziologie, 2012, S. 251, 258 f.; zur Einordnung des Endlagers als soziotechnisches System, vgl. Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 84 ff. m. w. N. 271 Ausführlich und krit. zum vorgesehenen Auslegungszeitraum von einer Million Jahre in Abschnitt D. III. 1. a) bb). 272 Zur Einordnung der Endlageranlage als technologisches Artefakt und den dadurch bestehenden Herausforderungen, vgl. Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 80 ff.; zum Begriff des „technologischen Artefakts“ als vom Menschen künstlich geschaffenes Gebilde, vgl. Ropohl, Allgemeine Technologie, 2009, S. 30. 273 Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 80 ff.; s. a. Steinberg, FS Koch, S. 253, 257. 274 Vgl. auch Kuppler, JIES 2/2012, S. 103, 105; grundlegend zum Begriff Dryzek, The politics of the earth, 2013, S. 8 f.
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b) Sozio-technische Herausforderungen der Endlagerung Zwar stehen mit dem bei der Endlagersuche ausgerufenen „Primat der Sicherheit“275 zunächst technische Fragen des Vorhabens im Vordergrund. Zu den diskursiv behandelten Themen zählen jedoch nicht nur komplexe technisch-naturwissenschaftliche Hintergründe wie etwa die Auswahl geeigneter Wirtsgesteinstypen, sondern auch eine Reihe von Herausforderungen, die dem sozialen Bereich zuzuordnen sind. Beispielsweise muss sich die nationale Politik mit den Abfallverursachern verständigen, wie die Finanzierung der Entsorgung geregelt werden kann.276 Gleichzeitig ist ein Verfahren auszugestalten, an dessen Ende die Bereitschaft einer Standortgemeinde steht, die Endlageranlage auf ihrem Territorium zuzulassen.277 Zudem existiert ein historischer Konflikt um die Ansiedlung atomarer Industrieanlagen, der eine gewachsene Struktur aus Umweltverbänden, Bürgerinitiativen sowie eine organisierte Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgebracht hat.278 Sowohl das technisch-ingenieurswissenschaftliche Entsorgungskonzept als auch das Auswahl-, Planungs- und Genehmigungsverfahren sehen sich vielschichtigen gesellschaftlichen Erwartungen ausgesetzt.279 Mithin besteht bei dem sozio-technischen System des Endlagers ein Netzwerk miteinander verbundener und interagierender Elemente, in das neben technischen, wissenschaftlichen und ökologischen auch soziale Komponenten eingebettet sind.280 Die Entscheidungsträger281 haben demnach nicht nur die technologische Innovation Endlager durchzusetzen.282 Vielmehr 275 Darunter ist zu verstehen, dass sicherheitstechnische Aspekte zur Risikominimierung uneingeschränkten Vorrang genießen. Weitere Faktoren, wie zum Beispiel planungswissenschaftliche Abwägungskriterien, kommen erst zum Tragen, wenn verschiedene Standortalternativen hinsichtlich der sicherheitstechnischen Voraussetzungen gleich geeignet sind; ausführlich hierzu in Abschnitt D. III. 1. a) aa). 276 Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843, ist die Handlungs- und Finanzierungsverantwortung im Bereich der Endlagerung radioaktiver Abfälle zwischenzeitlich auf staatlicher Seite vereinigt, vgl. dazu Ludwigs, in: Feldmann/Raetzke/Ruttloff (Hrsg.), Atomrecht in Bewegung, 2019, S. 19 ff.; ders., RW 2018, S. 109, 110; Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, Vorb. EntsorgFondG Rn. 12 ff. 277 Zur verfassungsrechtlichen Bewertung, ob das Verfahren nach dem StandAG das kommunale Selbstverwaltungsrecht verletzt, vgl. Abschnitt D. VI. 6. b). 278 Vgl. Rucht, in: Roth/Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008, S. 245, 259 ff., Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 40 f.; Bull, DÖV 2014, S. 897, 902 sowie bereits zuvor in Abschnitt C. II. 4. d); krit. hinsichtlich bisheriger Versuche insb. betreffend des Standortes Gorleben Tiggemann, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 101. 279 Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 79 f. 280 Vgl. Lösch, in: Maasen/Kaiser/Reinhart u. a. (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftssoziologie, 2012, S. 251, 258; Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 86. 281 Diese Rolle als „system builder“ bezeichnend, vgl. Hughes, in: Bijker/Pinch (Hrsg.), The social construction of technological systems, 2012, S. 45, 46 f. 282 Hughes, in: Bijker/Pinch (Hrsg.), The social construction of technological systems, 2012, S. 45, 58 ff.
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 109
sind auch Fragen der organisatorischen Prozessgestaltung, Finanzierung und des Einfügens in Siedlungsstrukturen zu klären sowie politischer Lobbyismus und vorhandenes oder zu erwartendes Betroffenenverhalten zu moderieren.283 Die dazu notwendigen Formen der Kooperation und Koordination haben im Kontext der Entsorgung radioaktiver Abfälle zusätzlich zu berücksichtigen, dass sämtliche bisher vorhandenen technischen Anlagen lediglich eine Zwischenlösung darstellen. Die technische Machbarkeit ist somit einerseits erst noch zu beweisen. Andererseits delegiert die nicht realisierte Entsorgung die Verantwortung an nachfolgende Generationen und überlässt sowohl soziale Prozesse als auch die Umsetzung der „großtechnischen Anlage“284 Endlager künftigen Institutionen und Akteuren.285 c) Lösungsstrategie Um die sich stellenden sozio-technischen Herausforderungen der Endlagersuche zu bearbeiten, bietet es sich an, auf Erfahrungen aus der Technikfolgenabschätzung zurückzugreifen und diese mit sozialwissenschaftlichen Konzepten der Systemtheorie sowie Aspekten der Technik- und Öffentlichkeitssoziologie anzureichern. Auf diese Weise erfolgt ein Brückenschlag zwischen Elementen ingenieurswissenschaftlichen Handelns, politischer Entscheidungsprozesse und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.286 Erneut spielen deliberative Elemente eine maßgebende Rolle. Dialogorientierte Prozesse gewähren die Möglichkeit, um akteurspezifische Argumente zu beraten, Eigenrationalitäten sozialer Teilsysteme zu identifizieren und über Streitpunkte zu verhandeln. Mithilfe solcher Aushandlungs- und Beratungsverfahren soll es gelingen, gemeinsame Erwartungen zu identifizieren und so in das Verfahren zu integrieren, dass darauf aufbauend Entscheidungsalternativen für eine dauerhafte Problemlösung gegenübergestellt werden können.287 d) Zusammenfassung Vergleichbar der Qualifizierung als wicked problem umschreibt die Figur des sozio-technischen Systems die Komplexität des Vorhabens Endlager, die sich aus der Beteiligung unterschiedlicher Akteure und mehrerer Ebenen bzw. wissenschaftlicher Fachgebiete ergibt. Folglich decken sich die geschilderten Herausforderungen und 283
S. a. Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 86 f. Eingehend und vorausschauend zur Symbiose von Technikentwicklung und sozialem Wandel Weingart, in: ders. (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, 1989, S. 174 ff. 285 S. a. Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 87. 286 Vgl. Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 78, 84. 287 Deliberative Partizipation ist nicht auf die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen ausgerichtet, sondern gesprächszentriert. Dabei kommunizieren Personen auf Augenhöhe auf der Suche nach politischen Entscheidungen, vgl. Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1153; Hocke, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 77, 91. 284
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
die vorgeschlagenen Lösungsstrategien mit der Einordnung der Endlagersuche als Sinnbild einer Multi-Level-Governance. 3. Das NIMBY-Syndrom Die beiden vorangegangenen Kategorien des wicked problem und die Klassifizierung der Endlageranlage als sozio-technisches System knüpfen an die Komplexität des Vorhabens an. Gemeinsam ist diesen beiden Einordnungen, dass zur Lösung des Problems bzw. zur Realisierung der Anlage neuartige Verfahrenswege und reformierte institutionelle Prozesse gefordert werden, welche maßgeblich auf deliberative Elemente setzen.288 Ziel dieser Vorgehensweise ist es, trotz bestehender Konflikte Akzeptanz für das Vorhaben zu wecken. a) Begriffserklärung Akzeptanz und Freiwilligkeit werden folglich als Schlüsselkategorien für die Realisierung von großen Infrastrukturvorhaben gesehen. Gleichwohl zeigen empirische Beobachtungen, dass solche Projekte regelmäßig bei der lokalen Bevölkerung auf Widerstand stoßen.289 Das auf Walter Rodgers290 zurückgehende Akronym NIMBY291 umschreibt diese grundlegende Akzeptanzproblematik bei Standortfindungsprozessen für großtechnologische und risikobezogene Anlagen.292 Kennzeichnend ist, dass die Notwendigkeit einer Technologie im Prinzip bejaht wird, ihre Realisierung jedoch möglichst weit entfernt vom eigenen Wohnort erfolgen sollte.293 288 So etwa Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 21 f.; ähnlich Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1153; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 43 f.; deliberative Elemente als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Standortsuche ansehend Hocke/Renn, J. Risk Res. 2009, S. 921. 289 S. a. Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119 f.; dies für die Endlagersuche erwartend Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 60. 290 Walter Rodgers gebrauchte den Begriff in den 1980er Jahren als Mitglied der American Nuclear Society, vgl. https://www.etymonline.com/word/nimby, (geprüft am 30.9.2019). 291 Die Abkürzung NIMBY steht für Not In My Backyard; in der Bedeutung bestehen Schnittmengen zu weiteren Akronymen wie NIABY (not in anybody‘s backyard), BANANA (build absolutely nothing anywhere near anyone), LULU (locally unwanted land use), vgl. Greenberg, Risk analysis 2009, S. 1242; Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 121 sowie dem St. Floriansprinzip; zu letzterem vgl. Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998. 292 Zur Untersuchung in Bezug auf den Umgang mit radioaktiven Abfällen, vgl. Kraft/ Clary, The Western Political Quarterly 1991, S. 299 ff.; Jenkins-Smith/Silva/Nowlin u. a., Reevaluating NIMBY: Evolving Public Fear and Acceptance in Siting a Nuclear Waste Facility, 2009, S. 3; Greenberg, Risk analysis 2009, S. 1242 ff. 293 Vgl. Jahnke/Liebe/Dobers, ZfU 2015, S. 367, 368; Renn/Gallego Carrera, in: Hocke/ Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 85, 86 f.; Kraft/Clary, The
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 111
b) Ursachen Beim Versuch, die Ursachen für dieses Phänomen zu ergründen, lassen sich drei unterschiedliche Herleitungsansätze identifizieren.294 Eine Auffassung bewertet lokalen Widerstand als irrationales und ignorantes Verhalten.295 Die wahren Risiken und Auswirkungen neuer Entwicklungen würden von den Betroffenen fehlgewichtet oder schlichtweg nicht verstanden.296 Mithin sei deren Vorbringen „falsch“. Mit einer solchen Interpretation geht die Diskreditierung der lokalen Meinungsäußerungen aufgrund eines (vermeintlich) überlegenen Wissensstandes einher. Folgerichtig sieht sich dieser Ansatz dem Vorwurf der Überheblichkeit ausgesetzt.297 Weiterhin werden die egoistischen Interessen der lokalen Bevölkerung herausgestellt.298 Die potenziellen Gefahren einer Anlage und somit eher rationale, auf Risikominimierung ausgerichtete Erwägungen motivieren demnach die Betroffenen zu einer ablehnenden Haltung. Daneben spielen ökonomische Faktoren wie sinkende Eigentumspreise oder aber die Befürchtung verminderter Lebensqualität eine Rolle.299 Zudem wird die Legitimität des lokalen Protests mit dem Vorwurf eines (vermeintlich) fehlenden Demokratieverständnisses bestritten. Empirische Studien hätten ergeben, dass Gegner großtechnischer Anlagen typischerweise älter, vermögender sowie gebildeter seien. Dies befähige sie dazu einen wahrnehmbaren Protest zu artikulieren, ohne die Mehrheit der lokalen Bevölkerung zu repräsentieWestern Political Quarterly 1991, S. 299, 300; näher zur Terminologie und verwandten Begriffen Burningham/Barnett/Thrush, The limitations of the NIMBY Concept for understanding public engagement with renewable energy technologies, 2006, S. 2 ff. 294 Grundlegend Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 42 ff.; darauf Bezug nehmend Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 121; Burningham/ Barnett/Thrush, The limitations of the NIMBY Concept for understanding public engagement with renewable energy technologies, 2006, S. 6 ff. 295 Vgl. Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 42 f., 45 ff.; Burningham/Barnett/Thrush, The limitations of the NIMBY Concept for understanding public engagement with renewable energy technologies, 2006, S. 6; Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 121; i. E. ebenso Durner, NuR 2019, S. 241, 252. 296 S. a. Burningham/Barnett/Thrush, The limitations of the NIMBY Concept for understanding public engagement with renewable energy technologies, 2006, S. 6; Kraft/Clary, The Western Political Quarterly 1991, S. 299, 300 f.; für dieses Verständnis, vgl. Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120 f. 297 So etwa Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 107. 298 Vgl. Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 43 f., 48; Burningham/Barnett/Thrush, The limitations of the NIMBY Concept for understanding public engagement with renewable energy technologies, 2006, S. 7; für diese Interpretation auch Mez, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 37, 49; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332. 299 Vgl. Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 122; Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 52; zur Bedeutung der Region als Lebenswelt, vgl. Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, S. 112.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
ren.300 Auch diese Lesart des NIMBY-Syndroms ist negativ konnotiert, indem sie das Interesse einer kleinen Gruppe von Menschen betont, welche sich gegen das Interesse der Allgemeinheit und gegen das Gemeinwohl wendet.301 Dahingegen betont eine positive Interpretation des Phänomens das umsichtige („prudent“) Verhalten der Protestierer hinsichtlich der möglichen negativen Auswirkungen des Projekts.302 Auf diese Weise erhalten die verantwortlichen Planer einen Informationszufluss von unmittelbar Betroffenen, die über einen anderen Blickwinkel verfügen.303 Zudem sei aus demokratietheoretischer Sicht diese basisdemokratische Beteiligung („grassroot citizen opposition“) zu befürworten.304 c) Lösungsstrategien Zur Überwindung des NIMBY-Syndroms werden eine Reihe von Lösungsstrategien vorgeschlagen, welche sich je nach den ursächlichen Herleitungsansätzen unterscheiden.305 Geht man davon aus, dass lokaler Protest auf irrationalem Verhalten und mangelndem Verständnis beruht, kann dem mit Aufklärungsmaßnahmen oder zwangsweisen, obrigkeitsstaatlichen Durchsetzungselementen begegnet werden. Dominieren egoistische Motive, versprechen wiederum Risikoaufklärung sowie finanzielle Anreize Erfolg.306 Diesen eher „klassischen“ Maßnahmebündeln stehen kooperative Strategien gegenüber, die eine Einbindung der Betroffenen in den Suchprozess und somit eine Vertrauensbildung über aktive Teilhabe propagieren.307 Als Beispiel hierfür sind die Stärkung der betroffenen Parteien („empowering affected parties“), vertrauensbildende Maßnahmen („consensus building“) und die Schaffung neuer institutioneller 300
Vgl. Schively, JPL 2016, S. 255, 257 m. w. N. S. a. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 7. 302 Vgl. Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 44 f., 49; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332; befürwortend Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 242; s. a. im Ergebnis Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 111. 303 Kraft/Clary, The Western Political Quarterly 1991, S. 299, 301; Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 44. 304 Schively, JPL 2016, S. 255, 257 m. w. N. 305 Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 49 ff.; instruktiv Schively, JPL 2016, S. 255, 260 ff. 306 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 250; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 107; dies als „D-A-D-Strategie“ (Decide-Announce-Defend) nationalstaatlicher Industriepolitik bezeichnend, vgl. Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 122; näher zu den Modi „Compensation“ und „Communication about impacts“ bei Schively, JPL 2016, S. 255, 260 f.; zur Wirkung von finanzieller Kompensation, vgl. Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 111 ff., 127 ff.; Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 747 f. m. w. N. 307 Vgl. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 108 ff.; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 48 ff. 301
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 113
Strukturen („institutional change“) zu nennen.308 Diese deliberativen Elemente adressieren den Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit als Schlüssel zu einer dauerhaft akzeptierten und somit nachhaltig erfolgreichen Standortentscheidung.309 Maßgeblich auf das Element Kompensation angelegt ist das Konzept der Freiwilligkeit.310 Durch finanzielle Anreize und das Herausstellen der vorwiegend ökonomischen Vorteile (z. B. Arbeitsplätze, Steuereinnahmen) sollen Standortgemeinden animiert werden, sich um den Endlagerstandort zu bewerben.311 Grundsätzlich erscheint jedoch fraglich, ob eine potenzielle Blockade durch die lokale Bevölkerung alleine durch monetäre Zuwendungen verhindert werden kann.312 Zu differenzieren ist hierbei, ob entsprechende Kompensationsmaßnahmen darauf abzielen, schädliche Auswirkungen auf Mensch und Natur abzumildern, den Bau zu erleichtern (z. B. über zusätzliche Infrastrukturanbindungen) oder als unmittelbare Reaktion auf die Standortentscheidung angeboten werden.313 Empirische Untersuchungen zeigen, dass finanzielle Entschädigungen auch eine kontraproduktive Wirkung entfalten können, indem der Eindruck erweckt wird, die Zustimmung der Bevölkerung solle erkauft werden (sog. „bribe effect“).314 d) Zusammenfassung Unabhängig von einer Bewertung als „undemokratische“ Verfolgung von Eigeninteressen oder als „basisdemokratische“ Version des Willensbildungsprozesses
308 Vgl. Schively, JPL 2016, S. 255, 261 ff.; ähnlich Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 133 f., als Schlussfolgerung einer Analyse internationaler Endlagerprojekte; Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 21 f. 309 Vgl. wenngleich im Ergebnis skeptisch Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 282; ähnlich Jahnke/Liebe/Dobers, ZfU 2015, S. 367, 381. 310 Instruktiv Smeddinck, in: Ott/Smeddinck (Hrsg.), Umwelt, Gerechtigkeit, Freiwilligkeit – insbesondere bei der Realisierung eines Endlagers, 2018, S. 59, 61; vgl. auch Ott/Riemann, in: Ott/Smeddinck (Hrsg.), Umwelt, Gerechtigkeit, Freiwilligkeit – insbesondere bei der Realisierung eines Endlagers, 2018, S. 41, 52 ff. 311 Näher hierzu Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 126 ff.; vgl. auch Durner, NuR 2019, S. 241, 250; Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 747 f.; zum Potential von Regionalentwicklung vgl. Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 112 f. 312 Vgl. Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 129 ff.; zur Befürchtung, dass ein Endlager nur in wirtschaftsschwachen Regionen errichtet wird, vgl. Mez, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 37, 49. 313 Ausführliche zu dieser Thematik Gallagher/Ferreira/Convery, JEPM 2008, S. 233 ff. 314 Vgl. Frey/Oberholzer-Gee/Eichenberger, JPE 1996, S. 1297, 1306 ff.; vgl. auch Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 135; Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 127; konkret zur Endlagersuche in Deutschland Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 177 ff.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
lehrt das NIMBY-Syndrom,315 dass die Standortfindung von umstrittenen Infrastrukturprojekten die Akzeptanz – zumindest aber Toleranz – seitens der lokalen Bevölkerung voraussetzt.316 Der Reflex, lokalen Protest als eigennützig, ignorant oder uninformiert abzutun, erscheint nicht zielführend.317 Vielmehr gilt es, sich kritisch mit dem Phänomen auseinanderzusetzen und für den Standortfindungsprozess eine Kombination der vorgestellten Lösungsstrategien zu kombinieren.318 4. Das Effektivitäts-/Demokratiedilemma Das vom NIMBY-Syndrom repräsentierte Auseinanderfallen von globaler und lokaler Akzeptanz lenkt den Blick auf eine weitere Problematik im Bereich demokratischer Legitimität. Die Endlagersuche offenbart nämlich ein grundlegendes Dilemma des Regierens in Mehrebenensystemen. Demnach scheint es unmöglich, effektive Entscheidungsfindung und demokratische Legitimation gleichzeitig zu optimieren.319 In einer zugespitzten Form lässt sich das Problem wie folgt skizzieren: Sofern es einerseits gelingen mag, politisches Handeln über die Grenzen von Ebenen hinweg zu koordinieren, verlieren Parlamente und die Bürgerschaft an Einfluss, während Regierungen oder Verwaltungen an Macht gewinnen. Wenn andererseits demokratische Kontrollen funktionieren, ist die Exekutive geneigt, ohne eigene Agenda lediglich Aufträge der Parlamente auszuführen bzw. ihr Handeln mit Blick auf potenzielle Wahlniederlagen an den (vermeintlichen) Interessen der Bürger auszurichten. Damit geht jedoch als Akteur in der Mehrebenenpolitik unweigerlich ein Verlust an Verhandlungs- und Anpassungsfähigkeit einher, was die Effektivität der Koordination beeinträchtigt.320
315 Zu verschiedenen Interpretationen, vgl. Schively, JPL 2016, S. 255, 257 f.; grundlegend Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39 ff. 316 S. a. Greenberg, Risk analysis 2009, S. 1242, 1242 f. 317 S. a. Burningham/Barnett/Thrush, The limitations of the NIMBY Concept for understanding public engagement with renewable energy technologies, 2006, S. 13 ff.; ähnlich bereits Freudenburg/Pastor, JSI 4/1992, S. 39, 53 f.; i. d. R. auch Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 126; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 107 f.; Jahnke/Liebe/Dobers, ZfU 2015, S. 367, 369. 318 Ähnlich Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119, 138 f.; so bereits Mez, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 37, 50 f. 319 Grundlegend Dahl, PSQ 1/1994, S. 23, 26 ff., 32 ff.; vgl. weiterhin Meine, in: Riescher/ Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 193; Scharpf, Governing in Europe, 1999, S. 43 ff.; Bursík, in: Brunnengräber/Di Nucci/Isidoro Losada (Hrsg.), Nuclear Waste Governance, 2015, S. 249 ff. 320 Zur vorangegangenen Darstellung, vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 205.
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 115
a) Ursachen des Dilemmas Diese Beobachtung lässt sich auf verschiedene Ursachen zurückführen. Zum einen widerspricht Mehrebenenpolitik dem demokratischen Kongruenzprinzip.321 Demnach laufen demokratische Prozesse grundsätzlich in territorialen Strukturen ab. Wenn diese allerdings mit den Wirkräumen von Entscheidungen auseinanderfallen, ist der Kreis von an der Willensbildung Beteiligten mit dem Kreis der vom Vorhaben Betroffenen inkongruent. Zum anderen ergeben sich für politische Steuerung in Mehrebenen-Konstellationen Hindernisse hinsichtlich der demokratischen Repräsentation. Neben dem legitimierenden Wahlakt beinhaltet eine effektive Vertretung auch, dass sich gewählte Repräsentanten mit dem Wahlvolk über Interessen, Politikangebote und -ergebnisse austauschen.322 Während innerhalb einer Ebene Parteien und Medien diese Verständigung herbeiführen, entstehen in der Mehrebenenpolitik längere Kommunikationswege. Die beiden vorangegangenen Punkte adressieren grundlegende demokratische Schwächen von Mehrebenenpolitik. Die spezifische Problematik des Effektivitäts-/ Demokratiedilemmas liegt allerdings darin, dass eine effektive Koordination der Endlagersuche und umfassende Zustimmung in der Bevölkerung schwerlich gleichzeitig gewährleistet werden kann. Demokratische Legitimation verlangt im hier einschlägigen sozialwissenschaftlichen Kontext323 bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme für die dazu notwendigen politischen Entscheidungen die Billigung der Betroffenen bzw. ihrer Repräsentanten zu gewinnen.324 Als Indikator für diese Zustimmung fungieren Wahlen und Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip.325 In Ansehung dieser demokratischen Rückkopplung an das Wahlvolk besteht in komplexen Entscheidungssituationen die Gefahr, dass effektive Entscheidungen vermieden oder ineffektive Alternativen befürwortet werden.326 In Mehrebenensystemen verschärft sich diese Problematik zusätzlich, da über Problemlösungen und Legitimität in unterschiedlichen Arenen befunden wird.327 Funktionierende Willensbildung in einzelnen Bereichen kann die Koordination zwischen den Ebenen erschweren. Umgekehrt können wirksame intergouvernementale Verfahren dennoch in den zuständigen Gebietskörperschaften abgelehnt werden, weil hier nur partielle Aspekte der übergeordneten Entscheidung bewertet
321
Näher zu dieser These Zürn, PVS 1996, S. 27, 30 f. Vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 206. 323 Zur Erläuterung und Unterscheidung von Input-, Throughput- und Output-Legitimation sowie zur Abgrenzung zum staatsrechtlichen Demokratieverständnis, vgl. nachfolgend Abschnitt C. IV. 1. c); näher zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen demokratischer Legitimation in Abschnitt D. IV. 5. a); vgl. weiterhin Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 562 m. w. N. 324 Vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 206 f. 325 Vgl. Riker, Liberalism against populism, 1988, S. 5, 59 ff. 326 Grundlegend hierzu Riker, Liberalism against populism, 1988, S. 198 ff., 248 f. 327 Vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 207. 322
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
werden.328 Um dies an einem Teilaspekt der Endlagersuche zu veranschaulichen: Wenn in einem dazu befugten Expertengremium das Sicherheitskonzept für ein Endlagerbergwerk beraten und beschlossen wird, mag das zu einer zeitnahen und technisch umsetzbaren Entscheidung führen. Ein solches Konzept könnte von betroffenen Standortgemeinden allerdings mangels Mitspracherechten als undemokratisch empfunden und folgerichtig abgelehnt werden.329 Gewährt man hingegen den konkret Betroffenen umfassende Mitentscheidungsbefugnisse oder gar Vetorechte, ist die Einigung auf einen „bestmöglichen“ Sicherheitsstandard und dessen Umsetzung eher unwahrscheinlich.330 b) Lösungsstrategien Das vorstehend aufgezeigte Dilemma mag in einer pessimistischen Sichtweise dazu führen, demokratische Mehrebenenpolitik per se zu negieren331 oder etwa einen „Pakt mit dem Teufel“ zu identifizieren, der in einem problematischen Tauschhandel bestehen soll, in dem Entscheidungseffektivität auf Kosten demokratischer Beteiligungsverfahren und Verantwortlichkeit erkauft wird.332 Wenn man Mehrebenenpolitik also grundsätzlich als undemokratisch betrachtet und mit organisierter Unverantwortlichkeit sowie intransparenten Verfahren gleichsetzt, erscheint die reflexhafte Forderung nach einer Entflechtung der Ebenen naheliegend.333 Allerdings würde die Trennung von Zuständigkeiten nach Ebenen zwar die Kompetenzen klar ordnen. Untrennbar damit verbunden ist aber auch eine Limitierung der institutionalisierten Entscheidungsbefugnisse. Durch die dann zur Koordination von übergeordneten Fragestellungen notwendigen informellen Absprachen entstünden erst recht Demokratiedefizite.334 In Multi-Level-Governance-Studien erarbeitete Konzepte zur Demokratisierung von Mehrebenenpolitik ermöglichen hingegen einen optimistischen Blickwinkel.335 Zum einen kann eine Stärkung der intragouvernementalen Institutionen und Verfahren die demokratische Legitimation fördern. In den Fokus rückt eine gewichtigere Rolle der Parlamente. Exemplarisch hierfür ist die im Standortauswahlverfahren
328
Vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 207. So etwa Tiggemann, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 101. 330 Explizit krit. Bull, DVBl. 2015, S. 593, 596. 331 So etwa Simeon/Cameron, in: Bakvis/Skogstad (Hrsg.), Canadian federalism, 2002, S. 278, 292 f. 332 Vgl. Peters/Pierre, in: Bache/Flinders (Hrsg.), Multi-level governance, 2005, S. 75, 86 ff. 333 Zur Verfassungsmäßigkeit der vom StandAG herbei geführten Konzentration von Kompetenzen auf Bundesebene vgl. Abschnitt D. IV. 6. 334 S. a. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 207. 335 Näher hierzu Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 207 ff. m. w. N. 329
III. Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance 117
vorgesehene Legalplanung zu nennen.336 Eine solche Konzeption relativiert eine unterstellte Machtverschiebung auf die Exekutive. Allerdings provoziert sie geradezu die oben skizzierte Dilemma-Situation, indem Entscheidungsbefugnisse konzentriert und verschiedene Akteure ausgeschlossen werden. Im Ergebnis komplementär verhält es sich mit der Forderung nach direktdemokratischen Elementen,337 die zwar die Legitimationsseite stärken, allerdings die effektive Verfahrensdurchsetzung beeinträchtigen.338 Zum anderen helfen Konzepte der deliberativen Demokratie Verfahren so zu gestalten, dass eine kommunikative Verbindung von inter- und intragouvernementalen Entscheidungen zustande kommt.339 Die Formulierung verallgemeinerbarer Interessen unterstützt die Überwindung von sachlichen, zeitlichen und sozialen Selektivitäten der beteiligten Akteure. Auf diese Weise lassen sich sektorbezogene Entscheidungen ebenenübergreifend rechtfertigen.340 Um bei oben angeführtem Beispiel zu bleiben: Ein gut begründetes Sicherheitskonzept kann in Verhandlungen mit Standortgemeinden und lokalen Interessenvertretern nicht ignoriert werden. Die Erarbeitung solch verallgemeinerbarer Interessen wird durch die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und geeignete, auf Transparenz ausgerichtete Verfahren unterstützt.341 Unerlässlich Voraussetzung für Deliberation ist allerdings eine Verständigungsbereitschaft der handelnden Akteure, die sich wechselseitig vertrauen und eine gemeinsame Sprache sprechen.342 Im Hinblick auf die Historie der Endlagersuche stellt dies eine nicht unerhebliche Hürde dar.343 336 Näher zur Rolle des Parlaments als maßgeblichem Akteur der Standortsuche in Abschnitt D. III. 1. b) ff). 337 Vgl. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 529 ff.; zum Einsatz direktdemokratischer Elemente in der Europäischen Union Schmitter, How to democratize the European Union … and why bother?, 2000, S. 120; Zürn, PVS 1996, S. 27. 338 S. a. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 208. 339 Grundlegend Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 373 ff.; vgl. weiterhin Schaal/ Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 132 ff.; Holtkamp/Bogumil/Kißler, Kooperative Demokratie, 2006, S. 74 ff.; Elster, in: ders. (Hrsg.), Deliberative democracy, 1998, S. 97, 100 ff.; Eriksen, in: Eriksen/Fossum (Hrsg.), Democracy in the European Union, 2000, S. 42, 52 ff.; Follesdal, in: Eriksen/Fossum (Hrsg.), Democracy in the European Union, 2000, S. 85, 88 ff.; Neyer, JCMS 2003, S. 687, 696 ff.; zur Funktion deliberativer Elemente bei der Endlagersuche Lehtonen, JIES 2010, S. 175, 179 ff.; näher zur Bedeutung deliberativer Steuerungsformen Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1153; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 48 ff. 340 Vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 209. 341 Für die Möglichkeit die Sachgerechtigkeit einer Entscheidung durch Beteiligung von Verbänden und Betroffenen zu erhöhen und ihr dadurch „eine Art von Legitimation“ zu verleihen, vgl. Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, 45; ähnlich Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 64. 342 Prägnant Offe, SPSR 4/1998, S. 35, 49; ähnlich Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 38; Mez, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 37, 50 f.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
c) Zusammenfassung Die Endlagersuche steht aufgrund der Einbettung in vielfältige MehrebenenStrukturen vor einem Effektivitäts-/Demokratiedilemma. Dies hat seine Ursache darin, dass eine effektive, auf Projektdurchsetzung ausgerichtete Verfahrensgestaltung und breit angelegte, kontinuierliche Zustimmung zum Vorhaben schwerlich gleichzeitig verwirklicht werden können. Lösen lässt sich dieser gordische Knoten nur mittels eines Trade-off zwischen den einzelnen Teilaspekten des Problems. Entweder ist ein längerer und damit teurer Suchprozess hinzunehmen, an dessen Ende möglicherweise nicht der bestmögliche Standort ausgewählt wird. Oder man akzeptiert partielle Unzufriedenheit und potenziellen Widerstand am gefundenen Ziel. Ein verbindendes Element stellt wiederum eine Verfahrensgestaltung mit deliberativen Elementen dar, welche aufgrund der Konflikthistorie und kritischen Verständigungsbereitschaft aber sehr voraussetzungsvoll344 ist. 5. Zwischenergebnis Die Herausforderungen, welche sich der Endlagersuche durch die vorgefundene Mehrebenen-Struktur stellen, sind mannigfaltig. Sie finden ihre Ursache einerseits in der Komplexität des Vorhabens (wicked problem und sozio-technisches System). Andererseits adressieren sie die Schwierigkeit, breit gestreute Zustimmung und eine Tolerierung des Projekts auch bei den letztlich betroffenen Standorten zu generieren (NIMBY-Syndrom und Effektivitäts-/Demokratiedilemma). Diesen jeweils unter einem unterschiedlichen Schlagwort kategorisierten Problemstellungen ist jedoch eines gemeinsam: Bei der Endlagersuche handelt es sich um ein äußerst komplexes Vorhaben. Der in der Vergangenheit vorherrschende als autokratisch empfundene Politikstil war nicht dazu geeignet, ein sozialverträgliches bzw. gesellschaftlich akzeptables Ergebnis zu erzeugen.345 Die Beziehungen sowohl zwischen Staat und Privatwirtschaft als auch zwischen Staat und Zivilgesellschaft346 weisen darauf hin, dass harte politische Auseinandersetzungen um die konkrete institutionelle Ausgestaltung des Suchprozesses zu erwarten sind.347 Letztendlich werden Abwägungen zwischen verschiedenen wissenschaftlich be343
Vgl. statt vieler Tiggemann, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 85, 101; allgemein krit. zu Deliberation in Mehrebenensystemen Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 209. 344 Zu den Anforderungen an ein gelingendes Partizipationskonzept vgl. nachfolgend Abschnitt C. IV. 3. 345 Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 58 f.; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270, 280; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 411. 346 Dies umfasst auch Veränderungen innerhalb der Anti-Atom-Bewegung. 347 Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 68 f.; ähnlich Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 60.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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gründeten Optionen, politischen Interessen und gesellschaftlichen Werten vorzunehmen sein. Es ist zu erwarten, dass nicht alle am Verfahren Beteiligten sowie nicht alle Betroffenen mit den vorgeschlagenen Lösungen einverstanden sein werden. Zur Realisierung des Projekts muss dennoch eine Entscheidung getroffen werden.348 Fairness, Offenheit und Transparenz gelten als Gütekriterien für eine hohe Legitimität von politischen Verfahren.349 Ein besonderes Augenmerk ist daher auf den Einsatz deliberativer Elemente und neuer Kommunikationsformen zu legen, welche eine gemeinsame Komponente in den jeweils skizzierten Lösungsstrategien bilden.350
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor Der vorangegangene Überblick zur begrifflichen Kategorisierung der Herausforderungen der Endlagersuche veranschaulicht, dass es sich tatsächlich um ein verzwicktes Problem handelt, für welches nur wenig zufriedenstellende Lösungen zu erzielen sind.351 Gleichwohl ist die Realisierung eines Endlagers zur Beantwortung der Entsorgungsfrage alternativlos.352 Die wechselvolle Geschichte rund um den Bau verschiedener kerntechnischer Anlagen, namentlich der Widerstand der Anti-Atom-Bewegung, hat gezeigt, dass dies nicht gegen den entschiedenen Willen der Bevölkerung durchsetzbar ist.353 Es stellt sich daher die Frage, wie die scheinbar unauflöslichen Konfliktlinien hin zu einem möglichst konsensualen Ergebnis aufgeweicht werden können. Deliberativen Elementen der Verfahrens-
348 S. a. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 63; s. a. Hubmann, Nukleare Sicherheit und die Europäische Union, 2015, S. 57. 349 Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 61; Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 254 f. 350 Dies unter den Begriff „sanfte Regulierung“ fassend Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 749 ff.; vgl. weiterhin Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 411 f.; so bereits Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 14, 21 f.; bezugnehmend auf das Beteiligungskonzept des StandAG Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 744 f.; Durner, NuR 2019, S. 241, 242. 351 S. a. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 62 f. 352 Vgl. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 69 ff.; s. a. Hubmann, Nukleare Sicherheit und die Europäische Union, 2015, S. 57. 353 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 242; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 47; für einen Überblick zu bisherigen nationalen Entsorgungsstrategien und insb. zum Standort Gorleben, vgl. Abschnitt B. II. 1. sowie B. III. 4.; zu den Perspektiven der Anti-Atom-Bewegung, vgl. Häfner, Das Standortauswahlgesetz und die Anti-Atom-Bewegung, 2015, S. 2 f.; zu einer konfliktsoziologischen Untersuchung des Streits um die Atomenergie, vgl. Roose, in: Feindt/ Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79 ff.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
gestaltung wird diesbezüglich eine Schlüsselrolle zugewiesen.354 Spätestens in Folge der Diskussion um das Verkehrsprojekt „Stuttgart 21“ sind Schlagworte wie Akzeptanz, Partizipation und eine Reform von Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Realisierung bedeutender Infrastrukturvorhaben in den Mittelpunkt getreten.355 Um Zugriff auf die Rolle der Öffentlichkeitsbeteiligung als Kommunikations- und Legitimationsfaktor zu erhalten,356 werden zunächst der Begriff der Partizipation357 und die Funktionen von Öffentlichkeitsbeteiligung näher umschrieben (1.). Die mit einer aktiven Teilnahme der Öffentlichkeit verbundenen Chancen und angestrebten Ziele (2.) stellen spezifische Anforderungen an ein funktionales Partizipationskonzept (3.). Das Bewusstsein um diese Voraussetzungen gewinnt im Lichte der Herausforderungen und Risiken für eine gelingende Öffentlichkeitsarbeit (4.), welche mit dem Begriff der „Partizipationsverflechtungsfalle“358 eine sprachliche Ausformung gefunden haben, umso größere Bedeutung.
354 Statt vieler Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 48 ff. m. w. N.; Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1153; Hendler, FS Koch, S. 269; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 13 f.; mit empirischen Nachweisen zur Bedeutung von Beteiligung Stolle, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 193, 201 ff.; vgl. auch mit einem skeptischen Ansatz Peters, DVBl. 2015, S. 808, 809; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 561 ff. 355 Konkret zu den Auswirkung von „Stuttgart 21“ auf die Endlagersuche Durner, NuR 2019, S. 241, 242; Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 17; allg. Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 119 f.; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 551; näher zur Bedeutung von Stuttgart 21 für Konzepte der Öffentlichkeitsbeteiligung Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 39; Schink, FS Jarass, S. 483; Heselhaus, FS Koch, S. 297, 298 ff.; Böhm, NuR 2011, S. 614; Durner, ZUR 2011, S. 354 f.; Gärditz, GewArch 2011, S. 273; Groß, DÖV 2011, S. 510; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581; Köck/Salzborn, ZUR 2012, S. 203 f.; krit. hinsichtlich der nachträglichen Mediation eines rechtsstaatlich bereits entschiedenen Konflikts Wiegand-Hoffmeister, FS Erbguth, S. 51, 55. 356 Zur Beschreibung des Beteiligungssystems des StandAG als „Governance as and by Communication“, vgl. Smeddinck/Semper, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 235, 235 f.; ebenso Böhm, GS Schmehl, S. 435, 442. 357 Zu vermeintlichen Unterschieden der Begriffe Partizipation und Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Peters, DVBl. 2015, S. 808, 810 f.; ähnlich Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 65 m. w. N.; im Folgenden werden die Begriffe im Wesentlichen synonym verwendet, vgl. hierzu Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 19; Guckelberger, VerwArch 2012, S. 31; zur gleichwertigen Verständnis von „Partizipation“ und „Deliberation“, vgl. Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 139. 358 Begriffsprägend Bauer, VerwArch 2015, S. 112, ders., dms 2015, S. 273.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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1. Begriff und Funktionen von Partizipation Ausgehend von der lateinischen Wortwurzel („participatio“) steht der Begriff der Partizipation für Teilhabe, Teilnahme und Beteiligung.359 Nach einer weit gefassten Definition von politischer Partizipation sind sämtliche Tätigkeiten umfasst, die „die Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen“.360 Bürgerliche Partizipation wird als basale Voraussetzung angesehen, eine vernünftige politische Entscheidungsfindung zu gewährleisten.361 Im verfassungsrechtlichen Kontext lassen sich dem Themenkomplex zwei grundlegende Eigenschaften zuerkennen.362 Einerseits sichert die Rückkopplung mit der Öffentlichkeit eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung ab (a). Andererseits kommt ihr durch die aktivierende Wirkung eine legitimitätsstiftende Komponente für staatliche Entscheidungen zu (b). Beide Funktionen gehen in dem politikwissenschaftlichen Legitimationsdreiklang aus Input-, Throughputund Outputlegitimation auf (c). a) Öffentlichkeitsbeteiligung als rechtsstaatliche Anforderung Grundsätzlich hat eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung die Interessen und Rechte der Bürger unabhängig von der subjektiven Durchsetzbarkeit zu wahren.363 Wenn allerdings eine potenzielle Sachentscheidung Einzelne in materiellen Grundrechtspositionen beeinträchtigt, kommt der Verfahrensbeteiligung die Funktion eines vorverlagerten Rechtsschutzes zu.364 Insoweit verlangen schon die 359 Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 79; ähnlich Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 550. 360 Vgl. Kaase, in: Berg-Schlosser/Müller-Rommel (Hrsg.), Vergleichende Politikwissenschaft, 2003, S. 159, 160 m. w. N.; Kersting/Woyke, Vom Musterwähler zum Wutbürger?, 2012, S. 20 ff.; für einen Überblick verschiedener Begriffsdefinitionen, vgl. Voss, in: dies. (Hrsg.), Internet und Partizipation, 2014, S. 9 ff. 361 Vgl. Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 550, mit Verweis auf Salzborn, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 53 ff. 362 Vgl. Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 21, 25; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 559 f.; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834; Franzius, GewArch 2012, S. 225, 235; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 335 ff.; Gärditz spricht insoweit von einer „negativen Korrelation“ zwischen Rechtlichkeit und Partizipation Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 274 mit Verweis auf Brohm, VVDStRL (30) 1972, S. 245, 279; die rechtsstaatliche Funktion unter den Begriff „grundrechtlich“ fassend Lippert, ZUR 2013, S. 203, 208; für eine weitergehende Differenzierung Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; sofern in der sozialwissenschaftlichen Literatur auf drei Funktionen abgestellt wird (vgl. etwa Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 97 f.; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 84 ff.), handelt es sich um Funktionen „politischer Partizipation“, die nachfolgend innerhalb der Zielsetzung von Öffentlichkeitsbeteiligung (Abschnitt B. IV. 2.) näher beleuchtet werden. 363 Vgl. Lippert, ZUR 2013, S. 203, 209; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834; Wahl, VVDStRL (41) 1982, S. 151, 160 ff.; näher zum Umfang staatlicher Schutzpflichten in Abschnitt D. II. 1. 364 Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 12; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362;
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Grundrechte ein Verfahren, das den Betroffenen eine Geltendmachung ihrer Bedenken gestattet.365 Konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung der Mitwirkung sind damit freilich nicht verbunden.366 Weiterhin können durch Öffentlichkeitsbeteiligung die Entscheidungsgrundlagen der Verwaltung verbessert werden.367 Insofern wird ihr die Rolle einer Informationshilfe zugeschrieben.368 Noch wichtiger ist jedoch der Beitrag für die Sachrichtigkeit der Entscheidung. Ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes ermöglicht gerade eine Teilhabe der Öffentlichkeit die Konstruktion und Bewertung der einschlägigen Belange.369 Diese Funktion ist umso bedeutender bei aufgrund von unbestimmten Rechtsbegriffen und Beurteilungsspielräumen materiell-rechtlich nur schwach determinierten Entscheidungen des Planungsrechts,370 denen eine Abwägung öffentlicher und privater Belange immanent ist.371 b) Öffentlichkeitsbeteiligung als demokratische Komponente Neben dieser rechtsstaatlichen Prägung enthält Öffentlichkeitsbeteiligung – keineswegs unumstritten372 – auch eine demokratische Komponente.373 Dies wird Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1383; näher hierzu Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 200 ff. 365 Ähnlich Lippert, ZUR 2013, S. 203, 208; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 556, 559 f. 366 BVerfGE 53, 30, 59 f. – Mühlheim-Kärlich; E 61, 82, 110 – Sasbach. 367 S. a. Blum, Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl eines Atommüllendlagers unter Berücksichtigung des Standortauswahlgesetzes, 2014, S. 15; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 15. 368 Vgl. BVerwGE 41, 48, 63 ff.; E 102, 331, 340; Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 10; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 29 f.; jedoch besteht kein einseitiger Informationsfluss. Vielmehr stehen Öffentlichkeit und Behörden in einem wechselseitigen Informationsaustauschverhältnis, vgl. Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 255 f.; Guckelberger, DÖV 2006, S. 97, 100. 369 Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 11, 16 f.; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362. 370 Statt vieler Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 553 f. 371 Vgl. Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834; Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 275 f.; ähnlich Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 17. 372 Initiativ Blümel, FS Forsthoff, S. 9, 23; ähnlich Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 23 f.; ders., GewArch 2011, S. 273, 274 f.; vgl. auch zum fehlenden „klassisch organisatorisch-personelle(n) Strang der demokratischen Legitimation“, Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120; allgemein zum weiten Demokratieverständnis (i. S. v. Input- und Output-Legitimation) von Governance im Vergleich zur staatsrechtlichen Demokratiekonzept der ununterbrochen auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 82 ff. 373 Wie hier Steinberg, FS Koch, S. 253, 256 f.; Haug, VERW (47) 2014, S. 221, 234 f.; Röckinghausen, EurUP 2008, S. 210, 211, 219; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbe-
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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insbesondere an der durch die Partizipation vermittelten Verfahrens- und Ergebnistransparenz und Verwaltungskontrolle erkennbar.374 Weiterhin eröffnet eine partizipative Verfahrensgestaltung den Bürgern die selbstbestimmte Mitwirkung an der Gemeinwohlkonkretisierung.375 Ein solcher Beitrag kann umso größer ausfallen, je entscheidungsoffener das Verfahren zum Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteiligung ist.376 Zwar stellen Betroffenenkollektive nach staatsrechtlichem Verständnis unabhängig von ihrer Mächtigkeit keine Legitimationsquelle für die Ausübung staatlicher Gewalt dar.377 Dennoch kann die Öffentlichkeitsbeteiligung eine unterstützende Wirkung für die sachlich-inhaltliche Legitimation378 von Verwaltungsentscheidungen übernehmen, zumal bei planerischen Entscheidungen, die der Verwaltung große Spielräume überlassen.379 Mit einer transparenten Verfahrensgestaltung ist zudem der Wunsch und die Hoffnung auf ein höchstmögliches Maß an Akzeptanz380 für die Entscheidung verbunden.381 Dabei ist Akzeptanz weniger als Konsensbildung, sondern vielmehr als teiligung, 2002, S. 331 f., 335 ff.; für beide Funktionen Franzius, GewArch 2012, S. 225, 235; zur Differenzierung zwischen rechtsstaatlich geprägter Beteiligung von individuell Betroffenen und allgemeiner Öffentlichkeitsbeteiligung im Kontext des Demokratieprinzips, vgl. SchmidtAßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 109 Rn. 37. 374 Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 11, 17; Haug, VERW (47) 2014, S. 221, 234 f.; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834 f.; Groß, DÖV 2011, S. 510 511; in diese Richtung auch Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 567; Wittreck, ZG 2011, S. 209, 216 ff. 375 S. a. Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 13; zum Wandel der Inputlegitimierung und der Bedeutung von Partizipation, vgl. auch Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 242 ff. 376 Gurlit, JZ 2012, S. 833, 835. 377 BVerfGE 83, 37, 50 f. – Ausländerwahlrecht; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 563, 568 f.; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 22; ders., GewArch 2011, S. 273, 275; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 371 f.; a. A. Haug/Schadtle, NVwZ 2014, S. 271, 272; Knauff, DÖV 2012, S. 1, 2; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 237 ff.; ähnlich Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 87. 378 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 373; näher zur sachlich-inhaltlichen Legitimation als notwendigem Legitimationsstrang, vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 21 f.; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 564 f.; Grzeszick, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 120, 122. 379 Vgl. Bauer, dms 2015, S. 273, 275; Hermes, FS Koch, S. 283, 287; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 552 ff., 565; Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 9; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 835; Groß, DÖV 2011, S. 510, 511; Guckelberger, DÖV 2006, S. 97, 101; ähnlich Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 16 f.; Bull, DÖV 2014, S. 897; nur i. E. ähnlich Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 24. 380 Zur Nutzung des Akzeptanzbegriffs bei Planvorhaben, vgl. Kindler, Zur Steuerungskraft der Raumordnungsplanung, 2018, S 34 ff.; zur Einordnung von „Akzeptanz“ als Rechtsgebot, vgl. Wiegand-Hoffmeister, FS Erbguth, S. 51, 59 f.; krit. zur Akzeptanz als Legitimationsmodus Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 369 ff. 381 Gurlit, JZ 2012, S. 833, 835; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 70.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Hinnahmebereitschaft zu verstehen.382 Mit der Öffentlichkeitsbeteiligung erhalten die sich beteiligenden Akteure eine Plattform zur aktiven Einbringung eigener Sachpositionen in den Entscheidungsprozess. Damit besteht zumindest die Chance, eigenständig auf das Ergebnis der Verwaltungsentscheidung Einfluss zu nehmen.383 Gerade diese aktive Komponente soll Zustimmung vermitteln.384 Wer an einem Verfahren angemessen beteiligt wurde und sich davon überzeugen konnte, dass seine Interessen fair verarbeitet sind, sollte eher geneigt sein, auch ein ungünstiges Ergebnis zu akzeptieren, als ein Betroffener, der mangels Partizipation nicht an der Entscheidungsfindung teilnehmen konnte.385 Dies verlangt freilich eine nachvollziehbare Begründung für die Ablehnung etwaiger erhobener Einwände.386 c) Öffentlichkeitsbeteiligung im Kontext des politikwissenschaftlichen Legitimationsdreiklangs Somit können der Öffentlichkeitsbeteiligung grundsätzlich zwei übergeordnete Funktionen zugeschrieben werden. Zum einen stellt sie einen wesentlichen Beitrag zur Absicherung einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung dar. Zum anderen kommt ihr eine demokratische Komponente zu,387 die auf eine aktive Beteiligung von Betroffenen gerichtet ist, um so Akzeptanz für die zugrunde liegende Entscheidung zu erreichen. 382
Für diese Definition, vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983, S. 33, 55 ff., 201 ff.; dem folgend Gurlit, JZ 2012, S. 833, 835; ähnlich Durner, 15. AtomRS, S. 311, 342; Kindler, Zur Steuerungskraft der Raumordnungsplanung, 2018, S. 45 ff.; Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 8 f.; Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281; zur Unterscheidung von Akzeptanz (faktische Zustimmung) und Akzeptabilität (begründete Zustimmungsfähigkeit), vgl. Potthast, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 67, 73; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 107; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 551; zu verfassungsrechtlichen Akzeptanzfunktionen Zeccola, DÖV 2019, S. 100 ff. 383 Vgl. Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 489. 384 S. a. Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 132; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 11; Geißel, in: Schwalb/Walk (Hrsg.), Local Governance – mehr Transparenz und Bürgernähe?, 2007, S. 23, 28; zur Unterscheidung von Input-Legitimation (die Mitwirkung Betroffener legitimiert die Entscheidung) und Output-Legitimation (Betroffene tolerieren ein Entscheidungsergebnis, weil es ihren Wünschen und Erwartungen entspricht), vgl. Fürst, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 49, 62 sowie nachfolgend in Abschnitt C. IV. 1. c). 385 Vgl. auch Nanz/Leggewie, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche – Gemeinsam mit den Bürgern!, 2013, S. 11, 18 f. 386 Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 13; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 214. 387 Die demokratische Komponente erschöpft sich allerdings in ihrer ideengeschichtlichen Bedeutungsschicht und stellt keinen eigenständigen rechtsdogmatischen Legitimationsmodus für staatliches Handeln dar, s. a. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 569 f.; vgl. auch SchmidtAßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 109 Rn. 36.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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Sofern man Partizipation eine demokratische Funktion abspricht,388 liegt das in erster Linie daran, dass von einem strikten staatsrechtlichen Legitimationsverständnis ausgegangen wird.389 Danach fungiert das Volk als Legitimationssubjekt,390 die Staatsgewalt hingegen als Legitimationsobjekt.391 Als Modi der Zurechnung von Staatsgewalt zum Volk ist ein Kanon der institutionell-funktionalen,392 organisatorisch-personellen393 sowie sachlich-inhaltlichen394 Legitimation anerkannt, welcher im Zusammenwirken ein bestimmtes Legitimationsniveau395 gewährleistet.396 Bei Beteiligungsprozessen zu Infrastrukturvorhaben sei allerdings bereits fraglich, inwieweit „die Öffentlichkeit“ ein taugliches Legitimationssubjekt darstelle, dem administrative Herrschaft zugerechnet werden könnte.397 Ursächlich hierfür seien 388
Grundlegend Blümel, FS Forsthoff, S. 9, 23; ähnlich Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 23 f.; ders., GewArch 2011, S. 273, 274 f. 389 S. a. Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 368 f.; zur Diskussion um die Verwendung des staatsrechtlichen Legitimationsverständnisses oder offener Legitimationsmodelle im Zusammenhang mit der sachverständigen Beratung durch Private, vgl. Voßkuhle, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 60; näher zu den staatsrechtlichen Anforderungen demokratischer Legitimation in Abschnitt D. IV. 5. a). 390 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 348 ff.; konkret im Kontext demokratischer Legitimation der Öffentlichkeit Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 22. 391 Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5 f. 392 Der funktionell-institutionelle Modus spiegelt die vom Verfassungsgeber vorgesehene Ausübung von Staatsgewalt durch Legislative, Exekutive und Judikative wider. Insofern konnotiert er den Gewaltenteilungsgrundsatz und tritt einem aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip abgeleiteten Gewaltenmonismus entgegen, vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 15; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 8; SchmidtAßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 357 ff. 393 Unter personeller Legitimation versteht man die Rückbindung eines die Staatsgewalt ausübenden Amtswalters an den Träger der Staatsgewalt. Dies erfolgt über eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen, vgl. BVerfGE 93, 37, 66 – Mitbestimmungsverfahren; E 83, 60, 72 – Ausländerwahlrecht; E 77, 1, 40 – Neue Heimat; E 47, 253, 275 – Bezirksvertretung; aus der Lit.: Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 16; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 360 ff. 394 Die sachlich-inhaltliche Legitimation bezieht sich auf die inhaltliche Bindung der Staatsgewalt an das Volk bzw. an seine Repräsentanten. Als zentrale Bausteine wirken zum einen das parlamentarische Gesetz als Legitimationsvermittlungsinstrument. Zum anderen dienen Weisungsrechte, Aufsichtsmittel der Rechts- und Fachaufsicht sowie Selbsteintritts- und Letztentscheidungsrechte als Mittel zur Instrumentalisierung parlamentarischer Verantwortung, vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 21; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 11, 13, 49 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 357 ff. 395 BVerfGE 93, 37, 66 – Mitbestimmungsverfahren; E 83, 60, 72 – Ausländerwahlrecht; BVerwG 106, 64, 74; jüngst BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Ls. 3, Rn. 129 – Bankenunion; aus der Lit.: Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 14, 56 f.; SchmidtAßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 366; s. a. zur Diskussion um die unionsrechtlich geforderte Weisungsfreiheit der BNetzA Ludwigs, VERW (44) 2011, S. 41, 49 m. w. N.; ders., DVBl. 2011, S. 61, 68 f. 396 Vgl. Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 7. 397 Näher hierzu Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 22 f.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 348 f., 371 f.; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5; a. A. und die strikten Vorgaben des
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
ihre personelle Unbestimmtheit und vorherrschenden Legitimationsasymmetrien zwischen Betroffenen und Profiteuren einer Projektverwirklichung.398 Dahingegen geht das politikwissenschaftliche Demokratieverständnis von einem Dreiklang aus Input-, Throughput- und Output-Legitimation aus.399 Die Input-Seite beruht auf dem normativen Prinzip der Zustimmung der Beherrschten („government by the people“).400 Sie umfasst jene Mechanismen, die dazu führen, dass eine Entscheidung von den Präferenzen der Mitglieder einer politischen Gemeinschaft abgeleitet werden kann.401 Im partizipativen Kontext beinhaltet Input-Legitimation sowohl die Möglichkeit, vorgeschlagenen Maßnahmen zuzustimmen oder sie abzulehnen, als auch auf Entscheidungen über zur Disposition stehende politische Vorschläge Einfluss zu nehmen.402 Die Output-Legitimation beruht hingegen auf dem funktionalen Prinzip der Nützlichkeit (”government for the people”).403 Die OutputSeite nimmt die Ergebnisse eines Entscheidungsprozesses in den Blick.404 Legitimität kann schon allein dadurch erwachsen, dass ein Planungsverfahren mehrheitlich gewünschte bzw. tolerierte Resultate produziert.405 Zu diesen beiden klassischen Ausprägungen tritt eine weitere Komponente hinzu, welche Aspekte der Verfah-
Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG im Sinne einer „Effektuierung demokratischer Willensbildung“ relativierend, Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 79; für die „Entwicklungsoffenheit“ des Demokratieprinzips, vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 170. 398 Typischerweise wirken sich Großvorhaben über den überschaubaren Kreis von Betroffenen im verwaltungsverfahrensrechtlichen Zuschnitt hinaus aus. Folglich stimmen die Betroffenen nicht mit dem Personenkreis überein, welcher legitime politische Interessen zur Vorhabenverwirklichung besitzt. Somit ist die Betroffenheit inadäquat zur prozeduralen Gemeinwohlkonkretisierung, Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 563; vgl. auch Böhm, NuR 2011, S. 614, 617; Durner, ZUR 2011, S. 354, 361; Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 275; Wittreck, ZG 2011, S. 209, 218 f. 399 Grundlegend Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, S. 21 ff., der im Anschluss an die Systemtheorie verschiedene demokratie-theoretische Stränge danach ordnet, ob sie das politische System eher von der Seite der Inputs (artikulierte Interessen) oder der Outputs (verbindliche Entscheidungen) zu rationalisieren versuchen, vgl. näher Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 53 ff. m. w. N.; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 53; Fürst, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 49, 62. 400 Scharpf, in: Greven (Hrsg.), Demokratie – eine Kultur des Westens?, 1998, S. 81, 85 ff. 401 Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 240. 402 Haus/Heinelt, in: Haus/Heinelt/Egner u. a. (Hrsg.), Partizipation und Führung in der lokalen Politik, 2005, S. 15, 19. 403 Scharpf, in: Greven (Hrsg.), Demokratie – eine Kultur des Westens?, 1998, S. 81, 88 ff. 404 Näher hierzu Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 270 ff.; Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 27. 405 Vgl. Wewer, dms 2015, S. 295, 299; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 53; krit. Ludwigs, VERW (44) 2011, S. 41, 49; zur partizipativen Output-Legitimation durch Effektivität, vgl. Haus/Heinelt, in: Haus/Heinelt/Egner u. a. (Hrsg.), Partizipation und Führung in der lokalen Politik, 2005, S. 15, 19 f.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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rensgerechtigkeit adressiert (Throughput-Legitimation).406 Dies setzt voraus, dass Entscheidungsprozesse vom sozialen Umfeld zum einen inhaltlich nachvollzogen werden können. Zum anderen müssen Entscheidungen klar zurechenbar sein („accountability“), um die Leistung der handelnden politischen Akteure beurteilen zu können. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Verfahrensgestaltung ein legitimierender Eigenwert zugesprochen werden.407 d) Zwischenergebnis Ein ausschließlich am staatsrechtlichen Demokratiekonzept orientiertes Denken in ununterbrochenen Legitimationsketten stößt in den netzwerkartigen Strukturen eines Mehrebenensystems dann an seine Grenzen, wenn der Staat bewusst private Akteure in seine Entscheidungsprozesse einbezieht.408 Es ist gerade das weite politikwissenschaftliche Legitimationsverständnis auf das sich der Diskurs um Partizipationskonzepte bei der Endlagersuche stützt.409 Formelle Beteiligungsinstrumente wie Erörterungstermine, Auslegung von Unterlagen und Anhörungen, befriedeten den Konflikt um die Endlagersuche in der Vergangenheit nicht. Vielmehr haben sie – weil sie als unzureichend empfunden wurden – mit dem Vorwurf einer intransparenten Verfahrensgestaltung die Auseinandersetzungen geradezu befeuert.410 Die nachfolgende Darstellung legt demnach einen weiten Partizipationsbegriff 406 S. a. Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 54 f. 407 Haus/Heinelt, in: Haus/Heinelt/Egner u. a. (Hrsg.), Partizipation und Führung in der lokalen Politik, 2005, S. 15, 20 f.; in diese Richtung auch Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 258; Wewer, dms 2015, S. 295, 299; s. a. Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 55 mit einer Gleichsetzung zur von Niklas Luhmann vertretenen „Legitimation durch Verfahren“ (vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983). 408 S. a. Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 83 f.; zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Beteiligung pluralistischer Gremien im StandAG, vgl. Abschnitt D. IV. 5. 409 Sozialwissenschaftliche Konzepte politischer Partizipation fokussieren sich auf diese Demokratie-Perspektive und nehmen die Input- (höhere Beteiligung) und Output-Seite (bessere Politikergebnisse) in Blick, vgl. etwa Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 255 ff.; Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 242 ff.; Voss, in: dies. (Hrsg.), Internet und Partizipation, 2014, S. 9, 13 f.; für eine veränderte Sicht auf Öffentlichkeitsbeteiligung weg von vorgezogenem Rechtsschutz hin zu Mitgestaltung, vgl. Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1378; ähnlich Stomberg, Governance-Strukturen im Energierecht, 2019, S. 93 f.; allgemein zur legitimatorischen Funktion von Partizipation außerhalb staatlicher Institutionen Meine, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 193, 213. 410 I. d. R. Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 107, 109; krit. zu bisherigen Beteiligungsmöglichkeiten Blum, Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl eines Atommüllendlagers unter Berücksichtigung des Standortauswahlgesetzes, 2014, S. 23; vgl. weiterhin Durner, NuR 2019, S. 241, 243; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 53, 144 f.; Kersting/Roth, in: Holtkamp/ Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1149, 1156; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 333 f.; Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 282 f.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
zugrunde,411 der gerade neuartige Elemente und zusätzliche Angebote von Öffentlichkeitsbeteiligung in den Fokus nimmt. 2. Chancen und Ziele von Öffentlichkeitsbeteiligung Gerade bei Entscheidungen, die starke Interessenskonflikte hervorrufen, kann politische Partizipation vermittelnd und gewinnbringend eingesetzt werden.412 Eine funktionale Öffentlichkeitsbeteiligung wird nach gängiger Auffassung als zentrale Voraussetzungen für die Akzeptanz der getroffenen Entscheidung durch die Bevölkerung angesehen.413 Akzeptanz ist jedoch kein Selbstzweck. Vielmehr werden ihr weitere Effekte zugesprochen, die sich in einen demokratisch-legitimatorischen, ökonomischen und emanzipatorischen Kontext einordnen lassen und den Zielen von Öffentlichkeitsbeteiligung entsprechen.414 Der demokratische Aspekt adressiert die Aktivierung der Bevölkerung.415 Ziel deliberativer, also dialogorientierter Beteiligungskonzepte ist es, die Bürger frühzeitig in politische Prozesse einzubinden und mit den jeweiligen Entscheidungsträgern zusammenzubringen.416 Partizipation wird speziell im demokratischen Kontext ein Wohlfahrtseffekt zugeschrieben. Mit der Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten können verbindliche Entscheidungen eher im gemeinsamen als im partikularen Interesse erfolgen.417 Es besteht die Gelegenheit, öffentliche Debatten anzustoßen, mithilfe derer divergente Perspektiven und lokale Kenntnisse der Bevölkerung in den politischen Entscheidungsprozess eingebracht werden.418 Die Berücksichtigung der auf diese Weise erhaltenen Informationen erhöht zum einen die 411 Vgl. Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 70; zu den entsprechenden Funktionen von Beteiligung, vgl. Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 120 f. 412 Vgl. Spiess/Bättig/Carabias-Hütter u. a., GAIA 2019, S. 58 ff.; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 11; Steinberg, ZUR 2011, S. 340, 343; positiv zu deliberativdemokratischen Prozessen im Bereich des europäischen Energierechts Stomberg, GovernanceStrukturen im Energierecht, 2019, S. 88 f. 413 Zeccola, DÖV 2019, S. 100, 101; Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 257 ff.; Roßnagel/ Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 330; Bull, DÖV 2014, S. 897, 903; Schink, ZG 2011, S. 226, 231; anders und den Akzeptanzbegriff auf „Verfahrensakzeptanz“ begrenzend Peters, DVBl. 2015, S. 808, 813. 414 Für diese Kategorisierung, vgl. Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 97 f.; darauf bezugnehmend Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 84 ff. 415 S. a. Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 98; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 31; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; grundlegend Holtkamp/Bogumil/ Kißler, Kooperative Demokratie, 2006, S. 50 ff.; zur Aktivierung durch Information, vgl. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 13. 416 Vgl. Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 11; Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 255. 417 S. a. Mayntz, in: dies. (Hrsg.), Über Governance, 2009, S. 7, 11; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 84; ähnlich Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 70. 418 Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 283 f.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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inhaltliche Qualität einer Entscheidung und zum anderen die Repräsentativität (sog. deliberative Responsivität)419 und somit die Wahrscheinlichkeit, dass ein erzieltes Ergebnis von der Öffentlichkeit mitgetragen wird.420 In der ökonomischen Ausprägung fällt der Blick auf das Effizienzkriterium.421 Eine verbesserte Kommunikation zwischen den Beteiligten ermöglicht die Berücksichtigung verschiedener Interessen und damit eine bedürfnisgerechte Planung. Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen von Fachplanungen zielt daher nicht nur darauf ab, durch das Aufbrechen von Blockadehaltungen die grundsätzliche Realisierung eines Vorhabens zu erreichen. Vielmehr ist damit auch die Hoffnung verbunden, eine Verfahrensbeschleunigung (etwa durch eine geringere Anzahl an Rechtsschutzverfahren) zu erreichen422 und nicht zuletzt durch zusätzliche Informationsgewinnung die inhaltliche Entscheidung am Optimum auszurichten.423 Die emanzipatorische Funktion von Partizipation wird schließlich darin gesehen, bei den beteiligten Gruppen Lernprozesse anzustoßen.424 Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung können die Teilnehmer Fähigkeiten erwerben, die sie in den folgenden Standortfindungsprozess kontinuierlich einspeisen.425 Latent vorhandene Lernpotenziale wie Neugierde, Stolz auf eigene Erfahrungen und selbstbewusste Kommunikation unter Gleichgesinnten begünstigen bei Aktivierung das Entstehen eines „Wir-Gefühls“.426 Derart „emanzipierte“ Bürger sind eher in der Lage, Ver-
419 Grundlegend Dryzek, Political Theory 2001, S. 651; vgl. auch Pünder, VVDStRL (72) 2013, S. 193, 198 ff.; Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 136. 420 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 84 f.; Fink/ Ruffing, dms 2015, S. 253, 254; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 11; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 90; ähnlich Steinberg, ZUR 2011, S. 340, 343; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; grundlegend Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 372 f. 421 Instruktiv zu verschiedenen Effizienzkonzepten der Wirtschaftstheorie Ludwigs, Unternehmensbezogene Effizienzanforderungen im Öffentlichen Recht, 2013, S. 40 ff. m. w. N. 422 Vgl. Steinberg, FS Koch, S. 253, 256 f.; ders., ZUR 2011, S. 340, 343; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 586; krit. und auf den Zeitbedarf für Öffentlichkeitsbeteiligung hinweisend Zeccola, DÖV 2019, S. 100, 101; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771. 423 I. d. R. Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 70; vgl. auch Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 212. 424 Vgl. Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 98; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 84. 425 Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 31; ähnlich Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1156; Fink/Ruffing, dms 2015, S. 253, 255; krit. Böhm, GS Schmehl, S. 435, 440; i. d. R. auch Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 210. 426 Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 112; ähnlich unter dem Stichwort „Empowerment“ Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 31; krit. Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 17.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
ständnis für die Notwendigkeit eines Vorhabens zu entwickeln bzw. Zufriedenheit mit einer gemeinsam getroffenen Entscheidung zu empfinden.427 3. Anforderungen der Öffentlichkeitsbeteiligung Die mit dem Streben nach Akzeptanz verbundenen Ziele (erhöhten Realisierungswahrscheinlichkeit, Verfahrensbeschleunigung, Verständnis und im besten Fall Zufriedenheit) lassen sich allerdings nur erreichen, wenn das Partizipationskonzept eine Reihe von Anforderungen erfüllt. Die frühere Entsorgungspolitik hat nach der Ansicht vieler Betroffener an intransparenten Entscheidungswegen und Informationsdefiziten gekrankt.428 Die Notwendigkeit alternativer Beteiligungsmöglichkeiten wurde bereits im Jahr 2002 durch den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlager (AkEnd) als wesentliches Element für einen gelungenen Suchprozess identifiziert.429 Angesichts der anspruchsvollen Ziele sind die Anforderungen an ein Partizipationskonzept mannigfaltig. Einzelne Teilaspekte sollen nachfolgend in den Kategorien zeitliche und inhaltliche Voraussetzungen (a), Modus der Öffentlichkeitsbeteiligung (b) und Kompetenzen der Öffentlichkeit (c) vorgestellt werden. a) Zeitliche und inhaltliche Voraussetzungen Der zentrale Einwand gegen die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturvorhaben besteht darin, dass sie zu spät komme.430 Anhörungen und Erörterungstermine setzten zu einem Zeitpunkt an, zu dem die wesentlichen Entscheidungen bereits gefallen seien und der Öffentlichkeit kein Recht zur Mitentscheidung geboten werde.431 Beteiligungsmöglichkeiten müssten aber jedenfalls bereits im Vorfeld ir427 In diese Richtung Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 86; zum Aspekt des „Bürgersinns“ (Akzeptanz der Endlagerung durch Verantwortungsgefühl), vgl. Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 94 ff. 428 Vgl. mit beispielhaften Befragungsergebnissen Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 144 f. 429 Vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 54 ff.; zustimmend Ipsen, in: Hocke/ Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 109; ähnlich Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121; näher zum AkEnd bereits in Abschnitt B. IV. 1. 430 Vgl. Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 40 ff.; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 506; RossenStadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 71; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 330 f.; Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, 2012, S 176 f.; Nanz/Leggewie, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche – Gemeinsam mit den Bürgern!, 2013, S. 11, 18; Steinberg, ZUR 2011, S. 340, 344; Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1383; differenzierend Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 576; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771; krit. insb. hinsichtlich der förmlichen Beteiligungsinstrumente Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1156. 431 Vgl. etwa Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 145; Hofmann, JZ 2012, 701, 702 ff.; Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1087; Wulfhorst, DÖV 2011,
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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reversibler Entscheidungen bestehen.432 Diesem Mangel versuchte der Gesetzgeber durch die fakultative frühe Öffentlichkeitsbeteiligung des § 25 Abs. 3 VwVfG433 zu begegnen.434 Kennzeichen der Forderung nach frühzeitiger Beteiligung ist, die Öffentlichkeit schon zu einem Zeitpunkt in das Verfahren einzubinden und mit Artikulationsmöglichkeiten auszustatten, in dem endgültige Entscheidungen über Ob und Wie des Projekts noch nicht gefasst sind, sondern in der Tendenz noch offen stehen.435 Weiterhin sollte die Beteiligung umfassend erfolgen. Das bedeutet zum einen, dass alle Personen, Gruppen oder Regionen in den Beteiligungsprozess integriert werden.436 Zum anderen sind auch sämtliche Themenkomplexe zu erörtern.437 Eine frühzeitige und umfassende Beteiligung verliert ihren Nutzen allerdings, wenn sie nicht kontinuierlich fortgeführt wird.438 Nur auf diese Weise lassen sich die zuvor als „emanzipatorische Effekte“ beschriebenen Lernprozesse realisieren und effektiv nutzen. Einerseits profitiert die Entscheidungsqualität von während des Partizipationsverfahrens generierten Wissenstatbeständen. Andererseits bieten laufende Rückkopplungen die Gelegenheit den Verfahrensfortschritt zu überwachen. Im negativen Fall kann auf Fehlentwicklungen hingewiesen oder die unterbliebene S. 581, 582; zu den Grenzen von Mitentscheidungsrechten durch Öffentlichkeitsbeteiligung Blümel, FS Forsthoff, S. 9, 25. 432 Vgl. Klages/Vetter, Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, 2013, S. 46; krit. mit Blick auf die Systematik des Planfeststellungsverfahrens Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 576. 433 Eingefügt mit dem Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) v. 31.5.2013, BGBl. I S. 1388. 434 Die Regelung bezweckt, schon im Vorfeld der Antragstellung und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem das Projekt noch nicht endgültig durchgeplant ist, die Öffentlichkeit in das Verfahren einzubeziehen, mit dem Ziel Transparenz herzustellen. Der Öffentlichkeit soll damit Gelegenheit gegeben werden, auf die Gestaltung des Projekts Einfluss zu nehmen. Auf diese Weise könnten Konflikte im Zulassungsverfahren minimiert und mehr Akzeptanz erzeugt werden, vgl. Hendler, FS Koch, S. 269, 273 ff.; Lippert, ZUR 2013, S. 203, 211; Schmitz/Prell, NVwZ 2013, S. 745, 746; Ziekow, NVwZ 2013, S. 754, 754 f.; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 839; allgemein zur Notwendigkeit der frühzeitigen Beteiligung „Nicht-Betroffener“ Bimesdörfer/ Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 412 ff. 435 Lippert, ZUR 2013, S. 203, 210; Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1088; krit. hinsichtlich des fakultativen Charakters von § 25 Abs. 3 VwVfG, Schink, FS Jarass, S. 483, 495; Hendler, FS Koch, S. 269, 274 ff.; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 773; ähnlich Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1366. 436 Klages/Vetter, Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, 2013, S. 46 f.; krit. hinsichtlich der „utopischen“ Forderung nach einer Beteiligung aller Bürger Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 91. 437 Vgl. Steinberg, ZUR 2011, S. 340, 344; eine „umfassende“ Öffentlichkeitsbeteiligung in diesem Sinne deckt sich mit der nachfolgend erörterten „transparenten“ Verfahrensgestaltung. 438 Zur Bedeutung von Kontinuität der Beteiligungsformate Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 25; vgl. auch Drögemöller, Schlüsselakteure der EndlagerGovernance, 2018, S. 91, näher zu empirischen Befunden auf S. 139 ff.; Steinberg, ZUR 2011, S. 340, 345; krit. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771 f.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Berücksichtigung von Vorschlägen erklärt werden. Im positiven Fall stärken erzielte Zwischenergebnisse das Vertrauen in den kooperativen Beteiligungsprozess. Dies gewinnt umso größere Bedeutung, wenn zwischen der erstmaligen Konzeption eines Großvorhabens und der letztendlichen Verwirklichung große Zeiträume liegen.439 Bei einem mehrere Jahrzehnte umfassenden Realisierungsprozess wie der Endlagersuche werden sowohl auf Seiten der politischen Entscheidungsträger als auch bei den Betroffenen verschieden Generationen beteiligt sein, welche damit konfrontiert sind, sich Beiträge der „Elterngeneration“ zurechnen lassen zu müssen.440 b) Modus der Öffentlichkeitsbeteiligung Zur Überwindung bestehenden Misstrauens bedarf es aber nicht nur einer frühzeitigen und kontinuierlichen Einbindung, sondern auch einer transparenten und fairen Verfahrensgestaltung (Aspekt der Throughput-Legitimation).441 Nachprüfbare Informationen, transparente Kriterien und Verfahrensregeln bilden die Grundvoraussetzung für ein vertrauensvolles Beteiligungskonzept.442 Eine Kernkomponente stellt die Zugänglichkeit von Informationen dar.443 Diese müssen der Öffentlichkeit zeitnah und umfassend zur Verfügung gestellt werden.444 Weder (vermeintlicher) Zeitdruck noch „Überrumpelungsstrategien“ seitens der Vorhabenträger rechtfertigen eine Vernachlässigung der Informationspolitik.445 Zur Sicherung des Vertrauens
439 Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 108 f.; krit. zum Zeitbedarf umfassender Partizipationskonzepte Holtkamp, in: Holtkamp/ Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 134 f.; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 505. 440 Näher zur Problematik Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1087 f. m. w. N.; vgl. auch Durner, NuR 2019, S. 241, 251. 441 Statt vieler Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120; Böhm, GS Schmehl, S. 435, 441; Lippert, ZUR 2013, S. 203, 206; Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 137 f.; explizit zur Endlagersuche Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 90 f.; Gallego Carrera, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche – Gemeinsam mit den Bürgern!, 2013, S. 99 ff. 442 Insofern von einer „effektiven Risikokommunikation“ sprechend Renn/Gallego Carrera, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 85, 91; vgl. weiterhin Jahnke/Liebe/Dobers, ZfU 2015, S. 367, 370 f.; Schink, ZG 2011, S. 226, 243 ff.; Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 109 f.; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332; vgl. auch zur Erwartungshaltung der Befragten Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 143 f., 170 ff. 443 S. a. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 13, zu den verschiedenen Informationsangeboten in der Startphase der Endlageruntersuche, vgl. S. 14 ff. 444 Vgl. Nanz/Leggewie, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche – Gemeinsam mit den Bürgern!, 2013, S. 11, 18. 445 Vgl. Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 135; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 553; Ipsen, in: Hocke/ Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 110.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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in ein faire Verfahrensdurchführung wird zudem eine Trennung von Entscheidungsbehörde und Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung gefordert.446 Zur Gewährleistung von Transparenz bietet sich als Modus der Öffentlichkeitsbeteiligung der Dialog an.447 Dieser für Deliberation typische Ansatz weicht von tradierten Konzepten dahingehend ab, dass nicht über einzelne (Informations-) Veranstaltungen oder Beteiligungsschritte (etwa Anhörungen oder Erörterungstermine) die Akzeptanz eines fertigen Verfahrens erhöht werden soll. Vielmehr bezweckt der Dialog einen Abgleich von Interessen und die Herstellung von gemeinsam getragenen Wahrnehmungen und Bewertungen. Maßgeblich ist gerade die Gleichwertigkeit von These und Antithese.448 Bestehende Konflikte bieten somit die Chance zur Gewinnung besserer Einsichten über unterschiedliche Standpunkte, aber auch über grundsätzliche Übereinstimmungen in der Sache und deren Bewertung.449 Die Initiierung breiter gesellschaftlicher Diskussionsprozesse zu entsorgungsrelevanten Fragestellungen kann eine kontroverse und fruchtbare gesellschaftliche Debatte in Gang setzten. Ein solcher Diskurs sollte sich wiederum positiv auf die als zu gering wahrgenommenen Wissensbestände auswirken, das öffentliche Problemund Verantwortungsbewusstsein evozieren und somit gerade gesellschaftliche Lernprozesse und bürgerschaftliches Engagement fördern.450 Orientierungsmaßstab für Partizipationskonzepte sind weiterhin die Voraussetzungen der Ergebnisoffenheit und Rationalität.451 Die zugedachten Funktionen der Aktivierung der Bevölkerung und der Informationseinspeisung bedingen eine mit Spielräumen ausgestattete Öffentlichkeitsbeteiligung.452 Sofern gesetzliche Bindungen bestehen und Vorentscheidungen auf übergeordneter Ebene getroffen wurden, die nicht mehr in Frage gestellt werden können, sind Vorwürfe des „parti446 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 283; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 511 ff.; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 838; Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1380; a. A. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 773 f.; krit. zur Nähe von Vorhabenträger und Entscheidungsbehörde als Vertrauenshemmnis Erbguth, DÖV 2012, S. 821, 825; vgl. auch Durner, ZUR 2011, S. 354, 359 f. 447 S. a. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 13, 20 ff.; allg. Hildebrand/Rau/ Schweizer-Ries, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 195, 196; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 31 ff.; vgl. weiterhin zum „analytisch-deliberativen Diskurs“ Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 284. 448 Vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 54. 449 Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 109 f. 450 Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 150 f. 451 Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1159; Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 18; Renn/ Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 283; so bereits AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 61. 452 S. a. Peters, DVBl. 2015, S. 808, 813; Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1088; Franzius, GewArch 2012, S. 225, 235; vgl. auch Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 18; Nanz/Leggewie, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche – Gemeinsam mit den Bürgern!, 2013, S. 11, 18.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
zipatorischen Feigenblatts“ oder der „Alibiveranstaltung“453 gerechtfertigt. Ein zentraler Schlüssel zum Erfolg von Öffentlichkeitsbeteiligung besteht zudem darin, Themenbereiche, Nutzen sowie Konsequenzen und damit zugleich die Grenzen eines Beteiligungsverfahrens von Anfang an aufzuzeigen.454 Bereits im Vorfeld ist klarzustellen, was mit den Ergebnissen eines Beteiligungsformats für den weiteren Planungsprozess geschieht.455 Weiterhin ist eine kontinuierliche Kommunikation nach außen, sowohl an noch nicht Beteiligte wie auch an die betroffenen Entscheidungsträger zu sichern.456 Diese Kommunikation gewinnt insbesondere unter dem Aspekt einer Mobilisierung der interessierten Öffentlichkeit – möglichst bereits in vorgelagerten Planungsebenen – an Bedeutung.457 Essenziell ist zudem, dass eine faire Verteilung von individuellen Kompetenzen gegeben ist.458 Zur Ermittlung von sicherheitstechnisch geeigneten Lagerstätten war die Endlagersuche bislang von technisch- bzw. naturwissenschaftlichem Sachverstand geprägt. Mit der Einführung neuer Partizipationskonzepte treten zusätzlich Wissenschaftler aus dem Bereich der Sozial- und Kommunikationswissenschaften in den Beteiligungsprozess ein. Es besteht daher eine doppelte Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement aufgrund fehlenden Hintergrundwissens fehlgeleitet bzw. ausgebremst wird. Einerseits kann eine unzureichende Informations- und Wissensbasis dazu führen, dass einzelne Themen als solche über- oder unterbewertet und die mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle verbundenen Gefahren falsch eingeschätzt werden.459 Andererseits kann der Eindruck, dass bereits ausreichend sachkundige Akteure um eine Problemlösung ringen, die grundsätzliche Beteiligungsbereitschaft untergraben.460 Um den Bürgern im Verfahren eine faire Position und eine Kommunikation auf Augenhöhe zu ermöglichen, sind Maßnahmen zu treffen, 453
Für die Zitate Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362. Vgl. Brans/Ferraro/Estorff, The OECD Nuclear Energy Agency’s Forum on Stakeholder Confidence, radioactive waste management and public participation, 2015, S. 11; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 60; Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1159; Renn/Köck/ Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 285; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 586; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 32; Durner, ZUR 2011, S. 354, 361; vgl. auch Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 17; Klages/Vetter, Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, 2013, S. 120 ff. 455 S. a. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770. 456 Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 33; allg. zur Bedeutung von Kommunikation im Beteiligungsprozess Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 586 ff.; Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1379. 457 Näher hierzu Guckelberger, VerwArch 2012, S. 31, 61; s. a. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 586. 458 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 55; mit empirischen Nachweisen zur Erwartungshaltung, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 162 ff.; grundlegend zur Voraussetzung von Sachwissen zur demokratischen Betätigung Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 70. 459 Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 145 f. 460 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 147 f. 454
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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die dem Kompetenzgefälle zwischen Experten und Bürgern entgegenwirken.461 Zur Qualifizierung persönlicher Kompetenzen bieten sich unter anderem die Formate des 21st Century Town Meeting (moderne Form der Bürgerversammlung) und des Appreciative Inquiry (Identifizierung von Best-Practice-Methoden) an.462 c) Entscheidungskompetenzen der Öffentlichkeit Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg deliberativer Beteiligungsformate ist, dass die Bürger darauf vertrauen können, dass sich ihre Teilnahme lohnen wird.463 Reine Informationsveranstaltungen gewähren noch keine partizipative Einflussnahme. Diese setzt erst dort an, wo durch die Formate der Öffentlichkeitsbeteiligung ein Input für den weiteren Planungsprozess geliefert wird.464 Der Fokus liegt somit auf den Mitentscheidungsbefugnissen der Öffentlichkeit (z. B. Veto-Rechte oder Abstimmungen). Insbesondere deren Umfang465 und Reichweite stehen in der Diskussion.466
461 Vgl. Hildebrand/Rau/Schweizer-Ries, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 195, 204 f.; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 31, 33; Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 110. 462 Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 121, näher zu den beiden Formaten auf S. 36 ff. und 39 ff.; für eine beispielhafte Aufzählung weiterer Qualifizierungsmaßnahmen, vgl. Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 335 f. 463 Vgl. Klages/Vetter, Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, 2013, S. 42; Lippert, ZUR 2013, S. 203, 210; Erbguth, DÖV 2012, S. 821; s. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 90. 464 Peters, DVBl. 2015, S. 808, 811; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1364; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 32; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332; s. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 241; grundlegend zur herausfordernden Einbindung deliberativer Prozesse in die liberal-repräsentative Demokratie Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 135. 465 Grundlegend zu unterschiedlichen Formen von Partizipation anhand der „Beteiligungsleiter“ Arnstein, JAIP 1969, S. 216, 217; zur Rezeption, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 90; Peters, DVBl. 2015, S. 808, 811; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 23; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 15 f. 466 Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770; Möstl, VVDStRL (72) 2013, S. 355, 380 ff.; Durner, ZUR 2011, S. 354, 361; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 28 f.; ders., GewArch 2011, S. 273, 278; Franzius, GewArch 2012, S. 225, 235 f.; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359; Wittreck, ZG 2011, S. 209, 221 ff.; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 585 f.; für Veto-Rechte: Röscheisen, Anhörung Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 in Berlin, KDrs. 54, 31.10.2014, S. 2 f.; krit. zur Diskrepanz von erhöhtem Verwaltungsaufwand und faktisch nicht erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeiten Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 248; dahingehend mit dem StandAG die Standortentscheidung auf „die Gesellschaft“ übergehend sehend Kersten, aviso 3/2016, S. 20, 22.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Die übergeordnete Idee einer Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen besteht in der Übernahme von Verantwortung.467 Es geht somit nicht nur darum, seine eigenen Interessen in die Planung einzuspeisen, sondern zusätzlich langfristige, nachhaltige und allgemeine Interessen zu berücksichtigen und sich somit in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.468 In der Idealvorstellung wird der einzelne Teilnehmer zum Mitgestalter des Verfahrens und Bestandteil der Entscheidungsstruktur. Ein aus dieser Rolle entstehendes Verantwortungsgefühl kann den rationalen Diskurs fördern469 und bestehende Konfliktlinien einebnen. Angesichts der überkommenen Konfliktpositionen gibt es zudem Überlegungen, eine Akzeptanzsteigerung durch den Einsatz direktdemokratischer Instrumente zu fördern.470 Insbesondere aus einer Misstrauenskultur heraus erwachsen Wünsche nach möglichst weitreichenden Mitentscheidungsmöglichkeiten. Zur Erzielung eines „gesellschaftlichen Konsens“ in der Frage der Lagerstätten wird beispielsweise ein Vetorecht für betroffene Standortregionen gefordert.471 Denkbar sei weiterhin die Abstimmung über administrativ ausgearbeitete Pläne oder über die konkrete Vorhabenzulassung.472 Wenn die abschließende Entscheidung über einen Endlagerstandort von der Bevölkerung getroffen wird, könne auf diese Weise überprüft werden, ob ein ggf. „von Massenmedien, Wutbürgern und Internetforen inszenierte(r) Bürgerprotest wirklich eine Mehrheit im Volk hinter sich hat.“473 Eine Schwächung der Parlamente sei damit nicht verbunden. Zumindest solange es eine Ausnahme bleibe – was für die Entscheidung um einen Endlagerstandort unstreitig ist – und die kontinuierliche Politikverwirklichung nicht in Frage gestellt wird, böte 467 Instruktiv Schuler-Harms, VVDStRL (72) 2013, S. 417, 444 ff. m. w. N.; Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 17 f.; dies mit dem Begriff „Bürgersinn“ fassend Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 95 ff.; krit. mit Verweis auf den „reziproken Verlust der Verantwortung bei den planenden Entscheidungsträgern Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 28. 468 Zur Bedeutung gesellschaftlicher Verantwortung für den Beteiligungsprozess, vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 56, 60 f.; vgl. auch Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 18. 469 Zum Legitimitätsgewinn durch das „Säurebad des öffentlichen Diskurses“, vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 67. 470 Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 529 ff.; s. a. Simeon/Cameron, in: Bakvis/Skogstad (Hrsg.), Canadian federalism, 2002, S. 278, 289; vgl. wenngleich krit. Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 277 f.; überwiegend krit. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 57; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III § 34 Rn. 25; zum Nutzen direktdemokratischer Elemente für eine nachhaltige Entwicklung, vgl. Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, S. 58 ff.; ders., EurUP 2017, S. 272, 276 ff., 289. 471 Für das Zitat Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 19; Röscheisen, Anhörung Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 in Berlin, KDrs. 54, 31.10.2014, S. 2 f.; krit. Bull, DVBl. 2015, S. 593, 596. 472 S. a. wenngleich krit. Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 28 ff.; ähnlich Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 531 ff. 473 Für das Zitat Möstl, VVDStRL (72) 2013, S. 355, 371; vgl. auch Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2012, S. 34.
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direkte Demokratie die Chance, eine rein negative Protesthaltung in eine positive Gestaltungsoption umzumünzen und ihr so die delegitimierende Wirkung zu nehmen.474 Plebisziten wird somit allgemein eine Befriedungsfunktion zugeschrieben.475 d) Wertende Zusammenfassung Die Endlagersuche als komplexes Infrastrukturvorhaben litt in der Vergangenheit an einem als autokratisch beschriebenen Politikstil, der zu einer längeren Paralyse der Problembearbeitung führte.476 Zur Generierung eines sozialverträglichen bzw. gesellschaftlich akzeptablen Politikergebnisses sind daher veränderte Kommunikationsbedingungen gefordert, bei denen Elemente formeller und informeller477 Beteiligung verknüpft werden.478 Für derartige Partizipationskonzepte bestehen vielfältige Erfolgsbedingungen, um das übergeordnete Ziel von Akzeptanz zu erreichen. In zeitlicher Hinsicht müssen Beteiligungsangebote frühzeitig ansetzen und sind kontinuierlich fortzuführen.479 Zudem sollten Maßnahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung umfassend und transparent ausgestaltet sein. Als Modus bietet sich der Dialog an. Derartige Kommunikation auf Augenhöhe erlaubt Lernpotenziale in der Gesellschaft auszuschöpfen und den Wissenstransfer in alle Richtungen anzuregen. Grundvoraussetzung für dialogorientierte Kommunikationsmodelle ist allerdings wechselseitiges Vertrauen. Dazu bedarf es einer klaren Festlegung über Chancen, Ziele, aber auch Grenzen der Beteiligungsformate. Dies beinhaltet – und das ist von essenzieller Bedeutung – eine verständliche Aussage zum Umfang der Mitbestimmungsbefugnisse der Öffentlichkeit.480 Akzeptanzgenerierende Partizipation setzt einen gewissen Grad der Einflussnahme auf die Vorhabenplanung voraus. Weitgehende Forderungen reichen bis zu Veto-Rechten für Betroffene und eine direktdemokratische
474
Möstl, VVDStRL (72) 2013, S. 355, 373. Vgl. etwa Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 17; ders., DÖV 2014, S. 897, 903; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 585; krit. Böckenförde, HdbStR III, § 35 Rn. 4, 48. 476 Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 58, 144, 234. 477 Unter informeller Beteiligung versteht man solche Formen, die über die gesetzlich festgelegten Maßnahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung hinausgehen, vgl. Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 34 m. w. N.; Gawron, NuR 2014, S. 21. 478 Zur Kategorisierung in formelle und informelle Beteiligungsformate, vgl. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 9; weiterhin Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 53, 59; Nanz/Leggewie, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche – Gemeinsam mit den Bürgern!, 2013, S. 11, 17 f.; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 246. 479 Statt vieler Steinberg, ZUR 2011, S. 340, 344; skeptisch zur Befriedungsfunktion Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834; Versteyl, I+E 2011, S. 89, 90. 480 Ebenso und dezidiert krit. zur vom StandAG 2017 propagierten Rolle der Öffentlichkeit als „Mitgestalter des Verfahrens“ Durner, NuR 2019, S. 241, 249 f. 475
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Abstimmung zur abschließenden Standortentscheidung.481 Unstreitig bieten solche Abstimmungen über Großprojekte eine gute Möglichkeit, frühzeitig eine breite öffentliche Diskussion über Kosten und Nutzen von Großprojekten durchzuführen.482 Die Zulässigkeit paritätischer Mitentscheidung erscheint hingegen wegen des Grundsatzes der repräsentativen Demokratie fraglich.483 Das Grundgesetz selbst sieht direktdemokratische Elemente mit Ausnahme der Territorialplebiszite (Art. 29 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, Art. 118 und 118a GG) sowie Art. 146 GG nicht vor.484 Die Rückführbarkeit staatlicher Entscheidungen auf den Willen des Staatsvolkes darf nicht durch zwischengeschaltete Entscheidungsbefugnisse von Gruppen oder Gruppenrepräsentanten unterbrochen werden.485 Die direkte Mitbestimmung ist daher schon verfassungsrechtlich auf die in den Landesverfassungen und auf kommunaler Ebene vorgesehenen Instrumente beschränkt.486 Prekär erscheint es weiterhin, wenn die für eine Demokratie essenzielle formale Institutionalisierung der Willensbildung schleichend aufgelöst wird.487 Volksentscheide verfügen strukturell weder über professionelle Akteure noch über Fraktionsdisziplin. Fehlende Motivation, mangelnde Verantwortungsbereitschaft und die Verfolgung partikularer Interessen sind grundsätzlich problematisch.488 Eine Ag-
481
Vgl. etwa Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359. Vgl. Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 38 f.; Groß, DÖV 2011, S. 510, 515; für den „Eigenwert“ deliberativer Demokratie Kahl, EurUP 2017, S. 272, 289. 483 Instruktiv Schuler-Harms, VVDStRL (72) 2013, S. 417, 438 ff. m. w. N.; näher zum Vorrang der repräsentativen Demokratie und den Grenzen der Volksrechte Möstl, VVDStRL (72) 2013, S. 355, 361 ff.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 109 Rn. 37; zu Grenzen gesellschaftlicher Mitentscheidung aus Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 67. 484 Statt vieler Böckenförde, HdbStR III, § 35 Rn. 20 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 112; für eine prinzipielle Zulässigkeit nach Verfassungsänderung Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 106 ff.; Bull, DVBl. 2015, S. 593, 597; Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1088; vgl. auch Guckelberger, VerwArch (106) 2015, S. 155, 172; für die Zulässigkeit hingegen Meyer, JZ 2012, S. 538, 542 f. 485 Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen direkter Demokratie, vgl. Di Fabio, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 60; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 109 Rn. 37 mit Verweis auf NRWVerfGH, Urt. v. 15.9.1986, DVBl. 1986, S. 1196 Rn. 8; zum Auseinanderfallen von Einwendern im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung und dem Legitimationssubjekt „Volk“, vgl. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 531 f.; Durner, ZUR 2011, S. 354, 361; Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 278. 486 Vgl. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 530; allgemein Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 354 f.; zu Plebisziten auf Länderebene, vgl. Böckenförde, HdbStR III, § 35 Rn. 29 ff.; für eine Übersicht zu verschiedenen Regelungen Lühr, Die Öffentlichkeitsbeteiligung als Instrument zur Steigerung der Akzeptanz von Großvorhaben, 2017, S. 36 ff.; speziell zum Volksentscheid über den Flughafen Tegel, vgl. Ziekow, FS Erbguth, S. 81 ff. 487 So etwa Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 279. 488 Vgl. die Darstellung bei Kahl, EurUP 2017, S. 272, 277 f. m. w. N.; vgl. weiterhin Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 531 f.; Durner, ZUR 2011, S. 354, 361; Gärditz, 482
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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gregation des Gemeinwohls lässt sich bei Abstimmungen nicht einfach unterstellen.489 Solche Prozesse erweisen sich vielmehr als ereignis- und kampagnenanfällig.490 Die Abstimmungsergebnisse sind mitunter zufallsgeprägt.491 Hinzu kommt, dass die anspruchs- und voraussetzungsvolle Mechanik der planerischen Abwägung ausgehebelt würde, wenn deren Ergebnis nachgelagert einer schlicht voluntativen Abstimmung nach dem binären Ja-Nein-Schema unterworfen wird.492 Ähnlich verhält es sich mit der Schwierigkeit, den komplexen Abwägungsgegenstand adäquat in einen abstimmungsfähigen Textvorschlag zu komprimieren.493 Vor dem Hintergrund des zuvor geschilderten Effektivitäts- und Demokratiedilemmas494 mag der Wunsch nach Veto-Rechten und direktdemokratischer (Mit-)Entscheidung einer akzeptanzsteigernden Betonung der Legitimationsseite entspringen.495 Jedoch bestehen einerseits nicht unerhebliche Friktionen mit dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Andererseits verschiebt sich angesichts der Gefahr einer möglichen Totalablehnung des Vorhabens das Gleichgewicht zu Lasten der Effektivitätsseite.496 Eine Abstimmung über die abschließende Standortentscheidung ist daher sowohl aus verfassungsrechtlicher Sicht als auch aus Effektivitätsgesichtspunkten nicht zielführend.497
GewArch 2011, S. 273, 278; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 274, 290; Crouch, Postdemokratie, 2008, S. 10 489 Zum „Paradox des rationalen Wählers“, vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 404; deutlich krit. auch Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2012, S. 80; Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 141 f.; gegen Abstimmungen bei Planungs- und Zulassungsverfahren Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120. 490 Böckenförde, HdbStR III, § 35 Rn. 48; krit. zur Abstimmung über die Anlagenzulassung von Großvorhaben Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 531 f.; ähnlich Knauff, DÖV 2012, S. 1, 3; Hien, UPR 2012, S. 128, 130 f.; zur Einordnung als „Prämie für Demagogen“ nach Theodor Heuss, vgl. Kahl, EurUP 2017, S. 272, 277. 491 Schuler-Harms, VVDStRL (72) 2013, S. 417, 447. 492 So etwa Kahl, EurUP 2017, S. 272, 278 f.; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29; Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1385; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 585; Versteyl, I+E 2011, S. 89 f.; Ewer, NJW 2011, S. 1328, 1331. 493 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 65; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29; ders., GewArch 2011, S. 273, 277 f.; Durner, ZUR 2011, S. 354, 361. 494 Siehe Abschnitt C. III. 4. 495 S. a. Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, S. 58 ff.; ders., EurUP 2017, S. 272, 282. 496 In diese Richtung auch Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770 f.; zum Missbrauch als Blockade- und Misstrauensinstrumente, vgl. auch Kahl, EurUP 2017, S. 272, 279 f. 497 Vgl. auch Durner, NuR 2019, S. 241, 250; Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 531 f.; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 28 f.; ders., GewArch 2011, S. 273, 278; Bull, DÖV 2014, S. 897, 903; Schink, DVBl. 2011, S. 1377, 1385; grundlegend: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 20; ders., HdbStR III, § 35 Rn. 48 f.; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 374 ff.; zum Unterschied von „Teilhabe“ und „Mitentscheidung“, vgl. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
4. Herausforderungen und Risiken von Partizipation Generell bestehen hohe Ansprüche an eine frühzeitige und aktive Öffentlichkeitsbeteiligung.498 Die Kombination des ambitionierten Ziels Entscheidungsakzeptanz mit dem umfangreichen Kanon von Anforderungen an das Beteiligungskonzept birgt vielfältige Herausforderungen und erzeugt eine hohe Erwartungshaltung.499 Der Erfolg von Öffentlichkeitsbeteiligung hängt einerseits davon ab, die spezifischen Herausforderungen zu meistern, die sich zum Teil aus Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Elementen des Anforderungskatalogs ergeben (a). Andererseits gilt es sich die Risiken zu vergegenwärtigen (b), die entstehen, wenn die zuvor skizzierten Standards nicht eingehalten werden.500 Die Unzufriedenheit von Betroffenen beim Auseinanderfallen von Beteiligungserwartungen und Beteiligungsmöglichkeiten501 findet mit dem Etikett der Partizipationsverflechtungsfalle eine treffende Skizzierung. a) Hürden für erfolgreiche Öffentlichkeitsbeteiligung Als Schwachstelle bestehender und früherer Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren wurde gerade der (zu späte) Zeitpunkt kritisiert.502 Der Gesetzgeber hat diesbezüglich insbesondere im Hinblick auf Planungsverfahren mit der Einfügung des § 25 Abs. 3 VwVfG503 reagiert. Zeitlich vorgelagerte Partizipationsangebote ebnen allerdings keineswegs einen direkten Weg zum Ziel vollständiger Akzeptanz.504 Eine
498 Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 237; Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 108. 499 Die konsensuale Einigung bei umweltpolitischen Standortkonflikten als „strukturell weitgehend ausgeschlossen“ bezeichnend Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 134; allgemein zur Herausforderung der deliberativen Demokratie, vgl. Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 132, 135 ff.; instruktiv zu den Konfliktursachen bei Endlagerstandorten Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 39 ff. 500 Vgl. Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1156; zum Beispiel Stuttgart 21: Kersting/Woyke, Vom Musterwähler zum Wutbürger?, 2012, S. 89, 97 ff.; Heselhaus, FS Koch, S. 297, 300 f. 501 Vgl. hierzu auch Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 248; Peters, DÖV 2015, S. 629, 635, 637. 502 Näher hierzu bereits in Abschnitt C. IV. 3. a). 503 Eingefügt mit dem Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) v. 31.5.2013, BGBl. I S. 1388. 504 Die konsensuale Einigung bei umweltpolitischen Standortkonflikten als „strukturell weitgehend ausgeschlossen“ bezeichnend Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 134.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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frühe Öffentlichkeitsbeteiligung sieht sich vielmehr ihrerseits mit spezifischen Hürden konfrontiert.505 An erster Stelle ist das sog. Beteiligungsparadoxon zu nennen.506 Dies besagt, dass die übergeordneten Planungsstufen, auf welchen noch viele Einflussmöglichkeiten für die Öffentlichkeit bestehen, zu abstrakt und wenig greifbar sind. Demensprechend fehlt es an einer für die aktive Beteiligung relevanten konkreten Betroffenheit.507 Selbst wenn ein Angebot zur Mitwirkung existiert, besteht deshalb nur eine geringe Teilnahmebereitschaft.508 Zum Zeitpunkt, an dem ein Vorhaben für die Bevölkerung durch Vorarbeiten äußerlich wahrnehmbar wird (sog. „Bulldozer-Effekt“),509 ist der Einfluss trotz nunmehr großer Betroffenheit nur noch gering.510 Als Konsequenz droht Frustration auf Seiten der Bevölkerung.511 Das Beteiligungsparadoxon zeigt sich als eine Seite der Problemmedaille, der durch Aktivierungsmaßnahmen zu begegnen ist. Gelingt eine solche Mobilisierung, verstärkt sich allerdings gleichsam als Gegenstück ein weiteres strukturelles Defizit früher Öffentlichkeitsbeteiligung. Möglichkeiten einer Teilhabe auf vorgelagerten Planungsstufen geben den Bürgern nicht zwangsläufig zu erkennen, zu welchem Zeitpunkt ihre Argumente Gehör finden.512 Sofern von ihnen zu Beginn konkrete Punkte vorgebracht werden, welche erst deutlich später entscheidungsrelevant werden, finden diese (richtigerweise) keinen Eingang in das Verfahren. Das kann den Eindruck vermitteln, dass man die Teilnehmer mit ihren Bedenken nicht ernst nimmt.513 505 Vgl. etwa Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 576; krit. zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung aufgrund des fakultativen Charakters Schink, FS Jarass, S. 483, 495; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 773. 506 Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 330; identisch, allerdings den Begriff „Partizipations-Paradoxon“ gebrauchend Heselhaus, FS Koch, S. 297, 303. 507 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 246; Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 119; Lippert, ZUR 2013, S. 203, 210; Köck/Salzborn, ZUR 2012, S. 203, 204. 508 S. a. zur aktuellen Bestandsaufnahme BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 14. 509 Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 145; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 582; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771, der die Wortschöpfung Ortwin Renn zuschriebt; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 246. 510 Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120; Lippert, ZUR 2013, S. 203, 210; Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1083; Durner, ZUR 2011, S. 354, 359; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 582. 511 Vgl. Hildebrand/Rau/Schweizer-Ries, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 195, 205; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332. 512 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 247; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 577; Calliess/ Dross, JZ 2012, S. 1002, 1003; vgl. auch Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771; Erbguth, DÖV 2012, S. 821, 823; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 582; vgl. zum Stromnetzausbau Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 144 ff.; ders., dms 2015, S. 273, 282. 513 S. a. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 577; vgl. auch Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 333 f.; Böhm, GS Schmehl, S. 435, 440; ähnlich mit empirischen Nach-
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Diesem Themenbereich sind auch Herausforderungen zuzurechnen, welche sich aus grundsätzlichen, Ebenen bedingten Informationsasymmetrien ergeben. Insbesondere bei lokalen Beteiligungsprozessen zeigt sich, dass nicht verfahrensrelevante Ablehnungsgründe vorgetragen werden, welche aus Gründen der Verfahrenslogik ausscheiden müssen.514 Im Zusammenhang mit der Förderung der Erneuerbaren Energien bildet beispielsweise die energiesystemabhängige Bedarfsfrage einer Trasse oder einer Erzeugungsanlage ein zentrales Element.515 Bei der Endlagersuche sollte zwar nicht der grundsätzliche Bedarf in Frage gestellt werden.516 Gleichwohl könnten aber Diskussionen um den Wirtsgesteinstyp oder ein Sicherheitskonzept entstehen. Derartige Fragen berühren freilich die Bürger vor Ort, sind aber bereits auf vorgelagerten Stufen entschieden worden. Dies kann wiederum zu Frustration und zu einer Diskreditierung der Beteiligungsprozesse führen, da der Eindruck entsteht, es sei keine Mitbestimmung möglich.517 An diesem Beispiel veranschaulicht sich erneut eine spezifische Dimension der Endlagersuche als Mehrebenen-Problem.518 Allen bisher genannten Punkten lässt sich durch eine transparente und informative Ausgestaltung des Beteiligungsprozesses begegnen.519 Dementsprechend bedarf eine qualitativ hochwertige Bürgerbeteiligung einer Vielzahl an Ressourcen zur Planung, Organisation, Durchführung aber auch zur Teilnahme.520 Neben fachlicher und methodischer Kompetenz wird von der interessierten Öffentlichkeit ebenfalls ein gewisses Maß an Zeit und finanziellen Mitteln einzukalkulieren sein.521 Diese Ressourcen sind zum einen nicht flächendeckend vorhanden.522 Zum anderen ist
weisen zum Beteiligungsprozess beim Ausbau der Flughafen Frankfurt/Main Gaentzsch, in: Dolde (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, 2010, S. 219, 233 f. 514 Krit. Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 17 f. 515 Vgl. Hildebrand/Rau/Schweizer-Ries, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 195, 206. 516 Vgl. etwa Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 108. 517 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 247. 518 S. a. Hildebrand/Rau/Schweizer-Ries, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 195, 206. 519 Vgl. etwa Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 335 f. 520 Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 108 f.; krit. zum Zeitbedarf umfassender Partizipationskonzepte Holtkamp, in: Holtkamp/ Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 134 f.; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 505. 521 Vgl. Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 132; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 87; Bauer, dms 2015, S. 273, 276 f.; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 31; für eine gesteigerte Ressourcenausstattung durch Bereitstellung öffentlicher Mittel, vgl. Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 173. 522 Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 136; Kersting/Woyke, Vom Musterwähler zum Wutbürger?, 2012, S. 25 f.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
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nicht jede Akteursgruppe auch gleichermaßen gewillt, diese einzusetzen.523 Hieraus resultiert potenziell eine elitäre Beteiligungsstruktur,524 was den Erhalt repräsentativer Partizipationsergebnisse gefährdet.525 Während die bisher vorgestellten Phänomene die Bereitschaft der Öffentlichkeit zu einer konsensualen Entscheidungsfindung unterstellen, sehen sich Partizipationskonzepte einer weiteren Kategorie an Herausforderungen ausgesetzt. Diese ergibt sich aus einer konfrontativen Grundeinstellung der Teilnehmer.526 Auf Seiten der organisierten Interessenvertreter (z. B. Umweltverbände oder lokale Bürgerinitiativen) ist oftmals nur eine geringe Kompromiss- oder Einigungsbereitschaft festzustellen.527 Ursächlich hierfür ist zum einem, dass Standortkonflikte für Bürgerinitiativen häufig Nullsummenspiele darstellen, die durch Kompensation nicht in Winwin-Situationen transformiert werden können.528 Die Agenda einer lokalen Interessengruppe ist als Ausprägung des NIMBY-Syndroms529 häufig auf Verhinderung des Vorhabens ausgerichtet.530 Eine Projektrealisierung bedeutet demnach unabhängig von der konkreten Ausgestaltung und etwaigen Zugeständnissen eine Niederlage.531 523 Vgl. Hildebrand/Rau/Schweizer-Ries, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 195, 205; krit. zur Agenda von Bürgerinitiativen Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 135 f. 524 Instruktiv Schäfer, Der Verlust politischer Gleichheit, 2015, S. 187 ff.; vgl. auch Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 410; Papadopoulos, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 225, 229; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 274, 289; differenzierend in der Beurteilung Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 531; Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 99. 525 S. a. Pünder, VVDStRL (72) 2013, S. 193, 251 f. 526 Zu begrenzten Akzeptanzchancen von Großvorhaben, vgl. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 508 f.; zur unmöglichen Befriedung ethischer Fundamentalkonflikte, vgl. ebenda S. 509 (Fn. 36); Böhm, GS Schmehl, S. 435, 441; Groß, DÖV 2011, S. 510, 513; instruktiv zu den Konfliktursachen bei Endlagerstandorten Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 39 ff. 527 Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 135; Steinberg, FS Koch, S. 253, 264 f.; explizit kritisch Bull, DVBl. 2015, S. 593, 594 f.; allgemein zu begrenzten Akzeptanzchancen für Großvorhaben Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 508 f.; krit. zu dialogorientierten Formaten in diesen Bereichen Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 274, 288 f. 528 Vgl. Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 134 f.; ähnlich mit verschiedenen Beispielen Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 11, 18 ff. 529 Näher hierzu in Abschnitt C. III. 3. 530 Zum Phänomen der „Gruppenegoismen“, vgl. Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 71; gerade eine konfrontative Verhandlungsstrategie dient Bürgerinitiativen als Voraussetzung zur Mobilisierung der Bürger, vgl. Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 136. 531 Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 132; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 333.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Zum anderen ist innerhalb der Interessengruppen eine gewisse personelle Konsistenz zu beobachten. Die von diesen Personengruppen geprägten Haltungen können sich zu Elementen eines milieuspezifischen Selbst- und Fremdbildes verdichten.532 Aktuelle Konfliktfelder werden wesentlich von Auseinandersetzungen der Vergangenheit geprägt, wie sie gerade im Bereich der Atomenergie vielfältig und wirkmächtig stattgefunden haben.533 Die so entstandenen verhärteten Positionen sind oftmals nicht ohne Gesichtsverlust aufzugeben.534 Geringes Vertrauen in Zusagen des Projektträgers trifft auf die Unterstellung fehlender Kompromissbereitschaft „renitenter Wutbürger“.535 Als Folge entstehen defizitäre Interaktionen und eine gestörte Kommunikation unabhängig von der konkret zu behandelnden Sachfrage.536 Eine paradoxe Situation kann weiterhin durch das Prinzip der Selbstwirksamkeit537 entstehen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Betroffene eine Maßnahme auf Basis einer fatalistischen Grundeinstellung tolerieren, wenn der Eindruck besteht, dass trotz größter Anstrengung eine Einflussnahme auf das Vorhaben nicht möglich ist.538 Erst der Glaube, das eigene Handeln könne die Planung verändern (= Selbstwirksamkeit), aktiviert eine öffentlich wahrnehmbare Form der Akzeptanzverweigerung. Somit besteht die Gefahr, dass gerade zusätzliche Partizipationsangebote das Zutrauen in die eigene Handlungsfähigkeit stärken und zusätzliche Proteste hervorrufen.539 Ausgehend von einer im Rückblick als defizitär empfundenen Kommunikationsstrategie zum Thema Endlagerung radioaktiver Abfälle hat sich nunmehr eine geradezu messianische Hoffnung auf die Wirksamkeit von Partizipationsangeboten entwickelt.540 Daraus darf aber kein Aktionismus entstehen, der zur Überkompen-
532 Allgemein zu sozialen Milieus als Partizipationsproblem Vester, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 21, 30. 533 Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 83; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332 f.; zu Erfahrungenswerten bei den Beratungen der Endlagerkommission, vgl. Bull, ZRP 2016, S. 244; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181. 534 Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 509; vgl. auch Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 333 mit weiteren Nachweisen zum Protest gegen dezentrale Energieanlagen. 535 Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 170 ff. 536 Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 135; explizit kritisch Bull, DVBl. 2015, S. 593, 594 f.; allgemein zu begrenzten Akzeptanzchancen für Großvorhaben Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 508 f. 537 Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung umschreibt die Einstellung einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können, vgl. grundlegend Bandura, Psychological Review 1977, S. 191 ff. 538 Näher hierzu Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281 f. 539 Böhm, GS Schmehl, S. 435,440; s. a. Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 282, die solche Wirkungen gleichwohl gegenüber fatalistischen Positionen bevorzugen. 540 In diese Richtung auch Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 58 ff.
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
145
sation empfundener Defizite führt.541 Beteiligungsmöglichkeiten müssen zwingend aufeinander abgestimmt sein. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sie sich nicht ergänzen, sondern vielmehr behindern.542 Ein angestrebter gesellschaftlicher Konsens droht dann in den Wirren inkohärenter Beteiligungsabläufe unterzugehen.543 b) Risiko der enttäuschten Erwartung – Partizipationsverflechtungsfalle Die Anforderungen an Partizipationskonzepte sind vielfältig. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen ebenso. Bei lediglich symbolischen Partizipationsangeboten besteht die reelle Gefahr, in der Bevölkerung Zynismus und Apathie zu erzeugen.544 Aber selbst mit den besten Absichten durchgeführte Beteiligungskonzepte versprechen nicht automatischen Erfolg. Insbesondere in Mehrebenensystemen stehen Beteiligungskonzepte vor komplexitätsbedingten Schwierigkeiten, die von Christian Bauer mit dem Schlagwort Partizipationsverflechtungsfalle versehen wurden.545 Eine solche Situation entsteht, wenn die Erwartungen von Teilnehmern und die Möglichkeiten im Beteiligungsverfahren inkongruent sind.546 Dieses Problem verschärft sich, je mehr Teilnehmer das Verfahren begleiten und je größer ihre Interessengegensätze und die Komplexität des Verfahrensgegenstandes ausfallen.547 Das an die Theorie der Politikverflechtung von Fritz W. Scharpf548 angelehnte Konzept ist allerdings dahingehend abgewandelt, dass Entscheidungsstrukturen mit Partizipationsverflechtung nicht auf die Zustimmung der teilnehmenden Interessenvertreten angewiesen sind und diese über keine Vetoposition verfügen. Selbst wenn ein Konsens ausbleibt, entsteht keine Selbst541 Vgl. Lippert, ZUR 2013, S. 203, 211; ähnlich Gurlit, JZ 2012, S. 833, 839; krit. zur bloßen Multiplizierung von Beteiligungsmöglichkeiten ohne strukturelle Verbesserung Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 577; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771; a. A. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744. 542 Durner, NuR 2019, S. 241, 249; Erbguth, DÖV 2012, S. 821, 827. 543 S. a. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 833, der die Öffentlichkeitsbeteiligung des StandAG 2013 diesbezüglich als „merkwürdiges Amalgam“ bezeichnet; in diese Richtung zum StandAG 2017 Durner, NuR 2019, S. 241, 249; Böhm, GS Schmehl, S. 435, 447. 544 Vgl. Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1161; Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 59 f., 88; ähnlich Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499; Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 248, 515; Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 70; empirisch zur Unzufriedenheit mit Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene Holtkamp, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 125, 137 f. 545 Bauer, VerwArch 2015, S. 112 ff.; ders., dms 2015, S. 273 ff. 546 Vgl. auch Durner, NuR 2019, S. 241, 249 f.; Peters, DÖV 2015, S. 629, 635, 637. 547 Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 121. 548 Vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung, 1976; Scharpf, in: Hesse (Hrsg.), Politikverflechtung im föderativen Staat, 1978, S. 21 ff.; ders., PVS 1985, S. 323 ff.; vgl. weiterhin Abschnitt C. I. 3. a).
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
blockade der gestuften Planungs- oder Zulassungsentscheidung. Die spezifische Gefahr besteht vielmehr darin, dass Verfahren und Entscheidung von den Teilnehmern als undemokratisch und illegitim empfunden werden.549 Die der Öffentlichkeitsbeteiligung zugedachte legitimationsstiftende und befriedende Wirkung kann sich nicht entfalten.550 Im Extremfall trägt das Beteiligungsverfahren nicht zur erhofften Akzeptanzsteigerung von Entscheidungsstrukturen und der Entscheidungen selbst bei, sondern lässt im Gegenteil die Beteiligungsmöglichkeiten als symbolisch und die Entscheidung als undemokratisch erscheinen.551 Die Endlagersuche stellt hierzu gerade in Bezug auf die Anzahl verschiedener Akteure,552 deren heterogene Interessenlage, die Mehrebenen-Konstellation und die verschiedenen berührten wissenschaftlichen Disziplinen einen solch äußerst komplexen Sachverhalt dar, welcher der Partizipationsverflechtungsfalle den Boden bereitet.553 Gelingt es nicht, die Anforderungen an ein faires, transparentes und ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren umzusetzen, wird gerade bei den aktiven Teilnehmern neue Protestbereitschaft entstehen. 5. Zusammenfassung Partizipation und Öffentlichkeitsbeteiligung gelten als Schlüsselbegriffe im Umgang mit Standortkonflikten bei großen Infrastrukturvorhaben. Beteiligung erfüllt hierzu zwei grundlegende Funktionen. In einer rechtsstaatlichen Ausprägung gewährleistet die Teilhabe der Öffentlichkeit eine Kontrollfunktion staatlicher Gewalt und erhöht durch zusätzliche Informationsflüsse die Sachrichtigkeit einer Entscheidung.554 Zudem fungieren Instrumente wie Anhörungserfordernisse als Spielart eines vorverlagerten Rechtsschutzes. Aus demokratie-theoretischer Sicht soll Partizipation die Legitimation einer Standortentscheidung fördern und für Akzeptanz unter der Bevölkerung und bei den konkret Betroffenen sorgen. Bei der Suche nach einem atomaren Endlager steht angesichts der konfliktreichen Vorgeschichte insbesondere das Akzeptanzziel im Zentrum der Diskussion um Beteiligungskonzepte.555 Diese Zielerreichung ist, wenn nicht unmöglich, so zumindest voraussetzungsvoll.556 Um die Chancen und Vorteile von Öffentlichkeitsbeteiligung auszuschöpfen, bedarf es zum einen einer Förderung der Beteiligungs549
Bauer, dms 2015, S. 273, 277. Vgl. auch Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 218; Geißel, in: Schwalb/Walk (Hrsg.), Local Governance – mehr Transparenz und Bürgernähe?, 2007, S. 23, 36. 551 S. a. Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 121. 552 Instruktiv Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016. 553 Vgl. die ausführliche Darstellung in Abschnitt C. II. 554 Vgl. statt vieler Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 210 f. 555 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 58 f. 556 Ebenfalls skeptisch Durner, NuR 2019, S. 241, 251; Böhm, GS Schmehl, S. 435, 446. 550
IV. Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor
147
bereitschaft, was durch zeitgerechte, kontinuierliche und räumlich abgestimmte Formate gelingen kann. Gleichzeitig ist es essenziell, die Beteiligungsfähigkeit der Bevölkerung herzustellen.557 Bestehende Informationsasymmetrien sind zu kompensieren und finanzielle Hürden zu beseitigen. Zum anderen gilt es das Vertrauen in den Partizipationsprozess zu fördern. Dies kann mittels einer transparenten und fairen Gesprächskultur und dem Zugeständnis von Mitwirkungsbefugnisse gelingen.558 Vertrauen und Akzeptanz können allerdings nur entstehen, wenn die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Beteiligungsformaten klar benannt werden.559 Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr von Frustration und enttäuschten Erwartungen.560 Statt Akzeptanz und Zustimmung produzieren fehlgeschlagene Kommunikationsversuche Ablehnung und verstärkten Widerstand. Die sog. Partizipationsverflechtungsfalle schnappt zu. Folglich gehört insbesondere eine Klarstellung über beschränkte Mitentscheidungsbefugnisse zu den essenziellen Punkten. Für Vetorechte oder gar eine plebiszitäre Abstimmung über den abschließenden Endlagerstandort besteht beim Thema radioaktive Abfälle kein Raum.561 Abstimmungen über Einzelvorhaben stehen einerseits in Konflikt mit dem Grundsatz repräsentativer Demokratie.562 Andererseits können sie den Protest in eine falsche Richtung lenken, wenn das Fehlen der Akzeptanz wertgeprägt ist.563 Abhilfe würden Referenden lediglich im Problemfeld „Augenhöhe“ bieten, um das Gefühl der Bedeutungslosigkeit und des „Regiert-werdens“ zu überwinden. Der Bürger dürfte abstimmen und seine Stimme würde zählen. Er dürfte den gordischen Knoten aus Komplexität, Undurchschaubarkeit und staatlicher Voreingenommenheit mit seinem Abstimmungskreuz zerschlagen.564 Das NIMBY-Syndrom oder das Effektivitäts- und Demokratiedilemma wären damit aber keineswegs gelöst. Bei bundesweiten Referenden würden lokale Bedürfnisse und Interessen sich nicht durchsetzen. Ließe man hingegen lokale Abstimmungen zu, bliebe die Realisierung eines Endlagers wohl ein Wunschtraum.565 557 Zur Bedeutung einer Beteiligung bisher nicht Betroffener als „Seismograph für Gerechtigkeit“, vgl. Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 413 f. mit weiteren Vorschlägen zu Beteiligungsmethoden. 558 S. a. Hendler, FS Koch, S. 269, 280 f. 559 Vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 59 f., 94, 241; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 508. 560 Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 515. 561 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 250 m. w. N.; zur „desintegrativ(en)“ Wirkung von Abstimmungen bei der Standortfindung eines atomaren Endlagers, vgl. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 533. 562 So bereits früh Blümel, FS Forsthoff, S. 9, 25 f.; zu den Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, vgl. Pünder, VVDStRL (72) 2013, S. 193, 197 ff. 563 Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 120; Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 532 f.; Lippert, ZUR 2013, S. 203, 210; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 835. 564 So etwa Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 533. 565 Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 174, 176.
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C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
Die geschilderten Herausforderungen und Risiken von Partizipation zeigen, dass Deliberation nicht als Allheilmittel fungieren kann. Allerdings stellt sie eine Grundvoraussetzung für das Gelingen eines derart komplexen und umstrittenen Vorhabens wie der Suche nach einem Endlagerstandort dar.566 Dabei ist und bleibt die Endlagersuche ein politisches Projekt.567 Die Standortfindung ist von den politischen Entscheidungsträgern und den nachgeordneten staatlichen Institutionen durchzuführen und zu vertreten. Öffentlichkeitsbeteiligung kann hierzu als wirkungsvolles Kommunikationsmittel in beide Richtungen eingesetzt werden.568 Die staatliche Seite erhält wertvolle Informationen und die Gelegenheit, das Vorhaben zu erläutern sowie den Prozess an die Bedürfnisse der Bevölkerung anzupassen. Die interessierte Öffentlichkeit wird wiederum befähigt, auf Augenhöhe zu kommunizieren, Ansichten und Informationen in den Planungsprozess einzuspeisen und eine kontinuierliche Kontrolle über das Planungsverfahren durchzuführen.569
V. Zwischenergebnis Zu Beginn dieses Kapitels wurde die These aufgestellt, dass eine Analyse der Endlagersuche allein in rechtswissenschaftlichen Kategorien, der Komplexität des Vorhabens kaum gerecht wird.570 Zur Bildung eines Verständnisfundaments erfolgte daher nach der historischen Hinführung571 die Einordnung der Standortsuche als Gegenstand einer Multi-Level-Governance.572 Im Ausgangspunkt bleibt festzustellen, dass die Versuche, einen (dauerhaften) Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle zu realisieren, sämtlich gescheitert
566 Hocke/Renn, J. Risk Res. 2009, S. 921, 935; Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 111; s. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 56 f.; so bereits AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 62. 567 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 252; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 835; Smeddinck/ Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; allgemein zur Rolle von Deliberation als Begründungsansatz staatlicher Entscheidungen Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 142 f.; grundlegend Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983, S. 209. 568 S. a. Schaal/Ritzi, in: Riescher/Rosenzweig (Hrsg.), Partizipation und Staatlichkeit, 2012, S. 131, 137 f.; in diese Richtung auch Hendler, FS Koch, S. 269, 280 ff.; für die Chance einer „Win-Win-Win-Situation“, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 242. 569 S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 219; Bauer, dms 2015, S. 273, 274; Kersting, in: ders. (Hrsg.), Politische Beteiligung, 2008, S. 274, 289. 570 S. a. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 751 f. 571 Vgl. Abschnitt B. 572 Krit. zum Mehrwert für die rechtswissenschaftliche Debatte Stomberg, GovernanceStrukturen im Energierecht, 2019, S. 53, 63 f.; Engi, Der Staat 2008, S. 573, 576 ff.; ähnlich Voßkuhle, GrdlVerwR I Rn. 21.
V. Zwischenergebnis
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sind.573 Dies lag mitunter an gesellschaftlichen Widerständen, die durch eine wechselhafte Entsorgungspolitik, bestehend aus einem Konglomerat intransparenter, top-down orientierter Entscheidungen und undurchsichtiger Zuständigkeiten befeuert wurden.574 Die unzureichenden Möglichkeiten für private Akteure, auf Planungsprozesse und Entscheidungen wirksam Einfluss zu nehmen, gelten als eine Ursache für die bestehende Blockade. Diese Beobachtung fügt sich in die von Fritz W. Scharpf konzipierte Theorie der Politikverflechtung. Demnach neigen Entscheidungsstrukturen in Mehrebenenkonstellationen aufgrund bestehender Verflechtungen und der daraus resultierenden Komplexität zu ineffektiven Lösungen und Entscheidungsblockaden. Als Reaktion verweisen Modelle modernen Regierens unter dem Etikett Multi-Level-Governance auf neuartige Kooperationsformen, in denen „der Staat nicht mehr als steuerndes Zentrum, sondern als (…) Interdependenzmanager“575 mittels transparenter, fairer und deliberativer Verfahren zwischen unterschiedlichen Interessen vermittelt. Die Endlagersuche ist ein Paradebeispiel für eine solche Mehrebenen-Struktur. Diese ergibt sich zum einen aus den hierarchischen, territorial abgrenzbaren Entscheidungsebenen und den dazugehörigen Regelungswerken. Zum anderen produzieren die für die Entscheidung relevanten unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie die Vielzahl an heterogenen Akteuren ein hohes Maß an Komplexität und Konfliktpotenzial. Für die damit verbundenen Herausforderungen finden sich unterschiedliche Schlagworte. Die Bezeichnung der Endlagersuche als wicked-problem und die Kategorisierung als sozio-technisches System veranschaulichen die komplexen Zusammenhänge. Mit dem NIMBY-Syndrom sowie dem Effektivitäts- und Demokratiedilemma werden Schwierigkeiten adressiert, breit gestreute Zustimmung für ein konflikt-behaftetes Vorhaben zu gewinnen. Diese Problemkategorien haben jedoch einen gemeinsamen Kern. Sie beschreiben die Endlagersuche als komplexes Projekt, zu dessen Umsetzung der Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor eine zentrale Rolle zugeschrieben wird.576 Partizipation und Öffentlichkeitsbeteiligung soll in dieser Funktion zuvörderst Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den konkret Betroffenen erzeugen. So ambitioniert die Ziele von Beteiligungskonzepten, so groß sind die in sie gesetzten Hoffnungen. Allerdings korrespondieren damit auch mannigfaltige Anforderungen. Unerlässlich ist es, dass die Chancen, gerade aber auch die Grenzen von Partizipationsformen von Beginn an klar benannt werden. Beim Auseinanderfallen von Beteiligungserwartung und -möglichkeiten droht sich das angestrebte Akzep-
573
Näher zu den bisherigen Versuchen in Abschnitt B. III. S. a. Drögemöller, Schlüsselakteure der Endlager-Governance, 2018, S. 58, 234. 575 Walk, Partizipative Governance, 2008, S. 14 f.; ähnlich Mayntz, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2010, S. 37, S. 43. 576 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 243. 574
150
C. Endlagersuche als Sinnbild der Mehrfachebenen-Governance
tanzziel ins Gegenteil zu verkehren.577 Statt Zustimmung oder zumindest Hinnahmebereitschaft kann sich Frustration einstellen und daraus Ablehnung und erneutes Konfliktpotenzial entwickeln. Dies betrifft insbesondere eine umfassende Information über die Reichweite von Mitbestimmungsrechten. In der Realität komplexer politischer Systeme geht das öffentliche Interesse deshalb nicht nur wegen einer unterstellten Passivität der Bevölkerung, sondern auch aus guten sachlichen Gründen nicht aus Partizipationsverfahren hervor. Partizipation setzt vielmehr bereits ein Politikangebot voraus, zu dem sich die Öffentlichkeit äußern und das sie annehmen oder ablehnen kann.578 Eine Erwartungshaltung, welche die Endlagersuche basisdemokratisch (inklusive Vetorechten zugunsten lokal Betroffener) gestalten möchte, erscheint gerade im Hinblick auf die geschilderten komplexen Herausforderungen als zu weitgehend.579 Der Blick in die Vergangenheit und über den juristischen Tellerrand hinaus zeigt: Der Gesetzgeber als Gestalter der Endlagersuche sollte gewarnt sein. Eine Planung ohne oder gegen die Bevölkerung wird nicht funktionieren. Stattdessen sollte die Öffentlichkeit in Beteiligungsprozessen auf Augenhöhe als Informationsquelle und Indikator für Verfahrensqualität und -gerechtigkeit genutzt werden.580 Als politisches Projekt verbleibt die Letztentscheidung allerdings getreu dem Prinzip der repräsentativen Demokratie bei den staatlichen Institutionen.581 Dieser Umstand wirkt dann nicht akzeptanzmindernd, wenn die Reichweite der Beteiligungsinstrumente von Beginn an klar kommuniziert wurde.
577 Vgl. etwa Peters, DÖV 2015, S. 629, 635, 637; Bogumil/Kuhlmann, dms 2015, S. 237, 248; Durner, NuR 2019, S. 241, 249 f. 578 Vgl. Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 212. 579 Vgl. Bull, DÖV 2014, S. 897, 903. 580 Vgl. bereits Oberholzer-Gee, Die Ökonomik des St. Florianprinzips, 1998, S. 185 f. 581 S. a. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 20; Smeddinck/ Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; grundlegend Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983, S. 209.
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland Die Erkenntnisse der beiden vorangegangenen Kapitel offenbaren Unwägbarkeiten und Herausforderungen, denen sich politische Akteure und die gesamte Gesellschaft beim Neustart der Endlagersuche zu stellen haben. Umso bedeutender ist es daher, diesen Prozess mit einem konsistenten und belastbaren Regelungsrahmen auszustatten.1 Der nationale Gesetzgeber hat sich dieser Aufgabe mit dem Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG)2 angenommen und in der Folge das Verfahren, die Akteurstruktur sowie verschiedene Instrumente weiterentwickelt.3 Die nachfolgenden Abschnitte zeigen den rechtlichen Rahmen der Endlagersuche in Deutschland auf. Zunächst wird knapp auf die völker- und europarechtlichen Vorgaben (I.) und deren Auswirkungen auf das nationale Regelungskonstrukt eingegangen. Daneben bestehen verfassungsrechtliche Grundlagen (II.), die vom Bundesverfassungsgericht insbesondere für das Atomrecht (weiter-)entwickelt und interpretiert wurden.4 Von besonderer praktischer Bedeutung sind freilich die einfachgesetzlichen Vorschriften (III.), die den konkreten Ablauf der Endlagersuche prägen. Neben Normen des Atomgesetzes (2.) bildet das Standortauswahlgesetz (1.) das Herzstück. Als Hinführung und Basis für die später unter (IV.) erfolgende konkrete Bewertung der verfassungs- und europarechtlicher Problemstellungen werden bei der Vorstellung des StandAG dessen Ziele, die beteiligten Akteure und das konkrete Verfahren näher beleuchtet.
1
Für die Notwendigkeit einer rechtlichen und tatsächlichen Durchsetzbarkeit Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 214. 2 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553; insoweit wird auch von einem „politischen und rechtlichen Paradigmenwechsel“ gesprochen, vgl. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270. 3 Vgl. Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843 sowie Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 4 Die Ausführungen in diesen Abschnitten (I. und II.) beschränken sich freilich auf eine Darstellung der völker-, europa- und verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Endlagersuche. Spezifische Fragestellungen, die sich aus der Konzeption des StandAG ergeben, werden zur Vermeidung von Redundanzen und Friktionen erst nach der Vorstellung des einfach-rechtlichen Regelungsrahmens (III.) in einem eigenen Kapitel (IV.) erörtert.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung Wenngleich im Zuge des Neustarts der Endlagersuche die nationale Aufgabe und Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle betont wird, ist der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Verfahrensablaufs nicht völlig frei.5 Bereits die Intention sich erneut mit der Entsorgungsfrage zu beschäftigen, beruht nicht allein auf nationalstaatlichen, politischen Erwägungen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Vielmehr ergeben sich schon aus internationalen und unionsrechtlichen Verpflichtungen formal-rechtliche Impulse.6 Zur Einbettung und Einordnung des nationalen Regelungsregimes werden nachfolgend die internationalen und europarechtlichen Vorgaben und Leitlinien überblicksartig dargestellt und die entsprechenden Implikationen herausgearbeitet. Zum einen bestehen auf völkerrechtlicher Ebene (1.) verschiedene Abkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland als unterzeichnender Staat Beachtung schenken muss sowie Empfehlungen einschlägiger internationaler Organisationen und Fachgremien. Zum anderen berührt die Endlagersuche mit der Umwelt- und Energiepolitik sowie der Kernenergienutzung Kompetenzbereiche von EU und EURATOM (2.). Neben den primärrechtlichen Grundbestimmungen (a) existieren insbesondere sekundärrechtliche Regelungen (b), die erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des nationalen Regelungsrahmens zeitigen. 1. Völkerrechtliche Vereinbarungen und Empfehlungen internationaler Organisationen Der Reigen der internationalen Vorgaben zur Endlagersuche in Deutschland lässt sich zum einen gegenständlich und zum anderen hinsichtlich des Rechtscharakters ordnen. Thematisch existieren einerseits Regelwerke, die sich direkt auf die Entsorgung bzw. den Umgang mit radioaktiven Abfällen beziehen. Andererseits entstehen Implikationen für die Standortsuche aus Abkommen, die verfahrensrechtliche Standards etablieren. Für die nationale Rechtsordnung verbindlich sind jedoch nur völkerrechtliche Verträge, die von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurden (a – d).7 Daneben bestehen zum Umgang sowie zur Lagerung radioaktiven Abfalls Guidelines und Empfehlungen internationaler Organisationen, die den Stand der Wissenschaft und Technik widerspiegeln (d).8 Sie setzen einen international 5
So bereits in Abschnitt C. II. 2. Exemplarisch ist auf die Pflicht aus Art. 15 Abs. 4 RL 2011/70/EURATOM zu verweisen, der Kommission spätestens bis zum 23.8.2015 ein Nationales Entsorgungsprogramm zu notifizieren; s. a. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 61; ähnlich Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 545; näher zur Entsorgungsrichtlinie in Abschnitt D. I. 2. b) aa). 7 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 59 Rn. 93. 8 S. bereits Abschnitt C. II. 2. d); vgl. etwa zum Empfehlungscharakter der Mitteilungen der ICRP, Rengeling Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 153. 6
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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anerkannten Orientierungsrahmen, womit ihnen faktische Wirkungen in Form von Mindeststandards zukommen.9 Nachfolgend soll eine Auswahl völkerrechtlicher Verträge vorgestellt werden, die im Standortauswahlverfahren besondere Relevanz entfalten. Konkret befasst sich das Gemeinsame Übereinkommen über die nukleare Entsorgung (sog. Joint Convention)10 mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle (a). Dem Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention)11 lassen sich Anforderungen hinsichtlich Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz entnehmen (b). Insofern stellt die Aarhus-Konvention gegenüber dem spezifisch auf grenzüberschreitende Sachverhalte zugeschnittenen Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (sog. Espoo-Konvention)12 (c) eine thematische Erweiterung dar.13 a) Joint Convention Das Gemeinsame Übereinkommen über die nukleare Entsorgung (Joint Convention)14 vom 5. September 1997 entfaltet einen grundlegenden internationalen Regelungsrahmen für die atomare Entsorgung.15 Der völkerrechtliche Vertrag, dem die Bundesrepublik mit Ratifikation am 1. Oktober 1997 beigetreten ist,16 zielt primär auf die sichere Verwahrung des radioaktiven Abfalls für die Zukunft.17 Die Joint Convention wurde durch eine offene Arbeitsgruppe von Sachverständigen aus 9 Vgl. Gesetzesmaterialien zum StandAG 2013 BT-Drs. 17/13471, S. 14; i. d. R. auch Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 5; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 506 f.; zur Rezeption der Empfehlungen der IAEA in Joint Convention und Entsorgungsrichtlinie, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 192 f. 10 IAEA, Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, INFCIRC/546, 5.9.1997. 11 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 15.6.1998 – Aarhus-Konvention, BGBl. II 2006 S. 1251. 12 Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen vom 25.2.1991 – Espoo-Konvention, BGBl. II 2002 S. 1407. 13 Näher zum Verhältnis von Aarhus- und Espoo-Konvention bei Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 5 f. 14 IAEA, Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, INFCIRC/546, 5.9.1997. 15 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 185 f.; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 270. 16 Die Ratifizierung und Umsetzung in innerstaatliches Recht erfolgte mit Gesetz vom 13.8.1998, BGBl. II S. 1752; vgl. Borchmann, NJW 2000, S. 254, 261. 17 S. a. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 204 ff., 514; vgl. weiterhin Strack, NLB (73) 2004, S. 25 ff.; Primosch, ÖJZ 2001, S. 54 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
verschiedenen Staaten ausgearbeitet, die bei der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) in Wien über den Text verhandelten.18 Das Abkommen schaffte erstmals rechtlich verbindliche Verpflichtungen zur Umsetzung international anerkannter technischer Vorschriften.19 Es umfasst u. a. die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle20 sowie die Nachbesserung von Anlagen, die den Anforderungen des Abkommens nicht entsprechen.21 aa) Rechtscharakter als „Gemischtes Abkommen“ Bei der Joint Convention handelt es sich seit dem Beitritt der EURATOM am 5. Oktober 200522 um ein sog. „Gemischtes Abkommen“.23 Solche Übereinkommen kennzeichnet, dass neben Drittstaaten sowohl die Europäische Atomgemeinschaft als auch ihre Mitgliedsstaaten Vertragsparteien sind. Das Unionsrecht erlaubt derartige Abkommen, sofern ihr Inhalt in eine parallele Kompetenz von Union bzw. EURATOM und Mitgliedsstaaten fällt.24 Für die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist dies insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Fall. Die Europäische Atomgemeinschaft kann nach den Art. 30 ff. EAGV Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlung festsetzen.25 Im nationalen Recht resultiert eine noch weiter-
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Borchmann, NJW 2000, S. 254, 261. S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 185 f.; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 270. 20 Die scheinbar redundante Nennung von „abgebrannten Brennelementen“ und „radioaktiven Abfällen“ resultiert aus dem Umstand, dass in manchen Unterzeichnerstaaten abgebrannte Brennelemente als Abfälle gelten, während sie in anderen Staaten als Wertstoffe betrachtet und somit nicht als Abfälle behandelt werden dürfen, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 169; Borchmann, NJW 2000, S. 254, 261. 21 Zum wesentlichen Inhalt sogleich in Abschnitt D. I. 1. a) bb). 22 Die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) ist am 4.10.2005 der Joint Convention beigetreten [vgl. IAEA, Agreement Status, https://www-legacy.iaea.org/Publications/Docu ments/Conventions/jointconv_status.pdf, (geprüft am 26.9.2019)]; die EURATOM besitzt nach Art. 184 EAGV eigene Rechtspersönlichkeit und ist gem. Art. 101 EAGV berechtigt, internationale Abkommen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen zu schließen, vgl. zum Ganzen Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 186 f. 23 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 186 f.; grundlegend zum Begriff Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 5 ff.; Kumin/Bittner, EuR Beiheft 2/2012, S. 75 f., zur unterschiedlichen Typologie, vgl. S. 76 ff.; Verwey, The European Community, the European Union and the international law of treaties, 2004, S. 35 ff. 24 Vgl. Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 5, 23; Herdegen, Europarecht, 2018, § 27 Rn. 12; Kumin/Bittner, EuR Beiheft 2/2012, S. 75 f. 25 Näher hierzu in Abschnitt D. I. 2. a) bb) (3). 19
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gehende Verpflichtung bereits verfassungsrechtlich aus der grundrechtlichen Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 GG.26 Die Einordnung als Gemischtes Abkommen beeinflusst die Rangstellung und Beachtenspflichten bei der Umsetzung sowohl auf unionsrechtlicher als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene. Mit dem Beitritt der EU zu einem völkerrechtlichen Vertrag kommt diesem der Rang zwischen Primär- und Sekundärrecht zu.27 Aus unionsinterner Perspektive bedeutet dies zunächst, dass zu erlassendes Sekundärrecht zur nuklearen Entsorgung den Bestimmungen des Übereinkommens nicht widersprechen darf.28 Der über Art. 106a Abs. 1 EAGV anwendbare Art. 216 Abs. 2 AEUV bindet die Organe der EURATOM bei ihrer Rechtsetzung an die Joint Convention.29 Gleichzeitig werden Unionsabkommen aber auch – wiederum über Art. 216 Abs. 2 AEUV – für die Mitgliedsstaaten als „integraler Bestandteil der Unionsordnung“30 verbindlich.31 Dies gilt allerdings nur für die Bestimmungen, die den europarechtlichen Teil der Joint Convention betreffen.32 Die Rechtswirkungen der übrigen Artikel beurteilen sich nach der Überleitungsvorschrift des nationalen Recht (Art. 59 Abs. 2 GG).33
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Ausführlich hierzu in Abschnitt D. II. 1. b) aa). EuGH, C-21/72, ECLI:EU:C:1972:115, Rn. 5 ff. – International Fruit Company; Herdegen, Europarecht, 2018, § 8 Rn. 42; Epiney, EuR Beiheft 2/2012, S. 25, 38. 28 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 188; allg. EuGH, 40/72, Slg. 1973, S. 125 Rn. 18 – Schroeder/Deutschland; EuGH, C-61/94, ECLI:EU:C:1996:313, Rn. 52 – Kommission/Deutschland; EuGH, C-402/05 P und C-415/05 P, ECLI:EU:C:2008:461, Rn. 42 – Kadi und Al Barakaat/Rat und Kommission; aus der Lit.: Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 39; Epiney, EuR Beiheft 2/2012, S. 25, 38. 29 Über Art. 106a Abs. 1 EAGV gilt die Vorschrift des Art. 216 Abs. 2 AEUV auch für EURATOM und sichert die „funktionelle(…) Einheit“ von EU und EURATOM, vgl. Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 106a EAGV Rn. 5. 30 Vgl. Herdegen, Europarecht, 2018, § 8 Rn. 42; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 188. 31 EuGH, 104/81; ECLI:EU:C:1982:362, Rn. 13 – Kupferberg; für die Mitgliedsstaaten besteht somit eine Verpflichtung, die Übereinkünfte der Union zu beachten und im innerstaatlichen Raum durchzuführen, vgl. Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 26; diese Verpflichtung wirkt jedoch nur unionsintern, vgl. Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 48; Epiney, EuR Beiheft 2/2012, S. 25, 36; s. a. (allerdings in Bezug auf die Aarhus-Konvention) Sangenstedt, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79, 90 f. 32 Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 52; mangels Regelungskompetenz der EURATOM betrifft dies die Art. 13 ff. Joint Convention, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 194 ff. (dort. Fn. 842). 33 Zu den Funktionen des Vertragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG (Kontrolle, Ermächtigung, Vollzug, Rangbestimmung), vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 59 Rn. 93 ff. 27
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
bb) Wesentlicher Inhalt Wie eingangs erwähnt, ist die Joint Convention primär darauf gerichtet, einen internationalen Regelungsrahmen zur Bewältigung der nuklearen Entsorgung zu schaffen. In einem ersten Kapitel (Art. 1 – 3) präzisiert sie diese Zielsetzung, definiert maßgebliche Begriffe und legt ihren Geltungsbereich fest. Dem folgen Regelungen zur Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente (Art. 4 – 10).34 Die begriffliche Unterscheidung zwischen „abgebrannten Brennelementen“ und „radioaktivem Abfall“ resultiert daraus, dass einige Unterzeichnerstaaten weiterhin die Wiederaufarbeitung praktizieren oder anstreben und daher abgebrannte Brennelemente grundsätzlich als Rohstoff ansehen.35 Für die Endlagersuche maßgeblich ist Kapitel 3 zur Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle (Art. 11 – 17).36 Demnach treffen die Vertragsparteien die nach Art. 11 geeigneten Maßnahmen, um sicher zu stellen, dass in allen Stufen der Behandlung radioaktiver Abfälle der Einzelne, die Gesellschaft und die Umwelt angemessen vor radiologischen oder sonstigen Gefährdungen geschützt wird. Hierzu enthält die Joint Convention Vorgaben bezüglich bestehender Anlagen (Art. 12), zur Wahl des Standortes geplanter Anlagen (Art. 13), über die Auslegung und den Bau von Anlagen (Art. 14), zur Bewertung der Anlagensicherheit (Art. 15), den Betrieb von Anlagen (Art. 16) sowie hinsichtlich administrativer Maßnahmen nach Verschluss des Endlagers (Art. 17).37 Die weiteren Kapitel enthalten allgemeine Sicherheitsbestimmungen (Kapitel 4: Art. 18 – 26),38 sonstige Bestimmungen insbesondere zur grenzüberschreitenden Verbringung (Kapitel 5: Art. 27 – 28)39 sowie organisatorische Regelungen (Kapitel 6 und 7). Diese beinhalten unter anderem die Durchführung von Tagungen der Vertragsparteien (Art. 29 – 31) und eine Überprüfung zur Einhaltung des Abkommens (Art. 32 – 34). cc) Zusammenfassung Die Joint Convention zielt auf die Erreichung und Beibehaltung eines weltweit hohen Sicherheitsstandards bei der Behandlung abgebrannter Brennelemente und 34
Näher zum Inhalt Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 207 ff. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 169; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 48; Strack, NLB (73) 2004, S. 25, 37; Borchmann, NJW 2000, S. 254, 261. 36 Näher zum Inhalt Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 194 ff.; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 210 ff. 37 Für Einzelheiten vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 195 f.; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 210 ff. 38 Näher hierzu Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 213 ff. 39 Näher hierzu Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 215 ff. 35
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radioaktiver Abfälle.40 Dazu schafft das Abkommen erstmals rechtliche Verpflichtungen zur Umsetzung international anerkannter technischer Vorschriften und Standards.41 Die Endlagersuche in Deutschland betrifft insbesondere sein Kapitel 3 zur Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle. Rechtswirkungen entfaltet die Joint Convention für die Bundesrepublik Deutschland entsprechend der Eigenschaft als Gemischtes Abkommen. Der Kompetenzen von EURATOM betreffende Teil wird über die nach Art. 106a Abs. 1 EAGV anwendbare Vorschrift des Art. 216 Abs. 2 AEUV integraler Bestandteil des Unionsrechts und partizipiert an dessen Anwendungsvorrang. Die übrigen Bestimmungen gelten nach Ratifizierung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. b) Aarhus-Konvention Während die Joint Convention spezifisch die Entsorgung radioaktiver Abfälle betrifft, zielt das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention)42 fachrechtsübergreifend auf die Implementierung verfahrensrechtlicher Mindeststandards im Bereich des Umweltrechts.43 Dieses von der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) entworfene und am 25. Juni 1998 in der dänischen Stadt Aarhus unterzeichnete Abkommen44 gewährt jeder natürlichen Person sowie bestimmten organisierten Interessenvertretern spezifische Rechte im Bereich des Umweltschutzes. aa) Rechtscharakter Die Aarhus-Konvention wurde sowohl von der Europäischen Union45 als auch von der Bundesrepublik Deutschland46 unterzeichnet und ratifiziert. Insofern handelt es 40 Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 204; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 270. 41 Zur Rezeption der Empfehlungen der IAEA in Joint Convention und Entsorgungsrichtlinie, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 192 f.; vgl. auch Borchmann, NJW 2000, S. 254, 261. 42 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 15.6.1998 – Aarhus-Konvention, BGBl. II 2006 S. 1251. 43 Vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 28. 44 Zur Vorgeschichte und Entwicklung, vgl. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, Einl. Rn. 5 ff. 45 Beschluss des Rates 2005/370/EG v. 17.2.2005, ABl.EU L 124 v. 17.5.2005, S. 1. 46 Vgl. Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
sich auch bei diesem völkerrechtlichen Vertrag um ein sog. Gemischtes Abkommen.47 Die EU hat ihre Verpflichtungen durch sekundärrechtliche Regelungen,48 namentlich die Umweltinformationsrichtlinie 2003/4/EG49 und Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35/EG50 umgesetzt. Berührungspunkte enthalten zudem die SUP-Richtlinie 2001/42/EG51 und Umwelthaftungsrichtlinie 2004/35/EG52. Den Zugang zu gerichtlichen Überprüfungsverfahren sichern Regelungen der UVPRichtlinie 2011/92/EU53 und Industrieemissionen-Richtlinie (IE-RL).54 Zu beachten ist weiterhin, dass Entscheidungen des EuGH Teil des Unionsrechts werden, soweit in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen) v. 9.12.2006, BGBl. II S. 1251; vgl. auch Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 28. 47 EuGH, Rs. C-240/09, ECLI:EU:C:2011:125, – Slowakischer Braunbär; Sangenstedt, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79, 90 f.; Berkemann, DVBl. 2013, S. 1137; ders., DVBl. 2015, S. 389; zu den Rechtswirkungen „Gemischter Abkommen“, vgl. bereits zuvor in Abschnitt D. I. 1. a) aa); grundlegend Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 5; Verwey, The European Community, the European Union and the international law of treaties, 2004, S. 35 ff. 48 Für einen Überblick, vgl. Sangenstedt, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79, 92; Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 10; näher hierzu Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, Einl. Rn. 45 ff. 49 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/ 313/EWG des Rates ABl.EU L 41 v. 14.2.2003, S. 26; vgl. auch Danwitz, NVwZ 2004, S. 272, 275. 50 Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl.EU L 156 v. 25.6.2003, S. 17. 51 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl.EU L 197 v. 21.7.2001, S. 30; krit. zur Konformität des StandAG 2013 Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 24 ff., 47 f., 49 f. 52 Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl.EU L 143 v. 10.4.2004, S. 56. 53 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), ABl.EU L 26 v. 28.1.2012 in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2014/52/EU, ABl.EU L 124 v. 25.4.2014; vgl. auch Wegener, ZUR 2018, S. 217, 218; näher zur UVPRichtlinie in Abschnitt D. I. 2. b) cc). 54 Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABl.EU L 334 v. 17.12.2010, S. 17.
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sie zu völkerrechtlichen Verträgen ergehen.55 Der deutsche Gesetzgeber hat eine lückenlose Umsetzung der Konvention im Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) beabsichtigt.56 Wie die wiederholten Reformen des UmwRG zeigen, ist ihm das bislang nur bedingt gelungen.57 bb) Wesentlicher Inhalt Neben allgemeinen Regelungen zu den Zielen und Begriffsbestimmungen (Art. 1 – 3)58 gliedert sich die Aarhus-Konvention in drei „Säulen“59 (Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz).60 Die erste Säule (Art. 4 und 5) erweitert die bereits zuvor im Umweltvölkerrecht bekannten Informationspflichten der Staaten61 durch konkrete Ansprüche seitens der Öffentlichkeit. Der Begriff der „Öffentlichkeit“ umfasst natürliche und juristische Personen sowie Vereinigungen, Organisationen und Gruppen. Das Zugangsrecht zu Informationen setzt kein besonderes Interesse voraus und ist daher als Popularanspruch ausgestaltet.62 Anspruchsgegner sind Behörden, wobei die Konvention von 55 EuGH, Rs. 181/73, ECLI:EU:C:1974:41, Rn. 4 ff. – Haegeman; BVerwGE 147, 312 Rn. 22; näher hierzu Berkemann, DVBl. 2015, S. 389, 397; ders., DVBl. 2013, S. 1137, 1139; Kumin/Bittner, EuR Beiheft 2/2012, S. 75, 80 f. 56 Vgl. BT-Drs. 17/10957, S. 15; s. a. Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 40; krit. mit Verweis auf eine unzureichende Umsetzung Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, Einl. Rn. 66. 57 Für einen Überblick zur Änderungshistorie, vgl. Schlacke, EurUP 2018, S. 127, 128 ff.; zu weiterem Anpassungsbedarf dies., in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 69 f. mit Fn. 90. 58 Vgl. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, Einl. Rn. 12 f.; Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 40. 59 Für diese Begriffsverwendung, vgl. Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Einf. Rn. 5; Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, Einl. Rn. 14 ff.; Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 5; Danwitz, NVwZ 2004, S. 272, 274. 60 Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 5; Däuper/Mirbach/ Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 29; Danwitz, NVwZ 2004, S. 272, 274. 61 Vgl. Schrader, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 1 Rn. 7. 62 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 43; Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 29; Danwitz, NVwZ 2004, S. 272, 275.
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einem weiten Begriffsverständnis ausgeht. Gegenständlich bezieht sich der Anspruch auf „Informationen über die Umwelt“.63 Das Informationsrecht wird durch ein Beteiligungsrecht als zweiten Pfeiler ergänzt. Die Art. 6 bis 8 unterscheiden drei verschiedene Mitwirkungsformen. Art. 6 regelt die Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten.64 Im Gegensatz zu der offenen Ausgestaltung des Informationsrechts wird lediglich die „betroffene“ Öffentlichkeit65 adressiert. Insbesondere können Art. 6 Abs. 4 und 5 als Motor für frühzeitige Partizipation angesehen werden.66 Weiterhin bestehen Beteiligungserfordernisse bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken (Art. 7) sowie bei normativen Instrumenten (Art. 8). Die praktische Durchsetzung der genannten Rechte wird durch die dritte Säule gewährleistet. Hierzu eröffnet Art. 9 den durchgängigen Zugang zu einer gerichtlichen Kontrollmöglichkeit.67 Verletzungen der Informationsrechte müssen etwa nach Art. 9 Abs. 1 in einem gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Überprüfungsverfahren geltend gemacht werden können. Von zentraler Bedeutung ist der zweite Absatz. Die Vorschrift verpflichtet die Vertragsparteien im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem Gericht zu gewähren, um ihre von der Konvention gewährten Beteiligungsrechte durchzusetzen.68 Durch die Bezugnahme auf die „betroffene“ Öffentlichkeit erfor63 Nach Art. 2 Nr. 3 AK ist darunter jede technisch mögliche Variante der Informationsspeicherung von nahezu sämtlichen Umweltdaten zu verstehen, die sich auf den Zustand von Umweltmedien (z. B. Luft und Wasser) und Faktoren (z. B. Energie und Strahlung) sowie ihre Auswirkungen auf den Zustand der Menschen beziehen. 64 Obligatorisch ist die Beteiligung bei solchen Vorhaben, die in Anlage 1 des Abkommens aufgeführt sind; zwar wird mit der Standortsuche das Endlager noch nicht zugelassen, dennoch stellt das Suchverfahren nach der Ratio des Art. 6 AK ein solch bestimmtes Vorhaben dar, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 30; zur Anwendbarkeit von Art. 6 AK auf die Standortsuche, vgl. ferner Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 9 ff. 65 Nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 5 AK bedeutet „betroffene Öffentlichkeit“, die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen ein Interesse, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen. 66 S. a. Hendler, FS Koch, S. 269, 272; zur (zu verneinenden) Frage, ob die Vorfestlegung auf die Wirtsgesteine Salz, Ton und Kristallin in § 1 Abs. 3, Abs. 4 S. 1 StandAG einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 AK darstellt, vgl. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 21 ff. 67 Näher zur Vereinbarkeit des Rechtsschutzsystems des StandAG mit den Vorgaben von Art. 9 AK in Abschnitt D. IV. 2. c) bb) (2). 68 Für einen weiten Anwendungsbereich ohne Begrenzung auf eine Verletzung von umweltbezogenen Rechtsvorschriften, vgl. Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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dert Art. 9 Abs. 2 eine Klagebefugnis.69 Über die vorgenannten Rechtsschutzmöglichkeiten hinaus sollen die Vertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 für die Öffentlichkeit gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Rechtsschutz gewährleisten, sofern Verstöße von Privatpersonen oder Behörden gegen das Umweltrecht der Vertragsparteien zu beklagen sind. Damit knüpft Art. 9 Abs. 3, anders als Art. 9 Abs. 2, den Zugang zu Rechtsschutz nicht an eine vorherige Beteiligungsmaßnahme, sondern zielt allgemein auf eine Kontrolle von Entscheidungen und ihre Vereinbarkeit mit dem nationalen Umweltrecht ab.70 Die Vorschrift kann deshalb als allgemeines Zugangsrecht zu Gerichten in Umweltangelegenheiten eingeordnet werden.71 Relativierend steht dem weiter gefassten Kreis potenzieller Kläger der auf umweltbezogene Bestimmungen begrenzte gerichtliche Prüfumfang gegenüber.72 Maßgebliche Bedeutung kommt weiterhin dem auf Grundlage von Art. 15 errichteten Compliance Committee zu.73 Dessen Beschlüsse ergehen zwar in Form von Empfehlungen und sind deshalb grundsätzlich nicht bindend.74 Ihnen kommt gleichwohl hohe politische Bedeutung zu, insbesondere bei der Auslegung75 von einzelnen Bestimmungen des Abkommens.76 Da die Empfehlungen als Ergebnis eines gerichtsähnliches Verfahrens ausgesprochen werden und ausführlich begründet sind, steht eine Missachtung einer Konventionsverletzung nahe.77 Der Gleichklang zwischen Art. 9 Abs. 2 AK und den Unionsrichtlinien, die das Abkommen umsetzen, hat zudem eine kongruente Auslegung durch EuGH und Compliance Committee zur (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 51; a. A. Gellermann, NVwZ 2006, S. 7, 9; Durner, ZUR 2005, S. 285, 290. 69 S. a. Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 45; Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 20; Danwitz, NVwZ 2004, S. 272, 276. 70 Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 8; Calliess, NuR 2006, S. 601, 614. 71 Vgl. Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 10. 72 Vgl. Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 52, zur Reichweite des Umweltbezugs, vgl. Rn. 53 sowie Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 37. 73 Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 56; Bunge, NuR 2014, S. 605 ff.; vgl. auch Berkemann, DVBl. 2015, S. 389, 399. 74 Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 56; für eine „mittelbare“ Bindung, vgl. Berkemann, DVBl. 2015, S. 389, 399; Bunge, NuR 2014, S. 605, 611 75 BVerwGE 147, 312, 321; Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Einf. Rn. 38; Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 13. 76 Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Einf. Rn. 34 ff.; Bunge, NuR 2014, S. 605, 610 f. 77 S. a. Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 42; Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 56; Bunge, ZUR 2015, S. 531, 534.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Folge.78 Stellt das Committee die Völkerrechtswidrigkeit einer nationalen Regelung fest, lässt sich folglich ebenso auf die Einordnung als unionsrechtswidrig schließen.79 cc) Zusammenfassung Die Aarhus-Konvention zielt darauf ab, den staatlichen Umweltschutz zu effektuieren und die Umweltqualität zu verbessern.80 Als großes Infrastrukturprojekt berührt die Endlagersuche in vielfältiger Weise Umweltangelegenheiten. Konkrete Auswirkungen auf die Standortauswahl zeitigt das Abkommen insbesondere als Motor für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung81 und hinsichtlich der Anforderungen des überindividuellen Rechtsschutzes.82 Rechtswirkungen entfaltet die Aarhus-Konvention für die Bundesrepublik Deutschland wiederum entsprechend der Eigenschaft als Gemischtes Abkommen. c) Espoo-Konvention Das Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (sog. Espoo-Konvention)83 aus dem Jahr 1991 enthält verfahrensrechtliche Anforderungen im Vorfeld der Genehmigung von Projekten, die erhebliche, grenzüberschreitend nachteilige Auswirkungen84 zur Folge haben können. Insbesondere sieht Art. 2 Abs. 2 und 3 die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung85 entsprechend der Konventionsvorgaben vor. Nach Maßgabe 78 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 42; Bunge, ZUR 2015, S. 531, 534. 79 S. a. Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 42; Berkemann, DVBl. 2015, S. 389, 399. 80 Berkemann, DVBl. 2013, S. 1137. 81 Hendler, FS Koch, S. 269, 272. 82 Näher zur Vereinbarkeit des Rechtsschutzsystems des StandAG mit den Vorgaben von Art. 9 AK in Abschnitt D. IV. 2. c) bb) (2). 83 Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen vom 25.2.1991 – Espoo-Konvention, BGBl. II 2002 S. 1407. 84 Die Möglichkeit grenzüberschreitender, erheblicher Auswirkungen eines Endlagers auf den potenziellen Umfang eines Schadensereignisses und die Dauerhaftigkeit der Gefahrenlage zurückführend Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 36 f. 85 Ein Endlager für radioaktive Abfälle fällt gemäß Nr. 3b des Anhangs I zur EspooKonvention unter die UVP-Pflicht. Da die Genehmigung jedoch erst mit dem anschließenden atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG erteilt wird, ist das Abkommen für das Standortauswahlverfahren nur insoweit beachtlich, als darin verbindliche Vorgaben für die Genehmigung von Endlagern getroffen werden, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben,
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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der Art. 2 Abs. 6 sowie 4 Abs. 2 S. 2 sind zudem im Rahmen einer grenzüberschreitenden Beteiligung die voraussichtlich betroffenen Nachbarstaaten86 frühzeitig zu informieren.87 Ebenso haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, auf Wunsch eines Nachbarstaates Konsultationen durchzuführen und gemeinsam die Behördenund Öffentlichkeitsbeteiligung im Nachbarstaat sicherzustellen.88 Sowohl die Europäische Union89 als auch die Bundesrepublik Deutschland90 sind Vertragsparteien der Espoo-Konvention. Insofern handelt es sich auch hierbei um ein sog. Gemischtes Abkommen. Die Vorgaben einer projektbezogenen Umweltverträglichkeitsprüfung sind auf unionsrechtlicher Ebene im Wesentlichen in Art. 7 UVP-RL und auf nationaler Ebene in den §§ 8, 9a UVPG umgesetzt.91 d) Empfehlungen internationaler Organisationen Neben diesen rechtlich verbindlichen Regelwerken existieren zum Umgang sowie zur Lagerung radioaktiven Abfalls sog. „Guidelines“ und Standards internationaler Organisationen,92 die den Stand der Wissenschaft widerspiegeln und techK-MAT 37a, 18.6.2015, S. 33 f.; zur Erstreckung auf die Endlagersuche, vgl. weiterhin Ewer/ Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 36 mit Verweis auf BT-Drs. 16/43, S. 19. 86 Der Begriff „Nachbarstaat“ umfasst alle Vertragsparteien des Abkommens, die von grenzüberschreitenden Auswirkungen des Endlagers betroffen sein können. Die unmittelbare Grenzlage ist aufgrund des Gefahrenpotenzials radioaktiver Abfälle nicht zwingend erforderlich, s. a. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 33 (Fn. 79). 87 Vgl. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 35. 88 Für eine Beschreibung der grenzüberschreitenden Beteiligung, vgl. weiterhin Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 45 f. 89 Die Ratifikation durch die EU erfolgte am 27.6.1997. 90 Deutschland setzte das Abkommen in Gestalt der ersten Änderung mit Espoo-Vertragsgesetz vom 7.6.2002 (BGBl. II S. 1406) und dem weiteren Gesetz zur zweiten Änderung des Übereinkommens vom 17.3.2006 (BGBl. II S. 224) um. 91 Vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 34; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 44. 92 Für einen Überblick zu internationalen Organisationen im Kontext der Endlagerung, vgl. Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016, S. 28 ff.; zur Auflistung der Guidelines der IAEA, vgl. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 51 ff.; für eine kursorische Darstellung, vgl. ferner Abschnitt C. II. 2. d).
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
nische Umsetzungsempfehlungen aussprechen. Zwar sind diese zunächst für das Endlagersuchverfahren in Deutschland rechtlich nicht verbindlich.93 Allerdings setzen sie einen Orientierungsrahmen in Form von Mindeststandards. Besondere Bedeutung kommt hierbei den von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) ausgearbeiteten Safety Standards und Safety Principles zu.94 Auf sie wird sowohl in der Joint Convention als auch in der Entsorgungsrichtlinie RL 2011/70/ EURATOM Bezug genommen,95 womit insbesondere ihre technischen Empfehlungen (z. B. Endlagerung in tiefen geologischen Formationen) die Standortsuche determinieren. Die Rezeption durch den nationalen Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzesmaterialien96 bestätigt nicht nur die Wertigkeit und Bedeutung der Safety Standards. Durch diesen Vorgang und die Bezugnahme in internationalen und europarechtlichen Vorgaben kann den entsprechenden Empfehlungen der IAEA auch eine mittelbare Bindungswirkung für das nationale Standortsuchverfahren zugesprochen werden. e) Zusammenfassung Die Endlagersuche in Deutschland wird von verschiedenen völkerrechtlichen Regelwerken beeinflusst. Konkrete Vorgaben für die Entsorgung radioaktiver Abfälle lassen sich der Joint Convention entnehmen. Verfahrensrechtliche Direktiven im Bereich des Umweltrechts enthalten die Aarhus-Konvention sowie die Umweltverträglichkeitsprüfungen im grenzüberschreitenden Kontext regelnde EspooKonvention. Vertragsparteien dieser völkerrechtlichen Übereinkommen sind sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland. Aufgrund dieser Eigenschaft als sog. Gemischte Abkommen besteht für die Endlagersuche in Deutschland eine doppelte Bindungswirkung über die Implementation in Unionsrecht bzw. das Recht der europäischen Atomgemeinschaft sowie das Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG.97 Dahingegen besitzen die Regelwerke und Guidelines internationaler Organisation lediglich Empfehlungscharakter. Allerdings entfalten sie als international anerkannte Standards starke faktische Wirkungen, die über die Bezugnahme in der Joint Convention und verschiedenen Gesetzen zu einer mittelbaren Bindung erwachsen. 93 Zum Empfehlungscharakter der Vorgaben der ICRP, vgl. Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 153. 94 IAEA, IAEA Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006; dies., Fundamental Safety Principles, Safety Fundamentals No. SF-1, 2006. 95 Zur Rezeption der Empfehlungen der IAEA in Joint Convention und Entsorgungsrichtlinie, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 192 f. 96 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf des StandAG 2013, BT-Drs. 17/13471, S. 14. 97 S. a. Sangenstedt, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79, 94.
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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2. Recht der Europäischen Union und EURATOM Die europarechtlichen Vorgaben für die nukleare Entsorgung erschöpfen sich jedoch nicht in den Wirkungen der völkerrechtlichen Verträge, welche als Gemischte Abkommen geschlossen wurden. Die Europäische Union begründet vielmehr eine eigenständige, supranationale Rechtsordnung sui generis.98 Deren Rechtsquellen lassen sich in ein hierarchisches System bestehend aus dem europäischen Primärrecht (a) und diesem rangmäßig nachgeordneten Sekundärrecht (b) untergliedern. Die nachfolgenden Abschnitte beinhalten einen – an dieser Rangordnung angelehnten – Überblick zu für die Endlagerung radioaktiver Abfälle einschlägigen Bestimmungen sowie eine Abgrenzung zu unanwendbaren Vorschriften. a) Primärrechtliche Vorgaben Das Primärrecht besteht zum einen aus den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union. Dazu gehören der Vertrag über die Europäische Union (EUV),99 der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)100 sowie der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM-Vertrag/ EAGV).101 Zum anderen sind dem Primärrecht ungeschriebene, allgemeine Rechtsgrundsätze zuzuordnen. Weiterhin stellt Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV die mit dem Vertrag von Lissabon verbindlich gewordenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)102 rechtlich gleichrangig zu den Verträgen in den Rang des Primärrechts.103
98
EuGH, Rs. C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, Slg. 1964, S. 1251, 1269 – Costa/ENEL; ebenso mit Einbezug des EURATOM-Vertrages Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/ Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 8. 99 In der Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 13), zul. geändert durch die EU-Beitrittsakte der Republik Kroatien, ABl. EU L 112/21 v. 24.4. 2012. 100 In der Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 47), zul. geändert durch die EU-Beitrittsakte der Republik Kroatien, ABl. EU L 112/21 v. 24.4. 2012. 101 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), BGBl. II 1957, S. 1014; letzte konsolidierte Fassung ABl.EU C 203/1 v. 7.6.2016, zuletzt geändert durch Art. 11, 13 Abs. 2 EU-Beitrittsakte der Republik Kroatien v. 24.4.2012, ABl.EU L 112/21 (EAGV); nach dem Vertrag von Lissabon wird die EURATOM aus dem ehemaligen Dachverband der EU ausgegliedert und besteht als unabhängige internationale Organisation fort, vgl. BVerfGE 123, 267, 282 f. – Lissabon-Urteil; aus der Lit.: Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 4; Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 47 f.; gleichwohl besteht über die Vorschrift des Art. 106a EAGV eine enge institutionelle Verknüpfung. 102 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl.EU C 326, v. 26.10.2012, S. 391. 103 Vgl. Jarass, ZUR 2011, S. 563.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Zur Einordnung der primärrechtlichen EU-Rechtsvorschriften im Kontext der nuklearen Entsorgung soll zunächst das in mehreren Vorschriften adressierte europäische Umweltschutzziel konturiert werden (aa). Im Anschluss folgt eine überblicksartige Darstellung des für die europäische Kernenergiepolitik maßgeblichen EURATOM-Vertrages (bb) sowie der Vorschriften des AEUV, die Bezüge zur Endlagersuche aufweisen könnten (cc). aa) Europäisches Umweltschutzziel Das Europäische Umweltschutzziel lässt sich einer Zusammenschau von Normen des Primärrechts entnehmen.104 Zum einen schreibt Art. 11 AEUV mit Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung die umweltverträgliche Gestaltung aller Unionspolitiken vor. Die Querschnittsklausel enthält eine die Organe der Union sowie alle Mitgliedsstaaten bindende Rechtspflicht,105 ohne dem Umweltschutz einen absoluten Vorrang einzuräumen. Flankierend wirkt die Aufnahme des Umweltschutzes in den Zielkatalog des Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV.106 Beide Vorschriften erfüllen als Unionsziel und geschriebene Rechtsprinzipien die gleiche Funktion wie ein Staatsziel auf nationaler Ebene.107 Konkretisiert werden die Umweltziele durch die unionale Umweltpolitik entsprechend der Art. 191 ff. AEUV. Diese Vorschriften präzisieren die beabsichtigte Politikgestaltung zur Verbesserung der Umweltqualität, den Schutz der menschlichen Gesundheit, die umsichtige und rationale Verwendung von natürlichen Ressourcen sowie eine Bekämpfung des Klimawandels. Eine Abrundung erfährt der Kanon aus Umweltzielen durch die korrespondierende Vorschrift des Art. 37 GRCh.108 Obwohl das primäre Unionsrecht den Umweltschutz mehrfach und an prominenten Stellen prononciert, entstehen dadurch für die Endlagersuche keine unmittelbaren Rechtswirkungen. Bei den Umweltzielen handelt es sich um Rechtsprin-
104
S. a. Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 37 GRCh Rn. 2; Jarass, ZUR 2011, S. 563; Trüe, JZ 2004, S. 779. 105 Vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 10; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 71, 73 f. 106 Groß, NVwZ 2011, S. 129, 131; Weber, Europäische Verfassungsvergleichung, 2010, S. 93 f.; zum Umweltschutzziel in Art. 3 EUV, vgl. Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 55. 107 S. a. Groß, NVwZ 2011, S. 129, 131; für die Einordung als „Rechtsprinzip“, vgl. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 9; dif. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 13 f.; zur Qualifizierung des Art. 20a GG als Staatszielbestimmung, vgl. Abschnitt D. II. 1. b) cc) (2) m. w. N. 108 Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 55; Groß, NVwZ 2011, S. 129, 131; Jarass, ZUR 2011, S. 563 563 f.; krit. zur Aufnahme eines Staatsziels in die Grundrechte-Charta ohne „prozedurale(n) Grundrecht“scharakter, vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 37 GRCh Rn. 7 f.
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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zipien,109 die ihre Wirkung als Auslegungsmaßstab, bei der Ermessenslenkung sowie als Rechtssetzungsauftrag entfalten.110 Konkrete Vorgaben für die Entsorgung radioaktiver Abfälle bleiben aber spezifischen Bestimmungen des Unionsrechts vorbehalten. bb) EURATOM-Vertrag Solche spezifische Regelungen enthält für den Bereich des europäischen Atomrechts der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM-Vertrag/EAGV),111 dessen zentrale Inhalte sich seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1958 nur unerheblich geändert haben.112 Zur Einordnung seiner Bedeutung für die Endlagersuche in Deutschland soll zunächst der Rechtscharakter des EAGV und die Stellung der EURATOM im institutionellen Gefüge der EU knapp erläutert (1) sowie das Verhältnis des EAGV zum AEUV beleuchtet werden (2). Schließlich gilt es einen Blick auf das dritte Kapitel des EAGV zu werfen, das einerseits zum Erlass von einheitlichen Sicherheitsnormen (sog. Grundnormen) für die Bevölkerung und Arbeitskräfte berechtigt und andererseits über gesetzesähnlich detaillierte Bestimmungen verfügt (3). (1) Charakter des EAGV und Rechtsstellung der EURATOM Der EAGV ist ein völkerrechtlicher Vertrag, welcher die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) mit Rechtspersönlichkeit (Art. 184 EAGV) begründet und in den Art. 4 bis 207 mit eigenen Hoheitsbefugnissen ausstattet.113 Er verfolgt vor-
109 S. a. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 9; Calliess, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 23 f.; Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 37 GRCh Rn. 4; strenger Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 13 f. 110 Zur Bedeutung der Umweltziele als Auslegungsmaßstab, vgl. EuGH, Rs. C-513/99, ECLI:EU:C:2002:495, Rn. 57 – Concordia Bus; weiterhin zur Bedeutung für die Ermessenslenkung, als Abwägungsmaterial und als Rechtsetzungsauftrag, vgl. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 29 ff. 111 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) v. 25.3.1957, BGBl. II 1957, S. 1014; letzte konsolidierte Fassung ABl.EU C 203/1 v. 7.6.2016, zuletzt geändert durch Art. 11, 13 Abs. 2 EU-Beitrittsakte der Republik Kroatien v. 24.4.2012, ABl.EU L 112/21 (EAGV). 112 S. a. Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 1; Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 542; zur Entstehungsgeschichte, vgl. Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 21 ff.; zur weiteren Entwicklung, vgl. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 239 ff. 113 Ebenso wie die EU stellt auch die EURATOM ein Rechtsgebilde sui generis dar, vgl. EuGH, Rs. C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, Slg. 1964, S. 1251, 1269 – Costa/ENEL; zum EAGV Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 8.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
nehmlich energiepolitische Ziele und ist auf die Entwicklung der friedlichen114 Nutzung der Kernenergie fokussiert.115 Darüber hinaus bezweckt der EAGV, für die Überwachung der Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Außenbeziehungen für einen Gemeinsamen Markt auf dem Gebiet der Kernenergie Sorge zu tragen.116 Die EURATOM besteht nach der durch den Vertrag von Lissabon117 vorgenommenen Ausgliederung aus dem ehemaligen Dachverband der EU als unabhängige internationale Organisation fort.118 Gleichwohl gewährleistet die Vorschrift des Art. 106a EAGVeine enge institutionelle Verknüpfung. Durch ein „rechtstatsächlich symbiotisches Zusammenwirken“119 von EU und EURATOM kann von einer funktionalen Einheit beider Organisationen120 gesprochen werden. Dies zeigt sich insbesondere in der Personalunion der Organe,121 im Bereich der Rechtsetzung durch sog. horizontale Rechtsakte122 und die gemeinsame Jurisdiktionsgewalt des Gerichtshofs.123
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Zur fehlenden Erstreckung des EAGVauf militärische Nutzungen, vgl. EuGH, Rs. C-65/ 04, ECLI:EU:C:2006:161, Rn. 26 – Kommission/Vereinigtes Königreich; näher dazu Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 242. 115 Eine Verpflichtung zur Nutzung von Kernenergie besteht für die Mitgliedsstaaten gleichwohl nicht, vgl. statt vieler Grunwald, Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 194; näher zum Zweck der Forschungsförderung und Verbreitung kerntechnischer Erkenntnisse Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 27 ff. 116 Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 9; für einen Überblick der Regelungsfelder, vgl. Frenz/ Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 542. 117 Protokoll Nr. 2 zur Änderung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl.EU C 306/199 v. 17.12.2007. 118 Vgl. BVerfGE 123, 267, 282 f. – Lissabon-Urteil; aus der Lit.: Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 4; Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Rn. 170; Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 47 f. 119 Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 5. 120 S. a. Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 106a EAGV Rn. 2; Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 5; Winkler, DÖV 2011, S. 804, 809. 121 Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 47 f. 122 Bei horizontalen Rechtsakten handelt es sich um solche sekundärrechtlichen Bestimmungen, die auf Ermächtigungsgrundlagen beider Verträge gestützt sind, vgl. Indlekofer/ Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 5, für konkrete Beispiele (Fn. 20). 123 ˇ ez; s. a. Schärf, EuroVgl. EuGH, Rs. C-115/08, ECLI:EU:C:2009:660, Rn. 84 – C päisches Atomrecht, 2012, S. 254.
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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(2) Verhältnis zum AEUV Das Verhältnis von EAGV und AEUV nimmt Art. 106a Abs. 3 EAGV in Bezug. Er folgt dem ehemaligen Art. 305 Abs. 2 EGV nach124 und stellt klar, dass die Vorschriften des EUV und AEUV keine Abweichungen von den Regelungen des EAGV beinhalten.125 Der EURATOM-Vertrag ist daher als lex specialis anzusehen.126 Eine ergänzende Anwendung des AEUV kommt folglich nur dann in Betracht, wenn und soweit der EAGV einen Sachverhalt nicht abschließend regelt und einen Anwendungsspielraum offen lässt.127 (3) Kapitel 3: Gesundheitsschutz Eine besondere Sachnähe des EAGV zur Thematik der nuklearen Sicherheit und Entsorgung zeigt sich insbesondere in dessen drittem Kapitel. Die Art. 30 ff. EAGV konkretisieren die Aufgabe aus Art. 2 lit. b EAGV, einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte vor ionisierender Strahlung aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen. Insofern repräsentiert dieser Abschnitt einen faktischen Funktionswandel innerhalb der Organisation, nach dem der Gesundheitsschutz zum „legitimatorischen Kern von EURATOM“ avanciert.128 Auf Basis von Art. 31 EAGV werden die Grundnormen129 von der Kommission ausgearbeitet und nach Anhörung des Parlaments vom Rat festgelegt.130 Darüber hinaus finden sich gesetzesähnlich detaillierte Bestimmungen, welche die Mit124 S. a. mit einer dezidierten Analyse Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 92 ff., 102 f.; a. A. Kahl, EuR 2009, S. 601, 620. 125 Zum Vorrangverhältnis nach Art. 305 Abs. 2 EGV, vgl. EuGH, Rs. C-62/88, ECLI:EU:C:1990:153, Rn. 17 – Griechenland/Rat. 126 EuG, Rs. T-356/15, ECLI:EU:T:2018:439 Rn. 72. – Österreich/Kommission; Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 106a EAGV Rn 4; Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Rn. 171; Cenevska, The European Atomic Energy Community in the European Union Context, 2016, S. 28; Grunwald, ZEuS 2010, S. 407, 410; Hobe, EuR Beiheft 1/2009, S. 219, 228. 127 EuGH, Rs. C-62/88, ECLI:EU:C:1990:153, Rn. 17 – Griechenland/Rat; EuGH, Rs. C-61/03, ECLI:EU:C:2005:210, Rn. 44 – Kommission/Vereinigtes Königreich; aus der Lit.: Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 106a EAGV Rn. 4; Nettesheim, JZ 2010, S. 19, 20; Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 98 ff., 103; a. A. Kahl, EuR 2009, S. 601, 619 f.; in diese Richtung wohl auch Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 6. 128 Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 30 EAGV Rn. 1; vgl. Mitteilung „50 Jahre Euratom-Vertrag“, KOM (2007) 124 endg., S. 8 f. 129 Die Form des Rechtsaktes steht grundsätzlich offen, s. a. Papenkort, Der EuratomVertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 32 f.; Rodi, in: Vedder/ Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 31 EAGV Rn. 2. 130 Zur schwachen Stellung des Parlaments, vgl. Cenevska, The European Atomic Energy Community in the European Union Context, 2016, S. 37; ähnlich Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 31 EAGV Rn. 1.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
gliedsstaaten unmittelbar verpflichten.131 Im Einzelnen haben die Mitgliedsstaaten eine Einhaltung der Grundnormen sowie die Radioaktivität von Luft, Wasser und Boden zu überwachen (Art. 35 EAGV) und entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen (Art. 36 EAGV). Des Weiteren bestehen Unterrichtungsverpflichtungen gegenüber der Kommission vor der Durchführung radioaktiver Versuche (Art. 34 EAGV) und der Ableitung radioaktiver Stoffe (Art. 37 EAGV).132 Die Bestimmungen zum Gesundheitsschutz enthalten jedoch keine spezifischen Vorgaben zur Entsorgung radioaktiver Abfälle.133 Sie bilden lediglich eine systematische Gesamtregelung, die der Kommission relativ weitgehende Befugnisse zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt gegen die Risiken einer radioaktiven Verseuchung zubilligt.134 Die konkrete Ausgestaltung bleibt dann dem Sekundärrecht vorbehalten.135 (4) Zusammenfassung Die Atompolitik auf europäischer Ebene wird maßgeblich durch den EURATOMVertrag gesteuert. Der EAGV enthält in seinem – mit „Gesundheitsschutz“ überschriebenen – dritten Kapitel zwar gesetzesähnlich detaillierte Bestimmungen, welche die Mitgliedsstaaten unmittelbar verpflichten. Spezifische Vorgaben für die nukleare Entsorgung lassen sich dem aber nicht entnehmen. Seine Bedeutung für die Endlagersuche erschöpft sich daher in der Befugnis zum Erlass von Grundnormen für den Gesundheitsschutz, auf welchen die sekundärrechtlichen Bestimmungen zur nuklearen Sicherheit (RL 2009/71/EURATOM)136 und Entsorgung (RL 2011/70/ EURATOM) beruhen.137 131
S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 167; Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 542; Schulenberg, Die Energiepolitik der Europäischen Union, 2009, S. 358 f. 132 Für einen kursorischen Überblick, vgl. Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 35. 133 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 167; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 277. 134 EuGH, Rs. C-29/99, ECLI:EU:C:2002:734, Rn. 78 f. – Kommission/Rat; EuGH, Rs. C-70/88, ECLI:EU:C:1991:373, Rn. 14 – Parlament/Rat; EuGH, Rs. 187/87, ECLI:EU:C:1988:439, Rn. 111 – Land de Sarre/Ministre de L’Idustrie; aus der Lit.: Indlekofer/ Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 12; i. E. ebenso Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 173 ff. 135 S. a. mit einem Überblick zu auf Grundlage der Art. 30 ff. EAGV erlassenen Richtlinien Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 12; näher zur Entsorgungsrichtlinie 2011/70/EURATOM und der Sicherheitsrichtlinie 2009/71/EURATOM nachfolgend in Abschnitt D. I. 1. 2. b) aa) und bb). 136 Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (RL 2009/71/EURATOM), ABl.EU L 172/18 v. 2.7.2009 in der Fassung der Richtlinie des Rates 2014/87/EURATOM vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/71/EURATOM, ABl.EU L 219/42 v. 25.7.2014. 137 Näher zu den beiden Richtlinien nachfolgend in Abschnitt D. I. 2. b) bb) und aa).
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
171
cc) Anwendungsbereich des AEUV Wie soeben herausgearbeitet, besteht auf Basis des Art. 106a Abs. 3 EAGV ein grundsätzliches Vorrangrangverhältnis des EURATOM-Vertrag gegenüber den Bestimmungen von EUV und AEUV. Da der EAGV keine direkte Regelung zur Entsorgung und Endlagerung von abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen aufweist, kann in Randbereichen allerdings auch der AEUV zur Anwendung kommen.138 (1) Energiekompetenz (Art. 194 AEUV) Aufgrund der thematischen Nähe ist der Blick zunächst auf den Energiekompetenztitel des Art. 194 AEUV zu richten. Die Regelung beabsichtigt, in einer wettbewerblichen Ausrichtung139 die unionale Energiepolitik zu koordinieren. Diese hat sich an den in Abs. 1 genannten Zielen Sicherstellung eines funktionierenden Energiemarktes (lit. a), Gewährleistung von Versorgungssicherheit (lit. b), Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien (lit. c) sowie der Interkonnektivität der Energienetze (lit. d) zu orientieren.140 Hierzu enthält Art. 194 Abs. 2 zum einen Verfahrensvorschriften, zum anderen aber auch einen materiell-rechtlichen Kompetenzvorbehalt,141 der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Nutzung ihrer Energieressourcen, der Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und damit einhergehend der allgemeinen Struktur ihrer innerstaatlichen Energieversorgung Freiraum gewährt.142 Aufgrund seiner weiten Formulierung143 und der veränderten Zielrichtung nach der durch den Vertrag von Lissabon aufgehobenen Säulenstruktur144 erfährt der 138 EuGH, Rs. C-62/88, ECLI:EU:C:1990:153, Rn. 16 f. – Griechenland/Rat; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 277; Schulenberg, Die Energiepolitik der Europäischen Union, 2009, S. 365. 139 Die Ausrichtung lässt sich der Formulierung „im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts“ in Art. 194 Abs. 1 AEUV entnehmen, vgl. grundlegend Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 125 ff.; differenzierend und keinen Vorrang des Leitziels Binnenmarkt erkennend Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 7. 140 Dezidiert zu den einzelnen Zielen Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 145 ff.; vgl. weiterhin Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 14 ff. 141 Näher zur Eigenschaft als materiell-rechtliche Kompetenzschranke: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 40; Calliess, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 29. 142 Vgl. Bings, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rn. 17. 143 Vgl. Kahl, EuR 2009, S. 601, 607 m. w. N. 144 Vgl. Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 105, der anführt, dass nicht mehr mit der Andersartigkeit von EAGV und sonstigem Primärrecht argumentiert werden dürfe. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sei gem. Art. 194 Abs. 1 lit. c AEUV unter anderem die Förderung der Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen Gegenstand der Unionspolitik. Diese Energiequellen
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Energiekompetenztitel eine gewisse Erstreckung auf den Bereich des Atomrechts.145 Dies betrifft insbesondere ergänzende Maßnahmen in den Bereichen der Umweltund Gesundheitspolitik und Regelungen bezüglich des aus der Kernenergie gewonnenen Stroms.146 Die Kompetenzen von EU und EURATOM ergänzen sich insoweit zu einem „funktionellen Ganzen“.147 Das Vorrangverhältnis des EAGV ist daher nur noch eng gefasst und auf seine einschlägigen spezialvertraglichen Regelungen beschränkt.148 Insbesondere der im Kontext der Endlagerung im Zentrum stehende Gesundheitsschutz ist aber über die Ermächtigung zum Erlass von Grundnormen durch den EAGV abgedeckt.149 Hinsichtlich der Entsorgung radioaktiver Abfälle bleibt für Art. 194 AEUV insofern kein selbstständiger Anwendungsbereich. (2) Beihilferecht Dahingegen sind – ungeachtet des von Art. 106a Abs. 3 EAGV vorgesehenen Vorrangverhältnisses – die Vorschriften der Art. 107 ff. AEUV ergänzend auf beihilferechtliche Sachverhalte anwendbar,150 soweit diese nicht den Sonderbestimmungen des EURATOM-Vertrages unterliegen.151 Die Ziele des EAGV finden im Rahmen der Rechtfertigung einer Beihilfe Berücksichtigung.152 würden dadurch ausdrücklich in einer Art und Weise privilegiert, die dem Förderzweck des EAGV ähnele, wodurch das Argument der strukturellen Verschiedenheit der Verträge an Gewicht verlöre. 145 S. a. im Grundsatz einhellig Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 6; Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 542 f.; Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, 103 ff.; Nettesheim, JZ 2010, S. 19, 20; Winkler, DÖV 2011, S. 804, 809; Kahl, EuR 2009, S. 601, 619 f. 146 Hackländer, Die allgemeine Energiekompetenz im Primärrecht der Europäischen Union, 2010, S. 104, 107; Kahl, EuR 2009, S. 601, 619 m. w. N. 147 Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 251. 148 Winkler, DÖV 2011, S. 804, 809; s. a. und von einer „strikten“ Subsidiarität ausgehend Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 194 AEUV Rn. 3; Schulenberg, Die Energiepolitik der Europäischen Union, 2009, S. 421; Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 103. 149 Vgl. bereits Abschnitt D. I. 2. a) bb) (3); s. a. Kahl, EuR 2009, S. 601, 619 m. w. N.; krit. hinsichtlich einer eingeschränkten Kompetenz der EURATOM bei Regelungen zur nuklearen Sicherheit Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 542 f.; ähnlich Schulenberg, Die Energiepolitik der Europäischen Union, 2009, S. 345, 358 f.; dahingegen die Umwelt als Schutzobjekt ausdrücklich einbeziehend Grunwald, Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 210. 150 Vgl. etwa den Beschluss der Kommission zur Förderung des Kernkraftwerks Hinkley Point C, Beschluss (EU 2015/658) v. 8.10.2014, SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N), ABl. 2015, L 109, S. 44. 151 EuG, Rs. T-356/15, ECLI:EU:T:2018:439, Rn. 72 ff. – Österreich/Kommission; vgl. auch Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 257; s. a. Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 106a EAGV Rn. 5; grundlegend Bacon,
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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Das Standortauswahlgesetz enthält jedoch keine Sachverhalte, die den Tatbestand einer staatlichen Beihilfe erfüllen.153 Die einzig fraglichen Regelungen zur Kostenumlage (§§ 28 ff. StandAG) sehen vielmehr explizit eine verursachergerechte Kostenverteilung vor.154 Anders verhält es sich freilich bei der mit dem Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung155 bewirkten Zusammenführung von Handlungs- und Finanzierungsverantwortung auf staatlicher Seite.156 Mit der Übertragung ihrer Rückstellungen an den Entsorgungsfond sowie der Zahlung eines Risikoaufschlags157 konnten sich die Energieversorgungsunternehmen von jeglichen Zahlungsverpflichtungen im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle entledigen.158 Insbesondere diese Enthaftungsmöglichkeit wirft die Frage nach dem Bestehen einer Beihilfe auf.159 Nach Notifizierung durch die Bundesregierung hat die Kommission das Gesetz einer beihilferechtlichen Prüfung unterzogen und mit Entscheidung vom 16. Januar 2017 genehmigt.160 European Union law of state aid, 2017 Rn. 10, 71; Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 173 ff. m. w. N. 152 EuG, Rs. T-356/15, ECLI:EU:T:2018:439, Rn. 78 – Österreich/Kommission; s. a. Grunwald, ZEuS 2010, S. 407, 429 ff.; Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 106a EAGV Rn. 5. 153 Eine vertiefte Betrachtung finanzierungsrechtlicher Fragen findet in dieser Arbeit daher nicht statt. 154 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 2, 32, zur Vorgängervorschrift § 21b StandAG 2013; s. a. Ruttloff, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 29 StandAG Rn. 2. 155 Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung vom 27.1.2017, BGBl. I S. 114, 1222; in Kraft getretenen am 16.6.2017 mit Genehmigung durch die Europäische Kommission, Entscheidung v. 16.6.2017 – C (2017) 4249 final, SA.45296 (2017/ N). 156 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, Vorb. EntsorgFondG Rn. 12; zu den Anforderungen aus regulatorischer Sicht, vgl. Müller-Dehn, in: Feldmann/Raetzke/Ruttloff (Hrsg.), Atomrecht in Bewegung, 2019, S. 55 ff.; instruktiv zur Entstehungsgeschichte sowie für einen Überblick zu den einzelnen Gesetzen Ludwigs, in: Feldmann/Raetzke/Ruttloff (Hrsg.), Atomrecht in Bewegung, 2019, S. 19 ff.; ders., RW 2018, S. 109 ff. 157 Insgesamt überwiesen die EVU einen Gesamtbetrag von ca. 24,1 Mrd. Euro. Der Betrag setzt sich aus dem Grundbetrag nach § 7 Abs. 2 EntsorgFondsG i.H.V. 17.930.977.226 Euro sowie dem Risikoaufschlag nach § 7 Abs. 3 EntsorgFondsG i. H. v. 6.216.875.476 Euro zusammen, vgl. BMWi, Kernkraftwerksbetreiber haben Einzahlungen an nuklearen Entsorgungsfonds in Höhe von rd. 24 Milliarden Euro geleistet, 3.7.2017. 158 Näher zum Übergang der Finanzierungsverantwortung Ludwigs, RW 2018, S. 109, 117 f.; s. a. Däuper/Dietzel, EnWZ 2016, S. 542, 545. 159 Vgl. Frenz, EWS 2016, S. 212, 214 f.; ders., ZNER 2015, S. 407, 411 f.; zu den Tatbestandsvoraussetzungen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, vgl. Frenz, in: ders. (Hrsg.), Atomrecht, Anhang 3 EntsorgFondG Rn. 7 f.; instruktiv zu den einzelnen Merkmalen Götz, in: Dauses/ Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, H.III. Rn. 47 ff.; insbesondere können auch systemwidrige Ausnahmen von generellen Pflichten staatliche Mittel belasten und sind deshalb infolge des parallelen finanziellen Effekts finanziellen Zuwendungen gleichzustellen, vgl. EuGH, Rs. C-172/03, ECLI:EU:C:2005:130, Rn. 36 – Heiser. 160 Vgl. Europäische Kommission, Entscheidung v. 16.6.2017 – C (2017) 4249 final, SA.45296 (2017/N); die Brüsseler Wettbewerbshüter begründen das Vorliegen eines Beihil-
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
dd) Zwischenergebnis Für den Bereich der nuklearen Entsorgung nimmt der EAGV aufgrund der besonderen Sachnähe seiner Regelungen innerhalb des Primärrechts der Europäischen Union eine dominierende Stellung ein. Rechtstechnisch etabliert Art. 106a Abs. 3 EAGV hierzu ein Vorrangverhältnis. Allerdings enthält der EAGV keine spezifischen Regelungen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Sein drittes Kapitel (Gesundheitsschutz) beschränkt sich auf die Ermächtigung zum Erlass von Grundnormen und verweist insofern in das Sekundärrecht. Demnach besteht grundsätzlich Raum für eine subsidiäre Anwendbarkeit der Verträge.161 Maßgeblich betrifft dies die Genehmigung staatlicher Beihilfen entsprechend der Art. 107 ff. AEUV.162 Im Rahmen der Standortsuche entfalten jedoch ausschließlich die Finanzierungsfragen beihilferechtliche Relevanz. Die diesbezüglich im Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung enthaltenen Regelungen wurden von der Kommission genehmigt. b) Sekundärrechtliche Bestimmungen Wie die vorangegangene Zusammenschau gezeigt hat, lassen sich dem Primärrecht – sowohl dem AEUV als auch dem für den nuklearen Bereich vorrangigen EAGV – keine spezifischen Vorgaben zur Entsorgung radioaktiver Abfälle entnehmen.163 Der Blick fällt somit auf das europäische Sekundärrecht. Zur sicherheitsrechtlichen Thematik existieren auf dem Gebiet des Atomrechts zwei Richtlinien. Die sog. Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM)164 regelt den Umgang mit abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen (aa). Die Richtlinie zur nuklearen Sicherheit (RL 2009/71/EURATOM)165 zielt auf die Auffentatbestandes mit den Unsicherheiten hinsichtlich der tatsächlichen Höhe der Entsorgungskosten in Anwendung des Market-Operator-Tests (Rn. 30 ff.). In einem weiteren Schritt erfolgt dann aber die Beihilfegenehmigung in direkter Anwendung von Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV (Rn. 42 ff.). Dabei werden sowohl die schlüssige Kalkulation von Grundbetrag und Risikoaufschlag (Rn. 62 ff.) als auch die begrenzte Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung (Rn. 76 ff.) hervorgehoben, s. a. Ludwigs, RW 2018, S. 109, 120 (Fn. 50); vgl. weiterhin Frenz, RdE 2017, S. 393, 393 f. 161 S. a. Schulenberg, Die Energiepolitik der Europäischen Union, 2009, S. 421; a. A. Kahl, EuR 2009, S. 601, 620. 162 S. a. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 257; Kühling, RdE 2001, S. 93, 94. 163 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 167; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 277. 164 Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 19. Juli 2011 – RL 2011/70/EURATOM, ABl.EU L 199/48 v. 2.8.2011. 165 Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (RL 2009/71/EURATOM), ABl.EU L 172/18 v. 2.7.2009 in der Fassung der Richtlinie des Rates 2014/87/EURATOM vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/71/EURATOM, ABl.EU L 219/42 v. 25.7.2014.
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rechterhaltung und kontinuierliche Verbesserung der nuklearen Sicherheit (bb). Darüber hinaus bestehen weitere Regelwerke, die Implikationen für das Verfahren der Standortsuche liefern. Exemplarisch soll auf die zentral bedeutsame Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL)166 eingegangen werden (cc). aa) Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM) Die am 19. November 2011 vom Rat beschossene Entsorgungsrichtlinie verfolgt das Ziel, einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle aufzustellen. Insbesondere sollen künftigen Generationen keine unangemessenen Lasten aufgebürdet werden. Dementsprechend obliegt den Mitgliedsstaaten, geeignete innerstaatliche Maßnahmen für ein hohes Sicherheitsniveau zu schaffen, um die Arbeitskräfte und die Bevölkerung vor den Gefahren ionisierender Strahlung zu schützen. Ferner gibt die Richtlinie auf, die erforderliche Unterrichtung und Beteiligung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Entsorgung radioaktiven Abfalls zu gewährleisten.167 Die Umsetzung in nationales Recht erfolgte im Wesentlichen mit der 14. Atomrechtsnovelle vom 20. November 2015.168 Nachfolgend soll knapp auf die primärrechtliche Rechtsgrundlage (1) und das Verhältnis zur Joint Convention (2) eingegangen werden, um anschließend den Inhalt zu skizzieren (3) und ihre Bedeutung für die Endlagersuche in Deutschland169 (4) herauszuarbeiten. (1) Rechtsgrundlage Die Entsorgungsrichtlinie stützt sich auf die Bestimmungen zum Gesundheitsschutz in Kapitel 3 des EAGV, namentlich die Art. 31 und 32 EAGV.170 Demnach 166 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), ABl.EU L 26 v. 28.1.2012 in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2014/52/ EU, ABl.EU L 124 v. 25.4.2014. 167 Vgl. Art. 1 RL 2011/70/EURATOM; näher zum Gegenstand der Richtlinie Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 168 f.; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 278. 168 Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes v. 20.11.2015, BGBl. I S. 2053; vgl. BT-Drs. 18/5865; BR-Drs. 260/15; s. a. BfE, 2011/70/EURATOM EU Richtlinie zur Entsorgung radioaktiver Abfälle, https://www.bfe.bund.de/DE/bfe/archiv/bfs-stellungnahmen/DE/2 011/02-17-eu-richtlinie.html, (geprüft am 26.9.2019). 169 Dass der Gesetzgeber mit dem StandAG offenbar keine Umsetzung der Entsorgungsrichtlinie beabsichtigt hat (vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 2), ist für ihre Maßgeblichkeit unbeachtlich, s. a. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 35. 170 Vgl. Indlekofer/Schwichtenberg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Einführung EAGV Rn. 12; ausführlich zur Wahrung des primärrechtlichen
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
können Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen Gefahren ionisierender Strahlung erlassen werden. Die genannten Vorschriften bilden nach den Ausführungen des EuGH eine „systematische Gesamtregelung“, die relativ weitgehende Befugnisse zum Schutz von Bevölkerung und Umwelt171 gegen die Risiken einer radioaktiven Verseuchung zubilligt.172 Insbesondere erschöpft sich der Gesundheitsschutz nicht etwa in der Festlegung von Dosisgrenzen, sondern bezieht Ursachenfaktoren und Strahlungsquellen (dazu gehören gerade auch radioaktive Abfälle) mit ein.173 (2) Verhältnis zur Joint Convention Beim Erlass und bei der Anwendung von Sekundärrecht sind die Organe der Union gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV an Verpflichtungen aus solchen Abkommen gebunden, an denen die EU bzw. EURATOM als Vertragspartei beteiligt sind.174 Folglich hatte der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung der Entsorgungsrichtlinie die Vorgaben der Joint Convention zu beachten.175 In Erwägungsgrund 14 wird das Übereinkommen ausdrücklich als Anreizinstrument benannt, mit dem Ziel, ein weltweit hohes Sicherheitsniveau bei der nuklearen Entsorgung durch die Verbesserung innerstaatlicher Maßnahmen und der internationalen Zusammenarbeit zu erreichen bzw. beizubehalten. Diese Bedeutungszumessung veranschaulicht, dass der Richtliniengeber die Vorgaben der Joint Convention anerkannt und bei der Konzeption der Entsorgungsrichtlinie berücksichtigt hat.176 Kompetenzbereichs bei Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 171 ff.; krit. hinsichtlich der beschränkten Kompetenz von EURATOM zur Regelung der nuklearen Sicherheit Frenz/Ehlenz, ZNER 2010, S. 539, 542 f. 171 Die Einbeziehung der Umwelt als Schutzobjekt lediglich als reflexhafte Ergänzung des humanbezogenen Schutzes ansehend Hermes, 12. AtomRS, S. 37, 70. 172 EuGH, Rs. C-29/99, ECLI:EU:C:2002:734, Rn. 78 f. – Kommission/Rat; EuGH, Rs. C-70/88, ECLI:EU:C:1991:373, Rn. 14 – Parlament/Rat; EuGH, Rs. 187/87, ECLI:EU:C:1988:439, Rn. 111 – Land de Sarre/Ministre de L’Idustrie; i. E. ebenso Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 173 ff. 173 Hermes, 12. AtomRS, S. 37, 57, 69; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 174 f., für eine dezidierte Untersuchung, ob sich die RL im Rahmen der Befugnisse des EAGV hält, vgl. S. 177 ff., dies bejaht Giesselmann, stellt allerdings für die Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie eine Kompetenzüberschreitung fest (S. 184). 174 EuGH, 40/72, Slg. 1973, S. 125 Rn. 18 – Schroeder/Deutschland; EuGH, C-61/94, ECLI:EU:C:1996:313, Rn. 52 – Kommission/Deutschland; EuGH, C-402/05 P und C-415/05 P, ECLI:EU:C:2008:461, Rn. 42 – Kadi und Al Barakaat/Rat und Kommission; aus der Lit.: Vöneky/Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 39; Epiney, EuR Beiheft 2/2012, S. 25, 38. 175 Zur Eigenschaft der Joint Convention als sog. „Gemischtes Abkommen“, vgl. Abschnitt D. I. 1. a) aa). 176 Zur Konformität der Entsorgungsrichtlinie mit der Joint Convention, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 191 ff.
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(3) Wesentlicher Inhalt Noch deutlicher erkennbar wird dies bei einem Blick auf die Struktur und den Inhalt der Entsorgungsrichtlinie, welche sich in drei Kapitel gliedert.177 In einem ersten Teil (Art. 1 – 4) werden Ziele, Begriffsbestimmungen und allgemeine Grundsätze festgehalten. Neben dem Gegenstand der Richtlinie – einen Rahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle zu schaffen (Art. 1) – erläutert Art. 2, dass sich ihr Geltungsbereich auf alle Stufen der Entsorgung radioaktiver Abfälle von der Erzeugung bis zur Endlagerung erstreckt.178 Des Weiteren werden verschiedene Begriffe definiert (Art. 3) und allgemeine Grundsätze aufgestellt (Art. 4). Maßgeblich ist zuvörderst Art. 4 Abs. 1, der die Verantwortung den einzelnen Mitgliedsstaaten zuweist. Diese sind demnach verpflichtet, die Abfälle, welche auf ihrem Hoheitsgebiet entstanden, auch dort endzulagern. Ausnahmen von diesem Grundsatz der nationalen Lagerung bestehen nach Art. 2 Abs. 3 lit. b für Abfälle aus Forschungsreaktoren sowie nach Art. 4 Abs. 4 Uabs. 1 Hs. 2 im Falle der Existenz internationaler Abkommen zur Verbringung in Drittstaaten.179 Das zweite Kapitel (Art. 5 – 14) enthält konkrete mitgliedsstaatliche Verpflichtungen hinsichtlich der Umsetzung und Ausgestaltung von Entsorgungsbemühungen. Insbesondere haben die Mitgliedsstaaten nach Art. 5 einen nationalen Gesetzes-, Vollzugs-, und Organisationsrahmen aufzustellen.180 Dieser Nationale Rahmen umfasst insbesondere ein nationales Programm (Art. 11 – 13) zur Umsetzung der Entsorgungsstrategie.181 Weiterhin werden dort mitgliedsstaatliche Anforderungen festgelegt, welche die sichere Entsorgung abgebrannter Brennstoffe und radioaktiver Abfälle gewährleisten. Das Gleiche gilt bezüglich eines Genehmigungssystems für Anlagen und entsorgungsspezifische Tätigkeiten und eines Systems für behördliche Kontrollen und Durchsetzungsmaßnahmen. Darüber hinaus sind eine Auflistung aller an der Entsorgung beteiligten Stellen sowie nationaler Vorschriften für die Unterrichtung und die Beteiligung der Öffentlichkeit zu erarbeiten. Zudem macht Art. 6 konkrete Vorgaben zur Behördenorganisation. Demnach richten die Mitgliedsstaaten dauerhaft eine Regulierungsbehörde ein. Gemäß dem in Abs. 2 enthaltenen Trennungsgrundsatz muss diese funktional von sämtlichen anderen Stellen 177
Für einen Überblick, vgl. Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 278 ff. Näher dazu Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 35 f. 179 Zur Vereinbarkeit eines Exportverbots mit den Richtlinienvorgaben im nationalen Recht, vgl. Abschnitt D. IV. 7. b). 180 Zur Darstellung des nationalen Rahmens, vgl. Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 280; knapper Smeddinck, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 69, 78. 181 Deutschland ist dieser Verpflichtung mit der Aufstellung des Nationalen Entsorgungsprogramms v. 12.8.2015 fristgerecht nachgekommen, vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015. 178
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
und Organisationen separiert sein, die mit der Förderung oder Nutzung von Kernenergie befasst sind, um die tatsächliche Unabhängigkeit von ungebührlicher Beeinflussung in ihrer Regulierungstätigkeit sicherzustellen.182 Weitere Bestimmungen legen die Verantwortung für Entsorgungsanlagen und -tätigkeiten in die Hände des Genehmigungsinhabers (Art. 7), adressieren Vorgaben zur Aus- und Weiterbildung (Art. 8) und hinsichtlich der Informationsverbreitung (Art. 10)183. Art. 9 gibt den Mitgliedsstaaten vor, mit Hilfe des nationalen Rahmens sicherzustellen, dass – unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips184 – zum benötigten Zeitpunkt angemessene Finanzmittel zur Verfügung stehen. Herzstück des nationalen Rahmens ist jedoch die Verpflichtung zur Aufstellung der nationalen Programme (Art. 11 – 13).185 Entsprechend der Zieldefinition der Richtlinie müssen diese darlegen, wie der jeweilige Mitgliedsstaat beabsichtigt, seine nationale Entsorgungspolitik umzusetzen. In zeitlicher Perspektive erstrecken sie sich über alle Stufen der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle von ihrer Entstehung bis zur Endlagerung.186 Konkrete Umsetzungsmaßnahmen schreibt die RL 2011/70/EURATOM aber gerade nicht vor. Vielmehr eröffnet sie den Mitgliedsstaaten einen Ausfüllungs- und Beurteilungsspielraum.187 Art. 12 Abs. 1 lit. a-k) zeigen lediglich Eckpunkte auf, die sich in den nationalen Programmen wiederzufinden haben.188 Wie etwa die nach lit. d) und e) geforderten Konzepte und technischen Entsorgungslösungen vor und nach Verschluss eines Endlagers auszusehen haben, wird von der Entsorgungsrichtlinie nicht 182 Zur Vereinbarkeit der Behördenorganisation des StandAG mit den Richtlinienvorgaben, vgl. Abschnitt D. IV. 7. a); näher zur Umsetzung des Trennungsgrundsatzes in Deutschland, vgl. BMU, Zweiter Bericht zur Durchführung der Richtlinie 2011/70/Euratom, August 2018, S. 34 ff. 183 Näher zu den Transparenzvorgaben und ihrer Umsetzung im StandAG 2013, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 36 f. 184 Für eine Gesamtschau der in der Richtlinie enthaltenen Anknüpfungspunkte an das Verursacherprinzip, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 43 f. 185 Für das deutsche Nationale Entsorgungsprogramm, vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015. 186 Vgl. Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 281. 187 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 182. 188 Wesentliche Bestandteile sind etwa eine Übersicht zu den Gesamtzielen der nationalen Entsorgungspolitik (lit. a), maßgebliche Zwischenetappen und klare Zeitpläne (lit. b), eine Bestandaufnahme aktueller und künftiger Abfallmengen (lit. c), eine Kostenschätzung (lit. h), sowie die geltenden Finanzierungsregelungen (lit. i); für die Umsetzung in Deutschland, vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015.
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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vorgeformt.189 Nach Fertigstellung notifizieren die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Programme gegenüber der Kommission, die ggf. weitergehende Erläuterungen anfordern kann (Art. 13). Zudem bestehen Berichtspflichten nach Art. 14.190 In ihrem letzten Kapitel (Art. 15 – 17) beschränkt sich die Richtlinie auf redaktionelle Vorgaben zur Umsetzung, dem Inkrafttreten und dem Adressatenkreis. Bedeutsam sind hierbei insbesondere die zeitlichen Vorgaben, die eine Umsetzungspflicht bis zum 23. August 2013 (Art. 15 Abs. 1) sowie eine Notifizierungspflicht der nationalen Programme bis spätestens zum 23. August 2015 statuieren. (4) Zusammenfassung Als übergeordnetes Ziel der Richtlinie lässt sich erkennen, das Problem der nuklearen Entsorgung durch neue Institutionen und Regelungen in nationalstaatlicher Verantwortung zu bearbeiten.191 Die Verpflichtung zur Aufstellung eines nationalen Rahmens und zur Erarbeitung nationaler Programme enthält jedoch auch einen umfangreichen und detaillierten Aufgabenkatalog. In Kombination mit der – angesichts der Thematik – knappen Umsetzungsfrist ist festzuhalten, dass der Richtliniengeber den Mitgliedsstaaten zwar Spielräume zur Gestaltung der Entsorgungsbemühungen überlässt, diese gleichwohl aber eng vorstrukturiert. bb) Richtlinie zur nuklearen Sicherheit (RL 2009/71/EURATOM) Neben der Entsorgungsrichtlinie umfasst das Sekundärrecht im Bereich der Kernenergie weiterhin die Richtlinie zur nuklearen Sicherheit (RL 2009/71/EURATOM)192. Deren Ziel besteht in der Aufrechterhaltung und kontinuierlichen Verbesserung der nuklearen Sicherheit. Dazu gibt die Richtlinie Anweisungen zur Schaffung eines rechtlichen und regulatorischen Rahmens für die nukleare Sicherheit sowie zu Organisation und Aufgaben der atomrechtlichen Behörden. Des Weiteren regelt sie Pflichten der Betreiber kerntechnischer Anlagen, die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern aller Beteiligten und enthält Vorgaben zur Information der Öffentlichkeit.193 189 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 182. 190 Erstmals war zum 23.8.2015 zu berichten; die Pflicht besteht im 3-jährigen Turnus, vgl. zuletzt BMU, Zweiter Bericht zur Durchführung der Richtlinie 2011/70/Euratom, August 2018. 191 Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 61. 192 Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (RL 2009/71/EURATOM), ABl.EU L 172/18 v. 2.7.2009 in der Fassung der Richtlinie des Rates 2014/87/EURATOM vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/71/EURATOM, ABl.EU L 219/42 v. 25.7.2014. 193 Näher zum Inhalt Karpenstein, RdE 2010, S. 170 ff.; Hubmann, Nukleare Sicherheit und die Europäische Union, 2015, S. 38 f.; zum Inhalt der Änderungsrichtlinie, vgl. BMU, EU verabschiedet geänderte Richtlinie zur nuklearen Sicherheit, 15.12.2015.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Der Geltungsbereich erstreckt sich unter anderem auf Kernkraftwerke, Forschungsreaktoren und Zwischenlager, nicht aber auf Endlager radioaktiver Abfälle. Dieser Bereich wird durch die zuvor behandelte Entsorgungsrichtlinie vollständig abgedeckt. Für die weitere Untersuchung kommt der Richtlinie zur nuklearen Sicherheit somit eine untergeordnete Bedeutung zu.194 cc) UVP-Richtlinie (RL 2011/92/EU) Die Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL)195 ist nicht unmittelbar in den Kontext der nuklearen Entsorgung einzuordnen. Dennoch kommt ihr für das Verfahren der Endlagersuche eine hohe Bedeutung zu. Sowohl während der Standortsuche als auch bei der anschließenden atomrechtlichen Anlagengenehmigung sind Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) durchzuführen.196 Folglich muss das nationale Verfahrensrecht entsprechend den Vorgaben der UVP-RL ausgestaltet sein. Im Fokus steht insbesondere Art. 11 UVP-RL.197 Die Vorschrift beabsichtigt die Implementierung von Art. 9 der Aarhus-Konvention in Unionsrecht und adressiert an die Mitgliedsstaaten eine Verpflichtung, im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren sicherzustellen.198 Dies betrifft u. a. Umweltverbände, welche die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 UVP-RL erfüllen. Sie haben in einem Überprüfungsverfahren geltend machen zu können, dass eine Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen.199 Insbesondere dürfen entsprechende Klagerechte nicht vom 194 Relevanz entfaltet die Richtlinie lediglich mittelbar, beispielsweise bei der Berücksichtigung von Transportanforderungen für radioaktive Abfälle, soweit dies bereits im Bereich der Standortsuche Auswirkungen zeitigt. Zum Ausschluss der Endlagerung vom Anwendungsbereich, vgl. BMU, EU verabschiedet geänderte Richtlinie zur nuklearen Sicherheit, 15.12.2015; ebenso noch zur alten Fassung Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 168; Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 509; Karpenstein, RdE 2010, S. 170, 177. 195 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), ABl.EU L 26 v. 28.1.2012 in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2014/52/ EU, ABl.EU L 124 v. 25.4.2014. 196 Die Pflicht zur Durchführung einer UVP ergibt sich aus Nr. 3 lit. b) der Anlage 1 zur UVP-RL; umgesetzt in Nr. 11.2 der Anlage 1 des UVPG. 197 Näher zu Art. 11 UVP-RL und seinen Vorgaben für die Endlagersuche in Abschnitt D. IV. 2. c) bb) (1). 198 Hierbei haben die Mitgliedstaaten stets das Ziel der Richtlinie zu berücksichtigen, einen „weiten Zugang“ zu einer gerichtlichen Überprüfung zu gewähren, vgl. EuGH, Rs. C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683, Rn. 77 – Kommission/Deutschland; EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 37 – Trianel. 199 Vgl. EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 48 – Trianel; bei staatlich anerkannten Nichtregierungsorganisationen ist in Ansehung des Art. 11 Abs. 3 S. 2 UVP-RL ein solches Interesse zu unterstellen, vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 312; Däuper/Mirbach/
I. Internationale und europarechtliche Vorgaben der Endlagerung
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Bestehen subjektiver Rechtspositionen abhängig gemacht werden. Ein Spannungsfeld ergab sich diesbezüglich in erster Linie mit der Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems im StandAG 2013.200 Ebenso stellt die UVP-RL in Art. 6 Abs. 2 Anforderungen hinsichtlich einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung.201 c) Zusammenfassung Obwohl dem Unionsrecht in den Verträgen an verschiedenen Stellen Aussagen zum Umwelt- und Energierecht zu entnehmen sind, konzentrieren sich die konkreten Maßgaben für die Endlagersuche im Ergebnis auf das Sekundärrecht. Innerhalb des Primärrechts besteht ein thematischer Vorrang des EAGV gegenüber den Regelungen des AEUV. Allerdings gelten die beihilferechtlichen Erfordernisse über die Norm des Art. 106a EAGV auch im Anwendungsbereich des EURATOM-Vertrags. Dieser enthält in seinem Kapitel III (Art. 30 ff. EAGV) Grundnormen zum Gesundheitsschutz. Spezifische Vorgaben lassen sich diesen Vorschriften aber nicht entnehmen. Solche konkreten Direktiven für die Endlagersuche bleiben der Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM) vorbehalten. Ergänzend hat das Verfahren der Standortsuche das weiter einschlägige europäische Sekundär-Fachrecht zu berücksichtigen. Namentlich müssen die Rechtsschutzmöglichkeiten den Vorgaben der UVP-RL202 entsprechen.
Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 18; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 28. 200 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 16 ff.; dies., in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 124 f.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1138 f. sowie die Ausführungen in Abschnitt D. IV. 2. c) bb) und cc) (3). 201 Zur diesbezüglichen Konformität des StandAG, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 13 ff.; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 12 ff. 202 Die UVP-RL enthält alle relevanten Vorgaben der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie (RL 2003/35/EG), so dass auf eine separate Darstellung verzichtet wird, vgl. Däuper/Mirbach/ Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 45 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
3. Zwischenergebnis Sowohl das internationale Recht als auch das Europarecht befasst sich mit der Thematik der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Die Europäische Union und EURATOM setzen mit ihren Sekundärrechtsakten im Wesentlichen völkerrechtliche Verpflichtungen um, die sich daraus ergeben, dass sie selbst Partei der internationalen Abkommen sind (sog. Gemischte Abkommen). Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet diese Ausgangssituation im Bereich der nuklearen Entsorgung eine doppelte Bindung an internationale Vorgaben.203 Einerseits gelten die von ihr unterzeichneten Abkommen nach Ratifizierung im Rang eines einfachen Bundesgesetzes.204 Andererseits ist sie schon auf Grundlage der allgemeinen Loyalitätspflichten aus Art. 4 Abs. 3 EUV205 zur Berücksichtigung des Unionsrechts verpflichtet.206 Im Ergebnis besteht so – ungeachtet des Grundsatzes der nationalen Lagerung – eine nicht unerhebliche Vorstrukturierung. Dies betrifft beispielsweise die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen als bevorzugte Entsorgungsalternative,207 die Durchführung eines alternativen Suchverfahrens,208 die Organisation der Behördenstruktur und Beteiligungsverfahren sowie zeitliche Vorgaben hinsichtlich Aufstellung des Nationalen Entsorgungsprogramms und bestehender Berichtspflichten. Insbesondere die Entsorgungsrichtlinie kann daher neben den politischen Ausgangsbedingungen im Umfeld der Energiewende als Motor des Neustarts der Endlagersuche bezeichnet werden.
203 S. a. Sangenstedt, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79, 94; von „doppelten Umsetzungsproblemen“ sprechend Berkemann, DVBl. 2015, S. 389; Walter, EuR 2005, S. 302, 303 f.; a. A. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 191, der Gemischten Abkommen eine intensivere Wirkung zuspricht. Dies führt er auf die Rangstellung der Abkommen zwischen Primär- und Sekundärrecht zurück (vgl. S. 187 f.). 204 Zu den Funktionen des Vertragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG (Kontrolle, Ermächtigung, Vollzug, Rangbestimmung), vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 59 Rn. 93 ff. 205 Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 32; grundlegend zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251 – Costa/ENEL; EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, S. 629 – Simmenthal. 206 Für eine direkte Umsetzungspflicht von Sekundärrecht, ohne dass es eines Rückgriffs auf Art. 4 Abs. 3 EUV bedarf, vgl. EuGH, Rs. C-129/96, ECLI:EU:C:1997:628, Rn. 40 – InterEnvironment; aus der Lit.: Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 114; Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 63. 207 Vgl. ErwG 21, 23 RL 2011/70/EURATOM. 208 S. a. und in diesem Kontext die seinerzeitige Vorfestlegung auf den Standort Gorleben problematisierend Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 282.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte
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II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte Während die internationalen und europarechtlichen Vorgaben ihre Wirkungen bei der Ausgestaltung des einfachgesetzlichen Regelungsrahmens zeitigen, ist das Atomrecht im Allgemeinen und die Endlagersuche im Besonderen darüber hinaus von verschiedenen grundrechtlichen Determinanten209 geprägt. Die zahlreich ausgetragenen Konflikte um atomrechtliche Genehmigungen oder Gesetzesvorhaben, gepaart mit dem Gefahrenpotenzial und der ökonomischen Bedeutung der Atomindustrie, führten zu einer Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter haben in diesen Verfahren über den Bereich des Atomrechts hinaus maßgebliche Vorgaben für den Umgang mit Hochrisikotechnologien, aber auch grundlegende verfassungsdogmatische Figuren entwickelt.210 Die Entsorgung radioaktiver Abfälle beruht dabei auf den gleichen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wie die friedliche Nutzung der Kernenergie selbst.211 Die im Kontext der Endlagersuche in Rede stehenden Grundrechte212 vermitteln nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar keine subjektiven Abwehrrechte gegen staatliches Handeln.213 Den betroffenen Grundrechten kommt als Ausdruck der „Multifunktionalität der Grundrechte“214 aber eine schutzrechtliche 209 Neben grundrechtlichen Fragestellungen spielen bei der Endlagersuche im verfassungsrechtlichen Kontext auch Staatsstrukturprinzipien wie der Gewaltenteilungsgrundsatz oder das Demokratieprinzip eine Rolle. Diese Aspekte werden im Zuge der konkreten Problemstellungen in Abschnitt D. IV. näher erörtert. 210 Vgl. Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, 2014, S. 41 ff.; zur „Hochrisikotechnologie Kernenergienutzung“, vgl. Burgi, NVwZ 2019, S. 585, 586 f. 211 BVerfGK 16, 370 Rn. 21 – Schacht Konrad mit Bezug auf BVerfGE 53, 30, 58 – Mühlheim-Kärlich und BVerfGE 49, 89, 126 ff. – Kalkar I; so auch Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270. 212 Im Wesentlichen handelt es sich um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG sowie das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG. 213 Dies gilt selbst dann, wenn man mit dem Bundesverfassungsgericht konstatiert, dass „bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken nicht weniger strenge Maßstäbe anzulegen (seien) als bei der Prüfung staatlicher Eingriffsgesetze“, vgl. BVerfGE 53, 30, 57 f. – MühlheimKärlich; zwar hat der Staat einerseits durch sein wirtschaftliches Engagement und seine Gesetzgebung die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie überhaupt erst ermöglicht und damit maßgeblich eine Gefahrensituation für grundrechtliche Schutzgüter herbeigeführt. Andererseits ergeben sich hieraus eher Anforderungen für den Schutzumfang als für die dogmatische Einordnung als hoheitlicher Eingriff, vgl. hierzu auch Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1986; vgl. weiterhin Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270 f.; einschränkend auf den Bereich des Restrisikos Schulze-Fielitz, DÖV 2011, S. 785, 790; a. A. sofern der Staat als Verursacher auftritt Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 15. 214 Stern, DÖV 2010, S. 241, 242 f. mit Verweis auf BVerfGE 7, 198, 204 f. – Lüth; zur erstmaligen Verwendung des Begriffs im Jahr 1965, vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1999, S. 80 (Fn. 53), 129 (Fn. 134); ausführlich zur Multifunktionalität Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, 2014, S. 93 ff.; vgl. auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 4 (Fn. 19) m. w. N.
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Dimension zu. Herleitung, Ausgestaltung und Umfang dieser staatlichen Schutzpflicht werden nachfolgend (1.) näher erläutert. Nicht ausgeschlossenen sind darüber hinaus einzelne Fallgestaltungen, in denen Grundrechte in der klassischen freiheitsrechtlichen Ausprägung als Abwehrrechte berührt sind. Diese Konstellationen werden unter (2.) kursorisch beleuchtet.215 1. Schutzpflichten des Staates Die Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte216 (status negativus)217 bewahren den Einzelnen vor (nicht gerechtfertigten) Eingriffen des Staates. Weitergehend hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen218 beginnend mit dem ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch eine schutzrechtliche Dimension entwickelt. Die Existenz dieser zusätzlichen Grundrechtsfunktion ist zwischenzeitlich nahezu umfassend anerkannt.219 Unterschiedliche Ansichten ergeben sich lediglich bei der verfassungsrechtlichen Anknüpfung 215 Die Ausführungen in diesem Abschnitt beschränken sich freilich auf eine Darstellung der verfasssungs- und insbesondere der grundrechtlichen Grundlagen für die Endlagersuche. Spezifische verfassungsrechtliche Fragestellungen, die sich aus der Konzeption des StandAG ergeben, werden zur Vermeidung von Redundanzen und Friktionen erst nach der Vorstellung des einfach-rechtlichen Regelungsrahmens (III.) in einem eigenen Kapitel (IV.) erörtert. 216 Statt vieler Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 2 m. w. N.; Sachs, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 39; Starck, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 33 Rn. 16; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 74 ff. 217 Grundlegend für eine Unterscheidung von status negativus, status positivus und status activus Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1905, S. 86 f.; vgl. dazu auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 229 ff. 218 BVerfGE 39, 1 – Schwangerschaftsabbruch I; E 46, 160 – Schleyer; E 49, 89 – Kalkar I; E 53, 30 – Mühlheim-Kärlich; E 56, 54 – Fluglärm; E 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II; näher Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. Rn. 102 (Fn. 497) m. w. N. 219 Mithin wird auch von einem „Grundbestand des Grundrechtswissens“ gesprochen, vgl. Stern, DÖV 2010, S. 241, 243; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 162; Posser, in: Hecker/Hendler/Proelß u. a. (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Haftung für Umweltschäden, 2013, S. 161, 162; Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 6; Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 2 f.; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 95; für einen (nicht vollständigen) Überblick aus der Literatur, vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 228; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001; Rengeling, Rechtsfragen zu Bundesendlagern für radioaktive Abfälle, 1990, S. 88; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987; Jaeckel, JZ 2011, S. 116; Stern, DÖV 2010, S. 241; Calliess, JZ 2006, S. 321; a. A. und die zugrunde liegenden Problemstellungen einer abwehrrechtlichen Lösung zuführend Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 16 ff., 69 ff.; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1997, S. 213 ff.; ähnlich Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 89 ff.; ders., WiVerw 1986, S. 179 ff.
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sowie Umfang und Ausgestaltung der Schutzpflicht.220 Die Herleitung der Schutzpflichtendogmatik sowie ihr Inhalt sollen zunächst allgemein dargestellt werden (a). Die Reichweite der Schutzpflicht bestimmt sich schließlich nach den im Kontext der Endlagersuche in Rede stehenden Rechtsgütern (b). Welche verfassungsrechtlich geprägten Vorgaben sich daraus bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle konkret ergeben, ist im Anschluss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts näher zu untersuchen (c). a) Herleitung der Schutzpflichtdogmatik Die Existenz staatlicher Schutzpflichten ist grundsätzlich anerkannt.221 Nur vereinzelt werden die entsprechenden Verpflichtungen aus einem abwehrrechtlicher Ansatz222 hergeleitet. Die genaue dogmatische Verankerung ist jedoch in Einzelheiten umstritten.223 Dies mag daran liegen, dass diese Verpflichtungen im Normtext des Grundgesetzes – mit Ausnahme etwa der Bestimmung zum Schutz der Men220 Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 8 f.; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 313; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 63; so auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 124 ff. 221 Vgl. Nachweise in Fn. 219. 222 Namentlich Schwabe und Murswiek begründen diese Ansicht damit, dass jedes hoheitlich nicht unterbundene Einwirken eines Bürgers auf die grundrechtlich geschützten Interessen eines anderen auf dessen Seite zu einer Duldungspflicht führe. Diese Verkürzung grundrechtlicher Positionen durch einen privaten Dritten, die der Staat nicht unterbinde, müsse er sich als eigene Grundrechtsverletzung zurechnen lassen („Eingriff durch Nichtschutz“, Begriff nach Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 358), vgl. Murswiek, WiVerw 1986, S. 179, 182, ders., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 89 ff.; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 16 ff, 69 f.; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1997, S. 213 ff.; ähnlich bei Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 404 ff., 424; vgl. auch die Darstellung zur Diskussion bei Mayer, Untermaß, Übermaß und Wesensgehaltgarantie, 2005, S. 51 ff. Gegen diesen abwehrrechtlichen Ansatz lassen sich jedoch dogmatische Zweckmäßigkeitserwägungen und der Vorwurf logischer Inkonsistenz vorbringen. Die Gleichsetzung von Nichtabwehr privater Angriffe und staatlichem Eingriff ist argumentativ zirkulär. Dass sich der Staat das Verhalten von Privaten als eigenen grundrechtlich relevanten Eingriff zurechnen lassen muss, setzt denklogisch eine Pflicht des Staates zu aktivem Handeln voraus, welche sich gerade aus der Schutzpflicht ergibt; so auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 415 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, 39 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 46 f.; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 188 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 39 f, 46 ff.; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 74; differenzierter und auf die „dogmatische Überforderung“ des Eingriffsbegriffs abzielend Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 358 (Fn. 295); ähnlich Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 14. 223 So auch Cremer, DÖV 2008, S. 102; für eine ähnliche Strukturierung der unterschiedlichen Begründungsstränge, vgl. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 312 ff. und Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 37 ff.
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schenwürde224 – nicht ausdrücklich, vergleichbar den Abwehrrechten ausformuliert sind.225 Auch das Bundesverfassungsgericht rekurriert bei seinen Urteilen auf verschiedene verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte. Neben dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte (aa) wird auf die Schutzverpflichtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG abgestellt (bb). An die Rechtsprechungslinie der Karlsruher Richter anknüpfend findet sich im Schrifttum das Modell, dass der Schutzauftrag für den Menschenwürdekern über die Stufentrias des Art. 1 Abs. 1 bis 3 GG auf die weiteren Grundrechte ausstrahlt (cc). Weitere Herleitungsversuche stellen auf das staatliche Gewaltmonopol (dd) sowie die Grundrechtsschranken (ee) ab. aa) Objektiv-rechtlicher Gehalt der Grundrechte Die Qualifikation der Grundrechte als objektive Wertordnung hat das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal im sog. Lüth-Urteil226 vorgenommen. Zwar seien die Grundrechte (weiterhin) „in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern.“227 Daneben richte sich der Grundrechtsabschnitt aber auch auf eine objektive Wertordnung aus, wodurch gerade eine „prinzipielle Verstärkung der Wirkungskraft der Grundrechte zum Ausdruck“228 komme. Mit den Grundrechten würden Kerngehalte einer Wertordnung für das staatliche und gesellschaftliche Leben einer Gemeinschaft festgehalten.229 Dieser – wenngleich begrifflich leicht variierend230 – konsistenten Rechtsprechungslinie hat sich auch das Schrifttum weitgehend angeschlossen.231
224 Ähnlich lautende Formulierungen finden sich auch in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG. Bei dem staatlichen Wächteramt für die elterliche Erziehung handelt es sich aber ebenso wie bei den Einrichtungsgarantien – beispielsweise in Art. 6 Abs. 1 – um ein funktionales Aliud zur grundrechtlichen Schutzpflicht, vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 147, 205 m. w. N.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 31; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 55. 225 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 33, der jedoch schutzrechtliche Implikationen im Normtext der einzelnen Grundrechte konstatiert, welche im Wege der Auslegung aufgedeckt werden müssten. 226 BVerfGE 7, 198 – Lüth; näher zum Urteil und dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte Rennert, Der Staat 2014, S. 31 ff. 227 BVerfGE 7, 198, 203 – Lüth. 228 BVerfGE 7, 198, 204 f. – Lüth; näher zur objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 29 ff. 229 Stern, DÖV 2010, S. 241, 243; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 44 f. 230 Vgl. Darstellung bei Stern, DÖV 2010, S. 241, 243 mit Bezug auf BVerfGE 50, 290, 337 – Mitbestimmung; aus neuerer Rechtsprechung BVerfGE 94, 268, 285 – Halbteilungsgrundsatz; E 102, 1, 15 – Hartz IV; E 103, 89, 100 – Sicherungsverwahrung; E 107, 28, 55 – Länderfinanzausgleich I; E 111, 333, 353; vgl. auch Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 11 ff. m. w. N.
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Staatliche Schutzpflichten unmittelbar aus den einzelnen Grundrechtsvorschriften abzuleiten, erscheint allerdings nicht völlig überzeugend. Eine normtextliche Anknüpfung ist den Grundrechten mit Ausnahme der Schutzaufträge für die Menschenwürde232 und im Bereich von Ehe und Familie233 nicht zu entnehmen.234 Eine generelle Zubilligung der Schutzdimension für alle Grundrechte ist jedoch auch im Hinblick auf das erweiterte Pflichtenprogramm des Staates problematisch.235 So sind gerade im Umweltrecht wie aber auch im Bereich der inneren Sicherheit vielfältige Konstellationen denkbar, bei denen sich folgerichtig unmittelbare staatliche Handlungspflichten ergeben müssten.236 Das Anerkenntnis als objekt-rechtliche Wertordnung führt demnach allein noch nicht zu einer Schutzpflichtdimension für jedes einzelne Grundrecht.237 bb) Schutzfunktion der Menschenwürde Eine semantische Anknüpfung findet die Schutzfunktion im Grundrechtskatalog insbesondere in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG. Neben der abwehrrechtlichen Komponente („zu achten“) beherbergt diese Norm auch ein schutzrechtliches Element („schützen“). Mithin ist dieser Vorschrift ein echter Grundrechtsanspruch des Bürgers in231 Stern, DÖV 2010, S. 241, 243; Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 71; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 13, 356 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 57; a. A. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 128, der dieser Lehre die „Existenzberechtigung“ abspricht. 232 Vgl. hierzu den folgenden Abschnitt D. II. 1. a) bb). 233 Vgl. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 438; zur Betonung der Ausnahmestellung Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 38; vgl. auch Fn. 224. 234 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 33; z. T. wird die Existenz dieses wörtlichen Schutzbezugs zum Anlass genommen, als Umkehrschluss die Schutzfunktion für andere Grundrechte abzulehnen, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 129; Gusy, DÖV 1996, S. 573, 578; Goerlich, DÖV 1982, S. 631, 633; die Wertordnungslehre als „inhaltlich diffus“ bezeichnend Ekardt, JZ 2007, S. 137, 138. 235 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 945 ff.; krit. mit Blick auf eine Verantwortungsverlagerung von Gesetzgeber zur Verfassungsgerichtsbarkeit Böckenförde, Der Staat 1990, S. 1, 25 f.; dazu weniger kritisch Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 53 ff. 236 Vgl. mit konkreten Beispielen Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStRVII, § 147 Rn. 95, 97; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 214 f.; insoweit überzeugend Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 127 f. 237 So auch Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 93; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 438; in diese Richtung ebenfalls Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 127 f.; vgl. auch BVerfGE 49, 89, 141 f. – Kalkar I; E 88, 203, 251 – Schwangerschaftsabbruch II; E 90, 145, 195 – Cannabis, wo die Schutzpflichtenfunktion zusätzlich auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG gestützt wird.
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härent. Dieser kombiniert zu Lasten des Staates einen Achtungsanspruch mit einhergehender Unterlassungspflicht sowie einen Schutzanspruch mit korrespondierender Handlungspflicht.238 Das Bundesverfassungsgericht hat daher wiederholt (auch) auf den Schutzauftrag aus der Menschenwürde abgestellt, um konkrete Schutzpflichten zu begründen.239 Insoweit ist zu konstatieren, dass Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG einen starken Anhaltspunkt für die Lehre von grundrechtlichen Schutzpflichten bietet.240 Als oberstes Verfassungsprinzip241 und Basisgrundrecht kommt dem Schutzgehalt der Menschenwürde eine Ausstrahlungswirkung auf sämtliche Grundrechtsgewährleistungen zu.242 Konkrete Pflichten insbesondere für einzelne Sachverhalte lassen sich hierauf aber nicht stützen.243 Dies gilt selbst dann, wenn man den im Einzelfall betroffenen Grundrechten einen jeweiligen Menschenwürdekern zuspricht. Im Lichte der Unbestimmtheit des Begriffs und den damit einhergehenden Abgrenzungsschwierigkeiten würde der Schutzauftrag aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG sonst überdehnt.244 cc) „Stufentrias“ des Art. 1 Abs. 1 bis Abs. 3 GG An die vorgenannte Theorie angelehnt ist der Versuch die Schutzpflichtendimension der Grundrechte über die „Stufenleiter“ des Art. 1 Abs. 1 bis 3 GG dogmatisch zu verorten. Ein solcher Ansatz überträgt den Gehalt des Menschenwürdeschutzes aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG über die verbindende Brücke des Art. 1 Abs. 2 GG auf die weiteren Grundrechte.245 Insoweit erfolge ein Gleichlauf der Struktur der 238 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 413 f.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 439; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 140. 239 Vgl. u. a. BVerfGE 49, 89, 141 f. – Kalkar I; E 88, 203, 251 – Schwangerschaftsabbruch II; E 90, 145, 195 – Cannabis, wobei Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG jeweils in den Kontext des betroffenen Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gestellt wird; vgl. auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 I Rn. 137. 240 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 I Rn. 132; ders., Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 55; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 27. 241 Zur Begriffsverwendung, vgl. etwa Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 97. 242 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 95; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 438, 440; Bleckmann, DVBl. 1988, S. 938, 942. 243 So auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. Rn. 104 (mit expliziter Erwähnung der Gefahren der Atomkraft); a. A. Bleckmann, DVBl. 1988, S. 938, 942. 244 Calliess, JZ 2006, S. 321, 327; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001. S. 439; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 184, 198; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, 47; Erichsen, JURA 1997, S. 85, 86; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 71, der den Schutzauftrag der einzelnen Grundrechte auf den „Würdeschutz i. e.S.“ beschränkt. 245 Vgl. Ekardt, JZ 2007, S. 137, 138; Calliess, JZ 2006, S. 321, 327; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 95; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 108 ff.; Bleckmann, DVBl. 1988, S. 938, 942; in diese Richtung auch Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 55.
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Menschenwürde mit den nachfolgenden Grundrechten. Über Art. 1 Abs. 3 GG werde zudem die gesamte Staatsgewalt gebunden. Neben dem abwehrrechtlichen sei daher auch der schutzrechtliche Gehalt des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG in die nachfolgenden Grundrechte hineingetragen.246 Aufgrund des eigenständigen Schutzgegenstandes der einzelnen Grundrechte und um Probleme hinsichtlich der Bestimmtheit auszuschließen, beschränke sich ein solcher Transferierungsprozess auch nicht auf den Menschenwürdekern.247 Die Stufentrias des Art. 1 GG fungiere lediglich als „dogmatisches Fundament zur Begründung einer staatlichen Schutzpflicht“. Der konkrete Inhalt und das Ausmaß seien vom tatsächlich betroffenen Grundrecht bestimmt.248 Insofern kann gewissermaßen eine Kombination der beiden zuvor beschriebenen Herleitungsversuche festgestellt werden, welche die aufgezeigten Kritikpunkte wechselseitig glättet.249 dd) Staatliches Gewaltmonopol Eine ideengeschichtliche Ableitung der Schutzpflichten findet sich in der Bezugnahme auf die Sicherungsfunktion des modernen Staates. Dem mit einer Friedenspflicht einhergehenden Gewaltverzicht seitens der Bürger sei der Staatszweck „Sicherheit“ inhärent. Mit dieser Friedenspflicht korrespondiere die Notwendigkeit staatlichen Schutzes der Bürger voreinander.250 Aus dem Gewaltmonopol erwächst dem Staat gewissermaßen eine Garantenstellung.251 Diese der Tradition von Jean Bodin und Thomas Hobbes entspringende Sichtweise der Theorie eines Gesellschaftsvertrags252 mag in Konstellationen eines Mehrpersonenverhältnisses Bürger-
246 Vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, s. 131 f. mit Verweis auf Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 5, 23; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 440; ders., JZ 2006, S. 321, 327; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 97; Ekardt, JZ 2007, S. 137, 138. 247 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 97; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 440. 248 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 131 mit Verweis auf BVerfGE 39, 1, 42 – Schwangerschaftsabbruch I; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 97; als Synthese einer umfassenden Herleitung Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 437 ff., 443. 249 Insoweit ist hierbei im Ergebnis auch kein grundlegender Unterschied zur Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts zu erkennen. 250 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 23, 34 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 932 ff.; Kröger, JuS 1984, S. 172, 173 f.; vgl. auch Mayer, Untermaß, Übermaß und Wesensgehaltgarantie, 2005, S. 65 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 43 f.; zur Ausgleichsfunktion der Grundrechte für Sicherheit und Freiheit, vgl. Schwarz, in: Blaschke/Forster/Lumpp u. a. (Hrsg.), Sicherheit statt Freiheit?, 2005, S. 29, 34 ff. 251 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 441. 252 Näher hierzu Stern, DÖV 2010, S. 241, 242; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 21 ff.; Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44
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Staat-Bürger verfangen.253 Im Rahmen der Endlagersuche stehen allerdings primär staatliche Handlungspflichten für eine sichere Ausgestaltung des Suchprozesses, mithin ein bipolares Verhältnis Staat-Bürger, im Vordergrund.254 Eine Aktivierung dieses Begründungsansatzes kann allenfalls dadurch konstruiert werden, indem man darauf abstellt, dass die einzelnen Bürger als Schutzobjekt auf (gewalttätige) Proteste255 während des Suchverfahrens zu verzichten haben. Somit kommt diesem Argumentationsstrang in der vorliegenden Konstellation nur eine begrenzte Aussagekraft zu. ee) Grundrechtsschranken und Sozialstaatsprinzip Ein weiterer Versuch, die Schutzpflichtdimension dogmatisch zu verorten, zielt auf die Schrankenbestimmungen der Grundrechte.256 Neben der grundrechtsbegrenzenden Funktion kämen ihnen auch begünstigende Rechtswirkungen zugunsten solcher Rechtsgüter zu, welche die Schrankenregelungen tatbestandsmäßig ausfüllten.257 Unter Rekurs auf das Sozialstaatsprinzip soll sich demnach eine Handlungspflicht des Staates für die Gewährleistung der in den Schrankenbestimmungen enthaltenen Rechtsgüter ergeben.258 Diese Konstruktion mag im Bereich des Gesundheitsschutzes eine gewisse inhaltliche Konsistenz aufweisen.259 Für eine generelle Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten überzeugt dieser Ansatz aber nicht. Schrankenregelungen haben als Ausdruck der Koordinierungs- und Kompatibilisierungsbedürftigkeit der Grundrechte260 (primär) die Funktion, dem Staat Eingriffe in die Rechte der Bürger zu ermöglichen und solche Eingriffe ggf. unter bestimmte Vorbehalte zu stellen.261 Rn. 1 f.; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 88 ff.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 4. 253 Krit. ebenfalls Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 442, der dieser Herleitung zwar als teleologisches Argument zur Begründung von Schutzpflichten würdigt, eine alleinige Begründung aber mit Blick auf fehlende konkrete Anhaltspunkte in der Verfassung ablehnt; ähnlich Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 40 f. 254 Zum Bestehen staatlicher Schutzpflichten auch im Zweipersonenverhältnis, vgl. Kahl, EurUP 2016, S. 300, 306; Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, 2014, S. 302; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 116. 255 Zum beachtlichen Potenzial an Militanz der Anti-Atom-Bewegung, vgl. Rucht, in: Roth/ Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008, S. 245, 264. 256 Herzog, JR 1969, S. 441, 443; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, 1981, S. 79 ff. 257 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, 1981, S. 80. 258 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, 1981, S. 81 f., 147. 259 Dieses Feld betrifft der Herleitungsansatz von Seewald, vgl. Fn. 256-258. 260 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. Rn. 134. 261 Statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. Rn. 136; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 126; Unruh, Zur Dogmatik der
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Positive Rechtswirkungen für den Bürger bleiben auf die Einhaltung dieser Bedingungen beschränkt.262 Eine weitere Schwäche der Theorie zeigt sich darin, dass die staatliche Schutzpflicht für vorbehaltlos gewährte Grundrechte wie etwa die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) oder die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) folgerichtig abzulehnen wäre.263 ff) Zwischenergebnis Unbeschadet der exakten dogmatischen Verortung wird die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der wissenschaftlichen Literatur heute nicht mehr ernsthaft bestritten.264 Demnach kommt den einzelnen Grundrechten neben der abwehrrechtlichen zugleich eine schutzrechtliche Dimension zu.265 Aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG eine Beschränkung der Schutzwirkung auf den Menschenwürdekern oder solche Grundrechte zu folgern, die ein besondere Nähe zur Würde aufweisen,266 würde die Schutzpflicht aber unzulässig verengen.267 In der Verfassung lässt sich allerdings eine strukturelle Kongruenz zwischen der ausdrücklich zu schützenden Menschenwürde und den übrigen Grundrechten erkennen.268 Die beiden grundrechtlichen Wirkdimensionen ziehen einen lückenlosen, sich ergänzenden Schutzgürtel um das jeweilige Grundrechtsgut. Dieser bewahrt vor allen ungerechtfertigten Eingriffen und Beeinträchtigungen, unabhängig davon, ob sie vom Staat oder Privaten ausgehen. Über den Menschenwürdegehalt, der allen Grundrechten innewohnt, wird die Achtungs- und Schutzpflicht des Staates lediglich in die nachfolgenden Grundrechte transportiert.269 Dieses Konzept schlägt eine Brücke zwischen der normtextlichen Verankerung im Bereich der Menschenwürde sowie dem objektiv-rechtlichen Gehalt
grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 49; ähnlich Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 148 ff. 262 Andernfalls eine Aufwertung zu verfassungsimmanenten Schranken befürchtend Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 149 f. 263 S. a. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 44. 264 So auch u. a. Stern, DÖV 2010, S. 241, 243; Cremer, DÖV 2008, S. 102; zur Rechtsprechung, vgl. Nachweise in Fn. 218. 265 Statt vieler Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 22. 266 In Frage kämen hierbei etwa Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 4, Art. 10 und Art. 13 GG, vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 196. 267 Als Ausgangspunkt des gesamten Grundrechtsystems beeinflusst Art. 1 Abs. 1 GG vielmehr die Interpretation aller Bestimmungen des Grundgesetzes, vgl. BVerfGE 6, 32, 36, 40 f. – Elfes; aus der Lit.: Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 440 m. w. N. 268 Callies in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 23; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 443; Klein, DVBl. 1994, S. 489, 492; ebenso Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 79; in diese Richtung auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 131 f. 269 Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 23.
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der einzelnen Grundrechte270 und spiegelt mit der Bindung aller Staatsgewalt auch die in den Vertragstheorien angelegte Legitimation des Staates aus dem Staatszweck Sicherheit wider.271 Im Ergebnis lässt sich konstatieren, dass auch die übrigen Herleitungsansätze272 darin übereinstimmen, Reichweite und Ausgestaltung der Schutzpflicht anhand des konkret in Rede stehenden Grundrechts zu bestimmen.273 Für die weitere Untersuchung ist somit entscheidend, welche Grundrechte von der Endlagersuche betroffen sind. b) Betroffene Rechtsgüter Dem Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung Rechnung tragend ergeben sich Inhalt und Ausmaß der staatlichen Schutzpflicht in Abhängigkeit vom jeweils betroffenen Grundrecht.274 Im Kontext der Endlagersuche steht hierbei primär das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Fokus (aa). Daneben ergibt sich aber auch ein Schutzauftrag für betroffene Eigentumspositionen (Art. 14 GG) bzw. aus der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG). Inwieweit hieraus Ergänzungen und Erweiterungen angezeigt sind, soll in den weiteren Abschnitten (bb und cc) näher dargelegt werden. aa) Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Das Grundrecht auf Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nimmt gerade im Umwelt- und Technikrecht eine zentrale Rolle ein.275 Die mit dem technologischen Fortschritt der modernen Industriegesellschaft einhergehenden 270 Somit trifft dies auch die Rechtsprechungslinie des BVerfG, welche bisweilen ohne nähere dogmatische Ausführungen auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte, den Schutzauftrag aus der Menschwürde oder eine Kombination der beiden Ansätze abstellt. 271 S. a. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 443. 272 Eine Ausnahme bildet lediglich die Theorie von Seewald, die Schutzpflicht aus den Grundrechtsschranken abzuleiten (vgl. Abschnitt D. II. 1. a) ee). Allerdings beschränken sich seine Ausführungen auf den staatlichen Schutz für das Rechtsgut Gesundheit und sind somit wenig verallgemeinerungsfähig. 273 S. a. Posser, in: Hecker/Hendler/Proelß u. a. (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Haftung für Umweltschäden, 2013, S. 161, 163. 274 Vgl. BVerfGE 88, 203, 254 – Schwangerschaftsabbruch II; so auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 132; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 97; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 85; Stern, DÖV 2010, S. 241, 244. 275 Vgl. hierzu u. a. BVerfGE 49, 89, 140 ff. – Kalkar I; E 53, 30, 57 ff. – Mühlheim-Kärlich; E 56, 54, 73 ff. – Fluglärm; BVerfGK 14, 402 Rn. 19 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld; K 16, 370 Rn. 27 – Schacht Konrad; K 17, 57 Rn. 10 – CERN.
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Ungewissheiten und Risikopotenziale bedingen staatlicherseits Vorkehrungen und Sicherungsmechanismen zu treffen. Dies gilt insbesondere für Kernkraftanlagen als Paradebeispiel für eine Hochrisikotechnologie und ein komplexes Techniksystem.276 Solchen Systemen ist gemein, dass sie neuartig und in ständigem Wandel begriffen sind.277 Dies erfordert wiederum theoretische Modelle, um Orientierungsmaßstäbe für Maßnahmen zur Schadensbegrenzung bereitstellen zu können. Die Schadensmöglichkeiten sind mithin aufgrund der Neuartigkeit einer Technik nur schwer zu kalkulieren, meist langfristig folgenreich und weithin irreversibel. Zudem sind die technischen Zusammenhänge von Kernkraftanlagen so komplex, dass nur ein sehr kleiner Kreis von Experten hierüber belastbare Aussagen treffen kann.278 Vor diesem Hintergrund werden zunächst die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit einführend dargestellt (1). Den Schutzpflichten als materielle Gebote sind weiterhin zum einen Elemente der Gefahren- und Risikovorsorge inhärent (2), zum anderen richten sie sich an die gesamte Staatsgewalt (3). Dieser Abschnitt schließt mit einer allgemeinen Darstellung zu den Entscheidungsspielräumen und den entsprechenden Grenzen, in deren Rahmen sich der Staat bei der Erfüllung der Schutzpflicht zu bewegen hat (4) sowie den subjektiven Rechtspositionen von Grundrechtsträgern, die mit der staatlichen Schutzpflicht einhergehen (5). (1) Schutzgüter des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG statuiert bei genauer Betrachtung zwei eigenständige grundrechtliche Verbürgungen („Recht auf Leben“ sowie „Recht auf körperliche Unversehrtheit“). Mit der allgemeinen Anknüpfung an die biologisch-physische Grundlage der menschlichen Existenz können sie allerdings als Teilgewährleistungen eines gemeinschaftlichen Sachbereichs charakterisiert werden. Beide Verpflichtungen dienen somit dem Schutz der biologisch-physischen Integrität des Grundrechtsberechtigten sowohl vor einer vollständigen Vernichtung (Recht auf Leben) als auch vor einer partiellen Beeinträchtigung (körperliche Unversehrtheit).279 Als sachgeprägte Schutzgüter280 sind die Begriffe einer staatlichen Ausge276 Vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 219 – Atomausstieg; näher zu dieser Einordnung, vgl. Schulze-Fielitz, DÖV 2011, S. 785 f.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 66 f.; Roßnagel, NVwZ 1984, S. 137 f.; weiterhin zu spezifischen Risiken bei der Endlagerung Eckhardt/Rippe, Risiko und Ungewissheit bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle, 2016, S. 8; Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 151 f. 277 Dies führe zu einer stetigen Weiterentwicklung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, vgl. Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 4. 278 Vgl. zur Einschätzung der Kernkraft als Hochrisikotechnologie BVerfGE 143, 246 Rn. 219, 298 – Atomausstieg; Schulze-Fielitz, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 455, 460 f.; Burgi, NVwZ 2019, S. 585, 586 f.; näher zum Schadenspotenzial kerntechnischer Anlagen Marburger, Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1989, S. 67; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, 1989, S. 502 f. 279 Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 7; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 222.
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staltung grundsätzlich verschlossen.281 Vielmehr hat sich der Gesetzgeber an naturwissenschaftlichen Vorgaben zu orientieren, was unter menschlichem Leben und körperlicher Unversehrtheit zu verstehen ist. Das Recht auf Leben umfasst in materieller Hinsicht die biologisch-physische Existenz des Einzelnen vom Zeitpunkt seines Entstehens282 bis zu seinem Tode. Aufgrund der Irreversibilität, welche einer Beeinträchtigung des Schutzgutes Leben naturgemäß zukommt, stellt bereits eine bloße Gefährdung einen rechtfertigungspflichtigen Eingriff in das Lebensrecht dar.283 Insofern umfasst das Lebensrecht auch das „Freisein von Risiken für die eigene physische Existenz“.284 Eine solche Gefährdungslage ist jedenfalls dann gegeben, wenn im Einzelfall anhand von Kriterien wie Art, Nähe und Ausmaß sowie Irreversibilität von Verletzungen eine Lebensvernichtung jedenfalls ernsthaft zu befürchten ist.285 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit hingegen schützt den Grundrechtsberechtigten vor jeder unmittelbaren oder mittelbaren Beeinträchtigung oder Veränderung seiner konkreten biologisch-physischen Substanz.286 Zur Erreichung eines effektiven Schutzes vor unbeabsichtigten Rechtsgutverletzungen ist es auch hier geboten, den Gewährleistungsbereich auf Grundrechtsgefährdungen vorzuverlegen.287 Unbeachtlich ist insoweit, ob eine Beeinträchtigung der körperlichen Substanz zu Gesundheitsschäden oder Schmerzen führt. Ebenso verhält es sich mit der 280
Zu Begriff und Abgrenzung von rechtserzeugten Schutzgütern wie Ehe und Familie sowie Eigentum, vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 60 f. 281 Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 8; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 243; a. A. Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 69. 282 Zur Diskussion um den Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens insb. im Streitfall Schwangerschaftsabbruch und Präimplantationsdiagonstik, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GGKommentar, Art. 1 I Rn. 68 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 66 ff.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 215 ff., 223a ff.; Di Fabio, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 24 ff., 30 ff. 283 BVerfGE 49, 89, 141 – Kalkar I; E 56, 54, 77 f. – Fluglärm; Müller-Terpitz, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 36; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 92. 284 Zum Zitat und näheren Ausführungen, vgl. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 129 ff. 285 Vgl. u. a. BVerfGE 49, 89, 124, 141 f. – Kalkar I; E 51, 324, 346 f. – Verhandlungsunfähigkeit; E 66, 39, 58 f. – Nachrüstung; näher dazu Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStRVII, § 147 Rn. 36; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 43, 46; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 160 f.; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI2, § 128 Rn. 30. 286 Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 41; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 47. 287 Vgl. BVerfGE 56, 54, 77 – Fluglärm; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI2, § 128 Rn. 31; vgl. insoweit auch die Aussagen unmittelbar zuvor zum Recht auf Leben und Fn. 285.
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Frage, inwieweit die Beeinträchtigung dauerhafter Natur ist oder aber keine bleibenden Schäden beim Betroffenen hervorruft. Derartige im Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht angelegte Abstufungen werden allenfalls auf Rechtfertigungsebene relevant.288 Im Zuge der atomaren Entsorgung kommt den beiden Schutzgütern zudem eine temporale Dimension zu. Neben einer direkten Strahlenexposition, welche aufgrund der Zerfallsraten einiger Radioisotope für einen Zeitraum von einer Million Jahre289 zu besorgen ist, schützt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch vor erblichen Schäden und umfasst somit das Recht, gesundes Leben weiter zu transferieren.290 Unabhängig von einem konkreten Rechtsgutinhaber sind dadurch im staatlichen Gewährleistungsauftrag auch Konstellationen enthalten, in denen die geschützten Güter irgendeines gegenwärtigen oder auch erst in Zukunft existenten Rechtssubjekts Schaden nehmen könnten.291 Schutzpflichten entfalten deshalb eine zeitliche Vorwirkung, um Gefahren von später existierenden Grundrechtsträgern effektiv abzuwehren.292 Im Hinblick auf hochradioaktive Abfälle sind von einer Endlageranlage (als Hochrisikotechnologie)293 und der von ihr ausgehenden folgenreichen und weitgehend irreversiblen Schadensmöglichkeiten sowohl das Schutzgut Leben als auch das bei lebensbeendenden Maßnahmen stets zu durchlaufende Zwischenstadium294 der 288
Vgl. Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 42; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 161. 289 Näher zum Nachweiszeitraum von einer Million Jahre in Abschnitt D. III. 1. a) bb), insb. Fn. 520. 290 Vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 224. 291 Kahl, EurUP 2016, S. 300, 307 f.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 116 f.; Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 102; Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1987. 292 Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 77; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 126 f.; Ekardt, Zukunft in Freiheit, 2004, S. 326; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 289 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 62; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 216 f.; a. A. Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 37; davon zu unterscheiden ist die Frage, ob diese Rechte prozessual geltend gemacht werden können, was zu verneinen ist, vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 53 – Schacht Konrad; schon früher Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 48 f.; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 88; a. A. Gärditz, in: Landmann/ Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 80, der die Schutzpflichten auf den Schutz künftiger Generationen in Art. 20a GG verortet und den Schutzpflichten daneben keine eigenständige Bedeutung zumisst; näher zu dieser Frage nachfolgend Abschnitt D. II. 1. b) cc). 293 Vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 219, 298 – Atomausstieg; zur Risikoeinschätzung vgl. Eckhardt/Rippe, Risiko und Ungewissheit bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle, 2016, S. 8; Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, S. 151 f.; Jaeckel, Gefahrenabwehrrecht und Risikodogmatik, 2010, S. 18 f. 294 Lorenz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStRVI2, § 128 Rn. 6; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 222.
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körperlichen Integrität betroffen. Die zeitliche Perspektive umfasst auch Elemente des Nachweltschutzes.295 (2) Gefahren- und Risikovorsorge Wie eingangs erwähnt, gebietet des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur einen absoluten Schutz der betroffenen Rechtsgüter. Vielmehr umfasst der Schutzbereich auch die Vermeidung bzw. die Abwehr von Gefahren sowie eine Risikovorsorge.296 Der Begriff der Gefahrenlage stellt nach dem herkömmlichen Verständnis des Gefahrenabwehrrechts auf erfahrungsbasiertes Wissen über konkrete und abstrakte Schadensmöglichkeiten für Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum aus der Sicht eines durchschnittlich kundigen Beobachters ab.297 Dagegen reicht der Begriff des Risikos weiter.298 Wenngleich rechtswissenschaftlich nicht unumstritten,299 beinhaltet er auch unbekannte, ex ante nicht oder nur ungenau vorhersehbare Rechtsgutsgefährdungen.300 Diese Erweiterung der Betrachtungsweise wird gerade bei neuartigen Technologien mit ungewissen Folgen (z. B. Na295 Statt vieler Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 202; Müller-Terpitz, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, § 147 Rn. 77 m. w. N.; ähnlich aber ohne konkreten Bezug zu Art. 2 Abs. 2 GG Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 213; a. A. Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 37, der dies „erstmals“ mit Einführung des Art. 20a GG erfasst sehen will. 296 Näher zu den Begriffen als Ausprägung des Vorsorgeprinzips Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 62 ff. 297 Ausführlich: Jaeckel, Gefahrenabwehrrecht und Risikodogmatik, 2010, S. 87 ff.; weiterhin statt vieler Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 155 ff. m.w.N; Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 86 m. w. N.; jeweils mit Bezug auf Denninger, in: Denninger/Bergemann/Lisken (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 2012, D Rn. 42; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 14 f. 298 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 66; Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 87 ff., 95; Rittstieg, Die Konkretisierung technischer Standards im Anlagenrecht, 1982, S. 172 ff.; allgemein zur Unterscheidung von Gefahr und Risiko Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 228 ff. 299 Vertreten werden zum einen dreistufige Modelle von Gefahr, Risiko und Restrisiko (vgl. Breuer, NVwZ 1990, S. 211, 213) oder zweistufige Ansätze von Gefahr und Risiko, die namentlich die Rechtsprechung in die Formel der „bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ fasst (vgl. BVerfGE 49, 89, 139 – Kalkar I; E 53, 30, 58 f. – Mühlheim-Kärlich; BVerwGE 72, 300, 315 f. – Whyl); für eine weitere Auswahl zur Diskussion, vgl. Jaeckel, JZ 2011, S. 116, 117 ff.; Schulze-Fielitz, DÖV 2011, S. 785, 786; Scherzberg, VVDStRL (63) 2004, S. 216, 219 ff.; Lepsius, VVDStRL (63) 2004, S. 264, 267 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 158 ff.; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 19 ff.; mit einem Rückgriff auf soziologische Herleitungen Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 52 ff. 300 Die mangelnde Vorhersehbarkeit gründet sich etwa auf fehlende einschlägige Beobachtungswerte (insb. bei neuartigen Technologien oder aber auf unklare, dynamische oder rekursiv kausale Zusammenhänge, vgl. Jaeckel, JZ 2011, S. 116, 120 m. w. N.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 55 ff.
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notechnologie) erforderlich301 sowie bei Anlagen, deren Störfällen eine gewisse Unbeherrschbarkeit zukommt.302 Die mangelnde Vorhersehbarkeit erhöht die Diagnose- und Prognoseunsicherheit von möglichen Rechtsgutsverletzungen, so dass der klassisch-polizeirechtliche Rückgriff auf das Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe nicht mehr weiterhilft. Der Risikobegriff303 umfasst demnach auch unerkannte Gefährdungspotenziale und bedarf des qualitativ andersartigen Umgangs mit der Ungewissheit, die mithilfe probabilistischer Überlegungen kalkulierbar gemacht werden soll.304 Gerade bei Hochrisikoanlagen, wie sie eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle darstellt,305 bilden Unsicherheiten hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen und des Schadenspotenzials eine nicht zu unterschätzende Herausforderung an die Risikoabschätzung. Integraler Bestandteil der staatliche Schutzpflicht ist es im Rahmen einer bestmöglichen Gefahren- und Risikovorsorge306 Maßnahmen zur ergreifen, die der Begrenzung von Gefahren dienen.307 Unter Anwendung einer „Je-Desto-Formel“ gilt, dass je größer Art und Schwere der Gefahr zu besorgen ist, umso eher sind durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Schutzmaßnahmen auch bei nur sehr entfernter Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geboten.308 Nicht geschützt bleiben lediglich 301 Diese Entwicklungen in dem vielzitierten Begriff „Risikogesellschaft“ umfassend Beck, Risikogesellschaft, 1986. 302 Dies ist insb. bei Kernkraftanlagen der Fall. 303 Insofern ist es auch nicht entscheidend, ob der herkömmliche Gefahrenbegriff vom Risiko quantitativ gradualisierend mit der Folge eines 3-Stufen-Konzepts von Gefahr, Risiko und Restrisiko abgeschichtet wird (so etwa Lepsius, VVDStRL (63) 2004, S. 264, 268 f.; Breuer, NVwZ 1990, S. 211, 213) oder man nach einem 2-Stufen-Konzept zwischen Gefahr und Risiko nicht genau unterscheidet und beide Begriffe nur noch mit Blick auf ein hinzunehmendes Restrisiko abgrenzt (vgl. hierzu neben der Rechtsprechung Jaeckel, Gefahrenabwehrrecht und Risikodogmatik, 2010, S. 64 ff.; Lepsius, VVDStRL (63) 2004, S. 264, 269 f.). 304 Eingehend Jaeckel, JZ 2011, S. 116, 119 f.; vgl. näher zur Probabilisitik Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 40 ff. Rengeling, Probabilistische Methoden bei der atomrechtlichen Schadensvorsorge, 1986. 305 Zwar bestehen bei einem Endlager in tiefen geologischen Formationen natürliche Sicherheitsbarrieren, dennoch sind Schadensereignisse auch hier nur schwer kalkulierbar. Insoweit sind nur graduelle Unterschiede zum Betrieb kerntechnischer Anlagen zur Energieerzeugung erkennbar, vgl. dazu Nachweise in Fn. 276. 306 Initiativ für den Grundsatz der „bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“: BVerfGE 49, 89, 139 – Kalkar I; näher zur Risikovorsorge im Atomrecht Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 16 Rn. 124 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 69 ff.; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 23 ff.; Marburger, Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1989, S. 75; allgemein zum Vorsorgebegriff im Umweltrecht Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 4 Rn. 33 ff. 307 Für eine genaue Darstellung der Schadens- und Risikovorsorge im Atomrecht, vgl. den nachfolgenden Abschnitt D. II. 1. c). 308 BVerfGE 49, 89, 142 – Kalkar I; E 53, 30, 57 – Mühlheim-Kärlich; BVerwGE 104, 36, 51 – Obrigheim; aus der Lit.: Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 7; Jaeckel, DVBl. 2011, S. 13, 15; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 80; Krings, Grund und
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irrationale Befürchtungen ohne eine hinreichend abgestützte fachliche Argumentation.309 (3) Adressaten der Schutzpflicht An die Feststellung einer Aufgabe zur Risikovorsorge schließt die Frage an, welche staatlichen Institutionen zur Umsetzung berufen sind. Prinzipiell adressiert die Schutzpflicht alle staatlichen Gewalten.310 In erster Linie obliegt aber der Legislative der Erlass von Rechtsnormen, die eine Verletzung und Gefährdung von Leben und körperlicher Integrität verbieten und entsprechende gerichtlich durchsetzbare Unterlassungsansprüche begründen.311 Da mit diesen Regelungen häufig gleichzeitig und notwendiger Weise eine hoheitliche Einwirkung zulasten der Grundrechte Dritter verbunden ist,312 gebietet der dem Demokratieprinzip entspringende Parlamentsvorbehalt,313 dass der Gesetzgeber sich mit dem Ausgleich der konfligierenden Grundrechtspositionen befasst.314 Daneben ist die Exekutive mit der Durchführung von Genehmigungsverfahren gehalten, durch eine präventive Kontrolle die möglichen Auswirkungen eines Projekts auf die Rechtsgüter des Lebensund Gesundheitsschutzes zu untersuchen und auf diese Weise mit hinreichender Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 231; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 67 f. m. w. N.; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 53 ff. 309 BVerfGK 17, 57, 62 f. – CERN; Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 7; Jaeckel, DVBl. 2011, S. 13, 16; ähnlich bereits Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 56. 310 BVerfGE 39, 1, 42 – Schwangerschaftsabbruch I; E 77, 170, 215 – C-Waffen-Einsatz; aus der Lit.: Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 80 m. w. N.; Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 7, 28; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 52, 106; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 242; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 320. 311 BVerfGE 39, 1, 44 – Schwangerschaftsabbruch I; vgl. statt vieler Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 191; Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 6; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 245 f.; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 47 f. 312 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 108; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 89; Calliess, JZ 2006, S. 321, 326; Erichsen, JURA 1997, S. 85, 87 f. 313 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 101 Rn. 14. 314 So auch mit näheren Ausführungen Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 143 ff., mit Verweis auf Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 320; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S. 150; Klein, DVBl. 1994, S. 489, 494; vgl. auch Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 6, mit Verweis die Darstellung von Grundrechtsverletzungen in mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnissen bei Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 256 ff. und ders., JZ 2006, S. 321 ff.; der Ausgleich hat sodann nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu erfolgen, vgl. grundlegend zu dieser Figur im Kontext der Grundrechte Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 317 ff.
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Sicherheit eine Schädigung dieser Rechtsgüter zu vermeiden (sog. Grundrechtsschutz durch Verfahren315). Dieser auch verfassungsrechtlich gebotene316 verfahrensrechtliche Schutz kann die materiellen Schutzanforderungen und ihre effektive Durchsetzung allerdings nur ergänzen sowie optimieren und darf sie nicht ersetzen.317 Der Judikative kommt wiederum die Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sowie eine Überprüfung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufes zu. Dies hat seine Ursache darin, dass den objektiven Schutzpflichten subjektive Rechte entsprechen,318 die etwa mithilfe der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können.319 (4) Entscheidungsspielräume des Staates und Untermaßverbot Wie soeben aufgezeigt, obliegt namentlich dem Gesetzgeber die Aufgabe, die Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht zu gewährleisten.320 Hierzu kommen ihm weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume zu.321 Das Ob und Wie einer Regelung ist insbesondere unter Berücksichtigung konkurrierender öffentlicher und privater Belange zu veranlassen. Der Risikobegriff enthält insoweit ein Abwägungskalkül auch mit Blick auf den Nutzen, den eine Inkaufnahme der Risiken mit sich bringt.322 Beschränkt wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers lediglich 315 Näher hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 428 ff.; Laubinger, VerwArch (73) 1982, S. 60, 68 ff.; vgl. weiter allgemein zum Grundrechtsschutz durch Verfahren SchmidtAßmann, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 45; Kahl, VerwArch 2004, S. 1. 316 Vgl. BVerfGE 53, 30, 65 f. – Mühlheim-Kärlich. 317 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 192, 194. 318 Näher hierzu in Abschnitt D. II. 1. b) aa) (5). 319 Vgl. hierzu BVerfGE 46, 160, 165 – Schleyer; E 56, 54, 80 f. – Fluglärm; E 70, 170, 214 f. – C-Waffen-Einsatz; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 321 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 78; ausführlich bei Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 216 ff., 221 f. 320 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 188; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GGKommentar, Art. 2 II Rn. 86. 321 Schon in der Leitentscheidung Kalkar I arbeitete das Bundesverfassungsgericht für das Atomrecht eine Sonderstellung heraus, die es rechtfertige, von verfassungsrechtlichen Grundsätzen abzuweichen, die auf anderen Rechtsgebieten anerkannt sind, vgl. BVerfGE 49, 89, 146 – Kalkar I. Diese Sonderstellung ergebe sich aus den Besonderheiten der Nutzung der Kernenergie als „Hochrisikotechnologie mit extremen Schadensfallrisiken, aber auch mit bisher noch nicht geklärten Endlagerproblemen“, so zuletzt BVerfGE 143, 246 Rn. 219, 297 f. – Atomausstieg; dazu Burgi, NVwZ 2019, S. 585, 586 f.; Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 18; Roßnagel/Hentschel/Emanuel, UPR 2017, S. 128, 130 f.; krit. Moench, FS Schmidt-Preuß, S. 215, 237; näher zur Begründung des gesetzlichen Gestaltungsspielraum Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 321 f.; Möstl, DÖV 1998, S. 1029, 1037; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 68 ff.; Pietrzak, JuS 1994, S. 748. 322 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 455; Schulze-Fielitz, DÖV 2011, S. 785, 786; Schwabenbauer, in: Scharrer/Debus (Hrsg.), Risiko im Recht – Recht im Risiko, 2011, S. 157, 158 f.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 55.
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im Rahmen einer Evidenzkontrolle.323 Eine graduell verstärkte Kontrolldichte324 ergibt sich dadurch, dass er nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mittlerweile gehalten ist, einen angemessenen und wirksamen Mindestschutz325 zu gewährleisten (sog. Untermaßverbot).326 Das Untermaßverbot soll gleichsam als Pendant327 zum Übermaßverbot bei Abwehrrechten (sog. Verhältnismäßigkeitsprinzip) ein entsprechendes, praktikables Instrument zur Hand geben, um die zunächst ungelöste Frage nach der Reichweite der Schutzpflicht zu beantworten.328 Der gesetzliche Gestaltungsspielraum wird demnach im Fall von Grundrechtskollissionen durch einen verfassungsrechtlichen Mindeststandard begrenzt. Konkret sind die Interessen des Störers, in dessen Grundrechte der Staat ggf. eingreift mit den Interessen des Schutzbedürftigen, dem er den Schutz vorenthalten würde, zu einem gerechten Ausgleich zu bringen.329 Dazu enthält das Untermaßverbot sowohl eine materiell-rechtliche als auch eine verfahrensmäßige Komponente.330 Zum einen hat die Entscheidung auf nachvoll323 Zur Unterscheidung von Evidenz-, Vertretbarkeits- und Inhaltskontrolle, vgl. BVerfGE 50, 290, 332 f. – Mitbestimmung; die Evidenzkontrolle umfasst nur offensichtliche Grundrechtsverletzungen. Insbesondere prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die staatlichen Organe gänzlich untätig geblieben oder die getroffenen Schutzvorkehrungen offensichtlich ungeeignet sind, vgl. BVerfGE 77, 170, 215 – C-Waffen; dazu Möstl, DÖV 1998, S. 1029, 1038; krit. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 228 f. 324 Die Verstärkung resultiert daraus, dass das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung des Mindestschutzes mittels einer Vertretbarkeitskontrolle untersucht, vgl. Calliess, in: Merten/ Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 6. 325 Vgl. Callies, JZ 2006, S. 321, 328; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 455; Möstl, DÖV 1998, S. 1029, 1038; Erichsen, JURA 1997, S. 85, 88. 326 BVerfGE 88, 203, 254 – Schwangerschaftsabbruch II; aus der Lit. grundlegend Canaris, AcP (184) 1984, S. 201, 228; Jarass, AöR (110) 1985, S. 363, 382 ff.; weiterhin Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 303; Götz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV2, § 79 Rn. 30; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 II Rn. 89; näher zum Untermaßverbot Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, 2010, S. 132 ff.; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, 2009, S. 21 ff.; Mayer, Untermaß, Übermaß und Wesensgehaltgarantie, 2005, S. 63 ff.; Tzemos, Das Untermaßverbot, 2004, S. 4 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 451 ff. 327 Für eine Identität von Über- und Untermaßverbot (sog. Kongruenzthese), vgl. Hain, ZG 1996, S. 75, 79; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 85 ff.; a. A. mit dem Bild eines Korridors für den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 456 ff.; ähnlich Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 32; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 94 ff.; Hoffmann-Riem, DVBl. 1994, S. 1381, 1384 f.; Dietlein, ZG 1995, S. 131, 134 ff. 328 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 451 f.; a. A. Dietlein, ZG 1995, S. 131, 134 ff. 329 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 303. 330 So auch Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 56; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 397, 463; Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1989; Scherzberg, VerwArch (84) 1993, S. 484, 509 f.; vgl. auch die Darstellung bei
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ziehbaren Erwägungen und einer ausreichenden Informationsgrundlage zu beruhen.331 Insbesondere bei Sachverhalten mit zukunftsgerichteter Wirkung und Ungewissheitsgesichtspunkten muss der Gesetzgeber eine sorgfältige Tatsachen und Risikoermittlung sicherstellen.332 Zur Gewährleistung der Prognosegenauigkeit bei Sachverhalten naturwissenschaftlicher Prägung umfasst dies eine Einbeziehung der vorhandenen wissenschaftlichen Informationen über die ökosystemaren Zusammenhänge sowie der potenziellen Langzeitrisiken.333 Zum anderen sind Anforderungen an eine angemessene Verfahrensgestaltung einzuhalten.334 Soweit Grundrechte durch den Ausgang eines administrativen Entscheidungsprozesses beeinträchtigt werden können, muss der Gesetzgeber zumindest solche Verfahrensrechte zugestehen, welche für eine wirksame Interessenswahrnehmung der betroffenen Grundrechtsgüter unerlässlich sind.335 Zu denken ist hierbei in erster Linie an Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten sowie die Einräumung effektiver Rechtsschutzoptionen.336 Das von den staatlichen Instanzen auf diesem Weg entwickelte Schutzkonzept kann objektiv-rechtlich anhand des Untermaßverbotes vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden.337 Der grundrechtlichen Schutzpflicht kommt in diesem Zusammenhang sowohl ein Gesetzgebungs- als auch ein Vollzugsauftrag zu. Dies bedeutet, dass das Schutzkonzept nicht nur theoretisch vorhanden und tauglich ist, sondern dass auch seine praktische Umsetzung und Wirksamkeit gewährleistet sein muss.338
Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 157 ff. 331 Vgl. BVerfGE 50, 290, 333 f. – Mitbestimmung; E 88, 203, 254 – Schwangerschaftsabbruch II. 332 Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 57, 72; eingehend Ladeur, UPR 1989, S. 241, 246. 333 Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 72 f.; Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1989. 334 Vgl. BVerfGE 53, 30, 65 f. – Mülheim-Kärlich; statt vieler aus der Lit.: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 428 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. Rn. 105; Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 27; allgemein: Schmidt-Aßmann, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 45; Kahl, VerwArch 2004, S. 1; näher hierzu Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 463 ff., 467 ff. 335 Vgl. Guckelberger, DÖV 2006, S. 97, 104. 336 Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834 f.; Calliess, JZ 2006, S. 321, 326; ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 463, 467 ff., 478 ff.; so auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 159 f. 337 Krit. hinsichtlich der wenig konkreten Prüfvorgaben seitens des Bundesverfassungsgerichts Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 459 ff. unter Verweis auf das Prüfkonzept nach Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 253 ff. 338 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 455.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
(5) Die staatliche Schutzpflicht als subjektives Recht Der durch das Untermaßverbot eröffnete objektiv-rechtliche Gewährleistungsmaßstab enthält jedoch keine individuellen Klagerechte. Mit der dogmatischen Herleitung der staatlichen Schutzpflicht aus der den Grundrechten innewohnenden objektiven Wertordnung339 lässt sich fragen, inwieweit dem Einzelnen überhaupt ein subjektives Recht aus der Schutzpflicht zukommt. Einzelne Stimmen lehnen die Möglichkeit einer individuellen Rechtsposition von grundrechtlicher Qualität mit dem Hinweis ab, dass dies mit der politischen Verantwortung des Gesetzgebers unvereinbar sei.340 Jedenfalls müsse die aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte abgeleitete Schutzpflicht erst wieder einfach-rechtlich „re-subjektiviert“ werden.341 Dagegen besteht im Schrifttum weitgehend Einigkeit, ein subjektives Recht auf Schutz anzunehmen.342 Der individualistische Charakter der Grundrechte bedinge die Anerkennung des subjektiven Rechts.343 Aus der objektiven Grundrechtsnorm lassen sich als zwei Seiten einer Medaille eine Schutz- und Abwehrdimension ableiten.344 Nur der Abwehrdimension ganz selbstverständlich einen subjektiven Charakter beizumessen, nicht aber der Schutzdimension, erschiene merkwürdig.345 Schließlich hängt am subjektiven Recht die Möglichkeit der individuellen gerichtlichen Durchsetzung der Schutzpflicht sowohl im Wege der verwaltungsgerichtlichen Klagearten als auch im Wege der Verfassungsbeschwerde.346 Da nach der hier vertretenen Auffassung die staatlichen Schutzpflichten ihren Ursprung nicht allein in der objektiv-rechtlichen Wertordnung 339
Vgl. hierzu Abschnitt D. II. 1. a) aa). Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 979 ff.; Steinberg, NJW 1984, S. 457, 461; ebenso kritisch Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 64, 72 ff.; vgl. auch die Darstellung bei Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 59 ff. 341 Vgl. Möstl, DÖV 1998, S. 1029, 1032; Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990, S. 48 ff.; ausführlich Dirnberger, Recht auf Naturgenuß und Eingriffsregelung, 1991, S. 169 ff.; a. A. und hierin eine „Strapazierung der Elfes-Konstruktion“ sehend Bethge, FS Isensee, S. 613, 623 f. 342 Vgl. etwa Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 321; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 410 ff.; Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 36; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 152 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 58 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 441 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 62 ff.; Klein, NJW 1989, S. 1633, 1638 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 190 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 208 ff. 343 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 322. 344 Vgl. Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 22. 345 Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 36; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 316, 444. 346 Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 7; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 324 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 97 ff.; näher hierzu Möstl, DÖV 1998, S. 1029, 1032. 340
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finden, sondern vielmehr einem jeden Grundrechtstatbestand als schutzrechtliche Dimension gleichberechtigt innewohnen,347 ist auch eine gesonderte „Re-subjektivierung“ nicht erforderlich.348 Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Existenz eines subjektiven Rechts aus der staatlichen Schutzpflicht schon seit den 1970er Jahren ausdrücklich an.349 Dieses kann jedoch in seinem Inhalt nicht weiter gehen, als die objektive Staatsaufgabe selbst. Soweit den Staatsorganen also Ermessens- und Gestaltungsspielräume zustehen, richtet sich der Anspruch nur auf eine Kontrolle deren sachgerechter Ausübung.350 Insofern ist die Verletzung eines subjektiven Rechts nur dann festzustellen, wenn der Staat gegen das Untermaßverbot verstößt. (6) Zusammenfassung Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gebietet in seiner schutzrechtlichen Dimension die staatliche Pflicht, den Einzelnen vor schädlichen Einwirkungen auf seine biologisch-physische Substanz zu bewahren. Gerade im Dunstkreis von Hochrisikotechnologien hat der Staat im Wege der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge Maßnahmen zu veranlassen, die schon die Entstehung von Gefahren begrenzen. Je größer Art und Schwere der zu besorgenden Gefahr sind, desto eher hat er Schutzmaßnahmen zu ergreifen, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts noch vage bleibt. Dem Gesetzgeber, der primär von der staatlichen Schutzpflicht adressiert wird, steht dabei ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu, den er nur verlässt, wenn ein ausreichender und angemessener Mindestschutz nicht mehr gewährleistet ist, er also gegen das Untermaßverbot verstößt. Dem Einzelnen hingegen erwächst aus der staatlichen Schutzpflicht ein subjektives Recht, die Einhaltung dieser Spielräume gerichtlich überprüfen zu lassen. bb) Verhältnis zum Eigentumsschutz Neben dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt sich eine staatliche Schutzpflicht auch aus dem Eigentumsrecht (Art. 14 GG) beispielsweise für Grundstücke im Umfeld von potenziellen Endlagerstandorten. Eine ausdrückliche Anerkennung der Schutzpflichtdimension für Art. 14 GG erfolgte durch das 347
Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt D. II. 1. a) cc) und ff). S. a. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 444. 349 Vgl. BVerfGE 46, 160, 163 f. – Schleyer; E 70, 170, 214 f. – C-Waffen-Einsatz; E 77, 371, 402 f. Zwischenlager Gorleben; E 79, 174, 201 f. – Verkehrslärm; zuvor war eine Beschwerdeberechtigung aufgrund der Schutzpflicht umstritten und wurde hypothetisch vorausgesetzt, vgl. BVerfGE 53, 30, 48 – Mühlheim-Kärlich; E 56, 51, 70 – Fluglärm, vgl. dazu Erichsen, JURA 1997, S. 85, 88. 350 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 322 sowie die Ausführungen im vorangehenden Abschnitt. 348
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Bundesverfassungsgericht erst relativ spät im Jahr 2005.351 In erster Linie hat der Gesetzgeber durch die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums tätig zu werden.352 Zum Gegenstand des Schutzpflichtgehalts gehört jedoch auch die Bewahrung intakter ökologischer Grundlagen.353 Betrachtet man das Verhältnis zur Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, lässt sich zunächst ein Gleichlauf der Schutzrichtung feststellen.354 Der Staat hat durch ausreichende Vorkehrungen zu gewährleisten, dass Beeinträchtigungen der Schutzgüter – sei es die biologisch-physische oder die sachliche Integrität – vermieden werden bzw. möglichst gering ausfallen. Die in Rede stehenden Schutzgütern enthalten aber auch ein Rangverhältnis.355 Dem Recht auf Leben kommt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung eine herausgehobene Stellung zu.356 Die Eigentumsgarantie schützt hingegen „lediglich“ von der Rechtsordnung anerkannte vermögenswerte Positionen.357 Im Ergebnis ergeben sich aus der Schutzpflicht für das Eigentum daher qualitativ keine über die bereits festgehaltenen Gewährleistungsgehalte hinausgehenden Anforderungen.358 cc) Verhältnis zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Gewisse Verschränkungen zwischen der Schutzrichtung für das Leben sowie von Eigentumspositionen sind auch hinsichtlich des Themas Umweltschutz festzustel351 Vgl. BVerfGE 114, 1, 37 ff. – Bestandsübertragung; E 114, 73, 90 ff. – Überschussbeteiligung; zu früheren Andeutungen vgl. Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 61; ähnlich Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 5 mit Verweis auf BVerfG, NJW 1998, S. 3264, 3265 f. – Waldschäden. 352 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 195. 353 Vgl. Depenheuer, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 96; ähnlich Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 6 mit Verweis auf BVerfG, NJW 1998, S. 3264, 3265. 354 Im Nichtannahmebeschluss zur Verfassungsbeschwerde gegen das Planfeststellungsverfahren für das Endlager Schacht Konrad wird die Schutzpflicht ohne nähere dogmatische Herleitung und Abgrenzung sowohl auf Art. 2 Abs. 2 als auch auf Art. 14 GG gestützt, vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 20, 23 – Schacht Konrad. 355 Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 44 Rn. 25. 356 Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, dass „das menschliche Leben (…) innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung den Höchstwert dar(stellt)“, vgl. BVerfGE 49, 24, 53 – Kontaktsperregesetz; weiterhin wird es als „vitale Basis der Menschwürde“ und als „Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ bezeichnet, vgl. BVerfGE 39, 1, 42 – Schwangerschaftsabbruch I; E 115, 118, 152 – Halbteilungsgrundsatz. 357 Nicht jedoch das „Vermögen als solches“, vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 65 mit Verweis auf st. Rspr. seit BVerfGE 75, 108, 154 – Künstlersozialversicherung; aus neuerer Zeit E 143, 246 Rn. 217 – Atomausstieg. 358 S. a. Calliess, JZ, 2006, S. 321, 328; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 319; Steinberg, NJW, 1996, S. 1985, 1988, 1990; ohne nähere Herleitung im Ergebnis ebenso Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 110.
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len.359 Während über einen längeren Zeitraum diskutiert wurde, inwieweit das Grundgesetz ein Umweltgrundrecht kennt360 oder aus bestehenden Grundrechten Aspekte des Umweltschutzes herauszulesen sind, gilt mittlerweile die Vorschrift des Art. 20a GG361 als zentrale Norm des nationalen Umweltverfassungsrechts.362 Der nachfolgende Abschnitt stellt deren Einordnung als Staatszielbestimmung sowie die damit einhergehenden offenen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers bei der Realisierung des Schutzauftrags dar (1). Insbesondere lassen sich nach einhelliger Meinung aus Art. 20a GG keine subjektiven Rechte ableiten (2). Weiterhin ist zu untersuchen, inwieweit trotz der gleichläufigen Schutzausrichtung zu den bereits behandelten Grundrechten (3), dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eine Erweiterung des staatlichen Verantwortungsbereichs zu entnehmen ist (4). (1) Gestaltungsoffenheit der Staatszielbestimmung Als „zentrale Norm des nationalen Umweltverfassungsrechts“363 ist Art. 20a GG im Grundgesetz an prominenter Stelle verankert. Er folgt unmittelbar im Anschluss an den Grundrechtskatalog und die Staatsstrukturbestimmungen des Art. 20 GG. In Rechtsprechung und Literatur besteht weitgehend Einigkeit, Art. 20a GG als Staatszielbestimmung zu qualifizieren.364 Die Pflicht zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ergänzt die klassischen Ziele der Friedenssicherung, der rechtsstaatlichen Begrenzung von Macht, der demokratischen Organisation des
359 Vgl. Appel, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2014, § 2 Rn. 124, der festhält, dass sich Schutzpflichten und Staatszielbestimmung trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte im Bereich des Umweltrechts hinsichtlich Schutzperspektive, Schutzinhalt und Reichweite des Schutzkonzepts kaum voneinander unterscheiden. Abweichungen ergeben sich lediglich hinsichtlich der normativen Bindungswirkung und der Begründung individueller Rechtspositionen. 360 Ablehnend BVerwG 54, 211, 219; vgl. auch Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1986. 361 Eingeführt mit Gesetz vom 27.10.1994, BGBl. I S. 3146; zul. geändert mit Gesetz vom 26.7.2002, BGBl. I S. 2862 (Ergänzung des Tierschutzes). 362 Mit der Einführung des Art. 20a GG gilt ein Rückgriff auf weitere Grundrechte als entbehrlich, vgl. BVerwG 54, 211, 219, 223; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GGKommentar, Art. 2 II Rn. 79; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 95; für eine Verortung des Umweltschutzgedankens in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Sailer, DVBl. 1976, S. 521 ff.; Lücke, DÖV 1976, S. 289, 293; a. A. Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 60 ff.; für eine Ableitung aus weiteren Grundrechtsbestimmungen, vgl. Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 27 ff.; Sendler, UPR 1981, S. 1 ff.; für einen Überblick zur Diskussion auf ein Umweltgrundrecht Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 15 ff.; Wieland, ZUR 2016, S. 473, 475. 363 Vgl. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 4. 364 BVerfGE 102, 1, 18 – Altlasten; E 102, 347, 365 – Benetton; aus der Lit.: Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 12; Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 4 m. w. N.; Erbguth/Schlacke, Umweltrecht, 2012, § 4 Rn. 5; für eine weitergehende Einordnung als Staatsstrukturbestimmung Umweltstaat Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 23; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 104 f.
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Staates sowie der Verpflichtung zur sozialen Fürsorge.365 Im Gegensatz zu bloßen Staatsaufgaben stellen Staatsziele unmittelbar geltendes, verbindliches Verfassungsrecht dar.366 Insofern richtet der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere367 eine rechtsverbindliche Direktive an die staatliche Gewalt, welche sowohl vom Gesetzgeber als auch von der öffentlichen Verwaltung sowie den Gerichten bei der Gesetzesanwendung beachtet werden muss. Als Rechtsprinzip formuliert ein Staatsziel allerdings nur abstrakte Vorgaben, die dem Staat eine Einschätzungs- und Umsetzungsprärogative zugestehen.368 Bei der Umsetzung des in Art. 20a GG enthaltenen Auftrags kommt dem Gesetzgeber erneut ein weiter Gestaltungsspielraum zu, in dessen Rahmen auch gegenläufige Verfassungsprinzipien Berücksichtigung finden können.369 Insoweit bewegt sich der Staat in einem ambivalenten Verhältnis von freien Gestaltungsoptionen einerseits und Optimierungsgeboten wie der Sicherstellung eines ökologischen Existenzminimums370 andererseits. Daraus folgt eine allgemeine Berücksichtigungspflicht für Belange des Umweltschutzes, welche über aufeinander aufbauende prozedurale und materielle Komponenten verfügt.371 (2) Staatszielbestimmung als objektives Recht Der strukturelle Unterschied zwischen der Charakterisierung als Staatszielbestimmung und einer Einordnung als grundrechtliche Verbürgung zeigt sich entscheidend darin, dass nach zutreffender und nahezu einhelliger Ansicht372
365 Vgl. Wieland, ZUR 2016, S. 473, 475; Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 15 ff., 31 ff.; ähnlich Münkler, FS Battis, S. 143, 153. 366 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 13, 15. 367 Zu einer schwächeren Ausgestaltung des Schutzniveaus für Tiere, vgl. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 15, 51a m. w. N. 368 Vgl. BVerfGE 118, 79, 110 – Emmissionshandel; Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 4; Wieland, ZUR 2016, S. 473, 475, näher zum Umfang des Spielraums Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 129 ff. 369 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 17 ff.; Zai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, 1996, S. 154 ff. 370 Näher zum „ökologischen Existenzminimum“ Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 70 m. w. N.; vgl. auch Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 62. 371 Näher hierzu: Groß, NVwZ 2011, S. 129, 131; ders., ZUR 2009, S. 364, 367; die prozedurale Komponente gebietet dem Gesetzgeber bei jeder neuen Regelung zu überprüfen, welche ökologischen Auswirkungen mit ihr verbunden sind. In materieller Hinsicht sind korrigierende Instrumente für voraussichtlich negative Folgen vorzusehen. 372 Vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 53 – Schacht Konrad; statt vieler Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 33; Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 48, 53; Zai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, 1996, S. 71 f.; a. A. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2010, S. 189 f.; ders., Zukunft in Freiheit, 2004, S. 366 ff.; Kotulla, KJ 2000, S. 22; Saladin/Zenger, Rechte künftiger Generationen, 1988, S. 107 ff.
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Art. 20a GG keine individuellen Rechtspositionen gewährt.373 Als Norm des objektiven Verfassungsrechts beinhaltet der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen kein subjektiv-rechtliches Schutzziel.374 Vereinzelte Versuche unter Anwendung der Elfes-Rechtsprechung375 eine individuelle Anspruchsberechtigung zu konstruieren, können nicht überzeugen. Solche Überlegungen basieren auf der Annahme, ein grundrechtseinschränkendes Gesetz gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, weil es gegen Art. 20a GG verstoße.376 Näher liegend ist es jedoch im Rahmen des dann betroffenen Grundrechts, verstärkte Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen.377 (3) Gleichlauf der Schutzausrichtungen zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Ungeachtet der Einordnung als Staatszielbestimmung und der damit einhergehenden schwächeren Stellung im Vergleich zu grundrechtlichen Verbürgungen lässt sich in materieller Hinsicht dennoch ein Gleichlauf der Schutzrichtungen erkennen.378 Wie im Rahmen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit379 schützt Art. 20a GG den Menschen vor anthropogenen Umweltbelastungen. Von den natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen sind all diejenigen Güter umfasst, welche die Menschheit zu ihrem Fortbestand benötigt.380 Wenngleich Art. 20a GG auf die gesamte natürliche Umwelt Bezug nimmt, ist dennoch ein anthropozentri-
373 Auf die deshalb limitierten Kontrollmöglichkeiten werden vielfach Vollzugsdefizite im Umweltrecht zurückgeführt, vgl. Münkler, FS Battis, S. 143, 153; Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 255 ff. 374 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 33 m. w. N.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 120 f., mit Verweis auf ein „Kollektivgutproblem“ S. 362 f.; näher hierzu in Abschnitt D. II. 1. c) dd). 375 BVerfGE 6, 32 – Elfes; näher zu den Kernaussagen Bethge, FS Isensee, S. 613, 614 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 207 f. 376 Grundlegend zur Idee BVerfGE 6, 32, 40 f. – Elfes; zur Ableitung subjektiver Rechte in Art. 20a GG aus dieser Figur, vgl. Kahl, JZ 2010, S. 668, 670 (dort Fn. 17); a. A. Bethge, FS Isensee, S. 613, 623 f. 377 I. d. R. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 74; Westphal, JuS 2000, S. 339, 340; Zai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, 1996, S. 71 ff.; näher hierzu in Abschnitt D. II. 1. b) cc) (4). 378 Im Ergebnis ebenso mit weiteren Ausführungen Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 111 ff.; Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 104 f. 379 Mit Blick auf den Umweltschutz wird Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch der Schutz eines „ökologischen Existenzminimums“ i. S. eines Grundrechtsvoraussetzungsschutzes zuerkannt Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 70; vgl. zu den Schutzgütern Abschnitt D. II. 1. b) aa) (1). 380 Näher zum Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen bei Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 28 ff.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 27 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 36; Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 9 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 106 ff.
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scher – also ein auf den Menschen gerichteter Grundbezug – festzustellen.381 Beeinträchtigungen der Umwelt ohne Auswirkungen auf den Menschen, für die Art. 20a GG eine eigenständige Bedeutung entfalten könnte, sind im Hinblick auf das langfristige Gefahrenpotenzial hochradioaktiver Abfälle kaum denkbar.382 Der Schutzauftrag, die natürlichen Lebensgrundlagen vor schädlichen Einflüssen zu bewahren, korrespondiert demnach inhaltlich mit der staatlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bzw. für das Eigentum aus Art. 14 GG.383 Insofern stellt der weiterreichende globale Schutz aus Art. 20a GG dem über subjektive Rechte aus den Schutzpflichten384 konfigurierten, mittelbaren Umweltschutz eine weitere Komponente beiseite.385 Ein grundlegender Unterschied besteht jedoch in der – mangels subjektivem Recht – limitierten gerichtlichen Durchsetzbarkeit. (4) Schutzverstärkung und Generationenverantwortung Zu fragen ist somit, inwiefern sich das Nebeneinander von Schutzpflicht und Staatsziel Umweltschutz aus Art. 20a GG auf das Anforderungsprofil an staatliches Handeln auswirkt. Gerade im Feld der atomaren Entsorgung werden Aspekte der Nachhaltigkeit und Generationenverantwortung fortwährend diskutiert.386 Für den Bereich des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen findet sich in Art. 20a GG mit der Formulierung „auch für die künftigen Generationen“ eine explizite semantische Anknüpfung. Der Staat ist gemäß des dem Staatsziel Umweltschutz in381 So auch Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 1 Rn. 60, § 3 Rn. 35; Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 38 ff.; Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 142 f.; für eine Gleichwertigkeit und weitgehende Überschneidungspunkte Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 64; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 111 ff.; für die rechtspolitische Notwendigkeit der Anerkennung autonomer Rechte der Natur Fischer-Lescano, ZUR 2018, S. 205, 206, 216; krit. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 22 ff. m.w.N zur Diskussion, ob Art. 20a GG einen anthropozentrischen oder ökozentrischen Ansatz verfolgt. 382 Für den Versuch einer Unterscheidung, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 116 f.; deutlich differenzierter Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1987. 383 Eine begriffliche Unterscheidung von Garantieauftrag (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und Gewährleistungsauftrag (Art. 20a GG) vornehmend Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 115; vgl. weiterhin zum Gleichlauf Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 116, 362, 576 f. a. A. Münkler, FS Battis, S. 143, 153 (Fn. 75), die konstatiert, dass die „Rekonstruktion der Forderung des Staatsziels Umweltstaat über die grundrechtliche(n) Schutzpflichten (…) hinter Art. 20a GG zurück“ bleibt; ähnlich und „relevante Unwägbarkeiten der Langzeitsicherheit (…) allein dem Schutzgebot des Art. 20a GG“ unterstellend Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 348. 384 Vgl. hierzu Abschnitt D. II. 1. b) aa) (5). 385 So etwa auch Münkler, FS Battis, S. 143, 153 (Fn. 75). 386 Zum Teil wird von Art. 20a GG als „verfassungsrechtliche Ankernorm“ für die Sicherung der nuklearen Entsorgung in Deutschland gesprochen, vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 67; Streffer/Gethmann/Kamp u. a., Radioactive Waste, 2012, S. 25; vgl. weiterhin Abschnitte D. III. 1. a) gg) und D. III. 1. c) aa) (1) (b) mit den dortigen Nachweisen.
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newohnenden Nachhaltigkeitsprinzips387 gehalten, seiner Langzeitverantwortung gerecht zu werden.388 Dazu muss er bei der Bewertung von Risiken berücksichtigen, dass die schädliche Wirkung von Umwelteingriffen möglicherweise erst nach vielen Jahren erkennbar wird. Ein besonderes Augenmerk gilt den Langzeitrisiken der Einlagerung von Atommüll.389 Insbesondere durch seine Gesetzgebungsbefugnisse390 hat der Staat demnach ein gewisses Schutzniveau gerade auch für heute noch nicht lebende Generationen sicherzustellen.391 Insofern ist es zutreffend, Art. 20a GG als Garant für intergenerationelle Gerechtigkeit zu sehen.392 Eine eigenständige Bedeutung kommt Art. 20a GG allerdings nur zu, soweit eine potenzielle Beeinträchtigung von Umweltmedien keinen Bezug zu Individualrechtsgütern aufweist.393 Ist dies hingegen der Fall, so tritt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen neben die bestehenden grundrechtlichen Schutzpflichten.394 Eine autonome Zuerkennung subjektiver Rechte aus Art. 20a GG ist damit aber nicht verbunden. Sofern in Anlehnung an die Elfes-Judikatur395 argumentiert wird, bestehende subjektive Klagebefugnisse seien durch Art. 20a GG in ihrer Reichweite 387
Vgl. BVerfGE 118, 79, 110 – Emmissionshandel; Kahl, EurUP 2017, S. 272, 275 f.; ders., DÖV 2009, S. 2, 3; Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 65 f.; krit. zur Beschränkung auf „ökologische Nachhaltigkeit“ Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, S. 9. 388 Näher zur Langzeitverantwortung Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 106; Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 52; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 123 f.; Kloepfer, DVBl. 1996, S. 73, 77 f.; Näser/Oberpottkamp, DVBl. 1995, S. 136 ff., 142; zur Unterscheidung von Langzeitverantwortung und Nachhaltigkeit Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 37, § 4 Rn. 62. 389 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 32. 390 Zur primären Verantwortung des Gesetzgebers, vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 46 ff.; Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 80; Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 45 f.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 121; Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1991. 391 Vgl. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 32; Brönneke, Umweltverfassungsrecht, 1999, S. 198; Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, 2014, S. 260 ff.; Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 115 ff. 392 Vgl. Wieland, ZUR 2016, S. 473, 476; Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2010, S. 25; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 121. 393 Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1991; vgl. auch Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 52; schon früher zur Zukunftsrichtung der Schutzpflicht im Kontext Umweltschutz Kloepfer, DVBl. 1988, S. 305, 313; zur Ergänzung der Verfassung um einen Art. 20 b GG n. F. (Nachhaltigkeit), vgl. Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, S. 21. 394 Vgl. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 576 f.; Gärditz will hierbei eine Relativierung des Schutzpflichtenkonzepts sehen, da Art. 20a GG primär den Gesetzgeber adressiert und einer unmittelbaren Umweltverantwortung von Exekutive und Judikative enge Grenzen zieht. Ebenso soll den Schutzpflichten mit Blick auf künftige Generationen keine eigenständige Bedeutung zukommen, vgl. Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 80, im Ergebnis erfolge aber auch über Art. 20a GG ein vergleichbarer Gewährleistungsumfang (Rn. 82 ff.). 395 BVerfGE 6, 32, 40 f. – Elfes.
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erweitert,396 wird verkannt, dass sich diese subjektiv-rechtlichen Positionen (alleine) aus dem Eingriff in ein Grundrecht bzw. einer hier in Rede stehenden möglichen Verletzung der staatlichen Schutzpflicht ergeben. Eine Verstärkung der bestehenden Schutzpflicht ist allerdings in objektiv-rechtlicher Sicht insoweit festzustellen, dass der Gesetzgeber bei der Ausübung seines Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen explizit unter Einbeziehung heute noch nicht lebender Generationen zu berücksichtigen hat.397 dd) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die im Kontext der Endlagersuche bestehende staatliche Schutzpflicht ihren Niederschlag primär im Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG findet. Der prinzipiell auch im Eigentumsrecht enthaltenen Schutzpflicht sind qualitativ keine darüber hinaus gehenden Sicherungsaufträge zu entnehmen. Ein Gleichlauf der Schutzrichtung besteht ebenfalls bei der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG. Als Norm des objektiven Verfassungsrechts lassen sich aus dieser Norm jedoch keine subjektiv-rechtlichen Positionen ableiten. Wenngleich sich der einzelne Betroffene im Gegensatz zu grundrechtlichen Verbürgungen nicht auf eine Verletzung des Gewährleistungsbereichs des Art. 20a GG berufen kann, darf der Staat den Schutzauftrag für die natürlichen Lebensgrundlagen nicht verkennen. Insbesondere mit Blick auf den Nachweltschutz enthält Art. 20a GG unter dem Stichwort intergenerationelle Gerechtigkeit Implikation, welche bei der Ausgestaltung der staatlichen Sicherungsverantwortung zu berücksichtigen sind.398 Insofern kann eine Verstärkung der im Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bestehenden Schutzpflicht um weitere Elemente des Nachweltschutzes aus Art. 20a GG konstatiert werden. Mit Blick auf die komplexen, multipolaren Abwägungs- und Prognoseentscheidungen ist die ohnehin schon eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte allerdings nochmals zurückgenommen.399 396 Die subjektive Wirkung wird argumentativ an eine Verstärkung der in den Freiheitsgrundrechten enthaltenen umweltrechtlichen Teilgewährleistungen angeknüpft. Der subjektive Anspruch sei darauf gerichtet, dass der Eingriff nicht nur in Übereinstimmung mit dem tangierten Grundrecht erfolge, sondern auch in jeglicher Hinsicht verfassungsgemäß sei, was auch den Gewährleistungsgehalt des Art. 20a mit umfasse, vgl. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 74; Westphal, JuS 2000, S. 339, 340 f.; Zai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, 1996, S. 71 ff.; a. A. Bethge, FS Isensee, S. 613, 623 f. 397 Wieland, ZUR 2016, S. 473, 476; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 122, vgl. für verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten S. 509 ff.; s. a. insb. in Bezug auf das Verursacherprinzip Frenz, Das Verursacherprinzip im öffentlichen Recht, 1997, S. 216 f.; ähnlich – wenngleich noch weitergehend – Ekardt, Zukunft in Freiheit, 2004, S. 369; zur Geltendmachung der Rechte künftiger Generationen, vgl. nachfolgend Abschnitt D. II. 1. c) dd). 398 Vgl. aber zum fehlenden „zwingenden“ Charakter des Art. 20a GG Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 533; ähnlich Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 66. 399 S. a. Kahl, EurUP 2016, S. 300, 307 f., 311; allgemein zu multipolaren Konfliktlagen und der Konfliktschlichtungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers SchmidtPreuß, FS Isensee, S. 597, 600 f., 611.
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c) Umfang der Schutzpflicht bei der Endlagersuche In den vorangegangenen Abschnitten wurde die Existenz staatlicher Schutzpflichten dogmatisch hergeleitet und hinsichtlich der Endlagersuche in erster Linie im Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verortet. Im weiteren Untersuchungsverlauf gilt es nunmehr herauszuarbeiten, welche konkreten Vorgaben der Schutzpflicht für die Standortsuche auferlegt. Ausgehend von den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Anlagenrecht ist zum einen die Gewährleistung von Langzeitsicherheit zu nennen (aa), welche durch eine dynamische Schadensvorsorge gewährleistet werden soll. In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen, inwieweit ein Restrisiko auszuschließen oder hinzunehmen (bb) und ob ein Vergleich verschiedener potenzieller Standorte verfassungsrechtlich geboten ist (cc). Zum anderen ist für den Nachweltschutz klärungsbedürftig, ob die Verfassung fordert, prozessuale Vorkehrungen zur Geltendmachung entsprechender Rechte vorzusehen (dd). Abschließend soll untersucht werden, inwiefern aus der staatlichen Schutzpflicht ggf. sogar ein verfassungsrechtliches Gebot für die Umsetzung einer Endlageranlage erwachsen kann (ee). aa) Gewährleistung von Langzeitsicherheit Die Rechtsprechung hat in einer Reihe von Entscheidungen zum atomaren Anlagenrecht Grundsätze zu Schutzumfang und Ausgestaltung des gesetzgeberischen Spielraums entwickelt.400 Der Staat hat hierbei Vorkehrungen zur Umsetzung der Langzeitsicherheit401 zu treffen. Dies erfolgt durch die erforderliche Vorsorge gegen Schäden, die dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Die Verwendung solcher unbestimmter Rechtsbegriffe verlangt nach rechtlicher Ausfüllung und Konkretisierung,402 welche nachfolgend vollzogen wird. (1) Stand der Wissenschaft und Technik Das Bundesverfassungsgericht hat im Kalkar-Beschluss403 das Genehmigungskriterium der erforderlichen Schadensvorsorge an den „Stand von Wissenschaft und 400 Für die atomare Entsorgung gelten die gleichen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wie für die friedliche Nutzung der Kernenergie selbst, vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 21 – Schacht Konrad mit Bezug auf BVerfGE 53, 30, 58 – Mühlheim-Kärlich und BVerfGE 49, 89, 126 ff. – Kalkar I; vgl. auch Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270. Im einfachen Recht wird dies für die Endlagerung radioaktiver Abfälle mit der Verweisung von § 9b Abs. 1a S. 2, bzw. Abs. 4 auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG klargestellt. 401 In das Atomgesetz wurde der Aspekt der Langzeitsicherheit mit der sog. Entsorgungsnovelle vom 31.10.1976 (BGBl. I S. 3053) eingefügt; grundlegend zur Langzeitsicherheit von Endlagern Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 86 ff., eingehend zur Entsorgungsnovelle, S. 28 ff. 402 So auch Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 16 Rn. 118 m. w. N. zur Begriffsbestimmung. 403 BVerfGE 49, 89, 133 ff. – Kalkar I.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Technik“ geknüpft. Im Gegensatz zu den weiteren Technikkategorien „allgemein anerkannte Regeln der Technik“,404 dem „Stand der Technik“405 oder der „besten verfügbaren Technik“406 bedeutet dieser Begriff eine deutliche Verschärfung der Genehmigungskriterien.407 Schließlich muss „diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. (…) die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt.“408
404
Die allgemein anerkannten Regeln der Technik umfassen diejenigen Regeln, die in der Fachpraxis erprobt und bewährt sind und nach der vorherrschenden Meinung von Fachleuten den sicherheitstechnischen Anforderungen entsprechen. Da bei diesem Standard insbesondere auf die Auffassung von Praktikern abgestellt wird, werden neue technische Entwicklungen nicht in Betracht gezogen, vgl. BVerfGE 49, 89, 135 – Kalkar I; weiterhin Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 135; näher bei Vieweg, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 337, 364 f.; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 46 m. w. N. 405 Mit dem Stand der Technik, auf den z. B. in § 3 Abs. 6 BImschG Bezug genommen wird, erfolgt eine Verlagerung des Maßstabs für das rechtlich Gebotene an die Front der technischen Entwicklung, da die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein nicht ausschlaggebend sein können. Bei der Feststellung der Kriterien haben Gerichte und Behörden in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker einzutreten, um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist, vgl. BVerfGE 49, 89, 135 f. – Kalkar I; der im einfachen Umweltrecht definierte Stand der Technik berücksichtige den in der besten verfügbaren Technik enthaltenen medienübergreifenden integrativen Ansatz sowie die Voraussetzung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit als Teil des Technikstandards, vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 133; weiterhin bei Vieweg, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 337, 365; für den Bereich des Atomrechts gilt es allerdings zu bedenken, dass neuartige sicherheitstechnische Lösungen sich nicht risikoerhöhend auswirken dürfen. Daher sind hier, soweit möglich, hinreichend bewährte technische Systeme zu verwenden, vgl. Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 46 f. m. w. N. 406 Dieses auf unionsrechtliche Vorgaben der Richtlinie für Industrieemissionen (RL 2010/ 75/EU vom 24.11.2010, ABl.EU L 334/17 – IE-RL) zurückgehende Konzept entspricht dem in Deutschland traditionell verwendeten Begriff des Standes der Technik. Art. 3 Nr. 10 der IE-RL definiert beste verfügbare Techniken als „den effizientesten und fortschrittlichsten Entwicklungsstand der Tätigkeiten und entsprechenden Betriebsmethoden, der spezielle Techniken als praktisch geeignet erscheinen lässt, grundsätzlich als Grundlage für die Emissionsgrenzwerte zu dienen, um Emissionen in und Auswirkungen auf die gesamte Umwelt allgemein zu vermeiden oder, wenn dies nicht möglich ist, zu vermindern“. 407 Grundlegend zur Abschichtung der verschiedenen Technikbegriffe Marburger, Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1989, S. 121 ff.; vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 133 ff.; Vieweg, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 337, S. 364 ff.; vgl. zum Stand der Wissenschaft und Technik im Rahmen der Endlagersuche Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 165 ff. 408 BVerfGE 49, 89, 136 – Kalkar I; mit Verweis auf BVerwG, DVBl. 1972, S. 678, 680 – Würgassen.
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Insofern liegt nicht nur eine Verpflichtung zur beschleunigten Implementierung neuer Entwicklungen vor. Vielmehr muss die Genehmigung versagt werden, wenn die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erforderliche Schadensvorsorge ingenieursmäßig (noch) nicht zu realisieren ist.409 Aus diesem Verständnis ergibt sich für die Exekutive mit dem Stand der Wissenschaft und Technik die Grundlage für die Risikoermittlung und -bewertung sowie die Beurteilung der Geeignetheit von Vorsorgemaßnahmen.410 (2) Dynamische Schadensvorsorge Durch den Verweis auf den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik folgt mittelbar eine Dynamisierung des Grundrechtsschutzes.411 Mit dieser Anknüpfung wird der Rechtsrahmen für die Rezeption des einfach- und untergesetzlichen Regelwerkes und des wissenschaftlichen Standards als Entscheidungsmaßstab gesetzt.412 Die Bezugnahme auf den Stand des Wissens repräsentiert die Spitze des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts, ist einem ständigen Wandel unterworfen und damit die bestmögliche Erkenntnisquelle zum Ausschluss von Gefahren und Risiken.413 Den aufgrund des Gefahrenpotenzials der Kernkraft gebotenen Optimierungsprozess dürfen rechtliche Wertungen nicht durch voreilige Festlegungen behindern.414 Die Verwendung von offenen ausfüllungsbedürftigen Formulierungen wie Stand der Wissenschaft und Technik unterstützt die Einbeziehung neuerer Erkenntnisse und gewährleistet somit einen fortschreitenden, also dynamischen Grundrechtsschutz.415 409 BVerfGE 49, 89, 136 – Kalkar I; E 53, 30, 59 – Mühlheim-Kärlich; BVerwG. DVBl. 1972, S. 678, 680 – Würgassen; vgl. auch Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 48. 410 Zum Beurteilungsspielraum der Exekutive bei der Ausfüllung des Begriffs, vgl. BVerwGE 72, 300, 316 ff. – Whyl; vgl. auch Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 46, 49 f. 411 Vgl. u. a. BVerfGE 49, 89, 137 – Kalkar I; E 53, 30, 75 ff. – Mühlheim-Kärlich; zuletzt BVerfGK 16, 370 Rn. 39, 42 – Schacht Konrad; für eine Auswahl aus der Lit.: Roller, NVwZ 2011, S. 1431, 1433; Roßnagel/Hentschel, ZNER 2011, S. 7, 9; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 39; a. A. und für eine Beschränkung der Betreiberpflichten auf das Sicherheitsniveau zum Genehmigungszeitpunkt Scheuten, 10. AtomRS, S. 207, 215 f.; Hennenhöfer/Schneider, FS Sellner, S. 347, 349 ff. 412 Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 172. 413 BVerfGE 49, 89, 137 ff. – Kalkar I. 414 Vgl. Roßnagel, NVwZ 1984, S. 137, 138; krit. mit Verweis auf „eine Art AchillSchildkrötenparadoxon“ Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 553, je gründlicher man in die technische Detailprüfung einsteige, desto eher laufe man demnach Gefahr, bei längerer Verfahrensdauer einer neuen Entwicklung gegenüberzustehen. 415 Vgl. u. a. BVerfGE 49, 89, 137 – Kalkar I; E 53, 30, 75 ff. – Mühlheim-Kärlich; zuletzt BVerfGK 16, 370 Rn. 39, 42 – Schacht Konrad; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.),
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bb) Risikovorsorge und Restrisiko Eine wesentliche Ausprägung der erforderlichen Schadensvorsorge zur Gewährleistung von Langzeitsicherheit stellt der Aspekt der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge dar. Im Unterschied zur klassischen Gefahrenabwehr416 umfasst dieser Begriff, „dass auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotential besteht“.417
Als Folge daraus sind Schutzmaßnahmen nicht erst allein aufgrund vorhandener ingenieursmäßiger Erfahrungswerte zu ergreifen. Vielmehr müssen auch bloße theoretische Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden.418 Die Risikovorsorge beinhaltet somit zum einen, Vorkehrungen gegen bekannte, nach bisherigem Wissensstand unterhalb der Gefahrenschwelle liegende Auswirkungen einer Anlage zu treffen. Zum anderen gilt es auch Schäden mit extrem geringer Eintrittswahrscheinlichkeit zu verhüten.419 Der Maßstab der Risikovorsorge ist demnach erfüllt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, dass Schadensereignisse eintreten werden.420 Ungewissheiten jenseits der Schwelle von praktischer Vernunft421 sind davon jedoch nicht umfasst. Diese einbeziehen zu wollen, hieße die Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens zu übersteigen. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat sie daher als unentrinnbar und vom Bürger zu tragende sozial-adäquate Lasten (sog. Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 93; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 248; Posser, in: Hecker/Hendler/Proelß u. a. (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Haftung für Umweltschäden, 2013, S. 161, 165; a. A. Lepsius, VVDStRL (63) 2004, S. 264, 298 f., welcher in der Bezugnahme auf den Stand von Wissenschaft und Technik eine Verknüpfung unterschiedlicher Erkenntnisgrößen sieht, die zueinander in einem Zielkonflikt stehen. Dadurch werde ein nicht relationierbares Wahrscheinlichkeitsurteil erwartet, das die Trennung von Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit verwischt und zu einer Ermächtigung technokratischen Sachverstands führe. Rechtsstaatlich sei dieses Vorgehen genauso bedenklich, wie vollzugstechnisch problematisch. Der Tatbestand des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG sei daher verfassungswidrig (vgl. ibid Fn. 117). 416 Vgl. Abschnitt D. II. 1. b) aa) (2). 417 BVerwGE 72, 300, 315 – Whyl; vgl. Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 40 f.; Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 27 f., 57. 418 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 16 Rn. 126. 419 Breuer, DVBl. 1978, S. 829, 837. 420 Vgl. BVerfGK 17, 57 Rn. 12 – CERN in Erweiterung zu BVerfGE 49, 89, 142 f. – Kalkar I; Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 7. 421 Krit. zur Unbestimmtheit Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 25, 53.
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Restrisiko) eingestuft.422 Die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen enden demnach dort, wo die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens nach naturwissenschaftlichtechnischer Einschätzung hinreichend gering ist und der mögliche Sicherheitsgewinn durch zusätzliche Schutzvorkehrungen außer Verhältnis steht.423 Der grundrechtlich gebotene Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge enthält somit ein Gebot zur Risikominimierung, nicht jedoch eine Verpflichtung zur völligen Risikovermeidung.424 Ein Anspruch auf Restrisikominimierung besteht demnach gerade nicht.425 cc) Risikominimierung durch Alternativenvergleich? An diese Feststellung schließt sich die Frage an, ob unter Risikominimierungsgesichtspunkten ein Vergleich verschiedener Standortalternativen verfassungsrechtlich426 geboten ist.427 Dafür lässt sich schon semantisch anführen, dass eine 422 Zur vorgenannten Definition des Restrisikos, vgl. BVerfGE 49, 89, 143 – Kalkar I; näher zum Restrisiko als „Gefahrenrest“ Steinberg, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 9, 88 f. 423 Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 77 m. w. N.; noch weitergehend und unter bestmöglicher Gefahrenabwehr, das völlige Verbot der Schadensursache als konsequent bezeichnend Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 239. 424 So auch Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 16 Rn. 87; völlige Risikovermeidung wäre gleichbedeutend mit einem Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie, i. d. S. etwa MayerTasch, Umweltrecht im Wandel, 1978, S. 138 ff.; ders., Ökologie und Grundgesetz, 1980, S. 125 ff.; ähnlich mit Verweis auf eine veränderte Risikowahrnehmung nach der Katastrophe von Fukushima Wollenteit, ZUR 2013, S. 323, 328 f.; für die Situation eines Endlagers besteht diese Option freilich nicht. Der Verzicht auf die Realisierung eines Endlagers bedeutet gleichzeitig eine Verlängerung der bestehenden Zwischenlagersituation und somit jedenfalls keine völlige Risikovermeidung. 425 So ausdrücklich BVerfGK 14, 402 Rn. 61 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld; K 16, 370 Rn. 49 – Schacht Konrad; stellvertretend aus der Lit.: Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 271; Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 7. 426 Für eine unionsrechtlich determinierte Pflicht zur Alternativenprüfung, vgl. Däuper/ Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 21, 32 sowie vorherige Ausführungen in Abschnitt D. I. 3. 427 Dies bejahend Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 349 f., 353 f.; Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 332 f.; Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 212; Hellermann, Grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelung zur Refinanzierung der bei der Durchführung des Standortauswahlverfahrens anfallenden Kosten durch die Abfallverursacher, 2012, S. 26; Renn, atw 2009, S. 222, 225; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 348; a. A. Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1137; Wimmer, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 111, 119; z. T. wird neben sicherheitsrechtlichen auch auf wirtschaftliche Erwägungen abgestellt [vgl. Roßnagel/ Hentschel, UPR 2004, S. 291, 293 f.; Ramsauer, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. ATRS ff.;
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bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge bei der Untersuchung lediglich eines Standortes mangels Vergleichspaar nur schwerlich möglich erscheint.428 Entgegen dieser prima facie bestehenden Pflicht zum Alternativenvergleich hat das Bundesverfassungsgericht für das Endlager Schacht Konrad,429 in das Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung430 eingelagert werden sollen, entschieden, dass im Planfeststellungsverfahren nach § 9b AtG ein Vergleich verschiedener Standortalternativen nicht erforderlich ist.431 Die Einstufung der atomrechtlichen Planfeststellung als gebundene Entscheidung führe dazu, dass das fachplanerische Abwägungsgebot nicht gelte. Das bei der Planfeststellung strikt einzuhaltende Prüfprogramm stelle den gebotenen Grundrechtsschutz bereits sicher, so dass eine darüber hinausgehende fachplanerische Abwägung jedenfalls von Verfassung wegen nicht zwingend geboten sei.432 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob diese Aussage auch für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle Geltung beanspruchen kann.433 Für ein gegebenenfalls zu forderndes gesteigertes Sicherheitsniveau spricht die im Vergleich zu Abfällen mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung qualitativ stärkeren Gefährdungen sowie die Langlebigkeit434 von hochradioaktiven Abfälweiterhin ders., NVwZ 2008, S. 944, 950] oder auf internationale Standards verwiesen (vgl. Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 333, Hellermann, Grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelung zur Refinanzierung der bei der Durchführung des Standortauswahlverfahrens anfallenden Kosten durch die Abfallverursacher, 2012, S. 5). 428 So auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 349 f.; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 250 f.; Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 212; Piontek, 12. AtomRS, S. 267, 271; weiterhin wurden zur Begründung der Pflicht zu einer Alternativenprüfung strukturelle Unterschiede bei der Einordnung des Standes von Wissenschaft und Technik bei Endlageranlagen und Kernkraftwerken geltend gemacht. So werde zum einen die Sicherheit von Endlagern in besonderem Maße vom Standort geprägt, was eine Untersuchung verschiedener Wirtsgesteine nahelege. Zum anderen sei bei Endlageranlagen aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmals im Gegensatz zu Kernkraftwerken ein Stand von Wissenschaft und Technik erst zu erarbeiten, vgl. Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 350; ähnlich Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 333; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 14. 429 Näher zum Endlager Schacht Konrad in Abschnitt B. III. 1. 430 Im Gegensatz zu hochradioaktiven Abfällen handelt es sich hierbei um schwach- und mittelradioaktive Abfälle. 431 BVerfGK 16, 370 Rn. 58 – Schacht Konrad, mit Verweis auf BVerwG, NVwZ 2007, S. 837, 838 f. 432 BVerfGK 16, 370 Rn. 60 – Schacht Konrad. 433 BVerfGK 16, 370 Rn. 18 – Schacht Konrad; dies zu weitgehend interpretierend Ziehm, ZNER 2015, S. 208, 212. 434 Während bei Schacht Konrad ein Sicherheitsnachweis für einen Zeitraum von 10.000 Jahren zu führen war, beträgt der Nachweiszeitraum für das Endlager für hochradioaktive Abfälle eine Million Jahre, vgl. BMU, Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle, 30.9.2010, S. 13; näher zum Nachweiszeitraum von einer Million Jahre in Abschnitt D. III. 1. a) bb).
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len.435 Dass sich daraus eine verfassungsrechtliche Pflicht zur konkreten Untersuchung von Standortalternativen ergibt, ist jedoch nicht zwingend. Die Forderung nach der Durchführung eines Alternativenvergleichs stützt sich im Wesentlichen auf die semantische Deutung, dass die mit der Kalkar-Rechtsprechung entwickelte bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nur erfüllt wird, wenn auch konkretes Standortvergleichsmaterial zur Verfügung steht.436 Allerdings lässt sich dieser Rechtsprechungslinie nicht entnehmen, dass die Ausgestaltung des in Bezug genommenen Begriffs des Stands der Wissenschaft und Technik nicht auch anhand abstrakter Kriterien erarbeitet werden kann.437 Vielmehr wird dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungs- und Beurteilungsprärogative bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht eingeräumt.438 In diesem lediglich durch das Untermaßverbot begrenzten Spielraum liegt es, zunächst nur einen Standort auf seine Eignung zu überprüfen. Ein im Vergleich zum Endlager Konrad höheres Schutzniveau kann beispielsweise durch eine Verschärfung der Prüfkriterien erfolgen.439 Für die Ablehnung einer Pflicht zum Alternativenvergleich spricht ferner, dass sich andernfalls die logische Folgefrage nach der Prüftiefe ergäbe.440 Detaillierte Vorgaben hinsichtlich der räumlichen Reichweite, des Umfangs der zu untersuchenden Wirtsgesteinstypen oder der Anzahl der konkreten Alternativstandorte lassen sich aus dem Verfassungsrecht jedenfalls nicht ableiten. Spätestens an dieser Stelle wäre auf den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers zu verweisen. Genau in diesem Gestaltungsspielraum bewegt sich der Gesetzgeber, wenn er in § 1 Abs. 2 S. 2 StandAG ein vergleichendes Standortsuchverfahren etabliert.441 Damit erfüllt er jedoch keine grundrechtlich fundierte Pflicht.442 Stattdessen lässt er sich von (begrüßenswerten) Optimierungsmotiven leiten.443
435 In diese Richtung auch Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 333, Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 14. 436 Vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 353 f.; Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 332; Renn, atw 2009, S. 222, 225; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 350; Roßnagel/Hentschel, UPR 2004, S. 291, 294, 295 f. 437 Ähnlich Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1137; a. A. Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 350. 438 Vgl. BVerfGE 49, 89, 131 – Kalkar I sowie Erläuterungen in Abschnitt D. II. 1. b) aa) (4). 439 A. A. Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 250 f., der die Untersuchung weiterer Standorte zur Identifizierung von Sicherheitsreserven für erforderlich hält. 440 Mit dieser Frage setzen sich auch die Befürworter einer Prüfpflicht auseinander, vgl. etwa Roßnagel/Hentschel, UPR 2004, S. 291, 292 f., 295. 441 In diese Richtung, wenngleich als Argument um höhere Kosten der Endlagersuche zu rechtfertigen Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 332; näher zum Grundsatz der bestmöglichen Sicherheit nach § 1 Abs. 2 StandAG in Abschnitt D. III. 1. a) aa). 442 So auch Arndt, Gutachten zur Kostentragung für alternative Standorte im geplanten Endlagergesetz, 2012, S. 17; a. A. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 353 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
dd) Rechte künftiger Generationen Wie bereits zuvor herausgearbeitet, können aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG mit Blick auf die Langzeitsicherheit keine subjektiven Rechtspositionen abgeleitet werden.444 Sie lassen sich auch nicht dogmatisch stringent aus einer zeitlich unbegrenzten objektiven Schutzpflicht des Staates445 oder einem liberalen Verfassungsverständnis446 ableiten. Diese Verneinung von Individualrechtsschutz447 wird insbesondere damit begründet, dass die im Rahmen der Langzeitsicherheit zu bewertenden Ereignisse und Szenarien sich erst in ferner Zukunft auswirken können und eine gegenwärtige Betroffenheit damit ausscheidet.448 Zudem erfordern subjektive Rechte als Voraussetzung für den Zugang zu den Gerichten die gleichzeitige Existenz berechtigter und verpflichteter Rechtsträger, womit die „künftigen Generationen“ (noch) nicht dienen können.449 Will man wiederum einem Interessentenkläger die Prüfung objektiven Umweltrechts ermöglichen,450 würde dieser im Hinblick auf die Langzeitsicherheitsaspekte nicht sicher prognostizierbare Interessen443 In diese Richtung lässt sich die Gesetzesbegründung deuten, die sich über die verfassungsrechtliche Notwendigkeit ausschweigt und stattdessen auf internationale Standards und Erfahrungen verweist, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 19. 444 S. Ausführungen in Abschnitt D. II. 1. b) cc) (2). 445 So etwa Saladin/Zenger, Rechte künftiger Generationen, 1988, S. 76 ff. 446 Vgl. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2010, S. 84, 91 ff. 447 Näher zu etwaigen Rechtsschutzdefiziten im Verfahren der Endlagersuche in Abschnitt D. IV. 2. 448 Vgl. zuletzt im Kontext eines Endlagers für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung BVerfGK 16, 370 Rn. 53 ff. – Schacht Konrad; das OVG Lüneburg verweigerte Klägern zudem in Prozessstandschaft die Rechte ihrer Nachkommen geltend zu machen. Dazu müsste unter anderem unterstellt werden, dass sich die Nachkommen der Kläger noch in Tausenden von Jahren an ihrem jetzigen Wohnort aufhalten. Mit derartigen Hypothesen sei ein Drittschutz nicht zu begründen, vgl. OVG Lüneburg, ZUR 2006, 489, 495; vgl. dazu auch Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 272; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 87 f.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 214; a. A. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2010, S. 189 f. 449 Vgl. Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 95; Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 183; Kahl, EurUP 2016, S. 300, 302 f.; Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 224; allgemein zur Relationalität subjektiver Klagerechte Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 185 ff. 450 Zur Interessentenklage, welche sich auf eine europa- und völkerrechtlich vorgegebene Verbandsklage stützt, vgl. etwa Schlacke, DVBl. 2015, S. 929, 929 f.; Siegel, DÖV 2012, S. 709, 711 f.; grundlegend Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 15 f., 154; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998; in diese Richtung auch Ekardt, Zukunft in Freiheit, 2004, S. 323, 369 f.; bereits zuvor Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 492 ff.; Gleiches gilt für den Ansatz, der nach Verneinung des subjektiv-rechtlichen Gehalts des Art. 20a GG vorschlägt, aus funktionalen Gründen den Gemeinwohlbelang Umweltvorsorge subjektiv aufzuladen, um ihm so durch die Möglichkeit individueller Geltendmachung zur Wirksamkeit zu verhelfen, vgl. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 56 ff., 290 ff.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte
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lagen künftiger Generationen ohne Legitimation geltend machen.451 Gleiches gilt für die Konstruktion einer Vorwirkung von Klagerechten.452 Selbst der Versuch unter Zuhilfenahme des Arguments einer aktiven Potenzialität,453 künftige Generationen im Kollektiv als taugliche Grundrechtsträger einzuordnen, verkennt, dass der Begriff der künftigen Generationen aufgrund eines ständigen personellen Austauschprozesses im Fluss und notwendigerweise unbestimmt ist. Somit fehlt es zu jeder Zeit an einem hinreichend fixierten Kollektiv bzw. personalem Substrat,454 dem subjektive Rechte zugesprochen werden könnten.455 Gleichwohl ist festzuhalten, dass der staatlichen Schutzpflicht Aspekte des Nachweltschutzes (Stichwort: intergenerationelle Gerechtigkeit) innewohnen.456 Dieser Schutz erfolgt jedoch rein objektiv-rechtlich.457 Der Gesetzgeber hat innerhalb seines Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums die Interessen künftiger Generationen einzubeziehen. Es gilt jedoch zu beachten, dass ein Konfliktausgleich grundsätzlich gegenwartsbezogen zu erfolgen hat. Das Prinzip der Güterabwägung gründet auf der impliziten Voraussetzung, dass die Betroffenen einer staatlichen Maßnahme in einer gegenwärtigen Relation zueinander stehen.458 Die Frage nach der Sozialadäquanz eines Risikos lässt sich deshalb nur innerhalb derselben sozialen, kulturellen und geschichtlich gewachsenen Ordnung sinnvoll stellen.459 Mit welchem Stellenwert sind aber nun die Belange künftiger Generationen gegenwärtig zu berücksichtigen? Es erscheint naheliegend, fiktive und unsichere künf451 Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 183; Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, 2014, S. 147; ähnlich Näser/Oberpottkamp, DVBl. 1995, S. 136, 141 f.; Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 88; für einen ausreichenden Schutz durch die abstrakte Normenkontrolle Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 225; grundlegend, dass sich Gemeinwohlzwecke nicht generationenspezifisch eingrenzen lassen Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 213 f. 452 Hierauf gründet sich der Ansatz, Klagerechte für künftige Generationen herzuleiten, vgl. Ekardt, Zukunft in Freiheit, 2004, S. 367 ff.; krit. hierzu Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, 2009, S. 225. 453 Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, 2014, S. 171 f. unter Rekurs auf BVerfGE 39, 1, 41 f. – Schwangerschaftsabbruch I. 454 Zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG auf das personale Substrat stützt, vgl. BVerfGE 21, 362, 369 – Sozialversicherungsträger. 455 Vgl. auch Kahl, EurUP 2016, S. 300, 303 f.; Lepsius, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 326, 334 f. 456 Vgl. Ausführungen in Abschnitt D. II. 1. b) cc) (4). 457 S. a. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 273. 458 Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 127; Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 262 ff. 459 Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Art. 20a GG Rn. 95 mit Verweis auf Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 279; a. A. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 213 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
tige Interessen aktuell gesicherten Erkenntnissen und Gegebenheiten jedenfalls nicht kurzschlussartig als gleichwertige Abwägungsbelange gegenüberzustellen. Je weiter sich relevante Zeithorizonte erstrecken – bei der Endlagersuche steht der kaum fassbare Zeitraum von einer Million Jahren im Fokus – desto größeres Gewicht kommt der inhärenten Unsicherheit zu. Folgerichtig ist der Abwägungswert künftiger Interessen umso niedriger zu veranschlagen je weiter der Bezugspunkt entfernt liegt.460 ee) Staatsaufgabe Endlagerung Die vorgenannten Aspekte bilden einen Rahmen, dem der Gesetzgeber bzw. die beteiligten staatlichen Einrichtungen bei der Ausgestaltung der Standortsuche und der anschließenden Anlagengenehmigung nachzukommen haben. Der staatliche Handlungsauftrag beschränkt sich jedoch nicht auf den Schutz der vom Endlager Betroffenen. Der Schutzauftrag ist vielmehr weiter zu ziehen.461 Schließlich stehen – jedenfalls nach dem Ende der friedlichen Kernenergienutzung zum Jahresende 2022 – die zu entsorgenden Abfallmengen fest.462 Angesichts dieser Ausgangssituation lässt sich fragen, inwieweit der staatlichen Schutzpflicht zusätzlich ein Gebot entspringt, mittel oder unmittelbar die Realisierung einer Endlageranlage sicherzustellen.463 Grundsätzlich werden an die Aktivierung einer Handlungspflicht sehr hohe Anforderungen gestellt.464 So soll eine unzulässige Beeinträchtigung von Grundrechtspositionen erst vorliegen, „wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurück bleiben.“465 Zwar handelt es sich bei der Endlagerung nicht um eine Staatsaufgabe im engeren Sinne,466 welche vom Staat selbst oder seinen Behörden unmittelbar ausgeführt werden muss.467 Mit der Genehmigung für den Betrieb von Kernkraftanlagen sowie der finanziellen Förderung 460
Gärditz spricht von der „Notwendig(keit) (…) eine(r) Diskontierung nach Maßgabe der zeitlichen Entfernung“, vgl. Gärditz, EurUP 2013, S. 2, 12; ähnlich Kahl, EurUP 2016, S. 300, 307; explizit anders Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2010, S. 189; a. A. auch Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 127 f.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 215; für eine Auflösung nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001, S. 73 f. 461 Vgl. etwa Kahl, EurUP 2016, S. 300, 311. 462 S. a. John, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2014, § 10 Rn. 92. 463 Vgl. Kuhbier/Prall, ZUR 2009, S. 358, 361 ff. 464 Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 31. 465 BVerfGE 92, 26, 46 – Zweitregister. 466 Zur Kategorisierung der Staatsaufgaben, vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 75 Rn. 27 ff. m. w. N. 467 BVerfGE 107, 59, 93 – Lippeverband; s. a. Kuhbier/Prall, ZUR 2009, S. 358, 362; für eine beispielhafte Aufzählung wie Justiz, Militär, Polizei, vgl. Schoch, DVBl. 1994, S. 962, 963.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte
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des Einstiegs in die Nutzung erwächst dem Staat allerdings – gleichsam aus einer Garantenstellung468 – eine obligatorische Staatsaufgabe zur Entsorgung.469 Angesichts des Gefahrenpotenzials von radioaktivem Abfall gebietet das Risikominimierungsgebot eine dauerhafte Lösung der Entsorgungsfrage anzustreben.470 Unter der Prämisse, dass ein Endlager aufgrund geologischer und technischer Barrieren gegenüber der Variante einer langfristigen Zwischenlagerung Vorteile471 besitzt, tritt neben den Aspekt des Schutzes der Bevölkerung vor einer Endlageranlage die Konnotation „Schutz durch Endlagerung“ hinzu.472 Insofern ist der grundrechtlich verbürgten Schutzpflicht gerade auch die Aufforderung zu entnehmen, zeitnah eine Endlageranlage selbst zu errichten bzw. deren Errichtung zu gewährleisten.473 Dass sich der Gesetzgeber in § 9a Abs. 3 S. 1 Hs. 1 AtG474 dazu entschlossen hat, die Endlagerung als Bundesaufgabe475 zu regeln, ist allerdings eine rechtspolitische 468
Vgl. BVerfGE 53, 30, 57 f. – Mühlheim-Kärlich; E 56, 54, 79 – Fluglärm; aus der Lit.: Isensee, HbdStR III2, § 57 Rn. 152; für einen eigenen abwehrrechtlichen Anspruch, vgl. Winter, NJW 1979, S. 393, 399; deutlich differenzierter Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 85 f., 87; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 163 ff.; a. A. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 75 ff.; vgl. zu den Aspekten Genehmigungserteilung und finanzielle Förderung Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 118 ff., 126 ff. 469 Vgl. Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 128 f., 130; ähnlich Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 67; a. A. Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 74; allgemein zur obligatorischen Staatsaufgabe Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 73 Rn. 29; Burgi, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 75 Rn. 16; diesen Begriff enger fassend Butzer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 74 Rn. 7. 470 I. d. S. wird aus dem ökologischen Erforderlichkeitsgebot des Art. 20a GG auf eine Auftragsdimension geschlossen, vgl. Scherzberg, VVDStRL (63) 2004, S. 216, 253; in diese Richtung auch Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 72, mit Verweis auf die Gesetzesbegründung zur sog. Entsorgungsnovelle BT-Drs. 4/4794, S. 9. 471 Zu nennen sind etwa geringere Proliferationsrisiken. 472 Vgl. Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 98, 132 f.; ebenso Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 120; Wieland, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 42, 44; ähnlich in zeitlicher Perspektive Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 249; vgl. auch Ziehm, ZNER 2016, S. 199; für eine (mittelbare) Schutzwirkung durch Sicherstellung der Finanzierung vgl. Schmitz/Hellenberg/Martini, NVwZ 2017, S. 1332, 1334; a. A. durch Verneinung einer „zwingenden Staatsaufgabe“ und für die Möglichkeit zur Privatisierung der Endlagerung Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 76 f. 473 Die Pflicht des Staates „sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen“ besteht zwar „vor allem“ bei rechtswidrigen Eingriffen Dritter. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich allerdings keine ausdrückliche Beschränkung auf diese Fälle entnehmen, vgl. auch BVerfGE 64, 160, 164 – Schleyer; ähnlich, wenngleich deutlich allgemeiner Smeddinck, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 69, 80, mit Verweis auf Schulze-Fielitz, GrdlVerwR I, § 12 Rn. 159. 474 Näher zu dieser Vorschrift in Abschnitt D. III. 2. b). 475 Zwar bedient sich der Bund zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nach § 9a Abs. 3 S. 2 Hs. 2 AtG eines Dritten (der Bundesgesellschaft für Endlagerung – BGE; näher hierzu in Abschnitt D. III. 1. b) cc) im Wege der Beleihung. Jedoch bleibt der Bund alleiniger Gesellschafter.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Entscheidung.476 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben ließen sich auch durch entsprechende Genehmigungsvorschriften und Kontrollinstrumente gewährleisten.477 2. Abwehrrechte der Betroffenen Wenn nun der Staat zur Umsetzung des „Schutzes durch Endlagerung“ entsprechende Maßnahmen zur Realisierung einer Endlageranlage veranlasst, handelt er also grundsätzlich in Erfüllung seiner grundrechtlich begründeten Schutzpflicht. Nur weil sich bei der Realisierung eines Endlagers Bürger und Staat in einem bipolaren Verhältnis gegenüberstehen, schlägt die originär bestehende materielle Schutzpflicht nicht in ein Eingriffsverhältnis um.478 Die einfachgesetzlich begründete Stellung des Staates als Vorhabenträger und/oder Genehmigungsinstanz stellt vielmehr einen Gestaltungsvorschlag des Gesetzgebers zur Erfüllung der Schutzpflicht dar.479 Gleichwohl können sich Konstellationen ergeben, in denen die klassische abwehrrechtliche Dimension480 der Grundrechte zum Tragen kommt.481 Namentlich sind hierzu die im Standortauswahlverfahren vorgesehenen Vorschriften zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung zu nennen.482 Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG kann dann in ihrer abwehrrechtlichen Dimension betroffen sein, wenn sich beispielsweise ein Eigentümer gegen Betretungs- und Nutzungsrechte seines Grundstücks mit der Begründung wendet, die Einschränkung bis hin zum Entzug seines Eigentums belasteten ihn über Gebühr, da die Grenze der Sozialpflichtigkeit überschritten sei.483
476 In diese Richtung argumentieren auch Kuhbier/Prall, ZUR 2009, S. 358, 363, welche eine Beleihung aus Zweckmäßigkeitserwägungen ablehnen; ebenso König, ZNER 2012, S. 232, 237 f. 477 S. a. Menzer, DVBl. 1998, S. 820, 822; ders., Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 113 f. 478 S. a. Lorenz, FS Scholz, S. 325, 333. 479 Vgl. Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 90 f., 95; i. E. ebenso Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 120 f. 480 Vgl. zum status negativus die Nachweise in Fn. 216. 481 Im Verfahren Schacht Konrad prüft das Bundesverfassungsgericht Art. 2 Abs. 2 S. 1 sowie Art. 14 GG sowohl in abwehrrechtlicher als auch in schutzrechtlicher Dimension, vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 20. 482 § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG verweist für das Verfahren der Standorterkundung auf die Vorschriften der §§ 9d bis 9f sowie 9g Abs. 3 bis 5 AtG. Neben der Möglichkeit von Enteignungen werden damit auch Betretungs- und bestimmte Nutzungsrechte an fremden Grundstücken eingeräumt. 483 Krit. zur Zulässigkeit der Enteignungsvorschriften im StandAG Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136 ff.; Posser, FS Dolde, S. 251, 268 f.; näher zu dieser Frage in Abschnitt D. IV. 3.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen – Schwerpunkt Grundrechte
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Eine solche Beeinträchtigung abwehrrechtlicher Positionen tritt aber reflexartig als Nebeneffekt zur Wahrnehmung des Schutzauftrags hinzu.484 Betretungsrechte und Enteignungen dienen schließlich zur Gewinnung von Erkenntnismaterial für die Beurteilung der Langzeitsicherheit. Letztlich überwiegt daher eine schutzpflichtenorientierte Sichtweise.485 3. Zwischenergebnis Die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Endlagersuche finden ihre Basis im grundrechtlichen Wertesystem. Im Vordergrund steht die schutzrechtliche Wirkdimension. Abwehrrechtliche Konstellationen sind zwar denkbar, ergeben sich aber als Reflex durch staatliche Maßnahmen in Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Unabhängig von der jeweiligen dogmatischen Herleitung ist diese Grundrechtsfunktion allgemein anerkannt. Inhalt und Ausmaß der staatlichen Schutzpflicht sind im Kontext des jeweils betroffenen Grundrechts zu bestimmen. Bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle steht primär das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Rede. Ergänzungen erfährt diese Schutzpflicht aufgrund der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG um Elemente des Nachweltschutzes. Die Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen erfolgt allerdings rein objektiv-rechtlich.486 In der konkreten Ausgestaltung der Schutzpflicht orientieren sich die Endlageranforderungen an den zum Betrieb von Kernkraftwerken erforderlichen Maßstäben. Demzufolge hat der Staat die Langzeitsicherheit zu gewährleisten. Bezugspunkt ist hierbei die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, welche durch die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Maßnahmen umzusetzen ist. Mit dem Abstellen auf diesen Begriff wird ein dynamischer Grundrechtsschutz sichergestellt. In Anbetracht der Gefahren durch die Atomkraft beinhaltet der Maßstab der bestmöglichen Risikovorsorge entsprechende Vorkehrungen zu treffen, die eventuelle Schadensereignisse praktisch ausschließen. Insofern ist ein Risikominimierungsgebot zu attestieren. Dies geht jedoch nicht so weit, einen völligen Ausschluss aller Risiken zu fordern. Ein Restrisiko ist als Ausdruck sozial-adäquater Lasten von der Gesellschaft zu tragen. Eine Pflicht zur Restrisikominimierung besteht nicht. Neben Rahmenanforderungen wie die Realisierung einer Endlageranlage auszugestalten ist, lässt sich der grundrechtlichen Schutzpflicht aber auch der Handlungsauftrag entnehmen, dass der Staat die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle 484
Vgl. Jarass, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 38 Rn. 38. So auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 124. 486 S. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 66, gleichwohl klassifiziert er das StandAG als ein „Gesetz des Nahweltschutzes par excellence“; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 273; Mückl, FS Isensee, S. 183, 196. 485
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
gewährleistet. Die konkreten Anforderungen des Suchverfahrens und der Erstellung eines Endlagers bleiben dem Gesetzgeber vorbehalten. Das Verfassungsrecht billigt dem Parlament einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Begrenzt wird dieser lediglich durch das Untermaßverbot, welches einen angemessenen und wirksamen Mindestschutz verlangt. Im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit bewegt sich die Legislative, wenn sie eine vergleichende Untersuchung verschiedener Standorte empfiehlt. Eine verfassungsrechtliche Pflicht hierzu besteht allerdings nicht. Die umfängliche Reichweite der Spielräume des Gesetzgebers zeigt sich unter anderem auch daran, dass das Bundesverfassungsgericht noch in keinem umweltrechtlichen Fall einen Schutzpflichtenverstoß des Gesetzgebers angenommen hat.487 Gleichwohl setzen grundlegende Verfassungsprinzipien wie der Gewaltenteilungsgrundsatz, das Gebot des effektiven Rechtsschutzes und das Demokratieprinzip488 Leitplanken für das gesetzgeberische Wirken. Folglich lässt sich feststellen, dass die Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht und somit der Grundrechtsschutz durch die einfachgesetzliche Verfahrensgestaltung der Endlagersuche erfolgt.489 Das vom Gesetzgeber vorgegebene Verfahren zur Endlagersuche ist nachfolgend dahingehend näher zu beleuchten.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen Die geschilderten internationalen, europa- sowie verfassungsrechtlichen Vorgaben bilden gleichsam Leitplanken für die Rechtsetzung im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Die konkrete Ausgestaltung ist aber dem einfachen Gesetzgeber vorbehalten.490 Normen, die im Zusammenhang mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle stehen, finden sich in mehreren Regelwerken. Das Verfahren zur Standortsuche für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle ist im Standortauswahlgesetz (StandAG) (1.) beschrieben. Grundlegende Aufgaben und Befugnisse regelt das Atomgesetz (2.). Daneben existieren weitere Fachgesetze, die ausschnittsweise auch für die Standortsuche Relevanz entfalten (3.). Als Basis für eine Verortung von rechtlichen Problemen im Zusammenhang mit der Endlagersuche (IV.) werden die maßgeblichen Regelungen nachfolgend vorgestellt. Ein besonderes Gewicht liegt auf der Neukonzeption der Standortsuche durch das StandAG.
487
Kahl, EurUP 2016, S. 300, 307; Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1, 7. Die Vereinbarkeit des Standortauswahlverfahrens mit den genannten Verfassungsprinzipien wird in Abschnitt D. IV. eingehend beleuchtet. 489 Grundlegend BVerfGE 53, 30, 65 f. – Mühlheim-Kärlich; näher zum Grundrechtsschutz durch Verfahren Schmidt-Aßmann, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 45; Kahl, VerwArch 2004, S. 1 ff. 490 Zum weiten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers, vgl. die Ausführungen im vorangehenden Abschnitt. 488
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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1. Standortauswahlgesetz Die historische Hinführung identifizierte die 13. Atomgesetznovelle491 vom 31. Juli 2011 als maßgeblichen Einschnitt in der bundesdeutschen Atompolitik. Als Folge des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima wurde auch hierzulande ein nationaler politischer Konsens zur Beendigung der kommerziellen Nutzung von Kernenergie erzielt.492 Die Vereinbarung von verbindlichen Restlaufzeiten legte ein fixes Enddatum für den Leistungsbetrieb der einzelnen Kernkraftwerke fest. Im Nachgang sollte nun auch im Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern, Staat und Gesellschaft sowie den konkret betroffenen Bürgern die Suche nach einer Lösung für die sichere Entsorgung hochradioaktiver Abfälle erfolgen.493 Mit Ausnahme der LINKEN stimmten alle im Bundestag vertretenen Fraktionen für das Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (StandAG),494 welches am 23. Juli 2013 in Kraft trat.495 Das Herzstück dieses Mantelgesetzes496 bildet das in Art. 1 enthaltene gleichnamige Stammgesetz.497 Dessen Ziele (a), die maßgeblichen Akteure (b) sowie das Verfahren (c) der Standortsuche für ein Endlager werden im Anschluss dargestellt. a) Zwecke des Gesetzes Ziel- und Zweckbestimmungen, die sich oftmals zu Beginn eines Gesetzes finden,498 charakterisieren das Regulierungsfeld und formulieren die mit der Gesetzgebungstätigkeit beabsichtigten Ergebnisse.499 Neben einer Verbalisierung der „Marschroute“ des Gesetzes können und müssen sie zur Auslegung der weiteren
491
13. AtG-Novelle vom 31.7.2011, BGBl. I S. 1704. Vgl. Darstellung in Abschnitt B. V. 493 Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/13471, S. 1, 14; a. A. Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 88. 494 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553. 495 Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 273; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 549; BT-Drs. 17/13471, S. 1; zwischenzeitlich aufgehoben und ersetzt durch Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 496 Zum Begriff, vgl. BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, Rn. 320. 497 Zum Begriff, vgl. BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, Rn. 717 ff. 498 Kluth, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 1 Rn. 105. 499 Schneider, Gesetzgebung, 2002, Rn. 327 ff.; näher zu den Aufgaben gesetzlich normierter Zweckbestimmungen Höger, Die Bedeutung von Zweckbestimmungen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 115 f. 492
226
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Einzelvorschriften herangezogen werden.500 Das StandAG nennt in § 1 verschiedene Zweckbestimmungen. Dabei ist eine klare Hierarchisierung und Unterscheidung in Haupt- und Unterziele erkennbar.501 Abs. 1 bestimmt den Hauptzweck, das Standortauswahlverfahren zu regeln.502 Die anschließenden Absätze nennen verschiedene Aspekte und Vorgaben, die bei der Ausgestaltung des Verfahrens berücksichtigt werden sollen.503 Auf diese Unterziele, die sowohl finale als auch modale Elemente enthalten, ist nachfolgend näher einzugehen. aa) Bestmögliche Sicherheit § 1 Abs. 2 S. 1 StandAG formuliert den Gesetzeszweck, den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden. Der Gesetzgeber kommt damit seiner sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) ergebenden Schutzpflicht504 nach. In Umsetzung eines Vorschlags der Endlagerkommission505 findet sich in S. 2 nunmehr eine entsprechende Definition. Demnach ist „der Standort mit der bestmöglichen Sicherheit (…) der Standort, der im Zuge eines vergleichenden Verfahrens aus den in der jeweiligen Phase nach den hierfür maßgeblichen Anforderungen dieses Gesetzes geeigneten Standorten bestimmt wird und die bestmögliche Sicherheit für den dauerhaften Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung und sonstigen schädlichen Wirkungen dieser Abfälle für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet.“
500
Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 1, 12; Kluth, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 1 Rn. 107; für die Ziele und Zwecke des Energiewirtschaftsgesetzes (insb. im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität), vgl. Ludwigs, in: Elspaß/Graßmann/Rasbach (Hrsg.), EnWG, § 1 Rn. 10; Ludwigs/Langer, in: Elspaß/Graßmann/Rasbach (Hrsg.), EnWG, § 1a Rn. 2, 32. 501 Ähnliche Kategorisierung bei Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 13 ff. 502 Krit. hinsichtlich der Notwendigkeit diesen Hauptzweck zu formulieren Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 197 f. 503 Der Kanon der Unterziele wurde seit Inkrafttreten des StandAG am 23.7.2013 insb. auf Empfehlung der Endlagerkommission beständig erweitert, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 19; BTDrs. 18/11398, S. 47; BT-Drs. 18/11647, S. 16; zur Bedeutung von Schlüsselbegriffen (wie hier z. B. „wissenschaftsbasierendes, transparentes Verfahren“), vgl. Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 40 f. 504 Ausführlich zu Herleitung, Umfang und Ausgestaltung der grundrechtlich fundierten staatlichen Schutzpflicht in Abschnitt D. II. 1.; für einen Vergleich des aus dem atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren stammenden Maßstab der „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge gegen Schäden“ und dem Begriff „bestmögliche Sicherheit“, vgl. Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 170 ff. 505 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 26, 395 f.; näher zur Endlagerkommission in Abschnitt D. III. 1. b) aa).
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
227
Damit hat der Gesetzgeber Diskussionen und Interpretationen506 zur Ausfüllung des Begriffs „bestmögliche Sicherheit“ aufgegriffen und spezifiziert. Es wird nunmehr klargestellt, dass sich der „bestmögliche Standort“ als Ergebnis eines komparativen Verfahrens heraus kristallisiert.507 Der Alternativenvergleich an sich,508 für den die von der Endlagerkommission entwickelten und vom Gesetzgeber rezipierten Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwägungskriterien der §§ 22 bis 26 StandAG maßgeblich sind, erhöhe bereits den Sicherheitslevel bei der Realisierung eines Endlagers.509 Ungeachtet des mehrdeutigen Gesetzeswortlauts510 ist im Schrifttum unumstritten, dass nicht das absolut höchste Maß an Sicherheit angestrebt wird, sondern lediglich das relativ höchste Sicherheitsniveau.511 In diesem Zusammenhang ist von einer dynamischen Schadensvorsorge auszugehen,512 die eine fortzuentwickelnde Vorsorge gegen potenzielle Schäden nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik verlangt.513 Konkreten Niederschlag findet das Ziel in der Formulierung von Sicherheitsanforderungen in § 26 StandAG.514 In diesem Kontext wird auch deutlich, dass das Merkmal bestmögliche Sicherheit den weiteren Unterzielen übergeordnet ist. Während es sich bei den anderen Zwecken im We506 S. a. Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 198; Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117; Smeddinck, in: Hill/ Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 163 ff.; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 395; zur Forderung einer Alternativenprüfung als verfassungsrechtliche Voraussetzung für das Erreichen bestmöglicher Sicherheit, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 349 ff. 507 So bereits BT-Drs. 17/13471, S. 19; krit. in Bezug auf einen Alternativenvergleich Wimmer, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 111, 119 f. 508 Zur (nicht bestehenden) verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Alternativenvergleichs, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) cc). 509 Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 48; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 349 f.; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 348; Renn, atw 2009, S. 222, 225; Roßnagel/Hentschel, UPR 2004, S. 291, 294: a. A. Wimmer, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 111, 119. 510 Zu den unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten, vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117. 511 Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 43; ders., in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 163 f.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 118; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1134; Birkner, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 99, 101; Gaßner/ Neusüß, ZUR 2009, S. 347; Posser, FS Dolde, S. 251, 278. 512 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25, 130. 513 Grundlegend hierfür sind die vom BVerfG in dem Beschluss Kalkar I entwickelten Grundsätze, vgl. BVerfGE 49, 89 – Kalkar I; zur weitergehenden Erläuterung der unterschiedlichen Technikbegriffe, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) aa); dies als ausreichend erachtend Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 118; allgemein zum „Stand von Wissenschaft und Technik“ bei der Standortsuche Smeddinck, in: Hill/ Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 165 ff. 514 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 239 f., 397 f.; BT-Drs. 18/11398, S. 72 f.
228
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
sentlichen um modale Ausgestaltungen der Standortsuche handelt, nehmen Aspekte der Schadensvorsorge die erste Stelle ein. Insofern kann davon gesprochen werden, dass der Modus der Standortsuche – und somit das vollständige Verfahren der Standortauswahl – unter dem Primat der Sicherheit steht.515 bb) Nachweiszeitraum: „Eine Million Jahre“ Das Endlager muss nach § 1 Abs. 2 StandAG so ausgelegt sein, dass die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet wird. Mit dieser Vorgabe orientiert sich das StandAG an den Empfehlungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)516 sowie des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd).517 Ein derartiger Bezugszeitraum lässt angesichts der rational kaum fassbaren Dauer Sinnfragen entstehen.518 Gegen diese Vorfestlegung wird vorgebracht, dass sie vornehmlich der politischen Akzeptanzförderung diene und wissenschaftlich nicht haltbar sei.519 Allerdings lassen sich für die Wahl des Nachweiszeitraums aus naturwissenschaftlicher Sicht die Zerfallsraten einiger Radioisotope anführen.520 Die Bedeutung des 515 Vgl. auch Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 29, 124, 182, 215, die sowohl der kurz- und mittel- als auch der langfristigen Sicherheit Priorität vor allen anderen Aspekten einräumt; so auch Röhlig/Eckhardt, GAIA 2017, S. 103 f. 516 BMU, Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle, 30.9.2010, S. 13. 517 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 3; für einen Überblick zu den Kriterien des AkEnd vgl. Rahn, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 67, 77 ff., für einen Vergleich der Anforderungen von AkEnd und BMU, Arens, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 63 ff. 518 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 252; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284; dies als „Hybris“ bezeichnend: Bull, DÖV 2014, S. 897, 907; z. T. wird untersucht, ob es sich um einen „Black-Out“ oder ein „Versehen“ des Gesetzgebers handelt, vgl. Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 166, der den Nachweiszeitraum letztlich als „möglichen“ aber auch „höchst ambitionierte(n) Maßstab“ beschreibt (S. 184). 519 Posser, FS Dolde, S. 251, 253 (Fn. 10) m. w. N., 265; a. A. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 69; krit. in Bezug auf eine zu fordernde „intertemporale Bescheidenheit als Tugend des Rechts“ Gärditz, EurUP 2013, S. 2, 16. 520 Beispielsweise beträgt die Halbwertszeit des Transurans Plutonium239 etwa 24.000 Jahre, vgl. Jaeckel, Gefahrenabwehrrecht und Risikodogmatik, 2010, S. 17 (Fn. 40); deutlich langlebiger und für die Ausdehnung des Bezugszeitraums verantwortlich sind die durch den Zerfall der Radioaktivität miteinander verbundenen Isotope Plutonium241, Americum241 und Neptunium237, vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 68; Cooke, Atom – Die Geschichte des nuklearen Zeitalters, 2010, S. 493; für eine Übersicht der Halbwertszeiten verschiedener in Brennelementen enthaltener Spaltprodukte, vgl. Lersow, Endlagerung aller Arten von radioaktiven Abfällen und Rückständen, 2018, S. 244 Tab. 7.3; zur unterschiedlichen „Lebensdauer“ radioaktiver Abfälle, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 91 f.; zu den wissenschaftlichen Grundlagen der unterschiedlich diskutierten Betrachtungszeiträume, vgl.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
229
Bezugszeitraums wird an der Formulierung der Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Sicherheitskriterien in den §§ 22 bis 26 StandAG deutlich. Geologische und technische Voraussetzungen sind wiederholt an diesem Zeithorizont bemessen.521 Letztlich manifestiert sich in dem immensen Zeitraum von einer Million Jahren zum einen der Aspekt der Nachhaltigkeit522 und zum anderen die Erkenntnis, dass mit dem Verschließen des Bergwerks die Thematik Endlagerung keineswegs abgeschlossen ist.523 cc) Partizipatives Verfahren Der Grundsatz des partizipativen Verfahrens524 wurde mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 22. März 2017525 im Rahmen der Novellierung des StandAG526 in den Zielkanon des § 1 sowie durch eine Modifizierung der Öffentlichkeitsbeteiligung527 in das Verfahren aufgenommen. Er geht auf die Forderung der Endlagerkommission nach einem partizipativen Suchprozess zurück.528 Damit soll dem hoch komplexen Thema mit einer über viele Jahrzehnte hinweg konfliktreichen Vorgeschichte Rechnung Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 176 ff. 521 Vgl. BT-Drs. 18/11398. S. 28, 30, 67 ff., 71 f., 76; s. a. Näser, in: Raetzke/Feldmann/ Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 175 f. 522 Vgl. zur Leitidee der Nachhaltigkeit: Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 23 ff., 26, 61; gemeinsam mit der Bergbarkeitsphase von 500 Jahren vergibt Rehbinder aufgrund dieses Aspekts für das StandAG das Etikett des „Nachweltschutzes par excellence“, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 68. 523 Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 415; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284 f.; zur Bedeutung von Monitoring vgl. Gallego Carrera, TaTuP 2013, S. 81, 83 f.; Appel/Kreusch, TaTuP 2012, S. 52, 57; Lux/Wolters/ Zhao, atw 2017, S. 317, 325. 524 Grundlegend zur Partizipation bei der Standortsuche Peters, in: Bebert/Faber/Schmidl u. a. (Hrsg.), Rechtsfrieden – Friedensrecht, 2016, S. 305 S. 310 f., 318 f.; Blum, Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl eines Atommüllendlagers unter Berücksichtigung des Standortauswahlgesetzes, 2014, S. 15 ff.; Bull, DÖV 2014, S. 897, 902 f.; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 334 ff.; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 550 f.; die Aspekte unter dem Begriff „Diskurs“ verortend Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 159 ff. 525 BT-Drs. 18/11647. 526 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676 527 Näher hierzu in Abschnitt D. III. 1. b) gg). 528 Vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 16; näher zum partizipativen Suchverfahren und zur Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 39 f., 57 f., 316 ff.; s. a. DAEF, Partizipation im Standortauswahlverfahren für ein Endlager, K-MAT 59, 2016; Müller, FJSB 2016, S. 134, 137; Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15; zur Bedeutung von Beteiligungsmöglichkeiten als Bestandteil des Untermaßverbots, vgl. Abschnitt D. II. 1. b) aa) (4).
230
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
getragen werden.529 Mittels einer dezidierten Öffentlichkeitsbeteiligung530 wird eine von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Lösung angestrebt. Der gefundene Standort soll letztlich auch von den unmittelbar Betroffenen toleriert werden können.531 dd) Wissenschaftsbasierendes Verfahren Die Akzentuierung des Wissenschaftsbezugs in § 1 Abs. 2 StandAG verdeutlicht die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Auswahl des Endlagerstandortes.532 Eine besondere Herausforderung besteht in dem breiten Spektrum an Teildisziplinen, die von Fragen der Standortauswahl betroffen sind.533 Für die Realisierung des Grundsatzes der bestmöglichen Sicherheit sind etwa naturwissenschaftlich-technische Kriterien ausschlaggebend, während für das Ziel größtmöglicher Akzeptanz sozial- und kommunikationswissenschaftliche Betrachtungen anzustellen sind.534 Nicht zuletzt ist das Verfahren unter rechtswissenschaftlichen Gesichtspunkten in einen Regelungsrahmen zu fassen. Das Unterziel des Wissenschaftsbezugs erfordert somit einen transdisziplinären Ansatz zur produktiven
529 Vgl. Ausführungen in Abschnitt B. IV. 3. (Fn. 228) sowie C. II. 2. und 3.; zur Bedeutung von Öffentlichkeitsbeteiligung zur Konfliktüberwindung Schetula/Gallego Carrera, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 125, 126 f.; ähnlich Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101; Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125. 530 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 316 ff.; zu den Voraussetzungen und Wirkungen von Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Peters, DVBl. 2015, S. 808; Bull, DVBl. 2015, S. 593; Bull, DÖV 2014, S. 897; Blum, Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl eines Atommüllendlagers unter Berücksichtigung des Standortauswahlgesetzes, 2014; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830; zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem StandAG, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) gg). 531 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39; ähnlich Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 159; näher zu Partizipation und Akzeptanz Peters, DÖV 2015, S. 629, 631 f.; Steinberg, FS Koch, S. 253, 257; zum demokratischen Potenzial von Partizipation, vgl. Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 70. 532 Zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) aa) (1); für einen Vergleich der Begriffe „Stand der Wissenschaft“ und „wissenschaftsbasierendes Verfahren“ im zeitlichen Kontext, vgl. Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 172 f. 533 Vgl. Chaudry/Kuppler/Smeddinck, atw 2016, S. 198; Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 155 f.; Grunwald, in: Smeddinck/Kuppler/Chaudry (Hrsg.), Inter- und Transdisziplinarität bei der Entsorgung radioaktiver Reststoffe, 2016, S. 111, 115 f. Gutberlet, Mining Report 2015, S. 188, 195; vgl. näher zur Inter- und Transdisziplinarität der Thematik in Abschnitt C. II. 3. 534 Vgl. Domasch/Zschiesche, Erhebung, Analyse und Bewertung von Maßnahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren, 3.1.2018, S. 64 f.; näher zu den Herausforderungen der Akteursvielfalt bzw. der Transdisziplinarität im Rahmen der Ausführungen zur Multi-Level Governance in Abschnitt C. II.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
231
Auswertung der spezifischen Erkenntnisse.535 Auch von unionsrechtlicher Seite wird die wissenschaftliche Komponente bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle betont.536 Mit der Verknüpfung wissenschaftlicher Expertise unterschiedlicher Fachrichtungen und geeigneten Kommunikationsformen sieht die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe die Chance, einen breiten Konsens537 in der Gesellschaft – sprich Akzeptanz538 – zu erreichen.539 ee) Transparentes Verfahren Den eben dargestellten Wissenschaftsbezug konnotieren die Gesetzesmaterialien540 mit dem Grundsatz der Transparenz.541 Mit dieser Modalität wird ein bewusster Kontrapunkt zur in der Vergangenheit von politischen Motiven getriebenen, unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Endlagersuche gesetzt.542 Dies geschieht nach Auffassung der Endlagerkommission durch die Aspekte Information, Konsultation und Kooperation.543 Konsequenterweise sind als Elemente zur Herstellung von Transparenz daher umfassende Mechanismen der Öffentlichkeitsbeteiligung544 vorgesehen. Als wesentliches Ziel kann mithin eine Befriedungsfunktion erkannt werden.545 Dies gilt für das Standortauswahlverfahren umso mehr, da auf535 Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 32 Kuppler/Chaudry/Smeddinck, in: dies. (Hrsg.), Inter- und Transdisziplinarität bei der Entsorgung radioaktiver Reststoffe, 2016, S. 1, 2 f.; Grunwald, in: Smeddinck/Kuppler/Chaudry (Hrsg.), Inter- und Transdisziplinarität bei der Entsorgung radioaktiver Reststoffe, 2016, S. 111, 116 f.; grundsätzlich Gärditz, DÖV 2017, S. 41, 49 f. 536 Vgl. Erwägungsgrund 39 der Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 19. Juli 2011 – RL 2011/70/EURATOM, ABl.EU L 199/48 v. 2.8.2011. 537 Die Kritik an vorangegangenen Endlagerprojekten gründete sich neben fehlender Transparenz u. a. auf den Vorwurf mangelnder wissenschaftlicher Expertise bei Planung und/ oder Realisierung, vgl. Darstellung in Abschnitt B. III. 5. 538 Zur begrifflichen Abgrenzung von Akzeptanz und Akzeptabilität, vgl. Potthast, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 67, 73; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 107 (Themenkasten 17); vgl. auch Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 200 m. w. N. 539 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 61; vgl. auch Erwägungsgrund 40 der RL 2011/70/EURATOM; Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 10. 540 BT-Drs. 17/13471, S. 1, 16; BT-Drs. 18/11398, S. 2, 48. 541 Zum Ziel der Transparenz im StandAG, vgl. Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 157 f., 168 ff. 542 Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 301, 325. 543 Müller, FJSB 2016, S. 134, 137. 544 Zu den Instrumenten der Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) gg). 545 BT-Drs. 17/13471, S. 15; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 29, 31; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 25; vgl. auch Peters, DÖV 2015, S. 629, 630 f.; Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 14.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
grund des komplexen Themas eindeutige wissenschaftliche Ergebnisse eher nicht zu erwarten sind.546 Ein transparent ausgestaltetes Verfahren, welches neben aktiven Beteiligungsformen auch einen effektiven und effizienten Zugang zu Informationen547 umfasst, ist daher Grundvoraussetzung dafür, dass die Standortsuche auch bei kritisch eingestellten Personengruppen548 Akzeptanz finden kann.549 ff) Selbsthinterfragendes und lernendes Verfahren Eine wesentliche Neuerung stellt die explizite Ausgestaltung der Standortsuche als selbsthinterfragendes550 und lernendes Verfahren dar. Gleichsam als Appell formuliert die Begründung zum Gesetzentwurf die Forderung an die beteiligten Personen und Institutionen, sich entlang des gesamten Prozesswegs der Endlagerung systematisch und fortlaufend in der selbstkritischen Analyse des erreichten Standes zu üben.551 Die Endlagerkommission hat in ihren Handlungsempfehlungen gefordert, dass im Rahmen eines lernenden Verfahrens Erfolge, aber auch vergangene Fehlentwicklungen analysiert und daraus Schlüsse für die Zukunft gezogen werden. Bei der Prozessgestaltung müssen die Möglichkeit der Hinterfragung und Rücksprünge zur Korrektur von Fehlentwicklungen berücksichtigt werden.552 Die vorgebrachte Begründung mutet prima facie widersprüchlich an. Die Gestaltung als lernendes und selbsthinterfragendes Verfahren ermögliche demnach, zielgerichtet und zügig in der Standortsuche voranzuschreiten. Nicht erwartbare Fehlentwicklungen oder Neuerungen in Bezug auf den Stand von Wissenschaft und Technik 546 Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 252; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 26; ders., in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 158. 547 Zur auf Vorschlag der Endlagerkommission eingeführten Dokumentationsaufgabe des BASE, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 44, 46, 74; zum Problem von „Überinformation“, vgl. Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 30; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 27. 548 Zur Kritik am „Zustimmungsmanagement“ der Endlagerkommission, vgl. Ueberhorst, strahlentelex 686 – 687/2015, S. 3, 6 ff. 549 Die Bedeutung dieses Verfahrensmerkmals zeigt sich auch im Abschlussbericht der Endlagerkommission, die in der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse nahezu für alle Aspekte die Transparenz als Grundvoraussetzung ansieht, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 19 f., 25, 30 f., 33, 36, 39, 53, 61; näher zu den Gelingensbedingungen von Partizipationskonzepten in Abschnitt C. IV. 3. 550 Zur Prozessgestaltung als selbsthinterfragendes System, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 235 ff. 551 So sollen etwa „Anzeichen von institutioneller und personeller Betriebsblindheit frühzeitig“ erkannt werden, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 47. 552 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 313; aus diesem Grunde sei auch ein großzügigerer Zeitrahmen erforderlich (S. 355); vgl. auch Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121; für eine Einordnung dieser Erwägungen unter dem Stichwort „Resilienz“, vgl. Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 154 ff.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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könnten gerade durch die Möglichkeit von Fehlerkorrekturen und Rücksprüngen Berücksichtigung finden.553 Inwieweit Rücksprünge der Verfahrensbeschleunigung dienen, lässt sich vor allem auf psychologische Effekte zurückführen. Erhöhtes Vertrauen in die Prozessgestaltung soll ein aktives und konstruktives Arbeitsklima schaffen, die Akzeptanz für das Standortauswahlverfahren als Ganzes steigern und letztlich zur Vorhabenrealisierung beitragen.554 gg) Generationengerechtigkeit Als ethisches Leitmotiv gilt das Prinzip der Generationengerechtigkeit.555 Unzumutbare Lasten und Verpflichtungen für künftige Generationen sollen laut § 1 Abs. 2 S. 3 StandAG vermieden werden.556 In Ausprägung des Verursacherprinzips557 bedeutet dies, dass die Endlagerfrage möglichst zeitnah geregelt werden muss. Die Auslegung des Endlagerbergwerk ist so zu wählen, dass keine (nennenswerten) Nachsorgeaufgaben für künftige Generationen verbleiben.558 Das Schlagwort der Generationengerechtigkeit ist jedoch ambivalent zu sehen. Eine Konzeption von Endlagersystemen ohne Nachsorgeaufgaben bedingt weitreichende Vorfestlegungen und somit eine eventuelle Bevormundung künftiger Generationen. Dem wirken al-
553
Es wird sich aber zeigen müssen, ob durch diese Rücksprungoptionen ein Zeitverlust eintritt oder vielmehr aufgrund erhöhten Vertrauens innerhalb der Prozesse sogar ein Beschleunigungseffekt erzielt werden kann. 554 Vgl. die Argumentation von Lux/Wolters/Zhao, atw 2017, S. 317, 325 für eine Modifikation des Monitoring-Konzepts nach Verschluss des Endlagers; näher zur beabsichtigten Akzeptanzsteigerung durch deliberative Verfahren bereits in Abschnitt C. IV. 2. 555 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 44; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 25, 130, zur Begriffsdefinition, vgl. S. 562; s. a. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 273 f.; zu den Überlegungen der Endlagerkommission Müller, FJSB 2016, S. 134, 135 f.; Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), Das Leben führen?, 2014, S. 239, 246. 556 Damit entspricht das StandAG auch internationalen Rahmenwerken, die festschreiben, künftigen Generationen keine unzumutbaren Lasten aufzubürden, vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 RL 2011/70/EURATOM; Art. 4 Abs. 6 und 7 Joint Convention; s. a. Näser, in: Raetzke/Feldmann/ Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 169 f.; näher zum Aspekt der Zukunftsverantwortung Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101; das StandAG greift insofern den Handlungsauftrag aus Art. 20a GG auf, vgl. hierzu Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 118; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 29 ff., 39 ff. sowie Abschnitt D. II. 1. b) cc) (4) und c) dd). 557 In diesem Kontext adressiert der Begriff nicht den Aspekt der Kostentragung; zur normativ-sozialethischen Deutung, vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 4 Rn. 103; im Gegensatz dazu: Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 26, 131; weiterhin Müller, FJSB 2016, S. 134, 136. 558 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 125; vgl. bereits aus früherer Literatur Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 258 ff., 280 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
lerdings die ergebnisoffene Ausgestaltung sowie der Grundsatz der Reversibilität entgegen.559 hh) Grundsatz der nationalen Lagerung Weiterhin hält § 1 Abs. 2 StandAG fest, dass im Endlager nur solche Abfälle Berücksichtigung finden, die im Inland verursacht wurden. Die Gesetzesmaterialien stellen insofern klar, dass von diesem Inlandsbezug auch solche Abfälle umfasst sind, die beispielsweise bei der Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken im europäischen Ausland angefallen sind.560 Die europaund völkerrechtlich bestehende Möglichkeit, das Endlager für weitere Staaten zu öffnen,561 wurde vom Gesetzgeber bewusst nicht wahrgenommen. Gemeinsam mit der ebenfalls in § 1 Abs. 2 StandAG enthaltenen Regelung zum Exportverbot (hierzu sogleich) kommt hierin die Entscheidung zur Entsorgung in rein nationaler Verantwortung (Grundsatz der nationalen Lagerung)562 zum Ausdruck. ii) Exportverbot Als weiterer Aspekt des Grundsatzes der nationalen Lagerung wurde von der Endlagerkommission die Aufnahme eines generellen Exportverbots in das Standortauswahlgesetz gefordert.563 § 1 Abs. 2 S. 4 StandAG sieht hierzu vor, dass von der Bundesrepublik keine Abkommen mit anderen Staaten geschlossen werden, mit denen nach den Bestimmungen der RL 2011/70/EURATOM (sog. Entsorgungsrichtlinie) eine Verbringung radioaktiver Abfälle zum Zweck der Endlagerung außerhalb Deutschlands ermöglicht würde.564 Die Reichweite dieser Regelung ist allerdings rechtlich und rechtspolitisch umstritten. Insbesondere ist fraglich, inwieweit neben Abfällen aus Leistungsreaktoren auch solche aus Forschungsreaktoren um-
559
Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 123, 125 f.; näher zu den Unterzielen „ergebnisoffenes Verfahren“ sowie „Reversibilität“ in Abschnitt D. III. 1. a) jj) bzw. mm) sowie zu den Erwägungen der Endlagerkommission unter dem Stichwort „Prinzip Verantwortung“ in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (b). 560 BT-Drs. 17/13471, S. 19. 561 Vgl. Art. 4 Abs. 4 und Erwägungsgrund 33 der RL 2011/70/EURATOM sowie Art. 27 der Joint Convention; zum Beitritt der BRD, vgl. Gesetz vom 13.8.1998, BGBl. II S. 1752; vgl. weiterhin Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 29, 87. 562 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25, 130. 563 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25, 130, 386 ff.; dies., Beschlussvorschlag der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 2: Generelles Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle, K-Drs. 131, 2.10.2015; krit. aus ethischer Perspektive Meister, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 13, 16; grundsätzlich zur europarechtlichen Zulässigkeit eines Exportverbots Borck, Die Endlagerung radioaktiver Abfälle aus Deutschland im Ausland, 2014, S. 58 ff.; vgl. weiterhin Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (l). 564 Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 78 ff.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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fasst werden.565 Konkret steht aufgrund einer ausgelaufenen Zwischenlagergenehmigung eine Verlagerung bestrahlter Brennelemente aus der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich (AVR) zur Debatte.566 Auf Vorschlag der Endlagerkommission sollte daher die gesetzliche Regelung ausdrücklich auf Brennelemente aus Forschungsreaktoren erweitert werden.567 Der Gesetzgeber hat das StandAG an dieser Stelle jedoch nicht geändert. Stattdessen erfolgte eine Ergänzung des Atomgesetzes (§ 3 Abs. 6 AtG), welche die Verbringung von Abfällen aus Forschungsreaktoren an strenge Voraussetzungen knüpft.568 Mag es sich hierbei angesichts der geringen in Rede stehenden Abfallmengen um einen scheinbar vernachlässigbaren Problemkreis handeln, so zeigt doch die hitzige Diskussion,569 dass vertieftes Vertrauen in den Gesetzgeber und die vorbereitenden Institutionen erst noch erarbeitet werden muss. jj) Ergebnisoffenes Verfahren In § 1 Abs. 2 StandAG nicht namentlich erwähnt ist die Ergebnisoffenheit des Verfahrens.570 Im eigentlichen Sinne handelt es sich hierbei auch weniger um einen selbstständigen Zweck, als vielmehr um eine weitere Modalität der Verfahrensausgestaltung. Nichtsdestotrotz kommt die Offenheit des Prozesses an mehreren Stellen des Standortauswahlverfahrens prägnant zum Tragen. Beispielsweise werden in § 1 Abs. 3 StandAG die Wirtsgesteine Steinsalz, Ton und Kristallin (Granit) als gleichberechtigte Einlagerbereiche benannt. Dahingehende Vorfestlegungen wären mit der propagierten weißen Landkarte571 auch nicht vereinbar, wonach das gesamte 565
Die Entsorgungsrichtlinie erstreckt den Grundsatz der inländischen Lagerung nicht auf bestrahlte Brennelemente aus Forschungsreaktoren, vgl. Art. 2 Abs. 3 lit. b RL 2011/70/EURATOM; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 80; für eine umfassende Auslegung wohl Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 274. 566 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 387; vgl. auch Hamacher, „Tag der Verantwortung“ bei der Endlagersuche?, 19.4.2017, http://www.juwiss. de/44 - 2017, (geprüft am 26.9.2019). 567 Zur verhältnismäßigen Ausgestaltung der Regelung sollen weiterhin Ausnahmen aus Non-Proliferationsgesichtspunkten und zur Vermeidung von Einschränkungen für Wissenschaft und Spitzenforschung vorgesehen werden, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 388. 568 Vgl. Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 AtG Rn. 12; kit. NBG, Klares Exportverbot für Brennelemente aus Forschungsreaktoren fehlt, 10.4.2017. 569 Vgl. Sondervotum MdB Hubertus Zdebel (LINKE), Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 428 f., 434; Sondervotum Klaus Brunsmeier (BUND), S. 415; NBG, Klares Exportverbot für Brennelemente aus Forschungsreaktoren fehlt, 10.4.2017. 570 Ebenso als Zielmodalität klassifizierend Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 274. 571 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 67; zum „Prinzip der weißen Landkarte“, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 369 f.; Müller, FJSB 2016, S. 134,
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Staatsgebiet als Suchraum für einen Endlagerstandort in Betracht kommt. Folgerichtig wird auch auf einen zum Teil lautstark geforderten572 Ausschluss des Standortes Gorleben verzichtet. § 36 Abs. 1 StandAG stellt klar, dass der Salzstock Gorleben wie jeder andere in Betracht kommende Standort in das Auswahlverfahren einbezogen ist.573 Konsequenterweise darf nach dem dortigen S. 3 aus den Vorerkenntnissen der Erkundung aber keine Behandlung als Referenzstandort erfolgen.574 Eine weitere Ausprägung des ergebnisoffenen Verfahrens zeigt sich im Grundsatz der Reversibilität.575 Die in diesem Zusammenhang bestehenden Rücksprungoptionen ermöglichen die Korrektur von Fehlentwicklungen und die Berücksichtigung neuartiger Erkenntnisse.576 Die ergebnisoffene Ausgestaltung unterstreicht die Absicht eines echten Neustarts in der Endlagersuche und ist die Grundvoraussetzung für die Annahme eines partizipativen Prozesses.577 Vertrauen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung kann schwerlich entstehen, wenn deren Ergebnisse aufgrund von Vorfestlegungen nicht berücksichtigt werden können. kk) Vorgabe technischer Entsorgungsoptionen Die Endlagerkommission befasste sich zudem mit verschiedenen Entsorgungsalternativen. In Übereinstimmung mit internationalen Empfehlungen578 wird die Verbringung in ein Endlagerbergwerk in einer tiefen geologischen Formation be-
135; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181; Hamacher, „Tag der Verantwortung“ bei der Endlagersuche?, 19.4.2017, http://www.juwiss.de/44 - 2017, (geprüft am 26.9.2019). 572 Vgl. Darstellung bei Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 114; Menzner, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 85, 91 f.; zum Thema aber a. A. Birkner, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 99, 105 ff.; ähnlich Wimmer, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 111, 115 f. 573 Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 29 Rn. 51. 574 Lt. Gesetzesbegründung ist ebenso unbeachtlich, dass dort bereits Infrastruktur für die Erkundung existiert, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30; a. A. Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 29 Rn. 51, die eine Nutzung der gesammelten Kenntnisse für das neue Standortsuchverfahren befürwortet; näher zu entsprechenden Befürchtungen John, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2014, § 10 Rn. 111. 575 S. nachfolgende Erläuterung unter mm). 576 Diese Brennelemente wurden aus den USA bezogen. Insofern wird eine Rückführung diskutiert, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 29, 32, 201. 577 So bereits in Abschnitt C. IV. 3. b); vgl. auch Kersting/Roth, in: Holtkamp/Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018, S. 1147, 1159; Renn/Köck/ Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 283. 578 Vgl. Erwägungsgrund 21 und 24 der RL 2011/70/EURATOM; OECD/NEA, The Safety Case for Deep Geological Disposal of Radioactive Waste: 2013 State of the Art Symposium Proceedings, 2014; IAEA, IAEA Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006; eine nähere Darstellung von Empfehlungen internationaler Organisationen zum Umgang mit radioaktiven Abfällen findet sich in Abschnitt C. I. 2. und 5.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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fürwortet.579 Abhängig von der örtlichen geologischen Situation, dem Einlagerungskonzept, der bergtechnischen Machbarkeit und gegebenenfalls zusätzlich erforderlichen Vorkehrungen für Arbeitsschutz und Strahlenschutz soll das Endlager voraussichtlich in Teufen580 zwischen 300 und 1.500 Metern realisiert werden.581 Die Formulierung in § 1 Abs. 4 S. 1 StandAG lässt erkennen, dass dieses Bergwerk eigens angelegt582 und nach Abschluss der Einlagerung verschlossen werden soll. Übereinstimmend mit dem Ziel Reversibilität583 wird für mögliche Fehlerkorrekturen weiterhin gefordert, die Rückholbarkeit584 für die Dauer der Betriebsphase des Endlagers sowie eine Option zur Bergung585 von eingebrachten Abfällen für einen Zeitraum von 500 Jahren vorzusehen.586 Der Prozess der Standortsuche und die spätere Anlagenplanung müssen deshalb die entsprechend langfristige Handhabbarkeit der Abfallbehälter sowie ausreichend Raum für das Auffahren eines Bergungsbergwerkes587 besorgen.588 579 Die Endlagerkommission führt zur Begründung aus, dass die Endlagerung in einer tiefen geologischen Formation die einzige Option mit der Aussicht auf eine dauerhafte und sichere Entsorgung der radioaktiven Abfälle für den Nachweiszeitraum von einer Million Jahren bietet. Die langfristige Verlässlichkeit der Einschlussfunktion und die Integrität der sicherheitstragenden geologischen Eigenschaften seien durch empirische Erhebungen und Modellierungen wissenschaftlich nachgewiesen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 34, 200 ff.; zu einer Gegenüberstellung verschiedener Entsorgungskonzepte, vgl. Röhlig/Häfner/Lux u. a., GAIA 2017, S. 114 ff.; zur Befürwortung dieses Konzepts als Ergebnis einer empirischen Untersuchung, vgl. Drögemöller, Schlüsselakteure der EndlagerGovernance, 2018, S. 227 f. 580 Teufe ist der bergmännische Begriff für „Tiefe“, s. Schneider, Taschenbuch für practische Bergleute und Bergwerksunternehmer, 1857, S. 94. 581 BT-Drs. 18/11398, S. 48. 582 Die Nutzung aufgelassener Bergwerke, die bereits für den Salz- oder Erzabbau genutzt wurden, ist damit ausgeschlossen. Aus den Erfahrungen mit bisherigen Endlagerprojekten wurde der Schluss gezogen, dass der einschlusswirksame Gebirgsbereich i. S. d. § 2 Nr. 9 StandAG unverritzt sein sollte. 583 Reversibilität bedeutet nach der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 5 StandAG die Möglichkeit der Umsteuerung im laufenden Verfahren zur Ermöglichung von Fehlerkorrekturen; zum Unterziel der Reversibilität, vgl. nachfolgend mm). 584 Unter Rückholbarkeit ist nach § 2 Nr. 3 StandAG die geplante technische Möglichkeit zum Entfernen der eingelagerten Abfallbehälter mit radioaktiven Abfällen während der Betriebsphase zu verstehen; vgl. auch Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 70; zu Argumenten für Rückholbarkeit Röhlig/Häfner/Lux u. a., GAIA 2017, S. 114, 115; Kotting-Uhl, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 45, 52 f., 58 f.; Birkner, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 99, 102. 585 Bergung ist nach § 2 Nr. 4 StandAG als das ungeplante Herausholen von radioaktiven Abfällen aus einem Endlager definiert. 586 Zu den Begriffsbestimmungen und zum Konzept der Endlagerkommission, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 200 ff.; für einen Überblick zu den diskutierten Entsorgungsoptionen, vgl. Kotting-Uhl, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 45, 48 ff. 587 Beispielsweise sind mithilfe von Instrumenten der Bauleitplanung oberirdisch Flächen für notwendige Ausschachtungs- und Konditionierungsbauwerke frei zu halten.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
ll) Einbeziehung anderer Abfallarten Die Anforderungen an eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle und damit auch an den zugrunde liegenden Standort hängen u. a. von den betroffenen Abfallarten ab.589 Zur Umsetzung des Nationalen Entsorgungsprogramms590 sieht das Standortauswahlgesetz die Möglichkeit vor, auch mittel- und schwachradioaktive Abfälle unterzubringen.591 Die Ursprungsfassung berücksichtigte dies durch eine „insbesondere“-Formulierung vor den Worten „hochradioaktiven Abfällen“ in § 1 Abs. 1 StandAG 2013.592 Der aktuelle Gesetzestext wählt einen anderen Weg.593 § 1 Abs. 6 StandAG stellt nunmehr klar, dass eine Einlagerung des nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm vorgesehenen Teils der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle am selben Standort nur dann zulässig ist, wenn die gleiche bestmögliche Sicherheit gewährleistet werden kann, wie bei einer alleinigen Lagerung hochradioaktiver Abfälle.594 An dieser Stelle wird erneut das Primat der Sicherheit innerhalb der verschiedenen Unterziele deutlich. mm) Reversibilität In Umsetzung der Empfehlungen der Endlagerkommission verlangt § 1 Abs. 5 StandAG zudem, dass das Standortsuchverfahren nach den §§ 12 ff. StandAG reversibel ausgestaltet wird.595 Dieser Grundsatz gebietet Umsteuerungsmöglichkeiten im Verfahren vorzusehen, um Fehlerkorrekturen zu ermöglichen und damit Handlungsoptionen für zukünftige Generationen offenzuhalten.596 Dass damit die Gefahr 588
Grundsätzlich ist die Auslegung des Endlagers so zu wählen, dass (unter Berücksichtigung von sicherheitstechnischer Neutralität) eine spätere Bergung nicht erschwert wird, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 48. 589 Zu beachten sind neben Fragen der Dimensionierung auch mögliche Wechselwirkungen zwischen leicht-, mittel- und hochradioaktiven Abfällen. 590 BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015. 591 Es handelt sich hierbei u. a. um evtl. zu bergende Abfälle aus der Schachtanlage Asse II und abgereichertes Uran aus der Urananreicherung sowie solche Abfälle, die aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht im Endlager Schacht Konrad eingelagert werden können, vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 13; BT-Drs. 18/11398, S. 47. 592 Krit. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 113. 593 BT-Drs. 18/11647, S. 4; zust. NBG, Klares Exportverbot für Brennelemente aus Forschungsreaktoren fehlt, 10.4.2017. 594 BT-Drs. 18/11647, S. 16; krit. Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 223. 595 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 29, 32, 201. 596 Vgl. Begriffsdefinition in § 2 Nr. 5 StandAG; krit. mit Blick auf „faktisch dauerhafte Handlungszwänge“ Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101; krit. hinsichtlich der Beschränkung auf „Fehler“ und den offenen Fehlerbegriff Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 199; ein Umsteuern solle auch dann möglich sein, wenn lediglich eine noch bessere Lösung im Raum stehe,
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von Kostensteigerungen einhergeht (und zwar umso erheblicher, je später die Umkehr), wird von der Endlagerkommission durchaus erkannt, allerdings bewusst in Kauf genommen.597 Die Chancen zur Korrektur und zur Berücksichtigung neuer Erkenntnisse sollen schließlich das Vertrauen in den Prozess der Standortsuche stärken.598 Die Forderung nach Reversibilität ist Ausdruck und Voraussetzung eines ergebnisoffenen, lernenden und selbsthinterfragenden Verfahrens und des zukunftsethischen Prinzips der Generationengerechtigkeit.599 Nicht zuletzt fördert die Möglichkeit von Fehlerkorrekturen und die Einbeziehung neuartiger Techniken und Forschungsergebnisse aber auch die Qualität der Standortauswahl. Sie dient somit ebenfalls dem Primat der Sicherheit bei der Auswahl des bestmöglichen Standortes. nn) Zusammenfassung Ziel- und Zweckbestimmungen sind mit einer Einordnung als Optimierungsgebote im Gegensatz zu definitiv geltenden Rechtsregeln dadurch gekennzeichnet, dass sie in unterschiedlichen Graden verwirklicht werden können.600 Ungeachtet dieser Qualifizierung als konkretisierungsbedürftige Rechtsprinzipien hat die Formulierung des § 1 StandAG im Laufe des Gesetzgebungsprozesses dynamische Veränderungen erfahren.601 Die aktuelle Formulierung des Gesetzeszweckes des StandAG ist maßgeblich geprägt von der Arbeit der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe. Die Endlagerkommission war erkennbar bemüht, einen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen ihrer Mitglieder zu erzielen und Vertrauen und Akzeptanz für das Standortauswahlverfahren zu fördern. So sind die Grundsätze der Kommissionsarbeit und wesentliche Handlungsempfehlungen in einer Erweiterung und Klarstellung der Unterziele sichtbar geworden. Grundsätzlich ist eine Aufnahme dieser in diffizilen Verhandlungen erarbeiteten und letztlich im Konsens beschlossenen Elemente an prominenter Stelle positiv zu werten.602 Schließlich sind vgl. Blum, Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl eines Atommüllendlagers unter Berücksichtigung des Standortauswahlgesetzes, 2014, S. 55. 597 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 126, 201; ähnlich Röhlig/Häfner/Lux u. a., GAIA 2017, S. 114, 116. 598 BT-Drs. 18/11398, S. 48. 599 Zukünftigen Generationen sollen Entscheidungsoptionen offengehalten werden, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 29, 32; zum Vergleich mit einem wartungsfreien Tiefenlager, vgl. Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100; für verfassungsrechtliche Implikationen zur Generationengerechtigkeit, vgl. Abschnitt D. II. 1. b) cc) (4) und c) dd). 600 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 71 ff.; daran anknüpfend für das EnWG Ludwigs, in: Elspaß/Graßmann/Rasbach (Hrsg.), EnWG, § 1 Rn. 17. 601 Vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 3 ff.; sowie Gesetzentwürfe in BTDrs. 17/13471, S. 19; BT-Drs. 18/11398; BT-Drs. 18/11647, S. 16. 602 Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit werden auf diese Art und Weise gesichert. Befürchtungen, die Endlagerkommission könne sich als „Alibi- oder Scheinveranstaltung“ erweisen, wurden somit entkräftet, was sich als wesentlicher Schritt zu mehr Vertrauen im Suchprozess erweisen könnte; für eine Beschreibung der an der Öffentlichkeitsarbeit der
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
die nachfolgenden Einzelnormen in Zweifelsfragen anhand des Gesetzeszweckes auszulegen. Als problematisch könnte sich die Ausweitung des Zweckkanons allerdings im Hinblick auf mögliche Zielkonflikte erweisen.603 So bedingen die im Kontext eines selbsthinterfragenden und ergebnisoffenen Verfahrens vorgesehenen Rücksprungoptionen, gepaart mit umfangreichen partizipativen Elementen, die Gefahr einer zeitlichen Verzögerung.604 Das liefe einer Lösung der Endlagerfrage noch in dieser Generation (als Aspekt der Generationengerechtigkeit) zuwider. Der Grundsatz der Reversibilität steht hingegen konträr zur Forderung einer nachsorgefreien Endlagerung und beeinträchtigt möglicherweise sicherheitstechnische Aspekte.605 Im Rahmen der dienenden Funktion der Unterziele gegenüber dem Hauptzweck (Standortfindung der Endlageranlage) ist dies aber hinzunehmen. Bestehende und potenzielle Konflikte sind im Wege einer umfassenden Einzelfallabwägung aufzulösen. Dabei befinden sich die einzelnen (Unter-)Ziele zueinander in einem prinzipiellen Gleichordnungsverhältnis, womit keinem der Belange ein abstrakter Vorrang zukommt. Eine Ausnahme besteht lediglich hinsichtlich des Aspekts der bestmöglichen Sicherheit. Den operativen Vorschriften des StandAG lässt sich eine implizite Gewichtung zugunsten dieses Belangs entnehmen.606 Demnach sind die widerstreitenden Zielvorgaben nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz607 einem schonenden Ausgleich zuzuführen, der jedoch zu jedem Zeitpunkt dem Primat der Sicherheit unterworfen sein muss.608
Endlagerkommission geäußerten Kritik, vgl. Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), Das Leben führen?, 2014, S. 239, 253; Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 211, 220 ff., 222; a. A. Wilk, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 21, 27 f. 603 S. a. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 126 ff.; a. A. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 12. 604 Zu den möglichen Verzögerungen und einem veränderten Zeitbedarf in einem pessimistischen, realistischen und optimistischen Szenario, vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016. 605 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 126 f.; vgl. insb. zu den gegenläufigen Handlungsgrundsätzen der verschiedenen Aspekte der Generationengerechtigkeit Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101; ähnlich Röhlig/Häfner/Lux u. a., GAIA 2017, S. 114, 116 f. 606 Dies zeigt sich im Rahmen einer Einzelnormanalyse durch die konkrete Inbezugnahme für den abschließenden Standortvergleich (§ 19 Abs. 1 StandAG) sowie einer Auswertung der Kriterien und Anforderungen für die Standortauswahl in den §§ 22 – 27 StandAG (Kap. 3). 607 Zur Figur der praktischen Konkordanz im Kontext der Grundrechte, vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 317 ff. 608 S. a. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 127.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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b) Akteure Im dritten Teil dieser Arbeit wurde die Endlagersuche als Beispiel einer MultiLevel-Governance609 charakterisiert. Diese kennzeichnet insbesondere eine gesellschaftliche Akteursvielfalt,610 was einerseits das Potenzial für vielfältige Konfliktlagen mit sich bringt und deshalb andererseits einen verlässlichen und konsistenten Regelungsrahmen erfordert. Das Standortauswahlgesetz nimmt sich dieser Herausforderung an. Nachfolgend werden die an der Endlagersuche beteiligten Akteure611 vorgestellt. Insbesondere erfolgt eine Beschreibung der jeweiligen im Rahmen der Standortsuche obliegenden Aufgaben. aa) Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe Mit der sog. Endlagerkommission hat das StandAG einen neuen Akteur geschaffen.612 Diese Maßnahme kann als institutionelle Verkörperung des von politischer Seite proklamierten Neuanfangs der Endlagersuche verstanden werden.613 Bei der Auswahl von Endlagerstandorten spielten Fragen der Bürgerbeteiligung bisher eine untergeordnete Rolle.614 Ihre Anliegen und Auffassungen konnte die Öffentlichkeit in der Regel erst im Genehmigungsverfahren einbringen. Ausgehend von den dadurch entstandenen Konfliktlagen615 wurde die Notwendigkeit gesehen, für den Neustart nicht schon vorab jegliches Vertrauen zu verspielen und sich dem Vorwurf der politischen Interessensteuerung auszusetzen.616 Bereits im Vorfeld der eigentlichen Standortauswahl sollten daher neue Wege der Öffentlichkeitsbeteiligung und -information und alternative Entscheidungsformen etabliert werden. Als Eckpfeiler fungiert hierbei die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, deren Besetzung, Aufgaben und Arbeitsweise nachfolgend aufbereitet werden. 609 Vgl. Budelmann/Di Nucci/Isidoro Losada u. a., GAIA 2017, S. 110; Brunnengräber/ Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55 ff. sowie Ausführungen in Abschnitt C. II. 610 Vgl. Abschnitt C. II. 4. 611 Für eine beispielhafte Aufzählung, vgl. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 276. 612 Statt vieler Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 390. 613 Vgl. BMUB, Hendricks: Bundesrat macht Weg frei für Neustart der Endlagersuche, 8.7.2016; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 242. 614 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 243; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548 f.; Schetula/Gallego Carrera, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 125, 127 f.; deutlich krit. Blum, Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl eines Atommüllendlagers unter Berücksichtigung des Standortauswahlgesetzes, 2014, S. 23. 615 Zu den Konfliktfeldern innerhalb der Endlagerkommission, vgl. Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 398 ff.; allgemein Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 211, 213 ff. 616 Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 2; Bull, DÖV 2014, S. 897, 899 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
(1) Besetzung Die Kommission, welche am 22. Mai 2014 mit der ersten Sitzung ihre Tätigkeit aufnahm, bestand aus den Co-Vorsitzenden Ursula Heinen-Esser und Michael Müller, die sich die Sitzungsleitung alternierend teilten617 sowie 32 weiteren Mitgliedern.618 Neben dem(n) Vorsitzenden gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StandAG gehörten ihr nach Nr. 2 acht Vertreter der Wissenschaft sowie je zwei Vertreter von Umweltverbänden,619 Religionsgemeinschaften, aus der Wirtschaft und von den Gewerkschaften an.620 Weiterhin waren nach Nr. 3 acht Mitglieder des Deutschen Bundestages unter Berücksichtigung aller Fraktionen sowie acht Vertreter der Landesregierungen als nicht stimmberechtigte Mitglieder an der Kommissionsarbeit beteiligt.621 Organisatorisch war die Kommission beim federführenden Ausschuss des Deutschen Bundestages angebunden. Unterstützt wurde die Kommissionsarbeit durch eine vom Bundestag eingerichtete Geschäftsstelle.622 Die pluralistische Besetzung und institutionelle Anbindung spiegeln den Anspruch wider, ein wissen-
617 Vgl. § 1 Abs. 1 GeschO-K, abgedruckt unter Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 453; zu den Motiven für die im StandAG nicht angelegte Besetzung mit einer Doppelspitze, vgl. Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 22. 618 Für eine namentliche Auflistung der Kommissionsmitglieder einschließlich zwischenzeitlicher Wechsel in der Besetzung, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 457 ff.; krit. zur „dysfunktionalen“ Besetzung Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 356 f. 619 Von Seiten einiger Umweltverbände (z. B. Deutscher Naturschutzring und Greenpeace e. V.) und Bürgerinitiativen wurde eine Mitarbeit an der Kommissionsarbeit verweigert. Die Besetzung mit Klaus Brunsmeier (BUND) und Jörg Sommer (Deutsche Umweltstiftung) entzweite die Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung. Das Ziel eines Maximalkonsenses war somit schon vor der Besetzung gescheitert; s. a. Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 392, 402; Drögemöller, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 187, 190 f.; Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 84, 90 f.; Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 211, 221 ff.; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181 f.; Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 112, 119 f.; krit. zur Verweigerung der Mitarbeit Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), Das Leben führen?, 2014, S. 239, 243; Bull, ZRP 2016, S. 244; a. A. Wilk, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 21, 27 f. 620 Die pluralistische Besetzung in Kombination mit Vertretern der Politik erschwert die Einordnung und Klassifizierung der Endlagerkommission. Dies spiegelt sich wieder in Beschreibungen wie „Kommission sui generis“, vgl. Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 355, oder „hybride[n] Struktur“, vgl. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 831. 621 Zum Wahl- bzw. Berufungsverfahren der Kommissionsmitglieder, vgl. Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 18 ff.; zur Forderung aufgrund ihrer Vortätigkeiten keine Vertreter der Politik zuzulassen Edler/Münchmeyer/Breuer u. a., Voraussetzungen für eine verantwortungsvolle und gesellschaftlich akzeptierte Endlagersuche in Deutschland, 2012, S. 7; krit. zur damit verbundenen Verantwortungsverschiebung auf gesellschaftliche Akteure Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282 f. 622 Die formale Zuordnung zum Deutschen Bundestag beeinträchtigt im Ergebnis nicht die neutrale Ausrichtung der Kommission. Schließlich bestehen seitens des Bundestages keine Weisungs- und Kontrollrechte. Vielmehr wirkt die Anbindung legitimationsstiftend und ermöglicht den Rückgriff auf institutionelle Gegebenheiten insb. im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit, s. a. Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 36 f.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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schaftsbasiertes623 und transparentes, vom Konsens getragenes Auswahlverfahren zu etablieren.624 Die Kommission sollte als neutrale und unabhängige Institution wahrgenommen werden.625 Dazu trug auch bei, dass die Durchführung der Öffentlichkeitsarbeit ohne Beteiligung des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in der Eigenverantwortung der Endlagerkommission lag.626 (2) Aufgaben Im Kontext des Hauptziels des StandAG („Standortfindung“) oblag der Endlagerkommission nach § 3 Abs. 1 S. 1 StandAG 2013 die Vorbereitung des Auswahlverfahrens.627 Hierzu wurde gemäß § 3 Abs. 2 i. V. m. § 4 StandAG 2013 ein Abschlussbericht zur Kommissionsarbeit erstellt und dem Deutschen Bundestag sowie dem Bundesrat und der Bundesregierung am 5. Juli 2016 übergeben.628 Der gesetzliche Auftrag an die Kommission bestand darin, Grundsatzfragen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zu untersuchen und zu bewerten.629 Daneben sollten Vorschläge zu Entscheidungsgrundlagen erarbeitet und dem Deutschen Bundestag und Bundesrat dazugehörige Handlungsempfehlungen unterbreitet werden. Die Erarbeitung von Auswahl- und Vergleichskriterien stellt eine der anspruchsvollsten Herausforderungen an die Endlagerkommission, eingedenk der Tatsache, dass anhand dieser Kriterien der weitere Standortsuchprozess wesentlich determiniert wird.630 Eine völlig neuartige Aufgabe oblag der Kommission als unabhängigem Expertengremium gemäß § 3 Abs. 3 StandAG 2013 darin, bereits vor Anwendung
623 Für die Umsetzung des Wissenschaftsbezugs durch entsprechende Stellenbesetzung, vgl. Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 174. 624 Krit. zur Verwirklichung dieser Zielsetzung Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282; Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/ Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 63 f. 625 Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 125; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 410; klassisch kommt der Beteiligung Externer an der Gesetzgebung eine Beteiligungs- und Integrationsfunktion zu, vgl. Heintzen, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 9 Rn. 17, vgl. auch Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 13. 626 Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 410, im Gesetzgebungsprozess zwischenzeitlich angestrebte, anderslautende Überlegungen wurden wieder verworfen. 627 Für eine ausführliche (Selbst-)Beschreibung des Aufgabenkatalogs, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 66 f. 628 Zu den Kerninhalten des Berichts, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1). 629 Vgl. Darstellung bei Bull, DÖV 2014, S. 897, 898. 630 Im Einzelnen handelt es sich um Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwägungskriterien nach § 4 Abs. 5 StandAG, vgl. hierzu Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (e); dies als „zentrale Aufgabe“ bezeichnend Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102; ähnlich Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 126; die Bedeutung dieser Aufgabe im Kontext der Erfahrung Gorleben betonend Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 26; krit. in Bezug auf die Vollständigkeit der erarbeiteten Kriterien Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 145 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
der Verfahrensregelungen das StandAG zu „evaluieren“631 und in ihrem Bericht Alternativvorschläge zu unterbreiten, sofern sie Regelungen des Gesetzes für nicht angemessen hält. Weiterhin sollten nach § 3 Abs. 4 StandAG 2013 im Rahmen der Handlungsempfehlungen auch Position zur Historie der Endlagersuche bezogen und eine Stellungnahme zu bisher getroffenen Entscheidungen und Festlegungen in der Endlagerfrage abgegeben werden. Als Leitidee galt der Grundsatz einer nachhaltigen Entwicklung,632 der die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen widerspiegelt. (3) Arbeitsweise Die Arbeitsweise der Endlagerkommission633 war an einen Dreiklang von Grundprinzipien geknüpft. Mittels einer möglichst konsensualen Entscheidungsfindung (a) sollten die Aufgaben in einem wissenschaftsbasierten (b) und transparenten (c) Verfahren bearbeitet werden. (a) Entscheidungsfindung im Konsens § 3 Abs. 5 S. 1 StandAG 2013 schrieb das Ziel einer konsensualen Entscheidungsfindung fest.634 Allerdings lässt sich schon dem Gesetzestext entnehmen, dass mit „Konsens“ in diesem Sinne eher eine möglichst weitgehende Übereinstimmung der Kommissionsmitglieder gemeint sein soll. Schließlich konnte der Abschlussbericht mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der stimmberechtigten Kommissionsmitglieder635 angenommen werden. Der Verzicht auf Einstimmigkeit lässt sich mit den bestehenden Konfliktlagen und der Komplexität der Thematik (sog. wicked problem) erklären.636 Auf diese Weise konnte trotz des Ziels breiter Übereinstim631
Bull, DÖV 2014, S. 897, 898; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181; ders., DVBl. 2014, S. 408, 415 f.; krit. Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 26; hierin ein „einfach-gesetzliches Initiativrecht“ zur Gesetzgebung sehend Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 357; krit. hinsichtlich einer „Flucht des Gesetzgebers aus demokratischer Verantwortung“ Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281; ähnlich Posser, FS Dolde, S. 251, 266. 632 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 18; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 25. 633 Für eine ausführliche (Selbst-)Beschreibung der Arbeitsweise, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 68 f.; Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 396 ff.; Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 13 f. 634 Vgl. Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Bildung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, BT-Drs. 18/1068, S. 3. 635 Die Stimmberechtigung beschränkt sich lt. § 3 Abs. 5 S. 4 StandAG 2013 auf den Personenkreis nach § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StandAG 2013. Ausgenommen vom Stimmrecht waren die Vorsitzenden sowie die Vertreter des Deutschen Bundestages sowie der Länderregierungen. 636 Brunnengräber, in: ders. (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 145, 147 ff.; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59, 60 f.; Hien, UPR 2012, S. 128, 132; ein wicked problem umschreibt als Schlagwort eine „verzwickte“ Entscheidungssituation, für die es keine einfache, alle zufriedenstellende Lösung gibt, vgl. weiterhin die Ausführungen in Abschnitt C. III. 1.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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mung die Gefahr von Blockadehaltungen reduziert und angesichts des ambitionierten Zeitrahmens637 ein ergebnisorientiertes Verfahren etabliert werden. Die Beschränkung des Stimmrechts auf den Personenkreis von Experten und Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert die Zielrichtung eines fairen und neutralen Verfahrens.638 Die Endlagerkommission betonte selbst wiederholt die Bedeutung des Konsensprinzips.639 Eine Akzentuierung hat dies auch durch Aufnahme in die auf Grundlage des § 3 Abs. 6 StandAG 2013 ergangene Geschäftsordnung der Kommission gefunden.640 (b) Wissenschaftlichkeit Die Arbeitsweise der Endlagerkommission als unabhängiges Expertengremium war durch einen starken Wissenschaftsbezug gekennzeichnet. Rein semantisch wurde dies bereits bei der Namensgebung berücksichtigt, als von der ursprünglichen Benennung in verschiedenen Gesetzesentwürfen als „Bund-Länder-Kommission“ abgewichen wurde.641 Die einflussreiche Rolle der Wissenschaft bedingte schon der Aufgabenkatalog. So lagen der Erarbeitung von Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen vorwiegend technisch-naturwissenschaftliche Fragestellungen zugrunde.642 Die Besetzung mit Experten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen trug dem Rechnung.643 Angesichts der Komplexität der zu behandelnden Materie und den zeitlichen Vorgaben war eine Bearbeitung aller offenen Fragen durch die Kommissionsmitglieder selbst jedoch nicht möglich. § 4 Abs. 3 StandAG 2013 eröffnete daher die Möglichkeit auf Forschungseinrichtungen im Bereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zurück zu greifen.644 Darüber hinaus konnten wissenschaftliche Erkenntnisse der obersten Bundes- und Landesbehörden herangezogen werden. Von großer Bedeutung waren weiterhin die Anhörung von Sachverständigen645 sowie die Vergabe externer wissenschaftlicher Gutachten.646 637
Die Vorlage an den Deutschen Bundestag sollte lt. § 3 Abs. 5 S. 1 StandAG 2013 zum 31.12.2015 erfolgen. Das Gesetz räumte lediglich eine einmalige, 6-monatige Verlängerungsoption ein; die Herausforderung des knapp bemessenen Zeitrahmens betonend Carrera Gallego/Hocke, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 103, 104; Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 398 (Fn. 32). 638 S. a. Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 33; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 410. 639 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 32. 640 Vgl. § 3 GeschO-K; abgedruckt unter Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 453. 641 Der ursprünglichen Bezeichnung wurde eine Betonung des Politischen nachgesagt, vgl. Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 23 m. w. N. 642 Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 43. 643 Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 60, 63. 644 Vgl. Zusammenfassung bei Bull, DÖV 2014, S. 897, 898. 645 Für eine Übersicht der Expertenanhörungen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 476 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Über den Aufgabenkatalog des § 4 Abs. 2 StandAG 2013 hinaus gestaltete die Endlagerkommission ihre Arbeitsweise und Untersuchungsgegenstände weitgehend frei.647 Bindungen bestanden lediglich durch den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle (Joint Convention).648 Demnach waren Vorgaben zu berücksichtigen, die sich u. a. aus den Sicherheitsstandards der IAEA649 ergeben.650 Die Einbeziehung externer Experten und die (Teil-)Besetzung651 mit Wissenschaftlern dienen nicht nur der Lösung fachspezifischer Problemstellungen. Die Beteiligung der Wissenschaft, welche als objektiv und neutral gilt,652 soll vielmehr zur Erreichung des Ziels größtmöglicher Akzeptanz beitragen. (c) Transparenz Der Grundsatz eines transparenten und fairen Verfahrens653 bildet eine tragende Säule für den gesamten Prozess der Standortsuche. Daher leuchtet es ein, dass dieses Prinzip ebenso für die Arbeit der Endlagerkommission selbst galt.654 Das StandAG 2013 trug dem in § 5 Rechnung. Diese Vorschrift regelte die Öffentlichkeitsarbeit der Kommission sowie das Beteiligungsverfahren im Rahmen ihrer Aufgaben. So waren die Sitzungen grundsätzlich öffentlich.655 Zum Teil erfolgte eine Übertragung der 646 Zur Übersicht der Gutachten, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 479 f. 647 Die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 20 f.) fordern allerdings u. a. die Berücksichtigung folgender Studien: AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002; BMU, Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle, 30.9.2010. 648 IAEA, Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, INFCIRC/546, 5.9.1997; näher hierzu in Abschnitt D. I. 1. a). 649 Vgl. IAEA, IAEA Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006; dies., Fundamental Safety Principles, Safety Fundamentals No. SF-1, 2006. 650 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 14. 651 Krit. zur Weite der zu bearbeitenden Fachdisziplinen Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 117 f. 652 Bull, DÖV 2014, S. 897, dies in der Folge auf „interesselos“ relativierend (S. 900); zur „Wahrheitsabstinenz des Staates“ Gärditz, DÖV 2017, S. 41, 43; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 103; krit. in Bezug auf die institutionelle Anbindung von Wissenschaftlern Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 374, 379; ebenfalls krit. in Bezug auf die pluralistische Besetzung Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282; näher zur Rolle der Wissenschaft im Rahmen der Endlagersuche in Abschnitt C. II. 3. und 4. b). 653 Vgl. zum Zweck des Gesetzes Abschnitt D. III. 1. a) ee). 654 Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 157 f., 168 ff. 655 Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 5 Rn. 10.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Beratung im Parlamentsfernsehen oder als Livestream im Internet.656 Zu den Sitzungs(-ergebnissen) wurden Protokolle geführt und anschließend ebenfalls der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.657 Weiterhin ordnete § 5 Abs. 2 StandAG 2013 die Publikation extern beauftragter Gutachten an. Den Transparenzgedanken repräsentieren zudem weite Teile der nach § 3 Abs. 6 StandAG 2013 erlassenen Geschäftsordnung.658 Unter anderem traf der dortige § 13 Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung.659 Demnach wurden auf der Internetseite der Kommission alle relevanten Beratungsunterlagen als Drucksachen oder Materialien der Bevölkerung zugänglich gemacht.660 Im Frühjahr 2015 gestaltete die Kommission den Internetauftritt so um, dass die Inhalte auch von mobilen Endgeräten abgerufen werden konnten. Zudem richtete sie ein integriertes Dokumentenarchiv und Diskussionsforen ein.661 Mithilfe dieser Maßnahmen wie auch im Rahmen von Veranstaltungen unter dem Stichwort „Bürgerdialog Standortsuche“ sollte die interessierte Öffentlichkeit Gelegenheit haben, die Arbeitsweise und -schritte der Endlagerkommission nachzuvollziehen.662
656 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 69; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 5 Rn. 12; ausführlich zur Rolle von Online-Medien im Standortauswahlverfahren Mehnert, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 95 ff. 657 Über den Gesetzeswortlaut hinaus hat die Endlagerkommission beschlossen, den gesamten Sitzungsverlauf protokollieren zu lassen, vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 5 Rn. 13; insgesamt handelt es sich um ca. 8.500 Seiten Protokoll, die über die Homepage der Kommission (www.bundestag.de/endlager-archiv) abrufbar sind, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 72. 658 Abgedruckt unter Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 453 ff. 659 Ausführlich zur Öffentlichkeitsbeteiligung der Endlagerkommission Carrera Gallego/ Hocke, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 103 ff.; Demos/Prognos, Konzept für die Beteiligung der Öffentlichkeit am Bericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, K-Drs. 108 neu, 29.5.2015. 660 Abrufbar unter https://www.bundestag.de/endlager-archiv/mediathek/dokumente.html, (geprüft am 26.9.2019). 661 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 69; vgl. auch Darstellung bei Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 394 f.; zur Kritik an der vormals unübersichtlichen Darstellung Mehnert, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 95, 96; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282; grundsätzlich zum Problem von „Überinformation“ RossenStadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 30. 662 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 69, zur Berücksichtigung der Ergebnisse der Dialogveranstaltungen vgl. S. 356 ff.; den Teilnehmerkreis auf eine „interessierte Fachöffentlichkeit“ reduzierend Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 395; die Veranstaltungen wurden allerdings von einem Teil der AntiAtom-Lobby boykottiert und von Gegenveranstaltungen begleitet, vgl. u. a. zur Verweigerung von 70 Organisationen an der Konsultation des Berichtsentwurfs am 29./30.4.2016 teilzunehmen ausgestrahlt.de (Hrsg.), Atommüll-Kommission: Ein gescheiterter Neustart, 2016, https://www. ausgestrahlt.de/media/filer_public/52/3e/523e7714 - 0ece-41c3-bea4 - 859d29c84883/atommuell kommission_gescheiterter_neustart.pdf, (geprüft am 30.9.2019); zu Parallelveranstaltungen, vgl.
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Der Transparenzgedanke umfasst allerdings noch weitere Facetten. Mit der Loslösung der Vorbereitung des Standortsuchverfahrens aus dem Bereich der Gubernative und der Anbindung der Endlagerkommission an den Deutschen Bundestag unter gleichzeitiger Aberkennung des Stimmrechts für Vertreter aus der Politik wurde ein weisungsunabhängiger, neutraler Akteur geschaffen.663 Diese weitgehende Reduzierung von politischer Einflussnahme, gepaart mit den geschilderten partizipativen Elementen, gewährleistete letztendlich die vom Gesetzgeber gewünschte Transparenz.664 (4) Zusammenfassung Die Einsetzung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe steht für die Beschreitung eines neuen Weges. Zwar ist die Beteiligung von Expertengremien im Vorfeld von Gesetzesvorhaben oder begleitend zu Planungsprozessen keineswegs Neuland.665 Jedoch beinhaltet die in Rede stehenden Thematik zum einen ein gewaltiges Konfliktpotenzial.666 Zum anderen liegen sowohl im Aufgabenspektrum der Endlagerkommission als auch in der Arbeitsweise neuartige Herausforderungen, für die nur bedingt auf bisherige Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann. Das innovative Wesen einer Institution wie der Endlagerkommission hat bereits vor deren Tätigkeitsaufnahme für Diskussionsstoff gesorgt.667 Es ist daher nur allzu verständlich, dass auch nach Abschluss ihrer Tätigkeit die Arbeitsergebnisse ambivalent gesehen werden.668 Tagungsbericht von Dersee, strahlentelex 684 – 685/2015, S. 1; sowie Veranstaltungsankündigung ders., strahlentelex 648 – 649/2014, S. 1. 663 Zur verfassungsrechtlichen Problematik hinreichender demokratischer Legitimation, vgl. Abschnitt D. IV. 5. 664 Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 33, 37. 665 Vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43; Puhl, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 48; Heintzen, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 9; s. a. die Übersicht zu Expertenkommissionen während der 14. und 15. Legislaturperiode bei Siefken, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 101 f. 666 Statt vieler Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 211, 220 ff.; Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 398 f.; Schetula/Gallego Carrera, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 125, 126 f. für einen Gesamtüberblick Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79 ff. 667 Positive Bewertung bei Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 56; Smeddinck, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 69, 71 f.; krit. Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 ff.; ders., ZfU 2015, S. 343, 356 f.; Schüler, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 13, 15 f.; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 835. 668 Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 17; Müller, FJSB 2016, S. 134, 138; den weitgehenden Konsens hervorhebend Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 127; krit. in Bezug auf die ausgebliebene Einbeziehung der Anti-Atom-Bewegung Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 182 f.; Bull, ZRP 2016, S. 244; mit Fokus auf die festgelegten Abwägungskriterien Schlacke/ Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 145 f.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Endlagerkommission ihre Hauptaufgabe – die Verabschiedung eines Abschlussberichts – am 27. Juni 2016 und somit termingerecht erfüllt hat.669 Auf insgesamt 680 Seiten670 nahm die Kommission umfassend671 zu den Grundsatzfragen der Entsorgung radioaktiver Reststoffe Stellung und erarbeitete Handlungsempfehlungen für das weitere Standortauswahlverfahren.672 Auch in Bezug auf die Arbeitsweise kann die Tätigkeit der Kommission als erfolgreich beschrieben werden. Der Abschlussbericht wurde nahezu im Konsens673 mit nur einer Gegenstimme674 und fünf weiteren Sondervoten675 beschlossen. Dass keine Einstimmigkeit erzielt werden konnte, ist angesichts der komplexen Materie und konfliktbehafteten Vergangenheit nicht wesentlich kritisch zu sehen.676 Die unter-
669 Von der einmaligen Verlängerungsoption des Berichtszeitraum nach § 3 Abs. 5 Satz 2 StandAG 2013 hat die Endlagerkommission mit Beschluss vom 3.7.2015 Gebrauch gemacht, vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 119. Die Vorlage an den Deutschen Bundestag, Bundesrat sowie die Bundesregierung erfolgte zeitnah am 5.7.2016, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 43. 670 Im Format der Originalveröffentlichung auf der Homepage der Endlagerkommission. Aus formatierungstechnischen Gründen weichen die jeweiligen Seitenangaben nach der hier gewählten Fundstelle ab, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016. 671 Die Endlagerkommission selbst gab an, sich dem Thema „Aufarbeitung der Vergangenheit“ nicht ausreichend gewidmet zu haben, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 355; s. a. Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 182; Förderverein Mediation e. V./Bundesverband Mediation, Anmerkungen zur Arbeit der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“, K-Drs. 73, 23.5.2016, S. 4; allerdings ist eine vollständige Aufarbeitung und Konfliktlösung innerhalb der zweijährigen Bestandsdauer auch eher nicht zu erwarten gewesen, s. a. Bull, ZRP 2016, S. 244. 672 Zum Inhalt des Abschlussberichts, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1). 673 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 30; explizit krit. Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 413 f. 674 Diese stammt von Klaus Brunsmeier (BUND) und wird maßgeblich mit dem fehlenden Ausschluss des Standortes Gorleben für das weitere Verfahren begründet. Daneben werden die ungenügende wissenschaftliche Einbeziehung von Kristallin als Wirtsgestein, die unklare Regelung zur Aufnahme weiterer Arten nuklearer Abfälle sowie unzureichender Rechtsschutz gerügt, vgl. Sondervotum Klaus Brunsmeier, Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 413 ff.; s. a. Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 218 f.; Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 14. 675 Diese betreffen verschiedene Einzelfragen. Den Sondervoten der Freistaaten Sachsen und Bayern sowie des MdB Hubertus Zdebel (DIE LINKE) kann eine gewisse politische Motivation nicht abgesprochen werden. Die Stellungnahmen der Länder Bayern und Sachsen betreffen Wertungen zum Wirtsgestein Kristallin, welches in beiden Bundesländern großräumig vorhanden ist, vgl. Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 413; Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 220; Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 127 (Anm. 3); Drögemöller, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 187, 191 f.; im Votum von Zdebel spiegelt sich die generelle Ablehnung der Fraktion der LINKEN zum Standortsuchverfahren wieder, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 423 ff. 676 Ähnlich Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125 f.; ebenso verhält es sich mit der Haltung von Vertretern der Anti-Atom-Bewegung, die Kommissionsarbeit zu boykottieren. Auch das
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
schiedliche Beurteilung von Sachfragen als Ergebnis einer dialogorientierten Kommunikation ist vielmehr einer pluralistisch besetzen (Experten-)kommission inhärent.677 Die Veröffentlichung von Sondervoten zeigt wiederum, dass dem Transparenzgedanken Rechnung getragen wurde. Mit der Beauftragung zahlreicher externer wissenschaftlicher Gutachten678 sowie der Besetzung mit Experten unterschiedlicher Fachrichtung ist das Kriterium der Wissenschaftlichkeit erfüllt. Die Transparenz wurde ungeachtet von Anlaufschwierigkeiten679 durch die oben geschilderten Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsgewinnung erreicht. Die tatsächliche (geringe) Inanspruchnahme680 der Kommunikationsmöglichkeiten lag nicht allein im Verantwortungsbereich der Endlagerkommission und ist dem sog. „Beteiligungsparadoxon“681 geschuldet. Diesem Phänomen ist gemein, dass das Interesse und Engagement von betroffenen Bürgern und gesellschaftlichen Gruppierungen im Rahmen von großen Infrastrukturprojekten im Laufe des Planungsprozesses wächst, wohingegen die Einflussnahmemöglichkeiten mit fortlaufender Projektrealisierung schwinden.682 Zumindest aber besteht die Möglichkeit über die auf der Homepage der Endlagerkommission abrufbaren Wortlautprotokolle, Filmaufzeichnungen oder Drucksachen, deren Tätigkeit nachzuvollziehen. Ob sich die Arbeit der Endlagerkommission wirklich als „wegweisender Laserstrahl“683 erweist, wird sich erst im Laufe des von ihr maßgeblich mitgestalteten Standortsuchverfahrens zeigen.684 Ein wesentlicher Unterschied zu den Arbeitserbewusste Ausschlagen einer Beteiligungsmöglichkeit stellt letztlich eine Partizipationsform dar, ähnlich Bull, ZRP 2016, S. 244; a. A. Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 182 f. 677 Ähnlich Gärditz, DÖV 2017, S. 41, s. a. Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 17. 678 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 71, eine Auflistung findet sich ab S. 528. 679 Mehnert, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 95, 96. 680 Krit. Carrera Gallego/Hocke, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 103, 114; allg. krit. zur Einbeziehung „schwacher Interessen“ Siefken, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 115. 681 Vgl. Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 411 f.; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332; näher zum Beteiligungsparadoxon und weiteren Herausforderungen für funktionierende Partizipation in Abschnitt C. IV. 4. a). 682 Stemmer, Kooperative Landschaftsbewertung in der räumlichen Planung, 2016, S. 164 f.; König/König, ZfPP 2011, S. 98, 103; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332; vgl. auch Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 43; für den Bereich der Verkehrswegeplanung, vgl. BMVI, Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung, November 2012, S. 15 (Abb. 2); näher zur soziologischen Perspektive der Öffentlichkeitsbeteiligung in Abschnitt C. III. 683 Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 17. 684 S. a. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284, der konkrete (Massen-)Proteste erst erwartet, sobald Standortregionen vorgeschlagen wurden; ähnlich Müller, FJSB 2016, S. 134, 137; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 317; im historischen Kontext Radkau, Die Ära der Ökologie, 2011, S. 212, 223.
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gebnissen des AkEnd lässt sich aber schon heute feststellen. Die Vorschläge der Endlagerkommission verlaufen nicht im Sande. Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur vom 26. Juli 2016685 sowie dem Gesetz zur Fortentwicklung des StandAG vom 5. Mai 2017686 sind – wenngleich nicht im Verhältnis 1:1687 – die Vorschläge der Endlagerkommission in Gesetzesform gefasst worden. Genau darin bestand der gesetzliche Auftrag. bb) Bundesamt für Strahlenschutz Nach § 6 StandAG 2013 war das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Vorhabenträger für die Durchführung des Standortauswahlverfahrens vorgesehen.688 An der Rollenverteilung zwischen zwei Bundesoberbehörden689 unter dem gemeinsamen Dach des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) als zentrale Akteure des Standortsuchverfahrens im engeren Sinne entzündete sich im Schrifttum verbreitet Kritik.690 Die Endlagerkommission hat dies zum Anstoß genommen, eine Neukonzeption der Organisationsstruktur zu empfehlen.691 Der Gesetzgeber folgte dem Vorschlag. Durch das Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung692 sind am 25. April 2017 die Rolle des Vorhabenträgers im Standortauswahlverfahren sowie die Betreiberauf685 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 686 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 687 Zu einem vom Nationalen Begleitgremium in Auftrag gegebenen Wortlautvergleich von Abschlussbericht und „Formulierungshilfe“ zum Fortentwicklungsgesetz, vgl. Wollenteit, Gutachten zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe in dem ”ABSCHLUSSBERICHT der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe” – K-Drs. 268, 20.1.2017; Smeddinck, Rechtsgutachten zum Eingang der Empfehlungen der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ aus dem Abschlussbericht „Verantwortung für die Zukunft“ in die letzte Formulierungshilfe des Bundesumweltministeriums für einen Gesetzentwurf der Fraktionen, Januar 2017. 688 Zur Rolle des BfS als Vorhabenträger, vgl. Bull, DÖV 2014, S. 897, 904 f.; krit. in Bezug auf die „insbesondere“-Formulierung Posser, FS Dolde, S. 251, 262. 689 Neben dem BfS als Vorhabenträger sollte das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung als „Regulierungsbehörde“ agieren. 690 Krit. in Bezug auf Aspekte der Wirtschaftlichkeit Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; vgl. auch ders., in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 15 f.; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; näher zur im Rahmen der Expertenanhörung der Endlagerkommission vom 3.11.2014 geäußerten Kritik: Domasch/Sperfeld/Stracke u. a., Atomrechtliche Fragestellungen – im Spannungsfeld zwischen neuen Ansätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bestmöglicher Entsorgung radioaktiver Abfälle, K-MAT 66, 20.6.2016, S. 11 ff. 691 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 53 ff., 374 ff. 692 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843.
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gaben für die Schachtanlage Asse, das Endlager Konrad und das Endlager Morsleben auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) übertragen worden. Das BfS konzentriert sich nunmehr auf die staatlichen Aufgaben des Strahlenschutzes, etwa im Bereich des nuklearen Notfallschutzes, der medizinischen Forschung, des Mobilfunks, des UV-Schutzes oder der Messnetze für Radioaktivität in der Umwelt.693 cc) Bundes-Gesellschaft für Endlagerung Neben der Eigenschaft als Vorhabenträger im Standortauswahlverfahren sind mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur694 auch sämtliche Aufgaben im Bereich der Endlagerung auf die neu gegründete Bundes-Gesellschaft für Endlagerung (BGE) übergegangen, die zuvor vom BfS als Betreiber sowie der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) und der Asse GmbH als Verwaltungshelfer bei der Planung, der Errichtung und dem Betrieb sowie der Stilllegung von Endlagern wahrgenommen wurden.695 Diese auf einen Vorschlag der Endlagerkommission696 zurückgehende Änderung begründet der Gesetzgeber mit der Beseitigung von Schnittstellenproblemen, die sich aufgrund der Doppelzuständigkeit von BfS und BASE ergeben hatten.697 Weiterhin soll durch die einheitliche Aufgabenwahrnehmung aller Endlagerprojekte aus einer Hand698 die Bündelung der operativ-technischen und marktbezogenen Kompetenzen ermöglicht werden.699 Die BGE ist in privater Rechtsform organisiert700 und wurde mit den 693
Vgl. BfS, Endlagerung: Neuordnung der Organisationsstruktur, 27.4.2017, http://www. bfs.de/DE/bfs/wir/organisation/neuorganisation.html, (geprüft am 19.6.2019); vgl. auch Art. 3 des Gesetzes zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843 zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz vom 9.10.1989, BGBl. I S. 1830. 694 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 695 Vgl. BT-Drs. 18/8913, S. 14, 17; die Aufgabenübertragung erfolgte mit Wirkung vom 25.4.2017 durch Bescheid des BMUB, vgl. BMUB, Übertragung der Wahrnehmungen von Aufgaben und Befugnissen auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, 24.4.2017, http:// www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Endlagerprojekte/aufgabenueber tragung_BGE_bf.pdf, (geprüft am 26.9.2019). Die Betreiberpflichten nach § 9 Abs. 3 S. 4 AtG gingen nach § 58 Abs. 5 AtG allerdings erst mit Wirkung vom 1.1.2018 auf die BGE über; vgl. auch Darstellung bei John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9a AtG Rn. 33; Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 196. 696 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 53 f., 374 ff. 697 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 16; Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 196. 698 Neben der Aufgabe als Vorhabenträgerin der Standortsuche ist die BGE Betreiberin der Schachtanlage Asse II, des Endlagers Konrad, des Endlagers Morsleben und des Erkundungsbergwerks Gorleben, vgl. BT-Drs. 18/8913, S. 21; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9a AtG Rn. 33. 699 BT-Drs. 18/8913, S. 14, 17; allein in Bezug auf Personalkosten kalkuliert der Gesetzgeber mit Einsparungen durch die Aufgabenkonzentration innerhalb der Bundesgesellschaft von jährlich 5,4 Mio. Euro (S. 19).
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erforderlichen hoheitlichen Befugnissen im Wege der Beleihung701 nach § 9a Abs. 3 S. 3 AtG ausgestattet. Das in § 6 S. 2 StandAG 2013 enthaltene Verbot der Beleihung702 wurde folgerichtig gestrichen.703 Die Aufgaben der BGE im Standortauswahlverfahren bestehen gemäß § 3 Abs. 1 StandAG als Vorhabenträger vornehmlich darin, Teilgebiete nach § 13 StandAG zu ermitteln sowie Vorschläge für die Auswahl der Standortregionen und der zu erkundenden Standorte zu erarbeiten. Weiterhin sind Erkundungsprogramme und Prüfkriterien aufzustellen sowie die übertägige und untertägige Erkundung möglicher Standorte durchzuführen. Darüber hinaus werden von der BGE in den jeweiligen Verfahrensstufen vorläufige Sicherheitsuntersuchungen erstellt und letztendlich nach § 18 Abs. 3 StandAG dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung ein Vorschlag für den Endlagerstandort unterbreitet. dd) Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung704 Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurde mit dem Standortauswahlgesetz705 als selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) errichtet. Die Tätigkeitsaufnahme erfolgte am 1. September 2014 durch
700 Wobei der Bund nach § 9 Abs. 3 Satz 2 AtG alleiniger Gesellschafter ist; eine spätere Privatisierung ist im Hinblick auf den Staatcharakter der Aufgabe Endlagerung aus § 9 Abs. 3 S. 1 AtG ausgeschlossen. 701 Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 18 f.; zur Einordnung des Instituts der Beleihung, vgl. Voßkuhle, GrdlVerwR I, § 1 Rn. 60; weiterführend Burgi, FS Maurer, 581 ff.; a. A. wohl Smeddinck, der davon spricht, dass die Beleihung Dritter mit den Aufgaben des Vorhabenträgers auch nach der Fortentwicklung des StandAG nicht zulässig ist, vgl. Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 196. 702 Zum vormals bestehenden Verbot der Beleihung, vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 6 Rn. 25 ff.; Bull, DÖV 2014, S. 897, 907; krit. zum Institut der Beleihung bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle bereits Kuhbier/Prall, ZUR 2009, S. 358, 359 ff.; dem zustimmend König, ZNER 2012, S. 232, 237 f.; a. A. Rengeling, DVBl. 2008, S. 1141, 1149 f. 703 S. a. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 17, 24. 704 Durch Gesetz vom 19.12.2019 (BGBl. I S. 2510, 2511) wurde das vormalige Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) zum Jahreswechsel 2020 in die heutige Bezeichnung umbenannt. Die neue Namensgebung soll die Rolle und Aufgaben der Aufsichts- und Genehmigungsbehörde des Bundes besser zum Ausdruck bringen und die Verwechslungsgefahr mit weiteren Akteuren verringern. Änderungen der gesetzlichen Aufgaben gingen damit nicht einher, vgl. https://www.base.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/BfE/DE/2019/1220_ namensaenderung.html (geprüft am: 2.1.2020). 705 Vgl. Art. 3 § 1 (Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung) des Mantelgesetzes; Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553, zul. geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843.
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einen personellen Aufbaustab.706 Im Rahmen des Standortauswahlverfahrens fungiert das BASE als Regulierungsbehörde.707 Nach § 4 Abs. 1 StandAG hat es insbesondere die vom Vorhabenträger BGE zu erarbeitenden Erkundungsprogramme und Prüfkriterien festzulegen, die Vorschläge des Vorhabenträgers zur übertägigen und untertägigen Erkundung zu prüfen sowie hierzu begründete Empfehlungen abzugeben. Außerdem überwacht es den Vollzug des Standortauswahlverfahrens nach § 19 StandAG und unterbreitet der Bundesregierung einen Standortvorschlag.708 Daneben agiert das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung nach § 4 Abs. 2 StandAG als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren.709 Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26. Juli 2016710 wurden dem BASE weitere Aufgaben übertragen. Ziel war es, die Doppelstruktur der Behörden aus BfS und BASE aufzulösen und eine eindeutige Zuordnung von Zuständigkeiten und Aufgaben im Bereich des Strahlenschutzes und der Endlagerung zu gewährleisten.711 Neben den Obliegenheiten im Rahmen des Standortauswahlverfahrens bestehen nach der Vorschrift des § 23d AtG weitere Zuständigkeiten u. a. für die Erteilung von Genehmigungen (z. B. Transporte radioaktiver Abfälle, Errichtung und Betrieb von Zwischenlagern) und die Aufsicht über die Endlager Schacht Konrad und Morsleben sowie die Schachtanlage Asse II.712 Mit der vorgenommenen Aufgabenverteilung zwischen BfS, BGE und BASE fungiert das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in Übereinstimmung mit den europarechtlichen713 und interna-
706
Vgl. BMUB, Bekanntmachung Organisationserlass zur Errichtung des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung vom 5.8.2014, BAnz AT 27.8.2014 B4. 707 Zur Vorgängervorschrift des § 7 StandAG 2013, vgl. Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 7 Rn. 16 ff.; Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 25 ff.; krit. zum Begriff und den Unterschied zu „klassischen“ Regulierungsbehörden wie der Bundesnetzagentur oder dem Bundeskartellamt betonend Bull, DÖV 2014, S. 897, 905; für die Funktion als Aufsichtsbehörde Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 832. 708 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Verfahren in Abschnitt D. III. 1. c). 709 Zur Kombination von Aufsicht und Öffentlichkeitsbeteiligung als integrative Aufgabe, vgl. Albin, 15. AtomRS, S. 289 ff. 710 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 711 Vgl. BT-Drs. 18/8913, S. 14 f., 17 f.; zu den Erwägungen der Endlagerkommission zur Neuordnung der Behördenzuständigkeiten, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (i); ähnlich Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 122; befürwortend Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 25; dies., in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 11. 712 BT-Drs. 18/8913, S. 21 f. 713 Vgl. Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 19. Juli 2011 – RL 2011/70/EURATOM, ABl.EU L 199/48 v. 2.8.2011; näher hierzu in Abschnitt D. IV. 7. a).
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tionalen Vorgaben714 als unabhängige Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde (Regulierungsbehörde) für den Bereich der atomaren Entsorgung.715 ee) Nationales Begleitgremium Einen weiteren „neuen“716 Akteur des Standortauswahlverfahrens stellt das Nationale Begleitgremium nach § 8 StandAG dar. Dieses pluralistisch besetzte Gremium zur gemeinwohlorientierten Begleitung717 bestand bis zum Beginn des Standortauswahlverfahrens im engeren Sinne718 aus neun Mitgliedern.719 Neben sechs anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, welche auf Basis eines einheitlichen Wahlvorschlags vom Deutschen Bundestag und Bundesrat gewählt wurden, gehörten ihm zwei Personen an, die per Zufallsprinzip ausgewählt wurden (sog. Zufallsbürger720) sowie eine Vertreterin der jungen Generation.721 Im Anschluss an den Beginn der eigentlichen Standortsuche sollte das Nationale Begleitgremium um weitere neun Mitglieder ergänzt werden, wobei die bisher tätigen Personen im Sinne eines Wissenstransfers und der Vertrauenskontinuität im Amt blieben.722 Diese zunächst anteilige Besetzung korrespondierte mit einer durch das Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung723 vorgenommenen 714
Vgl. Art. 20 Abs. 2 IAEA, Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, https://www.iaea.org/sites/default/files/inf circ546.pdf, (geprüft am 26.9.2019). 715 BT-Drs. 18/8913, S. 15, 22; s. a. noch zur alten Aufgabenverteilung Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 214 f. 716 Der Vorschlag eines neutralen „Kontrollgremiums“ geht bereits auf den AkEnd zurück, vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 207. 717 Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 8 Rn. 1, näher zum Gemeinwohl Rn. 27; die Gesetzesbegründung nimmt hinsichtlich der Konstituierung Bezug auf ähnliche Gremien wie z. B. den Deutschen Ethikrat, vgl. BT-Drs. 18/8704, S. 5. 718 Näher hierzu Abschnitt D. III. 1. c) bb). 719 BT-Drs. 18/8704, S. 6; zur konkreten Besetzung, vgl. http://www.nationales-begleitgre mium.de/DE/WerWirSind/Die_Mitglieder/Die_Mitglieder_node.html, (geprüft am 30.9.2019); instruktiv zur Rekrutierung der Mitglieder einschließlich eines Überblicks zur Kritik an der Besetzung Smeddinck, FS Erbguth, S. 501, 509 ff. 720 Krit. zum Begriff Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 197; die Einbeziehung von an der Endlagersuche bisher Unbeteiligten begrüßend Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 425 f. 721 Vgl. zur Kritik an der Altersstruktur der Kommission Lagerung hoch radioaktive Abfälle, Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389, 393. 722 Vgl. Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15; von 18 Personen ausgehend Durner, NuR 2019, S. 241, 244; Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 745; allerdings stockt gegenwärtig die Erweiterung, so dass das NBG aktuell nur aus elf Mitgliedern besteht, vgl. Stamer, Transparenz und lernendes Verfahren – Klaus Töpfer zum Stand der Endlagersuche, 13.3.2019, http://www.natio nales-begleitgremium.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Artikel_Töpfer_Umweltaus schuss_13. 03. 2019.html, (geprüft am 30.7.2019). 723 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Vorverlegung der Tätigkeitsaufnahme. Auf diese Weise sollte ein partizipativer „Fadenriss“ zwischen der Abgabe des Berichtsentwurfs der Endlagerkommission und dem Inkrafttreten des evaluierten Standortauswahlgesetzes vermieden werden.724 Es war beabsichtigt, den mit den ersten Schritten der Endlagerkommission begonnene Öffentlichkeitsdialog zu perpetuieren sowie den Konsensgedanken und wiedergewonnenes Vertrauen zu bewahren.725 Neben dieser Begleit- und Brückenfunktion als zentraler Aufgabe identifiziert das Nationale Begleitgremium weiterhin den Bedarf an Veränderungen und Innovationen im Standortauswahlverfahren.726 Hierzu empfiehlt es dem Gesetzgeber gegebenenfalls Änderungen hinsichtlich des Verfahrens. Zur Verwirklichung dieser Aufgabe ist das Begleitgremium mit einem Selbstbefassungs- und Beschwerderecht ausgestattet. Zusätzlich erhält es die Möglichkeit, umfassend Akteneinsicht nehmen zu können.727 Damit hat das NBG eine zentrale Rolle im auf Fairness und Partizipation ausgerichteten Standortauswahlverfahren inne. Zum Teil wird von der Funktion eines „Watchdogs“728 gesprochen. Dazu soll es als Ausdruck der Korrektivfunktion einer vitalen Zivilgesellschaft zur Verbesserung der Erfolgsaussichten für umstrittene Infrastrukturvorhaben beitragen und eine neue Partizipationskultur etablieren.729 Schlüsselelemente sind ein vertrauenswürdiges Auftreten und der Aufbau dauerhafter Beziehungen auch zu den Projektgegnern. In diese Richtung wirkt auch die dem einfachen Recht bisher fremde Funktion des Partizipationsbeauftragten in § 8 Abs. 5 StandAG.730 Letztlich kommt der externen Kontrolle des Verfahrens durch die im Begleitgremium
724
BT-Drs. 18/8704, S. 5. Vgl. BT-Drs. 18/8704, S. 5; zur Brückenfunktion Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 196; s. a. ders., ZRP 2016, S. 181, 182; zum Nutzen einer „Dialog-Brücke“ zwischen verschiedenen Beteiligungsformaten, vgl. Ziekow, NVwZ 2013, S. 754, 759; a. A. Bull, ZRP 2016, S. 244. 726 Durch die Dokumentation abweichender Voten erkennt Smeddinck eine auf Verstärkung der Transparenz ausgerichtete Kontrollfunktion des Gremiums, vgl. Smeddinck, in: Hill/ Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 170; kursorisch zu den Aufgaben ders., FS Erbguth, S. 501, 504 ff. 727 Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 745; ders., in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 8 Rn. 30 ff. 728 Zum Begriff Smeddinck, FS Erbguth, S. 501, 519; ders., ZRP 2016, S. 181, 182; ders., in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 171; zur Funktion vgl. Haus, Transformation des Regierens und Herausforderungen der Institutionenpolitik, 2010, S.120; Wegrich, in: Kropp/Kuhlmann (Hrsg.), Wissen und Expertise in Politik und Verwaltung, 2014, S. 285 ff. 729 Vgl. Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 182, unter Rekurs auf Durner, ZUR 2011, S. 354, 359. 730 Als Partizipationsbeauftragter wurde auf der 31. Sitzung des NBG Hans Hagedorn gewählt, vgl. Cizmecioglo, Dickes Fell und großes Vertrauen – Schlaglichter von der 31. Sitzung, 1.7.2019, http://www.nationales-begleitgremium.de/SharedDocs/Kurzberichte/DE/Kurz bericht_31_Sitzung_01.07.2019.html, (geprüft am 30.9.2019); näher zu Aufgaben und der Einordnung als Mediator Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 745 f.; ders., FS Erbguth, S. 501, 512 f.; ders., EurUP 2017, S. 195, 201; explizit kritisch Bull, ZRP 2016, S. 244. 725
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
257
repräsentierte Öffentlichkeit eine qualitätssichernde Komponente zu.731 Allerdings wurde das Nationale Begleitgremium bereits vor Tätigkeitsaufnahme kritisch beäugt. Zum einen sei schon der Arbeitsauftrag verschwommen gefasst.732 Zum anderen werden der Nutzen eines zusätzlichen pluralistischen Gremiums schlichtweg bezweifelt733 und Bedenken hinsichtlich einer Verzögerung der Standortsuche sowie einer verfassungspolitisch kritikwürdigen „Entpolitisierung“ und „Verantwortungsdiffussion“ geäußert.734 ff) Deutscher Bundestag und Bundesrat Weiterhin kommt im Rahmen des Standortauswahlverfahrens dem parlamentarischen Gesetzgeber eine tragende Rolle zu. Die Standortsuche ist als sog. Legalplanung735 ausgestaltet. Dies bedeutet, dass wesentliche (Zwischen-)Schritte und Etappen durch Bundesgesetz abgeschlossen werden.736 So erfolgen zum einen die Evaluation des Standortauswahlgesetzes nach § 4 Abs. 4 S. 2 StandAG 2013 wie auch die Festlegung der Auswahlkriterien nach § 4 Abs. 5 StandAG 2013 durch den Deutschen Bundestag. Zum anderen werden auch die einzelnen Etappen des Standortauswahlverfahrens im engeren Sinne – wie die Bestimmung der Standorte zur übertägigen und untertägigen Erkundung – sowie die abschließende Auswahl des Standortes mit der bestmöglichen Sicherheit durch ein Bundesgesetz festgelegt. Dieser Konzeption liegt die Überlegung zugrunde, dass die direkte Legitimation der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf die Entscheidungsfindung durch Gesetz ausstrahlt und auf diese Weise – gepaart mit der den parlamentarischen Prozessen inhärenten Transparenz – zur Schaffung von Vertrauen und Akzeptanz beitragen 731
Vgl. Scherzberg, GrdlVerwR III, § 49 Rn. 8; zur Funktion als Organ „neutraler gesellschaftlicher Drittbeobachtung“, vgl. Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 30; Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 170; u. a. können durch den öffentlichen Diskurs Ergebnisse und Fehlentwicklungen kritisiert und skandalisiert werden, vgl. ders., DVBl. 2014, S. 408, 413; z. T. wird von einem „Frühwarnsystem“ gesprochen, vgl. DAEF, Partizipation im Standortauswahlverfahren für ein Endlager, K-MAT 59, 2016, S. 34 f.; näher zur Kontrollfunktion von Öffentlichkeitsbeteiligung bereits in Abschnitt C. IV. 1. und 5. 732 Bull, ZRP 2016, S. 244; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; eine wesentliche Verbesserung hierzu bietet auch der auf Empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ergänzte § 8 Abs. 1 StandAG nicht, vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 4 f., 17, wenngleich die Bedeutung des Nationalen Begleitgremiums für die Öffentlichkeitsarbeit akzentuiert wird. 733 Gärditz spricht diesbezüglich von einem „partizipativen Feigenblatt“, vgl. Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29; a. A. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 745. 734 Bull, ZRP 2016, S. 244 f.; ähnlich Kersten, aviso 3/2016, S. 20, 23; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 ff.; ders., ZfU 2015, S. 343, 356 f., 362 f.; a. A. Smeddinck, FS Erbguth, S. 501, 514 ff.; für eine verfassungsrechtliche Bewertung der kritischen Stimmen, vgl. Abschnitt D. IV. 5. 735 BT-Drs. 17/13471, S. 29; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 25; krit. zum Begriff Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 266 f. 736 Vgl. Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 25; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 294 f.
258
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
kann.737 Im Unterschied zu den in den vorherigen Unterabschnitten vorgestellten Akteuren, denen vorbereitende und begleitende Funktion zukommt, fungiert das Parlament als zentraler und finaler Entscheider.738 gg) Öffentlichkeit Der Gesetzgeber beabsichtigt den Neustart der Endlagersuche als faires und transparentes Verfahren auszugestalten.739 Ein Schlüsselelement stellt die Partizipation breiter gesellschaftlicher Schichten dar. Die Rolle der Öffentlichkeit740 wechselt also von einem durch ein staatliches Infrastrukturprojekt Betroffenen hin zu einem Akteur, der das Verfahren aktiv begleiten und zum Teil mitgestalten soll.741 Gerade bei einem derart komplexen Thema wie der Endlagerung radioaktiver Abfälle enthält der Diskurs die Funktion, die Dimensionen und die Tragweite technischen Handelns und Unterlassens zu verdeutlichen, gerade wenn die Folgen nicht exakt prognostizierbar sind.742 Die Bedeutung des Aspekts Öffentlichkeitsbeteiligung wird unter anderem dadurch verdeutlicht, dass er einen gewichtigen Teil der Aufmerksamkeit der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe in Anspruch nahm.743 Die von der Endlagerkommission erarbeiteten und mit dem Fortentwicklungsgesetz in das StandAG implementierten Komponenten der Öffent-
737
BT-Drs. 17/13471, S. 30. Zur Rolle des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der grundrechtlich fundierten Schutzpflicht, vgl. Abschnitt D. II. 1. b) aa) (3); näher zur Zulässigkeit der Legalplanung in Abschnitt D. IV. 1. und 2. 739 Vgl. Gesetzesbegründungen in BT-Drs. 17/13471, S. 2, 15, 23; BT-Drs. 18/11398, S. 2, 43, 51. 740 Grundlegend zum Begriff der Öffentlichkeit bei der Endlagersuche Bull, DVBl. 2015, S. 593, 598; Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 411 f. 741 Zum Ziel einer umfassenden, dialogorientierten Beteiligung, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 51; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 316 ff., 319; zur Aufgabe der Unterscheidung von Öffentlichkeit und betroffener Öffentlichkeit, vgl. Posser, FS Dolde, S. 251, 261; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 243; Drögemöller, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 187, 199 ff.; allgemein zum Nutzen von Öffentlichkeitsbeteiligung Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 16 f. 742 Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 160; Renn, APuZ 6 – 7/2014, S. 3, 10; näher zum Modus „Dialog“ in Abschnitt C. IV. 3. b). 743 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39 ff., 111 ff., 316 ff.; zum Konzept der Öffentlichkeitsbeteiligung der Endlagerkommission, vgl. Carrera Gallego/Hocke, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 103 ff.; Demos/Prognos, Konzept für die Beteiligung der Öffentlichkeit am Bericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, K-Drs. 108 neu, 29.5.2015. 738
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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lichkeitsarbeit werden nachfolgend nach der Systematik des Standortauswahlgesetzes dargestellt.744 (1) Grundsätze der Öffentlichkeitsbeteiligung Die Ausgestaltung des Standortauswahlverfahrens als partizipatives Suchverfahren745 berücksichtigt gleichermaßen die historische Konfliktlage,746 die Komplexität der Materie747 und die zu erwartende Dauer748 des Verfahrens.749 Die Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit zielt darauf ab, eine von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Lösung zu finden, welche letztlich auch von den unmittelbar Betroffenen toleriert werden kann.750 Als Voraussetzung hierfür identifizierte die Endlagerkommission, dass nicht nur alle Parteien fair und vorbehaltlos am Verfahren beteiligt werden.751 Bei diesen muss vielmehr auch die Bereitschaft bestehen, sich auf eine neue gesellschaftliche Konfliktkultur einzulassen, welche vergangene Auseinandersetzungen nicht ignoriert und neu entstehende Kontroversen 744 Nähere Ausführungen zum Einsatzzeitpunkt der verschiedenen Instrumente enthält die Beschreibung des Verfahrens in Abschnitt D. III. 1. c) bb); zur kategorisierenden Unterscheidung als „klassische individuelle (…) Betroffenenbeteiligung“ und „institutionalisierte Beteiligung“ über spezielle Gremien, vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 243, ders., A15. AtomRS, S. 311, 313 ff.; ähnlich Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 62 f.; Böhm, GS Schmehl, S. 435, 438 ff. 745 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39 ff., 316 ff.; allgemein zur Partizipation im Standortauswahlverfahren DAEF, Partizipation im Standortauswahlverfahren für ein Endlager, K-MAT 59, 2016. 746 Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 199; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 62; weiterführend statt vieler Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79 ff.; Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 211 ff.; Häfner, Das Standortauswahlgesetz und die Anti-Atom-Bewegung, 2015. 747 Zur Einordnung der Endlagersuche als Sinnbild einer Multi-Level-Governance sowie zur Beschreibung als wicked problem, vgl. Ausführungen in Abschnitt C bzw. C. II. 2. 748 Zu einer Ausdehnung des Zeitrahmens u. a. aufgrund der modifizierten Beteiligungsformate, vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016. 749 BT-Drs. 18/11398, S. 51; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39; vgl. Fischer/Jäger, atw 2016, S. 598 ff. 750 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 51; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 39; Partizipation als Erfolgsfaktor zur Realisierung großer Infrastrukturprojekte bezeichnend: Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 161; s. a. Nanz, in: Sommer (Hrsg.), Kursbuch Bürgerbeteiligung, 2015, S. 420, 421; a. A. und für das StandAG einen „partizipativen Overkill“ konstatierend Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362; krit. hinsichtlich der Möglichkeit das Konsensziel zu erreichen Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 199; Di Nucci, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 119 ff.; ähnlich Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 63 f. 751 Zu den Voraussetzungen einer funktionierenden Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle, vgl. Schetula/Gallego Carrera, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 125, 130 ff.; ähnlich Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121, 124.
260
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
thematisiert.752 In diesem Zusammenhang soll stets eine am Prinzip der konstruktiven Konfliktbearbeitung orientierte Herangehensweise vorherrschen, die sich auf das gemeinsame Ziel einer weitgehend konsensualen und gesellschaftlich tragfähigen Lösung fokussiert.753 Als zentrale Grundanforderungen für die Ausgestaltung der Beteiligungsformate hat die Endlagerkommission demzufolge eine transparente Informationspolitik in Breite und Tiefe vorgesehen. Deren Ausrichtung beruht auf einer Gemeinwohlgestaltung unter Beteiligung der Betroffenen und setzt auf die Elemente Mitgestaltung und Nachprüfung. Des Weiteren sollen gemeinsam Zukunftsperspektiven für die betroffene Region entwickelt und mithilfe eines lernfähigen und selbstheilenden Verfahrens (= iterative Entwicklung der Beteiligungsgestaltung) der eingeschlagene Kurs gehalten werden.754 Das Fortentwicklungsgesetz755 hat die Neukonzeption der Öffentlichkeitsbeteiligung in das StandAG integriert. Die Bürger gelten im Kontext der Erzielung eines breiten gesellschaftlichen Kontexts nunmehr gemäß § 5 Abs. 1 StandAG als „Mitgestalter des Verfahrens“.756 § 5 Abs. 2 StandAG verpflichtet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) für eine frühzeitige und grundlegende Information eines möglichst großen Teils der Bevölkerung Sorge zu tragen sowie die verschiedenen Beteiligungsformate des StandAG in einem dialogorientierten Prozess durchzuführen.757 Die Möglichkeit und Obliegenheit zur Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsbeteiligung ist als Grundsatz in § 5 Abs. 3 StandAG niedergelegt.758
752 Zu den Auswirkungen vergangener Auseinandersetzungen auf aktuelle Konfliktfelder, vgl. Abschnitt C. IV. 4. a) mit den dortigen Nachweisen; ambivalent zu den Erfolgsaussichten der Konfliktaufarbeitung Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 748 f. 753 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39; s. a. Böhm, GS Schmehl, S. 435, 442 f. 754 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39 f.; zum Beteiligungskonzept in der Startphase des Suchprozesses, vgl. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019. 755 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 756 BT-Drs. 18/11647, S. 4, 16; grundlegend zu Mitentscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger Arnstein, JAIP 1969, S. 216 ff.; krit. zur Gefahr, dass es diesbezüglich bei Lippenbekenntnissen bleibt Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 199; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 249 f.; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 62. 757 BT-Drs. 18/11398, S. 51. 758 Vgl. auch BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 25 ff.; zu Möglichkeiten der informellen Öffentlichkeitsbeteiligung auf Basis des § 5 Abs. 3 S. 2 StandAG, vgl. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 746; für eine verfassungsrechtlich (rekurrierend auf den Topos der Wesentlichkeitstheorie und den Grundrechtsschutz durch Verfahren) und einfachgesetzlich (§ 5 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 2 StandAG) fundierte Pflicht zur Fortentwicklung der Öffentlichkeitsbeteiligung unter Mitwirkung der Öffentlichkeit Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 61 ff., 68, 71 ff.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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(2) Informationsplattform Zur Unterstützung der entworfenen Partizipationsidee statuiert § 6 StandAG für das BASE die Verpflichtung, eine Informationsplattform einzurichten und zu betreiben.759 Ziel ist es, eine ausgewogene und umfassende Informationsbasis zu gewährleisten.760 Das Angebot soll so aufbereitet werden, dass sowohl Laien als auch engagierte Bürger mit Fachwissen, recherchierende Journalisten oder Fachleute aus Wissenschaft und Wirtschaft ein entsprechendes Informations- und Vermittlungsniveau vorfinden.761 (3) Stellungnahmeverfahren und Erörterungstermine Zur Absicherung der Öffentlichkeitsbeteiligung mit rechtlich stark definierten Verfahrenselementen hat die Endlagerkommission ein Stellungnahmeverfahren und dazugehörige Erörterungstermine vorgeschlagen.762 § 7 Abs. 2 StandAG sieht diesbezüglich vor, dass der Öffentlichkeit und den Trägern öffentlicher Belange763 Gelegenheit gegeben wird, sich in den verschiedenen Verfahrensphasen zu den Vorschlägen des Vorhabenträgers zu äußern.764 Da im Laufe der Standortauswahl sowohl Strategische Umweltprüfungen (SUP)765 als auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)766 durchzuführen sind, gelten für diese Verfahrenselemente
759 Die Informationsplattform startete zunächst in einer Basisversion unter folgendem Link: www.bfe.bund.de/DE/soa/unterlagen-standag/unterlagen-standag_node.html, (geprüft am 26.9.2019) und soll im Laufe des Verfahrens weiter ausgebaut werden. 760 Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15; zur Bedeutung von Information für erfolgreiche Partizipation, vgl. Abschnitt C. IV. 3. b). 761 BT-Drs. 18/11398, S. 52; näher zur Ausgestaltung der Informationsplattform nach Vorschlag der Endlagerkommission, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 40 f., 325 mit Bezug auf Vorschläge des AkEnd, vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 209; krit. hinsichtlich der fehlenden Verpflichtung zur Führung eines Informationsregisters Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 200. 762 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 44; zu Aufgabe und Funktion vgl. S. 339 f.; für eine Einordnung als „konventionelle Öffentlichkeitsbeteiligung“, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 63. 763 Zu den Trägern öffentlicher Belange gehören insb. die obersten Landesbehörden sowie die allgemeinen unteren Landesbehörden, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 52. 764 Im Einzelnen handelt es sich um die Vorschläge des Vorhabenträgers zu den Standorten der übertägigen und untertägigen Erkundung sowie den abschließenden Standortvorschlag nach den §§ 14 Abs. 2, 16 Abs. 3 und 18 Abs. 3 StandAG, zu den aktualisierten Vorschlägen nach den Nachprüfungsverfahren und zu den Erkundungsprogrammen nach den §§ 14 Abs. 1 bzw. 16 Abs. 2 StandAG. Dies ist allerdings lediglich als eine beispielhafte Aufzählung zu sehen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 52; zur Darstellung des Verfahrensablaufs, vgl. weiterhin Abschnitt D. III. 1. c) bb). 765 Vgl. Nrn. 1.15 und 1.16 der Anlage 5 UVPG für die Standorte der übertägigen und untertägigen Erkundung. 766 Vgl. Anlage 1 Nr. 11.2 UVPG.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
zusätzlich die Anforderungen der §§ 38 ff. UVPG.767 Die innerhalb einer Frist von drei Monaten768 eingegangenen Stellungnahmen werden von Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und dem Vorhabenträger ausgewertet und bilden die Grundlage für die nach § 7 Abs. 3 StandAG durchzuführenden Erörterungstermine.769 Diese finden jeweils im räumlichen Bereich des Vorhabens statt und sollen die Informationsbasis auf allen Seiten verbessern sowie Abwägungsentscheidungen im Detail nachvollziehbar erläutern.770 (4) Fachkonferenz Teilgebiete Als ein im Vergleich zum StandAG 2013 neues Element führt § 9 StandAG auf Vorschlag der Endlagerkommission eine Fachkonferenz Teilgebiete771 ein. Durch sie soll eine kontinuierliche Beteiligung bereits zu Beginn des Standortauswahlverfahrens gewährleistet und auf diese Weise dem Beteiligungsparadoxon entgegengewirkt werden.772 Gegenstand der Fachkonferenz ist der Zwischenbericht des Vorhabenträgers nach § 13 Abs. 2 StandAG zur Anwendung der Ausschlusskriterien sowie der geologischen Mindest- und geowissenschaftlichen Abwägungskriterien. Die frühzeitige Befassung mit den Auswahlschritten, bevor es zu einer Eingrenzung auf die übertägig zu erkundenden Standortregionen kommt, soll eine standortübergreifende Sichtweise ermöglichen, die den Aufbau eines Erfahrungs- und Wissensstandes fördert.773 Auf diese Weise wird beabsichtigt, die spätere Arbeits767
Zum Verhältnis der Öffentlichkeitsbeteiligung von StandAG und UVPG, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 7 StandAG Rn. 3 ff. 768 Die Frist beginnt mit der Veröffentlichung des Vorschlags des Vorhabenträgers bzw. der Übermittlung an die Träger öffentlicher Belange zu laufen; zu den Gründen für eine Ausweitung der Frist auf 3 Monate, vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 16. 769 Abgrenzend zur „klassischen“ Ausprägung eines Erörterungstermins Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 200; mit Verweis auf negative Konnotationen bei Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 333; Winter, ZfU 2012, S. 209, 220; Radkau, Die Ära der Ökologie, 2011, S. 245 f. 770 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 340. 771 Teilnehmende Personen sind nach § 9 Abs. 1 S. 2 StandAG „Bürgerinnen und Bürger, Vertreter der Gebietskörperschaften der nach § 13 Abs. 2 StandAG ermittelten Teilgebiete, Vertreter gesellschaftlicher Organisationen sowie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen“. 772 BT-Drs. 18/11398, S. 54; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 43, 331; die besondere Bedeutung der rechtzeitigen Tätigkeitsaufnahme, vgl. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 28; s. a. Böhm, GS Schmehl, S. 435, 444; zum Begriff „Beteiligungsparadoxon“, vgl. Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 412 sowie näher in Abschnitt C. IV. 4. a); zur entsprechenden Erwartungshaltung Betroffener, vgl. Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121, 123 f. 773 Im Vordergrund stehen weniger organisatorische Fragen oder eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung. Vielmehr handelt es sich bei der Fachkonferenz um eine lose Zusammenkunft ohne eine bestimmte rechtliche oder organisatorische Verfestigung oder Verselbstständigung. Teilnehmerzahl und -kreis sind daher nicht verbindlich vorgeben, vgl. BT-Drs. 18/ 11398, S. 54.
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aufnahme der Regionalkonferenzen und des Rates der Regionen sowie die Gestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung zu erleichtern.774 Die im Rahmen von maximal drei Terminen innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten erarbeiten Beratungsergebnisse werden von der BGE in ihrem Vorschlag für die übertägig zu erkundenden Standorte berücksichtigt.775 Die Gesetzesmaterialien stellen klar, dass Verstöße gegen die im StandAG für die Fachkonferenz Teilgebiete normierten Aufgaben und Fristen keine Verfahrensfehler begründen. Insofern kann dieses Instrument als rein zusätzliche Informations- und Konsultationsveranstaltung charakterisiert werden.776 (5) Regionalkonferenzen Mit dem Fortentwicklungsgesetz777 wurde wiederum auf Vorschlag der Endlagerkommission ein weiteres Element der Öffentlichkeitsbeteiligung in das StandAG eingefügt.778 Die Regionalkonferenzen nach § 10 StandAG sollen eine intensive, langfristige sowie kontinuierliche und somit umfassende Beteiligung der regional betroffenen Bürger gewährleisten.779 Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung errichtet nach § 10 Abs. 1 S. 1 StandAG die Konferenzen in jeder Region, die als übertägig zu erkundender Standort vorgeschlagen wurde. Sie gliedert sich in eine Vollversammlung (Abs. 2) und einen Vertreterkreis (Abs. 3). An der Vollversammlung können grundsätzlich alle Gemeindeeinwohner von kommunalen Gebietskörperschaften der Standortregion sowie der unmittelbar angrenzenden Gemeinden teilnehmen, sofern sie das 16. Lebensjahr vollendet haben.780 Der Vertreterkreis, dessen Soll-Größe auf 30 Mitglieder begrenzt ist, besteht zu gleichen Teilen aus Bürgern der Vollversammlung, Vertretern der kommunalen Gebietskörperschaft der Standortregion sowie Vertretern von gesellschaftlichen Gruppen.781 Die Hauptaufgabe der Regionalkonferenz liegt darin, das Standortauswahlverfahren zu 774 BT-Drs. 18/11398, S. 54; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 331. 775 Mit der Übermittlung der Ergebnisse an die BGE endet gemäß § 9 Abs. 2 S. 4 StandAG die Arbeit der Fachkonferenz Teilgebiete. 776 Nach der Partizipationsleiter von Arnstein rangiert dieses Instrument demnach in der Kategorie „Scheinbeteiligung“, vgl. Arnstein, JAIP 1969, S. 216, 217. 777 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 778 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 42 f., 332 ff. 779 BT-Drs. 18/11398, S. 55. 780 Das Recht zur Teilnahme orientiert sich insofern am kommunalen Wahlrecht, s. a. Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15; Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121, 123. 781 Lt. Gesetzesbegründung kommen als gesellschaftliche Gruppen insbesondere Vertretungen von Wirtschafts- und Umweltorganisationen in Betracht. Deren Vertreter werden ebenso wie die Vertreter der Bürgerschaft in einem von BASE und den kommunalen Gebietskörperschaften festgelegten Verfahren bestimmt, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 56; näher zur Zusammensetzung der Regionalkonferenzen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 334 f.
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begleiten. Zu diesem Zweck sieht § 10 Abs. 4 StandAG Anhörungen bei bestimmten Verfahrensschritten vor. Zudem können die Regionalkonferenzen – unabhängig vom BASE als Träger der Öffentlichkeitsarbeit nach § 4 Abs. 2 StandAG – auf lokaler Ebene die Bevölkerung informieren.782 Eine konkrete Einflussmöglichkeit auf den Verfahrensablauf erhalten sie durch das Recht, Nachprüfungsaufträge nach § 10 Abs. 5 StandAG zu stellen.783 Nach Vorlage des Vorschlags durch den Vorhabenträger können Mängel innerhalb einer Frist von sechs Monaten beim BASE gerügt werden, welches gegebenenfalls eine Änderung des Vorschlags durch den Vorhabenträger veranlasst.784 Zusammenfassend lassen sich die Regionalkonferenzen als Instrument der lokalen Öffentlichkeitsbeteiligung einordnen. Durch die kontinuierliche und langfristige Begleitung des Standortauswahlverfahrens ab dem Vorschlag als oberirdisch zu erkundender Standort bis hin zum Ausscheiden aus dem Verfahren besteht die Möglichkeit, Sachverstand in der Bevölkerung und bei lokalen Entscheidungsträgern zu erarbeiten und deren Meinungsbild im Verfahren zu berücksichtigen.785 Wenngleich es sich nicht um ein echtes Mitentscheidungsrecht handelt,786 steht den Regionalkonferenzen mit dem Nachprüfungsrecht ein Beteiligungsinstrument zu, um zumindest konkrete Vor-Ort-Bedenken in das Verfahren einzubringen. (6) Fachkonferenz Rat der Regionen Im Anschluss an die Bildung der Regionalkonferenzen richtet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung nach § 11 StandAG eine Fachkonferenz Rat der Regionen ein. Bei dieser Institution handelt es sich ebenfalls um ein auf Vorschlag der Endlagerkommission neu gebildetes Instrument der überregionalen Beteiligung.787 Die Mitgliedschaft ist auf 30 Personen begrenzt und setzt sich aus Vertretern der verschiedenen Regionalkonferenzen788 zusammen, ergänzt um jene Gemeinden, in denen radioaktive Abfälle zwischengelagert werden. Aus überregionalem Blickwinkel begleitet die Fachkonferenz das Standortauswahlverfahren ab der Auswahl der übertägig zu erkundenden Standorte und unterstützt den Interessensausgleich innerhalb der in Betracht gezogenen Standortregionen.789 Unabhängig 782
Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 42, näher zu den Aufgaben der Regionalkonferenz S. 332 f. 783 Für die Möglichkeit, bereits früher anzusetzen Smeddinck, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 69, 76. 784 Näher zum Nachprüfungsauftrag Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 336 f.; Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 201. 785 Dies adressiert die emanzipatorische Funktion von Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Abschnitt C. IV. 2. 786 Vgl. Ausführungen in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (1), insb. Fn. 1010. 787 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 44, 339. 788 Die Entsendung von Mitgliedern der Vertretungskreise der Regionalkonferenzen dient dem Wissenstransfer, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 57. 789 S. a. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 44, 339.
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von dieser Vermittlungsfunktion erarbeitet sie eine übergreifende Strategie zur Förderung der Regionalentwicklung in den betroffenen Standortregionen.790 Die Fachkonferenz Rat der Regionen ist insofern als überörtliches Instrument des Informationsaustausches anzusehen. Mitwirkungsrechte am Verfahren, vergleichbar dem Nachprüfungsrecht der Regionalkonferenzen, bestehen hingegen nicht.791 (7) Zwischenergebnis Das System der Öffentlichkeitsbeteiligung in den §§ 9 und 10 StandAG 2013792 wurde durch das Fortentwicklungsgesetz grundlegend geändert. Die §§ 5 bis 11 StandAG793 enthalten nun ein auf die Vorschläge der Endlagerkommission zurückgehendes ausdifferenziertes Beteiligungssystem,794 das den Zielsetzungen eines partizipativen, fairen und transparenten Verfahrens gerecht werden soll.795 Dabei steht – wenngleich stellenweise Verknüpfungen feststellbar sind – eine klassische individuelle Betroffenenbeteiligung (Stellungnahmeverfahren und Erörterungstermin des § 7 StandAG) neben einer institutionalisierten Öffentlichkeitsbeteiligung durch spezielle Gremien (Nationales Begleitgremium, Fach- und Regionalkonferenzen – §§ 8 – 11 StandAG).796 Erkennbar wird dieses System von den Säulen Information, kontinuierliche regionale und überregionale Beteiligung sowie Mitwirkungsoptionen getragen.797 Die Endlagerkommission hat scheinbar auch im Rahmen ihrer eigenen Tätigkeiten die Folgen des Beteiligungsparadoxons erkannt798 und 790
BT-Drs. 18/11398, S. 57. S. a. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 339. 792 Zum alten Rechtsstand, vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 9 f.; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 832 f.; Bull, DVBl. 2015, S. 593 ff. ders., DÖV 2014, S. 897, 902 f.; Posser, FS Dolde, S. 251, 261. 793 Insofern kann auch das Nationale Begleitgremium unter den „Akteur Öffentlichkeit“ gefasst werden, vgl. Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 170. Die Beschreibung des Nationalen Begleitgremiums erfolgte aufgrund der herausgehobenen Funktion dennoch gesondert in Abschnitt D. III. 1. b) ee). 794 Die Partizipationsregeln des StandAG im Vergleich zu anderen Bereichen des Fachplanungsrechts als „weitestgehend“ bezeichnend Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 2 Rn. 532. 795 Zu den Anforderungen an deliberative Partizipationskonzepte, vgl. bereits Abschnitt C. IV. 3. 796 Für diese Untergliederung, vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 243; ders., 15. AtomRS, S. 311, 313 ff. ähnlich Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 62 f., der von einem „konventionellen“ und einem „strukturierten“ Teil spricht. 797 S. a. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 13; zu den verschiedenen Stufen der Beteiligung, vgl. BMVI, Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung, November 2012, S. 13. 798 Neben der relativ geringen Anzahl teilnehmender Bürger haben sich insb. Vertreter der Anti-Atom-Bewegung einer Zusammenarbeit mit der Endlagerkommission verweigert, vgl. Freitag, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche, 2016, S. 81, 84 f., 90 f.; Bull, ZRP 2016, S. 244; ders., DVBl. 2015, S. 593, 594 f.; Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, Zwischen Konfrontation und Kooperation, 2016, S. 211, 222; Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), 791
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versuchte mit Instrumenten zur Herstellung und Wahrung von Beteiligungsbereitschaft entgegenzuwirken.799 Es bleibt abzuwarten, ob diese neuen Instrumente tatsächlich zeitnah zu einer gesteigerten Anteilnahme am Standortsuchverfahren führen werden und die mit der Partizipation beabsichtige Befriedungsfunktion eintreten wird.800 Einige Fragen bleiben allerdings offen. Wie ist die Nichtbeachtung bzw. die Verletzung von Beteiligungsregeln seitens des Vorhabenträgers oder des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zu ahnden?801 Die Gesetzesbegründung gibt an mehreren Stellen darüber Auskunft, dass die Nichteinhaltung der normierten Aufgaben, Organisation und Fristen innerhalb der Beteiligungsvorschriften keine Verfahrensfehler begründen und somit ohne Konsequenzen bleiben.802 Des Weiteren steht den Regionalkonferenzen mit dem Nachprüfungsauftrag nach § 10 Abs. 5 StandAG zwar eine ausgeprägtes Mitwirkungsrecht zu.803 Eine echte Mitbestimmung oder gar ein Vetorecht804 stellt dies aber nicht dar.805 Es bleibt somit festzuhalten, dass bei der Öffentlichkeitsbeteiligung des StandAG letztlich doch die Säule „Informa-
Das Leben führen?, 2014, S. 239, 253; auf Informationsdefizite der Bevölkerung hinweisend BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 14. 799 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 322, 331, 350; zur Bedeutung der Beteiligung von Personen jenseits überkommener Pfadabhängigkeiten Bimesdörfer/Oerding/Riemann, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 409, 413, 424 ff.; zur entsprechenden Erwartungshaltung von Betroffenen, vgl. Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121, 123. 800 Wiegand stellt etwa die Frage, ob sich die Verfahrenskonstruktion und die Beteiligungsformen ergänzen oder ob doch ein „merkwürdiges Amalgam“ vorliegt, bei dem die Gefahr besteht, dass diese sich vielmehr behindern und der vom Gesetzgeber angestrebte gesellschaftliche Konsens in den Wirren inkohärenter Verfahrensabläufe untergeht Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 833; krit., ob die Beteiligungsoptionen die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 127; skeptisch aufgrund bisheriger praktischer Erfahrungen Böhm, GS Schmehl, S. 435, 446. 801 Zu dieser Frage auch Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83; Bull, DVBl. 2015, S. 593, 600; ähnlich Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 126; näher zu dieser Problematik in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (4) (b). 802 Vgl. jeweils für die Fachkonferenz Teilgebiete, Regionalkonferenzen und Fachkonferenz Rat der Regionen BT-Drs. 18/11398, S. 55, 57; vgl. auch Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 16; krit. hinsichtlich fehlender Sanktionen Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 357; Bull, DÖV 2014, S. 897, 903. 803 S. a. Bull, DVBl. 2015, S. 593, 596. 804 Explizit kritisch gegenüber einer solch starken Mitentscheidungskomponente Bull, DVBl. 2015, S. 593, 596; ähnlich Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 252; s. a. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 322. 805 S. a. BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 7; zum wünschenswerten Verzicht auf Veto-Rechte und Abstimmungen, vgl. Abschnitt C. IV. 3. d) und 5.; den Begriff der Beteiligung folgerichtig auf Teilhabe am Planungsprozess im Vergleich zur Mitentscheidung begrenzend Posser, FS Dolde, S. 251, 267; s. a. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770.
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tion“ dominiert.806 Mitwirkung und Anreize zur Aktivierung der (kontinuierlichen) Beteiligungsbereitschaft bilden eher flankierende Stützen.807 c) Verfahren Im Anschluss an die Darstellung der Ziele des StandAG sowie der Vorstellung der beteiligten Akteure ist nachfolgend das Verfahren der Standortauswahl im Detail zu beleuchten. Die Standortsuche gliedert sich in mehrere aufeinander aufbauende Planungsphasen. Den Abschluss der jeweiligen Planungsabschnitte bilden formelle Bundesgesetze. Insofern ist die Bezeichnung als „gestuftes Legalplanungsverfahren“ treffend.808 Zur Strukturierung des Verfahrens bietet es sich weiterhin an, von einem Endlagersuchverfahren im weiteren Sinne809 und einer Standortauswahl im engeren Sinne zu sprechen.810 In einem vorbereitenden Verfahren (aa) hat die Endlagerkommission zunächst entsprechend ihres Gesetzesauftrags aus § 4 Abs. 5 StandAG 2013 Kriterien zur Standortfindung ausgearbeitet und am 5. Juli 2016 in ihrem Abschlussbericht811 gemeinsam mit Änderungsvorschlägen zum StandAG dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt. Die Vorschläge der Endlagerkommission wurden in der Folge im Parlament diskutiert.812 Das Fortentwicklungsgesetz vom 5. Mai 2017813 legte die Auswahlkriterien für das weitere Verfahren fest und nahm Modifizierungen am StandAG vor. Hieran schließt sich das Standortaus806
Diese „passive Rolle“ der potenziell betroffenen Bevölkerung kritisierend Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 67; ähnlich Röhlig/Eckhardt, GAIA 2017, S. 103, 105; Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 128; Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 199. 807 Vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64, der in der durch das Fortentwicklungsgesetz vorgenommenen Überleitung der Abwägungsentscheidung auf das BASE, welche die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung berücksichtigen muss, die „Disproportionalität zwischen dem erheblichen Umfang der Bürgerbeteiligung und ihrer nahezu vollständigen Bedeutungslosigkeit für die parlamentarische Entscheidung im StandAG 2013 behoben“ sieht. 808 Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 2, 11; zur stufenweise Verdichtung der Sicherheitsaspekte, vgl. Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 175. 809 Dieses beinhaltet neben der Standortauswahl im engeren Sinne (bb) ein vorbereitendes Verfahren zur Ermittlung der Auswahlkriterien (aa) sowie die nachgelagerte Anlagengenehmigung nach § 9 Abs. 1a AtG (cc). 810 Im Schrifttum finden sich höchst unterschiedliche Kategorisierungen. Diese reichen von einer 9-fach-gestuften (Moench, DVBl. 2015, S. 213) zu einer achtstufigen Unterteilung (Bull, DÖV 2014, S. 897, 902; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 63), über 5-Phasen-Modelle (vgl. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 294) bis hin zur von der Endlagerkommission vorgenommenen Gliederung in drei Etappen (vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 167). 811 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016. 812 Vgl. zum Umsetzungsprozess BT-Drs. 18/11398 und BT-Drs. 18/11647. 813 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
wahlverfahren im engeren Sinne an (bb). Ausgehend vom Prinzip der „weißen Landkarte“ sind zunächst anhand der vereinbarten Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen ungeeignete Bereiche auszusondern. Von den verbleibenden Gebieten werden fünf Standortregionen zur übertägigen Erkundung (1) ausgewählt. Nach Auswertung der im Rahmen dieser übertägigen Erkundung gewonnenen Erkenntnisse reduziert sich das Teilnehmerfeld auf mindestens zwei Standorte zur untertägigen Erkundung (2). Nach einem wertenden Standortvergleich wird sodann der am besten geeignete Endlagerort festgelegt (3). All diesen Festlegungen gemein ist, dass sie in Form der sog. Legalplanung durch formelle Bundesgesetze erfolgen. Auf die gesetzliche Standortfestlegung folgt eine abschließende verwaltungsbehördliche Anlagengenehmigung nach den Vorschriften des Atomgesetzes (cc). Während jedes Abschnitts sind zur Umsetzung des Ziels eines transparenten und fairen Verfahrens vielfältige Instrumente der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Die nachfolgende chronologische Darstellung der Verfahrensschritte nimmt auf die jeweiligen Elemente Bezug. aa) Vorbereitendes Verfahren (§§ 3 bis 5 StandAG 2013) Das vorbereitende Verfahren zur Standortauswahl umfasste im Wesentlichen die Arbeit der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) und fand seinen Startpunkt mit ihrer Einsetzung am 22. Mai 2014. Ihre Hauptaufgabe bestand nach § 3 Abs. 2 StandAG 2013 darin, einen Bericht vorzulegen, in dem die für das Auswahlverfahren relevanten Grundsatzfragen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle untersucht und bewertet werden. Darüber hinaus sollten Vorschläge für Entscheidungsgrundlagen im Standortauswahlverfahren sowie entsprechende Handlungsempfehlungen für Bundestag und Bundesrat erarbeitet werden.814 Mit der Vorlage des Abschlussberichts am 5. Juli 2016 hat die Endlagerkommission ihre Arbeit eingestellt. Der Zeitrahmen des vorbereitenden Verfahrens ist jedoch weiter zu ziehen. Schließlich bildete der Bericht der Kommission lediglich die Grundlage für eine Reform des StandAG durch den Deutschen Bundestag. Diese Fortentwicklung ist in der zweiten Jahreshälfte 2016 bzw. zu Beginn des Jahres 2017 erfolgt. Die nachfolgenden Unterkapitel skizzieren den Inhalt des Berichts der Endlagerkommission (1) und geben einen Überblick zur Evaluation des StandAG 2013 (2). (1) Der Bericht der Endlagerkommission (§ 4 StandAG 2013) Der Endlagerkommission wurde ein umfangreiches Aufgabenspektrum zugewiesen. Neben dem Katalog an vorzulegenden Vorschlägen nach § 4 Abs. 2 StandAG 2013 sollten auch gesellschaftspolitische und technisch-wissenschaftliche Fragen erörtert und Empfehlungen zum Umgang mit bisher getroffenen Entscheidungen und Festlegungen in der Endlagerfrage ausgesprochen werden. Zusätzlich waren inter814
Zu den Aufgaben der Kommission, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) aa) (2).
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nationale Erfahrungen und entsprechende Implikationen für ein Endlagerkonzept zu analysieren. Aus dieser Tätigkeit resultierten vielfältige Erkenntnisse, deren wesentlicher Inhalt gemeinsam mit den Empfehlungen an den Gesetzgeber dargestellt wird. (a) Aufarbeitung der Vergangenheit und Analyse internationaler Erfahrungen Zur Gewährleistung eines echten Neustarts oblag der Endlagerkommission, aus der konfliktreichen Vorgeschichte815 sowie vergangenen Untersuchungen Rückschlüsse für ein Lagerkonzept zu ziehen.816 Als Ausgangspunkt hat sie die Geschichte der Kernenergie817 sowie die Ausgangssituation zur Entsorgung radioaktiver Abfälle818 analysiert und eine aktuelle Abfallbilanz erstellt.819 Weiterhin wurden nationale Erfahrungen mit Endlagerprojekten wie der Schachtanlage Asse II,820 dem Endlager Morsleben,821 dem Endlager Schacht Konrad822 sowie dem Standort Gorleben823 ausgewertet.824 Darüber hinaus berücksichtigte die Endlagerkommission internationale Erfahrungen zur Auswahl von Endlagerstandorten825 in anderen Ländern wie beispielsweise der Schweiz,826 Schweden827 und Finnland.828 Wie 815 Die Endlagerkommission propagiert hierzu eine neue gesellschaftliche Konfliktkultur, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 27 f., 111 ff.; exemplarisch zur Vorgeschichte Radkau, Die Ära der Ökologie, 2011, S. 211 ff., 368 ff.; Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, Der endlose Streit um die Atomenergie, 2010, S. 79 ff.; Uekötter, Am Ende der Gewissheiten, 2011, S. 97, 99, 161; Geulen, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, Rechtsprobleme der Endlagerung aus der Perspektive Drittbetroffener, 2008, S. 377, 386 f. 816 Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 12; s. a. Flachsbarth, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 21, 23; krit. inwieweit ein echter Neustart vorliegt: Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, die von einem „mittleren Weg durch die Kontingenz der Regulierungsmöglichkeiten“ sprechen. Für radikalere Vorschläge zur Neukonzeption der Endlagersuche, vgl. etwa Ueberhorst, in: Plate (Hrsg.), Forschung für die Wirtschaft 2014, 2015, S. 209 ff. 817 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 72 ff. 818 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 79 ff. 819 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 94 ff.; unter Berücksichtigung des Nationalen Entsorgungsprogramms, vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015; die Abfallbilanz enthält u. a. auch eine Abschätzung zu den aus der Schachtanlage Asse II zu bergenden Abfällen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 97. 820 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 132 ff. 821 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 135 f. 822 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 137 f. 823 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 138 ff. 824 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 164 ff. 825 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 166 ff. 826 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 166 ff.; allgemein zum Verfahren der Schweiz Kuppler, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016,
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herausfordernd diese Aufgabe – auch mit Blick auf den knapp bemessenen Arbeitszeitraum von gut zwei Jahren – war, zeigt die Tatsache, dass sich die Endlagerkommission nicht auf einen gemeinsamen Berichtsteil zum Standort Gorleben einigen konnte.829 Gleichwohl hat sie ihre Empfehlungen zur Gestaltung des Standortauswahlverfahrens explizit auf die Lehren aus der Vergangenheit und das Reflektieren von kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründen für eine neue Verständigung bezogen.830 Unter Rekurs auf identifizierte Missstände erfolgte die Betonung von modalen Elementen eines ergebnisoffenen, transparenten und partizipativen Verfahrens. Ebenso verhält es sich mit der Konzeption der Standortauswahl als vergleichendes Verfahren, welches durch geowissenschaftliche Kriterien geleitet wird, die unabhängig von konkreten Standorten und Wirtsgesteinstypen zu formulieren waren.831 (b) Das Prinzip Verantwortung In Kenntnis dieser Erfahrungswerte im Umgang mit der Kernenergie erhob die Endlagerkommission die Forderung nach einer Zukunftsethik, die sich am Leitziel der Nachhaltigkeit832 orientiert.833 Dies sichere künftigen Generationen ihren Freiheitsraum und bürde ihnen keine unverantwortbaren Lasten auf. Unter Rekurs auf die S. 339 ff.; zu Erfahrungswerten der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Schweiz, vgl. Hocke/ Kuppler, 15. AtomRS, S. 299 ff.; Drögemöller/Kuppler, GAIA 2017, S. 121, 122 f. 827 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 169 ff.; zu einem Vergleich der Länder Frankreich und Schweden vgl. Seier, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 359 ff. 828 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 172 ff. 829 Die Kommission hat hierzu zwei parallele Berichtsfassungen in synoptischer Darstellung ausgearbeitet, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 138 ff.; krit. bzgl. Textvariante B Fischer/Jäger, atw 2016, S. 598, 600. Darüber hinaus stellt die Kommission selbst fest, sich dem Thema Aufarbeitung nicht ausreichend gewidmet zu haben, vgl. S. 355; ähnlich Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 182; krit. und dies nicht als primäre Aufgabe ansehend Bull, ZRP 2016, S. 244. 830 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 26, 30, 131; für eine entsprechende Forderung statt vieler Menzner, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 85, 87 ff. 831 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 30 f.; insb. stellte die Kommission wiederholt auf die Arbeitsergebnisse des AkEnd ab, vgl. hierzu AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002. 832 Der Begriff der Nachhaltigkeit geht zurück auf den Bericht der sog. BrundtlandKommission und umfasst neben ökologischen Absichten auch soziale und ökonomische Ziele, um zu einer Entwicklung zu kommen, mit der die Bedürfnisse der Gegenwart in einer Weise befriedigt werden, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können, s. WCED, Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future, 1987, http://www.un-documents.net/wced-ocf.htm, (geprüft am 30.9.2019); vgl. auch Potthast, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 67, 75 f.; Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2010, S. 25 f.; näher zum Begriff Kahl, EurUP 2017, S. 272, 275 f.; ders., Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, S. 1 ff. 833 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25, 116, 123 f., 130.
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Arbeiten von Hans Jonas,834 Ulrich Beck835 und Lothar Hack836 wurde herausgearbeitet, dass die immer weiter in die Zukunft reichenden Wirkungen technologischer Prozesse eine Modifizierung des Kant’schen Imperativs837 erfordern.838 Der Mensch sei nicht nur Verursacher der globalen ökologischen Probleme, sondern auch herausgefordert, seiner Verantwortung durch ein angemessenes Verhalten auf allen Ebenen gerecht zu werden.839 In diesem Kontext erweitert Jonas in seiner Interpretation eines kategorischen Imperativs die von Kant geprägten Vernunftkriterien um eine Zukunftsperspektive: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten Lebens auf Erden“840
Aus dieser Vorüberlegung legte die Endlagerkommission ihren Handlungsempfehlungen das Prinzip der Verantwortung zugrunde.841 Neben der Zukunftsorientierung des Verfahrens bilden Elemente zur Auflösung bestehender oder entstehender Konflikte die tragenden Säulen dieses Prinzips.842 Erkennbar wird dies an den Gesetzeszielen des Standortauswahlgesetzes wie dem lernenden und ergebnisoffenen Verfahren,843 den Grundsätzen der Generationengerechtigkeit und Reversibilität844 sowie der Definition des Standortes mit der bestmöglichen Sicherheit.845
834 Jonas, Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 1979. 835 Beck, Risikogesellschaft, 1986. 836 Hack, Vor Vollendung der Tatsachen, 1988. 837 „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1978, S. 391 f. 838 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 116 ff.; vgl. zur Problematik der Technikfolgen weiterhin Grunwald/Simonidis-Puschmann (Hrsg.), Handbuch Technikethik, 2013; Grunwald, in: Hocke/Arens (Hrsg.), Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, 2010, S. 73; Grunwald, EuS 1996, S. 191 ff. 839 Vgl. Crutzen, Nature 415/2002, S. 23 f. 840 Jonas, Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 1979, S. 36; näher zur Philosophie von Jonas und dem Prinzip Verantwortung in der Energiewende Potthast, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 67, 74 ff. 841 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 23 f., 116 ff. unter Rekurs auf Hans Jonas; ebenfalls zum „Prinzip Verantwortung“ Müller/Voges, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 57, 72 ff. 842 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 30, 115 f.; für eine Verantwortungsübernahme der jetzigen Generation Ott, in: Karafyllis (Hrsg.), Das Leben führen?, 2014, S. 239, 247. 843 Vgl. Abschnitte D. III. 1. a) ff) und jj). 844 Vgl. Abschnitte D. III. 1. a) gg) und mm); zur Verantwortung gegenüber künftigen Generationen bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle, Kotting-Uhl, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 45, 59 ff. 845 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 26.
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(c) Modale Elemente des Standortsuchverfahrens Ausgehend von diesem Prinzip der Verantwortung hat die Endlagerkommission ihren Vorschlägen sechs Leitziele846 zugrunde gelegt. Unter dem Vorrang der Sicherheit847 (1) solle durch ein faires und gerechtes Verfahren (2) mit umfassender Transparenz und Beteiligungsrechten (3) ein breiter Konsens in der Gesellschaft (4) erreicht werden. Hierbei habe das Verursacher- und Vorsorgeprinzip (5) zu gelten. Die Endlagerkommission erhob den Anspruch, nach einem ergebnisoffenen Prozess einen Weg zu beschreiben, der wissenschaftlich fundiert ist und die bestmögliche Sicherheit848 (6) zu gewährleisten vermag. Diese gleichsam als Richtschnur geeigneten Vorgaben hat der Gesetzgeber aufgegriffen und im Rahmen der Gesetzeszwecke in § 1 StandAG implementiert.849 (d) Endlager mit Reversibilität als technische Entsorgungsstrategie Ihrem Arbeitsauftrag entsprechend hat die Endlagerkommission verschiedene Entsorgungsstrategien geprüft.850 In Übereinstimmung mit Empfehlungen internationaler Organisationen wurde die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen als Garant für die Umsetzung des Primats der Sicherheit identifiziert.851 Diese Entscheidung soll jedoch nicht unumstößlich sein. Ausgehend von ethischen Prinzipien wurde der Grundsatz der Reversibilität852 entwickelt. Ein verantwortungsvoller Umgang mit hoch radioaktiven Abfallstoffen erfordere zum einen die Umkehrbarkeit und somit die Korrekturmöglichkeit potenzieller Fehler im Prozessablauf. Zum anderen sollten anderweitige Entsorgungsoptionen für den Fall offen gehalten werden, dass sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben.853
846 847 848
S. 26. 849
Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25 f., 130 f. Vgl. zur bestmöglichen Sicherheit Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15. Zur Definition, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016,
Für Einzelheiten, vgl. Abschnitt D. III. 1. a). Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 181 ff.; die Endlagerkommission unterscheidet hierbei in „nicht weiter verfolgte Optionen“ (S. 184 ff.), „möglichen Alternativen zur Endlagerung in einem Bergwerk“ (S. 189 ff.) sowie der „Priorität: Endlagerbergwerk mit Reversibilität/Rückholbarkeit/Bergung“ (S. 200 ff.); allgemein zum Auftrag der Alternativenprüfung Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4; Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 13 ff. 851 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 209; vgl. OECD/ NEA, The Safety Case for Deep Geological Disposal of Radioactive Waste: 2013 State of the Art Symposium Proceedings, 2014; IAEA, Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006. 852 Nach der Begriffsdefinition des § 2 Nr. 5 StandAG bedeutet Reversibilität die Möglichkeit der Umsteuerung im laufenden Verfahren zur Ermöglichung von Fehlerkorrekturen. 853 Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 15; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 126 f. 850
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(e) Entscheidungskriterien Maßgeblich für eine räumliche Reduzierung des Suchraumes ausgehend von einem Deutschland der „weißen Landkarte“ bis hin zu dem letztlich am besten geeigneten Standort sind die von der Endlagerkommission entsprechend § 4 Abs. 2 Nr. 2 StandAG 2013 zu erarbeiteten Entscheidungsgrundlagen.854 Ergänzend zu den Sicherheitsanforderungen wurden diese Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und weitere Unterscheidungskriterien mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des StandAG (Fortentwicklungsgesetz)855 in den § 22 bis 26 StandAG für das Standortauswahlverfahren festgeschrieben. Sie dienen dem Vorhabenträger sowie dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zur Ausarbeitung der vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen856 nach § 27 StandAG, zur Durchführung der Erkundungen sowie letztlich dem Standortvergleich und sollen nachfolgend kursorisch dargestellt werden. (aa) Geowissenschaftliche Ausschlusskriterien Ein Ausschlusskriterium ist ein solches Merkmal, bei dessen Erfüllung das jeweilige Bezugsgebiet nicht für ein Endlager geeignet ist und daher aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen wird (Negativkriterium). Die Ausschlusskriterien als schärfstes Merkmal bleiben während des gesamten Auswahlverfahrens gültig.857 Sie wurden in §§ 22 Abs. 2 StandAG implementiert und umfassen großräumige Vertikalbewegungen (Nr. 1), aktive Störungszonen (Nr. 2), Einflüsse aus gegenwärtiger oder früherer bergbaulicher Tätigkeit (Nr. 3), seismische oder vulkanische Aktivität (Nrn. 4 und 5) sowie den Nachweis junger Grundwässer (Nr. 6).858 Eine Besonderheit dieser Kategorie stellen die standortbezogen zu entwickelnden Prüfkriterien859 dar. Diese haben im weiteren Verlauf der Standortsuche die Funktion, für die Ergebnisse der untertägigen Erkundung eines Bereichs Anforderungen festzuhalten, die der konkrete Standort aus sicherheitstechnischen Gründen wenigstens erfüllen muss. Sie dienen damit der Beurteilung geologischer Sachverhalte, deren besondere Bedeutung aus den Ergebnissen der vorläufigen Sicherheitsunter854 Allgemein zur Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen, vgl. Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 18 ff. 855 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 856 Zur Methodik der vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 241 ff. 857 Zur Begriffsdefinition, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 250. 858 Für Einzelheiten zu den jeweiligen Ausschlusskriterien, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 252 ff.; BT-Drs. 18/11398, S. 68 f. 859 Diese werden erst im Laufe des Verfahrens unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Voruntersuchung festgelegt. Funktional handelt es sich allerdings um Ausschlusskriterien, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 52, 284.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
suchungen abgeleitet wird.860 Das Nichterfüllen eines Prüfkriteriums führt zum Ausschluss einer Standortregion bzw. des entsprechenden Teilbereichs eines Standortes. Funktional handelt es sich daher um standortspezifische Ausschlusskriterien.861 (bb) Geowissenschaftliche Mindestanforderungen Eine Mindestanforderung für die Auswahl einer Endlagerregion bzw. eines Endlagerstandortes ist ein solches Kriterium, das per definitionem auf jeden Fall eingehalten werden muss (Positivkriterium). Sofern es nicht erfüllt wird, ist der Standort nicht geeignet und scheidet aus dem weiteren Verfahren aus. Auch die geowissenschaftlichen Mindestanforderungen bleiben während des gesamten Verfahrens gültig.862 Die von der Kommission entwickelten Merkmale beziehen sich im Wesentlichen auf Eigenschaften des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs863.864 Für Endlagerkonzepte, die auf einen einschlusswirksamen Gebirgsbereich verzichten und auf technische und geotechnische Barrieren865 setzen (Wirtsgestein Kristallin), sind die Mindestanforderungen nach § 23 Abs. 4 StandAG entsprechend auf den Einlagerungsbereich866 anzuwenden. Im Einzelnen handelt es sich bei den in § 23 Abs. 5 StandAG formulierten Kriterien um Anforderungen an die Gebirgsdurchlässigkeit (Nr. 1), die Mächtigkeit (Nr. 2) sowie die minimale Teufe des ein-
860 Grundlage hierfür bilden die Erkundungsergebnisse der vorangegangenen übertägigen Erkundung, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 285 ff. unter Bezugnahme auf die Empfehlungen des AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 77. 861 Die Prüfkriterien selbst werden nicht von der Endlagerkommission vorgeschlagen. Diese beschränkt sich lediglich auf eine Empfehlung zum Verfahren und Zeitpunkt der Festlegung, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 251. 862 Zur Begriffsdefinition, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 250. 863 Ein einschlusswirksamer Gebirgsbereich ist nach der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 9 StandAG der Teil eines Gebirges, der bei Endlagersystemen, die wesentlich auf geologischen Barrieren beruhen, im Zusammenwirken mit den technischen und geotechnischen Verschlüssen den sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle in einem Endlager gewährleistet; vgl. auch Driftmann, Das Endlagerkonzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs, 2017, S. 52 ff., 97 ff.; Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 70; näher zum Thema Einschluss als Ausdruck der passiven Sicherheit Röhlig/Häfner/Lux u. a., GAIA 2017, S. 114 f. 864 BT-Drs. 18/11398, S. 69. 865 Technische und geotechnische Barrieren sind nach § 2 Nr. 8 StandAG künstlich erstellte Einheiten, die eine Ausbreitung von Radionukliden be- oder verhindern. 866 Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 10 StandAG versteht man unter dem Einlagerungsbereich den räumlichen Bereich des Gebirges, in dem die radioaktiven Abfälle eingelagert werden sollen; falls das Einschlussvermögen des Endlagersystems wesentlich auf technischen und geotechnischen Barrieren beruht, zählt hierzu auch der Bereich des Gebirges, der die Funktionsfähigkeit und den Erhalt dieser Barrieren gewährleistet.
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schlusswirksamen Gebirgsbereichs (Nr. 3). Zusätzlich werden Ansprüche an die Fläche des Endlagers (Nr. 4) und den Erhalt der Barrierewirkung (Nr. 5) gestellt.867 (cc) Abwägungskriterien Während die Nichterfüllung von Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen zum Ausschluss einer Standortregion führt, dient die Anwendung von Abwägungskriterien dazu, die verbliebenen Gebiete mit Unterstützung von Sicherheitsuntersuchungen untereinander zu vergleichen. Die Endlagerkommission differenziert hierbei zwischen geowissenschaftlichen und planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien sowie dem Instrument der sozioökonomischen Potenzialanalyse. Die vorgenannten Kategorien der Abwägungskriterien wurden auf Empfehlung der Endlagerkommission bereits vor Start des Auswahlverfahrens aus Gründen der Transparenz und dem Prinzip der Verfahrensklarheit in das Standortauswahlgesetz868 implementiert.869 Mithilfe der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien in § 24 StandAG wird beurteilt, ob eine insgesamt günstige geologische Gesamtsituation vorliegt. Grundsätzlich gilt, dass ein einzelnes Abwägungskriterium nicht hinreichend ist, um ein positives Urteil nachzuweisen oder auszuschließen.870 Weiterhin haben Bewertung und Vergleich in einem verbal-argumentativen Abwägungsprozess zu erfolgen. Formale Aggregationsregeln, insbesondere solche mit kompensatorischer Addition der Einzelergebnisse der Kriterienanwendung, seien nicht zielführend.871 Im Einzelnen wurden elf Anforderungen in die drei Gruppen Güte des Einschlussvermögens und Zuverlässigkeit des Nachweises (§ 24 Abs. 3 StandAG), Absicherung des Isolationsvermögens (§ 24 Abs. 4 StandAG) sowie weitere sicherheitsrelevante Eigenschaften (§ 24 Abs. 5 StandAG) gegliedert.872 Als Ausfluss des Primats der Sicherheit qualifiziert die Endlagerkommission planungswissenschaftliche Merkmale grundsätzlich als bloße Abwägungskriterien. Während die Beurteilung der Langzeitsicherheit durch eine gemeinsame Anwendung von geologischen Kriterien und den Ergebnissen der vorläufigen Sicher867 Für Einzelheiten zu den geowissenschaftlichen Mindestanforderungen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 254 ff.; BT-Drs. 18/11398; BTDrs. 18/11398, S. 70 f. 868 Vgl. §§ 24 und 25 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676 sowie BT-Drs. 18/11398, Anlagen 1 – 11, S. 27 ff. bzw. Anlage 12, S. 39 f. 869 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 251 f. 870 Die günstige geologische Gesamtsituation ergibt sich also nicht aus der besonders guten Erfüllung eines einzelnen Kriteriums, sondern aus der Summe der Erfüllung aller Anforderungen und deren Kriterien, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 251, 257. 871 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 251, 259. 872 Zu den Einzelheiten, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 27 ff. (Anlagen 1 – 12).
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heitsuntersuchungen erfolgt, werden die planungswissenschaftlichen Kriterien erst eingesetzt, wenn die sicherheitliche Bewertung zu den zu betrachtenden Gebieten vorliegt.873 Sie bewirken somit eine weitere Einengung unter den zuvor aus sicherheitstechnischen Gesichtspunkten geeigneten Suchräumen.874 Die Endlagerkommission hat, aufbauend auf den Erkenntnissen des Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)875 sowie unter wissenschaftlicher Beratung,876 ein System von planungswissenschaftlichen Kriterien entwickelt, das zwischen obertägigen und untertägigen Planungsaspekten differenziert.877 Zudem sind die Abwägungskriterien entsprechend ihrer Bedeutung in die Gewichtungsgruppen Schutz des Menschen und der menschlichen Gesundheit (Gruppe 1), Schutz einzigartiger Naturund Kulturgüter vor irreversiblen Beeinträchtigungen (Gruppe 2) sowie sonstige konkurrierende Nutzungen und Infrastruktur (Gruppe 3) unterteilt. Die Abwägung der einzelnen Merkmale soll zur besseren Nachvollziehbarkeit wiederum verbalargumentativ erfolgen und nicht in Form einer von den Gutachtern vorgeschlagenen multikriteriellen Bewertungsmatrix.878 In einer späteren Verfahrensstufe treten als weiteres Instrument zur Unterstützung des Filterprozesses sozioökonomische Potenzialanalysen hinzu. Ausgehend von einer vom AkEnd vorgeschlagenen Methodik879 fußen diese Untersuchungen von sozioökonomischen Kriterien880 auf der Überlegung, dass die langfristige Entwicklung einer Standortregion durch die Errichtung eines Endlagers keinen Schaden 873 Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 25 StandAG Rn. 4; Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 145; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 252. 874 Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 69. 875 Vgl. AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 191 ff.; allerdings wurden im Vergleich zum AkEnd eine Unterscheidung in obertägige und untertägige Merkmale vorgenommen. Insbesondere wird stärker hervorgehoben, dass eine Abwägung der planungswissenschaftlichen Kriterien einer fachplanerischen Determination vergleichbar der Bundesfachplanung aus dem NABEG folgt und weniger einer klassischen Raumordnung. Außerdem wurden einige Belange aus den Vorschlägen des AkEnd nicht berücksichtigt, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 295. 876 Vgl. Schlacke/Baumgart/Greiving u. a., „Planungswissenschaftliche Abwägungskriterien“, K-MAT 65, 2016. 877 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S 294 f.; zu einer Übersicht der Kriterien, vgl. BT-Drs. 18/11398, Anlage 12, S. 39 f.; mit einer Bewertung der übertägigen planungswissenschaftlichen Kriterien Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 141 ff. 878 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 295, Schlacke/ Baumgart/Greiving u. a., „Planungswissenschaftliche Abwägungskriterien“, K-MAT 65, 2016, S. 7, 81 ff., 97, 120 f.; näher zu den Vorzügen einer multikriteriellen Bewertungsmatrix Gutberlet, Mining Report 2015, S. 188 ff.; ähnlich Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 146. 879 AkEnd, Empfehlungen des AkEnd, 2002, S. 196 ff. 880 Zur Relevanz sozioökonomischer Faktoren bei der Beurteilung eines angemessenen Sicherheitsabstandes für immissionsschutzrechtliche Anlagen, vgl. BVerwGE 145, 290 Rn. 35 im Anschluss an EUGH, C-53/10, ECLI:EU:C:2011:585, Rn. 44 – Franz Mücksch.
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nehmen soll.881 Die Analysen bilden sowohl mentale als auch materielle Faktoren ab.882 Sie enthalten einen allgemeinen, für alle Standortregionen standardisierten Teil, um zum einen eine Vergleichbarkeit zwischen den untersuchten Bereichen herzustellen und zum anderen die Besonderheiten jeder individuellen Standortregion herauszuarbeiten.883 Darüber hinaus sind auch die spezifischen Potenziale einer jeden Region zu erfassen. Letztlich soll mittels der Potenzialanalyse eine Aussage getroffen werden, ob die Realisierung eines Endlagers in der Standortregion positive, negative oder neutrale Entwicklungschancen erwarten lässt.884 (dd) Sicherheitsanforderungen Zusätzlich zu den vorgenannten Entscheidungsgrundlagen hat sich die Endlagerkommission für eine Verankerung von Sicherheitsanforderungen im Standortauswahlgesetz (§ 26 StandAG) ausgesprochen.885 Hierbei hat sie die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) im Jahr 2010 veröffentlichten „Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Stoffe“886 unter Berücksichtigung der entsprechenden Empfehlungen der Entsorgungskommission887 sowie der Ergebnisse einer Expertenanhörung888 weiterentwickelt.889 Obgleich diese Sicherheitsanforderungen sich erst auf den ausgewählten Standort beziehen, sind sie bereits für das Auswahlverfahren relevant.890 Schließlich bilden sie die Basis für die im Laufe der verschiedenen Verfahrensstufen durchzuführenden vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen nach § 27 StandAG.
881
Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 252, 258. Beispielsweise wirken sich sinkende oder steigende regionale Identität als mentaler, die Entwicklung der natürlichen Umwelt oder der Verkehrsinfrastruktur als materieller Faktor aus, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 298. 883 Für die Untersuchungsgegenstände des standardisierten Teils, vgl. Tabelle 41, Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 298. 884 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 299. 885 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 397 f. 886 BMU, Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle, 30.9.2010. 887 ESK, Leitlinie zum menschlichen Eindringen in ein Endlager für radioaktive Abfälle, 26.4.2012; dies., Leitlinie zur Einordnung von Entwicklungen in Wahrscheinlichkeitsklassen, 13.11.2012; dies., Leitlinie zum sicheren Betrieb eines Endlagers für insbesondere Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle, 10.12.2015. 888 Vgl. Endlagerkommission, Anhörung der Kommission vom 19. November 2015 „Sicherheitsanforderungen des BMU 2010“, K-Drs. 146. 889 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 240 f., 397 f. 890 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 397. 882
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(f) Beteiligung der Öffentlichkeit Die Partizipation breiter gesellschaftlicher Schichten wurde als wesentliches modales Element der Standortsuche bewertet.891 Die Endlagerkommission hat daher entsprechend ihres Auftrags aus § 4 Abs. 2 Nr. 5 StandAG 2013 die zuvor vorgesehenen Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung analysiert und überarbeitet.892 Eingedenk der Historie der Endlagersuche in Deutschland lag ein besonderes Augenmerk auf dem Umgang mit Konflikten im partizipativen Suchverfahren.893 Konkret wurden eine transparente Informationspolitik in Breite und Tiefe, die Gemeinwohlgestaltung unter Beteiligung der Betroffenen sowie Elemente der Mitgestaltung und Nachprüfung als essenziell angesehen. Mit der Entwicklung von Zukunftsperspektiven für die betroffenen Regionen sowie der Ausgestaltung als lernfähiges und selbstheilendes Verfahren soll das Ergebnis der Beteiligung „hochwertiger, legitimierter und akzeptierbar“ gestaltet werden.894 Als einschlägige Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Zielsetzungen empfahl die Kommission, das Nationale Begleitgremium bereits unmittelbar im Anschluss an die eigene Arbeit einzusetzen895 und darüber hinaus die Maßnahmen der Öffentlichkeitsbeteiligungen um eine Fachkonferenz Teilgebiete,896 Regionalkonferenzen897 sowie eine Fachkonferenz Rat der Regionen898 zu ergänzen.899 (g) Verursacherprinzip Als Teilaspekt des Prinzips der Verantwortung sieht die Endlagerkommission die bestmögliche sichere Lagerung radioaktiver Abfälle als eine staatliche Aufgabe900 an. Darüber hinaus bestehe eine gesellschaftliche Pflicht, alles zu tun, dass die Bewältigung dieser Aufgabe gelinge. Für die Betreiber der Kernkraftwerke bedeutet 891 Zu Hintergrund und Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. auch die Ausführungen zur Öffentlichkeit als Akteur in Abschnitt D. III. 1. b) gg); zur Bedeutung von Partizipation als Kommunikations- und Legitimationsfaktor, vgl. bereits Abschnitt C. IV. 892 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39 ff., 57, 316 ff.; vgl. auch Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 42. 893 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39, 111 ff.; vgl. DAEF, Partizipation im Standortauswahlverfahren für ein Endlager, K-MAT 59, 2016, S. 14 f., 22 f.; Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125. 894 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39. 895 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 330. 896 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 331 f. 897 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 332 ff. 898 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 338 ff. 899 Die Umsetzung erfolgte mit dem „Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung“ v. 26.7.2016, BGBl. I S. 1843 bzw. dem „Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze“ v. 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676; zur näheren Ausgestaltung der Instrumente, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) ee) sowie gg). 900 Zur grundrechtlich fundierten Pflicht zum Schutz durch Endlagerung, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) ee).
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
279
dies, dass sie im Rahmen des Verursacherprinzips901 für die Kosten der Lagerung derjenigen radioaktiven Abfallstoffe einzustehen haben, die auf ihre Stromerzeugung zurückgehen.902 Einzelheiten zu den Fragen der Finanzierung hatte die von der Bundesregierung am 14. Oktober 2015 eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)903 zu klären. Ziel war die Finanzierung von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie die Entsorgung der radioaktiven Abfälle so auszugestalten, dass die Unternehmen auch langfristig wirtschaftlich in der Lage sind, ihre Verpflichtungen aus der Nutzung der Kernenergie zu erfüllen.904 Die KFK entwickelte hierzu ein Konzept, das die Handlungsund Finanzierungspflichten im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle auf staatlicher Seite zusammenführt.905 Kernelemente bildeten die Etablierung eines Entsorgungsfonds, auf den die Rückstellungen der Betreiber übergehen sowie die Schaffung von Sondergesellschaftsrecht im Bereich der nuklearen Nachhaftung.906 Zugleich diente eine Enthaftungsmöglichkeit zugunsten der Energieversorgungsunternehmen zur Abfederung der hohen Eingriffsintensität der neuen Regelungen.907 Vor dem Hintergrund der Vorlage des Abschlussberichts der KFK am 27. April
901
Das „Verursacherprinzip“ geht nach allgemeinem Verständnis über seine primäre Funktion als Kostenzurechnungsprinzip hinaus (vgl. Erbguth/Schlacke, Umweltrecht, 2016, § 3 Rn. 11; Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 4 Rn. 52). Als Ausdruck allgemeiner Gerechtigkeitserwägungen besagt es vielmehr, dass der Verursacher grundsätzlich sachliche und finanzielle Verantwortung für den Umweltschutz trägt (vgl. Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2011, § 3 Rn. 18; Scheidler, vr 2010, S. 401, 403). Dieser hat er, soweit möglich, durch potenzielle Vermeidung, Beseitigung oder finanziellen Ausgleich nachzukommen (vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 2016, § 4 Rn. 95; ähnlich Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 2017, § 1 Rn. 17). 902 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 26, 131; hierzu besteht im Schrifttum ein grundsätzlicher Konsens. Umstritten ist lediglich die Reichweite der Finanzierungspflicht, vgl. für eine umfassende Kostentragung Däuper/Bosch/Ringwald, ZUR 2013, S. 329, 332 ff.; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 29; Hellermann, Grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelung zur Refinanzierung der bei der Durchführung des Standortauswahlverfahrens anfallenden Kosten durch die Abfallverursacher, 2012, S. 29 ff.; für eine Begrenzung Moench, atw 2013, S. 103, 104 f.; Arndt, Gutachten zur Kostentragung für alternative Standorte im geplanten Endlagergesetz, 2012, S. 5 ff.; Kraß, 12. AtomRS, S. 257, 263 ff. 903 Vgl. BMWi, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)“, 2015, http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/einset zung-einer-kommission-zur-ueberpruefung-der-finanzierung-des-kernenergieausstiegs.pdf, (geprüft am 26.9.2019). 904 Vgl. statt vieler Küchler/Meyer/Wronski, Atomrückstellungen für Stilllegung/Rückbau und Entsorgung, 2014; Ziehm, ZUR 2015, S. 658; Schewe/Wiesendahl, atw 2015, S. 238; Volk, DStR 2015, S. 2193. 905 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, Vorb. EntsorgFondG Rn. 12; Ludwigs, RW 2018, S. 109, 110. 906 Explizit krit. Krieger, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 25, 36 ff.; ähnlich Uwer, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 2, 7 f.; a. A. Wieland, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 42, 47 ff.; darstellend Beurskens/Mainka, DER KONZERN 2017, S. 425 ff. 907 Vgl. Ludwigs, RW 2018, S. 109, 110.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
2016908 hat die Endlagerkommission davon abgesehen, gesonderte Empfehlungen zur Endlagerfinanzierung vorzuschlagen.909 (h) Informationszugang Um den Grundsatz eines transparenten und partizipativen Verfahrens umzusetzen und die Beteiligung der Öffentlichkeit weiter zu unterstützen, regte die Endlagerkommission die Behebung eines partiellen Informationsdefizits an.910 Als essenziell für eine effektiv nutzbare Transparenz sei das Wissen über die Existenz der Information, der Zugriff auf die Information sowie die Fähigkeit zu ihrer Analyse und wissenschaftlichen oder politischen Einordnung einzustufen.911 Daher müsse gewährleistet sein, dass alle Daten, die im Standortauswahlverfahren entscheidungserheblich sind, unabhängig von der konkreten Form ihrer Aufarbeitung, der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.912 Eine Lösung sah die Endlagerkommission in der Einrichtung einer Informationsplattform im Internet,913 welche durch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung betrieben wird. Das Angebot soll in Abstimmung mit den regionalen Gremien so aufbereitet und erschlossen werden, dass sowohl Laien als auch engagierte Bürger mit Fachwissen, recherchierende Journalisten oder Fachleute aus Wissenschaft und Wirtschaft ein entsprechendes Informations- und Vermittlungsniveau vorfinden.914 Dies setzt eine möglichst einfache Ausgestaltung des Informationszugangs und eine aktive Veröffentlichung aller relevanten Dokumente und Informationen voraus.915 (i) Neuorganisation Behördenstruktur Im Rahmen der Evaluationsaufgabe untersuchte die Endlagerkommission zudem die Aufgabenverteilung der am Standortauswahlverfahren beteiligten Behörden. Das StandAG 2013 sah hierzu in § 6 StandAG 2013 das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Vorhabenträger vor, während § 7 StandAG 2013 dem Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BASE) die Rolle als Regulierungsbehörde zuwies. Diese Aufgabenverteilung an zwei Bundesoberbehörden, die beide unter der Aufsicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit stehen, wurde von verschiedener Seite kritisiert. Zwar sei die Behördenstruktur mit 908 Vgl. KFK, Verantwortung und Sicherheit – Ein neuer Entsorgungskonsens, 27.4.2016; näher zu den Vorschlägen der KFK Ziehm, ZNER 2016, S. 199 ff.; Brandmair, atw 2016, S. 460. 909 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 373. 910 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 388, 390. 911 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 326. 912 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 390. 913 Zur Umsetzung des Vorschlags, vgl. § 6 StandAG sowie die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien, BT-Drs. 18/11398, S. 52; zu näheren Ausführungen zur Informationsplattform, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) gg) (5). 914 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 325, BT-Drs. 18/ 11398, S. 52. 915 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 390.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
281
den europarechtlichen Vorgaben als vereinbar anzusehen.916 Hauptkritikpunkte betrafen aber das Aufgaben- und Kompetenzverhältnis zwischen BfS und BASE,917 die Weisungsbefugnis des BMUB,918 die Einbeziehung Dritter in die Aufgabenerfüllung919 sowie die personelle Ausstattung920 der Bundesoberbehörden.921 Auf dieser Basis hat die Endlagerkommission – um Wirtschaftlichkeit und Transparenz zu fördern – ein Eckpunktepapier922 zur Neuorganisation der Behördenstruktur entworfen.923 Die darin enthaltenen Vorschläge fanden sich auch im Abschlussbericht 916
Statt vieler Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 215, Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 412; insb. sei die von Art. 6 der Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM) geforderte „tatsächliche Unabhängigkeit“ der Regulierungsbehörde von „ungebührlicher Beeinflussung“ sichergestellt; vgl. mit der Einschränkung, dass die Zuständigkeit der Regulierungsbehörde noch nicht das Standortauswahlverfahren, sondern erst das atomrechtliche Genehmigungsverfahren umfasse Bull, DÖV 2014, S. 897, 905 f.; a. A. Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 255; allgemein zum Spannungsfeld der europarechtlich geforderten Weisungsunabhängigkeit von Regulierungsbehörden im Strom-, Gas- und Telekommunikationssektor und dem Demokratieprinzip Ludwigs, VERW (44) 2011, S. 41, 46 ff.; ders., DVBl. 2011, S. 61, 67 ff.; im Gegensatz zu den Regelungen in Art. 35 Abs. 4 S. 2 RL 2009/72/EG (Strom), Art. 39 Abs. 4 S. 2 RL 2009/73/EG (Gas) und Art. 3 Abs. 3a RL 2002/21 EG geändert durch die RL 2009/140/EG (Telekommunikation) wird in Art. 6 der Entsorgungsrichtlinie die Weisungsunabhängigkeit der Regulierungsbehörde nicht explizit gefordert; s. a. Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 138, der für die wortgleiche Formulierung des Art. 5 Abs. 2 RL 2009/71/EURATOM (Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen) nicht von einer Forderung nach umfassender Weisungsfreiheit ausgeht; ebenso Karpenstein, RdE 2010, S. 170, 171. 917 Vgl. Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 15; Posser, FS Dolde, S. 251, 262 f.; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 832; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 27; Bull, DÖV 2014, S. 897, 905 f.; a. A. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 774, der die Trennung von Beteiligungs- und Entscheidungsbehörde als wesentlichen Gewinn für eine funktionierende Öffentlichkeitsarbeit einordnet. 918 Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 27; ders., DVBl. 2014, S. 408, 412; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 280 f.; a. A. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 18. 919 Exemplarisch ist die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) zu nennen, s. a. Bull, DÖV 2014, S. 897, 907; König, ZNER 2012, S. 232, 236. 920 S. a. Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 122; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 412; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 27. 921 Näher zur im Rahmen der Expertenanhörung der Endlagerkommission vom 3.11.2014 geäußerten Kritik Domasch/Sperfeld/Stracke u. a., Atomrechtliche Fragestellungen – im Spannungsfeld zwischen neuen Ansätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bestmöglicher Entsorgung radioaktiver Abfälle, K-MAT 66, 20.6.2016, S. 11 ff. sowie Endlagerkommission, Eckpunktepapier zum Thema „Behördenstruktur“, K-Drs. 91 NEU, 2.3.2015, S. 2. 922 Endlagerkommission, Eckpunktepapier zum Thema „Behördenstruktur“, K-Drs. 91 NEU, 2.3.2015. 923 Domasch/Sperfeld/Stracke u. a., Atomrechtliche Fragestellungen – im Spannungsfeld zwischen neuen Ansätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bestmöglicher Entsorgung radioaktiver Abfälle, K-MAT 66, 20.6.2016, S. 13 f.; vgl. auch Gesetzesbegründung zur Neuorganisation mit dem Schwerpunkt auf Komplexitätsreduktion und Wirtschaftlichkeit BTDrs. 18/8913, S. 14, 17, 19.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
wieder.924 Demnach sollten die Betreiberaufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz, der DBE mbH und der Asse GmbH in der Bundesgesellschaft für kerntechnische Entsorgung (BGE) zusammengeführt werden.925 Die staatlichen Regulierungs-, Genehmigungs- und Aufsichtsaufgaben im Bereich der Sicherheit der Entsorgung von abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen seien in einem Bundesamt zu konzentrieren. An das BMUB wurde die Aufforderung adressiert, einen Vorschlag für Umfang, Aufbau und Struktur einer solchen Regulierungsbehörde auszuarbeiten sowie eine angemessene Personal- und Finanzausstattung sicherzustellen. Weiterhin sei die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde entsprechend den Anforderungen der Entsorgungsrichtlinie zu gewährleisten.926 Diese Handlungsempfehlungen wurde mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung927 bereits unmittelbar nach Vorlage des Abschlussberichts in das StandAG implementiert.928 Lediglich der Forderung nach Bildung einer Clearingstelle wurde nicht entsprochen.929 (j) Veränderungssperren Hinsichtlich der Verwirklichung eines ergebnisoffenen Auswahlverfahrens war ein zentraler Diskussionspunkt, wie mit dem Standort Gorleben umgegangen werden soll.930 Dieser war durch die Gorleben-Veränderungssperren-Verordnung (GorlebenVSpV)931 vor Maßnahmen geschützt, die sich nachteilig auf ein mögliches Endlager auswirken. Die Endlagerkommission identifizierte eine Gefahrenlage, dass durch nachteilige Veränderungen in anderen potenziellen Standortregionen eine Vorfestlegung auf den zu diesem Zeitpunkt einzig abgesicherten Standort resultieren 924 Für eine kursorische Zusammenfassung, vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 120 f.; Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 191 f. 925 Zudem sei eine zukünftige Privatisierung auszuschließen. Die DBE habe weiterhin alle Ressourcen des BfS als Betreiber, der DBE und der Asse GmbH als Verwaltungshelfer bei Planung, Errichtung, Betrieb und Stilllegung von Endlagern sowie des BfS als Vorhabenträger nach dem StandAG unverzüglich übertragen zu bekommen; näher zu den Aufgaben der DBE, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) cc). 926 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 54, 376; dies., Eckpunktepapier zum Thema „Behördenstruktur“, K-Drs. 91 NEU, 2.3.2015, S. 3. 927 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 928 Zu den Einzelheiten der Umsetzungen, vgl. die Vorstellung der Akteure in Abschnitt D. III. 1. b). 929 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 378. 930 Für eine kursorische Darstellung, vgl. Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 192 f. 931 Verordnung zur Festlegung einer Veränderungssperre zur Sicherung der Standorterkundung für eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle im Bereich des Salzstocks Gorleben (Gorleben-Veränderungssperren-Verordnung – GorlebenVSpV), veröffentlicht im BAnz AT 21.7.2015 V1; vgl. auch Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855, 856; ausführlich zur Historie der Sicherung des Standortes Gorleben Abschnitt B. III. 4.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
283
könnte.932 Aus diesen Überlegungen erfolgte die Empfehlung, unverzüglich eine gesetzliche Regelung zu erarbeiten, die eine frühzeitige Sicherung von Standortregionen und Planungsgebieten für potenzielle Endlagerstandorte ermöglicht.933 Der Gesetzgeber solle bei den gesetzlichen Standortentscheidungen nicht an entgegenstehende Planungen der Landes- und Bauleitplanung gebunden sein934 und entsprechende Planungen im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen überwinden können.935 Die Umsetzung erfolgte mit der Novellierung des Standortauswahlgesetzes in § 21 StandAG. (k) Rechtsschutz In der rechtswissenschaftlichen Literatur936 wurde verbreitet Kritik an den im Zuge der Legalplanung eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten des StandAG 2013 geäußert.937 Neben grundsätzlichen Erwägungen standen insbesondere Verstöße gegen Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts zur Diskussion.938 Die Endlagerkommission beschloss nach Einholung wissenschaftlicher Beratung,939 eine zusätzliche verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit im Vorfeld der Standortentscheidung des Deutschen Bundestages zu implementieren, die eine umfassende und möglichst abschließende Überprüfung des Standortauswahlverfahrens einschließlich aller Vorprüfungen und Zwischenschritte erlaubte.940 932
Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 56 f., 384. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 386. 934 Zur Konzentration von Kompetenzen auf Bundesebene, vgl. Abschnitt D. IV. 6 a). 935 Zur Regelung des § 21 StandAG, vgl. Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855, 857 sowie Abschnitt D. III. 1. c) bb) (4). 936 Bull, DVBl. 2015, S. 593, 600; ders., DÖV 2014, S. 897, 904; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 28; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347; Keienburg, atw 2014, S. 571 ff.; Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133; Kment, VERW (47) 2014, S. 377; Posser, FS Dolde, S. 251; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830; Wollenteit, ZNER 2013, S. 132; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 307 ff. 937 Eingehend zur Problematik des eingeschränkten Rechtsschutzes im Zuge der Legalplanung in Abschnitt D. IV. 2. 938 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127 ff.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1138 f.; Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 48 f.; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 32, 48 f.; Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404 f. 939 Vgl. die Gutachten von Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015. 940 Von einem „prozeduralen Kunstgriff“ sprechend Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 933
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Ergänzend solle durch eine Änderung von § 20 StandAG 2013 klargestellt werden, dass es sich zum einen bei dem Standortvorschlag der Bundesregierung tatsächlich um den zuvor vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung ausgearbeiteten und unveränderten Vorschlag handelt.941 Zum anderen wurde gefordert, dass die Eignung des Vorhabens im anschließenden atomrechtlichen Genehmigungsverfahren vollumfänglich zu prüfen sei.942 Mit diesen Änderungsvorschlägen sollte den geäußerten Rechtsschutzbedenken entgegengetreten werden.943 An dem grundsätzlichen Konzept der Legalplanung hielt die Endlagerkommission jedoch fest.944 (l) Exportverbot Die Endlagerkommission hat sich weiterhin mit der Regelung des § 1 Abs. 1 S. 2 StandAG 2013 beschäftigt. Diese zur Umsetzung der Richtlinie 2011/70/EURATOM ergangene Vorschrift normiert in Verbindung mit der Ablieferungspflicht aus § 76 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) die Verpflichtung, bestrahlte Brennelemente aus kerntechnischen Anlagen, die als Leistungsreaktoren betrieben werden, ausschließlich in Deutschland zu entsorgen. Die EU-Richtlinie erstreckt den Grundsatz der inländischen Lagerung und die Ausnahme bei Abschluss völkerrechtlicher Verträge allerdings nicht auf bestrahlte Brennelemente aus Forschungsreaktoren.945 Anlässlich der seinerzeitigen Diskussion zur Verlagerung bestrahlter Brennelemente aus der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich (AVR)946 empfahl die Endlagerkommission die gesetzliche Einführung eines ge-
941 Das Parlament kann den Standortvorschlag nur bestätigen oder ihn ablehnen und nicht wie im StandAG 2013 ggf. einer anderen Standortalternative den Vorzug geben; näher hierzu Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64; a. A. aber von einer faktischen Bindungswirkung ausgehend Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 81 f.; ebenso Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 494. 942 Näher zum Verfahren in Abschnitt D. III. 1. c) bb) sowie cc); zur Kritik an dieser Bestimmung, vgl. Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (2). 943 Zur Vermeidung der Gefahr eines Rückfalls in frühere Verfahrensstufen und zur Stärkung des Vertrauens in das Verfahren sprach sich die Endlagerkommission zusätzlich für eine Beibehaltung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzoption in § 17 StandAG aus, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 401 ff.; krit. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 139 f. 944 Zu den Erwägungsgründen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 381 ff., 383 f.; vgl. auch Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 193 f. 945 Vgl. Ausführungen zu den Zielen des StandAG in Abschnitt D. III. 1. a). 946 Das dortige Zwischenlager muss wegen einer auslaufenden und aus Sicherheitsgründen nicht verlängerbaren Genehmigung geräumt werden. Da die Brennelemente aus den USA bezogen wurden, steht neben dem Neubau eines Zwischenlagers in Jülich und der Zwischenlagerung in Ahaus auch die Rückführung in die USA in Rede, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 387.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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nerellen Exportverbots.947 Dies sei ein wichtiges Signal, um das Ziel einer umfassenden Endlagerung948 von hoch radioaktiven Abfällen im Inland zu unterstreichen.949 Allerdings sei die Regelung so auszugestalten, dass Wissenschaft und Spitzenforschung in Deutschland nicht eingeschränkt werden und zwingende Gesichtspunkte der Non-Proliferation950 Berücksichtigung finden.951 (m) Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz Darüber hinaus wurde diskutiert, inwieweit der Kernenergieausstieg unumkehrbar ausgestaltet werden könnte. Die Endlagerkommission hat zur Überprüfung der Umsetzungsmöglichkeiten zwei wissenschaftliche Gutachten952 in Auftrag gegeben. Diese kamen übereinstimmend zum Ergebnis, dass die Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz an mehreren Stellen953 prinzipiell möglich und auch zulässig wäre.954 Es stelle ein verfassungspolitisch plausibles Ziel dar, die Symbolwirkung der Verfassung zu aktivieren, um zu verdeutlichen, dass der Atomausstieg eine Wertentscheidung von grundsätzlicher und gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist.955 Andererseits solle eine Grundgesetzänderung aber auch nicht dazu instrumentalisiert werden, um einer etwaigen gesellschaftspolitischen Debatte zu entfliehen.956 Die Endlagerkommission kam nach einer Diskussion der in den Gutachten genannten 947
Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 402; vgl. auch Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 193. 948 Dies bedeutet eine Erweiterung des Regelungsbereichs insb. auch auf bestrahlte Brennelemente aus Forschungsreaktoren. 949 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 388; krit. zum Export von atomaren Abfällen aus ökonomischen Erwägungen Isidoro Losada, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 313, 330 f.; Borck, Die Endlagerung radioaktiver Abfälle aus Deutschland im Ausland, 2014, S. 95 f. 950 Als Beispiel nennt die Endlagerkommission, dass ein ausländischer Staat zur Lieferung von Kernbrennstoffen an einen Forschungsreaktor nur unter der Bedingung bereit sei, dass die bestrahlten Brennelemente später wieder an ihn zurückgegeben werden, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 388. 951 Zur ausgebliebenen Aufnahme in das StandAG und Regelung in § 3 Abs. 6 AtG, vgl. Ausführungen in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (2) (b) sowie D. IV. 7. b). 952 Gärditz, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz?, K-MAT 61, 29.3.2016; Roßnagel, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz, K-MAT 62, 2016. 953 Genannt wurden die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG, die Neueinführung einer Staatszielbestimmung Art. 20b GG, die Ergänzung des Art. 2 Abs. 2 GG um einen neuen Satz 4, eine Änderung der Kompetenznorm des Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG bzw. die Ergänzung der Kompetenznorm des Art. 87c GG; vgl. auch Zusammenfassung bei Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 399. 954 Zur Formulierung „möglich und zulässig“, vgl. Roßnagel, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz, K-MAT 62, 2016, S. 67. 955 Gärditz, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz?, K-MAT 61, 29.3.2016, S. 29 ff., 36, 46. 956 Darin eine „demokratieinadäquate Entpolitisierung“ erkennend Gärditz, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz?, K-MAT 61, 29.3.2016, S. 6, 26 ff., 47.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Vorschläge zu dem Schluss, dass eine grundgesetzliche Verankerung den Atomausstieg zwar nicht unumkehrbar machen, wohl aber eine starke faktische Bindungswirkung entfalten würde.957 Letztlich hat sie in dieser Frage aber eine politische Entscheidung erkannt, die sie nicht präjudizieren wollte. Folglich wurde eine offene Empfehlung zum etwaigen Handlungsbedarf an den Gesetzgeber ausgesprochen.958 (2) Evaluierung des Standortauswahlgesetzes Der Bericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe stellt zwar einen wesentlichen Bestandteil des vorbereitenden Verfahrens dar. Seinen Abschluss fand diese Etappe damit aber noch nicht. Schließlich waren der Bericht und die darin enthaltenen Empfehlungen nach § 4 Abs. 4 S. 2 StandAG 2013 durch den Deutschen Bundestag in Gesetzesform zu gießen.959 Inwieweit die Handlungsempfehlungen und die Vorschläge der Endlagerkommission eine Bindungswirkung für den Gesetzgeber entfalten könnten, war im Schrifttum umstritten. Das diesbezügliche Meinungsspektrum soll nachfolgend skizziert und bewertet werden (a), um anschließend die Umsetzung der Empfehlungen durch den Gesetzgeber darzustellen (b) und das vorbereitende Verfahren zu bewerten (3). (a) Bindungswirkung des Berichts der Endlagerkommission Für den weiteren Umgang mit dem Bericht der Endlagerkommission enthielt das StandAG 2013 zweierlei Vorgaben. Zum einen stellte nach § 4 Abs. 2 S. 2 StandAG 2013 der Bericht die Grundlage für die Evaluation des StandAG durch den Deutschen Bundestag dar. Zum anderen hielt § 4 Abs. 5 StandAG 2013 hinsichtlich der Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen, Abwägungskriterien und der anderen Entscheidungsgrundlagen fest, dass sie von der Kommission als Empfehlungen erarbeitet und vom Bundestag als Gesetz beschlossen werden. Vor dem Hintergrund dieser Formulierung wurde diskutiert, inwieweit die Empfehlungen der Endlagerkommission eine Bindungswirkung für den Deutschen Bundestag entfalten bzw. ob eine solche überhaupt zulässig wäre. Bereits der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass eine formelle Bindungswirkung nicht beabsichtigt war.960 Wenngleich der Wortlaut mit der indikativen Präsensformulierung („werden […] vom Deutschen Bundestag als Gesetz beschlossen“) eine gewisse Vorfestlegung andeutete,961 ist eine 957
In diese Richtung bereits früher Schwarz, BayVBl. 2013, S. 65, 68. Insb. sah sie die Ambivalenz in einer Abwägung zwischen der Nutzung der Symbolwirkung zur gesellschaftlichen Befriedung und den mit einer Entpolitisierung des Themas verbundenen verfassungspolitischen Vorbehalten, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 399. 959 Vgl. statt vieler Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 46 ff. 960 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 22. 961 Zumindest dem „technischen Teil“ des Kommissionsberichts (der Empfehlung der Entscheidungsgrundlagen nach § 4 Abs. 5 StandAG 2013) wird eine „gewisse normative Kraft“ zugesprochen, vgl. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 831; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; a. A. Smeddinck/Will958
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strikte Verbindlichkeit aus demokratischen Erwägungen und dem Grundsatz des freien Mandats abzulehnen.962 Nicht von der Hand zu weisen sind jedoch die faktischen Auswirkungen, die sich durch die Arbeit der Kommission quasi als Vorfestlegungen ergeben.963 Um die Zielsetzung des Standortauswahlverfahrens zur Schaffung von Vertrauen und Akzeptanz für eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes nicht bereits am ersten Zwischenschritt zu konterkarieren, erschien es naheliegend, dass sich die Abgeordneten (weitestgehend) an die Empfehlungen einer Expertenkommission halten.964 Kritik im Hinblick auf die damit verbundene „Expertokratisierung“965 und „Verantwortungsdiffusion“966 ist aber in erster Linie eine verfassungspolitische und weniger eine verfassungsrechtliche Fragestellung.967 Naturwissenschaft und Technik können keine normativen Handlungsanweisungen geben. Parlamente bleiben bei der Aufarbeitung externen Wissens Akteure und sind keine bloßen Rezipienten.968 Sofern also der Gesetzgeber die Empfehlungen der Kommission übernommen hat – sei es selbst im Wortlaut 1:1 – so resultiert dies nicht aus einer rechtlich angelegten Bindungswirkung, sondern ist Ausdruck einer im parlamentarischen Prozess gewonnenen freien Entscheidung.969 In einer Gesamtschau lässt sich die Arbeit der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe eingedenk des Umstands, dass sich aus Gründen der Transparenz und zur Schaffung von Vertrauen bei Abweichungen von den Empfehlungen eine besondere Begrün-
mann, EurUP 2014, S. 102, 106 ff., 108, die aus dem Begriff „Empfehlung“ auf eine Unverbindlichkeit schließen. 962 Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 106 ff., 109 f.; ähnlich Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 15; krit. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 67. 963 Vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 138, 146; Bull, DÖV 2014, S. 897, 901; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 831; ähnlich in Bezug auf eine Analyse der Arbeit von Expertenkommissionen in der 14. und 15. Legislaturperiode Siefken, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 112. 964 Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 25; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 109 f.; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; Bull, DÖV 2014, S. 897, 901. 965 Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 356; allgemein zur Kritik an Expertengremien im Rahmen von Politikberatung Puhl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 48 Rn. 41 ff.; Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 52. 966 Vgl. Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 ff. 967 Näher zum verfassungsrechtlichen Konflikt des „Outsourcing von Entscheidungsverantwortung“ mit dem Demokratieprinzip in Abschnitt D. IV. 5. 968 Gärditz, EurUP 2013, S. 2, 14; Lepsius, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 326, 331. 969 S. a. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 832; ähnlich und hierin eine Schwäche erkennend Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 120; krit. und lediglich ein „gesetzgeberisches Notariat“ annehmend, Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281.
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dungspflicht970 ergibt, in die Kategorie der entscheidungspräformierenden Beratung einordnen.971 (b) Umsetzung der Empfehlungen Dieser Befund wird von der Umsetzungspraxis gestützt. Das Parlament hat eine sehr weitgehende Implementierung der Handlungsempfehlungen der Endlagerkommission vorgenommen. Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26. Juli 2016972 wurden u. a. die Funktion des Vorhabenträgers vom Bundesamt für Strahlenschutz auf die BGE übertragen sowie die Tätigkeitsaufnahme des nationalen Begleitgremiums zeitlich nach vorne verlegt.973 Der Großteil der weiteren Empfehlungen fand mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze (Fortentwicklungsgesetz) vom 5. Mai 2017974 Eingang in das Standortauswahlgesetz. Wie voraussetzungsvoll die Herstellung von Vertrauen bei den beteiligten Akteuren ist, zeigte die den Gesetzgebungsprozess begleitende Debatte um den Umsetzungsmaßstab. An einem vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) entwickelten Gesetzentwurf,975 der in einigen Formulierungen vom Wortlaut der Kommissionsempfehlung abwich, entspann sich vehemente Kritik.976 Festzuhalten bleibt jedoch, dass mit Ausnahme des Vorschlags zur 970 Näher zur gesetzgeberischen Begründungspflicht und Argumentationslast, vgl. Waldhoff, FS Isensee, S. 325 ff.; eine Begründungspflicht ebenfalls ablehnend, die Erläuterung gesetzlicher Vorhaben allerdings als „Klugheitsgebot“ einordnend Schwarz/Bravidor, JZ 2011, S. 653, 657, 659. 971 Vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 47; zwar sei der staatliche Hoheitsträger rechtlich weiterhin (allein) zur Entscheidung berufen. Jedoch ergebe sich „eine Art Beweislastumkehr“, wenn der Hoheitsträger, der aufgrund des Sachverständigengefälles tatsächlich kaum in der Lage ist, die sachverständigen Aussagen näher zu überprüfen, der konkreten Stellungnahme nicht folgt. 972 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 973 Vgl. die Darstellung der Kommissionsempfehlung in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (i) sowie die Vorstellung der Akteure in Abschnitt D. III. 1. b) bb), cc) und ee). 974 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 975 Der Entwurf trägt den Titel „Formulierungshilfe“. Es sollte wohl der Eindruck vermieden werden, dass von behördlicher Seite Vorgaben für die Mitglieder des Bundestages gemacht werden; ähnlich Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 204; vgl. zu den unterschiedlichen Fassungen BMUB, Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf der Fraktionen, 25.11.2016; im Fortgang hat die Bundesregierung den Entwurf leicht modifiziert und als Grundlage für eine Gesetzentwurf an die Fraktionen weitergegeben, vgl. Bundesregierung, Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf der Fraktionen, 21.12.2016. 976 Vgl. die Ergebnisse der Bürger/Innenanhörung des Nationalen Begleitgremiums am 10.2.2017; insb. wurde eine Präzisierung der Auswahlkriterien sowie eine Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten angemahnt, NBG, Ergebnisbericht der Bürger/innen-Anhörung
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Einführung eines generellen Exportverbotes977 und der Einrichtung einer Clearingstelle978 die Kommissionsempfehlungen nahezu vollumfänglich in das StandAG übernommen wurden. (3) Zusammenfassung Mit dem Inkrafttreten des Fortentwicklungsgesetzes979 am 16. Mai 2017 hat das vorbereitende Verfahren der Standortauswahl seinen Abschluss gefunden. Die Arbeit der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe kann in einer Gesamtschau als Erfolg bezeichnet werden. Ihr Abschlussbericht wurde nach intensiven Diskussionen und Kompromissen nahezu im Konsens verabschiedet. Die Gegenstimme von Klaus Brunsmeier (BUND) lehnt die beschlossenen Empfehlungen keineswegs kategorisch ab, sondern konzentriert die Kritik auf einzelne Punkte, wie den fehlenden Ausschluss des Standortes Gorleben.980 Diese Ablehnung ist, ebenso wie die weiteren fünf Sondervoten,981 sinnbildlich für ein pluralistisch besetztes Gremium und sollte keineswegs in ein Scheitern umgedeutet werden. Trotz des selbstbewussten Auftretens der Kommission, die ihren Arbeitsauftrag umfassend anging, zeigt sich an verschiedenen Stellen auch eine wohltuende Zurückhaltung, wie etwa beim Thema Finanzierung oder dem Verzicht, eine Festschreibung des Atomausstiegs im Grundgesetz zu fordern. Im Hinblick auf die Umsetzung der Handlungsempfehlungen erwiesen sich weder die Titulierung der Endlagerkommission als „Alibiveranstaltung“982 noch die Befürchtungen einer faktischen Bindungswirkung als zutreffend. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr vom Bericht der EndlagerkomStandortauswahlgesetz, 6.3.2017, S. 7 ff.; für einen Überblick zur Reichweite der Umsetzung des Berichts der Endlagerkommission, vgl. die Gutachten Smeddinck, Rechtsgutachten zum Eingang der Empfehlungen der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ aus dem Abschlussbericht „Verantwortung für die Zukunft“ in die letzte Formulierungshilfe des Bundesumweltministeriums für einen Gesetzentwurf der Fraktionen, Januar 2017; Wollenteit, Gutachten zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe in dem „ABSCHLUSSBERICHT der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ – K-Drs. 268, 20.1.2017. 977 Zur Kritik des Nationalen Begleitgremiums, vgl. NBG, Klares Exportverbot für Brennelemente aus Forschungsreaktoren fehlt, 10.4.2017; eine entsprechende Regelung, die der Ausfuhr von Abfällen aus Forschungsreaktoren enge Grenzen setzt, wurde stattdessen in § 3 Abs. 6 AtG aufgenommen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 77; Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 AtG Rn. 12. 978 Näher hierzu in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (f); vgl. auch Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 399. 979 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 980 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 413 ff., 419. 981 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 423 ff.; näher dazu Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 218 ff. 982 Für einen Überblick der Vorwürfe gegen die Endlagerkommission, vgl. Syrovatka, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 211, 220 ff., 222.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
mission leiten lassen und den weit überwiegenden Teil der Vorschläge in Gesetzesform gegossen. Er zog sich jedoch nicht auf ein „gesetzgeberisches Notariat“983 zurück, sondern nahm seine Aufgaben als autonomer Akteur wahr und reagierte beispielsweise nicht auf die Forderung nach einer Aufnahme des Atomausstiegs in das Grundgesetz.984 Die Einhaltung des Zeitplanes durch die Endlagerkommission, die Evaluation des Standortauswahlgesetzes noch in der 18. Legislaturperiode sowie die Umsetzung eines Großteils der Handlungsempfehlungen durch den Gesetzgeber stellt das Bewusstsein aller Akteure für die große Verantwortung heraus, die mit der Standortsuche für ein atomares Endlager verbunden ist. Bezeichnend ist aber auch die Namensgebung des vom BMUB ausgearbeiteten grundlegenden Gesetzesentwurfs985 als „Formulierungshilfe“. Vermutlich soll damit auch semantisch verdeutlicht werden, dass die Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes durch den Deutschen Bundestag zu erfolgen hat. Exemplarisch wird darin eine gewisse Vorsicht der Beteiligten erkennbar, die gefundene Arbeitsbasis nicht zu gefährden und alten Vorurteilen keine neue Nahrung zu geben.986 bb) Standortauswahlverfahren „im engeren Sinne“ Der Abschluss des vorbereitenden Verfahrens im Jahr 2017 kennzeichnete den Beginn der eigentlichen Standortsuche. Das Standortauswahlverfahren im engeren Sinne enthält die konkrete Identifizierung des bestmöglichen Standortes für eine Anlage zur Einlagerung radioaktiver Abfälle nach den §§ 12 bis 21 StandAG. Ausgehend von sämtlichen hinsichtlich ihrer Eignung zu bewertenden räumlichen Bereichen innerhalb Deutschlands987 werden Teilgebiete988 und Standortregionen989 bestimmt, die mittels einer übertägigen Erkundung (1) auf ihre Tauglichkeit untersucht werden. Diese Ergebnisse münden in die Festlegung von Standorten für eine untertägige Erkundung990 (2), auf deren Basis nach einem abschließenden Standortvergleich eine Entscheidung über den Endlagerstandort (3) getroffen wird. Zum Schutz vor nachteiligen Veränderungen enthält § 21 StandAG weiterhin Regelungen 983 Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281. 984 Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 62; mit Betonung des Letztentscheidungsrechts des Gesetzgebers Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 205, wenngleich kritisch in Bezug auf die Nutzung der Kommissionsempfehlungen als Legitimationsressource („unkritische Akzeptanz des Kommissionslegitimationsansatzes in der Politikpraxis […], [der] die Verantwortung scheut“). 985 BMUB, Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf der Fraktionen, 25.11.2016. 986 Krit. in Bezug auf eine Einschränkung des Initiativrechts der Bundesregierung, Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 357, 363. 987 Dies sind „Gebiete“ i. S. d. Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 6 StandAG. 988 Vgl. Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 18 StandAG. 989 Vgl. Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 19 StandAG. 990 Vgl. Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 20 StandAG.
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zur frühzeitigen Sicherung von Gebieten, die als möglicher Endlagerstandort in Betracht kommen (4). Für die durchzuführenden Erkundungen erklärt § 12 Abs. 1 StandAG verschiedene Vorschriften des Bundesberggesetzes (BBergG) sowie des Atomgesetzes (AtG) für anwendbar. Die Bezugnahme auf das Bergrecht ist aufgrund der im Wesentlichen bergmännischen Tätigkeiten während der Erkundungsmaßnahmen angezeigt.991 Der Verweis auf die Vorschriften des AtG ermöglicht die atomrechtlichen Enteignungsund Duldungsvorschriften im Standortauswahlverfahren zur Sicherstellung der erforderlichen Vorarbeiten anzuwenden.992 Der Ablauf der jeweiligen Verfahrensschritte wird nachfolgend chronologisch unter Berücksichtigung der Elemente der Öffentlichkeitsbeteiligung und des voraussichtlichen Zeitbedarfs aufgearbeitet. Die Endlagerkommission hat in ihrem Abschlussbericht hinsichtlich des Zeitbedarfs zwischen zwei Szenarien unterschieden.993 Zum einen wird auf die Zeitvorgaben des StandAG 2013 abgestellt (Szenario 1). Maßgeblich ist hierzu der Zielwert des § 1 Abs. 5 StandAG, der die Festlegung des Standortes994 für das Jahr 2031 anstrebt.995 Zum anderen wurde nach aktuellen Erfahrungswerten und unter Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen der Endlagerkommission der auf die jeweiligen Schritte entfallende Zeitbedarf geschätzt und summiert (Szenario 2). Unter Ansatz von plausiblen Werten für Genehmigungsverfahren, Öffentlichkeitsbeteiligung, Abstimmungs- und Abwägungsprozesse, Rechtsschutzverfahren sowie für die Nacherhebung von Daten und die Erkundung von Gebieten sei alleine für die erste Etappe der Endlagererrichtung (Standortauswahlverfahren im engeren Sinne) ein Zeitbedarf von 35 bis 61 Jahren realistisch.996
991
Zu § 12 StandAG 2013, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 15 ff. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 23, 24 und 26. 993 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 210 ff.; Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016; für einen Kurzüberblick, vgl. Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 16. 994 Die anschließende Errichtung der Endlageranlage einschließlich aller bergtechnischer Funktionen ist bis zum Jahr 2050 beabsichtigt. Daran schließt sich ein Einlagerungsbetrieb von voraussichtlich 20 bis 30 Jahren an. Die Endlagerkommission bewertet diese Zeitansätze explizit kritisch, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 210 f.; ähnlich Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 25. 995 Krit. hinsichtlich dieser Zeitvorgabe Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 356; die Zielvorgabe im Bereich zwischen „ehrgeizig und unrealistisch“ einordnend Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101. 996 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 210; die Streubreite des Zeitansatzes erklärt sich durch die Annahme eines pessimistischen, realistischen und optimistischen Szenarios, vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 14; die Errichtung der Endlageranlage ist im realistischen Szenario erst im Jahr 2117 vorgesehen. 992
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
(1) Festlegung von Standorten zur übertägigen Erkundung Das Verfahren zur Ermittlung geeigneter Standortregionen, die Bestandteil der übertägigen Erkundung werden, ist in den §§ 13 bis 15 StandAG geregelt. Die Suchräume für den Endlagerstandort werden, ausgehend vom gesamten deutschen Staatsgebiet, in den einzelnen Phasen des Verfahrensabschnitts jeweils reduziert.997 Diese Eingrenzung erfolgt durch den Vorhabenträger mithilfe der Entwicklung von Endlagersystemen998 für unterschiedliche geologische Formationen und Konfigurationen. Diese Systeme sind Voraussetzung für die Anwendung der in den §§ 22 bis 26 StandAG festgelegten Anforderungen und Kriterien sowie die Durchführung von vorläufigen999 Sicherheitsuntersuchungen nach § 27 StandAG.1000 Mit fortschreitendem Kenntnisstand soll die Entwicklung der Endlagersysteme standortspezifisch konkretisiert werden. Für die zuerst erfolgende Ausweisung von Teilgebieten genügen jedoch zunächst generische Endlagerkonzepte, welche an die Konfigurationen der verschiedenen Wirtsgesteine angepasst sind.1001 In einem ersten Schritt adressiert § 13 Abs. 1 StandAG den Auftrag an den Vorhabenträger, aufgrund der gesetzlich festgelegten geowissenschaftlichen Anforderungen und Kriterien Teilgebiete zu ermitteln, die günstige geologische Voraussetzungen für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle erwarten lassen. Hierzu werden zunächst für das gesamte Bundesgebiet relevante geologische Daten der zuständigen Bundes- und Landesbehörden erfasst und spezifisch aufbereitet.1002 Unter Anwendung der geowissenschaftlichen Ausschlusskriterien nach § 22 StandAG1003 werden diejenigen Bereiche identifiziert, welche für ein Endlager grundsätzlich nicht geeignet sind. Mit Hilfe der geowissenschaftlichen Mindestanforderungen1004 grenzt der Vorhabenträger die in Betracht kommenden Flächen weiter ein. Diese Gebiete werden anschließend anhand der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien1005 997
BT-Drs. 17/13471, S. 25. Unter Endlagersystem ist das den sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle durch das Zusammenwirken der verschiedenen Komponenten bewirkende System zu verstehen, das aus dem Endlagerbergwerk, den Barrieren und den das Endlagerbergwerk und die Barrieren umgebenden oder überlagernden geologischen Schichten bis zur Erdoberfläche besteht, soweit diese Barrieren und Schichten zur Sicherheit des Endlagers beitragen, vgl. § 2 Nr. 11 StandAG. 999 Die im Rahmen des StandAG durchzuführenden Sicherheitsuntersuchungen werden jeweils als „vorläufig“ bezeichnet. Der „abschließende“ Sicherheitsnachweis ist erst im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren zu führen, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 21. 1000 BT-Drs. 18/11398, S. 58; zum Begriff, vgl. § 2 Nr. 16 StandAG. 1001 BT-Drs. 18/11398, S. 58. 1002 BT-Drs. 18/11398, S. 58. 1003 Näher zu den geowissenschaftlichen Ausschlusskriterien in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (e) (aa). 1004 Vgl. zu den geowissenschaftlichen Mindestanforderungen die Ausführungen in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (e) (bb). 1005 Die geowissenschaftlichen Abwägungskriterien (§ 24 StandAG) werden in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (e) (cc) näher dargestellt. 998
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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näher untersucht.1006 In einem Zwischenbericht an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) weist der Vorhabenträger sodann diejenigen Teilgebiete aus, die sich auf Grundlage der Abwägung als besonders günstig erwiesen haben. Dieser Zwischenbericht umfasst neben der Benennung von Teilgebieten mit günstigen geologischen Voraussetzungen sowie den zugrunde liegenden entscheidungserheblichen Tatsachen und Erwägungen auch eine Ausweisung solcher Bereiche, die aufgrund unzureichender geologischer Daten nicht eingeordnet werden können. Zu der Empfehlung des Vorhabenträgers zum weiteren Umgang mit diesen Gebieten nimmt das Nationale Begleitgremium Stellung. Der gesamte Zwischenbericht ist im Wege einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung Bestandteil der Erörterung durch die Fachkonferenz Teilgebiet.1007 Diesem Verfahrensabschnitt folgt eine Phase, in welcher der Vorhabenträger auf Basis des § 14 StandAG aus den Teilgebieten nach § 13 Abs. 1 StandAG die Standortregionen für die übertägige Erkundung ermittelt. Durch repräsentative vorläufige Sicherheitsuntersuchungen nach § 27 StandAG werden nähere Bewertungen zur Möglichkeit der Realisierung eines sicheren Endlagers erarbeitet. Diese vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen enthalten eine Bewertung, welche geologischen Eigenschaften der Standortregionen besonders positive oder auch negative Auswirkungen auf ein Endlager haben könnten. Auf Grundlage einer solchen Bewertung ermittelt der Vorhabenträger unter erneuter Anwendung der geowissenschaftlichen sowie ggf. des erstmaligen Gebrauchs von planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien nach § 25 StandAG einen Vorschlag für günstige Standortregionen.1008 Diese Empfehlung wird dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung einschließlich einer Begründung, den Ergebnissen der vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen sowie den Resultaten des Beteiligungsverfahrens1009 übermittelt. Als Instrument der Öffentlichkeitsbeteiligung obliegt den Regional1006
Planungswissenschaftliche Abwägungskriterien (§ 25 StandAG) sind in diesem Verfahrensabschnitt aufgrund des generischen Charakters noch nicht von Belang. 1007 Dieses Instrument wurde auf Vorschlag der Endlagerkommission zur Umsetzung des Grundsatzes eines partizipativen Standortauswahlverfahrens mit § 9 in das StandAG eingefügt. Die Fachkonferenz Teilgebiet als lose Zusammenkunft von Vertretern der Teilgebiete soll eine möglichst frühzeitige Einbeziehung und somit eine kontinuierliche Beteiligung bereits zu Beginn des Standortauswahlverfahrens gewährleisten, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 54 f. sowie Abschnitt D. III. 1. b) gg) (4). 1008 Es ist zu erwarten, dass der Bereich einer Standortregion in der Regel weit größer sein wird, als die für ein Endlager an der Oberfläche und im Untergrund benötigte Fläche, vgl. BTDrs. 18/11398, S. 58; darüber hinaus hat der Vorhabenträger gemäß § 14 Abs. 1 StandAG bereits vor der gesetzlichen Entscheidung für die übertägig zu erkundenden Regionen standortbezogene Erkundungsprogramme zu erarbeiten. Hierbei handelt es sich um eine Modifizierung des ursprünglichen Verfahrens, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 59; dies ermöglicht eine einheitliche Behandlung im Rahmen der Beteiligungsverfahren, vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 8. 1009 Zu den Ergebnissen des Beteiligungsverfahrens zählen auch Stellungnahmen i. S. d. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StandAG, die der Vorhabenträger nach Veröffentlichung der wesentlichen Unterlagen erhalten hat, sowie die Beratungsergebnisse der Fachkonferenz Teilgebiete, vgl. BTDrs. 18/11398, S. 55, 59.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
konferenzen nach § 10 Abs. 5 StandAG das Recht einen Nachprüfungsantrag1010 an das BASE zu stellen, sofern sie einen Mangel in den Vorschlägen des Vorhabenträgers rügen. Zur Unterstreichung des ergebnisoffenen Charakters der Endlagersuche enthält § 14 Abs. 2 StandAG auch Regelungen zum Umgang mit eventuellen Informationsdefiziten. Für den Fall, dass bei einzelnen Gebieten keine hinreichende Datenbasis für eine Anwendung der Kriterien nach den §§ 22 bis 26 StandAG besteht, arbeitet der Vorhabenträger eine Empfehlung zum Umgang mit diesen Bereichen aus und integriert diese in seinen Vorschlag. Mit einem solchen Vorgehen soll verhindert werden, dass Gebiete allein deshalb aus dem Suchprozess ausgeschlossen werden, weil über sie zu wenig bekannt ist.1011 Weiterhin legt die BGE nach Maßgabe des § 14 Abs. 3 StandAG gemeinsam mit ihrem Vorschlag die zuvor ausgearbeiteten standortbezogenen Erkundungsprogramme für die übertägigen Erkundungen dem BASE zur Überprüfung und Festlegung vor. Das weitere Verfahren zur Entscheidung über die übertägig zu erkundenden Standortregionen sowie die Festlegung der standortbezogenen Erkundungsprogramme1012 bestimmt § 15 StandAG. Im Rahmen seiner Kompetenzen prüft und bewertet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung den Vorschlag des Vorhabenträgers.1013 Sofern Abweichungen beabsichtigt werden, erhält die BGE gemäß § 15 Abs. 1 StandAG Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Zuge seiner Überprüfung führt das BASE nach dem Regime des § 7 StandAG1014 Maßnahmen der 1010 Der Nachprüfungsantrag soll durch eine starke Einflussmöglichkeit der Betroffenen das Beteiligungsverfahren qualifizieren, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 56. Jedoch ist die Wirkmächtigkeit des Instruments begrenzt. Sofern das BASE im Wege der Nachprüfung Überarbeitungsbedarf erkennt, legt der Vorhabenträger einen aktualisierten Vorschlag vor. Eine erneute Rüge steht den Regionalkonferenzen nach § 10 Abs. 5 S. 2 StandAG nicht zu. 1011 Die in der Gesetzesbegründung vorgenommene Einschränkung, dass zu erwarten sein muss, „dass sich unter diesen Gebieten ein Standort befindet, der auf Grundlage der Kriterien in § 22 bis § 24 (StandAG) besser zu bewerten ist, als das in allen Regionen mit ausreichender Datenlage der Fall ist“, muss kritisch gesehen werden. Im Hinblick auf das prognostische Element und die hohen Anforderungen besteht die Gefahr, dass die Regelung nahezu leerläuft. 1012 Die Festlegung der standortbezogenen Erkundungsprogramme erfolgt gem. § 15 Abs. 4 StandAG durch das BASE. Dieses hat die Programme im Vorfeld zu prüfen und sicherzustellen, dass durch die im Rahmen von Erkundungstätigkeiten vorgenommenen Ausschachtungen und Tiefbohrungen die spätere Genehmigungsfähigkeit eines Standortes nicht beeinträchtigt wird. 1013 Zum Vorgang der Überprüfung in Bezug auf die Vorgängerregelung in § 14 StandAG 2013, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 14 Rn. 11 ff.; die Sonderregelung zur Anhörung in § 14 Abs. 3 StandAG 2013 wurde durch allg. Anhörungspflicht nach § 7 StandAG obsolet, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 59. 1014 § 7 StandAG enthält Ausführungen zum Ablauf des Stellungnahmeverfahrens sowie der Erörterungstermine. Abs. 2 nennt (nicht abschließend) Ereignisse, zu denen die Öffentlichkeit Stellungnehmen kann. Die Notwendigkeit von Erörterungsterminen regelt Abs. 3. Einzelheiten zu den für den Termin auszulegenden Unterlagen sowie den Teilnehmerkreis und Ort finden sich in den Abs. 4 bzw. 5, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 52 f.; da nach Nr. 1.15 der Anlage 3 zum UVPG für die Vorschläge zu den übertägig zu erkundenden Standorten eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchzuführen ist, gelten für die Öffentlichkeitsbeteiligung zusätzlich die Vorschriften des § 14i i. V. m. § 9 Abs. 1 – 1b UVPG; zu Defiziten des StandAG
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Öffentlichkeitsbeteiligung durch. Mit einer Frist von drei Monaten1015 werden die Öffentlichkeit sowie betroffene Träger öffentlicher Belange beteiligt. Die Ergebnisse des Stellungnahmeverfahrens sind in einem Erörterungstermin mit dem in § 7 Abs. 5 StandAG bestimmten Teilnehmerkreis zu diskutieren. Der Termin findet jeweils in allen in Betracht gezogenen Gebieten statt. Parallel zum Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung vollzieht des BASE eine gemäß Nr. 1.15 der Anlage 3 zum UVPG1016 erforderliche Strategische Umweltprüfung (SUP) und erstellt einen Umweltbericht nach § 14g UVPG. Die so gewonnenen Erkenntnisse münden in eine begründete Empfehlung zum Vorschlag des Vorhabenträgers, die an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) übermittelt wird. Dieser Empfehlung sind – neben dem Vorschlag des Vorhabenträgers selbst – die Resultate des dazugehörigen Beteiligungsverfahrens, die Beratungsergebnisse des Nationalen Begleitgremiums sowie der Umweltbericht,1017 der an den in Betracht kommenden Standortregionen durchgeführten SUP beizufügen. Ergänzend soll die Empfehlung – zur Umsetzung des von der Endlagerkommission geforderten lernenden Verfahrens – einen Bericht zur Evaluation des Standortauswahlverfahrens sowie zur Diskussion alternativer Entsorgungsmöglichkeiten enthalten.1018 Die Bundesregierung unterrichtet1019 daraufhin Bundestag und Bundesrat über die Standortregionen, die übertägig erkundet werden sollen. Diese erste Phase des Standortauswahlverfahrens im engeren Sinne findet ihren Abschluss in einem Bundesgesetz, welches gemäß § 15 Abs. 3 StandAG die (voraussichtlich fünf)1020 übertägig zu erkundenden Standortregionen benennt sowie das weitere Verfahren mit den Gebieten festlegt, zu denen keine hinreichenden Informationen für die Anwendung der Kriterien nach den §§ 22 2013 im Hinblick auf die SUP-Erfordernisse, vgl. Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 47 f.; ähnlich noch zum StandAG 2013 Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 14 Rn. 29; a. A. und für eine vollständige Umsetzung der Vorgaben der SUP-Richtlinie, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 22 ff. 1015 Zur Ausweitung dieser Frist von einem auf drei Monate, vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 16. 1016 Eingefügt durch Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553. 1017 Der Umweltbericht soll die Umweltauswirkungen im Falle einer zusätzlichen Einlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle darstellen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 60. 1018 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 60; zum Grundsatz des lernenden Verfahrens, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25, 130. 1019 Diese Unterrichtung enthält eine Übermittlung der in § 15 Abs. 2 Satz 1 StandAG genannten Unterlagen. Darüber hinaus können die Mitglieder des Parlaments weitere Materialen anfordern, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 60. 1020 Zur Abschätzung des Erfüllungsaufwandes von insgesamt 500 Mio. Euro (5 Standorte je 100 Mio. Euro), vgl. BT-Drs. 17/13833, S. 3.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
bis 24 StandAG vorliegen. Nach den Zeitansätzen des Standortauswahlgesetzes soll diese Verfahrensphase nach ca. drei Jahren abgeschlossen sein.1021 Das von der Endlagerkommission erarbeite realistische Szenario rechnet, insbesondere aufgrund der modifizierten Öffentlichkeitsbeteiligung (Nachprüfungsrecht der Regionalkonferenzen), mit einem Zeitbedarf von nahezu zehn Jahren (104 Monate) und einer Festlegung der Standortregionen im Juli 2027.1022 (2) Festlegung der Standorte für eine untertägige Erkundung Die Grundlage für die nächste Etappe des Standortsuchverfahrens bilden die §§ 16 und 17 des StandAG. Zunächst regelt § 16 StandAG den Ablauf der übertägigen Erkundung mit dem Ziel, einen Vorschlag für die untertätig zu erkundenden Standorte zu ermitteln. Auf Basis der zuvor vom BASE festgelegten standortbezogenen Erkundungsprogramme erfolgen die Erkundungsarbeiten an der Erdoberfläche.1023 Der Vorhabenträger hat in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die zuvor nach § 14 Abs. 1 S. 2 StandAG erarbeiteten „repräsentativen vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen“ weiterzuentwickeln.1024 Zudem werden in Entsprechung einer Empfehlung der Endlagerkommission sozioökonomische Potenzialanalysen1025 in den Standortregionen durchgeführt. Dieses Instrument dient zur Feststellung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status quo in dem jeweiligen Gebiet. Diese Analysen liefern Anhaltspunkte für die zukünftige Kompensation sozioökonomischer Nachteile. Dadurch soll eine möglichst gerechte Verteilung der Lasten erreicht werden.1026 Allerdings sind unter dem Primat der Sicherheit solche Erwägungen, die sich aus den Potenzialanalysen ergeben, nachrangig zu Aspekten der Langzeitsicherheit. Mit Hilfe der durch die Erkundung und die vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen gewonnen Erkenntnisse ermittelt der Vorhabenträger gemäß § 16 Abs. 2 StandAG unter erneuter Anwendung der gesetzlich festgelegten Mindestanforderungen und Kriterien (§§ 22 bis 24 StandAG) günstige Standorte für eine untertägige Erkundung. Planungswissenschaftliche Abwägungskriterien können nach den Vorgaben des § 25 StandAG angewendet werden. Im Anschluss hat die BGE Erkun1021
Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 211. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 4 ff., 12; im optimistischen Szenario könnte dies bereits im Juni 2024 erfolgen, im pessimistischen Fall im Juni 2030, a. a. O. S. 15. 1023 Hierzu sind gemäß § 12 Abs. 1 Satz 4 StandAG i. V. m. § 9d Abs. 2 AtG erstmals Enteignungen zum Zwecke der Durchführung von Erkundungsmaßnahmen möglich. 1024 Zu sog. weiterentwickelten vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen, vgl. BT-Drs. 18/ 11398, S. 60. 1025 Zum Instrument der sozioökonomischen Potenzialanalyse, vgl. Darstellung in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (e) (cc). 1026 Vgl. hierzu Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 746 f.; krit. zur „Kleinstdosierung“ von Kompensationslösungen im StandAG Durner, NuR 2019, S. 241, 250; zur Kontroverse um die als intransparent kritisierten Ausgleichszahlungen während der Erkundung des Standortes Gorleben, vgl. Deutscher Bundestag, Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, BT-Drs. 17/13700, 23.5.2013, S. 233 ff., 571 ff. 1022
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dungsprogramme und Prüfkriterien für die untertägige Erkundung zu erarbeiten, für die wiederum die in den §§ 22 bis 24 StandAG festgelegten Anforderungen und Kriterien zu berücksichtigen sind. Diese Programme und Kriterien gelten ebenfalls für die Durchführung der umfassenden vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen nach § 18 Abs. 1 StandAG, mit denen nachzuweisen ist, dass eine Einhaltung der Sicherheitsanforderungen1027 nach § 26 StandAG erwartet werden kann. Entsprechend der vorherigen Phase übermittelt der Vorhabenträger zum Abschluss des Verfahrensschritts gemäß § 16 Abs. 3 StandAG einen Vorschlag für die untertätig zu erkundenden Standorte an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Dieser Bericht enthält neben einer Begründung des Vorschlags die Darstellung möglicher Umwelt- und sonstiger Auswirkungen des Endlagervorhabens sowie die Erkundungsprogramme und Prüfkriterien für die untertägige Erkundung.1028 Den Regionalkonferenzen steht wiederum gemäß § 10 Abs. 5 StandAG ein Nachprüfungsrecht zu.1029 Das Verfahren zur Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte und zur Festlegung der zugehörigen Erkundungsprogramme1030 wird in § 17 StandAG beschrieben. Entsprechend der vorangegangenen Verfahrensstufe prüft und bewertet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung den Vorschlag des Vorhabenträgers.1031 Sofern Abweichungen beabsichtigt werden, erhält dieser gem. 1027 Nach § 2 Nr. 15 StandAG fallen darunter die nach § 26 Abs. 3 StandAG durch Rechtsverordnung zu erlassenden Bestimmungen, die festlegen, welches Sicherheitsniveau ein Endlager für insbesondere hochradioaktive Abfälle in tiefen geologischen Formationen zur Erfüllung der atomrechtlichen Anforderungen einzuhalten hat. 1028 Diese Programme müssen geeignet sein, alle standortbezogenen geologischen Daten zu ermitteln, die für eine verlässliche sicherheitstechnische Beurteilung insbesondere der Langzeitsicherheit eines Endlagers an diesem Standort nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind. Mit einer Aufstellung der Prüfkriterien vor Durchführung der untertägigen Erkundung soll die Transparenz und Glaubhaftigkeit der gewonnenen Standortdaten gefördert werden, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 61. 1029 Der Umfang des Rechts sowie das Verfahren der Nachprüfung entspricht der vorangegangenen Phase der Auswahl der Standortregionen zur übertägigen Erkundung, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) bb) (1) (Fn. 1010). 1030 Diese Festlegung erfolgt gem. § 17 Abs. 4 StandAG nach einer Prüfung auf wissenschaftlicher Basis durch das BASE. Insbesondere hat es darauf zu achten, dass die Erkundungsprogramme für die untertägige Erkundung die Ermittlung aller sicherheitstechnisch erforderlichen Daten vorsehen (insb. zur Gewährleistung der Langzeitsicherheit). Weiterhin ist sicherzustellen, dass die Erkundungstätigkeiten die spätere Genehmigungsfähigkeit der möglichen Standorte (etwa hinsichtlich geologischer Barrieren) nicht beeinträchtigten. Auch sollen mögliche Umweltauswirkungen, Nutzungskonflikte, Eingriffe in die privaten Rechte Dritter sowie negative sozioökomische Auswirkungen minimiert werden, vgl. BT-Drs. 18/ 11398, S. 62. 1031 Zum Vorgang der Überprüfung in Bezug auf die Vorgängerregelung in § 16 StandAG 2013, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 11 f.; die Sonderregelung zur Anhörung in § 16 Abs. 3 StandAG 2013 wurde durch die allg. Anhörungspflicht nach § 7 StandAG ersetzt. Die betroffenen Grundstückseigentümer und kommunalen Gebietskörperschaften sollen nach § 7 Abs. 5 StandAG am Erörterungstermin teilnehmen. Daneben besteht die Möglichkeit der Stellungnahme gemäß § 7 Abs. 1 StandAG, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 61.
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§ 17 Abs. 1 S. 2 StandAG Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Zuge dieser Überprüfung beteiligt das BASE wiederum nach Maßgabe des § 7 StandAG die Öffentlichkeit.1032 Vor der Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte führt das BASE eine gemäß Nr. 1.16 der Anlage 3 zum UVPG1033 erforderliche Strategische Umweltprüfung durch und erstellt einen Umweltbericht nach § 14g UVPG. Als Besonderheit im Vergleich zum bisherigen Verfahrensablauf ist an dieser Stelle ein zusätzliches Element vorgesehen. Da die Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte eine wesentliche Zäsur im Verlauf der Standortauswahl darstellt,1034 eröffnet § 17 Abs. 3 StandAG die Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.1035 Zu diesem Zweck stellt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in einem Verwaltungsakt verbindlich fest, ob das bisherige Auswahlverfahren und der auf dieser Grundlage getroffene Auswahlvorschlag für die untertägige Erkundung den Bestimmungen des Standortauswahlgesetzes entspricht. Dieser Bescheid ist in Anwendung von § 17 der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung (AtVfV) öffentlich bekannt zu machen. Der Kreis der Klageberechtigten wird durch einen Verweis auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) bestimmt. Damit soll gewährleistet werden, dass insbesondere auch die nach § 3 UmwRG klagebefugten Vereinigungen1036 eine nicht auf die Überprüfung subjektiver Rechte beschränkte gerichtliche Kontrolle herbeiführen können.1037 Ohne vorherigen Instanzenzug liegt die Zuständigkeit beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).1038 Obgleich es sich bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des 1032 Zum Ablauf des Stellungnahmeverfahrens nach § 7 StandAG, vgl. die Ausführungen in Abschnitt D. III. 1. b) gg) (3) sowie Fn. 1014. 1033 Eingefügt durch Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553. 1034 Mit dieser Entscheidung geht beispielsweise eine enteignungsrechtliche Vorwirkung gemäß § 12 Abs. 1 S. 4 i. V. m. § 9d Abs. 2 AtG einher, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 27. 1035 Näher zu dieser Klagemöglichkeit als Element des phasenspezifischen Rechtsschutzes Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 460 f.; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64 sowie in Abschnitt D. IV. 2. d) cc). 1036 Zu den Voraussetzungen und dem Verfahren der Anerkennung nach § 3 UmwRG, vgl. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 2 Rn. 632 ff. 1037 BT-Drs. 17/13471, S. 28; mit der Änderung des Wortes „Gemeinden“ in „kommunale Gebietskörperschaften“ in § 17 Abs. 3 S. 3 StandAG erfolgte eine Erweiterung im Hinblick auf Samtgemeinden (=Verwaltungsgemeinschaften) und Landkreise, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 62; ähnlich Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1038 Ein Vorverfahren findet gemäß § 17 Abs. 3 S. 4 StandAG nicht statt. Im Hinblick auf die umfangreiche Öffentlichkeitsbeteiligung hält die Gesetzesbegründung ein Widerspruchsverfahren für nicht sachgerecht, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 28; aufgrund der Erfahrungen im Zuge der Endlagersuche erscheint eine Inanspruchnahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrollmöglichkeit sehr wahrscheinlich. Insofern würde ein Widerspruchsverfahren keinen nennenswerten Mehrwert und die Gefahr gravierender zeitlicher Verzögerungen mit sich bringen,
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BVerwG um eine Ausnahme handelt, ist dies nicht grundsätzlich unzulässig.1039 Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG beinhaltet keinen Anspruch auf die Gewährleistung eines Instanzenzugs.1040 In Anbetracht der Einmaligkeit des Verfahrens, der besonderen politischen Bedeutung und des herausragenden öffentlichen Interesses1041 erscheint eine solche Verkürzung interessengerecht.1042 Zur Sicherung des Richterspruchs bestimmt § 17 Abs. 2 S. 2 StandAG,1043 dass das BASE den Vorschlag des Vorhabenträgers erst an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) übermittelt darf, sobald das BVerwG über den Bescheid rechtskräftig entschieden hat bzw. keine Rechtsbehelfe mehr eingelegt werden können. Mit dieser Regelung wird Befürchtungen entgegnet, der Bundestag könnte vor der richterlichen Entscheidung bereits die Standorte festlegen.1044 Nach Abschluss etwaiger verwaltungsgerichtlicher Verfahren übermittelt das BASE wie bei der vorherigen Verfahrensphase seine begründete Empfehlung zum Vorschlag des Vorhabenträgers. Dieser Empfehlung sind neben dem Vorschlag selbst die Resultate des dazugehörigen Beteiligungsverfahrens, die Beratungsergebnisse des Nationalen Begleitgremiums sowie der Umweltbericht zu der jeweils an den in Betracht kommenden Standorten durchgeführten SUP beizufügen. Darüber hinaus enthält sie erneut einen Bericht zur Evaluation des Standortauswahlverfahrens sowie zur Diskussion alternativer Entsorgungsmöglichkeiten.1045 Die Bundesregierung
s. a. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 33; krit. zum verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug bei Infrastrukturvorhaben Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359. 1039 Vgl. Berstermann, in: Posser/Wolff/Berlit (Hrsg.), VwGO, § 50 Rn. 1; Kraft, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, § 50 Rn. 1. 1040 St. Rspr. BVerfGE 4, 74, 94 – ärztliches Berufungsgericht; ausführlich E 107, 395, 401 ff. – fachgerichtlicher Rechtsschutz; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 58; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 17a; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 120; Kraft, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, § 50 Rn. 2. 1041 Die Gesetzesbegründung rekurriert darüber hinaus auf eine länderübergreifende Bedeutung sowie eine zeitliche Dringlichkeit, die sich aus der Befristung der Genehmigungen für die atomaren Zwischenlager ergibt, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 28. 1042 Weiterhin kann aufgrund bestehender Konfliktlagen angenommen werden, dass ein möglicher Instanzenzug ohnehin vollständig durchlaufen würde, s. a. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 35. 1043 Diese Regelung wurde aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Bau und Reaktorsicherheit in das StandAG eingefügt, vgl. BT-Drs. 18/11647. 1044 Die Gesetzesbegründung zu § 17 Abs. 4 a. F. verwies noch auf die Hoffnung, dass „davon ausgegangen (wird), dass der Deutsche Bundestag das Ergebnis der gerichtlichen Prüfung vor einer gesetzlichen Entscheidung abwarten wird“, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 28; zur Kritik im Schrifttum, vgl. Posser, FS Dolde, S. 251, 271. 1045 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 62; hierbei handelt es sich wiederum um ein Element des lernenden Verfahrens, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 25, 130.
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unterrichtet1046 daraufhin Bundestag und Bundesrat über die Standortregionen, die untertägig erkundet werden sollen. Der Abschluss dieser Verfahrensphase erfolgt nach § 17 Abs. 2 S. 4 StandAG mit der gesetzlichen Bestimmung von (mindestens) zwei Erkundungsorten.1047 Nach den Zeitansätzen des Standortauswahlgesetzes soll diese Verfahrensphase nach ca. vier Jahren abgeschlossen sein.1048 Das von der Endlagerkommission erarbeite realistische Szenario rechnet unter Berücksichtigung von Bohrprogrammen und seismischen Untersuchungen für sechs Regionen, Sicherheitsuntersuchungen, Anwendung von Planungskriterien sowie der Durchführung der sozioökonomischen Potenzialanalysen mit einem Zeitbedarf von ca. zwölf Jahren (147 Monate) und einer Festlegung der untertägig zu erkundenden Standorte im November 2039.1049 (3) Untertägige Erkundung und Standortentscheidung Die dritte und abschließende Verfahrensetappe zur Auswahl eines Standortes ist in den §§ 18 bis 20 StandAG geregelt. § 18 StandAG beschreibt die Phase von der untertägigen Erkundung bis zur Übermittlung eines Standortvorschlags des Vorhabenträgers an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Die BGE leitet zunächst auf Basis der vom BASE festgelegten standortbezogenen Erkundungsprogramme die untertägige Erkundung ein. Die entsprechenden Maßnahmen sind so zu planen und auszuführen, dass der einschlusswirksame Gebirgsbereich1050 nur im für den erforderlichen Informationsgewinn unvermeidlichen Ausmaß verritzt1051 und seine Integrität nicht gefährdet wird.1052 Auf Grundlage der erzielten Ergebnisse sind sodann umfassende vorläufige Sicherheitsuntersuchungen für die Betriebs- und Nachverschlussphase durchzuführen. Weiterhin hat der Vorhabenträger die Unterlagen für die Umweltverträglichkeitsprüfung1053 nach § 6 UVPG zu 1046 Diese Unterrichtung beinhaltet eine Übermittlung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 StandAG genannten Unterlagen. Darüber hinaus können die Mitglieder des Parlaments weitere Materialen anfordern, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 62. 1047 Diese Anzahl ergibt sich aus § 19 Abs. 1 S. 1 StandAG. 1048 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 211; § 17 Abs. 5 StandAG 2013 nannte als Zielzeitpunkt „Ende 2023“; vgl. auch Bull, ZRP 2016, S. 244, 245. 1049 Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 7 f., 12; im optimistischen Szenario könnte dies bereits im Mai 2032 erfolgen, im pessimistischen Fall im April 2046, a. a. O. S. 15. 1050 Dies ist nach § 2 Nr. 9 StandAG der Teil eines Gebirges, der bei Endlagersystemen, die wesentlich auf geologischen Barrieren beruhen, im Zusammenwirken mit den technischen und geotechnischen Verschlüssen den sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle in einem Endlager gewährleistet; vgl. auch BT-Drs. 18/11398, S. 49; Driftmann, Das Endlagerkonzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs, 2017, S. 52 ff., 98 ff. 1051 Unter diesem bergmännischen Begriff ist ein Bereich zu verstehen, der mit Grubenbauten versehen ist, s. www.indra-g.at/datenbanken/bergbauliche-begriffe/berg-v.htm, (geprüft am 26.9.2019). 1052 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 62. 1053 Die entsprechende Verpflichtung ergibt sich aus Nr. 11.2 der Anlage 1 zum UVPG.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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erstellen. Die Ergebnisse der Sicherheitsuntersuchungen und Erkundungen münden nach erneuter Anwendung der gesetzlich festgelegten geologischen Anforderungen und Kriterien1054 sowie der zuvor erarbeiteten Prüfkriterien in die Ermittlung eines geeigneten Standortes. Gemäß § 18 Abs. 3 StandAG übermittelt die BGE ihren Standortvorschlag mit einer Begründung1055 an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Zur Berücksichtigung aller für die Standortentscheidung erheblichen Umweltaspekte führt dieses sodann eine vorgezogene Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend der §§ 7 bis 9b UVPG hinsichtlich des Standortes für eine Anlage zur Endlagerung durch. Das konkrete Verfahren des abschließenden Standortvergleiches sowie die Erarbeitung und Übermittlung des Vorschlags für einen Endlagerstandort zeigt § 19 StandAG auf. Entsprechend den vorangegangenen Verfahrensstufen prüft und bewertet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung den Vorschlag des Vorhabenträgers.1056 Im Zuge dieser Überprüfung beteiligt das BASE erneut nach Maßgabe des § 7 StandAG die Öffentlichkeit. Die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens sowie der vorangegangenen Prüfung bilden gemeinsam mit einer Abwägung sämtlicher privater und öffentlicher Belange die Grundlage für die Ermittlung des Endlagerstandortes mit der bestmöglichen Sicherheit. Unter Berücksichtigung dieses Ziels muss der Standort durch ein vorläufiges positives Gesamturteil erwarten lassen, dass er die nach dem Atomgesetz erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung des Endlagers nach § 9b Abs. 1a AtG über den gesamten Nachweiszeitraum gewährleistet und sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Eine vollumfängliche Prüfung der atomrechtlichen und sonstigen Anforderungen ist der anschließenden Anlagengenehmigung vorbehalten.1057 Dem Standortvorschlag, welcher vom BASE gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 StandAG an das BMUB übermittelt wird, sind weiterhin die Darstellung der Umweltauswirkungen entsprechend den §§ 11 und 12 UVPG, die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens und eine Begründung der Raumverträglichkeit beizufügen.
1054
Dabei handelt es sich um die in den §§ 22 bis 24 StandAG genannten Aspekte. Planungswissenschaftliche Abwägungskriterien werden nach Maßgabe des § 25 StandAG angewandt. 1055 Der Bericht hat eine genaue Ableitung der Ergebnisse durch die transparente Dokumentation und Begründung aller vorgenommenen Schritte und Bewertungen darzustellen. Ebenso ist eine vergleichende Bewertung der betrachteten Standorte durchzuführen, vgl. BTDrs. 18/11398, S. 63. 1056 Zum Vorgang der Überprüfung in Bezug auf die Vorgängerregelung in § 16 StandAG 2013, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 11 f.; die Sonderregelung zur Anhörung in § 16 Abs. 3 StandAG 2013 wurde durch die allg. Anhörungspflicht nach § 7 StandAG ersetzt. Die betroffenen Grundstückseigentümer und kommunalen Gebietskörperschaften sollen nach § 7 Abs. 5 StandAG am Erörterungstermin teilnehmen. Daneben besteht die Möglichkeit der Stellungnahme gemäß § 7 Abs. 1 StandAG, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 61. 1057 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 63.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Vor der Übermittlung1058 enthält dieser Verfahrensschritt eine weitere verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit.1059 Hierzu stellt das BASE gemäß § 19 Abs. 2 S. 3 StandAG fest, dass das bisherige Auswahlverfahren und der auf dieser Grundlage getroffene Standortvorschlag den Bestimmungen des StandAG1060 entspricht. Gegen diesen Verwaltungsakt besteht wiederum eine erst- und letztinstanzliche Klagemöglichkeit zum Bundesverwaltungsgericht. Umfang und Ablauf dieser verwaltungsgerichtlichen Kontrollmöglichkeit entsprechen dem Verfahren nach § 17 Abs. 3 StandAG.1061 Die Herbeiführung einer abschließenden Entscheidung über den bestmöglichen Endlagerstandort und damit die Finalisierung der Standortauswahl im engeren Sinne obliegt gemäß § 20 StandAG dem parlamentarischen Gesetzgeber. Die Bundesregierung legt Bundestag und Bundesrat hierzu den Standortvorschlag in Form eines Gesetzentwurfs vor. Ergänzend werden die für eine Bewertung des Standorts erforderlichen Unterlagen, wie ein zusammenfassender Bericht über die Resultate des Standortauswahlverfahrens und des Beteiligungsverfahrens sowie die Beratungsergebnisse des Nationalen Begleitgremiums beigefügt. Die Bestimmung des Standortes selbst erfolgt gemäß § 20 Abs. 2 StandAG durch Bundesgesetz. Entgegen der ursprünglichen Konzeption1062 ist im Rahmen der gesetzgeberischen Entscheidung keine erneute Abwägung vorzunehmen. Das Parlament kann den Standortvorschlag nur im Ganzen bestätigen oder ihn ablehnen und nicht ggf. einer anderen 1058 Insoweit wurde mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676 mit § 19 Abs. 2 S. 2 StandAG eine Klarstellung eingefügt, dass das BASE die Entscheidung des BVerwG zu möglich Klagen abzuwarten hat, vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 17; zu Bedenken im Schrifttum vor Erlass dieser Regelung, vgl. Posser, FS Dolde, S. 251, 271; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 40. 1059 Diese zusätzliche Rechtsschutzoption wurde auf Vorschlag der Endlagerkommission mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017 (BGBl. I S. 1074, 1676) eingefügt. Hierzu sollten insb. unionsrechtlich bedingte Rechtsschutzlücken im bisherigen Verfahren geschlossen werden. Zur diesbezüglichen Kritik im Schrifttum, vgl. exemplarisch Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404 f.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127 ff.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1139 f.; zum Ablauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, vgl. die Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt; ausführlich zum Rechtsschutz im Rahmen des Standortauswahlverfahrens in Abschnitt D. IV. 2. 1060 Insoweit besteht jedoch eine Bindung an die Feststellungen des Bescheids nach § 17 Abs. 3 StandAG. Eine erneute Prüfung des Verfahrens bis zum Vorschlag für die untertägige Erkundung findet nicht statt, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64. 1061 Dies betrifft insb. die Begründung zur erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des BVerwG sowie der Klageberechtigung, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64 sowie Abschnitt D. III. 1. c) bb) (2). 1062 Zur Zulässigkeit sowie Sinn und Zweck der Abwägung durch den Gesetzgeber nach § 20 Abs. 2 S. 1 StandAG 2013, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30; Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 20; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 7.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Standortalternative den Vorzug geben.1063 Dem aus dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG entstammenden Abwägungsgebot1064 wird nach Aussage der Gesetzesbegründung mit dem zuvor vom BASE durchgeführten umfassenden Bewertungsverfahren genüge getan.1065 Die gesetzliche Standortentscheidung ist nach der Anordnung des § 20 Abs. 3 StandAG für das anschließende atomrechtliche Genehmigungsverfahren hinsichtlich der standortbezogenen Elemente verbindlich. Der auf Anregung der Endlagerkommission1066 ergänzte Satz 2 stellt nunmehr klar, dass auf Grundlage der Standortentscheidung die Eignung des Vorhabens im Genehmigungsverfahren vollumfänglich zu prüfen ist.1067 Weiterhin ist in § 20 Abs. 4 StandAG festgehalten, dass ein gesondertes Raumordnungsverfahren nicht stattfindet. Die Raumverträglichkeit wird bereits umfassend im Rahmen der Vorschriften des Standortauswahlgesetzes insbesondere durch Berücksichtigung der planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien geprüft. Dieses Verfahren ermöglicht und verlangt auch die Einbeziehung von Ländern und Kommunen, so dass es keines gesonderten Raumordnungsverfahrens bedarf.1068 Nach § 1 Abs. 5 StandAG wird das Ende dieser Verfahrensphase nach einem ca. sechsjährigen Prozess für das Jahr 2031 angestrebt.1069 Das von der Endlagerkommission erarbeite, realistische Szenario rechnet insbesondere durch die Einrichtung eines Erkundungsbergwerks und die Berücksichtigung von Rechtsschutzverfahren mit einem Zeitbedarf von ca. 32 Jahren (385 Monate) und einer Festlegung des Endlagerstandortes im Januar 2077.1070
1063 S. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64; a. A. aber eine „praktisch(e)“ Bindung an den Standortvorschlag annehmend Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 81 f.; ebenso Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 494. 1064 Grundlegend zum Abwägungsgebot Köck, GrdlVerwR II, § 37 Rn. 104 ff.; Koch, DVBl. 1983, S. 1125 ff.; zur Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. Erbguth, UPR 2010, S. 281 ff.; Hoppe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 77 Rn. 25. 1065 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64; a. A. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 8. 1066 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64. 1067 Krit. in Bezug auf die unklare Reichweite der Regelung und diese letztlich für überflüssig erachtend Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 135 ff.; vgl. zur Auswirkung auf das Rechtsschutzsystem die Darstellung in Abschnitt D. IV. 2. d) bb). 1068 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 65; weitergehend zur Obsolenz des Raumordnungsverfahrens Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 275 ff.; allgemein zur Kompetenzverschiebung von den Ländern zum Bund Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 215. 1069 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 211. 1070 Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 9 ff., 12; das optimistische Szenario nennt ein Enddatum im Januar 2059, die pessimistische Kalkulation den Januar 2096, a. a. O. S. 15.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
(4) Standortsicherungsvorschriften (§ 21 StandAG) Um den ungehinderten Ablauf des Auswahlprozesses zu wahren, enthält § 21 StandAG1071 Regelungen, welche die in Betracht kommenden Bereiche vor solchen Veränderungen schützen, die eine Eignung als Endlagerstandort beeinträchtigen könnten. Diese Vorschrift löst die im März 2017 ausgelaufene Veränderungssperre für den Standort Gorleben ab1072 und gewährleistet durch ihre allgemeine Ausgestaltung einen umfassenden Schutz aller potenziellen Standortregionen. Hierdurch sollte u. a. vermieden werden, dass die Endlagersuche durch Maßnahmen in möglichen Regionen auf den bisher einzig vor Veränderung geschützten Standort Gorleben zusteuere.1073 § 21 StandAG beinhaltet dazu ein nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgestuftes System zum Schutz von potenziellen Endlagerstandorten einerseits und der Zulassung von anderweitigen Nutzungen andererseits.1074 Nach Abs. 2 können in einem frühen Verfahrensstadium neue Vorhaben nach den einschlägigen Fachnormen zugelassen werden, sofern sie im Einklang mit den Schutzzielen der Standortsicherungsvorschrift stehen.1075 Die Einhaltung dieser Ziele wird über einen abschließenden Katalog an Voraussetzungen1076 garantiert. Zur Sicherstellung einheitlicher Bewertungsmaßstäbe und zur Vermeidung landespolitisch motivierter Zulassungen1077 hat die jeweilige Fachbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zu entscheiden.1078 1071 Die Regelung wurde auf Vorschlag der Endlagerkommission mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676 in das StandAG aufgenommen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 44; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 56 f., 384 ff. 1072 Vgl. Erste Verordnung zur Änderung der Gorleben-Veränderungssperren-Verordnung vom 12.6.2015, BR-Drs. 136/15, S. 3. 1073 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 56 f., 384 ff.; insb. wird ein frühzeitiger Schutz potenzieller Standortregionen angestrebt, der zu einem Zeitpunkt ansetzt, an dem ein für eine Veränderungssperre nach § 9g AtG erforderlicher Planungsstand noch nicht erreicht ist, vgl. hierzu Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855, 857; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 3. 1074 Zur Beschreibung der vorgesehenen Ausnahmeregelungen in § 21 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 – 5 StandAG, vgl. Weiss, DVBl. 2018, S. 1204, 1206 ff.; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 11 – 17. 1075 Vgl. Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 287 f. 1076 Für die Zulassung eines Vorhabens muss mindestens eine der Voraussetzungen in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 4 StandAG vorliegen. Darüber hinaus normiert Nr. 5 in Anlehnung an § 9g Abs. 4 AtG eine allgemeine Zulassungsmöglichkeit für den Fall einer nicht beabsichtigten Härte, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen, vgl. eine ausführliche Beschreibung in BT-Drs. 18/11398, S. 66 f. 1077 Vgl. BT-Drs. 18/11647, S. 17; krit. Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 291; a. A. Weiss, DVBl. 2018, S. 1204, 1208 f. 1078 Eine Erleichterung besteht insofern, dass das Einvernehmen bei Bohrungen bis zu einer Tiefe von 200 m als erteilt gilt, sofern das BASE innerhalb von 8 Wochen nach Anzeige durch die zuständige Behörde keine Erklärung zum Einvernehmen abgibt. Um den Übergangszeitraum bis zur Vollendung des Personalaufbaus des BASE abzusichern, bestimmt Art. 5 Abs. 1
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Die Fortführung laufender Rohstoffgewinnungsvorhaben ist davon durch eine Vermutungsregelung in § 21 Abs. 2 S. 2 StandAG ausgenommen.1079 Spätestens sechs Monate nach Ermittlung der Teilgebiete gemäß § 13 StandAG oder aber nach Bekanntmachung des Bereichs als zu schützendes Gebiet gemäß § 21 Abs. 4 StandAG sind diese Zulassungsmöglichkeiten ausgeschlossen.1080 Hierzu erhält das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung die Kompetenz, zur Sicherung einer zukünftigen oder Fortsetzung einer bereits begonnenen Erkundung für bestimmte Gebiete zu untersagen, dass auf deren Flächen oder in deren Untergrund Veränderungen vorgenommen werden, die den Prozess der Standortsuche erheblich erschweren können. Die Festlegung solcher Bereiche erfolgt durch Allgemeinverfügung1081 und ist auf die Dauer von höchstens zehn Jahren befristet.1082 Jedoch besteht die Möglichkeit zu einer zweimaligen Verlängerung um jeweils weitere zehn Jahre, sofern die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen fortbesteht. Betroffene Gebietskörperschaften, Grundstückseigentümer, Bergbauberechtigte sowie die zuständigen Bergbehörden sind vor Erlass eines Bescheides anzuhören. In paralleler Ausgestaltung zur Verordnungsermächtigung in § 9g AtG enthält auch § 21 StandAG eine Ausnahmeregelung zur Vermeidung unbilliger Härten (Abs. 4 S. 4) sowie eine Entschädigungsregel für betroffene Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte (Abs. 5).1083 Mit dieser auf Initiative der Endlagerkommission1084 eingeführten Vorschrift ist es zum einen gelungen, eine Sonderstellung des Standortes Gorleben zu beseitigen und diesen entsprechend der Vorgabe des § 36 Abs. 1 StandAG gleichberechtigt in das Standortauswahlverfahren zu integrieren. Zum anderen erhält das Bundesamt für die des Gesetzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676 ein späteres Inkrafttreten dieser Regelung. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen entsprechende Vorhaben nicht genehmigt werden, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 66 f.; krit. mit Blick auf die föderale Kompetenzverteilung Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 291. 1079 Vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 18. 1080 Krit. hinsichtlich des frühen Zeitpunktes bei geringer Vorhabenkonkretisierung Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 286 f.; a. A. Weiss, DVBl. 2018, S. 1204, 1205 f. 1081 Die Gesetzesbegründung rekurriert auf die größere Flexibilität von Allgemeinverfügungen im Vergleich zu Rechtsverordnungen nach § 9g AtG. So können die konkreten Gegebenheiten am jeweils betroffenen Standort beispielsweise durch das Beifügen von Nebenbestimmungen Berücksichtigung finden, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 67. 1082 Krit. zu diesem im Vergleich zur Rechtsverordnung neuen Instrument, Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855, 857; relativierend Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 27. 1083 Näher hierzu Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 288 ff., 291 f.; zum Verhältnis zu § 9g AtG, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 26, 27, 29; zur Regelung des § 9g AtG, vgl. Abschnitt D. III. 2. d) cc). 1084 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 56 f., 384 ff.; näher zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 1 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Sicherheit der nuklearen Entsorgung ein wirkmächtiges Instrument,1085 um das Ziel einer landesweiten Suche nach dem bestmöglichen Standort für ein Endlager effektiv zu gewährleisten. cc) Anlagengenehmigung (§ 9b Abs. 1a AtG) Die vorangegangene Schilderung hat gezeigt, dass die Standortauswahl durch eine Reihe von gesetzlichen Zwischenschritten bis hin zum finalen Standortfestlegungsgesetz geprägt ist. Dem schließt sich das Verfahren zur Zulassung der Errichtung, des Betriebes und der Stilllegung des Endlagers an.1086 Die Genehmigung von Anlagen1087 nach § 9a Abs. 3 AtG erfolgt grundsätzlich gem. § 9b Abs. 1 AtG im Planfeststellungsverfahren. Der mit dem Standortauswahlgesetz1088 neu eingefügte Abs. 1a ersetzt ein solches Verfahren durch eine Genehmigung.1089 Diesbezüglich sind die atomrechtlichen Voraussetzungen nach § 7 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 und 5 AtG zu gewährleisten, insbesondere die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung des Endlagers.1090 Öffentlich-rechtliche Belange, welche die Standortfestlegung betreffen, sind bereits im vorgelagerten gesetzgeberischen Verfahren abgewogen worden.1091 Die Standortfestlegung ist diesbezüglich nach der Anordnung des § 20 Abs. 3 StandAG verbindlich. Gleichwohl ist die Eignung des konkreten Vorhabens im Genehmigungsverfahren vollumfänglich zu prüfen.1092 Die 1085 Sollten sich im Zeitplan der Standortsuche (zu erwartende) Verzögerungen einstellen, ist eine Sicherung der Untersuchungsstandorte über den maximalen Zeitraum von 30 Jahren hinaus jedoch nur nach einer Änderung des § 21 StandAG möglich. 1086 Eine ausführliche Beschreibung findet sich bei Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 280 ff. 1087 Zum weiten Anlagenbegriff, vgl. Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 26; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 295 f. 1088 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553. 1089 Nach der bereits erfolgten Planfeststellung für das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle Schacht Konrad kommt der atomrechtlichen Planfeststellung somit nur noch Bedeutung für die Zulassung von weiteren Anlagen des Bundes zur Endlagerung von nicht wesentlich Wärme entwickelnden radioaktiven Abfällen und für die Änderungsplanfeststellungsverfahren bzw. Stilllegungsplanfeststellungsverfahren des Endlagers Schacht Konrad, des Endlagers Morsleben sowie der Schachtanlage Asse II zu, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 31; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 13. 1090 Die „wortidentischen“ Zulassungsvoraussetzungen bei Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren betonend Keienburg, atw 2014, S. 571, 577, ebenso John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 15; zum Nachweis der Langzeitsicherheit, vgl. im Übrigen die Ausführungen in Abschnitt D. II. 1. c) aa). 1091 Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 9, 22, 24. 1092 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64 f.; die Vorschrift wurde auf Vorschlag der Endlagerkommission aus europarechtlichen Erwägungen in das StandAG aufgenommen, vgl. Endla-
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Genehmigung schließt andere auf öffentlich-rechtliche Vorschriften gestützte Entscheidungen ein, die Voraussetzung für die Errichtung und den Betrieb der Anlage sind.1093 Diese materielle Konzentrationswirkung1094 erstreckt sich jedoch nicht auf wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen, welche einer gesonderten Erteilung bedürfen.1095 Ebenso verhält es sich mit der Zulassung nach dem Berg- und Tiefenspeicherrecht.1096 Zuständig für die Genehmigungserteilung ist gem. § 23d S. 1 Nr. 1 AtG das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.1097 Für die nicht von der Konzentrationswirkung umfassten Bereiche entscheidet es nach § 23d S. 1 Nrn. 3 und 5 AtG i. V. m. § 9b Abs. 1a S. 6 AtG im Benehmen1098 mit den zuständigen Berg- bzw. Wasserbehörden des jeweiligen Bundeslandes. Durch die Bündelung der Entscheidungskompetenz im BASE besteht die Möglichkeit, die bereits im Standortauswahlverfahren erworbene Expertise weiter zu nutzen.1099 Mit der Inbezugnahme von § 9b Abs. 1a S. 7 AtG auf § 7b AtG sowie die Atomrechtliche Verfahrensverordnung (AtVfV) können für die Errichtung der Endlageranlage gerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 380 ff.; Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 17 ff., 32; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015; ausführlich zur Behebung des unionsrechtlich bedingten Rechtsschutzdefizits, S. 15 ff., 41 f.; vgl. weiterhin Abschnitt D. IV. 2. 1093 Dogmatisch handelt es sich um eine gebundene Norm. Durch den Versagungsgrund des § 9b Abs. 1a S. 3 Nr. 2 AtG wird der Kanon der einzuhaltenden Vorschriften größtmöglich erweitert („sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften“), vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 139 f.; ähnlich Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 302 f., der zwar einerseits ein Versagungsermessen zuerkennt, dieses aber andererseits gleichzeitig aufgrund einer „verfassungsrechtlichen Induzierung“ zu einer „Erteilungspflicht“ verdichtet. 1094 Zum Umfang der Konzentrationswirkung, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 16 f.; Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 11, 42. 1095 Auf diese Weise soll dem wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessen der nötige Handlungs- und Dispositionsspielraum gegeben werden, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 31; vgl. auch John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 17. 1096 Näher zu den materiellen Anforderungen der nicht von der Konzentrationswirkung umfassten Entscheidungen Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 325 ff. 1097 Nach § 23d S. 2 AtG entstehen die in diesem Paragraphen geregelten Zuständigkeiten des BASE erst mit der Festlegung eines Endlagerstandortes nach § 20 StandAG. 1098 Der Begriff des Benehmens geht über eine bloße Anhörung hinaus. Das BASE hat die vorgebrachten Argumente zur Kenntnis zu nehmen und mit dem Ziel der Verständigung in seine Entscheidung einzubeziehen. Jedoch muss anders als beim Erfordernis des Einvernehmens das Einverständnis der beteiligten Behörde nicht herbeigeführt werden, s. a. Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 413 m. w. N.; vgl. auch Creifelds/Weber/Cassardt, Rechtswörterbuch, 2017, S. 369. 1099 Insbesondere hat das BASE die Gewichtung der planerischen Aspekte sowie die Abwägung der öffentlich-rechtlichen Belange nach § 19 Abs. 1 Satz 2 StandAG im Vorfeld der Standortfestlegung übernommen.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Teilgenehmigungen nach § 18 AtVfV erteilt werden.1100 Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, den bei technischen Großvorhaben komplexen Verfahrensstoff übersichtlich aufzubereiten.1101 Neben der jeweiligen (Teil-)Zulassung von Verfahrensabschnitten ist für jede Teilgenehmigung jedoch Voraussetzung, dass eine vorläufige Prüfung ergibt, dass die Genehmigungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Errichtung und den Betrieb der gesamten Anlage vorliegen werden (sog. vorläufiges positives Gesamturteil). Auch im Bereich des Genehmigungsverfahrens ist nach § 9b Abs. 2 S. 3 AtG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Diese kann jedoch in Anbetracht der im Rahmen der gesetzlichen Standortfestlegung erfolgten UVP auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen der zuzulassenden Anlage beschränkt werden.1102 Die Unwägbarkeiten denen derartige technische Großprojekte ausgesetzt sind, zeigen sich auch in den zugrunde liegenden Zeitansätzen. Während das StandAG in seiner Fassung von 2013 noch von einem Einlagerungsbeginn um das Jahr 2050 ausging,1103 hat die Endlagerkommission auch für die Genehmigungs- und Errichtungsphase eine alternative Prognose erarbeitet. Demnach ist der Beginn der Einlagerung von hoch radioaktiven Abfällen im realistischen Szenario nicht vor dem Jahr 2117 zu erwarten.1104
1100
Diese dem Planfeststellungsverfahren nach § 74 Abs. 3 VwVfG innewohnende Möglichkeit zur abgeschichteten Entscheidungsfindung wurde mit Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553 für das atomrechtliche Planfeststellungsverfahren in § 9b Abs. 1 Satz 1 AtG übernommen. Da im Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG in erster Linie technisch-wissenschaftliche Fragen der Errichtung, des sicheren Betriebs sowie der Stilllegung des Endlagers in Rede stehen, besteht auch hier die Möglichkeit von Teilgenehmigungen, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 32; vgl. auch Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 44. 1101 Vgl. zum Wesen der Teilgenehmigung Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 291 f. m. w. N. 1102 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 32; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 19; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 290. 1103 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 210; vgl. auch Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 123 mit Verweis auf BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 6, 14. 1104 Die Prognose baut auf den zuvor für das Standortauswahlverfahren im engeren Sinne entwickelten Szenarien auf. Entsprechend der vorgenommenen Kategorisierung ergibt sich ein optimistisches Enddatum 2088 sowie eine pessimistische Kalkulation mit dem Einlagerungsbeginn im Jahr 2150, vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 15 ff.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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d) Zwischenergebnis Standortauswahlgesetz Das Standortauswahlgesetz nimmt für sich in Anspruch, einen Neustart der Endlagersuche in Deutschland zu initiieren1105 und wird insofern auch als „soziale Innovation“1106 bezeichnet. Um dies zu gewährleisten, befasste sich die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe mit der Geschichte der Endlagerung im nationalen Kontext und zog Erfahrungswerte aus anderen Ländern hinzu. Als Lehre aus den Fehlgriffen der Vergangenheit und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Konfliktlinien1107 wurde mit dem Standortauswahlgesetz von 20131108 sowie den Modifikationen durch das Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur1109 und dem Fortentwicklungsgesetz1110 ein Standortauswahlverfahren konzipiert, das mit einer umfassenden und kontinuierlichen Beteiligung der Öffentlichkeit einen gesellschaftlichen Konsens erreichen möchte. Mit größtmöglicher Transparenz, fortlaufender Information sowie der Möglichkeit, beim Auftreten von Fehlentwicklungen in frühere Verfahrensstufen zurück springen zu können, soll Vertrauen in die zu treffenden Entscheidungen erzeugt werden.1111 Insoweit entspricht das Partizipationskonzept im Wesentlichen den in Abschnitt C vorgestellten Anforderungen, um die Öffentlichkeit als Kommunikations- und Legitimationsfaktor gewinnen zu können.1112 Gleichwohl besteht eine Diskrepanz zwischen der potenziellen Erwartungshaltung der Bevölkerung, welche § 5 Abs. 1 S. 2 StandAG der Öffentlichkeit durch die Benennung als „Mitgestalter des Verfahrens“ vermittelt und den de facto nicht gegebenen Mitentscheidungsbefugnissen.1113 Die Gefahr der „Partizipationsverflechtungsfalle“1114 ist 1105
S. a. Smeddinck, EurUP 2017, S. 195; Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 195, der die Ausgestaltung des StandAG als „einzigartig“ bezeichnet. 1106 Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125 f.; näher zum Begriff der „sozialen Innovation“ Hoffmann-Riem, Innovation und Recht, Recht und Innovation, 2016, S. 200 ff. 1107 Kalmbach, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 389 ff.; Smeddinck, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 158. 1108 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG) vom 23.7.2013, BGBl. I S. 2553. 1109 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 1110 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1111 Vgl. die entsprechende Forderung von Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 184. 1112 Vgl. insb. die Darstellung in Abschnitt C. IV. 3. 1113 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 249 f., der gleichwohl (zutreffend) darauf verweist, dass die Mitgestaltung des Verfahrens nicht mit der Mitentscheidung über Ergebnisse gleichzusetzen ist. 1114 Näher hierzu in Abschnitt C. IV. 4. b); instruktiv zum Begriff Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 121; ders., dms 2015, S. 273, 277.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
mit dem ausdifferenzierten Beteiligungssystem des Standortauswahlgesetzes also keineswegs gebannt, sondern vielmehr institutionell angelegt.1115 Neben den auf Ausgleich angelegten Aspekten des Partizipationskonzepts ist das Standortauswahlverfahren aber auch mit Instrumenten angereichert, die dafür Sorge tragen, dass die Standortsuche letztendlich von Erfolg gekrönt ist.1116 Die Konzentration von Zuständigkeiten auf Bundesebene minimiert Reibungsverluste im föderalen System.1117 Die Ausgestaltung als Legalplanungsverfahren stärkt zwar durch die Einsetzung des Parlaments als Letztentscheider die Legitimationswirkung,1118 geht aber auch mit Rechtsschutzeinschränkungen einher.1119 Weitere Elemente zur Unterstützung der Durchsetzbarkeit sind die Implementierung einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung1120 sowie die Standortsicherungsvorschriften nach § 21 StandAG. Die konsistente Fokussierung auf das Hauptziel des StandAG,1121 wird bei allen Bemühungen der Endlagerkommission um Ausgleich und Befriedung in der Forderung deutlich, zur Vermeidung von Verfahrensblockaden auch „entpartizipierte“ Lösungen zu erwirken.1122 Dieser Widerspruch zwischen konsequenter Projektrealisierung und Konsensorientierung verdeutlicht, dass die Umsetzung des Standortauswahlprozesses voraussetzungsvoll ist und bleibt. Der Zielkanon des StandAG repräsentiert die Komplexität der Materie und stellt die Sorgfalt des Gesetzgebers bei der Erfassung und Formulierung der Aufgabe unter Beweis. Die dezidierte Auflistung von Haupt- und 1115 In diese Richtung auch Durner, NuR 2019, S. 241, 250; ders., 15. AtomRS, S. 311, 337, 340; ähnlich Böhm, GS Schmehl, S. 435, 447; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362; deutlich optimistischer Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744. 1116 Ähnlich, wenngleich die Verhandlungskomponente gegenüber einem „formal robusten Verfahren“ hervorhebend Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 127; die Ausgestaltung als „mittleren Weg“ bezeichnend und die vielfältige Kritik von verschiedener Seite als Qualitätskriterium ansehend Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 205. 1117 S. a., wenngleich nicht unkritisch, insb. im Hinblick auf die standortnahe Zwischenlagerung Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65 f. 1118 So etwa Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 280; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 29; krit. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 308 ff. 1119 Vgl. u. a. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 295 ff.; Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 126. 1120 Diese entsteht durch die in 12 Abs. 1 S. 4 StandAG enthaltenen Verweisung auf das AtG; „enteignungsrechtlicher Vorwirkung“ bedeutet, dass durch den Planfeststellungsbeschluss (hier: „Planfeststellungsgesetz“) zwar noch keine Enteignung vollzogen wird, jedoch bereits verbindlich für den betroffenen Grundstückseigentümer festgestellt wird, ob und inwieweit sein Grundstück aufgrund des Plans für das Vorhaben benötigt werden könnte und deshalb enteignet werden darf; näher zu diesem Institut Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016 sowie in Abschnitt D. IV. 3. 1121 Dieses liegt ausweislich von § 1 Abs. 2 StandAG darin, den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für eine Anlage zur Endlagerung von hoch radioaktiven Abfällen zu finden, vgl. ausführlich in Abschnitt D. III. 1. a). 1122 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 114.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Nebenzielen lässt aber auch das Auftreten von Zielkonflikten mehr als wahrscheinlich erscheinen. In Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG1123 steht das Verfahren der Standortauswahl richtigerweise unter dem Primat der Sicherheit. Dies verlangt eine gewissenhafte Untersuchung der verschiedenen Standorte sowie technischen Entsorgungsoptionen. Beschleunigungsbestrebungen, um die Endlagersuche noch in dieser Generation zu einem Ende zu führen, dürfen demnach keinen Selbstzweck darstellen.1124 Generell gilt es für die beteiligten Akteure einen Spagat zwischen umfassenden Beteiligungsoptionen und Korrekturmöglichkeiten einerseits sowie Beschleunigungsbestrebungen andererseits auszuführen.1125 Diese Ambivalenz des Standortauswahlverfahrens spiegelt sich in der Spannbreite der am StandAG geäußerten Kritik wider. Ein Lager kritisiert die Beteiligungsinstrumente als indifferent1126 und beklagt eine zunehmende Entpolitisierung und Verantwortungsdiffussion hin zu gesellschaftlichen Gruppen.1127 Auf der anderen Seite werden Elemente, welche den verantwortlichen Stellen wirkmächtige Durchsetzungsmittel verleihen1128 aufgrund der damit einhergehenden Rechtsschutzverkürzung beanstandet.1129 Festzuhalten bleibt, dass das Standortauswahlgesetz einen konsistenten Weg für den Prozess der Standortauswahl vorzeichnet. Identifizierte Schwachstellen der Vergangenheit wurden mit entsprechenden Regelungen geglättet.1130 Ob die der1123
Zu Herleitung, Bezugspunkt und Umfang, vgl. ausführlich in Abschnitt D. II. 1. Bei realistischer Betrachtung ist der aktuell angestrebte Zeitplan auch nicht realisierbar, vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016; ähnlich Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101 f.; Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 223; das Erfordernis einer längerfristigen Zwischenlagerung betonend Budelmann/Di Nucci/Isidoro Losada u. a., GAIA 2017, S. 110, 112 f.; unter dem Stichwort „Generationengerechtigkeit“ ein Standortauswahlverfahren daher ablehnend Wimmer, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 111, 113 f. 1125 In diese Richtung mit einem Fokus auf Sicherheit und Beteiligung, Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 127. 1126 Kersten, aviso 3/2016, S. 20, 23. 1127 Vgl. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff.; ders., aviso 3/2016, S. 20, 22 f.; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 355 ff., 362 f.; ähnlich Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 11 ff.; grundsätzlich krit. zur „szientistisch(en)“ Entpolitisierung Gärditz, DÖV 2017, S. 41, 49 (Fn. 74); a. A. Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 17. 1128 Zu denken ist in erster Linie an die Institute der Legalplanung und der enteignungsrechtlichen Vorwirkung. 1129 Vgl. Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 67. krit. zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 296 f.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136 ff.; Posser, FS Dolde, S. 251, 275 f., 286; krit. zum eingeschränkten Rechtsschutz statt vieler Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 28 f.; Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 135 ff. 1130 So etwa Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 127; ähnlich Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 128. 1124
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
zeitige überwiegend konstruktive Arbeitsatmosphäre anhält1131 und das Standortauswahlgesetz ein belastbares Regelungskonstrukt bei einem Auseinanderdriften des politischen Konsenses und dem Aufflammen von Konflikten vor Ort bereithält, wird sich im Laufe des vermutlich mehrere Jahrzehnte dauernden Standortauswahlverfahrens zeigen müssen.1132 2. Atomgesetz Das vorangegangene Kapitel umschreibt mit dem Standortauswahlgesetz das Herzstück des einfachgesetzlichen Regelungsrahmens der Endlagersuche. Die Basis des Atomrechts mit der Regelung grundlegender Fragen liegt allerdings im Atomgesetz.1133 So kann es nicht überraschen, dass einzelne Vorschriften des Atomgesetzes Implikationen für die Standortsuche zeitigen. Zu denken ist neben der Zweckbestimmung des § 1 Nr. 1 AtG, an die Festschreibung der Endlagerung als Staatsaufgabe sowie die Endlagergenehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG und die Vorschriften zur Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen in den §§ 9d bis g AtG. Der wesentliche Inhalt dieser Regelungen soll nachfolgend kursorisch dargestellt und ihre Bedeutung für die Standortsuche herausgearbeitet werden. a) Beendigungs- und Sicherstellungszweck (§ 1 Nr. 1 AtG) Mit der Atomgesetznovelle im Jahr 20021134 erfuhr die Regelung des § 1 Nr. 1 AtG eine grundlegende Änderung. Anstelle des bislang enthaltenen Förderzwecks wurde festgeschrieben, die kommerzielle Nutzung der Kernenergie geordnet zu beenden und bis zum Zeitpunkt der Beendigung den weiteren Betrieb sicherzustellen.1135 Diese – der Umsetzung des sog. Atomkonsens I1136 dienende – Zweckbestimmung1137 1131 Gleichwohl krit. zur bislang geringen Wahrnehmung der Beteiligungsangebote Böhm, GS Schmehl, S. 435, 446. 1132 Ähnlich Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 205; Emanuel, ZNER 2017, S. 11, 17; Ott/ Semper, GAIA 2017, S. 100, 102; Müller, FJSB 2016, S. 134, 138; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284; ebenso mit Fokus auf die planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 146; krit. Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 183; eher pessimistisch Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 416. 1133 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz – AtG), neugefasst durch Beschluss v. 15.7.1985 (BGBl. I S. 1585); zul. geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 10.7.2018 (BGBl. I S. 1122). 1134 Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v. 22.4.2002, BGBl. I S. 1351. 1135 Vgl. Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 AtG Rn. 2. 1136 BMU, Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nu kleare_Sicherheit/atomkonsens.pdf, (geprüft am 19.6.2019); vgl. dazu Schorkopf, NVwZ 2000, S. 1111 ff.; Wagner, NVwZ 2001, S. 1089 ff.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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stellt die Ziele Beendigung der Kernkraftnutzung und Sicherstellung des geordneten Kernkraftbetriebs bis zum vorgesehenen Laufzeitende gleichrangig nebeneinander.1138 Der Beendigungszweck verleiht den auf die Terminierung der Kernenergienutzung gerichteten Einzelregelungen1139 eine teleologische Basis.1140 Quasi als Ausgleich1141 garantiert der Sicherstellungszweck, dass die Anlagenbetreiber für die zugesagten Restlaufzeiten ihr Anlageneigentum – freilich nur innerhalb der gesetzlichen Vorschriften – ungehindert nutzen können.1142 Mit dem Erreichen der in § 7a Abs. 1 AtG festgelegten fixen Abschalttermine wird der Sicherstellungszweck obsolet und der Beendigungszweck entfaltet seine volle Wirkung.1143 Daraus folgt für die Standortsuche, dass die in der Endlageranlage unterzubringenden Mengen hochradioaktiver Abfälle bereits aus heutiger Sicht kalkulierbar sind und zum 31. Dezember 2022 nahezu feststehen.1144 Des Weiteren ist mit § 1 Nr. 1 AtG der Wunsch nach einer Festschreibung des Kernenergieausstiegs bereits im Atomgesetz an prominenter Stelle verwirklicht. Die Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung ist – ungeachtet der prinzipiellen Zulässigkeit1145 – demnach in erster Linie dem Bereich politischer Symbolik zuzuordnen.1146 b) Staatsaufgabe Endlagerung (§ 9a Abs. 3 AtG) Mit der Grundsatzentscheidung zur Beendigung der Kernkraftnutzung rückt die Entsorgungsproblematik verstärkt in das Zentrum der Betrachtung. Durch die sei1137 Zu den Aufgaben und Wirkungen gesetzlich normierter Zweckbestimmungen, vgl. die Ausführungen in Abschnitt D. III. 1. a) mit den dortigen Nachweisen; explizit zu den Zwecken des AtG, vgl. Ruttloff/Staubach, NuR 2017, S. 826, 832 f. 1138 Vgl. BT-Drs. 14/6890, S. 13 ff.; Ruttloff/Staubach, NuR 2017, S. 826, 829, 832. 1139 Hierzu zählen etwa das Neuerrichtungsverbot kerntechnischer Anlagen zur kommerziellen Energieerzeugung, die Begrenzung der Restlaufzeiten und die im Jahr 2011 in § 7 Abs. 1a AtG eingeführten festen Abschalttermine. 1140 Ruttloff/Staubach, NuR 2017, S. 826, 832; Kühne, DVBl. 2003, S. 1361, 1365. 1141 Für ein „synallagmatisches Verhältnis“ Ruttloff/Staubach, NuR 2017, S. 826, 829; von einem „do ut des“ sprechend Schorkopf, NVwZ 2000, S. 1111, 1112. 1142 Vgl. Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 AtG Rn. 6; zum sich daraus ergebenden Verbot einer „ausstiegsorientierten Gesetzesanwendung“, vgl. Schmans, in: Posser/Schmans/ Müller-Dehn (Hrsg.), AtG 2002, § 1 Rn. 18; Ruttloff/Staubach, NuR 2017, S. 826, 829; jüngst Burgi, NVwZ 2019, S. 585, 590. 1143 In diese Richtung Ruttloff/Staubach, NuR 2017, S. 826, 832; zur Ausnahme für Forschungsreaktoren, vgl. BT-Drs. 14/6890, S. 19; Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 AtG Rn. 6; Wagner, NVwZ 2001, S. 1089, 1095. 1144 Vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 8 f. 1145 Näher hierzu Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 399; Gärditz, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz?, K-MAT 61, 29.3.2016; Roßnagel, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz, K-MAT 62, 2016. 1146 Vgl. bereits Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (m).
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
nerzeitige Genehmigungserteilung für den Betrieb von Kernkraftanlagen sowie die finanzielle Förderung zum Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Kernenergie erwächst dem Staat auf Basis der grundrechtlichen Schutzpflichten eine obligatorische Staatsaufgabe zur Regelung der Entsorgung.1147 In Erfüllung dieser verfassungsrechtlichen Aufforderung weist § 9a Abs. 3 S. 1 Hs. 2 AtG dem Bund die Aufgabe zu, Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten.1148 Neben der Zuständigkeitszuweisung an den Bund enthält die Vorschrift im Lichte des verfassungsrechtlich determinierten Auftrags zusätzlich den Appell, die Umsetzung eines Endlagers zu gewährleisten.1149 Die konkrete Ausführung erfolgt gemäß § 9a Abs. 3 S. 2 Hs. 2 AtG durch einen Dritten.1150 Auf dieser Basis wurde die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) durch Bescheid des Bundesumweltministeriums vom 24. April 20171151 mit der Aufgabenwahrnehmung nach § 9a Abs. 3 S. 1 AtG betraut und erhielt die erforderlichen Befugnisse nach § 9a Abs. 3 S. 3 Hs. 1 AtG.1152 c) Endlagergenehmigung (§ 9b Abs. 1a AtG) Zur Umsetzung der Staatsaufgabe Endlagerung schließt sich an die Auswahl eines Standortes nach dem StandAG das Zulassungsverfahren für Errichtung, Betriebes und Stilllegung eines Endlagers nach § 9b Abs. 1a AtG an.1153 Das Endlagerprojekt wird nach der Standortfestlegung durch Bundesgesetz so weit fortgeschritten sein, dass nach den primär bergrechtlichen Anforderungen der einzelnen Erkundungsphasen nunmehr vorrangig atom- und strahlenschutzrechtliche Erfordernisse in den Mittelpunkt treten. Im Verfahren nach dem StandAG werden sämtliche öffentlichrechtlichen Belange im Hinblick auf die Standortfestlegung bei der Ausarbeitung des Standortvorschlages abgewogen.1154 Die Anlagengenehmigung nach § 9b Abs. 1a 1147 Vgl. auch Huber, DVBl. 2001, S. 239, 240 f., 248; näher zur verfassungsrechtlichen Fundierung in Abschnitt D. II. 1. c) ee) m. w. N. 1148 Vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 139. 1149 S. a. mit Kritik zur bisher fehlenden Umsetzung Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 120 f., 376 f. 1150 Dieser ist in privater Rechtsform zu organisieren. Zudem hat der Bund Alleingesellschafter zu bleiben. 1151 BMUB, Übertragung der Wahrnehmungen von Aufgaben und Befugnissen auf die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, 24.4.2017, http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Da ten_BMU/Download_PDF/Endlagerprojekte/aufgabenuebertragung_BGE_bf.pdf, (geprüft am 26.9.2019). 1152 Vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9a AtG Rn. 33; näher zur Gründung und den Aufgaben der BGE in Abschnitt D. III. 1. b) cc). 1153 Für eine einheitliche Beschreibung der einzelnen Verfahrensstufen der Standortsuche einschließlich der anschließenden atomrechtlichen Genehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG, vgl. Abschnitt D. III. 1. c). 1154 Krit. zum Übergang der Abwägungsentscheidung vom Gesetzgeber auf das BASE nach dem StandAG 2017, Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 8.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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AtG umfasst hingegen die Prüfung der atomrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung der Endlageranlage.1155 In Zusammenschau mit der Vorschrift des § 20 Abs. 3 StandAG ist die verfahrensrechtliche Realisierung des Endlagers einerseits in das gestufte Legalplanungsverfahren zur Ermittlung des Standortes mit der bestmöglichen Sicherheit sowie die atomrechtliche Genehmigung aufgeteilt, andererseits durch die verbindliche Festlegung des Standortes eng miteinander verzahnt.1156 Mit der Konzeption als standortbezogene Legalplanung mit anschließender gebundener Anlagengenehmigung1157 ist die Diskussion deutlich entschärft,1158 inwieweit der zuständigen Behörde im atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren1159 ein planerischer Gestaltungsspielraum zukommt1160 oder ob es sich um eine strikt gebundene Entscheidung handelt.1161 Die Abwägung der standortbezogenen Elemente hat der Gesetzgeber nunmehr auf das Legalplanungsverfahren des StandAG vorverlagert. Die weiteren materiellen Zulassungsvoraussetzungen der Anlagenge-
1155 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 31; vgl. auch Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 280; Gaentzsch, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 115, 116. 1156 Dies gewährleistet § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG, der die Standortentscheidung hinsichtlich der standortbezogenen Elemente für verbindlich erklärt. Nach S. 2 der Vorschrift ist im nachfolgenden Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG die Eignung des konkreten Vorhabens vollumfänglich zu prüfen. Eine Bindung an die schon bei der Standortauswahl getroffene Entscheidung, der Standort lasse erwarten, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden nach § 9b Abs. 1a AtG gewährleistet ist und sonstige öffentliche Vorschriften nicht entgegenstehen, besteht insofern nicht, s. a. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 12, 14 f.; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 9 f.; ähnlich, aber noch zum StandAG 2013 Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 41. 1157 S. a. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 139 f. 1158 Vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 302 f., der zwar einerseits ein Versagungsermessen zuerkennt, dieses aber andererseits gleichzeitig aufgrund einer „verfassungsrechtlichen Induzierung“ zu einer „Erteilungspflicht“ verdichtet. 1159 Auf diese Weise wurde das Endlager für nicht wesentlich Wärme entwickelnder Abfälle (Schacht Konrad) genehmigt. Zu nach der Einführung des § 9b Abs. 1a AtG verbleibenden Anwendungsfällen, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 13. 1160 So etwa Ramsauer, NVwZ 2008, S. 944, 946 ff.; zur Erforderlichkeit einer Abwägung aufgrund der enteignungsrechtlichen Vorwirkung Rietzler, NVwZ 2011, S. 333, 335 f. 1161 BVerfGK 16, 370 Rn. 59 – Schacht Konrad; dies mit der Parallele der atom- und bergrechtlichen Planfeststellung begründend OVG Lüneburg, DVBl. 2006, S. 1044, 1048 f.; aus der Lit.: Gaentzsch, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 115, 120 f.; Witt, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 125, 127; näher zum Gleichlauf des atom- und bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens Kühne, in: Koch/ Roßnagel (Hrsg.), 13. ATRS, S. 361, 365 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
nehmigung sind, wie sich der Wortgleichheit zu § 9b Abs. 4 AtG entnehmen lässt, dem atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren nachempfunden.1162 d) Atomrechtliche Zwangsmaßnahmen (§§ 9d – g AtG) Da sich infrastrukturelle Großprojekte häufig nur durch die Inanspruchnahme fremden Eigentums realisieren lassen,1163 sind zur Erfüllung der Staatsaufgabe Endlagerung aus § 9a Abs. 3 AtG verschiedene Durchsetzungsbefugnisse in das Atomgesetz integriert.1164 Über die Vorschrift des § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG sind diese auch im Verfahren der Standortauswahl anwendbar.1165 Danach dürfen zum einen für die Zwecke der Erkundung Enteignungen nach § 9d AtG vorgenommen werden, deren Gegenstand, Zulässigkeit und Entschädigung § 9e AtG näher regelt. Als milderes Mittel im Sinne eines gestuften Vorgehens statuiert § 9f AtG Duldungspflichten wie Betretungs- und Befahrensrechte für Vorarbeiten an Grundstücken. In Ergänzung zu den Standortsicherungsklauseln nach § 21 StandAG1166 ermöglicht der Verweis auf § 9g Abs. 3 bis 5 AtG den Erlass von Veränderungssperren. aa) Enteignungen (§§ 9d und 9e AtG) Im Gegensatz zu Abs. 1 gestattet § 9d Abs. 2 AtG die Enteignung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle auch zum Zweck der Standorterkundung.1167 Insofern kommt dieser Vorschrift für das Standortauswahlverfahren maßgebliche
1162 S. a. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 15, 23 ff.; ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 303 ff. 1163 Vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 35; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 262; Paetow, FS Sellner, S. 509, 512; Kühne, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. ATRS, S. 361, 371; Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 559; s. a. Bernhard Stüer in seinem Geleitwort zu Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 5; konkret zur Standortsuche Keienburg, atw 2014, S. 571, 575 f. 1164 Vgl. BT-Drs. 13/8641, S. 14; die Einfügung erfolgte durch das Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz v. 6.4.1998, BGBl. I S. 694; näher zur 8. Atomgesetznovelle Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553 ff. 1165 Vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 7 f.; ausführlich zur Anwendbarkeit berg- und atomrechtlicher Enteignungsvorschriften aufgrund der Vorschrift des § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG 2013, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 262 ff. 1166 Zu den Standortsicherungsklauseln nach § 21 StandAG, vgl. bereits Abschnitt D. III. 1. c) bb) (4). 1167 Insbesondere umfasst die Pflicht zur Errichtung eines Endlagers nach § 9a Abs. 3 S. 1 AtG auch die untertägige Erkundung eines Standortes, vgl. Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999, Rn. 1142.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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Relevanz zu.1168 Die Enteignungsmöglichkeiten bestehen sowohl zur Durchführung von Erkundungsmaßnahmen auf der Grundlage des Bundesberggesetzes1169 als auch zu deren Offenhaltung ab der Entscheidung zur übertägigen Erkundung.1170 § 9d Abs. 2 S. 2 AtG stellt klar, dass die Enteignung insbesondere dann notwendig ist, wenn die Eignung bestimmter geologischer Formationen als Endlagerstätte ohne die Inanspruchnahme privaten Eigentums nicht oder nicht in erforderlichem Umfang untersucht werden kann.1171 Die Gegenstände einer Enteignung werden durch § 9e Abs. 1 AtG abschließend benannt.1172 In Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 3 GG bestimmt § 9e Abs. 2 S. 1 AtG, dass die Enteignung im Einzelfall nur zulässig ist, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient. Als Regelbeispiel der Gemeinwohldienlichkeit wird die Sicherstellung der Endlagerung radioaktiver Abfälle nach § 9a AtG genannt.1173 Spiegelbildlich zur Bedeutung einer gesicherten Energieversorgung für die Allgemeinheit liegt darin für den Bereich des Atomrechts eine verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung des Art. 14 Abs. 3 GG.1174 Die Enteignung ist als Ausdruck des 1168
Vgl. näher zur verfassungsrechtlichen Problematik der enteignungsrechtlichen Vorwirkung der Standortauswahl in Abschnitt D. IV. 3. b). 1169 Näher zur Anwendbarkeit der Vorschriften des Bergrechts, vgl. nachfolgend in Abschnitt D. III. 3. a) sowie bei Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 262 ff. 1170 Bei der klarstellenden Ergänzung zur Offenhaltung eines im Standortauswahlverfahren befindlichen Standortes handelt es sich um eine der wesentlichen Ergänzungen der atomrechtlichen Enteignungsvorschriften durch das StandAG 2013, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 32; vgl. etwa auch John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9d AtG Rn. 7. 1171 Dem stehen erhebliche Behinderungen, Verzögerungen oder Erschwernisse gleich. Zudem stellt § 9d Abs. 2 S. 3 AtG die parallele Anwendbarkeit der bergrechtlichen Vorschriften über die Zulegung und die Grundabtretung sowie über sonstige Eingriffe in Rechte Dritter für bergbauliche Zwecke klar, vgl. auch Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 559. 1172 Durch Enteignungen nach § 9d AtG können demnach das Eigentum oder andere Rechte an Grundstücken und grundstückgleichen Rechten entzogen oder belastet werden (Nr. 1). Daneben können Rechte entzogen werden, die zum Erwerb, zum Besitz oder zur Nutzung von Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten berechtigen oder die den Verpflichteten in der Nutzung beschränken (Nr. 2). Den Entzug oder die Belastung von Bergbauberechtigungen sowie nach dem BBergG aufrechterhaltenen alten Rechten ermöglicht Nr. 3, während Nr. 4 gestattet, Rechtsverhältnisse zu begründen, die Rechte der in Nr. 2 bezeichneten Art gewähren; zur Eigenschaft als abschließende Aufzählung, vgl. BT-Drs. 17/3052, S. 14; für die während der untertägigen Standorterkundung anfallenden Arbeiten spielen die dem Schutz von Art. 14 GG unterfallenden (vgl. BVerfGE 77, 130, 136 – Schloß Cappenberg), in Nr. 3 genannten Bergbauberechtigungen eine gewichtige Rolle, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 6. 1173 Zur verfassungsrechtlich geforderten Auslegung der Vorschrift (Streichung der „Insbesondere-Formulierung“), vgl. BVerfGE 134, 242, 301 f. – Rn. 196 ff. – Garzweiler; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 9 sowie die Ausführungen in Abschnitt D. IV. 3. c) cc) (1). 1174 S. a. Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999, Rn. 1144; auf die Intensität und Langzeitwirkung radioaktiver Abfälle abstellend und deshalb die sichere
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Ultima-ratio-Gedankens zur Erfüllung der obligatorischen Staatsaufgabe Entsorgung aber nur zulässig, sofern der Enteignungszweck unter Beachtung der Standortgebundenheit des Vorhabens auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann.1175 In Erfüllung der sog. Junktim-Klausel des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG1176 regelt § 9e Abs. 3 AtG die Enteignungsentschädigung. Die Verpflichtung zur Leistung der Entschädigung obliegt nach Satz 1 der Vorhabenträgerin BGE als Antragstellerin in einem etwaigen Enteignungsverfahren. Die Bestimmung, für welche Vermögensnachteile eine Entschädigung zu leisten ist (Satz 3) sowie die Beschränkung der Entschädigungshöhe auf den Verkehrswert (Satz 4), entspricht den allgemein üblichen Regelungen zur Enteignungsentschädigung.1177 Hinsichtlich des Verfahrens der Enteignung, zur Rückenteignung sowie zur Entschädigungsbemessung verweist § 9e Abs. 4 AtG auf verschiedene Vorschriften des Baugesetzbuchs.1178 Den Rechtsschutz gegen die Enteignungsentscheidung regelt § 9e Abs. 5 AtG. Gemäß dessen Satz 1 besteht durch die Verweisung auf die §§ 217 – 231 BauGB eine Rechtswegzuweisung an die Landgerichte (Kammer für Baulandsachen). Die weiterhin vorgesehene Straffung und Vereinheitlichung von Verfahrensfristen und Rechtsbehelfen soll dazu beitragen, innerhalb eines vertretbaren Zeitraums Planungssicherheit für den Endlagerstandort herzustellen.1179 Beseitigung als „Gemeinwohlaufgabe höchster Priorität“ bezeichnend Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 560. 1175 Vgl. BT-Drs. 17/3052, S. 14; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 8; näher zur Erforderlichkeit einer im Zuge der Legalplanung im Raum stehenden enteignungsrechtlichen Vorwirkung in Abschnitt D. IV. 3. c) cc) (2); zum Ultima-ratio-Gedanken der Enteignung Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 559; weitere Einschränkungen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit sind in § 9d Abs. 2 S. 3 – 5 AtG geregelt. So besteht etwa der Vorrang einer gütlichen Einigung (S. 3), eine Erforderlichkeitsprüfung (S. 4) sowie – vergleichbar zur Regelung des § 92 Abs. 3 BauGB – bei Teilenteignungen ein Anspruch auf Übernahme des verbliebenen Restgrundstücks oder Restbesitzes, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 10 – 12; zum Vorrang konsensualer Grundstücksnutzungen, Keienburg, atw 2014, S. 571, 575; für die Verhältnismäßigkeit der Enteignungsregelungen, vgl. auch Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 560. 1176 Statt vieler Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 2013, S. 245 ff.; näher zum Zweck Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 110. 1177 S. a. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 13; allgemein zur Problematik unterschiedlicher Rechtspositionen: Aust, in: Aust/Jacobs/Pasternak (Hrsg.), Enteignungsentschädigung, 2017, Rn. 625; zur Beschränkung auf den Verkehrswert, vgl. allgemein Froese, in: Depenheuer/Shirvani (Hrsg.), Die Enteignung, 2018, S. 255, 260 f.; Jacobs, in: Aust/Jacobs/ Pasternak (Hrsg.), Enteignungsentschädigung, 2017, Rn. 207 ff. 1178 Im Einzelnen sind dies die §§ 93 – 103 sowie 106 – 122 BauGB. Die vorgenannten Vorschriften finden Anwendung soweit in § 9e AtG keine abschließende Regelung zur Enteignungsentschädigung getroffen ist, vgl. BT-Drs. 17/3052, S. 15; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 14. 1179 Vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 17; zu ähnlichen Erwägungen bei der Rechtsschutzgestaltung in den §§ 17 Abs. 3 und 19 Abs. 2 StandAG, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) bb) (2) und (3) sowie D. IV. 2. c) aa) (3).
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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bb) Vorarbeiten an Grundstücken (§ 9f AtG) Ergänzend zu den vorgenannten Enteignungsregelungen ergibt sich aus der Vorschrift des § 9f Abs. 1 S. 1 AtG eine Duldungspflicht für notwendige Vorarbeiten während der obertägigen Standorterkundung. Hierzu dürfen Grundstücke betreten und befahren sowie Vermessungen, Boden- und Gewässeruntersuchungen und ähnliche vorübergehende Vorarbeiten durchgeführt werden. Die Duldungspflicht umfasst sämtliche Maßnahmen, die zur Ermittlung des planerischen Abwägungsmaterials benötigt werden.1180 Dies ermöglicht dem Vorhabenträger, erforderliche Analysen durchzuführen, ohne auf die Kooperationsbereitschaft der jeweiligen Grundstückseigentümer angewiesen zu sein.1181 Aufgrund des vorübergehenden Charakters und der vergleichsweise niedrigen Eingriffsintensität während dieser Erkundungsphase stellt sich die Regelung des § 9f AtG als verhältnismäßiges, milderes Mittel im Vergleich zum dauerhaften Eigentumsentzug durch Enteignung dar.1182 Die Absicht, Grundstücke zu betreten oder entsprechende Arbeiten durchzuführen, ist nach Abs. 1 S. 2 rechtzeitig vorab bekannt zu geben.1183 Weiterhin statuiert § 9f Abs. 2 AtG nach Abschluss der Vorarbeiten eine Wiederherstellungspflicht durch den Vorhabenträger.1184 Sofern dem Eigentümer oder sonstigen Nutzungsberechtigten unmittelbare Vermögensnachteile entstehen, normiert § 9f AtG eine angemessene Entschädigungspflicht in Geld.1185 Diese Wiederherstellungsund Entschädigungsregelung trägt rechtsstaatlichen Postulaten des grundrechtlichen Eigentumsschutzes Rechnung.1186 cc) Veränderungssperren (§ 9g AtG) Von der Verweisung des § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG sind zudem die Vorschriften des § 9g Abs. 3 – 5 AtG umfasst. Danach entsteht bei Vorhaben zur untertägigen Standorterkundung ab dem Zeitpunkt der Auslegung eines Planes im Planfeststel1180 Vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9f AtG Rn. 6; zum rein beispielhaften Charakter der gesetzlichen Aufzählung Keienburg, atw 2014, S. 571, 576. 1181 S. a. Hönig, UPR 2001, S. 374 f. 1182 In diese Richtung auch Keienburg, atw 2014, S. 571, 576; zur Begrenzung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung auf die untertägige Erkundung und die abschließende Standortfestlegung, vgl. Abschnitt D. IV. 3. b). 1183 Die Duldungspflicht ist somit nicht selbstvollziehend und verlangt als konstitutives Merkmal die vorherige Bekanntgabe, die als Verwaltungsakt eigenständig beklagbar ist, vgl. Keienburg, atw 2014, S. 571, 576; Hönig, UPR 2001, S. 374, 377. 1184 Der frühere Zustand gilt als wiederhergestellt, wenn keine Beeinträchtigungen der Nutzungsmöglichkeiten mehr vorliegen. Dazu sind alle äußeren Veränderungen durch Verfüllen von Bohrlöchern und Abgrabungen oder den Rückbau sonstiger Abweichungen auszugleichen, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9f AtG Rn. 8; Hönig, UPR 2001, S. 374, 380. 1185 Vgl. BT-Drs. 17/3052, S. 15. 1186 S. a. Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 560.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
lungsverfahren nach § 57a BBergG kraft Gesetzes eine Veränderungssperre.1187 In dieser Automatik besteht der wesentliche Unterschied zu den Standortsicherungsvorschriften des § 21 StandAG, welche aufgrund einer Allgemeinverfügung des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) erlassen werden.1188 Mit dem Zusammenspiel von kraft Gesetzes eintretender Veränderungssperre einerseits und behördlich angeordneten Standortsicherungsklauseln andererseits soll ein möglichst lückenloser Schutz potenzieller Standorte vor negativen Veränderungen gewährleistet werden.1189 Ein Rückgriff auf das Instrument der Rechtsverordnung nach § 9g Abs. 1 AtG ist im Anwendungsbereich des StandAG aufgrund der Verweisungssystematik nunmehr ausgeschlossen.1190 e) Zusammenfassung Das Atomgesetz enthält mit der Zweckbestimmung zur Beendigung der kommerziellen Nutzung der Kernenergie und der obligatorischen Staatsaufgabe zur Entsorgung zwei Vorschriften, die das einfach-rechtliche Fundament und die Ausgangsbasis der Standortsuche bilden. Zudem besteht durch den Mechanismus der Vorschriften des § 20 Abs. 3 StandAG und des § 9b Abs. 1a AtG eine enge Verzahnung von gestuftem Legalplanungsverfahren zur Standortfestlegung nach dem StandAG und anschließender atomrechtlicher Anlagengenehmigung. Wesentliche Implikationen zeitigen zudem die atomrechtlichen Zwangsmaßnahmen, welche über § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG in das Verfahren der Standortsuche inkorporiert werden. 3. Ergänzende fachgesetzliche Regelungen Neben dem zuvor detailliert vorgestellten Standortauswahlgesetz und dem Atomgesetz existieren eine Reihe weiterer einfachgesetzlicher Regelungen, die während der Standortsuche Anwendung finden können. Insbesondere zur Durchführung der notwendigen Erkundungen sind abhängig von den jeweiligen Maßnahmen öffentlich-rechtliche Gestattungen erforderlich, mit denen konkrete Tätig1187
Von den Wirkungen der Veränderungssperre sind solche Nutzungen nicht umfasst, die bereits vor dem in § 9g Abs. 3 AtG genannten Zeitpunkt begonnen wurden. Weiterhin findet die Regelung keine Anwendung auf solche untertägigen Erkundungsmaßnahmen, die keiner bergrechtlichen Planfeststellung bedürfen, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9g AtG Rn. 24. 1188 Näher zur Standortsicherungsvorschrift des § 21 StandAG in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (4). 1189 Zum Verhältnis zu § 21 StandAG, vgl. Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 286; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 27, zum Zweck des § 21 StandAG zum Erhalt der Unversehrtheit möglicher für eine Endlagerung geeigneter geologischer Formationen, vgl. a. a. O. Rn. 3. 1190 John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9g AtG Rn. 8; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 21 StandAG Rn. 27; a. A. unter Bezug auf die Rechtslage nach dem StandAG 2013 Fillbrandt, NVwZ 2017, S. 855, 857.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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keiten zugelassen werden (a).1191 Nachfolgend wird eine Auswahl der einschlägigen Vorschriften benannt und ihre Implikationen für das Standortauswahlverfahren dargestellt. Zudem erfolgt ein kursorischer Überblick über weitere Regelwerke mit Bezug zur Standortsuche (b) sowie eine Abgrenzung zu unanwendbaren bzw. überregelten Rechtsbereichen (c). a) Öffentlich-rechtliche Zulassungen Für das Bergrecht erklärt § 12 Abs. 1 S. 1 StandAG verschiedene Vorschriften des Bundesberggesetzes (BBergG)1192 als entsprechend anwendbar. Die Notwendigkeit zur Einbeziehung von bergrechtlichen Regelungen ergibt sich daraus, dass es sich bei den Untersuchungen zur Standorterkundung weitgehend um bergmännische Arbeiten handelt, für die spezielle bergrechtliche Vorschriften beachtlich sind.1193 Neben den entsprechend anzuwendenden Normen, bei denen das Betriebsplanverfahren der §§ 50 – 57c BBergG für die bergmännische Erkundung von besonderer Bedeutung ist, lässt § 12 Abs. 1 S. 2 StandAG die übrigen Vorschriften des BBergG unberührt.1194 Dies betrifft etwa solche Regelungen, welche die Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung von Bodenschätzen zum Gegenstand haben.1195 So können zum Beispiel die Vorschriften des Bergschadensrechts (§§ 110 – 125 BBergG) direkt angewandt werden, wenn Bergschäden im Zuge einer Erkundung nach dem StandAG zu besorgen oder bereits eingetreten sind.1196 Bemerkenswert ist weiterhin, dass § 12 Abs. 1 S. 3 StandAG für die Anwendung des Bergrechts im Rahmen des Standortauswahlverfahrens unterstellt, dass die übertägigen und untertägigen Erkundungen aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses erfolgen. Bedeutung entfaltet dies insbesondere im Hinblick auf die Vorschrift des § 48 Abs. 2 BBergG. Danach können die zuständigen Bergbaubehörden eine Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen untersagen, soweit überwiegende öffentliche
1191
Näher hierzu Keienburg, atw 2014, S. 571, 574 f. Bundesberggesetz (BBergG) v. 13.8.1980, BGBl. I S. 1310, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 4 des Gesetzes v. 20.7.2017, BGBl. I S. 2808. 1193 Die erforderlichen Erkundungsarbeiten reichen bis hin zu Errichtung und Betrieb eines Erkundungsbergwerks, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 25; zum Hintergrund der streitigen Anwendung des Bergrechts im Zusammenhang mit dem Erkundungsbergwerk Gorleben, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 4; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 15; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 247 ff. m. w. N. 1194 Dies bedeutet, dass die nicht ausdrücklich genannten Vorschriften auch direkt angewandt werden können, wenn ihr Tatbestand gegeben ist, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 19. 1195 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 251, vgl. auch Keienburg, atw 2014, S. 571, 575 f. 1196 Vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 5. 1192
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Interessen entgegenstehen.1197 Im Ergebnis sind vorrangige Interessen von Bergbauberechtigungen in Ansehung der von § 12 Abs. 1 S. 3 StandAG gegebenen Fiktion grundsätzlich nicht mehr denkbar. Insofern kann diese Regelung zutreffend als „Einfallstor“ für die Versagung von Bergbauberechtigungen bezeichnet werden.1198 Weiterhin können bereits während der übertägigen Erkundung zur Errichtung von baulichen Anlagen Baugenehmigungen nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften erforderlich sein.1199 Ebenso stellen die übertägigen Maßnahmen potenzielle Eingriffe in Natur und Landschaft dar, was das Erfordernis entsprechender naturschutzrechtlicher Erlaubnisse auslöst.1200 Zusätzlich zu den vorab erwähnten bergrechtlichen Betriebsplanzulassungen sind im Rahmen der untertägigen Erkundung Wasserhaltungsmaßnahmen wahrscheinlich, wozu wiederum wasserrechtliche Zulassungen benötigt werden.1201 Die Beurteilung solcher öffentlich-rechtlicher Zulassungspflichten obliegt jeweils in Würdigung der konkret geplanten Maßnahme und des einschlägigen Bundes- und Landesrechts den zuständigen Landesbehörden.1202
1197
Zum Verhältnis zu § 21 StandAG, vgl. Weiss, DVBl. 2018, S. 1204, 1207; dahingehend die primäre Bezugnahme auf § 48 Abs. 1 BBergG sehend Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 261 f.; zur Bedeutung für notwendige Befreiungen und Ausnahmen, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 20. 1198 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 6; die Vorgängervorschrift des § 12 Abs. 2 S. 3 StandAG 2013 als „Endlagersicherungsklausel“ bezeichnend Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 258 ff.; offenbar a. A. und für eine weite Auslegung der Zulassungstatbestände in Zusammenhang mit der Standortsicherungsklausel des § 21 StandAG, vgl. Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 293. 1199 Das in § 12 Abs. 2 StandAG etablierte Vorrangverhältnis (näher hierzu nachfolgend unter c) beschränkt sich auf Zulassungen und Erlaubnisse nach § 12 Abs. 1 StandAG (Bergrecht und atomrechtliche Durchsetzungsinstrumente). 1200 Keienburg, atw 2014, S. 571, 574 f.; dies schließt jedoch nicht die Berücksichtigung konkreter Genehmigungserfordernisse der Endlagergenehmigung ein, vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 140; näher zu natur- und artenschutzrechtlichen Erfordernissen der Standortsuche S. 143 f. 1201 Vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 144. 1202 Die Zuständigkeit des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung im Kontext der Standortsuche beschränkt sich auf die im StandAG benannten Zuständigkeiten, vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 7. Weitergehende in § 23d AtG genannte Zuständigkeiten insb. zur Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse und Bewilligungen entstehen erst nach der abschließenden gesetzlichen Standortfestlegung (vgl. § 23d S. 2 AtG); s. a. Keienburg, atw 2014, S. 571, 575 noch zur Behördenkonstellation nach dem StandAG 2013.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
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b) Sonstige Vorschriften mit Bezug zum Standortauswahlverfahren Hinsichtlich der Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung bestehen Querverbindungen zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG).1203 Diese ergeben sich zum einen daraus, dass die Festlegung der Standortregionen und Standorte für die übertägige Erkundung sowie die untertägige Erkundung jeweils eine Strategische Umweltprüfung (SUP) erfordern,1204 was wiederum eine Beachtenspflicht der §§ 38 ff. UVPG auslöst. Zum anderen ist für den Standortvorschlag nach § 18 Abs. 3 StandAG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen,1205 weshalb die Anforderungen der §§ 18 ff. UVPG heranzuziehen sind. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Stellungnahmeverfahren nach § 7 StandAG und der Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem UVPG ist entsprechend der §§ 1 Abs. 4 und 38 UVPG aufzulösen.1206 Demnach sind die Mindestanforderungen des UVPG nur anzuwenden, wenn das jeweilige Fachrecht keine Anforderungen vorsieht oder wesentliche Kriterien nicht beachtet. In allen anderen Fälle besteht ein Vorrang zugunsten des Fachrechts.1207 Für das Standortauswahlverfahren resultiert daraus eine subsidiäre Anwendung des UVPG in all jenen Bereichen, in denen das StandAG keine Anforderungen enthält oder wesentliche Anforderungen nicht beachtet.1208 Weiterhin wird die Einordnung des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als zentrale Regulierungs- und Koordinierungsbehörde des Standortauswahlverfahrens durch dessen Errichtungsgesetz1209 bestätigt. In einer Gesamtschau mit der Zuständigkeitsvorschrift des § 4 StandAG ergibt sich, dass das BASE als neu geschaffene Bundesoberbehörde alle staatlichen Aufgaben der Aufsicht und Genehmigung im Bereich der Kerntechnik, der Zwischenlagerung, der Standortauswahl und der Endlagerüberwachung von radioaktiven Abfällen bündelt.1210
1203
Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG), neugefasst durch Beschluss v. 24.2.2010, BGBl. I S. 94; zul. geändert d. Art. 2 des Gesetzes v. 8.9.2017, BGBl. I S. 3370. 1204 Zur SUP-Pflicht, vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Anlage 5 Nrn. 1.15 und 1.16 UVPG; s. a. BT-Drs. 18/11398, S. 52 f., 59; vgl. auch die Ausführungen zum Verfahren in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (2). 1205 Die UVP-Pflicht ergibt sich aus Anlage 1 Nr. 11.2 UVPG. 1206 Vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 7 StandAG Rn. 4. 1207 Vgl. auch zur Vorgängerregelung Gallas, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, § 4 UVPG Rn. 6. 1208 Vgl. hierzu mit einzelnen Beispielen Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 7 StandAG Rn. 4 ff. 1209 Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung vom 23.7.2013 (BGBl. I S. 2553, 2563), das durch Artikel 4 des Gesetzes vom 26.7.2016 (BGBl. I S. 1843) geändert worden ist. 1210 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 2; näher zur Konzentration von Kompetenzen auf Bundesebene in Abschnitt D. IV. 6.
324
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
c) Abgrenzung zu weiteren Fachgesetzen Bereits zuvor wurde herausgearbeitet, dass das Standortauswahlgesetz das einfachgesetzliche Herzstück der Standortsuche darstellt. Der Gesetzgeber bezweckt damit unter anderem Zuständigkeiten und Kompetenzen zu zentralisieren, Interdependenzen zwischen verschiedenen Entscheidungsebenen zu reduzieren und somit eine möglichst effiziente Verfahrensgestaltung zu gewährleisten. Diese Zielrichtung zeigt sich auch daran, dass zu Lasten verschiedener fachgesetzlicher Regelungen ein Vorrangverhältnis etabliert ist. Für das Verhältnis zur Raumordnung1211 gilt es zunächst § 20 Abs. 4 StandAG in den Blick zu nehmen. Dieser im Jahr 2017 neu eingefügte Absatz regelt, dass für die Errichtung eines Endlagers ein Raumordnungsverfahren entsprechend des § 15 ROG1212 i. V. m. § 1 S. 3 Nr. 16 der Raumordnungsverordnung (RoV)1213 nicht stattfindet.1214 Begründet wird dies damit, dass bereits in den vorangegangenen Verfahrensschritten die Raumverträglichkeit des Vorhabens anhand der Vorschriften des StandAG berücksichtigt worden sein wird.1215 Die Entbehrlichkeit eines Raumordnungsverfahren ergibt sich allerdings schon aus § 15 ROG i. V. m. § 1 S. 3 Nr. 3 RoV. Danach ist die Raumordnungspflicht auf die Errichtung einer Anlage zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle beschränkt, die einer Planfeststellung nach § 9b AtG bedarf. Mit der Herabstufung der Zulassungsentscheidung in § 9b Abs. 1a AtG zu einer Genehmigung1216 hat der Gesetzgeber die Notwendigkeit eines Raumordnungsverfahrens für die Errichtung der Endlageranlage entfallen lassen.1217 Demnach kommt § 20 Abs. 4 StandAG lediglich eine deklaratorische Bedeutung zu.1218 1211
141.
Zur Raumbedeutsamkeit eines Endlagers, vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137,
1212 Raumordnungsgesetz (ROG), Art. 1 des Gesetzes v. 22.12.2008, BGBl. I S. 2986; zul. geändert durch Art. 2 Abs. 15 des Gesetzes v. 20.7.2017, BGBl. I S. 2808. 1213 Raumordnungsverordnung (RoV) v. 13.12.1990, BGBl. I S. 2766; zul. geändert durch Art. 5 Abs. 35 des Gesetzes v. 24.2.2012, BGBl. I S. 212. 1214 Zu den zuvor bestehenden Anforderungen der Raumordnungsplanung für ein atomares Endlager, vgl. Ramsauer, NVwZ 2008, S. 944 f. 1215 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 65; Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/ 9100, 2016, S. 394; die Standortsuche als „Raumordnungsverfahren eigener Art“ bezeichnend, Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 12. 1216 Näher zur Genehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) cc) und D. III. 2. c). 1217 Eine solche mittelbar über Vorschriften des Bergrechts im Verfahren der Standortsuche entstehen zu lassen, erscheint aber sinnwidrig. Zu einem denkbaren Argumentationsstrang, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 13. Demnach könnte die Verpflichtung zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens dadurch entstehen, dass die aufgrund § 57c BBergG i. V. m. § 1 Nr. 7 UVP-V Bergbau eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Dies löst eine Notwendigkeit zur Aufstellung eines obligatorischen Rahmenbetriebsplans nach § 52 Abs. 2a BBergG aus, mit der denkbaren Folge einer Raumordnungspflicht nach § 1 Nr. 16 RoV.
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
325
Ähnlich verhält es sich mit der Beziehung zur Landes- und Bauleitplanung.1219 Maßgeblich ist hier § 12 Abs. 2 StandAG, welcher ein Vorrangverhältnis des Standortauswahlverfahrens gegenüber diesen beiden Instrumenten statuiert.1220 Ziel der Vorschrift ist es, Ingerenzen zwischen regionaler bzw. kommunaler Planung und dem Standortauswahlverfahren zu vermeiden.1221 Als Konsequenz treten Festlegungen der Raumordnung in landesweiten Raumordnungsplänen oder Regionalplänen i. S. v. § 8 Abs. 1 ROG zurück.1222 Insoweit handelt es sich faktisch um eine Freistellung von den Zielbindungen des § 4 Abs. 1 ROG.1223 Die im Bauplanungsrecht vorhandene Vorrangregelung des § 38 BauGB1224 für fachgesetzliche Regelungsregime ist nicht anwendbar,1225 da das Standortauswahlverfahren als der Endlagergenehmigung vorgelagerte Planung selbst keine Vorhabenzulassung beinhaltet.1226 Die raumordnerischen Festsetzungen sowie die Vorgaben der örtlichen Bauleitplanung finden allerdings im Rahmen der planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien (§ 25 StandAG) Eingang in das Standortauswahlverfahren.1227 Ein Vorrang des Standortauswahlgesetzes besteht ungeachtet der zuvor geschilderten SUP- und UVP-Pflichtigkeit1228 auch im Verhältnis zum Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Dies wird in einer Zusammenschau der Vorschrift des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 letzter Hs. sowie S. 2 Nr. 2 UmwRG deutlich.1229 Die Bedeutung des UmwRG im Kontext der Standortsuche beschränkt sich somit auf die
1218
S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 11, 14. Zu diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Implikationen, vgl. Abschnitt D. IV. 6. 1220 Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 9. 1221 Dies mit dem „Primat der Vollzugsfähigkeit“ begründend Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 140; vgl. auch Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 10 f. 1222 Vgl. die Darstellung bei Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 141 f. 1223 Vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 10. 1224 § 38 BauGB setzt die strikte Bindungswirkung an die §§ 29 bis 37bauGB aus und transformiert städtebauliche Belange zu bloßem Abwägungsmaterial, vgl. Reidt, in: Battis/ Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 38 Rn. 6, 10. 1225 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 11; Schlacke/ Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 142. 1226 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 38 Rn. 15. 1227 Vgl. zur Aufstellung der planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien Anlage 12 zu § 25 StandAG; BT-Drs. 18/11398, S. 39 ff.; vgl. weiterhin Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 142. 1228 Vgl. zuvor Abschnitt D. III. 3. b) mit Verweis auf Anlage 5 Nrn. 1.15 und 1.16 UVPG sowie Anlage 1 Nr. 11.2 UVPG. 1229 Vgl. hierzu mit ausdrücklicher Erwähnung der §§ 15 Abs. 3 und 17 Abs. 2 StandAG Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, § 1 UmwRG Rn. 46; allgemein dies., NVwZ 2017, S. 905, 908; näher zur Frage eines modifizierten Prüfungsumfangs der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren des StandAG in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (4) (a). 1219
326
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
für die Klageberechtigung von Umweltvereinigung bedeutsame Verweisung auf § 3 UmwRG.1230 d) Zusammenfassung Hinsichtlich des Verhältnisses von Standortauswahlverfahren und fachgesetzlichen Regelungen lässt sich eine selektive Geltung von Fachrecht feststellen. Die Kombination von in das Suchverfahren inkorporierten fachgesetzlichen Zwangsmaßnahmen,1231 der parallelen Anwendbarkeit fachgesetzlicher Gestattungen und Erlaubnissen sowie der im StandAG statuierten Vorrangverhältnisse1232 unterstützt und ermöglicht eine hohe Vollzugsfähigkeit der Standortsuche. 4. Zwischenergebnis Betrachtet man die Summe einfachgesetzlicher Regelungen zum Standortauswahlverfahren, kann § 9a Abs. 3 S. 1 AtG als Ausgangspunkt identifiziert werden. Die Vorschrift normiert die Endlagerung radioaktiver Abfälle als staatliche Aufgabe. In dieser Norm manifestiert sich die aus europarechtlichen Vorgaben1233 und der Schutzpflichtdogmatik der Grundrechte1234 entspringende Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, für die sichere Entsorgung der (eigenen) radioaktiven Abfälle Sorge zu tragen. Der Weg zur Realisierung eines Endlagers beginnt mit der Identifizierung eines geeigneten Standorts. Den rechtlichen Rahmen hierfür bildet das Standortauswahlgesetz. Obgleich sich aus den Grundrechten keine unmittelbaren Rechte künftig Betroffener ableiten lassen, weist das StandAG eine Reihe zukunftsgerichteter Elemente auf. Neben dem mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmenden Auswahlprozess äußert sich dies in erster Linie im Zeitraum von einer Million Jahren als Bezugspunkt für den Nachweis der Langzeitsicherheit sowie der ethischen Ausrichtung auf den Aspekt der Generationengerechtigkeit.1235 Eingedenk des komplexen Themas und der historischen Konfliktlage hat der Gesetzgeber mit
1230 Ausführlich hierzu in Abschnitt D. IV. 2. c) aa) (2) und d) bb) (1) (b); zu den Voraussetzungen und dem Verfahren der Anerkennung nach § 3 UmwRG, vgl. Bunge, in: Schlacke/ Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 2 Rn. 632 ff. 1231 Zu den in Bezug genommenen berg- und atomrechtlichen Vorschriften, vgl. § 12 Abs. 1 StandAG. 1232 In erster Linie bestehen die Vorrangverhältnisse durch §§ 12 Abs. 2 und 20 Abs. 4 StandAG gegenüber konkurrierenden lokalen, regionalen und überregionalen Planungen. 1233 Näher hierzu in Abschnitt D. I. 1. a) und 3. a). 1234 Vgl. im Detail Abschnitt D. II. 1. c) ee). 1235 Insofern realisieren sich hier u. a. die objektiv-rechtlichen Implikationen des Art. 20a GG, vgl. hierzu näher Abschnitt D. II. 1. b) cc) (4) sowie c) dd).
III. Einfachgesetzlicher Regelungsrahmen
327
dem StandAG einen „einzigartigen“1236 Neuanfang gestartet. Von der Installation einer pluralistisch besetzten Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, die das noch nicht angewendete Suchverfahren evaluiert, über die Neukonzeption von Behördenzuständigkeiten und der Kreation eines innovativen Öffentlichkeitskonzepts bis zur Ausgestaltung der Entscheidungsschritte als gestuftes Legalplanungsverfahren finden sich im Prozess der Standortauswahl vielfältige Neuerungen. Über all diesen Elementen schwebt die Absicht, durch die Herstellung von Transparenz und Partizipationsmöglichkeiten Vertrauen in den Suchprozess zu generieren. Auf diese Weise soll ein Endlagerstandort gefunden werden, den letztlich alle – auch die unmittelbar Betroffenen – akzeptieren. Dass dies mit den vorgenannten Instrumenten tatsächlich zu erreichen ist, erscheint mit Blick auf die Nukleargeschichte in Deutschland und die allgemeinen Erfahrungen mit großen Infrastrukturprojekten (Stichwort: NIMBY-Problematik) höchst fraglich.1237 Diese Einsicht hat offensichtlich auch den Gesetzgeber bei der Konzeption des Standortauswahlgesetzes begleitet. Denn während das Auswahlverfahren auf der einen Seite von partizipativen, transparenten bzw. allgemein gesprochen: vertrauensschaffenden Elementen durchzogen ist, finden sich auf der anderen Seite wirkmächtige Instrumente, um den avisierten Standort auch gegen (lokalen) Widerstand durchzusetzen.1238 Erwähnt seien an dieser Stelle nur die Konzentration der Behördenzuständigkeiten auf Bundesebene, die selektive Geltung von weiterem Fachrecht, die mit dem Legalplanungsverfahren einhergehende Rechtsschutzverkürzung sowie das im StandAG vorgesehene Institut der enteignungsrechtlichen Vorwirkung. Mit Blick auf das Akzeptanzziel spricht dieser Ansatz eher für Widerspruch als für Konsistenz. Allerdings verdient er zunächst Zustimmung. Wenn das Atomgesetz die Schaffung einer Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle als staatliche Aufgabe und Verpflichtung festschreibt, dann trifft den Staat auch die Verantwortung, das Verfahren zur Festlegung des Standortes wehrhaft und durchsetzungsfähig auszugestalten.1239 Ob dieses (Zwischen-)Fazit allerdings einer verfassungs- und europarechtlichen Überprüfung standhält, ist im nächsten Kapitel näher zu beleuchten.
1236
Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 195; für eine Ausdifferenzierung der Öffentlichkeitsbeteiligung in „ungekannter Weise“, vgl. Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125; ähnlich Durner, NuR 2019, S. 241, 242. 1237 I. d. R. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284; Bull, ZRP 2016, S. 244, 245; Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 102. 1238 Vgl. Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 127. 1239 Diesen Aspekt unter den Begriff „resiliente Regulierung“ fassend Smeddinck, in: Hill/ Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 147, 155; ähnlich, wenngleich unter den Vorbehalt „ausführlicher Deliberation“ stellend Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 102; die Aspekte der Verhandlung und „Beratung auf Augenhöhe“ gegenüber einem „formal robusten Verfahren“ betonend Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 127; krit. hinsichtlich der bislang fehlenden Umsetzung der Endlagersuche Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 376.
328
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen Die vorangegangene Darstellung des einfachgesetzlichen Regelungsrahmens veranschaulicht das facetten- und detailreiche Prüfprogramm, das vom Gesetzgeber für den Neuanfang der Endlagersuche etabliert wurde. Dabei handelte er nicht nur in Umsetzung und unter Berücksichtigung von europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, sondern unternahm vielmehr den Versuch, mittels partizipatorischer Elemente und der Implementierung eines „fairen Verfahrens“ gesamtgesellschaftliche Akzeptanz für dieses Infrastrukturvorhaben zu erreichen. In Anbetracht dieser Zielpluralität, gepaart mit den Herausforderungen in zeitlicher, technischer und finanzieller Sicht, kann der einfachgesetzliche Rechtsrahmen der Endlagersuche mit Fug und Recht als „umweltrechtspolitischer Quantensprung“1240 bezeichnet werden. Es überrascht daher nicht, dass die bestehende Konzeption sich mannigfaltiger Kritik ausgesetzt sah, welche auch nach den bisherigen legislativen Nachsteuerungen nicht völlig verstummt ist, beziehungsweise noch fortgilt. Soll der Versuch, Vertrauen bei allen Beteiligten zu erreichen, nicht von Beginn an zum Scheitern verurteilt sein, ist ein belastbarer Rechtsrahmen von elementarer Bedeutung. Die nachfolgende Analyse beschäftigt sich daher mit der Vereinbarkeit der im Standortauswahlgesetz vorgesehenen Bestimmungen mit den verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben. Hierbei ist zunächst die Konzeption der Standortauswahl „im engeren Sinne“ als gestuftes Legalplanungsverfahren1241 in den Blick zu nehmen. Die Festlegung des Endlagerstandortes durch Gesetz erscheint mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz (1.) und den eingeschränkten Rechtsschutz gegenüber Parlamentsgesetzen (2.) als nicht unproblematisch. Zudem enthält die Standortentscheidung nach dem Verfahren des StandAG eine enteignungsrechtliche Vorwirkung (3.) und steht als Einzelfallgesetz auf dem Prüfstand des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG (4.). Daneben existieren verschiedene Einzelfragen: Die Einbindung externen Sachverstands durch pluralistisch besetzte Gremien wird unter dem Stichwort „Outsourcing von Entscheidungsverantwortung“ (5.) aus demokratietheoretischer Sicht kritisiert. Ferner gilt es zu untersuchen, ob die Bündelung von Kompetenzen auf Bundesebene (6.) in unzulässiger Weise in die föderale Aufgabenverteilung oder die Rechte der Standortgemeinden eingreift. Abschließend soll darauf eingegangen werden, inwieweit die nationalen Regelungen mit den internationalen Vorgaben, insbesondere mit der Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM) in Einklang stehen (7.). 1. Gewaltenteilung Die abschließende Standortentscheidung nach § 20 Abs. 2 StandAG wird ebenso wie wesentliche Zwischenschritte durch Parlamentsgesetz getroffen. Darin liegt ein prägendes Element des Standortauswahlverfahrens und mithin ein fundamentaler Unterschied zu gewöhnlichen Planungsentscheidungen. Grundsätzlich obliegt die 1240 1241
So etwa Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 262. S. a. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 2, 11.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
329
Zulassung konkreter raumbedeutsamer Vorhaben der vollziehenden Gewalt.1242 Im Hinblick auf die Übertragung der Entscheidungen auf den Gesetzgeber im Wege der sog. Legalplanung wird ein unzulässiger Eingriff in den Funktionsbereich der Exekutive und damit ein Verstoß gegen das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG normierte Prinzip der horizontalen Gewaltenteilung1243 angeführt.1244 Um die Zulässigkeit der im Standortauswahlgesetz gewählten Konzeption einschätzen zu können, sind zunächst die Grundlagen des Gewaltenteilungsgrundsatzes aufzuzeigen (a), um anschließend die Frage zu erörtern, ob Planung generell eine (rein) exekutive Aufgabe darstellt (b). Basale Hinweise zur Lösung dieser Problematik bietet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Südumfahrung Stendal (c). Daran anknüpfend wird die Zulässigkeit der Legalplanung nach dem StandAG eingehend untersucht (d). a) Grundlagen des Grundsatzes der Gewaltenteilung Die Gewaltenteilung stellt ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip dar, das zum einen der wechselseitigen Kontrolle von Staatsorgangen und einer Mäßigung der Staatsherrschaft dient.1245 Zum anderen sollen staatliche Entscheidungen im Sinne einer Funktionsadäquanz möglichst von den Organen getroffen werden, die dazu nach Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise am besten geeignet sind.1246 Dem Parlament als Legislative fällt die Normsetzung zu, der Exekutive hingegen obliegen Regierung und Verwaltung.1247 Die Gewaltenteilung ist im Grundgesetz nicht als absolute Trennung ausgestaltet, sondern ermöglicht eine Verschränkung der Gewalten.1248 Allerdings muss die in der Verfassung angelegte Verteilung im Grundsatz erhalten bleiben. Im Detail bedeutet dies, dass nicht in den
1242
Vgl. etwa Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 25. Im Gegensatz zum Begriff der vertikalen Gewaltenteilung, welcher die Kompetenzverteilung im föderalen System umfasst, steht hier die horizontale Machtverteilung zwischen den drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative im Fokus; näher zur Verfassungsmäßigkeit der Standortauswahl vor dem Hintergrund der vertikalen Gewaltenteilung in Abschnitt D. IV. 6. 1244 So etwa Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 294. 1245 St. Rspr. seit BVerfGE 3, 225, 247 – Gleichberechtigung; vgl. auch BVerfGE 95, 1, 15 – Stendal; aus der Lit.: Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 1 ff., 9; Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 V Rn. 29; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 481. 1246 Vgl. BVerfGE 68, 1, 86 – Pershing II; E 95, 1, 15 – Stendal; die Gewaltenteilung soll demnach eine möglichst „richtige“ Entscheidung garantieren, vgl. aus der Lit.: Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 V Rn. 51 f.; Schneller, ZG 1998, S. 179, 181. 1247 Vgl. Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 19, 22. 1248 Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 31; Grzeszick, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 V Rn. 34; vgl. auch Dreier, DÖV 2002, S. 537, 539 f.; Kunig, JURA 1993, S. 308, 310. 1243
330
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
unveränderlichen Kernbereich (sog. Kernbereichslehre1249) einer anderen Gewalt eingegriffen werden darf.1250 Hierdurch soll sichergestellt werden, dass keine Staatsgewalt ihrer nach der Verfassung typischen Aufgaben beraubt wird, beziehungsweise ein Übergewicht zu Lasten der anderen Gewalten gewinnt.1251 b) Planung als Aufgabe der Exekutive? Ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz würde daher vorliegen, wenn die Planung eines Endlagers der Exekutive exklusiv vorbehalten ist und eine gesetzgeberische Entscheidung auf diesem Gebiet den Kernbereich der vollziehenden Gewalt1252 berühren würde.1253 Planung kann aber weder als Vorgang der Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale einer abstraktgenerellen Norm, noch als abstrakt-generelle Vorgabe für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen verstanden werden.1254 Es handelt sich vielmehr um einen mehrschichtigen Prozess der Gewinnung und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung sowie der Auswahl von Mitteln. Planung kommt dabei kein konditionaler, sondern ein finaler Charakter zu.1255 Der Bereich der staatlichen Planung kann somit weder der Legislative noch der Exekutive eindeutig zugewiesen werden.1256 Ausgehend von dieser Fallgestaltung läge mit der Konzeption des Standortauswahlgesetzes kein
1249 BVerfGE 9, 268, 279 f. – Bremer Personalvertretung; E 22, 106, 111 – Einspruchsverfahren; E 34, 52, 59 – Richtergesetz; E 95, 1, 15 – Stendal; krit. zur Figur der gewaltenbezogenen Kernbereiche aufgrund des Fehlens einer verfassungstextlichen Konkretisierung Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 188; Maurer, VVDStRL (43) 1984, S. 137, 147 ff.; Schneller, ZG 1998, S. 179, 181 f. 1250 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 478; ähnlich Maurer, VVDStRL (43) 1984, S. 137, 150; Kunig, JURA 1993, S. 308, 310. 1251 BVerfGE 34, 52, 59 – Richtergesetz; E 95, 1, 15 – Stendal; zustimmend Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305; für die Vereinbarkeit eines fachplanerischen Initiativ- und Vorbereitungsmonopols der Exekutive mit der Figur des absoluten Kernbereichschutzes, vgl. Schneller, ZG 1998, S. 179, 182. 1252 Näher zum Funktionsbereich der Exekutive Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 22 ff.; für eine bespielhafte Aufzählung, vgl. Kuhl, Der Kernbereich der Exekutive, 1993, S. 126 ff. m. w. N.; grundlegend zum Verwaltungsvorbehalt und seinen Durchbrechungen Schnapp, VVDStRL (43) 1984, S. 172, 186 ff.; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 86 ff. 1253 Schneller, ZG 1998, S. 179, 182 f. 1254 Vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 440 m. w. N.; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 186; Hoppe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 77 Rn. 52; allgemein zum Vorgang der Planung Köck, GrdlVerwR II, § 37 Rn. 22 ff. 1255 BVerfGE 80, 137, 162 – Reiten im Walde; E 95, 1 16 – Stendal; vgl. auch Hoppe, HStR III2, § 71 Rn. 19 f. 1256 BVerfGE 95, 1, 16 – Stendal; vgl. auch Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 188; Badura, FS Hoppe, S. 167 f.; krit. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 312; ähnlich Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Eingriff in den Kernbereich der Exekutive vor.1257 Andererseits ist zu beachten, dass Entscheidungen über eine konkrete Fachplanung üblicherweise der Verwaltung obliegen, die hierfür den nötigen Sachverstand besitzt.1258 Eine generelle Hochzonung der Planungsaufgabe auf die gesetzliche Ebene ist daher ausgeschlossen. c) Die Entscheidung Südumfahrung Stendal Diesen Befund stützt der im Kontext der deutschen Wiedervereinigung ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Südumfahrung Stendal vom 17. Juli 1996.1259 Darin wird eine Legalplanung nur unter gewissen Voraussetzungen für zulässig erachtet. Grundlage war ein Normenkontrollantrag der hessischen Landesregierung gegen das Gesetz zum Bau der Südumfahrung Stendal1260 der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde. Das sogenannte „lex Stendal“ stellte die Zulässigkeit des Baus einer ICE-Schnellbahnstrecke fest und ersetzte mithin das eisenbahnrechtlich vorgeschriebene Planfeststellungsverfahren. Da es sich bei diesem Streckenbereich um den einzigen Neubauabschnitt des Verkehrsprojekts „Deutsche Einheit Nr. 17“ handelte, erwartete der Gesetzgeber eine vergleichsweise komplexe und zeitintensive planerische Konfliktbewältigung.1261 Ziel war es, durch die Beschleunigung der Planung im Bereich der Stadt Stendal eine möglichst synchrone Vollendung aller Streckenabschnitte des Gesamtvorhabens zu ermöglichen.1262 aa) Wesentliche Aussagen Einhergehend mit der Bestätigung der konkreten Planungsentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht allgemeine Anforderungen an eine Legalplanung for1257 A. A. und die Stendal-Rechtsprechung als „Sündenfall“ bezeichnend Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 11 f.; ähnlich Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 527, 529. 1258 BVerfGE 95, 1, 16 f. – Stendal; für „systemwidrige Eingriffe“, vgl. Köck, GrdlVerwR II, § 37 Rn. 15; zur besseren Ausrüstung der Exekutive für Risikoermittlung und Risikobewertung, vgl. Sellner, 14. AtomRS, S. 142, 146 f. 1259 BVerfGE 95, 1 – Stendal; vgl. dazu die Urteilsbesprechungen von Schneller, Heselhaus, Hufeld, Pabst und Sachs: Schneller, ZG 1998, S. 179; Heselhaus, JA 1997, S. 839; Hufeld, JZ 1997, S. 302; Pabst, UPR 1997, S. 284; Sachs, JuS 1998, S. 364; näher zur Fachplanung durch Bundesgesetz Blümel, DVBl. 1997, S. 205. 1260 Gesetz vom 29.10.1993, BGBl. I S. 1906; dieser Streckenabschnitt diente als Bestandteil des Verkehrsprojekts „Deutsche Einheit Nr. 17“ zur Komplettierung der Schnellbahnstrecke Hannover-Berlin, welche wiederum Teil eines künftigen europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes sein sollte. Unter der Bezeichnung „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ verbirgt sich ein insgesamt 17 Infrastrukturprojekte umfassendes Investitionsprogramm des Bundes, welches die Verbesserung der Ost-West-Verkehrsverbindungen in Deutschland umfasste. 1261 Vgl. BT-Drs. 12/3477, S. 2, 9; s. a. Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211; Kunig, JURA 1993, S. 308 f. 1262 Vgl. auch die Zusammenfassungen bei Schneller, ZG 1998, S. 179 f. und Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 210.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
muliert. Der Gesetzgeber kann einen Plan mittels Gesetz demnach nur beschließen, sofern er auf Initiative und Vorbereitung von Regierung und Verwaltung basiert, die Materie ihrer Natur nach gesetzlich geregelt werden kann und hierfür im Einzelfall gute Gründe vorliegen. Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte fachplanerische Initiativ- und Vorbereitungsmonopol der Exekutive kann als ausschließliche Regierungskompetenz1263 verstanden werden.1264 Adressiert wird hierbei die machtkonstituierende bzw. kompetenzbegründende Funktion des Gewaltenteilungsprinzips, wonach die konkrete staatliche Aufgabe jeweils von den Staatsgewalten und Organen wahrgenommen werden soll, welche hierzu nach Struktur und Funktionsweise (sog. Funktionsadäquanz) am besten geeignet sind.1265 Das Gericht nahm zwar an, dass Parlamente nach ihren Aufgaben und Verfahren zur anlagenbezogenen Fachplanung grundsätzlich in der Lage sind.1266 Zudem seien solche Planungsentscheidungen – sofern es sich nicht um den Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung handelt – auch einem parlamentarischen Mehrheitsentscheid zugänglich.1267 Allerdings verfüge die Verwaltung über den erforderlichen fachplanerischen Apparat und Sachverstand1268 und sei deshalb grundsätzlich besser geeignet, planerische Detailfragen zu entscheiden.1269 Daraus leitet der Senat neben den monopolartig zugewiesenen exekutiven Vorbereitungshandlungen zusätzlich das Erfordernis „guter Gründe“ für eine objektbezogene Fachplanung durch den Gesetzgeber ab, wobei ihm diesbezüglich ein Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum zukommt.1270 1263 Die Funktionsfähigkeit der Regierung als Grundgedanke des exekutiven Kernbereichs herausstellend Busse, DÖV 1989, S. 45, 54; ähnlich Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 125 f. 1264 Schneller, ZG 1998, S. 179, 183; krit. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 442 f. 1265 Vgl. Stettner, DÖV 1984, S. 611, 622; Ossenbühl, DÖV 1980, S. 545, 548 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 488. 1266 BVerfGE 95, 1, 16 – Stendal; krit. für den Bereich des Atomrechts Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 139. 1267 BVerfGE 95, 1, 16 – Stendal mit Verweis auf BVerfGE 67, 100, 139 – Flick-Ausschuß; E 68, 1, 85 ff., 87 – Pershing II. 1268 Grundlegend zur Bedeutung von Rationalisierungsleistungen der Verwaltung bei Großvorhaben Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 10 f.; Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 112 ff. 1269 Im Ergebnis nennt das BVerfG an dieser Stelle eher rechtspolitische als verfassungsrechtliche Argumente, s. a. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 442 f.; ebenfalls krit. Schneller, ZG 1998, S. 179, 184, der zum einen eine vorrangige Administrativkompetenz mit Blick auf eine fehlende Verankerung im Verfassungstext bezweifelt und zum anderen die aufgabenadäquate Struktur eines Funktionsträgers lediglich als „faktische Entscheidungspräferenz“ oder „vorbehaltsähnliches Phänomen“ und nicht als rechtliche Notwendigkeit bezeichnet; vgl. hierzu näher Schröder, DVBl. 1984, S. 814, 823; Degenhart, NJW 1984, S. 2184, 2187; ebenso krit. Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305, der den Gesetzgeber (mittels Beauftragung einer privaten Planungsgesellschaft) als gleich geeignet erachtet. 1270 BVerfGE 95, 1, 17 – Stendal; das Erfordernis guter Gründe gänzlich ablehnend Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 443; krit. hinsichtlich der fehlenden allgemeinen
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Das Bestehen solcher Gründe hat das Bundesverfassungsgericht in der StendalEntscheidung mit der schnellen Verwirklichung eines besonders gemeinwohlbedeutsamen Vorhabens bejaht.1271 Der Senat folgte damit dem Vorbringen der Bundesregierung. Diese hatte auf den „nach jahrzehntelanger Vernachlässigung (…) desolaten Zustand“ der Verkehrswege in den neuen Bundesländern hingewiesen. Dadurch würden Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Wirtschaft der neuen Länder behindert, welche sich „aufgrund der Erblasten sozialistischer Kommandowirtschaft in einer Ausnahmesituation“ befinde.1272 Die Legalplanung führe zu einem Zeitvorteil und gewährleiste somit eine zeitgleiche Fertigstellung und Inbetriebnahme aller Streckenabschnitte im Jahr 1997.1273 Ungeachtet des Verfehlens der prognostizierten Zeitdauer für das Gesetzgebungsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht einen Beschleunigungseffekt von einem Jahr im Vergleich zu einem Planfeststellungsverfahren als guten Grund anerkannt.1274 Weiterhin seien auch Detailpläne im Bereich der anlagenbezogenen Fachplanung, die konkrete Regelungen hinsichtlich eines einzelnen Vorhabens treffen, eine geeignete gesetzliche Regelungsmaterie.1275 Dem Grundgesetz könne nicht entnommen werden, dass es von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der nur generelle Regelungen zulässt.1276 Dies bestätige sowohl Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, der Einzelfallgesetze nicht generell, sondern nur in seinem Gewährleistungsbereich ausschließt, als auch Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, der dem Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit der Enteignung durch Gesetz eröffnet.1277 Mithin findet sich die im Schrifttum vorgetragene Kritik1278 zum „Verwaltungsakt in Gesetzesform“ im Urteil nicht wieder.1279 Definition und der Einräumung des Beurteilungsspielraums Schneller, ZG 1998, S. 179, 184 f.; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274; anders Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305, der den eingeräumten Spielraum nicht als sofortige Rücknahme der gesteigerten Rechtfertigungsanforderungen verstanden haben will, sondern auf die Gewichtung und prognostische Bewertung der vorhandenen Rechtfertigungsgründe bezieht. 1271 Vgl. BVerfGE 95, 1, 18 f. – Stendal. 1272 BT-Drs. 12/3477, S. 1; den Ausnahmecharakter betonend Badura, FS Hoppe, S. 167, 173. 1273 BT-Drs. 12/3477, S. 5 ff. 1274 BVerfGE 95, 1, 19 f. – Stendal; krit. Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211 f., der eine Verzögerung bei Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens bezweifelt; das Vorliegen guter Gründe in einen Dualismus von Gemeinwohlbezug und Zeitmoment aufspaltend Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 623 f. 1275 Vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 440 m. w. N.; krit. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, S. 189. 1276 Vgl. auch BVerfGE 4, 7, 18 f. – Investitionshilfe; E 10, 89, 108 – Erftverband; E 15, 126, 146 f. – Waldenfels. 1277 BVerfGE 95, 1, 17 – Stendal. 1278 Vgl. etwa Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 776, 779, mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz wurde bemängelt, dass das eisenbahnrechtliche Planfeststellungsverfahren vom Gesetzgeber ersetzt werde und dieser damit funktionell als Exekutive tätig werde; zum „Zwei-Takt-Verhalten“ von Gesetz und Verwaltungsvollzug als rechtsstaatlich gebotenem Verwaltungsvorbehalt, vgl. Maurer, VVDStRL (43) 1984, S. 137, 156 ff.; zum „Funktions-
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
bb) Stellungnahme Der Grundaussage des Urteils, dass Planung weder der Exekutive noch der Legislative exklusiv zugewiesen werden kann, ist angesichts des komplexen Anforderungsprofils zuzustimmen.1280 Das weiterhin für eine Legalplanung aufgestellte Erfordernis der Planvorbereitung durch die Exekutive lässt sich dem Verfassungstext allerdings nicht entnehmen. Die entsprechenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur funktionsgerechten Organstruktur sind deshalb letztlich eher rechtspolitischer als verfassungsrechtlicher Natur.1281 Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich zudem durch das Bedürfnis des Vorliegens guter Gründe.1282 Eine allgemeingültige Definition des Begriffs sucht man im Stendal-Beschluss vergeblich.1283 Die Anwendung des Merkmals auf vergleichbare Sachverhalte wird weiterhin dadurch erschwert, dass dem Gesetzgeber diesbezüglich ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum eingeräumt wird.1284 Ungeachtet dieser Relativierungen und partiellen begrifflichen Unbestimmtheit1285 stellt die Stendal-Rechtsprechung die Leitentscheidung für eine Zulässigkeit von Legalplanungen dar.1286 Die vom Bundesverfassungsgericht etablierten Anforderungen bilden daher den Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung.1287 d) Standortentscheidung nach dem StandAG als zulässige Legalplanung Um die Zulässigkeit der gesetzlichen Standortentscheidung für ein Endlager vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes beurteilen zu können, ist zuvorbehalt“ der Exekutive im Atomrecht, vgl. Sellner, FG 50 Jahre BVerwG, S. 741, 743 ff.; ders., 14. AtomRS, S. 142 ff. 1279 Zustimmend Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305. 1280 S. a. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 441 f. m. w. N. in Fn. 258; dies als „folgenlose Erkenntnis“ kritisierend Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305; krit. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 527. 1281 S. a. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 442 f.; ähnlich krit. Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305. 1282 Zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Begriffen „gute“ und „triftige“ Gründe, vgl. Abschnitt D. IV. 3. c) cc) (1). 1283 Durner spricht von einem „vagen Maßstab“, vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 443. 1284 Krit. hinsichtlich der fehlenden Begriffsdefinition Schneller, ZG 1998, S. 179, 184 f.; im zugestandenen Beurteilungsspielraum keine Relativierung des Erfordernisses guter Gründe sehend Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305. 1285 Den Stendal-Beschluss deshalb als „Kompromißentscheidung“ bezeichnend Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 443. 1286 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 95. 1287 Sofern Spezifika des Standortauswahlverfahrens eine Modifikation der Stendal-Vorgaben erfordern, wird dies an der jeweiligen Stelle untersucht, vgl. etwa nachfolgend in Abschnitt D. IV. 1. d) aa) bzw. D. IV. 3. c) cc).
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nächst zu fragen, inwieweit die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Südumfahrung Stendal übertragbar sind (aa). Im Anschluss (bb – dd) wird das StandAG an diesen (im Ergebnis modifizierten) Anforderungen gemessen, wobei ein besonderes Augenmerk auf das Vorliegen guter Gründe (dd) zu legen sein wird. aa) Übertragbarkeit der Stendal-Grundsätze auf das StandAG Planung in Gesetzesform lässt sich grundsätzlich in die beiden Kategorien der Bedarfsgesetzgebung und der Projektplanfeststellungsgesetzgebung einordnen. Bedarfsgesetzen1288 ist gemein, dass sie den Bedarf beispielsweise für einzelne Straßenbauvorhaben (vgl. § 1 Abs. 2 FStrAbG) oder Leitungen der Übertragungsnetze feststellen.1289 Dadurch ist im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren die sog. Planrechtfertigung gegeben bzw. die „energiewirtschaftliche Notwendigkeit“ und der „vordringliche Bedarf“ festgestellt. Allerdings liegt noch keine parzellenscharfe Planung vor.1290 Als Beispiele für Projektplanfeststellungsgesetze dienen die nach der deutschen Wiedervereinigung erlassenen Investitionsmaßnahmegesetze (z. B. Autobahnabschnitt Wismar der Ostseeautobahn1291 oder die Südumfahrung Stendal1292). Durch diese Gesetze wird nicht nur der Standort, sondern das gesamte Vorhaben einschließlich aller notwendiger Folgemaßnahmen festgelegt.1293 Sie lassen sich hinsichtlich Umfang und Konkretisierungsgrad als Planfeststellungsbeschluss in Gesetzesform charakterisieren.1294 Für die Frage der Übertragbarkeit der Stendal-Grundsätze ist entscheidend, welcher der beiden Kategorien die im Standortauswahlgesetz vorgesehene Legalplanung zuzuordnen ist. Gegen die Einordnung als Bedarfsgesetzgebung spricht, dass die im Standortauswahlgesetz vorgesehene (bereits parzellenscharfe) Stand1288 Beispiele finden sich bei der Planung von Bundesfernstraßen oder dem nach § 12e Abs. 4 EnWG erlassenen Bundesbedarfsplan für Höchstspannungsleitungen, vgl. zum Bundesbedarfsplan Henze, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, § 12e EnWG Rn. 37 ff.; Fest, NVwZ 2013, S. 824 ff.; Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, S. 1040, 1042 sowie das Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) vom 23. Juli 2013, BGBl. I S. 2543; 2014 I S. 148, 271, zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 26. Juli 2016, BGBl. I S. 1786. 1289 Grundlegend zur Bedarfsgesetzgebung Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 422 ff. 1290 Vgl. auch Darstellung bei Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 422 ff. m. w. N.; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 265; für weitere Beispiele gesetzlicher Bedarfsfestlegungen mit Fokussierung auf das NABEG, vgl. Schink, FS Jarass, S. 483, 485 ff. 1291 BGBl. I 1994, S. 734. 1292 BGBl. I 1996, S. 1906. 1293 Vgl. Darstellung bei Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 212 f. 1294 S. a. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 266; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 434 ff.; Schneller, ZG 1998, S. 179, 180; grundlegend zu Maßnahmegesetzen Kunig, JURA 1993, S. 308 ff.; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 434 ff.; Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 776.
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ortfestlegung nicht nur einen abstrakten Bedarf feststellt. Ausweislich der Gesetzesformulierung des § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG ist sie für das nachfolgende atomrechtliche Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG verbindlich. In diesem nachgeschalteten Genehmigungsverfahren1295 besteht allerdings auch der entscheidende Unterschied zu den Projektplanfeststellungsgesetzen. Die Errichtung und der Betrieb der konkreten Endlageranlage – mithin die Eignung des gesamten Vorhabens – werden im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens vollumfänglich überprüft (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG).1296 Wenngleich dieser Schritt wiederum dem Verfahren der Bedarfsplanung gleicht, steht die Standortfestlegung nach dem StandAG aufgrund der verbindlichen, parzellenscharfen Vorgaben den Projektplanfeststellungsgesetzen näher. Dies spräche für eine Übernahme der Stendal-Grundsätze.1297 Mit der Beschränkung des Regelungsgegenstandes auf die Festlegung des Standortes fällt sie allerdings auch weniger weitreichend aus als die eine konkrete Projektzulassung beinhaltenden Investitionsmaßnahmegesetze, wie etwa das Gesetz betreffend der Südumfahrung Stendal.1298 Darüber hinaus tritt neben das ohnehin einzuhaltende Vorbereitungs- und Initiativmonopol mit der Anlagengenehmigung nach dem Atomgesetz1299 eine weitere, wesentliche Beteiligung der Exekutive am Gesamtverfahren. Gerade die mangelnde administrative Vollziehbarkeit von Projektplanfeststellungsgesetzen1300 wurde mit Blick auf das horizontale Gewaltenteilungsprinzip kritisch gesehen.1301 Die konkrete Projektzulassung erfolgt hier aber erst mit der atomrechtlichen Anlagengenehmigung.1302 Bedenken hinsichtlich einer funktionsadäquaten Aufgaben-
1295
Vgl. dazu näher in Abschnitt D. III. 1. c) cc). Krit. in Bezug auf die unklare Reichweite der Regelung und diese letztlich für überflüssig erachtend Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 135 ff.; vgl. auch die Ausführung in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (2). 1297 Ähnlich Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 368, der allerdings gleichwohl von einer „Zwitterstellung“ spricht. 1298 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 266; Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 45; i. E. ähnlich Posser, FS Dolde, S. 251, 274. 1299 Bei dieser Genehmigung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, vgl. Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 18. 1300 Diesbezüglich wird auch von „Realisierungsgesetzen“ gesprochen, vgl. Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 622. 1301 Maurer, VVDStRL (43) 1984, S. 137, 156 ff., 231; Meessen, DÖV 1970, S. 314, 321; dies dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuordnend Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 21; a. A. Schneller, ZG 1998, S. 179, 187; Schröder, DVBl. 1984, S. 814, 821. 1302 Mithin bedarf die tatsächliche Realisierung des Endlagers erst noch des weiteren „Vollzugsaktes“ der Anlagengenehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG, welche durch die Exekutive erteilt wird. Diese ist zwar hinsichtlich des Standortes gebunden (vgl. § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG), kann die Eignung des Vorhabens aber nach § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG vollumfänglich überprüfen. 1296
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verteilung zwischen den verschiedenen Gewalten treten daher nur in einer gemilderten Form zu Tage.1303 Für die nachfolgende Prüfung bedeutet dies, dass die vom Bundesverfassungsgericht zur Südumfahrung Stendal entwickelten Grundsätze lediglich im Wege eines Schlusses a maiore ad minus Anwendung finden können.1304 Insbesondere ist der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers bei der Anerkennung von guten Gründen nochmals zu erweitern. bb) Initiative und Vorbereitung durch die Exekutive Dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Erfordernis der Planvorbereitung1305 wird im Rahmen des Standortauswahlgesetzes durch die Einbindung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) als Vorhabenträger1306 sowie dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als verfahrensregulierende Behörde entsprochen.1307 Die Erstellung der Erkundungsprogramme und Prüfkriterien durch die BGE sowie die Überprüfung des Standortvorschlags durch das BASE bieten die Möglichkeit, den bei der Verwaltung bestehenden Sachverstand zu nutzen.1308 Mit der nach § 19 Abs. 1 S. 2 StandAG vorzunehmenden Abwägung sämtlicher privater und öffentlicher Belange sowie der Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens durch das BASE wird ein wesentlicher, „üblicherweise“ der Exekutive obliegender Schritt auch tatsächlich von einer Behörde vorgenommen.1309 1303 Krit. in Bezug auf die mehrfachen gesetzlichen Entscheidungen Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834. 1304 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 266 f.; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 369; ebenfalls für eine Einordnung zwischen Bedarfs- und unmittelbaren Projektplanfeststellungsgesetzen Posser, FS Dolde, S. 251, 274; Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 216; a. A. Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135. 1305 Vgl. insoweit BVerfGE 95, 1, 16 – Stendal; jedenfalls die Planvorbereitung dem Kernbereich exekutiver Aufgaben zuordnend Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 439. 1306 Die Organisation in privater Rechtsform ist für eine Zurechnung zur Exekutive unschädlich. Das BVerfG hat die Einbindung privater Planungsgesellschaften nicht beanstandet, vgl. BVerfGE 95, 1, 26 – Stendal; Schneller, ZG 1998, S. 179, 183; krit. Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211. Dies muss in Bezug auf die BGE umso mehr gelten, da diese sich vollständig in öffentlicher Hand befindet. 1307 Vgl. noch zur Fassung des StandAG 2013 Gierke/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, AtG, § 9b Rn. 6 sowie Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 33 f.; näher zu den Aufgaben der BGE und des BASE in Abschnitt D. III. 1. b) cc) bzw. dd) sowie bei der Darstellung des Verfahrens in Abschnitt D. III. 1. c) bb). 1308 Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 34. 1309 Nach § 20 Abs. 2 S. 1 StandAG 2013 hatte diese Abwägung noch durch den Gesetzgeber zu erfolgen. Mit dem Fortentwicklungsgesetz (Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676) wurde dieser Verfahrensschritt auf das BASE übertragen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64.
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Zudem übermittelt die Bundesregierung nach § 20 Abs. 1 S. 1 StandAG den Standortvorschlag in Form einer Gesetzesvorlage an die Bundesregierung,1310 so dass die vollziehende Gewalt in die Vorbereitung des Standortplanfeststellungsgesetzes hinreichend einbezogen ist.1311 cc) Geeigneter Regelungsgegenstand Bereits in der Stendal-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch Detailpläne einer gesetzlichen Regelung zugänglich sind. „Parlamente sind auch nach ihren Aufgaben und ihren Verfahren durchaus zu einer anlagenbezogenen Fachplanung in der Lage. Der parlamentarische Gesetzgeber vollzieht mit seiner Entscheidung für oder gegen die planerische Zulassung eines Vorhabens nicht andere Gesetze, insbesondere des Planungsrechts, sondern trifft eine eigenständige gestaltende Regelung, die das Vorhaben von der Zulassungsbedürftigkeit nach anderen Gesetzen befreit und der Entscheidung zugleich die sonst an einen Planfeststellungsbeschluß gesetzlich geknüpften materiellen Wirkungen verleiht. Deshalb sind auch Planfeststellungen einer Mehrheitsentscheidung zugänglich.“ 1312
Dies muss umso mehr gelten, wenn das Parlament bei der Endlagerung nicht über sämtliche relevanten Bestandteile des Projekts entscheidet, sondern lediglich den Standort abschließend durch Gesetz festgelegt.1313 Darüber hinaus verbleibt im Vergleich zum StandAG 2013 mit der planerischen Abwägung eine weitere typische exekutivische Aufgabe bei der Verwaltung. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber zwar die Fähigkeit zur Durchführung der Abwägung bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen1314 zuerkannt. Die Kompetenz des Gesetzgebers, abweichend von dem Standortvorschlag im Wege der Legalplanung einer anderen Standortalternative den Vorzug zu geben, ist mit dem im
1310
Vgl. Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 13. Hofmann spricht davon, dass „die Beratung und Bestätigung durch den Bundestag im Anschluss an das Verfahren der Exekutive statt(findet)“, dies., in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 15; s. a. Langer, GewArch 2017, S. 334, 335. 1312 Vgl. BVerfGE 95, 1, 17 – Stendal sowie oben in Abschnitt D. IV. 1. c); diesbezüglich krit. und die Fähigkeit des Parlaments zur Entscheidung komplexer Einzelfälle bezweifelnd Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, S. 187 ff. 1313 So etwa auch Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 273. 1314 Konkret hat der Gesetzgeber den für die Regelung erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig zu ermitteln, anhand dieses Sachverhalts alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zugrunde zu legen sowie umfassend und in nachvollziehbarer Weise gegeneinander abzuwägen. Dies umfasst insbesondere die Pflicht, die individuell betroffenen Grundstückseigentümer und Gemeinden anzuhören, vgl. BVerfGE 95, 1, 22 f. – Stendal; grundlegend zum Abwägungsgebot bei der Legalplanung und der Rolle des parlamentarischen Mehrheitsentscheids Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 114 f.; krit. vor dem Hintergrund parteipolitischer Erwägungen, Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 780. 1311
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Fortentwicklungsgesetz1315 enthaltenen Übergang der Abwägungsentscheidung auf das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung aber entfallen.1316 Das Parlament kann nunmehr nur über den Standortvorschlag als Ganzes entscheiden, ihn also entweder beschließen oder ablehnen.1317 Der Umstand, dass Parlamente nicht über einen mit der Verwaltung vergleichbaren nachgeordneten Apparat verfügen sowie der Charakter von Verfahren und Strukturen der parlamentarischen Gesetzgebung (Initiativrechte und Ausschussarbeit),1318 fallen demnach kaum ins Gewicht. dd) Vorliegen „guter Gründe“ Während die beiden vorgenannten Punkte – auch aufgrund der zwischenzeitlich am Standortauswahlgesetz vorgenommenen Modifizierungen – keine schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich des Gewaltenteilungsprinzips aufkommen lassen, bleibt weiterhin klärungsbedürftig, ob auch gute Gründe für die Hochzonung der Standortentscheidung auf den Gesetzgeber vorliegen. (1) Beschleunigungswirkung Üblicherweise werden Projektplanfeststellungsgesetze mit der Notwendigkeit einer raschen Zurverfügungstellung von Infrastruktureinrichtungen begründet.1319 Auch in den Gesetzesmaterialien zum StandAG findet sich die Formulierung, dass nach mehreren Jahrzehnten des Streits im Rahmen der Energiewende nun die Möglichkeit bestehe, für die Endlagersuche eine von der Gesamtbevölkerung Deutschlands getragene Lösung zu finden. Deshalb sei eine rasche Vorgehensweise erforderlich.1320 Zwar wird hierdurch der Blick auf eine besondere zeitliche Dimension gerichtet. Eine Argumentation mit einem Beschleunigungsbedürfnis kann aber in Bezug auf die Standortfrage eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle nicht überzeugen. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass eine gesetzliche Entscheidung im Gegensatz zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens eine gewisse Zeitersparnis mit sich bringen kann, ist zu berücksichtigen, dass die Standortsuche ohnehin ein auf eine Vielzahl von Jahren angelegtes Projekt ist.1321 Nach § 1 Abs. 5 StandAG 1315
Vgl. Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1316 Krit. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 8. 1317 Vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1318 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 273, der darin gleichwohl kein Hindernis für eine gesetzliche Standortentscheidung sieht. 1319 So auch BVerfGE 95, 1, 18 f. – Stendal; vgl. allgemein Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 623 f. 1320 S. BT-Drs. 17/13471, S. 30. 1321 Ähnlich Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 21; Gaßner/ Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
wird die Festlegung eines Standortes bis zum Jahr 2031 angestrebt. Dass dieser Zeitpunkt nicht einzuhalten sein wird, ist ein offenes Geheimnis. Die Endlagerkommission hat u. a. unter Berücksichtigung von Feldarbeiten bei Nacherhebungen sowie von Rechtsschutzverfahren in einem realistischen Szenario eine Verlängerung des Suchverfahrens auf 59 Jahre errechnet.1322 Angesichts dieser Verfahrensdauer und der Auslegung des Endlagers auf den Betrachtungszeitraum von einer Million Jahre vermag es nicht einzuleuchten, inwieweit eine Beschleunigungswirkung die Abweichung von der üblichen Aufgabenverteilung rechtfertigen kann.1323 Selbst wenn man davon ausgeht, dass aktuell besonders günstige Gegebenheiten für eine abschließende gesetzliche Regelung vorliegen,1324 handelt es sich lediglich um eine Gesetzgebungschance, die ein Beschleunigungsbedürfnis nicht begründen kann.1325 Die Eilbedürftigkeit lässt sich auch nicht aus der RL 2011/70/EURATOM (sog. Entsorgungsrichtlinie)1326 oder dem Auslaufen der Zwischenlagergenehmigungen für Gorleben und Ahaus schließen.1327 Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zwar bis spätestens 23. August 2015 nationale Programme zur Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle aufzustellen.1328 Das auf dieser Grundlage erlassene Nationale Entsorgungsprogramm rezipiert aber lediglich das im StandAG genannte Abschlussdatum im Jahr 2031.1329 Eine entsprechende zeitliche Verpflichtung lässt sich aus der Entsorgungsrichtlinie aber gerade nicht entnehmen,1330 sondern liegt im nationalen Umsetzungsspielraum. Das Auslaufen (einzelner) Zwischenlagerungsgenehmigungen mag als politisches Motiv für die Wahl des (unrealistischen) Zieldatums eine Rolle gespielt haben. Eine bindende zeitliche Vorgabe für die Endlagersuche ergibt sich daraus aber nicht. 1322 Vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 13 f.; weiterhin wurden auch Zeitansätze für ein optimistisches sowie pessimistisches Szenario entwickelt und auch die Realisierungsdauer der Endlageranlage kritisch hinterfragt. Eine Darstellung der jeweiligen Zeitansätze findet sich in der Verfahrensbeschreibung in Abschnitt D. III. 1. c). 1323 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904. 1324 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30. 1325 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 403; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 307 f.; ders., ZNER 2013, S. 132, 138; Posser, FS Dolde, S. 251, 276. 1326 Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 19. Juli 2011 – RL 2011/70/EURATOM, ABl.EU L 199/48 v. 2.8.2011. 1327 So aber Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 21. 1328 Vgl. Art. 15 Abs. 4 RL 2011/70/EURATOM; näher zum Inhalt der Entsorgungsrichtlinie in Abschnitt D. I. 2. b) aa) (3). 1329 Vgl. BMUB, Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, Nationales Entsorgungsprogramm, 12.8.2015, S. 6, 13. 1330 Vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. b RL 2011/70/EURATOM.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Anders als bei sonstigen Projektplanfeststellungsgesetzen scheidet der Beschleunigungseffekt daher als guter Grund aus.1331 (2) Besonderheiten der Endlagersuche Argumentativ angelehnt an die Wesentlichkeitstheorie1332 des Bundesverfassungsgerichts wird im Schrifttum verschiedentlich die herausgehobene Bedeutung und einzigartige Situation der Endlagersuche betont.1333 Zudem seien im Vergleich mit der Situation eines Autobahn- oder Eisenbahnabschnitts die grundrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, die Staatszielbestimmung der natürlichen Lebensgrundlagen gerade auch in Verantwortung für die künftigen Generationen nach Art. 20a GG und auch die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG in deutlich gesteigertem Maß betroffen.1334 Der Gesetzgeber begründet die Etablierung der Legalplanung u. a. mit der besonderen Bedeutung der Endlagerung als großes Infrastrukturprojekt und nationale Aufgabe.1335 Unstreitig handelt es sich bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe um eine „einmalige, buchstäblich extraordinäre Angelegenheit im Anschluss an eine jahrzehntelange Auseinandersetzung“1336. Die nach der StendalRechtsprechung geforderten besonderen Umstände, die eine Befassung des Gesetzgebers mit der Planungsaufgabe zulassen,1337 lägen demnach vor. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Erfordernis allerdings im Kontext des Gleichbe1331
S. a. Langer, GewArch 2017, S. 334, 336. Die Wesentlichkeitstheorie findet ihre Wurzeln im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Sie besagt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen, insb. im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, vgl. BVerfGE 33, 303 Ls. 4 – Numerus Clausus I; E 47, 46, 79 – Sexualkundeunterricht; E 49, 89, 126 – Kalkar I; E 83, 130, 140 – Josefine Mutzenbacher; aus der Lit.: Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 V Rn. 105 f.; Reimer, GrdlVerwR I, § 9 Rn. 47 ff.; jüngst Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, S. 523, 524 f. 1333 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 24; die Bedeutung als „epochal“ bezeichnend Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; für eine „erdgeschichtliche Dimension“, vgl. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292; Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 138; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 14; die Parlamentszuständigkeit nicht verpflichtend aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz ableitend, aber für „sinnvoll“ erachtend Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 524 (dort Fn. 116). 1334 So etwa Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; zum hohen Schutzwert, vgl. jüngst BVerfGE 143, 246 Rn. 303, 363 – Atomausstieg sowie E 50, 30, 74 – Mühlheim-Kärlich. 1335 BT-Drs. 17/13471, S. 29; vgl. auch Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 124; Kment, FS Jarass, S. 301, 307; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; ähnlich Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 217. 1336 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275. 1337 Vgl. BVerfGE 95, 1, 26 – Stendal; Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 622; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 17, 24. 1332
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
handlungsgebots mit anderen Streckenabschnitten einer Eisenbahnlinie erörtert. Eine Übertragbarkeit auf die Endlagersuche ist damit gerade noch nicht gegeben. Des Weiteren ist es zwar zutreffend, dass die Beseitigung der Hinterlassenschaften der Kernenergienutzung (als Hochrisikotechnologie) eine besonders grundrechtssensitive Thematik darstellt.1338 Gerade die Komplexität der Materie lässt aber sehr hohe Anforderungen an die Kompetenz der Abgeordneten erwachsen, eine entsprechende Entscheidung zu treffen. So wird für den Bereich des Atomrechts der Exekutive im Vergleich mit Verwaltungsgerichtsbarkeit und Legislative traditionell eine höhere Befähigung zugesprochen, die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu gewährleisten.1339 Bei konsequenter Betrachtung könnte aus der Berufung auf die Wesentlichkeitstheorie gar eine verfassungsrechtliche Pflicht zur gesetzlichen Standortentscheidung resultieren. Aufgrund der Unbestimmtheit des Wesentlichkeitskriteriums besteht allerdings die Gefahr einer ausufernden Anwendung.1340 Zum Endlager Schacht Konrad für schwach bis mittelradioaktive Abfälle hat das Bundesverfassungsgericht folgerichtig eine Ausdehnung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts hin zu einer verpflichtenden gesetzlichen Standortentscheidung verneint.1341 Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führe für sich genommen nicht dazu, dass sie als „wesentlich“ verstanden werden müsste.1342 Die Besonderheiten der Endlagersuche flankieren daher eher den Wunsch nach größtmöglicher Legitimation,1343 als einen eigenständigen guten Grund i. S. d. Stendal-Rechtsprechung darzustellen.1344 (3) Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie Für die gesetzliche Standortfestlegung werden weiterhin Gründe der Rechtssicherheit1345 und Verfahrensökonomie1346 angeführt.1347 Die Standortentscheidung sei 1338
Vgl. ausführlich zu betroffenen Grundrechten bzw. der Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG in Abschnitt D. II. 1. 1339 Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 302 mit Verweis auf BVerfGE 49, 89, 140 – Kalkar I; BVerwGE 72, 300, 317 – Whyl. 1340 Zur „Keule der Wesentlichkeit“, vgl. Herzog, NJW 1999, S. 25, 28; explizit krit. zu den Schwächen der Wesentlichkeitstheorie Reimer, GrdlVerwR I, § 9 Rn. 57. 1341 Vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 35 ff. – Schacht Konrad; allerdings gilt es zu beachten, dass die Kammer eine Übertragung der Urteilsaussagen auf ein Endlager für hochradioaktive Abfälle ausdrücklich offengelassen hat (vgl. Rn. 18). 1342 BVerfGK 16, 370 Rn. 36 – Schacht Konrad. 1343 Hierzu sogleich unter (4). 1344 Langer, GewArch 2017, S. 334, 336. 1345 Zum Verfassungsrang der Rechtssicherheit, vgl. BVerfGE 2, 380 Ls. 6, Rn. 81 ff. – Haftentschädigung; BVerfGK 10, 275 Rn. 26; aus der Lit.: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 831; grundlegend v. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 664 ff.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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nur durch ein erneut parlamentarisch beschlossenes Gesetz zu ändern bzw. könne durch das Bundesverfassungsgericht auf Antrag für nichtig erklärt werden. Die so erreichbare Kontinuität sei im Rahmen eines derart umfangreichen Großprojekts erforderlich, um sowohl die Planung als auch die Umsetzung in einem zeitlich angemessenen Rahmen und unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen zu gewährleisten.1348 Dem wird entgegengehalten, dass sich ein einmal gefundener Standort im Laufe weiterer Erkundungen oder durch einen fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik als ungeeignet erweisen könne. Die Genehmigungsbehörde sei bei der anschließenden Anlagengenehmigung aber dennoch an die gesetzliche Standortfestlegung gebunden.1349 Derartige Befürchtungen erweisen sich mit Blick auf den Grundsatz der Reversibilität und der damit verbundenen Möglichkeit von Fehlerkorrekturen allerdings als unbegründet.1350 Vielmehr gilt es zu berücksichtigen, dass auch Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers revidierbar sind.1351 Ausschlaggebend ist dahingegen, dass die guten Gründe für eine Hochzonung der Entscheidung ihrerseits Verfassungsrang besitzen.1352 Das mag für den Aspekt der Rechtssicherheit nicht zu bestreiten sein. Allerdings resultiert diese aus einer Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen formelle Gesetze.1353 Den gemeinwohlorientierten Vorteilen eines durchsetzungsstarken Verfahrens stehen somit individualrechtliche Einschränkungen gegenüber. Eine alleinige Berufung auf Rechtssicherheit und eine ökonomische Verfahrensgestaltung kann somit keinen guten Grund i. S. d. Stendal-Rechtsprechung darstellen. (4) Legitimationswirkung Der Gesetzgeber selbst hat in seiner Begründung zur Wahl des gestuften Legalplanungsverfahrens auf das mit einer parlamentarischen Entscheidung verbun-
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Zum Verfassungsrang der Verfahrensökonomie, vgl. BVerfG, Beschluss v. 5.8.2013, 1 BvR 2965/10, NJW 2013, S. 3432. 1347 Vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 23; Gaßner/ Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351; zum Verfassungsrang der beiden Rechtsgüter im Kontext der Entscheidung Garzweiler (BVerfGE 134, 242), vgl. Moench/Ruttloff, NVwZ 2014, S. 897, 898. 1348 Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 18. 1349 Vgl. Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351; Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 139. 1350 So auch Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 23; näher zu den Grundsätzen des ergebnisoffenen Verfahrens und der Reversibilität in Abschnitt D. III. 1. a) jj) und mm). 1351 S. a. mit Blick auf die Änderungsdynamik im Energiesektor Ludwigs/Langer, in: Elspaß/Graßmann/Rasbach (Hrsg.), EnWG, § 1a Rn. 32; Stelter/Ipsen, EnWZ 2016, S. 483, 489. 1352 Das Bundesverfassungsgericht hat in der Stendal-Entscheidung die Beschleunigungswirkung als guten Grund aus der Notwendigkeit der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet abgeleitet, vgl. BVerfGE 95, 1, 18 f. (Rn. 57) – Stendal. 1353 Näher hierzu nachfolgend in Abschnitt D. IV. 2. b).
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
dene „größtmögliche Maß an demokratischer Legitimation“ hingewiesen.1354 Gegen die Einordung dieses Arguments als guter Grund wird vorgebracht, dass auch eine Entscheidung der Verwaltung durch ihre Bindung an Recht und Gesetz mittelbar demokratisch legitimiert ist.1355 Das Grundgesetz sieht diese Form der demokratischen Legitimation, die letztlich Ausdruck des Grundsatzes der Gewaltenteilung ist, in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ausdrücklich vor.1356 Weiterhin hätte mit den §§ 9b ff. AtG a. F. ein funktionierendes verwaltungsbehördliches Instrumentarium zur Standortermittlung bereitgestanden.1357 Zu berücksichtigen sei ferner, dass eine Entscheidung der Exekutive unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch deshalb als legitimiert angesehen werden kann, weil sie in der Regel einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist.1358 Mit einer gesetzlichen Entscheidung sei hingegen zwingend eine Beschränkung des Rechtsschutzes verbunden. Bereits im Verfahren um den Standort Gorleben habe neben der fehlenden Transparenz insbesondere mangelnder gerichtlicher Rechtsschutz zu einem Akzeptanzverlust in der Bevölkerung geführt, der durch die besondere demokratische Legitimation des Parlaments gerade vermieden werden solle.1359 Weiterhin wird argumentiert, dass auch einfache (nicht gesetzgeberische) Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat die Legitimation erhöhen, ohne aber gleichzeitig – wegen der daneben weiter erforderlichen Behördenentscheidung – den Rechtsschutz zu verkürzen.1360 Allerdings muss beachtet werden, dass schon die verfassungsrechtliche Einordnung und Anerkennung eines solchen schlichten Parlamentsbeschlusses umstritten ist und Fragen an die Bindungswirkung gegenüber den nachfolgend zur Entscheidung berufenen Verwaltungsbehörden aufwirft.1361 Zudem handelt es sich bei der Endlagersuche um einen Entschluss, der noch für weitere Generationen von Bedeutung sein wird und daher
1354 BT-Drs. 17/13471, S. 29 f.; vgl. auch Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 38; allgemein zur Verstärkung der demokratischen Legitimation bei infrastrukturpolitischen Grundentscheidungen im Wege der Bedarfsgesetzgebung Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 423; Schneider, Gesetzgebung, 2002, Rn. 206; abstrakt zur Legitimationswirkung von Gesetzen Reimer, GrdlVerwR I, § 9 Rn. 10. 1355 Vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126 f.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1135 m. w. N.; allgemein zur mittelbaren demokratischen Legitimation der Verwaltung Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 20 Rn. 95. 1356 Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135, 1136. 1357 Nach diesen Vorschriften wurde die Planfeststellung für das Endlager Schacht Konrad (für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle) durchgeführt, vgl. Posser, FS Dolde, S. 251, 275; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127. 1358 Ausführlich zur Problematik des eingeschränkten Rechtsschutzes bei Legalplanungen sowie den Rechtsschutzinstrumenten des StandAG in Abschnitt D. IV. 2. 1359 Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 138. 1360 Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 138; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351. 1361 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 276; allgemein zum schlichten Parlamentsbeschuss Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Brockmeyer (Hrsg.), GG, Art. 40 Rn. 31 ff.
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ein besonderes Maß an Legitimation erfordert.1362 Das Parlament hingegen ist als einziges Organ direkt vom Volk gewählt und damit unmittelbar demokratisch legitimiert. Gerade die Historie der Endlagersuche mit widerstreitenden gesellschaftlichen Interessen und Auseinandersetzungen, die letztlich die Realisierung des Vorhabens verhinderten, kann für den Neustart der Standortsuche das Ziel eines möglichst hohen Maßes an demokratischer Legitimation rechtfertigen.1363 Gesetzlich verankerte Meilensteine,1364 wie sie das StandAG mit dem gestuften Legalplanungsverfahren vorsieht, verschaffen dem Projekt der Endlagersuche auf jeder Stufe neue Geltung und Legitimation.1365 Deshalb ist es letztlich auch nicht entscheidend, dass mit der Fortentwicklung1366 der in § 20 Abs. 2 StandAG 2013 vorgesehene Abwägungsvorgang durch das Parlament gestrichen wurde.1367 Die Leistung des Parlaments liegt weniger in der Ausdifferenzierung und Findung des bestmöglichen Standorts, sondern vielmehr in einer keineswegs nur symbolischen Rückkopplung der Standortentscheidung an den Volkswillen.1368 Bei Widerstand und Konflikten, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Laufe der Standortauswahl zu erwarten sind,1369 kann auf die zum Zeitpunkt der endgültigen Standortentscheidung, aber auch bei den jeweiligen Zwischenschritten über vermutlich Jahrzehnte vorherrschende politische Zustimmung verwiesen werden.1370 1362 Insofern spielen die Besonderheiten der Endlagersuche doch eine gewichtige Rolle, vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (2); in diesem Kontext die legitimitätsstiftende Wirkung des Parlaments betonend Bull, DVBl. 2015, S. 593, 601. 1363 Vgl. die Aussage des damaligen Bundesumweltministers Peter Altmaier bei der Einbringung des StandAG in den Bundestag: „Ein jahrzehntelanger tiefer Konflikt in Politik und Gesellschaft, vermutlich der größte und längste in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes, ist damit gelöst worden, ein Konflikt, der mit heftigen Demonstrationen, großen Polizeiaufgeboten und leider manchmal auch mit Gewalt und Verletzten einherging.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/241 v. 17.5.2013, S. 30520; ähnlich Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 377; s. a. Langer, GewArch 2017, S. 334, 336. 1364 Zu den einzelnen Verfahrensschritten, vgl. die Darstellung in Abschnitt D. III. 1. c). 1365 Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 358; König, ZNER 2012, S. 232, 237. 1366 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1367 So aber Hofmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 20 Rn. 18, der hierdurch die legitimationsstiftende Wirkung der Parlamentsbefassung geschmälert sieht; ebenfalls krit. und im Kontext politischer Verantwortungsdiffussion von einem „gesetzgeberischen Notariat“ sprechend Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281. 1368 S. a. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 121 f.; krit. Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 499. 1369 Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 416. 1370 Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 358; König, ZNER 2012, S. 232, 237; ähnlich Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414; grundsätzlich zum demokratischen Problem der Bevorzugung
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
ee) Stellungnahme Das Bestehen oder Nichtbestehen guter Gründe für eine Legalplanung stellt eine der umstrittensten konzeptionellen Fragestellungen in der Ausgestaltung des Standortauswahlgesetzes dar.1371 Einigkeit besteht weitestgehend darin, dass im Kontext der Endlagersuche das in der Stendal-Rechtsprechung entwickelte Beschleunigungsargument nicht zu tragen vermag.1372 Der Gesetzgeber selbst begründet die Wahl der Legalplanungsform mit dem Wunsch, durch die parlamentarische Rückkopplung eine größtmögliche Legitimationswirkung zu entfalten und auf diese Weise gesamtgesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen.1373 Flankiert wird der Legitimationsaspekt mit der Bedeutung der Endlagersuche sowohl in Anbetracht der in Rede stehenden Rechtsgüter als auch der konfliktreichen Vorgeschichte.1374 Darüber hinaus spielen Rechtssicherheitsaspekte eine Rolle, insbesondere dann, wenn das Verfahren bereits weit fortgeschritten ist und eine vollständige Akzeptanz ohnehin nicht mehr erreicht werden kann.1375 In der Vergangenheit wurden Entscheidungen des „Atomstaats“1376 kritisiert, der grundlegende Entscheidung unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorbei an den Interessen der Bevölkerung trifft.1377 Dies lässt den Wunsch nach größtmöglicher
gegenwärtiger Interessen Gärditz, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 253, 271 ff. 1371 Für das Vorliegen guter Gründe Bull, DVBl. 2015, S. 593, 600; ders., DÖV 2014, S. 897, 904; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274 ff.; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 377 f.; Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404 f.; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 254; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 357; diese verneinend Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135; Posser, FS Dolde, S. 251, 257 f.; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 307 ff.; ders., ZNER 2013, S. 132, 137 f. 1372 S. a. Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 403; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 307 f.; ders., ZNER 2013, S. 132, 138. 1373 BT-Drs. 17/13471, S. 29 f. 1374 Das „erhebliche Hindernis“ für eine Legalplanung außerhalb der Sondersituation Wiedervereinigung mit den „Erblasten sozialistischer Kommandowirtschaft“ sollte damit beseitigt sein, vgl. Badura, FS Hoppe, S. 167, 173. 1375 Vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 377; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414; Hien, UPR 2012, S. 128, 132; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59 ff.; die Kehrseite des eingeschränkten Individualrechtsschutzes ist ein eigenständiges verfassungsrechtliches Problem und nachfolgend losgelöst von Frage der des Grundsatzes der Gewaltenteilung zu betrachten, vgl. Abschnitt D. IV. 2. 1376 Den Begriff prägend Jungk, Der Atomstaat – Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit, 1977. 1377 Statt vieler Pape, Politik und Recht der Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2016, S. 272; Radkau/Hahn, Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, 2013, S. 301, 325.
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Legitimation als guten Grund erscheinen.1378 Die im Rahmen der parlamentarischen Prozesse zu erwartende öffentliche Diskussion gewährleistet eine weitgehende Information der Bevölkerung über die Gruppe der konkret Betroffenen hinaus. Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung ist zudem zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber ausweislich der Stendal-Rechtsprechung ein Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum zukommt.1379 Im Verfahren der Standortauswahl sind die Anforderungen an die Qualifizierung des guten Grundes durch die verstärkte Einbindung der Exekutive sowie die nachfolgende verwaltungsbehördliche Anlagengenehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG nochmals reduziert.1380 Gegen die Einordnung der Legitimationswirkung als guter Grund bestehen somit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.1381 e) Zwischenergebnis Die Wahl der Legalplanungsform bei der Standortauswahl erscheint unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten nicht unproblematisch. Die Erreichung der gesetzgeberischen Ziele wäre möglicherweise auch mit einer Ertüchtigung des atomrechtlichen, verwaltungsbehördlichen Verfahrens machbar gewesen.1382 Allerdings ist die Wahl der Gesetzesform insbesondere bei der Planung großer Infrastrukturvorhaben1383 keinesfalls singulär.1384 Die vom Bundesverfassungsgericht in der Rechtsprechung Südumfahrung-Stendal entwickelten Vorgaben zur Legalplanung sind auf die Endlagersuche in einem Schluss a maiore ad minus übertragbar. Insofern sind an das Vorliegen guter Gründe reduzierte Anforderungen zu stellen, insbesondere da dem Gesetzgeber bei der Beurteilung eine Einschätzungsprärogative zukommt. Der Wunsch nach größtmöglicher Legitimation durch das Parlament bewegt sich innerhalb der Grenzen dieses Spielraums. Das nunmehr etablierte gestufte Legalplanungsverfahren gewährleistet im Besonderen eine fortdauernde, für jeden Planungsschritt stattfindende Absicherung, dass die getroffene (Teil-)Ent1378 Insofern stellen die Besonderheiten der Endlagersuche keinen eigenständigen „guten Grund“ dar, sondern bilden vielmehr die Ausgangsbasis für die Qualifizierung der Legitimationswirkung als eben solchen. 1379 BVerfGE 95, 1, 17 – Stendal. 1380 Vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) aa). 1381 S. a. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 276; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 254; Langer, GewArch 2017, S. 334, 336. 1382 S. a. unter Bezugnahme auf die Implementierung einer Alternativenprüfung, substanziellen Öffentlichkeitsbeteiligung und parlamentarische Rückkoppelung Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404; ders., FS Jarass, S. 301, 307; Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135; Posser, FS Dolde, S. 251, 276; a. A. Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 358 f. 1383 Zum Begriff des Infrastrukturrechts, vgl. Dörr, VVDStRL (73) 2014, S. 323, 325 ff.; Wißmann, VVDStRL (73) 2014, S. 369, 372 ff. 1384 Burgi, NVwZ Editorial Heft 5/2015; Kment, FS Jarass, S. 301, 303; näher zum verstärkten Einsatz von Gesetzen als Handlungsform bei der Verwirklichung von Großvorhaben Wißmann, VVDStRL (73) 2014, S. 369, 415 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
scheidung dem gegenwärtigen politischen Mehrheitswillen entspricht. Auf diese Weise kann auch den befürchteten und zu recht beklagten Entpolitisierungstendenzen1385 entgegengetreten werden. Durch die verfahrensrechtliche Einbindung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und der Bundesregierung ist die Exekutive zudem in nennenswertem Umfang in die Planvorbereitung eingebunden.1386 Die Konzeption des Standortauswahlgesetzes als Legalplanungsverfahren verstößt demnach nicht gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. 2. Rechtsschutz Wenngleich das Standortauswahlverfahren mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung im Einklang steht, bringt das Instrument der Legalplanung einen weiteren verfassungsrechtlichen Kritikpunkt mit sich. Gegen formelle Gesetze existieren nur eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten.1387 Bevor die Auswirkungen eines infolge der Legalplanung verkürzten Rechtsschutzes aufgezeigt werden (b), sind zunächst die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG und der Maßstab dieser Rechtsschutzgarantie fokussiert darzustellen (a). Nachdem sich das Rechtsschutzsystem des StandAG 2013 (c) insbesondere unions- und völkerrechtlichen Bedenken ausgesetzt sah, fand mit dem Fortentwicklungsgesetz1388 im Jahr 2017 auch in diesem Bereich eine Ertüchtigung statt. Die Neuerungen werden abschließend in den einzelnen Elementen vorgestellt und bewertet (d). a) Maßstab der Rechtsschutzgarantie Um zu untersuchen, ob die gegen die Standortentscheidung zulässigen Rechtsmittel verfassungsmäßigen Standards genügen, ist zunächst klärungsbedürftig, welcher Maßstab an die Rechtsschutzgarantie anzulegen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Thematik des durch eine Legalplanung eingeschränkten Rechtsschutzes im Stendal-Beschluss lediglich in Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung erörtert.1389 Dabei 1385
Ausführlich zu diesem Aspekt nachfolgend in Abschnitt D. IV. 4. Dies betonend Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 358 f. 1387 Statt vieler Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 169 ff.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 297 ff.; dies als Motivation für die Wahl der Legalplanung andeutend Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414; Hien, UPR 2012, S. 128, 132; deutlich kritisch Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 309; ders., ZNER 2013, S. 132, 138, jeweils mit Verweis auf Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 216. 1388 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1389 Vgl. BVerfGE 95, 1, 22 – Stendal; näher zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung im nachfolgenden Abschnitt D. IV. 3. 1386
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stützt es die Rechtsschutzgarantie gleichberechtigt auf die Normen der Art. 14 Abs. 1 S. 1 sowie 19 Abs. 4 S. 1 GG. Bei der Standortsuche spielen Rechtsschutzaspekte jedoch nicht nur im eigentumsrechtlichen Kontext eine Rolle.1390 Es besteht zudem die Gefahr, dass das mit der Legitimationswirkung des Parlaments bezweckte Ziel, größtmögliche Akzeptanz zu erreichen, durch verkürzte Rechtsschutzmöglichkeiten konterkariert wird.1391 Die Bedeutung des Gebots von effektivem Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen großer Infrastrukturvorhaben und die Komplexität der Standortsuche rechtfertigen daher eine selbstständige Prüfung von Rechtsschutzfragen.1392 aa) Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet dem Bürger einen faktisch wirksamen und in angemessener Zeit erfolgenden judikativen Schutz gegen subjektive Rechtsverletzungen durch Träger öffentlicher Gewalt.1393 Als Teilelemente beinhaltet dies sowohl den Zugang zum wie auch die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes.1394 Die Vorschrift statuiert ein echtes Grundrecht, das dem Einzelnen einen Anspruch auf Gewährung möglichst wirkungsvollen Rechtsschutzes verleiht.1395 Insofern ist durch Art. 19 Abs. 4 GG eine Systementscheidung für den Individualrechtsschutz getroffen.1396 Die Rechtsschutzgarantie stellt eine rechtsstaatlich zwingende formellverfahrensrechtliche Ergänzung zu den von der Verfassung, im Gesetz oder aufgrund gesetzlicher Befugnis begründeten materiellen Individualrechtspositionen dar.1397 1390 Vgl. etwa zum Rechtsschutz gegen Fehler im Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83 f. 1391 S. a. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 309; mit Verweis auf fehlenden Rechtsschutz gegen die Untersuchung des Standortes Gorleben, vgl. Geulen, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. ATRS ff. 1392 So bereits Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 189 f., 192, der Art. 19 Abs. 4 GG im StendalBeschluss „untergegangen“ sieht. 1393 Statt vieler Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 176 Rn. 5. 1394 Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 57. 1395 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 7; Enders, in: Epping/ Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 19 Rn. 51; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 1; dabei ist Art. 19 Abs. 4 GG nicht isoliert anwendbar, sondern setzt die auf dem Rechtsweg zu schützenden Rechtspositionen bereits voraus, vgl. BVerfGE 113, 273, 310 – Europäischer Haftbefehl. Erst im Zusammenspiel mit anderen Normen, die selbst nicht notwendigerweise Grundrechtsstatus besitzen müssen, kann der Gewährleistungsumfang von Art. 19 Abs. 4 GG vollständig ermittelt werden, vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 311. 1396 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 8; s. a. Kment, UPR 2013, S. 41 f. m. w. N.; zum aufgrund unionsrechtlicher Implikationen bedingten Vordringen der Verbandsklage, vgl. Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53; dies., DVBl. 2015, S. 929, 932 ff.; grundlegend dies., Überindividueller Rechtsschutz, 2008. 1397 Vgl. BVerfGE 88, 118, 123 – Versäumnisurteil; E 107, 395, 401 – fachgerichtlicher Rechtsschutz; aus der Lit.: Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 19 Rn. 51.
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Als konkrete Ausprägung erfordert Art. 19 Abs. 4 GG zum einen, dass der Rechtsweg als solcher eröffnet ist. Dies umfasst zunächst allein den Zugang zu staatlichen Gerichten i. S. d. Art. 92 GG. Aussagen zur Gerichtsbarkeit oder in welchem Verfahren der Rechtsschutz zu gewähren ist, lassen sich Art. 19 Abs. 4 GG nicht entnehmen. Die voraussetzungslose und zeitlich unlimitierte Zugänglichkeit des Rechtsweges1398 ist ebenso wenig erforderlich, wie ein Instanzenzug.1399 Zum anderen hat der Gerichtsschutz eine richterliche Prüfungskompetenz in Bezug auf die rechtmäßige Ausübung öffentlicher Gewalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu enthalten. Mithin muss er effektiv ausgestaltet sein und eine „tatsächlich wirksame Kontrolle“ garantieren.1400 Zudem haben die Entscheidungsbefugnisse des Gerichts so ausgestaltet zu sein, dass eine effiziente Beseitigung der Rechtsverletzung möglich ist.1401 Dies beinhaltet insbesondere eine in angemessener Zeit realisierbare, der Rechtskraft fähige und vollstreckbare richterliche Entscheidung. Weiterhin präzisierte das Bundesverfassungsgericht zuletzt in seinem Urteil zum Braunkohletagebau Garzweiler, dass der Rechtsschutz frühzeitig einsetzen muss, bevor vollendete Tatsachen geschaffen sind.1402 Den Anforderungen an die Rechtzeitigkeit genügt, wenn Rechtsschutzoptionen verfügbar sind, sobald der Betroffene von einer im Verlauf des Planvorhabens getroffenen Entscheidung durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt sein kann.1403 Die exakte inhaltliche Ausgestaltung zur Sicherung der Effektivität kann dem Regelungsspielraum des einfachen Gesetzgebers vorbehalten bleiben.1404 bb) Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG auf die Legalplanung? Zu beachten ist allerdings, dass nach Ansicht der Karlsruher Richter1405 die Legislative – jedenfalls sofern es sich um formelle Gesetzgebung handelt – nicht vom 1398
Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 60 ff. St. Rspr. BVerfGE 4, 74, 94 – ärztliches Berufungsgericht; ausführlich E 107, 395, 401 ff. – fachgerichtlicher Rechtsschutz; aus der Lit.: Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 58; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 17a; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 120. 1400 St. Rspr. BVerfGE 35, 263, 275 – Nachbarklage; E 35, 382, 401 – Palästinenser-Beschluß; E 40, 272, 275; aus der Lit.: Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 90 ff. 1401 Vgl. zum Spannungsverhältnis von effektivem und effizientem Rechtsschutz unter gleichzeitiger Wahrung der gerichtlichen Mindeststandards Pitschas, ZRP 1998, S. 96, 100 ff. 1402 BVerfGE 134, 242, 311, 351 – Garzweiler, mit Verweis auf BVerfGE 37, 150, 153; E 93, 1, 13 – Kruzifix. 1403 Näher hierzu Moench/Ruttloff, NVwZ 2014, S. 897, 899; Kühne, NVwZ 2014, S. 321, 322. 1404 Statt vieler Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 90. 1405 St. Rspr. BVerfGE 24, 33, 49 – Finanzvertrag; E 24, 367, 401 – Deichordnungsgesetz; E 25, 352, 365 – Gnadengesuch; E 112, 185, 207 – Zulässigkeitsanforderungen beim Revisionsgericht. 1399
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Begriff der öffentlichen Gewalt i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG erfasst ist.1406 Die Prüfung von Parlamentsgesetzen werde vom Grundgesetz mit den Verfahren der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nrn. 4a und b GG) sowie der abstrakten (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) und konkreten Normenkontrolle (Art. 100 GG) dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen.1407 Weder sei – mit Ausnahme der Verfassungsbeschwerde – der Einzelne befugt, diese Verfahren in Gang zu setzen, noch soll es in der Macht der durch Art. 19 Abs. 4 GG adressierten Fachgerichte stehen, diese selbst durchzuführen. Der Begriff der öffentlichen Gewalt im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG umfasst somit grundsätzlich allein Akte der Exekutive.1408 Selbst in Ansehung der (vielfach kritisierten) Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts1409 ist aus dem Umstand, dass es sich bei der Standortfestlegung um eine Maßnahme der Legislative handelt, noch nicht die Unanwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 GG abzuleiten. Vielmehr wird durch die Hochzonung der Planungsentscheidung auf die Legislativebene gerade ein behördlicher Planfeststellungsbeschluss ersetzt.1410 In einem derart gelagerten Fall müssen zur Vermeidung einer Umgehung des Gebots von effektivem Rechtsschutz1411 die Grundsätze des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise auch auf solche Legislativmaßnahmen an1406 Vgl. auch Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 123 m. w. N.; verschiedene Literaturstimmen beziehen hingegen die Legislative in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ein. Die Grundrechte des Grundgesetzes gewähren ausweislich der Formulierung des Art. 1 Abs. 3 GG öffentlich-rechtliche Abwehransprüche nicht nur gegenüber der zweiten und dritten Gewalt, sondern auch gegenüber der Gesetzgebung. Erlässt der Gesetzgeber ein grundrechtswidriges Gesetz, dann greift er in Rechte eines Grundrechtsinhabers ein. Entscheidend für die Betroffenheit subjektiver öffentlicher Rechte sei wegen Art. 1 Abs. 3 GG nicht die Rechtsform des eingreifenden Hoheitsaktes, vgl. Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 40; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 93 m. w. N.; Maurer, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 467, 479 ff.; eingehend auch Schenke, NJW 2017, S. 1062, 1065 f.; ders., FS Wendt, S. 403, 408 f. 1407 Zur Normverwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 2, 124, 128, 130 f. – Normenkontrolle II; E 22, 373, 377; Papier, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 41. Dederer, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 100 GG, Rn. 10, 12; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 100 Rn. 1. 1408 Vgl. BVerfGE 107, 395, 401 ff. – fachgerichtlicher Rechtsschutz; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 118 m. w. N.; Knauff, NVwZ 2007, S. 546, 547; in der Literatur wird neben einer Ausdehnung des Schutzbereichs auf die Legislative vereinzelt auch eine Kontrolle der Judikative über Art. 19 Abs. 4 GG gefordert, vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 255 ff.; krit. hierzu Schenke, JZ 2005, S. 116, 117 ff. 1409 Vgl. Nachweise in Fn. 1404; zur Kritik, vgl. Fn. 1406. 1410 Die Legalplanung als „verkappte(n) Verwaltungsakt“ bezeichnend Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 192; Art. 19 Abs. 4 GG auf Planungsakte in Gesetzesform anwendend, selbst wenn diese Pläne einen Detaillierungsgrad aufweisen, den sonst nur die administrative anlagenbezogene Fachplanung kennt Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 95; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 167 ff. m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 1411 Diese Absicht unterstellend Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414; Hien, UPR 2012, S. 128, 132; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59 ff.; diesbezüglich Legalplanungen kritisierend Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 216.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
wendbar sein.1412 Hierfür spricht zudem, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Südumfahrung Stendal zwar nicht unmittelbar am Maßstab der Rechtsschutzgarantie überprüft, auf Art. 19 Abs. 4 GG aber im Kontext der Zulässigkeit einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung explizit eingeht.1413 Unabhängig von dieser Argumentationslinie zur Erweiterung des Anwendungsbereichs von Art. 19 Abs. 4 GG sind Rechtsschutzgesichtspunkte über den allgemeinen Justizgewähranspruch1414 abgesichert. Dieser steht zwar subsidiär zu dem speziellen Justizgewähranspruch des Art. 19 Abs. 4 GG, der Enteignungsentschädigung aus Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG und dem Schadensersatzanspruch für Amtshaftung aus Art. 34 S. 3 GG. Er entfaltet seine Schutzwirkung aber bei der Durchsetzung der privatrechtlichen Rechtsordnung sowie beim Rechtsschutz gegen nicht von Art. 19 Abs. 4 GG erfasste Rechtsakte.1415 Anders als bei der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG1416 fehlt dem allgemeinen Justizgewähranspruch allerdings die Ausgestaltung als subjektives Recht. Aufgrund seiner Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip und seiner Verbindung mit den Grundrechten1417 ließe sich eine Verfassungsbeschwerde jedoch auf Art. 2 Abs. 1 GG stützen.1418 Neben der unterschiedlichen dogmatischen Verortung, die ihre Wirkung insbesondere in der Ausgestaltungsbefugnis durch den Gesetzgeber zeitigt,1419 entsprechen sich beide Gewährleistungsansprüche daher in ihrem rechtsstaatlichen Kerngehalt.1420 Der allgemeine Justizgewähranspruch stellt eine umfassende Rechtsschutzgarantie dar, die in Art. 19 Abs. 4 GG lediglich eine spezifische Ausprägung findet.1421 Neben dem 1412 S. a. Langer, GewArch 2017, S. 334, 336; allgemein Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 40; a. A. und daher einen Verstoß des StandAG gegen die Rechtsschutzgarantie ohne weitere Prüfung verneinend Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 28. 1413 Vgl. BVerfGE 95, 1, 22 – Stendal. 1414 Instruktiv Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, S. 312 ff. 1415 Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 176 Rn. 5; ders., in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 16; Knauff, NVwZ 2007, S. 546, 547. 1416 Vgl. Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 1. 1417 Vgl. Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 114 Rn. 2; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 26 Rn. 71. 1418 BVerfGE 107, 395, 401 – fachgerichtlicher Rechtsschutz; vgl. auch Papier, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 176 Rn. 5 1419 Während Art. 19 IV GG als schrankenlos gewährtes Grundrecht unmittelbar subjektive Rechte gewährt, sind bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung aufgrund der Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 GG beim allgemeinen Justizgewähranspruch lediglich die Grenzen der Schrankentrias zu beachten, vgl. dazu auch Knauff, NVwZ 2007, S. 546, 547; allgemein zur weiten Ausgestaltungsbefugnis des Rechtsschutzsystems durch den Gesetzgeber BVerfGE 116, 135, 155 – Vergaberecht; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 60 ff., 91; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 7. 1420 Vgl. BVerfGE 107, 395, 403 – fachgerichtlicher Rechtsschutz; Papier, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 16; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 17. 1421 Maurer, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 467, 492.
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Zugang zu den Gerichten, also der Existenz des Rechtsschutzes an sich, umfassen beide Gewährleistungen auch die Sicherungen seiner Effektivität. cc) Zwischenergebnis Als Leitgedanke lässt sich festhalten, dass Rechtsschutz tatsächlich zur Sicherung von subjektiven Rechten beitragen muss.1422 Das deutsche Rechtsschutzsystem basiert demzufolge auf dem Konzept der sog. Verletztenklage.1423 Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt ist das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG, abgesichert durch den allgemeinen Justizgewähranspruch. Ob die im Standortauswahlgesetz etablierte gestuften Legalplanung sowie die dort vorgesehenen Rechtsschutzoptionen diesem Maßstab genügen, ist nachfolgend näher zu untersuchen. b) Verkürzung durch Legalplanung Maßnahmen, die den Rechtsweg lediglich ausgestalten, verletzen die Rechtsschutzgarantie nicht.1424 Ein (unzulässiger) Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG ist vielmehr erst dann gegeben, wenn der Zugang zu den Gerichten gänzlich ausgeschlossen wird oder unangemessene, durch die Funktionsbedingungen von Rechtspflege und Rechtssicherheit nicht gebotene Erschwerungen des Zugangs zu den Gerichten bzw. des Verfahrens vorliegen.1425 Wenn der Gesetzgeber Art, Umfang und Voraussetzungen des Rechtsschutzes festlegt, kommt ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der seine Grenzen lediglich im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet.1426 Neben den (anerkannten) Zugangsbeschränkungen in den Prozessordnungen1427 steht es ihm grundsätzlich frei, eine Regelungsmaterie einem bestimmten Rechtsweg zuzuweisen 1422 Vgl. BVerfGE 80, 103 Os. 1; grundlegend Maurer, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 467, 487 m. w. N.; vgl. auch Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 114 Rn. 8; Knauff, NVwZ 2007, S. 546, 548. 1423 Vgl. BVerfGE 35, 263, 274 – Nachbarklage; E 41, 23, 26; E 60, 253, 269 – Asylverfahren; aus der Lit.: Schlacke, DVBl. 2015, S. 929 ff.; näher zum Begriff Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 10 ff.; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 140 ff. 1424 Vgl. etwa BVerfGE 10, 264, 268 – Kostenvorschuß; E 53, 115, 127, E 54, 94, 97; E 101, 397, 408 – Nachlasspfleger; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 11. 1425 S. a. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 233; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 60; instruktiv Bettermann, AöR (96) 1971, S. 528, 554 ff. m. w. N. 1426 Vgl. BVerfGE 101, 106, 123 ff. – Verwaltungsbehörde; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 11. 1427 Zu nennen sind beispielsweise Klage- und Antragsfristen, Begründungsanforderungen oder aber auch Prozesskosten; für eine Übersicht, vgl. Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 62 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 234 ff.
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oder diese davon auszunehmen, sofern dies auf verhältnismäßigen Erwägungen beruht.1428 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass Legalplanungen, wie sie auch die gesetzliche Standortentscheidung nach § 20 StandAG darstellt, den betroffenen Personen den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen eine behördliche Planfeststellungsentscheidung entziehen.1429 Sie können von Privatpersonen und Gebietskörperschaften nur mittels der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nrn. 4a und b GG angegriffen werden.1430 Eine vorherige Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO gegen ein Parlamentsgesetz ist mangels Verwerfungskompetenz der Verwaltungsgerichte und aufgrund des Fehlens eines konkreten feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses nicht Erfolg versprechend.1431 Die Verfassungsbeschwerde unterliegt im Vergleich zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz allerdings sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht Restriktionen.1432 aa) Formelle Einschränkungen Zum einen überwindet nur ein geringer Anteil der Beschwerden die Hürde des Annahmeverfahrens nach Art. 94 Abs. 2 GG.1433 Zum anderen kommt bei Beschwerden gegen ein Gesetz dem Zulässigkeitskriterium der Subsidiarität besondere Bedeutung zu.1434 Eine unmittelbar erhobene Verfassungsbeschwerde soll allenfalls dann zulässig sein, wenn der Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.1435 Weiterhin werden an den Eilrechtsschutz nach § 32 Abs. 1 1428 Zur „Ausgewogenheit des Gerichtsschutzes“, vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 4, 229. 1429 Vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 30; Keienburg, atw 2014, S. 571, 572; zur Kompensation über die Rechtsschutzoptionen nach §§ 17 Abs. 3, 19 Abs. 2 StandAG, vgl. Abschnitt D. IV. 2. d). 1430 Vgl. Stüer, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 21, 24, 39, 42. 1431 Vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 210 f. – Atomausstieg; a. A. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 32. 1432 Vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 307 f.; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 192; ausführlich zu den Regelungen des StandAG, vgl. Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 8 ff. 1433 Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 192. 1434 BVerfGE 68, 319, 325 – ärztliche Gebührenordnung; E 74, 69, 74 – Süddeutscher Rundfunk; s. a. Keienburg, atw 2014, S. 571, 572. 1435 Vgl. BVerfGE 102, 197, 208 – Spielbankgesetz Baden-Württemberg; in allen anderen Fällen ist zunächst fachgerichtlicher Rechtsschutz zu ersuchen, wobei der Kläger nicht nur auf Gestaltungsklagen zu verweisen ist. Dies kommt insb. dann in Betracht, wenn der Kläger feststellen lassen kann, dass die Rechtsnorm aus tatsächlichen oder einfach-rechtlichen Gründen kein Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Streitgegner begründet. Zwar kann er im Rahmen der fachgerichtlichen Prüfung nur erreichen, dass die ihm nachteilige gesetzliche Regelung gem. Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorgelegt wird. Eine solche Prüfung ist aber
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BVerfGG strengere Anforderungen gestellt als im Verwaltungsrecht.1436 Dieser ist nämlich an die Abwehr schwerer Nachteile, an die Verhinderung drohender Gewalt oder einen anderen wichtigen Grund gebunden, der zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.1437 Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen wendet das Bundesverfassungsgericht überdies einen restriktiven Maßstab an.1438 bb) Materielle Einschränkungen Neben den Erschwernissen im prozessualen Sinne ergibt sich zudem eine Einschränkung des Rechtsschutzes in materieller Hinsicht. Prüfungsmaßstab der Verfassungsbeschwerde ist nicht die Verletzung einfachen Rechts, sondern nur der Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht.1439 Prägnant kommt dies zum Ausdruck, wenn dem Bundesverfassungsgericht die Aufgabe einer „Superrevisionsinstanz“1440 nicht auferlegt wird. Die Überprüfung der Standortauswahl – wie auch der vorherigen gesetzlichen Standortfestlegungen – ist damit auf die Nichtbeachtung von Verfassungsrecht begrenzt.1441 Vorgaben des einfachen Rechts, wie etwa die Einhaltung von der Standortauswahl zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Ausschluss- und Abwägungskriterien oder die Zielerreichung der bestmöglichen Sicherheit, bleiben vom Prüfungsumfang unerfasst.1442 Eine Verweisung auf Rechtsschutz im anschließenden behördlichen Genehmigungsverfahren kann diese Beschränkung nicht ausgleichen. Schließlich ist die gesetzliche Standortauswahl
regelmäßig geboten, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht ohne die Fallanschauung der Fachgerichte auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheiden muss (so etwa BVerfGK, NVwZ 2018, S. 1635 Rn. 13); näher hierzu Niesler, in: Walter/ Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, § 90 Rn. 82. 1436 Vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein u. a. (Hrsg.), BVerfGG, § 32 Rn. 5. 1437 Vgl. BVerfGE 82, 305, 310; E 104, 51, 55 f. – Homo-Ehe; E 106, 21, 58 – parlamentarisches Kontrollrecht. 1438 S. a. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 298 m. w. N. 1439 Die Kontrolldichte als „geradezu skelettiert“ bezeichnend Stüer, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 21, 40; in Bezug auf das StandAG, vgl. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 298; ders., ZNER 2013, S. 132, 136; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 27. 1440 BVerfGK 4, 243 Rn. 34 – Dienstvergehen. 1441 Die Individualverfassungsbeschwerde ist auf die Grundrechte der Art. 1 bis 19 GG sowie die grundrechtsgleichen Rechte begrenzt. Kommunen können sich einzig auf das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sowie diejenigen Normen des Grundgesetzes stützen, die geeignet sind, das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen, vgl. BVerfGE 71, 25, 37 – Kommunalverfassungsbeschwerde; E 119, 331, 357 – Arbeitslosengeld II; vgl. weiterhin Kment, FS Jarass, S. 301, 308. 1442 Vgl. Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 73; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 124.
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gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG1443 hinsichtlich des Standortes bindend.1444 Insofern ist das im Infrastrukturrecht vorherrschende Konzept des konzentrierten Rechtsschutzes1445 für die Endlagersuche ungeeignet. cc) Stellungnahme Diese offenkundigen Rechtsschutzerschwernisse mögen die Zulässigkeit der vom StandAG etablierten gestuften Legalplanung auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen lassen.1446 Bei einer genauen Analyse ist allerdings festzustellen, dass es sich um ein systembedingtes Rechtsschutzdefizit handelt.1447 Gerade die ausnahmsweise Befassung des Parlaments mit der Aufgabe der Planung verursacht, dass die in der ihm eigenen Handlungsform des Parlamentsgesetzes beschlossenen Pläne der Kontrolle der Fachgerichtsbarkeit entzogen werden. Sofern also die vom Bundesverfassungsgericht in der Stendal-Entscheidung geforderten guten Gründe vorliegen, wirkt dies auf die Zulässigkeit der mit der Legalplanung einhergehenden Rechtsschutzeinschränkungen positiv zurück.1448 Legalplanungen sind demnach auch im Lichte des verkürzten Rechtsschutzes grundsätzlich zulässig. Gleichwohl obliegen dem Gesetzgeber – wiederum systembedingt – erhöhte Sorgfaltspflichten.1449 Beispielsweise hat das Parlament die von Haus aus der Exekutive obliegenden Abwägungsaufgaben zu übernehmen und Maßnahmen wie die Ermittlung des Sachverhalts, die Anhörung der Betroffenen sowie die Abwägung der entgegengesetzten Interessen und Rechtspositionen selbst durchzuführen.1450 Mit den erhöhten Sorgfaltspflichten des Gesetzgebers korrespondiert 1443 Zur unklaren Bedeutung und problematischen Formulierung des § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG, vgl. die Ausführungen in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (2). 1444 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117,124; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 28; Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 136; krit. zur Bindungswirkung der Standortentscheidung ohne abschließende Konzeption der Endlageranlage Keienburg, atw 2014, S. 571, 573; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1135; i. Ü. widerspräche ein solcher Verweis den vom Bundesverfassungsgericht etablierten Anforderungen an frühzeitigen Rechtsschutz, vgl. BVerfGE 134, 242, 311, 351 – Garzweiler. 1445 Vgl. hierzu Schlacke, ZUR 2017, S. 456; Erbguth, NVwZ 2005, S. 241, 242. 1446 Vgl. etwa Posser, FS Dolde, S. 251, 276 f.; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 297 ff.; ders., ZNER 2013, S. 132, 134 ff.; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 27 f.; a. A. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 271 ff. 1447 S. a. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 192. 1448 Kment, FS Jarass, S. 301, 309; ders., VERW (47) 2014, S. 377, 404; Posser, FS Dolde, S. 251, 277; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904. 1449 Ossenbühl spricht von einer Pflicht zum „systemimmanenten Ausgleich“, vgl. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 193. 1450 Zur Einbeziehung der planerischen Abwägung, vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 296 f.; mit der Novellierung des StandAG durch das Fortentwicklungsgesetz wurde die Abwägung auf den Standortvorschlag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung vorverlagert und der Gesetzgeber somit von dieser Aufgabe entlastet, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64 sowie die Ausführungen in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (3) (insb.
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wiederum ein intensivierter Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts bei der Kontrolle entsprechender Planungsgesetze.1451 c) Rechtsschutzoptionen im StandAG 2013 Mit der prima facie bestehenden Rechtsschutzkonformität einer Legalplanung ist ein erster Ausgangspunkt für die Untersuchung des Rechtsschutzsystems des Standortauswahlgesetzes gefunden. Um eine abschließende Bewertung der nach dem Fortentwicklungsgesetz 20171452 aktuell bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten vornehmen zu können, soll nachfolgend in einem zweiten Schritt das im StandAG 2013 etablierte Rechtsschutzkonzept untersucht werden.1453 Die hierzu geäußerte Kritik dient zum einen als Grundlage für die Genese des Fortentwicklungsgesetzes und liefert zum anderen Erklärungsansätze für noch immer bestehende Unklarheiten und Abgrenzungsschwierigkeiten.1454 Auffällig ist zunächst, dass – neben den gegen die gesetzliche Standortfestlegung zulässigen verfassungsprozessualen Rechtsbehelfen – in § 17 Abs. 4 StandAG 2013 eine fachgerichtliche Klagemöglichkeit vorgesehen war (aa). Gleichwohl wurde in der Konzeption des Rechtsschutzsystems des StandAG 2013 eine Verletzung der unions- und völkerrechtlichen Vorgaben gesehen (bb). In Würdigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen sowie der unions- und völkerrechtlichen Bedenken schließt dieser Abschnitt mit einer Bewertung des Rechtsschutzkonzepts des StandAG 2013 (cc).
Fn. 1062). Aufgrund der zeitgleich eingeführten fachgerichtlichen Rechtsschutzoption in § 19 Abs. 2 StandAG ist eine gerichtliche Kontrolle der Abwägungsentscheidung aber gleichwohl möglich, womit an dieser Stelle keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. 1451 Vgl. BVerfGE 95, 1, 22 f. – Stendal; aus der Lit.: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 95; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 193; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 179; Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 779 f.; zuversichtlich für die entsprechende Anwendung bei einer etwaigen Überprüfung des Standortgesetzes Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359. 1452 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1453 Für eine Übersicht der Rechtsschutzoptionen des StandAG 2013, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 379; auf eine Darstellung der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen verschiedene Verwaltungstätigkeiten während der Durchführung des Standortauswahlverfahrens (z. B. Duldungsverfügungen sowie bergrechtliche Erlaubnisse) wird nachfolgend verzichtet, vgl. hierzu Keienburg, atw 2014, S. 571, 574 f.; Jäger, Übersicht zu Rechtsmitteln im Rahmen des Standortauswahl- und Genehmigungsverfahrens, K-Drs./ AG2 – 27, 14.12.2015. 1454 Die Eignung als „Blaupause“ absprechend Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 462; näher zu noch offenen Fragen in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (4).
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aa) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nach § 17 Abs. 4 StandAG 2013 Ausweislich der Entwurfsbegründung war es Sinn und Zweck der in § 17 Abs. 4 StandAG 20131455 enthaltenen Regelungen, dass – vor der Entscheidung über den Endlagerstandort durch den Gesetzgeber – die Einhaltung von Verfahrens- und materiellem Recht einer fachgerichtlichen Überprüfung zugänglich gemacht werden.1456 Die Ausgestaltung dieser Rechtsschutzoption wies hinsichtlich des Klagegegenstandes, der Klageberechtigung, des fehlenden Instanzenzuges sowie des Zeitpunktes einige Besonderheiten auf.1457 (1) Klagegegenstand Gegenstand war ein Bescheid des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung (BASE), der festhält, dass das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Anforderungen und Kriterien des StandAG durchgeführt wurde und der Auswahlvorschlag für die untertägige Erkundung diesen Anforderungen und Kriterien entsprach.1458 Über die Feststellungswirkung hinaus entfaltete dieser Bescheid keine materiellen Rechtswirkungen.1459 Die Regelung diente vielmehr allein dazu, die vorangegangenen Entscheidungen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen.1460 1455
Die Vorschrift lautete in ihrer damaligen Fassung wie folgt: „(4) Vor Übermittlung des Auswahlvorschlags nach Absatz 2 Satz 1 stellt das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung durch Bescheid fest, ob das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Anforderungen und Kriterien dieses Gesetzes durchgeführt wurde und der Auswahlvorschlag diesen Anforderungen und Kriterien entspricht. Der Bescheid ist in entsprechender Anwendung der Bestimmungen über die öffentliche Bekanntmachung von Genehmigungsbescheiden der in § 7 Absatz 4 Satz 3 des Atomgesetzes genannten Rechtsverordnung öffentlich bekannt zu machen. Für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung nach Satz 1 findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 753) mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass Gemeinden, in deren Gemeindegebiet ein zur untertägigen Erkundung vorgeschlagener Standort liegt, und deren Einwohnerinnen und Einwohnern den nach § 3 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes anerkannten Vereinigungen gleichstehen. Einer Nachprüfung der Entscheidung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung bedarf es nicht. Über Klagen gegen die Entscheidung nach Satz 1 entscheidet im ersten und letzten Rechtszug das Bundesverwaltungsgericht.“ 1456 BT-Drs. 17/13471, S. 27 f.; zur näheren Beschreibung der nahezu identischen Nachfolgeregelung in § 17 Abs. 3, vgl. Abschnitt D. II. 3. c) bb) (2). 1457 Für eine Einordnung als prozessuale Sonderregelung i. S. v. § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO, vgl. Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 72. 1458 Zur Diskussion, inwieweit dieser Bescheid auch negativ ausfallen könnte, vgl. Keienburg, atw 2014, S. 571, 573; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 38 f. 1459 Vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 24; ähnlich Keienburg, atw 2014, S. 571, 574. 1460 S. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65; Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 73; zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage, vgl. Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 483.
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(2) Klageberechtigung Neben Personen, welche die Verletzung subjektiver Rechte rügen können,1461 normierte § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG 2013, dass betroffene Gemeinden sowie deren Einwohner den nach § 3 UmwRG anerkannten Vereinigungen1462 gleichstehen. Die Bezugnahme auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG)1463 sollte den genannten Kommunen und Personen die Möglichkeit eröffnen, ebenso wie Umweltverbände1464 die Fachgerichte anzurufen, ohne eine Verletzung in eigenen subjektiven Rechten geltend machen zu müssen.1465 (3) Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts Eine weitere Besonderheit stellte die in § 17 Abs. 4 S. 5 StandAG 2013 etablierte erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) dar.1466 Der Gesetzgeber begründete diese Ausgestaltung mit der voraussichtlichen Einmaligkeit der Entscheidung sowie der politischen Bedeutung und dem herausragenden Interesse der Öffentlichkeit. Zudem sei der Regelungsgehalt des Auswahlvorschlags für die untertägige Erkundung und somit der mögliche Streitstoff durch die gesetzlichen Festlegungen nach § 4 Abs. 5 StandAG 2013 und § 14 Abs. 2 StandAG 2013 begrenzt.1467 Mithin erübrige sich eine Aufarbeitung des Streitstoffes in Vorinstanzen. Die angesichts der Historie der Endlagersuche begründete Annahme, dass die verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeit in Anspruch genommen
1461
S. a. Keienburg, atw 2014, S. 571, 574. Zu den Voraussetzungen und dem Verfahren der Anerkennung nach § 3 UmwRG, vgl. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 2 Rn. 632 ff. 1463 Zur zutreffenden Einordnung (entgegen dem Gesetzestext) als dynamische Verweisung, vgl. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 22; ähnlich Schlacke, in: Raetzke/ Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 75. 1464 Zur Diskussion, ob die anerkannten Vereinigungen nach § 3 UmwRG von der Regelung umfasst sein sollen, vgl. Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 74 f.; für die Nachfolgeregelung des § 17 Abs. 3 S. 3 StandAG, vgl. dies., ZUR 2017, S. 456, 461 m. w. N.; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65. 1465 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 125; Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 76; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 31; Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 218; s. a. zum StandAG 2017 Durner, NuR 2019, S. 241, 244; zur Schwierigkeit des Nachweises einer subjektiven Betroffenheit im Atomrecht, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 66 f. 1466 Zur fehlenden Notwendigkeit eines Instanzenzugs, vgl. st. Rspr. BVerfGE 4, 74, 94 – ärztliches Berufungsgericht; ausführlich E 107, 395, 401 ff. – fachgerichtlicher Rechtsschutz; aus der Lit.: Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStRVIII, § 177 Rn. 58; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 IV Rn. 17a; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 120; Kraft, in: Eyermann (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung: VwGO, § 50 Rn. 2; explizit zum StandAG Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 35. 1467 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 28. 1462
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wird, rechtfertigte den in § 17 Abs. 4 S. 4 StandAG vorgesehenen Verzicht auf die Durchführung eines Vorverfahrens.1468 (4) Klagezeitpunkt Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass diese verwaltungsgerichtliche Kontrollmöglichkeit nicht etwa zum Abschluss des Standortauswahlverfahrens, sondern bei der Festlegung der Standorte für die untertägige Erkundung platziert wurde.1469 Der Gesetzgeber rechtfertigte die Wahl dieses Zeitpunktes relativ lapidar mit der „wesentlichen Zäsur“, die im Verfahren der Standortauswahl mit der untertägigen Erkundung einhergeht.1470 Tatsächlich sind mit entsprechenden Erkundungsmaßnahmen erstmals längerfristige und nicht ohne weiteres revidierbare Eingriffe1471 verbunden, die das Bedürfnis einer Klagbarkeit plausibel erscheinen lassen. Eine Kontrollmöglichkeit der nachfolgenden Verfahrensschritte, wie etwa die weiterhin durchzuführende Umweltverträglichkeitsprüfung, war damit allerdings nicht umfasst.1472 bb) Unions- und völkerrechtliche Kritik Die Funktion des § 17 Abs. 4 StandAG 2013 bestand ausweislich der Gesetzesmaterialien primär in der Gewährung von Zugang zu den Verwaltungsgerichten.1473 Eine solche Möglichkeit war dem Wesen einer Legalplanung entsprechend entfallen. Der Gesetzgeber orientierte sich bei seinen Erwägungen offenbar ausschließlich am verfassungsrechtlichen Hintergrund, ohne auf inter- und supranationale Vorgaben einzugehen.1474 Allerdings entzündeten sich, insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Lokalisierung der Klagemöglichkeit, unions- und völkerrechtlich motivierte Streitpunkte.1475 Neben den bereits vorgestellten verfassungsrechtlichen Implika1468 S. a. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 32; offenlassend Posser, FS Dolde, S. 251, 272. 1469 Dies als „Zwischenrechtsschutz“ bezeichnend Keienburg, atw 2014, S. 571, 573. 1470 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 27. 1471 Zu denken ist etwa an Grabungen und Probebohrungen sowie mögliche Enteignungen zur Errichtung eines Erkundungsbergwerks. 1472 Dies kritisierend: Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 77; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 125; dies., atw 2014, S. 571, 573; Kment, FS Jarass, S. 301, 306, 308. 1473 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 27 f. 1474 In diese Richtung lässt sich der Verweis auf die mit der Änderungsrichtlinie 2014/52/EU v. 16.4.2014 (ABl.EU L 124/1 – UVP-RL) gestrichene Ausnahme von Rechtsschutzanforderungen für UVP-pflichtige Vorhaben bei gesetzlicher Zulassung begründen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 381; näher zur Regelung des § 1 Abs. 4 UVP-RL a. F. und seine mangelnde Einschlägigkeit für das StandAG 2013 in Abschnitt D. IV. 2. c) cc) (3). 1475 Vgl. etwa Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 124 f.
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tionen1476 existieren mit Art. 11 UVP-RL1477 und Art. 9 Aarhus-Konvention (AK)1478 weitere übergeordnete Anforderungen an das Rechtsschutzkonzept, welche nachfolgend fokussiert dargestellt werden.1479 (1) Vorgaben des Art. 11 UVP-RL Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren sicherzustellen.1480 Hierdurch soll die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Geltungsbereich der Richtlinie kontrollierbar gemacht werden. Diese Zugangsmöglichkeit muss sowohl für die betroffene Öffentlichkeit mit einem ausreichenden Interesse1481 als auch für diejenigen Personen gelten, die in einem Mitgliedsstaat leben, der das System der Verletztenklage1482 etabliert hat und die eine Verletzung subjektiver Rechte geltend machen wollen. Vereinfacht ausgedrückt, muss für
1476
Vgl. die vorherigen Ausführungen zum Maßstab der Rechtsschutzgarantie in Abschnitt D. IV. 2. a). 1477 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), ABl.EU L 26 v. 28.1.2012 in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2014/52/EU, ABl.EU L 124 v. 25.4.2014. 1478 Zur Einordnung als gemischt-völkerrechtliches Abkommen und die Auswirkungen auf die deutsche Rechtsordnung, vgl. Sangenstedt, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79, 90 sowie die Ausführungen in Abschnitt D. I. 1. b). 1479 Die SUP-Richtlinie (RL 2001/42/EG) sowie die Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/ EURATOM), welche ebenfalls für das Standortauswahlverfahren Relevanz besitzen, enthalten keine Vorgaben hinsichtlich des Rechtsschutzes, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 27, 38. 1480 Hierbei haben die Mitgliedstaaten stets das Ziel der Richtlinie zu berücksichtigen, einen „weiten Zugang“ zu einer gerichtlichen Überprüfung zu gewähren, vgl. EuGH, Rs. C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683, Rn. 77 – Kommission/Deutschland; EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 37 – Trianel. 1481 Umweltverbände, welche die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 UVP-RL erfüllen, müssen in einem Überprüfungsverfahren geltend machen können, dass eine Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen, vgl. EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 48 – Trianel; bei staatlich anerkannten Nichtregierungsorganisationen ist in Ansehung des Art. 11 Abs. 3 S. 2 UVP-RL ein solches Interesse zu unterstellen, vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 312; Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 18; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 28. 1482 Neben Deutschland sind das etwa Österreich und in abgeschwächter Form Italien und die Schweiz, vgl. Schlacke, DVBl. 2015, S. 929, 936.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Entscheidungen, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) enthalten, hinsichtlich etwaiger Fehler eine klageweise Untersuchung ermöglicht werden.1483 Endlager für radioaktive Abfälle bedürfen nach Nr. 11.2 der Anlage 1 des UVPG1484 einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Konzeption der Endlagersuche mit gesetzlicher Standortfestlegung und anschließendem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren teilt diese UVP. Die Prüfung hinsichtlich der standortbedingten Faktoren sollte gemäß § 18 Abs. 4 S. 2 StandAG 2013 vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgung durchgeführt werden. Zusätzlich wird nach § 9b Abs. 2 S. 3 AtG eine Umweltverträglichkeitsprüfung der Endlageranlage im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren stattfinden. An dieser aufgrund des Zeithorizonts der Endlagersuche prima facie vernünftigen Splittung ist problematisch, dass die UVP des Standortauswahlverfahrens aufgrund der Einbeziehung in die gesetzliche Standortentscheidung nur dem eingeschränkten Rechtsschutz gegen Gesetze in Gestalt der Verfassungsbeschwerde unterlag.1485 Einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung, die insbesondere auch die Rechtsschutzmöglichkeiten der anerkannten Umweltverbände gem. § 3 UmwRG umfasst, war die Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts entzogen.1486 Diese mitgliedsstaatliche Verfahrensausgestaltung hatte zur Folge, dass die unionsrechtlich verliehenen Klagerechte – entgegen den Vorgaben des EuGH – praktisch unmöglich auszuüben waren.1487 Dieser im StandAG 2013 vorhandene strukturelle Mangel ließ sich auch über drei unterschiedliche Lösungsansätze nicht kompensieren. Zum einen floss die während des Standortauswahlverfahrens durchgeführte UVP in die Standortentscheidung des Gesetzgebers ein. Dieses Standortgesetz war gemäß § 20 Abs. 3 StandAG 20131488 für das sich anschließende atomrechtliche Genehmigungsverfahren verbindlich. Der nach § 9b Abs. 2 S. 3 AtG durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfung blieb 1483
S. a. Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1138. In Umsetzung der Vorgabe von Nr. 3 lit. b) der Anlage 1 zur UVP-RL. 1485 Insbesondere geht damit eine auf die Verfassungskonformität beschränkte Prüfkompetenz des BVerfG einher, vgl. die ausführliche Darstellung bei Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 19 f.; Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 16 ff. 1486 Vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 48 f.; Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1138. 1487 Vgl. EuGH, Rs. C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683, Rn. 30 – Kommission/Deutschland; EuGH, Rs. C-570/13, ECLI:EU:C:2015:231, Rn. 37 – Gruber; EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 43 – Trianel. 1488 Zur Neuformulierung des § 20 Abs. 3 StandAG im Fortentwicklungsgesetz und den Folgen der damit abgeschwächten Bindungswirkung, vgl. nachfolgend in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (2). 1484
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
363
es somit nicht benommen, die im Standortauswahlverfahren vorgenommene UVP zu überprüfen und zu einer gegebenenfalls von der gesetzlichen Standortfestlegung abweichenden Entscheidung zu kommen.1489 Somit war auch eine Inzidentkontrolle bei der Anfechtung der atomrechtlichen Genehmigung ausgeschlossen.1490 Zum anderen bot auch die in § 17 Abs. 4 StandAG 2013 vorgesehene verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzoption keine ausreichende Kompensation.1491 Diese enthielt lediglich eine Kontrolle des Verfahrens bis zur Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte und somit eben gerade nicht der nach § 18 Abs. 4 S. 2 StandAG 2013 erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung. Der im StandAG 2013 vorgesehene fachgerichtliche Rechtsschutz setzte somit zu früh an.1492 Letztlich konnte auch die Bereichsausnahme nach Art. 1 Abs. 4 UVP-RL a. F. nicht verfangen.1493 Diese Vorschrift nahm einzelne Projekte vom Regelungsbereich der Richtlinie aus, deren Genehmigung durch einen besonderen einzelstaatlichen Gesetzgebungsakt erfolgt, sofern die mit der Richtlinie verfolgten Zwecke im Wege des Gesetzgebungsverfahrens erreicht werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH1494 war zur Einschlägigkeit der Bereichsausnahme erforderlich, dass der Gesetzgebungsakt die gleichen Merkmale aufweist wie eine Genehmigung selbst. Insbesondere musste mit dem Gesetzgebungsakt unmittelbar die Berechtigung zur Projektausführung verbunden sein. Das Standortauswahlgesetz sah nach § 20 StandAG allerdings lediglich eine verbindliche Entscheidung über den Standort einer Endlageranlage vor.1495 Die Gestattungswirkung zu Errichtung und Betrieb der Endlageranlage kommt hingegen erst der atomrechtlichen Genehmigung nach § 9b
1489
Vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 306. Näher hierzu mit einer Unterscheidung zum Linienbestimmungs- und Raumordnungsverfahren Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1138; ähnlich dies., Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 18 f. 1491 S. a. Kment, FS Jarass, S. 301, 308. 1492 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 125; vgl. hierzu auch Abschnitt D. IV. 2. c) aa) (4); a. A. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 290 (Fn. 1171), der irrig davon ausgeht, der Zeitpunkt der Rechtsschutzgewährung sei vom nationalen Gesetzgeber frei wählbar. 1493 S. a. Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 485 f.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 130 f.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1138; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 18 Rn. 36; a. A. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 290 (Fn. 1171). 1494 Vgl. EuGH, Rs. C-435/97, ECLI:EU:C:1999:418, Rn. 57, 62 – WWF/Bozen; EuGH, Rs. C-128/09, ECLI:EU:C:2011:667, Rn. 38 – Boxus. 1495 Vgl. Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 22 f. 1490
364
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Abs. 1a AtG zu. Die im Standortauswahlgesetz etablierte gesetzliche Standortfestlegung fiel somit nicht unter Art. 1 Abs. 4 UVP-RL.1496 (2) Vorgaben des Art. 9 Aarhus-Konvention Mit Art. 11 UVP-RL beabsichtigte die Europäische Union die Umsetzung der Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 AK hinsichtlich des Zugangs zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen i. S. d. Art. 6 AK.1497 Zusätzlich zur völkerrechtlichen Verpflichtung des Mitgliedsstaats kommen dem Inhalt des Art. 9 Abs. 2 AK durch diese sekundärrechtliche Vorgabe innerstaatliche Rechtswirkungen zu.1498 Danach ist bei bestimmten, in der Konvention eigens aufgeführten Verfahren zur Genehmigung besonders umweltrelevanter Vorhaben ein Klagerecht jedenfalls für anerkannte Umweltschutzorganisationen vorzusehen.1499 Soweit die gesetzliche Standortfestlegung die Rechtsschutzmöglichkeiten auf das verfassungsgerichtliche Prüfprogramm begrenzt, werden die Kontrollrechte der betroffenen Öffentlichkeit unzulässig eingeschränkt. Eine gerichtliche 1496 Darüber hinaus erforderte Art. 1 Abs. 4 UVP-RL a. F. (jetzt Art. 2 Abs. 5), dass durch das Gesetzgebungsverfahren die mit der UVP-Richtlinie verfolgten Ziele erreicht werden (vgl. auch EuGH, Rs. C-128/09, ECLI:EU:C:2011:667, Rn. 51 ff. – Boxus). Dies war mit dem Rechtsschutzsystem des StandAG 2013 aber gerade nicht der Fall, vgl. ebenso krit. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 18 Rn. 37, 39; ausführlich zu Art. 2 Abs. 5 UVP-RL Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 20 ff.; weiterhin wird nach Art. 2 Abs. 5 UVP-RL den Mitgliedstaaten ausdrücklich nur noch die Möglichkeit eröffnet, Projekte von den Bestimmungen der UVP-RL auszunehmen, die sich auf die Beteiligung der Öffentlichkeit beziehen. Eine Verweigerung von Rechtsschutzmöglichkeiten ist demnach nicht mehr möglich, vgl. dies., in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 132; Kment, FS Jarass, S. 301, 313. 1497 Vgl. ErwG 5, 9 und 11 der RL 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/ 61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. L 156 v. 25.6.2003, mit der die Regelung als damaliger Art. 10a in die UVP-RL eingefügt wurde; s. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 129; näher zu Art. 9 Abs. 2 AK Fischer-Hüftle, NuR 2018, S. 735, 738; zum begrenzten Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK im StandAG (Nichteinschlägigkeit des Zwischenrechtsschutzes), vgl. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 102 ff. 1498 Wegener, ZUR 2018, S. 217, 219. Der nationale Gesetzgeber hat mit dem UmwRG eine „lückenlose“ Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 AK beabsichtigt. Eine Rüge ist jedoch nicht auf die Verletzung von Vorschriften beschränkt, die auf Unionsrecht beruhen. Zu den Bestimmungen, deren Verletzung nach Art. 9 Abs. 2 AK von Umweltorganisationen gerügt werden kann, gehören auch solche, die zum originären nationalen Regelungsbestand zählen, vgl. BT-Drs. 17/ 10957, S. 15 f.; vgl. näher zur Aarhus-Konvention als gemischt-internationales Abkommen und seine Verbindlichkeit für die EU sowie Deutschland in Abschnitt D. I. 1. b). 1499 Vgl. Wegener, ZUR 2018, S. 217, 218.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Überprüfung der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit i. S. d. Art. 9 Abs. 2 AK ist gerade nicht mehr möglich.1500 Die Grundlage für überindividuellen Rechtsschutz bietet Art. 9 Abs. 3 AK.1501 Anders als der speziellere Art. 9 Abs. 2 AK knüpft diese Bestimmung gerade nicht an einen definierten Kreis besonders umweltrelevanter Vorhaben und eine konkrete Betroffenheit an.1502 Vielmehr wird von den Vertragsstaaten gefordert, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren zu gewähren, um die von Privatpersonen und Behörden1503 vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen. Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen die Bedeutung dieser „eher kryptisch formulierten Bestimmung“1504 konturiert und auf dieser Basis die Rechte von Umweltverbänden gestärkt.1505 Diese Verstärkung erfolgte schrittweise und fand einen prägnanten Bezugspunkt in der Rechtssache Slowakischer Braunbär I1506. Demnach entfalte Art. 9 Abs. 3 AK zwar keine unmittelbare Wirkung. Weder habe der Unionsgesetzgeber (im Gegensatz zu Abs. 2) einen Umsetzungsakt erlassen1507 noch könnten aufgrund der Unbestimmtheit der 1500
Insoweit kann auf die Ausführungen zu Art. 11 Abs. 1 UVP-RL verwiesen werden. Der Regelungsgehalt von Art. 9 Abs. 2 AK geht darüber nicht hinaus, vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 32, 48 f.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 130; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 18 Rn. 40. 1501 Näher hierzu Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 458 f.; zur Entwicklungsgeschichte der Verbandsklage und deren Bedeutung im Atomrecht, vgl. dies., 14. AtomRS, S. 159, 176 ff. 1502 Wegener, ZUR 2018, S. 217, 218; Epiney/Diezig/Pirker u. a., Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 10; ein Rangverhältnis zwischen Abs. 2 und 3 annehmend Fischer-Hüftle, NuR 2018, S. 735, 738; für eine Gleichbehandlung von Individual- und Verbandskläger im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 AK, vgl. Franzius, NVwZ 2018, S. 219, 221. 1503 Zur fehlenden (direkten) Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK mangels handelnder Behörde, vgl. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 104 ff. 1504 Vgl. Wegener, ZUR 2018, S. 217, 218. 1505 Vgl. EuGH, C-237/07, ECLI:EU:2008:447, – Janecek, zum Anspruch auf Aufstellung eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung; EuGH, C-115/09, ECLI:EU:2011:289, – Trianel, zur Unionsrechtswidrigkeit schutznormakzessorisch gewährter Klagerechte für anerkannte Umweltvereinigungen; EuGH, C-240/09, ECLI:EU:2011:125, – Slowakischer Braunbär I, zur Bedeutung von Art. 9 Abs. 3 AK für die rechtsschutzfreundliche Auslegung nationalen Rechts; EuGH, C-243/15, ECLI:EU:2016:838,– Slowakischer Braunbär II zum Recht von Umweltorganisationen zur Anfechtung von Naturverträglichkeitsprüfungen; EuGH, C-664/15, ECLI:EU:C:2017:987 – Protect zum weitgehend unbeschränkten Klagerecht für Umweltschutzverbände zur Durchsetzung von Umweltrecht. 1506 EuGH, C-240/09, ECLI:EU:2011:125, – Slowakischer Braunbär I. 1507 Die Verbandsklagerichtlinie der EU hat im Jahr 2003 das Entwurfsstadium nicht verlassen, vgl. KOM (2003) 624 endg.; vgl. auch Schlacke, FS Jarass, S. 379, 385; auch der deutsche Gesetzgeber sah von einer Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK zunächst ausdrücklich ab, vgl. BT-Drs. 16/2497, S. 46.
366
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Regelung aus Art. 9 Abs. 3 AK alleine Klagerechte für Umweltorganisationen abgeleitet werden.1508 Nichtsdestotrotz decke Art. 9 Abs. 3 AK aber einen weitgehend durch die Europäische Union geregelten materiellen Teil des Umweltrechts ab und sei daher als Unionsrecht einzuordnen.1509 Insoweit müsse Art. 9 Abs. 3 AK auch von den Mitgliedstaaten unmittelbar berücksichtigt werden, obwohl er ausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale enthalte.1510 In diesem Kontext hat das Bundesverwaltungsgericht den Umweltverbänden eine prokuratorische Rechtsstellung zur Durchsetzung unionsrechtlich bedingten Umweltrechts zuerkannt.1511 Damit wurde in Abkehr von der Schutznormtheorie die Grundlage für eine „Art neuartige Interessentenklage“1512 geschaffen.1513 Einem solchen Anforderungsprofil konnte die Regelung des § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG 2013 nicht gerecht werden. Zwar erfasste der Kreis der Klageberechtigten die anerkannten Umweltverbände nach § 3 UmwRG.1514 Der Zeitpunkt der gerichtlichen Kontrolle war aber auf die Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte vorverlagert. Eine entsprechende Kontrollmöglichkeit des übrigen Verfahrens existierte nicht. Dieser Befund muss aus heutiger Sicht umso mehr gelten, als der EuGH in der Entscheidung Protect1515 die Reichweite des Art. 9 Abs. 3 AK nochmals erweitert hat. Demnach kann nunmehr direkt aus dieser Vorschrift ein Klagerecht1516 zur
1508
Vgl. Wegener, ZUR 2018, S. 217, 218. EuGH, C-240/09, ECLI:EU:2011:125, Rn. 36 ff. – Slowakischer Braunbär I. 1510 Vgl. Schlacke, FS Jarass, S. 379, 385; daneben stützt der EuGH die Rechtsschutzeröffnung zugunsten der Umweltschutzorganisationen auf den Effektivitätsgrundsatz. Demnach sei geboten, die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte so auszulegen, dass sie Umweltschutzorganisationen ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten, vgl. EuGH, C-240/09, ECLI:EU:2011:125, Rn. 48 ff. – Slowakischer Braunbär I. 1511 BVerwG 132, 147 Rn. 46 – Luftreinhalteplan Darmstadt; ausführlich hierzu Schlacke, DVBl. 2015, S. 929, 931; Franzius, DVBl. 2014, S. 543 ff.; Gärditz, EurUP 2014, S. 39 ff.; Guckelberger, JA 2014, S. 647, 652; krit. Ludwigs, NVwZ 2018, S. 1417, 1421; Kahl, JZ 2016, S. 666, 668. 1512 Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 458; zuvor bereits dies., FS Jarass, S. 379, 388. 1513 Näher hierzu Schlacke, DVBl. 2015, S. 929, 932 ff.; Berkemann, DVBl. 2013, S. 1137, S. 1145 ff. 1514 Vgl. Abschnitt D. IV. 2. c) aa) (2) sowie die Nachweise in Fn. 1464. 1515 EuGH, C-664/15, ECLI:EU:2017:987 – Protect; näher hierzu Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationen, Beteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, 2019, § 3 Rn. 57. 1516 Zwar ergeht das Urteil des EuGHs zu einer Klage einer anerkannten Umweltschutzorganisation. Der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 AK („Mitglieder der Öffentlichkeit“) lässt wie das Urteil aber erkennen, dass sich auch Einzelne auf das objektive Umweltrecht berufen können, vgl. EuGH, C-664/15, ECLI:EU:2017:987, Rn. 34 – Protect; s. a. Wegener, ZUR 2018, S. 217, 221. 1509
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Durchsetzung des objektiven Umweltrechts abgeleitet werden.1517 Dogmatisch erreicht wird dies durch eine über Art. 47 der Charta der Grundrechte der Union (GRCh) „vermittelte unmittelbare Wirkung“.1518 Dies hat zur Folge, dass Bestimmungen des nationalen Rechts, die der Zuerkennung von Klagerechten entgegenstehen, im Interesse der vollen Wirksamkeit der anzuwendenden materiellen Umweltschutzvorschriften des Unionsrechts nötigenfalls unangewendet bleiben.1519 Selbst wenn man die in § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG 2013 enthaltene Verweisung auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz richtigerweise als dynamisch begreift, führen die mit der Novelle des UmwRG 2017 erfolgten Änderungen1520 sowie eine Interpretation anhand der vom EuGH in der Rechtssache Protect entwickelten Vorgaben nicht zur Völkerrechtskonformität der Vorschrift. Die entscheidende Problematik liegt nämlich nicht in der Ausgestaltung des UmwRG, sondern beim Zeitpunkt der Klagemöglichkeit, der die verwaltungsgerichtliche Überprüfung auf den Zeitpunkt bis zur untertägigen Erkundung begrenzt hatte. cc) Stellungnahme zum Rechtsschutzsystem des StandAG 2013 Um das Rechtsschutzsystem des StandAG 2013 abschließend bewerten zu können (4), soll zunächst die vorgesehene gesetzliche Standortfestlegung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen abgeglichen werden (1). Auf dieser Basis erfolgt eine Würdigung der verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeit in § 17 Abs. 4
1517
Im Bereich des Art. 9 Abs. 2 AK ist dies durch die Umsetzung im Unionsrecht (u. a. in Art. 11 UVP-RL) möglich. Im Vergleich zur Braunbär I-Entscheidung und der vom BVerwG entwickelten „prokuratorischen Rechtsstellung“ (s. o.) gelten diese Klagerechte auch dort, wo sich mit Mitteln der unionsrechtskonformen Auslegung eine Anwendbarkeit nicht herstellen lässt, vgl. Wegener, ZUR 2018, S. 217, 219; Klinger, NVwZ 2018, S. 225, 232. 1518 Zwar komme der Bestimmung des Art. 9 Abs. 3 AK wegen des dort enthaltenen Vorbehalts der Erfüllung innerstaatlicher Kriterien selbst keine unmittelbare Wirkung zu. In Verbindung mit dem in Art. 47 GRCH verankerten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verpflichte sie die Mitgliedstaaten aber dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insb. der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten. Art. 47 GRCh sei wiederum nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh immer dann einschlägig, wenn und soweit die Mitgliedstaaten Vorschriften ihres nationalen Verfahrens- und/ oder Verwaltungsprozessrechts anwendeten, um die gerichtliche Durchsetzung von rechtsbegründenden Bestimmungen der Union zu Regeln, vgl. EuGH, C-664/15, ECLI:EU:2017:987, Rn. 44 f. – Protect; näher hierzu auch für das wörtliche Zitat Wegener, ZUR 2018, S. 217, 220 f.; ferner Franzius, NVwZ 2018, S. 219, 220. 1519 EuGH, C-664/15, ECLI:EU:2017:987, Rn. 55 – Protect; im Ergebnis macht die Kombination von Art. 9 Abs. 3 AK und Art. 47 GRCh demnach jede Norm des EU-Umweltrecht klagefähig, vgl. Fischer-Hüftle, NuR 2018, S. 735, 739; Wegener, ZUR 2018, S. 217, 221 f., der sich für eine Übertragung der Grundsätze auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte ausspricht. 1520 Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vom 29.5.2017, BGBl. I 2017, S. 1298; vgl. hierzu Kment, NVwZ 2018, S. 921 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
StandAG 2013 (2), um sodann den Blickwinkel mithilfe der internationalen Vorgaben zu erweitern (3). (1) Legalplanung im Einklang mit verfassungsrechtlichen Rechtsschutzanforderungen Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der im Standortauswahlgesetz etablierten Legalplanung ist zu berücksichtigen, dass gerade auch die Verkürzung des Rechtsschutzes das besondere Rechtfertigungsbedürfnis in Form der „guten bzw. triftigen Gründe“ i. S. d. Stendal-Rechtsprechung entstehen lässt. Insoweit wirkt das Vorliegen von guten Gründen in Gestalt einer besonders hohen demokratischen Legitimation1521 durch Befassung des parlamentarischen Gesetzgebers positiv auf die Rechtfertigung der festgestellten Rechtsschutzeinschränkungen zurück.1522 Dies muss umso mehr gelten, als bei näherer Betrachtung die Intensität des Eingriffs in die Rechtsschutzgarantie eher gering ausfällt.1523 Die im Rahmen der Legalplanung vorherrschende erhöhte legislative Sorgfaltspflicht korrespondiert – entsprechend der Aufgabenverteilung zwischen den Staatsgewalten – mit einer verstärkten Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung.1524 Vor diesem Hintergrund ist die Sorge, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen die Standortfestlegung bereits im Annahmeverfahren scheitert, als äußerst gering anzusehen.1525 Angesichts der Einmaligkeit und der Tragweite der Endlagersuche1526 ist zudem davon auszugehen, dass der Entscheidung über den Standort einer Endlageranlage jedenfalls eine „allgemeine Bedeutung“ i. S. d. § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG1527 zukommt und somit eine Ausnahme vom verfassungsprozessualen Subsidiaritätsgrundsatz in Betracht gezogen werden kann. Mit Blick auf die langen Vorbereitungs- und Durchführungszeiträume ist zudem die Gefahr irreversibler Zustände beim Abwarten einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung, die mit dem Institut des Eilrechtsschutzes verhindert werden sollen, nahezu obsolet. Somit kann 1521
Näher hierzu bereits in Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (4). S. a. Kment, FS Jarass, S. 301, 309; ders., VERW (47) 2014, S. 377, 404; Posser, FS Dolde, S. 251, 277; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904. 1523 S. a. Langer, GewArch 2017, S. 334, 337. 1524 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 271; ders., NVwZ Editorial Heft 5/2015; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 193; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 179; Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 779 f.; zuversichtlich für die entsprechende Anwendung bei einer etwaigen Überprüfung des Standortgesetzes Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359; näher hierzu bereits in Abschnitt D. IV. 2. b) cc). 1525 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 271; für eine Pflicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde bei Legalplanungen Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 179; ähnlich Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 193. 1526 Vgl. etwa Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 409; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61. 1527 Zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Rechtsatzverfassungsbeschwerden, vgl. BVerfGE 84, 90, 116 – Bodenreform I; näher zum Begriff „allgemeine Bedeutung“ Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein u. a. (Hrsg.), BVerfGG, § 90 Rn. 409 m. w. N. 1522
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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festgehalten werden, dass im Kontext der Endlagersuche die formellen Rechtsschutzeinschränkungen1528 nicht entscheidend zum Tragen kommen. Auch die unzweifelhaft bestehenden Einschränkungen in materieller Hinsicht1529 sind bei genauer Analyse zu relativieren. So können die weiteren verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfe der abstrakten1530 sowie konkreten1531 Normenkontrolle den Individualrechtsschutz zwar nicht ersetzen, da sie diesbezüglich lediglich reflexartige Wirkungen zeigen. Sie stellen jedoch eine wertvolle Ergänzung dar. Durch die fehlende Begrenzung auf eine Verletzung subjektiver Rechte können im verfassungsgerichtlichen Verfahren auch Fragen der Langzeitsicherheit sowie Rechte künftiger Generationen i. S. d. Art. 20a GG erörtert und berücksichtigt werden.1532 Ebenso ist der im Standortauswahlverfahren vorgesehenen starken Öffentlichkeitsbeteiligung hinsichtlich des festgestellten Rechtsschutzdefizits eine teilkompensatorische Wirkung zuzusprechen. § 20 Abs. 2 S. 1 StandAG 2013 sah zudem eine umfassende Abwägung sämtlicher privater und öffentlicher Belange unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens durch den Gesetzgeber vor.1533 Zwar ist zu bedenken, dass eine Nichtberücksichtigung der Öffentlichkeitsbeteiligung keine unmittelbaren rechtlichen Folgen zeitigt.1534 Andererseits wird die Verfassungsmäßigkeit der Planung durch die vorzunehmende Abwägung zumindest indirekt abgesichert.1535
1528
Für eine nähere Darstellung, vgl. Abschnitt D. IV. 2. b) aa). Im Detail, vgl. Abschnitt D. IV. 2. b) bb). 1530 Bereits die Sondervoten der Bundesländer Sachsen und Bayern im Rahmen des Abschlussberichts der Endlagerkommission lassen vermuten, dass bei einer Fokussierung der Suchalternativen die Wahrnehmung der Antragsberechtigung durch die betroffenen Landesregierungen erfolgen wird, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 425 ff.; ähnlich Laufs, in: ders. (Hrsg.), Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke 2, 2018, S. 321, 413; Roßegger, AbfallR 2017, S. 215, 220; Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 127; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359. 1531 Eine konkrete Normenkontrolle wäre beispielsweise denkbar im Rahmen einer Feststellungsklage (vgl. Niesler, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, § 90 Rn. 82; im Kontext von Legalenteignungen Schenke, FS Wendt, S. 403, 413 f.) oder bei Klagen gegen Verwaltungsakte, die das Standortauswahlverfahren begleiten (vgl. hierzu Keienburg, atw 2014, S. 571, 574 f.). Zur Möglichkeit konkreter Normenkontrollen während des Standortauswahlverfahrens, vgl. weiterhin Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 379; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 300. 1532 Burgi, NVwZ Editorial Heft 5/2015; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 66. 1533 Zur Modifizierung des Verfahrens mit einer Vorverlagerung der Abwägungsentscheidung auf das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung bei Erstellung des Standortvorschlags, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) bb) (3). 1534 Wiegand spricht daher sogar von einer „vollständigen Bedeutungslosigkeit“, vgl. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834; a. A. Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404 f.; näher zur Problematik des Rechtsschutzes gegen Fehler der Öffentlichkeitsbeteiligung in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (4). 1535 So etwa Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404 f.; Posser, FS Dolde, S. 251, 277. 1529
370
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die im Standortsuchverfahren vorgesehene Legalplanung zwar systembedingt Rechtsschutzeinschränkungen im Vergleich zu einem verwaltungsbehördlichen Auswahlverfahren birgt. Die von der Standortentscheidung Betroffenen werden jedoch keineswegs völlig schutzlos gestellt. Demgegenüber steht das Ziel, der Entscheidung durch einen Legislativakt eine größtmögliche demokratische Legitimation beizulegen.1536 Gerade der Umstand, dass die Endlagerfrage bereits mehrere Generationen beschäftigt hat, besonders grundrechtssensibel und in der politischen Dimension für den Bereich der Infrastrukturplanung einmalig ist, lässt dies als guten Grund im Sinne der StendalRechtsprechung erscheinen.1537 Unter dieser Prämisse würden – einen rein verfassungsrechtlichen Blickwinkel vorausgesetzt – bereits die verfassungsprozessuale Rechtsschutzmöglichkeiten wirksamen Rechtsschutz gewähren.1538 (2) Würdigung des § 17 Abs. 4 S. 5 StandAG 2013 Dieser Befund wirft die Frage auf, weshalb die Regelung des § 17 Abs. 4 S. 5 Eingang in das StandAG 2013 gefunden hat. Die Ernsthaftigkeit der Regelung unterstrich schon die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, so dass zutreffend nicht von einem „Alibi-Rechtsbehelf“ zu sprechen war.1539 Die Gesetzesmaterialien schweigen sich zu den Motiven weitgehend aus und beschränken sich auf den allgemeinen Hinweis, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz eröffnen zu wollen.1540 Eine gewichtige Besserstellung im Vergleich zum verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz brachte die Regelung allerdings nicht mit sich.1541 Der anzufechtende Bescheid des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung (BASE) war nämlich nur als Zwischenschritt auf dem Weg zum nachfolgenden Bundesgesetz nach § 17 Abs. 2 S. 5 StandAG 2013 vorgesehen. Der Gesetzgeber ist bei der Festlegung der Standorte für die untertägige Erkundung aber weder an die Einschätzung des BASE noch an einen etwaigen Urteilsspruch des Bundesverwal-
1536
S. bereits Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (4) und ee). S. a. Kment, FS Jarass, S. 301, 307; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275. 1538 Auf Aspekte des frühzeitigen Rechtsschutzes wird freilich noch einzugehen sein, vgl. Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (3) und (4) (c). 1539 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 377. 1540 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 27; die Bezugnahme auf § 3 UmwRG in § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG lässt zudem vermuten, dass die Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben beabsichtigt war. Die Endlagerkommission ging hingegen in ihrem Abschlussbericht davon aus, dass das StandAG unter die Ausnahme des Art. 1 Abs. 4 UVP-RL a. F. fiele (vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 381). Die Gesetzesbegründung schweigt sich zu dieser Fragestellung allerdings aus. 1541 S. a. Keienburg, atw 2014, S. 571, 578; im Ergebnis a. A., aber eine Reihe von Fragen aufwerfend Posser, FS Dolde, S. 251, 270 ff., 277. 1537
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
371
tungsgerichts gebunden.1542 Zudem wurde eben nur ein Teil des Standortauswahlverfahrens, namentlich die Auswahl der Standorte für eine untertägige Erkundung, zur Überprüfung gestellt. Der Nutzen beschränkte sich somit auf eine Disziplinierungswirkung der beteiligten Akteure im Lichte eines bevorstehenden verwaltungsgerichtlichen Zwischenrechtsschutzes gepaart mit der Hoffnung, dass der Gesetzgeber das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten und diesem Folge leisten würde.1543 (3) Verstoß gegen internationale Vorgaben Soweit das Rechtsschutzsystem des StandAG 2013 nach dem zuvor Gesagten als zulässig anzusehen war, muss diese Feststellung auf das verfassungsrechtliche Anforderungsprofil beschränkt bleiben.1544 Mit der gesetzlichen Standortentscheidung wird der Rechtsschutz auf das verfassungsgerichtliche Prüfprogramm verkürzt. Selbst bei Überwindung der Zulässigkeitshürden wäre vor dem Bundesverfassungsgericht die einfach-rechtliche Rechtmäßigkeit der Standortauswahl nicht kontrollierbar, jedenfalls soweit etwaige Fehler nicht auf verfassungsrechtliche Normen durchschlagen.1545 Damit wird den Zielen von Art. 11 UVP-RL sowie Art. 9 AK nicht in ausreichendem Maß Rechnung getragen.1546 Die festgestellten unionsrechtlichen Rechtsschutzdefizite lassen sich auch nicht durch eine richtlinienkonforme Auslegung1547 der nationalen Regelungen beseitigen. Für einen entsprechenden Versuch wäre es denkbar an § 9b Abs. 2 Hs. 2 AtG anzuknüpfen. Diese Vorschrift bestimmt, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung auf zusätzliche oder andere Umweltauswirkungen beschränkt werden kann. Die For1542
S. a. Kment, FS Jarass, S. 301, 309; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 40; davon ausgehend, dass das Parlament eine Entscheidung des BVerwG abwartet Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414. 1543 Ähnlich Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 17 Rn. 40; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414. 1544 So etwa Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 269 ff., der seine Untersuchung auf den verfassungsrechtlichen Rahmen beschränkt. 1545 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 130. 1546 S. a. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 17 ff., 32; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 132; dies., Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 15 ff., 43 f.; dies., Anhörung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 zu dem Thema „Evaluierung des Standortauswahlgesetzes“, K-Drs. 39, 24.10.2014, S. 6; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1139 f.; Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 405; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 28. 1547 Instruktiv zur richtlinienkonformen Auslegung Kroll-Ludwigs/Ludwigs, ZJS 2009, S. 7, 8; Canaris, FS Bydlinski, S. 47 ff.; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, 127 ff., 247 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
mulierung suggeriert ein behördliches Ermessen, die im Rahmen der Endlagergenehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG erforderliche UVP vollständig durchzuführen und nicht auf anlagenbezogene Aspekte zu beschränken.1548 Im Rahmen der Auslegung müsste die Zulassungsbehörde BASE das Standortfestlegungsgesetz so behandeln, dass sich die Bindungswirkung nach § 20 Abs. 3 StandAG 2013 nicht auf die Umweltverträglichkeitsprüfung erstreckt. Im Wege der neuen, vollständigen UVP könnte dann auch die verwaltungsgerichtliche Klagbarkeit durch Nichtregierungsorganisationen gewährleistet werden.1549 Allerdings besteht bei abweichenden Prüfergebnissen die Gefahr eines Dilemmas, dass zur Realisierung der Endlageranlage entweder gegen die Festlegungen des Standortgesetzes oder die Resultate der nachträglichen UVP verstoßen werden müsste.1550 Zudem findet die richtlinienkonforme Auslegung ihre Grenzen u. a. dann, wenn neben dem eindeutigen Wortlaut der auszulegenden Regelung auch der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte klar erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegensteht.1551 Mag der Wortlaut des § 9b Abs. 2 Hs 2 AtG noch eine Auslegung ermöglichen, so muss mit Blick auf § 20 Abs. 3 StandAG 2013 davon Abstand genommen werden. In einer Gesamtschau mit der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass nicht nur der Standort als solcher, sondern explizit das Standortauswahlverfahren1552 für die anschließende atomrechtliche Genehmigung verbindlich sein soll.1553 Die richtlinienkonforme Auslegung würde somit einerseits nicht zu einem praktikablen Ergebnis führen1554 1548 Vgl. Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 49; ähnlich Keienburg, Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, KMAT 37b, 2015, S. 14. 1549 Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 49. 1550 So auch Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 49. 1551 Vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 314; Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1138; allgemein zu den Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung Kroll-Ludwigs/Ludwigs, ZJS 2009, S. 7, 12 f.; dies., ZJS 2009, S. 123, 124 f. m. w. N.; grundlegend zur unionsrechtskonformen Auslegung und vergleichbaren Grenzen zur verfassungskonformen Auslegung, vgl. BVerfGE 75, 223, 237, 240 – Kloppenburg-Beschluß; E 129, 78, 96, 99 – Le Corbusier; Jarass, in: Jarass/ Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 23 Rn. 44; Canaris, FS Bydlinski, S. 47, 92. 1552 Das Standortauswahlverfahren beinhaltet eben auch die UVP bezüglich der standortbedingten Faktoren. 1553 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30; i. E. ebenso Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 484 f. 1554 Ähnlich verhält es sich mit dem (i. E. abgelehnten) Versuch über Art. 11 Abs. 3 UVPRL und die Trianel-Rechtsprechung (EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 46, 57, 59 – Trianel) den in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Individualrechtsschutz unionsrechtsbedingt um eine Klagebefugnis von Interessenvertretern der Allgemeinheit aufzuwerten, vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 315; in diese Richtung auch Wegener, ZUR 2011, S. 363, 365.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
373
und andererseits an dem im Wortlaut des StandAG erkennbaren gesetzgeberischen Willen einer strikten Verfahrensteilung zwischen Standortauswahlverfahren und atomrechtlicher Genehmigung scheitern.1555 (4) Zwischenergebnis Das StandAG 2013 entsprach trotz der legalplanungsbedingten Verkürzungen verfassungsrechtlichen Rechtsschutzanforderungen. Die unions- und völkerrechtlichen Vorgaben wurden allerdings nicht eingehalten. Die in § 17 Abs. 4 S. 5 StandAG 2013 vorgesehene verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeit war verfassungsrechtlich nicht erforderlich und aus der Perspektive supranationalen Rechts ungenügend. d) Rechtsschutzoptionen StandAG 2017 Mit dem Fortentwicklungsgesetz1556 hat das StandAG im Jahr 2017 daher eine Erweiterung des Rechtsschutzsystems um eine zusätzliche verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeit erfahren. Ausgangspunkt waren verschiedene Reformüberlegungen, um das (unterstellte) grundlegende Rechtsschutzdefizit der Legalplanung zu beseitigen und eine Konformität mit unions- und völkerrechtlichen Bestimmungen herzustellen. Nach einer fokussierten Darstellung der diskutierten Alternativmodelle (aa) erfolgt eine Beschreibung und Vorstellung der vorgenommenen Modifizierungen (bb), um abschließend des StandAG 2017 unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu bewerten (cc). aa) Reformüberlegungen zum StandAG 2013 Die rechtswissenschaftliche Diskussion beschränkte sich nicht auf die Identifizierung von (vermeintlichen) Rechtsschutzdefiziten, sondern brachte eine Reihe von Reformvorschlägen mit sich. Die Klassifizierung und Einordnung der verschiedenen Optionen fällt schwer. Je nach Ansatzpunkt der Kritik beschäftigten sich die Lösungsvorschläge isoliert mit unions- oder verfassungsrechtlichen Schwachstellen1557 bzw. bemühten sich um eine ganzheitliche Reform1558 des Standortauswahlverfahrens.
1555 Zur fragwürdigen Aufweichung dieser strikten Trennung durch den neu eingeführten § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG 2017, vgl. Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (2). 1556 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1557 S. nachfolgend Abschnitt (1) – (3). 1558 So etwa Abschnitt (4).
374
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
(1) Unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 11 UVP-RL Neben der richtlinienkonformen Auslegung1559 kann dem Unionsrecht auch durch dessen unmittelbare Wirkung1560 Geltung verschafft werden. Die Voraussetzungen1561 des Ablaufs der Umsetzungsfrist,1562 eines Verstoßes gegen die Umsetzungspflicht1563 und der Durchgriffseignung1564 liegen für Art. 11 UVP-RL vor.1565 Somit ergibt sich bereits unmittelbar aus Art. 11 UVP-RL die Notwendigkeit einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die legislative Standortfestlegung nach § 20 StandAG.1566 (2) Umweltverfassungsbeschwerde An den Befund der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 11 UVP-RL1567 knüpft die Idee Martin Kments zur Schaffung einer Umweltverfassungsbeschwerde an.1568 Selbst ein unmittelbar aus der Richtlinie ableitbarer Anspruch auf Rechtsschutz nütze dem Betroffenen nicht, wenn dessen prozessuale Durchsetzung offen bliebe.1569 Deshalb müsse den Karlsruher Richtern eine Befassungskompetenz bei umweltrechtlichen Legislativakten zugesprochen werden. Dafür lasse sich zum einen die Schutzbedürftigkeit des Deutschen Bundestages anführen, der als Ver1559 Zu den (missglückten) Versuchen einer richtlinienkonformen Auslegung, vgl. Abschnitt D. IV. 2. c) cc) (3). 1560 Näher zur Abgrenzung zur richtlinienkonformen Auslegung, vgl. Kroll-Ludwigs/ Ludwigs, ZJS 2009, S. 7, 10 f. m. w. N. 1561 Allgemein zu den Voraussetzungen EuGH, Rs. C-138/07, ECLI:EU:C:2009:82, Rn. 58 – Cobelfret; EuGH, Rs. C-201/02, ECLI:EU:2004:12, Rn. 55 ff. – Delena Wells; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 142 ff. 1562 Die Frist zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie (RL 2014/52/EU) ist am 16.5.2017 abgelaufen, vgl. Art. 2 Abs. 1 RL 2014/52/EU. 1563 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt D. IV. 2. c) bb) (1). 1564 Zu den Voraussetzungen, vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2015, Art. 288 Rn. 145 ff. 1565 So bereits EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 57 – Trianel; Appel, NuR 2011, S. 414, 415; Wegener, ZUR 2011, S. 363, 365. 1566 S. a. Kment, FS Jarass, S. 301, 316; vgl. grundlegend zum unionsrechtlich geforderten Rechtsschutz gegen Parlamentsgesetze EuGH, Rs. C-213/89, ECLI:EU:C:1990:257, Rn. 20 – Factortame; Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 61; jüngst zur Berufung von Umweltverbänden auf die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union EUGH, Rs. 137/14, ECLI:EU:2015:683 – Rn. 92 – Großkrotzenburg, mit Verweis auf EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:2011:289, Rn. 48 – Trianel. 1567 Allgemein zum Vorrang von Unionsrecht jeder Stufe ggü. nationalen Regelungen EuGH, Rs. C-285/98, ECLI:EU:C:2000:2, Rn. 12, 32 – Kreil; Kment, VerwArch 2014, S. 262, 273. 1568 Vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 316 f. 1569 Im nationalen Recht müsse die unmittelbare Wirkung von Art. 11 UVP-RL demnach entweder verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen Legislativakte eröffnen oder aber Umweltverbänden ein Antragsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht eingeräumt werden, vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 316; zur Überlegung einer Normenkontrolle gegen formelle Gesetze, vgl. nachfolgend Abschnitt D. IV. 2. d) aa) (3).
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
375
fassungsorgan im Gefüge der Gewalten nur dessen Richterspruch unterworfen ist.1570 Zum anderen wären die Einschnitte in das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts zu gewichtig, sofern der auf das StandAG zurückgehende Gesetzgebungsakt einem Verwaltungsgericht zur Überprüfung gestellt würde und nicht dem Votum der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehalten bliebe. Abschließend wird die vom Gesetzgeber1571 sowie die gesellschaftlich beigemessene Bedeutung der Standortfrage angeführt, um die Notwendigkeit einer verfassungsgerichtlichen Klärung zu begründen.1572 Art. 11 UVP-RL schaffe demnach zugunsten von Umweltverbänden einen eigenen Zulassungstatbestand für Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht. Die noch vorhandene Lücke sei in Art. 93 Abs. 1 GG zu schließen, was über eine Erweiterung von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a oder einen als Nr. 4d (Umweltverfassungsbeschwerde)1573 neu zu verankernden Zulassungstatbestand möglich erscheine. Darüber hinaus müsse bei einer solchen Beschwerde freilich auch eine Modifikation des Prüfungsmaßstabs der Begründetheit erfolgen. Art. 11 Abs. 1 UVP-RL verlange grundsätzlich eine umfassende Überprüfung der materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit. Die bei Verfassungsbeschwerden bestehende Restriktion auf Grundrechte sowie gleichwertige Verfassungsgewährleistungen1574 sei aus unionsrechtlicher Perspektive defizitär. Das Bundesverfassungsgericht habe sich daher notwendiger Weise bei der Bewältigung des durch Umweltverbände erzwungenen Rechtsschutzes „mit den Feinheiten des einfachen Verwaltungsrechts auseinander(zu)setzen“.1575 (3) Normenkontrollklage gegen Bundesgesetze Neben der aufgezeigten Gewährung verfassungsprozessualen Rechtsschutzes könnte Art. 11 UVP-RL trotz des Festhaltens am Konzept einer Legalplanung über die Schaffung einer verwaltungsgerichtlichen Beklagbarkeit für formelle Bundesgesetze Geltung verschafft werden.1576 Konstruktiv umzusetzen wäre das mittels 1570
Kment, FS Jarass, S. 301, 316 f. Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 29 f. 1572 Kment, FS Jarass, S. 301, 317; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 359; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275. 1573 Kment stellt hierbei einer kleinen Lösung (Anknüpfung an die Verletzung von unionsrechtlich eingeforderten Umweltschutzregelungen) eine große Lösung (Antragsberechtigung für Umweltverbände bei möglichen Verletzungen von Umweltrecht) gegenüber, vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 317. Diese große Lösung hält er mit Blick auf die Trianel-Rechtsprechung und die Neufassung von § 2 UmwRG zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten für sachgerecht, vgl. EuGH, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Rn. 57, 59 – Trianel; Appel, NuR 2011, S. 414, 415; Wegener, ZUR 2011, S. 363, 365 f.; Kment, UPR 2013, S. 41, 44. 1574 Vgl. die obige Darstellung bei D. IV. 2. b) bb). 1575 Vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 318. 1576 Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1138, Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1571
376
D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
einer dem § 47 Abs. 1 VwGO nachempfundenen prinzipalen Normenkontrolle.1577 Für diese Lösung spreche die Sachnähe der Verwaltungsgerichte, die über eine entsprechende Expertise bei der Bewältigung der überwiegend relevanten umwelt-, atom- und bergrechtlichen Fragestellungen verfügen.1578 In diese Richtung deute ebenfalls die Nennung der Begriffe „Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht“ in Art. 11 Abs. 1 lit. b UVP-RL. (4) Systemumstellung zum konzentrierten Rechtsschutz Die zuvor genannten Varianten setzen die europarechtlichen Rechtsschutzanforderungen um, ohne am Konzept der Legalplanung zu rütteln. Gleichwohl ließe sich dieses Ergebnis auch erreichen, indem man von einer gesetzlichen Standortfestlegung absieht und zum System eines verwaltungsbehördlichen Planungsverfahrens zurückkehrt.1579 Das Standortauswahlverfahren könnte demnach im Anschluss an eine (nicht notwendigerweise gesetzliche) Festlegung der übertägig und der untertägig zu erkundenden Standorte mit einer Standortentscheidung des Vorhabenträgers enden. Diese wäre wiederum im atomrechtlichen Zulassungsverfahren für Errichtung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers mit der Möglichkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zur Prüfung zu stellen.1580 Mit der Einführung einer Alternativenprüfung und substanziellen Öffentlichkeitsbeteiligung seien die Ziele des StandAG ebenso gut durch die Ertüchtigung des atomrechtlichen Zulassungsverfahrens zu erreichen.1581 Letztlich bedeutet dies eine Rückkehr zum im Infrastrukturrecht vorherrschenden Konzept des konzentrierten Rechtsschutzes zum Abschluss des Planungsverfahrens mit inzidenter Kontrolle vorgelagerter Verfahrensschritte.1582 Damit wäre zum einen die verfassungsrechtliche Kritik am legalplanungsbedingten Rechtsschutzdefizit befriedet. Zum anderen vermeidet diese Konzeption mögliche Friktionen, die aus einer Trennung der Entscheidung über den Standort als 1577
Die Normenkontrollklage nach § 47 VwGO bedarf in zweierlei Hinsicht einer Modifizierung. Zum einen ist der Klagegegenstand auf untergesetzliches Recht beschränkt. Zum anderen ist Bundesrecht nicht umfasst, vgl. u. a. Schmidt, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, § 47 Rn. 8 f.; näher zur Umsetzung prinzipaler Normenkontrollen außerhalb von § 47 VwGO Schenke, NJW 2017, S. 1062 1578 Ähnlich bei Kment, FS Jarass, S. 301, 316. 1579 So wurde das Endlager Schacht Konrad für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in einem Planfeststellungsverfahren nach § 9b Abs. 1 AtG in Übereinstimmung mit den verfassungs- und einfachrechtlichen Vorgaben geplant, vgl. BVerfGK 16, 370 – Schacht Konrad; BVerwG, Beschluss v. 16.3.2007, Az. 7 N 72/06 u. a., NVwZ 2007, S. 833 ff. – Planfeststellung Schacht Konrad. 1580 Vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 133. 1581 So etwa Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404; Posser, FS Dolde, S. 251, 276. 1582 Vgl. Schlacke, ZUR 2017, S. 456; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 2012, § 7 Rn. 22; Erbguth, NVwZ 2005, S. 241, 242.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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solchen und der späteren Genehmigung der Endlageranlage resultieren.1583 Sofern der Deutsche Bundestag zur Legitimationssteigerung mit der Entscheidung über den Endlagerstandort befasst werden sollte, könne dies beispielsweise mittels einer gesetzlichen Einordnung als Vorrangstandort ohne Verbindlichkeitswirkung für das anschließende Genehmigungsverfahren erfolgen.1584 (5) Ergänzung des StandAG um fachgerichtlichen Rechtsschutz Die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) hat im Rahmen ihrer Evaluationsaufgabe1585 das bestehende unionsrechtliche Rechtsschutzdefizit erkannt, die vorgenannten Lösungsvorschläge allerdings verworfen. Nach ihrer Auffassung geböten die Gesetzesgenese, die erhöhte demokratische Legitimierung der Standortentscheidung und eine durch die Einbeziehung des Deutschen Bundestages gewährleistete fortdauernde öffentlichen Debatte eine Lösung, welche die europarechtlich vorgegebene Vollüberprüfbarkeit der abschließenden Standortentscheidung im Einklang mit der Legalplanung ermöglicht.1586 Dies könne einerseits durch die Implementierung einer dem § 17 Abs. 4 StandAG 2013 nachempfundenen Regelung zur Gewährung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in § 19 oder 20 StandAG im unmittelbaren Vorfeld der gesetzlichen Standortfestlegung erreicht werden.1587 Die Überprüfung des gesamten bis dahin
1583 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 133; konkret wird hier die Befürchtung adressiert, dass bei der Standortfestlegung dadurch Prüfdefizite entstehen, dass der Gesetzgeber die genaue Endlagerkonzeption noch nicht kennt und die Standortfestlegung daran ausrichten kann. Die Zulassungsbehörde wäre wiederum an die tatsächlichen Standortgegebenheiten gebunden, vgl. dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1135. Die Befürchtungen sind im Ergebnis allerdings unbegründet. Zwar ist es zutreffend, dass die Standortfrage untrennbar mit der Frage nach den technischen Sicherheitsvorkehrungen verknüpft ist. Je nach Wirtsgestein und konkreten geologischen und geohydrologischen Bedingungen müssen am Standort unterschiedliche technische Sicherheitsvorrichtungen eingesetzt werden. Genau aus diesem Grund findet nach § 19 Abs. 1 S. 3 StandAG aber bereits im Standortauswahlverfahren eine Vorklärung hinsichtlich der Erfüllung technischer Sicherheitsanforderungen des Standortes in Form eines Erwartungstests statt, s. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67. 1584 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 134; dies., atw 2014, S. 571, 573; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1135; in diese Richtung auch Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 404; Posser, FS Dolde, S. 251, 276; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 310. 1585 Ausführlich zur Evaluierungsaufgaben nach § 4 Abs. 5 StandAG 2013, vgl. oben in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (2). 1586 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382. 1587 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 134; dies., Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37b, 2015, S. 52 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
erfolgten Verfahrens1588 einschließlich der durchgeführten standortbezogenen Umweltverträglichkeitsprüfung solle die Standortentscheidung „von europarechtlichen Vorgaben entlaste(n)“.1589 Andererseits käme eine Abschwächung der Bindungswirkung der gesetzlichen Standortentscheidung dergestalt in Betracht, dass eine Überprüfbarkeit im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Endlagergenehmigung nach § 9b Abs. 1a AtG ermöglicht wird sowie eine Kombination der vorgenannten Varianten.1590 (6) Stellungnahme Während zur Behebung des unions- und völkerrechtlichen Rechtsschutzdefizits der richtlinienkonformen Auslegung die Bindungswirkung des Standortgesetzes nach § 20 Abs. 3 StandAG entgegenstand, lässt eine unmittelbare Anwendung von Art. 11 UVP-RL die Frage offen, wie dies im nationalen Rechtsrahmen prozessual umgesetzt werden sollte. Reformüberlegungen zur Schaffung einer Umweltverfassungsbeschwerde oder verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollklage gegen Bundesrecht bieten interessante Ansätze. Allerdings enthalten sie eine fundamentale Umgestaltung von hergebrachten verfassungs- und verwaltungsprozessualen Grundsätzen.1591 Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle auf formelle Bundesgesetze würde nicht nur ein „völliges Novum“1592 darstellen, sie wäre mit Blick auf Art. 100 Abs. 1 GG vielmehr als klarer Systembruch zu klassifizieren.1593 Die Kompetenz, formelle Bundesgesetze für verfassungswidrig zu erklären, liegt nach tradierter Auffassung ausschließlich beim Bundesverfassungsgericht.1594 Mit der Einführung einer Umweltverfassungsbeschwerde wäre wiederum eine Überhöhung der dem Umweltrecht 1588
Nach Wortlaut und Systematik des StandAG komme den Legalentscheidungen nach §§ 15 und 17 StandAG keine Sperrwirkung für die abschließende Überprüfung zu, vgl. Ewer/ Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 97; Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 50, 52, 69; BMUB, Stellungnahme: Gegenstand und Reichweite eines gegebenenfalls neuen Rechtsschutzes in § 19 StandAG, K-Drs. /AG2 – 31, 8.4.2016, S. 3; krit. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 138; anders auch Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 5 f.; für eine Abschichtung, vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/111398, S. 64. 1589 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382. 1590 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382. 1591 S. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1592 So etwa Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382. 1593 S. a. Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1138. 1594 Vgl. zur Normverwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG: BVerfGE 2, 124, 128, 130 f. – Normenkontrolle II; E 22, 373, 377; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 177 Rn. 41; Dederer, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 100 GG, Rn. 10, 12; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 100 Rn. 1.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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zugrunde liegenden Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG verbunden.1595 Dies zeigt sich unter anderem in der notwendigen Erweiterung des materiell-rechtlichen Prüfprogramms.1596 Da mit den beiden neuen Klagearten eine Reihe offener Rechtsfragen insbesondere zum Verhältnis von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit einher ginge, sind die Vorschläge abzulehnen.1597 Ähnlich verhält es sich mit dem Vorschlag bei der Endlagersuche konzentrierten Rechtsschutz gegen die Anlagengenehmigung anzubieten. Zwar würde man damit zum im Infrastrukturrecht verbreiteten System zurückkehren.1598 Die vom Gesetzgeber aus Legitimationsaspekten gewählte Konzeption als gestuftes Legalplanungsverfahren wäre allerdings obsolet. Zudem ist dem konzentrierten Rechtsschutz der Nachteil inhärent, dass eine gerichtliche Entscheidung zur Zulässigkeit des Standortes erst zum Abschluss eines langjährigen atomrechtlichen Zulassungsverfahrens ergehen würde, während die Legalplanung den Verfahrensgegenstand bereits zuvor abschichtet.1599 Eine vergleichsweise leicht umzusetzende Alternative stellt die Ergänzung des StandAG um eine (weitere) verwaltungsgerichtliche Klageoption dar, die eine Überprüfung der Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts umfasst. Auf diese Weise lassen sich die identifizierten und gerügten Schwachstellen beheben und gleichzeitig am vom Gesetzgeber beabsichtigten System festhalten.1600 Im Zuge des Evaluierungsprozesse durch die Endlagerkommission hat dieser Vorschlag Eingang in das Fortentwicklungsgesetz1601 gefunden. Die im Vergleich zu einer Grundgesetzänderung geringfügige Modifikation ist zu befürworten. Sie wahrt die Konsistenz des Zusammenspiels von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, vermeidet Widersprüche in der grundlegenden Konzeption der Standortsuche und respektiert den gesetzgeberischen Willen zur Etablierung einer Legalplanung.
1595
Zur Einordnung von Art. 20a GG als Staatszielbestimmung, vgl. Abschnitt D. II. 1. b) cc) und cc) (1); zu Art. 20a GG als Grundlage überindividueller Klagebefugnisse im Umweltrecht, vgl. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 503 ff.; dies., in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, Vorb. §§ 1 – 8 UmwRG Rn. 21. 1596 Vgl. Kment, FS Jarass, S. 301, 318 sowie Abschnitt D. IV. 2. d) aa) (2). 1597 Ähnlich Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1598 Vgl. Schlacke, ZUR 2017, S. 456 m. w. N. 1599 So auch zur Abschwächung der Bindungswirkung in § 20 Abs. 3 StandAG 2013 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382; zur Kompensation dieses nachgelagerten Rechtsschutzes wird die Möglichkeit von Teilplanfeststellungsbeschlüssen nach § 9b Abs. 1 S. 2 AtG angeführt, vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 133; Bull, DÖV 2014, S. 897, 902. 1600 S. a. die Beweggründe der Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 383 f. 1601 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
bb) Modifiziertes Rechtsschutzsystem des StandAG 2017 Die Anpassungen im Rechtsschutzsystem stellen einen der relevantesten Punkte des Fortentwicklungsgesetzes dar. Der Gesetzgeber hat sich der Empfehlung der Endlagerkommission1602 angeschlossen und neben der Implementierung einer weiteren verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzoption in § 19 Abs. 2 StandAG (1) mit der Einfügung von § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG eine Abschwächung der Bindungswirkung der gesetzlichen Standortentscheidung vorgenommen (2). Gleichzeitig besteht weiterhin die Möglichkeit im Vorfeld der gesetzlichen Festlegung der Standorte für die untertägige Erkundung das bisherige Verfahren verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen (3). Nach einer Darstellung und kritischen Würdigung der einzelnen Punkte sollen verbliebene und sich neu stellende Fragen vorgestellt werden (4), um anschließend das im StandAG 2017 etablierte Rechtsschutzsystem zusammenfassend zu bewerten (cc). (1) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nach § 19 Abs. 2 StandAG Die nunmehr im unmittelbaren Vorfeld der gesetzlichen Standortentscheidung bestehende verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzoption ist in der Ausgestaltung dem bereits im StandAG 2013 enthaltenen Zwischenrechtsschutz nachempfunden.1603 Dementsprechend wird auch hier gemäß Satz 7 auf ein Vorverfahren verzichtet1604 und in Satz 8 eine erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts1605 vorgesehen. (a) Klagegegenstand Gegenständlich umfasst § 19 Abs. 2 S. 3 StandAG einen Bescheid des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, der feststellt, ob das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Regeln des StandAG durchgeführt wurde und der Standortvorschlag diesen entspricht.1606 Satz 4 bindet das BASE an seine Beurteilung im Bescheid nach § 17 Abs. 3 S. 1 StandAG, soweit dieser unanfechtbar ist. Mit dieser Konzeption findet eine Abschichtung des Klagegegenstandes statt, indem das Verfahren bis zur Auswahl der untertägig zu erkundenden Standorte kein Be-
1602
Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382 f. So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64. 1604 Ein solches sei aufgrund des umfangreichen Beteiligungsverfahrens nicht sachgerecht, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64. 1605 Die Gesetzesbegründung stellt auf die voraussichtlich nur einmalig zu treffende Entscheidung sowie die besondere politische Bedeutung und ein herausragendes Interesse der Öffentlichkeit ab. Zudem sei aufgrund der befristeten Genehmigungen der Zwischenlager eine zügige Streitentscheidung erforderlich, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64; vgl. weiterhin Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 483. 1606 Zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage, vgl. Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 483 f. 1603
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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standteil der neuen Prüfung wird.1607 Insofern ist von einem phasenspezifischen und zugleich abschichtendem Rechtsschutzmodell1608 zu sprechen, welches den Streitund Prozessstoff von Stufe zu Stufe reduziert.1609 (b) Klageberechtigung Neben Individualklägern, welche die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend machen müssen,1610 bestimmt § 19 Abs. 2 S. 6 StandAG, dass kommunalen Gebietskörperschaften,1611 in deren Gebiet der vorgeschlagene Standort liegt, deren Einwohnern sowie deren Grundstückseigentümern eine Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO zuerkannt wird.1612 Die „gleichstellende“ Verweisung auf
1607 Die Abschichtung des Streitgegenstandes adressiert insb. Aspekte der Verfahrensökonomie und der Vermeidung erheblicher zeitlicher Verzögerungen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 63 f.; zu den Vorteilen eines abgeschichteten Rechtsschutzes bei enteignungsrechtlicher Vorwirkung, vgl. Hettich, in: Rensen/Brink (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 431, 439 f.; näher zu den Vorteilen phasenspezifischen Rechtsschutzes Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 457 m. w. N.; a. A. und einen „one-stop-Rechtsschutz“ befürwortend Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 521. 1608 Phasenspezifischer Rechtsschutz eröffnet eine isolierte gerichtliche Kontrolle von ggü. der endgültigen Sachentscheidung vorgelagerten Verwaltungsentscheidungen (z. B. Planungsentscheidungen, Verfahrenshandlungen oder Teilgenehmigungen), ohne aber die Überprüfung der Letztentscheidung auszuschließen, vgl. Erbguth, VVDStRL (61) 2002, S. 222, 244 f. 1609 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 244; Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65; ebenso Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 92 f.; a. A. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 47 ff., 50, 52, welcher der Zwischenrechtsschutzoption keine Sperrwirkung zuspricht. 1610 Zwar ist der Kreis der Klageberechtigten im Atomrecht aufgrund der Eigenart der Emissionen (weite Ausbreitung radioaktiver Strahlung, hohes Schadenspotenzial) grundsätzlich weit gezogen. Einschränkungen ergeben sich aber hinsichtlich der Geltendmachung von Belangen des Nachweltschutzes (bloßer Gemeinwohlbelang, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) dd) sowie aufgrund einer erheblichen Substantiierungslast für die Klagebefugnis (über das Restrisiko hinausgehende Gefahren). Im Ergebnis ist die Geltendmachung subjektiver Rechte daher extrem voraussetzungsvoll, vgl. ausführlich Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65 f., der von der „Wirkungslosigkeit der Individualklage“ spricht. 1611 Im Rahmen des Fortentwicklungsgesetzes wurde festgehalten, dass unter diesen Begriff auch Verwaltungsgemeinschaften und Landkreise fallen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 62; instruktiv zur räumlichen Ausdehnung Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 488 f.; vgl. weiterhin Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1612 Vgl. Durner, NuR 2019, S. 241, 244; Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461; allgemein zur „Normativität des subjektiven Rechts“ Ludwigs, NVwZ 2015, S. 1327, 1328 f. unter Rekurs auf die „Konfliktschlichtungsprärogative“ des Gesetzgebers nach Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2005, S. 37 ff., 719 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
anerkannte Vereinigungen nach § 3 UmwRG bewirkt zudem die Rechtsbehelfsberechtigung von Nichtregierungsorganisation im Rahmen ihres Tätigkeitsbereichs.1613 Diese Kombination von Individual-, Verbands- und Kommunalklagemöglichkeiten lässt die Konzeption des Rechtsschutzsystems als umfassende „regionale Interessentenklage“ erscheinen, die neben Umweltverbänden die gesamte betroffene Bevölkerung und die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften zu Wächtern der Rechtmäßigkeit des Verfahrens und der in ihm generierten Entscheidungen macht, ohne auf eine im Zweifel schwer nachzuweisende subjektive Rechtsposition angewiesen zu sein.1614 (2) Abschwächung der Bindungswirkung der Standortentscheidung Zusätzlich wurde durch eine Ergänzung des § 20 Abs. 3 StandAG eine abgeschwächte Bindungswirkung der gesetzlichen Standortentscheidung bezweckt. Der neue Satz 2 regelt, dass auf Grundlage der Standortentscheidung „die Eignung des Vorhabens im (atomrechtlichen) Genehmigungsverfahren vollumfänglich zu prüfen“ ist. Die Bedeutung des § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG und dessen Reichweite bleiben allerdings unklar.1615 Die Beweggründe der Endlagerkommission, dass aufgrund von europarechtlichen Vorgaben eine spätere gerichtliche Überprüfung der Standortentscheidung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren möglich bleiben soll,1616 fördern nicht das Verständnis, welche Auswirkungen mit dieser Prüfkompetenz verbunden sind. Dass das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung im Zulassungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG den Standort nochmals vollständig prüft, widerspräche der beibehaltenen Regelung in § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG, wo-
1613
Die Diskussion um die Reichweite der Verweisung in § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG 2013 (vgl. Schlacke, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 53, 74 f.) ist mit der Novellierung des UmwRG v. 29.5.2017 (BGBl. I S. 1298) entschieden. § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 UmwRG bestimmt, dass die Klagerechte nach dem StandAG unberührt bleiben. Diese Regelung ergibt nur Sinn, wenn die Verbandsklagerechte eine Erweiterung darstellen, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65; Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461; ähnlich und eine dynamische Verweisung konstatierend: Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 17 StandAG Rn. 21; Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 484; zu Restriktionen aufgrund der Beschränkung auf den Tätigkeitsbereich, vgl. Kment, NVwZ 2018, S. 921, 923 f. 1614 Vgl. insb. zur Begriffsschöpfung der „regionalen Interessentenklage“ Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67, 70; Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 372 f.; allgemein zur Interessentenklage Schlacke, NVwZ 2017, S. 905, 909; dies., Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 63 f., 79 f.; zur Intention, Aspekte der Langzeitsicherheit verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen, vgl. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 46. 1615 Die Gesetzesbegründung beschränkt sich mit einem Verweis auf die Vorschläge der Endlagerkommission, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 65. 1616 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 383.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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nach die gesetzliche Standortentscheidung verbindlich ist.1617 Sofern sich die Bedeutung darin erschließen sollte, dass das BASE auch solche standortbezogenen Faktoren in sein Prüfprogramm einbezieht, die für Errichtung, Betrieb und Stilllegung der Endlageranlage relevant sind,1618 handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit und hätte keiner eigenständigen Regelung bedurft. Somit verbleibt als weitere Interpretation, dass zwar nicht das Prüfprogramm des BASE nach § 9b Abs. 1a AtG erweitert werden soll, wohl aber jenes des Verwaltungsgerichts, welches bei einer Anfechtung der Zulassungsentscheidung inzident das Verfahren der Standortauswahl überprüfen könnte. Es erscheint jedoch äußerst fragwürdig, wie dies angesichts eines bis dahin zweifelsfrei bestandskräftigen Bescheids nach § 19 Abs. 2 S. 3 StandAG bewerkstelligt werden kann.1619 Auch aus verfahrens- und prozessökonomischen Gesichtspunkten macht eine derartige Deutung keinen Sinn. Die mit der gestuften Legalplanung bezweckte Abschichtung des Planungsgegenstandes sowie die mit den verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeiten beabsichtigte Rechtssicherheit würde ad absurdum geführt, wollte man die Entscheidung über den Standort bis zur Bestandskraft der Endlagergenehmigung zur Disposition stellen.1620 Die aufgezeigten Deutungsschwierigkeiten erscheinen nochmals in einem anderen Licht, wenn man sich vor Augen führt, dass unions- und völkerrechtliche Rechtsschutzanforderungen eine solch abgeschwächte Bindungswirkung gerade nicht erfordern. Zu deren Einhaltung genügt bereits die zuvor geschilderte Klagemöglichkeit gegen den Bescheid des BASE über das Ergebnis des als umweltverträglich festgestellten Standortes nach § 19 Abs. 2 S. 3 StandAG. Insbesondere ist die Abschichtung einer Umweltverträglichkeitsprüfung durch stufenweise Entscheidungen europarechtskonform.1621 Da mit dem Fortentwicklungsgesetz eine eigene Abwägungsentscheidung des Parlaments bei Erlass des Standortgesetzes entfallen ist und der Gesetzgeber den Standortvorschlag lediglich unverändert annehmen oder in Gänze 1617
135. 1618
S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117,
In diese Richtung wohl Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 492; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 10; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9b AtG Rn. 14. 1619 Ähnlich Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 5 f.; Keienburg kritisiert, dass damit zudem der Grundsatz der Verbindlichkeit von Gesetzen für die Verwaltungsgerichte überregelt würde, vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 135. 1620 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 135 f.; aus genau diesen Gründen will die Endlagerkommission i. Ü. am Konzept der Legalplanung festhalten, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 382. 1621 Nach der Rechtsprechung des EuGHs sind bei mehrstufigen Genehmigungsverfahren bereits auf der ersten Stufe ermittelte und unveränderte Auswirkungen auf der folgenden Stufe nicht erneut zu prüfen und keiner erneuten Rechtsschutzmöglichkeit zuzuführen, vgl. EuGH, Rs. C-580/03, ECLI:EU:C:2006:287, Rn. 104 ff. – Kommission/Vereinigtes Königreich; EuGH, Rs. C-290/03, ECLI:EU:C:2006:286, Rn. 48 – Barker; s. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 136 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
ablehnen kann,1622 genügt der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz gegen den feststellenden Bescheid des BASE diesen Anforderungen.1623 Im Lichte des zuvor Gesagten muss man davon ausgehen, dass während des atomrechtlichen Zulassungsverfahrens1624 eine dezidierte Auseinandersetzung um den Begriff der „Vollumfänglichkeit“ aufbrechen wird. Europarechtlich ist die Regelung des § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG jedenfalls nicht erforderlich. Aus Gründen der Rechtsklarheit, zur Vermeidung von Widersprüchen und mangels praktischen Nutzens sollte die Regelung daher gestrichen werden.1625 (3) Beibehaltung Zwischenrechtsschutz Ein weiteres Element des phasenspezifischen Rechtsschutzes stellt die Klagemöglichkeit im Vorfeld der Standortfestlegung für die untertägige Erkundung in § 17 Abs. 3 S. 3 StandAG dar. Die Frage der Beibehaltung des vormals in § 17 Abs. 4 StandAG 2013 geregelten Zwischenrechtsschutzes wurde von der Endlagerkommission und im Schrifttum intensiv diskutiert.1626 Den Anforderungen des Unionsrechts ist bereits mit der Einführung der oben erläuterten Klagemöglichkeit in § 19 Abs. 2 S. 6 StandAG genüge getan.1627 Ein entsprechender Rechtsbehelf würde bei Streichung des Zwischenrechtsschutzes die Kontrollmöglichkeit des gesamten Verfahrens der Standortauswahl (einschließlich UVP) umfassen.1628 Dem stehen auch nicht die Legalentscheidungen nach §§ 15 und 17 StandAG entgegen.1629 Die Regelungswirkung der beiden Gesetze beschränkt sich
1622 Vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64; näher hierzu im Kontext der Verfahrensdarstellung in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (3). 1623 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 136 f. 1624 Womöglich also erst im kommenden Jahrhundert, vgl. hierzu Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, KDrs. 267, 22.6.2016, S. 16. 1625 Ähnlich Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 136; für einen Verzicht auf zusätzlichen konzentrierten Rechtsschutz bei phasenspezifischen Modellen, vgl. Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461. 1626 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 383 f.; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 137 f. m. w. N. 1627 S. a. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 384; Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 486 f.; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 1628 BMUB, Stellungnahme: Gegenstand und Reichweite eines gegebenenfalls neuen Rechtsschutzes in § 19 StandAG, K-Drs. /AG2 – 31, 8.4.2016, S. 1; s. a. Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 5; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 137. 1629 Im Ergebnis ebenso Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 97; Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbe-
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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nämlich auf die Benennung von Gebieten bzw. Standorten für die übertägige bzw. unterirdische Erkundung sowie die in § 12 Abs. 1 S. 3 StandAG angeordnete Rechtsfolge, dass bei der Anwendung bergrechtlicher Vorschriften ein zwingender Grund des öffentlichen Interesses für die Erkundung zu bejahen ist. Eine verbindliche Bestätigung über die Einhaltung der Vorschriften des bisherigen Standortauswahlverfahrens ist den Legalentscheidungen hingegen nicht zu entnehmen.1630 Mangels unionsrechtlicher Erforderlichkeit ist die Beibehaltung des Zwischenrechtsschutzes in den Vorzügen des phasenspezifischen Rechtsschutzes zu sehen. Die Standortauswahl wird hierzu unter Rechtsschutzgesichtspunkten in zwei Verfahrensphasen1631 unterteilt, die jeweils separat und abschließend einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht werden.1632 Ein spezifischer Vorteil dieses Modells ergibt sich aus der Möglichkeit einer zeitnahen Kontrolle von Vorentscheidungen und damit rechtzeitigem Rechtsschutz. Darüber hinaus fördert eine korrespondierende Stufung von Verfahren und Rechtsschutz die Abschichtung des Rechts- und Prozessstoffes,1633 entzerrt komplexe Entscheidungen und rationalisiert
teiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 50, 52, 69. 1630 S. a. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 85 f., 98; BMUB, Stellungnahme: Gegenstand und Reichweite eines gegebenenfalls neuen Rechtsschutzes in § 19 StandAG, K-Drs. /AG2 – 31, 8.4.2016, S. 3; a. A. BUND, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 14.4.2016, die davon ausgehen, dass das Parlamentsgesetz notwendigerweise die Überzeugung des Gesetzgebers beinhalte, dass bis zu seiner Entscheidung „alles ordnungsgemäß gelaufen“ sei. Demnach seien auch die Ermittlungs- und Bewertungsschritte bis zur Auswahlentscheidung Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens; ebenso Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 5. 1631 Phase 1 bis zum Vorschlag zur untertägigen Erkundung (vgl. § 17 Abs. 3 S. 1 StandAG), Phase 2 Verfahren der untertägigen Erkundung und abschließender Standortvorschlag (vgl. § 19 Abs. 2 S. 3 StandAG). 1632 Eingehend hierzu Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 5 f., 14 f.; vgl. auch Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 92 f.; a. A. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 47 ff., 50, 52, welcher der Zwischenrechtsschutzoption keine Sperrwirkung zuspricht. 1633 Z. T. wird die Abschichtungswirkung in Zweifel gezogen, vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 138. Die dort geschilderte Auffassung verbindet mit dem Begriff der Abschichtung zugleich eine Präklusionswirkung. Dabei wird jedoch verkannt, dass lediglich die Streitgegenstände unterteilt werden. Ein potenzieller Kläger wird für den Fall, dass er vom Zwischenrechtsschutz nicht Gebrauch gemacht hat, für die Klage nach § 19 Abs. 2 S. 6 StandAG nicht generell, sondern nur für Verfahrensrügen bis zum Zeitpunkt der untertägigen Erkundung ausgeschlossen; näher zur Unterscheidung von Abschichtung und Präklusion in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (4) (c).
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
deren Kontrolle.1634 Durch die Entlastung späterer Kontrollstufen und damit einhergehend der Gerichte kann eine Steigerung der Rechtsicherheit für Vorhabenträger und Betroffene erreicht und die Gefahr eines Rückfalls in sehr frühe Verfahrensphasen minimiert werden.1635 Weiterhin dient eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit der Verwirklichung des Ziels von umfassender Bürgerbeteiligung und kann das Vertrauen in das Verfahren und somit dessen Akzeptanz stärken.1636 Im Ergebnis ist die Beibehaltung des Zwischenrechtsschutzes als politische Entscheidung zu qualifizieren,1637 die aufgrund einer Potenzierung der Klagerechte1638 – durchaus kritisch – als „überschießende politische Wertentscheidung“ bezeichnet wurde.1639 Diese nichtsdestotrotz zweckmäßigen und sinnvollen „politischen“ Erwägungen erfahren mit der Entscheidung Garzweiler des Bundesverfassungsgerichts1640 zudem eine verfassungsrechtliche Grundlage.1641 Die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG beinhaltet eine rechtzeitige Eröffnung von Klagemöglichkeiten, bevor vollendete Tatsachen geschaffen sind.1642 In Anbetracht der prognos1634
Vgl. Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 459; ähnlich Erbguth, FS Jarass, S. 413, 426; zu verfahrensökonomischen Motiven, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 3, 46. 1635 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 384; Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 459; Gärditz, NVwZ 2014, S. 1, 10; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 17 StandAG Rn. 15; krit. zum Rechtsschutz des NABEG Schink, FS Jarass, S. 483, 500; Erbguth, FS Jarass, S. 413, 426; allgemein zum Konflikt von Entscheidungsbeschleunigung und effektivem Rechtsschutz Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 521. 1636 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 384; Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 498; Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461; s. a. die Beiträge von Röscheisen und Däuper im Rahmen der Evaluierungsanhörung der Endlagerkommission, Endlagerkommission, Auswertung der Anhörung „Evaluierung des StandAG“, K-Drs. /AG2 – 4a, 29.1.2015, S. 5, 7; ähnlich Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 45; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65; krit. zum Rechtsschutz gegen Fehler der Öffentlichkeitsbeteiligung Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83 f. 1637 S. a. die Endlagerkommission in ihrem Votum für eine Beibehaltung des Zwischenrechtsschutzes, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 383. 1638 So bereits zum Zwischenrechtsschutz nach dem StandAG 2013 Keienburg, atw 2014, S. 571, 573. 1639 Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65. 1640 BVerfGE 134, 242 – Garzweiler. 1641 Gegenstand der Garzweiler-Entscheidung war zwar keine phasenspezifische Planung, sondern konzentrierter Rechtsschutz im Anschluss an ein mehraktiges bzw. mehrstufiges Verwaltungsfahren nach dem Bundesberggesetz (Betriebsplanverfahren nach §§ 50 ff. BBergG). Die Erwägungen des BVerfG sind aber hinsichtlich Verfahrensdauer und Komplexität auf die Problemkreise der Standortauswahl übertragbar; für eine konzise Darstellung des Verfahrensgegenstandes, vgl. Moench/Ruttloff, NVwZ 2014, S. 897, 898 f. 1642 Dazu muss eine Rechtsschutzmöglichkeit bestehen, sobald der Betroffene „von einer im Verlauf der Konkretisierung des Planvorhabens getroffenen Entscheidung der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt sein kann“, vgl. BVerfGE 134, 242, 311, 351 – Garzweiler mit Verweis auf BVerfGE 37, 150, 153; E 93, 1, 13 – Kruzifix; vgl. hierzu bereits die allgemeinen Ausführungen in Abschnitt D. IV. 2. a) aa).
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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tizierten Verfahrensdauer der Standortauswahl1643 und des komplexen Verfahrensgegenstands entspricht die vorgesehene Form des Zwischenrechtsschutzes in besonderer Weise den verfassungsrechtlichen Vorgaben.1644 (4) Offene Fragen Auch nach der Reformierung des Rechtsschutzsystems im StandAG 2017 bleiben einzelne Punkte klärungsbedürftig und diskussionswürdig. Zwar berühren diese Themen nicht durchgängig die Frage der Verfassungskonformität bzw. die Vereinbarkeit mit Unions- und internationalem Recht. Zur Einordnung des Rechtsschutzsystems und als Grundlage für eine (auch rechtspolitische) Bewertung sollen sie die vorangegangenen Ausführungen aber ergänzen und abrunden. Hierzu zählen etwa der Umfang der Rügebefugnis von Interessentenklägern (a), die reduzierten Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Fehler im Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung (b), die mit dem phasenspezifischen Rechtsschutz verbundene Abschichtung des Verfahrens und die Zulässigkeit etwaiger Präklusionsregelungen (c) sowie die Frage, inwieweit eine Unterteilung in weitere Verfahrensabschnitte notwendig sei (d). (a) Beschränkung des Kontrollumfangs auf Umweltrechtsverletzungen? Die in den §§ 17 Abs. 3 S. 3 sowie 19 Abs. 2 S. 6 StandAG vorgenommene Verweisung auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz erweitert zwar einerseits den Kreis der Klageberechtigten.1645 Andererseits stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich dadurch Einschränkungen hinsichtlich der Rügefähigkeit bestimmter Rechtsverletzungen ergeben. Unproblematisch gestaltet sich die Situation bei Klagen nach § 19 Abs. 2 S. 6 StandAG. Kontrollmaßstab dieser Rechtsbehelfe ist das gesamte objektive Recht ohne Restriktionen auf umweltbezogene Rechtsvorschriften. Die Prüfung enthält eine UVP-pflichtige Entscheidung über ein Vorhaben i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG.1646 Zudem besteht eine von § 2 Abs. 1 Nrn. 1, 3 lit. a UmwRG geforderte Beteiligungsberechtigung für Verbandskläger durch § 7 StandAG. 1643 Vgl. zum Zeitbedarf der verschiedenen Verfahrensphasen die Ausführungen in Abschnitt D. II. 2. c) sowie bei Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016. 1644 Das Bundesverfassungsgericht „konturiert“ in der Garzweiler-Entscheidung den Gewährleistungsgehalt der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie, vgl. Moench/Ruttloff, NVwZ 2014, S. 897, 898; BVerfGE 134, 242 Ls. 4 – Garzweiler. Inwieweit die dort genannten Anforderungen auch für Rechtsschutz gegen andere Rechtspositionen bzw. Verfahrensrechte gelten, ist offen. Für eine weite Auslegung der Garzweiler-Vorgaben im Hinblick auf den Rechtsschutz des NABEG, vgl. Schlacke, FS Jarass, S. 379, 381 f. 1645 Vgl. Abschnitt D. IV. 2. c) aa) (2) und d) bb) (1) (b). 1646 Diese Rügebefugnis und Kontrollmaßstab gelten für alle Rechtsbehelfsgegenstände die Art. 9 Abs. 2 AK abbilden, vgl. Schlacke, EurUP 2018, S. 127, 132; zur Kategorisierung in „alte Art. 9 Abs. 2 AK-Gegenstände“ und „neue Art. 9 Abs. 3 AK-Gegenstände“, vgl. a. a. O. S. 130 mit diesbezüglicher Kritik S. 139 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Für den Zwischenrechtsschutz fällt die Einschätzung schwieriger. Die Auswahl der Standorte für eine untertägige Erkundung ist lediglich eine SUP-pflichtige Vorplanung.1647 Damit entspricht der im StandAG vorgesehene Zwischenrechtsschutz dem Rechtsbehelfsgegenstand in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG.1648 Aus diesem Umstand sowie der ausdrücklichen Gleichstellung von Gemeindeeinwohnern und Gebietskörperschaften mit den Umweltverbänden könnte man folgern, dass die Restriktionen des § 2 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UmwRG1649 für Entscheidungen über Pläne und Programme gelten.1650 Demnach wären die Kläger auf die Rüge von Verletzungen umweltbezogener Rechtsvorschriften i. S. d. § 1 Abs. 4 UmwRG beschränkt.1651 Diese Deutung widerspricht allerdings der Intention des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck der im StandAG 2017 gewählten Rechtsschutzkonzeption.1652 Mit dem Zwischenrechtsschutz ist eine Abschichtung des Streitstoffes beabsichtigt. Dies soll nicht nur eine Komplexitätsreduktion des Verfahrensstoffes bewirken, sondern zugleich auch das Vertrauen in und die Akzeptanz für das Verfahren der Standortauswahl stärken.1653 Eine eingeschränkte Überprüfbarkeit würde die Effektivität einer als umfassende regionale Interessentenklage konzipierten Rechtsschutzoption erheblich beeinträchtigen. Sofern die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und deren gesamte Bevölkerung im Interesse der Akzeptanzgewinnung zu Wächtern der Rechtmäßigkeit des Verfahrens erhoben werden sollen, erscheint die Unterscheidung zwischen umweltbezogener und sonstiger materieller Rechtmäßigkeit widersinnig und sachfremd.1654
1647
Die SUP-Pflicht ergibt sich aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Anlage 5 Nrn. 1.15 und 1.16 UVPG; vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 52 f., 59; vgl. auch die Ausführungen zum Verfahren in Abschnitt D. III. 1. c) bb) (2). 1648 S. a. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 103; für eine fokussierte Darstellung des Verfahrens nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG, vgl. Schlacke, EurUP 2018, S. 127, 133 ff.; ausführlich Durner, EurUP 2018, S. 142 ff. 1649 Näher zur Rügebefugnis nach der Reform des UmwRG im Jahr 2017 Schlacke, NVwZ 2017, S. 905, 908 f. 1650 Vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67; aus den gleichen Gründen kann aufgrund von § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b UmwRG eine materielle Präklusion eintreten, wenn der Kläger sich trotz Gelegenheit hierzu im Rahmen des Beteiligungsverfahrens nach § 7 StandAG nicht zur Sache geäußert hat, vgl. Schlacke, EurUP 2018, S. 127, 135 f. 1651 Näher hierzu Schlacke, EurUP 2018, S. 127, 134 f. 1652 S. a. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 46 f. 1653 Vgl. die Ausführungen zuvor in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (3) mit den dortigen Nachweisen. 1654 S. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67; im Ergebnis ebenso Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 369.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Diese Sichtweise spiegelt sich in der Regelung des § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 UmwRG1655 wider. Demnach bleiben die verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeiten nach dem StandAG unberührt. Die Vorschrift impliziert, dass die Verbandsklagerechte nach dem StandAG eine Erweiterung beinhalten.1656 Folgerichtig stellt § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 letzter Hs. UmwRG ausdrücklich klar, dass solche Programme und Pläne über die durch formelles Gesetz entschieden wird, nicht von seinem Anwendungsbereich umfasst sind.1657 (b) (Kein) Rechtsschutz gegen Fehler im Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung Der Konnex zwischen Rechtsschutz und Akzeptanz steht nicht nur im Rahmen des Zwischenrechtsschutzes nach § 17 Abs. 3 StandAG in Rede. Das Ziel eines Akzeptanzgewinns findet sich weiterhin bei der Argumentation zur Wahl der Legalplanung1658 sowie bei der Konzeption des Beteiligungsregimes.1659 Für den Wert der Öffentlichkeitsbeteiligung wird wiederum der gerichtlichen Durchsetzbarkeit von partizipationsrechtlichen Bestimmungen eine maßgebliche Bedeutung beigemessen.1660 Diskussionswürdig erscheint insoweit, dass die Gesetzesbegründung zum StandAG Fehler bei der Durchführung der Fachkonferenzen Teilgebiete und Rat der Regionen sowie der Regionalkonferenzen ausdrücklich nicht als Verfahrensfehler klassifiziert.1661 Wenn der Gesetzgeber aber – wie im Standortauswahlgesetz geschehen – einen besonderen Schwerpunkt auf die Öffentlichkeitsbeteiligung legt und den Anspruch auf eine „partizipative Wende“ erhebt, sei zu erwarten, dass
1655
Eingefügt durch Art. 1 des Gesetzes v. 29.5.2017, BGBl. I S. 1298. Vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65 sowie die Ausführungen und Nachweise in Fn. 1613. 1657 Vgl. hierzu mit ausdrücklicher Erwähnung der §§ 15 Abs. 3 und 17 Abs. 2 StandAG Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, § 1 UmwRG Rn. 46; allgemein dies., NVwZ 2017, S. 905, 908. 1658 Zum Zusammenhang des „guten Grundes“ der größtmöglichen Legitimation und dem Bestreben nach Akzeptanzgewinn, vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (4). 1659 Zur Bedeutung der Grundsätze eines partizipativen und transparenten Verfahrens zur Akzeptanzgewinnung, vgl. Abschnitte D. III. 1. a) cc) und ee); allgemein zu Funktionen von Bürgerbeteiligung einschließlich einer „Akzeptanzsicherungsfunktion“ Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; zur rechtsstaatlichen Komponente von Öffentlichkeitsbeteiligung als „vorgezogener Rechtsschutz“, vgl. Abschnitt C. IV. 1. a) mit den dortigen Nachweisen. 1660 Vgl. Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83; Peters, DÖV 2015, S. 629, 636; allgemein zu Rechtsfragen bei der Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligung Schlacke, 15. AtomRS, S. 347 ff. 1661 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 55, 57; zur Diskussion Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83; Hocke/Smeddinck, GAIA 2017, S. 125, 126; zum StandAG 2013, vgl. einerseits Bull, DVBl. 2015, S. 593, 600; ders., DÖV 2014, S. 897, 903; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 9 Rn. 66; andererseits Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 284; Herber, BayVBl. 2014, S. 353, 357; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834. 1656
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
durchgreifender Rechtsschutz für das Beteiligungskonzept etabliert und darauf bezogene Verfahrensfehler sanktioniert würden.1662 Gegen eine solch weitreichende Forderung lässt sich allerdings die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens1663 anführen. Das Verwaltungsverfahren – mit dem Bestandteil Öffentlichkeitsbeteiligung – sei lediglich „Verwirklichungsmodus des materiellen Rechts“.1664 Es diene der Gewinnung rechtmäßiger und sachrichtiger Entscheidungen sowie der Sammlung des dazu notwendigen Wissens.1665 Auf diese Weise werde die Verwirklichung des objektiven materiellen Rechts und der subjektiven Rechte Einzelner sichergestellt.1666 Verfahrensfehler im Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligungsvorschriften führen in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren demnach nur zur Rechtswidrigkeit der gesamten Entscheidung, wenn unter Beachtung der §§ 4 UmwRG bzw. 46 VwVfG daraus auch eine materielle Rechtswidrigkeit resultiert.1667 Eine durch diesen Mechanismus unterstellte „Entdisziplinierung“1668 der tätigen Behörden sei im StandAG nochmals dadurch verstärkt, dass schon das Vorliegen eines Verfahrensfehlers nach dem Willen des Gesetzgebers1669 verneint wird.
1662 So etwa Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83; Röscheisen, Anhörung Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 in Berlin, K-Drs. 54, 31.10.2014, S. 2 f.; a. A. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 746. 1663 Vgl. BVerfGE 105, 48, 60 – Rückwirkung im Sozialrecht; aus der Lit.: Hoffmann-Riem, GrdlVwR I, § 10 Rn. 101; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770; Haug/Schadtle, NVwZ 2014, S. 271, 272; im Gegensatz dazu den Eigenwert des Verwaltungsverfahrens betonend Fehling, VVDStRL (70) 2011, S. 278, 281 ff. 1664 Grundlegend Wahl, VVDStRL (41) 1982, S. 151, 153; vgl. auch Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770; Gurlit, JZ 2012, S. 833, 834 f.; Wulfhorst, DÖV 2011, S. 581, 583; Appel, NVwZ 2012, S. 1361. 1665 Vgl. Eiffert, VVDStRL (67) 2008, S. 286, 325 ff.; zur Bedeutung der Informationsbeschaffung bei Partizipationsrechten, vgl. Fehling, VVDStRL (70) 2011, S. 278, 284; Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 489, 490; zu den Funktionen von Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. bereits Abschnitt C. IV. 1. 1666 Vgl. Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 770; daneben kann das Verfahren je nach gesetzlicher Ausgestaltung weiteren Zwecken dienen, z. B. der Förderung der Akzeptanz der getroffenen Sachentscheidung, der Transparenz einschließlich der Nachvollziehbarkeit und Partizipation, vgl. Gurlit, VVDStRL (70) 2011, S. 227, 238 ff.; zu den verschiedenen Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1362; den Eigenwert des Verfahrens betonend Fehling, VVDStRL (70) 2011, S. 278, 281 ff.; für den Eigenwert der Öffentlichkeitsbeteiligung ebenfalls Haug/Schadtle, NVwZ 2014, S. 271, 272 ff. 1667 Zur unionsrechtlichen Konturierung der §§ 4 UmwRG und 46 VwVfG, vgl. EuGH, Rs. C-201/02, ECLI:EU:2004:12, Rn. 57 – Delena Wells; EuGH, Rs. C-72/12, ECLI:EU:2013:712, Rn. 51 ff. – Altrip; EuGH, Rs. C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683, Rn. 47 ff. – Kommission/Deutschland; dazu Ludwigs, NVwZ 2015, S. 1327, 1334; ders., NJW 2015, S. 3484, 3486; allg. zur unionsrechtlichen Genese des § 4 UmwRG und dessen Verhältnis zu § 46 VwVfG, vgl. Schlacke, in: Gärditz (Hrsg.), VwGO, § 4 UmwRG Rn. 4, 9 ff. 1668 Vgl. Haug/Schadtle, NVwZ 2014, S. 271, 274 m. w. N. 1669 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 55, 57.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Sofern man darin ein „nicht aufgelöste(s) Spannungsverhältnis zum UmwRG“1670 sehen will, ist mit der Konzeption der Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlgesetz entgegenzutreten. Diese gliedert sich zum einen in einen „konventionellen“ Teil individueller Öffentlichkeits- und Betroffenenbeteiligung mit Veröffentlichung von Unterlagen, Möglichkeit der Stellungnahme und Erörterungsterminen in allen wesentlichen Phasen des Such- und Auswahlprozesses (§§ 5 bis 7 StandAG). Zum anderen wurde mit dem Fortentwicklungsgesetz zur Betonung des partizipativen und transparenten Charakters eine neuartige „strukturierte“ bzw. „institutionalisierte“ Öffentlichkeitsbeteiligung durch spezielle Gremien (Nationales Begleitgremium, Fachkonferenzen in Teilgebieten, Regionalkonferenzen an den Standorten übertägiger Erkundungen und eine Fachkonferenz Rat der Regionen, vgl. §§ 8 – 11 StandAG) implementiert.1671 Für die unter Rechtsschutzgesichtspunkten durchzuführende verfassungs- und unionsrechtliche Bewertung ist entscheidend, dass die von der Gesetzesbegründung vorgegebene Negierung von Verfahrensfehlern ausschließlich den Bereich der neuartigen, „strukturierten“ Öffentlichkeitsbeteiligung betrifft.1672 Verfahrensfehler im Bereich des § 7 StandAG, die insbesondere die Beteiligungen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung und Strategischen Umweltprüfung umfassen,1673 sind dem herkömmlichen Regime der §§ 4 UmwRG bzw. 46 VwVfG unterworfen und können als Bestandteil des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach den §§ 17 Abs. 3 und 19 Abs. 2 StandAG überprüft werden.1674 Die neuen Beteiligungsformate dienen hingegen im Kontext der partizipativen Verfahrensgestaltung (demokratische Funktion von Öffentlichkeitsbeteiligung)1675 in erster Linie der Herstellung von Beteiligungsbereitschaft und der Information der Bevölkerung.1676 Dabei stellt sich die Herausforderung, dass Kommunikation im Sinne eines guten Projektmanagements weder sinnvoll rechtlich geregelt werden
1670
So etwa Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83; ebenso krit. zur „unscharf(en)“ Regelung Durner, NuR 2019, S. 241, 244. 1671 Zur Unterteilung und begrifflichen Einordnung, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 63; ebenso Durner, NuR 2019, S. 241, 243 f. 1672 I. E. ebenso Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83. 1673 Zu Inhalt und Umfang des § 7 StandAG, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) gg) (3). 1674 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 249. 1675 Zu den unterschiedlichen Funktionen von Öffentlichkeitsbeteiligung als rechtsstaatliche Anforderung einerseits und demokratische Komponente andererseits, vgl. Abschnitt C. IV. 1. 1676 Zum Grundsatz des partizipativen Verfahrens und den Grundsätzen der Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. die Ausführungen in den Abschnitten D. III. 1. a) cc) und gg) (1) sowie Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 39 f., 57 f. 316 ff.; bzw. BTDrs. 18/11398, S. 51 f.; näher zu den Zielen von Partizipation in Abschnitt C. IV. 2.; allgemein zu den „Argumentationsfiguren“ Akzeptanz, Konsens, Transparenz und Partizipation und ihre Einordnung in einen demokratietheoretischen Kontext, vgl. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 569 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
kann, noch sollte.1677 Zur Erhaltung der notwendigen Flexibilität sollte der Gesetzgeber weder ein einzelnes Format, noch eine bis ins letzte Detail bestimmte Architektur der Öffentlichkeitsbeteiligung festschreiben.1678 Die Forderung, dass Fehler im Rahmen der neuen Beteiligungsformate in einem späteren gerichtlichen Verfahren gerügt werden können, um Verfahrensakzeptanz für die Öffentlichkeit zu erreichen, ist somit im Hinblick auf die mangelnde Konkretisierung und Dynamik der Beteiligungsformate nicht weiterführend1679 und überdies weder verfassungsrechtlich1680 noch völker- oder unionsrechtlich geboten. (c) Phasenspezifischer Rechtsschutz und Präklusion Weiterhin verdient die mit dem phasenspezifischen Rechtsschutz einhergehende Abschichtung des Verfahrens eine nähere Untersuchung. Verfassungsrechtliche Kriterien für eine Verfahrensstufung in Form bindender Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können, hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Beschluss zur Investitionszulage1681 im Jahr 2011 aufgestellt. Eine solche Verfahrensstufung sei immer dann zulässig, wenn sich erstens die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde hinreichend klar aus einer gesetzlichen Bestimmung ergibt. Zweitens müsse gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stehen. Schließlich dürfe drittens die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für die Betroffenen nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden werden und müsse zudem klar erkennbar sein.1682 Die ersten beiden Voraussetzungen werden mit der Klarstellung in § 19 Abs. 2 S. 4 StandAG sowie der verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeit in § 17 Abs. 3
1677 Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 746; ders., in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 9 Rn. 66; Stender-Vorwachs, NdsVBl. 2015, S. 153 155; Dolde, NVwZ 2013, S. 769, 771; allgemein zu den Vorteilen informellen Verwaltungshandelns mit Blick auf die sinkende Steuerungsfähigkeit traditionellen Ordnungsrechts Fehling, GrdlVerwR II, § 38 Rn. 46, 51. 1678 Vgl. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 746; ders., in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 9 Rn. 65; Renn/Köck/Schweizer u. a., ZUR 2014, S. 281, 284; i. d. R. auch BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 25. 1679 S. a. Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744, 746; ders., in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 9 Rn. 66; a. A. Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83; Peters, DÖV 2015, S. 629, 636; allgemein zur Überlastung der Rechtsschutzfunktion und zur Verfehlung der Zielbestimmung des Verwaltungsverfahrens bei der Verrechtlichung von Beteiligung Rossen-Stadtfeld, GrdlVerwR II, § 29 Rn. 44. 1680 Prägnant zur fehlenden verfassungsrechtlichen Verankerung erweiterter Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 569. 1681 BVerfGE 129, 1 – Investitionszulage. 1682 BVerfGE 129, 1, 32 f. – Investitionszulage; E 134, 242, 300 Rn. 193 – Garzweiler; aus der Lit.: Moench/Ruttloff, NVwZ 2014, S. 897, 898.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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StandAG erfüllt.1683 Das dritte Kriterium stellt Anforderungen an die Ausgestaltung einer etwaigen Präklusionsregelung. Der Zulässigkeit solcher Regelungen könnte bereits entgegenstehen, dass der EuGH in seinem Urteil vom 15. Oktober 20151684 materielle Präklusionsanordnungen im nationalen Recht für unionsrechtswidrig erklärt hat.1685 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Entscheidung des EuGHs zum konzentrierten Rechtsschutz erging. Bei Präklusionsvorschriften in phasenspezifischen Modellen soll jedoch nicht das Unterlassen von Einwendung durch den Kläger im Verwaltungsverfahren sanktioniert werden. Vielmehr steht bei einer Abschichtung des Streitstoffs durch die Verfahrensstufung die Nichterhebung einer möglichen Klage gegen die vorgelagerte Entscheidung „unter Strafe“.1686 Die Erwägungen des EuGH lassen sich somit nicht ohne weiteres auf den phasenspezifischen Rechtsschutz übertragen,1687 so dass eine Präklusionsvorschrift, die auf die Verwirkung von Einwendungen wegen der Nichterhebung von Rechtsbehelfen gegen vorgelagerte Entscheidungen zielt, mit dem Unionsrecht vereinbar sein sollte.1688 Für das Standortauswahlgesetz handelt es sich bei dieser Frage allerdings um ein Scheinproblem. Eine Präklusionsregel ist für den Zwischenrechtsschutz nicht vorgesehen.1689 Angesichts der Tatsache, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch mehrere Standorte im Auswahlprozess befinden, ließe sich eine solche Klage gegen eine „nur hypothetische spätere Standortfestlegung“1690 auch nicht rechtfertigen und würde überdies dem Wunsch nach Akzeptanzsteigerung diametral zuwider laufen.
1683
S. a. Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461. EuGH, Rs. C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683 – Kommission/Deutschland; vgl. dazu Ludwigs, NJW 2015, S. 3484, 3486; Beier, UPR 2016, S. 48, 50 f.; Franzius, UPR 2016, S. 281 ff. 1685 EuGH, Rs. C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683, Rn. 75 ff. – Kommission/Deutschland; der deutsche Gesetzgeber hat deshalb mit Gesetz v. 29.5.2017 (BGBl. I S. 1298, 1302) § 2 Abs. 3 UmwRG a. F. aufgehoben und weitere Änderungen in Fachgesetzen veranlasst; näher hierzu Schlacke, NVwZ 2017, S. 905, 909 f. m. w. N.; zur nach dem UmwRG 2017 vorgesehenen materiellen Präklusion bei Verfahren gegen SUP-pflichtige Programme und Pläne, vgl. dies., EurUP 2018, S. 127, 135 f. 1686 Anders Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 138. 1687 Vgl. Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 459. 1688 Hierfür spricht auch, dass der EuGH im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK materielle Präklusionsregeln nunmehr grundsätzlich zulässt, vgl. EuGH, Rs. C-664/15, ECLI:EU:C:2017:987, Rn. 86 ff. – Protect; näher hierzu Ludwigs, NVwZ 2018, S. 1417, 1422; Wegener, ZUR 2018, S. 217, 221 f.; Epiney, EurUP 2018, S. 204, 206 f.; Schlacke, NVwZ 2017, S. 905, 909. 1689 Krit. hierzu Schlacke, 15 AtomRS, S. 347, 367, 373; vgl. weiterhin dies., ZUR 2017, S. 456, 461; a. A. noch zur Regelung des § 17 Abs. 4 StandAG 2013 Posser, FS Dolde, S. 251, 271 f. 1690 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 138. 1684
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
(d) Notwendigkeit weiterer Verfahrensphasen? Für den Zwischenrechtsschutz in § 17 Abs. 3 StandAG wurde bereits herausgearbeitet, dass vorgeschalteter verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz mit einer Reduktion des Konfliktstoffes einher geht und damit abschnittsweise Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herstellen kann.1691 Es überrascht daher nicht, dass bei der Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes in der Rechtsschutzperspektive weitere Stufungen diskutiert wurden.1692 Eine der Grundfragen phasenspezifischer Rechtsschutzmodelle ist daher, auf welcher Ebene die Einlegung von Rechtsbehelfen ermöglicht werden soll, wenn gerade noch nicht klar ist, welche Grundrechts- oder Umweltrechtspositionen von der letztendlichen Sachentscheidung betroffen sind.1693 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage nicht abschließend beantwortet. Naheliegend erscheint es auf den Grad der Beeinträchtigung klägerischer Rechtspositionen abzustellen, die auch bereits durch faktisch irreversible Vorentscheidungen betroffen sein können.1694 Vor diesem Hintergrund sind die im StandAG 2017 vorgenommenen Rechtsschutzabschnitte angemessen. Erst mit der untertägigen Erkundung gehen gravierende Eingriffe in eigentumsrechtliche Positionen1695 einher,1696 wohingegen die mit der übertägigen Standortuntersuchung verbundenen Maßnahmen keine nachhaltig nachteiligen Auswirkungen auf die Grundstückssubstanz haben werden.1697 1691 Vgl. bereits die vorherigen Ausführungen in Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (3) sowie Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461; allgemein zum Rechtsschutz als Element demokratischer Kontrolle der Verwaltung Rehbinder, EurUP 2018, S. 61,70; Franzius, UPR 2016, S. 281, 282 f.; Groß, VERW (43) 2010, S. 349, 371. 1692 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 384; der BUND befürwortet Klagemöglichkeiten zum Abschluss einer jeden Verfahrensphase (BUND, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 14.4.2016), während sich Röscheisen und Däuper allgemein für weitere Rechtsschutzoptionen zur Akzeptanzsteigerung aussprechen (vgl. Endlagerkommission, Auswertung der Anhörung „Evaluierung des StandAG“, K-Drs. /AG2 – 4a, 29.1.2015, S. 5, 7). Die Forderung des BUND gründet auf der – hier nicht geteilten – Auffassung, dass die Legalentscheidungen zu den übertägig zu erkundenden Standorten eine Überprüfung der bisherigen Verfahrenshandlungen ausschließt, vgl. Kroll, Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsschutzes in § 19 Abs. 2 (neu), K-Drs. 210, 12.4.2016, S. 5 f., 8 f. 1693 Vgl. Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 460; im Kontext des NABEG Moench/Ruttloff, NVwZ 2014, S. 897, 900; krit. zum Rechtsschutz des NABEG Schink, FS Jarass, S. 483, 499 f. 1694 Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 457; begrifflich ergibt sich hier eine Nähebeziehung zu den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an frühzeitigen Rechtsschutz, vgl. BVerfGE 134, 242, 311, 351 – Garzweiler mit Verweis auf BVerfGE 37, 150, 153; E 93, 1, 13 – Kruzifix. 1695 Zu denken ist neben Enteignungen an die Duldung der Inanspruchnahme von Grundstücken für Bohrungs- und Ausschachtungsmaßnahmen. 1696 Die Gesetzesbegründung spricht daher von einer „wesentlichen Zäsur“, vgl. BTDrs. 17/13471, S. 27. 1697 Zur Sicherstellung der oberirdischen Erkundungen werden in erster Linie Grundstücksbetretungen zu Vermessungsarbeiten sowie Boden- und Gewässerproben erforderlich sein, welche über die Duldungspflicht aus § 9f AtG zwangsweise durchgesetzt werden können,
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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cc) Bewertung Das Standortauswahlgesetz steht in seiner Fassung aus dem Jahr 2017 für eine im Infrastrukturrecht neuartige Weise des phasenspezifischen Rechtsschutzes.1698 Hierzu kombiniert es Elemente sowohl des Individual- als auch des überindividuellen Rechtsschutzes. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive wäre eine derartige Ausgestaltung nicht zwingend erforderlich gewesen. Der gegen Legalplanungen verfassungsprozessual offenstehende Rechtsschutz genügt bereits grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen.1699 Lediglich die absehbar generationenübergreifende Dauer1700 der Endlagersuche lässt daran zweifeln, ob ein an die gesetzliche Standortfestlegung anschließendes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die im Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG enthaltenen Anforderungen frühzeitigen Rechtsschutzes erfüllen würde. Auch den unions- und völkerrechtlichen Rechtsschutzerfordernissen genügt das Standortauswahlgesetz.1701 In einer isolierten Betrachtung wären hierzu allerdings auch andere Lösungswege offen gestanden.1702 Der Gesetzgeber hat sich in einer „überschießenden politischen Wertentscheidung“ für eine Ausgestaltung als „umfassende regionale Interessentenklage“ entschieden.1703 Dies wird auch am Umfang der Nachprüfbarkeit deutlich. Mit der Verweisung auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz sind nach § 2 Abs. 4 UmwRG1704 Rechtsbehelfe begründet, wenn die Standortfestlegung gegen Rechtsvorschriften bzw. umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Auf diese Weise können auch solche Belange gerügt werden, die dem Schutz künftiger Generationen dienen. Und dies gerade ohne dass es notwendig
vgl. Keienburg, atw 2014, S. 571, 576; a. A. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 15 StandAG Rn. 5, der mit auch für Entscheidung zur übertägigen Erkundung eine enteignungsrechtliche Vorwirkung annimmt (näher hierzu in Abschnitt D. IV. 3. b)). 1698 Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 461; für ein „neuartiges Rechtsschutzformat“ und eine „Rechtsschutzkonzeption sui generis“, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 17 StandAG Rn. 15. 1699 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 378. 1700 Im Rahmen des 19. Aachener Altlasten- und Bergschadenkundlichen Kolloquiums prognostiziert Frank Chalier eine Standortfestlegung „nicht vor dem Jahr 2060“, vgl. Ohlenforst, ZNER 2018, S. 309, 312. 1701 A. A. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 52 ff., 55, der eine partielle Beeinträchtigung des von Art. 9 Abs. 2 AK, Art. 11 Abs. 1 UVPRL sowie Art. 9 Abs. 3 AK garantierten effektiven Rechtsschutzes konstatiert. 1702 S. die Ausführungen in Abschnitt D. IV. 2. d) aa) sowie bb) (3). 1703 Zu den Begriffen, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65, 70; a. A. in der Würdigung aber ähnlich Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 372 f. 1704 § 113 VwGO ist insofern nicht anwendbar, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 68
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
ist, die Betroffenheit in subjektiven Rechten nachweisen zu müssen.1705 Insofern ist das Standortauswahlgesetz auch in der Rechtsschutzperspektive eine „Gesetz des Nachweltschutzes par excellence“.1706 Mit den §§ 17 Abs. 3 und 19 Abs. 2 sowie weiteren verwaltungsgerichtlichen Klagerechten1707 bietet das StandAG 2017 eine Fülle an Rechtsschutzoptionen, die eine Gefahr von Verzögerungen und den Rückfall in frühere Verfahrensstufen mit sich bringen.1708 Ähnlich wirkt die Erweiterung des Nachprüfungsumfangs.1709 Prima facie beinhaltet diese Rechtsschutzgestaltung einen Widerspruch zum Ziel, die Endlagerfrage noch in dieser Generation zu beantworten. Allerdings kann der Zugriff auf zusätzliche judikative Bewertungen die Akzeptanz für das gesamte Suchverfahren fördern, da Gerichte aus Sicht der atomkritischen Bürgerbewegungen eine positive Rolle in der Geschichte der Atomwirtschaft gespielt haben.1710 Es erscheint daher vielmehr konsequent, dass mit der aus Legitimationsaspekten gewählten Form der Legalplanung1711 keine gravierend eingeschränkte Wehrfähigkeit der Betroffenen einhergeht. Vor diesem Hintergrund ist das im StandAG 2017 etablierte phasenspezifische Rechtsschutzmodell nicht nur verfassungs- und unionsrechtlich zulässig, sondern auch aus rechtspolitischer Perspektive zu begrüßen.1712
1705 Zur fehlenden subjektiv-rechtlichen Ausprägung des Nachweltschutzes, vgl. ausführlich in Abschnitt D. II. 1. c) dd). 1706 Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 68. 1707 Diese bestehen gegen behördliche Gestattungen und Erlaubnisse im Rahmen von Erkundungsmaßnahmen, vgl. Jäger, Übersicht zu Rechtsmitteln im Rahmen des Standortauswahl- und Genehmigungsverfahrens, K-Drs./AG2 – 27, 14.12.2015. 1708 Zutreffend weist Däuper darauf hin, dass ein möglicher Zeitverzug durch Klagen anhand der Dimension der Aufgabe von untergeordneter Bedeutung sein dürfte, vgl. Endlagerkommission, Auswertung der Anhörung „Evaluierung des StandAG“, K-Drs. /AG2 – 4a, 29.1.2015, S. 7. 1709 Gleichwohl wird der Umfang der materiellen Nachprüfbarkeit durch die der Exekutive im Bereich des Atomrechts zustehenden Beurteilungsspielräume wieder begrenzt. 1710 Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 205; Roose, in: Feindt/Saretzki (Hrsg.), Umwelt- und Technikkonflikte, 2010, S. 79, 91; Winter, ZfU 2012, S. 209, 227. 1711 BT-Drs. 17/13471, S. 30. 1712 Krit. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 56 ff., 66, der die Entwicklung eines spezifischen Fehlerfolgenrechts für das StandAG anregt; dies nicht für nötig erachtend Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 125 ff., 138 f.; krit. mit Blick auf das Fehlen einer materiellen Präklusionsregelung Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 373 f.
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e) Zusammenfassung Das StandAG 2013 fand sich im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG,1713 vor allem aber aus unionsrechtlicher Sicht,1714 erheblicher Kritik ausgesetzt. Nach der Modifizierung des Rechtsschutzsystems durch das Fortentwicklungsgesetz im StandAG 2017 ist diese Kritik verstummt.1715 Aus einem unterstellten Rechtsschutzdefizit entwickelte sich im Vergleich zum klassischen Infrastrukturrecht eine Potenzierung der Klagemöglichkeiten. Der Fokus der Diskussion hat sich folgerichtig verlagert. Er liegt nunmehr auf den neuartigen Elementen des phasenspezifischen Rechtsschutzes und deren Reichweite,1716 der Kombination von subjektiven und überindividuellen Rechtsschutzelementen sowie einer möglichen Übertragbarkeit auf andere Einsatzbereiche.1717 3. Enteignungen im Standortauswahlverfahren Die besondere Relevanz der zuvor erörterten Rechtsschutzfragen steht aus verfassungsrechtlicher Perspektive in engem inhaltlichen Zusammenhang zur Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.1718 Einerseits können private Vorhabenträger unter Berufung auf das Eigentumsgrundrecht einen Anspruch auf Projektzulassung er-
1713
Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 295 ff.; ders., ZNER 2013, S. 132, 134 f.; zuletzt ders., Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 43 ff. 1714 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127 ff.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1138 f. 1715 Ähnlich Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 15 StandAG Rn. 5; dies bedeutet jedoch nicht, dass die Thematik „Rechtsschutz“ aus dem Fokus getreten ist, vgl. nur Ewer/ Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019; Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019; Gärditz, FS Erbguth, S. 479 ff. 1716 Vgl. etwa Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 353 ff.; 357 ff. 1717 Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 460 f.; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 65 ff.; in diese Richtung auch Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 497 ff.; das Potenzial für Verbandsklagen im Atomrecht prognostizierend Schlacke, 14. AtomRS, S. 159, 186; für Ansätze im Bergrecht, vgl. Dammert/Brückner, ZUR 2017, S. 469, 470 ff.; allgemein zum Infrastrukturrecht Ludwig, ZUR 2017, S. 67, 69. 1718 So hat das BVerfG den bei der Legalplanung verkürzten Rechtsschutz im Kontext von Art. 14 GG erörtert, vgl. BVerfGE 95, 1, 21 f. – Stendal; näher hierzu in Abschnitt D. IV. 2. a); zum Zusammenspiel von Rechtsschutz und Eigentumsentzug, vgl. auch BVerfGE 134, 242, 306, 310 f. – Garzweiler; näher hierzu Kühne, NVwZ 2014, S. 321, 325; Masing, EurUP 2016, S. 343, 348 ff.; Beier, DÖV 2015, S. 309 ff.; in Bezug auf den Energieleitungsbau Thon, Beschleunigung energierechtlicher Leitungsvorhaben durch Parallelführung von Planfeststellungs- und Enteignungsverfahren, 2016, S. 80 f.; vgl. weiterhin Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 296 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
streiten.1719 Andererseits lassen sich Infrastrukturprojekte und andere gemeinwohlbezogene, raumbedeutsame Vorhaben vielfach nur unter Inanspruchnahme privaten Eigentums verwirklichen.1720 Der effektive Grundrechtsschutz der von einem Vorhaben Betroffenen ist durch die verfahrensrechtliche Gestaltung des Zulassungsrechts zu bewirken,1721 welche im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.1722 Die nachfolgende Untersuchung des Standortauswahlverfahrens zur Vereinbarkeit mit Art. 14 GG hat aber nicht etwa die Grundrechtspositionen eines privaten Vorhabenträgers1723 zum Gegenstand.1724 Vielmehr steht die Rechtsfigur der enteignungsrechtlichen Vorwirkung1725 im Vordergrund. Die Planung infrastruktureller Großvorhaben birgt gerade deshalb komplexe Anforderungen an das Planungsverfahren, da projektbezogene Raumnutzungsentscheidung gleichzeitig andere Raumnutzungsinteressen verbindlich ausschließen können.1726 Neben Aspekten der
1719 Vgl. hierzu BVerfGE 143, 246 Rn. 215 ff. – Atomausstieg; grundlegend zum aus Art. 14 GG abgeleiteten Anspruch auf Projektzulassung Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987, S. 159; weiterhin Schink, ZG 2011, S. 226, 247; Burgi, NVwZ 2012, S. 277, 278 1720 Vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 35; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 262; Paetow, FS Sellner, S. 509, 512; Kühne, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. ATRS, S. 361, 371; Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 559; s. a. Bernhard Stüer in seinem Geleitwort zu Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 5; konkret zur Standortsuche Keienburg, atw 2014, S. 571, 575 f. 1721 Vgl. BVerfGE 53, 30, 65, 72 f. – Mühlheim-Kärlich; E 69, 315, 355 f. – Brokdorf; grundlegend zum status activus processualis, vgl. Häberle, VVDStRL (30) 1972, S. 43, 86 ff. 1722 Vgl. BVerfGE 24, 367, 401 f. – Deichordnung; aus der Lit.: Papier/Shirvani, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 664; näher zum Grundsatz effektiven Rechtsschutzes als wesentliches Element der Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, BVerfGE 45, 297, 322 – Hamburger U-Bahn; Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 127, 748. 1723 Vorhabenträger der Endlagersuche ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Da die Bundesrepublik Deutschland deren Alleingesellschafter ist, kann sich die BGE nicht auf Grundrechte berufen; näher zur BGE in Abschnitt D. III. 2. b) cc); zur Grundrechtsberechtigung staatlich beherrschter Unternehmen, vgl. Ludwigs/Friedmann, NVwZ 2018, S. 22 ff.; Huber, FS Schmidt-Preuß, S. 87 ff. 1724 Vgl. hierzu BVerfGE 143, 246 Rn. 215 ff. – Atomausstieg; zum aus Art. 14 GG abgeleiteten Anspruch auf Projektzulassung, vgl. grundlegend Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987, S. 159; weiterhin Schink, ZG 2011, S. 226, 247; Burgi, NVwZ 2012, S. 277, 278; zu den verschiedenen Konstellationen von Eigentumsbetroffenheit bei der Realisierung von Großvorhaben, vgl. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 556 f. 1725 Zur Entwicklung der Rechtsfigur in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 45, 297, 319 f. – Hamburger U-Bahn; E 56, 249, 264 – Gondelbahn; E 74, 264, 282 – Boxberg; E 95, 1, 21 f. – Stendal; BVerwGE 85, 44 50; E 90, 96, 102; instruktiv zum Begriff Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 53 ff.; vgl. weiterhin Steinberg/ Wickel/Müller, Fachplanung, 2012, § 4 Rn. 137 f.; Eichberger, FS Steiner, S. 152, 155 ff.; Paetow, FS Sellner, S. 509, 512 f.; Jarass, DVBl. 2006, S. 1329 ff. 1726 S. a. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 551.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Rechtsstaatlichkeit und Legitimation1727 hat eine solche Planung auch den Aspekt der Rechtssicherheit zu gewährleisten.1728 Dies kann mittels Elementen, welche die Durchsetzung des Vorhabens begünstigen (z. B. Konzentrationswirkung und Präklusion bei Planfeststellungsbeschlüssen) oder durch eine enteignungsrechtliche Vorwirkung erreicht werden.1729 Als Ausgangspunkt für die Prüfung ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit wird zunächst diese Figur näher erläutert und zum Begriff der Legalenteignung abgegrenzt (a). Im Anschluss gilt es, den Ansatzpunkt der enteignungsrechtlichen Vorwirkung im Standortauswahlverfahren zu identifizieren (b). Zum Abschluss sollen ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen im Legalplanungsverfahrens herausgearbeitet (c)1730 und hinsichtlich der Standortsuche gewürdigt werden. a) Begriff und Abgrenzung zur Legalenteignung Das maßgebliche Charakteristikum der bei der Standortsuche vorgesehenen Legalplanung ist, dass wesentliche Zwischenschritte sowie die abschließende Standortentscheidung durch Parlamentsgesetz getroffen werden. Bei etwaigen Beeinträchtigungen von eigentumsrechtlichen Positionen1731 handelt es sich aber nicht schon alleine deshalb um eine Legalenteignung.1732 Diese ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass ein Gesetz selbst und unmittelbar mit seinem Inkrafttreten ohne weiteren Vollzugsakt individuelle Rechte entzieht, die einem bestimmbaren Personenkreis nach dem bis dahin geltenden Recht zustanden.1733 Für das Verfahren der Standortauswahl gilt es zu beachten, dass ein potenzieller Eigentumsentzug aber nicht unmittelbar mit den Planungsgesetzen, sondern erst 1727
Zu diesen Aspekten vgl. bereits die Diskussion zum „guten Grund“ i. S. d. StendalRechtsprechung in Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (3) und (4). 1728 Zur Bedeutung von Rechtssicherheit bei Planungsentscheidungen, vgl. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 318 ff.; Saurer, DVBl. 2012, S. 1082, 1086. 1729 S. a. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 552. 1730 Das Bundesverfassungsgericht hat Kriterien für die Zulässigkeit einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung zunächst für Planfeststellungsbeschlüsse aufgestellt, vgl. BVerfGE 45, 297, 319 f. – Hamburger U-Bahn; E 56, 249, 264 f. – Gondelbahn; E 74, 264, 265 – Boxberg; zur Übersicht zentraler Rechtsprechungsentscheidungen im Kontext der enteignungsrechtlichen Vorwirkung, vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 166 ff. im StendalBeschluss hat es weitere Voraussetzungen für eine zulässige enteignungsrechtliche Vorwirkung bei Legalplanungen benannt, vgl. BVerfGE 95, 1, 21 f. – Stendal. 1731 Für eine beispielhafte Aufzählung, vgl. Keienburg, atw 2014, S. 571, 575 f.; Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 134. 1732 Grundlegend zum Begriff der Legalenteignung und deren Zulässigkeit Schenke, FS Wendt, S. 403 ff.; a. A. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 189, der Legalenteignung und Legalplanung gleichsetzt. 1733 BVerfGE 31, 275, 281 – Anneliese Rothenberger; E 45, 297, 325 f. – Hamburger UBahn; E 52, 1, 27 – Kleingarten; E 95, 1, 21 – Stendal; vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 2013, S. 211.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
aufgrund eines nachgeschalteten Verfahrens gemäß § 9d AtG erfolgt.1734 Nichtsdestotrotz entscheidet schon die verbindliche Standortentscheidung (Inkrafttreten des Standortfestlegungsgesetzes) endgültig, welche konkreten Grundstücke von dem Vorhaben betroffen sein können.1735 Dieser Entscheidung ist der spätere Entzug oder die Belastung des fremden Eigentums bereits inhärent.1736 Durch die planerische Inanspruchnahme entsteht im Verfahren der Standortauswahl die enteignungsrechtliche Vorwirkung. Diese für Planfeststellungsbeschlüsse im Infrastrukturrecht nicht ungewöhnliche Rechtsfigur1737 setzt einen gestuften Verfahrensablauf voraus. Die dem (administrativen) Enteignungsverfahren vorangehende Zulassungsentscheidung stellt nicht nur die Zulässigkeit des Vorhabens an sich fest, sondern beinhaltet auch eine Entscheidung über die Zulässigkeit der für die Verwirklichung des Vorhabens nachfolgenden Enteignungen.1738 Im Enteignungsverfahren darf die grundsätzliche Zulässigkeit der konkreten Enteignungsmaßnahme nicht mehr in Frage gestellt werden.1739 Der Enteignungsbehörde verbleibt lediglich die Befassung mit den Modalitäten der Eigentumsentziehung, wie z. B. die Entschädigungshöhe oder die Ausweisung von Ersatzland (das „Wie“ der Enteignung).1740 Auf diese Weise wird das nachfolgende Enteignungsverfahren um eigene Ermittlungen der Enteignungsbehörde zur Zulässigkeit der Enteignung entlastet, wodurch die faktische Verwirklichung des Vorhabens eine Beschleunigung erfährt. Der Vorhabenträger erlangt bereits mit den Planungsgesetzen die Sicherheit auf die benötigten fremden Grundstücke zugreifen zu können.1741 Charakteristisch ist für die enteignungsrechtliche Vorwirkung somit, dass sich die Enteignung in zwei Stufen vollzieht. In einer ersten Stufe wird die Zulässigkeit des Vorhabens durch Planfeststellungsbeschluss oder Planungsgesetz festgestellt. Zeitlich ggf. erheblich nachgelagert erfolgt in einem zweiten Schritt das konkrete ad-
1734
S. a. Wollenteit, ZNER 2013, S. 132, 134 f. Vgl. BVerfGE 45, 297, 319 f. – Hamburger U-Bahn; E 56, 249, 264 f. – Gondelbahn; E 74, 264, 282 – Boxberg; E 95, 1, 22 – Stendal. 1736 Vgl. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 652; Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 73. 1737 Für eine Übersicht von Normen, welche bei verschiedenen Fachplanungen die enteignungsrechtliche Vorwirkung anordnen, vgl. Eichberger, FS Steiner, S. 152, 159. 1738 Vgl. Gaentzsch, FS Sendler, S. 403, 406; ausführlich zu den Umschreibungen des Inhalts der Rechtsfigur Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 58 ff. 1739 BVerwG, NVwZ 2009, S. 333 Rn. 10; vgl. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 652; Paetow, FS Sellner, S. 509, 512 f.; Rietzler, NVwZ 2011, S. 333, 334. 1740 Vgl. Ramsauer/Wysk, in: Kopp/Ramsauer (Hrsg.), VwVfG, § 75 Rn. 21; Paetow, FS Sellner, S. 509, 512; für die atomrechtliche Regelung in § 9e Abs. 2 S. 2 AtG, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 9; bei der Bestimmung des Entschädigungswerts ist allerdings auf den vorverlagerten Zeitpunkt abzustellen. Deshalb von einer „entschädigungsrechtlichen Vorwirkung“ sprechend Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 69. 1741 Ähnlich für Verfahren der Planfeststellung Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/ Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 75 Rn. 32. 1735
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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ministrative Enteignungsverfahren.1742 Die wesentlichen materiell-rechtlichen Enteignungsvoraussetzungen (das „Ob“ der Enteignung) sind allerdings bereits auf der ersten Stufe geprüft und festgestellt.1743 Dieser Umstand hat entscheidende Konsequenzen für den Rechtsschutz enteignungsbetroffener Grundeigentümer.1744 Aufgrund der Bindungswirkung für das nachfolgende Enteignungsverfahren stellt schon der Planfeststellungsbeschluss bzw. das Planungsgesetz den bestimmenden Eingriff in das Eigentum dar, so dass bereits auf dieser Stufe umfassender Rechtsschutz gewährt und den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG Rechnung getragen werden muss.1745 b) Die enteignungsrechtliche Vorwirkung im Verfahren der Standortsuche Um die konkrete Zulässigkeit der enteignungsrechtlichen Vorwirkung beurteilen zu können, ist zunächst zu klären, an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt im Verfahren der Standortsuche solche Wirkungen entstehen. Bei einer Analyse des Standortauswahlgesetzes fällt der Blick auf die Vorschrift des § 12 Abs. 1 StandAG, die u. a. auf die atomrechtlichen Duldungs- und Enteignungsvorschriften1746 Bezug nimmt.1747 Eine enteignungsrechtliche Vorwirkung kann dieser Verweisung1748 an sich jedoch ebenso wenig entnommen werden wie den in Bezug genommenen Zielvorschriften.1749 Die rechtlichen Auswirkungen der enteignungsrechtlichen 1742
Vgl. Keienburg, atw 2014, S. 571, 576. Vgl. Rietzler, NVwZ 2011, S. 333, 334; Eichberger, FS Steiner, S. 152, 158 f.; Paetow, FS Sellner, S. 509, 512 f.; Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 73. 1744 Die Bindungswirkung des Planungsgesetzes führt dazu, dass Betroffene Einwendungen gegen das Vorhaben im Enteignungsverfahren nicht mehr erheben können. Ein inzidenter Rechtsschutz ist damit ausgeschlossen, vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 669 f.; Stüer, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 21, 40, 42; a. A. Schneller, ZG 1998, S. 179, 190. 1745 S. a. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 652; Rietzler, NVwZ 2011, S. 333, 334; vgl. auch in Abgrenzung zum Bebauungsplan Papier, FS Hoppe, S. 213, 225 f. 1746 Näher zum Inhalt der §§ 9d – 9f AtG sowie § 9g Abs. 3 – 5 AtG in Abschnitt D. III. 2. d). 1747 Zur Verfassungsmäßigkeit der wortgleichen Vorschrift des § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG, vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 15. 1748 Dass es sich bei § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG um eine statische Verweisung handelt (s. a. Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 15), zeigt bereits die mit dem Fortentwicklungsgesetz (BGBl. I 2017, S. 1074, 1676) vorgenommene Änderung der Verweisungsadresse von „§§ 9d bis 9g“ in „§§ 9d bis 9f sowie 9g Absatz 3 bis 5“ AtG; zur Unterscheidung von statischer und dynamischer Verweisung, vgl. BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, Teil B Rn. 239 ff., 243 ff. 1749 Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135; Posser, FS Dolde, S. 251, 275; a. A. wohl John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 9, hinsichtlich des über § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG in Bezug genommenen § 9e Abs. 2 S. 2 AtG; zur Komplementarität der Begriffe „enteignende“ 1743
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Vorwirkungen verlangen vielmehr bereits eine parzellenscharfe Abgrenzung des Enteignungsgegenstandes.1750 Eine hinreichend genaue Bestimmung der individuellen Betroffenheit ist essenzielle Voraussetzung, Rechtsschutzmöglichkeiten bereits auf dieser Stufe wahrnehmen zu können. Den genannten Vorschriften als allgemeinen Gesetzen kann diese naturgemäß nicht entnommen werden.1751 In den Fokus rücken daher die auf Grundlage des StandAG zu ergehenden gesetzlichen Entscheidungen über die Standortregionen zur übertägigen Erkundung, über die Standorte zur untertägigen Erkundung sowie die abschließende Standortfestlegung.1752 Erst diese Gesetze besitzen einem Detaillierungsgrad, der für Maßnahmen mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung charakteristisch ist. Sie werden konkret und parzellenscharf bestimmen, welche Grundstücke für die Ausführung des Vorhabens in Betracht kommen und erzeugen somit erst dann Eigentumsrelevanz.1753 Klärungsbedürftig ist aber weiterhin, ob auch jedem dieser Gesetze eine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt. Der von § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG in Bezug genommene § 9d Abs. 2 S. 1 AtG erklärt Enteignungen zum Zweck der vorbereitenden Standorterkundung für zulässig, soweit diese zur Durchführung von Erkundungsmaßnahmen auf der Grundlage von Vorschriften des Bundesberggesetzes sowie zu deren Offenhaltung ab der Entscheidung über eine übertägige Erkundung nach § 15 Abs. 3 StandAG notwendig sind. Prima facie ist aufgrund des Wortlautes eine Differenzierung zwischen den einzelnen Verfahrensstufen nicht vorgesehen.1754 Enteignungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers demzufolge auch im Rahmen der übertägigen Erkundung grundsätzlich möglich sein.1755 Die für die oberirdische Untersuchung eines Standortes erforderlichen Maßnahmen lassen sich allerdings schon mittels der Duldungsvorschriften des § 9f AtG wirksam
und „enteignungsrechtliche“ Vorwirkung, vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 44 f. 1750 S. a. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 444. 1751 Folgerichtig spricht auch die Gesetzesbegründung eine „mögliche(n) enteignungsrechtliche(n) Vorwirkung“ nur den Gesetzen zur Festlegung der Standortregionen für die übertägige und untertägige Erkundung bzw. der abschließenden Standortentscheidung zu, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 26, 27, 29; BT-Drs. 18/11398, S. 59, 61. 1752 Ausführlich zum Standortauswahlverfahren im engeren Sinne in Abschnitt D. III. 2. c) bb). 1753 S. a. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 444. 1754 S. a. Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 23; a. A. Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135. 1755 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 26; BT-Drs. 18/11398, S. 59; i. E. ebenso Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 15 StandAG Rn. 5; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 7 f.; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 296; Posser, FS Dolde, S. 251, 275; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 23.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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durchsetzen.1756 Enteignungen bleiben demnach aufgrund des Ultima-ratio-Prinzips1757 auf das Stadium der untertätigen Erkundung bzw. die Realisierung des Vorhabens beschränkt.1758 Faktisch sind somit nur dem Gesetz zur Festlegung der untertägig zu erkundenden Standorte nach § 17 Abs. 2 S. 4 StandAG sowie dem Standortfeststellungsgesetz nach § 20 Abs. 2 StandAG eine enteignungsrechtliche Vorwirkung inhärent.1759 c) Zulässigkeit der enteignungsrechtlichen Vorwirkung Wie die vorangehende Analyse zeigt, ist weder den Vorschriften des Standortauswahlgesetzes noch den in Bezug genommenen atomrechtlichen Enteignungsvorschriften eine enteignungsrechtliche Vorwirkung zu entnehmen.1760 Gleichwohl determiniert das StandAG das Verfahren dahingehend, dass mit der gesetzlichen Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte sowie mit dem Standortfestlegungsgesetz bereits parzellenscharf abgrenzbar ist, welche Grundstücke von dem Endlagervorhaben konkret betroffen sein können. Ungeachtet dessen, dass die Planungsgesetze erst in (ferner) Zukunft erlassen werden, ist der Eintritt von enteignungsrechtlichen Vorwirkungen bereits mit der grundlegenden Konzeption des Standortauswahlverfahrens determiniert.1761 Die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ist deshalb nicht nur möglich, sondern auch angezeigt.
1756 Vgl. dazu Keienburg, atw 2014, S. 571, 576; die Verweisung auf § 9f AtG explizit mit der übertägigen Erkundung verknüpfend Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 26. 1757 Vgl. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 156; zum Ultima-ratio-Charakter der Enteignung bei der Endlagersuche, vgl. BT-Drs. 17/3052, S. 14; John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 8. 1758 Letztlich handelt es sich hierbei um die gleichen Erwägungen, weshalb auf eine zusätzliche verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzoption vor Festlegung der Standortregionen zur übertägigen Erkundung verzichtet werden kann, vgl. Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (4) (d); für eine differenzierende Betrachtung enteignungsfähiger Rechtspositionen durch Planung, vgl. Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 91 ff. 1759 A. A. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 7 f.; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 296; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 12 Rn. 23; dies., in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 25; differenzierend Posser, FS Dolde, S. 251, 275; krit. und eine enteignungsrechtliche Vorwirkung „allenfalls“ auf die gesetzliche Standortentscheidung beschränkend Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135. 1760 Insoweit besteht in der wiss. Literatur Konsens, vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 7; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, S. 296, ders., ZNER 2013, S. 132, 134; Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1135. 1761 Dahingehend auch die Gesetzesbegründung, die Bezug nehmend auf eine Formulierung aus dem Stendal-Beschluss (BVerfGE 95, 1, 22) von einer „Legalenteignung im Gewande einer Legalplanung“ spricht, BT-Drs. 17/13471, S. 26, 27, 29.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Konstellation in seinem Beschluss zur Südumfahrung Stendal1762 als „Legalenteignung im Gewande der Legalplanung“1763 bezeichnet.1764 Da eine solche „getarnte Legalenteignung“1765 den durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven Rechtsschutz schmälere, sei sie nur in eng begrenzten Fällen zulässig.1766 Gleichwohl habe eine Legalplanung vor der Verfassung unter zweierlei Voraussetzungen Bestand. Zum einen müsse die mit ihr verbundene Enteignung nicht nur, wie jede Enteignung, im Sinne des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG zum Wohle der Allgemeinheit1767 erforderlich sein. Zum anderen haben auch triftige Gründe für die Annahme zu bestehen, dass die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, welchen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann.1768 Unter Zugrundelegung der Stendal-Rechtsprechung müssen, neben dem für die enteignungsrechtliche Vorwirkung spezifischem Kriterium der gesetzlichen Anordnung (aa), Enteignungen im Kontext der Endlagersuche einerseits dem Allgemeinwohl dienen (bb). Andererseits ist die Ausgestaltung des „Ob“ der Enteignung 1762
BVerfGE 95, 1 – Stendal; zum Hintergrund, vgl. Darstellung in Abschnitt D. IV. 1. c). Vgl. BVerfGE 95, 1, 22 – Stendal; zustimmend Badura, FS Hoppe, S. 167, 173; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 189; Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211 dort Fn. 100; krit. und den Sachverhalt als „Legalplanung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung“ und somit als Inhaltsund Schrankenbestimmung einordnend Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 321 f., 666; der Gesetzgeber hat hingegen die Formulierung des BVerfG bei der Begründung des StandAG aufgegriffen, vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 26, 27, 28 f.; hellsichtig zur Übertragbarkeit auf die „Durchsetzung politisch umstrittener Großvorhaben“ Schneller, ZG 1998, S. 179, 191. 1764 Für eine krit. Würdigung, inwieweit das Verfahren der Standortsuche mit den Investitionsmaßnahmegesetzen, die der Stendal-Rechtsprechung zugrunde lagen, vergleichbar ist, vgl. nachfolgend Abschnitt D. IV. 3. c) dd). 1765 Für den Begriff Schneller, ZG 1998, S. 179, 188; krit. zur Mischform von Legal- und Administrativenteignung Stüer, DVBl. 1991, S. 1333 ff. 1766 Vgl. BVerfGE 95, 1, 22 Rn. 67 – Stendal mit Verweis auf BVerfGE 24, 367, 398 ff. – Deichordnungsgesetz; E 45, 297, 331, 333 – Hamburger U-Bahn; zum Vorrang der Administrativenteignung Leisner, HdbStR VIII, § 137 Rn. 217; Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 664; Kunig, JURA 1993, S. 308, 312; a. A. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 112; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, 445 mit Verweis auf BVerfGE 74, 264, 297 – Boxberg; näher zur gleichberechtigten Zulässigkeit einer Legalenteignung Schenke, FS Wendt, S. 403, 420 f. 1767 Zum unterschiedlichen Begriffsverständnis im Vergleich zur Sozialbindungsklausel des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, vgl. Shirvani, FS Schmidt-Preuß, S. 303, 307. 1768 BVerfGE 95, 1, 22 – Stendal; krit. zur Gleichsetzung mit einer Legalenteignung Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 445; ähnlich Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 665; Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 91 ff., der die spezifischen Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG auf die enteignungsrechtliche Vorwirkung von Planfeststellungsbeschlüssen überträgt; für eine entsprechende Anwendung des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG bei Planfeststellungsbeschlüssen und Legalplanungen Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 667. 1763
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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durch triftige Gründe zu rechtfertigen (cc). Weiterhin wird – wie für jede Enteignung – eine gesetzliche Entschädigungsregelung benötigt (dd). aa) Gesetzliche Anordnung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung zum Braunkohletagebau Garzweiler1769 klargestellt, dass die gesetzliche Anordnung einer Bindung an Ergebnisse vorgelagerter Verfahrensstufungen für die enteignungsrechtliche Vorwirkung konstitutiven Charakter besitzt.1770 Damit der Rechtsschutz Betroffener gegen eine Enteignung nicht unzumutbar verkürzt wird, muss er auf die Planungsentscheidung vorverlagert werden.1771 Auf diese frühzeitige Anfechtungslast sind potenzielle Kläger allerdings hinzuweisen. Die enteignungsrechtliche Vorwirkung bedarf daher – als formelle Voraussetzung – einer gesetzlichen Anordnung.1772 Für das Planfeststellungsrecht ist anerkannt, dass die enteignungsrechtliche Vorwirkung im betreffenden Fachplanungsgesetz festzuschreiben und der bindende Charakter der Planungsentscheidung für das nachfolgenden Enteignungsverfahren festzuhalten ist.1773 Nichts anderes kann gelten, wenn der Planfeststellungsbeschluss durch einen Akt der Legalplanung ersetzt wird.1774 Insofern korrespondiert das Erfordernis einer gesetzlichen Anordnung der Bindungswirkung mit dem in Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG für die Enteignung bestehenden Parlamentsvorbehalt.1775 Für Enteignungen zur Errichtung des Endlagers nach § 9d Abs. 1 AtG statuiert der über die Verweisungsnorm des § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG in Bezug genommene § 9e Abs. 2 S. 2 AtG1776 eine solche Bindungswirkung. Im Standortauswahlgesetz findet 1769
BVerfGE 134, 242 – Garzweiler. An eben dieser fehlte es den im Mittelpunkt der Entscheidung stehenden bergrechtlichen Rahmenbetriebsplänen, vgl. BVerfGE 134, 242, 332 – Garzweiler; BVerwG, NVwZ 2009, S. 333 Rn. 11; aus der Lit.: Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 652; Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 93 ff., insb. zur Bindungswirkung von Planfeststellungsbeschlüssen im Atomrecht (S. 96). 1771 Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 174. 1772 BVerfGE 134, 242, 332 Rn. 272; BVerwG, NVwZ 2009, S. 333 Rn. 11; aus der Lit.: Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 652; zu Planfeststellungsbeschlüssen Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 75 Rn. 27; ausdrücklich für die Planungsgesetze der Standortsuche fordernd Keienburg, atw 2014, S. 571, 572. 1773 Jarass, DVBl. 2006, S. 1329, 1331; näher zum Erfordernis der Bindungswirkung Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 73. 1774 Zu den unterschiedlichen Konsequenzen von enteignungsrechtlicher Vorwirkung von Planfeststellungsbeschlüssen und Legalplanungen, vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 668 f.; Stüer, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 21, 38 f. 1775 S. a. Jarass, DVBl. 2006, S. 1329, 1330 f.; demnach darf eine Enteignung nur durch oder auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen, vgl. hierzu BVerfGE 56, 249, 261 – Gondelbahn; aus der Lit.: Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 109 m. w. N. 1776 Näher zu den atomrechtlichen Enteignungsvorschriften in Abschnitt D. III. 2. d) aa). 1770
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
sich eine entsprechende Regelung dagegen allenfalls in der Vorschrift des § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG hinsichtlich der abschließenden Standortentscheidung.1777 Wenngleich also für die vorgelagerten Planungsphasen eine ausdrückliche Anordnung fehlt, ergibt sich diese Bindungswirkung aus einer Gesamtschau der Gesetzesbegründung,1778 der Adressierung der Erkundung in § 9d Abs. 2 AtG sowie dem Umstand, dass das gestufte Legalplanungsverfahren des StandAG den von § 9e Abs. 2 S. 2 AtG geforderten Planfeststellungsbeschluss ersetzt.1779 Die Gesetze zur Festlegung der Standorte der übertägigen Erkundung sowie zur abschließenden Standortentscheidung entfalten auf dieser Grundlage enteignungsrechtliche Vorwirkung.1780 bb) Wohl der Allgemeinheit Da die Enteignungsbehörde im nachfolgenden administrativen Enteignungsverfahren in einem Dreischritt nur noch prüft, ob erstens die Inanspruchnahme des Enteignungsrechts hinsichtlich der Rechte eines Dritten zur Verwirklichung des Vorhabens erforderlich ist, ob zweitens die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Enteignung vorliegen und in welcher Höhe drittens die Enteignungsentschädigung zu zahlen ist,1781 muss bereits mit den gesetzlichen Abschlüssen der einzelnen Verfahrensphasen verbindlich entschieden werden, dass die Enteignung dem Zweck des Wohles der Allgemeinheit i. S. d. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG dient (1) und zur Zweckerreichung erforderlich ist (2).1782 (1) Enteignungszweck Dem Zweck der Enteignung kommt bei der Frage der Eingriffsrechtfertigung eine maßgebliche Rolle zu. Das Bundesverfassungsgericht fordert daher in ständiger Rechtsprechung ein besonderes, dringendes öffentliches Interesse.1783 Ein „einfaches“ öffentliches Interesse reiche hingegen nicht aus. Bei der Einschätzung der tragenden Gemeinwohlziele stehe dem Gesetzgeber freilich ein Gestaltungs- und
1777 S. a. Posser, FS Dolde, S. 251, 274, der zumindest für die abschließende Standortentscheidung die Bindung bereits aus § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG ableitet. 1778 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 26, 27, 29; BT-Drs. 18/11398, S. 59, 61. 1779 In diese Richtung auch Posser, FS Dolde, S. 251, 275. 1780 Für die atomrechtliche Planfeststellung, vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 9. 1781 Vgl. Ramsauer/Wysk, in: Kopp/Ramsauer (Hrsg.), VwVfG, § 75 Rn. 21. 1782 Vgl. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 9. 1783 BVerfGE 74, 264, 279 – Boxberg; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 2.6.2008, Az. 1 BvR 349/04, NVwZ 2008, 1229, 1230; BVerfG, Beschluss v. 27.5.2004, Az. 4 BN 7.04, ZfBR 2004, 579, 580; Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 14 Rn. 116; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 8.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
407
Beurteilungsspielraum zu.1784 Kraft seiner demokratischen Legitimation sei es dessen Aufgabe, im Rahmen der ihm obliegenden politischen Gestaltungsfreiheit das Wohl der Allgemeinheit zu konkretisieren.1785 Eine solche Konkretisierung erfolgt in der Regelung des § 9e Abs. 2 S. 1 AtG.1786 Demnach sind Enteignungen u. a. nur dann zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert. Als Regelbeispiel führt die Norm die „Sicherstellung der Endlagerung radioaktiver Abfälle nach § 9a“ AtG an.1787 Aufgrund der Gefahren, die von radioaktivem Abfall ausgehen, muss die Sicherstellung der Endlagerung als Gemeinwohlaufgabe mit höchster Priorität eingestuft werden.1788 Das Gemeinwohlziel ist auch hinreichend bestimmt.1789 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der Garzweiler-Entscheidung zu § 79 Abs. 1 BBergG ausgeführt, dass die Bezugnahme auf das „Wohl der Allgemeinheit“ nicht ausreiche.1790 Mit einer solchen Rezitation des Verfassungswortlauts verfehle der Gesetzgeber seine Konkretisierungsaufgabe und lege die Zweckbestimmung faktisch in die Hand der Verwaltung. Allerdings ermöglichten die in § 79 Abs. 1 BBergG aufgezählten Beispiele eine 1784
BVerfGE 134, 242, 342 f. Rn. 298 – Garzweiler; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 8; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 26; Masing, EurUP 2016, S. 343, 345; zum besonders weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Atomrecht „auch gegenüber bestehenden Eigentumspositionen“, vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 219; Burgi, NVwZ 2019, S. 585, 586 f.; krit. Moench, FS SchmidtPreuß, S. 215, 237. 1785 Vgl. Jarass, DVBl. 2006, S. 1329, 1331 mit Bezug auf BVerfGE 24, 367, 403 f. – Deichordnungsgesetz. Die vom Gesetzgeber vorgenommenen Wertungen sind sodann von der Exekutive und den Gerichten zu beachten, solange die Beurteilung des Gesetzgebers nicht eindeutig widerlegbar bzw. offensichtlich fehlerhaft ist oder der Wertordnung des Grundgesetzes widerspricht, a. a. O. S. 406; vgl. auch BVerfGE 134, 242, 293 Rn. 175 f. – Garzweiler; näher hierzu Masing, EurUP 2016, S. 343, 344 f. 1786 Zur Bezugnahme auf Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, vgl. BT-Drs. 17/3052, S. 14; ähnlich Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 87; s. a. mit Bezug zur Standortsuche Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1136 f. 1787 Somit ist die Vorgabe, dass sich der Gemeinwohlzweck zu einem konkreten Vorhaben verdichten muss, (über)erfüllt, vgl. BVerfGE 38, 175, 180 – Rückenteignung; E 74, 264, 285 – Boxberg; Leisner, HdbStR VIII, § 173 Rn. 219; zum „Sonderfall“ der gesetzgeberischen Einstufung als gemeinwohldienlich für ein konkretes Vorhaben Jarass, DVBl. 2006, S. 1329, 1334; krit. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 231. 1788 S. a. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 9; SchmidtPreuß, NVwZ 1998, S. 553, 560. 1789 I. E. ähnlich John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 8 mit Verweis auf Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999, Rn. 1144; zum Bestimmtheitserfordernis, vgl. BVerfGE 74, 264, 285 – Boxberg. 1790 Vgl. BVerfGE 134, 242, 294 Rn. 177 – Garzweiler; Masing, EurUP 2016, S. 343, 344 f.; näher zur Problematik mit Bezug auf § 9e AtG, vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 9; unkritisch und § 9e Abs. 2 S. 1 GG lediglich „deklaratorische“ Bedeutung beimessend Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 87 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
verfassungskonforme Auslegung.1791 Nicht anders verhält es sich bei der „Insbesondere“-Formulierung des § 9e Abs. 2 S. 1 AtG. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Senats ist die Regelung dahingehend auszulegen, dass Enteignungen nur im Hinblick auf die als Regelbeispiel genannte Sicherstellung des Endlagers für radioaktive Abfälle zulässig sind.1792 (2) Erforderlichkeit der Enteignungen Weiterhin erklärt § 9d Abs. 2 S. 1 AtG die Enteignung zur vorbereitenden Standorterkundung für zulässig. Im Unterschied zu der Vorgängerregelung des § 9d Abs. 2 S. 1 AtG a. F.1793 werden Enteignungen nicht nur für die Erkundung an sich ermöglicht, sondern auch für die Offenhaltung der Standorte ab der Entscheidung über eine übertägige Erkundung nach § 15 Abs. 3 StandAG. Gerade an diesem Umfang entzündete sich verfassungsrechtliche Kritik.1794 Am Ende der Standortsuche werde nur ein Standort für die Endlageranlage in Anspruch genommen. Somit stehe bereits von Anfang an fest, dass nicht alle zu untersuchenden Standorte für die Endlagerung benötigt würden.1795 Die Auswahl geeigneter Standorte sei aber von der Sicherstellung des atomaren Abfalls zu unterscheiden.1796 Werde ein Grundstück nur zum Zwecke der Auswahl enteignet, dann diene dies nicht der Sicherstellung radioaktiven Abfalls. Eine Enteignung zur Offenhaltung i. S. d. § 9d Abs. 2 S. 1 AtG sei daher nicht vom Gemeinwohlziel des § 9e Abs. 2 S. 1 AtG gedeckt.1797 Dieser Ansicht, die in letzter Konsequenz die atomrechtlichen Enteignungsregelungen auf einen Zeitraum nach Standortfestlegung einschränkt, ist vor dem Hintergrund der differenzierenden Betrachtungsweise des Bundesverfassungsgerichts entgegenzu1791
Vgl. BVerfGE 134, 242, 301 f. – Rn. 196 ff. – Garzweiler. S. a. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 9. 1793 Vgl. Atomgesetz i. d. F. der Bekanntmachung v. 15.7.1985, BGBl. I S. 1565, zul. geändert durch Art. 13 des Gesetzes v. 29.4.1997, BGBl. I S. 968; zu dessen verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit, vgl. Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 560. 1794 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; dies., Anhörung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 zu dem Thema „Evaluierung des Standortauswahlgesetzes“, K-Drs. 39, 24.10.2014, S. 7 f.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136 f.; dies., atw 2014, S. 571, 576. 1795 S. a. im Übrigen aber ablehnend Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 12. 1796 § 9d Abs. 2 S. 1 AtG ermögliche zwar auch Enteignungen für die vorbereitende Standorterkundung. Allerdings existiere eine begriffliche „Verlinkung zwischen Erkundung und Endlagerung“. Enteignungen zur Erkundung seien daher nur zulässig, sofern eine Endlageranlage bereits an diesem Standort geplant sei, vgl. Keienburg, Anhörung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 zu dem Thema „Evaluierung des Standortauswahlgesetzes“, K-Drs. 39, 24.10.2014, S. 8. 1797 Vgl. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136 f.; dies., atw 2014, S. 571, 576; dies., Anhörung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe am 3.11.2014 zu dem Thema „Evaluierung des Standortauswahlgesetzes“, K-Drs. 39, 24.10.2014, S. 7 f. 1792
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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treten. Zur Beurteilung, ob eine Enteignung für das Gemeinwohl erforderlich ist, muss zwischen der Erforderlichkeit der einzelnen Enteignungsmaßnahme für die Verwirklichung des konkreten Vorhabens und der Gemeinwohlerforderlichkeit dieses Vorhabens selbst unterschieden werden.1798 Übertragen auf die Endlagerung bedeutet dies eine strenge Unterscheidung zwischen der Suche nach dem bestmöglichen Standort für ein Atommüllendlager einerseits und einer der endgültigen Sicherstellung des radioaktiven Abfalls dienenden Errichtung der Endlageranlage andererseits.1799 Demnach muss die konkrete Enteignungsmaßnahme für das Vorhaben „Findung des bestmöglichen Standortes für die Errichtung eines Atomendlagers“ unverzichtbar sein, während es genügt, dass das Vorhaben (die Sicherstellung der Beseitigung atomaren Abfalls) für das Gemeinwohl vernünftigerweise geboten ist.1800 Die konkrete Enteignungsmaßnahme dient in der Regel nie direkt dem Gemeinwohl.1801 Allerdings ist der Vorhabenträger gehalten, sämtliche abwägungsrelevanten Daten für die Verwirklichung des Projekts zusammenzutragen.1802 Dies kann nur mittels einer ausgiebigen Erkundung der verschiedenen in Betracht kommenden Standorte gelingen.1803 Wenn aber ein Inhaber von Nutzungsrechten der betroffenen Grundstücke die Untersuchungen verweigert, besteht die Gefahr, dass die Erkundung nicht in dem für die Standortauswahl notwendigem Ausmaß vorgenommen werden kann.1804 Zudem ist als Anknüpfungspunkt der Erforderlichkeitsprüfung einer Enteignung die Zielbestimmung in § 1 Abs. 2 StandAG zu beachten.1805 Demnach soll der Standort der Endlageranlage mit der bestmöglichen Sicherheit in einem komparativen, wissenschaftsbasierten und transparenten Ver1798
Vgl. BVerfGE 134, 242, 296 Rn. 182 – Garzweiler; Masing, EurUP 2016, S. 343, 346 ff.; in diese Richtung bereits Jarass, DVBl. 2006, S. 1329, 1334. 1799 S. a. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 10 f. 1800 Zur Unterscheidung und Abgrenzung, vgl. Masing, EurUP 2016, S. 343, 346 ff. 1801 BVerfGE 134, 242, 296 Rn. 183 – Garzweiler. 1802 Vgl. etwa BVerfGE 134, 242, 308 f. Rn. 217 – Garzweiler; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 10. 1803 Gerade im Hinblick auf die untertägige Erkundung sind diese Untersuchungen mit großem, eingriffsintensivem Aufwand verbunden. So wurden bei der Erkundung des Standortes Gorleben zwei Schächte in den Salzstock gebohrt (vgl. VG Lüneburg, Beschluss v. 14.4.2011, Az. 2 B 12/11, ZUR 2011, S. 489), vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 11. 1804 S. a. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 11. 1805 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 8; ebenso Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 11 unter Rekurs auf § 1 Abs. 1 StandAG 2013.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
fahren ermittelt werden.1806 Diese vergleichende Untersuchung – für deren effektive Umsetzung Enteignungen notwendig sein können1807 – impliziert gerade Eingriffe an Standorten, die später aus dem Verfahren ausscheiden.1808 Wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines politischen Gestaltungsspielraums1809 für die Endlagersuche ein vergleichendes Verfahren vorsieht, ist es unvermeidlich und Ausdruck einer konsistenten Verfahrensgestaltung, entsprechende durchsetzungsstarke Elemente – wie etwa Enteignungen – zu integrieren.1810 Das konkrete Vorhaben muss seinerseits nicht gleichermaßen unverzichtbar zum Erreichen des gesetzlichen Gemeinwohlziels sein. Für das Vorhaben genügt es vielmehr, dass es zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise geboten ist.1811 Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist als obligatorische Staatsaufgabe in § 9a Abs. 3 AtG festgeschrieben.1812 Angesichts des Gefahrenpotenzials von radioaktivem Abfall gebietet das Risikominimierungsgebot eine dauerhafte Lösung der Entsorgungsfrage anzustreben. Unter der Prämisse, dass ein Endlager aufgrund geologischer und technischer Barrieren gegenüber der Variante einer langfristigen Zwischenlagerung Vorteile besitzt,1813 ist das Vorhaben der Errichtung einer Endlager-
1806
Ausführlich zu den Zwecken der Standortsuche in Abschnitt D. III. 1. a). Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung des § 9d Abs. 2 S. 2 AtG diese Notwendigkeit präzisiert. Demnach sind Enteignungen „insbesondere dann zur Durchführung von Erkundungsmaßnahmen notwendig, wenn die Eignung bestimmter geologischer Formationen als Endlagerstätte für radioaktive Abfälle ohne die Enteignung nicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang untersucht werden könnte oder wenn die Untersuchung der Eignung ohne die Enteignung erheblich behindert, verzögert oder sonst erschwert würde“, vgl. auch John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9d AtG Rn. 8. 1808 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 8, der als Wesenszug einer ergebnisoffenen Standortsuche anführt, „dass sie sich im Hinblick auf den dahinterstehenden Erkundungszweck in einer retrospektiven Betrachtung als nicht erforderlich erweisen kann, wenn am Ende eine negative Eignungsfeststellung steht“. 1809 Zur Frage, ob sich aus der staatlichen Schutzpflicht ein verfassungsrechtliches Gebot für einen Alternativenvergleich ergibt, vgl. Abschnitt D. II. 1. c) cc). 1810 Insbesondere gilt es zu beachten, dass die enteignungsrechtliche Vorwirkung von Planungsentscheidungen nicht zwangsläufig tatsächlich in eine Enteignung münden muss, vgl. Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 73. 1811 Dies ist nach dem Bundesverfassungsgericht bereits der Fall, wenn das konkrete Vorhaben in der Lage ist, einen substanziellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels zu leisten, vgl. BVerfGE 134, 242, 297 Rn. 184 – Garzweiler mit Verweis auf die st. Rspr. BVerwGE 132, 261, 273 Rn. 50 m. w. N. 1812 Zum verfassungsrechtlichen Gebot des Schutzes durch Endlagerung vgl. Abschnitt D. II. 1. c) ee). Näher zur Vorschrift des § 9a Abs. 3 AtG in Abschnitt D. III. 2. b). 1813 So etwa Rengeling, Rechtsfragen zur Langzeitsicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle, 1995, S. 98, 132 f.; ebenso Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 120; Wieland, ZfU Beilage Heft 2/2017, S. 42, 44; ähnlich in zeitlicher Perspektive Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 249; zur entsprechenden Empfehlung durch internationale Fachorganisationen, vgl. IAEA, Safety Standards – Geological Disposal of Radioactive Waste, Safety Requirements No. WS-R-4, 2006, S. 13 ff. 1807
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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anlage geeignet, einen substanziellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohl zu leisten und demzufolge auch vernünftigerweise geboten. (3) Zwischenergebnis Die Lösung der Endlagerfrage stellt eine bedeutende gesellschaftliche Aufgabe mit einer weit in die Zukunft reichenden Verpflichtung dar. Die ggf. zwangsweise zu ermöglichende Untersuchung mehrerer Standorte ist essenziell, um den vom Gesetzgeber definierten Zweck (Auffinden des bestmöglichen Standortes) zu gewährleisten.1814 Ein besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse1815 für die Etablierung einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung ist somit gegeben. cc) Vorliegen triftiger Gründe Als weiteres Merkmal ist ein mit den gesetzlichen Abschlüssen der Planungsphasen einhergehendes Spezifikum zu untersuchen. Trotz der Bezeichnung des der Stendal-Entscheidung zugrunde liegenden Maßnahmengesetzes als „Legalenteignung im Gewande einer Legalplanung“,1816 hat das Bundesverfassungsgericht den Besonderheiten des Planungsablaufs mit Blick auf den potenziellen Entzug von Eigentumspositionen Rechnung getragen und ein zusätzliches Kriterium aufgestellt.1817 Neben den für eine klassische Legalenteignung typischen Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG verlangten die Karlsruher Richter weiterhin, dass triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann.1818 Diese hat der Senat seinerzeit in der außergewöhnlichen Situation im Anschluss an die deutsche 1814 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 8; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 26; so bereits Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 111; allgemein zur Durchsetzungsbedürftigkeit von Großprojekten BVerfGE 74, 264, 297 – Boxberg; Schneller, ZG 1998, S. 179, 190 f. 1815 Vgl. BVerfGE 74, 264, 279 – Boxberg; BVerfGK 16, 35 Os. 1 – Enteignungsbeschluss Inzidentkontrolle. 1816 BVerfGE 95, 1, 22 Rn. 66 – Stendal. 1817 Trotz der Einordnung als Inhalts- und Schrankenbestimmung wendet Hildegard Falter daher bei der Legalplanung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Prüfungsmaßstab an, vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 666 f. 1818 Vgl. BVerfGE 95, 1, 22 Rn. 67 – Stendal; zustimmend und unter Rekurs auf Einschränkungen gegenüber enteignungsrechtlicher Vorwirkung von Planfeststellungsbeschlüssen Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 668; vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 2013, S. 242 f.; Dietlein/Riedel, FS Schnapp, S. 65, 75; krit. Papier/ Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 665 f.; ähnlich Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 190 f.
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Wiedervereinigung gesehen. Zur Förderung der Wirtschaft in den neuen Ländern sei der unverzügliche Aufbau der Verkehrsinfrastruktur unabdingbar gewesen.1819 Ähnlich wie bei den guten Gründen zur Rechtfertigung der Aufgabenverlagerung von Exekutive auf Legislative1820 wurde erneut auf das Beschleunigungsargument abgestellt. Dem Entscheidungstext lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob das Bundesverfassungsgericht der Triftigkeit ein synonymes Anforderungsprofil beimaß oder der Beschleunigungszweck vielmehr beide, qualitativ unterschiedliche Anforderungen des Begriffspaares erfüllte.1821 Zur Analyse, ob für die gesetzlich anzuordnende enteignungsrechtliche Vorwirkung der Standortsuche triftige Gründe vorliegen (bbb), ist zunächst das Verhältnis zu den guten Gründen zu beleuchten. (1) Verhältnis zu den „guten Gründen“ Für den Fall, dass die vom Bundesverfassungsgericht für Legalplanungen mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung geforderten triftigen Gründe mit dem Begriff der guten Gründe deckungsgleich sind,1822 könnte erneut und pauschal auf den mit der Befassung des Parlaments einhergehenden Wunsch nach größtmöglicher Legitimation1823 verwiesen werden.1824 Der Gesetzgeber des StandAG scheint von einer synonymen Bedeutung auszugehen.1825 Allerdings darf der Umstand nicht übergangen werden, dass der Senat im Stendal-Beschluss tatsächlich unterschiedliche Begriffe verwendet hat.1826 Der Gebrauch des Adjektivs „triftig“1827 suggeriert ein im Vergleich hervorgehobenes Anforderungsprofil.1828 Diese semantische Interpretation wird mit Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht untersuchten Rechtspositionen unterstützt.1829 Die Hochzonung einer 1819
Vgl. BVerfGE 95, 1, 23 f. Rn. 70 – Stendal. Zu den „guten Gründen“ i. S. d. Stendal-Rechtsprechung, vgl. bereits Abschnitt D. IV. 1. c) aa); für die guten Gründe der Standortsuche, vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd). 1821 S. a. Schneller, ZG 1998, S. 179, 189, 191; Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211. 1822 So etwa Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274; für „im Kern deckungsgleich“ befindend Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211. 1823 Vgl. die Ausführungen unter D. IV. 1. d) dd) und ee). 1824 Vgl. Langer, GewArch 2017, S. 334, 338. 1825 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30. 1826 Vgl. BVerfGE 95, 1, 17 f. bzw. 21 f. – Stendal; vgl. auch die Darstellung bei Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 306. 1827 Als Synonyme lassen sich lt. Duden die Begriffe „sehr überzeugend, einleuchtend, schwerwiegend, zwingend und stichhaltig“ anführen, vgl. Duden, „triftig“, https://www.duden. de/suchen/dudenonline/triftig, (geprüft am 26.9.2019). 1828 Zur semantischen Differenzierung, vgl. Hufeld, JZ 1997, S. 302, 305; ähnlich Posser, FS Dolde, S. 251, 275 f. 1829 Zu „doppelten verfassungsrechtlichen Legitimation(sanforderungen)“, vgl. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 189; in diese Richtung ebenfalls Posser, FS Dolde, S. 251, 276; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 369; ähnlich Hufeld, JZ 1997, S. 302, 303; ebenfalls offensichtlich nicht als Synonym, aber je1820
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üblicherweise der Exekutive obliegenden Planungsaufgabe auf die Legislative berührt mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz eine staatsorganisationsrechtliche Frage und somit objektives Verfassungsrecht. Durch die enteignungsrechtliche Vorwirkung können hingegen Individualrechtspositionen beeinträchtigt werden. Eine vorhabenbezogene Legalplanung bedarf unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung einer funktionsrechtlichen Legitimation und unter dem Aspekt des Eigentumseingriffs einer grundrechtlichen Legitimation.1830 Es erscheint daher sachgerecht, an die Rechtfertigung einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung weitere, ggf. abweichende Anforderungen zu stellen. Die Diskussion um die Reichweite des Begriffs „triftige Gründe“ sollte allerdings nicht überstrapaziert werden. Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Begriffswahl auf eine strikte Kategorisierung wie etwa „zwingende Gründe“ verzichtet.1831 An das Vorliegen triftiger Gründe sind somit lediglich marginal erweiterte Anforderungen zu stellen.1832 (2) „Triftige Gründe“ der Standortauswahl In der Begründung des StandAG 2013 wurde als „wichtiger tragender Grund“ die besondere Bedeutung der Endlagerung radioaktiver Abfälle als großes Infrastrukturprojekt und nationale Aufgabe angeführt.1833 Eine zeitliche Dimension bestehe insoweit, als nach mehreren Generationen des Streits über einen geeigneten Standort nun die Perspektive einer möglichst breit von der Gesamtbevölkerung getragenen Lösung gegeben sei. Die Entscheidungsform des Gesetzes biete das größtmögliche Maß an demokratischer Legitimation und damit die am meisten Erfolg versprechende Chance auf eine dauerhaft akzeptierte Streitentscheidung.1834 Dies werde durch den außerordentlich hohen Stellenwert der berührten grundrechtlichen Schutzgüter unterstrichen.1835 denfalls dann als erfüllt ansehend, sofern es sich um „verfassungslegitime“ Gründe handelt, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 373, 375 ff. 1830 Vgl. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 189. 1831 S. a. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274; Posser, FS Dolde, S. 251, 275; eine begriffliche Unterscheidung mit diesem Argument offenlassend Kment, FS Jarass, S. 301, 307; ders., VERW (47) 2014, S. 377, 403; Schneller, ZG 1998, S. 179, 190; gerade solche „zwingenden“ Gründe fordernd Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 194. 1832 Krit. zur mangelnden Präzisierung der Begrifflichkeiten im Stendal-Beschluss Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274; Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211; Schneller, ZG 1998, S. 179, 189, 191. 1833 BT-Drs. 17/13471, S. 29; vgl. auch die Darstellung bei Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 125 f.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 13. 1834 BT-Drs. 17/13471, S. 30. 1835 BT-Drs. 17/13471, S. 30; vgl. ausführlich zur grundrechtlichen Dimension der Endlagersuche in Abschnitt D. II. 1.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Obwohl der Gesetzgeber offensichtlich davon ausging, dass die Begriffe der guten und triftigen Gründe deckungsgleich sind,1836 kann nicht ohne Weiteres auf die im Abschnitt zur Gewaltenteilung herausgearbeitete Legitimationswirkung1837 verwiesen werden. Nach dem hier vertretenen Begriffsverständnis sind an das Vorliegen von triftigen Gründen spezifische Anforderungen zu stellen, die gerade für eine gesetzliche Festlegungsnotwendigkeit streiten müssen.1838 Gleichwohl obliegt dem Gesetzgeber bei der Bestimmung dieser Gründe wiederum ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum.1839 Nachfolgend ist somit zu untersuchen, ob die gesetzliche Anordnung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung von innerhalb des gesetzlichen Gestaltungsspielraums liegenden triftigen Gründen getragen wird. (a) Keine (unmittelbare) Beschleunigungswirkung Ein Versuch, das die Stendal-Rechtsprechung tragende Beschleunigungsargument fruchtbar zu machen, erscheint nicht zielführend.1840 Angesichts des prognostizierten Verfahrenszeitraums der Standortsuche1841 und des Nachweiszeitraums der Sicherheitsanforderungen von einer Million Jahren,1842 fehlt es per se an der Notwendigkeit einer Beschleunigung des Vorhabens.1843 Dass eine behördliche Planung derartige zeitliche Verzögerungen mit sich bringen könnte, aus denen erhebliche Nachteile für das Gemeinwohl resultieren, ist nahezu auszuschließen.1844 1836 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 30; so auch und dies als „rechtsirrig“ bezeichnend Posser, FS Dolde, S. 251, 275. 1837 Vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (4). 1838 S. a. Posser, FS Dolde, S. 251, 275. 1839 BVerfGE 95, 1, 22 f. Rn. 68 – Stendal (zur Einschätzungsprärogative für die guten Gründe vgl. Rn. 51); zum besonders weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Atomrecht „auch gegenüber bestehenden Eigentumspositionen“ BVerfGE 143, 246 Rn. 219 – Atomausstieg; Burgi, NVwZ 2019, S. 585, 586 f.; krit. Moench, FS Schmidt-Preuß, S. 215, 237; vgl. weiterhin E 49, 89, 142 f., 146 f. – Kalkar; E 53, 30, 55 ff. – Mühlheim-Kärlich; s. a. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274 f. 1840 Diesbezüglich besteht im Schrifttum Einigkeit, s. a. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 115 f.; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 15 StandAG Rn. 5; vgl. weiterhin Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 307 f.; ders., ZNER 2013, S. 132, 138; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351. 1841 Vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016, S. 13 f.; eine Darstellung der jeweiligen Zeitansätze findet sich in der Verfahrensbeschreibung in Abschnitt D. III. 1. c). 1842 Näher hierzu in Abschnitt D. III. 1. a) bb). 1843 Vgl. etwa Keienburg, NVwZ 2014, S. 1133, 1136; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351. 1844 Insofern kann ungeachtet des unterschiedlichen Anforderungsprofils auf die Ausführungen zum Beschleunigungsargument im Rahmen der Untersuchung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verwiesen werden, vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (1).
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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(b) Besondere Legitimation durch Parlamentsgesetz Zur Rechtfertigung der Aufgabenverlagerung von Exekutive auf Legislative wurde die besondere Legitimationswirkung herausgearbeitet,1845 die mit der Befassung des Gesetzgebers als maßgeblichem Akteur und Letztentscheider im Rahmen des gestuften Legalplanungsverfahrens einhergeht. Begründen lässt sich dies unter anderem mit der besonderen Bedeutung der Endlagersuche als großes Infrastrukturprojekt und nationale Aufgabe. Bei der Endlagersuche handelt es sich um eine generationenübergreifende Thematik, der singulärer Charakter zukommt.1846 Dass grundlegende Entscheidungen zum Suchverfahren und die endgültige Standortfestlegung durch den Gesetzgeber getroffen werden, ist daher folgerichtig und wird im Idealfall tatsächlich zur beabsichtigten Akzeptanzsteigerung beitragen.1847 Ob dieser Argumentationsstrang aber auch für alle im Verlauf der Endlagersuche auftretenden Eigentumseingriffe tragen kann, darf bezweifelt werden. Die Karlsruher Richter fordern für eine Legalplanung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung keine „bezugslose Triftigkeit“.1848 Vielmehr müssen entsprechende Gründe gerade für die Annahme einer allein gesetzlichen Festlegungsnotwendigkeit streiten.1849 Eine solche kann für die enteignungsrechtliche Vorwirkung prima facie nicht gelten. Der Gesetzgeber muss aufgrund des Gesetzesvorbehalts zwar parlamentsgesetzliche Grundlagen für das Handeln der Exekutive schaffen und alle wesentlichen Entscheidungen im Bereich der Grundrechtsausübung selbst treffen.1850 Dazu genügt allerdings, dass er alle wesentlichen Grund- und Vorfragen einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung gesetzlich determiniert.1851 Für den Bereich der Eigentumseingriffe im atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren ist dies in den §§ 9d bis 9g des Atomgesetzes erfolgt.1852 Die Frage der Zulässigkeit und Durchführung von 1845
Vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (4) und ee). Gar eine „erdgeschichtliche Dimension“ zusprechend Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 309; ders., ZNER 2013, S. 132, 138; dies anerkennend und zugleich kritisch Posser, FS Dolde, S. 251, 275. 1847 S. a. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 120 f. 1848 Vgl. BVerfGE 95, 1, 21 f. – Stendal. 1849 Vgl. hierzu unter Verwendung des Begriffs „bezugslose Triftigkeit“ Posser, FS Dolde, S. 251, 275; ähnlich, wenngleich grundlegend auf die Konzeption der Legalplanung beziehend Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 310. 1850 Zur Wesentlichkeitstheorie, vgl. BVerfGE 33, 303 Ls. 4 – Numerus Clausus I; E 47, 46, 79 – Sexualkundeunterricht; E 49, 89, 126 – Kalkar I; E 83, 130, 140 – Josefine Mutzenbacher; aus der Lit.: Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 V Rn. 105 f.; Reimer, GrdlVerwR I, § 9 Rn. 47 ff.; jüngst Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, S. 523, 524 f.; näher hierzu bereits in Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (2). 1851 Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127. 1852 Das BVerfG hat hinsichtlich des Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle Schacht Konrad festgestellt, dass der Gesetzgeber alle mit der Endlagerung zusammenhängenden wesentlichen Fragen selbst geregelt hat, vgl. BVerfGK 16, 370 Rn. 39 – Schacht 1846
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Enteignungen betrifft im Verfahren der Endlagersuche keine grundlegend anderen materiell- und verfahrensrechtliche Fragen als bei anderen infrastrukturellen Vorhaben.1853 Die Besonderheiten der Endlagersuche, auf denen der Wunsch nach dem höchsten Maß an demokratischer Legitimation fußt, eignen sich – in einer isolierten Betrachtung – daher nicht als triftiger Grund für eine Legalplanung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung.1854 (c) Durchsetzungsbedürftigkeit von Großprojekten Andererseits stehen infrastrukturelle Großprojekte häufig vor erheblichen Zulassungshürden.1855 Die Realisierung der Endlageranlage liegt gleichwohl – wie zuvor herausgearbeitet – im öffentlichen Interesse. Wenn die Besonderheiten der Endlagersuche keinen eigenständigen triftigen Grund zu tragen vermögen, greift eine solch isolierte Betrachtung allerdings zu kurz. Der Gesetzgeber hat sich bei der Verfahrensausgestaltung der Endlagersuche für ein gestuftes Legalplanungsverfahren entschieden.1856 Die Wahl dieser Konzeption liegt innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums. Insbesondere kann er den Wunsch nach einem größtmöglichen Maß an demokratischer Legitimation als guten Grund im Sinne der Stendal-Rechtsprechung anführen.1857 Als Gebot rechtspolitischer Logik ist das Verfahren der Endlagersuche aber an systemgerechten Erwägungen auszurichten.1858 Mit der Grundsatzentscheidung für Konrad; zwar wurde offengelassen, ob die Aussagen der Entscheidung auch für ein Endlager für hoch radioaktive Abfallstoffe gelten (Rn. 18). Für die Enteignungs- und Duldungsvorschriften ergeben sich aus der unterschiedlichen Radiotoxizität allerdings keine Konsequenzen. 1853 Näher zur Regelung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung in verschiedenen Fachplanungsgesetzen Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 64 ff. 1854 In diese Richtung auch Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126 f.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136; Posser, FS Dolde, S. 251, 275 f.; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 309 f.; ders., ZNER 2013, S. 132, 137 f., die (zum Teil nicht zwischen guten und triftigen Gründen differenzierend) auf das zuvor bereits bestehende verwaltungsbehördliche Instrumentarium zur Planfeststellung eines atomaren Endlagers hinweisen; vgl. dazu auch Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 26. 1855 Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 522; zu den Herausforderungen der Endlagersuche im Lichte der Multi-Level-Governance, vgl. Abschnitt C. III. 1856 Zu einem Plädoyer für Legalplanungen Wißmann, VVDStRL (73) 2014, S. 369, 411 ff.; diese als ultima ratio bei längerfristigem Widerstand für die Endlagersuche fordernd Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 111. 1857 Ausführlich hierzu bereits in Abschnitt D. IV. 1. d) dd) und ee). 1858 Der Begriff der Systemgerechtigkeit ist von der im Gleichheitssatz des Art. 3 GG zu verortenden Folgerichtigkeit zu unterscheiden. Systemwidrigkeit bedeutet an sich eine bloße gesetzliche Widersprüchlichkeit, welche die Gültigkeit eines Gesetzes noch nicht in Frage stellt. Der Gesetzgeber wird an die eigenen Grundentscheidungen nur insoweit gebunden, dass gegensätzliche Regelungen eines folgerichtigen Grundes bedürfen. Verfassungsrechtlich relevant ist nicht Konsistenz oder Inkonsistenz der Gesetzessystematik an sich, sondern ausschließlich das Ergebnis der Regelung für den Betroffenen, vgl. BVerfGE 59, 36, 49 – Leistungsgruppen; E 61, 138, 149 – BAföG; E 76, 130, 140 – Pauschgebührenregelung Sozialgerichtsverfahren; aus der Lit.: Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VIII, § 181
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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die Etablierung der Legalplanung besteht die Notwendigkeit einer konsistenten Verfahrensausgestaltung. Zur Realisierung großer Infrastrukturprojekte sind Instrumente zur Durchsetzung einer rechtmäßigen Planungsentscheidung essenziell.1859 Dies gilt umso mehr, als zum Zeitpunkt der durchzuführenden Enteignungen1860 die Standortsuche bereits weit vorangeschritten sein wird und die Akzeptanz der Betroffenen möglicherweise ohnehin nicht erreicht werden kann.1861 Bei einem Verzicht auf die Konstituierung einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung im Rahmen der Planungsgesetze und den Verweis auf eventuell notwendige Enteignungen in einem nachgelagerten administrativen Verfahren besteht die Gefahr eines Rückfalls in frühere Verfahrensstufen und somit einer nicht unerheblichen zeitlichen Verzögerung. Unter diesem Blickwinkel kann der gesetzlichen Konzeption zwar kein unmittelbarer Beschleunigungseffekt entnommen werden.1862 Zumindest wird aber eine Gefahrenquelle für weitere Realisierungsaufschübe vermieden.1863 (3) Stellungnahme Es ist zu bedauern, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der StendalEntscheidung1864 von einer Konkretisierung der Begriffe gute bzw. triftige Gründe abgesehen hat.1865 Angesichts der konsistent differenzierenden Begriffsverwendung der Karlsruher Richter und der unterschiedlichen gegenständlichen Ansatzpunkte liegt es allerdings nahe, statt von einer synonymen Begriffsverwendung, von einem spezifischen Anforderungsprofil auszugehen.1866 Unter dieser Prämisse kann die besondere Legitimationswirkung, die den gesetzgeberischen Beschlüssen des Parlaments unzweifelhaft zukommt, für sich genommen die enteignungsrechtliche Rn. 220, Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 3 Rn. 99 f.; Peine, Systemgerechtigkeit, 1985, S. 55. 1859 Vgl. BVerfGE 74, 264, 297 – Boxberg; Schneller, ZG 1998, S. 179, 190 f.; für die Endlagersuche, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 265; Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; isoliert zum Vorrang des StandAG ggü. dem Raumordnungsverfahren Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 11. 1860 Nach der hier vertretenen Auffassung kommen Enteignungen frühestens zum Zeitpunkt der untertägigen Erkundung in Betracht, vgl. Abschnitt D. IV. 3. b). 1861 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 377; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414; Hien, UPR 2012, S. 128, 132; Brunnengräber/Mez/Di Nucci u. a., TaTuP 2012, S. 59 ff.; allgemein zu begrenzten Akzeptanzchancen für Großvorhaben Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 508 f. 1862 Für die Ableitung eines „mittelbaren Beschleunigungseffekts“, vgl. Langer, GewArch 2017, S. 334, 338. 1863 Zur Bedeutung des Zeitmoments neben dem Gemeinwohlbezug zur Verfassungskonformität von Realisierungsgesetzen, vgl. Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 623 f. 1864 Zur Übertragbarkeit der BVerfGE 95, 1 – Stendal auf die Endlagersuche, vgl. statt vieler Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 266 f.; a. A. Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351. 1865 S. a. Schneller, ZG 1998, S. 179, 189, 191; Blümel, DVBl. 1997, S. 205, 211; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274. 1866 S. a. Posser, FS Dolde, S. 251, 275 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Vorwirkung nicht rechtfertigen. Gleichwohl lassen sich – insbesondere nach Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers – triftige Gründe anführen.1867 Diese liegen in einer konsistenten Verfahrensgestaltung. Mit der grundsätzlichen Entscheidung, das Standortsuchverfahren als gestufte Legalplanung auszugestalten, müssen auch die zur Vorhabenverwirklichung und -durchsetzung notwendigen Instrumente systemkonform in das Verfahren integriert werden.1868 Die strittig geführte Diskussion1869 um das Vorliegen triftiger Gründe erscheint mit der Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes im Jahr 20171870 allerdings nochmals in einem anderen Licht. Kritiker der Legalplanung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung stützen ihre verfassungsrechtlichen Bedenken vorwiegend auf den mit den gesetzgeberischen (Teil-)Entscheidungen reduzierten Rechtsschutz.1871 Bei einer derartigen Verfahrenskonzeption entsteht der systembedingte Nachteil einer doppelten bzw. vorgezogenen Anfechtungslast.1872 Rechtsschutz Betroffener gegen die administrative Enteignung bliebe erfolglos, sofern nicht schon die zugrunde liegende Planungsentscheidung angegriffen wird.1873 Gegen die Planungsgesetze bestünden allerdings nur die (limitierten) verfassungsgerichtlichen
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A. A. Posser, FS Dolde, S. 251, 286. Für die Zulässigkeit von „Realisierungsgesetzen“ bei komplexen Infrastrukturvorhaben, vgl. Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 624; ähnlich Bull, DÖV 2014, S. 897, 904; Enteignungsermächtigung als verfassungsrechtlich gebotene Ausprägung der legislativen Schutzpflicht in Form des „Schutz durch Entsorgung“ sehend Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 265; in diese Richtung auch Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 11. 1869 Bejahend Bull, DVBl. 2015, S. 593, 600; ders., DÖV 2014, S. 897, 904; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 274 ff.; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 375 f.; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 254; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 414; a. A.: Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 126 f.; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136, 1139; Mann/Sieven, VerwArch (106) 2015, S. 184, 219 f.; Posser, FS Dolde, S. 251, 275 f.; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 307 ff.; ders., ZNER 2013, S. 132, 137 f.; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834. 1870 Vgl. Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 1871 S. a. Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 306; ders., ZNER 2013, S. 132, 138; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 127; dies., NVwZ 2014, S. 1133, 1136; dies., atw 2014, S. 571, 573. 1872 Eichberger, FS Steiner, S. 152, 162; Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 177 ff., S. 669 f.; für Planfeststellungsbeschlüsse Neumann/Külpmann, in: Stelkens/ Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 75 Rn. 30; zur Anfechtungslast beim phasenspezifischen Rechtsschutz des StandAG 2017 Durner, NuR 2019, S. 241, 244. 1873 Eichberger, FS Steiner, S. 152, 162 f.; Stüer, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 21, 40, 42; näher zur Anfechtungslast bei enteignungsrechtlicher Vorwirkung von Planfeststellungsbeschlüssen Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 177 ff. 1868
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Rechtsbehelfe.1874 Mit den nun in § 17 Abs. 2 und § 19 Abs. 2 StandAG vorgesehenen verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeiten1875 ist das strukturelle Rechtsschutzdefizit des StandAG 2013 obsolet.1876 Folglich wäre die enteignungsrechtliche Vorwirkung im Rahmen der gestuften Legalplanung des StandAG 2017 auch ohne die herausgearbeiteten triftigen Gründe verfassungsgemäß.1877 dd) Entschädigungsregelung Mit dem Vorliegen der Gemeinwohldienlichkeit (bb) sowie dem Bestehen respektive der Entbehrlichkeit triftiger Gründe (cc) sind die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer späteren Enteignung gegeben. Eine solch rechtmäßige Enteignung wandelt die Bestandsgarantie1878 des Art. 14 GG in eine Wertgarantie.1879 Um diese abzusichern, verlangt Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, dass förmliche Enteignungsgesetze zugleich Art und Ausmaß der Entschädigung regeln. Dieser sog. Junktim-Klausel1880 kommen, neben einer Warn- und Offenbarungsfunktion,1881
1874 Eine inzidente Überprüfung der ersten Stufe (des „ob“ der Enteignung) im Rahmen des administrativen Enteignungsverfahrens, wie sie bei Planfeststellungsbeschlüssen möglich ist (vgl. dazu Schneller, ZG 1998, S. 179, 190), entfällt aufgrund der Bindungswirkung der Planungsgesetze, vgl. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 669 f.; Stüer, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 21, 40, 42. 1875 Ausführlich hierzu bereits in Abschnitt D. IV. 2. d) bb). 1876 Vgl. Ewer/Thienel, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 27.5.2019, S. 82; in diese Richtung ebenfalls, wenngleich weiterhin krit. Wollenteit, Rechtsgutachten zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens und zu Fragen des Rechtsschutzes, 10.6.2019, S. 53, 56, 69; ders., in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 6; ders., in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 15 StandAG Rn. 5; ähnlich zum Zwischenrechtsschutz des StandAG 2013 Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 376. 1877 Zur Dispositivität des Merkmals „triftige Gründe“, vgl. Posser, FS Dolde, S. 251, 276, der auf eine sprachliche Relativierung des Bundesverfassungsgerichts („jedenfalls“, vgl. BVerfGE 95, 1, 22 Rn. 67 – Stendal) verweist. 1878 Zur Bestandsgarantie BVerfGE 24, 367, 400 – Deichordnungsgesetz; E 38, 175, 181, 184 f. – Rückenteignung; E 56, 249, 260 – Gondelbahn. 1879 St. Rspr. BVerfGE 24, 367, 397 – Deichordnungsgesetz; E 38, 175, 181 – Rückenteignung; E 48, 297, 322 – Hamburger U-Bahn; E 58, 300, 323 – Nassauskiesung; aus der Lit.: Leisner, HdbStRVIII, § 173 Rn. 214; Froese, in: Depenheuer/Shirvani (Hrsg.), Die Enteignung, 2018, S. 255, 277. 1880 Statt vieler Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 2013, S. 245 ff.; näher zum Zweck Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2001, S. 110. 1881 Dem Gesetzgeber soll bewusstwerden, dass seine Regelung eine Enteignung darstellt, für die aus Haushaltsmitteln eine Entschädigung zu zahlen ist, vgl. Papier/Shirvani, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 670; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 125.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
kompetenz-1882 und grundrechtssichernde1883 Komponenten zu. Ein Enteignungsgesetz, welches keine Entschädigungsregelung enthält, ist im Ganzen nichtig.1884 Bereits die im Rahmen der Standortsuche zu erlassenden Gesetze mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung müssen demnach Art und Ausmaß der Entschädigung in hinreichender Art und Weise bestimmen.1885 Allerdings reicht hierzu ein Verweis auf ein allgemeines Enteignungsgesetz aus, welches diesen Anforderungen genügt.1886 Eine solche Regelung ist in § 9e Abs. 3 AtG zu sehen, der von der Verweisung des § 12 Abs. 1 S. 4 StandAG umfasst ist.1887 d) Zwischenergebnis Die Standortsuche als gestuftes Legalplanungsverfahren enthält mit dem Gesetz zur Festlegung der Standorte für die übertägige Erkundung sowie der abschließenden gesetzlichen Standortfestlegung zwei Verfahrensschritte, denen eine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt. In einem gegebenenfalls später durchzuführenden administrativen Enteignungsverfahren sind die materiellen Enteignungsvoraussetzungen daher nicht mehr gerichtlich überprüfbar.1888 Einwände gegen die Gemeinwohldienlichkeit des Vorhabens und dessen Gesetzmäßigkeit muss ein möglicherweise Betroffener bereits gegen die Planungsentscheidungen geltend machen.1889 Eine solche Konzeption ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Legalplanungsvorhaben dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die durchzuführenden Enteignungen nicht nur dem Wohl der Allgemeinheit i. S. d.
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Dem Parlament, dem das Budgetrecht obliegt, bleibt die Entscheidung über Enteignungstatbestände vorbehalten. Verwaltung und Gericht werden daran gehindert, selbständig zu Lasten öffentlicher Haushalte Enteignungsentschädigungen festzulegen, vgl. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 670; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 125. 1883 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 671; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 125. 1884 BVerfGE 24, 367, 418 – Deichordnungsgesetz; E 46, 268, 287 – Bodenreformgesetz; E 58, 300, 319 – Nassauskiesung; aus der Lit.: Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 166; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 126. 1885 Allgemein zur verfassungsgemäßen Ausgestaltung von Entschädigungen Froese, in: Depenheuer/Shirvani (Hrsg.), Die Enteignung, 2018, S. 255, 258 ff. 1886 Vgl. Froese, in: Depenheuer/Shirvani (Hrsg.), Die Enteignung, 2018, S. 255, 258; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 127 m. w. N. 1887 S. a. John, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 9e AtG Rn. 13, demnach wird die im Enteignungsrecht übliche Unterscheidung zwischen Entschädigung für den Rechtsverlust als solchen und der Entschädigung für andere Vermögensnachteile übernommen. Die in § 9e Abs. 3 S. 4 AtG vorgenommene Beschränkung der Entschädigung auf den Verkehrswert der enteigneten Rechte oder Befugnisse entspricht ebenfalls den allgemein üblichen Regeln. 1888 S. a. Paetow, FS Sellner, S. 509, 512 f. 1889 Vgl. Eichberger, FS Steiner, S. 152, 162 f.
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Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG dienen, sondern auch triftige Gründe für eine gesetzliche Ausgestaltung der Planungsentscheidung bestehen.1890 Die Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager erfüllt nach der im Garzweiler-Urteil1891 herausgearbeiteten differenzierenden Betrachtung1892 die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Gemeinwohl. Die konkreten Enteignungen sind – bereits in der Phase der untertägigen Erkundung – unverzichtbar, um eine valide Tatsachenbasis zur vergleichenden Betrachtung und damit zur Ermittlung des Standortes mit der bestmöglichen Sicherheit zu erhalten.1893 Die Suche nach einem Standort und die Errichtung einer Endlageranlage (das Vorhaben an sich) sind angesichts des Gefahrenpotenzials von radioaktivem Abfall im Lichte des Risikominimierungsgebot vernünftigerweise geboten. Für die Einbeziehung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung in das Legalplanungsverfahren bestehen auch triftige Gründe. Diese liegen zwar nicht isoliert in der Legitimationswirkung die einem Parlamentsgesetz zukommt. Die grundsätzliche Wahl der Legalplanung erfordert allerdings eine konsistente und systemkonforme Verfahrensgestaltung. Insbesondere müssen Verfahren von infrastrukturellen Großvorhaben aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten mit wehrhaften Elementen zur Durchsetzung versehen sein, was als triftiger Grund i. S. d. Stendal-Rechtsprechung eingeordnet werden kann.1894 Die Diskussion zum Vorliegen solcher Gründe hat sich bei der Endlagersuche zwischenzeitlich zum verfassungsrechtlichen Scheinproblem entwickelt. Ein strukturelles Rechtsschutzdefizit, welches ein Rechtfertigungsbedürfnis in Form der triftigen Gründe erst entstehen lässt,1895 ist seit der Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes im Jahr 2017 nicht mehr vorhanden. Gerade für die Verfahrensstufen, die mit einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung ausgestattet sind, stehen mit den §§ 17 Abs. 3 sowie 19 Abs. 2 StandAG verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzoptionen zur Verfügung.1896 Die im Standortauswahlver-
1890
BVerfGE 95, 1, 22 – Stendal; vgl. Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 623. BVerfGE 134, 242 – Garzweiler. 1892 Näher hierzu Masing, EurUP 2016, S. 343, 346 ff. 1893 S. a. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz, WD 3 – 3000 – 232/14, 21.10.2014, S. 10 f. 1894 In diese Richtung Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 624. 1895 Hierzu – wenngleich unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 1 GG – Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 194. 1896 Insoweit korrespondiert die Positionierung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzoptionen in den §§ 17 Abs. 2 und 19 Abs. 2 StandAG mit der hier vertretenen Auffassung, dass lediglich dem Gesetz zur Festlegung der Standorte für die untertägige Erkundung sowie der abschließenden Standortfestlegung eine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt. Zur (zu verneinenden) Frage, ob auch für die Auswahl der übertägig zu erkundenden Standortregionen phasenspezifischer Rechtsschutz zu eröffnen ist, vgl. Abschnitt D. II. 2. d) bb) (4) (d); die enteignungsrechtliche Vorwirkung der untertägigen Erkundung als wesentliches Argument für die Beibehaltung des Zwischenrechtsschutzes nennend Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 17 StandAG Rn. 15. 1891
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
fahren enthaltene enteignungsrechtliche Vorwirkung ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich. 4. Verbot des Einzelfallgesetzes Während Enteignungen im Laufe der Endlagersuche in größerer Anzahl auftreten können, handelt es sich – zumindest bei der abschließenden gesetzlichen Standortfestlegung – um einen singulären Akt. Es überrascht daher nicht, dass das Verfahren der Standortsuche auch unter dem Aspekt des Verbots eines grundrechtseinschränkenden Einzelfallgesetzes nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG zur Diskussion steht.1897 Um den Diskurs nachzuvollziehen, sind zunächst die Voraussetzungen der Vorschrift zu skizzieren (a), bevor die Zulässigkeit des (finalen) Standortgesetzes vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG beleuchtet wird (b). a) Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG In einer grundrechtsdogmatischen Einordnung zählt Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG zu den sog. „Schranken-Schranken“.1898 Dem grundrechtseinschränkenden Gesetzgeber werden durch das Verbot des Einzelfallgesetzes seinerseits Grenzen gezogen.1899 Hinter der Anforderung ein Gesetz müsse, um verfassungsgemäß zu sein, allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten, steht die Vermutung, dass eine abstraktgenerell formulierte, für eine unbestimmte Vielzahl künftiger Anwendungsfälle geschaffene Norm deren Richtigkeit gewährleistet. Ließe man die gesetzliche Regelung eines Einzelfalls zu, bestünde die virulente Gefahr, dass der Freiheitsanspruch des Einzelnen durch diskriminierendes Sonderrecht willkürlich verletzt wird.1900 Für die Eröffnung des Anwendungsbereichs von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ergeben sich demnach zwei Voraussetzungen. Zum einen hat eine Beeinträchtigung von Grundrechten durch den Gesetzgeber im Raum zu stehen.1901 Zum anderen muss die fragliche Norm für den Einzelfall gelten.1902 1897 Vgl. etwa Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 18; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 269; Wollenteit, 14. AtomRS, S. 292, 304; Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351. 1898 Allg. zu Begriff und Funktion der „Schranken-Schranken“ Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 141 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. Rn. 144 ff. 1899 Vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 9; Kunig, JURA 1993, S. 308, 311. 1900 Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 201 Rn. 39; Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 51. 1901 Vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 28; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 37. 1902 Mehrheitlich wird die Formulierung des Grundgesetzes als verunglückt angesehen. Als allgemeine Lesart wird „(…) muss das Gesetz allgemein und darf nicht nur für den Einzelfall gelten“ angesehen, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 9; Lege, in:
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aa) Beeinträchtigung von Grundrechten Zur Abklärung etwaiger Beeinträchtigungen ist zunächst aufzuzeigen, was unter dem Begriff Grundrechte zu verstehen ist. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beurteilt dies uneinheitlich. In früheren Entscheidungen sahen die Karlsruher Richter eine Beschränkung auf solche Grundrechte, die einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt aufweisen.1903 Für diese Auslegung spreche neben dem Wortlaut („soweit“)1904 der systematische Zusammenhang mit dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG.1905 Jedoch werden mit der bloßen Formvorschrift des Zitiergebots und dem Verbot des Einzelfallgesetzes als Ausprägung des Willkürverbots „völlig unterschiedliche Fälle“1906 „rein zufällig“1907 in einem Absatz behandelt. So lässt sich mit Blick auf die grundrechtsschützende Funktion von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG die grundrechtliche Schrankensystematik als Argument für die Einbeziehung aller Grundrechte anführen. Vorbehaltlos gewährte Grundrechte dürfen nach der Systematik des Grundgesetzes nur unter erschwerten Bedingung, nämlich zum Schutz von mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerten, eingeschränkt werden.1908 Eine Interpretation des Anwendungsbereichs von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, die es dem Gesetzgeber verbietet, im Bereich eingriffstauglicher Grundrechte Einzelfallregelungen zu erlassen, diesen Schutz aber gerade für formal vorbehaltlos gewährte Grundrechte entfallen lässt, trägt einen Wertungswiderspruch in sich.1909 Der Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG umfasst demnach grundsätzlich alle Grundrechte des Grundgesetzes.1910 Bei der Standortsuche sind Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 5; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 20; Kunig, JURA 1993, S. 308, 311. 1903 Vgl. BVerfGE 24, 367, 396 – Deichordnungsgesetz; E 25, 371, 399 Rn. 94 – lex Rheinstahl, (zur abweichenden Meinung einiger Senatsmitglieder, vgl. Rn. 96); E 42, 263, 305 – Contergan; aus der Lit.: Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 201 Rn. 40; vgl. aber zur Prüfung von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG unabhängig von einer bestimmten Grundrechtsverletzung BVerfGE 13, 225, 228 f. – Bahnhofsapotheke; E 134, 33, 126 ff. – Therapieunterbringungsgesetz; E 136, 338 Rn. 97 – Hochschulorganisation Medizinische Hochschule Hannover; E 143, 246 Rn. 392 ff. – Atomausstieg. 1904 S. a. wenngleich im Übrigen a. A. Lege, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 13. 1905 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 329 f.; Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 185; näher hierzu Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 29 f. 1906 Lege, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 15. 1907 Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 142. 1908 Vgl. BVerfGE 28, 243, 261 – Kriegsdienstverweigerung. 1909 Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 143; ähnlich Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 165; Lege, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 13. 1910 S. a. Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 167 f.; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 211, 213; Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 201 Rn. 40; Lege, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 119; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 20; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 732; zur Einbeziehung
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insbesondere in einer schutzrechtlichen Dimension das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Eigentumsgrundrecht betroffen.1911 Hinsichtlich der enteignungsrechtlichen Vorwirkung1912 steht Art. 14 GG zudem in seiner freiheitsrechtlichen Ausprägung1913 in Rede. bb) Anforderungen an die „Allgemeinheit“ Die Einschränkung dieser Grundrechte hat zudem durch ein Gesetz zu erfolgen, das „allgemein und nicht nur für den Einzelfall gilt“. Diese Formulierung als Doppelvoraussetzung wird mehrheitlich als sprachlich verunglückt angesehen.1914 Jedenfalls bestehen hinsichtlich der Begriffe Allgemeinheit und Einzelfall keine sachlichen Unterschiede.1915 Abzustellen ist ausschließlich auf die intendierten Wirkungen der gesetzlichen Regelung.1916 Zur Klärung der Frage, wann ein Gesetz als „allgemein“ anzusehen ist, haben sich die Kategorien des Einzelpersonengesetzes und des Einzelfallgesetzes herausgebildet.1917 grundrechtsgleicher Rechte, vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 140 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 727 f.; differenzierend Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 12; Krausnick, JuS 2007, S. 991, 993 f.; beschränkend auf den abwehrrechtlichen Gehalt der Freiheitsrechte Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 34; Krebs, in: Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 5. 1911 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270; ausführlich hierzu bereits in Abschnitt D. II. 1. b); zu den vergleichbaren Grundrechtseinschränkungen bei Investitionsmaßnahmegesetzen, vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 149 ff. 1912 Vgl. Abschnitt D. IV. 3. 1913 Vgl. Abschnitt D. II. 2. 1914 Stattdessen wird folgende Lesart vorgeschlagen: „(…) muss das Gesetz allgemein und darf nicht nur für den Einzelfall gelten“, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 9; Lege, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 5; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 20; Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 137; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 733; Kunig, JURA 1993, S. 308, 311; a. A. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 207 ff. 1915 Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 20; Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 1; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 9; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 153; Kunig, JURA 1993, S. 308, 311; näher hierzu Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 138 ff.; a. A. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 207 ff., 210. 1916 Dies bedeutet, dass die Rechtsfolgen der Norm nicht nur auf einen Einzelfall gerichtet sein dürfen, vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 35. Unmaßgeblich ist daher, ob ein Einzelfall den Anlass zu der gesetzlichen Regelung gegeben hat, vgl. BVerfGE 25, 371, 396 – lex Rheinstahl; E 13, 225, 228 f. – Bahnhofsapotheke; E 7, 129, 150 f. – lex Schörner; Bauernfeind, DVBl. 1976, S. 193, 196. 1917 Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 21; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 737 ff.; vgl. auch Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 154.
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Ausgehend von der grundrechtsschützenden Funktion des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG versteht man unter Einzelpersonengesetzen solche Normen, die individuell-konkrete oder individuell-abstrakte Regelungen treffen.1918 Als Adressat der Rechtsfolgen muss somit eine einzige oder mehrere Einzelpersonen in Betracht kommen.1919 Dem stehen Gesetze gegenüber, die nur einen einzigen konkreten Sachverhalt regeln, aber eine anonyme Vielzahl von Personen betreffen.1920 Für die Unzulässigkeit derartiger unter dem Schlagwort „Maßnahmegesetz“ zu fassender, konkretgenereller Einzelfallregelungen wird die Funktionenordnung1921 des Grundgesetzes angeführt.1922 Der Zweck des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG bestehe darin, „Verwaltungsakte in Gesetzesform“ zu verhindern.1923 Dies verkennt jedoch die primär grundrechtsschützende Ausrichtung.1924 Zudem kann die Singularität einer gesetzlichen Regelung bei einem hinreichend gewichtigen oder einmaligen Vorgang eine differenzierte Beurteilung erfordern.1925 Die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet den Gesetzgeber unabhängig von einer bestimmten Anzahl an Fällen.1926 Auf einen konkreten Sachverhalt abstellende Maßnahmegesetze sind demnach weder per se unzulässig noch unterliegen sie strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen.1927 Das Verbot des Einzelfallgesetzes ist folglich als Verbot des Einzelpersonengesetzes auszulegen.1928 1918
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Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 154 f.; Kunig, JURA 1993, S. 308,
BVerfGE 139, 321, 364 f. – Zeugen Jehovas Bremen. Der Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG lasse eine Beschränkung auf Einzelpersonengesetze nicht zu, vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 740; näher dazu Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 155 f. 1921 Näher zu Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips nachfolgend in Abschnitt D. IV. 4. b) aa). 1922 Vgl. die Darstellung bei Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 36. 1923 Vgl. Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 19 Rn. 8; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 47 (Vorauflage), zit. nach Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 155; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 191. 1924 S. a. Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 131 f. 1925 Explizit das Beispiel „Bau eines atomaren Endlagers“ nennend Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 14. 1926 Die Wesentlichkeitstheorie findet ihre Wurzeln im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Sie besagt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen, insb. im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, vgl. BVerfGE 33, 303 Ls. 4 – Numerus Clausus I; E 47, 46, 79 – Sexualkundeunterricht; E 49, 89, 126 – Kalkar I; E 83, 130, 140 – Josefine Mutzenbacher; aus der Lit.: Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 V Rn. 105 f.; Reimer, GrdlVerwR I, § 9 Rn. 47 ff.; jüngst Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, S. 523, 524 f. 1927 Prägnant wird dies in der Aussage zusammengefasst, dass der „Begriff des Maßnahmegesetzes (…) also verfassungsrechtlich irrelevant“ ist, vgl. BVerfGE 25, 371, 396 – lex Rheinstahl; aus der Lit.: Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S 153 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 13; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 22 (Fn. 80); 1920
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Im Verfahren der Standortsuche werden die Gesetze, welche die jeweiligen Verfahrensstufen abschließen, die von der Regelung Betroffenen nicht namentlich nennen. Insofern handelt es sich prima facie nicht um Einzelfälle.1929 Ein Einzelpersonengesetz i. S. d. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG liegt jedoch auch dann vor, wenn der Kreis der von der Regelung Betroffenen zum Zeitpunkt des Normerlasses bestimmbar1930 oder zumindest übersehbar1931 ist.1932 Hinsichtlich der Gesetze zum Abschluss vorbereitender Verfahrensstufen fehlt es allerdings an einer solchen Individualisierbarkeit.1933 Ausgehend vom „Prinzip der weißen Landkarte“1934 erfolgt lediglich eine Reduzierung des Suchraumes.1935 Erst mit der abschließenden Standortfestlegung steht verbindlich fest, an welchem Ort die spätere Endlageranlage lokalisiert wird und welche Grundstücke für eine Inanspruchnahme in Betracht kommen können.1936 Somit steht lediglich die gesetzliche Standortfestlegung nach § 20 Abs. 2 StandAG auf dem Prüfstand des verfassungsgemäßen Einzelfallgesetzes nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG.
Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 75; a. A. Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 19 Rn. 9; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 230 f. 1928 S. a. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 36; Krebs, in: Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 10; Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 144 f.; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 158; vgl. auch die Darstellung bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 739. 1929 Für diese Kategorisierung, vgl. Bauernfeind, DVBl. 1976, S. 193, 196; in diese Richtung auch Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 37. 1930 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 738, 743; zur Verneinung des Einzelfallcharakters aufgrund einer Übertragbarkeit auf künftige Fälle, vgl. BVerfGE 13, 225, 229 – Bahnhofsapotheke. 1931 An der Übersehbarkeit mangelt es, wenn „nicht überschaut werden könne, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung finde“, vgl. BVerfGE 10, 234, 241 f. – lex Platow; E 25, 371, 396 – lex Rheinstahl; vgl. auch Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 188. 1932 Für eine Kombination beider Merkmale Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 161 f. 1933 Näher zur Individualisierbarkeit als ausschlaggebendem Kriterium Meessen, DÖV 1970, S. 314, 316. 1934 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 369 f.; Müller, FJSB 2016, S. 134, 135; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181. 1935 Anders verhält es sich freilich mit der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Gesetzes zur Festlegung der Standorte für die untertägige Erkundung (vgl. Abschnitt D. IV. 3. b)). Zu diesem Sonderfall und der potenziellen Verdrängung von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG durch Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, vgl. nachfolgend unter D. IV. 4. a) cc). 1936 Für die Individualisierbarkeit bei verkehrsplanerischen Investitionsmaßnahmegesetzen durch parzellenscharfe Benennung der betroffenen Grundstücke, vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 163 f. Diese Anforderungen lassen sich auf das Standortfestlegungsgesetz übertragen.
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cc) Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG als lex specialis? Der Einschlägigkeit des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG könnte allerdings ein (vermeintliches) Spannungsverhältnis zu Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG entgegenstehen.1937 Es trifft zu, dass die vom Grundgesetz zumindest grundsätzlich für zulässig gehaltene Legalenteignung auf das Eigentum konkreter Personen an konkreten Sachwerten zugreift. Somit dürfte eine Legalenteignung regelmäßig zugleich die zuvor skizzierten Begriffsmerkmale einer Einzelfallregelung erfüllen.1938 Für ein solches Spannungsverhältnis spricht auch, dass das Bundesverfassungsgericht schon über die ausdrückliche Regelung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG Legalenteignungen und damit auch enteignungsrechtliche Vorwirkungen einer Legalplanung als gerechtfertigt ansieht.1939 Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen1940 sei es dem Gesetzgeber gestattet, „eine Enteignung, also den Entzug eines konkreten Eigentums, selbst anzuordnen, so daß er nicht unter allen Umständen darauf verwiesen ist, in einem allgemeinen Gesetz zunächst generell-abstrakt den Enteignungszweck festzulegen, die Verfolgung des Regelungsziels im weiteren aber der Administrativenteignung zu überlassen“.1941
Dieser Sichtweise liegt die Annahme zugrunde, Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG und Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG regelten deckungsgleiche Fallgruppen.1942 Die Schlussfolgerung auf ein Ausschließlichkeitsverhältnis beider Vorschriften ist jedoch keinesfalls zwingend.1943 Zwar lässt sich nach der Atomausstiegs-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts1944 nicht mehr als Argument anführen, dass Legalenteig1937 S. a. Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 179; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 27; vgl. auch Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 227 ff. 1938 Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 23. 1939 Das Gesetz zur Südumfahrung Stendal verstoße demnach nicht gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, vgl. BVerfGE 95, 1, 26 Rn. 79 – Stendal. 1940 Die Enteignung muss zum Wohle der Allgemeinheit erfolgen und darf nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, welches Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, vgl. BVerfGE 95, 1, 65 – Stendal; E 45, 297, 325 f. – Hamburger U-Bahn; vgl. näher zu den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 S. 2 bereits oben in Abschnitt D. IV. 3. c). 1941 BVerfGE 95, 1, 26 Rn. 79 – Stendal mit Verweis auf E 24, 367, 403 – Deichordnungsgesetz; E 74, 264, 297 – Boxberg. 1942 Dafür spräche, dass die beiden Vorschriften scheinbar entgegengesetzte Aussagen enthalten. Während Art. 19 GG das grundrechtseingreifende Einzelfallgesetz verbietet, erklärt Art. 14 Abs. 3 GG mit der Erwähnung der Enteignung durch Gesetz offenbar die Legalenteignung ausdrücklich für zulässig, ohne dass der Verfassungstext im Vergleich zur Administrativenteignung besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen nennen würde, vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 146 f.; ähnlich Krausnick, JuS 2007, S. 991, 992. 1943 S. a. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 147; a. A. Schenke, FS Wendt, S. 403, 419 f. 1944 BVerfGE 143, 246 – Atomausstieg; vgl. dazu Ludwigs, NVwZ Beilage Heft 1/2017, S. 3 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
nungen nicht notwendig durch Einzelfallgesetz erfolgen müssen. Die als Beispiel hierfür angeführte Aufopferungsenteignung durch generelle Neuregelung eines Rechtsgebiets1945 fällt – nachdem der Güterbeschaffungsvorgang als konstitutiv erklärt wurde1946 – nicht mehr unter das Begriffsverständnis einer Enteignung. Gleichwohl bleibt eine materielle Einordnung des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz1947 denkbar.1948 Als wesentliches Argument gegen ein Spezialitätsverhältnis ist aber die unterschiedliche Schutzrichtung der Vorschriften anzuführen.1949 Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG knüpft an das materielle Grundrecht an und unterwirft besonders erhebliche Grundrechtsbeeinträchtigungen speziellen inhaltlichen Anforderungen. Dies geschieht unabhängig davon, ob sie durch oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen. Dagegen dient Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG dem Schutz vor ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen.1950 Weiterhin gilt es zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht den Vorrang des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG mit dem Fehlen eines Einschränkungsvorbehalts in Art. 14 GG begründet, welcher für die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG vorauszusetzen sei.1951 Nach der hier vertretenen Auffassung fallen in den Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 S. GG allerdings sämtliche Grundrechte des Grundgesetzes,1952 so dass der vorgenannte Argumentationsstrang nicht zu tragen vermag. Überdies kann die Vorschrift des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG lediglich für den
1945 Vgl. BVerfGE 45, 297, 332 – Hamburger U-Bahn; E 83, 201, 211 ff. – Vorkaufsrecht; vgl. auch Schenke, FS Wendt, S. 403, 419. 1946 Vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 251 ff. – Atomausstieg; krit. Moench, FS Schmidt-Preuß, S. 215, 235; vgl. auch Ludwigs, NVwZ Beilage Heft 1/2017, S. 3, 4 f. m. w. N. zum Diskussionsstand. 1947 Grundlegend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 317 ff. 1948 Für die Zulässigkeit einzelfallbezogener Enteignungen durch Gesetz würde dies bedeuten, dass diese zwar nach Art. 14 Abs. 3 GG grundsätzlich möglich sind, im Hinblick auf das Verbot des Einzelfallgesetzes aber besonders strengen Anforderungen unterliegen, vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 148 m. w. N.; zur Interpretation als ein „für die Administrativenteignung als Regelform streitendes Gebot“, vgl. Huber, in: Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 32; ähnlich Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 229. 1949 Vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 25; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 148 f. 1950 Die Gleichheitsproblematik einer Legalenteignung liegt in erster Linie darin, dass sie die Rechtsschutzmöglichkeiten von betroffenen Grundrechtsträgern gegenüber denjenigen negativ verändert, die von einer Administrativenteignung betroffen sind, vgl. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 191, 192 f.; i. E. ebenso Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 16. 1951 Vgl. BVerfGE 24, 367, 396 f. – Deichordnungsgesetz; für diese Ansicht vgl. Schenke, FS Wendt, S. 403, 420; s. a. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 145; Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung, 2016, S. 670 f. 1952 Zur Herleitung, vgl. Abschnitt D. IV. 4. a) aa).
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Bereich von Eigentumsbeeinträchtigung als lex specialis gelten.1953 Bei der gesetzlichen Standortfestlegung stehen aber weitere Grundrechte in Rede,1954 namentlich das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in seiner schutzrechtlichen Ausprägung.1955 Schon allein deshalb verbleibt für Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ein selbstständiger Anwendungsbereich.1956 dd) Zusammenfassung Der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ist eröffnet, sofern durch eine gesetzliche Regelung kumulativ eine Beeinträchtigung von Grundrechten im Raum steht und dieses Gesetz für den Einzelfall gilt. Der Begriff der Grundrechte erfährt in diesem Zusammenhang entgegen der älteren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts keine Einschränkung und umfasst alle Grundrechte des Grundgesetzes. Das Verbot des Einzelfallgesetzes ist weiterhin als Verbot des Einzelpersonengesetzes zu lesen. Für das Standortauswahlverfahren steht aufgrund des erst dann bestimm- und übersehbaren Kreises der Betroffenen lediglich die abschließende gesetzliche Standortfestlegung nach § 20 Abs. 2 StandAG auf dem Prüfstand von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG und bedarf der nachfolgend näher zu betrachtenden Rechtfertigung. Diese Prüfung wird auch nicht durch die Vorschrift des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG obsolet.1957 Gegen die Einordnung dieser Regelung als lex specialis spricht zum einen die unterschiedliche Schutzrichtung.1958 Zum anderen beschränkt sich der Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG denklogisch auf Eigentumsbeeinträchtigungen, während bei der Lokalisierung eines Endlagers für radioaktive Abfälle weitere Grundrechte im Raum stehen. b) Rechtfertigung der gesetzlichen Standortfestlegung als Einzelfallgesetz Für die verfassungsrechtliche Bewertung des Standortgesetzes ist entscheidend, ob das Verbot des grundrechtseinschränkenden Einzelfallgesetzes dogmatisch als Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes (aa) oder als spezielles Gleichbe1953
A. A. mit Hinweis auf Art. 3 I GG Krausnick, JuS 2007, S. 991, 992, 995. Diese Möglichkeit erkennend und gleichwohl Art. 14 Abs. 3 GG als Spezialregelung ansehend Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 19 Rn. 12. 1955 Vgl. Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270; ausführlich hierzu bereits in Abschnitt D. II. 1. b). 1956 S. a. mit explizitem Bezug zu Legalplanungen Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 231 f. 1957 Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 28 ff., 32; Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 25; a. A. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 668; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 112; Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 182. 1958 S. a. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 25; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 148 f. 1954
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
handlungsgebot (bb) eingeordnet wird.1959 Je nach Ansatzpunkt bestehen unterschiedliche Rechtfertigungsstränge bzw. -möglichkeiten.1960 aa) Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes Als Ausdruck allgemeiner Gewaltenteilungserwägungen wird Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG von einigen Literaturstimmen als Funktionengliederungsprinzip verstanden.1961 In einem dogmatischen Brückenschlag zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht1962 läge in der Vorschrift das Verbot des Verwaltungsaktes in Gesetzesform.1963 Der Gesetzgeber sei auf die Setzung abstrakt-genereller Rechtsnormen beschränkt. Durch das Verbot konkret-individueller Regelung würden Übergriffe der Gesetzgebung in den Funktionsbereich der Exekutive unterbunden.1964 Neben dem Grundrechtsschutz diene Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG vor allem der Absicherung oder Konkretisierung der grundgesetzlichen Funktionengliederung im Bereich grundrechtseinschränkender oder zu solchen Beschränkungen ermächtigender Gesetze.1965 Diese rein formale Betrachtungsweise hätte zur Folge, dass – ausgehend vom Wortlaut („muss“) – jedes grundrechteinschränkende Einzelfallgesetz automatisch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG darstellt und infolge dessen als verfassungswidrig und nichtig anzusehen wäre.1966
1959 Vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 14; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 14; beide Aspekte nebeneinander sehend Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 201 Rn. 39; s. a. BVerfGE 134, 33, 88 f. – Therapieunterbringungsgesetz, dort spricht der Senat dem Gewaltenteilungsgrundsatz eine gleichheitssichernde Funktion zu. 1960 Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 15 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 15 f., 18; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 155 ff. 1961 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG (Vorauflage), Art. 19 Abs. 1 Rn. 27, zitiert nach Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 13; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 14. 1962 Für dieses Bild, vgl. Kunig, JURA 1993, S. 308, 311. 1963 Vgl. BVerfGE 10, 234, 239 f. – lex Platow; Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Art. 19 Rn. 8; Hufeld, JZ 1997, S. 302, 304; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 191; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 731; Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 223; krit. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 15; Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 15; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 156 f. 1964 Den Sperrbereich des Gesetzgebers mit der Einzelfalldefinition des § 35 S. 1 VwVfG gleichsetzend Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 779. 1965 Vgl. Bauernfeind, DVBl. 1976, S. 193, 194. 1966 S. a. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 18; Krausnick, JuS 2007, S. 991; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 744.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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bb) Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als spezieller Gleichheitssatz Dem lässt sich entgegenhalten, dass die Hauptzielrichtung des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG in der Sicherung und im Schutz der Grundrechte besteht.1967 Das Allgemeinheitsgebot bezwecke den Schutz eines Grundrechtsträgers vor „gesetzlichem Sonderrecht (…), das gezielt eine Einschränkung ausschließlich seiner Freiheitssphäre zum Gegenstand hat“.1968 Insofern liege in Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG primär eine gleichheitsrechtliche Komponente.1969 Unter dieser Voraussetzung wären aber Einzelfallregelungen durch Gesetz verfassungsgemäß, sofern sie von hinreichend wichtigen und tragfähigen Sachgründen getragen werden.1970 So schließt das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG aus, wenn es „nur einen zu regelnden Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhaltes von sachlichen Gründen getragen wird“.1971 Dem Gesetzgeber sei lediglich verboten, aus einer Reihe gleichartiger Sachverhalte willkürlich einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Ausnahmeregelung zu machen.1972 cc) Stellungnahme Das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen Rückanbindung an das Gewaltenteilungsprinzip einerseits und den Gleichheitssatz andererseits lässt sich mittels einer dogmatischen Würdigung, der Rechtsprechung des Bundesverfas1967 Vgl. BVerfGE 1, 264, 280 – Bezirksschornsteinfeger; Lege, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 19 f.; Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 16; vom „verbleibende(n) Kern des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG“ sprechend Dreier, in: ders. (Hrsg.), GGKommentar, Art. 19 I Rn. 16, 30. 1968 Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 179. 1969 Für die „Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes“, vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 394 – Atomausstieg; E 134, 33, 88 – Therapieunterbringungsgesetz; E 25, 371, 399 – lex Rheinstahl; zur Diskussion, ob es sich um eine Spezifikation des Art. 3 Abs. 1 GG handele oder aber eine Verschärfung des allgemeinen Gleichheitssatzes als qualifiziertes Gleichheitsgebot vorliege, vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 17 ff.; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 16 ff.; Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 169 ff.; für ein „verstärktes Gleichheitsgebot“ Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 191; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 23; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 25; Krebs, in: Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 10; ähnlich Kunig, JURA 1993, S. 308, 312. 1970 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 16; Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 100 Rn. 32; Kunig, JURA 1993, S. 308, 312. 1971 BVerfGE 143, 246 Rn. 394 – Atomausstieg; E 134, 33, 88 – Therapieunterbringungsgesetz; E 85, 360, 374 f. – Akademieauflösung; vgl. Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 622; näher hierzu Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 234 f. 1972 Zuletzt BVerfGE 143, 246 Rn. 394 – Atomausstieg; vgl. auch BVerfGE 25, 371, 399 – lex Rheinstahl; E 85, 360, 374 f. – Akademieauflösung; für die auf dieser Argumentation basierende Eröffnung legislativen Zugriffs auf Einzelfallentscheidungen im Atomrecht, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 16.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
sungsgerichts und einer abstrahierenden Betrachtung für das Beispiel der Endlagersuche auflösen. Für die Einordnung als gleichheitsrechtliche und damit rechtfertigungsfähige Vorgabe spricht zum einen, dass sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht ableiten lässt, dass die von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG für das Gewaltenverhältnis gewährte Flexibilität1973 durch Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG in formaler Weise versteinert werden soll.1974 Zwar kann in der Regelung von Einzelfällen nach der Konzeption des Grundgesetzes eine typische Exekutivfunktion gesehen werden.1975 Die Qualifizierung von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG zu einem qualitativ gewichtigen Verwaltungsvorbehalt1976 dürfte aber nicht in der Absicht des Verfassungsgebers gelegen haben.1977 Gegen die Zuordnung zur Gewaltenteilung kann zum anderen mit der grundrechtsschützenden Funktion der Vorschrift argumentiert werden. Ein generelles Verbot, Einzelsachverhalte mit grundrechtseinschränkender Wirkung durch Gesetz zu regeln, gerät in Konflikt mit dem materiellen Gesetzesvorbehalt.1978 Schon durch die Regelung des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG ist belegt, dass sich Grundrechtseingriff und Einzelfallentscheidung durch Gesetz keinesfalls prinzipiell ausschließen.1979 Diese dogmatische Wertung wird von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützt. So haben die Karlsruher Richter noch in keinem einzigen Fall einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG festgestellt.1980 Stattdessen wurden neben den Legalenteignungen1981 weitere Fälle mit nur einem abschließend bestimmten Anwendungsfall und damit auch einem zahlenmäßig feststehenden bzw. bestimmbaren Adressatenkreises dem Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG entzogen.1982 Solche Einzelfallgesetze sind demnach zulässig, wenn „es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von
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Zur Diskussion und Einordnung von Planung als Aufgabe der Exekutive, vgl. Abschnitt D. IV. 1. b). 1974 Vgl. Kunig, JURA 1993, S. 308, 311; ähnlich Schenke, FS Wendt, S. 403, 419. 1975 Vgl. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 181. 1976 Grundlegend zum Verwaltungsvorbehalt und seinen Durchbrechungen Schnapp, VVDStRL (43) 1984, S. 172, 186 ff.; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 86 ff.; vgl. weiterhin Maurer, VVDStRL (43) 1984, S. 137 ff.; Degenhart, NJW 1984, S. 2184 ff.; Stettner, DÖV 1984, S. 611 ff. Schröder, DVBl. 1984, S. 814 ff. 1977 Vgl. Krebs, in: Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 9; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GGKommentar, Art. 19 I Rn. 15; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 157. 1978 Vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 15. 1979 S. a. Kunig, JURA 1993, S. 308, 312. 1980 S. a. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 22; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 18; daraus die Forderung nach Streichung des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ableitend Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 223 f. 1981 Vgl. hierzu bereits Abschnitt D. IV. 3. a). 1982 S. a. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 23.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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sachlichen Gründen getragen wird“.1983 Als „Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes“1984 ist es dem Gesetzgeber lediglich verboten, aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregel zu machen. Die im Wege der Legalplanung erfolgende Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager stellt geradezu ein Paradebeispiel für eine solch willkürausschließende Rechtfertigung dar.1985 Die abschließende gesetzliche Standortfestlegung wird eine „der Sache nach einmalige, buchstäblich extraordinäre Angelegenheit im Anschluss an eine jahrzehntelange Auseinandersetzung“ betreffen.1986 Obwohl mit diesem grundrechtseinschränkenden Einzelpersonengesetz der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG eröffnet ist, liegt mit den Besonderheiten der Endlagersuche ein prädestinierter Rechtfertigungsgrund vor.1987 Eine Gesamtschau der in den vorherigen Abschnitten dieses Kapitels1988 analysierten verfassungsrechtlichen Fragestellungen flankiert diese Bewertung. Die durch die Legalplanung erfolgte Hochzonung der Planungsaufgabe von der Exekutive auf die Legislative verstößt nicht gegen das Prinzip horizontaler Gewaltenteilung, da hierfür gute Gründe in Form der Legitimationswirkung durch die parlamentarische Entscheidung bestehen.1989 Die enteignungsrechtliche Vorwirkung der Planungsgesetze wird wiederum durch triftige Gründe (Durchsetzungsbedürftigkeit als großes Infrastrukturprojekt) gerechtfertigt.1990 Vor diesem Hintergrund zeigt sich bei einer verfassungsrechtlichen Bewertung der Standortsuche im Lichte des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ein konsistentes Bild, bei dem lediglich die dogmatischen Anknüpfungspunkte zu verschwimmen drohen.1991 Die abschließende gesetzliche Standortfestlegung nach § 20 Abs. 2 StandAG regelt in der Tat einen singulären
1983 BVerfGE 25, 371, 399 – lex Rheinstahl; E 85, 360, 374 – Akademieauflösung; E 134, 33, 88 – Therapieunterbringungsgesetz. 1984 BVerfGE 143, 246 Rn. 394 – Atomausstieg; E 134, 33, 88 – Therapieunterbringungsgesetz; E 25, 371, 399 – lex Rheinstahl. 1985 Zur beispielhaften Nennung einer Endlageranlage im Kontext des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 16; für das Vorliegen besonderer Umstände weiterhin Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 24; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275. 1986 Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 275; allgemein zu den Besonderheiten der Endlagersuche in Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (2) m. w. N. 1987 In diese Richtung Gaßner/Neusüß, ZUR 2009, S. 347, 351; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 24. 1988 Zur verfassungsrechtlichen Würdigung des StandAG hinsichtlich des Grundsatzes der Gewaltenteilung, den Rechtsschutzanforderungen und im Hinblick auf etwaige Enteignungen, vgl. Abschnitt D. IV. 1. – 3. 1989 Vgl. Abschnitt D. IV. 1. d) dd) und ee). 1990 Vgl. Abschnitt D. IV. 3. c) cc) (2) (c). 1991 Zur „doppelten verfassungsrechtlichen Legitimation“ von Legalplanungen im Lichte der Gewaltenteilung (funktionsrechtliche Legitimation) und dem Aspekt des Eigentumseingriffs (grundrechtliche Legitimation), vgl. Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 189, 194.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Sachverhalt, dessen Sonderbehandlung1992 durch die Besonderheiten der Endlagersuche gerechtfertigt wird. Dieser Rechtfertigungsansatz steht jedoch nicht isoliert neben der zuvor genannten Legitimationswirkung eines Parlamentsgesetzes und der Durchsetzungsbedürftigkeit von Großprojekten. Vielmehr weisen diese Argumentationsstränge Querverbindungen und gegenseitige Verstärkungen auf.1993 Wenn also in einer isolierten Betrachtung sowohl die Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsgrundsatzes als auch die mit der Legalplanung einhergehenden Rechtsschutzverkürzungen und enteignungsrechtliche Vorwirkungen durch die Einzigartigkeit der Standortsuche gerechtfertigt sind, darf dieser Befund nicht auf dem Prüfstand des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG konterkariert werden. Im Ergebnis ist der Vorschrift somit grundsätzlich eine Rechtfertigungsfähigkeit einzuräumen1994 und bei der Prüfung klar zwischen dem Vorliegen eines Einzelfallgesetzes einerseits und seinen Rechtfertigungsgründen andererseits zu differenzieren.1995 Wie aufgezeigt sind solche für die abschließende Standortfestlegung sowohl für die dogmatische Anknüpfung an das Gewaltenteilungsprinzip als auch als spezieller Gleichheitssatz gegeben. c) Zwischenergebnis Der Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ist für alle grundrechtseinschränkenden Einzelpersonengesetze eröffnet. Als betroffene Rechte kommen grundsätzlich sämtliche Grundrechte der Verfassung einschließlich der grundrechtsgleichen Rechte in Betracht und zwar unabhängig davon, ob sie einen Einschränkungsvorbehalt aufweisen oder nicht. Das die Standortsuche abschließende Standortgesetz wird aufgrund des klar abgegrenzten räumlichen Geltungsbereichs einen bestimmbaren bzw. übersehbaren Personenkreises betreffen und demzufolge ein solches Gesetz darstellen.1996 Die tatbestandliche Einschlägigkeit des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG führt aber entgegen des Verfassungswortlauts nicht automatisch zur Nichtigkeit der Standortfestlegung. Vielmehr besteht wegen des singulären Cha-
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Diese besteht in der gesetzlichen Standortfestlegung an Stelle eines üblicherweise von der Exekutive durchzuführenden Planfeststellungsverfahrens. 1993 Vgl. hierzu bereits die Abschnitte D. IV. 1. d) ee) und 3. c) cc) (3); die Rechtfertigung nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG mit den „triftigen Gründen“ i. S. d. Stendal-Rechtsprechung gleichsetzend Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 191. 1994 S. a. Schenke, FS Wendt, S. 403, 420; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 165 f.; Ossenbühl, FS Hoppe, S. 183, 191; Eisenmenger, NVwZ 2013, S. 621, 622; Kunig, JURA 1993, S. 308, 312; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 743; Bauernfeind, DVBl. 1976, S. 193, 194; a. A. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 182; Bischoff, Das Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Hemmschuh bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen, 2014, S. 197 ff. 1995 Vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 I Rn. 18; Lege spricht insofern davon eine „Vermengung von Tatbestand und Rechtsfolge zu vermeiden“, vgl. Lege, in: Merten/ Papier (Hrsg.), HGR III, § 66 Rn. 26. 1996 Vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 161 f.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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rakters der Thematik Endlagerung eine Rechtfertigungsmöglichkeit, welche durch die Besonderheiten der Standortsuche auch gegeben ist. 5. Sachverständige Beratung und Demokratieprinzip Es sind gerade diese Spezifika der Endlagersuche, die ein erhöhtes Legitimationsbedürfnis als Begründung für die Wahl der Legalplanung erwachsen lassen. Auf den ersten Blick mag es daher überraschen, dass in der Konzeption des Standortauswahlgesetzes dennoch ein Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip gesehen wird.1997 Anknüpfungspunkt dieser Kritik ist die starke Rolle pluralistisch besetzter Gremien,1998 wie etwa der Kommission Endlagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) oder des Nationalen Begleitgremiums. Dem pragmatischen Modell Jürgen Habermas’ folgend ist eine erfolgreiche Umsetzung technischer und strategischer Empfehlungen in die Praxis auf die Vermittlung der politischen Öffentlichkeit angewiesen.1999 Insofern kam der mit weitgehender Unabhängigkeit ausgestatteten Endlagerkommission neben der wissenschaftlichen Beratung ebenso eine gewichtige Kommunikationsaufgabe zu.2000 Ihre Beratungsergebnisse sollten bereits frühzeitig den angestrebten gesellschaftlichen Konsens zur Entsorgungsstrategie herstellen und die Politik von entsprechenden Vermittlungsanstrengungen entlasten.2001 Erkennbar wird diese Entlastungsfunktion insbesondere in den Regelungen der § 4 Abs. 4 S. 2 sowie Abs. 5 StandAG 2013. Demnach diente der Bericht der Endlagerkommission zum einen als Grundlage für die Evaluierung des StandAG durch den Bundestag.2002 Zum anderen erarbeitete sie Auswahlkriterien und Mindestanforderungen, die – nunmehr in Gesetzesform gegossen2003 – für die folgende
1997 So etwa Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff.; ders., aviso 3/2016, S. 20, 22 f. Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 21 f., 26; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362 f. 1998 Zur Definition von Expertenkommissionen als mit externem Sachverstand besetzte, auf eine begrenzte Zeit und mit konkretem Auftrag berufene Beiräte, vgl. Siefken, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 100 f.; ähnlich ders., in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 145, 147. 1999 Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, 1968, S. 129 und 137 ff. 2000 Näher zu den Aufgaben und der Arbeitsweise der Endlagerkommission bereits in Abschnitt D. III. 1. b) aa) (2) und (3). 2001 S. a. Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 22. 2002 Krit. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281; Posser, FS Dolde, S. 251, 266; eher positiv Bull, DÖV 2014, S. 897, 898; näher zur Evaluierung des Gesetzes auf Grundlage des Berichts der Endlagerkommission bereits in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (2). 2003 Zur Frage einer „antizipativen Selbstbindung“, vgl. Semper/Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 4 Rn. 52, 77 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Standortauswahl maßgeblich sind.2004 Ähnliches gilt für das als Nachfolger der Endlagerkommission eingerichtete Nationale Begleitgremium.2005 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es ebenfalls Bedarf an Reformen und Innovationen im Standortauswahlverfahren identifizieren und ggf. entsprechende Verfahrensänderungen vorschlagen.2006 Explizit an dieser Aufgabenübertragung, die auf die Eigenrationalität formalisierter Entscheidungsverfahren verzichtet,2007 stören sich kritische Stimmen, wenn sie unter den Schlagworten „Expertokratisierung“,2008 „Entpolitisierung“2009 und „Verantwortungsdiffusion“2010 den Kompetenztransfer auf Endlagerkommission und Begleitgremium anprangern und auf deren mangelnde demokratische Legitimation verweisen.2011 Zur verfassungsrechtlichen Einordnung dieser Debatte werden nachfolgend zunächst die staatsrechtlichen Grundlagen demokratischer Legitimationsvermittlung vorgestellt (a). Auf dieser Basis erfolgt eine Diskussion um die Zulässigkeit externer Beratung im Gesetzgebungsprozess (b). Schließlich ist der Frage nachzugehen, inwieweit aus dem Wunsch nach größtmöglicher demokratischer Legitimation durch Legalplanung einerseits und der Einbindung pluralistischer Gremien in den Gesetzgebungsprozess andererseits ein – verfassungsrechtlich relevanter – Wertungswiderspruch entstehen kann (c).
2004 Näher hierzu Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 106 ff.; krit. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283. 2005 Die Tätigkeitsaufnahme des Nationalen Begleitgremiums wurde mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016 (BGBl. I S. 1843) „zur Vermeidung eines Fadenrisses“ vorverlegt und mit dem Ende der Endlagerkommission synchronisiert, vgl. BT-Drs. 18/8704, S. 5; Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 196; s. a. ders., ZRP 2016, S. 181, 182; zum Nutzen einer „Dialog-Brücke“ zwischen verschiedenen Beteiligungsformaten, vgl. Ziekow, NVwZ 2013, S. 754, 759; a. A. Bull, ZRP 2016, S. 244. 2006 BT-Drs. 18/8704, S. 5; näher zum Nationalen Begleitgremium in Abschnitt D. III. 1. b) ee). 2007 Vgl. Gärditz, EurUP 2013, S. 2, S. 13. 2008 Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 183; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 356; ders., ZSE 2015, S. 4, 29 f.; allg. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 51. 2009 Smeddinck, ZRP 2016, S. 181, 183; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 355; zum Outsourcing politischer Entscheidungsverantwortung, vgl. auch ders., ZSE 2015, S. 4, 29 f. 2010 Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff.; ders., aviso 3/2016, S. 20, 23; allg., Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 52; Herdegen, VVDStRL (62) 2003, S. 7, 13 f.; Kirchhof, NJW 2001, S. 1332 ff. 2011 Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 363; ders., ZSE 2015, S. 4, 30; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; grundlegend zum Problem demokratischer Legitimation im kooperativen Staat, vgl. Benz, in: Greven (Hrsg.), Demokratie – eine Kultur des Westens?, 1998, S. 201, 204 ff.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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a) Grundlagen staatsrechtlicher Legitimation Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG proklamiert mit der Formulierung „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ das Prinzip der Volkssouveränität zum verbindlichen Leitgedanken für die Konstituierung von Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland.2012 Demokratie beinhaltet demnach, die Staatsgewalt in einer Weise zu organisieren, dass sie sich in ihrer Errichtung und Ausübung stets vom Willen des Volkes herleitet beziehungsweise auf ihn zurückgeführt werden kann.2013 Die nähere Ausgestaltung muss jedoch nicht zwingend im Sinne einer „identitär-unmittelbaren Demokratie“ erfolgen.2014 Sie ist vielmehr auf eine repräsentative Struktur verwiesen, die allerdings den Charakter demokratischer Repräsentation annehmen muss.2015 Daraus ergibt sich ein klassisches Modell verfassungsrechtlicher Legitimation, welches aus vier aufeinander bezogenen Elementen besteht. Zur Ausübung staatlicher Befugnisse hat das Volk als Legitimationssubjekt (aa) das Legitimationsobjekt Staatsgewalt (bb) an einen Dritten zu übertragen. Verfassungsrechtlich stehen hierfür grundsätzlich die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genannten Legitimationsmodi („Wahlen und Abstimmungen“) zur Verfügung, mit denen das Volk selbst als pouvoir constituant2016 seinen Willen in verbindliche Entscheidungen der Ausübung staatlicher Gewalt umsetzt.2017 Dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie entsprechend sind verschiedene Arten der Legitimationsvermittlung auf nachgeordnete Stellen anerkannt (cc), mit denen ein Zurechnungszusammenhang zwischen Subjekt und Objekt hergestellt wird. Entscheidend ist das Erreichen eines bestimmten Legitimationsniveaus (dd), das sich sowohl aus dem Zusammenspiel der Legitimationsarten als auch aus der Effektivität des Zurechnungszusammenhangs ergibt.2018 2012
Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 2, 10. BVerfGE 93, 37, 66 f. – Mitbestimmungsverfahren; E 83, 60, 72 f. – Ausländerwahlrecht; E 77, 1, 40 – Neue Heimat; E 47, 253, 275 – Bezirksvertretung; aus der Lit.: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 11. 2014 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 62 m. w. N.; krit. zum Konzept der „identitär-unmittelbaren Demokratie“, vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 34 Rn. 4 ff. 2015 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 1; vgl. auch ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 34 Rn. 26 ff.; „repräsentative Demokratie“ bedeutet demnach, dass eine konkrete Entscheidung verfassungsrechtlich nicht an einen jeweils festzustellenden tatsächlichen Volkswillen gebunden ist, vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 67; zu den Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, vgl. Pünder, VVDStRL (72) 2013, S. 193, 197 ff. 2016 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 5; der aus dem französischen entlehnte Begriff steht für verfassungsgebende Gewalt. 2017 Näher hierzu Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 351 ff. 2018 S. a. Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 4; entscheidend ist schließlich die „Effektivität“ der Herleitung der Staatsgewalt konkret vom Volk, vgl. BVerfGE 47, 253, 275 – Bezirksvertretung; E 77, 1, 40 – Neue Heimat; E 83, 60, 72 f. – Ausländerwahlrecht; E 93, 37, 66 f. – Mitbestimmungsverfahren; aus der Lit.: Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 61; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 11. 2013
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
aa) Legitimationssubjekt: Volk Als Ausgangspunkt demokratischer Legitimation nimmt Art. 20 Abs. 2 GG das „Volk“ in den Fokus. Dieses ist nach Satz 1 zum einen Ausgangspunkt aller staatlichen Gewalt und soll zum anderen nach Satz 2 über Steuerungs- und Kontrollkompetenzen in die fortwährende Ausübung derselben eingebunden sein.2019 Der Volksbegriff bedarf freilich einer Konkretisierung in personeller, sachlicher und räumlicher Hinsicht.2020 Gerade bei einzelnen administrativen Vorgängen, wie sie auch die Planung eines Endlagers darstellt, wirken Individuen und die Gesellschaft vielfältig in partizipatorischer Absicht auf den Staat ein.2021 Naheliegend wäre es, von einer möglichst weitgehenden Identität der Herrschaftslegitimierenden und der Herrschaftsunterworfenen auszugehen. Das hieße, den Volksbegriff von der Betroffenenseite aus zu bestimmen.2022 Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass eine Legitimationsvermittlung im staatsrechtlichen Verständnis erfolgen muss.2023 Das Bundesverfassungsgericht geht von einem Legitimationssubjekt aus, das sich aus den Mitgliedern eines politisch-kulturellen Herrschaftsverbandes ergibt.2024 Die Merkmale des Volksbegriffs sind demnach eine spezifische Verfasstheit als Personengemeinschaft, deren Allgemeinheit und die Ausrichtung auf die Staatsangehörigkeit.2025 Unter einer verfassten Personengesamtheit versteht man im Gegensatz zu Betroffenenkollektiven eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen.2026 Eine solche weite personelle Erstreckung resultiert aus der grundgesetzlichen Rollenverteilung zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Während ersterem die Formung des kollektiven Willens zukommt, liegen Fragen der individuellen Betroffenheit im Bereich der Rechtsstaatlichkeit.2027 Diese Personengesamtheit stellt 2019 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 61; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 348; zur Doppelung des Volksbegriffs in Art. 20 Abs. 2 GG, vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 205 ff. 2020 Statt vieler Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5; a. A. wohl Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 34 ff.; Bryde, StWissStPr (5) 1994, S. 305, 322, der den Begriff „Volk“ lediglich als Kurzformel für „Menschen“ ansieht und grds. keine Einschränkung vornimmt. 2021 Vgl. wenngleich krit. Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 562 f. 2022 Vgl. Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5; krit. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 27. 2023 S. a. Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 348 f. 2024 BVerfGE 83, 37, 51, – Ausländerwahlrecht; E 83, 60, 71 – Ausländerwahlrecht; instruktiv Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 57 ff.; vgl. weiterhin Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5, zu Differenzierungen im Volksbegriff vgl. Rn. 21 ff.; a. A. Bryde, StWissStPr (5) 1994, S. 305, 322 ff.; gegen jede Unterscheidung innerhalb des Volksbegriffes auch Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 34 ff. 2025 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 348. 2026 Näher zum Ausschluss von Betroffenenkollektiven („Verbandsvölker“) vom Volksbegriff Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 216 ff.; ähnlich Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 562 f. 2027 S. a. Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 348.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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sich weiterhin als offene, unbestimmte Allgemeinheit dar.2028 Eine Differenzierung nach gruppenspezifischen Kriterien oder Interessen (z. B. Personalvertretungen) existiert nicht.2029 Die Untergliederung in räumlich radizierte Teilvölker ist hingegen dem System föderaler Staaten geschuldet und schadet dem Kriterium der Allgemeinheit nicht.2030 In sachlicher Hinsicht ergibt sich das Volk i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG schließlich aus dem Staatsvolk als Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen und der ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen.2031 Diese Konzentration des Volksbegriffs auf den Verband der Staatsangehörigen soll die Symmetrie zwischen bürgerschaftlichen Lasten und Berechtigungen sicherstellen.2032 bb) Legitimationsobjekt: Staatsgewalt Gegenständlich bezieht sich die notwendige demokratische Legitimation auf den gesamten Umfang staatlichen Handelns.2033 Die Ausübung von Staatsgewalt ist nicht auf den Bereich hoheitlichen Handelns beschränkt.2034 Sie umfasst vielmehr die Wahrnehmung aller dem Staat zukommenden bzw. von ihm in Anspruch genommen Aufgaben.2035 Daher bedarf jedes amtliche Handeln der staatlichen Organe bzw. von Funktionsträgern, das Entscheidungscharakter hat, der demokratischen Legitimation.2036 Dies gilt selbst für den Fall, wenn es sich im schlicht-hoheitlichen Bereich bewegt oder es sich um amtliche Erklärungen oder Äußerungen im politischen
2028 BVerfGE 83, 37, 55 – Ausländerwahlrecht; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 159 f. 2029 Vgl. Loschelder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 107 Rn. 67; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 30. 2030 Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 349 f.; Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 31; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 210 ff., 224. 2031 Das BVerfG leitet dieses Verständnis aus dem positiven Verfassungsrecht (insb. Präambel und Art. 146 GG) ab, vgl. BVerfGE 83, 37, 51 – Ausländerwahlrecht; Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 79; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 5; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 57 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 207 ff. 2032 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 351; zum „Konnex von Rechten und Pflichten“, vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 79, 82. 2033 BVerfGE 47, 253, 273 – Bezirksvertretung; E 77, 1, 40 – Neue Heimat; aus der Lit.: statt vieler Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 158 f. 2034 Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 27 m. w. N.; dem Begriff der Staatsgewalt kommt eine eigenständige Bedeutung zu. Er ist weder mit den Begriffen der „staatlichen Gewalt“ in Art. 1 Abs. 1 GG noch mit der „öffentlichen Gewalt“ in Art. 19 Abs. 4 GG identisch, vgl. SchmidtAßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 338. 2035 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 12; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 255. 2036 Krit. Britz, VerwArch (91) 2000, S. 418, 425 f.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Bereich handelt.2037 Zum Teil werden vom Begriff der Staatsgewalt rein konsultative Tätigkeiten ausgenommen, die nur der Vorbereitung von Entscheidungen dienen, ohne selbst daran teilzuhaben.2038 Folgte man dieser Ansicht, fielen die Tätigkeiten der Endlagerkommission und des Nationalen Begleitgremiums schon begrifflich nicht unter den Terminus Staatsgewalt. Die beiden Gremien wären damit nicht legitimationsbedürftig. Das Bundesverfassungsgericht betont allerdings, dass auch solche Entscheidungen einzubeziehen seien, die nur behördenintern die Voraussetzung für eine Wahrnehmung von Amtsaufgaben und Mitentscheidungsbefugnissen einschließlich der Ausübung von Vorschlagsrechten schaffen.2039 Es erscheint daher überzeugend, Beiräte und Expertengremien nicht initiativ vom Zurechnungszusammenhang demokratischer Legitimation auszunehmen. Stattdessen kann bei rein vorbereitenden Tätigkeiten beispielsweise eine Absenkung des erforderlichen Legitimationsniveaus erfolgen.2040 Dies hat hinsichtlich der Endlagerkommission umso eher zu gelten, da sie mit der Evaluation das StandAG 2013 und der Ausarbeitung der Standortvergleichskriterien Aufgaben wahrnahm,2041 die originär staatlichen Organisationseinheiten zukommen.2042 cc) Arten der Legitimationsvermittlung Die Karlsruher Richter entwickeln den Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft in ständiger Rechtsprechung „vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung“ .2043
2037
Für das „ganze Spektrum der administrativen Handlungsformen“, vgl. Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 341 ff. 2038 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 13; Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 650; i. E. wohl ebenso Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 61. 2039 BVerfGE 107, 59, 87 – Lippeverband; E 93, 37, 68 – Mitbestimmungsverfahren; E 83, 60, 73 – Ausländerwahlrecht. 2040 I. E. ähnlich Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 6; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 366. 2041 Näher zu den Aufgaben der Endlagerkommission in Abschnitt D. III. 1. b) aa) (2). 2042 I. d. S. auch Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 357, der den Aufgabenkatalog der Endlagerkommission gar mit einem „einfach-gesetzliche(n) Initiativrecht“ zur Gesetzgebung gleichsetzt. 2043 BVerfGE 9, 268, 281 ff. – Bremer Personalvertretung; E 38, 258, 271 ff. – Magistratsverfassung Schleswig-Holstein; E 47, 253, 272 ff. – Bezirksvertretung; E 83, 37, 50 ff. – Ausländerwahlrecht; E 83, 60, 70 ff. – Ausländerwahlrecht; E 93, 37, 66 ff. – Mitbestimmungsverfahren; E 107, 59, 86 ff. – Lippeverband; jüngst BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 129 – Bankenunion.
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Als Grundformen der Legitimationsvermittlung unterscheidet man die institutionell-funktionale, die organisatorisch-personelle sowie die sachlich-inhaltliche Legitimation.2044 (1) Institutionell-funktionale Legitimation Der institutionell-funktionale Modus spiegelt die vom Verfassungsgeber vorgesehene Ausübung von Staatsgewalt durch Legislative, Exekutive und Judikative wider.2045 Insofern konnotiert er den Gewaltenteilungsgrundsatz und tritt einem aus dem Rechtstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip abgeleiteten Gewaltenmonismus entgegen.2046 Seine Funktion beschränkt sich primär auf die Institution der Gewalten und ihre Kompetenzen.2047 Aussagen über einen konkreten und dauerhaften Zurechnungszusammenhang bleiben eher den beiden folgenden Arten der Legitimationsvermittlung vorbehalten.2048 (2) Organisatorisch-personelle Legitimation Das Bundesverfassungsgericht führt in ständiger Rechtsprechung als wesentliches Kriterium an, dass eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen bestehen müsse.2049 Insofern befindet sich der einzelne Amtswalter bzw. eine die Staatsgewalt ausübende Stelle im Zentrum der organisatorisch-personellen Legitimation.2050 Zu diesen ist vom Volk über das Parlament und die Bundesregierung sowie den nachgeordneten Behörden ohne Unterbrechung ein Legitimationszusammenhang herzustellen.2051 Ein solcher 2044 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 14 ff.; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 7 ff.; Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 58. 2045 BVerfGE 49, 89, 125 – Kalkar I; E 68, 1, 89 – Pershing II; näher zur funktionengegliederten Demokratie Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 168 ff. 2046 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 15; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 8; s. a. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 124. 2047 Vgl. Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 8, weiterführend Rn. 31 ff.; krit. und keine eigenständige Bedeutung zuerkennend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 277 ff. 2048 S. a. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 279 f.; ähnlich Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 118; zur Konzentration auf die personelle und sachlich-inhaltliche Legitimationsstränge, vgl. etwa Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 561 ff.; Ludwigs, VERW (44) 2011, S. 41, 46 f.; ders., DVBl. 2011, S. 61, 67. 2049 St. Rspr. BVerfGE 47, 253, 275 – Bezirksvertretung; E 52, 95, 130 – Amtsverwaltung; E 77, 1, 40 – Neue Heimat; E 83, 60, 72 – Ausländerwahlrecht; E 93, 37, 66 – Mitbestimmungsverfahren; E 107, 59, 87 – Lippeverband; E 119, 331, 366 – ALG II; E 123, 39, 69 – Wahlcomputer; jüngst BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 129 – Bankenunion. 2050 S. a. Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 9. 2051 Zur ausreichenden „mittelbaren“ Legitimationsvermittlung, vgl. BVerfGE 38, 258, 271 – Mitbestimmungsverfassung; E 47, 253, 275 – Bezirksvertretung; E 83, 60, 72 f. –
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Konnex erfolgt in der Regel über eine individuelle Berufung sowie die Zuweisung eines bestimmten Funktionsbereichs.2052 (3) Sachlich-inhaltliche Legitimation Die sachlich-inhaltliche Legitimation bezieht sich hingegen auf die materielle Bindung der Staatsgewalt an den Volkswillen bzw. an den seiner Repräsentanten.2053 Für eine derartige Rückkopplung stehen verschieden Instrumente zur Verfügung. Eine Schlüsselfunktion nimmt das parlamentarische Gesetz als Werkzeug präventiver Steuerung ein.2054 Mit der Verankerung des Gesetzgebungsrechts und der auf Art. 20 Abs. 3 GG zurückzuführenden Bindung aller Staatsorgane an die so beschlossenen Gesetze erfolgt ein Bezug zum Parlament als das durch unmittelbaren Wahlakt legitimierte Repräsentationsorgan des Volkes.2055 Die dogmatischen Ausformungen des Gesetzesvorrangs, Gesetzesvorbehalts und der Gesetzesbestimmtheit enthalten neben der primär rechtsstaatlichen Wirkung auch eine demokratische Funktion, indem sie neben der Vorhersehbarkeit administrativer Entscheidungen deren parlamentarische Steuerbarkeit sichern.2056 Weiterhin stützen Elemente sanktionierter demokratischer Verantwortlichkeit einschließlich der dazugehörigen Kontrolle die sachlich-inhaltliche Legitimation.2057 Im Verhältnis Parlament zu Regierung sind in erster Linie das Budgetrecht sowie klassische Kontrollrechte wie etwa Untersuchungs-, Zitier- oder Interpellationsrechte und parlamentarische Anfragen zu nennen.2058 Gegenüber nachgeordneten Behörden und exekutivischen Einheiten bestehen zudem Weisungsrechte durch die ministerielle Spitze sowie ein enges Netz von Verwaltungsvorschriften.2059 Als Mittel der ex-post-Kontrolle funAusländerwahlrecht; E 77, 1, 40 – Neue Heimat; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 16; i. E. ebenso, allerdings von einem Legitimationskreislauf sprechend Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 142 ff., 147, 149. 2052 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 121; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269 f.; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 360 ff. 2053 BVerfGE 93, 37, 67 – Mitbestimmungsverfahren; E 107, 59, 89 – Lippeverband; insofern von „materieller“ demokratischer Legitimation sprechend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270 ff. 2054 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 357; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 11. 2055 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 21; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 272. 2056 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 357. 2057 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 21; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 273. 2058 Näher zu den parlamentarischen Kontrollbefugnissen Klein, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 50 Rn. 33 ff.; vgl. weiterhin Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 12 m. w. N.; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 358. 2059 BVerfGE 93, 37, 67 – Mitbestimmungsverfahren, E 107, 59, 89 – Lippeverband; BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 129 – Bankenunion; näher dazu Loschelder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 107 Rn. 3 ff.; vgl. weiterhin
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gieren hingegen Aufsichtsinstrumente wie die Rechts- und Fachaufsicht sowie Selbsteintritts- und Letztentscheidungsrechte.2060 dd) Bestimmtes Legitimationsniveau Entscheidend ist jedoch nicht die einzelne Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität. Es wird ein bestimmtes Legitimationsniveau benötigt.2061 Das verfassungsrechtlich zu erreichende Niveau kennt allerdings kein absolutes Maß und ist vielmehr hinsichtlich der verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt unterschiedlich ausgestaltet.2062 Die nötige Effektivität kann daher nur in Bezug auf das jeweilige Staatshandeln gemessen werden. Für diese Beurteilung ist darüber hinaus nicht ein isolierte Blick auf die jeweilige Legitimationsart von Bedeutung, sondern nur ihr Zusammenwirken.2063 Die sachlich-inhaltliche und die personell-organisatorische Legitimationskette stehen demnach grundsätzlich in einem Verhältnis „wechselseitiger Korrelation und Ergänzung“.2064 Je geringer die Steuerung des Staatshandelns durch inhaltliche Vorgaben und je größer der Anteil der persönlichen Entscheidungsleistung, desto größer muss die personell-organisatorische Legitimation sein, um das jeweils nötige Legitimationsniveau zu erreichen.2065 Dies kann im Extremfall bis zu einer gegenseitigen Ersetzbarkeit reichen.2066 In Zweifelsfällen ist das verfassungsrechtlich geforderte Niveau an effektiver Legitimation einzelfallabhängig zu bestimmen. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, Rn. 22; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 337 ff., 344 f.; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 358. 2060 Vgl. Trute, GrdlVerwR I § 6 Rn. 13 m. w. N.; Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 358 f. 2061 BVerfGE 83, 60, 72 – Ausländerwahlrecht; E 93, 37, 66 f. – Mitbestimmungsverfahren; E 107, 59, 87 – Lippeverband; E 130, 76, 124 – Vitos Haina; E 136, 194, 262 Rn. 168 – Weinabgabe; jüngst BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 129 – Bankenunion; stellv. aus der Lit.: Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 126. 2062 Vgl. Ludwigs, VERW (44) 2011, S. 41, 50; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 14; Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 126 m. w. N. 2063 BVerfGE 107, 59, 87 – Lippeverband; E 130, 76, 124, 128 – Vitos Haina; E 136, 194, 262 Rn. 168 – Weinabgabe; jüngst BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/ 14, Rn. 129 – Bankenunion; aus der Lit.: Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 367 f. 2064 S. a. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 127; Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 650 spricht von „Komplementarität“. 2065 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 23; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 328 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 283. 2066 S. a. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20 II Rn. 130; Voßkuhle, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 58; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 281 ff; a. A. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 23; Ludwigs, VERW (44) 2011, S. 41, 51; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 57; differenzierend Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 368.
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Gleichwohl stehen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG offen für begrenzte Modifikationen der demokratischen Legitimationsvermittlung, durch die „Einflussknicke“2067 kompensiert werden können.2068 Dazu zählen insbesondere eine effektive gerichtliche Kontrolle2069 oder solche Überwachungsrechte, die dem Parlament – im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen – spezifische Einflussmöglichkeiten auf Behörden vermitteln. Das demokratische Legitimationsniveau kann jedoch nicht unbegrenzt herabgesetzt werden. Zudem bedarf es nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts einer spezifischen Rechtfertigung.2070 Dies gilt selbst dann, wenn das amtliche Handeln nicht unmittelbar nach außen wirkt, sondern nur die Voraussetzungen für die weitere Wahrnehmung von Amtsaufgaben schafft.2071 Einflussknicke sind aus verfassungsrechtlich legitimen Gründen zulässig,2072 dürfen den Grundsatz der Volkssouveränität aber nicht unterlaufen.2073 Dass aber selbst sehr weitreichende Abstriche an das Legitimationsniveau gerechtfertigt werden können, zeigt das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bankenunion.2074 Darin erachten die Karlsruher Richter eine Rückkopplung an den Volkswillen bereits für den Fall als ausreichend, wenn das Parlament in die Lage versetzt ist, durch eine Änderung oder Aufhebung der Rechtsgrundlagen eine Letztkontrolle auszuüben.2075 ee) Zusammenfassung Das staatsrechtliche Legitimationsverständnis findet seine Grundlage im demokratischen Prinzip der Volkssouveränität. Demnach ist das Volk als verfasste Personengesamtheit der deutschen Staatsangehörigen der Träger der Staatsgewalt und vermittelt diese über eine ununterbrochene Legitimationskette an den konkreten Amtswalter bzw. die ausführende Stelle. Dazu stehen primär mit der organisatorischpersonellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation zwei Arten der Legitimati2067 Initiativ zum Begriff Wagener, in: ders. (Hrsg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976, S. 31, 40; vgl. weiterhin Huber, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 491, 508 f.; s. a. ders., EuR 2013, S. 637, 651. 2068 BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 130 – Bankenunion. 2069 Vgl. BVerfGE 142, 123, 220 ff. Rn. 187 ff. – OMT-Programm; vgl. dazu Ludwigs/Sikora, EWS 2016, S. 215, 222. 2070 BVerfGE 89, 155, 208 – Maastricht; E 134, 366, 389 f. Rn. 32 – OMT-Beschluss; E 142, 123, 220 Rn. 189 – OMT-Programm; jüngst BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 131 – Bankenunion. 2071 BVerfGE 93, 37, 68 – Mitbestimmungsverfahren. 2072 Loschelder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 107 Rn. 22; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 86 Rn. 43; Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 86 Rn. 58 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 123. 2073 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 22; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 369 ff., 559 ff. 2074 BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, – Bankenunion. 2075 Vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 130 – Bankenunion mit Verweis auf Epron, RFDA 2011, 1007, 117 f.
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onsvermittlung zur Verfügung. Entscheidend ist das Erreichen eines bestimmten Legitimationsniveaus, welches sich aus dem Zusammenspiel der Legitimationsarten und der Effektivität des Zurechnungszusammenhangs ergibt. b) Zulässigkeit externer Beratung im Gesetzgebungsprozess Die Diskussion um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit und rechtspolitische Einordnung von sachverständiger Beratung korreliert mit einem zunehmenden Wandel zur Wissens- und Informationsgesellschaft.2076 Durch ein stetig wachsendes Maß an Daten, Informationen und Wissen wird einerseits eine breitere Grundlage für politische Entscheidungen ermöglicht. Andererseits werden solche Beschlüsse auch erheblich erschwert. Die für eine Beurteilung relevanten Materialen und Wissensgrundlagen werden komplexer, die Zusammenhänge und Folgewirkungen zunehmend begrenzt oder nur mit größter Anstrengung überschaubar.2077 Dieser gesellschaftlichen Beobachtung folgen unmittelbare Auswirkungen für das System der repräsentativen Demokratie.2078 Die gewählten Volksvertreter sind immer weniger in der Lage, ihre Entscheidungen aus eigenem Wissen und Urteil zu treffen.2079 Statt dessen besteht eine gesteigerte Abhängigkeit von einer Beratungstätigkeit durch Experten und Lobbyisten.2080 Dass die Endlagersuche aufgrund der Eigenschaften von radioaktivem Abfall und des langen Betrachtungszeitraums in besonderem Maße auf wissenschaftlichen Sachverstand angewiesen ist, erscheint offenkundig und wurde bereits mehrfach thematisiert.2081 Für die nachfolgende Untersuchung soll allerdings eine Beteiligung der Wissenschaft etwa durch gutachterliche Tätigkeit im Planungsverfahren2082 ausgeklammert werden, welche verfassungsrechtlich als unproblematisch anerkannt 2076
Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102; zur Bedeutung von externem Sachverstand im Umwelt- und Technikrecht, vgl. Smeddinck, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 32 Rn. 14 ff.; zur Zunahme von wissenschaftlicher Politikberatung weiterhin Weingart, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 67, 68 f. 2077 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 34 Rn. 37 f. 2078 Vgl. Krüper, JZ 2010, S. 655, 660. 2079 Zu diesem Umstand unter dem Schlagwort „Sachverständigengefälle“, vgl. die Ausführungen in Abschnitt C. II. 3.; näher zum Begriff Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, 78 ff.; Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 357 ff. 2080 S. a. Battis, ZRP 2009, S. 201; Mayntz, in: Schober (Hrsg.), Der moderne Staat – Idee und Wirklichkeit, 2009, S. 19, 24; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 34 Rn. 38; zur Differenzierung von Experten und Lobbyisten, vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 17 ff., demnach ist die Tätigkeit von Sachverständigen durch Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Distanz zum Beratungsgegenstand gekennzeichnet, während die Aufgaben von Interessenvertretern darin besteht, spezifische Einzelbelange bestimmter Organisationen oder Personengruppen zu artikulieren und im Entscheidungsfindungsprozess zur Geltung zu bringen. 2081 Vgl. etwa die Abschnitte C. II. 3. und 4. b) sowie D. III. 1. a) dd). 2082 Instruktiv Bleicher, Standortauswahlverfahren bei der Planung von Abfallentsorgungsanlagen durch private Gutachter, 1996; Hoppe, DVBl. 1994, S. 255 ff.
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ist.2083 Der Fokus richtet sich vielmehr auf die im StandAG 2013 bzw. StandAG 2017 institutionalisierten pluralistisch besetzten Gremien der Endlagerkommission und des Nationalen Begleitgremiums (NBG). Insbesondere deren Aufgabe zur Evaluierung des Standortauswahlgesetzes und zur Formulierung von Änderungsvorschlägen wirft Fragen nach einer ausreichenden Legitimation und einer Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip auf.2084 Zur Klärung werden zunächst die unterschiedlichen Funktionen und potenzielle Spannungslagen sachverständiger Beratung kursorisch aufgezeigt (aa). Im Anschluss folgt eine Darstellung der defizitären demokratischen Legitimation von Endlagerkommission und NBG (bb), um darauf aufbauend die Tätigkeit der beiden Gremien in die unterschiedlichen Ausformungen von Politikberatung einzuordnen (cc). Auf dieser Basis kann schließlich eine Bewertung erfolgen, ob die nach Vorschlägen von Endlagerkommission und Nationalem Begleitgremium ergangenen Gesetze mangels hinreichender demokratischer Legitimation verfassungswidrig sind (dd). aa) Funktionen und Spannungslagen sachverständiger Beratung Die Beteiligung von wissenschaftlichem Sachverstand und externen Beratern wird höchst unterschiedlich beurteilt. Eine partizipations-theoretische Sichtweise spricht ihr gar eine zusätzliche Legitimationswirkung zu.2085 Auf die Gefahr der Verlagerung von politischer Verantwortung auf externe Beratergremien verweist der formal-staatstheoretische Blickwinkel.2086 Eine Erklärung für diese divergierende Bewertung liefern unterschiedliche Funktionen und Spannungsfelder, welche die sachverständige Beratung der öffentlichen Hand mit sich bringt.
2083 Entsprechende Gutachten oder Stellungnahmen dienen dem (staatlichen) Auftraggeber zwar als Entscheidungsgrundlage, bedürfen aber der Rezeption und Bewertung und werden dadurch als neue, eigene Entscheidung des Auftraggebers in die Sphäre der Staatlichkeit transformiert. Insofern handelt es sich gerade nicht um einen Fall, bei dem „die für eine Demokratie essentielle formale Institutionalisierung der Willensbildung schleichend aufgelöst wird“, vgl. Gärditz, GewArch 2011, S. 273, 279. 2084 Vgl. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281; Posser, FS Dolde, S. 251, 266. 2085 Näher zur Legitimationswirkung von Beteiligung in Abschnitt C. IV. 1. c); ambivalent zum StandAG Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 26. 2086 Vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 52; Puhl, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 48 Rn. 41; Papier, in: Mellinghoff (Hrsg.), Die Erneuerung des Verfassungsstaates, 2003, S. 103, 113 ff.; Herdegen, VVDStRL (62) 2003, S. 7, 13 f.; Kirchhof, NJW 2001, S. 1332 ff.; Graser, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 39, 41 ff.; für lediglich niedrige verfassungsrechtliche Anforderungen Morlok, VVDStRL (62) 2003, S. 37, 74; zum „Outsourcing von Gesetzesentwürfen“, vgl. Kloepfer, NJW 2011, S. 131 ff.; Krüper, JZ 2010, S. 655 ff.; Battis, ZRP 2009, S. 201 f.; konkret zum StandAG Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff.; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 f.; ders., ZfU 2015, S. 343, 355 f.
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(1) Funktionen Die primäre Funktion sachverständiger Beratung des Staates liegt unbestreitbar in der Vermittlung von Wissen und Spezialkenntnissen.2087 Beratungstätigkeit durch Experten rein auf den Wissenstransfer zu reduzieren, greift allerdings zu kurz.2088 Vielmehr beinhaltet sie ein breites Funktionsspektrum, das sich ausgehend vom konkreten Sachverhalt weiter spezifizieren lässt.2089 In concreto sind explizite von verdeckten Funktionen zu unterscheiden.2090 Unter expliziten Funktionen versteht man solche Beratungsziele, die im öffentlichen Diskurs eine Chance auf Anerkennung besitzen.2091 Neben der reinen Wissensvermittlung2092 fällt darunter beispielsweise die Integrations- und Schlichtungsfunktion.2093 Sie bezweckt den Ausgleich von gegenläufigen Interessen und die Akzeptanz von Entscheidungen, etwa durch die Mitwirkung pluraler Gremien oder die Anhörung von Verbänden im Gesetzgebungsverfahren.2094 Die Einsetzung von Endlagerkommission und Nationalem Begleitgremium adressiert maßgeblich diese Facette. Weiterhin dient die Anhörung von Experten der finanziellen Entlastung des öffentlichen Sektors, der entsprechendes Fachpersonal und Sachmittel nicht dauerhaft selbst vorhalten muss.2095 Im Übrigen können Gutachten von Sachverständigenräten oder Berichte einer Enquete-Kommission die Notwendigkeit politischadministrativen Handelns ins Bewusstsein rufen und so eine Warn- und Initialfunktion erfüllen.2096 Sachverständige Gremien, die bestimmte politische oder administrative Prozesse beaufsichtigen, üben zudem eine Kontrollfunktion aus. Gleichwohl erfolgt die Einschaltung von Experten durch staatliche Stellen mitunter aus Motiven, die unter Gemeinwohlgesichtspunkten sachwidrig erscheinen. 2087 Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 103; Bull, DÖV 2014, S. 897, 899; Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 285 f.; Kloepfer, NJW 2011, S. 131, 133; Krüper, JZ 2010, S. 655, 658. 2088 Vgl. auch Ennuschat, DVBl. 2004, S. 986, 989 ff.; s. a. unter Betonung der „politischen Symbolik“ Siefken, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 145, 157. 2089 Vgl. Siefken, ZParl 2003, S. 481, 497 ff.; zur besonderen Situation sachverständiger Beratung im Umfeld der Atomentsorgung, vgl. Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 103. 2090 S. a. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 24, für die nachfolgende Kategorisierung, vgl. zudem Rn. 25 f. 2091 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 25. 2092 Zur primären Funktion des Wissenstransfers, vgl. Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2012, S. 45 f., 68; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556. 2093 Heintzen, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 9 Rn. 17. 2094 Vgl. Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 13; zur entsprechenden Zielrichtung von Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Abschnitt C. IV. 2. 2095 Diesen Aspekt unter die Stichworte „Kapazitätsproblematik“ und „Eile“ fassend Kloepfer, NJW 2011, S. 131, 133 f.; krit. Battis, ZRP 2009, S. 201, 202. 2096 S. a. mit der Nennung verschiedener Beispiele Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 61.
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Diese nicht offen kommunizierten Ziele werden daher als verdeckte Beratungsfunktionen bezeichnet.2097 Hierzu zählen die Instrumentalisierung von Sachverständigen zur Stärkung eigener Positionen gegenüber der Beamtenschaft, anderen Fachressorts oder der Öffentlichkeit (sog. Unterstützungsfunktion).2098 Weiterhin können Entscheidungen durch die Bildung einer Expertengruppe oder die Beauftragung wissenschaftlicher Gutachter verzögert werden (Aufschiebefunktion).2099 Ein negatives Spiegelbild der oben beschriebenen Entlastungsfunktion zeigt sich hingegen, wenn externe Berater nur deshalb hinzugezogen werden, um die politische Verantwortung auf außenstehende Personen zu delegieren (Abwälzfunktion)2100 oder bereits getroffene strategische Entscheidungen gegen politische Kritik abzusichern (Alibi- und Immunisierungsfunktion).2101 (2) Spannungsfelder Während die negativ konnotierten „verdeckten“ Beratungsfunktionen eine gemeinwohlwidrige Intention der öffentlichen Auftraggeber voraussetzen, ergeben sich weitere Spannungsfelder aus grundlegenden Eigenschaften der sachverständigen Beratung. Zu nennen wäre zum einen die unter dem Schlagwort „Lobbyismus“ gefasste interessensgebundene Information durch ideologisch oder organisatorisch vorgeprägte Experten.2102 Zum anderen entstehen demokratie-theoretische Friktionen, sofern eine Beratungstätigkeit die Grenze zur (Mit-)Entscheidung berührt oder gar überschreitet.2103 Das Idealbild des Sachverständigen ist von Sachkunde, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit geprägt.2104 Insoweit grenzt er sich einerseits von den Betroffenen,
2097
Näher hierzu Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 46. Vgl. Siefken, ZParl 2003, S. 481, 498 ff.; mit Verweis auf den sog. Cecchini-Bericht im Vorfeld der Einführung eines EU-Binnenmarktes, Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 60. 2099 Vgl. Siefken, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 145, 159; ders., in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 113. 2100 So etwa Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 f. 2101 S. a. Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; diese beiden letzten Funktionen betrifft die am StandAG und seinen pluralistischen Gremien geäußerte Kritik, vgl. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff.; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 355 ff., 358; ders., ZSE 2015, S. 4, 29 f. 2102 S. a. Steinberg, FS Koch, S. 253, 266; Wagschal, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 56 f.; grundlegend zum „Sachverständigendilemma“ Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S 78 ff.; Mann, VVDStRL (72) 2013, S. 544, 551 (Fn. 26) m. w. N. sowie Abschnitt C. II. 3. 2103 Für die vorstehende Differenzierung, vgl. auch Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 17 ff. 2104 Näher zur Unabhängigkeit der Wissenschaft Bull, DÖV 2014, S. 897, 900 f. 2098
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andererseits von den Interessensvertretern ab.2105 Allerdings korrespondiert die zunehmende Politisierung von Großvorhaben2106 mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit seitens Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen, aber auch von Verbänden, die Wirtschaftsinteressen verfolgen.2107 Wissenschaftliche Stellungnahmen von solchen Interessensvertretern weisen naturgemäß eine ideologische Vorprägung auf, welche unter das Schlagwort Expertendilemma gefasst werden kann.2108 Dieser Begriff umschreibt Eigenrationalitäten im Expertensystem, mithin die Gefahr, dass Sachverständige die Partialinteressen „ihrer Lobby“ (z. B. KostenNutzen-Erwägungen, mögliche Folgeaufträge sowie Gruppenideologie) zu Lasten des Gemeinwohls in das Verfahren einspeisen.2109 Eingedenk des Umstands, dass komplexe technische und naturwissenschaftliche Sachfragen oftmals keiner eindeutigen Antwort zugeführt werden können, verliert die Einbindung von Lobbyisten aber einen Großteil ihres Schreckens. Gerade die Mitwirkung in gemischten Gremien eröffnet stattdessen sogar die Chance, das Meinungsbild zu einen bestimmten Thema abzurunden.2110 Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, Organisationsformen und Verfahren so zu wählen, dass das gesamte Spektrum wissenschaftlich-sachverständiger Ansätze berücksichtigt werden kann.2111 Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich aus der Differenzierung zwischen Beratung und Entscheidung.2112 Erstere informiert als reine Vorbereitungshandlung lediglich über Fakten und Gesetzmäßigkeiten. Aus demokratie-theoretischer Sichtweise entsteht hierbei keine Problemlage, weil die verantwortlichen staatlichen Entscheidungsträger in keiner Weise gebunden werden. Anders verhält es sich, wenn „echte“ Kompetenzen auf Sachverständige übertragen werden. In diesem Fall ist ein hinreichend bestimmtes Legitimationsniveau sicher zu stellen.2113 Dieses dezisio-
2105 Vgl. Krüper, JZ 2010, S. 655, 658; Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 17 m. w. N.; zu verschiedenen Formen der Politikberatung, vgl. Weingart, in: Falk/ Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 67, 73 ff. 2106 Näher dazu, Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 522 ff. 2107 S. a. zur Endlagerkommission Bull, DÖV 2014, S. 897, 900; zur Komplexität der Akteursstruktur in der Endlager-Governance, vgl. bereits Abschnitt C. II. 4. sowie Häfner, Entria-Arbeitsbericht-04, 2016. 2108 Vgl. bereits Abschnitt C. II. 3. 2109 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Schröder/Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2011, S. 455, 462; Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 19; Ennuschat, DVBl. 2004, S. 986, 990; Hocke, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 155, 170; konkret zur Beteiligung von Anwaltskanzleien bei der Vorbereitung von Gesetzen Kloepfer, NJW 2011, S. 131, 132 f.; Krüper, JZ 2010, S. 655, 659. 2110 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 20. 2111 Di Fabio, VerwArch (81) 1990, S. 193, 211 f. 2112 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 21; Krüper, JZ 2010, S. 655, 658. 2113 S. oben bei D. IV. 1. a) dd).
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nistische Modell2114 einer dualistischen Einordnung geht allerdings an der Wirklichkeit der Expertentätigkeit vorbei. Entscheidungsvorbereitung und -findung lassen sich häufig nicht eindeutig und klar trennen. Tatsächlich sind Entscheidungen prozesshafte Vorgänge der sequentiellen Problemverarbeitung, auf die in jedem Stadium bestimmender Einfluss genommen werden kann.2115 Es bedarf daher einer detaillierten Untersuchung im Einzelfall, ob es sich um eine demokratie-theoretisch unbedenkliche entscheidungsunabhängige, eine problematische faktisch entscheidungsersetzende oder aber um eine entscheidungspräformierende Beratung2116 handelt. Letztere bindet staatliche Entscheidungsträger zwar nicht, lässt bei einem Abweichen von Vorschlägen aber gesteigerte Begründungspflichten entstehen.2117 bb) Legitimationsdefizit von Endlagerkommission und Nationalem Begleitgremium Die Tragweite und Bedeutung, welcher Kategorie eine Beratungstätigkeit zuzurechnen ist, unterstreicht ein Blick auf die verfassungsrechtliche Legitimation der pluralistischen Gremien im StandAG. Sowohl die Endlagerkommission, mehr noch das Nationale Begleitgremium weisen ein Legitimationsdefizit auf. Ein solches Defizit bestand bei der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) sowohl im Hinblick auf die sachlich-inhaltliche als auch in Bezug auf die organisatorische-personelle Legitimation. Trotz der institutionellen Anbindung an den Deutschen Bundestag agierte die Endlagerkommission unabhängig.2118 Weder existierten Weisungsrechte noch waren hinsichtlich ihrer Tätigkeit rechts- oder fachaufsichtliche Kontrollmöglichkeiten vorgesehen. Etwas anderes wäre angesichts der Ziele eines fairen, transparenten und ergebnisoffenen Verfahrens auch nicht vermittelbar.2119 Ebenso erfolgte die Erstellung ihres Abschlussberichts frei von Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme, so dass sich die sachlich-inhaltliche Legitimation auf die in den §§ 3 bis 5 StandAG 2013 liegende 2114 Näher hierzu und zur Bevorzugung eines „pragmatischen Modells“ Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, 1968, S. 120 ff.; vgl. auch die Darstellung bei Bull, DÖV 2014, S. 897, 900. 2115 Krüper, JZ 2010, S. 655, 658; s. a. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 21, der unter Rekurs auf Winfried Brohm und als Gegenpol zu Habermas den Begriff „pragmatisches Modell“ verwendet; krit. Heintzen, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 9 Rn 6; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 109. 2116 Zur Unterscheidung der einzelnen Beratungsarten, vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 45 ff. 2117 Zur Einordnung der Tätigkeit der Endlagerkommission als „entscheidungspräformierende Beratung“, vgl. bereits Abschnitt D. III. 1. c) aa) (2) (a) 2118 S. a. Grunwald, politische ökologie 2016, S. 124, 125; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 410; die institutionelle Anbindung erfolgte über die Einrichtung am federführenden Ausschuss des Deutschen Bundestages und die Unterstützung durch eine vom Bundestag eingerichtete Geschäftsstelle, vgl. Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn. 35 ff. 2119 Näher zu den einzelnen Zwecken des Standortauswahlgesetzes in Abschnitt D. III. 1. a).
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gesetzliche Aufgabenzuweisung als Instrument präventiver Steuerung beschränkte.2120 Zudem lässt die Besetzung der Endlagerkommission erkennen, dass die Legitimationskette zum Volk als Träger der Staatsgewalt unterbrochen war.2121 Zwar bestand die Hälfte ihrer Mitglieder aus Vertretern des Deutschen Bundestages (unter Berücksichtigung aller Fraktionen) sowie Vertretern der Landesregierungen. Diese hatten jedoch kein Stimmrecht.2122 Die zweite Hälfte der Mitglieder rekrutierte sich aus Vertretern der Wissenschaft, von Umweltverbänden, der Religionsgemeinschaften, von Wirtschaft und Gewerkschaften.2123 Obwohl diese Personen auf Grundlage eines gleichlautenden Wahlvorschlags von Bundestag und Bundesrat gewählt wurden, ist zu beachten, dass den Interessensgruppen eine eigenverantwortliche Benennung der von ihnen zu entsendenden Vertretern zukam.2124 Der parlamentarische Einfluss war auf solche Fälle begrenzt, in denen ein mögliches Kommissionsmitglied aus offenkundigen Gründen ungeeignet war.2125 Mit dieser pluralistischen Besetzung wurde folglich zwar eine gewisse Repräsentanz als Spiegelbild der Gesellschaft erreicht.2126 Eine umfassende personell-organisatorische Legitimation im demokratie-theoretischen Kontext lag aber nicht vor.2127
2120 Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 329, 357; Trute, GrdlVerwR I, § 6 Rn. 11; zu den Grundlagen sachlich-inhaltlicher Legitimation, vgl. zuvor Abschnitt D. IV. 5. a) cc); nach dem jüngsten Urteil des BVerfG zur Bankenunion, sollen allerdings schon parlamentarische Kontrollrechte zur Erreichung eines hinreichenden Legitimationsniveaus genügen, sofern diese es dem Parlament ermöglichen, durch die Aufhebung von gesetzlichen Grundlagen eine wirksame Letztkontrolle durchzuführen, vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/ 14, Rn. 130 – Bankenunion mit Verweis auf Epron, RFDA 2011, 1007, 1017 f.; näher zu parlamentarischen Kontrollrechten Klein, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 50 Rn. 33 ff. 2121 Näher zur Besetzung der Endlagerkommission in Abschnitt D. III. 1. b) aa) (1). 2122 Zur Forderung aufgrund ihrer vorbereitenden Tätigkeiten keine Vertreter der Politik zuzulassen, vgl. Edler/Münchmeyer/Breuer u. a., Voraussetzungen für eine verantwortungsvolle und gesellschaftlich akzeptierte Endlagersuche in Deutschland, 2012, S. 7; krit. zur damit verbundenen Verantwortungsverschiebung auf gesellschaftliche Akteure, Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282 f. 2123 Für eine namentliche Auflistung der Kommissionsmitglieder einschließlich zwischenzeitlicher Wechsel in der Besetzung, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/9100, 2016, S. 457 ff. 2124 S. a. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 384 ff.; zust. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 60. 2125 Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 3 Rn 18. 2126 Krit. zur „dysfunktionalen“ Besetzung Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 356 f.; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282; Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 63 f. 2127 Krit. und dagegen eine Alleinentscheidung des staatlichen Kreationsorgans zur Auswahl und Bestellung von Funktionsträgern fordernd, Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 384 ff.; zust. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 60.
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Ähnlich verhält es sich mit dem Nationalen Begleitgremium (NBG). Als Nachfolger der Endlagerkommission agiert es ebenfalls weitgehend frei von parlamentarischen und behördlichen Einflüssen.2128 Auch bei der Besetzung zeigen sich Parallelen zur Endlagerkommission.2129 So wurden die Mitglieder der Kategorie „Anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ ebenfalls auf Grundlage eines einheitlichen Wahlvorschlags von Bundestag und Bundesrat berufen. Bei den sog. „Zufallsbürgern“ erfolgt nach Nominierung in einem speziellen Beteiligungsverfahren2130 eine Ernennung durch das Bundesumweltministerium.2131 Allerdings fehlen im Vergleich zur Endlagerkommission solche Mitglieder, die dem Parlament unmittelbar zugeordnet werden können, so dass die personelle Legitimation im Ergebnis nochmals schwächer ausgeprägt ist. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die pluralistischen Gremien des StandAG als unabhängige Institutionen eingerichtet wurden und eigenständig agier(t)en. Die sachlich-inhaltliche Legitimation beschränkt sich auf die gesetzliche Aufgabenzuweisung. Demgegenüber besteht eine (schwache)2132 personelle Legitimation durch die parlamentarische Einsetzung bzw. Ernennung durch das Bundesumweltministerium. cc) Kein Legitimationserfordernis bei reiner Beratungstätigkeit Die aufgezeigten Einflussknicke2133 wären verfassungsrechtlich jedoch ohne Belang, wenn der Aktionsbereich der Gremien auf reine Beratungstätigkeiten beschränkt bliebe.2134 Sachverständige Äußerungen, die losgelöst von konkreten Entscheidungssituationen zu allgemein-politischen Themen erfolgen, haben eher einen 2128
Zum Selbstverständnis des Nationalen Begleitgremiums als unabhängige gesellschaftliche Instanz, vgl. NBG, Das Gremium, http://www.nationales-begleitgremium.de/DE/ WerWirSind/Das_Gremium/Das_Gremium_node.html, (geprüft am 26.9.2019). 2129 BT-Drs. 18/8704, S. 6; zur konkreten Besetzung, vgl. http://www.nationales-begleitgre mium.de/DE/WerWirSind/Die_Mitglieder/Die_Mitglieder_node.html, (geprüft am 30.9.2019); instruktiv zur Rekrutierung der Mitglieder einschließlich eines Überblicks zur Kritik an der Besetzung Smeddinck, FS Erbguth, S. 501, 509 ff. 2130 Näher zum Auswahlverfahren der Bürger/innenvertreter IKU – Die Dialoggestalter, Dokumentation NBG Endlager, im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), 21.6.2017. 2131 Vgl. NBG, Das Nationale Begleitgremium, 2019, S. 3 f. 2132 Zur Kritik an Mitgliedern, die auf verbindlichem Vorschlag von Verbänden gewählt wurden, vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 384 ff.; zust. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 60. 2133 Initiativ zum Begriff Wagener, in: ders. (Hrsg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976, S. 31, 40; vgl. weiterhin Huber, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 491, 508 f.; s. a. ders., EuR 2013, S. 637, 651. 2134 Konsultative Tätigkeiten vom Erfordernis demokratischer Legitimation ausnehmend, sofern sie nur der Vorbereitung von Entscheidungen dienen, ohne daran teilzuhaben, vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 13.
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geringen Einfluss auf die staatliche Entscheidungstätigkeit.2135 Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beratungsinhalte und Empfehlungen von der Auftrag gebenden hoheitlichen Stelle rezipiert und in einem formal institutionalisierten Willensbildungsprozess in eine eigene Position transformiert werden.2136 Im Fall der Gesetzgebung geschieht dies mit der Ausarbeitung eines Entwurfs durch die Ministerialverwaltung, in den die Vorschläge und Empfehlungen von Sachverständigen einfließen. Im letzten Schritt macht sich der Bundestag einen solchen Gesetzesentwurf durch das Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG und den abschließenden Mehrheitsbeschluss zu eigen.2137 Dies gilt selbst für umstrittene Konstellationen2138 wie die sog. „Aushandlung von Gesetzen“2139 oder die besonders streitbare Situation, in der Gesetzesentwürfe vollständig von Anwaltskanzleien verfasst werden und unverändert in Kraft treten.2140 An zuletzt genannter Fallgruppe wird insbesondere kritisiert, dass es sich nicht um eine – für die Demokratie typische – Mitwirkung der Gesellschaft an der politischen Willensbildung im Gemeinwesen handele. Vielmehr nehme die Bundesregierung gesellschaftliche Akteure für ihre Zwecke entgeltlich in Dienst.2141 Bei der Erstellung von Gesetzen durch Rechtsanwälte trete zudem ein Distanzverlust zwischen Beratern und Beratenen offen zu Tage.2142 Der Wandel der anwaltlichen 2135 S. a. verallgemeinernd Morlok, VVDStRL (62) 2003, S. 37, 74; ähnlich Siefken, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 145, 158; zur Definition der „entscheidungsunabhängigen Beratung“, vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 46. 2136 S. a. Bull, DVBl. 2015, S. 593, 597; ders., DÖV 2014, S. 897, 901. 2137 Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 109; Frenzel, JuS 2010, S. 119, 123 f.; krit. hingegen Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, 2006, S. 204 ff. 2138 Für einen Überblick, vgl. Graser, in: Falk/Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 39, 41 f. 2139 Das Schlagwort umschreibt Abstimmungsprozesse zwischen der Bundesregierung und gesellschaftlichen Kräften im Vorfeld von Gesetzgebungsprozessen, die u. U. mittels öffentlichrechtlicher Verträge oder sonstigen Vereinbarungen festgehalten werden; zum sog. Atomkonsens I, vgl. Schorkopf, NVwZ 2000, S. 1111 ff.; Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, S. 119 ff.; Kloepfer/Bruch, JZ 2011, S. 377 ff.; zur Bindungswirkung des Gesetzgebers an den öffentlichrechtlichen Vertrag zur Neuordnung der Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, vgl. Ludwigs, RW 2018, S. 109, 132 ff. Schmitz/Hellenberg/Martini, NVwZ 2017, S. 1332, 1335, 1338. 2140 Ausgangspunkt waren das im Zuge des Zusammenbruchs der US-Bank LehmanBrothers erlassene Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG, Gesetz v. 17.10.2008, BGBl. I S. 1982) sowie das zur Rettung der Hypo Real Estate erlassene Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz (FMStErgG, Gesetz v. 7.4.2009, BGBl. I S. 725). Der jeweilige Gesetzentwurf wurde von den Wirtschaftskanzleien Freshfields Bruckhaus Deringer bzw. Linklaters entworfen, vgl. dazu Kloepfer, NJW 2011, S. 131 ff.; Krüper, JZ 2010, S. 655 ff.; Battis, ZRP 2009, S. 201 f.; Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 77 ff.; Wagschal, in: Falk/ Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 51, 52. 2141 Kloepfer, NJW 2011, S. 131, 132; darin keine Einbeziehung Dritter, sondern einen Austausch wesentlicher Akteure des Gesetzgebungsverfahrens sehend Krüper, JZ 2010, S. 655. 2142 Kloepfer, NJW 2011, S. 131, 132; Krüper, JZ 2010, S. 655, 660.
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Tätigkeit von einem unabhängigen Organ der Rechtspflege zur hoheitlichen Beschäftigung als Quasi-Gesetzgeber begründe die Vermutung eines grundsätzlichen Rollenkonflikts.2143 Doch auch in diesen Grenzfällen bleibt es für eine verfassungsrechtliche Beurteilung bei der gleichen Ausgangssituation. Unabhängig von der jeweiligen Quelle macht sich der Bundestag die Gesetzesentwürfe durch ihre Verabschiedung zu eigen,2144 so dass ein ausreichendes Legitimationsniveau besteht.2145 dd) Zulässigkeit entscheidungspräformierender Beratung im StandAG Eine andere Bewertung könnte sich für die pluralistischen Gremien des StandAG nur dann ergeben, wenn deren Tätigkeit nicht nur die Möglichkeit einer faktischen Einflussnahme auf die staatliche Entscheidung beinhaltet.2146 Vielmehr müsste das Handeln von Endlagerkommission und Nationalem Begleitgremium dem Staat als eigenes zuzurechnen sein.2147 Bezüglich der Tätigkeit der Endlagerkommission lassen sich zwei gesetzliche Bestimmungen anführen, die ein derart enges Verhältnis von pluralistischem Beirat und Gesetzgeber andeuteten.2148 Zum einen stellte nach § 4 Abs. 2 S. 2 StandAG 2013 ihr Abschlussbericht die Grundlage für die Evaluation des StandAG durch den Deutschen Bundestag dar.2149 Zum anderen hielt § 4 Abs. 5 StandAG 2013 hinsichtlich der Standortvergleichskriterien fest, dass sie von der Kommission als Empfehlungen erarbeitet und sodann vom Bundestag als Gesetz beschlossen wer-
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Krüper, JZ 2010, S. 655, 659. Die Rolle externer Berater in einer scharfen Konnotation als „Knechte“ bezeichnend, Battis, ZRP 2009, S. 201, 202; zu den Kriterien für eine erfolgreiche Zurechnung und entsprechende Grenzen, vgl. Krüper, JZ 2010, S. 655, 661 f.; notwendig ist demnach eine hinreichend sachkundige demokratische Kontrolle und bei Bedarf eine Korrektur. Dies mag sich bei regulierungstechnisch komplexen Materien anspruchsvoll gestalten, ist aber von umso größerer Bedeutung, wenn die externen Akteure nicht neutral sind; ebenso Graser, in: Falk/ Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 39, 42. 2145 S. a. Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 110; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; Frenzel, JuS 2010, S. 119, 123 f.; a. A. Kloepfer, NJW 2011, S. 131, 132. 2146 Für eine Tendenz der Öffentlichkeitsbeteiligung im StandAG „in Richtung eigenständiger Mitwirkung“, vgl. Bull, DVBl. 2015, S. 593, 596; a. A. in Bezug auf das StandAG im Entwurfsstadium Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 287 f., 290. 2147 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 61; ähnlich und auf die Grenze zwischen „Mitwirkung“ und „Mitentscheidung“ abstellend Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 20; für eine geringe präjudizierende Wirkung von Beratungsgremien Morlok, VVDStRL (62) 2003, S. 37, 75; ähnlich Siefken, in: Falk/Glaab/ Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 145, 158. 2148 Näher zur Bindungswirkung des Abschlussberichts der Endlagerkommission bereits in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (2) (a). 2149 Hierin ein faktisches „einfach-gesetzliches Initiativrecht“ zur Gesetzgebung erkennend Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 357. 2144
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den.2150 Zwar besagen bereits die Gesetzesmaterialien, dass eine formelle Bindungswirkung der Legislative nicht beabsichtigt gewesen sei.2151 Nicht von der Hand zu weisen waren aber die faktischen Auswirkungen, die sich durch die Arbeit der Kommission als Vorfestlegungen ergaben.2152 Um die Zielsetzung des Standortauswahlverfahrens zur Schaffung von Vertrauen und Akzeptanz nicht bereits frühzeitig zu konterkarieren, erschien es naheliegend, dass sich die Abgeordneten an die Empfehlungen einer Expertenkommission halten.2153 Die Letztentscheidungskompetenz blieb – formal gesehen – zwar beim Gesetzgeber. Realistisch verfügte das Parlament aber weder über die erforderlichen personellen noch die zeitlichen Ressourcen, um die Aussagen der Sachverständigenkommission auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen.2154 Eine solche entscheidungspräformierende Beratung2155 ist jedoch unter bestimmten Voraussetzungen verfassungskonform. Ausschlaggebend ist der verbleibende hoheitliche Anteil an der Aufgabenerfüllung. Den Staat trifft eine vor- und nachwirkende Legitimationsverantwortung.2156 Dieser kommt er im Vorfeld durch die parlamentsgesetzliche Aufgabenzuweisung nach. Im Nachgang ist eine wirkungsvolle staatliche Letztentscheidungskompetenz sicherzustellen, die den sachverständigen Vorfestlegungen Rechnung trägt.2157 Im Fall der entscheidungs-
2150 Zumindest diesem „technischen Teil“ des Kommissionsberichts wurde aufgrund der indikativen Präsensformulierung („werden […] vom Deutschen Bundestag als Gesetz beschlossen“) eine „gewisse normative Kraft“ zugesprochen, vgl. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 831; ähnlich Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; a. A. Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 106 ff., 108, die aus dem Begriff „Empfehlung“ auf eine Unverbindlichkeit schließen. 2151 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 22. 2152 Vgl. Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 138, 146; Bull, DÖV 2014, S. 897, 901; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 831; ähnlich in Bezug auf eine Analyse der Arbeit von Expertenkommissionen in der 14. und 15. Legislaturperiode Siefken, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 112; ähnlich ders., in: Falk/ Glaab/Römmele u. a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, 2019, S. 145, 148 ff. 2153 Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 25; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 109 f.; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; Bull, DÖV 2014, S. 897, 901. 2154 So bereits Brohm, VVDStRL (30) 1972, S. 245, 292; Burgi, VERW (33) 2000, S. 183, 194 f.; a. A. Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 357; zu den Möglichkeiten sachverständiger Beratung im Rahmen des parlamentarischen Geschäftsgangs, vgl. Heintzen, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 9 Rn. 18 ff. 2155 Zum Begriff Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 47. 2156 Grundlegend Trute, DVBl. 1996, S. 950, 955 f.; vgl. auch Voßkuhle, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 61. 2157 S. a. Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 25; zur Notwendigkeit staatlicher Letztentscheidungskompetenz im Kontext gesellschaftlicher Selbstregulierung, vgl. Schmidt-Preuß, VVDStRL (56) 1997, S. 160, 181 ff.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
präformierenden Beratung entsteht etwa eine besondere Darlegungslast,2158 sofern von den Empfehlungen der Experten abgewichen werden soll.2159 Gleichwohl bleiben Parlamente bei der Aufarbeitung externen Wissens Akteure und keine bloßen Rezipienten.2160 Als der Gesetzgeber die Empfehlungen der Kommission übernommen hat, handelte er daher aufgrund einer eigenen im parlamentarischen Prozess gewonnenen freien Entscheidung.2161 Dieser Befund wird dadurch bestätigt, dass keine „1:1-Umsetzung“ der Empfehlungen des Abschlussberichts erfolgte.2162 Das von der Endlagerkommission geforderte generelle Exportverbot2163 hat mit dem Fortentwicklungsgesetz lediglich in abgeschwächter Form Eingang in § 3 Abs. 6 AtG gefunden.2164 Auch wurde von den vorgeschlagenen Optionen zur Festschreibung des Atomausstiegs im Grundgesetz kein Gebrauch gemacht.2165 In keinem Fall strenger ist die Tätigkeit des Nationalen Begleitgremiums einzuordnen. Zwar obliegt ihm ebenfalls die Aufgabe, Änderungsvorschläge für das Verfahren zu erarbeiten. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung.2166 Diesbezüglich handelt es sich aber unstreitig um reine Emp2158
Die Darlegungslast erzeugt jedoch nur dann eine rechtliche Bindung, wenn die Begründungspflicht gesondert gesetzlich angeordnet ist, vgl. Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 47 m. w. N. und Beispielen in Fn. 165. Im Standortauswahlverfahren entsteht die Darlegungslast hingegen allein faktisch, um Friktionen mit der Zielsetzung des StandAG (insb. Transparenz und Wissenschaftsbezug) zu vermeiden. 2159 Von einer „Art Beweislastumkehr“ sprechend Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 47; grundlegend zur gesetzgeberischen Begründungspflicht und Argumentationslast, vgl. Waldhoff, FS Isensee, S. 325 ff.; eine Begründungspflicht ebenfalls ablehnend, die Erläuterung gesetzlicher Vorhaben allerdings als „Klugheitsgebot“ einordnend Schwarz/Bravidor, JZ 2011, S. 653, 657, 659. 2160 Gärditz, EurUP 2013, S. 2, 14; Lepsius, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 326, 331; s. a. Siefken, in: Linden/Thaa (Hrsg.), Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, 2009, S. 99, 114, der Empfehlungen von Expertenkommissionen nicht als „fertige(n) Output des politischen Systems“ konzeptualisiert, sondern sie als einen Input neben vielen weiteren darstellt. 2161 S. a. Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 832; ähnlich und hierin eine Schwäche erkennend Brunnengräber, Ewigkeitslasten, 2015, S. 120; krit. und lediglich ein „gesetzgeberisches Notariat“ annehmend Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281. 2162 Die eigenständigen Überlegungen des Gesetzgebers betonend Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 62; Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 205. 2163 Näher zum geforderten Exportverbot in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (1) (l); zur Kritik, vgl. NBG, Klares Exportverbot für Brennelemente aus Forschungsreaktoren fehlt, 10.4.2017. 2164 Vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676; BT-Drs. 18/11398, S. 77; Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 AtG Rn. 12; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 16. 2165 Zu verschiedenen Alternativen, wenngleich i. E. krit. Gärditz, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz?, K-MAT 61, 29.3.2016, S. 57 ff.; Roßnagel, Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz, K-MAT 62, 2016, S. 11 ff. 2166 Näher zu den Aufgaben des NBG bereits in Abschnitt D. III. 1. b) ee).
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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fehlungen (vgl. § 8 Abs. 1 S. 3 StandAG)2167 und somit um einen Fall der verfassungsrechtlich unbedenklichen entscheidungsunabhängigen Beratung.2168 Die Mitwirkung der im StandAG etablierten pluralistischer Gremien ist ungeachtet der als entscheidungspräformierende Beratung einzuordnenden Tätigkeit der Endlagerkommission mit dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip vereinbar.2169 Die maßgebliche Letztentscheidungskompetenz lag und liegt beim demokratisch unmittelbar legitimierten Parlament.2170 c) Wertungswiderspruch zwischen Gremienbeteiligung und Legalplanung? Möglicherweise bedarf dieser Befund jedoch einer Korrektur.2171 Hintergrund ist das zur Rechtfertigung einer Legalplanung dienende Abstellen auf die besonders hohe demokratische Legitimation, die dem Parlament als vom Volk gewähltes, unmittelbares Repräsentationsorgan zukommt.2172 In diese Richtung wird vorgebracht, der gute Grund könnte dadurch „desavouiert“2173 werden, dass für den parlamentarischen Prozess der Willensbildung weitgehende Vorfestlegungen durch die Vorarbeiten von Endlagerkommission und Nationalem Begleitgremium bestehen. Eine lineare Verantwortungszurechnung würde durch die komplexe Entscheidungsstruktur des StandAG erschwert.2174 Kontroverse Entscheidungen seien in einem verfahrensrechtlichen Dickicht verschiedener Akteure verborgen, so dass niemand für eine womöglich unpopuläre politische Entscheidung haftbar gemacht
2167 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 8 StandAG Rn. 14, [„Der Gesetzgeber kann ggf. (…) beschließen“]; NBG, Das Nationale Begleitgremium, 2019, S. 11; vgl. grundlegend Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 24 Rn. 13. 2168 Zum Begriff Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 43 Rn. 46. 2169 Krit. hinsichtlich eines „legitimatorisch prekären Szientismus“ Gärditz, ZfU 2015, S. 343 363; ders., ZSE 2015, S. 4, 30. 2170 S. a. Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 204 f.; Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 110 f.; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; vgl. auch unter Bezugnahme auf ein „Institut für die Standortauswahl“ Burgi, 14. AtomRS, S. 258, 290; krit. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff., 283, der die Rolle des Bundestags als eine „Art gesetzgeberische(s) Notariat“ charakterisiert. 2171 Für diesen Wertungswiderspruch, vgl. Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 361. 2172 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 29 f.; allgemein zur Verstärkung der demokratischen Legitimation bei infrastrukturpolitischen Grundentscheidungen im Wege der Bedarfsgesetzgebung Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 423; Schneider, Gesetzgebung, 2002, Rn. 206; näher zur Legitimationswirkung als „guter Grund“ in Abschnitt D. IV. 1. d) dd) (4). 2173 Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 30 mit Verweis auf Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2012, S. 30 f. 2174 Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 281; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362; ähnlich Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 835; a. A. und in der kleinteiligen Zuständigkeitsverteilung auf verschiedene Akteure eine Begrenzung der Technokratie erkennend Bull, DÖV 2014, S. 897, 900.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
werden könne.2175 Die Problematik verstärkt sich zudem durch einen „partizipativen Overkill“, der aus den vielfältigen Angeboten der Öffentlichkeitsbeteiligung herrühre.2176 Wenngleich mit der Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte nicht zwingend eine Selbstentmündigung des Parlaments2177 erfolgen müsse, böten Öffentlichkeit, Wissenschaft und Technik Anreize, eigene politische Positionen zu vermeiden, die ggf. beim nächsten Wahlakt vom Träger der Staatsgewalt sanktioniert werden.2178 Gerade solche Mechanismen, die vom Volk entgegengebrachtes Vertrauen wieder entziehen, seien elementar für eine funktionsfähige Demokratie.2179 Gegenüber Expertengremien bestünden diese Einflussmöglichkeiten aber gerade nicht.2180 Allerdings handelt es sich hierbei um eine rechtspolitische und nicht um eine verfassungsrechtliche Kritik. Ob sich Mandatsträger ihrer Verantwortung im parlamentarischen Diskurs stellen oder sich hinter den Empfehlungen einer Kommission „verstecken“, ist letztlich eine individuelle Charakterfrage und lässt sich nicht in verfassungsrechtliche Kategorien einordnen.2181 Zu bedenken ist weiterhin, dass die maßgebliche Rolle, die das Standortauswahlgesetz den pluralistischen Gremien zuerkennt, gerade die Publizität und Transparenz des Verfahrens fördern soll.2182 Sowohl Endlagerkommission als auch Nationalem Begleitgremium werden im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit informierende und aktivierende Funktionen zugesprochen.2183 Als übergeordnetes Ziel soll ein möglichst hohes Maß an Akzeptanz für das Vorhaben erzeugt werden.2184 Voraussetzung hierfür ist gerade die Auslagerung gewisser Mitwirkungsrechte.2185 Ausgehend von einem weiten Legitimati-
2175 Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 358, 362; dies als die wahre Intention des Gesetzgebers unterstellend ders., ZSE 2015, S. 4, 30. 2176 Dezidiert krit. Bull, DVBl. 2015, S. 593, 595 ff. 2177 Für diese Formulierung, vgl. Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 107. 2178 Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362 f.; ders., ZSE 2015, S. 4, 32; Kersten, aviso 3/2016, S. 20, 23. 2179 BVerfGE 127, 87, 130 ff. – Hochschulgesetz Hamburg. 2180 Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 30. 2181 Dies zuerkennend Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280. 2182 Zur Bedeutung institutioneller Sicherung von Neutralität bei der Planung von Großvorhaben, vgl. Wächter, VVDStRL (72) 2013, S. 499, 511 ff. 2183 Vgl. NBG, Das Nationale Begleitgremium, 2019, S. 9; BfE, Information, Dialog, Mitgestaltung, 2019, S. 13 sowie Abschnitt D. III. 1. b) gg) (1). 2184 Näher hierzu bereits in Abschnitt D. III. 1. a) nn). 2185 S. a. Bull, DÖV 2014, S. 897, 901; zur Bedeutung partizipativer Einflussnahme als Erfolgsbedingung von Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Peters, DVBl. 2015, S. 808, 811; Appel, NVwZ 2012, S. 1361, 1364; Nanz/Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, 2012, S. 32; Roßnagel/Ewen/Götz u. a., ZNER 2014, S. 329, 332 sowie die Ausführungen in Abschnitt C. IV. 3. c).
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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onsverständnis2186 liegt hierin sogar ein demokratischer Eigenwert.2187 Die öffentlichkeitswirksame Diskussion und Vorstrukturierung von Gesetzesänderungen in pluralistischen Gremien einerseits und der nachfolgende (angepasste) Beschluss durch den parlamentarischen Gesetzgeber andererseits stellen demnach keinen Wertungswiderspruch dar, sondern bilden vielmehr zwei Seiten der Medaille demokratischer Legitimation. d) Zwischenergebnis Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass die sachverständige Beratung des Gesetzgebers durch pluralistische Gremien in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip steht. Dieses verlangt für die Ausübung von Staatsgewalt ein hinreichend bestimmtes Legitimationsniveau, welches durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Volk als deren Träger zurückzuführen ist. Mit der Endlagerkommission und dem Nationalen Begleitgremium bestehen im Rahmen des Standortauswahlverfahrens zwei Beiräte, deren demokratische Legitimation sowohl sachlich-inhaltlich als auch personell-organisatorisch nur schwach ausgeprägt ist. Als unabhängige Institutionen sind sie an Weisungen nicht gebunden. Kontrollrechte von staatlicher Seite bestehen nicht. Durch ihre (anteilige) Besetzung mit Vertretern der Zivilgesellschaft beschränkt sich die personelle Legitimation auf die Bestellung durch Bundestag und Bundesrat bzw. die Ernennung seitens des Bundesumweltministeriums.2188 Für das Nationale Begleitgremium ist dieses Legitimationsdefizit zu vernachlässigen, da seine Vorschlagsrechte und Empfehlungen lediglich der Kategorie der entscheidungsunabhängigen Beratung angehören. Insbesondere der Endlagerkommission kamen allerdings weitreichende Vorfestlegungen zu, die als entscheidungspräformierende Beratung einzuordnen sind. Selbst eine derart erhebliche Mitwirkung, der mitunter eine faktische Bindungswirkung zuerkannt wird,2189 ist jedoch mit dem verfassungsrechtlichen Demokratieverständnis vereinbar, solange der verbleibende hoheitliche Anteil an der Aufgabenerfüllung überwiegt. Im Standortauswahlverfahren ist dies durch die Rolle des parlamenta2186 Vgl. auch Heselhaus, FS Koch, S. 297, 301 f.; auf die Abhängigkeit seiner Einschätzung vom zugrunde liegenden Legitimationsbegriff hinweisend Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 31; zur Unterscheidung von staatsrechtlicher Legitimation zu einem weiten, politikwissenschaftlich geprägten Legitimationsverständnis im Kontext von Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. bereits die Ausführungen in Abschnitt C. IV. 1. c) mit den dortigen Nachweisen. 2187 Explizit anders Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 30 f. 2188 Aufgrund des einheitlichen und verbindlichen Wahlvorschlags ist der parlamentarische Einfluss allerdings auf solche Fälle begrenzt, in denen sich ein mögliches Kommissionsmitglied aus offenkundigen Gründen als ungeeignet erweist; näher dazu in Abschnitt D. IV. 5. b) bb). 2189 Für eine faktische Bindungswirkung Smeddinck/Willmann, EurUP 2014, S. 102, 110 f.; Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 283; Bull, DÖV 2014, S. 897, 901; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 831; näher zu dieser Frage bereits in Abschnitt D. III. 1. c) aa) (2) (a).
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
rischen Gesetzgebers als Letztentscheider gewährleistet.2190 Dieser trifft mit den die einzelnen Verfahrensphasen abschließenden Gesetzen eine eigene, im parlamentarischen Prozess getroffene Entscheidung. Ein solcher Befund hat auch nach einer weiteren Kontrollüberlegung Bestand. Zwischen der Einbindung pluralistischer Gremien in die Gesetzesvorbereitung und der mit der Konzeption als Legalplanung herausgehobenen Bedeutung unmittelbarer demokratischer Legitimation besteht kein Wertungswiderspruch. Zwar betonen Befürchtungen einer „Diffusion atomarer Verantwortung“ hin zur Gesellschaft2191 und eines „Outsourcings politischer Entscheidungen“2192 verdeckte Funktionen sachverständiger Beratung. So berechtigt und wichtig dieser Hinweis auf mögliche Fehlentwicklungen im Standortauswahlprozess auch sein mag. Er stellt im Kern eine rechtspolitische und keine verfassungsrechtliche Kritik dar.2193 Es obliegt den jetzigen und künftigen Mandatsträgern, strittige Fragen im parlamentarischen Diskurs zu klären und sich nicht hinter einem „legitimatorisch prekären Szientismus“2194 zu verstecken.2195 Eine verfassungsrechtliche Kategorie stellen Zweifel an der Charakter- und Standfestigkeit von Politikern bei medialem und/oder bürgerschaftlichem Gegenwind jedenfalls nicht dar. 6. Bündelung von Kompetenzen auf Bundesebene Die rechtspolitische Kritik an einer Verlagerung von Verantwortung im Standortfindungsprozess auf die Gesellschaft erscheint ex ante nicht völlig aus der Luft gegriffen. Sie wird sich jedoch dann als unberechtigt erweisen, sofern die Mandatsträger den aktuell bestehenden Entsorgungskonsens aufrechterhalten und etwaige Streitfragen im parlamentarischen Prozess klären. Dass entsprechende Diskussionen vornehmlich im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen zu führen sein werden, liegt wiederum an der Konzeption des Standortauswahlverfahrens. Mit der Wahl des gestuften Legalplanungsverfahrens im StandAG werden wesentliche
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S. a. Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 205. Für das Zitat Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280; in diese Richtung auch Bull, DÖV 2014, S. 897, 901. 2192 Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 f. 2193 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 252; Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 26; in diese Richtung auch Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 30 ff.; stärker rechtlich kritisierend Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 282 f.; ders., aviso 3/2016, S. 20, 23. 2194 Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 363. 2195 S. a. Bull, in: Sommermann (Hrsg.), Öffentliche Angelegenheiten – interdisziplinär betrachtet, 2016, S. 9, 26; das „Primat der Politik“ einfordernd Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 204. 2191
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Kompetenzen auf Bundesebene konzentriert.2196 Namentlich geschieht dies durch eine selektive Geltung von weiterem Fachrecht2197 und die Aufgabenübertragung auf z. T. neu gegründete Bundesbehörden.2198 Der Bedeutungsgewinn auf Seiten des Bundes korrespondiert allerdings mit einem Verlust auf den nachgeordneten Ebenen. Die Kompetenzzuordnung des Standortauswahlgesetzes kann somit auch vor dem Hintergrund des Prinzips vertikaler Gewaltenteilung (a) und des kommunalen Selbstverwaltungsrechts (b) hinterfragt werden. a) Föderale Aufgabenverteilung und vertikale Gewaltenteilung Als Ausdruck der vertikalen Gewaltenteilung2199 werden in der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes den Ländern zum Ausgleich der relativ umfassenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ein Großteil der Verwaltungszuständigkeiten übertragen.2200 Im Einzelnen erfolgt dies durch das ausdifferenzierte System der Art. 83 ff. GG.2201 Daher ist es für das Gleichgewicht föderativer Kompetenzverteilung beachtlich, wenn das StandAG2202 die zuvor in § 24 Abs. 2 S. 1 AtG a. F. geregelte Zuständigkeit der Landesbehörden zur Planfeststellung von Endlagern für radioaktive Abfälle entfallen lässt.2203 Nach § 23d Abs. 1 Nr. 1 AtG übernimmt diese Aufgabe nunmehr das ebenfalls mit dem StandAG 2013 neu gegründete Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).2204 Die Funktion des Vorha2196 Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65 f.; Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 215; vgl. i. Ü. bereits Abschnitt C. II. 1. a) und e). 2197 Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 413 f.; näher hierzu in Abschnitt D. III. 3. d); vgl. etwa zur unterstellten Verfassungswidrigkeit der Standortsicherungsklauseln des § 21 StandAG aufgrund der Überlagerung von bergrechtlichen Regelungen Frenz, DVBl. 2018, S. 285, 291; a. A. Weiss, DVBl. 2018, S. 1204 ff. 2198 Als Regulierungsbehörde des Standortauswahlverfahrens fungiert das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Die Rolle des Vorhabenträgers ist der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zugewiesen, vgl. zur Neugründung und den jeweiligen Aufgaben Abschnitt D. III. 1. b) dd) und cc). 2199 Zum Begriff als Gewaltverteilung und -balance im föderativen System, vgl. Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 27 Rn. 11, 13; ähnlich Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 126 Rn. 197. 2200 BVerfGE 108, 169, 181 ff. – Telekommunikationslinien; s. a. Oebbecke, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 1, 88; Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 134 Rn. 5; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 83 Rn. 16, 19; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 129. 2201 Zu den einzelnen Verwaltungstypen, vgl. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 15. 2202 Als Mantelgesetz; näher zu den einzelnen Bestandteilen in Abschnitt D. III. 1. 2203 Krit. Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 358; ähnlich Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/ Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65 f. 2204 Vgl. Art. 2 Nr. 5 und Art. 3 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze
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benträgers der Endlagersuche kommt der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)2205 zu, deren alleiniger Gesellschafter der Bund ist. Mit dieser Aufgabenzuweisung sind nahezu alle Verwaltungszuständigkeiten im Verfahren der Standortsuche auf Organisationseinheiten des Bundes verteilt.2206 Die Rolle der Länder bleibt auf die Mitwirkungsmöglichkeiten des § 12 Abs. 3 S. 4 StandAG2207 sowie den auf sie entfallenden Teilbereich der selektiven Geltung von Fachrecht2208 beschränkt. Zur Überprüfung, ob diese Aufgabenkonzentration mit der bundesstaatlichen Kompetenzordnung vereinbar ist oder vielmehr einen Verstoß gegen die vertikale Gewaltenteilung darstellt, erfolgt nunmehr eine Einordnung des StandAG in das System der Art. 83 ff. GG. aa) Verwaltungskompetenzen des Bundes im System der Art. 83 ff. GG Die Art. 83 ff. GG konkretisieren für den Vollzug von Bundesgesetzen die im Grundsatz in Art. 30 GG niedergelegte Vermutung einer Länderzuständigkeit.2209 Dabei lässt sich der Regelungsgehalt des Art. 83 GG als doppeltes Regel-AusnahmeVerhältnis beschreiben.2210 Zum einen besitzt der Bund nur die ihm ausdrücklich zugewiesenen Verwaltungskompetenzen. Für den unbenannten Rest liegt die Zuständigkeit bei den Ländern. Zum anderen statuiert Art. 83 GG hinsichtlich der Verwaltungstypen,2211 dass eine Ausführung von Bundesgesetzen grundsätzlich in landeseigener Verwaltung erfolgt. Beide Regeln gelten vorbehaltlich einer anderslautenden ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Bestimmung. Mit dieser Vertei(Standortauswahlgesetz – StandAG) v. 23.7.2013, BGBl. I S. 2553; näher zum BASE bereits zuvor in Abschnitt D. III. 1. b) dd). 2205 Näher zur BGE bereits zuvor in Abschnitt D. III. 1. b) cc); zur Möglichkeit der Wahrnehmung von Verwaltungskompetenzen durch privatrechtlich organisierte Einheiten des Bundes, vgl. Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87 Rn. 262 m. w. N.; dif. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 102. 2206 Krit. Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 358; Brunnengräber/Häfner, in: Partzsch/Weiland (Hrsg.), Macht und Wandel in der Umweltpolitik, 2015, S. 55, 65 f.; darstellend Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 215. 2207 Im Einzelnen handelt es sich um die Funktionen als amtliche Sachverständige und Träger öffentlicher Belange. 2208 Vgl. dazu Abschnitt D. III. 3. d). 2209 Zur „Vermutung für die Länderzuständigkeit“, vgl. bereits BVerfGE 11, 6, 15 – Dampfkessel; aus der Lit.: zur „subsidiären Allzuständigkeit“ der Länder aus Art. 30 GG, vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 126 Rn. 46, 65; vgl. weiterhin Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 2; Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 83 Rn. 1, 3, 8, der im Zusammenspiel von Art. 30 und 83 GG vom „deutschen Exekutivföderalismus“ „zu Gunsten der Länder“ spricht. 2210 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 83 Rn. 19; ähnlich Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 2. 2211 Zu den drei in Art. 84 – 86 GG geregelten Verwaltungstypen der „landeseigenen Verwaltung unter Bundesaufsicht“, der „Landesverwaltung im Auftrag des Bundes“ und der „bundeseigenen Verwaltung“, vgl. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 15.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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lung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern enthält das System der Art. 83 ff. GG primär, aber nicht nur, eine Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips zum Schutz von Länderinteressen.2212 Darüber hinaus wird mit der klaren Zuordnung von Verwaltungsverantwortung die Voraussetzung für rechtsstaatliche Ordnung und demokratische Kontrolle geschaffen.2213 Soweit der Gesetzgeber des StandAG demnach Verwaltungstätigkeiten im Verfahren der Standortsuche auf Bundesebene konzentrieren möchte, benötigt er hierzu eine ausdrückliche Kompetenz. Für die Aufgabenwahrnehmung durch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung kommt insbesondere Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG in Betracht (1).2214 Die damit erfolgende Übertragung von Aufgaben auf Bundesoberbehörden könnte allerdings von Art. 87c GG gesperrt sein, welcher für Gesetze im Bereich der Erzeugung und Nutzung von Kernenergie im Regelfall die Bundesauftragsverwaltung vorsieht (2). Steht hingegen eine Berufung auf Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG offen, sind dessen Voraussetzungen einzuhalten. Insbesondere muss es sich bei der Übertragung um eine Aufgabe handeln, die zur zentralen Erledigung geeignet ist (3). (1) Fakultative Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG verleiht dem Bund das Recht, auf Gebieten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, selbstständige Bundesoberbehörden zu errichten (sog. fakultative Bundesverwaltungskompetenz).2215 Die Vorschrift adressiert die bundesstaatliche Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten und setzt eine durch andere Normen der Verfassung begründete Bundesverwaltungskompetenz nicht voraus.2216 Sie ist vielmehr selbst eine Kompetenzgrundlage.2217 Zur Ausübung der fakultativen Bundeskompetenz ist lediglich ein von einer Gesetzgebungskompetenz gedecktes Bundesgesetz erforderlich. Dieser Gesetzesvorbehalt entzieht die Errichtung von Behörden der alleinigen Kompetenz der Exekutive, dient vor allem aber dem Schutz 2212 Darin ein „Element zusätzlicher funktionaler Gewaltenteilung“ erkennend BVerfGE 108, 169, 187 f. – Telekommunikationslinien; aus der Lit.: Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 134 Rn. 5. 2213 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 83 Rn. 19; zum verfassungsrechtlichen Verbot einer Mischverwaltung vgl. BVerfGE 104, 249, 266 f. – Biblis A; aus der Lit.: Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 10; Pietzcker, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 134 Rn. 32, 51 ff. 2214 Vgl. Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 562; die Gesetzesmaterialien zum StandAG sprechen hingegen irreführend von „Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Absatz 1 Satz 1 GG“, vgl. BT-Drs. 17/13471. 2215 BVerfGE 104, 238, 247 – Moratorium Gorleben; BVerfGK 14, 402 Rn. 41 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld; zum Begriff, vgl. BVerwG, Urt. v. 31.8.2006 – Az. 7 C 3/06, NVwZ 2008, S. 88; aus der Lit.: Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87 Rn. 65. 2216 Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87 Rn. 226; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GGKommentar, Art. 87 Rn. 65. 2217 BVerfGE 14, 197, 210 – Kreditwesen; E 110, 33, 49 – Außenwirtschaftsgesetz; a. A. Rupp, FS Dürig, S. 387, 392.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
von Länderinteressen.2218 Der Zustimmung des Bundesrates und weiterer formeller sowie materieller Voraussetzungen bedarf es nur für den Fall der Errichtung bundeseigener Mittel- und Unterbehörden.2219 Die verfassungspolitische Funktion des generalklauselartigen2220 Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG liegt darin, die Grundentscheidung der Verfassung für eine Dominanz der Länder im Verwaltungsbereich2221 in nicht bereits durch Spezialregelungen berücksichtigten Einzelfällen korrigieren zu können.2222 Diese Option steht offen, sofern aus Sicht des Bundes die Notwendigkeit eigener exekutiver Aufgabenerfüllung besteht. Zur Limitierung von Zugriffsmöglichkeiten des Bundes ergibt sich allerdings eine Einschränkung auf solche Aufgaben, die sich zur zentralen Erledigung eignen.2223 Als Teilkompetenz des Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG2224 fällt die Endlagersuche in den Bereich ausschließlicher Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes. Der Anwendungsbereich des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG ist somit grundsätzlich eröffnet.2225 (2) Sperrwirkung des Art. 87c GG? Der Aufgabenwahrnehmung durch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung könnte jedoch die in Art. 87c GG vorgesehene Möglichkeit der fakultativen Bundesauftragsverwaltung entgegenstehen. Für eine Einordnung jener
2218 Die Schutzwirkung entfaltet sich zum einen durch die Schaffung von Transparenz, die Einspruchsmöglichkeit des Bundesrats und die Transaktionskosten, die ein an einer neuen Behörde interessierter Akteur auf Seiten des Bundes nur bei Vorliegen eines gewichtigen Interesses aufbringen wird, vgl. Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87 Rn. 71; Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 90. 2219 Vgl. etwa Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87 Rn. 66; Keienburg, atw 2012, S. 725, 728; Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 562. 2220 Vgl. Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87 Rn. 227 f. 2221 Für eine „Vermutung für die Länderzuständigkeit“, vgl. bereits BVerfGE 11, 6, 15 – Dampfkessel; aus der Lit.: Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 83 Rn. 19; Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 1, 88. 2222 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87 Rn. 67; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 252; krit. und das in Art. 30 und 83 GG verankerte Regel-AusnahmeVerhältnis zu Lasten der Länder in sein Gegenteil verkehrt sehend Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1168; ähnlich Rupp, FS Dürig, S. 387 f. 2223 BVerfGE 14, 197, 211 – Kreditwesen; E 110, 33, 49 – Außenwirtschaftsgesetz; BVerfGK 14, 402 Rn. 48 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld; aus der Lit.: Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 136 Rn. 131; Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87 Rn. 245; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87 Rn. 85; Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1168 f.; a. A. Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1094, 1107. 2224 BVerfGK 14, 402 Rn. 41 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld; s. a. Uhle, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 73 Rn. 303; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 286; Ramsauer, NVwZ 2008, S. 944, 945. 2225 A. A. Burgi, NJW 2011, S. 561, 563.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Vorschrift als lex specialis2226 werden in erster Linie systematische Überlegungen angeführt. Die Systematik der Verwaltungskompetenzvorschriften in den Art. 83 ff. GG weise die Kompetenz zur Ausführung der Bundesgesetze grundsätzlich den Ländern zu. Demnach sei Art. 87 GG in Gänze als eng auszulegende Ausnahmebestimmung und insbesondere dessen Absatz 3 als lex generalis anzusehen.2227 Die Entstehungsgeschichte bestimme die Vorschrift zudem als „Notverwaltungskompetenz“2228 nur für solche Gegenstände, deren Notwendigkeit zur bundeseigenen Ausführung zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung noch nicht erkennbar war.2229 Der Bereich des Atomrechts sei für eine Neu- bzw. Umverteilung der Verwaltungsaufgaben daher gesperrt.2230 Weiterhin sehe Art. 87c GG im Gegensatz zu allen übrigen Fällen fakultativer Bundesverwaltung2231 keine explizite Alternative zur Überführung der betreffenden Aufgaben in Bundeseigenverwaltung vor. Daneben spreche der Zusammenhang zwischen Verwaltungsaufgabe und Verwaltungstyp für ein Vorrangverhältnis von Art. 87c GG.2232 Das Spezifikum des Verwaltungstypus „Bundesauftragsverwaltung“ stelle ein Konfliktbewältigungsprogramm zur Verfügung, in dessen Rahmen Bund und Länder zur Erledigung der betreffenden Aufgabe zusammenwirken. Mit der in Art. 87c GG vorgenommenen Zuordnung des Vollzugs atomrechtlicher Vorschriften zur Bundesauftragsverwaltung habe der Verfassungsgeber das Ziel verfolgt, eine zweckbezogene und zweckrationale Erledigung der Aufgaben sicher zu stellen.2233 Die Standortgebundenheit der zu erteilenden Genehmigungen und Erlaubnisse erfordere aus Sachgründen eine Entscheidung der über die örtlichen Verhältnisse besser informierten Landesbehörden.2234 Mit der Überführung im Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG ginge dieser organisatorische Mehrwert jedoch verloren und der vom
2226 So etwa Burgi, NVwZ 2005, S. 247, 250 f.; Burgi/Schuppert, Überführung der Atomaufsicht in Bundeseigenverwaltung?, 2005, S. 16 ff., 57; Degenhart, DVBl. 2006, S. 1125, 1131 f.; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87c Rn. 17, 20. 2227 Burgi, NVwZ 2005, S. 247, 250. 2228 Zum Begriff Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1171. 2229 Burgi/Schuppert, Überführung der Atomaufsicht in Bundeseigenverwaltung?, 2005, S. 25; Burgi, NVwZ 2005, S. 247, 250; Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1170 f. 2230 A. A. Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 57, der in einer differenzierenden Betrachtung in der alleinigen Nennung der friedlichen Nutzung der Kernergie in Art. 87c GG keine zwingende Kompetenzbeschränkung des Bundes sieht. 2231 Im Einzelnen handelt es sich um Art. 87b Abs. 2, Art. 87d Abs. 1 und 2, Art. 89 Abs. 2 sowie Art. 120a GG, vgl. Degenhart, DVBl. 2006, S. 1125, 1131; Burgi/Schuppert, Überführung der Atomaufsicht in Bundeseigenverwaltung?, 2005, S. 14 f., 18; Burgi, NVwZ 2005, S. 247, 250. 2232 Degenhart, DVBl. 2006, S. 1125, 1132; Burgi/Schuppert, Überführung der Atomaufsicht in Bundeseigenverwaltung?, 2005, S. 20; Burgi, NVwZ 2005, S. 247, 250 f. 2233 Burgi/Schuppert, Überführung der Atomaufsicht in Bundeseigenverwaltung?, 2005, S. 19 ff. 2234 Degenhart, DVBl. 2006, S. 1125, 1132.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Verfassungsgeber hergestellte Zusammenhang zwischen Verwaltungsaufgabe und Verwaltungstyp würde zerstört.2235 Die vorgenannten Erwägungen verkennen jedoch, dass Art. 87c GG eine andere inhaltliche Zielrichtung aufweist.2236 Die Vorschrift räumt dem Bund lediglich die Möglichkeit ein, im Kompetenzbereich des Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG eine Bundesauftragsverwaltung einzuführen.2237 Für die Länder gehen damit aufgrund der Weisungs- und Aufsichtsrechte des Bundes nach Art. 85 Abs. 2 und 3 GG Belastungen einher. Folgerichtig besteht zu deren Schutz eine Zustimmungspflicht des Bundesrates.2238 Die Ratio des Art. 87c GG liegt somit primär in der Wahrung der Länderinteressen vor bundesstaatlicher Bevormundung, welche über die notwendige Zustimmung des Bundesrates gewährleistet wird.2239 Hingegen berührt die Einführung einer fakultativen Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG Länderinteressen nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise.2240 Dasselbe gilt für Fälle, wie den hier vorliegenden, bei den bereits bestehenden Länderkompetenzen durch Übertragung der Aufgabe auf eine Bundesbehörde entzogen werden.2241 Die in Art. 87c GG normierte Zustimmungspflicht des Bundesrates ist auf die Fallkonstellation beschränkt, in der durch bundesgesetzliche Regelungen Pflichten der Länder im Bereich der Kernenergie begründet werden.2242 Ausschlaggebend für die Zustimmungspflicht ist nicht, dass die Länder Aufgaben zu erfüllen haben, sondern vielmehr der Modus der Aufgabenerfüllung im Wege der Bundesauftragsverwaltung mit Weisungs- und Aufsichtsrechten zugunsten des Bundes.2243 Die Belastung der Länder liegt also allein in den Beschränkungen bei der Verwaltungsausführung. Ein Entzug der Aufgabe kann daher mangels Schutzwürdigkeit keine Zustimmungs-
2235
Burgi, NVwZ 2005, S. 247, 251. S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 286; Keienburg, atw 2012, S. 725, 728 f.; demnach ermöglicht Art. 87c GG dem Bund Einflussmöglichkeiten auf den Landesvollzug, während Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG als Kompetenznorm erlaubt, die Verwaltungszuständigkeit an sich zu ziehen. 2237 Zum Charakter als „fakultative Bundesauftragsverwaltung“, vgl. Schwarz, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 21 ff. 2238 S. a. Burgi, NJW 2011, S. 561, 563; Papier, NVwZ 2010, S. 1113, 1115. 2239 BVerfGK 14, 402 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld; näher dazu Fillbrandt, DVBl. 2009, S. 648, 649 f. 2240 Keienburg, atw 2012, S. 725, 728. 2241 Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 562. 2242 In diese Richtung auch Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1004, 1012 f., die ein Zustimmungserfordernis des Bundesrates im Kontext der Laufzeitverlängerung der 11. AtG-Novelle vor dem Hintergrund zusätzlicher bzw. verlängerter Aufgaben der Länderbehörden diskutieren. 2243 Keienburg, atw 2012, S. 725, 728; Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, S. 553, 562 (Fn. 102) mit Verweis auf BVerfGE 48, 127, 179 – Wehrpflichtnovelle; dif. Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 37, der das Zustimmungserfordernis auch in der Wahrung der Verwaltungshoheit der Länder begründet sieht. 2236
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
467
pflicht des Bundesrates auslösen.2244 Aufgrund der divergierenden Zielrichtung steht Art. 87c GG nicht in Anwendungskonkurrenz zur fakultativen Bundeseigenverwaltung des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG.2245 (3) Endlagersuche als Aufgabe mit Eignung zur zentralen Erledigung Wenn Art. 87c GG also keine Sperrwirkung entfaltet,2246 verbleibt als alleinige Voraussetzung einer bundeseigenen Verwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, dass sich die übertragene Aufgabe zur zentralen Erledigung eignet.2247 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie der Sache nach für das ganze Bundesgebiet von einer einzigen obersten bundeseigenen Verwaltungseinheit ohne weiteren Unterbau und ohne Inanspruchnahme von Verwaltungsbehörden der Länder bewältigt werden kann.2248 Die Beschränkung auf zentral zu erledigende Aufgaben betont den Charakter des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG als Ausnahme vom Regelfall des Verwaltungsvollzugs durch die Länder.2249 Daran anknüpfend wird z. T. eine Verdrängung von einmal begründeten Landeskompetenzen als Indiz für eine nicht mehr zentral zu bewältigende Aufgabe angesehen.2250 Das Standortauswahlgesetz nimmt eine solche Verdrängung vor, indem die zuvor den Ländern obliegende Zuständigkeit für die Planfeststellung von Endlagern aufgehoben wird. Gegen die Annahme einer solchen Indizwirkung bestehen jedoch mehrere Einwände. In formaler Hinsicht wird angeführt, dass bereits in § 24 Abs. 2 S. 1 AtG a. F. die Zulassung von Endlagern für radioaktive Abfälle obersten Landesbehörden zugewiesen war.2251 Gewichtiger ist aber das veränderte Anforderungsprofil der handelnden Behörden. Während für die Bundesauftragsverwaltung die standortbezogene spezifische Sachkenntnis der 2244
Zum Verbot einer erweiterten Auslegung von Zustimmungserfordernissen, vgl. BVerfGE 55, 274, 319 f. – Berufsausbildungsabgabe. 2245 BVerfGE 104, 238, 247 – Moratorium Gorleben; BVerfGK 14, 402 OS. 3, Rn. 38, 41 ff. – Standortzwischenlager Gorleben; aus der Lit.: Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 286 f.; Keienburg, atw 2012, S. 725, 727 f.; Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 57; a. A. Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87c Rn. 20. 2246 Eine Sperrwirkung ergibt sich allenfalls im Hinblick auf Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG, da neue Aufgaben, die einen dringenden Bedarf für bundeseigene Mittel- und Unterbehörden legitimieren könnten, im Bereich der Kernenergie nicht denkbar sind, vgl. Keienburg, atw 2012, S. 725, 728; Schwarz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87c Rn. 58. 2247 BVerfGE 110, 33, 49 – Außenwirtschaftsgesetz; Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1173; eine solche für den Vollzug des Atomgesetzes grundsätzlich ausschließend Burgi, NJW 2011, S. 561, 563; a. A. und das Merkmal aufgrund des Grundsatzes der Bundestreue für obsolet haltend Kahl/Bews, JURA 2014, S. 1094, 1107. 2248 BVerfGE 110, 33, 49 – Außenwirtschaftsgesetz; näher dazu Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87 Rn. 245; Keienburg, atw 2012, S. 725, 728. 2249 Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 87 Rn. 245. 2250 So etwa Durner, DVBl. 2011, S. 853, 857 mit Verweis auf BVerfGE 110, 33, 49 – Außenwirtschaftsgesetz. 2251 Keienburg, atw 2012, S. 725, 728.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
atomrechtlichen Genehmigungsbehörde eines Landes streitet,2252 verfolgt das Standortauswahlgesetz des „Prinzip der weißen Landkarte“,2253 mithin einen bundesweiten Standortvergleich.2254 Für einen solchen, die Landesgrenzen übergreifenden Sachverhalt ist die Aufgabenwahrnehmung durch eine Bundesoberbehörde prädestiniert, zumal auf diese Weise Rollenkonflikten der Länder2255 entgegengewirkt werden kann. Im Ergebnis handelt es sich somit bei der Standortsuche nicht nur um eine zentral zu erledigende Aufgabe, sondern vielmehr gerade um einen solchen Ausnahmefall, für den die fakultative Bundeseigenverwaltung des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG vom Verfassungsgeber angedacht wurde.2256 (4) Zusammenfassung Für die Aufgabenzuweisung an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung besteht eine Verwaltungskompetenz im Wege der fakultativen Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG. Gleichzeitig darf der Bund eine etwaige bestehende Verwaltungshoheit der Länder beenden.2257 Art. 87c GG entfaltet diesbezüglich keine Sperrwirkung, da er eine andere sachliche Konstellation aufgreift. Die Standortsuche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle stellt auch eine zentral zu bewältigende Aufgabe dar. Zwar oblag die Planfeststellung von Endlagern zuvor den Landesbehörden. Mit der nun bundesweiten Standortsuche treten die spezifischen Ortskenntnisse der Landesbehörden allerdings hinter die Notwendigkeit eines länderübergreifenden Alternativenvergleichs zurück. Dieser ist denklogisch zur Herstellung einheitlicher Maßstäbe und zur Vermeidung von Interessenskonflikten auf Länderseite von einer Bundesbehörde durchzuführen. bb) Zusammenfassende Bewertung Die Konzeption des Standortauswahlgesetzes vereinigt mit den die einzelnen Verfahrensphasen abschließenden Gesetzen sowie der finalen gesetzlichen Standortentscheidung zentrale Kompetenzen auf den Bundesgesetzgeber. Zusätzlich 2252 Näher hierzu Degenhart, DVBl. 2006, S. 1125, 1132 f. mit Verweis auf BVerfGE 104, 249, 279 – Biblis A. 2253 Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 67; näher dazu, Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 369 f.; Müller, FJSB 2016, S. 134, 135; Smeddinck, ZRP 2016, S. 181; Hamacher, „Tag der Verantwortung“ bei der Endlagersuche?, 19.4.2017, http://www.ju wiss.de/44 - 2017, (geprüft am 26.9.2019). 2254 S. a. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 288. 2255 Vgl. auch Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 16; so bereits Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1169. 2256 Vgl. dazu Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 87 Rn. 67; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 252. 2257 Vgl. BVerfGE 104, 238, 247 – Moratorium Gorleben; E 14, 197, 210 – Kreditwesen; BVerfGK 14, 402 Rn. 43 – Standortzwischenlager Grafenrheinfeld.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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werden mit dem BASE als Regulierungsbehörde des Standortsuchverfahrens und der BGE als Vorhabenträger eine Bundesoberbehörde bzw. eine bundeseigene Gesellschaft und somit von staatlicher Seite im Wesentlichen Akteure des Bundes tätig. Die Rolle der Länder bleibt hingegen auf die Funktion als amtliche Sachverständige und Träger öffentlicher Belange beschränkt.2258 Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Aufgabenkonzentration auf Seiten des Bundes ist zunächst festzuhalten, dass die Grundsätze bundesstaatlicher Ordnung neben der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht zwingend eine entsprechende ausdrückliche Verwaltungskompetenz erfordern.2259 Diese Feststellung kann allerdings nur ein Zwischenergebnis darstellen. Die Vorstellung, dass der Gesetzgeber eigenständig, ohne Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen und Vorarbeiten der Exekutive in der Lage wäre, eine Legalplanung durchzuführen, ist praxisfern und im Übrigen verfassungsrechtlich nicht zulässig.2260 Im Standortauswahlverfahren erfolgen entsprechende Vorbereitungshandlungen beispielsweise durch den vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung ausgearbeiteten Standortvorschlag, welcher dem parlamentarischen Gesetzgeber von der Bundesregierung als Gesetzentwurf vorgelegt wird (vgl. § 20 Abs. 1 StandAG).2261 Da die Systematik der Art. 83 ff. GG einen grundsätzlichen Vorrang der Landesverwaltung beinhaltet, ist die fakultative Kompetenz zur Bundeseigenverwaltung 2258
Vgl. auch Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 16. Im Kontext der Investitionsmaßnahmegesetze (insb. Südumfahrung Stendal) wurde das Erfordernis einer sog. „Doppelkompetenz“ diskutiert (dafür Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben, 1991, S. 97 f.; Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 778; ders., in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, 1993, S. 5, 9; a. A. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 446 f.; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 129 ff., 134). Den Ausgangspunkt bildet die Überlegung, dass eine allein auf Grundlage von Gesetzgebungskompetenzen erfolgende Planung durch Bundesgesetz die vertikale Gewaltenteilung desavouiere. Schließlich käme gesetzlichen Projektzulassungen ein administrativer Charakter zu. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage seinerzeit dahinstehen lassen, da jedenfalls für die Planung einer Eisenbahntrasse mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG und Art. 87e GG sowohl eine Gesetzgebungs- als auch eine Verwaltungskompetenz zugunsten des Bundes bestand (vgl. BVerfGE 95, 1, 18 – Stendal). Richtigerweise ist eine Doppelkompetenz nicht erforderlich. Tatsächlich wirft die Planung durch Gesetz ausschließlich Fragen der (horizontalen) Gewaltenteilung auf, ohne dass dem föderativen Zusammenhang ein eigenständiger Beurteilungsmaßstab zukommt (s. a. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 132). Es ist „zutiefst widersprüchlich“ einerseits anzunehmen, ein Planungsgesetz des Bundes sei unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung zulässig und würde keinen Eingriff in den Aufgabenbereich der Exekutive darstellen, andererseits aber eine Verletzung der Vollzugsrechte der Länder ins Feld zu führen (vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 447). Sofern also ein Eingriff in den Kernbereich der Exekutive nach den in der Stendal-Rechtsprechung entwickelten Kriterien verneint werden kann, mithin „gute Gründe“ für eine Planung durch Gesetz vorliegen, ist die Legalplanung auch ohne korrespondierende Verwaltungskompetenz grundsätzlich zulässig. 2260 BVerfGE 95, 1, 16 – Stendal; zum planerischen Vorbereitungs- und Initiativmonopol der Exekutive, vgl. Abschnitt D. IV. 1. c) aa). 2261 Zur Einbindung der Exekutive in den einzelnen Verfahrensschritten, vgl. Abschnitt D. III. 1. c) bb) und D. IV. 1. d) bb). 2259
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG2262 für die im Standortauswahlgesetz vorgesehene Zuständigkeitsverteilung letztendlich doch essenziell. Diese Vorschrift enthält eine Verwaltungskompetenz für alle Sachbereiche, die der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfallen. Art. 87c GG steht nicht etwa als lex specialis entgegen. Weiterhin ist die Aufgabe der Standortfindung zur zentralen Erledigung geeignet. Es ist ein Ausdruck funktionaler Logik, die Organisation einer bundesweiten Standortsuche nicht in die ausführenden Hände der einzelnen Länder zu übergeben. Davon ausgehend stellt die Konzentration von Zuständigkeiten auf Bundesebene auch keinen verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in die bundesstaatliche Kompetenzverteilung dar. Es liegt im Gegenteil näher anzunehmen, dass der Gesetzgeber mögliche Rollenkonflikte der Länder2263 antizipiert hat. Diese hätten andernfalls spezifische Länderinteressen gegen den Gemeinwohlbelang geordneter Abfallbeseitigung abzuwägen. Die führende Rolle des Bundes reiht sich daher in konsistenter Weise in die auf Projektrealisierung gerichteten Elemente des Standortauswahlverfahrens ein. Die Interessen der Länder werden über den Bundesrat, die Mitwirkungsrechte des § 12 Abs. 3 S. 4 StandAG sowie die selektive Geltung von weiterem Fachrecht2264 gewahrt. b) Kommunales Selbstverwaltungsrecht Die Bündelung von Kompetenzen auf Bundesebene beschneidet aber nicht nur die Zuständigkeiten der Länder. Das Standortauswahlverfahren berührt vielmehr auch die Interessen der jeweils betroffenen Gemeinden, indem die Gesetze, welche die verschiedenen Planungsphasen abschließen, potenzielle oder konkrete Nutzungen für das Gemeindegebiet vorsehen bzw. ausschließen.2265 Zur Einordnung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen überörtlichen Fachplanung soll zunächst das kommunale Selbstverwaltungsrecht in seiner Ausprägung als Planungshoheit kursorisch vorgestellt werden (aa). Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährt den Gemeinden allerdings keinen absoluten Schutz vor jeglichen Einwirkungen. Vielmehr besteht das Selbstverwaltungsrecht lediglich „im Rahmen der Gesetze“.2266 Folglich sind auch Beschränkungen der Planungshoheit unter gewissen Vorausset2262
Zum Begriff der „fakultativen Bundesverwaltung“, vgl. BVerwG, Urt. v. 31.8.2006 – Az. 7 C 3/06, NVwZ 2008, S. 88; 2263 Vgl. auch Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 16; so bereits Britz, DVBl. 1998, S. 1167, 1169. 2264 Vgl. dazu Abschnitt D. III. 3. d). 2265 Vgl. etwa Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 484 ff.; allgemein zur Relevanz von Art. 28 Abs. 2 GG in Zusammenhang mit Maßnahmegesetzen Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 134 ff.; Ronellenfitsch, DÖV 1991, S. 771, 780. 2266 Näher hierzu Schwarz, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 185 ff.; zur Reichweite dieses Gesetzesvorbehalts auf Eigenverantwortlichkeit und Aufgabenbestand, vgl. Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 30.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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zungen zulässig (bb). Insbesondere Anhörungs-, Mitwirkungs- und Klagerechte zugunsten der Gemeinden – wie sie auch im StandAG vorgesehen sind – können entsprechende Einschränkungen rechtfertigen (cc). aa) Planungshoheit als Ausprägung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts Das Bundesverfassungsgericht hat mit der Feststellung, dass die institutionelle Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht etwa einen gegenständlich bestimmten Aufgabenbereich umfasst, die Diskussion um die Reichweite der gemeindlichen Selbstverwaltung weitgehend befriedet.2267 Vielmehr sei von der Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises auszugehen.2268 Demnach können sich die Gemeinden allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ohne besonderen Kompetenztitel annehmen.2269 Darunter fallen all „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben,2270 die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen.“2271
Damit wird einerseits an das betroffene Gebiet, andererseits an die dort wohnende und somit sachlich betroffene Bürgerschaft angeknüpft. Auf diese Weise kann ein Wandel in den sozialen, wirtschaftlichen oder technischen Rahmenbedingungen und zugleich der historische anerkannte Bestand berücksichtigt werden. Zwar haben die Karlsruher Richter ausdrücklich festgehalten, dass es auf die Verwaltungskraft der Gemeinde nicht ankommt.2272 Der Gemeindegröße kommt jedoch mittelbar eine wichtige Rolle bei der Bestimmung dessen zu, was als typische Gemeindeangelegenheit zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung anzusehen ist.2273
2267
S. a. Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2017, S. 728, 729. BVerfGE 79, 127, 146; zur „Allzuständigkeit“, vgl. auch BVerfGE 56, 298, 312 – Lärmschutz; E 83, 37, 54 – Ausländerwahlrecht; aus der Lit.: Schwarz, in: Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn 168; Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 37; Lissack, Bayer. Kommunalrecht 2019, S. 21 ff.; Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2017, S. 728, 729; Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 50. 2269 Vgl. BVerfGE 79, 127, 146 – Rastede. 2270 Vgl. insoweit BVerfGE 8, 122, 134 – Atomwaffen; E 50, 195, 201 – Rheda-Wiedenbrück; E 52, 95, 120 – Amtsverwaltung. 2271 BVerfGE 79, 127, 151 f. – Rastede; s. a. BVerfGE 83, 30, 50 f. – Ausländerwahlrecht. 2272 BVerfGE 79, 127, 152 – Rastede; E 110, 370, 400 – Klärschlamm-Entschädigungsfond. 2273 S. a. BVerfGE 79, 127, 152 – Rastede; E 83, 363, 384 – Krankenhausfinanzierungsumlage; E 110, 370, 401 – Klärschlamm-Entschädigungsfond. Dort wird u. a. auf die Zahl der Einwohner, die Größe des Gemeindeterritoriums und die Gemeindestruktur abgestellt, vgl. auch Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 33; Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 14; Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 52. 2268
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Besonders wichtige Teilausschnitte kommunaler Eigenverantwortlichkeit werden in den sog. Gebietshoheiten gebündelt.2274 Eine überörtliche Fachplanung betrifft – unabhängig von der Gemeindegröße – insbesondere die Ausprägung der Planungshoheit. Durch sie wird zum Ausdruck gebracht, dass die Gemeinden in ihrem Gebiet die wesentlichen bodenrechtlichen Entscheidungen über die zukünftige Gestaltung des Gemeindegebiets treffen.2275 Zentrales Mittel zur Ausformung der städtebaulichen Entwicklung bilden die Bauleitpläne als ortsbezogenes Element der raumbezogenen Gesamtplanung.2276 Mit Blick auf die Rechtsinstitutionengarantie2277 erwächst den Gemeinden aus der Planungshoheit zudem eine wehrfähige Rechtsposition.2278 bb) Zulässigkeit von Einschränkungen der Planungshoheit Wenngleich die Gemeinden sich grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen können,2279 ermöglicht die subjektive Rechtsstellungsgarantie gegen Eingriffe in das kommunale Selbstverwaltungsrecht gerichtlich vorgehen zu können.2280 Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährt aber keinen absoluten Schutz.2281 Die Selbstverwaltung und 2274 Neben der Planungshoheit fallen darunter etwa die Organisations-, Kooperations-, Personal-, Finanz- und Rechtsetzungshoheit, vgl. Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 31, 33; Schwarz, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 179 ff. 2275 Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 59; s. a. zur Abgrenzung von den weiteren Gebietshoheiten Oebbecke, FS Hoppe, S. 239 f. 2276 S. a. Schwarz, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 181; Erbguth, JURA 1988, S. 561, 565; zur einfach-gesetzlichen Umschreibung und Strukturierung der aus der kommunalen Planungshoheit fließenden Gestaltungsfreiheit durch das Abwägungsgebot in § 1 Abs. 7 BauGB, vgl. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 2 Rn. 20. 2277 Vgl. Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 25 ff. Davon zu unterscheiden ist die „objektive Rechtssubjektsgarantie“. Diese schützt den verfassungsrechtlichen Bestand der Gemeinde als solchen, lässt aber Zugriffe auf einzelne Gemeinden zu (z. B. Auflösung durch eine Gebietsreform), vgl. a. a. O. Rn. 23 f.; Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 40 f.; Schmidt-Aßmann, FS Sendler, S. 121, 135. 2278 Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 485; Langer, VerwArch (80) 1989, S. 352, 353, 356; Steinberg, DVBl. 1982, S. 13, 17 ff. 2279 Vgl. BVerfGE 21, 362, 369 ff. – Sozialversicherungsträger; E 61, 82, 100 ff. – Sasbach; aus der Lit.: Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2017, S. 728; s. a. wenngleich krit. Püttner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 44; für eine begrenzte Rügefähigkeit hinsichtlich der Beeinträchtigung kommunalen Eigentums, vgl. BayVerfGH, Entscheidung v. 5.12.1991, Az. Vf. 44-VI-91, NVwZ-RR 1992, S. 337; BayVerfGH, Beschluß vom 13.7.1984 – Vf. 29/VI/82, NVwZ 1985, S. 260; aus der Lit.: Ludwigs/Friedmann, NVwZ 2018, S. 22, 24; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67. 2280 Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2017, S. 728, 730; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 485; Langer, VerwArch (80) 1989, S. 352, 353, 356; Steinberg, DVBl. 1982, S. 13, 17 ff.; zum Selbstverwaltungsrecht als „Rechtsdurchsetzungsgarantie“ auch bei punktuellen Eingriffen, vgl. Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 45; Schwarz, NVwZ 1997, S. 237, 241. 2281 Insbesondere sind die Gemeindehoheiten selbst nicht Gegenstand eines eingriffsfesten Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung, vgl. Schneller, Objektbezogene Legalplanung,
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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somit auch die Gebietshoheiten stehen unter einem Gesetzesvorbehalt.2282 Der Gesetzgeber darf den Gemeinden demnach eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter aus Gründen des Gemeininteresses entziehen.2283 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn anders eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre und wenn sich im Rahmen einer Güterabwägung ein Vorrang schutzwürdiger überörtlicher Interessen ergibt. Die vorzunehmende Abwägung orientiert sich mangels Grundrechtsberechtigung der Gemeinden2284 nicht an dem grundrechtsbezogenen Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern an einem staatsorganisatorischen „gemeindebegünstigenden Aufgabenverteilungsprinzip“.2285 In diesem Zusammenhang sind die gemeindlichen Vorstellungen von umso größerem Gewicht, je konkreter und verbindlicher ihre Planungen bereits fortgeschritten sind.2286 Ebenso streitet für die Gemeinden, wenn ein überörtliches Vorhaben den kommunalen Gestaltungsspielraum für die Zukunft nahezu vollständig einschränkt.2287 Spiegelbildlich wächst das Gewicht überörtlicher Vorhaben mit deren regionaler und überregionaler Bedeutung.2288 1999, S. 135 (Fn. 31); Schmidt-Aßmann, FS Sendler, S. 121, 134; i. E. ebenso Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 116; a. A. Senftleben, ZUR 2008, S. 64, 67; das BVerfG lässt die Zuordnung der Planungshoheit zum Kernbereich offen, vgl. BVerfGE 46, 298, 312 f. – Lärmschutz; E 76, 107, 118 f. – kommunales Planungsrecht; E 103, 332, 366 – Landesnaturschutzgesetz Schleswig-Holstein; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 28 Rn. 181 (Fn. 130). Eine Verletzung sei aber jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn nur einzelne Gemeinden betroffen sind; zur fehlenden Relevanz der Zuordnung im Nachgang zur RastedeEntscheidung, vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 488; Oebbecke, FS Hoppe, S. 239, 241 f. 2282 Vgl. Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 34; Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 30; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 485; Oebbecke, FS Hoppe, S. 239, 243 f. 2283 BVerfGE 79, 127, 153 – Rastede; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 486; s. a. Schwarz, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 201. 2284 Vgl. BVerfGE 21, 362, 369 ff. – Sozialversicherungsträger; E 61, 82, 100 ff. – Sasbach; aus der Lit.: Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2017, S. 728; s. a. wenngleich krit. Püttner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 44. 2285 Vgl. Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 39 f.; Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 33; Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 44; SchmidtAßmann, FS Sendler, S. 121, 135; a. A. Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2017, S. 728, 730; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 486; krit. auch Oebbecke, FS Hoppe, S. 239, 246; vgl. auch BVerfGE 138, 1, 19 f. – Schulnetzplanung, wo das Bundesverfassungsgericht nunmehr wieder auf eine an der Dogmatik der Verhältnismäßigkeit orientierte Prüfung zurückgreift. 2286 BVerwGE 97, 203, 211; E 100, 388, 394; aus der Lit.: Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 60; Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 33; Battis, in: Battis/Krautzberger/ Löhr (Hrsg.), BauGB, § 2 Rn. 21; Oebbecke, FS Hoppe, S. 239, 246; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 135. 2287 BVerfGE 56, 298, 317 f. – Lärmschutz; BVerwGE 127, 259, 268; E 79, 318, 325; E 74, 124, 132; Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 60; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 2 Rn. 21. 2288 Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 135.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Mit Blick auf die Endlagersuche fällt auf, dass das Standortauswahlgesetz sehr weitreichende Eingriffe in die gemeindliche Planungshoheit vorsieht. In § 12 Abs. 2 StandAG wird ein Vorrang der Entscheidungen im Standortauswahlverfahren vor Bauleitplanungen etabliert.2289 Diese Vorschrift verfolgt das Ziel, Ingerenzen mit der gemeindlichen Planung zu unterbinden.2290 Damit entspricht die Regelung § 38 BauGB, welcher den Vorrang eines fachgesetzlichen Regelungsregimes bei überörtlichen Planungen anordnet.2291 Zudem bestehen über die Standortsicherungsklauseln des § 21 StandAG2292 mittelbar Möglichkeiten, auf die gemeindliche Planung Einfluss zu nehmen. Wenn die Zulassung einzelner Vorhaben verhindert werden kann, wird auch eine solche Projekte umfassende Bauleitplanung obsolet. Im Ergebnis findet nahezu eine vollständige Verdrängung der gemeindlichen Gestaltungsspielräume statt.2293 Gleichwohl bleibt die Aufgabe der Bauleitplanung formal bei den Gemeinden und wird lediglich isoliert für die Standortplanung eines Endlagers überregelt.2294 Der Vorrang einer überörtlichen Fachplanungen beinhaltet folglich keinen vollständigen Entzug der gemeindlichen Planungsaufgabe, sondern vielmehr eine Beschränkung der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung, die freilich aufgrund der Reichweite im konkreten Fall erhöhte Rechtfertigungsanforderungen erwachsen lässt.2295 Dem ist wiederum die herausgehobene Bedeutung der Endlagersuche gegenüber zu stellen. Bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle handelt es sich zum einen in Ausprägung grundrechtlicher Schutzpflichten2296 gemäß § 9a Abs. 3 S. 1 AtG2297 um eine obligatorische Bundesaufgabe. Zum anderen be2289
Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67. S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 11. 2291 Über § 38 BauGB lässt sich ein Vorrang des StandAG allerdings nicht generell begründen, da das Standortauswahlverfahren selbst keine Planfeststellung oder Entscheidung mit gleicher Wirkung enthält, vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 38 Rn. 15; somit bedarf es der gesonderten Regelung in § 12 Abs. 2 StandAG, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn 11; Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 142. 2292 Näher zu den Standortsicherungsklauseln, vgl. Frenz, RdE 2018, S. 58 ff.; ders., DVBl. 2018, S. 285 ff.; darauf entgegnend Weiss, DVBl. 2018, S. 1204 ff. sowie Abschnitt D. III. 1. c) bb) (4). 2293 Zur „hohen Durchsetzungskraft“ des StandAG in Zusammenhang mit „raumwirksamen Maßnahmen“, vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 25 StandAG Rn. 5; ähnlich ders., in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 11. 2294 Zur Zulässigkeit überörtlicher Fachplanung, vgl. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 489 ff. 2295 Für gesteigerte Rechtfertigungsanforderungen, wenn durch die Großräumigkeit überörtlicher Fachplanung wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzogen werden, vgl. BVerwGE 90, 96, 100; E 84, 209, 214 f.; E 81, 95, 106; aus der Lit.: Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 28 II Rn. 60; a. A. wohl Oebbecke, FS Hoppe, S. 239, 249; zur Abgrenzung von Aufgabenentzug und Beschränkung der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung, vgl. Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 38, 42, 45 m. w. N. 2296 Vgl. Abschnitt D. II. 1. c) ee). 2297 Vgl. Abschnitt D. III. 2. b). 2290
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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inhaltet die Lösung der Endlagerfrage eine bedeutende gesellschaftliche Aufgabe mit einer weit in die Zukunft reichenden Verpflichtung. Folglich liegt auch ein für die Etablierung einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung erforderliches besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse vor.2298 Wie bereits im Zusammenhang mit der föderalen Aufgabenverteilung erörtert, bedingt die Konzeption als bundesweiter Standortvergleich eine überörtliche Planung. cc) Anhörungs- und Klagerechte als Kompensation Eine solche durch überörtliche Interessen gerechtfertigte staatliche Planung überlagert das originäre Planungsrecht der Gemeinden dahingehend, dass die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Planungshoheit zu einem Anhörungs- und Berücksichtigungsrecht2299 sowie einem Klagerecht transformiert wird.2300 Die im Standortsuchverfahren stattfindenden Eingriffe sind demnach gerechtfertigt, sofern eine gerechte Abwägung zwischen den kommunalen und fachplanerischen Belangen stattgefunden hat.2301 Hierzu ist es essenziell, dass den betroffenen Gemeinden zur Ermittlung ihrer Planungsinteressen ausreichende Anhörungs- und Einwendungsmöglichkeiten geboten werden.2302 Das Erfordernis einer verfahrensmäßigen Einbindung der Gemeinde ergibt sich bereits unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 GG.2303 Die Beteiligung der Kommune entfaltet einerseits ein vorwirkendes Schutzprinzip.2304 Andererseits kann ihr eine Kompensationswirkung zugedacht werden.2305 Ein solcher Ausgleich erfolgt über die Einstellung der vorgebrachten gemeindlichen Belange in den Abwägungsprozess. Die über die Rechtsinstitutionengarantie verliehene wehrfähige Rechtsposition ermöglicht den Gemeinden wiederum, mögliche Einschränkungen ihres Selbstverwaltungsrechts gerichtlich überprüfen zu lassen. Diesen Vorgaben trägt das Standortauswahlgesetz dahingehend Rechnung, dass es eine umfangreiche Einbindung der Standortgemeinden im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht. Im Einzelnen handelt es sich um ein Teilnahmerecht an 2298 Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 8; Semper, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, Vorb. §§ 13 bis 20 Rn. 26; so bereits Ipsen, in: Hocke/Grunwald (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 105, 111; näher dazu in Abschnitt D. IV. 3. c) bb) (3). 2299 Für gemeindliche „Mitwirkungsrechte“ bei Fachplanungen, vgl. Oebbecke, FS Hoppe, S. 239, 245. 2300 S. a. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 490; Langer, VerwArch (80) 1989, S. 352, 357. 2301 Vgl. BVerwGE 81, 95, 106; E 97, 203, 211 f.; aus der Lit.: Burgi, Kommunalrecht, 2019, § 6 Rn. 45; Ossenbühl, JZ 1995, S. 510, 512 2302 S. a. Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 136. 2303 BVerfGE 56, 298, 320 f. – Lärmschutz; Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 136; Schmidt-Aßmann, FS Sendler, S. 121, 137. 2304 Vgl. Schmidt-Aßmann, FS Sendler, S. 121, 137. 2305 Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 136 m. w. N.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Erörterungsterminen (§ 7 Abs. 5 StandAG), die Mitgliedschaft in den Fachkonferenzen Teilgebiete (§ 9 Abs. 1 S. 2 StandAG) sowie die maßgebliche Rolle im Vertreterkreis der Regionalkonferenzen (§ 10 Abs. 3 S. 1 StandAG). Die dort vorgebrachten Belange finden insbesondere als Bestandteil der planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien i. S. d. § 25 StandAG Eingang in den Abwägungsprozess und die abschließenden Standortentscheidungen.2306 Zudem bleiben die Kommunen nicht auf verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz im Wege der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG beschränkt.2307 Die Einbeziehung der Kommunen2308 in den Kreis der Klageberechtigten nach §§ 17 Abs. 3 S. 3 und 19 Abs. 2 S. 6 StandAG eröffnet Zugang zu einer fachgerichtlichen Überprüfung vor dem Bundesverwaltungsgericht.2309 Über die Gleichstellung mit anerkannten Umweltvereinigungen nach § 3 UmwRG sind die Rügen der Gemeinden auch nicht auf mögliche Verletzungen des Selbstverwaltungsrechts beschränkt. Die betroffenen Kommunen erhalten auf diese Weise ausreichend Gelegenheit, ihre Standpunkte und Planungsinhalte in den Abwägungsprozess einzuspeisen. Werden deren Belange fehlgewichtet oder ignoriert, ist eine verfassungswidrige Verletzung des Selbstverwaltungsrechts im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Dies kann jedoch durch die gewährten Klagerechte fachgerichtlich überprüft und ggf. sanktioniert werden. Somit steht jedenfalls die grundlegende Konzeption2310 des Standortauswahlgesetzes trotz einer Überlagerung der kommunalen Planungshoheit im Einklang mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht. dd) Zusammenfassung Die Planungen des Standortauswahlverfahrens gehen grundsätzlich mit einem Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht einher. Schließlich wird eine 2306 Vgl. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 12 StandAG Rn. 9, der gleichwohl (zustimmend) darauf hinweist, dass die planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien aufgrund des Primats der Sicherheit nur Anwendung finden, wenn sich ein Standort nach den Kriterien der §§ 22 – 24 StandAG als geeignet erwiesen hat; zum Nachrang planungswissenschaftlicher Kriterien, vgl. auch Schlacke/Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 145; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 25 StandAG Rn. 4. 2307 Zu den „Schwächen“ der Kommunalverfassungsbeschwerde, vgl. Püttner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 144 Rn. 46. 2308 Im Rahmen des Fortentwicklungsgesetzes wurde festgehalten, dass unter diesen Begriff auch Verwaltungsgemeinschaften und Landkreise fallen, vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 62; instruktiv zur räumlichen Ausdehnung Gärditz, FS Erbguth, S. 479, 488 f.; vgl. weiterhin Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64. 2309 Zur Einordnung als „regionale Interessentenklage“, vgl. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67, 70 und Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (1) (b); a. A. Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 372 f. 2310 Vgl. auch Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 490, der festhält, dass lediglich die rechtlichen und faktischen Beeinträchtigungen der kommunalen Planungshoheit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen, ohne das Gemeinden automatisch gegen jede andere Raumplanung vorgehen können, die ihr Gemeindegebiet überhaupt berührt.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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Endlageranlage derart großräumige Auswirkungen zeitigen, dass der künftige Planungsspielraum betroffener Standortgemeinden substanziell eingeschränkt ist.2311 Allerdings sieht das Standortauswahlgesetz eine umfangreiche Einbindung von potenziellen Standortgemeinden im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Diese Anhörungsrechte sowie die Gewährung fachgerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet eine hinreichende Berücksichtigung gemeindlicher Interessen bei der Ausarbeitung der Standortentscheidung. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht in Ausprägung der Planungshoheit steht der Standortfestlegung durch Bundesgesetz folglich nicht entgegen. c) Zwischenergebnis Unzweifelhaft bewirkt das Standortauswahlverfahren eine Konzentration von Zuständigkeiten auf Bundesebene. Damit korrespondiert im föderalen Bundesstaat denklogisch ein Bedeutungsverlust der nachgeordneten Ebenen. Eine solche komplexitätsreduzierende Verfahrensgestaltung ist jedoch nicht zwingend verfassungswidrig, sondern vielmehr Ausdruck eines Interdependenzmanagements in MultiLevel-Governance-Konstellationen.2312 Durch die Bündelung von Kompetenzen auf der Ebene des Bundes können Abstimmungs- und Einigungsaufwand reduziert und die Wahrscheinlichkeit für effektive Problemlösungen erhöht werden. Verfassungsrechtlichen Anforderungen hält ein solches Verfahrensdesign vor dem Hintergrund bundesstaatlicher Ordnung stand, wenn die Interessen der Länder und der Kommunen in ausreichendem Maß in den Entscheidungen Berücksichtigung finden. Das Standortauswahlgesetz gewährleistet dies für die Länder über die Interessensvertretung im Bundesrat, die Mitwirkungsrechte nach § 12 Abs. 2 S. 3 StandAG sowie die im Zusammenhang mit der selektiven Geltung von Fachrecht verbleibenden Länderkompetenzen. Die Kommunen hingegen haben eine starke Rolle im Wege der Öffentlichkeitsbeteiligung inne und erhalten weitreichende fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten. Insofern fügt sich die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen in konsistenter und verfassungskonformer Weise in eine auf Projektrealisierung gerichtete Verfahrenskonstruktion. 7. Umsetzung der Entsorgungsrichtlinie 2011/70/EURATOM Während die Aspekte der vertikalen Gewaltenteilung und des kommunalen Selbstverwaltungsrechts Kompetenzabgrenzungen im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland betreffen, entstammen die Vorgaben zur Endlagerung ra2311
S. a. Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 67. Für die Entflechtung von Ebenen zur Effektuierung politischen Handelns in Mehrebenenkonstellationen, vgl. Peters/Pierre, in: Bache/Flinders (Hrsg.), Multi-level governance, 2005, S. 75, 86 ff.; Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009, S. 207 und Abschnitt C. III. 4. b); allgemein zur Endlagersuche als Beispiel für Multi-Level-Governance, vgl. Abschnitt C. III. 2. 2312
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dioaktiver Abfälle von unionsrechtlicher Seite im Wesentlichen der Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM).2313 Das Standortauswahlgesetz beinhaltet an verschiedenen Stellen Regelungskomplexe, die auf europarechtlichen Vorgaben beruhen. Zwar wird nahezu einhellig von einer richtlinienkonformen Implementierung ausgegangen.2314 Nichtsdestotrotz stehen zum Teil weitergehende Forderungen im Raum, die an Inhalte der Entsorgungsrichtlinie anknüpfen. Im Einzelnen handelt es sich um Fragen der Behördenorganisation, bei denen insbesondere die „Unabhängigkeit“ der Regulierungsbehörde zu diskutieren ist (a) und die Forderung nach einem umfassenden Exportverbot nuklearer Abfälle (b). a) Behördenorganisation im StandAG Die vom Standortauswahlgesetz vorgesehene Aufgabenverteilung zwischen staatlichen Akteuren und Behörden war schon im Entwurfsstadium und auch fortlaufend Gegenstand streitiger Debatten.2315 So wechselte bereits vor Implementierung der übrigen Vorschläge der Endlagerkommission2316 die Vorhabenträgerschaft vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf die neu gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE).2317 Unangetastet blieb hingegen die Rolle des ebenfalls mit dem StandAG neu geschaffenen Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als maßgeblicher staatlicher Akteur und Regulierungsbehörde2318 des Standortauswahlverfahrens.2319 Die Diskussion zu einer Reform der Or-
2313 Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 19. Juli 2011 – RL 2011/70/EURATOM, ABl.EU L 199/48 v. 2.8.2011; näher zum Inhalt in Abschnitt D. I. 2. b). 2314 Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 412 f.; Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 7 Rn. 29; Keienburg, atw 2014, S. 571, 577; dies., atw 2012, S. 725, 730. 2315 Vgl. die Darstellung bei Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 12 ff.; vgl. weiterhin Bull, DÖV 2014, S. 897, 904 ff.; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, S. 24, 27; Smeddinck, Das Recht der Atomentsorgung, 2014, S. 27; ders., DVBl. 2014, S. 408, 412 f.; Keienburg, atw 2014, S. 571, 577; dies., atw 2012, S. 725, 730; König, ZNER 2012, S. 232, 236; Domasch/Sperfeld/Stracke u. a., Atomrechtliche Fragestellungen – im Spannungsfeld zwischen neuen Ansätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bestmöglicher Entsorgung radioaktiver Abfälle, K-MAT 66, 20.6.2016, S. 11 ff.; Endlagerkommission, Eckpunktepapier zum Thema „Behördenstruktur“, K-Drs. 91 NEU, 2.3.2015. 2316 Zu den Empfehlungen der Endlagerkommission zur Reform der Organisationsstruktur, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 53 ff., 55 mit dem Hinweis, dass die entsprechenden Vorschläge bereits weitgehend implementiert wurden. 2317 Vgl. Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843; vgl. weiterhin BT-Drs. 18/8913, S. 14, 17, 19. 2318 Krit. zum Begriff und den Unterschied zu „klassischen“ Regulierungsbehörden wie der Bundesnetzagentur oder dem Bundeskartellamt betonend Bull, DÖV 2014, S. 897, 905; Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 7 Rn. 22; für die Funktion als Aufsichtsbehörde Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 832.
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ganisationsstruktur bewegte sich überwiegend im Rahmen des nationalen Rechts und berührte ökonomische Fragestellungen.2320 Die Vorgaben der Entsorgungsrichtlinie wurden hingegen im Wesentlichen als ausreichend umgesetzt angesehen.2321 Prima facie erscheint dies überraschend. Schließlich stehen Fragen der Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden seit Jahren im Scheinwerfer der rechtswissenschaftlichen Debatte2322 und beschäftigten nicht zuletzt den Europäischen Gerichtshof.2323 Die RL 2011/70/EURATOM sieht in Art. 6 Abs. 2 ebenfalls die „Unabhängigkeit“ der nationalen Regulierungsbehörde vor. Zur Klärung, ob die Sachlage im Bereich der nuklearen Entsorgung mit den aktuell vor dem EuGH zur Entscheidung stehenden Situation in den Sektoren Strom und Gas2324 vergleichbar ist (cc), erfolgt zunächst eine (wiederholende) Darstellung der Rolle des BASE im Standortauswahlverfahren (aa) und ein Überblick zu den Anforderungen des europarechtlich geforderten Trennungsgrundsatzes (bb). aa) Aufgabenverteilung und Behördenzuständigkeit im StandAG Wichtigster Akteur im Standortauswahlverfahren ist das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).2325 Als zentrale Regulierungs- und Koordinationsbehörde leitet es den Vorhabenträger (Bundesgesellschaft für Endlagerung – BGE), indem es Prüfkriterien festlegt. Zudem überprüft es dessen Vorschläge. Außerdem erarbeitet das BASE gemäß § 19 Abs. 1 StandAG den abschließenden Standortvorschlag und stellt mittels der Zuleitung über das BMUB an
2319 Die Position des BASE wurde vielmehr weiter gestärkt, indem ihm mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur zusätzlich die Aufsicht über Endlager übertragen wurde, vgl. BT-Drs. 18/8913, S. 22. 2320 Zu den Gegenständen der Diskussion, vgl. bereits Abschnitt D. III. 1. b) bb) und dd). 2321 Vgl. Hennenhöfer, FS Dolde, S. 209, 215; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 412 f.; Bull, DÖV 2014, S. 897, 905 f.; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 255 f.; Keienburg, atw 2014, S. 571, 577; dies., atw 2012, S. 725, 730. 2322 Zur europarechtlich geforderten Weisungsunabhängigkeit der BNetzA als Ausprägung sachlicher Unabhängigkeit, vgl. Ludwigs, DVBl. 2011, S. 61, 67 ff., ders., VERW (44) 2011, S. 41 ff.; für einen sektorenübergreifenden Überblick, vgl. Ludwigs, in: ders. (Hrsg.), Regulierender Staat und konfliktschlichtendes Recht, 2018, S. 689, 691 ff.; Gundel, EWS 2017, S. 301 ff.; Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 133 ff. 2323 Vgl. EuGH, Rs. C-614/10, ECLI:EU:C:2012:631, Rn. 41 – Kommission/Österreich; EuGH, Rs. C-518/07, ECLI:EU:C:2010:125, Rn. 30 – Kommission/Deutschland; EuGH, Rs. C-389/08, ECLI:EU:C:2010:584 – Base; EuGH, Rs. C-424/07, ECLI:EU:C:2009:749 – Kommission/Deutschland, EuGH, Rs. C-262/06, ECLI:EU:C:2007:703 – Deutsche Telekom. 2324 Vgl. Aufsichtsklage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland v. 16.11.2018, beim EuGH anhängig unter Rs. C-718/18 (ABl.EU 2019, C 54/6), näher dazu Ludwigs, EnWZ 2019, S. 160 ff.; ders., N&R 2018, S. 262, 263 f.; Burgi, NVwZ Editorial Heft 23/2018. 2325 Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 10.
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den Deutschen Bundestag eine Verbindung zu den politischen Gremien her.2326 Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisation im Bereich der Endlagerung2327 wurde die bestehende Aufgabenverteilungen zwischen zwei Bundesbehörden (BASE und BfS) deutlich gestrafft und das vormals unklare Über-/Unterordnungsverhältnis aufgelöst.2328 Weiterhin fungiert das BASE nunmehr auch als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung2329 und hat die Aufsicht über bestehende und künftige Endlager inne.2330 Wenngleich die Änderung der Organisationsstruktur primär funktionalen und wirtschaftlichen Erwägungen folgte, adressieren die Gesetzesmaterialien an verschiedenen Stellen die Vorgaben der Entsorgungsrichtlinie.2331 bb) Trennungsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 2 RL 2011/70/EURATOM Europarechtlicher Ausgangspunkt dieser Strukturierungsanforderungen ist das in Art. 6 Abs. 2 der RL 2011/70/EURATOM normierte Trennungsgebot.2332 Demnach muss die zuständige Regulierungsbehörde funktional von allen anderen Stellen und Organisationen separiert sein, die mit der Förderung und Nutzung von Kernenergie oder mit der Entsorgung abgebrannter Brennelement und radioaktiver Abfälle2333 befasst sind. Auf diese Weise soll eine tatsächliche Unabhängigkeit von ungebührlicher Beeinflussung in ihrer Regulierungsfunktion (d. h. als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde) sichergestellt werden.2334 Damit rezipiert die Entsorgungsrichtlinie den ebenso in Art. 20 Abs. 2 Joint Convention enthaltenen Trennungsgrundsatz.2335 Daraus ergibt sich, dass die Organisation, welche das Endlager errichtet und betreibt oder die Standortsuche durchführt (Vorhabenträger) – unab2326 Zu den Aufgaben des BASE, vgl. Abschnitt D. III. 1. b) dd) sowie Smeddinck, EurUP 2017, S. 195, 196; Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 7. 2327 Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1843. 2328 S. a. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 11; zur Kritik an der Behördenstruktur, vgl. Domasch/Sperfeld/Stracke u. a., Atomrechtliche Fragestellungen – im Spannungsfeld zwischen neuen Ansätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bestmöglicher Entsorgung radioaktiver Abfälle, K-MAT 66, 20.6.2016, S. 11 ff.; Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 12. 2329 Vgl. Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 4 StandAG Rn. 9. 2330 Normtechnisch umgesetzt wurde dies mit der Einfügung der §§ 19 Abs. 5 und 23d S. 1 Nr. 2 AtG im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 26.7.2016 (BGBl. I S. 1843). 2331 Vgl. BT-Drs. 18/8913, S. 21, 22. 2332 Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 5. 2333 Die Differenzierung zwischen radioaktiven Abfällen und abgebrannten Brennelementen rührt daher, dass in einigen Mitgliedsstaaten (insb. Frankreich) die Wiederaufarbeitung von Brennelementen zulässig ist und noch praktiziert wird, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 169. 2334 Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 255; Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 138. 2335 S. a. Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 255; näher zur Joint Convention in Abschnitt D. I. 1. a).
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hängig von ihrer privaten oder staatlichen Eigenschaft – von einer funktional getrennten Stelle zu überwachen ist.2336 cc) Vergleichbarkeit zur Diskussion um „Unabhängigkeit“ im Regulierungsrecht der Netzindustrien? Zur Beantwortung der Frage, ob dieses Trennungsgebot mit den weitreichenden Unabhängigkeitsforderungen im Bereich der Netzindustrien (Telekommunikation, Energie, Post und Eisenbahn)2337 vergleichbar ist, sind die jeweiligen Regulierungsziele in den Blick zu nehmen.2338 Das Unionsrecht beinhaltet gerade keine unmittelbaren Kompetenzen zur Regelung der nationalen Verwaltungsorganisation. Es weist vielmehr in Art. 291 Abs. 1 AEUV den Grundsatz einer mitgliedsstaatlichen Verfahrensautonomie auf.2339 Die Verträge enthalten allerdings Sachregelungskompetenzen, aus denen sich institutionelle Vorgaben an die Mitgliedsstaaten rechtfertigen können. Die Herleitung einer funktionalen aber auch sachlich-institutionellen Unabhängigkeit2340 der nationalen Regulierungsbehörden mag für die Sektoren der Netzindustrien überzeugen.2341 Aufgrund der Abhängigkeit von Leistungserbringung und Infrastrukturnutzung stellen diese Bereiche natürliche Monopole dar.2342 Die Trennung hoheitlicher und unternehmerischer Funktionen des Staates gilt als Voraussetzung für eine wirkungsvolle Liberalisierung der entsprechenden Märkte.2343 Der Politik soll die Möglichkeit genommen werden, über die 2336 Däuper/Dietzel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 StandAG Rn. 5; Niehaus, 14. AtomRS, S. 247, 255. 2337 Ludwigs, in: Schmidt/Wollenschläger (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 12 Rn. 1; näher zum Netzbegriff Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 40 ff. 2338 Wie hier Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 40 f. 2339 Vgl. EuGH, C-201/02, ECLI:EU:C:2004:12, Rn. 65, 67 – Delena Wells; näher zum primärrechtlichen Grundsatz der mitgliedsstaatlichen Verfahrensautonomie Galetta, Procedural Autonomy of EU Member States: Paradise Lost?, 2010, S. 33 ff.; Ludwigs, NVwZ 2018, S. 1417 ff. 2340 Zu den unterschiedlichen Ausprägungen, vgl. Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, 2006, S. 29 ff.; Kröger, in: Kröger/Pilniok (Hrsg.), Unabhängiges Verwalten in der Europäischen Union, 2016, S. 1, 5 f.; ähnlich zur Unabhängigkeit der EZB Ludwigs/Sikora, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, A. II. 9. Rn. 385 ff. 2341 S. a. Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 136. 2342 Ludwigs, in: Schmidt/Wollenschläger (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 12 Rn. 4; „natürliche Monopole“ zeichnen sich dadurch aus, dass ein einzelnes Unternehmen einen bestimmten Leistungsumfang zu geringeren Kosten bereitstellen kann als zwei oder mehrere Unternehmen, vgl. auch Baldwin/Cave/Lodge, Understanding Regulation, 2013, S. 444 ff. 2343 Ludwigs, in: Schmidt/Wollenschläger (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 12 Rn. 2, 4 ff. m. w. N.
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Ausgestaltung des Regulierungsdesigns Einfluss auf die wirtschaftliche Betätigung (früherer) Staatsunternehmen und deren Konkurrenten zu nehmen. Insofern dominiert eine ökonomische Zielrichtung. Die Situation im Bereich der Kernenergie und der nuklearen Entsorgung stellt sich im Ergebnis anders dar. Mit Blick auf die Vorgaben zur Atomaufsicht lässt sich feststellen, dass der Europäischen Atomgemeinschaft ebenfalls keine originären Kompetenzen zur Gestaltung der Organisationsstruktur der Mitgliedsstaaten zukommen. Insofern gilt auch hier der Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie aus Art. 291 Abs. 1 AEUV.2344 Die maßgeblichen Kompetenznormen des Art. 31 und 32 EAGV beschränken sich auf den Erlass von Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen Gefahren ionisierender Strahlung.2345 Organisationsvorgaben für die mitgliedsstaatliche Atomaufsicht müssen sich daher konkret aus der zu verfolgenden Sachaufgabe rechtfertigen und dem Gesundheitsschutz dienen.2346 Die Aufgaben der Atomaufsicht beziehen sich also primär auf sicherheitsrechtliche, am Prinzip einer dynamischen Schadensvorsorge2347 und effektiven Risikominimierung2348 ausgerichtete Zwecke der Gefahrenabwehr.2349 Folgerichtig verlangt die Entsorgungsrichtlinie für die Regulierungsbehörde lediglich eine funktionale Trennung. Damit soll eine ungebührliche Einflussnahme gerade von Stellen, die mit der Förderung oder Nutzung von Kernenergie befasst sind, ausgeschlossen und somit möglichen Interessenkonflikten zulasten der Sicherheit vorgebeugt werden. Eine umfassende Unabhängigkeit,2350 die insbesondere die sachlich-institutionelle Ausprägung der Weisungsfreiheit beinhaltet, ist damit nicht gemeint.2351 Das 2344
S. a. für den Bereich der Atomaufsicht Karpenstein, RdE 2010, S. 170; Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 138. 2345 Rodi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 31 EAGV Rn. 3 f.; Hermes, 12. AtomRS, S. 37, 63 ff. 2346 Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 138; in diese Richtung auch Rodi, in: Vedder/ Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 31 EAGV Rn. 4. 2347 Vgl. BVerfGE 49, 89, 137 – Kalkar I; E 53, 30, 75 ff. – Mühlheim-Kärlich; näher hierzu in Abschnitt D. II. 1. c) aa) (2) m. w. N. 2348 Vgl. BVerwGE 72, 300, 315 – Whyl; näher dazu in Abschnitt D. II. 1. c) bb) m. w. N. 2349 Vgl. Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 18. 2350 Zu den unterschiedlichen Ausprägungen, vgl. Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, 2006, S. 29 ff.; Kröger, in: Kröger/Pilniok (Hrsg.), Unabhängiges Verwalten in der Europäischen Union, 2016, S. 1, 5 f.; ähnlich zur Unabhängigkeit der EZB Ludwigs/Sikora, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, A. II. 9. Rn. 385 ff. 2351 I. E. ebenso Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 43; s. a. in Bezug auf die wort- und sinngleiche Regelung des Art. 5 Abs. 2 der RL 2009/71/EURATOM (Richtlinie zur nuklearen Sicherheit) Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 138; Karpenstein, RdE 2010, S. 170, 171.
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Standortauswahlverfahren gewährleistet eine solche Trennung namentlich durch Separierung von Vorhabenträgerschaft (BGE) und Aufsichts- bzw. Regulierungsbehörde (BASE).2352 Die Errichtung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUB) erzeugt aufgrund der bereits im Jahr 2002 erfolgten Streichung des Förderzwecks in § 1 AtG a. F.2353 ebenfalls keine Friktionen.2354 Mit dem im Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur erfolgten Übertragung der Aufsicht für bestehende und künftige Endlager an das BASE (vgl. §§ 19 Abs. 5 und 23d S. 1 Nr. 2 AtG) ist der Trennungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 2 RL 2011/70/EURATOM nunmehr für alle Aufgaben im Bereich der Entsorgung nuklearer Abfälle umgesetzt.2355 dd) Zusammenfassende Bewertung Das Standortauswahlgesetz kennt mit dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung eine zentrale Regulierungs- und Koordinationsbehörde. Zusätzlich kommt ihm die Rolle als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung zu. Davon getrennt ist die Tätigkeit als Vorhabenträger, welche durch die Bundesgesellschaft für Endlagerung wahrgenommen wird. Mit der Übertragung der Aufsicht über bestehende und künftige Endlager im Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung an das BASE sind nunmehr sämtliche Aufgaben im Entsorgungsbereich funktional von solchen Stellen getrennt, die mit der Förderung oder Nutzung der Kernenergie in Berührung stehen. Weitergehende Anforderungen sind dem Trennungsgrundsatz aus Art. 6 Abs. 2 RL 2011/70/EURATOM nicht zu entnehmen. Insbesondere sind die weitreichenden Unabhängigkeitsanforderungen aus dem Bereich der Netzindustrien nicht übertragbar. Die eine unionsrechtliche Einflussnahme auf die mitgliedsstaatliche Organisationsstruktur rechtfertigenden Regulierungsziele unterscheiden sich maßgeblich. Während in den Bereichen Telekommunikation, Energie, Post und Eisenbahn insbesondere ein wettbewerblicher Ansatz zur Liberalisierung der Märkte erfolgt, gilt der Fokus des europäischen Sekundärrechts im Nuklearbereich primär dem Gesundheitsschutz und der Gefahrenabwehr.2356
2352 So bereits Willmann, in: Smeddinck (Hrsg.), StandAG, § 7 Rn. 29; Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 412 f. 2353 Erfolgt mit Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v. 22.4.2002, BGBl. I S. 1351; vgl. Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 AtG Rn. 2 sowie Abschnitt D. III. 2. a). 2354 Vgl. Hellermann, 14. AtomRS, S. 127, 139. 2355 Vgl. BT-Drs. 18/8913, S. 21 f.; s. a. Leidinger, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 19 AtG Rn. 70. 2356 Vgl. Hermes, 12. AtomRS, S. 37, 64.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
b) Exportverbot Eine deutlich emotionaler geführte Diskussion mit europarechtlichen Bezügen entspannt sich um die Festschreibung eines Exportverbots für nukleare Abfälle und dessen Reichweite. Den Ausgangspunkt bildet Art. 4 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 der Entsorgungsrichtlinie. Die Vorschrift legt fest, dass radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente grundsätzlich im jeweiligen Entstehungsland endzulagern sind.2357 Die Gesetzesmaterialien zum StandAG greifen dieses Leitmotiv auf und betonen die Absicht, die Entsorgung radioaktiver Abfälle in nationaler Verantwortung zu lösen.2358 Den Grundsatz der nationalen Lagerung2359 setzt das Standortauswahlgesetz in zweifacher Hinsicht um. Zum einen widmet die Zweckbestimmung in § 1 Abs. 2 S. 1 das Endlager ausschließlich den im Inland erzeugten hochradioaktiven Abfällen. Die europa- und völkerrechtliche bestehende Möglichkeit das Endlager für weitere Staaten zu öffnen,2360 wird demnach nicht wahrgenommen. Zum anderen verbietet § 1 Abs. 2 S. 4 StandAG völkerrechtliche Abkommen zu vereinbaren, mit denen eine Verbringung radioaktiver Abfälle zum Zwecke der Endlagerung außerhalb Deutschlands ermöglicht würde.2361 Damit schließt das StandAG die in Art. 4 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 der Entsorgungsrichtlinie vorgesehene entsprechende Ausnahmeregelung explizit aus.2362 Jene Vorschrift trägt u. a. dem Umstand Rechnung, dass nicht alle Mitgliedstaaten über geeignete geologische Vorkommen zur Endlagerung
2357 Roßnagel/Hentschel, Verbringung in Deutschland erzeugter radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente ins Ausland, 2013, S. 8 f.; Borck, Die Endlagerung radioaktiver Abfälle aus Deutschland im Ausland, 2014, S. 23 ff. 2358 Vgl. BT-Drs. 17/13471, S. 2. 2359 Näher dazu Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S 25, 130; vgl. auch Abschnitt D. III. 1. a) hh). 2360 Vgl. Art. 4 Abs. 4 und Erwägungsgrund 33 der RL 2011/70/EURATOM sowie Art. 27 Joint Convention; vgl. auch Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 29, 79; Roßnagel/ Hentschel, Verbringung in Deutschland erzeugter radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente ins Ausland, 2013, S. 9. 2361 Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 16; zur wortgleichen Vorgängervorschrift in § 1 Abs. 1 S. 2 StandAG 2013, vgl. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 78 ff. 2362 Demnach ist die Ausfuhr in einen anderen Mitgliedsstaat oder einen Drittstaat möglich, wenn zum Zeitpunkt der Verbringung zwischen dem ausführenden und aufnehmenden Staat ein Abkommen in Kraft war, nach dem eine Anlage zur Endlagerung in einem dieser Staaten genutzt wird. Das Abkommen muss weiterhin den Kriterien nach Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2006/117/EURATOM des Rates v. 20.11.2006 über die Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente (ABl.EU L 337/21 v. 5.12.2006) entsprechen. Danach legt die Kommission 21 Kriterien fest, die u. a. den einschlägigen Sicherheitsstandards der IAEO Rechnung tragen und auf deren Grundlage die Mitgliedsstaaten leichter beurteilen können, ob die Erfordernisse für die Ausfuhr eingehalten werden; vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 347; Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 79, 87 f.; Dietze, Internationale Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2012, S. 154 ff.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
485
verfügen.2363 Wenngleich also Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/70/EURATOM im Grundsatz eine Endlagerung im Entstehungsland vorsieht, ist eine Entsorgung radioaktiver Abfälle in internationaler Kooperation – insbesondere auch aus wirtschaftlichen Erwägungen2364 – unionsrechtlich nicht ausgeschlossen.2365 Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit dem Verbringungsverbot in § 1 Abs. 2 S. 4 StandAG demnach für eine „überschießende“ Umsetzung der Entsorgungsrichtlinie entschieden.2366 Das weitreichende Ausfuhrverbot repräsentiert hohe moralische und fachliche Ansprüche für die Entsorgung atomarer Abfälle.2367 Nach dieser Feststellung mag es überraschen, dass die Formulierung des Exportverbots hinsichtlich seiner Reichweite dennoch kritisch hinterfragt wurde.2368 Insbesondere sollte die Ausdehnung auf nukleare Abfälle aus Forschungsreaktoren erreicht werden.2369 Denn während das Verbringungsverbot des StandAG normtextlich an die Ausnahmeregelung in Art. 4 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 der RL 2011/70/EURATOM anknüpft, sind abgebrannte Elemente aus Forschungsreaktoren nach Art. 2 Abs. 3 lit. b der Entsorgungsrichtlinie schon vorab vom Grundsatz der vorrangigen Entsorgung im Entstehungsland ausgenommen.2370 Die Endlagerkommission hat 2363
Folglich ist für jene Staaten eine sichere und geordnete Endlagerung auf nationalem Territorium ernsthaft in Frage gestellt. Der Verweis auf eine dauerhafte Zwischenlagerung ist mangels gleichwertiger Sicherheitsprognose aber nicht zumutbar, vgl. Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 179 f.; Roßegger, AbfallR 2011, S. 276, 281. 2364 Vgl. Erwägungsgrund 33 der RL 2011/70/EURATOM; krit. Isidoro Losada, in: Brunnengräber (Hrsg.), Problemfalle Endlager, 2016, S. 313, 330 f. 2365 Instruktiv Dietze, Internationale Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2012, S. 130 ff.; vgl. weiterhin Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 49; Boutellier/McCombie/Mele, IJNL 2006, S. 36 ff. 2366 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 16; Giesselmann, Rechtliche Anforderungen der Beseitigung hochradioaktiver langlebiger Abfälle, 2016, S. 347. 2367 S. a. Smeddinck, in: ders. (Hrsg.), StandAG, § 1 Rn. 89. 2368 Instruktiv Domasch/Sperfeld/Stracke u. a., Atomrechtliche Fragestellungen – im Spannungsfeld zwischen neuen Ansätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bestmöglicher Entsorgung radioaktiver Abfälle, K-MAT 66, 20.6.2016, S. 45 ff.; vgl. weiterhin Endlagerkommission, Beschlussvorschlag der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 2: Generelles Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle, K-Drs. 131, 2.10.2015, S. 2; Hamacher, „Tag der Verantwortung“ bei der Endlagersuche?, 19.4.2017, http://www.juwiss.de/44-2017, (geprüft am 26.9.2019), S. 3; Steinkemper, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 187, 193; krit. aus ethischen Gesichtspunkten Meister, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 13, 16. 2369 Zur Diskussion und den Beweggründen, vgl. bereits D. III. 1. a) ii); zur europarechtlichen Zulässigkeit eines solchen absoluten Exportverbots, insb. zur Vereinbarkeit mit primärrechtlichen Vorgaben (besondere Warenverkehrsfreiheit für radioaktive Erzeugnisse nach Art. 93 EAGV und Grundfreiheiten des AEUV), vgl. Roßnagel/Hentschel, Verbringung in Deutschland erzeugter radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente ins Ausland, 2013, S. 12 f.; Borck, Die Endlagerung radioaktiver Abfälle aus Deutschland im Ausland, 2014, S. 58 ff., 90 f. 2370 Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 16; diese Ausnahmeregelung adressiert den Umstand, dass Staaten (insb. USA und Russland) sich völkerrechtlich haben
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
sich daher die Forderungen vornehmlich von Umweltverbänden2371 zu eigen gemacht und die Verschärfung des Exportverbots angeregt.2372 Der Gesetzgeber hat das StandAG diesbezüglich jedoch nicht geändert.2373 Stattdessen wurde – ebenfalls mit dem Fortentwicklungsgesetz – § 3 AtG um einen neuen Absatz 6 ergänzt.2374 Demnach ist die Ausfuhr von Brennelementen aus Forschungsreaktoren nur noch in engen Grenzen genehmigungsfähig. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Export aus schwerwiegenden Gründen der Non-Proliferation oder der Versorgung deutscher Forschungsanlagen mit Kernbrennstoff erforderlich ist (vgl. § 3 Abs. 6 S. 1 AtG). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit dieser Vorschrift der in § 1 Abs. 2 S. 4 StandAG vorzufindende Grundsatz der Inlandsentsorgung auch auf nukleare Abfälle aus Forschungsreaktoren erstreckt wurde.2375 Die Regelung der Kommissionsempfehlungen außerhalb des StandAG beeinflusst deren Rechtswirkungen nicht. Der Rechtsrahmen zur Ausfuhr von nuklearen Abfällen und abgebrannten Brennelementen ist in Deutschland somit sogar restriktiver ausgestaltet, als es die Umsetzungsvorgaben der Entsorgungsrichtlinie verlangen. Weitergehende Forderungen nach einem absoluten Exportverbot ohne Ausnahmeregelungen2376 sind ethisch-moralisch2377 bzw. ideologisch geprägt2378 und ignorieren ausgleichende, gemeinwohlorientierte Gesichtspunkte, wie etwa die Stärkung der Spitzenforschung am Wissenschaftsstandort Deutschland. Das Europarecht kann zur Flankierung dieses Wunsches freilich nicht in Stellung gebracht werden.
zusichern lassen, aus Gründen der Nonproliferation die gelieferten Brennelemente nach Nutzungsende wieder zurück zu erhalten, vgl. Erwägungsgrund 15 der RL 2011/70/EURATOM; Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 AtG Rn. 12; Deutschland ist ebenfalls Mitglied dieser „Global Threat Reduction Initiative“, vgl. BR-Drs. 581/11, S. 20, 70. 2371 Vgl. Sondervotum von Klaus Brunsmeier (BUND), Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 414 f.; BUND, Stellungnahme des BUND, 28.4.2015, S. 2. 2372 Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 386 ff.; zuvor bereits dies., Beschlussvorschlag der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 2: Generelles Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle, K-Drs. 131, 2.10.2015, S. 1 f. 2373 S. a. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 49. 2374 Vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676; vgl. weiterhin BT-Drs. 18/11398, S. 77. 2375 S. a. Thienel, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 3 AtG Rn. 12; Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 1 StandAG Rn. 16. 2376 So etwa NBG, Klares Exportverbot für Brennelemente aus Forschungsreaktoren fehlt, 10.4.2017. 2377 Meister, in: Müller (Hrsg.), Endlagersuche: Auf ein Neues?, 2012, S. 13, 16. 2378 Vgl. etwa das Sondervotum von Hubertus Zdebel (LINKE), Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, 2016, S. 428 f., 434.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
487
c) Zusammenfassung Der Gesetzgeber hatte für die Konzeption der Endlagersuche nicht nur den verfassungsrechtlichen, sondern auch den europarechtlichen Rahmen zu beachten. Konkrete Vorgaben ergeben sich insbesondere aus dem Sekundärrecht der Europäischen Union. Die europarechtswidrige Rechtsschutzgestaltung des StandAG 20132379 hat der Gesetzgeber mit dem Fortentwicklungsgesetz2380 korrigiert. Das Rechtsschutzsystem des StandAG geht nunmehr mit der UVP-RL konform.2381 Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei einer Untersuchung im Kontext der Entsorgungsrichtlinie. Der in Art. 6 Abs. 2 RL 2011/70/EURATOM enthaltene Trennungsgrundsatz wurde mit der Übertragung der Aufsicht für bestehende und künftige Endlager auf das BASE letztlich vollständig umgesetzt.2382 Die Forderung nach einem generellen Exportverbot kann sich grundsätzlich nicht auf das Unionsrecht stützen. Zwar sieht die Richtlinie in Art. 4 Abs. 4 das Prinzip der nationalen Verantwortung für die Entsorgung vor. Mit den Ausnahmen für Forschungsreaktoren und internationale Kooperationen bei der Endlagerung bleiben die Vorgaben der Entsorgungsrichtlinie aber deutlich hinter den in StandAG und AtG enthaltenen strengen Regelungen zur Ausfuhr radioaktiver Abfälle zurück. 8. Zwischenergebnis Die Darstellung des einfachgesetzlichen Rahmens schloss mit der Beobachtung, dass zur Umsetzung der obligatorischen Staatsaufgabe Endlagerung das Verfahren mit wehrhaften und auf Durchsetzung ausgerichteten Elementen ausgestattet ist.2383 Die dort aufgeworfene Frage, ob die Ausgestaltung einer verfassungs- und europarechtlichen Überprüfung standhält, lässt sich nunmehr beantworten: Der Gesetzgeber des StandAG hat sich im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum gehalten! Lässt man die europarechtlichen Fragestellungen und Thematik der sachverständigen Beratung einmal beiseite, hängen die in diesem Abschnitt untersuchten 2379 Näher dazu in Abschnitt D. IV. 2. c) cc) (3); stellv. aus der Lit.: Däuper/Mirbach/Michaels, Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, K-MAT 37a, 18.6.2015, S. 17 ff., 32; Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 132; Kment, VERW (47) 2014, S. 377, 405. 2380 Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze vom 5.5.2017, BGBl. I S. 1074, 1676. 2381 Vgl. dazu bereits D. IV. 2. e) m. w. N.; in diese Richtung auch Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 15 StandAG Rn. 5. 2382 Die bereits zuvor bestehende Doppelstruktur von BfS und BASE als richtlinienkonform ansehend Keienburg, atw 2014, S. 571, 577; dies., atw 2012, S. 725, 730. 2383 Vgl. Abschnitt D. III. 4.
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D. Rechtlicher Rahmen der Endlagersuche in Deutschland
Punkte sämtlich mit der grundlegenden Konzeption als gestuftes Legalplanungsverfahren zusammen. Die phasenabschließenden Gesetze entziehen der Exekutive die finale Entscheidungsgewalt und übertragen sie auf den Gesetzgeber. Die Legalplanung beschränkt die Rechtsschutz- und die Eigentumsgarantie, indem sie auf die vergleichsweise restriktiven Voraussetzungen der Verfassungsgerichtsbarkeit verweist und eine doppelte Anfechtungslast erzeugt. Jedenfalls die abschließende Standortentscheidung regelt wiederum einen Einzelfall i. S. d. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. Und schließlich stehen Entscheidungen auf der Bundesebene in Konflikt mit der föderativen Aufgabenverteilung und der Planungshoheit der betroffenen Gemeinden. Die verfassungsrechtliche Problematik kulminiert letztlich an einen neuralgischen Punkt: Darf der Endlagerstandort im Wege der Legalplanung festgelegt werden? Das Bundesverfassungsgericht würde diese Frage – eine konsequente Fortführung der Stendal-Rechtsprechung vorausgesetzt – bejahen. Zumindest dann, wenn gute bzw. triftige Gründe dafür bestehen. Und solche – frei gesprochen – wichtigen Gründe gibt es. Die Endlagersuche ist kein beliebiges Infrastrukturprojekt. Es handelt sich nicht um einen Windpark, eine Eisenbahnlinie oder eine gewöhnliche Hausmülldeponie. Sie stellt vielmehr ein Vorhaben dar, für das es weltweit kein Vorbild gibt.2384 Die Durchführung ist technisch schwierig, kostspielig und von generationenübergreifender Auswirkung. Nicht vergessen werden darf das gesellschaftliche Konfliktpotenzial, welches auf die vielfältig fehlgeschlagenen Versuche zur Lösung der Entsorgungsproblematik zurückzuführen ist.2385 Wenn also der Gesetzgeber der Standortsuche eine derart herausgehobene Bedeutung beimisst, dass er sie selbst durchführen möchte, handelt es sich um verfassungslegitime Gründe. Über die parlamentarische Debatte kann ein Höchstmaß an Publizität erreicht werden und der Entscheidung durch die Volksvertreter größtmögliche Legitimation zukommen. Demnach ist die Legalplanung eines Endlagers grundsätzlich verfassungskonform möglich. Hinsichtlich der genauen Verfahrenskonzeption steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungspielraum offen. Diesen hat er einerseits schonend auszuformen, so dass Eingriffe minimiert werden. Andererseits schuldet er ein konsistentes, möglichst widerspruchsfreies Verfahren, das eine effektive Zielerreichung gewährleistet. Die Beeinträchtigung verfassungsrechtlicher Bestimmungen durch das StandAG erweist sich – wenngleich es für eine solche Bewertung einer zweimaligen legislativen Nachsteuerung2386 bedurfte – als moderat. Mit Blick auf die Gewaltenteilung kommt der Exekutive namentlich durch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung eine tragende Rolle zu. Insbesondere übernimmt es 2384 Schärf, Europäisches Atomrecht, 2012, S. 110; Dietze, Internationale Endlagerung radioaktiver Abfälle, 2012, S. 167. 2385 In diese Richtung auch Näser, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 165, 184 f. 2386 Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlager v. 26.7.2016 (BGBl. I S. 1843) und dem Fortentwicklungsgesetz v. 5.5.2017 (BGBl. I 1074, 1676) wurde insbesondere die Behördenstruktur geglättet und eine zweite fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit implementiert.
IV. Verfassungs- und europarechtliche Problemstellungen
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nunmehr die Abwägung bei der Ausarbeitung des abschließenden Standortvergleichs.2387 Die Einschränkungen des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes fallen nach Ausweitung der fachgerichtlichen, phasenspezifischen und überindividuellen Klagemöglichkeiten des StandAG kaum noch ins Gewicht. Mangels strukturellem Rechtsschutzdefizit schwindet auch das Rechtfertigungsbedürfnis einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung. Den Ländern und Kommunen wiederum werden umfangreiche Beteiligungsrechte und in Bezug auf die Standortgemeinden ebenfalls Klagerechte eingeräumt. Gleichzeitig reduziert das Standortauswahlgesetz mit der Konzentration von Kompetenzen auf der Bundesebene den erforderlichen Abstimmungs- und Koordinationsaufwand.2388 Enteignungsrechtliche Vorwirkung und phasenspezifischer Rechtsschutz ermöglichen eine Abschichtung des Streitgegenstandes.2389 Die Möglichkeit von Enteignungen und Standortsicherungsmaßnahmen verhilft dem Verfahren zu wehrhaften Elementen, um das Hauptziel des StandAG (Findung eines Endlagerstandortes) zu erreichen.2390 In diese konsistente – auf Projektrealisierung gerichtete – Verfahrensgestaltung reiht sich i. Ü. auch der konsequente Verzicht auf Mitentscheidungsbefugnisse der Öffentlichkeit. Mit diesem Votum für eine verfassungsgemäße, europarechtskonforme und konsistente Verfahrensgestaltung findet die rechtliche Bewertung ihre Grenzen. Selbstverständlich bleibt Raum für weitere Diskussionen und eine weiterführende Kritik. Dies betrifft zum einen konzeptionelle Punkte wie die Vorstrukturierung von Entscheidungen durch gesellschaftliche Gremien oder den Umfang der Partizipationsmaßnahmen ohne echte Mitentscheidungsbefugnisse.2391 Zum anderen stehen Einzelfragen wie etwa die Reichweite des Exportverbots radioaktiver Abfälle im Raum. Jedoch handelt es sich dabei um rechtspolitische Fragen. Die Endlagersuche ist als Schlussakt der kommerziellen Nutzung von Kernenergie in Deutschland ein hochsensibles, aber eben auch ein hochpolitisches Thema.2392 Die Klärung politischer und gesellschaftlicher Fragen kann aber nicht im Rahmen einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung erfolgen. Der richtige Ort hierfür ist das Parlament.2393 Die Konzeption des StandAG als Legalplanung erscheint auch unter diesem Blickwinkel treffend gewählt.
2387
Vgl. BT-Drs. 18/11398, S. 64; Rehbinder, EurUP 2018, S. 61, 64; krit. Wollenteit, in: Frenz (Hrsg.), Atomrecht, § 20 StandAG Rn. 8, näher dazu in Abschnitt D. IV. 1. d) bb). 2388 Ähnlich unter der Verwendung des Begriffs „Primat der Vollzugsfähigkeit“ Schlacke/ Schnittker, ZUR 2017, S. 137, 140. 2389 S. a. Schlacke, ZUR 2017, S. 456, 459, 462; krit. hinsichtlich des Fehlens materieller Präklusionsregeln Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 373 f. 2390 S. a. wenngleich mit deutlich martialischen Bildern Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 32. 2391 Zur Kritik, vgl. etwa Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 834 f.; Haug/Zeccola, ZUR 2018, S. 75, 83 f. 2392 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 252; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 835; Smeddinck/ Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; vgl. bereits Abschnitt C. 5. 2393 In diese Richtung auch Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 31 f.
E. Schlussbetrachtung Einleitend wurde als zentrales Erkenntnisinteresse benannt, ob die verfahrensrechtliche Konstruktion des StandAG einen konsistenten Regelungsrahmen bietet, der die Realisierung eines Endlagers gewährleisten kann oder ob die ambivalente Zielsetzung des Gesetzgebers nicht eher zwangsläufig Widersprüche produziert. Nach Durchführung der Untersuchung bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass die Endlagersuche im Kern ein Komplexitätsproblem darstellt (I.). Das Standortauswahlgesetz nimmt sich dieser Herausforderung an und beschreitet mit auf Komplexitätsreduktion angelegten Instrumenten insofern einen konsistenten Lösungsweg (II.). Mit der Zielpluralität von Projektrealisierung und Konsensorientierung hat der Gesetzgeber jedoch diametral entgegenstehende Pole gesetzt, aus denen ein Widerspruch in Form überhöhter Partizipationserwartungen resultiert (III.).
I. Endlagersuche als Komplexitätsproblem Die beiden hinführenden Kapitel offenbaren, dass die Endlagersuche in Summe unter Komplexitätsproblemen1 leidet. Ein Blick auf die Historie zeigt, dass alle Bemühungen einer sicheren und dauerhaften Endlagerung in Deutschland bislang erfolglos geblieben sind. Das Endlager der DDR in Morsleben hat sich nur wenige Jahre nach seiner Stilllegung als mangelhaft standsicher erwiesen und muss mit hohem Kostenaufwand saniert werden. Aufgrund von Wassereintritten in der Schachtanlage Asse II ist eine Bergung der dort eingebrachten Abfallmengen beabsichtigt. Zudem haben fehlerhafte Kommunikation und mangelnde Transparenz rund um die Erkundung des Standortes Gorleben Vertrauen in die staatliche Entsorgungspolitik nachhaltig zerstört. Diese ernüchternde Bilanz bietet zwar auch die Möglichkeit, gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen für die weitere Standortsuche nutzbar zu machen. Die als intransparent und staatlich oktroyiert erachteten Entsorgungsversuche erregten aber massiven gesellschaftlichen Widerstand und führten zu verhärteten Fronten bei den beteiligten Akteuren.2 Der Neustart der Endlagersuche sieht sich demnach bereits zu Beginn mit einer Vertrauenshypothek belegt. 1 Unter Komplexität ist eine Situation zu verstehen, in der eine Vielzahl von Einzelfaktoren wirksam sind und diese sich gegenseitig beeinflussen, vgl. Waechter, DÖV 2015, S. 121, 122. 2 S. a. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 270, der die Endlagersuche als „technisch gescheitert, politisch umkämpft sowie rechtlich kaum steuerbar“ bezeichnet; vgl. auch Posser, FS Dolde, S. 251, 254 f.; Herber,
II. Komplexitätsreduktion als konsistenter Lösungsweg
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Die sozial- und politikwissenschaftliche Perspektive liefert mit der Einordnung der Endlagersuche als Paradebeispiel einer Multi-Level-Governance zusätzliche Erklärungsansätze. Die Mehrebenen-Struktur ergibt sich zum einen aus den hierarchischen, territorial abgrenzbaren Entscheidungsebenen und den dazugehörigen Regelwerken. Zum anderen produzieren die für den Standortvergleich relevanten unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie die Vielzahl an heterogenen Akteuren ein hohes Maß an Komplexität und Konfliktpotenzial. Die Bezeichnung der Endlagersuche als wicked-problem und die Kategorisierung als sozio-technisches System liefern treffende Schlagworte zur Veranschaulichung der diffizilen Zusammenhänge. Mit dem NIMBY-Syndrom sowie dem Effektivitäts- und Demokratiedilemma werden zudem Schwierigkeiten adressiert, breit gestreute Zustimmung für ein konflikt-behaftetes Vorhaben zu gewinnen.
II. Komplexitätsreduktion als konsistenter Lösungsweg Die mannigfaltigen Herausforderungen, welche die Endlagersuche als größtes Infrastrukturvorhaben und nationale Aufgabe mit sich bringt, sind nur durch systematische Komplexitätsreduktion beherrschbar.3 Das Standortauswahlgesetz beschreitet insoweit einen konsistenten Weg. In einem als weitsichtig zu bezeichnenden ersten Schritt haben die politischen Entscheidungsträger die Themenbereiche „Standortsuche“ und „Finanzierung“ entflochten. Historie, technische Konzeption, Verfahrensablauf und Öffentlichkeitsbeteiligung wurden von der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) beraten und in Empfehlungen gegossen. Ihr Abschlussbericht fand trotz einiger Sondervoten und einer Gegenstimme einen weitgehenden Konsens. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Klärung von Finanzierungsfragen einem weiteren Expertengremium überantwortet wurde. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) hat mit ihren Vorschlägen die Grundlage für das Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung4 gelegt, das die Handlungs- und Finanzierungsverantwortung im Bereich der nuklearen Entsorgung auf staatlicher Seite zusammenführt. Mag die Kompromissfindung für die Endlagerkommission auch voraussetzungsvoll und mitunter unmöglich gewesen sein,5 war die EntBayVBl. 2014, S. 353, 354 f.; Grunwald/Hocke, in: dies. (Hrsg.), Wohin mit dem radioaktiven Abfall?, 2006, S. 11, 12.; von einer „Selbst-Diskreditierung des politisch-administrativen Komplexes“ sprechend Smeddinck, DVBl. 2014, S. 408, 411. 3 S. a. Waechter, DÖV 2015, S. 121, 122; grundlegend zur Komplexitätsreduktion durch Vertrauen Luhmann, Vertrauen, 1968, S. 27 ff. 4 Gesetz v. 27.1.2017, BGBl. I S. 114, 1222. 5 Exemplarisch ist auf den – in Form einer Synopse dargestellten – alternativen historischen Abriss zum Standort Gorleben zu verweisen, vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BTDrs. 18/8910, S. 139 ff.
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E. Schlussbetrachtung
schlackung von potenziellen Streitpunkten um den Themenkomplex Finanzierung zumindest hilfreich, wenn nicht sogar essenziell. Beiden Bereichen gemeinsam ist eine zweite Ebene der Komplexitätsreduktion. Die Vereinfachung besteht in der Vorstrukturierung der Gesetzesvorhaben durch pluralistisch besetzte Expertengremien. Zwar kritisieren einige Stimmen ein solches „Outsourcing von Entscheidungsverantwortung“.6 Unbestreitbar wird aber die politische Kommunikation und Entscheidungsfindung durch die Bezugnahme auf Empfehlungen von Sachverständigen und Vertretern der Gesellschaft entlastet.7 Die Einbindung staatsfremder Personen erhöht die Publizität und kann über die den sachverständigen Gremien zugesprochene Objektivität Vertrauen vermitteln. Einen dritten und letzten Schritt hält das Standortauswahlgesetz selbst bereit. Es konzipiert die Standortsuche als gestuftes Legalplanungsverfahren. Die Einteilung in verschiedene Verfahrensphasen ermöglicht einerseits, sich den verschiedenen technischen und sozialen Herausforderungen der Standortsuche in Etappen zu nähern. Andererseits effektuiert die Abschichtung des Verfahrens- und Streitstoffes durch eine Beibehaltung des phasenspezifischen Rechtsschutzes die Umsetzungsaussichten.8 Flankierend wirken zudem wehrfähige, auf Projektrealisierung gerichtete Elemente wie die vorgesehene enteignungsrechtliche Vorwirkung. Gerade mit Blick auf die voraussichtlich lange Verfahrensdauer und den damit verbundenen Kostenaufwand gewinnen Instrumente zur Durchsetzung und Verfahrensstraffung an Bedeutung. Weiterhin sind als zentrale Akteure von staatlicher Seite das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als Regulierungsbehörde sowie die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) als Vorhabenträger vorgesehen. In Kombination mit der selektiven Geltung von weiterem Fachrecht bewirkt diese Konzentration von (Handlungs-)Kompetenzen auf Bundesebene eine Vermeidung von Friktionen auf föderativer Ebene. Ebenso reiht sich der Ausbau von Beteiligungsmöglichkeiten prima facie in den Reigen konsistenter Antworten auf identifizierte Herausforderungen. Es erscheint geradezu geboten, auf mangelndes Vertrauen und den Vorwurf intransparenter Entscheidungsfindung mit einer Erweiterung der Partizipationsoptionen und der Gewährung von Mitwirkungsmöglichkeiten zu reagieren. Schließlich erhöht die Einbindung Betroffener die Legitimation und Qualität von Entscheidungen. Konsequent benennt das StandAG in § 5 Abs. 1 S. 2 die Öffentlichkeit als „Mitgestalter des Verfahrens“.
6 Vgl. etwa Kersten, in: ders. (Hrsg.), Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft, 2016, S. 269, 280 ff.; Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 f.; ders., ZfU 2015, S. 343, 355 f. 7 S. a. mit z. T. kritischer Konnotation Gärditz, ZSE 2015, S. 4, 29 f.; Smeddinck/Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556. 8 Krit. mit Blick auf das Fehlen materieller Präklusionsregelungen beim Zwischenrechtsschutz Schlacke, 15. AtomRS, S. 347, 373 f.
III. Widerspruch durch überhöhte Partizipationserwartungen
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III. Widerspruch durch überhöhte Partizipationserwartungen Allerdings konterkariert das Standortauswahlgesetz in Teilbereichen die wünschenswerten Bemühungen um Komplexitätsreduktion. Beispielsweise fördert die unklare Formulierung des neu eingeführten § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG Missverständnisse, ohne dass mit ihr ein sinnvoller Mehrwert einher geht.9 Grund hierfür ist, dass der voranstehende Satz 1 nach wie vor die Verbindlichkeit der Standortentscheidung für das anschließende Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG erklärt. Eine erneute Entscheidung über den Standort ist folglich nicht zulässig. Der von Endlagerkommission und Gesetzgeber vorgebrachte Begründungsstrang zur beabsichtigten Umsetzung europarechtlicher Vorgaben10 führt ins Leere. Dem Unionsrecht lassen sich nach Ausweitung des fachgerichtlichen Rechtsschutzes im StandAG gerade keine Direktiven entnehmen, die eine erneute, „vollumfängliche“ Prüfung des Vorhabens im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren erfordern. Die über § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG erreichte klare Trennung in gesetzliche Standortfestlegung einerseits und anschließende atomrechtliche Anlagengenehmigung andererseits wird durch den aktuellen Gesetzeswortlaut verwischt. Aus Gründen der Rechtsklarheit, zur Vermeidung von Widersprüchen zum voranstehenden Satz 1 und mangels eigener materieller Wirkung sollte die Bestimmung des Satz 2 daher wieder gestrichen werden. Weiterhin produziert der ausufernde Zielkanon des § 1 StandAG, der mit dem Fortentwicklungsgesetz eine nochmalige Erweiterung erfahren hat, zusätzliche Spannungsfelder. Exemplarisch soll nur auf den alle Erkenntnisgrenzen menschlicher Vernunft sprengenden Nachweiszeitraum von einer Million Jahren verwiesen werden.11 Die Auslegung technischer Sicherheitskriterien auf eine solche Zeitspanne erhöht das Anforderungsprofil an potenzielle Standorte erheblich. Ein nennenswerter Gemeinwohlbeitrag ist mit Blick auf die überschaubare Menschheitsgeschichte damit aber nicht verbunden. Einen Widerspruch beinhaltet zudem der Grundsatz der Reversibilität, der konträr zur Forderung einer nachsorgefreien Endlagerung steht und möglicherweise sicherheitstechnische Aspekte negativ beeinflusst. Weitere Zielkonflikte ergeben sich beispielsweise durch die im Kontext eines selbsthinterfragenden und ergebnisoffenen Verfahrens vorgesehenen Rücksprungoptionen. Verfahrensschleifen sind im Hinblick auf eine gesteigerte Prozessqualität zwar zu begrüßen. Einer Lösung der Endlagerfrage noch in dieser
9 S. a. Keienburg, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 117, 135 f.; zu unterschiedlichen Lesarten der von § 20 Abs. 3 S. 2 StandAG geforderten „vollumfänglichen“ Prüfung des Vorhabens im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, vgl. Abschnitt D. IV. 2. d) bb) (2). 10 Vgl. Endlagerkommission, Abschlussbericht, BT-Drs. 18/9100, S. 383; BT-Drs. 18/ 11398, S. 65. 11 Den Betrachtungszeitraum als „Hybris“ des Gesetzgebers kritisierend Bull, DÖV 2014, S. 897, 907; dif. Kersten, in: ders. (Hrsg.), Eine Million Jahre?, S. 269, 284 f.
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E. Schlussbetrachtung
Generation laufen sie aber zuwider.12 Das Festhalten am Zieldatum 2031, obschon ein erheblicher Zeitverzug als offenes Geheimnis bezeichnet werden kann,13 ist daher nicht geeignet, das angeschlagene Vertrauen in die Entscheidungsträger zu fördern. Der schwerwiegendste konzeptionelle Widerspruch des Standortauswahlgesetzes zeigt sich jedoch im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung. Deren Ausbau und der Einsatz deliberativer Elemente wird als Schlüssel zum Aufbau von Vertrauen und der Herstellung von Akzeptanz für die Entscheidungsfindung gesehen. Trotz der Rollenzuschreibung als „Mitgestalter des Verfahrens“ bestehen für die Öffentlichkeit aber keine effektiven Einflussmöglichkeiten. Dies ist zwar dem System repräsentativer Demokratie immanent und nicht zu beanstanden. Allerdings bedarf es hierzu einer ehrlichen und klaren Kommunikation. Andernfalls droht die Diskrepanz zwischen einer potenziellen Erwartungshaltung der Bevölkerung und den de facto nicht gegebenen Mitentscheidungsbefugnissen, zunächst mühsam aufgebautes Vertrauen zu zerstören und erneuter Frustration den Boden zu bereiten. Die Gefahr der „Partizipationsverflechtungsfalle“14 ist mit dem ausdifferenzierten Beteiligungssystem des Standortauswahlgesetzes also keineswegs gebannt, sondern vielmehr institutionell angelegt.15
IV. Fazit: Das StandAG – ein Gesetz zwischen Konsistenz und Widerspruch In einer Gesamtschau befindet sich das Standortauswahlgesetz somit tatsächlich in einem ambivalenten Verhältnis zwischen Konsistenz und Widerspruch. Ein solches Ergebnis erklärt sich letztlich auch aus der Komplexität eines derart ambitionierten Vorhabens. Was bleibt, ist ein Auftrag an die gesellschaftlichen und zuvörderst an die staatlichen Akteure. Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle ist ein politisches Projekt.16 Das Standortauswahlgesetz hat zwar rechtliche Leitplanken gesetzt. Der Politik kommt nunmehr aber die Aufgabe zu, den konsistenten Weg zur Vorha12 Zu den gegenläufigen Handlungsgrundsätzen der verschiedenen Aspekte der Generationengerechtigkeit Ott/Semper, GAIA 2017, S. 100, 101; ähnlich Röhlig/Häfner/Lux u. a., GAIA 2017, S. 114, 116 f. 13 Zu den möglichen Verzögerungen und einem veränderten Zeitbedarf in einem pessimistischen, realistischen und optimistischen Szenario, vgl. Thomauske/Kudla, Zeitbedarf für das Standortauswahlverfahren und für die Errichtung eines Endlagers, K-Drs. 267, 22.6.2016. 14 Instruktiv zum Begriff Bauer, VerwArch 2015, S. 112, 121; ders., dms 2015, S. 273, 277. 15 In diese Richtung auch Durner, NuR 2019, S. 241, 250; ders., 15. AtomRS, S. 347, 337, 340; ähnlich Böhm, GS Schmehl, S. 435, 447; Gärditz, ZfU 2015, S. 343, 362; deutlich optimistischer Smeddinck, DVBl. 2019, S. 744. 16 S. a. Durner, NuR 2019, S. 241, 252; Wiegand, NVwZ 2014, S. 830, 835; Smeddinck/ Roßegger, NuR 2013, S. 548, 556; grundlegend zur politischen Verantwortung zur Erzeugung von Akzeptanz Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983, S. 209.
IV. Fazit: Das StandAG – ein Gesetz zwischen Konsistenz und Widerspruch
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benrealisierung konsequent zu beschreiten. Parteipolitische Erwägungen haben zurück zu treten, bestehende Widersprüche im Verfahren müssen aufgelöst werden. Es gilt, vorhandene Kommunikationsdefizite zu beheben. Namentlich ist das Beteiligungsparadoxon durch aktivierende und informierende Maßnahmen zu bekämpfen sowie mittels einer klaren, ehrlichen Kommunikationsstrategie über begrenzte Mitwirkungsoptionen und realistische Zeitansätze der Partizipationsverflechtungsfalle zu entgehen.17 Nur dann kann es gelingen, den Standort für eine Endlageranlage mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden. Wenn schon nicht in dieser – dann zumindest in der nächsten Generation.
17
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Sachwortverzeichnis Aarhus-Konvention 88, 153, 157, 180, 364 – Inhalt 159 – Rechtscharakter 157 Akzeptanz 67, 110, 232, 327, 346, 494 – Begriff 123 – Effekte 128 – global und lokal 114 Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte 30, 60, 276 Asse II 51, 59, 269 Atomausstieg 63, 285 Brennstoffkreislauf 36, 43 Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung 85, 253, 337, 488, 492 Bundes-Gesellschaft für Endlagerung 252 Dynamische Schadensvorsorge
213
Effektivitäts-/Demokratiedilemma 114, 139, 147, 491 – Lösungsstrategien 116 Endlagerkommission 65, 491 – Abschlussbericht 268, 286 – Arbeitsweise 244 – Aufgaben 243 – Besetzung 241 – Legitimationsdefizit 450 Enteignungsrechtliche Vorwirkung 398, 492 – Grundlagen 399 – im StandAG 401 – triftige Gründe 411 – Zulässigkeit 403 Entscheidungskriterien 273 Entsorgungsrichtlinie (RL 2011/70/EURATOM) 89, 175 – Umsetzung im StandAG 477 – wesentlicher Inhalt 175 Espoo-Konvention 162
Expertokratisierung 287, 436 Exportverbot 234, 284, 289, 456, 484 Generationengerechtigkeit 233, 240, 326 Generationenverantwortung 104, 208 Gewaltenteilung 328 – Grundlagen 329 – Legalplanung 329 Gorleben 40 f., 55, 65, 270, 282, 289, 304, 490 Governance 70, 74 – Ziele 75 Government 71 Joint Convention 153, 164, 176 – Inhalt 156 – Rechtscharakter 154 Kommunales Selbstverwaltungsrecht 470 – Planungshoheit 86, 471 Komplexität 68, 149, 244, 490 – Endlagersuche als Komplexitätsproblem 28, 101, 118, 490 – Reduktion durch Konsistenz 491 Langzeitsicherheit 211, 214, 218, 228, 275, 326 Legalplanung 66, 257, 329 – Einzelfallgesetz 433 – enteignungsrechtliche Vorwirkung 404 – gute Gründe der Standortauswahl 339 – Komplexitätsreduktion 491 – Konzentration von Kompetenzen 461 – Rechtsschutz 348 – sachverständige Beratung 457 – Verfahren des StandAG 267 Morsleben 53, 269 Multi-Level-Governance 76, 148, 491 – Beispiel Endlagersuche 83 – Kennzeichen 80
562
Sachwortverzeichnis
Nationales Begleitgremium 255, 278, 435 – Legitimationsdefizit 450 NIMBY-Syndrom 110, 147, 327, 491 – Begriffserklärung 110 – Lösungsstrategien 112 Öffentlichkeitsbeteiligung 67, 88 – als Kompensationsfaktor 369, 475 – Anforderungen 130 – Chancen und Ziele 128 – Endlagerkommission 241 – Funktionen 121 – Herausforderungen 140 – im StandAG 229, 258 – Rechtsschutz 389 Partizipation 258, 278 – Begriff und Funktion 121 – Chancen und Ziele 128 – Herausforderungen und Risiken 140 – Partizipationsbeauftragter 256 Partizipationsverflechtungsfalle 145 f., 309, 494 Politikverflechtung 77, 80, 145 Politikverflechtungsfalle 79, 83 Prinzip der ”weißen Landkarte” 65, 268, 426, 468 Prinzip Verantwortung 270 Rechtsschutz 224, 283, 302, 348, 489 – Aarhus-Konvention 160 – durch Öffentlichkeitsbeteiligung 122 – Enteignung 401 – Grundlagen 348 – Reformüberlegungen 373 – StandAG 2013 357 – StandAG 2017 373 – Verkürzung durch Legalplanung 353 Restrisiko 214, 223 Reversibilität 236, 239, 272, 343 Risikovorsorge 196, 214, 223 Sachverständige Beratung – Gesetzgebung 445
435
– staatsrechtliche Legitimation 437 Schacht Konrad 42, 49, 216, 269 Schutzpflicht 184 – Adressaten 198 – dogmatische Herleitung 185 – Eigentum 203 – Leben und körperliche Unversehrtheit 192 – natürliche Lebensgrundlagen 204 – obligatorische Staatsaufgabe 221, 314, 410, 474 – subjektives Recht 202 – Umfang bei Endlagersuche 211 Sozio-technisches System 107, 149 Staatsaufgabe Endlagerung 85, 220, 313, 410, 487 Stand der Wissenschaft und Technik 211 Standortauswahlgesetz 64, 90, 225, 490, 494 – Akteure 241 – Verfahren 267 – Zwecke 225 Standortsicherungsvorschrift 304, 310, 320 Südumfahrung Stendal 331, 404 – Übertragbarkeit StandAG 335 Veränderungssperre 57, 282, 304, 320 Verantwortungsdiffussion 257, 311 Verbot des Einzelfallgesetzes 422 – Grundlagen 422 – Legalplanung 429 Verursacherprinzip 178, 278 Wackersdorf 43 Wicked Problem 102, 244 – zentrale Charakteristika 103 Widerspruch – Gremienbeteiligung und Legalplanung 457 – Projektrealisierung und Konsensorientierung 310 – überhöhte Partizipationserwartungen 493