Die Duldung als Form flexiblen Verwaltungshandelns: Dargestellt an einem Fall des Wasserrechts [1 ed.] 9783428450374, 9783428050376


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Die Duldung als Form flexiblen Verwaltungshandelns: Dargestellt an einem Fall des Wasserrechts [1 ed.]
 9783428450374, 9783428050376

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A. RANDELZHOFER I D. WILKE

Die Duldung als Form flexiblen Verwaltungshandelns

Studien und Gutachten aus dem Institut für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht der Freien Universität Berlin

Heft II

Die Duldung als Form flexiblen Verwaltungshandelns Dargestellt an einem Fall des Wasserrechts

Von

Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer und

Prof. Dr. Dieter Wilke

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

(Cl 1981 Duncker & Humblot, Berlln 41

Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05037 1

Inhaltsverzeichnis I. Das Problem ......................................................

9

1. Die behördliche Duldung im Umweltrecht ......................

9

2. Der Fall .......................................................

11

3. Verunreinigung oder sonstige nachteilige Veränderung der Gewässer.........................................................

13

a) Begriff der nachteiligen Veränderung .... , . . . . . . .. . . . . .. . . . ..

13

b) Das Problem der unerheblichen nachteiligen Veränderung ....

14

c) Verunreinigung als Unterfall der nachteiligen Veränderung. ..

15

d) Bereits verschmutzte Gewässer... . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ..

16

e) § 38 WHG als Generalklausei ................................

16

f) Nachteilige Veränderungen der Wasserqualität im vorliegenden Fall .................................................... 17 4. Das Problem der "unbefugten" Gewässerverunreinigung ........

17

a) Das Merkmal "unbefugt.. ....................................

17

b) Das Merkmal "unbefugt .. und das 18. StrÄndG ...... . ........

18

c) Auslegung des Merkmals "unbefugt.. ........................

22

d) Bewilligung, Erlaubnis und Zulassung vorzeitigen Beginns .,.

22

e) Erfüllung des Merkmals "unbefugt .. durch Verstoß gegen Auflagen? ...................................................... 23 11. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis ......................

29

1. Der Verwaltungsakt der Erlaubnis .............................

29

2'. Die Regelung der Form des Verwaltungsakts im Verwaltungsverfahrensrecht ................................................

29

3. Die Form des Verwaltungsakts im Spiegel der Rechtsprechung ..

35

4. Vermutung und Bestimmtheit des Verwaltungsakts .............

37

Inhaltsverzeichnis

6

5. Die Regelung des Wasserrechts .................................

38

6. Konkludente Erlaubnis? ........................................

40

7. Erlaubnis und Baugenehmigung................................

42

111. Notstand . ........... , . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

44

1. Rechtfertigender Notstand .....................................

44

2. Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

44

a) StA Mannheim

45

b) OLG Stuttgart

45

c) Literatur ...................................................

46

3. Notstand und Einleitung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... .. . . . ..

46

a) Sicherung der Arbeitsplätze und Produktion .................

47

b) Soziale Komponente .......•................................

48

c) Abwägung ..................................................

48

4. Rechtsprechung und Literatur ..................................

50

a) OLG Stuttgart ..............................................

50

b) Literatur ...................................................

51

5. Ergebnis .......................................................

51

6. Folgerungen für den vorliegenden Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

52

7. überleitung zur Duldung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

53

IV. Duldung durch die Behörden.................. . ...................

54

1. Kenntnis der Behörden ........................................

54

2. Nichteinschreiten der Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

3. Opportunitätsprinzip ...........................................

56

a) Duldung kein bereits allgemein anerkanntes Institut des Verwaltungsrechts, aber häufige Erwähnung in der Rechtsprechung 56 b) Duldung im Wasserrecht ....................................

76

c) Verhalten der Behörden im vorliegenden Fall ............ . . ..

79

Inhaltsverzeichnis

7

(1) Grundsatz des Vertrauensschutzes

79

(2) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ......................

80

(a) Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Wasserrecht ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 80 (b) Das Dilemma der Behörde ..........................

81

(c) Kooperation und flexiblere Verwaltungsformen ......

83

(d) Rechtfertigung kraft Duldung und Erlaubnis. . . . . . . ..

93

(e) Umweltgutachten 1978 ...............................

94

(f) Rechtswidrige Duldung .............................. 105

v. Schlußbemerkung ................................................. 108

I. Das Problem 1. Die behördliche Duldung im Umweltrecht

In den letzten Jahren haben Presse, Rundfunk und Fernsehen häufig über Umweltskandale berichtet. Wirtschaftliche Unternehmen oder Einzelpersonen mußten sich vor dem Forum der Öffentlichkeit verantworten, weil sie die Gemeinschaftsgüter Luft, Wasser und Boden aus ökonomischen Gründen geschädigt hatten. Die zuständigen Fachbehörden sahen sich gleichfalls heftigen publizistischen Angriffen ausgesetzt. Man warf ihnen vor, ihre Kontrollpflichten vernachlässigt zu haben, und erklärte sie mitunter sogar zu Teilhabern einer Kumpanei von Staat und Wirtschaft. Ein spektakuläres Beispiel derartiger Enthüllungen bot der sogenannte Hamburger Giftmüllskandal1 : Im Jahre 1979 wurden auf dem Gelände einer chemischen Fabrik explosive Gegenstände entdeckt; nähere Untersuchungen ergaben, daß das gesamte Areal von giftigen Stoffen verseucht war. Derartige Vorfälle, aber auch zahlreiche alltägliche Ereignisse, bilden Belege für die häufig geäußerte These eines "Vollzugsdefizits" im Umweltrecht2 • Sie soll hier jedoch nicht untersucht werden. Vielmehr soll das Augenmerk auf eine neuartige (oder zumindest neuartig erscheinende) Handlungsform der Verwaltung gelenkt werden: die behördliche Duldung genehmigungsbedürftigen, aber ungenehmigten privaten Handelns3 • Mit ihrer Hilfe vermag eine Behörde die Sach- und Rechtslage in einem Schwebezustand zu halten, indem sie weder eine Genehmigung erteilt noch sie verweigert oder gar ein Verbot ausspricht. Diese Handlungsform, die das Verwaltungsverfahrensrecht nicht nennt und von der Verwaltungsrechtslehre noch nicht zur Kenntnis genommen worden ist, dürfte eine erhebliche Verbreitung haben. Die Verwal1 Vgl. über ihn Damkowski, Die blinde Bürokratie. Analyse einer AffäreUrsachen, verwaltungswissenschaftlicher Erkenntniswert und verwaltungspolitische Konsequenzen des Giftmüllskandals in Hamburg, Die Verwaltung 14 (1981), 219 ff. 2 Vgl. Stich, Personale Probleme des Vollzugsdefizits in der Umweltschutzverwaltung, in: Öffentlicher Dienst. Festschrift für C. H. Ule, hrsg. v. König u. a., 1977, S. 215 ff. S Die Verfasser haben erstmals in einem Gutachten im Jahre 1980 die Problematik der verwaltungsrechtlichen Duldung behandelt.

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1. Problem

tungswissenschaft, die dem Umweltrecht auch schon bisher Aufmerksamkeit geschenkt hat4 , hätte hier ein vielversprechendes Betätigungsfeld. Der Vorwurf, eine Behörde handle rechtswidrig, wenn sie ungenehmigtes Tun dulde, ist naheliegend, aber in Anbetracht einer typischen Verwaltungspraxis zweifelhaft. Deshalb erscheint es angebracht, die flexible Handlungsform der Duldung, die insbesondere beim Vollzug des Umweltrechts Verwendung findet, einer verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Betrachtung zu unterziehen. Wegen der Verknüpfung des öffentlichen Rechts mit dem Strafrecht ist es unumgänglich, auch auf - in jüngster Zeit häufiger erörterte Probleme des Umweltstrafrechtg5, zu denen auch die Frage nach der Strafbarkeit des im Umweltrecht tätigen Exekutivpersonals gehört6 , einzugehen. Denn eine verwaltungsrechtliche Begrüfsbildung, die das Strafrecht nicht als Probierstein und Kontrollmaßstab benutzte, wäre dem Vorwurf ausgesetzt, sich von Nachbarrechtsgebieten zu isolieren und die mit der Anwendung des Umweltrechts betrauten Behörden und Gerichte in erhebliche Schwierigkeiten zu bringen. Da es bisher noch keine Ansätze für eine Dogmatik der verwaltungsrechtlichen Duldung gibt, soll nicht der Weg abstrakter Deduktionen beschritten werden. Vielmehr wird an Hand eines konkreten Falles dargetan, daß die Rechtsfigur der Duldung ihre Berechtigung hat und auch nicht ohne Auswirkungen auf die strafrechtliche Bewertung ist. Allerdings darf die Tragweite der Duldung nicht überschätzt werden. Sie ist kein Freibrief für nachlässige Behörden und ungehorsame Gesetzesadressaten, sondern erlaubt lediglich eine angemessene Würdigung behördlicher Handlungen im Bereich des Opportunitätsprinzips7 sowie mancher ungenehmigten Tätigkeiten oder Zustände. 4 Vgl. Damkowski, Die Verwaltung 14 (1981), 219 ff.; Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht. Ein Beitrag zur Soziologie des öffentlichen Rechts, 1975. 5 Vgl. Herrmann, Die Rolle des Strafrechts beim Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland, ZStrW 1979, 281 ff.; Just-Dahlmann, Stiefkind des Strafrechts: Umweltschutz, in: Festschrift für W. Sarstedt, hrsg. v. Hamm, 1981, S. 81 ff.; Lau!hiltte/Möhrenschlager, Umweltstrafrecht in neuer Gestalt, ZStrW 1980, 912 ff.; Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts. Gutachtliche Stellungnahme zu dem Entwurf eines Sechzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes (Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität), 1980; Triffterer, Die Rolle des Strafrechts beim Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland, ZStrW 1979, 309 ff.; ders., Umweltstrafrecht. Einführung und Stellungnahme zum Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, 1980. 8 Vgl. hierzu Horn, Strafbares Fehlverhalten von Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden?, NJW 1981, 1 ff.; Ostendor!, Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen hoheitLichen Handeins, JZ 1981, 165 ff. 7 Vgl. zu diesem Begriff Schmatz, Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht, 1966, S. 41 f.

2. Der Fall

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2. Der Fall

Der folgende Sachverhalt, der den weiteren Überlegungen zugrundegelegt wird, ist fiktiv, aber nicht irreal. Über Fälle ähnlicher Art ist mehrfach in den Massenmedien berichtet worden. Ein solches fallbezogenes Vorgehen hat - abgesehen von seiner Lebensnähe - den Vorzug, daß die Schwierigkeiten besonders deutlich werden, die ohne Anerkennung des Instituts der Duldung auftreten können, wenn es um die Beurteilung der Genehmigungslosigkeit geht. Zudem erleichtert die gewählte Methode die Prüfung und die Kritik der nunmehr ans Licht gezogenen Handlungsform der Duldung. Es ist ein methodischer Vorzug, daß der Fall im Wasserrecht und nicht in einem anderen Gebiet des Umweltrechts, zum Beispiel dem Immissionsschutzrecht, angesiedelt ist, weil die traditionsreiche Wasserrechtsgesetzgebung seit langem ein ausgebautes Instrumentarium aufweist und die Notwendigkeit, eine neue Rechtsfigur wie die Duldung zu akzeptieren, daher einer besonders überzeugenden Begründung bedarf. Ein Unternehmen entnimmt seit Jahrzehnten aus einem benachbarten Fluß Wasser und leitet die bei der Produktion entstehenden Abwässer in ihn zurück. Menge und Zusammensetzung dieser industriellen Abwässer veränderten sich entsprechend dem Ausbau des Unterneqmens und der Wandlung der Produkte. Gemäß den jeweils geltenden landesrechtlichen Vorschriften wurden im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche gewerbe-, bau- und wasserrechtliche Genehmigungen, Bewilligungen und Konzessionen erteilt. Während des Krieges und in der ersten Nachkriegszeit wurde auf Drängen staatlicher Stellen der Betrieb, ohne daß neue Erlaubnisse eingeholt wurden, erheblich ausgedehnt, was zu einer vermehrten Belastung des Flusses führte. Die günstige Entwicklung der Konjunktur während des sogenannten Wirtschaftswunders führte zu einer weiteren Erhöhung der Fabrikation. Die ansteigenden Abwässermengen wurden nunmehr teils mechanisch, teils biologisch behandelt, ehe sie dem Fluß in weniger schädlicher Zusammensetzung zugeführt wurden. Nachdem das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz)8 - WHG - am 1. 3. 1960 in Kraft getreten war9, meldete das Unternehmen gemäß § 16 WHG die ihm nach seiner Auffassung zustehenden alten Rechte und Befugnisse an. Zugleich beantragte es vorsorglich, ihm Erlaubnisse und Bewilligungen, wie sie in den §§ 7 und 8 WHG vorgesehen sind, zu erteilen. Die Prüfung der angemeldeten alten Rechte und Befugnisse bereitete der zuständigen Behörde beträchtliche Schwierigkeiten, da das Unternehmen sich auf eine Vielzahl von Genehmigungen, die zu unterschiedlichen Zeiten und auf Grund längst überholter Gesetze erlassen worden waren, berufen hatte. In einigen Fällen war es nicht einmal möglich, den Text frühe8 v. 27.7.1957 (BGBl. I S. 1100). - Das Gesetz gilt nunmehr in der Fassung v. 16.10.1976 (BGBl. I S.3017). t Der in § 45 WHG zunächst vorgesehene Termin wurde durch § 1 des Gesetzes zur Änderung des WHG v. 19.2. 1959 (BGBl. I S.37) um ein Jahr verschoben.

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I. Problem

rer Bescheide zu ermitteln, da kriegerische Einwirkungen Akten der Behörden und des Unternehmens vernichtet hatten; andere Unterlagen waren nicht mehr auffindbar. Die Eintragung der angemeldeten alten Rechte und Befugnisse ins Wasserbuch unterblieb. Die Behörden entschieden aber auch nicht über die Anträge, mit denen Erlaubnisse und Bewilligungen nach neuem Recht begehrt worden waren. Die Gründe für die Untätigkeit der Behörde sind dem Unternehmen unbekannt. Den mit dem Vollzug des Wasser-, Gewerbe- und Baurechts betrauten Landesbehörden waren seit jeher die Umstände der Abwassereinleitung bekannt. Durch die während des Anmeldungs- und Genehmigungsverfahrens eingereichten Unterlagen waren sie dem Land nochmals mitgeteilt worden. In der Folgezeit fanden zahlreiche behördliche Besichtigungen und Begehungen des Betriebsgeländes sowie Besprechungen zwischen dem Werk und den zuständigen Beamten statt. Dabei wurde das Ziel angestrebt, die Abwasserbelastung des Flusses zu vermindern. Diese Bemühungen schlugen sich in einem umfangreichen Schriftwechsel nieder, in dem die Behörden dem Unternehmen mehrfach Vorschläge für eine Verbesserung der Abwassersituation unterbreiteten. Das Werk verwirklichte mehrere dieser Vorschläge und errichtete überdies eine biologische Kläranlage, die zu einer Reduzierung des Schadstoffgehalts der Abwässer führte. In ihren Schreiben betonte die Behörde mehrfach, daß sie Zweifel an dem Bestehen alter Rechte und Befugnisse sowie der Genehmigungsfähigkeit der Einleitungen habe, aber dennoch bestrebt sei, zusammen mit dem Unternehmen auf eine Verbesserung der Lage hinzuwirken. Demgegenüber erklärte das Werk, daß es sich zwar nicht für den gesamten Umfang seiner Einleitungen auf alte Rechte und Befugnisse berufen könne, daß aber die Erteilung neuer Erlaubnisse und Bewilligungen möglich sein müsse. Es wies ferner darauf hin, daß es etwa 1000 Arbeitnehmer beschäftige, die entlassen werden müßten, sollte es zu einer Untersagung der Abwasserbeseitigung und damit zu einem Stillstand der Produktion kommen. Nach dem Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zur Änderung des WasserhaushaltsgesetzeslO am 1. 10. 1976 bat das Unternehmen, ihm gemäß § 9 a WHG11 schon vor Erteilung der 1960 beantragten Erlaubnisse und Bewilligungen die Zulassung vorzeitigen Beginns zu gestatten. Auch hierüber traf die Behörde keine Entscheidung, verkehrte aber gleichwohl mit dem Unternehmen in der geschilderten Weise weiter. Nunmehr taucht die Frage auf, ob die Einleitungen unbefugt sind und damit den Tatbestand des § 38 WHG12 und des § 324 StGB13 erfüllen.

10 v. 26.4. 1976 (BGBl. I S. 1109). 11 Art. 3 des 4. WHGÄndG ermächtigte zur Neubekanntmachung des WHG. Das WHG gilt nunmehr in der Fassung der Bekanntmachung v. 16.10.1976 (BGBl. I S. 3017). 12 § 38 WHG lautete i. d. F. v. 16.10.1976 (BGBl. I S.3017) folgendermaßen: "Verunreinigung eines Gewässers. (1) Wer unbefugt ein Gewässer verunreinigt oder sonst dessen Eigenschaften nachteilig verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. (3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes

3. Verunreinigung oder sonstige nachteilige Veränderung

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3. Verunreinigung oder sonstige nachteilige Veränderung der Gewässer a) Der Tatbestand des § 38 WHG und des § 324 StGB wird erfüllt, wenn unbefugt Gewässer verunreinigt oder sonst deren Eigenschaften nachteilig verändert werden14 • Bei dem für Zwecke der Abwasserbeseitigung in Anspruch genommenen Fluß handelt es sich um ein Gewässer im Sinne des § 1 Abs.1 Nr.1 WHG, so daß das Wasserhaushaltsgesetz und damit auch dessen § 38 Anwendung findet. Von den beiden Begriffen "Verunreinigung" und "nachteilige VeTänderung" ist letzterer der weitere. Er erfaßt jegliche Verschlechterung der Gewässerqualität. Es scheiden daher nur solche Einwirkungen aus, die das Gewässer verbessern oder sich nicht auf dessen Eigenschaften auswirken, also neutral sind und somit praktisch gar keine Veränderungen nach sich ziehen15• Nicht ist erforderlich, daß die Veränderung der Gewässereigenschaft eine bestimmte Benutzung des Gewässers, gleichgültig, ob diese schon stattfindet oder erst angestrebt wird, beeinträchtigt16 • Als grundlegende Norm des Umweltstrafrechts zielt § 38 WHG, wie jetzt § 324 StGB, nicht darauf, nur bestimmte Benutzungen oder gar der:en Begünstigte zu

2 strafbar. (4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe." § 38 WHG ist durch Art. 7 Nr.2 Achtzehntes Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - (18. StrÄndG) vom 28.3.1980 (BGBl. I S.373) aufgehoben worden. An seine Stelle hat Art. 1 Nr. 18 18. StrÄndG einen neuen § 324 StGB treten lassen. 13 § 324 StGB i. d. F. des 18. StrÄndG lautet: "Verunreinigung eines Gewässers (1) Wer unbefugt ein Gewässer verunreinigt oder sonst dessen Eigenschaften nachteilig verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe." 14 Am 1. 7.1980 ist an die Stelle des § 38 WHG der neue § 324 StGB getreten (vgl. Art.17 18. StrÄndG). Inhaltlich entspricht der neue § 324 StGB grundsätzlich dem § 38 WHG, so daß die Ausführungen zu § 38 WHG für die Zeit ab 1. 7.1980 in entsprechender Weise für § 324 StGB gelten. Für die Rechtsprechung betont dies zutreffend Tröndle in Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, 40. Aufl. 1981, Rdn.l zu § 324 StGB; generell im Sinne einer prinzipiellen übereinstimmung von § 38 WHG und § 324 StGB Steindorf in: Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd.IH, W 17, Anm.l zu § 38 WHG (nach der 56. Ergänzungslieferung). Es ist daher zulässig, dieses Werk auch noch nach dem Stand vor der 56. Ergänzungslieferung zu zitieren, wie es im folgenden geschieht, soweit nicht besonders auf den Stand nach der 56. Ergänzungs1ieferung verwiesen wird. 15 Siehe Stein dorf in: Erbs/Kohlhaas, Anm.9b zu § 38 WHG. 16 Vgl. Wernicke, Das neue Wasserstrafrecht, NJW 1977, 1662, 1666; in diese Richtung wohl auch Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz, Rdn. 13 zu §38WHG.

14

I. Problem

schützen, vielmehr ist diese Norm darauf gerichtet, die Gewässer vor weiteren Belastungen zu schützen, d. h. ihre Schädigung in jeder Beziehung zu verhindernl1• Unter nachteiliger Veränderung ist daher jede Verschlechterung der Gewässereigenschaften zu verstehen. Unter Heranziehung des § 3 Abs. 2 Nr.2 WHG bedeutet dies jede Veränderung der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Gewässers, sofern damit ein Minus in bezug auf die Gewässergüte verbunden ist. Eine nachteilige Veränderung der physikalischen Beschaffenheit liegt z. B. vor, wenn durch Einleiten von Kühlwasser die Gewässertemperatur erhöht wird. Die chemische Beschaffenheit wird durch Einschwemmen von Schadstoffen aller Art nachteilig verändert. Eine Verschlechterung der biologischen Beschaffenheit erfolgt bei jeder Störung des Wassers als Element für das tierische und pflanzliche Leben in ihm sowie bei jeder Beeinträchtigung seiner Funktion für den Stoffwechsel bei allen Organismen. Eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften i. S. von § 38 WHG ist also keineswegs erst dann gegeben, wenn die Grenze des § 6 WHG überschritten ist, d. h. die Benutzung des Gewässers eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung, erwarten läßt. In diesem Fall kann die Benutzung nicht bewilligt bzw. nicht erlaubt werden. Aber auch bewilligungs- bzw. erlaubnisfähige Benutzungen können eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften darstellen und tun dies in aller Regel. Sind sie durch Bewilligung oder Erlaubnis gedeckt, so ist damit zwar das Merkmal "unbefugt" im § 38 WHG ausgeschlossen18 , nicht aber das der nachteiligen Veränderung der Gewässereigensch;;lften. b) Erfaßt § 38 WHG grundsätzlich jede nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften, so ergibt sich aus der Heranziehung von § 3 Abs. 2 Nr. 2 WHG für die Auslegung des § 38 WHG aber evtl. eine Begrenzung dahingehend, daß in "nur unerheblichem Ausmaß schädliche Veränderungen", die der Vorkontrolle des § 2 Abs. 1 WHG nicht unterliegen, auch keine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften 1. S. des § 38 WHG darstellen19• 17 Siehe Steindorf, Anm. 9b aa zu § 38 WHG; Gieseke!Wiedemann!Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1979, Rdn.6 zu § 38 WHG;

OLG Stuttgart, ZfW 1977,177,179. 18 Siehe unten S. 21. 19 So Stein dorf, Anm. 9 b ee zu § 38 WHG, der aber unter Berufung auf die Bedeutung des Rechtsgutes der Gewässergüte einen strengen Maßstab für erforderlich hält, "so daß allenfalls (sie!) in völlig unerheblichem Maße nachteilige Veränderungen außer Betracht zu bleiben haben, etwa nur rein ästhetisch negativ zu bewertende". Auf diese Weise wird die praktische Bedeutung dieser Einschränkung des § 38 WHG letztlich aufgehoben.

3. Verunreinigung oder sonstige nachteilige Veränderung

15

Indessen berücksichtigt eine solche Argumentation nicht, daß § 324 StGB (wie schon § 38 WHG in seiner seit dem 1.10.1976 geltenden Fassung) im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des § 38 WHG20 die Strafbarkeit nicht mehr davon abhängig macht, daß die nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften in typisierten Benutzungsformen erfolgt21 • § 3 Abs. 2 Nr. 2 WHG bringt lediglich zum Ausdruck, daß nur unerhebliche schädliche Veränderungen der Beschaffenheit des Wassers keine Benutzungen i. S. des § 3 Abs.l WHG darstellen. Da das Vorliegen solcher Benutzungsformen keine Voraussetzung für die nach § 38 WHG tatbestandliche nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften ist, kann aus § 3 Abs.2 Nr.2 WHG insoweit keine Einschränkung des § 38 WHG hergeleitet werden. Im übrigen hätte die gegenteilige Auffassung für den vorliegenden Fall keine praktische Relevanz, da die von dem Unternehmen ausgehenden Einwirkungen nicht in den Bereich der völlig unerheblichen Beeinträchtigung fallen. Es bleibt demnach dabei, daß "nachteilige Veränderungen" der Eigenschaften des Gewässers i. S. von § 38 WHG ein sehr weiter Begriff ist, der jede Verschlechterung der physikalischen, chemischen oder bioloschen Beschaffenheit des Wassers erfaßt. c) Die daneben in § 324 StGB genannte Verunreinigung ist lediglich ein, wegen seiner Bedeutung hervorzuhebender, Unterfall der nachteiligen Veränderung. Man versteht darunter die äußerlich wahrnehmbare unnatürliche Veränderung des Gewässers22• Auch sie muß nachteilig für die Beschaffenheit des Wassers sein. Eine Abgrenzung zwischen beiden Tatmodalitäten, die im Einzelfall sehr schwierig sein kann23 , ist für die Anwendung des § 324 StGB nicht erforderlich. 20 § 38 lautete in seiner Erstfassung: "Schädliche Verunrein·igung eines Gewässers (1) Wer vorsätzlich 1. in ein Gewässer Stoffe unbefugt oder unter Nichtbefolgen einer Auflage einbringt oder einleitet und dadurch eine schädliche Verunreinigung des Gewässers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften bewirkt, 2. Stoffe so lagert oder ablagert oder Flüssigkeiten oder Gase durch Rohrleitungen so befördert, daß eine schädliche Verunreinigung eines Gewässers oder eine sonstige nachteiUge Veränderung seiner Eigenschaften eintritt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. (2) Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft." 21 Siehe Lackner, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 14. Auf!. 1981, Anm. 3 a zu § 324 StGB. 22 Siehe Lackner, Anm. 31(1 zu § 324 StGB; Sack, Umweltstrafrecht, 2. Auf!. 1980, Rdn. 26 zu § 324 StGB; Steindorf, Anm. ge zu § 38 WHG; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.6 zu § 38 WHG; Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn.13 zu § 38 WHG; siehe ferner zum Begriff "Verunreinigung" BVerwG, ZfW 1965, 113, 115; Bay OLG, BayVBI.1974, 590; OLG Stuttgart, ZfW 1976, 378, 379; ZfW 1977, 177, 179. 23 übertrieben Steindorf, Anm.9f zu § 38 WHG, der sie für unmöglich hält; ebenso Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.7 zu § 38 WHG; OLG

16

I. Problem

d) Allgemein anerkannt ist, daß auch ein bereits stark verschmutztes Gewässer noch weiter verunreinigt bzw. nachteilig verändert werden kann24 • Das ergibt sich daraus, daß "nachteilig" i. S. von § 324 StGB nicht bedeutet, daß derartige Nachteile bereits faktisch festzustellen sind. Es genügt, daß die Einleitung nach Art und Umfang geeignet ist, Nachteile hervorzurufen25 , auch wenn diese erst im Zusammenspiel mit anderen Verunreinigungen eintreten. Daher ist entscheidend, ob z. B. die eingeleiteten Stoffe schon auf Grund ihrer chemischen Zusammensetzung die Beschaffenheit des Wassers beeinträchtigen können, ganz ungeachtet ihrer Menge. e) Gegen die neue Fassung des § 38 WHG, wie sie seit dem 1. 10. 1976 gilt, die für die nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften, insbesondere die Verunreinigung, nur noch auf den Erfolg abstellt und nicht mehr auch auf bestimmte Formen der Herbeiführung dieses Erfolgs, ist Kritik in die Richtung erhoben worden, daß der Straftatbestand generaZkZauseZartig erweitert worden sei und in dieser Form zu pauschalen Kriminalisierungen führe26 • Auf Berechtigung oder Nichtberechtigung dieser Kritik braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. Es genügt die Feststellung, daß die neue Fassung des § 38 WHG nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Bestimmtheitsgebot27 verstößt28 • Wäre dies aber der Fall, dann dürfte ein Gericht eine Verurteilung auf § 38 WHG nicht stützen. Vielmehr müßte es das Strafverfahren aussetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm nach Art.IOO Abs.1 Satz I GG i. V. m. §§ 80 ff. BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. Es ist aber im Strafrecht nichts Außergewöhnliches, daß eine Norm nur einen bestimmten mißbilligten Erfolg unter Strafe stellt, ohne die Verhaltensweisen zu umschreiben, die zur Herbeiführung dieses Erfolgs führen können. Dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot ist genügt, wenn der Erfolg hinreichend bestimmt ist. Das aber ist bei § 38 WHG neuer Fassung der Fall. stuttgart, ZfW 1977, 177, 179; ZfW 1976, 378, 379; zutreffend dagegen OLG Stuttgart, NJW 1977, 1406. 24 Siehe Steindorf, Anm. 9g zu § 38 WHG; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.6 zu § 38 WHG; Sack, NJW 1977, 1407; Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn.14 zu §38 WHG; OLG Stuttgart, ZfW 1976, 378, 379; ZfW 1977,177,179; NJW 1977, 1406, 1407. 25 Siehe Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.7 zu § 38 WHG; Sied er/ Zeitler/Dahme, Rdn.14 zu § 38 WHG; OLG Stuttgart, ZfW 1976, 378, 380; ZfW 1977, 177, 179; NJW 1977, 1406, 1407. 28 So Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 1976, mit Nachtrag zur 4. Novelle zum WHG, 1976, Rdn. 59 des Nachtrages. 27 Vgl. BVerfGE 14, 245, 251; 26, 41, 42 f. 28 So zutreffend Steindorf, Anm. 9a.

4. "Unbefugte" Gewässerverunreinigung

17

f) In Anwendung auf den vorliegenden FalZ ergeben die bisherigen Ausführungen, daß die durch das Unternehmen bewirkten Einleitungen in den Fluß nachteilige Veränderungen der Eigenschaften dieses Gewässers darstellen. Das Werk leitet Produktions abwasser, Kühlwasser, Rückspülwasser und Regenwasser ein; die Produktions abwässer durchlaufen zum größten Teil zuvor eine biologische Kläranlage.

Eindeutig ist, daß das Einleiten der Produktionsabwässer ohne vorherige Klärung den Tatbestand der nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften i. S. von § 38 WHG erfüllt. Aber auch das Einleiten der geklärten Produktionsabwässer fällt unter diese Vorschrift, da die Klärung nicht dazu führt, daß die Abwässer keinerlei Verschlechterung der Beschaffenheit des Wassers zu bewirken geeignet sind. Die Einleitung von Kühlwasser bewirkt gleichfalls eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften, denn dadurch wird die Wassertemperatur unnatürlich erhöht. Das gleiche gilt für die Einleitung von Rückspülwasser, obgleich hier nur die Schadstoffe dem Gewässer wieder zugeführt weroen, die ihm selbst zunächst durch die Wasserentnahme entzogen wurden. In der Rückspülung der Filterrückstände werden diese Schadstoffe jedoch dem Gewässer in konzentrierter Form wieder zugeführt. Darin liegt eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften. Zweifelhaft kann sein, ob auch die Einleitung von Regenwasser eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften darstellt. Auch dies wird man in den Fällen bejahen müssen, in denen die kanalisierte Einleitung eine Konzentrierung von Schadstoffen bedeutet. In allen Fällen wird also der "Erfolg" i. S. des § 38 WHG, nämlich die nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften, herbeigeführt. Da dies in der spezifischen Benutzungsform des Einleitens geschieht und geschah, ist insoweit seit dem 1. 10. 1976 nicht nur der Tatbestand des § 38 WHG neuer Fassung erfüllt, vielmehr ist dies auch für die Zeit davor für den § 38 WHG alter Fassung der Fall. 4. Das Problem der "unbefugten" Gewässerverunreinigung a) Wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, wird durch die Einleitungen des Unternehmens der Tatbestand des § 38 WHG und des § 324 StGB insoweit erfüllt, als die Gewässereigenschaften nachteilig verändert werden. Eine Strafbarkeit ergibt sich allein daraus jedoch noch nicht. Dazu ist vielmehr erforderlich, daß die nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften unbefugt erfolgt. Auslegung und Anwendung des Kriteriums "unbefugt" auf den konkreten Sachverhalt stellen das Kernproblem des Falles dar. 2 Randelzhofer/Wilke

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r. Problem

b) Der Begriff "unbefugt" läßt sich am besten klären, wenn man ihn in den Gesamtzusammenhang des neuen Umweltstrafrechts stellt, wie es im 18. Strafrechtsänderungsgesetz kodifiziert ist29 • Die von diesem Gesetz dem Strafgesetzbuch eingefügten Vorschriften zeigen deutlich, daß genehmigungslose Tätigkeiten keineswegs immer strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen müssen. Vielmehr bedient sich das Gesetz einer differenzierenden Technik, die den unterschiedlichen Gefährdungen und Handlungen angemessen ist. Eindeutig sind jene Strafnormen, die voraussetzen, daß jemand "ohne die erforderliche Genehmigung"30 oder "ohne die nach dem jeweiligen Gesetz erforderliche Genehmigung oder Planfeststellung"31 gehandelt hat. Von denselben Vorschriften wird der Fall gleich behandelt, daß "entgegen einer vollziehbaren Untersagung" verfahren wird32 . Andere Straftatbestände vermeiden es, den Ungehorsam durch die Anknüpfung an eine fehlende Genehmigung oder eine vorhandene Untersagung zu charakterisieren. Sie verwenden vielmehr zur Umschreibung eines strafwürdigen Tuns die Wendung, daß eine bestimmte Handlung "unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" vorgenommen worden sein muß 33 . Gemäß § 311 d Abs. 4 StGB begeht eine solche Pflichtverletzung, "wer grob pflichtwidrig gegen eine Rechtsvorschrift, vollziehbare Untersagung, Anordnung oder Auflage verstößt", die dem Schutz vor bestimmten Gefahren dient. Abweichend vom Sprachgebrauch des allgemeinen Verwaltungsrechts wird also nicht jedes Zuwiderhandeln gegen eine Rechtsnorm oder einen Verwaltungsakt als Pflichtverstoß bezeichnet; vielmehr setzt die Pönalisierung eine grobe Pflichtwidrigkeit voraug34. Komplizierter ist die Struktur des § 325 Abs.4 StGB35 • Diese Bestimmung weicht in mehrfacher Hinsicht von 29 Die im folgenden zitierten Vorschriften des Strafgesetzbuches sind solche, die auf dem 18. StrÄndG beruhen und am 1. 7.1980 in Kraft getreten sind (Art. 17 18. StrÄndG). 30 § 327 Abs.l (Unerlaubtes Betreiben von kerntechnischen Anlagen); § 328 Abs. 1 (Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen); § 330 Abs. 1 Nr.3, 4 (schwere Umweltgefährdung). 31 § 327 Abs.2 (Unerlaubtes Betreiben von Anlagen [i. S. des BlmSchG und des Abfallbeseitigungsgesetzes]). 32 § 330 Abs. 1 Nr. 3 und 4 (Schwere Umweltgefährdung) führt weiterhin als Objekte des Ungehorsams die "Anordnung oder Auflage" an. - Einen isolierten Verstoß gegen eine "vollziehbare Anordnung" und eine "vollziehbare Untersagung" stellen § 329 Abs. 1 S. 2 und § 329 Abs.3 unter Strafe; vgl. auch § 330 Abs.l Nr.2 (Verstoß gegen eine "vollziehbare Untersagung, Anordnung oder Auflage"). 33 § 311 d Abs. 1 (Freisetzen ionisierender Strahlen); § 325 Abs. 1 S. 1 (Luftverunreinigung und Lärm). 34 Die Figur des "grob pflichtwidrigen Verstoßes" findet sich auch in § 330 Abs. 1 Nr. 3 und 4 (Schwere Umweltgefährdung). 35 "Verwaltungsrechtliche Pflichten im Sinne des Absatzes 1 verletzt, wer grob pflichtwidrig gegen eine vollziehbare Anordnung oder Auflage verstößt,

4. "Unbefugte" Gewässerverunreinigung

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§ 311 d Abs.4 StGB ab. So wird der - grob pflichtwidrige - Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift nicht erwähnt. Dagegen wird das Handeln ohne Genehmigung zur Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten erklärt, auch wenn es nicht "grob pflichtwidrig" geschieht; die bloße genehmigungslose Tätigkeit erfüllt den Tatbestand. Das gleiche gilt hinsichtlich des Verstoßes gegen eine vollziehbare Untersagung; bereits das Zuwiderhandeln ist die Verletzung einer verwaltungs rechtlichen Pflicht. Dem Umweltstrafrecht ist neben dem grob pflichtwidrigen auch der schlichte Ungehorsam gegen Rechtsvorschriften bekannt36 • Eine andersartige Rechtstechnik gelangt demgegenüber in denjenigen Fällen zur Anwendung, in denen eine mißbilligte Tätigkeit unter Strafe gestellt wird, wenn sie "unbefugt" geschieht37•

Dem Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität liegt das Prinzip zugrunde, die Verbotswirkung und damit die Pönalisierung flexibel zu gestalten. Nur in einigen Fällen entscheidet es sich für eine rigide Lösung: Bestrafung des Ungehorsams gegenüber dem Gesetz, insbesondere in Gestalt der genehmigungslosen Tätigkeit, und gegenüber Verwaltungsakten. Mitunter wird die Schwelle zur Strafbarkeit dadurch erhöht, daß nur grobe Pflichtwidrigkeiten zu den Verletzungen verwaltungsrechtlicher Pflichten gerechnet werden. Eine ähnliche Wirkung wird dadurch erzielt, daß nur "wesentliche" Abweichungen von erlaubten Verfahren38 oder "wesentliche" Anlagen- oder Betriebsänderungen39 die Strafbarkeit auslösen. Durch die Verwendung des Ausdrucks "unbefugt" läßt sich gleichfalls bewirken, daß nicht schon jede äußerliche Gesetzwidrigkeit erfaßt wird, vielmehr solche Gesetzesverstöße dem Tatbestand entzogen werden, die durch die Einwirkung anderer Normen als nicht strafwürdig erscheinen. Schließlich sind auch Kombinationen derartiger Rechtstechniken mögdie dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dient, oder wer eine Anlage ohne die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderliche Genehmigung oder entgegen einer zu diesem Zweck erlassenen vollziehbaren Untersagung betreibt." 38 § 326 Abs.2 (Nichtablieferung von radioaktiven Abfällen); § 328 Abs.2 Nr.l (Nichtablieferung von Kernbrennstoffen); § 329 Abs.l (Verstoß gegen Rechtsverordnungen auf Grund des BImSchG); § 329 Abs.2 (Verstoß gegen wasserrechtliche Schutzvorschrift); § 329 Abs.3 (Verstoß gegen naturschützende Rechtsvorschrift); § 330 Abs.l Nr.2, 4 (Schwere Umweltgefährdung). 37 § 324 Abs.l (Verunreinigung eines Gewässers); § 326 Abs.l (Umweltgefährdende Abfallbeseitigung) ; § 326 Abs. 1 enthält die interessante Variante, daß - neben der unbefugten Abfallbeseitigung außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage - auch die sonstige Beseitigung von Abfällen erfaßt wird, wenn sie "unter wesentlicher Abweichung von einem vorgeschriebenen oder zugelassenen Verfahren" geschieht. 38 Vgl. § 326 Abs. 1, § 328 Abs. 1 Nr. 1. 3g Vgl. § 327 Abs. 1, § 328 Abs.l Nr.l. 2·

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I. Problem

lich. So verbindet § 326 Abs. 1 StGB die unbefugte Abfallbeseitigung mit der Beschränkung auf wesentliche Verfahrensabweichungen. Diese unterschiedliche Gesetzgebungstechnik läßt sich nur zum Teil mit den Eigentümlichkeiten der einzelnen Verwaltungsrechtsgebiete erklären, deren Unterstützung das Strafrecht dient. So ist es zweckmäßig, in den Fällen der Genehmigungsbedürftigkeit nicht den Gesetzesverstoß als Anknüpfungspunkt zu verwenden, sondern als dessen Ausprägung das Handeln ohne Genehmigung oder das Zuwiderhandeln gegen eine (vollziehbare) Untersagung. Dagegen liegen der Reduzierung der Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten auf grobe Pflichtwidrigkeiten keine verwaltungsrechtlichen Erwägungen zugrunde; offenbar gewährt das Strafrecht insoweit Erleichterungen. Die Verwendung des Ausdrucks "unbefugt" ist gleichfalls nicht durch Sachzwänge des Verwaltungsrechts geboten. So wäre es möglich gewesen, die - in § 324 StGB unter Strafe gestellte - nachteilige Veränderung oder Verunreinigung von Gewässern statt durch das Wort "unbefugt" auch durch die Formel "unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" zu beschreiben. Ferner hätte der Gesetzgeber die "Verunreinigung eines Gewässers" als Verstoß gegen wasserrechtliche Vorschriften qualifizieren können. Problematisch wäre es lediglich gewesen, die Gewässerverunreinigung als ein Handeln "ohne die erforderliche Genehmigung" zu konstruieren. Denn nicht jede Gewässerbenutzung bedarf der Genehmigung, wie bereits in § 2 Abs. 1 WHG angedeutet ist und wofür die in § 15 WHG vorgesehene Benutzung auf Grund alter Rechte und Befugnisse ein Beispiel ist. überdies hat sich § 324 StGB wie früher schon § 38 Abs. 1 WHG - von der Erwähnung der Benutzungsform gelöst und allein die Veränderung der Wasserbeschaffenheit für erheblich erklärt, so daß die Gestaltung des Delikts als eine Auflehnung gegen ein Genehmigungserfordernis systemwidrig gewesen wäre. Ob die Ausstattung des § 324 StGB - und vor ihm bereits des § 38 Abs.1 WHG - durch den Begriff "unbefugt" ein gesetzgeberischer Zufall oder das Ergebnis überlegter Gesetzestechnik war, mag dahinstehen. Auf jeden Fall lassen sich der jetzigen Textfassung einige Erkenntnisse abgewinnen. Dabei erscheint es legitim, dem Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität eine gewisse Rückwirkung beizulegen und es auch für die Auslegung des früher geltenden Rechts heranzuziehen. Dabei ergibt sich zunächst, daß ein Handeln ohne wasserrechtliche Genehmigung nicht zwangsläufig die Strafbarkeit auslöst. Eine Voraussetzung der Bestrafung ist vielmehr, daß die genehmigungslose Tätigkeit "unbefugt" ist; dies wird zwar regelmäßig der Fall sein, jedoch sind Ausnahmen denkbar. Ferner ist es nicht erforderlich, daß der Täter

4. "Unbefugte" Gewässerverunreinigung

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des § 324 StGB seine verwaltungsrechtlichen (Unterlassungs-)Pfiichten "grob pflichtwidrig" verletzt haben muß; der schlichte Gesetzesverstoß reicht vielmehr zur Erfüllung des Tatbestandes aus. Mit der Verwendung des Wortes "unbefugt" in § 38 Abs.l WHG und § 324 Abs. 1 StGB stellt das Umweltstrafrecht eine geschmeidige Formel bereit, die es ermöglicht, die strafrechtliche Sanktion den verwaltungsrechtlichen Gegebenheiten anzupassen. Die Flexibilität dieser Rechtsfigur ergibt sich nicht nur durch den oben40 angestellten Vergleich mit anderen Strafrechtsnormen, sondern läßt sich auch an Hand von Bekundungen des Gesetzgebers nachweisen. In der Begründung zum Entwurf eines Sechzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes4 t, des Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, findet sich der Hinweis, daß das Merkmal "unbefugt" auch "in verschiedenen anderen neueren Straftatbeständen" verwendet werde, sowie die Übernahme einer Definition dieses Merkmals aus einer früheren parlamentarischen Drucksache42 • In der zitierten Begründung des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch wird folgende Begriffsbestimmung gegeben43 : "Der Entwurf verwendet ... in den Vorschriften dieses Abschnitts durchgängig das umfassende Merkmal ,unbefugt' als Hinweis darauf, daß nach einschlägigen gesetzlichen Regelungen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu prüfen ist, ob das im übrigen tatbestandsmäßige Verhalten straflos ist. Die Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen dies im einzelnen zu bejahen ist, wird ... damit der Rechtsprechung überlassen, der auch die Aufgabe zufällt, nach den besonderen Umständen des Falles zu entscheiden, ob das Handeln als nicht tatbestandsmäßig oder zumindest als gerechtfertigt oder als entschuldigt anzusehen ist." Diese Definition hat sich die Bundesregierung in der Begründung des Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität zu eigen gemacht44 • Sie hat zugleich diejenigen Fälle genannt, die nach ihrer Auffassung einer Bestrafung entgegenstehen: "Befugt handelt derjenige, dessen Handeln gedeckt ist -

durch einen der im Wasserhaushaltsgesetz oder in den Landeswassergesetzen oder auch in anderen Gesetzen bezeichneten Fälle der rechtmäßigen Benutzung eines Gewässers (wie Erlaubnis, Bewilligung, alte Rechte und Befugnisse, Gemeingebrauch),

Vgl. S. 18. Dieser Entwurf führte später zum Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetz. u BT-Dr.8/2382 S. 14; vgl. auch ebd. S.23 (r. Sp.). 4. BT-Dr. 7/550 S. 236. « BT-Dr.8/2382, S. 14, vgl. auch ebd. S.23 (r. Sp.). 40

41

22 -

-

I. Problem durch Rechtfertigungsgründe (beispielsweise im Fall des rechtfertigenden Notstandes, .,. oder wenn die Verunreinigung Folge einer Handlung zur Gefahrenabwehr ist) oder als sozialadäquates Verhalten ... "

c) Was die Auslegung des Kriteriums "unbefugt" anlangt, so besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß es, wie in anderen neueren Straftatbeständen45 , als Hinweis zu verstehen ist, daß nach einschlägigen gesetzlichen Regelungen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu prüfen ist, ob das im übrigen tatbestandsmäßige Verhalten straflos ist46 • Literatur und Rechtsprechung übernahmen hier die amtliche Begründung zur Neufassung des § 38 WHG im Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes47 • Als Folge dieses Verständnisses von "unbefugt" ergibt sich, daß eine befugte nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften nicht nur dann vorliegt, wenn sie auf spezifischen Befugnissen des Wasserhaushaltsgesetzes beruht (Bewilligung, Erlaubnis, Zulassung des vorzeitigen Beginns, alte Rechte und alte Befugnisse), vielmehr auch dann, wenn andere Rechtfertigungsgründe vorliegen. Als solche anderen Rechtfertigungsgründe kommen z. B. in Betracht48 : Sozialadäquanz, Notstand, bewußte Duldung der Behörden. d) Für die Einleitungen des Unternehmens liegen keine Bewilligungen nach § 8 WHG vor. Auch auf ausdrückliche Erlaubnisse nach § 7 WHG kann das Werk sich nicht stützen. Desgleichen hat keine Zulassung eines vorzeitigen Beginns stattgefunden. Hinsichtlich alter Rechte und Befugnisse ist zwischen den Parteien unstreitig, daß jedenfalls nicht sämtliche Einleitungen auf früheres Recht gestützt werden können. Deshalb erfolgen die Einleitungen nur zum Teil in unbestreitbarer Weise befugt. Da nicht für alle Einleitungen ausdrückliche spezifische Befugnisse nach dem Wasserhaushaltsgesetz vorhanden sind, muß geprüft werden, ob die Einleitungen im übrigen deswegen befugt waren oder sind, weil sie von der Behörde stillschweigend ·erlaubt wurden (II), durch 45 Siehe die Nachweise bei Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.9 zu §38 WHG. 46 Siehe Steindorf, Anm. 10 zu § 38 WHG; Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn. 18 zu § 38 WHG; Wernicke, NJW 1977, 1662, 1664; Kast, ZfW 1977, 125; OLG Stuttgart, ZfW 1977, 121. 47 BT-Dr.7/888 S. 21 f. über die dogmatische Bedeutung des Merkmals "unbefugt" vgl. näher Triftterer, Umweltstrafrecht, S. 84 ff., 182 ff. 48 Vgl. dazu BT-Dr.7/888 S.22; Lackner, Anm.5b zu § 324 StGB; Sieder/ Zeitler/Dahme, Rdn.20 und 22 zu § 38 WHG; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.10 und 14 zu § 38 WHG; Kast, ZfW 1977, 125, 126; OLG Stuttgart, ZfW 1977, 121ff.; StA Mannheim, NJW 1976, 586.

4. "Unbefugte" Gewässerverunreinigung

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Notstand gerechtfertigt waren (III) oder durch die Behörde jahrelang geduldet wurden (IV). Keiner weiteren Erörterung bedarf es hinsichtlich des Rechtfertigungsgrundes der Sozialadäquanz, denn der Bereich des sozial Üblichen und allgemein Anerkannten ist sowohl, was Ausmaß als auch Qualität des Eingeleiteten anlangt, eindeutig verlassen49 • e) Ein noch zu erörterndes Problem stellt die Frage dar, ob der Tatbestand des § 324 StGB auch durch Verstoß gegen Auflagen erfüllt werden kann. In § 38 WHG alter Fassung knüpfte die Strafdrohung an das unbefugte oder unter Nichtbefolgung von Auflagen erfolgende Einbringen oder Einleiten von Stoffen in ein Gewässer an. Die seit dem 1. 10. 1976 geltende neue Fassung des § 38 WHG enthält keinen Hinweis mehr auf das Nichtbefolgen von Auflagen. Das OLG Stuttgart hat in seinen Urteilen vom 18.10.1976 und vom 4.3.197750 allein aus diesem geänderten Wortlaut, ohne weitere Begründung den Schluß gezogen, daß "die lediglich auflagenwidrige Gewässerverunreinigung, die nicht gleichzeitig unbefugt ist, nicht mehr unter Strafe gestellt, sonder~ nur noch bußgeldbewehrt ist". Wegen des § 2 Abs.l StGB und § 3 StGB würde diese Ansicht dazu führen, daß auch Verunreinigungen von Gewässern unter Verstoß gegen Auflagen, die vor dem 1. 10. 1976 erfolgten, nun nicht mehr nach § 38 WHG bestraft werden könnten51 • Das Schrifttum52 ist zu Recht dieser Auslegung des § 38 WHG nicht gefolgt. Die Änderung des Wortlauts ist insofern nicht aussagekräftig 53 • Die Nichtbefolgung von Auflagen ist in der alten Fassung des § 38 WHG im Zusammenhang mit dem Einbringen oder Einleiten von Stoffen genannt. Die neue Fassung des § 38 WHG ist von der Benutzungsordnung des WHG und seinen Begriffen ganz gelöst worden. Auf diese Weise ist 49 Siehe Einstellungsverfügung der StA beim LG Mannheim v. 16.2.1976, NJW 1976, 585, 586. 50 ZfW 1977, 118, 121 bzw. NJW 1977, 1406, 1407. 51 Siehe Stein dorf, Anm. 6 zu § 38 WHG. 52 Siehe Sack, NJW 1977, 1407; Wernicke, NJW 1977, 1662, 1664; Kast, ZfW 1977, 126; Steindorf, Anm.l0 zu § 38 WHG und Anm.6 zu § 4 WHG; Sieder/ Zeitler/Dahme, Rdn. 19 zu § 38 WHG; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 11 zu § 38 WHG; Horn, NJW 1981, 5 (Anm. 45); Lackner, Anm.5a zu § 324 StGB. 53 Wernicke, NJW 1977, 1662, 1664 weist zutreffend darauf hin, daß auch nach § 38 WHG a. F. die Nichteinhaltung einer Benutzungsbedingung als unbefugtes Handeln gewertet wurde, obgleich der Wortlaut des Gesetzes darüber nichts aussagte.

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I. Problem

auch der Hinweis auf den Verstoß gegen Auflagen aus dem Text des § 38 WHG genommen worden. Da nach der neuen Fassung des § 38 WHG der Erfolg der nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften schlechthin ausreicht, ohne daß es auf bestimmte Benutzungsformen ankommt, bestand für den Gesetzgeber kein Anlaß mehr, daneben noch ausdrücklich Verstöße gegen Auflagen zu erwähnen. Daß § 41 Abs.1 Nr.1 WHG den Verstoß gegen eine Auflage als Ordnungswidrigkeit nennt, spricht nicht gegen die hier vertretene Auslegung des § 38 WHG. § 41 Abs. 1 Nr. 1 WHG regelt den Fall, daß zwar gegen eine Auflage verstoßen wird, damit aber nicht auch die Gewässereigenschaften nachteilig verändert werden. Hier handelt es sich dann um bloßes "Verwaltungsunrecht", das nur als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Wenn unter Verstoß gegen eine Auflage die Gewässereigenschaften nachteilig verändert werden, liegt darin inhaltlich kein Unterschied zu dem Fall, wo dies ohne Erlaubnis bzw. Bewilligung geschieht. Es wäre nicht einzusehen, warum in einem Fall kriminelles Unrecht, im anderen nur Verwaltungsunrecht vorliegen soll. Eine Erlaubnis oder Bewilligung macht eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften nur insoweit zur befugten, als auch die mit ihr verbundenen Auflagen eingehalten werden. Eine Einschränkung des Tatbestands ist durch die Änderung des § 38 WHG nicht beabsichtigt und auch nicht eingetreten. Im Gegenteil ist durch die neue Fassung der Tatbestand erweitert worden, da nun jede Verunreinigung bzw. nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften erfaßt wird, ohne daß es darauf ankommt, daß dies in einer der typischen Benutzungsformen des WHG geschieht. Daß die Neufassung des § 38 WHG eine Verschärfung, und nicht etwa eine Einschränkung des Wasserstrafrechts beabsichtigt, ergibt sich mit Deutlichkeit aus der Entstehungsgeschichte. So heißt es in der amtlichen Begründung des Entwurfes zu § 38 WHG54 : " ••• soll der Tatbestand des § 38 WHG auf Fälle von Gewässerverunreinigungen erweitert werden, bei denen es si.ch nicht um Benutzungen im Sinne des § 38 WHG ... handelt ... Durch die vorgesehene allgemeine Fassung des § 38 Abs. 1 WHG wird erreicht, daß jeder, der ein Gewässer verunreinigt oder sonst seine Eigenschaften nachteilig verändert, mit Strafe bedroht ist." Daß der Tatbestand des § 38 WHG a. F. auch dann erfüllt wird, wenn durch die Nichtbefolgung einer Auflage die Gewässereigenschaften nachteilig verändert werden, ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung " BT-Dr.7/888 S. 21 f., Einzelbegründung zu § 38; Hervorhebungen nicht im Original.

4. "Unbefugte" Gewässerverunreinigung

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des Entwurfs eines Sechzehnten StrafrechtsänderungsgesetzegSS. Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, die wichtigsten Tatbestände zum Schutze der Umwelt, die bisher in einer Reihe von Spezialgesetzen enthalten sind, zusammenhängend in einen neuen Abschnitt des Strafgesetzbuchs aufzunehmen. Die dem § 38 WHG entsprechende Bestimmung soll ein neuer § 324 StGB sein. Dabei entspricht der § 324 Abs. 1 ganz dem § 38 Abs.l WHG. Lediglich die Höchststrafe ist von zwei auf fünf Jahre erhöht worden. Die amtliche Begründung spricht klar aus56 , daß Abs. 1 des § 324 an die Stelle des § 38 Abs. 1 WHG tritt, ohne an dessen Tatbestand etwas ändern zu sollen. Für die Auslegung des dem § 38 Abs. 1 WHG entsprechenden § 324 Abs. 1 StGB stellt die amtliche Begründung fest, daß auch Verunreinigungen, die auf bloßen Auflagenverstößen beruhen, rechtswidrig sind, d. h. dem § 324 Abs. 1 StGB unterfallen sollen57 bzw. dem § 38 Abs. 1 WHG unterfallen. Das Ergebnis, daß auch die unter Verstoß gegen Auflagen erfolgte nachteilige Veränderung von Gewässereigenschaften dem § 38 WHG unterfällt, wird durch die jüngsten Ausführungen Bickels58 dazu nicht widerlegt. Sie sind j-edoch geeignet, das Ergebnis zu präzisieren.

Bickels erste Aussage geht dahin, daß eine Einleitung nicht plötzlich unbefugt werde, wenn gegen die Auflage verstoßen werde, jährlich einen Untersuchungsbefund über die Einzelwerte des Abwassers vorzulegen. Dem ist voll zuzustimmen. Diese Aussage steht nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auslegung des § 38 WHG, deckt sich vielmehr mit dieser. Die grundlegende Feststellung lautet ja nicht, daß jeder Verstoß gegen irgend eine Auflage den Tatbestand des § 38 WHG erfüll~lI. Entscheidend für § 38 WHG ist nicht der Verstoß gegen Auflagen, sondern die damit einhergehende Verunreinigung des Gewässers bzw. die nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften. Fehlt es an dieser, dann ist der Verstoß gegen die Auflage nur Verwaltungsunrecht. Er unterfällt damit § 41 Abs. 1 Nr.1 WHG, nicht -aber § 38 WHG. Nicht gefolgt werden kann BickeZ darin, daß § 38 WHG zu lesen sei: "Wer unbefugt ein Gewässer benutzt und dadurch eine Verunreinigung verursacht ... " Fußend auf einer solchen Auslegung folgert Bickel dann, daß die durch Erlaubnis bzw. Bewilligung befugte Benutzung des GeSiehe BT-Dr. 8/2382 und 8/3633. BT-Dr. 8/2382 S. 13 und BT-Dr. 8/3633 S. 24 f. 67 Vgl. hierzu Sack, Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, NJW 1980, 1424, 1425. &8 Bickel, Die Strafbarkeit der unbefugten Gewässerverunreinigung nach § 38 WHG, ZfW 1979, 139, 140-142. 69 Siehe auch die zutreffende Differenzierung bei Hm, Die befugte Gewässerbenut7!Ung nach dem Wasserhaushaltsgesetz, Gew.Arch. 1981, 159 f., wonach es darauf ankommt, welchen Inhalt und Zweck die Auflage hat. 55

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I. Problem

wässers durch die infolge Verstoßes gegen Auflagen eintretende Verunreinigung nicht unbefugt werde und daher dem § 38 WHG nicht unterfalle. Mit dieser Auslegung kommt BickeZ im Ergebnis zur alten Fassung des § 38 WHG zurück, abgesehen von dem damaligen Zusatz " ... oder unter Nichtbefolgung von Auflagen". In unzulässiger Weise wird hier wieder an die Benutzungsform des Gewässers angeknüpft und damit das 4. Änderungsgesetz zum WHG ignoriert, das mit der neuen Fassung des § 38 WHG gerade den Tatbestand, auch das Kriterium" unbefugt", von Benutzungsformen löste und allein auf den "Erfolg" der Verunreinigung abstellt. Nur aus diesem Grund ist auch auf den Passus" ... oder unter Nichtbefolgung von Auflagen" in § 38 WHG a. F. verzichtet worden. BickeZs Auslegung führt dazu, diesen Passus wegzulassen, wohl aber die alte Struktur des § 38 WHG aufrechtzuerhalten. Zu folgen ist dagegen der Ansicht, daß via Auflagenverstoß nicht bereits dann § 38 WHG erfüllt ist, wenn bei einer Einleitung von Abwässern der Grenzwert an zulässigem Schadstoff im Einzelfall überschritten wird, der Grenzwert aber ein Mittel darstellt, das z. B. über 5 Proben in einem Zeitraum von 3 Jahren einzuhalten ist. Die überschreitung im Einzelfall würde als Auflagenverstoß den § 38 WHG erst dann erfüllen, wenn sie bis zur 5. Probe nicht ausgeglichen wäre. Dies ist aber nur ein Problem der inhaltlichen Gestaltung und Formulierung der Auflage. Generell gilt, daß Auflagen so formuliert sein müssen, daß sie dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügen60. Auflagen mit nicht konkretisierbaren Ermessensbegriffen scheiden daher als Grundlage einer Bestrafung aus § 38 WHG aus, so z. B. Auflagen, kein Wasser "in schädlichen Mengen" oder "in für die Fischzucht gefährlichen Mengen" oder "unter Beeinträchtigung der Gewässergüte" einzuleiten. Ihre hinreichende Bestimmtheit vorausgesetzt, sind Auflagen, d. h. der Verstoß gegen sie, geeignet, den Tatbestand der unbefugten Gewässerverunreinigung nach § 38 WHG zu erfüllen6~. Auch der neueste Versuch BickeZs62 , seine These, wonach ein Verstoß gegen Auflagen keine unbefugte Gewässerverunreinigung darstelle, zu belegen, kann nicht überzeugen. Er folgert dies nun aus dem unterSiehe Wernicke, NJW 1977, 1662, 1665. Wird z. B. die Erlaubnis zur Entnahme von Wasser aus einem Fluß mit der Auflage verbunden, nur gereinigtes Rückspülwasser einzuleiten, dann macht ein Verstoß gegen diese Auflage zwar nicht die Wasserentnahme als solche zur unbefugten, wohl aber erfüllt die auflagewidrige Einleitung nicht gereinigten Rückspülwassers für sich den Tatbestand des § 38 WHG. 82 Grenzgebiete des Wasserrechts, DÖV 1981, 448 ff., 453. 60 BI

4. "Unbefugte" Gewässerverunreinigung

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schiedlichen Wortlaut der §§ 324 und 325 StGB: Während § 325 Abs.4 StGB für die strafbare Luftverunreinigung und Lärmverursachung den Verstoß gegen Auflagen ausdrücklich nenne, schweige § 324 StGB in dieser Hinsicht. Obgleich die be1den Bestimmungen nebeneinanderstehen, kann dieser Schluß nicht gezogen werden. Dem Gesetzgeber ist es in den §§ 324 ff. StGB nicht gelungen, ein systematisch einheitliches Konzept des Umweltstrafrechts zu schaffen. Er hat lediglich, in nicht unbedenklicher Weise63 , bisher verstreute Strafbestimmungen zusammengestellt, ohne sie aber aus ihrem bisherigen, jeweils unterschiedlichen Kontext gelöst zu haben. Die bloß räumliche Nähe der beiden Bestimmungen kann über diese Kluft nicht hinwegtäuschen. Zutreffend stellt Sack64 fest, daß das 18. StrÄndG nichts daran geändert hat, daß eine unter Verstoß gegen Auflagen erfolgende Gewässerverunreinigung unbefugt ist65 • Als Folge der hier vertretenen Auffassung ist es für das Ergebnis nicht erforderlich, dem Problem der Unterscheidung zwischen Bedingung und Auflage im Wasserrecht umfassend nachzugehen, da Verstöße gegen beide die damit einhergehende nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften unbefugt machen und damit den Tatbestand des § 38 WHG erfüllen. Für Verstöße gegen Bedingungen ist dies völlig unbestritten66 , für Verstöße gegen Auflagen wird dies nur von einer Mindermeinung mit, wie dargelegt, nicht tragbarer Begründung verneint. Dennoch soll zur Unterscheidung Bedingung - Auflage kurz folgendes angemerkt werden: Für das Wasserrecht kann nicht ohne weiteres von der Unterscheidung dieser Begriffe im 'allgemeinen Verwaltungsrecht67 ausgegangen werden. Das ergibt sich bereits aus der in § 4 WHG verwendeten Terminologie, indem nicht von Bedingungen und Auflagen die Rede ist, sondern von Benutzungsbedingungen und Auflagen68 • Diese Benutzungsbedingungen sind nicht echte Bedingungen i. S. des allgemeinen Verwaltungsrechts, von deren Erfüllung der Bestand der Erlaubnis oder Bewilligung abhängt. Dennoch gilt auch für das Wasserrecht als Unterscheidung zur es Siehe die Kritik bei Lackner, Anm.1b vor § 324 StGB; Tröndle, Rdn.4 vor § 324 StGB. 64 Rdn. 109 zu § 324 StGB. es So auch Laufhütte/Möhrenschlager, Umweltstrafrecht in neuer Gestalt, ZStrW 1980, 919. 68 Siehe statt vieler Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 11 zu § 38 WHG mit weiteren Nachweisen. e7 Siehe dazu Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auf!. 1980, Rdn. 23 zu § 36; Schachel, Nebenbestimmungen zu Verwaltungsakten, 1979, S. 79 ff. es Siehe Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.2 zu § 4 WHG; Sieder/ Zeitler/Dahme, Rdn. 10a zu § 4 WHG.

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I. Problem

Auflage, daß die Benutzungshedingung mit dem Verwaltungsakt (Erlaubnis oder Bewilligung) enger verbunden ist. Die Benutzungsbedingung ist Bestandteil der Erlaubnis oder Bewilligung und bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen die erteilte Befugnis ausgeübt werden darf. Sie trifft die näheren Bestimmungen über Inhalt und Grenzen der Befugnis. Auflagen sollen demgegenüber nicht die Benutzung selbst betreffen, sondern die Verhütung oder den Ausgleich von Beeinträchtigungen des W ohIs der Allgemeinheit oder nachteiliger Wirkungen für andere 61l • Mag man darin .üherhaupteinen Unterschied sehen, so ist anerkannt, daß die Unterscheidung zwischen Benutzungsbedingung und Auflage im konkreten Fall große Schwierigkeiten bereiten kann. Der Bezeichnung durch die Behörde kommt dabei keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr der Inhalt der Entscheidung. Nimmt man als Orientierungslinie für die Benutzungsbedingung die nähere Bestimmung über Inhalt und Grenzen der Befugnis, so wird in vielen Fällen inhaltlich keine Auflage, sondern eine Benutzungsbedingung vorliegen70 • Unter dieser Voraussetzung könnte man tatsächlich Verstöße gegen Auflagen, die dann nur noch Fälle des bloßen Verwaltungsunrechts wären und nicht Verstöße gegen die nähere Bestimmung der Gewässerbenutzung selbst, als von § 38 WHG nicht mehr erfaßt ansehen.

Siehe Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 3 zu § 4 WHG. Ist die Erlaubnis, einem Gewässer Wasser zu entnehmen, dar an geknüpft, das Rückspülwasser nur gereinigt wieder einzuleiten, dann wird man demnach darin keine Auflage, sondern eine Benutzungsbedingung zu sehen haben, da sowohl Entnahme wie W.iedereinleitung nur in diesem Rahmen gestattet werden. 8D 70

11. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis 1. Der Verwaltungsakt der Erlaubnis Die Erlaubnis nach § 7 WHG ist ein Verwaltungsakt. Verwaltungsakte sind grundsätzlich an keine besondere Form gebunden. Wo Formerfordernisse gewahrt werden müssen, sind diese spezialgesetzlich geregelt. Verwaltungsakte können deshalb nicht nur schriftlich ergehen, sondern auch mündlich sowie durch konkludentes Tun oder Unterlassenn. § 37 Abs.2 VwVfG hat diese Rechtslage nicht erst geschaffen, sondern nur die zuvor schon herrschende Meinung anerkannt12 und in den Rang von Gesetzesrecht erhoben. 2. Die Regelung der Form des Verwaltungsakts im Verwaltungsverfahrensrecht Das Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - (des Bundesf3 und die ihm entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetze der meisten Bundesländer74 behandeln die "Form des Verwaltungsaktes" jeweils im ersten Abschnitt ("Zustandekommen des Verwaltungsaktes") des Teils III ("Verwaltungsakt"). Nach einer Definition des "Begriff(s) des Verwaltungsaktes" (§ 35 VwVfG) und einer Regelung der "Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt" (§ 36 VwVfG) findet sich in § 37 VwVfG eine Vorschrift über "Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes". § 37 Abs. 1 VwVfG, der durch Abs. 4 S.2 ergänzt wird, ist dem Thema der Bestimmtheit gewidmet. Die weiteren Absätze befassen sich mit Fragen der Form: der äußeren Beschaffenheit des Verwaltungsaktes (Abs.2 S. 1), der Bestätigung eines mündlichen Verwaltungsaktes (Abs. 2 S. 2), den Anforderungen an einen schriftlichen Verwaltungsakt (Abs. 3) nebst Besonderheiten des automatisierten Verwaltungsaktes (Abs.4 S.l). 71

Siehe FOTsthoff. Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 10. Auflage,

1973, S. 217.

Siehe Kopp, Anm. 2 zu § 37 VwVfG. v. 25.5. 1976 (BGBl. I S. 1253). 7& Vgl. z. B. Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) v. 23.12.1976 (GVBl. S.544); Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HmbVwVfG) v. 9.11.1977 (GVBl. S. 333); Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG) v. 1. 12. 1976 (GVBl. I S. 454). 72

73

30

H. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

Der systematische Aufbau der verwaltungsverfahrensrechtlichen Formvorschriften ist nicht sonderlich übersichtlich. Während die Bestimmtheitsklausel des § 37 Abs. 1 VwVfG mit den Regeln über die Form des Verwaltungs aktes verknüpft ist, wird der Zwang zur Begründung eines (schriftlichen oder mündlichen, aber gemäß § 37 Abs. 2 S.2 VwVfG schriftlich bestätigten) Verwaltungsaktesananderer Stelle ausgesprochen (§ 39 VwVfG). Diese Trennung innerlich zusammenhängender Normen verdeckt deren Gemeinsamkeiten. Der Gesetzgeber selbst scheint keine völlige Klarheit über den Begriff der "Form" gewonnen zu haben. So sieht er in § 45 VwVfG eine "Heilung von Verfahrens- und Formfehlern" vor, ohne die beiden Fehlerarten voneinander zu unterscheiden. Da gemäß § 9 VwVfG der "Erlaß eines Verwaltungsaktes" zum Verwaltungsverfahren gehört, müßten folgerichtig sämtliche Fehler, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes geschehen, Verfahrensfehler sein. Diese Konsequenz zieht jedoch das Gesetz nicht, sondern hebt die "Verfahrens- und Formfehler", die es in § 45 Abs.1 VwVfG durch die "Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften" charakterisiert, von den sonstigen - materiell-rechtlichen - Fehlern ab. Diejenigen Rechtsverstöße, bei denen keine Kollision mit dem materiellen Recht vorliegt, werden pauschal als "Verfahrens- und Formfehler" bezeichnet. Das Verwaltungsverfahrensgesetz verwendet somit einen engen Begriff des Verfahrensfehlers, indem es nicht einmal Formmängel als Verfahrensfehler anerkenne 5 • Wo die Grenze zwischen Formmängeln und (sonstigen) Verfahrensfehlern verläuft, ist allerdings unklar. § 37 VwVfG erweckt wegen seiner Überschrift ("Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes") den Eindruck, als werde das Thema der Verwaltungsakts-Form in ihm abschließend behandelt. Daß dem nicht so ist, wird durch einen Vergleich mit § 54 VwVfG deutlich, der bestimmte Formfehler für unbeachtlich erklärt, jedoch für Verletzungen der Formvorschrift des § 37 VwVfG die Rechtsfolge der Heilung nicht vorsieht. Derartige gesetzestechnische Unebenheiten können aber im vorliegenden Zusammenhang unerörtert bleiben. Denn jedenfalls die Formvorschrift des § 37 Abs. 2 S.l VwVfG wird von ihnen nicht beeinträchtigt. Es kann daher auch offenbleiben, ob die Bestimmungen über die "Bekanntgabe des Verwaltungsakts" in § 41 VwVfG den Formvorschriften zuzurechnen sind16 • 15 Gesetzestechnisch problematisch ist auch die Regelung der "Folgen von Verfahrens- und Formfehlern" in § 46 VwVfG, wo die Verletzung "von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit" erwähnt und somit eine weitere Fehlerart anerkannt wird. 78 Verneinend BaduTa, Die Form des Verwaltungsaktes, in: Verwaltungsverfahren, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Rdchard Borberg-Ver1ags, hrsg. v. Schmitt Glaeser, 1977, S.205. - Immerhin bezeichnet § 44

2. Verwaltungsakt im Verwaltungsverfahrensrecht

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Gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG kann ein Verwaltungsakt "schriftlich, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden". Diese Vorschrift befaßt sich, wie sich aus der Überschrift des § 37 VwVfG ergibt, mit der "Form" des Verwaltungsaktes, d. h. mit der äußeren Gestalt, die ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG annehmen muß, damit er Adressaten oder Betroffenen erkennbar werde77 • Das Gesetz sieht allerdings in § 37 Abs.2 S.l VwVfG keine Formalien vor, denen Verwaltungsakte genügen müssen, sondern stellt vielmehr die Verwaltungsakte von der Bindung an Formen frei, indem es neben der Schriftlichkeit und Mündlichkeit jede andere Weise des Erlasses genügen läßt. Dieses Prinzip der Formfreiheit ist eine auf den Verwaltungsakt bezogene Ausprägung des in § 10 VwVfG niedergelegten Grundsatzes der "Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens"78. Es ist lediglich insofern eingeschränkt, als jedenfalls der behördliche Wille in irgendeiner Weise geäußert werden muß, da sonst niemand wissen kann, ob überhaupt eine Entscheidung getroffen worden ist. Wenn die Behörde nur dafür sorgt, daß dieser Mindestanforderung Genüge getan wird, liegt es in ihrem Belieben, dem Verwaltungs akt jedwede äußere Gestalt zu verleihen. Allerdings können Erwägungen der Zweckmäßigkeit es geraten sein lassen, dem Erscheinungsbild eines Verwaltungsakts festere Konturen zu verleihen. Durch die Wahl einer eindeutigen Form werden Zweifel an der Existenz oder dem Inhalt eines Verwaltungsakts vermieden. Insbesondere kann sich der übergang zur Schriftform deshalb empfehlen, weil Fristen für Rechtsmittel und andere Rechtsbehelfe nur zu laufen beginnen, wenn eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist (§ 58 VwGO). Ferner kann die Dispositionsbefugnis der Behörde durch normative Vorkehrungen eingeschränkt werden. Dies geschieht hauptsächlich dadurch, daß für manche Verwaltungsakte die Schriftform vorgeschrieben wird, wodurch die beiden weiteren in § 37 Abs.2 S.l VwVfG genannten Erscheinungsformen des Verwaltungsakts ausgeschlossen werden79 . Diese Rechtstechnik findet sich auch Abs.2 Nr.2 VwVfG "die Aushändigung einer Urkunde", durch die häufig besonders bedeutsame Verwaltungsakte bekanntgegeben werden, als "Form". - Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 50 II C 2 (S.418), behandeln die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes und seine Form ohne jegliche Trennung. 77 Ähnlich versteht Badura, Verwaltungsverfahren, S.205, unter der Form des Verwaltungsaktes "die stoffliche Verkörperung oder die sonst wahrnehmbare Gestalt, in der die Behörde die mit dem Verwaltungsakt getroffene ... Maßnahme gegenüber dem Adressaten äußert". 78 Vgl. Finkelnburg/Lässig, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, Bd. 1, 1. Lfg., 1979, § 10 Rdn.21. 78 Vgl. zur früheren Rechtslage BVerwG, Gew.Arch. 1959/60, 132 f.; BayVGH, BayVBl. 1973, 295, 296; OVG Lüneburg, OVGE 8, 493, 495.

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Ir. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

im Verwaltungsverfahrensgesetz selbst, nach dessen § 69 Abs.2 S.l Halbs.l Verwaltungsakte, die ein förmliches Verfahren abschließen, schriftlich zu erlassen sind. Schließlich mag es auch ein "ungeschriebenes Gebot der Schriftform" in solchen Fällen geben, "wo es auf den Wortlaut der Entscheidung ankommt"so. Bei schriftlichen und mündlichen Maßnahmen wird es nur ausnahmsweise zweifelhaft sein, ob die in § 35 VwVfG genannten Voraussetzungen für Verwaltungsakte vorliegen. Denn in aller Regel nutzen sie die Möglichkeit der Selbstdeklaration, indem sie sich selbst als verbindliche Entscheidungen qualifizieren. Schriftliche und mündliche Verwaltungsakte sind daher zumeist "ausdrückliche" Verwaltungsakte81 • Problematisch wird die Rechtslage jedoch, wenn eine Behörde "in anderer Weise" als schriftlich oder mündlich verfahren ist. Dann kann es unklar sein, welcher Inhalt einem Verwaltungsakt zukommt, ja schon die Rechtsqualität einer verbindlichen Entscheidung, des Signums des Verwaltungsaktes, kann umstritten sein. Deshalb wird der "in anderer Weise" erlassene Verwaltungsakt schon aus praktischen Erwägungen im Handlungsinstrumentarium einer modernen Verwaltung nur eine zweitrangige Rolle spielen können. Auch in der geltenden Rechtsordnung wird der durch das Fehlen schriftlicher oder mündlicher Einkleidung gekennzeichnete Verwaltungs akt mit Zurückhaltung betrachtet. So wird seine Zulässigkeit zwar in § 37 Abs.2 S. 1 VwVfG anerkannt, die weiteren Detailregelungen des Gesetzes sind aber auf den schriftlichen oder mündlichen Verwaltungsakt zugeschnitten. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat nicht einmal die naheliegende Gleichstellung des mündlichen und des "in anderer Weise" erlassenen Verwaltungsaktes vorgenommen, als es in § 37 Abs.2 S.2 die Pflicht der Behörde begründete, einen mündlichen Verwaltungsakt auf Antrag des Betroffenen schriftlich zu bestätigen82• Die "Form" des "in anderer Weise" zustandegekommenen Verwaltungsaktes ist durch das Fehlen bestimmter Formalien gekennzeichnet. Jedes beliebige Verhalten der Behörde kann den Schluß ermöglichen, daß eine Einzelfallentscheidung mit Außenwirkung gewollt ist. Da nicht-schriftliche und nicht-mündliche Äußerungen nicht immer ein811 So Badura, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1981, S.337; Hin, Gew.Arch. 1981, 155, 157. 81 Der BGH, LM Art. 14 GrundG Nr.76 (Bl. 3), stellt die "ausdrückliche" der "stillschweigenden" Erlaubnis gegenüber, übersieht aber dabei, daß auch der nicht ausdrücklich erklärte Verwaltungsakteine schriftliche oder mündliche Basis haben kann. 8! Immerhin mag man nachträglich eine Korrektur des Gesetzes im Wege der Analogie durchführen können. - Vgl. Kopp, VwVfG, § 37 Anm.4; Badura, Verwaltungsverfahren, S.211.

2. Verwaltungsakt im Verwaltungsverfahrensrecht

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deutig sind, handelt es sich bei ihnen häufig nur um Indizien, die kein sicheres Ergebnis verbürgen. Die geringsten Schwierigkeiten bereiten diejenigen Verwaltungsakte, die durch Zeichen verlautbart werden. Insbesondere bei den Verkehrszeichen, die nach h. M. als Verwaltungsakte anzusehen sind83, ist der Regelungsgehalt nicht zweifelhaft, weil das Straßenverkehrsrecht Normen bereithält, die den Sinn jener Zeichen erklären. Auch andere Zeichen, wie Handzeichen, können die äußere Form eines Verwaltungsaktes bilden. Fehlt es an graphischen, optischen, akustischen oder körperlichen Zeichen, kann dennoch ein konkludentes Verhalten der Behörde das äußere Gewand einer verbindlichen Entscheidung darstellen. Dies ist der Fall, wenn die behördliche Tätigkeit von dem Willen zur verbindlichen Entscheidung begleitet wird und Tatsachen diesen Willen schlüssig belegen. So soll die widerspruchslose Annahme einer Lohnsummensteuererklärung durch eine Gemeinde eine konkludente Handlung sein, die sich als Verwaltungsakt qualifizieren läßt84 • Das bloße Schweigen einer Behörde kann jedoch kein Indiz für einen Verwaltungsakt sein. Wird die schweigende Passivität allerdings von sonstigen behördenexternen Umständen begleitet, die eine Entscheidung der Behörde erkennen lassen, kann ausnahmsweise auch ein stillschweigender Verwaltungsakt anerkannt werden. Nach dem bisher Gesagten lassen sich also bei den Verwaltungsakten, die der dritten Fallgruppe des § 37 Abs.2 S.l VwVfG zuzurechnen sind, drei Arten unterscheiden: der Verwaltungsakt durch Zeichen, der Verwaltungsakt kraft konkludenten Verhaltens und der stillschweigende Verwaltungs akt. Die gelegentliche Gleichsetzung des "konkludenten" und des "stillschweigenden" Verwaltungsaktes85 ist nicht zweckmäßig, weil beim Verwaltungsakt kraft konkludenten Verhaltens die Behörde keineswegs geschwiegen haben muß; sie übt nur insofern Schweigsamkeit, als sie keinen schriftlichen oder mündlichen Verwaltungsakt erläßt. Neben den drei erwähnten Formen "in anderer Weise" erlassener Verwaltungsakte ist kein Raum mehr für einen sogenannten fingierten Verwaltungsakt. Darunter wird eine rechtliche Konstruktion verstanden, kraft deren auch dann, wenn die begrifflichen Voraussetzungen des § 35 S.l VwVfG nicht erfüllt sind, ein Verwaltungsakt angenommen werden kann. So hat das Kammergericht86 erwogen, ob in der Nicht83 Vgl. BVerwG, DÖV 1980, 308 sowie zuletzt Zimmer, Das mißverstandene Verkehrszeichen, DÖV 1980, 116. 84 BVerwGE 19, 68. 85 Vgl. z. B. Badura, Verwaltungsverfahren, S.205. 86 Wirtschaft und Wettbewerb 1980, S.212, 213. Vgl. auch BVerwGE 12,

87,92.

3 Randelzhofer/Wilke

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H. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

ausübung des der Kartellbehörde in § 3 Abs. 3 GWB eingeräumten Widerspruchsrechts ein fingierter Verwaltungsakt zu sehen sei. Lediglich der Gesetzgeber hat die Befugnis, sich über § 35 VwVfG hinwegzusetzen und die Rechtsfigur des fingierten Verwaltungsaktes vorzusehen, wie dies z. B. in § 19 Abs. 3 S. 6 BBauG (Teilungsgenehmigung) geschehen ist und früher in § 19 Abs.4 S.3 BBauG a. F. (Bodenverkehrsgenehmigung) der Fall war87 . Schwierigkeiten treten bei der Einordnung der einzelnen Verwaltungsaktstypen auf, weil in der Literatur des weiteren der durch "schweigendes Dulden" bekundete Verwaltungsakt erwähnt wird88 . Er soll vorliegen, wenn aus dem schweigenden Dulden "unter den obwaltenden Umständen sicher ·auf den Willen der Behörde geschlossen werden kann"89. Die Klassifizierung dieses Verwaltungsakts setzt voraus, daß der Begriff des "Duldens" geklärt wird. Die Duldung ist eine besondere Form der Unterlassung 90 . Während die Unterlassung, die etwa in § 194 Abs. 1 und § 241 S. 2 BGB genannt wird, sich normalerweise im Nichthandeln erschöpft, ist die Duldung (das Dulden) ein spezielles Nichtstun, das durch Passivität gegenüber solchen fremden Handlungen gekennzeichnet ist, gegen die Widerstand naheliegt. Der z. B. gemäß § 906 Abs.2 S.2 und § 1004 Abs.2 BGB zur Duldung Verpflichtete darf nichts gegen Handlungen eines anderen unternehmen. Das Dulden ist also ein "Unterlassen von Widerspruch oder Entgegenhandeln"91 und wird durch die Hinnahme fremder Aktivität gekennzeichnet. Diese an Hand des Privatrechts gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auch im Verwaltungs recht verwerten. Das - möglicherweise als Verwaltungsakt zu qualifizierende - Dulden einer Behörde besteht darin, daß sie Personen bei bestimmten Tätigkeiten gewähren läßt, obwohl eine Intervention denkbar oder gar angebracht wäre. Die Behörde übt also nicht bloße Passivität wie im Falle des normalen Unterlassens, sondern verhält sich gegenüber Maßnahmen Privater passiv, die diese im Zuständigkeitsbereich der Behörde ergreifen. Im allgemeinen werden genehmigungsbedürftige Handlungen Gegenstand des Duldens sein, die ohne einen förmlichen - schriftlichen oder mündlichen Verwaltungsakt begonnen werden. Die Untätigkeit der Behörde ist kein 87 Zutreffend bezeichnet daher Kopp, Anm. 4 zu § 37 VwVfG, als fingierte Verwaltungsakte "bei Vorliegen bestimmter Umstände kraft Gesetzes als ergangen geltende" Verwaltungsakte (Hervorhebung nicht im Original). 88 Vgl. Wolff/Bachof, VerwR I, § 50 H C 2 (S.418). 89 Ebd. 90 Vgl. Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 40. Aufl. 1981, § 241 Anm.4. 81 Heinrichs, in: Palandt, BGB, ebd.

3. Form des Verwaltungsakts

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bloßes Unterlassen, sondern ein Dulden, weil sie dem Tun nicht entgegentritt, obwohl sie dies könnte, z. B. durch den Hinweis auf das Genehmigungserfordernis oder gar durch ein Verbot. Ob eine derartige Duldung als Verwaltungsakt, z. B. als nachträgliche Genehmigung, anzusehen ist, bemißt sich danach, ob der Wille der Behörde zur verbindlichen Entscheidung aus vorhandenen Tatsachen entnommen werden kann. Ergeben sich solche Tatsachen aus dem Verhalten der Behörde selbst, handelt es sich um einen konkludenten Verwaltungsakt im oben beschriebenen Sinne. Das schlüssige, auf den Willen zur Entscheidung hindeutende Verhalten, das aktive Dulden also, kann etwa darin bestehen, daß die Behörde in ihren Partnern den Eindruck erweckt oder bestärkt, daß deren Tätigkeit legal sei. Sind derartige oder ähnliche Umstände nicht erkennbar, kann die Rechtsfigur des stillschweigenden Verwaltungsaktes in Betracht kommen. Doch wird die Annahme eines Verwaltungsakts im Falle des passiven Duldens eine seltene Ausnahme sein. Dem Verwaltungsakt durch stillschweigendes Dulden kommt somit keine eigenständige Bedeutung zu. Als aktives Dulden gehört er zur Kategorie des konkludenten Verwaltungsakts, als passives Dulden zur Kategorie des stillschweigenden Verwaltungsaktes. 3. Die Form des Verwaltungsakts im Spiegel der Rechtsprechung An Hand einschlägiger Gerichtsentscheidungen soll nunmehr untersucht werden, ob das soeben dargestellte Schema, das der Einteilung der "in anderer Weise" erlassenen Verwaltungsakte dient, der Verwaltungswirklichkeit angemessen ist. Der Bundesgerichtshof92 hält eine "stillschweigende Erlaubniserteilung der Wegepolizeibehörde" , auf Grund deren ein Marktplatz für einen Rathausneubau in Anspruch genommen wurde, für möglich; der Sachverhalt ergibt indes keinen Aufschluß darüber, auf welche Tatsachen die Annahme eines derartigen Verwaltungsaktes hätte gestützt werden können. Deshalb läßt sich auch nicht sagen, ob das Gericht einen konkludenten oder (wirklich) einen stillschweigenden Verwaltungsakt meinte. Immerhin wird in dieser Entscheidung anerkannt, daß es nicht nur eine "ausdrückliche Erlaubniserteilung" geben kann. In einem im Bereich des Wasserrechts ergangenen Urteil hat der Bundesgerichtshof93 den Anschein erweckt, als erkenne er einen Verwaltungsakt kraft Duldung an. Dem Kläger, der eine Fischzucht betrieb, 92

ua 3'

LM Art. 14 GrundG Nr. 76 (BI. 3). BGHZ 55, 180, 187 (Hervorhebungen nicht im Original).

H. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

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wurde in einer Verfügung mitgeteilt, daß er einer wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung bedürfe; die Fischzucht wurde dem Kläger jedoch nicht verboten. Die Wasserbehörde "erteilte dem Kläger nur die Auflage, weitere Arbeiten einzustellen und ein Gesuch um Erteilung der Erlaubnis einzureichen". über das Gesuch des Klägers wurde jedoch nicht entschieden. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes brachte die Behörde "damit" zum Ausdruck, daß sie die Tätigkeit des Klägers "einstweilen bis zur Entscheidung über das Gesuch stillschweigend duldete". Das Gericht fährt sodann fort: "Es spricht viel dafür, daß darin die formlose, vorübergehende widerrufliche Erlaubnis für die Wassernutzung des Klägers lag ... ". Diese Wendung ist deshalb unklar, weil sie nicht genau erkennen läßt, "worin" die formlose Erlaubnis zu sehen sein soll: in der Auflage oder in der auf dieser beruhenden Duldung. Wie man auch die Ausführungen des Gerichts deuten mag, so kommt doch den positiven Maßnahmen der Behörde, der Verfügung nebst der Auflage, mindestens die Bedeutung zu, daß sie zusammen mit der passiven Duldung die Voraussetzungen der Erlaubnis erfüllten. Denkbar wäre es aber auch, die Duldung lediglich als faktische Folge der Erlaubnis anzusehen. Auf keinen Fall aber kann dem Urteil entnommen werden, daß die Duldung allein einen Verwaltungsakt darstellte. Es handelt sich hier somit um einen Fall des Verwaltungsakts kraft konkludenten Verhaltens. Das Bundesverwaltungsgericht94 hatte sich in dem bekannten Endiviensalat-Fall mit dem Problem der Form von Verwaltungsakten zu befassen. Ein Oberbürgermeister hatte während einer Pressekonferenz zu Unrecht verkündet, das Innenministerium habe ein Verkaufsverbot verhängt. Ein anwesender Beamter des Innenministeriums, der die Befugnis hatte zu veranlassen, was er für richtig hielt, widersprach der Bekanntgabe des Verkaufsverbotes nicht. Sein Schweigen mußte nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts als Zustimmung angesehen werden, so daß dem Innenministerium ein - in Wahrheit nicht erlassener - Verwaltungsakt zugerechnet wurde. In diesem Fall wurde also ein stillschweigender Verwaltungsakt anerkannt. Die den Verwaltungsakt begründenden Merkmale wurden, wie es diesem Typus von Verwaltungsakten entspricht, nicht dem Verhalten der Behörde, sondern der Tätigkeit Dritter entnommen. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht95 bejahte das Vorliegen einer "stillschweigenden Genehmigung" der Benutzung eines Vorgartens, der zweckwidrig als Lagerplatz Verwendung gefunden hatte. Zwar könne "aus einem Schweigen der Behörde nicht ohne weiteres auf eine Genehmigung geschlossen werden"; es lägen "jedoch besondere Umstände vor, die eine abu. BVerwGE 12, 87. 85

VerwRspr.7, 453, 455 ff.

4. Vermutung und Bestimmtheit des Verwaltungs akts

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weichende Beurteilung gebieten". Die zuständige Behörde hatte nämlich ,,19 Jahre geduldet, daß die Kläger auf dem für den Vorgarten in Betracht kommenden Gelände Holz für ihren genehmigten Gewerbebetrieb gelagert haben". Deshalb könne dem "Schweigen nur die Bedeutung beigelegt werden, daß sie (sc. die Behörde) eine ,Benutzung des Vorgartens zu anderen Zwecken als zur gartenmäßigen Ausnutzung' gestattet hat". Da die Behörde außer ihrem Schweigen keine anderen Aktivitäten entfaltet hatte, aus denen positiv eine Zustimmung zu der baurechtswidrigen Nutzung hätte entnommen werden können, handelt es sich auch in diesem Fall um einen stillschweigenden Verwaltungsakt. Anders ist die Rechtslage bei der Gewährung kommunaler Leistungen. Die Zulassung zur Benutzung kann nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Münster 96 "durch VA - häufig auch konkludent durch Duldung der Inanspruchnahme -" geschehen. Die Bejahung eines konkludenten Verwaltungs akts in Fällen dieser Art ist korrekt, weil die Gemeinde die Nutzung ihrer Einrichtungen nicht nur passiv hinnimmt, sondern aktiv tätig werden muß, damit der Empfänger in den Genuß der beanspruchten Leistungen gelangt. Die geschilderten Beispiele zeigen, daß - trotz terminologischer Schwankungen - den gerichtlichen Entscheidungen und der Verwaltungspraxis das oben dargestellte Schema "in anderer Weise" erlassener Verwaltungsakte zugrunde liegt. Im folgenden ist daher zu erörtern, ob Verwaltungsakte der genannten Art erlassen worden sind. 4. Vermutung und Bestimmtheit des Verwaltungsakts Kommt der Behörde ein Sachverhalt zur Kenntnis, der, um rechtmäßig zu sein, ihrer Genehmigung bedarf, und schreitet sie gleichwohl nicht ein, so begründet ihr Verhalten eine Vermutung dafür, daß sie ihn genehmigt97 • Diese Vermutung wird jedoch erst dann zur Gewißheit, d. h. die Genehmigung ist nur dann wirklich erteilt, wenn die Behörde ihr Einverständnis mit der Sachlage irgendwie zu erkennen gibt (konkludenter Verwaltungsakt) oder sich ein derartiges Einverständnis aus behördenexternen Umständen ableiten läßt (stillschweigender Verwaltungsakt). Kann der Verwaltungsakt auch formlos und konkludent oder gar stillschweigend ergehen, so darf er doch nicht der Bestimmtheit, der Eindeutigkeit ermangeln. Dies bedeutet, daß für die Beteiligten, insbesondere den Adressaten, die Regelung, die den Zweck, Sinn und Inva V7

OVGE 24, 175 (177). SO Forsthoff, S. 218.

H. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

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halt des Verwaltungsaktes ausmacht, so klar und unzweideutig erkennbar sein muß, daß sie ihr Verhalten danach richten können. Insbesondere muß erkennbar sein, auf welchen Sachverhalt sich der Verwaltungsakt bezieht, von wem etwas verlangt bzw. wem etwas gewährt oder versagt wird. 5. Die Regelung des Wasserremts Spricht schon das allgemeine Verwaltungsrecht dafür, daß die Erlaubnis nach § 7 WHG auch konkludent oder stillschweigend erteilt werden kann, so verstärkt sich dieser Befund durch die spezifischen Regelungen des Wasserrechts. Das WHG hat nämlich die Rechtsinstitute der Erlaubnis und der Bewilligung (§ 8 WHG) unterschiedlich ausgestaltet, indem es für die Erteilung der Bewilligung ein förmliches Verfahren vorschreibt (§ 9 WHG). Wenngleich das WHG selbst nicht erklärt, was darunter zu verstehen sein so1l98, so liegt doch schon wegen des Wortlauts die Annahme nahe, daß die Bewilligung nur in schriftlicher Form ergehen kann. Die Rechtslage ist überdies heute eindeutig geklärt, weil alle Verwaltungsakte, die förmliche Verwaltungsverfahren abschließen, schriftlich zu erlassen sind99. Demgegenüber ist im WHG oder im VwVfG die Schriftform für die Erlaubnis nicht vorgesehen. Daher bleibt es für diese Art der Genehmigung bei dem sich aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht ergebenden Grundsatz, wonach ein Verwaltungsakt auch konkludent oder stillschweigend ergehen kann. Allerdings wird dieses Prinzip von mehreren Landeswassergesetzen durchbrochen, die auch die Erteilung einer Erlaubnis dem förmlichen Verwaltungsverfahren überweisen und damit der Schriftform unterwerfen100 ; andere Wassergesetze begnügen sich damit, eine bestimmte Form anzuordnen101 • Soweit derartige Sonderregelungen aber nicht vorhanden sind, gilt das eingangs genannte Prinzip102. Ganz in diesem Sinne geht denn auch der BGH103 , wie auch das OLG Stuttgart in der vorinstanzlichen Entscheidung, von der Möglichkeit der konkludenten oder stillschweigenden Erteilung der Erlaubnis Vgl. Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 2 zu § 9 WHG. § 69 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 i. V. m. § 63 Abs. 1 u. 2 VwVfG. 100 Vgl. § 86 Abs. 1 Nr.2 Bln.Wassergesetz v. 23.2. 1960 (GVBl. S. 133). 101 Vgl. § 108 Abs.4 Bad.-Württ.Wassergesetz i. d. F. v. 26.4.1976 (GBl. S.369): Erteilung einer Urkunde; Art.80 Abs.1 Bay.Wassergesetz i. d. F. v. 7.3.1975 (GVBl. S.39): schriftlicher Bescheid; § 95 Abs.1 Hess.Wassergesetz i. d. F. v. 12.5. 1981 (GVBl. I S. 154): Schriftform (nicht zweifelsfrei demgegenüber § 96 Hess.Wassergesetz v. 6.7.1960 [GVBl. S. 69]). 102 Vgl. hierzu Hill, Gew.Arch. 1981, 155, 156 f. lOS BGHZ 55, 180, 187. 88

88

5. Die Regelung des Wasserrechts

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nach § 7 WHG aus: Die Behörde hatte über einen Erlaubnisantrag nicht mehr entschieden. Da sie die Sachlage genau kannte, sieht der BGH darin den Willen der Behörde, die bisherige Wassernutzung bis zur Entscheidung über das Gesuch stillschweigend zu dulden. Diese Duldung sieht das Gericht als ausreichende Grundlage für einen Anspruch aus § 22 WHG an: Obgleich es für die eigentliche Entscheidung darauf nicht mehr ankam, bemerkte der BGH in einem obiter dictum, daß vieles dafür spreche, in dieser Duldung die formlose Erlaubnis für die Wassernutzung zu sehen. Wenn auch für die Entscheidung nicht von ausschlaggebender Bedeutung, hat diese Aussage doch ihre volle und uneingeschränkte Bedeutung dafür, daß der BGH die Möglichkeit einer konkludenten oder stillschweigenden Erteilung der Erlaubnis für gegebenerach tet104• Diese Ansicht vertritt auch das OLG Hamm105 • Es führt aus: "Das WHG enthält keinerlei Vorschriften über ein Erlaubnisverfahren. Die behördliche Erlaubnis für eine Benutzungsbefugnis nach § 7 WHG kann daher - im Unterschied zu der förmlichen Bewilligung nach § 8 WHG - formlos erteilt werden". Das ist auch die ganz überwiegende Auffassung im wasserrechtlichen Schrifttum. So geht Steindorf06 davon aus, daß in der Duldung einer Gewässerbenutzung durch die Behörde eine formlose Erlaubnis nach § 7 WHG liegen kann, die die Gewässerbenutzung befugt i. S. von § 38 WHG macht. Wernicke107 würdigt einen Sachverhalt, in dem eine nicht erlaubte Gewässerbenutzung von der Behörde nicht untersagt wurde, vielmehr sonstige Anordnungen bezüglich dieser Gewässerbenutzung erfolgten, dahingehend, daß in einer Anordnung an einen Gewässerbenutzer, der keine wasserrechtliche Genehmigung besitze, eine formlose Erlaubnis der Gewässerbenutzung zu sehen sei und damit eine Befugnis zur Einleitung. Auch an anderer Stelle spricht er davon108 , daß die Duldung durch die zuständige Wasserbehörde eine formlose Erlaubnis darstellen könne. Auch Sieder/Zeitler/Dahme109 stellen fest, daß - soweit landesrechtlich nichts anderes vorgeschrieben sei - eine Erlaubnis formlos erteilt werden könne, auch wenn sich die Schriftform empfehle. 104 Zu Unrecht nehmen Gieseke!Wiedemann!Czychowski, Rdn. 15 zu § 7 WHG daher an, daß diese Entscheidung, "nicht im Widerspruch stehen dürfte" mit ihrer gegenteiligen Ansicht, wonach eine Erlaubnis nicht formlos erteilt werden kann. 105 106 107

1224. 108 108

ZfW 1974, 315, 317. Anm. 10 zu § 38 WHG.

Verantwortung für die Verschmutzung von Gewässern, NJW 1976, 1223, Wernicke, NJW 1977, 1662, 1664. Rdn. 10 zu § 7 WHG.

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H. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

Herrmann l10 nimmt eine formlose Erlaubnis "vor allem dann an, wenn eine Behörde mit einem Betrieb Besprechungen über geeignete Umweltschutzmaßnahmen führt oder wenn es zu mündlichen oder schriftlichen Absprachen hierüber gekommen ist". Die demgegenüber von Gieseke/Wiedemann/Czychowski111 ins Feld geführten Argumente gegen die Möglichkeit einer formlosen Erlaubnis sind nicht durchschlagend. Da die Gewässerbenutzung in der Erlaubnis hinreichend bestimmt sein muß, könne sie nicht formlos erteilt werden. Ein schriftlicher Erlaß sei schon deshalb erforderlich, weil die Erlaubnis nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 WHG einzutragen ist und die Grundlage für die überwachung (§ 21 WHG) bildet. Es soll nicht bestritten werden, daß unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit der Benutzung die schriftliche Erlaubnis vorzuziehen ist. Hat die Behörde eine hinreichend genaue Kenntnis der tatsächlichen Gewässerbenutzung und erlaubt sie diese formlos durch konkludentes Handeln, indem sie die Gewässerbenutzung duldet, dann ist die Erlaubnis durch tatsächlich erfolgende Gewässerbenutzung hinreichend bestimmt. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Bestimmtheitsgebot verlangt nicht, daß staatliches Handeln in optimaler Weise bestimmt ist, sondern nur, daß es hinreichend bestimmt ist. Das kann aber auch bei einer, in der Duldung eines tatsächlichen Zustandes zum Ausdruck kommenden, formlosen Erlaubnis der Fall sein. Auch aus § 37 Abs.2 Nr.1 WHG ergibt sich kein Ausschluß der konkludenten oder stillschweigenden Erlaubnis. Es ist ohne weiteres möglich, den Inhalt einer formlos erteilten Erlaubnis dergestalt im Wasserbuch kenntlich zu machen, daß die von der Behörde geduldete tatsächliche Gewässerbenutzung exakt beschrieben wird.

6. Konkludente Erlaubnis? Entsprechend den bisherigen Ausführungen ist festzustellen, daß die Erlaubnis nach § 7 WHG konkludent erteilt werden kann. Noch nicht ZStrW 1979, 281, 300. Rdn. 15 zu § 7 WHG. Im selben Sinne Wiedemann, ZfW 1974, 319. Zu Unrecht wird an beiden Stellen Satzwedet, ZfW 1974, 280 für die Ansicht zitiert, eine formlose Erlaubnis sei nicht möglich. Tatsächlich heißt es bei Salzwedel: "Auch die konkludente Zustimmung der Wasserbehörde durch langjährige Duldung eines bestimmten Zustandes kann nicht ohne weiteres (Hervorhebung von uns!) als Erlaubnis für die Einleitung oder Genehmigung der Abwasseranlage gelten." Daraus ergibt sich gerade, daß auch Salzwedel die formlose Erteilung einer Erlaubnis grds. für möglich hält. Zu Unrecht wird auch das OVG Koblenz, ZfW 1975, 104, 106 für diese Ansicht in Anspruch genommen. Dort wird nur - zu Recht - verneint, daß in der Baugenehmigung zugleich eine wasserrechtliche Erlaubnis enthalten ist. Mit keinem Wort wird die Möglichkeit einer formlosen Erlaubnis nach § 7 WHG verneint. Gegen die Möglichkeit einer formlosen Erlaubnis auch Hitz, Gew.Arch. 1981, 157. 110

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6. Konkludente Erlaubnis?

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erwiesen ist aber, daß im vorliegenden Fall eine solche konkludente Erlaubnis auch erteilt worden ist. Eine stillschweigende Erlaubnis scheidet nach Lage der Dinge aus, da die Behörde nicht in Passivität verharrt ist, sondern durch mannigfaltige Aktivitäten gegenüber dem Unternehmen tätig geworden ist. Unstreitig ist, daß die Behörde die Gewässerbenutzung genau kannte. Diese Kenntnis hatte sie nicht nur auf Grund der eingereichten Erlaubnis- und Bewilligungsanträge, über die niemals entschieden wurde, sondern auch aus vielfältigen einschlägigen Kontakten mit dem Unternehmen. Die Behörde hat diese Gewässerbenutzung auch geduldet, wie sich ihrem Verhalten ohne weiteres entnehmen läßt. Ob die Annahme einer konkludent erteilten Erlaubnis am Fehlen eines dahingehenden Willens der Behörde scheitert, ist zweifelhaft. Wie oben112 ausgeführt wurde, begründet ein solcher Sachverhalt wie der geschilderte eine Vermutung für eine konkludente Erlaubnis. Zur Gewißheit wird eine solche Vermutung aber nur, wenn ein entsprechender Wille der Behörde nachgewiesen werden kann. Generell gilt, daß bei der Annahme konkludent und stillschweigend erlassener Verwaltungsakte große Vorsicht geboten ist. Es ist nicht zulässig, auf diesem Wege der Verwaltung Entscheidungen zu unterschieben, die sie in Wirklichkeit nicht hat treffen wollen113 • Eine Entscheidung darüber, ob im Verhalten der Behörde eine konkludente Erlaubniserteilung gesehen werden kann, ist vor dem Hintergrund des geschilderten Falles nicht abschließend möglich. Dieser Sachverhalt ist ein Konzentrat aus der Vielfalt praktischer Fälle, ohne daß die jeweiligen Besonderheiten in ihn hätten aufgenommen werden können. Erst diese Besonderheiten erlauben es definitiv, die Frage nach dem Vorliegen einer konkludenten Erlaubnis zu beantworten. Es wird Fallgestaltungen geben, in denen die aktive Duldung der Behörde als eine konkludente Erlaubniserteilung angesehen werden kann. Sicher aber wird es ebenso Konstellationen geben, in denen dies nicht angenommen werden kannl14 • In den Fällen der zuletzt genannten Art ist aber die aktive Duldung unter Umständen geeignet, unter einem anderen Aspekt das Merkmal "unbefugt" in § 38 WHG und § 324 StGB auszuschließen. Dem wird unter IV weiter nachgegangen. 112 Vgl. S. 37 f. ua So zu Recht Forsthoff, S. 218. 114 Siehe Forsthoff, S.218: "Die Tatsache allein, daß eine Verwaltungsbehörde gegen einen Zustand nicht einschreitet, läßt zunächst nur den Schluß zu, daß sie ihn derzeit dulden will; man kann daraus jedoch nicht ohne weiteres folgern, daß sie ihn auch für alle Zukunft bestehen lassen will."

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H. Konkludente oder stillschweigende Erlaubnis

7. Erlaubnis und Baugenehmigung Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß eine Erteilung einer Erlaubnis nach § 7 WHG nicht in der Erteilung von Baugenehmigungen gesehen werden kann, die dem Unternehmen zwecks Verwirklichung baulicher Vorhaben auf dem Betriebsgelände im Laufe der Jahre erteilt worden sind1l5. Dies gilt selbst dann, wenn sich eine Baugenehmigung auf eine Kläranlage bezieht und aus den Plänen ersichtlich ist, daß aus der Kläranlage in ein Gewässer eingeleitet werden soll1l6. Ebensowenig liegt die konkludente Erlaubnis in der Genehmigung nach § 4 Abs. 1 BlmSchG für eine Anlage, in der Abwässer anfallen1l7 . Letzteres ergibt sich bereits aus § 13 S.1 BlmSchG, der ausdrücklich betont, daß die Genehmigung nach dem BlmSchG Entscheidungen auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften nicht umfaßt, wodurch die prinzipielle Konzentrationswirkung dieser Genehmigung eingeschränkt wird. Für die Baugenehmigung folgt das gleiche Ergebnis daraus, daß die Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art bei der Erteilung einer Baugenehmigung völlig anders gelagert sind als bei der Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis. Ferner verbietet auch der rechtliche Unterschied, der zwischen einer Baugenehmigung und einer wasserrechtlichen Erlaubnis besteht, eine baurechtliche Genehmigung in eine wasserrechtliche Erlaubnis zu erweitern oder umzudeuten. Während auf die Baugenehmigung ein Rechtsanspruch besteht, wenn dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, ist dies bei der wasserrechtlichen Erlaubnis nicht der Fall; es steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, ob sie die Erlaubnis erteilt1l8. Diese allgemeinen Erwägungen werden durch die Regelungen in den Landesbauordnungen bestätigt. Danach läßt eine Baugenehmigung "auf Grund anderer Vorschriften bestehende Verpflichtungen zum Einholen von Genehmigungen, Bewilligungen, Erlaubnissen und Zustimmungen ... unberührt"1l9. Der Baugenehmigung kommt also keine - weitere 115 Den umgekehrten Fall regelt § 17 Hess.Wassergesetz: Die wasserrechtliche Erlaubnis schließt die Baugenehmigung ein. 118 Vgl. OVG Koblenz, ZfW 1975, 104, 106; Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn. 10 zu §7 WHG. 117 Vgl. R. Müller, Strafverfolgung der Vergehen gegen das Bundeswasserhaushaltsgesetz, NJW 1964, 1351 f., dessen Ausführungen sich noch auf § 16 GewO bezogen, an dessen Stelle heute die Regelungen des BlmSchG getreten sind. 118 Vgl. zum Vorstehenden OVG Koblenz, S. 106 f.; BVerwG, DVBl. 1979, 67, 69; Löhr, DVBI. 1979,70,72 f. 119 Vgl. § 96 Abs. 6 S. 2 Hess.Bauordnung i. d. F. v. 16. 12. 1977 (GVBl. I 1978 s. 1); § 88 Abs.6 S.2 NW Bauordnung i. d. F. v. 27.1.1970 (GVBl. S.96).

7. Erlaubnis und Baugenehmigung

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Genehmigung umfassende - Konzentrationswirkung zu. Daran ändert auch die in fast allen Bauordnungen enthaltene Klausel nichts, wonach die Baugenehmigung zu erteilen ist, "wenn das Vorhaben den öffentlichrechtlichen Vorschriften entspricht"120. Diese Vorschrift ermächtigt die Bauaufsichtsbehörde lediglich, das gesamte öffentliche Recht als Prüfungsmaßstab zu verwenden, gibt ihr aber nicht die Befugnis, mit verbindlicher Wirkung in den Zuständigkeitsbereich anderer Behörden einzugreifen.

1:0 Vgl. § 89 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 BIn.Bauordnung v. 29. 7. 1966 (GVBl. S.1175); abweichend § 75 Abs.1 Nds.Bauordnung v. 23.7.1973 (GVBl. S.259): "wenn ... die bauliche Anlage dem öffentlichen Baurecht entspricht."

III. Notstand 1. Rechtfertigender Notstand oben121

Wie bereits ausgeführt, zählt zu den Rechtfertigungsgründen, die der nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften das Merkmal des Unbefugten nehmen, auch der Notstand. Völlig unbestritten ist dies seit der Neufassung des § 38 WHG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes. In den Kommentaren zum WHG und in den Entscheidungen der Gerichte wird durchgehend auf die amtliche Begründung zur Neufassung des § 38 WHGl22 Bezug genommen, in der der Notstand als Rechtfertigungsgrund genannt wird. Aber auch für die Zeit davor wurde der Notstand ganz überwiegend als Rechtfertigungsgrund anerkanntl23 • Dabei handelt es sich nicht um den entschuldigenden Notstand nach § 35 StGB, bei dem als notstandsfähige Rechtsgüter nur Leben, Leib und Freiheit anerkannt sind, sondern um den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB. Diese durch das 2. Gesetz zur Reform des Strafrechts eingefügte Vorschrift stellt eine gesetzliche Fixierung des zuvor gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrundes des übergesetzlichen Notstandes darl24 • Im Gegensatz zum Notstand nach § 35 StGB ist hier jedes Rechtsgut notstandsfähig125. 2. Geschützte Rechtsgüter So ist in Rechtsprechungl26 und Literatur127 auch anerkannt, daß die Aufrechterhaltung der Produktion und die Erhaltung von Arbeitsplätzen notstandsfähige Rechtsgüter i. S. des § 34 StGB sind. S.22'. BT-Dr.7/888, S.22. 123 Siehe z. B. Müller, NJW 1964, 1351, 1353; OLG Hamm, NJW 1952, 838; Bay OLG, NJW 1956, 1602, 1603, BGH, U. v. 13. 3. 1975 - 4 StR 28/75 -, wiedergegeben bei Dallinger, MDR 1975, 723. Das Urteil ist auch abgedruckt bei Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, Anhang Nr. 4. 124 Siehe Schönke/Schröder/Lenckner, Strafgesetzbuch, Kommentar, 20. Auflage 1980, Rdn. 2 zu § 34. Zumindest mißverständlich Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 14 zu § 38 WHG, wo davon die Rede ist, daß das Merkmal "unbefugt" durch rechtfertigenden Notstand oder durch übergesetzlichen Notstand ausgeschlossen werde. Damit entsteht der Eindruck, als handele es sich um zwei verschiedene Notstandstatbestände, während es in Wahrheit ein und derselbe ist. 125 Siehe statt aller Schönke/Schröder/Lenckner, Rdn. 9 zu § 34 StGB. 121

122

2. Geschützte Rechtsgüter

45

Im Ergebnis wird dann freilich häufig das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes verneint, da der Reinhaltung des Gewässers der Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen zukomme. a) So hat z. B. die StA Mannheim l28 folgende Ausführungen gemacht und sich dabei auf eine Entscheidung des BGHl29 berufen. Sie seien ihrer Verbreitung wegen, die sie in Judikatur und Literatur gefunden haben, in den wesentlichen Passagen wiedergegeben: "Die Sicherung der Arbeitsplätze sowie die Aufrechterhaltung der Produktion dürfen selbst im Hinblick darauf, daß die Gemeinschaft von der Leistungsfähigkeit der Industrie lebt, nicht dazu führen, daß anwohnende Bürger Körperverletzungen oder die Allgemeinheit Verschmutzung der Flüsse hinnehmen müssen ... Eine solche Gefahr (der Produktionseinstellung) rechtfertigt es aber bei Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht, die Gesundheit der Anwohner oder die ernsthafte Gefährdung von Gewässern aufs Spiel zu setzen. Wenn die Rangordnung der Rechtsgüter in einer pluralistischen Gesellschaft auch auf Schwierigkeiten stößt, so geben doch die Reihenfolge der in § 34 StGB genannten Rechtsgüter einen Anhaltspunkt, desgleichen die Grade des strafrechtlichen Schutzes, die ihren Ausdruck in den Strafdrohungen finden. Um die Produktion aufrechterhalten zu können und damit die Arbeitsplätze zu sichern, darf nicht eine Gesundheitsschädigung oder eine schwerwiegende Gefährdung eines Gewässers als Mittel zur Abwehr der Gefahr eingesetzt werden." b) Der erste Satz dieser Ausführungen wird wörtlich übernommen

im Urteil des OLG Stuttgart vom 12. 4. 76130 • Dort verneint das Gericht

das Eingreifen des rechtfertigenden Notstandes noch mit dem zusätzlichen Argument, daß unter den gegebenen Umständen die Einleitung der industriellen Abwässer kein angemessenes Mittel i. S. von § 34 Satz 2 StGB131 war, um den Betrieb bzw. die Arbeitsplätze zu erhalten. Denn durch dieses - über die reine Interessenabwägung zusätzlich zu beach126 z. B. BGH, b. Dallinger, MDR 1975, 723; Bay OLG, NJW 1956, 1602; OLG Köln, NJW 1953, 1844; OLG Hamm, NJW 1952, 838; OLG Stuttgart, ZfW 1976, 378, 381; dasselbe, ZfW 1977, 118, 124; dasselbe, ZfW 1977, 177, 182; OLG Karlsruhe, BWVPr, 1980, 36, 37; siehe auch StA Mannheim, NJW 1976, 585, 586. 127 Schönke/Schröder/Lenckner, Rdn. 9 zu § 34 StGB; Dreher, Strafgesetzbuch, 18. Auflage 1976, Anm.2 zu § 34; Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn. 22 zu § 38 WHG; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 14 zu § 38 WHG; MüHer, NJW 1964, 1351, 1353; Lackner, Anm. Sb zu §324 StGB. 128 NJW 1976, 585, 586; wieder abgedruckt bei Just-Dahlmann, S. 85 ff. 129 Vgl.oben S. 44 Fn. 123. 130 ZfW 1976, 378, 381. 131 § 34 Satz 2 StGB: "Dies (das rechtfertigende Eingreifen des Notstandes) gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden."

III. Notstand

46

tende - Angemessenheitskorrektiv hinaus soll eine Rechtfertigung nur dann ermöglicht werden, wenn das Verhalten des Notstandstäters auch nach den Wertvorstellungen der Allgemeinheit als eine sachgemäße und dem Recht entsprechende Lösung der Konfliktslageerscheint ... An der Angemessenheit der Notstandshaltung fehlt es aber regelmäßig dann, wenn der Täter sich ohne berechtigten Anlaß in eine konkrete Konfliktsituation begeben und dabei vorausgesehen hat, daß eine Beseitigung der Gefahr nur durch Verletzung fremder Interessen möglich ist. Auf der Grundlage dieser Überlegungen versagte das Gericht dem Angeklagten die Berufung auf § 34 StGB, denn "er hat die Unzulänglichkeit der im Jahre 1966 in Betrieb genommenen Abwässerreinigungsanlage von Anfang gekannt und trotz ständiger behördlicher Beanstandungen über Jahre hinweg keinerlei wirksame Abhilfemaßnahmen unternommen "132. c) Auch in der Literatur haben der dargestellte Einstellungsbeschluß der StA Mannheim und das Urteil des OLG Stuttgart vom 12. 4. 76 nachhaltigen Niederschlag gefunden. So behandelt etwa Gässler133 das Problem des rechtfertigenden Notstandes im Rahmen des § 38 WHG ausschließlich durch auszugsweise Zitierung dieser beiden Entscheidungen.

GieseckelWiedemannlCzychowskil34 berufen sich auf das genannte Urteil des OLG Stuttgart135 mit ihrer Meinung, daß weder betriebliche Vermögensinteressen noch das Allgemeininteresse an der Erhaltung der Arbeitsplätze grundsätzlich höherrangig seien gegenüber dem Interesse an der Reinhaltung der Gewässer. Bezüglich eines drohenden teilweisen Produktionsausfalls wollen sie Notstand als Rechtfertigungsgrund überhaupt nicht eingreifen lassen, ohne daß dies begründet wird. Nicht ganz so rigoros, aber auch zu eng meinen LaufhüttelMöhrenschlager36 : "Insbesondere kann grundsätzlich nicht die Aufrechterhaltung der Produktion und die Erhaltung der Arbeitsplätze als Rechtfertigung für eine sonst unbefugte Gewässerverschmutzung herangezogen werden."

3. Notstand und Einleitung Soweit in den vorstehenden Entscheidungen und Literaturstimmen die Auffassung vertreten oder zumindest der Eindruck erweckt wird, daß OLG Stuttgart, ZfW 1976, 378, 382. Wasserhaushaltsgesetz mit Erläuterungen, 1977, Anm.2.2. zu § 38. 1114 Rdn. 14 zu § 38 WHG. 135 Sie zitieren daneben auch das unten noch zu erörternde Urteil des OLG Stuttgart vom 18. 10. 76, ZfW 1977, 118 ff., jedoch nur insoweit, als es die frühere Entscheidung im Grundsatz bestätigt, nicht jedoch insoweit, als es Einschränkungen dieses Grundsatzes formuliert. 118 ZStrW 1980, 932. 112 133

3. Notstand und Einleitung

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die Einleitung von Industrieabwässem in Gewässer nie oder doch so gut wie nie durch Notstand gerechtfertigt sein könne, da die "Reinhaltung" der Gewässer gegenüber Produktion und Arbeitsplatz das höherrangige Rechtsgut sei, kann einem solchen Ergebnis in seiner Pauschalität nicht gefolgt werden. Die insbesondere im Einstellungsbeschluß der StA Mannheim aufscheinende Gedankenführung entspricht in einigen Punkten nicht dem Maßstab des § 34 StGBl37 • a) Wenn dort der Sicherung der Arbeitsplätze und der Aufrechterhaltung der Produktion die Gesundheit der Bürger als höherwertiges

Rechtsgut entgegengestellt wird, so wird zunächst schon in unzulässiger Weise der Eindruck erweckt, als beeinträchtige jede Gewässerverunreinigung die Gesundheit der Bürger. Das ist aber bei Gewässerverunreinigungen, die von § 38 WHG oder § 324 StGB erfaßt werden, grundsätzlich nicht der Fall. Daß dies nicht die Regel ist, ergibt sich gerade aus der Gegenüberstellung von § 38 und § 39 WHGl38 sowie von § 324 und § 330 StGB139• Die gefährliche Verunreinigung des § 39 WHG oder die schwere Umweltgefährdung des § 330 StGB, deren eine Variante die Gefährdung von Leben und Gesundheit darstellt, ist nur gegeben, wenn zum Grundtatbestand qualifizierende Umstände hinzutreten. Die nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften durch die Einleitungen des Unternehmens erfüllen diese Qualifizierung nicht, wie hier angenommen werden soll.

187 Es muß darauf hingewiesen werden, daß die StA sich auf die Entscheidung des BGH vom 13. 3. 1975 (s. oben S. 44 Fn. 123) nur insoweit berufen kann, als gesagt wird, daß die Aufrechterhaltung der Produktion nicht zu Körperverletzungen der Anwohner führen darf. Nur für diesen Fall hat der BGH die Berufung auf rechtfertigenden Notstand ausgeschlossen. Die zitierten (S.45) Ausführungen bezüglich der Verschrnutzung von Flüssen sind lediglich Wertungen der StA, welche die Berufung auf rechtfertigenden Notstand weitergehend einschränken, als dies beim BGH der Fall ist. Zwar spricht die StA davon, daß die Ausführungen des BGH fallbezogen ergänzt würden, doch läßt sich nicht erkennen, was Wiedergabe der BGH-Entscheidung ist und was Ergänzung durch die StA. Darüber gewinnt man vielmehr erst Klarheit, wenn man die Entscheidung im Original oder wenigstens in der bei Dallinger wiedergegebenen Fassung liest. 138 § 39 WHG i. d. F. v. 16. 10. 1976 (BGBI. I S.3017) lautete, soweit er im vorliegenden Zusammenhang von Belang ist, folgendermaßen: "Gefährdung und Beeinträchtigung durch Verunreinigung (1) Wer durch eine in § 38 Abs. 1 bezeichnete Handlung 1. das Leben oder die Gesundheit eines anderen, eine fremde Sache von bedeutendem Wert, die öffentliche Wasserversorgung ... gefährdet ... , wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft ... 139 § 330 StGB hat die Regelung des § 39 WHG in sich aufgenommen. Der einschlägige Textteil lautet folgendermaßen: "Schwere Umweltgefährdung (1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. eine Tat nach § 324 Abs. 1 . " begeht, ... und dadurch Leib oder Leben eines anderen, fremde Sachen von bedeutendem Wert, die öffentliche Wasserversorgung ... gefährdet ... CI

CI

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III. Notstand

b) Eine unzulässige Verengung liegt auch darin, daß Arbeitsplätze und Produktion nur von der wirtschaftlichen Seite her gesehen werden und daher - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch implizit - allein unter dem materiellen kspekt (Eigentum, Einkommen) gesehen werden. Insbesondere der Arbeitsplatz und seine Sicherung haben aber darüber hinaus eine allgemein soziale, ethische Komponente. Die Arbeit ist nicht nur Mittel zum Geldverdienen, sie ist ein wesentliches Feld der Persönlichkeitsverwirklichung, mitentscheidend sowohl für das Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl des Arbeitenden wie für seine Wertschätzung in der Gesellschaft140• c) Ist es schon tatsächlich schief, das Problem des Notstands auf die

Abwägung zwischen den hohen Werten Leben und Gesundheit und

"bloß" materiellen Werten zu verengen, so ist der zentrale Punkt der Kritik der, daß es dem § 34 StGB nicht gerecht wird, eine reine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen und diese maßgeblich danach zu entscheiden, welches Rechtsgut abstrakt den höheren strafrechtlichen Schutz genießt. Zwar spricht der § 34 StGB auch von der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, doch nur als einen Aspekt der geforderten umfassenderen Abwägung der widerstreitenden Interessen. Mit der Abwägungsklausel des § 34 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung zum früheren übergesetzlichen Notstand jedenfalls verbal vertretene Güterabwägungstheorie durch einen umfassenden Interessenabwägungsgrundsatz ersetzt141 • Damit ist der Einsicht Rechnung getragen, daß das abstrakte Wertverhältnis der im Widerstreit stehenden Rechtsgüter für sich allein noch keine Schlüsse zuläßt, die herkömmliche, an der allgemeinen Rangordnung der Rechtsgüter orientierte Güterabwägung vielmehr immer nur ein Teil einet den konkreten Interessenkonflikt in allen seinen Aspekten umfassenden Gesamtabwägung sein kann. Eine solche Gesamtabwägung zu ermöglichen, ist der Sinn der Abwägungsklausel in § 34- Satz 1 StGB. Daher darf "Interesse" nicht zu eng verstanden werden, da sonst die Interessenabwägung nicht wesentlich über die vom Gesetz selbst als unzulänglich erkannte bloße Güterabwägung hinausführen würde. HO In diesem Sinne auch Herrmann, ZStrW 1979, 286 f., der darüber hinaus zu Recht betont, daß der Gesetzgeber in den neuen Umweltschutzgesetzen "meist flexible Regelungen vorgesehen hat, die es weitgehend den Verwaltungsbehörden überlassen, von Fall zu Fall zu entscheiden, welche Maßnahmen zum Schutz der Umwelt erforderLich und für die Betroffenen tragbar sind". 141 Zutreffend Schönke/Schröder/Lenckner, Rdn. 22 zu § 34 StGB. Die folgenden Ausführungen zum rechtfertigenden Notstand stützen sich auf die gesamte Kommentierung zu § 34 StGB in diesem Werk. Dies ist um so angemessener, als von Lenckner (Der rechtfertigende Notstand, 1965) die maßgebliche Monographie zu diesem Problem stammt.

3. Notstand und Einleitung

49

Die abstrakte Güterabwägung ist der Ausgangspunkt, d. h. von Bedeutung ist zunächst das allgemeine Rangverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter. Diese Güterabwägung schafft aber nur eine Vermutung zugunsten des höherrangigen Rechtsgutes. Entscheidend ist letztlich aber nicht der abstrakte Rang der Rechtsgüter, sondern welches Rechtsgut in der konkreten Lebenssituation schutzwürdiger ist. Neben dem Rang der Rechtsgüter sind als weitere Faktoren etwa zu berücksichtigen142 : (1) Intensität und Umfang des drohenden Schadens einerseits, der erforderlichen Verletzung andererseits; (2) der Grad der kollidierenden Gütern drohenden Gefahren; (3) Entstehung der Notstandslage; (4) Bemühen des Verletzers, die Notstandslage zu beseitigen oder doch zu mildern. Auf der Grundlage dieser umfassenden Gesamtabwägung kann es dann im konkreten Fall dazu kommen, daß die ursprüngliche Vermutung für den Schutz des abstrakt höherrangigen Rechtsgutes widerlegt wird und der Schutz des niederrangigen Rechtsgutes den Vorzug verdient. So können Aufrechterhaltung der Produktion und Sicherung der Arbeitsplätze im Einzelfall durchaus gegenüber der Reinhaltung der Gewässer den Vorzug erhalten. Dies ist auch nicht erst dann der Fall, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Bei richtiger Auslegung des § 34 StGB, d. h. bei Anerkennung der Notwendigkeit einer umfassenden Interessenabwägung, ist dieses Erfordernis des wesentlichen Überwiegens des geschützten Interesses dahingehend zu verstehen, daß das Überwiegen des geschützten Interesses zweifelsfrei festgestellt werden kann143• 14! Siehe im einzelnen Schönke/Schröder/Lenckner, Rdn.26-41 zu § 34 StGB. Wenn in dem genannten Werk (Rdn.23 zu § 34) die Entscheidung der StA Mannheim zustimmend zitiert wird, dann spricht dies nicht gegen die Zulässigkeit, sie gerade auf der Basis der Ausführungen Lenckners zu kritisieren. Die Entscheidung wird dort dahingehend zitiert, daß wirtschaftliche Interessen in der Regel (Hervorhebung von uns) nicht um den Preis der Gefährdung von Leben und Gesundheit anderer verfolgt werden dürfen, es bestehe eine Vermutung - aber auch nicht mehr - für den Vorrang der letztgenannten Rechtsgüter. Wenn die Aussage so zu verstehen wäre, gäbe es keinen Anlaß zu grundsätzlicher Kritik. Auch wenn zuzugeben ist, daß die Entscheidung so verstanden werden kann - die Verwendung des Wortes "Anhaltspunkt" (s. oben S.45) deutet in diese Richtung -, sind wir jedoch der Ansicht, daß die Formulierungen im ganzen und die Entscheidung im konkreten Fall (weitere Kriterien für eine umfassende Interessenabwägung wurden nicht erörtert) so zu verstehen sind, daß allein durch die abstrakte Güterabwägung das Ergebnis dahingehend feststeht, daß Gewässerverunreinigung aus Gründen der Aufrechterhaltung der Produktion und der Sicherung der Arbeitsplätze durch Notstand nicht gerechtfertigt ist. Eine solche Aussage aber steht im Widers.llruch zu der von uns für richtig gehaltenen Auslegung des § 34 StGB durch Lenckner. 143 Siehe Schönke/Schröder/Lenckner, Rdn. 45 zu § 34 StGB.

4 Randelzhofer/Wilke

50

!II. Notstand

4. Rechtsprechung und Literatur Entsprechend der hier vertretenen Auslegung zu § 34 StGB setzte sich in Rechtsprechung und Literatur denn auch die Einsicht durch, daß die Gewässerverunreinigung u. U. zur Aufrechterhaltung der Produktion und der Sicherung der Arbeitsplätze durch Notstand gerechtfertigt sein kann. a) So hat das OLG St'UttgaTt, und zwar derselbe Senat, in einem Urteil vom 18. 10. 1976144,also bereits kurze Zeit nach der oben genannten Entscheidung vom 22. 4. 1976, erklärt, daß Aufrechterhaltung der Produktion und Sicherung der Arbeitsplätze die Verschmutzung öffentlicher Gewässer "regelmäßig" nicht rechtfertige, da weder betriebliche Vermögensinteressen noch das Allgemeininteresse an der Erhaltung von Arbeitsplätzen grundsätzlich als höherwertig gegenüber dem Interesse an der Reinhaltung von Gewässern anzusehen seien. Es kam dann aber auf der Grundlage der erforderlichen Gesamtabwägung der unterschiedlichen Interessen im konkreten Fall doch zu dem Ergebnis, daß die Gewässerverunreinigung durch Notstand gerechtfertigt und damit nicht unbefugt i. S. des § 38 WHG sei. Die Kriterien, die das Gericht bei dieser Gesamtabwägung der unterschiedlichen Interessen heranzog, waren folgende: Zu berücksichtigen sei, daß zur Zeit des Einleitungsverbotes (die Einleitung der Abwässer war nicht nur nicht erlaubt, sondern ausdrücklich untersagt worden!) ein Verfahrensschema für die Reinigung der Abwässer entwickelt wurde und damit ein Ende der Gewässerverschmutzung abzusehen war. Weiter dürfe nicht außer Betracht bleiben, daß die eingeleiteten Abwässer keine so schwerwiegende Belastung des Gewässers mit sich brachten, daß die Einleitung nicht angesichts der Alternative der Betriebsschließung und des Verlustes von 90 Arbeitsplätzen noch für einige Zeit hingenommen werden könnte. Die weitere Einleitung sei auch nicht als unangemessenes Mittel zur Abwehr der Gefahr der Betriebsschließung anzusehen, da die Ange:klagten die Notstandslage nicht schuldhaft herbeigeführt hätten. Sie hätten sich vielmehr seit Jahren um eine geeignete "wirtschaftlich tragbare" Reinigung der Abwässer bemühtl45 • Die technischen SchwierigZfW 1977, 118, 124f. Dieser Aspekt des Bemühens um eine Verbesserung der Abwassersituation spielte bereits im Urteil vom 12. 4. 1976 (ZfW 1976, 378, 382) eine wichtige Rolle. Ohne letztlich zu entscheiden, ob eine Notstandssituation überhaupt vorgelegen hat, wurde die Berufung auf rechtfertigenden Notstand jedenfalls deshalb verneint, weil der Angeklagte in Kenntnis der Unzulänglichkeit der Abwasserreinigungsanlage trotz ständiger behördlicher Beanstandungen über Jahre hinweg keinerlei wirksame Abhilfemaßnahmen ergriffen hatte. 14C 145

5. Ergebnis

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keiten, die sich dabei ergaben und die dazu führten, daß erst spät ein brauchbares Reinigungsschema entwickelt wurde, könnten ihnen in diesem Zusammenhang nicht angelastet werden. b) Im wasserrechtlichen Schrifttum wird die aus § 34 StGB folgende Notwendigkeit einer umfassenden Interessenabwägung anstelle einer bloßen Güterabwägung deutlich gesehen bei Sieder/Zeitler/Dahmel~. Zwar heißt es auch dort, daß die Sicherung von Arbeitsplätzen "in der Regel" nicht als höherwertiges Rechtsgut angesehen werden könne, das eine dauernde nachteilige Veränderung der Gewässer zulassen könne, insbesondere wenn damit Gefahren für andere Gewässerbenutzer verbunden seien. Dem folgt aber die Feststellung, daß trotz dieses grundsätzlichen Ergebnisses der reinen Rechtsgüterabwägung, als Ergebnis der umfassenden Interessenabwägung, die Gewässerverunreinigung zur Erhaltung der Arbeitsplätze durch Notstand gerechtfertigt werden kann. Als wesentliches Kriterium im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung wird dabei genannt, daß der Täter ausreichende Anstrengungen unternimmt, um eine Reinigung der Abwässer nach allgemein anerkannten Regeln der Technik herbeizuführen oder ob er dies nicht tut. Ferner wird darauf abgestellt, daß die Einleitung in das Gewässer unvermeidbar und die Auswirkungen auf das Gewässer relativ geringfügig sind. 5. Ergebnis Als Ergebnis der Untersuchung zum Problem des Notstandes lassen sich die folgenden Aussagen formulieren: Eine nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften ist wegen rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB nicht unbefugt, wenn (1) das Unterlassen der Einleitung eine unmittelbare Gefahr für einen

nennenswerten Teil der Produktion und folglich für eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitsplätzen bedeutet;

(2) die nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften nicht derart

ist, daß damit eine Gefahr für das Leben oder eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit verbunden ist147 ;

Es wird erneut auf ihn abgestellt im Urteil desselben Senats vom 22. 4. 1977 (OLG Stuttgart, ZfW 1977, 177, 182), das unter Verweis auf das Urteil vom 18. 10. 1976 im konkreten Fall das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes verneint, da weder die Betriebsschließung auf dem Spiel stand, noch dargetan sei, daß alles Erforderliche und Zumutbare zur beschleunigten Vermeidung der Gewässerverschmutzung unternommen wurde. 141 Rdn.22 zu § 38 WHG. 147 Diese Grenze betont bereits Müller, NJW 1964,1351, 1353 .

••

52

III. Notstand

(3) gleichzeitig das technisch Mögliche und wirtschaftlich Zumutbare148

unternommen wird, die Gewässerverunreinigung abzubauen mit dem Ziel, sie ganz zu beseitigen.

Aus (3) ergibt sich, daß (4) der Notstand eine Gewässerverunreinigung nicht auf Dauer recht-

fertigt 149 , sondern nur für eine übergangszeit, die allerdings je nach dem konkreten Fall sehr unterschiedlich sein kann.

6. Folgerungen für den vorliegenden Fall Auf den vorliegenden Fall angewandt ergibt sich aus diesen Kriterien folgendes: Wären die Einleitungen des Unternehmens nicht mehr möglich, dann könnte die damit in Zusammenhang stehende Produktion nicht aufrechterhalten werden. Dies hätte die notwendige Folge, daß die dabei beschäftigten Arbeitskräfte entlassen werden müßten. Dabei ist zu beachten, daß sich auch negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt insgesamt ergeben würden. Angesichts der Größe des Unternehmens und seiner vielfältigen wirtschaftlichen Verbindungen ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Gesamtauswirkungen erheblich größer sind, als dies die Zahl von 1000 Arbeitnehmern erkennen läßt. Auf der anderen Seite sind die Einleitungen des Werks nicht derart beschaffen, daß sie gesundheitsschädlich oder gar lebensbedrohend sind. Unterhalb der Grenze der Lebens- oder Gesundheitsbedrohung kommt es aber auf die Relation zwischen dem Ausmaß der Gewässerverunreinigung und der Zahl der bedrohten Arbeitsplätze an150 • So hat das OLG Stuttgart entschieden, daß gegenüber dem Interesse an der Verhinderung einer nur noch absehbare Zeit dauernden und nicht allzu schwerwiegenden Gewässerverschmutzung das Interesse einer dauerhaften Aufrechterhaltung eines Betriebes mit ca. 90 Arbeitnehmern erheblich überwiege151• 148 Dieses Kriterium des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren findet sich in den Urteilen des OLG Stuttgart vom 18. 10. 1976 und vom 22. 4.1977 (ZfW 1977, 118, 124 bzw. ZfW 1977, 177, 182) sowie bei Müller, NJW 1964, 1351, 1353. 149 Zutreffend stellen darauf ab OLG Stuttgart, ZfW 1977, 118, 124 ("für einige Zeit"); OLG Karlsruhe, BWVPr 1980, 36, 37 ("zunächst"); Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn. 22 zu § 38 WHG. 150 Nichts anderes besagt letztlich die Aussage bei Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn.22 zu § 38 WHG, Voraussetzung für den rechtfertigenden Notstand sei u. a., daß die Auswirkungen auf das Gewässer "relativ geringfügiger Natur" seien. Es ist nicht zulässig, hier nur das Wort "geringfügig" zu betonen; das Wort "relativ" steht gleichgewichtig daneben. 151 U. v. 18. 10. 1976, ZfW 1977, 118, 124.

7. überleitung zur Duldung

53

Schließlich hat das Unternehmen die Situation, in der sich das Interesse an der Reinhaltung der Gewässer und das Interesse an der Aufrechterhaltung der Produktion und der Sicherung der Arbeitsplätze im Konfliktfall gegenüberstehen, nicht einfach hingenommen, sondern unter erheblichem technischen und finanziellen Aufwand, in Kooperation mit den zuständigen Behörden, eine Verbesserung der Abwassersituation nicht nur herbeizuführen versucht, sondern auch tatsächlich erreicht. Daß diese Anstrengungen noch nicht dazu geführt haben, eine zufriedenstellende Abwassersituation zu schaffen, ist zum erheblichen Teil durch technische Probleme bedingt und schließt die Feststellung nicht aus, daß das Werk bisher das technisch Mögliche und wirtschaftlich Zumutbare unternommen hat, um die Gewässerverunreinigung abzubauen. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht unerheblich, daß das Unternehmen nicht etwa durch neue Aktivitäten seit der Geltung des Wasserhaushaltsgesetzes das Problem erst geschaffen hat, sondern daß die Einleitung seit Jahrzehnten stattfindet. Angesichts dieser Sachlage muß man zu dem Ergebnis kommen, daß die vorgenommenen Einleitungen bisher durch Notstand gerechtfertigt und daher nicht unbefugt i. S. des § 38 WHG und des § 324 StGB sind. Dies bedeutet aber nicht, daß sie damit auch ohne weiteres für die Zukunft durch Notstand gerechtfertigt sind. Das ist nur dann und insoweit der Fall, wenn das Werk auch zukünftig das technisch Mögliche und wirtschaftlich Zumutbare unternimmt, um die Gewässerverunreinigung zu reduzieren.

7. Vberleitung zur Duldung Letztlich kommt es aber auf diesen Rechtfertigungsgrund des Notstands nicht an. Es bedarf des § 34 StGB nicht, wenn der Eingriff in ein Rechtsgut bereits in anderer Weise gerechtfertigt isf52• Dies aber ist im vorliegenden Fall so: Die Gewässerverunreinigung ist bereits wegen der qualifizierten Form der Duldung durch die zuständigen Behörden nicht mehr unbefugt, wie nun unter IV zu zeigen ist.

15!

Vgl. Schönke/Schröder/Lenckner, Rdn. 6 zu § 34 StGB.

IV. Duldung durch die Behörden 1. Kenntnis der Behörden Den zuständigen Behörden sind die Einleitungen des Unternehmens seit langem bekannt. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß die Behörden von der Existenz dieser Werke und, nach der Lebenserfahrung, von der Art ihrer Produktion, zumindest in groben Zügen, Kenntnis hatten. Könnte man insofern aber einwenden, daß auf diesem Wege keine genaue Kenntnis über die Art und den Umfang der Einleitungen bestand, so hatten die Behörden diese genaue Kenntnis durch die hinsichtlich der Einleitung gestellten Anträge auf Erteilung von Erlaubnissen und Bewilligungen erlangt, über die bisher nicht entschieden worden ist. Ferner standen den Behörden präzise Informationen auf Grund des mit dem Unternehmen unterhaltenen Schriftverkehrs zu Gebote. Auch schließen die zahlreichen Besichtigungen und Begehungen, an denen Behördenvertreter teilnahmen, die Annahme aus, daß die Verwaltung sich nicht über die Abwassersituation im klaren war. 2. Nichteinschreiten der Behörden Trotz ihrer Kenntnis der Abwasserlage sind die Behörden nicht gegen die Einleitungen des Unternehmens eingeschritten. Die Wasserbehörden sind nicht auf den durch den Erlaubnis- oder Bewilligungsvorbehalt sichergestellten präventiven Gewässerschutz beschränkt. Es stehen ihnen auch repressive Maßnahmen zur Verfügung, mit denen sie nachträglich gegen bereits eingetretene Unzulänglichkeiten vorgehen können. Grundlage hierfür ist die in § 21 WHG geregelte Überwachung und die in den Landeswassergesetzen vorgesehene Wasser- oder Gewässeraufsichtl53 • Soweit die im Wasserrecht enthaltenen Befugnisse nicht ausreichen, kann die polizeiliche oder ordnungsbehördiiche Generalklausel als Eingriffsnorm für repressive Maßnahmen der Wasserbehörden herangezogen werdenI54 • Auf solche Möglichkeiten 153 Vgl. §§ 82 ff., insbes. § 82 Abs.3 S.l, Bad.-Württ. Wassergesetz; Art. 68 ff., insbes. Art. 68 Abs. 3, Bay. Wassergesetz; §§ 67 ff., insbes. § 67 S. 1, BIn. Wassergesetz v. 23. 2. 1960 (GVBl. S.133); §§ 74 ff., insbes. § 74 Abs.3, Hess. Wassergesetz; § 138 NW.Wassergesetz v. 4. 7. 1979 (GV S. 488). 1M Vgl. Hin, Gew.Arch. 1981, 183, 186; Salzwedel, Wasserrecht, in: v. Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1979, S.585, 606. - Besonders deutlich § 67 S.2 BIn. Wassergesetz: "Die Befugnisse der Wasserbehörde auf

2. Nichteinschreiten der Behörden

55

brauchen die Behörden jedoch dann nicht mehr zurückzugreifen, wenn eine Vorschrift wie § 74 Abs.3 S. 1 Hess. Wassergesetz die Generalklausel inkorporiert und die Wasseraufsichtsbehörden ermächtigt, "im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, die durch den Zustand oder die Benutzung der Gewässer ... und der nach dem Wasserhaushaltsgesetz oder nach diesem Gesetz genehmigungsbedürftigen oder anzeigepflichtigen Anlagen hervorgerufen werden und die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen"155. Da die öffentliche Sicherheit ein Mindestmaß geordneter Wasserwirtschaft umfaßt, ist sie stets gefährdet, wenn Gewässer unerlaubt benutzt werdenl56 • Anders als im Baurecht157, wo zwischen formeller und materieller Illegalität baulicher Anlagen unterschieden wird, ist eine Gewässerbenutzung ohne Erlaubnis oder Bewilligung nicht nur formell, sondern - sofern kein weiterer Rechtfertigungsgrund vorliegt - auch materiell rechtswidrig, denn im Wasserrecht steht dem einzelnen keine der verfassungsrechtlich fundierten Baufreiheit entsprechende Rechtsposition ZUl58 • Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Behörde gegen nicht erlaubte Gewässerbenutzungen einschreiten muß. Vielmehr steht die Entscheidung, ob und wie sie vorgehen will, in ihrem pflichtgemäßen Ermessen159. Dieses Opportunitätsprinzip entspricht den allgemeinen Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts, die keine Abänderung dadurch erfahren, daß die polizeiliche Generalklausel innerhalb des Grund des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts bleiben unberührt." Vgl. auch § 138 S.2 NW.Wassergesetz. 1" Zusätzlich erklärt § 74 Abs.4 Hess. Wassergesetz die Eingriffsvorschriften des Hess. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung für entsprechend anwendbar. las Vgl. Salzwedel, S. 606 f.; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.50 zu §21 WHG. 157 Vgl. dazu unten S. 65 ff. 158 Vgl. BVerwG, ZfW 1978, 371, 373 = DVBl. 1979, 67; Hill, Gew.Arch. 1981, 183, 185 f.; OVG Koblenz, ZfW 1975, 104, 107 f. - Obwohl es an einem "auf die Verfassung zurückführbaren Recht auf eine Gewässerbenutzung" fehlt und die "Befugnis oder das Recht, eine gestattungspflichtige Gewässerbenutzung ... vorzunehmen, ... nicht verfassungsrechtlich vorgegeben" sei, sondern erst durch behördliche Einzelakte "materiell begründet" werde, hat das BVerwG dem genehmigungslos Handelnden keineswegs den Schutz der Verfassung versagt (vgl. näher unten S. 63 f., 69). Im übrigen erkennt das BVerwG durchaus Fallkonstellationen an, bei denen sich das Grundrecht des Eigentums gegen wasserrechtliche Beschränkungen durchzusetzen vermag (vgl. BVerwG, ZfW 1975, 92, 95). UD Hin, Gew.Arch. 1981, 183, 185. Daß die Untersagung unerlaubter Benutzungen nicht unausweichlich ist, erweist auch § 93 Abs. 3 Hess. Wassergesetz, der ein gegenüber der Untersagung milderes Mittel nennt: Die Behörde kann "auch anstelle der Untersagung verlangen, daß ein entsprechender Antrag gestellt wird".

IV. Duldung durch die Behörden

56

Wasserrechts zur Anwendung kommt oder als eigenständige wasserrechtliche Norm auftritt. Die Wasserbehörde ist demnach grundsätzlich befugt, das Einleiten von Abwässern zu verbieten, wenn dies ohne wasserrechtliche Erlaubnis geschieht160• Erst recht ist dies der Fall, wenn die Gewässerbenutzung nicht nur ohne Erlaubnis erfolgt, sondern wegen überschreitens der von § 6 WHG gezogenen Grenze auch nicht erlaubnisfähig ist. Eine Gefährdung der Wasserversorgung ist zugleich ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit161 • Obwohl die Behörde gegenüber dem Unternehmen zum Ausdruck gebracht hatte, daß sie die Einleitungen, zumindest teilweise, nicht für erlaubnisfähig hielt, hat sie auch insoweit die Einleitungen nicht untersagt.

3. Opportunitätsprinzip Gerade weil keine Pflicht zum Einschreiten besteht, dies vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegt, die Behörde aber nicht eingeschritten ist, muß angenommen werden, daß sie ihr Ermessen dahingehend ausgeübt hat und noch immer ausübt, daß sie die Einleitung hinnimmt, d. h. duldet. a) Anders als zum Beispiel im Ausländergesetz162 findet im Wasserhaushaltsgesetz und in den Wassergesetzen der Länder die Duldung als Rechtsinstitut keine Erwähnung. Es handelt sich bei ihr auch nicht um eine im allgemeinen Verwaltungsrecht anerkannte Kategorie mit bestimmtem Inhalt. Oben wurde dargelegt163 , daß die Duldung keine besondere Form des Verwaltungsaktes darstellt, sondern entweder im Gewande des konkludenten oder des stillschweigenden Vewaltungsaktes auftritt. Aber auch dann, wenn infolge des Fehlens der in § 35 S. 1 VwVfG genannten Voraussetzungen die Duldung privater Aktivitäten durch eine Behörde weder ein Verwaltungsakt kraft konkludenten Verhaltens noch ein stillschweigender Verwaltungsakt ist, kann die Duldung rechtliche Bedeutung erlangen. Allerdings läßt sich keineswegs sagen, daß die Duldung rechtswidrigen Tuns ohne weiteres zu dessen Rechtfertigung oder Legalisierung führe. Eher kommt der umgekehrten Aussage eine beträchtliche Plausibilität zu: "Aus dem Nichteinschreiten gegen einen rechts-., insbesondere polizeiwidrigen Zustand kann ... weder auf dessen gewollte Duldung noch Vgl. OVG Koblenz, ZfW 1975, 104, 107; Hin, Gew.Arch. 1981, 183, 185. BVerwG, NJW 1974, 815, 817; Salzwedel, Beurteilungsspielraum und Ermessen bei der Entscheidung über Bewilligungen und Erlaubnisse, Recht der Wasserwirtschaft, Heft 15 (1970), S. 35,44. 162 Vgl. § 17 AuslG sowie neuestens J. Henkel, Der "geduldete" Asylsuchende, DVBl. 1980, 172 ff. 163 Vgl. S. 33 ff. 160

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3. Opportunitätsprinzip

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gar auf die stillschweigende Erteilung einer Erlaubnis geschlossen werden"164. "Schweigendes Dulden genügt ... nicht ... zur Gestattung rechtswidriger Zustände ...160. Diese - einem führenden Lehrbuch des Verwaltungsrechts entnommenen - Zitate dürften repräsentativ sein für die theoretische, d. h. von der Betrachtung der Verwaltungspraxis gelöste, Bewertung hoheitlichen Duldens. Gewichtige Argumente scheinen zudem dafür zu sprechen, daß gegenüber der behördlichen Duldung eine gewisse Reserve geboten ist. Legte man nämlich hoheitlicher Untätigkeit generell rechtfertigende Kraft bei, so würde das von der Rechtsordnung bereitgestellte Institut verbindlicher Entscheidung, der Verwaltungsakt, seiner Bedeutung weitgehend entkleidet. Überdies würde das zahlreichen privaten Tätigkeiten vorgeschaltete Antragsverfahren durch ein von Amts wegen betriebenes Genehmigungsverfahren ergänzt und überlagert. Außerdem könnten der Behörde bei ungünstiger Beweislage Entscheidungen aufgedrängt werden, die sie gar nicht hatte fällen wollen und von denen sie sich möglicherweise nur nach den Regeln des W~derrufs und der Rücknahme von Verwaltungsakten lösen dürfte; eine solche Konsequenz zur Perpetuierung der Duldung wäre naheliegend, denn wenn der Realakt des Duldens dem Verwaltungsakt an die Seite gestellt wird, dürfte auch die Lossagung von Hoheitsakten ähnlichen Bedingungen zu unterwerfen seinl66 • Ferner bliebe - im Falle einer Qualifizierung der Duldung als "verwaltungsaktsähnlich" - unberücksichtigt, daß es neben dem Willen zur verbindlichen Billigung privaten Tuns zahlreiche weitere Gründe für die behördliche Passivität geben kann wie Nachlässigkeit,Unentschlossenheit oder die Notwendigkeit, zunächst rechtliche oder sachliche Ermittlungen anzustellen; auch das Bestreben, bei unklarer Rechts- oder Sachlage eine Angelegenheit in der Schwebe zu halten, mag einer Behörde Zurückhaltung geraten sein lassen. Das Einverständnis mit gesetzwidrigem Tun ist somit nur eines der möglichen Motive, die behördlichem Dulden zugrunde liegen können. Die Anerkennung einer der Duldung beizulegenden "Legalisierungswirkung"167 würde überdies bewirken, daß über die Reichweite der Duldung häufig kein Einvernehmen beWOlfflBachof, VerwR I, § 45 I b (S.364). Ebd. § 50 II c (S.418). 188 So hat das KG, Wirtschaft und Wettbewerb 1980, S. 212, 213 f., es der Kartellbehörde verwehrt, sich ohne weiteres von der Nichtausübung eines Widerspruchsrechts gemäß § 3 Abs.3 GWB zu lösen; vielmehr seien insoweit die Regeln über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten zu beachten. 187 So der Ausdruck in BVerwGE 55, 118, 124, 125. 184

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58

IV. Duldung durch die Behörden

stünde. Ist es schon beim konkludenten und stillschweigenden Verwaltungsakt problematisch, wie dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs.l VwVfG zu genügen sei, so vermehren sich die Schwierigkeiten, wenn der Gehalt eines Realakts wie des Duldens zutreffend gedeutet werden soll. Außerdem kann es mitunter sogar schon zweifelhaft sein, ob die Behörde das fremde Tun überhaupt bewußt hingenommen hat, wie es für das Dulden erforderlich ist. Diese Bedenken könnten dazu führen, daß der behördlichen Duldung, sofern sie nicht im Einzelfall die Merkmale eines (konkludenten oder stillschweigenden) Verwaltungs aktes aufweist, im Verhältnis zum Bürger keine Bedeutung beizulegen wäre. Einer solchen zurückhaltenden Beurteilung entspricht es, daß die Duldung im öffentlichen Recht kein anerkanntes Rechtsinstitut ist. Die Lehrbücher erwähnen sie kauml68 • Am ausführlichsten ist die Behandlung im Wolffschen Lehrbuch, in dem sich sogar eine dem bürgerlichen Recht entsprechende Definition des Duldens findet169 • Dort werden ferner die "Verwaltungshandlungen" nach "Tun, Dulden oder Unterlassen" unterteilt; eine "Duldung oder Unterlassung eines Amtswalters" sei "jedoch nur dann eine Verwaltungshandlung, wenn in der gegebenen Situation ein amtliches Tun objektiv so nahe gelegen hätte, daß mit Sicherheit auf einen Duldungswillen geschlossen werden kann"17(); eine Duldung setze ferner "zumindest Kenntnis des objektiven Sachverhalts" voraus, auf den sie sich beziehe1T1 • Ein anderes Bild gewinnt man jedoch, wenn man die Rechtsprechungspraxis der Gerichte betrachtet. Sie haben sich - der Verwaltungspraxis enger verhaftet und verpflichtet als die Theoretiker des Verwaltungsrechts - dem Zwang nicht entziehen können, solche faktischen Lagen rechtlich zu bewerten, die sich dem Schema "rechtmäßig-rechtswidrig" entziehen. Eine typische Konstellation ist die folgende: Ein Privater errichtet oder betreibt eine Anlage oder beginnt ein Gewerbe, ohne die erforderliche Genehmigung einzuholen. Der zuständigen Behörde ist die ungenehmigte Tätigkeit bekannt, sie schreitet jedoch nicht dagegen ein. Zieht sich ein solcher genehmigungsloser Zustand längere Zeit hin, kann dies dazu führen, daß die faktische Situation die Rechtslage zugunsten des Privaten und damit zu Lasten der Behörde ändert. Denn der Zeitablauf 168 Das neueste von Erichsen und Martens herausgegebene - Lehrbuch (Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auf!., 1981) führt die (behördliche) "Duldung" im Sachverzeichnis nicht auf. 188 WOlff/Bachof, VerwR I, § 40 II a vor 1 (S. 288): ",Dulden' heißt: das Tun eines anderen nicht hindern oder abwehren." - Vgl. auch Forsthoff, S. 218 f. 170 Ebd. § 45 I b (S. 364). 171 Ebd.

3. Opportunitätsprinzip

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und die tatsächliche Betätigung im Bereich des Genehmigungsvorbehalts können bewirken, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder andere Rechtsprinzipien die Behörde rechtlich daran hindern, den rechtswidrigen Aktivitäten - etwa durch Stillegung der Anlage oder Untersagung des Gewerbes - entgegenzutreten. Ein bezeichnendes Beispiel für das Auftreten der Duldung in der Verwaltungspraxis bietet eine frühe Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts172. Eine Baubehörde hatte einem Bauherrn, der einen ungenehmigten Erweiterungsbau für eine chemisch-pharmazeutische Fabrik begonnen hatte, erklärt, "daß der bereits ausgeführte Bau nur unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Abbruchverlangens vorläufig geduldet werde"; später teilte die Behörde dem Unternehmen ferner mit, "daß gegen die Fertigstellung der restlichen Arbeiten kein Einspruch erhoben werden solle". An diesem Fall der Nachkriegszeit, für dessen Entscheidung die Duldung keine Rolle spielte, zeigt sich bereits, daß Behörden häufig gezwungen sind, faktische Lagen anzuerkennen, wenn die Durchsetzung des Rechts problematisch ist. Rigoros in der Ablehnung der Duldung sind vor allem ältere Entscheidungen, was durchaus verständlich ist, da der Siegeszug des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erst später einsetzte173. Kennzeichnend ist ein Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster174 aus dem Jahre 1953, der eine sogenannte Bereitstellungsverfügung gegen einen Wohnungsmieter zum Gegenstand hatte. Dieser "Schwarzmieter" hatte seine Wohnung ohne die damals erforderliche Bezugsgenehmigung des Wohnungsamtes bezogen, berief sich aber darauf, daß ihm die Erlaubnis mündlich erteilt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht erklärte, daß wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform eine mündliche Genehmigung unwirksam wäre und der Bezug der Wohnung rechtswidrig sei. Es fuhr fort: "Der Erwerb eines Rechts auf das Fortbestehen eines rechtswidrigen Zustands ist im öffentlichen Recht aber auch dann ausgeschlossen, wenn die Verwaltung den unzulässigen Zustand lange Zeit geduldet hat. Ein Recht auf fernere Duldung erwächst daraus nicht"175. BVerwGE 3,28 (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, s. 9 ff. 174 VerwRspr.6 Nr. 65 S.305 Einen ähnlichen Fall hat mit ähnlichem Ergebnis der VGH Stuttgart, DÖV 1955, 412, entschieden. 175 Ebd. S. 306 f. Auf diese Entscheidung bezog sich Forsthoff, S. 170 f., als er - gleichfalls von verfassungsrechtlichen Neuerungen unberührt - formulierte: " ... kann die Berufung auf Treu und Glauben nicht durchschlagen, wenn eine Behörde einen rechtswidrigen Zustand, den sie längere Zeit geduldet hat, beendet. Das muß um so mehr gelten, wenn sich die Behörde durch Rücksicht auf den Betroffenen zu einer zeitweiligen Duldung bewogen gesehen hat." 172

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IV. Duldung durch die Behörden

In einer anderen wohnungs rechtlichen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht Münster76 seinen Standpunkt, aus der Duldung rechtswidriger Zustände könnten keine den Bürger begünstigenden Folgen abgeleitet werden, revidiert. Ein Gastwirt hatt-e einen Raum als Fremdenzimmer benutzt, ohne daß s1ch die Gaststättenerlaubnis auf diesen Raum bezog. Da der Kläger nur im Besitz einer Schankerlaubnis war, geschah die Benutzung des Fremdenzimmers gesetzwidrig. Das Wohnungsamt wollte diesen Zustand nicht länger hinnehmen, mußte jedoch - nach Anweisung des Gerichts - "unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles diese Räume als gewerbliche Räume oder zweckentfremdete Wohnräume gelten lassen, solange die zuständige Behörde gegen diesen Zustand nicht eingeschritten ist". Das Oberverwaltungsgericht sah in dem Verhalten des Wohnungsamtes einen Verstoß gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, "wenn es, nachdem die örtlichen Behörden die widerrechtliche Benutzung der Räume zu Beherbergungszwecken geduldet und unterstützt haben und auch die Aufsichtsbehörde nicht eingeschritten ist, diesen seit Jahren bestehenden tatsächlichen Zustand wohnungsrechtlich nicht mehr anerkennen will". Neuere Entscheidungen lehnen es zwar auch mitunter im Einzelfall ab, aus der Untätigkeit einer Behörde Schlüsse zugunsten des Bürgers zu ziehen. Sie lassen aber auch erkennen, daß unter engen Voraussetzungeneine Duldungsverpflichtung zugunsten des Bürgers bestehen kann. So hat das Oberverwaltungsgericht Berlinl77 die sich über lange Zeit hinziehende Behandlung eines Verwaltungsvorgangs nicht als "gewohnheitsrechtliche Duldung" anerkannt; nach seiner Auffassung können ordnungsbehördliche Berechtigungen nicht "verwirken". Diese Entscheidung geht zwar nicht auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit oder Grundrechtsbestimmungen ein, hatte aber auch keinen Anlaß dazu, da die von den Klägern zu beseitigende bauliche Anlage materiell baurechtswidrig war und ihr Abriß durch eine unanfechtbar gewordene Beseitigungsverfügung angeordnet worden war. Mit der gleichen Berechtigung sprach das Bundesverwaltungsgericht178 ohne Einschränkung aus, die Kläger in einem gewerberechtlichen Prozeß könnten "keinen Rechtsanspruch darauf herleiten ... , daß ein solcher mit dem Gesetz nicht in Einklang stehender Zustand weiter geduldet werde". Die Kläger hatten nämlich ohne Erlaubnis alkoholische Getränke in Zimmern abgegeben, die sie an Dirnen vermietet hatten.

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177 178

ZMR 1953, 69. DVBl. 1970, 519. DVBl. 1961, 885.

3. Opportunitätsprinzip

61

Die Bewertung der Duldung ändert sich aber, wenn die den Gerichten unterbreiteten Sachverhalte zeigen, daß Rechtsgüter des Betroffenen auch Schonung verdienen können. Der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof179 hat ein Einschreiten gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 GewO für rechtmäßig erachtet, ohne daß der Kläger Nutzen aus einer behördlichen Duldung zu ziehen vermochte. Das Gericht legte seiner Entscheidung folgenden Satz zugrunde: "Die bloße Duldung eines rechtswidrigen Zustandes während längerer Zeit steht einem Eingreifen der Behörde nicht entgegen ... " Der konkrete Fall wies allerdings die Eigenart auf, daß der Kläger nicht nur ohne Genehmigung eine Diskothek betrieb, sondern sich zudem noch weige~te, einen Antrag auf eine Gaststättenerlaubnis zu stellen. Bei einer solchen Konstellation ist für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kein Raum, weil die Interessen des Privaten keinen Schutz verdienen, wenn dieser nicht einmal die notwendigen Verfahrensschritte unternimmt. Immerhin läßt das Gericht aber erkennen, daß ein Eingriff gemäß § 15 Abs. 2 GewO unzulässig sein kann. Ermessensfehlerhaft wäre die Einstellung eines formell rechtswidrigen Betriebes, "wenn angenommen werden könnte, daß die Erteilung der Erlaubnis alsbald beantragt werden wird und ausreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Erlaubnisvoraussetzungen vorliegen". Auch stellt das Gericht Erwägungen darüber an, ob "der rechtswidrige Zustand durch einen geringfügigeren Eingriff hätte beseitigt werden können", und erklärt ferner, daß die Einstellung der Diskothek "nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg des Schutzes der Nachbarschaft vor den Lärmeinwirkungen" stehe. Die Nähe derartiger Argumente zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist unverkennbar 80 • Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg181 hatte über die Schließung einer Gaststätte gemäß § 22 Abs. 1 GastG a. F. (jetzt § 15 Abs.2 GewO) zu befinden, die ohne Erlaubnis betrieben wurde. Das Gericht sah es in übereinstimmung mit einer früher verbreiteten Ansicht182 - "im Regelfall" nicht als ermessensfehlerhaft an, "wenn die zuständige Behörde bereits im Falle einer formellen Gewerberechtswidrigkeit ... einschreitet, ohne im Einzelfall näher der Frage nachzugehen, ob dem Gewerbetreibenden im Falle eines entsprechenden Antrages ein Anspruch auf Erteilung der Schankerlaubnis zustehen würde ... ". Dieser Satz erGew.Arch. 1972, 222, 223 f. Generell formuliert ist die These von Fröhler!Kormann, Kommentar zur Gewerbeordnung, 1978, § 15 Rdn. 16, wonach man bei nur formaler Rechtswidrigkeit "ein Vorgehen nach § 15 Abs. 2 (GewO) in der Regel schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (wird) als ermessensfehlerhaft ansehen müssen". - Vgl. auch OVG LÜDeburg, Gew.Arch. 1977, 18, 19. 181 Gew.Arch. 1967, 236. 182 Vgl. Schulz-Schaeffer, Die Unterbindung der unerlaubten Gewerbetätigkeit, DVBI. 1961, 202. 179 180

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IV. Duldung durch die Behörden

fährt indes eine gewichtige Einschränkung: "Es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen es eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel und damit eine Überschreitung des der Behörde eingeräumten Ermessens darstellen würde, wenn sie ohne Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles bei einer lediglich formellen Rechtswidrigkeit der Gewerbeausübung zum stärksten Mittel der Betriebsschließung greift." In dem konkreten Rechtsstreit befand das Gericht, daß "das Interesse der Antragstellerin ... an der Weiterführung ihres Gaststättenbetriebes gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Schließung des jedenfalls formell gewerberechtswidrigen Betriebes überwiegt".

In einer gleichfalls gaststättenrechtlichen Entscheidung hat der BadenWürttembergische Verwaltungsgerichtshof183 - wenngleich in engen Grenzen - die einstweilige Duldung eines genehmigungslosen Betriebes gebilligt. Danach setzt eine "einstweilige Duldung eines unerlaubt geführten Betriebes ... zumindest voraus, daß die erforderliche Erlaubnis demnächst und ohne weiteres erteilt werden kann". Ähnlich ist die Rechtslage im Handwerksrecht. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburgl84 hat die dem § 15 Abs.2 GewO entsprechende Vorschrift des § 16 Abs. 3 HandwerksO - unter Erwähnung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - dahin ausgelegt, daß das Ermessen in bestimmten FäHen gebunden sein könne. Die Untersagung eines Handwerksbetriebes sei dann zu unterlassen oder zurückzustellen. Als "besondere Umstände", die zur Duldung eines faktischen Zustandes führen können, nennt das Gericht: Erfüllung der Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle bei Unterbleiben der Eintragung aus anderen, insbesondere von dem Betroffenen nicht zu vertretenden Umständen; die Aussicht, daß die materiellen Voraussetzungen für die Eintragung demnächst vorliegen werden; "die Tatsache, daß der Gewerbetreibende vor wesentlichen Schäden und Verlusten dadurch bewahrt werden kann, daß ihm Gelegenheit ,gegeben wird, die mit der Betriebsaufgabe notwendigen Geschäfte zunächst abzuwickeln". Eine eigenartige Rechtswirkung hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg185 der jahrelangen Duldung eines unbefugten Milchverkaufs zuerkannt. Ein mit der Überwachung von Lebensmittel- und Milchgeschäften betrautes Ordnungsamt hatte "durch schlüssige Handlungen und Unterlassungen über eine Reihe von Jahren hinweg eindeutig zu erkennen gegeben, daß es gegen den Milchverkauf in dem ihm etwa seit seiner Inbetriebnahme im Jahre 1955 bekannt gewesenen Milchgeschäft ... Ein183 184

185

Gew.Arch. 1979, 382. Gew.Arch. 1976, 124. OVGE 8, 493.

3. Opportunitätsprinzip

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wendungen nicht zu erheben habe". Die Behörde habe "die Milchabgabe in diesem Geschäft somit jahrelang geduldet und gebilligt". Die Art und Weise der Duldung schildert das Gericht folgendermaßen: "Seine (sc. des Ordnungsamtes) Beauftragten haben es gelegentlich ihrer wiederholten Überprüfungen in dem streitigen Geschäft nicht nur unterlassen, gegen den unbefugten Milchverkauf durch den Kläger einzuschreiten, sondern sie haben ihm darüber hinaus im Laufe der Zeit eine Reihe von Vorschlägen zur milchhygienisch einwandfreien Ausgestaltung der Milchverkaufsstelle gemacht, denen er mit nicht geringen Aufwendungen auch stets sogleich nachgekommen ist". Da der "Behörde die Milchversorgung der Bevölkerung ... durch den Kläger bislang sogar erwünscht gewesen sei", durfte dieser "der Auffassung sein, daß die Legalisierung seiner ungesetzlichen Milchabgabe den Umständen nach eine bloße Formsache sei und daß auch die förmliche Milchhandelserlaubnis ihm gebühre".l86 Die Rechtswirkung einer solchen aktiven Duldung sieht das Oberverwaltungsgericht darin, daß das "konkludente Verhalten" der Behörde deren Ermessen binde und es ihr verwehre, "ohne den Nachweis neuer wesentlicher Umstände" die Erlaubnis noch zu verweigern. Eine besondere Bedeutung für die Ermessensreduzierung mißt das Gericht der Tatsache zu, daß die duldende Behörde den Kläger zu finanziellen Aufwendungen bewogen habe. Das "Vertrauen des Staatsbürgers in die gesetzes- und sachgemäße Ausübung der Staatsgewalt" würde einer "untragbaren Belastung ausgesetzt werden, wenn der Beklagte den Aufwendungen, zu denen er den Kläger... veranlaßt hat, nicht die entsprechende Rechtsfolge geben würde"l87. In einer wasserrechtlichen Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgerichtl88 die Untersagung einer seit 30 Jahren ohne Genehmigung betriebenen Wasserinanspruchnahme für rechtswidrig erklärt, da sie gegen den Grundsatz der Verhältnlsmäßigkeit verstoße. Das Gericht hat zwar wegen des Fehlens einer wasserrechtlichen Gestattung die Gewässerbenutzung als "illegal" bezeichnet, jedoch die Schließung der betroffenen Kiesgewinnungs- und Kiesaufbereitungsanlage nicht gebilligt oder verlangt. Vielmehr hat es gefordert, daß eine "Abwägung zwischen dem jeweils geschützten öffentlichen Interesse und den privaten Belangen des Betroffenen" vorzunehmen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne, die Klägerin werde die von ihr beantragte wasserrechtliche Gestattung noch erhalten; zu bedenken sei ferner, daß das Unternehmen seit etwa 30 Jahren betrie186 187 188

Ebd. S. 498. Ebd. S. 498 f. DVBl. 1979, 67, 69 = BayVBl. 1978,472 = ZfW 1978, 371.

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IV. Duldung durch die Behörden

ben werde und die Behörde "das Unternehmen der Klägerinnicht nur rund zwei Jahrzehnte lang in wasserrechtlicher Hinsicht unbeanstandet gelassen, sondern hinsichtlich der Kiesaufbereitungsanlage sogar ausdrücklich auch baurechtlich genehmigt" habe l89 • Schon in einer früheren Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht1 90 eine Pflicht zur Duldung einer ohne baurechtliche Genehmigung betriebenen Wäscherei in einem Wohngebiet anerkannt; da die Behörde "nicht die Entfernung der Mietwäscherei, sondern nur Schallschutzmaßnahmen forderte, konnte der Kläger auf die weitere Duldung seines Betriebes vertrauen". Die geschilderten Beispiele aus der gerichtlichen Praxis zeigen, daß das behördliche Dulden privater - vor allem genehmigungsloser Tätigkeiten in der Realität der Verwaltung eine häufige Erscheinung ist. Eine eindeutige rechtliche Bewertung dieses Tatbestandes ist bisher noch nicht vorhanden. Immerhin lassen die Gerichtsentscheidungen deutlich erkennen, daß jedenfalls Fälle denkbar sind, in denen das behördliche Dulden rechtlich zulässig oder gar geboten sein kann. Insbesondere unter den Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes handelt eine Behörde rechtmäßig, wenn sie duldet; sie würde rechtswidrig handeln, wenn sie nicht duldete, sondern zum Nachteil des Privaten intervenierte. Damit ist indes weder der Behörde noch dem Bürger ein Freibrief ausgestellt. Denn nicht jede beliebige Duldung führt rechtliche Hemmungen zu Lasten der Behörde herbei. Jedenfalls aber gilt dies für jene, die durch Rechtsvorschriften wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip geboten ist. Daher soll an dieser Stelle191 der Rechtslage nicht nachgegangen werden, die sich ergibt, wenn sich eine Behörde ohne den Zwang des Verhältnismäßigkeitsprinzips (oder anderer Rechtsgrundsätze) allein kraft einer Ermessensentscheidung zur Duldung genehmigungslosen Handeins entschließt. Auch weitere Detailprobleme des Instituts der verwaltungsrechtlichen Duldung {wie z. B. die überführung des geduldeten Zustands in einen genehmigten, der Abbruch der Duldung} können im vorliegenden Zusammenhang unberücksichtigt bleiben, da ihre Lösung vom jeweiligen Sachgebiet abhängt. Immerhin dürften sich schon jetzt einige Richtpunkte ausmachen lassen, die bei der Ausbildung einer Dogmatik 189 Nach Sendler, über formelle und materielle (Il)legalität im Baurecht und anderswo, in: Raumplanung und, Eigentumsordnung, Festschrift für W. Ernst, hrsg. v. H. Westermann u. a., 1980, S.403, 416 (Anm.55), mußten sich dem Gericht "Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ... aufdrängen", "wenn einerseits die Behörde die Wassernutzung mehr als 20 Jahre widerspruchslos geduldet hat und andererseits die Existenz eines Betriebes auf dem Spiel steht". 180 BVerwGE 19, 162, 164 (Hervorhebung nicht im Original); vgl. auch BVerwG, BRS 24 Nr. 193, S. 303, 307. 191 Siehe noch S. 105 ff.

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der Duldung zu beachten wären. So wird es eher vertretbar sein, eine Behörde an ihrer Duldung festzuhalten, wenn sie nicht in reiner Passivität verharrt, sondern durch aktives Tun die Tätigkeit des Privaten gefördert hat. Eine solchermaßen aktive oder qualifizierte Duldung unterscheidet sich von der bloßen Duldung dadurch, daß die Behörde nicht nur Kenntnis des Sachverhaltes hat, sondern außerdem zu erkennen gibt, sie sei mit den Aktivitäten des Privaten einverstanden, ohne daß dabei allerdings die Grenze zur verbindlichen Entscheidung im Wege des Verwaltungsakts überschritten würde. Ferner kann es ein "duldungsfreundlicher" Faktor sein, wenn die private Tätigkeit seit langer Zeit betrieben wird oder schon vor Inkrafttreten der das Genehmigungserfordernis enthaltenden Vorschriften begonnen hat. Das gleiche dürfte gelten, wenn die Rechtslage undurchsichtig ist und Zweifel bestehen, ob der Private überhaupt einer Genehmigung bedurfte. Selbstverständlich ist es primär Aufgabe des Gesetzgebers, dem Institut der Duldung feste Konturen zu verleihen oder es, soweit dies verfassungsrechtlich zulässig ist, gegebenenfalls auch auszuschließen. In einzelnen Bereichen finden sich bereits positiv-rechtliche Regelungen, und zwar nicht nur im Ausländerrechtl92. So hat im Baurecht die Duldung genehmigungsloser Bauten eine lange Tradition. Kraft der aus Art. 14 GG herzuleitenden Baufreihei.t ist es den Bauaufsichtsbehörden verwehrt, den Abriß solcher Schwarzbauten zu verfügen, die mit dem materiellen Baurecht übereinstimmen. Formell baurechtswidrige Bauwerke sind also zu dulden, sofern sie nicht zugleich materiell baurechtswidrig sind193 • Dieser grundrechtlich veranlaßten Rechtslage trägt auch das positive Baurecht Rechnung, indem es die Beseitigung baulicher Anlagen, die "im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften" errichtet werden, nur zuläßt, "wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können"l94. Die übereinstimmung von Sach- und Rechtslage läßt sich im Falle des materiell rechtmäßigen Schwarzbaus dadurch herbeiführen, daß auf einen nachträglichen Antrag eine Baugenehmigung erteilt wird. Mitunter kann die Bauaufsichtsbehörde die nachträgliche Einreichung der Bauvorlagen verlangen oder sogar von Amts wegen ein Baugenehmigungsverfahren durchführen195 •

Vgl. oben S. 56. Vgl. BVerwG, DVBI. 1979, 67, 69; Ernst in Ernst/Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht, 1978, S. 395 f.; Ortloff in Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, 1981, S. 286 ff. 194 § 97 Abs. 1 S. 1 Bln.Bauordnung. Vgl. auch Ortloff, S. 295 (sub IV). 185 Vgl. § 83 Abs. 3, § 89 Abs. 11 Bln.Bauordnung. 192

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5 Randelzhofer/Wilke

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IV. Duldung durch die Behörden

Die Judikatur hat die geschilderte Rechtslage noch weiter entwickelt und unter Berufung auf einen sich aus Art. 14 GG ergebenden Bestandsschutz auch solche· ungenehmigten Bauten vor Abrißverfügungen geschützt, die einmal materiell baurechtsgemäß waren, es aber infolge rechtlichen Wandels nicht mehr sind l96 • Streitig ist lediglich, wie lange ein Bauwerk materiell baurechtsgemäß gewesen sein muß, ehe der Zustand der materiellen Baurechtswidrigkeit oder -illegalität eintratl 9'T. Die unter Bestandsschutz stehenden baulichen Anlagen sollen trotz ihrer materiellen Baurechtswidrigkeit genehmigungsfähig sein198• Es wird jedoch auch die Ansicht vertreten, sie seien genehmigungsunfähig, müßten aber wegen ihrer früheren zeitweisen materiellen Legalität geduldet werden199 • Aber selbst dann, wenn eine bauliche Anlage während ihrer gesamten Dauer formell und materiell baurechtswidrig war und das Prinzip des Bestandsschutzes ihre Duldung somit nicht erzwingt, kann die Behörde am Eingreifen gehindert sein. Eine derartige Rechtspflicht zur Duldung ist von der faktischen Passivität mancher Behörden zu unterscheiden, wie sie in einem Urteil des OVG Saarland200 beschrieben wird. Eine Abbruchsanordnung für ein ohne Genehmigung im Außenbereich erbautes Wohnhaus war mit der Androhung eines Zwangsgeldes verbunden worden. Das Gericht führt hierzu aus: "Wenn auch das Zwangsgeld nach heutiger Auffassung ausschließlich Zwangsmittel zu sein hat, ist die Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung als Strafe bestehen geblieben. Ein besonders einleuchtendes Beispiel einer derart zweckwidrigen Verwendung bietet derzeit eine im Baurecht offenbar weitgehend geübte Praxis. - Es ist allgemein bekannt, daß sich die Bauaufsichtsbehörden nur schwer dazu entschließen können, größere bauliche Anlagen, insbesondere Wohngebäude, Wochenendhäuser oder dergl. abzureißen. In Fällen dieser Art wird vielfach Zwangsgeld verhängt, um einerseits der unpopulären Maßnahme des Abbruchs aus dem Wege zu gehen und andererseits nach außen hin den Anschein zu erwecken, die Behörde sei bemüht, dem öffentlichen Baurecht Geltung zu verschaffen. Wie der Beklagte selbst ausführt, ,hat es sich herumgesprochen, daß die Vgl. BVerwG, BRS 24 Nr. 193 S.303, 305; Ortloff. S.289, 292-295 (m. N.). Vgl. BVerwG, BauR 1979, 228, 229: "während eines beachtlichen Zeitraumes"; BVerwG, BRS 33Nr. 37 S.90: "in irgendeinem - namhaften Zeitraum"; BVerwG, DVBl. 1979,67,69: "zu irgendeinem Zeitpunkt"; unentschieden BVerwG, BRS 24 Nr.193 S. 303,307. 198 So Ortlo!!. S. 295. 199 OVG Berlin, BRS 17 Nr.149 S.256, 257: "Ein ... nicht mehr genehmigungsfähig gewordenes Bauvorhaben behält aber den Vorzug der einmal vorhanden gewesenen materiellen Legalität. Mit .ihr erwächst dem Bauherrn ein Abwehrrecht gegen eine baubehördliche Abrißanordnung, das die Behörde verpflichtet, ein formell und - nach gegenwärtigem öffentlichen Recht - auch materiell illegales Vorhaben zu dulden" (Hervorhebung nicht im Original). - Vgl. auch BVerwG, BRS 22 Nr. 174 S. 239,240. 200 OVG Saarland, BauR 1970, 227 (Hervorhebung nicht im Original). 18' 197

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Behörden nicht abreißen'. Die Pflichtigen sehen daher in dem Zwangsgeld eine Art Gebühr, die der Schwarzbauer dafür entrichten muß, daß die Behörden das rechtswidrige Bauwerk dulden, und die von vornherein ,einkalkuliert' wird." Abgesehen von derartigen Fällen einer laxen Verwaltungspraxis sind Konstellationen denkbar, bei denen sich das auf dem bauaufsichtlichen Opportunitätsprinzip beruhende Ermessen der Behörde, das ihr ein Einschreiten gegen illegale Bauwerke gestattet201, in der Weise reduziert, daß sie sich mit dem gegebenen baurechtswidrigen Zustand abfinden muß. Zwar wird eine Verwirkung von Eingriffsbefugnissen auf Grund ständiger Untätigkeit selten oder nie anzunehmen sein202 , doch kann "ein längeres Untätigbleiben der Bauaufsichtsbehörde ... zugunsten des Betroffenen sprechen"203. Nach Auffassung eines erfahrenen Verwaltungspraktikers "kann sich aus einem längeren Warten der Behörde ein Vertrauen des Bürgers in den weiteren Bestand des Schwarzbaues ergeben, der in gewissem Umfange schutzwürdig sein kann ,,204. Unter Berufung auf den Gleichheitssatz haben Verwaltungsgerichte bereits Abrißverfügungen aufgehoben und damit der Sache nach eine Duldungsverpflichtung der Baubehörden anerkannt. Typisch ist folgender Sachverhalt: Eine Behörde erläßt eine Beseitigungsanordnung gegen den Bauherrn eines illegalen Bauwerks, der sich darauf beruft, daß dieselbe Behörde in anderen Fällen nicht einschreite. Mitunter wird dem Kläger entgegengehalten, es bestehe keine Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde auf Grund des Gleichheitssatzes zum gleichzeitigen Einschreiten gegen alle Schwarzbauten in ihrem Bereich; die Behörde dürfe, bevor sie weitere Maßnahmen ergreife, das Ergebnis eines Musterprozesses abwarten205 • In anderen Entscheidungen erkennen Verwaltungsgerichte aber gelegentlich die Berechtigung von Einwänden an, heben Beseitigungsanordnungen auf und verpflichten somit die Behörde, materiell rechtswidrige Bauwerke zu dulden206 • 201 Vgl. Rabe, Das Vorgehen der Bauaufsichtsbehörde gegen illegale Bauwerke, BauR 1978, 166, 172 ff. 202 Vgl. OVG Berlin, DVBl. 1970, 519; OVG Rheinland-Pfalz, AS 15, 324, 327 f.; Rabe, S. 173. 203 Rabe, ebd.

20. Rabe, ebd.

BayVGH, BayVBl. 1979, 501, 502. Bad.-Württ. VGH, BWVPr. 1980, 183, 184. - Dieses Urteil ist deshalb von besonderem Interesse, weil in den Gründen ausdrücklich unterstellt wird, "daß der umstrittene Anbau nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt wird und vom Zeitpunkt seiner Fertigstellung an fortdauernd gegen materielles Baurecht verstößt". 205

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5'

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IV. Duldung durch die Behörden

Die geschilderte Rechtsprechung zeigt, daß auch außerhalb des Bereichs verfassungsrechtlich gebotenen Bestandsschutzes bauliche Anlagen, denen es während der Gesamtdauer ihrer Existenz an der formellen und materiellen Legalität gefehlt hat, von den Behörden in Ausnahmefällen hinzunehmen, also zu "dulden" sind. Die Begründung derartiger Duldungspflichten, denen ein subjektives Recht des Eigentümers auf Duldung entspricht, ist allerdings nicht einheitlich. So hat das Bundesverwaltungsgericht207 aus Erklärungen einer Behörde, sie wolle einen "formell und materiell rechtswidrig errichteten Bau ... unter der Voraussetzung grundsätzlich unveränderter, die Nachbarschaft nicht störender Nutzungen hinnehmen", den Schluß gezogen, daß dadurch der "Baubestand ... schutzwürdig" geworden sei, der Kläger ",auf die weitere Duldung seines Betriebes vertrauen' durfte ... und damit einen Bestandsschutz erlangt habe". Die Rechtsposition des Eigentümers wird im vorliegenden Fall somit nicht auf "die Entstehung eines durch Art. 14 GG gebotenen und abgesicherten Bestandsschutzes"208 gestützt, sondern - in terminologisch bedenklicher Weise - auf einen "Bestandsschutz" kraft Vertrauensschutzes209 . Auch andere Gerichte bedienen sich derselben Rechtsfigur. So entspricht es der ständigen Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz2 lO , "daß allein die längere Duldung eines (sc. formell und materiell) illegal errichteten Gebäudes ... keinen Vertrauenstatbestand zugunsten des Betroffenen begründet"; etwas anderes könne nur dann gelten, "wenn die zuständige Behörde über das bloße Untätigbleiben hinaus durch besonderes Verhalten dem Eigentümer der baulichen Anlage Veranlassung zu der Annahme gegeben hätte, sie wolle von einer Beseitigung absehen, und dieser im Vertrauen darauf Vermögens dispositionen getroffen hätte, die nur mit unzumutbarem Aufwand rückgängig zu machen wären". Andere Judikate messen die Beseitigungsanordnungen, die gegen formell und materiell illegale Bauwerke gerichtet sind, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts2l.1 kann "in dem Verlangen der Baurechtsbehörde auf Abbruch eines formell und materiell illegalen Bauwerks ... nur in den seltensten Fällen 207 BRS 24 Nr. 193 S.303, 307. Die - teilweise wörtliche - Verweisung auf BVerwGE 19, 162, 164, ist problematisch, weil die in der früheren Entscheidung zu beurteilende bauliche Anlage nicht materiell baurechtswidrig war. 208 BVerwG, ebd. 209 Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes Vgl. Burmeister, Selbstbindungen der Behörde, DÖV 1981,503 ff.; Kopp, Um eine neue Begründung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes im öffentlichen Recht, BayVBl. 1980, 38 ff.; Ossenbühl, Selbstbindungen der Verwaltung, DVBl. 198'1, 857, 860 ff. 210 AS 15, 324, 326 (Hervorhebungen nicht im Original). 211 DVBl. 1979, 67, 69.

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und nur unter ganz ungewöhnlichen Umständen eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gesehen werden"; "in der Regel bestehe für die Prüfung einer auf formelle und materielle Illegalität gestützten baurechtlichen Abbruchanordnung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ... kein Anlaß". Auch der Bad.Württ. VGIJ212 zieht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit heran (ohne ihn - wie das Bundesverwaltungsgericht - auf Ausnahmefälle zu beschränken). Ferner kann der Gleichheitssatz das bauaufsichtliche Einschreiten untersagen; so darf eine Behörde bei der Bekämpfung baulicher Mißstände "nicht systemlos oder willkürlich vorgehen"213. Die Grundsätze über die materielle und formelle Baurechtsillegalität lassen sich allerdings nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts214 nicht auf das Wasserrecht übertragen, wenngleich sie keineswegs auf das Baurecht beschränkt sind215 . Das Bundesverwaltungsgericht leitet den Schutz lediglich materiell baurechtswidriger Anlagen aus Art. 14 GG ab. Da die Wasserbenutzung nicht in gleicher Weise grundrechtlich legitimiert sei, könne sich derjenige, der ohne eine Erlaubnis eine wasserrechtliche Nutzung vornehme, nicht auf eine materielle Wasserrechtslegalität berufen. Jedoch versagt das Bundesverwaltungsgericht dem genehmigungslos Handelnden nicht jeden rechtlichen Schutz. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit soll vielmehr bewirken, daß eine wasserrechtliche Nutzung ohne Erlaubnis fortgesetzt werden kann, wenn ein Verbot unverhältnismäßig wäre. Im Ergebnis erweist es sich also, daß auch im Wasserrecht eine behördliche Duldungspflicht bestehen kann216 . Es ist somit unerheblich, ob die Eingriffshemmung zu Lasten der Behörde aus einem Grundrecht oder einem anderen Verfassungsprinzip abgeleitet wird. Eine verfassungsrechtlich fundierte Duldungspflicht der Behörde wird im allgemeinen nur anzuerkennen sein, wenn die Behörde durch positives Tun zu erkennen gegeben hat, daß sie den genehmigungslosen Zustand hinzunehmen bereit sei. Eine solche aktive Duldung, zumal zu BWVPr. 1980, 183, 184. BayVGH, BayVBl. 1979, 501, 502. - Vgl. auch die Erwägung des Bad.württ. VGH (ebd.), wonach eine "Fehlentwicklung" nur mit "ausreichenden Maßnahmen", nicht aber durch das Herausgreifen einzelner Fälle bekämpft werden dürfe. 214 DVBl. 1979, 67, 69. 215 Vgl. die bereits zitierte Abhandlung von Sendler (Fn. 189) sowie als Beispiel aus der Rechtsprechung die zu § 15 Abs. 2 GewO ergangene Entscheidung OVG Lüneburg, Gew.Arch. 1977, 18, 19. 218 Auch das OVG Koblenz, ZfW 1975, 104, das der behördlichen Duldung jedwede rechtfertigende Wirkung abspricht, hält die Rechtswidrigkeit einer wasserrechtlichen Untersagungsverfügung (und damit eine Duldungspflicht) für möglich, "wenn die Erlaubnis oder Bewilligung aller Voraussicht nach erteilt werden müßte" (ebd. S. 108). 113

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IV. Duldung durch die Behörden

wenn sie den Bürger zu Vermögensdispositionen veranlaßt, ist eher geeignet, einen Vertrauensschutz zu begründen, als die in bloßer Untätigkeit bestehende passive Duldung2 1'f. So hat das Bundesverwaltungsgericht218 es bei der Prüfung einer wasserrechtlichen Untersagungsverfügung für erheblich erachtet, daß die Behörde ein Unternehmen "nicht nur rund zwei Jahrzehnte in wasserrechtlicher Hinsicht unbeanstandet gelassen, sondern hinsichtlich der Kiesaufbereitungsanlage sogar auch baurechtlich genehmigt" hatte. In den Fällen ungenehmigter Tätigkeit kann somit die Erteilung von Genehmigungen, die mit dem genehmigungslosen Zustand zusammenhängen, ohne ihm aber ein Ende zu bereiten, die Herbeiführung einer Duldungspflicht begünstigen. Ähnliches gilt für solche behördlichen Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, den Privaten zu baulichen oder sonstigen Maßnahmen zu veranlassen, durch die Unzuträglichkeiten der genehmigungslosen Tätigkeit beseitigt werden sollen. Bei passiver Duldung wird nur ausnahmsweise ein rechtliches Hemmnis das Einschreiten der Behörde hindern. Ausgeschlossen ist dies jedoch nicht, denn das Prinzip der Verhältnismäßigkeit oder Grundrechte können auch in einem solchen Fall das Ermessen der Behörde ausschließen und sie zur Untätigkeit zwingen. Fraglich ist, wie sich das rechtlich gebotene Dulden der Behörde auf die Bewertung des privaten Verhaltens auswirkt219 • Zwei Beurteilungen sind möglich: Die Tätigkeit des Privaten könnte trotz der Handlungshemmung und der dadurch bewirkten behördlichen Duldungsverpflichtung unberührt bleiben, so daß allein die verwaltungsrechtlichen Normen den Kontrollrnaßstab bildeten; trotz rechtmäßiger Duldung bliebe die geduldete Tätigkeit rechtswidrig. Es ist aber auch denkbar, dem behördlichen Handeln eine Legalisierungswirkung zugunsten des Bürgers beizulegen; dessen Handlungen wären dann - trotz äußerlichen Normverstoßes - rechtmäßig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (gegebenenfalls auch eine Grundrechtsbestimmung oder ein anderes Verfassu~gsprinzip) untersagt der Behörde, bestimmte Tätigkeiten des Bürgers zu unterbinden oder gegen einen Zustand vorzugehen. Die verfassungsrechtlich verursachte Duldungspflicht der Behörde beruht auf Gründen, die sich aus den Rechtspositionen des Betroffenen ergeben. Wegen der bei einem behördlichen Eingriff auftretenden nachteiligen Folgen für ihn muß die Behörde eine Intervention, jedenfalls zunächst, zurückstellen. Es sind also die RechtsVgl. OVG Rh.-Pf. oben S. 68 (bei und in Fn. 210). DVBl. 1979, 67, 70. m Außer Betracht bleibt im folgenden die Duldung kraft Ermessens: In solchen Fällen duldet die Behörde passiv oder aktiv, sie könnte aber unter Berufung auf das Opportunitätsprinzip auch eingreifen. 217

218

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güter des Privaten, die zu dem Ergebnis führen, daß die Behörde von Eingriffsmöglichkeiten keinen Gebrauch machen darf. Deshalb muß dem gegen die Behörde gerichteten Verbot eine Befugnis des Bürgers entsprechen, seine Tätigkeit bis zu einer endgültigen Entscheidung fortzusetzen. Diese Auswirkung der Duldungspflicht kann man als Legalisierungswirkung bezeichnen220 • Die Anerkennung einer solchen Legalisierungswirkung ist deshalb geboten, weil andernfalls unverständlich bliebe, warum die Behörde am Eingreifen gehindert sein soll. Die Duldungsverpflichtung ist kein Selbstzweck, sondern dient der Wahrung privater Rechtsgüter, nicht der Verbürgung behördlicher Passivität. Das Eingriffsverbot kann daher seine Legitimation allein darin finden, daß es dem Bürger ermöglichen soll, zumindest für eine beschränkte Zeit in der gewohnten Weise zu verfahren. Die vorstehend entwickelte Rechtsauffassung, die zu einer Berücksichtigung faktischer Vorgänge innerhalb öffentlich-rechtlicher Verhältnisse führt, entspricht im übrigen einer - vor allem im Planungsrecht erkennbaren - Tendenz, dem Zusammenhang von Norm und Wirklichkeit vermehrte Bedeutung beizumessen. So hat Degenhart221 kürzlich in einer Abhandlung über "Vollendete Tatsachen und faktische Rechtslagen im Verwaltungsrecht" den Versuch unternommen, "allgemeinere Strukturen faktischer Rechtslagen im Verwaltungsrecht" nachzuweisen. Wenn in diesem Aufsatz auch das Problem der Duldung durch Behörden nicht behandelt wird, so ist doch das Resümee, das auf eine Fülle von Material gestützt wird, bemerkenswert: "Faktische Lagen, die im Widerspruch zur normativen Ordnung geschaffen werden, können gleichwohl dann als partiell rechtswirksam behandelt werden, wenn eine strikte Durchsetzung der Norm zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Interessen führen würde, die sich in Anlehnung an die faktische Lage entwickelt haben ... " Fraglich ist jedoch, ob das Strafrecht an eine solche verwaltungs rechtliche Vorentscheidung gebunden ist. Grundsätzlich wird das Rechtmäßigkeitsurteil des öffentlichen Rechts auch im Strafrecht Geltung beanspruchen müssen. Eine Bestrafung wegen einer Tat, die das Verwaltungsrecht erlaubt, wäre bedenklich. Immerhin muß dem Strafrechtsgesetzgeber eine gewisse Autonomie zugebilligt werden. Er kann daher auch in den Fällen einer Legalisierungswirkung kraft Duldung die Strafbarkeit für den Fall vorsehen, daß der Bürger ohne die einzuholende Genehmigung gehandelt hat. Bestraft würde dann nicht das, verwaltungs rechtlich gesehen, legale Handeln des Privaten in dem vom 220 Von einer "Legalisierungswirkung" spricht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 55, 118, 124), wenn "eine das Einschreiten aufgrund der ordnungsrechtlichen Generalklausel hindernde Legalität" besteht. 2Z1 AöR 103 (1978), 163 ff., 204.

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IV. Duldung durch die Behörden

Erlaubnisvorbehalt erfaßten Bereich, sondern die Auflehnung gegen den verwaltungsrechtlichen Genehmigungszwang. Dies ist etwa die Rechtstechnik, die im Baurecht Verwendung findet. Auch dann, wenn, wie häufig, gegen einen Schwarzbau nicht im Wege der Abrißverfügung vorgegangen werden kann, ist das Bauen ohne Genehmigung dennoch strafbar222 • Allerdings zeigt die im Baurecht übliche Qualifizierung dieser Straftat als Ordnungswidrigkeit, daß hier nicht ein kriminelles Tun unter Strafe gestellt wird, sondern der Ungehorsam gegenüber einem Verwaltungsrechtsinstitut. Es ist indes auch möglich, daß der Strafgesetzgeber das genehmigungslose Handeln nicht als bloßes Verwaltungsunrecht ansieht, sondern als Kriminalunrecht bestraft wissen will, wie dies z. B. in § 327 StGB geschehen ist, der das unerlaubte Betreiben bestimmter Anlagen unter Strafe stellt223 • In solchen Fällen sind die Geltung und die Reichweite der verwaltungsrechtlichen Legalisierungswirkung kraft Duldung zweifelhaft. Am ehesten verständlich ist eine Strafrechtsnorm der geschilderten Art, wenn sie sich auf solche Genehmigungserfordernisse bezieht, bei denen von vornherein ein Zuwiderhandeln unter keinen Umständen zu einer behördlichen Duldungspflicht führen und eine Legalisierungswirkung auslösen kann; eine behördliche Duldungspflicht wäre in dem betreffenden Sachbereich a limine ausgeschlossen, weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Behörde - unabhängig von der Konstellation des einzelnen Sachverhalts - niemals zum Gewährenlassen zwingen könnte. Diese Voraussetzung dürfte bei § 327 Abs. 1 StGB gegeben sein; das Betreiben einer kerntechnischen Anlage ohne Genehmigung ist im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Rechts- und Sachlage und die Größe der Gefahr nicht duldbar. Es ist aber zweifelhaft, ob der Strafgesetzgeber bei der Schaffung von Tatbeständen der (kriminellen) Genehmigungslosigkeit stets die verwaltungs rechtliche Rechtslage vor Augen haben und es vermeiden kann, der Duldung zugängliche Verhaltensweisen zu pönalisieren. In solchen Fällen ist eine Kollision oder ein "Wertungswiderspruch"224 nicht auszuschließen. Es könnte dann geboten sein, die "Inkonsequenz"225 der Rechtsordnung in der Weise zu beheben, daß eine verwaltungsrechtliche Duldungspflicht und eine aus ihr folgende Legalisierungswirkung verworfen werden. Eine solche strafrechtliche Rückwirkung auf das Verwaltungsrecht ließe sich damit begründen, daß die Entscheidung des Strafgesetzes für eine Kriminalstrafe 222 Vgl. z. B. § 106 Abs. 1 Nr.3 BIn.Bauordnung; § 113 Abs. 1 Nr. 13 Hess. Bauordnung. 223 Vgl. oben I4 b. 224 So die Formulierung von Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935,

5.59.

225 Vgl. Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl., 1931, § 217 Anm. VI.

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der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Boden entziehe, weil ein Verbot der genehmigungslosen Tätigkeit wegen der eindeutigen Zurücksetzung privater Interessen nicht unverhältnismäßig sein könne. Ein solcher Ausschluß der Legalisierungswirkung dürfte unausweichlich sein, wenn das Strafgesetz durch sein Unwerturteil zu erkennen gibt, daß es ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls das genehmigungslose Handeln unterdrücken will. Eine radikale Auflösung des zwischen öffentlichem Recht und Strafrecht bestehenden Widerspruchs wäre schließlich in der Weise denkbar, daß die Frage der Rechtswidrigkeit für beide Rechtsbereiche unterschiedlich beantwortet wird; der Strafgesetzgeber würde dann das Rechtmäßigkeitsurteil des Verwaltungsrechts nicht anerkennen und das Auseinanderfallen der rechtlichen Bewertung in Kauf nehmen. Schwierigkeiten der geschilderten Art treten jedoch bei der Anwendung des § 38 WHG und § 324 StGB nicht auf. Die Gesetzestechnik, die bei diesen Normen Verwendung gefunden hat, bedient sich nicht des Merkmals der Genehmigungslosigkeit, sondern verwendet den Begriff "unbefugt". Dieser aber ist mit den Vorentscheidungen anderer Rechtsgebiete, besonders des öffentlichen Rechts, verträglich, weil er automatisch die Rechtfertigungsgründe sonstiger Rechtsbereiche akzeptiert. Diese Offenheit für die außerstrafrechtliche Rechtfertigung läßt von vornherein die Entstehung von normativen Kollisionen, Konflikten, Wertungswidersprüchen und Inkonsequenzen nicht zu und verbürgt die Harmonie und damit die Einheit der Rechtsordnung. Das Prinzip der verwaltungsrechtlichen Legalisierungswirkung kann somit ohne Einschränkung in das Wasserstrafrecht übernommen werden. Dieses Ergebnis stimmt auch mit den Erkenntnissen der Rechtstheorie überein, die sich seit langem mit dem Problem befaßt, ob der Begriff der Rechtswidrigkeit für alle Rechtsgebiete einheitlich ist oder ob die Qualifizierung einer Handlung oder eines Erfolges zwischen den einzelnen Bereichen der Rechtsordnung variieren kann. Es ist naheliegend, unter der Rechtswidrigkeit, "einem gegen die Rechtsnorm verstoßenden Zustand oder Verhalten"22/! oder der "Rechtsnormwidrigkeit"227, ein solches Urteil zu verstehen, das generell gilt und nicht in bestimmten Rechtsbereichen durch das entgegengesetzte Urteil der Rechtmäßigkeit durchbrochen wird. Demgemäß wäre ein Verhalten, das nach öffentlichrechtlichen Vorschriften rechtmäßig ist, nicht strafrechtswidrig. Eine solche Parallelisierung der Rechtswidrigkeit entspricht dem Prinzip der "Einheit der Rechtsordnung", wie es Karl Engisch in seiner gleich228 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 1948, S. 208. 227 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 58.

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IV. Duldung durch die Behörden

namigen bekannten Studie entwickelt hat. Danach ist der "einheitliche Rechtswidrigkeitsbegriff" maßgeblich228 : "Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist stets festzustellen an Hand der gesamten Rechtsordnung unter Würdigung und Abwägung aller einschlägigen Interessen und Ausgleichung aller im Gesetz in Erscheinung tretenden Ordnungs- und Wertgesichtspunkte. Die getroffene Feststellung gilt dann allgemein und schlechthin. Rechtspflichtbegründungen und Unrechtsausschließungen wirken sich allgemein aus. Diesbezügliche Gesetzeswidersprüche müssen berichtigt werden. Unbenommen aber bleibt es stets der Rechtsordnung, an ein konkretes Unrecht oder an ein Unrecht bestimmter Art nur einzelne mögliche Folgen zu knüpfen, also nur Schadensersatz und keine Strafe oder nur Strafe und keinen Schadensersatz eintreten zu lassen usw. Wegen dieser Verschiedenheit der Unrechtsfolgen von Privat- und Strafrechtswidrigkeit zu sprechen, ist ein Mißgriff." Allerdings ist die These vom einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff nicht unangefochten, wie überhaupt das Problem der Rechtswidrigkeit im öffentlichen Recht bisher keineswegs endgültig gelöst ist. Vielmehr wird gelegentlich die "Notwendigkeit einer Rechtswidrigkeitslehre im öffentlichen Recht"229 betont. In der neueren Rechtstheorie .ist anerkannt, daß es Spannungen und Divergenzen zwischen den einzelnen Rechtsgebieten geben kann, soweit es um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit geht. Der traditionelle Satz, wonach die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit für alle Bereiche der Rechtsordnung einheitlich zu bewerten seien230, findet Widerspruch, während "unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung"231 für denkbar gehalten werden. Wenngleich "Rechtswidrigkeitsbeurteilungen" voneinander abweichen und damit "Rechtswidrigkeitskonflikte" herbeiführen können, "fordert eine einheitliche und geschlossene Rechtsordnung vom Rechtsanwender, durch Auslegung Sinnwidrigkeiten und Wertungswidersprüche auszuräumen"; daher sind "konkurrierende und kollidierende Unrechtsurteile einzelner Rechtsdisziplinen im Hinblick auf die gesamte Rechtsordnung zu lösen"232. Überträgt man diese Erwägung. auf die Interpretation und Anwendung der § 38 WHG und § 324 StGB, so erweist sich wiederum, .daß Ebd. S. 58. So der Titel eines Aufsatzes von Schad, in: Recht - Umwelt - Gesellschaft, Festschrift für Pikalo zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Frohberg u. a., 1979, S. 247 ff. 230 Siehe Schönke!Schröder!Lenckner, Rdn.27 vor § 32 StGB (vgl. auch Cramer, ebd., Rdn.83 zu § 263 StGB); Lackner, Anm.3a vor § 13 StGB. Als "Chimäre" wird die "Einheit der Rechtsordnung" von Bettermann, über die Bindung der Verwaltung an zivilgerichtliche Urteile, in Festschrift für F. Baur, hrsg. v. Grunsky u. a., 1981, S.273, 295 (Fn.49), bezeichnet. 231 So der Titel einer Schrift von Kirchhof, 1978. 232 Kirchhof, S. 37 f., 32, 27. 228

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die - durch die Verwendung des Merkmals "unbefugt" gekennzeichneten - wertungsoffenen Tatbestände geeignet sind, das Rechtmäßigkeitsurteil des öffentlichen Rechts aufzunehmen und es ins Strafrecht zu transponieren. Angemerkt sei nur noch, daß selbst dann, wenn eine Legalis~erungs­ wirkung der Duldung (oder die Maßgeblichkeit des verwaltungs rechtlichen Rechtmäßigkeitsurteils für das Strafrecht) bestritten würde, die Anwendung des Strafrechts auf verwaltungsrechtlich vorgeformte Sachverhalte erhebliche Schwierigkeiten mit sich brächte. Da die Legalisierungswirkung auf diejenigen Fälle beschränkt wurde, in denen die Behörde kraft des Verhältnismäßigkeitsprinzips oder anderer Rechtsgrundsätze am Eingreifen gehindert ist, hätte die Annahme einer Strafrechtswidrigkeit folgende Konsequenz: Obwohl es der Behörde nach öffentlichem Recht untersagt ist, den genehmigungslosen Aktivitäten ein Ende zu bereiten, dürften strafrechtliche Sanktionen in Betracht gezogen werden, weil das Verhalten - trotz der behördlichen Duldungspflicht - strafrechtswidrig wäre; damit wäre aber zugleich eines der klassischen Polizeirechtsgüter, die Wahrung der öffentlichen Sicherheit, gefährdet, so daß die mit der Betreuung der polizei- oder ordnungsbehördlichen Generalklauseln betrauten Behörden Anlaß zum Einschreiten hätten. Da aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die primär zuständige Fachbehörde an der Intervention hindert, kann eine Eingriffskompetenz der Polizei- oder Oronungsbehörde gleichfalls nicht gegeben sein, da sie denselben verfassungs rechtlichen Schranken unterliegt. Es bestätigt sich auch an Hand dieser überlegungen wieder, daß die Rechtsordnung widersprüchlich wäre, wenn sie die Verwaltungsbehörden zum Dulden -eines privaten Tuns verpflichtete und zugleich den Strafrichter mit der Bestrafung eben dieses Tuns betraute, dessen Fortsetzung nicht verboten und verhindert werden kann. Die legalisierende Wirkung der Duldung tritt jedenfalls dann ein, wenn die Behörde von Verfassungs wegen zur Duldung verpflichtet ist, sei es, daß sie auf Grund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, grundrechtlicher Bestimmungen oder anderer Rechtsprinzipien am Einschreiten gehindert ist. Denn in diesen Fällen greift der oben233 geäußerte Gedanke ein, daß es widersprüchlich und der Einheitlichkeit der Rechtsordnung abträglich wäre, wenn dem Privaten eine Tätigkeit untersagt wäre, von deren Fortsetzung ihn die Behörden aber nicht abhalten dürften. Nicht weiter nachgegangen wird hier der Frage, welche Auswirkungen auf das private Handeln eine Duldung hat, die vom Recht nicht geboten ist, sei es, daß sie einer Ermessensentscheidung entspringt, sei es, daß sie sogar 233

S. 70 ff.

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IV. Duldung durch die Behörden

rechtswidrig ist;234. Die Gründe einer solchen Toleranz gegenüber bürgerlichem Ungehorsam sind unterschiedlicher Art und hängen von den Ermessenserwägungen ab, die bei der Anwendung der jeweiligen Ermessensnorm angestellt werden dürfen. So kann das Opportunitätsprinzip es zum Beispiel geraten erscheinen lassen, Rechtsverstöße nicht zu unterbinden, weil die Erteilung der Genehmigung in absehbarer Zeit zu erwarten ist oder große wirtschaftliche Werte vernichtet werden müßten. Ohne Belang ist im vorliegenden Zusammenhang auch die nicht seltene Erscheinung, daß Polizei- und Ordnungsbehörden Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit - zum Beispiel Straftaten bei der sogenannten Besetzung leerstehender Häuser - dulden. Unsere Studie befaßt sich lediglich mit den Problemen der Duldung genehmigungslosen HandeIns (und ungenehmigter Zustände). Soweit das Polizei- und Ordnungsrecht das Institut des Erlaubnisvorbehalts verwendet, finden die hier gewonnenen Erkenntnisse Anwendung. Ob sie auch außerhalb des Bereichs der Genehmigungserfordernisse gelten, bedürfte weiterer Überlegungen. b) Obgleich die Duldung noch kein ,allgemein anerkanntes Institut des allgemeinen Verwaltungsrechts und überdies im Wasserhaushaltsgesetz und in den Wassergesetzen nicht erwähnt ist, findet man in der wasserrechtlichen Literatur und Rechtsprechung bezeichnenderweise in zunehmendem Maße Auseinandersetzungen damit. Häufig haben es die Gerichte mit Fällen zu tun, in denen Einleitungen ohne Erlaubnis erfolgen, sei es, daß über den entsprechenden Antrag oft nach Jahren - noch nicht entschieden ist; teilweise sind es auch Fälle, in denen die Einleitung trotz erfolgter Untersagung fortgesetzt wird. In all diesen Fällen haben die Behörden, meist über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg, die Einleitungen dennoch geduldet, teilweise durch bloßes Nichteinschreiten, teilweise unter gleichzeitigem Bemühen, im Zusammenwirken mit den Einleitern eine Verbesserung der Abwassersituation herbeizuführen. Die Häufung solcher Fälle ist für sich bereits ein bemerkenswerter verwaltungssoziologischer Befund im Hinblick auf den Vollzug des Wasserhaushaltsgesetzes und zeigt, daß der hier erörterte Fall nicht außergewöhnlich ist. Die rechtliche Bewertung der Duldung in Rechtsprechung und Literatur ist durchaus unterschiedlich. Am häufigsten findet sich die Aussage, daß die bloße, die stillschweigende oder die formlose Duldung die Gewässerverschmutzung nicht befugt mache235 • Dem ist insoweit zuzuZum Problem der Strafbarkeit siehe unten S. 105 ff. So OLG Stuttgart, ZfW 1977, 177, 180; ZfW 1976, 378, 380; OVG Koblenz, ZfW 1975, 104, 107; Herrmann, ZStrW 1979, 281, 300; Hill, Gew.Arch. 1981, 155, 157; Lackner, Anm.5a zu § 324 StGB; Laufhütte/Möhrenschlager, 284

285

3. Opportunitätsprinzip

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stimmen, als die Duldung, die auf bloßer Untätigkeit beruht und damit gar kein Ergebnis der Ermessensausübung darstellt - von extremen Ausnahmefällen abgesehen - kein die Gewässerverunreinigung rechtfertigendes Verhalten der Behörde darstellen kann. Soweit im Dulden der Behörde eine bewußte Entscheidung für die Hinnahme der Gewässerverunreinigung zu sehen ist, wird angenommen, daß darin jedenfalls die Grundlage für einen Verbotsirrtum liegt, der das Verhalten des Einleiters zwar nicht rechtfertigt und damit befugt macht, aber doch entschuldigt2a6. Andererseits geht man mitunter so weit, in der Duldung die stillschweigende Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis zusehen237 , was aber, wie oben238 gezeigt, im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beurteilen ist. Die Duldung wird auch als ausreichende Grundlage für die Haftung nach § 22 WHG gesehen239 • Unter bestimmten Voraussetzungen wird der Duldung aber nicht nur entschuldigende, sondern rechtfertigende Wirkung zuerkannt, die dazu führt, daß die entsprechende Gewässerverunreinigung nicht mehr unbefugt i. S. des § 38 WHG ist. So stellt das OLG Stuttgart240 fest: "Weiß eine Verwaltungsbehörde oder muß sie damit rechnen, daß mit bestehenden oder in Aussicht genommenen Anlagen eine hinreichende Reinigung nicht erreicht werden kann und ein Reinigungsverfahren erst entwickelt werden muß, und erteilt sie dennoch eine Einleitungsbefugnis mit der Nebenbestimmung, daß weitere Anlagen errichtet werden, so duldet sie nicht nur vorläufig die Einleitung unzureichend gereinigter Abwässer, sondern nimmt sie sogar billigend in Kauf."

Dieses billigende "Inkaufnehmen" ist aber nichts anderes als eine qualifizierte Form der Duldung im Unterschied zur "bloßen" Duldung. Dieser qualifizierten Duldung, die insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, daß die Behörde nicht nur passiv duldet, sondern aktiv auf das ZStrW 1980, 921, 932; Sack, Rdn.112 zu § 324 StGB; Sieder/Zeitler/Dahme, Rdn.20 zu § 38 WHG; Giesecke/Wiedemann/Czychowski, Rdn.lO zu § 38 WHG. Diese für das Wasserrecht getroffene Aussage deckt sich mit der Feststellung bei Woljf!Bachoj: Schweigendes Dulden genügt ... nicht ... zur Gestattung rechtswidriger Zustände ... " (VerwR I, § 50 11 c 2 [S.418]). 238 So Lackner, Anm.5a zu § 324 StGB; Laujhütte/Möhrenschlager, ZStrW 1980, 932; OLG Stuttgart, ZfW 1977, 118, 125; OLG Karlsruhe, BWVPr. 1980, 36; AG Opladen, Urteil vom 16. 3. 1973, 5 Ms 1/73 (unveröffentlicht); AG Wiesbaden, Urteil vom 4. 10. 1972, 8 Ls 25/72 (unveröffentlicht); StA beim LG Mannheim, NJW 1976, 585, 586 f.; s. auch Sack, Rdn. 113 zu § 324 StGB. 231 Siehe BGHZ 55, 180, 187; Wernicke, NJW 1976, 1223, 1224 und NJW 1977, 1662, 1664. 238 Unter 11 6. 239 So BGHZ 55, 180, 187. 240 Urteil vom 18. 10. 1976, ZfW 1977, 118, 121; vgl. auch OLG Karlsruhe, BWVPr. 1980, 36.

IV. Duldung durch die Behörden

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weitere Geschehen Einfluß nimmt, indem sie auf die Verbesserung der Abwassersituation hinwirkt, wird rechtfertigende Wirkung zuerkannt. Im Anschluß an die Feststellung, daß die bloße behördliche Duldung die Gewässerverunreinigung nkht befugt mache, sprechen sich auch Gieseke/Wiedemann/Czychowski241 dafür aus, einem in sich widersprüchlichen Verhalten der Behörde rechtfertigende Kraft zuzuerkennen. Diese Feststellung treffen sie unter Zitierung des Urteils des OLG Stuttgart vom 22.4.1977 242 , wo zunächst ausgeführt wird, daß die bloß stillschweigende Hinnahme einer unerlaubten Abwassereinleitung keine rechtfertigende Wirkung habe. Dann aber wird im Hinblick auf die Tatsache, daß die Behörde für die immer noch unerlaubte Einleitung die Einhaltung bestimmter Werte bezüglich der Beschaffenheit des Abwassers aufgegeben hatte, gefolgert, daß die Behörde jedenfalls übergangsweise bereit war, die Einleitung zu dulden. Ohne daß es im konkreten Fall darauf ankam, gibt das Gericht zu erkennen, daß dieser Duldung rechtfertigende Kraft zukommen würde, da andernfalls das Verhalten der Behörde widersprüchlich, mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre. Hier wird erkennbar, daß die Aussage bei Gieseke/Wiedemann/ Czychowski, ein in sich widersprüchliches Verhalten der Behörde habe rechtfertigende Kraft, den Kern des Problems und der Entscheidung des OLG Stuttgart etwas schief wiedergibt. Nicht das widersprüchliche Verhalten - ein solches wird in der Entscheidung auch gar nicht näher dargestellt - ist das Ausschlaggebende. Ausschlaggebend ist vielmehr die Tatsache, daß die Behörde die unerlaubte Einleitung nicht nur stillschweigend duldet, sondern in qualifizierter Form, indem sie aktiv auf die Abwassersituation Einfluß nimmt durch die Vorgabe bestimmter Abwasserwerte. Eine solche aktive Duldung muß rechtfertigende Kraft haben, da das Verhalten der Behörde andernfalls widersprüchlich und mit Treu und Glauben unvereinbar wäre. Eine solche aktive Duldung liegt natürlich nicht nur dann vor, wenn die Behörde für eine nicht erlaubte Einleitung Abwasserwerte angibt, sondern in all den Fällen, in denen sie über die bloß stillschweigende Duldung hinausgeht und aktiv auf das Geschehen Einfluß nimmt, indem sie z. B. mit den Einleitern die Situation erörtert, Vorschläge zur Reinigung der Abwässer macht, entsprechende Baurnaßnahmen empfiehlt oder aufgibt, entsprechende Zeitpläne zur Verwirklichung solcher Maßnahmen verlangt oder selbst aufstellt, generell auf die Schaffung einer Abwassersituation hinwirkt, in der die zwischenzeitlich geduldete Einleitung erlaubt werden kann. !41

242

Rdn. 10 zu § 38 WHG. ZfW 1977, 177, 180.

3. Opportunitätsprinzip

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c) Das Verhalten der Behörden gegenüber dem Werk ist eindeutig nicht durch eine bloß stillschweigende Duldung der unerlaubten Einleitungen gekennzeichnet, sondern durch ein solches aktives Dulden. Lange Jahre hindurch nahmen die Behörden in vielfältiger Weise und in Kooperation mit dem Unternehmen auf die Abwassersituation Einfluß. Insbesondere ist auf die Verbesserungsvorschläge der Behörde hinzuweisen, die sie dem Werk unterbreitete. Auch der Bau der biologischen Kläranlage geschah im beiderseitigen Einvernehmen. Angesichts dieser Kooperation ist unbestreitbar der Bereich der bloß stillschweigenden Duldung der unerlaubten Einleitungen eindeutig verlassen. Hier liegt eine aktive Duldung in einer besonders ausgeprägten Form vor, die durch ständiges Zusammenwirken von Behörde und Unternehmen gekennzeichnet ist. Wird in Literatur und Rechtsprechung in den oben behandelten Fällen der aktiven Duldung - im Gegensatz zur bloß stillschweigenden - zutreffenderweise rechtfertigende Kraft zugesprochen, so bleibt, da die Duldung noch kein allgemein anerkanntes Institut des allgemeinen Verwaltungsrechts ist, doch noch das Problem offen, woraus, d. h. aus welchem Rechtsgedanken, sich diese rechtfertigende Kraft der Duldung im Wasserrecht ergibt. (1) Die genannten Urteile des OLG Stuttgart und die Ausführungen in der Literatur deuten in die Richtung, daß die angenommene rechtfertigende Kraft der aktiven Duldung sich aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes ergibt. Das wird nicht ausdrücklich formuliert, doch legt der Hinweis auf Treu und Glauben243 dies nahe, da Treu und Glauben häufig für die Begründung des Vertrauensschutzes im öffentlichen Recht herangezogen werden244 • Ob diese Begründung zutreffend is~5, spielt hier keine Rolle. Unabhängig von der Entscheidung dieser Frage ist die Geltung des Vertrauensschutzes auch.im öffentlichen Recht anerkann~6 und führt im Einzelfall zu Abweichungen vom strengen Gesetzesvollzug. So sind ohne Zweifel Fälle denkbar, in denen die rechtfertigende Kraft einer behördlichen Duldung auf den Grundsatz des Vertrauenssch.utzes zu stützen ist. Für den vorliegenden Fall allerdings ist diese Sicht nicht ganz zutreffend. Dies ergibt sich aus folgender

243

Siehe OLG Stuttgart, ZfW 1977, 118, 121 und ZfW 1977, 177, 180; Gie-

sekejWiedemannjCzychowski, Rdn. 10 zu § 38 WHG. 244 Mainka, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, 1963, S. 2 ff., lehnt

zwar theoretisch die Herleitung des Vertrauensschutzes aus Treu und Glauben ab, fällt in konkreten Einzelpunkten aber selbst auf diese Sicht zurück. 245 Kritisch Randelzhofer, Gleichbehandlung im Unrecht?, JZ 1973, 536, 543. 246 Siehe statt aller Kisker und Püttner, Vertrauensschutzim Verwaltungsrecht, VVDStRL, Heft 32,1974, 149ff. und 200 ff. mit w. N.

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IV. Duldung durch die Behörden

überlegung: Vertrauensschutz ist Dispositionsschutz241 , d. h. geschützt wird der Bürger hinsichtlich der Dispositionen, die er im Vertrauen auf das Verhalten der Behörde unternommen, nicht aber hinsichtlich derer, die er bereits vor dem Verhalten der Behörde begonnen hat. Das Unternehmen leitete seine Abwässer ein, längst bevor es durch behördliche Duldung dazu hätte veranlaßt werden können. Allerdings hat das Werk im Vertrauen -auf das Verhalten der Behörde erhebliche Investitionen vorgenommen, wie z. B. den Bau der biologischen Kläranlage, die zu Veränderungen der Abwassersituation geführt haben. Insoweit kommt auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes als Basis der Duldung in Betracht. (2) Dem muß hier aber nicht weiter nachgegangen werden, da sich für alle Einleitungen die rechtfertigende Kraft der Duldung aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ergibt. (a) Neben dem Gebot der Erforderlichkeit ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit die zweite Säule des aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Übermaßverbotes. Letztlich im Verfassungsprinzip des Rechtsstaats verankert, ist die Wirkungsweise des Gebotes der Verhältnismäßigkeit keineswegs auf das Verfassungsrecht beschränkt. Im einzelnen unterschiedlich, wirkt es sich im gesamten öffentlichen Recht aus. So gilt es auch für das Wasserecht. Zu Recht spricht daher das OLG Hamm248 von dem "das Wasserhaushaltsgesetz durchziehenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit". Auch das BVerwG249 hat die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das Wasserrecht betont. Im einzelnen hat es dazu ausgeführt: "Daran darf eine Wasserbehörde bei Erlaß einer wasserrechtlichen Untersagungsverfügung mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vorbeigehen ... Hoheitliche Eingriffe sind nur dann und insoweit zulässig, als sie zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich sind; sie müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen. Unter diesen Gesichtspunkten bedarf es in jedem konkreten Fall einer Abwägung zwischen dem jeweils geschützten öffentlichen Interesse und den privaten Belangen des Betroffenen." Bedenken, wie sie von Stortz in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung21iO gerade gegen die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erhoben werden, können nicht überzeugen251 • Sie gehen 2&7

248

248 250 251

Siehe Kisker, S. 161 ff.

ZfW 1974, 315, 317. ZfW 1978, 371, 374 f.; ähnlich OVG Hamburg, DVBl. 1979, 235, 236. ZfW 1978, 375, 376. Gegen Stortz zu Recht Send Zer, S. 416 (Anm. 55).

3. Opportunitätsprinzip

81

von einer auf den Gewässerschutz isolierten Sicht aus, die nicht beachtet, daß das Verfassungsrecht, und dabei gerade auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die gesamte Rechtsordnung durchdringt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz realisiert sich bevorzugt auf der Ebene des einfachen Gesetzes und des Gesetzesvollzugs. Daß dies selbstverständlich auch für das Wasserrecht gilt, ergibt sich schon daraus, daß Gewässeraufsicht bzw. -überwachung ein Teilgebiet des Polizei- und Ordnungsrechtes und die polizeirechtliche Generalklausei wesentliche Befugnisnorm für repressive Maßnahmen der Wasserbehörden ist. Die fundamentale Rolle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerade im Polizeirecht252 aber ist unbestritten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann dazu führen, daß eine nicht erlaubte Einleitung von der Behörde nicht untersagt werden kann, da der daraus resultierende Schaden höher wäre als das Schutzgut der Reinheit der Gewässer. Die solcherart geduldete bzw. zu duldende Einleitung erfolgt dann nicht unbefugt i. S. des § 38 WHG und des § 324 StGB. Ein solches Ergebnis - nicht erlaubt nach § 7, aber dennoch nicht unbefugt nach § 38 WHG - ist nicht widersprüchlich. Es entspricht der dargestellten Struktur des § 38 WHG. Das Merkmal "unbefugt" wird nicht nur durch die wasserrechtlichen Befugnisse (Bewilligung, Erlaubnis etc.) ausgeschlossen, sondern auch durch andere Rechtfertigungsgründe. Daß bei der rechtlichen Bewältigung tatsächlicher Zustände dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine überragende Bedeutung zukommt, hat auch der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Sendler in seiner schon mehrfach zitierten Studie "über formelle und materielle (!I)legalität im Baurecht und anderswo ..253 betont. Er bezeichnet den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als ein "legitimes - zudem verfassungsrechtlich gebotenes - Instrument, allzu forsche Behörden, die gelegentlich jahrelange Saumseligkeit durch plötzlichen übertriebenen Aktionismus kompensieren wollen, bei dem an sich berechtigten Kampf gegen materielle Jllegalität - wo auch immer: im Baurecht, Wasserrecht oder sonstwo, und zwar hier wie dort in prinzipiell gleichartiger Weise - zu bremsen". (b) Daß im vorliegenden Fall die Duldung der Behörde auf den von ihr akzeptierten und erkannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurück251 Siehe Drews/Wacke/VogeZ/Martens, Gefahrenabwehr, 8. Auf!., Bd. I, 1975, S.154 ff.; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., 1980, S. 77 ff. - Vgl. generell zu diesem Problemkreis Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte und das Übermaßverbot, AöR 104 (1979), 414 ff. !53 In: Raumplanung und Eigentumsordnung, Festschrift für W. Ernst, 1980, S. 403 ff.

6 Randelzhofer/Wilke

IV. Duldung durch die Behörden zuführen ist, ergibt sich aus der Einsicht in das Dilemma der Behörde. Die Behörde sah sich Erlaubnisanträgen gegenüber, bei denen sie wegen Unvereinbarkeit mit § 6 "\\'HG davon ausging, daß die beantragten Einleitungen nicht erlaubnisfähig seien. Dabei ist es nicht entscheidend, ob dies auch objektiv so war oder ist. Es genügt insofern, daß dies die Ansicht der Behörde war oder ist. Die Konsequenz dieser Ansicht wäre eigentlich gewesen, die dennoch erfolgenden Einleitungen zu untersagen. An der Ziehung dieser Konsequenz sah sie sich aber wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehindert, da die Unterbindung der Einleitungen zumindest einen teilweisen, in manchen Fällen einen vollständigen Stillstand der Produktion bedeutet hätte, mit den entsprechenden, in jedem Fall hohen Verlusten an Arbeitsplätzen. Die Behörde hat zu Recht von der Unterbindung der Einleitungen Abstand genommen, da ,die bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende Interessenabwägung nach ähnlichen Gesichtspunkten zu erfolgen hat wie im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes254 und damit auch zu dem gleichen Ergebnis führen muß. Zu Unrecht behauptet Wiedemann256 - ohne Begründung -, daß das Interesse der Allgemeinheit an der Reinhaltung der Gewässer grundsätzlichen Vorrang habe. Zutreffend führt das OLG Hamm256 dagegen aus: "Diese ... Auswirkungen auf die Existenz des Betriebes mit ihren wirtschaftlichen und insbesondere auch arbeitsrechtlichen Folgen sind auf der Grundlage von Feststellungen über Größe des Betriebes und die Zahl der Beschäftigten und von einer Einstellung Betroffenen abzuwägen gegen Art und Ausmaß etwaiger von den Abwässern ausgehender Gefahren für die Allgemeinheit und dementsprechend zu beurteilenden Dringlichkeiten ihrer sofortigen oder alsbaldigen Abstellung." Diese wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchzuführende Interessenabwägung mußte bzw. muß aus den Gründen, wie sie oben bei der Erörterung des rechtfertigenden Notstandes dargelegt wurden, zu dem Ergebnis führen, daß die Untersagung der Einleitungen, weil unverhältnismäßig, nicht in Frage kommt. Die Wirkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verurteilt die Behörde aber nicht zur Untätigkeit, zu einem passiven Dulden der unerlaubten Einleitung. Sie ändert nichts an der grundsätzlichen Verpflichtung der Behörde, auf die Reinhaltung der Gewässer zu achten; sie führt lediglich dazu, daß sie zur Verfolgung dieses Zieles nicht das unverhältnismäßige Mittel der Untersagung der Einleitung einsetzen darf. In dieser Situation erweist sich die aktive Duldung als das verhältnismäßige Mittel, mit dem die Behörde ihre Aufgabe erfüllt. Sie ist 254

255 25&

Siehe oben III. Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm, ZfW 1974, 319, 321. ZfW 1974, 315, 317.

3. Opportunitätsprinzip

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weiterhin berechtigt, ja verpflichtet, mit verhältnismäßigen Mitteln auf die Verbesserung der Abwassersituation hinzuwirken. Indem sie nun, im Zusammenwirken mit dem Einleiter, auf die Verwirklichung der notwendigen Maßnahmen hinarbeitet, beweist sie das notwendige Maß an Flexibilität, ohne das heute Verwaltungshandeln angesichts zunehmend komplexer Lagen nicht mehr erfolgreich sein kann. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt aber auch dem Einleiter keinen Freibrief, seine unerlaubte, u. U. nicht einmal erlaubnisfähige, Einleitung ohne Änderung unbegrenzt lange fortzusetzen. Er darf sich den Vorschlägen der Behörde zur Besserung der Abwassersituation nicht verschließen, sondern muß sie im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten verwirklichen. Im vorliegenden Fall haben die Behörden im Wege der aktiven Duldung in vielfacher Weise auf den Einleiter zur Verbesserung der Abwassersituation eingewirkt. Von diesem sind die entsprechenden Anregungen und Vorschläge aufgenommen worden, so daß es zu einer regelrechten Kooperation gekommen ist. Wer darin unzulässige Kollaboration, ja Kumpanei, zwischen Staat und Wirtschaft sieht, verkennt, daß diese Kooperation in Wahrheit die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgezeichnete, flexible Handlungsweise zur Bewältigung einer komplexen Lage ist. "Nicht erst bei der inhaltlichen Gestaltung einzelner Entscheidungen, sondern bereits bei der Auswahl des Typus des Verwaltungshandelns wirkt Verfassungsrecht mitentscheidend ... Die Herausbildung neuerer Formen des Verwaltungshandelns verdankt ihren Ursprung unter dem Grundgesetz nicht mehr in erster Linie analogen Anwendungen der Handlungsformen des Bürgerlichen Rechts, sondern vorwiegend dem Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes ... Das rechtsstaatliche Schutzsystem hat daher verstärkt die Ermöglichung des Disponierens durch angemessene Handlungsweisen der Verwaltung einzubeziehen ...257" Zu betonen ist, daß es hierbei nicht - jedenfalls nicht nur - um ein Problem der Effizienz und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns258 geht, sondern um ein solches der Rechtmäßigkeit. (e) Was sich hier im Rahmen des Wasserrechts zeigt, ist nur ein Ausschnitt aus einer generellen Entwicklung: Zur Bewältigung komplexer Lagen entwickeln sich in der Verwaltungspraxis, oft unter maßgeblichem Einfluß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, neben den tra257 So zutreffend Fiedler, Die materiell-rechtlichen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die Systematik der verwaltungsrechtIichen Handlungsformen, AöR 1980, 112, 113, 114. %58 Dazu jüngst Lange, Kriterien für die Wirksamkeit von Instrumenten und Programmen des Verwaltungshandelns, DÖV 1981, 73 ff.

6'

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IV. Duldung durch die Behörden

ditionellen Formen des Verwaltungshandelns neue, flexiblere Formen. Daß diese modernen, flexibleren Formen des Verwaltungshandelns in den Verwaltungsverfahrensgesetzen nicht "kanonisiert" sind, spricht weder gegen ihre Zulässigkeit noch gar gegen ihre Wirksamkeit in der Praxis. Mit ihrer einseitigen Konzentrierung auf die Handlungsformen des Verwaltungsaktes und des öffentlich-rechtlichen Vertrages sind die Verwaltungsverfahrensgesetze trotz ihrer kurzen Geltungsdauer bereits wieder anachronistisch, mißt man sie an der Formenvielfalt tatsächlichen Verwaltungshandelns259 • Die entsprechende Kritik an den Verwaltungsverfahrensgesetzen ist ebenso allgemein2410 wie die Einsicht in die Bedürfnisse des modernen Staates, der um seiner Effizienz willen nach neuen rechtlichen Handlungsformen verlangt und sie praktisch auch entwickelt und anwendet. "Bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verwaltungsverfahrensgesetzes war der Prozeß der nicht zuletzt verfassungsrechtlich begründeten Mediatisierung des Verwaltungsaktes weitgehend abgeschlossen und eine Vielzahl ergänzender Handlungsformen praktisch anerkannt und rechtlich zur Kenntnis genommen worden"261. Unbestreitbar ist die Verwaltungspraxis auf die Entwicklung von "Zwischenformen" des Verwaltungshandelns angewiesen; Rechtsprechung und Wissenschaft können sich diesem Bedürfnis nicht verschließen. Zu Recht spricht man vom offenen System der Handlungsformen im Verwaltungsrecht262 • Der Versuch, das Verwaltungshandeln auf die Formen der Verwaltungsverfahrensgesetze zu beschränken und damit einen numerus clausus des verwaltungsrechtlichen Instrumentariums zu statuieren, muß an dem Bedürfnis nach flexibleren Möglichkeiten des Verwaltungshandelns scheitern263 • "Dabei liegt es in der Konsequenz eines daseinsumhegenden, lebensbegleitenden und demokratischen Staates, daß die Verwaltung von dem Unterwerfung heischenden Befehl abrückt und ein auf Kooperation abgestimmtes Instrumentarium sucht. An die Stelle der Androhung tritt der Anreiz, an die Stelle der Rechtsverbindlichkeit die überzeugungskraft, an Stelle der Strafe der Steuernachteil, an Stelle des Vollzugsorgans der private Verwaltungs258 Zutreffend Lerche, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Geflecht der Rechtskontrollen, BayVBl. 1980, 262, der ausführt: "Diese Gesetze (sc. die Verwaltungsverfahrensgesetze) haben sich vom liebenswürdigen Charme des Gestrigen wohl allzu sehr einfangen und fesseln lassen." 200 Dazu jüngst wieder Fiedler, AöR 1980, 98 ff. 261 Fiedler, AöR 1980, 99. 262 Fiedler, AöR 1980, 110. 263 Charakteristisch BVerwGE 45, 309, 317, das dem "Planverfahren vorgeschaltete Besprechungen, Abstimmungen, Zusagen, Verträge u. a. m." als unerläßliche Handlungsformen des Bauplanungsrechts bezeichnet.

3. Opportunitätsprinzip

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mittler, an Stelle der Vollstreckung die Verständigung ... Das Verwalten wird unauffälliger, rücksichtsvoller, differenzierter264 ." Unter zunehmender Verwendung solcher flexibleren Formen ist insbesondere das Verhältnis von Staat und Wirtschaft immer stärker durch Kooperation und Konsultation als durch Über- und Unterordnung gekennzeichnet. Unter der Überschrift "Verwalten durch Konsultation und Kooperation" stellt Schupper-f65 zutreffend fest: "Für die öffentliche Aufgabe der Wirtschaftssteuerung ist kennzeichnend, daß sie ohne die Informations- und Kooperationsbereitschaft der beteiligten Wirtschaftskreise nicht mit Aussicht auf Erfolg erfüllt werden kann. Die moderne staatliche Wirtschaftspolitik - Wachstums-, Konjunktur- und Strukturpolitik - ist im hohen Maße konsensbedürftige Politik. Dies hat zur Folge, daß das Instrumentarium staatlichen HandeIns über die klassische Regelsetzung und die inzwischen ebenso klassische Setzung von Anreizen hinaus zusehends erweitert wird um die Dimension des Gesprächs, sei es in Beiräten, der Konzertierten Aktion, informellen Arbeitsessen oder direkten Vertragsverhandlungen. Regieren und Verwalten heißt heute wesentlich auch, Überzeugungsarbeit zu leisten." Diese Entwicklung kann und muß hier nicht ausführlich dargestellt werden. Es genügen einige beispielhafte Skizzierungen. So hat sich die Zusage in der Verwaltungspraxis entwickelt, längst bevor sie nun in § 38 VwVfG eine gesetzliche Regelung gefunden hat. Der Grund dafür war das auch durch den Verhältnissmäßigkeitsgrundsatz bedingte Bedürfnis nach weiteren, flexibleren Formen des Verwaltungshandelns neben den traditionellen Formen266 • Ähnliches gilt für die extra-legale Entwicklung des öffentlichrechtlichen Vertrages~7. In jüngster Zeit bietet vor allem das Kartellrecht Anschauungsmaterial für diese Entwicklung. Dort hat das Bundeskartellamt in den Fusionsfällen Siemens/Osram268 , Bayer/Metzeler und WAZ/NRZ~9 als Instrument der Fusionskontrolle die Zuze4 So Kirchhof, Verwalten durch "mittelbares" Einwirken, 1977, S.1. zu Die öffentliche Aufgabe als Schlüsselbegriff der Verwaltungswissenschaft, Verw.Arch. 1980, 340. 2ee Die These von der Zusage als Instrument flexiblen Verwaltungshandelns ist eine Kernaussage in der Schrift von Fiedler, Funktion und Bedeutung öffentlich-rechtlicher Zusagen im Verwaltungsrecht, 1977, insbesondere

ff. Vgl. Bosse, Der subordinationsrechtliche Verwaltungsvertrag als Handlungsform öffentlicher Verwaltung, 1974, S. 16 f., 42. 2118 Siehe Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 15. 12. 1975, WuW

S. 211 287

1976,81 f. zu Siehe Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 4. 12. 1975, WuW 1976,80 f.

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IV. Duldung durch die Behörden

sage Privater und den (öffentlich-rechtlichen) Vertrag zwischen der Kartellaufsicht und Privaten als Instrumente der Kartellaufsicht eingesetzt, obgleich diese im GWB nirgends vorgesehen sind. Nach § 24 Abs. 2 GWB ist eine Fusion durch das Bundeskartellamt zu untersagen, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, d. h. eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. In den genannten Fällen hat das Bundeskartellamt jedoch von der Untersagung abgesehen, da es auf die von den Unternehmen gegebenen Zusagen vertraute, die das Entstehen bzw. die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung verhinderten. Von der Kritik wurde dagegen eingewandt, diese Zusagenpraxis sei eine im GWB nicht vorgesehene, systemwidrige Verhaltenskontrolle mit der Gefahr rechts- und zweckwidriger Kungelei zwischen Kartellaufsicht und Privaten2'lo. Demgegenüber hat das Kammergericht in seinem Beschluß vom 12.1.1976 die Zusage Privater im Fusionskontrollverfahren als legitimes Mittel der Kartellaufsicht anerkannt. Es hat dazu ausgeführt: "Der Kartellsenat ist der Auffassung, daß das BKartA bei der Prüfung der im Falle eines Unternehmenszusammenschlusses (§ 24 I GWB) zu erwartenden Marktentwicklung auch glaubwürdige Zusagen der beteiligten Unternehmen, strukturelle Maßnahmen (z. B. Verkauf bestimmter Produktionsanlagen) zu treffen, die die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung für die Zukunft ausschließen, berücksichtigen muß. Der Einwand der Ast., bei bereits vollzogenen Zusammenschlüssen sei die marktbeherrschende Stellung schon entstanden, so daß das BKartA sich gern. § 24 II 1 GWB nicht mit ,einer Entflechtungszusage begnügen könnte, verkennt, daß ein vollzogener Zusammenschluß durch eine Untersagungsverfügung nicht sofort aufgelöst wird, den betroffenen Unternehmen vielmehr gegenüber der Untersagungsverfügung das Rechtsmittel der Beschwerde und gegebenenfalls auch der Rechtsbeschwerde zusteht und erst nach Rechtskraft der Untersagungsverfügung die Entflechtung gern. § 24 VI, VII GWB angeordnet werden kann, sofern das Unternehmen die Entflechtung nicht freiwillig vornimmt. Auch gegenüber Entflechtungsanordnungen sind wiederum Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung möglich. Angesichts dieser Situation handelt das BKartA nicht rechtsfehlerhaft, wenn es bei seiner Prüfung der Auswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses auf die Marktverhältnisse im öffentlichen Interesse an einer schnellstmöglichen Wiederherstellung wettbewerbsintensiver Marktstrukturen darauf achtet, ob diese eher über eine freiwillige Entflechtungszusage oder über eine behördliche Verbotsverfügung erreicht werden271 ." 270 Siehe den Nachweis bei R. Scholz, Zusagen Privater und öffentlichrechtliche Verträge im Rahmen der Fusionskontrolle, in Gutzler/Herion/Kaiser (Hrsg.), Wettbewerb im Wandel, 1976, 223, 225. 271 NJW 1976, 808, 809.

3. Opportunitätsprinzip

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Diese Entscheidung hat die Bundesregierung ver anlaßt, auf die geplante ausdrückliche Regelung272 der Zusage im Dritten Änderungsgesetz zum GWB zu verzichten. Wenn auch nicht ausdrücklich genannt, liegt den Ausführungen des Kammergerichts jedenfalls auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu Grunde. Ausdrücklich wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von den Befürwortern der Zusagenpraxis als rechtliche Grundlage genannt. Es wird darauf hingewiesen, daß die Kartellbehörde auf diese Weise nicht zu Untersagungsverfügungen gezwungen werde, daß trotzdem die Wettbewerbsbedingungen im Sinne der Zielbestimmung des § 24 Abs. 1 GWB verbessert würden, daß dieser Weg im Sinne rechtsstaatlicher Grundsätze verhältnismäßiger sei273 • In ausführlicher und überzeugender Weise stützt insbesondere R.

Scholz274 , der diese Zusage und das entsprechende Verhalten der Be-

hörde als subordinationsrechtlichen Vertrag qualifiziert, ihre Zulässigkeit auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dort wird diese Zusagenpraxis auch als Ausdruck kooperativer Wirtschaftsverfassung und effizienter Wirtschaftsverwaltung gesehen275 • Die in vieler Hinsicht unterschiedliche Problematik dieses Bereichs der Zusagen Privater im Kartellrecht gegenüber dem hier vorliegenden Fall der aktiven Duldung der Wasserbehörde bezüglich einer nicht erlaubten Einleitung soll nicht übersehen werden. Trotz dieser Unterschiedlichkeit bleibt aber die hier entscheidende Parallele: Unter dem Einfluß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entstehen vom Gesetz nicht vorgesehene neue, flexiblere Formen des Verwaltungshandeins, die nicht mehr dem traditionellen Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Privaten entsprechen, sondern einem Verhältnis der Kooperation. An die Stelle des staatlichen Eingriffs treten flexiblere Formen der Verhaltenssteuerung. Diese Entwicklung ist aber nicht auf das Verhältnis Verwaltung Privater beschränkt, sondern zeigt sich auch im Verhältnis Gesetzgeber und Privater. Vor allem gilt dies für den Bereich der staatlich inspirierten Selbstbeschränkungsabkommen der Privatwirtschaft276 • In

BT-Dr. 7/2954. Siehe den Nachweis bei Schotz, S. 225. 274 Insbes. S. 230, wo die Beschränkung des Bundeskartellamtes auf die Alternative Untersagung oder Hinnahme der Fusion als "starres Ergebnis" bezeichnet wird, das "unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen übermaßverbotes wenig überzeugen" könne. 275 Schotz, S. 240. 278 Siehe dazu statt aller Kaiser, Industrielle Absprachen im öffentlichen Interesse, NJW 1971, 585 ff.; Oldiges, Staatlich inspirierte Selbstbeschränkungsabkommen der Privatwirtschaft, WiR 1973, 1 ff., ieweils mit weiteren Nachweisen. 271

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diesen Fällen verzichtet der Gesetzgeber auf das Mittel der gesetzlichen Regelung, weil der durch die gesetzliche Regelung erstrebte Erfolg auch durch ein unter dem Eindruck der möglichen gesetzlichen Regelung zustandegekommenes Abkommen der Privaten erreicht wird. Bekanntestes Beispiel ist die Selbstbeschränkung der Mineralölindustrie271 • Zum Schutze des Steinkohlenbergbaus wollte die Bundesregierung das Heizölangebot auf dem deutschen Markt vermindern. Eine entsprechende gesetzliche Regelung konnte unterbleiben, da auf Anregung des Bundeswirtschaftsministers die Mineralölkonzerne ein Selbstbeschränkungsabkommen schlossen. Dazu stellt Kaiser218 zutreffend fest: "Dieser Kooperationstyp steht im Einklang mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit21D der Mittel, das bei zwei der mehreren Möglichkeiten hoheit-

lichen HandeIns die Entscheidung für die weniger eingreifende Alternative gebietet." Auch hier führt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wieder zu flexibleren Formen staatlichen Handeins, die nirgends vorgesehen oder ausdrücklich geregelt sind und die gekennzeichnet sind vom Prinzip der Koordination anstelle der traditionellen Formen, basierend auf dem Prinzip der Subordination280 • Die bisher geschilderten Fälle sind keine Einzelerscheinungen, vielmehr bekannteste Beispiele für eine ganz generelle Entwicklung angesichts derer das Verhältnis von Staat und Wirtschaft zunehmend als ein solches notwendiger Kooperation gesehen wird. Frühzeitig hat dies H. Krüger281 erkannt. Eine jüngere Darstellung dieser Entwicklung und ihres gegenwärtigen Standes bietet Ernst277 Siehe die Schilderung des Falles bei Oldiges, S. 1 f., dort auf S. 2 ff. weitere Beispiele aus dem In- und Ausland. 218 NJW 1971, 585, 588. 278 Hervorhebung im Original. 280 Oldiges, S. 10 formuliert: "Obrigkeitliche Handlungsformen werden demnach durch Formen der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft ersetzt". Wenn Oldiges (S.19) meint, es komme einem Verlust an Staatlichkeit gleich, wenn der Staat öffentliche Interessen nicht mehr hoheitlich regelt, sondern ihre Realisierung mit relevanten Wirtschaftszweigen aushandelt, dann kann dies jedenfalls dann nicht gelten, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Staat die einseitige hoheitliche Maßnahme verbietet und die Alternative die Untätigkeit der Behörde wäre. Im übrigen kommt auch Oldiges (S.22) zu dem Ergebnis: "Andererseits läßt sich die Legitimation des Staates zu einer wirtschaftslenkenden Kooperation mit der Privatwirtschaft nicht bestreiten, sie liegt in dem zunehmend komplexer werdenden System wechselseitiger Abhängigkeit staatlichen und privatwirtschaftlichen Verhaltens begründet, das mit obrigkeitlichen Mitteln allein nicht mehr gesteuert werden kann". 281 Allgemeine Staatslehre, 2. Auflage 1966, S. 612 ff.; derselbe, Von der Notwendigkeit einer freien und auf lange Sicht angelegten Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft, 1966.

3. Opportunitätsprinzip

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Hasso Ritter282 • Für unser Problem wichtige Aussagen in dieser Untersuchung sind folgende:

Es werde meist übersehen, daß die Vorstellung vom einseitig hoheitlich handelnden Staat auf bestimmten Annahmen beruhe: "Die erste Annahme ist die, daß der Staat einer - im Hinblick auf die Erfüllung seiner Aufgaben - verhältnismäßig einfach strukturierten Umwelt gegenübersteht. Denn nur, wenn die Komplexität der Umwelt reduziert und auf relativ wenige, allgemein geltende Tatbestände abstrahiert werden kann, ist das Hauptinstrument einseitig-hoheitlichen HandeIns das abstrakt-allgemeine Gesetz - überhaupt anwendbar. Die zweite Annahme ist die, daß die vom Staat beabsichtigten Steuerungseffekte im wesentlichen über gradlinige und einfach gebaute Wirkungsketten erreichbar sind. Denn die einseitig-hoheitlichen Mittel erlauben nur den direkten Zugriff auf die Wirtschaftssubjekte, deren Verhalten der Staat beeinflussen möchte; sie sind daher in komplexen, nach differenzierenden Lösungen verlangenden Situationen überfordert!8S ... Die Entscheidungsfindung zur Lösung der gemeinsamen Probleme und die Verhaltensabstimmung zwischen Staat und Wirtschaft können durch einseitiges Vorgehen und durch den Einsatz hoheitlicher Machtmittel nicht mehr bewältigt werden. Wenn dem aber so ist, dann bietet es sich an, das Prinzip der Einseitigkeit durch sein Gegenteil zu ersetzen: durch das Prinzip der Zweiseitigkeit oder der Zusammenarbeit!84 ... Die Formen der Zusammenarbeit zwischen Staat und wirtschaftender Gesellschaft sind diffizil und in ihrer rechtlichen Gestalt noch wenig ausgeprägt. Die instrumentelle Verwendung von Informationen, der Einsatz öffentlicher "Oberredungsstrategien und der Gebrauch indirekt wirkender Lenkungsmittel kennzeichnen jedoch eine Entwicklung, die sich immer weiter von den traditionellen Formen hoheitlichen HandeIns entfernt!85. " Abschließend stellt Ritter fest, daß die Tendenz zum kooperativen Staat sich durchsetzen werde286 • Jüngstes Beispiel für dieses durch Kooperation und Konsultation geprägte Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft ist der staatliche Versuch, die Rohstoffwirtschaft für eine Erhöhung der Krisenvorräte wichtiger Rohstoffe zu gewinnen. Die FAZ vom 21. 6. 1979287 berichtet darüber: "K. B. Bonn, 20. Juni. Das Bundeskabinett hat sich am Mittwoch endgültig entschieden, die Vorratshaltung wichtiger Rohstoffe für den Krisenfall zu sichern. Innerhalb von drei bis fünf Jahren sollen die Bestände von Chrom, !82 Der kooperative Staat, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, AöR 1979, 389 ff. 283 S.390. !84 S.391. 285 S.393. 288 S.411. 287 Zitiert nach Schuppert, Verw.Arch. 1980, 340 f.

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IV. Duldung durch die Behörden Vanadium, Mangan, Kobalt und einigen hochwertigen Asbestsorten aus Südafrika mit staatlicher Hilfe für den Bedarf eines Jahres aufgestockt werden. Bisher reichen die Vorräte dieser Rohstoffe für Schlüsselindustrien im Durchschnitt für vier Monate. Eine staatliche Lagerung und zusätzliche steuerliche Anreize für eine größere Vorratshaltung werden aber abgelehnt. Das Bundeskabinett hat sich jetzt auf "Eckwerte" eines vertraglichen Vörratshaltungsmodells zwischen dem Bund und der Wirtschaft festgelegt.

Der Bundeswirtsch·aftsminister ist am Mittwoch beauftragt worden, im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister bis Ende des Jahres einen Vertragsentwurf mit der Rohstoffwirtschaft auszuarbeiten. Wichtige Einzelregelungen bleiben zunächst noch offen. Die Leitlinien schreiben jedoch vor, daß sich die Wirtschaft in dem Vertrag mit dem Bund verpflichten soll, die Vorräte innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre nachhaltjg, aber ohne Marktstörung aufzustocken. Die Lagerbildung soll sich so weitgehend wie möglich unter der eigenen Verantwortung der Unternehmen vollziehen. Von den Unternehmern wird erwartet, daß sie selbst für die Lagerungskosten aufkommen - ob für die Aufbewahrung von Rohstoffen, das Umwälzen von Beständen, für die Bestandssicherung und die Verwaltung. Der Bund will sich lediglich an den laufenden Finanzierungskosten beteiligen. Die Mittel für die zusätzlichen Vorräte, die mit 600 Millionen DM angegeben wurden, sollen den Rohstoffunternehmen kreditiert werden. Für diese Finanzierung bleibt die Bundesregierung bei dem umstrittenen Verfahren, daß die Bundesbank in Form von Dreimonatswechseln eine Refinanzierungshilfe gibt. Es ist daran gedacht, die Kreditanstalt für Wiederaufbau dazwischenzuschalten. Sie soll beauftragt werden, die Wechsel der Rohstoffeigentümer zu diskontieren und sich zu Lasten des Plafonds bei der Bundesbank zu refinanzieren. Der Zugriff auf die zusätzlichen Bestände soll nur erlaubt werden, wenn in Konsultationen zwischen dem Bund sowie der rohstoffbeschaffenden und rohstoffverarbeitenden Wirtschaft ein Krisenfall festgestellt wird. Die Verfügungsmacht über die Krisenvorräte soll zwischen den einlagernden Unternehmen und dem Bund "angemessen" aufgeteilt werden." Nur am Rande sei vermerkt, daß dieses durch Kooperation und Konsultationgeprägte Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft keineswegs eine deutsche Besonderheit ist, sondern durchweg in den freiheitlichen Industriestaaten festzustellen ise88 • Für unseren Fall von besonderem Interesse ist nun noch, daß diese vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz diktierte Kooperation mit rechtlichen Mitteln, die sich neben den traditionellen Mitteln staatlichen HandeIns herausgebildet haben, nicht nur im Bereich der Wirtschaftsplanung und Wirtschaftslenkung ihren legitimen Platz hat. Durchweg wird die Ansicht vertreten, daß diese Form staatlichen HandeIns in 288 Vgl. dazu z. B. Makeshwari, Government through Consultation, 1972; SeI!, Administrative Theories and Politics, 3. Aufl. 1974, der von "Administration by Persuasion" spricht; Binder, Wirtschaftspolitik und Steuerung

der Exportwirtschaft in Japan, 1979, bes. S. 59 ff. mit der Darstellung der "Administrative Guidance" als spezifischem Steuerungsinstrument.

3. Opportunitätsprinzip

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besonderer Weise für den Bereich des Umweltschutzes tauglich ist289 • Die Notwendigkeit dieser neuen Form des Verwaltens gerade im Umweltschutz hebt Herrmann 290 hervor: "In der Verwaltungspraxis hat sich gezeigt, daß das vom Gesetzgeber bereitgestellte Instrumentarium zur Durchsetzung des Umweltschutzes in der Regel der Fälle wenig geeignet ist und deshalb von den Behörden nur selten verwendet wird ... Die Behörden sind deshalb z. B. auf dem Gebiet des Wasserrechts und des Immissionsschutzrechts allgemein dazu übergegangen, den Umweltschutz mit informellen Mitteln, insbesondere durch schriftliche oder mündliche Absprachen mit den Betroffenen, durchzusetzen. Auf diese Weise ... können Umweltbelastungen schneller abgebaut werden." Vor dem Hintergrund des vorstehend aufgezeigten Gesamtrahmens erweist sich die aktive Duldung der Behörde im Wasserrecht als ein auch in anderen Bereichen feststellbares Beispiel dafür, wie unter maßgeblicher Einwirkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes neue Formen staatlichen Handeins entstehen; die durch diese aktive Duldung ausgelöste Kooperation ist die flexible Antwort auf eine komplexe Lage291 • Nun könnte gegen das bisher gewonnene Ergebnis eingewendet werden, es bedürfe im Wasserrecht eines solchen flexiblen Instrumentes nicht, da die Erlaubnis durch ihre, im Gesetz ausdrücklich vorgesehene, jederzeitige Widerruflichkeit sowie durch die Möglichkeit der Befristung ein hinreichend flexibles Instrument sei. Jedenfalls aber stelle § 9a WHG mit der Möglichkeit der Zulassung des vorzeitigen Beginns ein solch flexibles Instrument zur Verfügung. Beide Einwände greifen indes nicht durch. Die Erlaubnis kommt einmal schon in all den Fällen nicht in Betracht, in denen die Einleitung nicht erlaubnisfähig ist. § 6 WHG bildet insoweit eine unübersteigbare Schranke für die Behörde. Gerade in diesen Fällen kann aber die aktive Duldung eingreifen, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Untersagung verbietet. Dies ist jedenfalls in all den Fällen so, in denen die Verbesserung der Abwassersituation auf die Erlaubnisfähigkeit hin nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Aber auch wo die Erlaubnis möglich ist, stellt sie für die Behörde nicht das flexible Instrument dar, als das sie wegen ihrer im Gesetz genannten Widerruflichkeit erscheinen könnte. 28G Siehe R. Scholz, S.241; Kaiser, NJW 1971, 585, 586; Oldiges, AöR 1973, 1, 6; Ritter, AöR 1979, 389, 394, 400. 280 ZStrW 1979, 290. m Daß diese neuen Formen des Verwaltungshandelns auch Probleme aufwerfen, ist zuzugeben. S. dazu Herrmann, ZStrW 1979, 291 ff.; ferner unten S. 94 ff.

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IV. Duldung durch die Behörden

Insbesondere Salzwedel292 hat nachgewiesen, daß die Vorstellung von der jederzeitigen Widerruflichkeit der Erlaubnis falsch ist. Grenzen ergeben sich insbesondere daraus, daß die "Widerruflichkeit der Erlaubnis nicht ausschließt, daß die daraufhin errichteten Betriebseinheiten einem rechtmäßig eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zugeordnet werden, der den Schutz des Art. 14 GG genießt. Der Widerruf der Erlaubnis stellt nicht nur die Entziehung eines subjektivöffentlichen Rechtes dar, sondern zugleich einen Durchgriff auf verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum"293. Weiter wird dort u. a. ausgeführt: "Es besteht kein Zweifel, daß im Lichte der Rechtsprechung zu Art. 14 GG jede Erteilung einer Erlaubnis für größere Betriebseinheiten bis zu einem bestimmten Grade einen Vertrauensschutz294 begründenden Tatbestand darstellt. Mit dem BGH kann man nur sagen: Die Vorstellung, der Unternehmer trage alle Risiken einer künftigen wasserwirtschaftlichen Neubeurteilung der Lage, ist von vornherein für jedermann, der wirtschaftlich urteilt, undenkbar295 ." Für das hier gefundene Ergebnis, daß die aktive Duldung ein zulässiges, ja notwendiges Instrument im Wasserrecht ist, ist eine von Salzwedels abschließenden Thesen bemerkenswert: "In dieser Lage kann nur die Anreicherung des Instrumentariums an abgestuften Wasserbenutzungsrechten zweckmäßig sein, nicht eine weitere Verarmung296 ." Auch die seit dem 1. 10. 1976 gegebene Möglichkeit der Zulassung des vorzeitigen Beginns nach § 9a WHG ist nicht das flexible Instrument, das den Rückgriff auf die aktive Duldung entbehrlich machen könnte. Zwar war es die Intention des Gesetzgebers, auf diesem Wege der Wasserbehörde flexibles Handeln zu ermöglichen; § 9 a WHG erreicht dieses Ziel aber nur in einem sehr engen Rahmen. Durch das Erfordernis in § 9a Abs.1 Nr.1 WHG, daß bezüglich des Erlaubnis- bzw. Bewilligungsverfahrens mit einer Entscheidung zugunsten des Unternehmers gerechnet werden kann, bindet das Gesetz die Zulassung des vorzeitigen Beginns so eng an diese beiden wasser!S! Wasserrecht und Investitionsschutz-Tendenzen der Bewilligungspraxis der Wasserbehörden, RdWWi 1975, Heft 19, 41, 45 ff. In die gleiche Richtung Hin, Gew.Arch. 1981, 184. 283 S.46. Auf der Grundlage solcher Erwägungen kommt schon Sendler, Der Widerruf von Wasserrechten und der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes, RdWWi 1973, Heft 18, 29, 34 f., 54 f. zu dem Ergebnis, daß der Widerruf der Erlaubnis durchaus eingeschränkt ist. 284 Dabei wird man beachten müssen, daß nach Erteilung einer Erlaubnis der Vertrauensschutzgedanke die Behörde stärker bindet als im Bereich der aktiven Duldung. !85 S.50. !V8 S.59.

3. Opportunitätsprinzip

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rechtlichen Befugnisse297 , daß ihr daneben kein allzu großer Bereich der Anwendbarkeit verbleibt298 • So fällt die Möglichkeit des § 9a WHG in all den Fällen aus, in denen mangels Erlaubnisfähigkeit keine Erlaubnis erteilt werden darf2 99 • Anders als die aktive Duldung bietet § 9a WHG in solchen Lagen keinen Ausweg. Dem § 9a WHG kann nur dann ein weiteres Anwendungsfeld erschlossen werden, wenn das Erfordernis in Abs.l Nr.l nicht ernst genommen wird. Das aber wäre contra legern, wohingegen das Institut der aktiven Duldung sich als praeter legern darstellt. (d) Ist nach den bisherigen Ausführungen die auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beruhende aktive Duldung der Behörden eine Rechtfertigung für die unerlaubte Einleitung, so ist doch noch einmal hervorzuheben, daß die auf diesem Wege eintretende Rechtfertigung durchaus von der durch eine erteilte Erlaubnis unterschiedlich ist. Die Erlaubnis rechtfertigt die Einleitung, ohne daß dem Einleiter zusätzliche Pflichten erwachsen30o • Trotz der grundsätzlichen Widerruflichkeit der Erlaubnis gestaltet sie die Einleitung potentiell endgültig. Die aktive Duldung gestattet dagegen die Einleitung nur vorübergehend301 mit dem Ziel, in der Zwische~it Schritte zu unternehmen, die Abwassersituation so zu verbessern, daß sie erlaubt werden kann. Anders ausgedrückt, die aktive Duldung rechtfertigt die Einleitung nur so lange, als der Einleiter, in Kooperation mit der Behörde, das technisch Mögliche und wirtschaftlich Zumutbare302 unternimmt, die Ab287 Siehe Wernicke, Die Zulassung vorzeitigen Beginns einer Gewässerbenutzung, ZfW 1977, 76, 78: " ... die Erfolgsaussichten müssen z. Z. des Zulassungsantrages offensichtlich sein"; Sieder!Zeitler!Dahme, Rdn.4 zu § 9a WHG: " ... es muß nach gewissenhafter Prüfung die Wahrscheinlichkeit der Gründe deutlich und ganz überwiegend zugunsten des Vorgehens sprechen". 288 Zu Recht kritisch bezüglich der Anwendungsmöglichkeiten des § 9a WHG Krimphove, Die Zulassung des vorzeitigen Beginns nach § 9a WHG, ZfW 1978, 204 ff.; Bickel, Die Probleme des § 9a Wasserhaushaltsgesetz, DÖV 1978, 788 ff.; derselbe, ZfW 1979, 101, 104. 289 Siehe Salzwedel, ZfW 1979, 108: "Selbstredend gilt auch für das Verfahren nach § 9a WHG die Erteilungssperre des § 6 WHG". 800 Der Fall der Erteilung der Erlaubnis unter Auflagen kann hier unberücksichtigt bleiben. aOl Den grundsätzlich vorübergehenden Charakter der Rechtfertigung durch Duldung betont zu Recht Forsthojj, S.218, wenn er schreibt: "Die Tatsache allein, daß eine Verwaltungsbehörde gegen einen Zustand nicht einschreitet, läßt zunächst nur den Schluß zu, daß sie ihn derzeit dulden will" (Hervorhebung von uns). Speziell für das Wasserrecht richtig gesehen von Bickel, Die Strafbarkeit der unbefugten Gewässerverunreinigung nach § 38 WHG, ZfW 1979, 139, 145 ff. 802 Vgl. dazu Hoppe, Die wirtschaftliche Vertretbarkeit im Rahmen des Bundesimmissionsschutzgesetzes, 1977; Soell, Der Grundsatz der wirtschaftlichen Vertretbarkeit im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1980. Zu Recht stellt

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IV. Duldung durch die Behörden

wassersituation zu verbessern. Kein Verstoß gegen diese Pflicht zur Kooperation liegt darin, wenn nicht sogleich jedem Vorschlag der Behörde gefolgt wird. Der Einleiter darf durchaus Gegenvorstellungen entwickeln. Er darf sich nur der Kooperation nicht überhaupt oder mit unzureichenden Gründen entziehen. Das Kriterium des "Vorübergehenden" ist nicht absolut zu verstehen, bringt vielmehr nur den Grundsatz zum Ausdruck. Es schließt keineswegs aus, daß im konkreten Fall die übergangszeit erheblich ist. (e) Daß die vorstehend geschilderte Rechtslage nicht auf praxisfernen Deduktionen beruht, läßt sich mit aller Deutlichkeit an Hand des "Umweltgutachtens 1978 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen"aoa belegen, das reiches Material zu der im Umweltrecht gebotenen Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft enthält. Das vom Rat für Umweltfragen erstattete Gutachten hat sich mit Hilfe empirischer Untersuchungen einen Überblick über den Vollzug derjenigen umweltrechtlichen Vorschriften verschafft, die für die Luftreinhaltung und den Gewässerschutz maßgeblich sind. Dabei hat sich ergeben, daß der Vollzug der einschlägigen Normen - insbesondere des BundesImmissionsschutzgesetzes, des Wasserhaushaltsgesetzes und der Landeswassergesetze - großenteils in Bahnen verläuft, die von den Gesetzen nicht vorgezeichnet sind. Es haben sich zahlreiche Verfahrensformen praeter et contra legern entwickelt, die von den zuständigen Behörden unter offenkundiger Billigung ihrer Aufsichtsbehörden praktiziert werden. Dabei handelt es sich nicht um gelegentliche Abweichungen vom Gesetz, sondern um planmäßige, die umweltrechtliche Behördentätigkeit geradezu charakterisierende Vorgänge. Eine solche Verwaltungspraxis mit dem Vorwurf des "Vollzugsdefizits" zu belegen, liegt nahe304 • Wenn allerdings - trotz des verfassungsrechtlichen Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) - viele, vielleicht sogar die meisten Behörden die von ihnen Soell (S.31) bei seiner Interpretation des Begriffs der wirtschaftlichen Vertretbarkeit in § 17 Abs.2 Satz 1 BlmSchG besonders auf die Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab; siehe auch Hoppe, S.45. Zwar erwähnt das WHG den Grundsatz der wirtschaftlichen Vertretbarkeit ausdrücklich nur in § 5 Abs. 1 Satz 2, doch erzwingt das Verfassungsrecht, genauer der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, seine Beachtung auch in weiteren Fällen. Zu eng daher Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Rdn. 7 zu § 5 WHG. 303 Das "Umweltgutachten 1978" wurde vom Bundesministerium des Innern herausgegeben und ist identisch mit der Bundestagsdrucksache 8/1938 v. 19.9.1978. 10' Vgl. zum sog. "Vollzugsdefizit im Wasserrecht" die gleichnamige Untersuchung von Winter (Beiträge zur Umweltgestaltung Heft A 41, 1975), die sich als ein "Beitrag zur Soziologie des öffentlichen Rechts" versteht, sowie allgemein Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978, und aus Schweizer Sicht den Bericht von Bussmann, NZZ Nr.90 v. 19.4.1980, S. 27.

3. Opportunitätsprinzip

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auszuführenden Gesetze in einer Weise anwenden, die sich weitgehend vom Gesetz löst, liegt die Annahme nahe, daß nicht individuelles Versagen oder Verschulden die Ursache jenes prekären Zustandes sind. Vielmehr spricht vieles dafür,daß es die Gesetze selbst sind, die sich einer Ausführung mit Hilfe des üblichen verwaltungsrechtlichen Instrumentariums entziehen305 . Über die Gründe der Vollzugsungeeignetheit mancher Gesetze, insbesondere im Bereich· des Umweltrechts, besteht keine Klarheit. Auch der neue staats- und verwaltungssoziologische Wissenschaftszweig der Vollzugs- oder Implementationsforschung hat bisher nur wenig Licht in das Dunkel gebracht, in dem sich die reale Verwirklichung gesetzgeberischer Anweisungen abspielt. Die Implementationsforschung fragt "primär nicht nach den Steuerungsprogrammen, Inhalten oder Intentionen zentraler Instanzen des politisch-administrativen Systems, sondern nach realen Ergebnissen und Bestimmungsfaktoren meist dezentralen Verwaltungshandelns"; ihr liegt die - juristisch erstaunliche - Vermutung zugrunde, daß unter den Bestimmungsfaktoren für die Verwaltung "das der Intention nach steuernde zentral erlassene Verwaltungsprogramm ein möglicher Faktor" sei306 • Vertreter dieses verwaltungswissenschaftlichen Ansatzes werfen sogar die Frage auf, ob Vollzugs- oder "Implementationsdefizite nicht als Preis für die Akzeptanz des Verhaltenshandelns bei den mobilisierten Interessen quasi aus systemischen (!) Gründen ,erforderlich' seien"30"1. Daß eine mit den formalen Anforderungen von Rechtsvorschriften nicht harmonierende Verwaltungspraxis einen Rechtfertigungsgrund abgibt, erscheint ausgeschlossen. Denn andernfalls würde die Berufung auf Sachzwänge die Durchbrechung der staatlichen Rechtsordnung erlauben. Wenn jedoch die Verwaltungsrealität geradezu dadurch geprägt wird, daß der tatsächliche Gesetzesvollzug von dem in Normen beschriebenen Gesetzesvollzug abweicht, muß die Vollzugsgeeignetheit der auszuführenden Gesetze in Zweifel gezogen werden. Zahlreiche Gesetze können offenbar gar nicht so vollzogen werden, wie sie vollzogen werden sollen. Die Konstatierung einer derartigen Differenz zwischen Norm und Wirklichkeit stellt keine rechtliche Billigung von Normverstößen dar, denn die Praxis kann die Rechtslage - sieht man von der Bildung von Gewohnheitsrecht ab - nicht ändern. Die Versos Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, 1978, S.218', erklärt die Vollzugsdefizite aus einem "komplexen Zusammenspiel" mehrerer Faktoren. 306 Knoepfel, Öffentliches Recht und Vollzugsforschung, 1979, S.36 (im Original zum Teil hervorgehoben); vgl. zum Stand der bundesdeutschen Forschung ebd. S. 45 ff. sowie Mayntz, Die Implementation politischer Programme: Theoretische überlegungen zu einem neuen Forschungsgebiet, Die Verwaltung 10 (1977), S. 51 ff. 307 Knoepfel, S.48 (im Original zum Teil hervorgehoben).

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IV. Duldung durch die Behörden

waltungspraxis kann aber ein überzeugendes Indiz dafürabgeben, daß Rechtsinstitute, wie die oben beschriebene Duldung, sich außerhalb des Gesetzes jedenfalls dann herausbilden dürfen, wenn sie nicht ausdrücklich verboten sind und - etwa durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - eine zusätzliche Legitimation erfahren. Das "Umweltgutachten 1978" erweist, wie im folgenden gezeigt werden soll, daß in den Bereichen des Immissionsschutz- und des Wasserrechts die tatsächliche Verwaltungslage der durch die Figur der Duldung gekennzeichneten Rechtslage entspricht. Im "Umweltgutachten 1978" wird unter der Überschrift "Vollzugsprobleme beim Umweltschutz" für die Bereiche Luftreinhaltung und Gewässerschutz dargelegt, inwieweit von einem "Vollzugsdefizit" die Rede sein kann308 • Dort heißt es unter anderem309 : "Für den Vollzug des BImSchG hat die Bereitschaft der Betreiber zur Zusammenarbeit mit den Behörden eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Lösung von Luftreinhaltungsproblemen erfordert häufig die genaue Kenntnis des Produktionsprozesses, da emissionsbegrenzende Maßnahmen von den Besonderheiten eines Produktionsverfahrens abhängen und Produktionsverfahren ihrerseits durch diese Maßnahmen beeinflußt werden können. Diese Kenntnis ist für die Behörde ohne die Mitarbeit der Betreiber nicht zu erlangen. Außerdem sind die Behörden bemüht, bei der Durchführung emissionsbegrenzender Maßnahmen hoheitliche Anordnungen und Zwang möglichst zu vermeiden, da andernfalls umfangreiche Kontrollen erforderlich wären, zu denen aber das Personal fehlt. Darüber hinaus führen Zwangsmaßnahmen leicht zu langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen, die letztlich die Lösung der anstehenden Probleme verzögern. Die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Betreibern ist also notwendig, jedoch nicht ganz unproblematisch. Einmal besteht die Gefahr, daß die Betreiber die Durchführung notwendiger Maßnahmen zu verzögern trachten, indem sie unvollständig'e Informationen liefern oder gegebene Zusagen nicht oder nur unvollständig einhalten. Zum anderen kann auch ein zu weitgehendes Entgegenkommen der Behörden von Kooperation in Kollaboration umschlagen. Die Bereitschaft der Betreiber zur Durchführung von Immissionsschutzmaßnahmen ist unterschiedlich: Sie wird nach den Ergebnissen der Befragung für größere Unternehmen eindeutig positiver eingeschätzt als für kleinere oder mittlere Unternehmen '" die relativ positive Einschätzung der Bereitsmaft größerer Unternehmer darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Gesetzesvollzug im Verhältnis zu dieser Betreibergruppe besondere Schwierigkeiten aufweist. Der ,Zwang' zur Kooperation, der wegen der technischen Kompliziertheit der Entscheidungsmaterie in besonderem Maße im Verhältnis zu Großunternehmen gegeben ist, fordert auch von den Immissionsschutzbehörden einen Preis, um eine gute Zusammenarbeit sicherzustellen. Noch erstaunlicher ist das Ergebnis der Befragung hinsichtlich der Bereitschaft der Gemeinden und sonstigen öffentlichen Betreibern. Da sie ebenso 308 S. 472 = Nrn. 1521, 1522. BOg S. 476 = Nr. 1531.

3. Opportunitätsprinzip

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wie die Immissionsschutzbehörden das ,öffentliche Interesse' vertreten, sollte man bei ihnen eine besondere Aufgeschlossenheit gegenüber den Erfordernissen des Immissionsschutzes erwarten können. Tatsächlich aber wird ihre Bereitschaft weitaus niedriger eingeschätzt als die von größeren Unternehmen. Sie berufen sich umgekehrt auf das ,öffentliche Interesse', um sich den notwendigen Immissionsschutzmaßnahmen zu entziehen. Die Immissionsschutzbehörden haben es in diesen Fällen besonders schwer, ihren Standpunkt durchzusetzen, da der Einsatz hoheitlichen Zwangs insbesondere politischen Beschränkungen unterliegt ..." Kennzeichnend für das vom Kooperationsprinzip beherrschte Verhältnis von Staat und Wirtschaft ist es auch, daß sich in diesem Bereich Kontaktformen entwickeln, die von den einschlägigen verwaltungsrechtlichen Gesetzen nicht vorgesehen werden. Zwar stellt die Verwaltungsrechtsordnung nicht nur das Institut des einseitigen Verwaltungsaktes, sondern auch das der Zusage und des öffentlich-rechtlichen Vertrages zur Verfügung. Abgesehen davon verpflichtet § 2 Abs.2 der Neunten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Grundsätze des Genehmigungsverfahrens) - 9. BImSchGV vom 18. Februar 1977 (BGBL I S. 274) die Genehmigungsbehörde zur Beratung des Trägers eines geplanten Vorhabens, sobald die Genehmigungsbehörde über das geplante Vorhaben unterrichtet worden ist. Diese Vorschrift stellt also eine Ausprägung und Ausweitung der bereits in § 25 VwVfG enthaltenen Beratungs- und Auskunftspflicht dar. Trotz dieser der Komplexität der Materie angepaßten rechtlichen Möglichkeiten besteht in der Verwaltungspraxis offenbar ein Bedürfnis nach der Entwicklung weiterer Formen der Kooperation. So hat eine im Auftrage des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen durchgeführte Untersuchung ergeben, "daß dem förmlichen immissionsrechtlichen Genehmigungsverfahren in der Praxis ... überwiegend ,Vorverhandlungen' oder ,Vorbesprechungen' vorgeschaltet sind"310. In diesem Abschnitt über die "Bedeutung von Vorverhandlungen" heißt es sodann weiter: "Nach Inhalt, Teilnehmerkreis und Dauer lassen sie (sc. die Vorverhandlungen oder Vorbesprechungen) das eigentliche Genehmigungsverfahren nicht selten nur noch als eine Art ,notarieller Beurkundung' vorausgegangener Entscheidungen erscheinen. Im Zuge der Genehmigungsverfahren von Neuanlagen stellen sie eher die Regel als die Ausnahme dar. Der Inhalt der Vorverhandlungen reicht von einer bloßen Erkundigung des Betreibers über die beizubringenden Unterlagen und auszufüllenden Antragsformulare bis hin zu einer detaillierten Besprechung aller wesentlichen Genehmigungsvoraussetzungen." Umfang und Ausmaß der Vorverhandlungen erscheinen dem Rat als "problematisch", weil sie möglicherweise zu einer Einschränkung der 310

S.479 = Nr. 1538.

7 Randelzhofer/Wilke

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IV. Duldung durch die Behörden

behördlichen Entscheidungsfreiheit führen können311 • Auch die Gründe der Verwaltungsvereinfachung, die von den Behörden für das Verfahren der Vorverhandlungen ins Feld geführt werden, erscheinen dem Rat nicht überzeugend: "Das Verfahren des Gesetzesvollzuges kann jedoch nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung beurteilt werden. Das Verfahren hat vielmehr auch die Verwirklichung der materiellen Gesetzeszwecke zu gewährleisten und den Anforderungen einer bürgernahen Verwaltung zu genügen312 ." Wenn auch eine rechtliche Bindung durch die Vorverhandlungen nicht oder doch nur begrenzt herbeigeführt werden kann, dürfte eine "faktische Bindungswirkung für die Immissionsschutzbehörden" nicht zu bestreiten sein313 • Aufschlußreich ist auch die Darstellung, die im Umweltgutachten dem "Aufgabenverständnis" der Immissionsschutzbehörden zuteil wird314 • Dieses Aufgabenverständnis gibt dem Rat Anlaß zu einer kritischen Beurteilung des Verhaltens der Behörden gegenü,ber den Betreibern. Er hält es nämlich nicht für ausgeschlossen, daß die Behörden "bei konkurrierenden Anforderungen" eine "Kompromißbereitschaft" zeigen. "So wurden in Interviews Äußerungen des Inhalts gemacht, daß es nicht im Sinne des Immissionsschutzes liegen könne, Produktionsausweitungen zu beeinträchtigen oder daß man in Zeiten der Rezession zunächst auf die Erhaltung der Arbeitsplätze und danach erst auf die Belange des Immissionsschutzes achten müsse. Zur Rechtfertigung des Verhaltens in diesem Zielkonflikt wurde von den Behörden das Recht der Betreiber auf Nutzung der von ihnen betriebenen Anlagen und auf Genehmigung von Neuanlagen herausgestellt. Insgesamt war die Auffassung vorherrschend, daß die Behörden Partner der Wirtschaft seien, die die Entwicklung der Wirtschaft zwar steuern, jedoch nicht durch regulierende Eingriffe behindern dürften. Das Aufgabenverständnis der Immissionsschutzbehörden ist insofern typisch, als es eine durchgängige politische Entscheidung widerspiegelt. Es ist aber auch deswegen bezeichnend, weil es ein für Vollzugsprobleme häufig wiederkehrendes Muster zeigt: Je höher die Ebene der Politik ist, desto weniger Konflikte werden sichtbar, weil auf diesen Ebenen die Zielsetzungen noch recht allgemein sind. Erst die Konkretisierung schafft den Konflikt. Werden die Konflikte jedoch immer weiter nach unten verlagert, bis sie schließlich nicht mehr zu umgehen sind, das heißt, wird der ausführenden Verwaltungsebene auch die Konkretisierung der politischen Zielvorstellungen überlassen, dann hat sie eine Aufgabe zu lösen, die nicht die ihre ist und mit der sie auch überfordert ist." Diese Ausführungen zeigen, daß im Bereich des Immissionsschutzrechts weniger von einem "Vollzugsdefizit" im Sinne des Nichtvollzuges 311 312 313 31