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German Pages 165 Year 1995
MICHAEL MALITZ
Zur behördlichen Duldung im Strafrecht
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften llerausgegeben von Klaus Bernsmann, llans Joachim llirsch Günter Kohlmann, Michael Walter Thomas W eigend Professoren an der Universität zu Köln
Band 18
Zur behördlichen Duldung im Strafrecht Grenzen informellen Verwaltungshandeins
Von
Michael Malitz
Duncker & Humblot · Berlin
Als Dissertation auf Empfehlung des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Universität zu Köln gedruckt.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Malitz, Michael: Zur behördlichen Duldung im Strafrecht : Grenzen informellen Verwaltungshandeins I von Michael Malitz.- Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 18) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08419-5 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-08419-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
9
Vorwort Die Abhandlung hat im Wintersemester 1994/95 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Das Rigorosum fand am 13. Februar 1995 stand. Rechtsprechung und Literatur sind bis zum I . März 1995 berücksichtigt. Besonderen Dank möchte ich zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. H. J. Hirsch, aussprechen, der die Arbeit - insbesondere nach Abschluß des Manuskripts - ungewöhnlich eingehend betreut hat. Für die Zweitkorrektur sei Herrn Prof. Dr. Kohlmann gedankt. Zu besonderem Dank bin ich auch den wissenschaftlichen Mitarbeitern Kirsten Elisabeth Raßelnberg, Dr. Kristian F. Stoffers und Christof W. Misere sowie Herrn Assessor Jochen Schmeing ftlr Ihre fachliche Unterstützung verpflichtet. Herrn Rechtsanwalt Dr. Elmar Lenzen danke ich ftlr die mir eingeräumte Zeit, die vorliegende Arbeit einer baldigen Veröffentlichung zuzuftlhren. Meinen Eltern, die die vorliegende Abhandlung durch ihre umfassende Unterstützung erst ermöglicht haben, widme ich dieses Buch. Düsseldorf, im März 1995
Michael Malitz
Inhaltsverzeichnis
A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Das informelle Verwaltungshandeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
Motive ftlr informelles Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
a) Die Verwaltungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
b)
Der BUrger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
Gefahren informellen Verwaltungshandeins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
II. Die behördliche Duldung und das informelle Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . .
22
III. Praktische Bedeutung der Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
IV. Die Bedeutung der behördlichen Duldung im internationalen Vergleich . . . . . . .
24
I. Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
2.
Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
3. ÖSterreich/Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
4. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
5. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
6.
Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
V. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
B. Entwicklungslinien in Rechtsprechung und Literatur zur behördlichen Duldung . . . . .
28
I.
I.
2.
8
Inhaltsverzeichnis
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
Zum Begriff der behördlichen Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
l.
Voraussetzungen der behördlichen Duldung
32
2.
Duldung und dauerhaftes Nichteinschreiten
33
3.
Rechtlich gebotene Outdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
4. Materielle Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
5.
Die behördliche Duldung als Genehmigung oder Zusicherung . . . . . . . . . . .
36
a) Allgemeine Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . .
36
b) Insbesondere: Die Zusicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
II. Praktische Beispiele einer behördlichen Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
I.
Abluftreinigung an Beftlllstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2.
Abbau von Ammoniumstickstoff in Abwasserreinigungsanlagen . . . . . . . . .
41
3. Der Fall Sonnenschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
4.
Ungenehmigte Abwassereinleitungen kommunaler Kläranlagen . . . . . . . . . .
42
5.
Ungenehmigte Erweiterung einer Kfz-Werkstatt zu einem Schrottplatz . . . . .
42
6. Rechtsschutz gegen Sanierungsverftlgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
III. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
I. Opportunitlltsprinzip - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . .
44
a) Ermessensbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
b) Behördliche Duldung und Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
2. Vertrauensschutzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
a) Voraussetzungen des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
b) Vertrauensschutz und Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
I.
c) Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Inhaltsverzeichnis d) Vertrauenstatbestand und fehlende Außenwirkung behördlicher Duldung
9 51
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen die Zulassigkeit einer behördlichen Duldung 52 I.
Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und das Gewaltenteilungsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a)
Gesetzmaßigkeit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
b) Prinzip der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Das Verhaltnis der behördlichen Duldung zu diesen Verfassungsgrundsatzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Inhalt behördlichen Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Grenzen behördlichen Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Ermessen und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes- Abschließende Regelung der Genehmigungstatbestande? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Einwande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.
Umgehung des verwaltungsrechtlichen Formalisierungsgebotes? . . . . . . . . . . 62
4.
Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Der Grundsatz fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Spannungen zwischen dem Grundsatz fairen Verfahrens und behördlichen Duldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Drittschutz im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 d) Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf informelle Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 e) Behördliche Duldung und Drittschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
t)
Möglichkeiten der Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 5.
Verstoß gegen den Gleichheitssatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
10
Inhaltsverzeichnis 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
V. Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
l. Zum Begriff der Legalisierungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
2.
Begründungsversuche zur Legalisierungswirkung behördlicher Duldung . . . .
73
3.
Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
Entwicklung der Verwaltungsakzessorietllt
78
1. Umfang der Verwaltungsakzessorietllt
78
2. Verwaltungsaktakzessorietllt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
II. Die behördliche Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
Das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
a) Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
b) Das Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
2. Das repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
3. Zur Übernahme dieser Differenzierung in das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . .
85
4. Abweichende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
a) Zur Ansicht von Winkelbauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
b) Zur Konzeption von Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
c) Zur Anhindung an das strafrechtlich geschützte Rechtsgut . . . . . . . . . .
89
d) Zur Genehmigung als objektive Straflosigkeitsbedingung . . . . . . . . . . .
90
5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
E. Die Genehmigungsfllhigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
I.
l.
Inhaltsverzeichnis I.
Zum Begriff der Genehmigungsfllhigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Darstellung des Meinungsstandes zur strafrechtlichen Berücksichtigung der Genehmigungsfllhigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
2.
92
93
Genehmigungsfllhigkeit im Bereich der Ermessensverwaltung . . . . . . . . . . .
93
a) Unbeachtlichkeit der Genehmigungsfllhigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
b) Genehmigungsfllhigkeit als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . .
95
Genehmigungsfllhigkeit im Bereich der gebundenen Verwaltung . . . . . . . .
96
a) Unbcachtlichkeit der Genehmigungsfllhigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
b) Genehmigungsfllhigkeit als Rechtfertigungsgrund
97
c) Genehmigungsfllhigkeit als Strafaufhebungsgrund
99
111. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
11
100
Zur Genehmigungsfllhigkeit als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . .
I 00
a) Ermessensverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
b) Gebundene Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101
aa) Parallele zum Baurecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I 02
bb) Offenkundige Genehmigungsfllhigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
cc) Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . .
105
2. Zur nachträglichen Genehmigung als Strafaufhebungsgrund . . . . . . . . . . . .
I 06
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
F. Behördliche Duldung und Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
Meinungsstand . .. .. . . . . .. . . . ............... . ... .'. . . . . . . . . . . .
108
Rechtfertigung bei rechtmäßiger behördlicher Duldung . . . . . . . . . . . . . . . .
108
a) Prinzip des Oberwiegenden Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II 0
b) Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III
I.
I.
12
Inhaltsverzeichnis c) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112
d) Analogie zu anerkannten Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . .
113
e) Duldung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
2.
Genehmigungsgleiche Wirkung der rechtmäßigen behördlichen Duldung . . .
114
3.
Genehmigungsgleiche Wirkung auch der rechtswidrigen behördlichen Duldung 115
4.
Rechtfertigung nur bei gebundener Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
5.
Unbeachtlichkeit der behördlichen Duldung im Bereich objektiven Unrechts .
118
II. Zur behördlichen Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . .
121
I. Begriffiichkeit der Straftatbestande als Vorgabe fllr die strafrechtlichen Wirkungen einer behördlichen Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122
2.
Rechtsgüterschutz als Ausgangspunkt der strafrechtlichen Wirkung einer behördlichen Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
a)
Schutzzweck der verwaltungsakzessorischen Straftatbestande . . . . . . . .
123
b) Abstrakte Gefllhrdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
c) Erfolgs- und konkrete Gefllhrdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
111. Behördliche Duldung und rechtfertigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
§ 34 StOB als Iex generalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
b) Grundsätzliche Anwendbarkeit des § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
a) Grundsätzliche Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
b) Notstand und Verwaltungsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
c) Voraussetzungen der Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
I.
a)
2.
Inhaltsverzeichnis IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
13 133
I.
Vertrauensschutz . ... .......... . ........ . ............ . .. . .
133
2.
Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ........ . ............ .. . . .
135
a) Rechtswidrige Outdungen .......... .. .. . ............ . ... .
137
b) Rechtmäßige Outdungen ............ . ............... . ... .
139
c) Insbesondere: Amtsträgerstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
d) Rechtfertigungsprinzip der behördlichen Duldung ............... .
142
aa) Einwilligung .... ... ......... .. . .. ........... . . ... .
142
bb) Prinzip des Oberwiegenden Interesses . ............. . .... . .
143
3.
Behördliche Duldung und das ultima-ratio-Prinzip . . ............ . .. . .
143
4.
Behördliche Duldung und Verwaltungsvollstreckung ............ . ... .
144
5.
Subjektives Rechtfertigungselement-Kenntnis der behördlichen Duldung .. .
145
6.
Rechtswidrige behördliche Duldung und Erlaubnistatbestandsirrtum .. . . .. .
145
G. Konkretisierung des gefundenen Ergebnisses .......... . ............ .. .. .
147
Unerlaubtes Betreiben von Anlagen-§ 327 StOB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
II. Gewässerverunreinigung- § 324 StOB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
H. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
I.
A. Problemstellung Das Verwaltungsrecht hat sich - verstärkt seit Mitte der siebziger Jahre mit neuen Formen des Verwaltungshandeins auseinanderzusetzen, die das klassische ordnungsrechtliche Instrumentarium der direkten Verhaltenssteuerung durch unmittelbare, generelle und abstrakte gesetzliche Verbote ergänzen oder gar ablösen. Verursacht wird dieser Wandel durch die zunehmende staatliche Kontrolle von Wirtschaft, Technik und Umwelt, die mit einer weitgehenden Unbestimmtheit gesetzlicher Handlungsanweisungen einhergeht. Die Unbestimmtheit gesetzlicher Handlungsanweisungen ist wiederum auf veränderte Umweltbedingungen zurückzuftlhren. Damit sind Schwankungen in der individuellen Werthaltung, in der Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Sozialstruktur, neuartige Gefahren fllr unsere Lebensverhältnisse und sich rasch verändernde politische Grundprämissen angesprochen. Insbesondere das Umweltrecht kennzeichnet ein Wandel weg von der direkten Verhaltenssteuerung durch Verbote hin zur indirekten Verhaltenssteuerung durch Einflußnahme auf die Willensbildung des Adressaten 1• Dies geschieht durch die Schaffung wirtschaftlicher Anreize, indem die Behörde erwünschtes Verhalten honoriert oder unerwünschtes Verhalten sanktioniert. Der Betroffene wird dabei in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beschränkt. Hier stellt sich die Frage, ob die Erfllllung der direkten Verhaltensvorgaben durch die Verwaltungsgesetze noch mit Zwangsmitteln durchgesetzt oder ihre Nichterftlllung mit Sanktionen geahndet werden kann. Darüber hinaus ist es den Verwaltungsbehörden oft auch nicht möglich, dem Kontrollauftrag des Gesetzes in vollem Umfang gerecht zu werden. Den bestehenden Effektivitätsproblemen und Vollzugsdefiziten wirkt sie durch die einleitend erwähnten, sog. "informellen" Handlungsformen entgegen2• Ein Teilbereich des informellen Verwaltungshandeins soll Gegenstand dieser Arbeit sein: die Duldung eines nicht genehmigten Verhaltens durch die zuständige Verwaltungsbehörde.
Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 31 f. Bulling, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 147; Hermes/Wieland, Duldung, S. 1 f.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 68. 1
2
16
A. Problemstellung
I. Das informelle Verwaltungshandeln Zunächst ist jedoch der Begriff des informellen Verwaltungshandeins zu konkretisieren. Er kennzeichnet im Anschluß an die grundlegenden Arbeiten Bohnes alle rechtlich nicht geregelten Tathandlungen, die der Staat anstelle von rechtlich geregelten Verfahrenshandlungen oder Rechtsfolgeentscheidungen wählt, die jedoch zur Herbeiftlhrung des beabsichtigten Erfolges auch in den von der Rechtsordnung bereitgestellten öffentlich-rechtlichen oder privatrechtliehen Handlungsformen erfolgen können3 • Sie sind "informell", weil sie in der formellen Ordnung des Entscheidungsprozesses nicht vorgesehen sind4 • Das informelle Verwaltungshandeln wird gekennzeichnet durch Kontakte, Absprachen, Vorabstimmungen, konzertierte Aktionen und sonstige Arrangements zwischen öffentlicher Verwaltung und BUrger im Vor- oder Umfeld formalisierter Gesetzgebungs- oder Verwaltungsverfahrens und kann im wesentlichen in drei Anwendungsbereiche unterteilt werden6• 7 : zum einen die "normvertretenden Absprachen", die auf der Basis eines freiwilligen Zugeständnisses des BUrgers den Erlaß einer Rechtsnorm ersetzen8 ;
3 Bohne, VerwArch 75 (1984), 344; ders., Der informale Rechtsstaat, S. 47; vgl. auch Bauer, VerwArch 78 (1987), 244. 4 Quaritsch, in: Festschr. ftlr Ule, S. 139. 5 Erichsen, in: Erichsen/Martens, Allg. VerwR, § 35 Rdn. I; Bulling, DÖV 1989, 277 ff. 6 Nach Brohm, DVBI. 1994, 133 f.; Henneke, NuR 1991, 271; kritisch Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 234, der informelles Verwaltungshandeln allein in regelungsvorbereitende und regelungsverhindemde Absprachen unterteilen will. 1 In Japan hat der Begriff des informellen Verwaltungshandeins eine andere Bedeutung als in der Bundesrepublik Deutschland, vgl. dazu Fujita, NVwZ 1994, 133 ff.; Kunig/Rub/ack, Jura 1990, 2 f. Dort sind Bürger und Behörde angehalten, ein llirmliches Verwaltungsverfahren und damit verbundene Konflikte zu vermeiden ("gyoseishido"). Bereits seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ist das informelle Verwaltungshandeln intensiv diskutierter Gegenstand der japanischen Verwaltungsrechtswissenschaft; vgl. Fujita, a.a.O., S. 134. Allerdings findet sich in Japan auch kein dem Rechtsgüterschutz in gleicher Weise dienendes materielles Verwaltungsrecht wie in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Bedeutung informellen Verwaltungshandeins in Österreich vgl. Wimmer/Arnold, Dialogisches Verwaltungshandeln, S. 51 ff. 8 "Freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen". Beispiele sind die Zusage der Zigarettenhersteller, ihre Werbung im Fernsehen einzuschränken, die Zusage des Wirtschaftsverbands ftlr Asbestzement, den Asbestgehalt in Zementprodukten zu senken (vgl. Brohm, DVBI. 1994, 133) und die freiwillige Selbstverpflichtung der papierverarbeitenden Indurstrie zur Rücknahme und Verwertung graphischer Altpapiere (vgl. FAZ v. 19.3.1994 und FAZ v. 15.10.1994). Weitere Beispiele finden sich bei Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 256.
I. Das informelle Verwaltungshandeln
17
weiter das "einseitige informelle Verwaltungshandeln", das etwa in der behördlichen Warnung vor bestimmten Gefahren liegt9 ; schließlich die "normvollziehenden Absprachen", ein Teilbereich des sogenannten "konsensualen" informellen Verwaltungshandeins 10• Informelle Verhaltensweisen, die auch im Strafrecht Bedeutung erlangen können, finden sich vor allem im Bereich der normvollziehenden Absprachen und betreffen die Gebiete des Immissionsschutzrechts, des Wasserrechts, des Rechts der Abfallwirtschaft, des Atomrecht und des Außenwirtschaftsrechts 11 • Insbesondere hier stellt sich dem Strafrecht die oben aufgeworfene Frage, ob die direkten Verhaltensvorgaben der Verwaltungsgesetze noch mit Zwangsmitteln durchgesetzt und ihre Nichterfllllung mit Sanktionen geahndet werden sollen. Verwaltungsbehörden und Strafverfolgungsbehörden neigen aufgrund ihrer unterschiedlichen Zielsetzung dazu, diese Frage unterschiedlich zu beantworten. Die Folge dieser abweichenden Beurteilung sind erhebliche Spannungen zwischen beiden Behörden im Bereich des verwaltungs(akt)akzessorisch ausgestalteten Strafrechts12• Wenden schließlich Verwaltungsbehörde und Strafverfolgungsorgane ihre Handlungsinstrumente unkoordiniert an, so sind Nachteile ftlr die zu schützenden Rechtsgüter die zwangsläufige Folge13 • Daneben wirkt auch der Strafverfolgungsanspruch gegenüber staatlichen und kommunalen Amtsträgem nicht gerade ~rderlich auf die Zusammenarbeit beider Behörden. Zum besseren Verständnis des verwaltungsbehördlichen Handeins sollen nachfolgend die Motive ftlr informelles Verwaltungshandeln näher dargestellt werden.
9 So etwa die Warnung des Bundesgesundheitsamts vor dem Gebrauch bestimmter Medikamente, dem Import und Verkauf kontaminierter Weine, oder die der Bundesregierung vor bestimmten Jugendsekten; vgl. Brohm, DVBI. 1994, 135; Robbers, DÖV 1987, 278. Siehe auch Kette/er, JuS 1994, 912. 10 Brohm, DVBI. 1994, 133; Kette/er, JuS 1994, 913; vgl. auch Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 234 ff. 11 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 244 f. m.w.N. Gerade im Bereich der neuen Bundesländer sind die Verwaltungsbehörden auf informelles Verwaltungshandeln angewiesen, da die Durchftlhrung eines formalisierten Verwaltungsverfahrens oft nicht möglich ist. Dar1lber hinaus soll in einzelnen Gemeinden der neuen Bundesländer der Begriff des Verwaltungsaktes als wichtigstes Instrument formellen Verwaltungshandeins noch gänzlich ungebrauchlich sein (so Brand/Maggioni/Stein, VR 1994, 254). 12 Wüterich, UPR 1988, 248; Spannowsky, UPR 1994, 404. 13 Siehe Breuer, JZ 1994, 1077.
2 Malitz
A. Problernstellung
18
1. Motive für informelles Verwaltungshandeln Der Anwendungsschwerpunkt des infonnellen Verwaltungshandeins liegt im Bereich der Gefahrenabwehr und erfaßt daneben auch den Bereich der Risikovorsorge 14• Hier herrscht verwaltungsrechtlich das Opportunitätsprinzip, das einen größeren Entscheidungsspielraum gewährt als das strafrechtliche Legalitätsprinzip15 • Diesen Entscheidungsspielraum darf die Verwaltungsbehörde nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl mit Rechtmäßigkeits- als auch mit Zweckmäßigkeitserwägungen ausfllllen, vgl. § 40 VwVfG 16• Auch ft1r den betroffenen Bürger gibt es gute Gründe, das infonnelle Verhalten der Behörde hinzunehmen. Auch diese sollen nachfolgend kurz dargestellt werden. a) Die Verwaltungsbehörde
Die Verwaltungsbehörde verwendet infonnelle Handlungsfonneo nicht nur aufgrund der eingangs erwähnten Effektivitätsprobleme und Vollzugsdefizite, sondern auch aufgrund ihrer gesetzlich vorgegebenen Aufgabenstellung. Die infonnellen Handlungsfonneo bieten der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, neuen Gefahren schnell zu begegnen. So helfen sie ihr, bei tätsächlich und rechtlich zweifelhafter Sachlage Zugeständnisse des Handelnden durch kooperatives Vorgehen in Fonn von "Tauschgeschäften" zu erreichen. Dies hat nicht nur die Aussicht auf die zügige Verwirklichung der abgesprochenen Maßnahmen 11, sondern birgt auch die Möglichkeit einer "Paketlösung" durch Verknüpfung mit weiteren Vorgängen, die Venneidung langwieriger und ungewisser Rechtsstreitigkeiten sowie die Beachtung des Übennaßverbotes in sich 18 • Darüber hinaus ist der Behörde die Erfassung des Sachverhalts ohne die Mitwirkung des Betroffenen oft gar nicht möglich. Personalbestand, Aus-
14 15
Henne/re, NuR 1991, 271. Breuer, AöR 115 (1990), 460 ff.; Heine, NJW 1990, 2433.
16 Das Verwaltungsverfahrensgesetz wird ohne den Zusatz zitiert, ob es sich um das des Bundes oder das des jeweiligen Landes handelt Die in dieser Arbeit in Bezug genommen Regelungen des VwVID sind auf Bundes- und Länderebene identisch. 17 Andererseits gibt es auch Beispiele ftlr Verzögerungen, so die nicht eingehaltene Vereinbarung Uber die Aufrechterhaltung des Marktanteils von Mehrwegflaschen, s. Kloepfer, Urnweltrecht, § 4 Rdn. 256; Kette/er, JuS 1994, 913; Henne/ce, NuR 1991, 272 rn.w.N. 18 Vgl. dazu Breuer, AöR 115 (1990), 462; ders., JZ 1994, 1085; Bulling, DÖV 1989, 288 f.; ders., in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 147; Arnold, VerwArch 1988, 134, 140 f.; Brohm, NVwZ 1988, 796; Henne/re, NuR 1991, 271 f.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 80 f.; Hoppe/Beckmann, Urnweltrecht, § 9 Rdn. 28; Kelle/er, JuS 1994, 913; vgl. auch Maurer, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 29 zum Verwaltungsvertrag in der Rechtsprechungspraxis.
I. Das infonnelle Verwaltungshandeln
19
rüstung und Kompetenz reichen dort nicht mehr aus, um dem gesetzlichen Kontrollauftrag gerecht zu werden. Dies hat zur Folge, daß Daten und Berechnungen der zu Kontrollierenden im Wege informellen Verwaltungshandeins übernommen werden 19. Anders als der Strafverfolgungsbehörde geht es der Verwaltungsbehörde auch nicht um Täter und Beschuldigte, sondern um Störer und Verursacher. Um die Verursacher- und Störerhaftung durchzusetzen, muß sie an der Erhaltung der Handlungsfllhigkeit des Störers interessiert sein. Ein Verursacher, der verhaftet wird, zahlungsunfllhig wird oder sich ins Ausland absetzt, kann faktisch nicht mehr zur Gefahrenabwehr oder Wiedergutmachung herangezogen werden. Hier kann informelles Verwaltungshandeln die verwaltungsbehördliche Aufgabenstellung besser verwirklichen als die schwerflilligen Mittel des Verwaltungszwangs20. Daher stehen die Genehmigungs- und Überwachungsbehörden repressivem Vorhgehen im allgerneinen recht distanziert gegenüber, auch weil sie statt positiver Veränderungen eher eine Störung des Vertrauensverhältnisses erwarten21. Sie bevorzugen verhandlungsorientierte Konfliktlösungen, von denen sie sich bessere Ergebnisse versprechen22. Nur in seltenen Fällen nutzt die Verwaltungsbehörde die Anzeige und das folgende staatsanwaltschaftliehe Ermittlungsverfahren als Druckmittel zur Erlangung weitergehender langfristiger Zugeständnisse des Betreibers23 . Nicht zuletzt folgt diese Zurückhaltung aus der - in nicht gerade seltenen Fällen begründeten - Beftlrchtung der Behörde, daß der ermittelnde Staatsanwalt nur unzureichende fachtechnische Kenntnisse über Betriebsabläufe, Organisationsstrukturen in der Wirtschaft und die verwaltungsrechtlichen Zusammenhänge aufweisen kann24 . Oft wird
19 Henne/ce, NuR 1991, 267, 272; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 80 f.; Kühne/Görgen, Polizeiliche Bearbeitung der Umweltdelikte, S. 436 f., 443. Die unkontrollierte Übernahme dieser lnfonnationen birgt allerdings die Gefahr, daß die Behörde Zugeständnisse an die Sichtweise des BUrgers machen muß. 20 Vgl. Fröhlich, DÖV 1989, 1031. 21 Meinberg/Link, Falldokumentation, S. 7; Bussfeld, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 40; Lübbe-Wo/jf, NuR 1989, 302; Hüwe/s, in: Junker/de Ia Riva/Schwarz, Genehmigungsverfahren 111, B 5 S. 6; kritisch Herzog, Strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 142. 22 Breuer, AöR 115 (1990), 466 f.; Lübbe-Wo/jf, NuR 1989, 301 f.; Bulling, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 153; Heine/Meinberg, GA 1990, 3; zum Anzeigeverhalten der Behörden aus kriminologischer Sicht vgl. Hoch, Rechtswirklichkeit des Umweltstrafrechts, S. 208 ff., 215 ff. 23 So aber z.B. im Fall des "Kochersanierungsprogramms, Papierfabrik Palm" aus dem Jahre 1986, vgl. dazu Arnold, VerwArch 1988, 132; Bulling, DÖV 1989, 186; Maurer, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 37. Siehe auch Kühne/Görgen, Polizeiliche Bearbeitung der Umweltdelikte, S. 411 ff.; kritisch Dahs/Redeker, DVBI. 1988, 808. 24 Heine/Meinberg, Gutachten D zum 57. DJT, D 86 ff., 152 ff.; Meinberg/Link, Falldokumentation, S. 18; Dahs/Redeker, DVBI. 1988, 806; siehe auch Breuer, JZ 1994, 1086. 2*
A. Problemstellung
20
die Staatsanwaltschaft daher erst nach dem Scheitern der Verhandlungen informiert. b) Der Bürger
Auch die Betroffenen selbst haben regelmäßig keine Einwendungen gegen die verhandlungsorientierte Lösung durch informelles Verwaltungshandeln25 • Sie erhalten anders als in einem einseitig-hoheitlichen Verfahren die Gelegenheit, in allen relevanten Entscheidungsgesichtspunkten mitzureden26 • Durch die Beschleunigung des Verfahrens kann der einzelne Unternehmer ökonomische Nachteile aufgrund längerer Kapitalbindung und dem Risiko einer Marktveränderung vermeiden27• Er tritt damit der Beftlrchtung entgegen, bei Durchftlhrung des förmlichen Genehmigungsverfahrens von der schnelleren Konkurrenz oder von technologischen Innovationen überholt zu werden. Gerade bei der Änderung bereits bestehender Anlagen ist der Zeitbedarf ein entscheidender Gesichtspunkt ftlr den Betreiber. Die Anpassung der Anlage an die geänderte Rechtslage, Verfahrensveränderungen zur Produktoptimierung, die Ersetzung fehlerhafter Anlagenteile oder die Anpassung an den fortgeschrittenen Stand der Technik gehören zum Tagesgeschäft größerer Unternehmen21. Die Unterbrechung des Betriebes, um das zeitraubende gesetzliche Kontrollverfahren einer Änderungsgenehmigung durchzuftlhren, kann schnell zu erheblichen ökonomischen Nachteilen ftlr das Unternehmen ftlhren. Ökonomische Nachteile ergeben sich insbesondere dann, wenn die Altanlagen in einen Verbundstandort integriert sind, so daß von ihrem Betrieb wiederum der Betrieb anderer Anlagen abhängig ist. Hier kann informelles Verwaltungshandeln entscheidende Vorteile ftlr den Unternehmer bieten. Darüber hinaus sind Anlagenbetreiber auch mit Blick auf künftige genehmigungsptlichtige Vorhaben an einem kooperativen Verhältnis zu den zuständigen Behörden interessiert. Auf der Ebene gegenseitigen Entgegenkommens sind sie daher auch auf dem Wege informellen Verwaltungshandeins bereit, umweltschützende Verbesserungen in bestehenden Anlagen und Betrieben vorzunehmen29•
25
Vgl. Bulling, DÖV 1989, 288.
Vgl. Bu/ling, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 153; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 9 Rdn. 27; Kette/er, JuS 1994, 913. 27 Vgl. Bussfeld, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 45; Bullinger/ Schotz, FAZ v. 22.10.1994, s. 15. 28 Siehe Fluck, DÖV 1994, 885. 29 Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 9 Rdn. 28. 26
I. Das informelle Verwaltungshandeln
21
2. Gefahren informellen Verwaltungshandeins
Nicht zu übersehen ist allerdings, daß informelle Absprachen überwiegend mit einem Weniger an Gesetzesvollzug verbunden sind, da sie sonst ftlr den beteiligten Bürger kaum lohnend wären30• Dies wirkt sich insbesondere auf den Bereich des Umweltschutzes aus. Weiterhin haben informelle Absprachen nicht notwendig eine zUgigere Rechtsdurchsetzung zur Folge, da sie aufgrund ihrer Unverbindlichkeit nicht die Möglichkeit der Vollstreckung bieten. Der Ausgang des Verständigungsprozesses ist stets ungewiß. Bei einem Scheitern der Verhandlungen kann die Verwaltung erst anschließend das Recht mittels einseitig hoheitlichem Handeln durchsetzen, woran sie während der Verhandlungen gehindert w~ 1 • Schließlich bergen infonnelle Praktiken die Gefahr, daß die Strafverfolgungsbehörde erst nach jahrelangen Eigenbemühungen der Verwaltungsbehörde die Kenntnis des Sachverhalts erlangt. Diesem tatsächlich bestehenden Infonnationsdefizit der Staatsanwaltschaft könnte eine Anzeigepflicht der Verwaltungsbehörde entgegenwirken, die der Bundesgesetzgeber im Rahmen des 18. Strafrechtsänderungsgesetzes im Jahre 1980 jedoch ausdrUcklieh abgelehnt hat. Zur BegrUndung ftlhrte er damals an, daß durch eine Anzeigepflicht die umweltdienliche Kooperation zwischen Überwachungsbehörden und Anlagenbetreibern unnötig erschwert würde32 • Gegen eine bundesgesetzliehe Verankerung der Anzeigepflicht hat sich letztmals der interministerielle Arbeitskreis in einem Bericht aus dem Jahre 1988 ausgesprochen, weil die Anzeigepflicht durch entsprechende Ländererlasse ausreichend geregelt sei und verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestUnden33 • Dennoch wird die gesetzliche Regelung einer Anzeigepflicht der Verwaltungsbehörden immer wieder gefordert34 •
°
3 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 261; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 82 f.; Ketteler, JuS 1994, 913. 31 Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 82.
32
BT-Drs. 8/3633, S. 20 f.; ebenso Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 342.
Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe "Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht" • Arbeitskreis "Umweltstrafrecht" ·vom 19.12.1988, S. 66 ff.; vgl. auch Hoch, Rechtswirklichkeit des Umweltstrafrechts, S. 254 ff.; Kühne/Görgen, Polizeiliche Bearbeitung der Umweltdelikte, S. 345 ff., 406 ff. In Nordrhein-Westfalen verpflichtet der Gern. RdErl. vom 20.6.1985 (MBI. NW 1985, S. 1232) die Umweltschutzbehörden/Fachdienststellen zur Unterrichtung der Straf· Verfolgungsbehörden Ober den Verdacht einer Straftat gegen die Umwelt, wenn dies wegen der Bedeutung der Tat oder aus anderen Gründen "im öffentlichen Interesse geboten" ist. Eine generelle Anzeigepflicht ohne die Einschränkung des "öffentlichen Interesses" hat allein das Saarland gewahlt, s. GmBI. des Saarlandes v. 9.6.1987, S. 151. Nach Breuer, JZ 1994, 1087, kann eine allgemeine Anzeigepflicht nur bundesgesetzlich eingeftlhrt werden. 34 Heine/Meinberg, GutachtenD zum 57. DJT, D 157 f.; Schall, NJW 1990, 1272 f.; Tiedemann, Neuordnung des Umweltstrafrechts, S. 43; Spannowslcy, UPR 1994, 407; differenzierend Dölling, ZRP 1988, 338; Breuer, AöR 115 (1990), 488. 33
22
A. Problemstellung
II. Die behördliche Duldung und das informelle Verwaltungshandeln Wie einleitend bereits festgestellt, ist die behördliche Duldung ein Teilbereich des informellen 1 Verwaltungshandelns. Outdungen spricht die Behörde im Rahmen normvollziehender Absprachen aus. Auch hier knüpft das informelle Verwaltungshandeln nicht an den Gebrauch rechtlich vorgegebener Handlungsformen an, weil die damit verbundenen Rechtsfolgen vermieden werden sollen2 • Insbesondere will die Behörde den bestehenden Rechtsvorschriften und Rechtswirkungen wie Verfahrensregelungen, Formvorschriften, Regelungen über Rücknahme, Widerruf, Anfechtungsklage u.ä. entgehen3 • Behördliche Duldungen finden sich häufig im Vorfeld offizieller Verfahren. Die Verhandlungen zwischen der Verwaltungsbehörde und dem Bürger können zu dem Ergebnis ftlhren, daß die Behörde den rechtlich möglichen Eingriff unterläßt, um beispielsweise Sanierungsmaßnahmen zu vereinbaren, die der Überleitung des rechtswidrigen Zustands in einen rechtmäßigen dienen sollen4 • "Tauschobjekt" der Behörde ist dabei die Androhung gesetzlich vorgesehener belastender Maßnahmen als Sanktion gegen die Verweigeung5 6 • Während des Zeitraums der Verhandlungen sieht die Behörde von der Vollstreckung der gesetzlichen Verpflichtung ab. Sie "duldet" das Verhalten des Bürgers7 • An eine solche Duldung schließt sich häufig die einseitige Genehmigung des Verhaltens oder auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag an8 • Die Genehmi-
1 Kritisch zu der Bezeichnung "informell" (oder auch "informal"), die an Kungelei, Heimlichkeiten und rechtlich oder ethisch nicht einwandfreie Praktiken erinnere: Bulling, DÖV 1989, 278, 287 f.; ders., in: Hili, Vertrage und Absprachen, S. 155 f. Er will diesen Begriff durch die Bezeichnung "kooperatives" Verwaltungshandeln ersetzen. 2 Brohm, DVBI. 1994, 133 f.; Robbers, DÖV 1987, 287; Woljf/Bachof/Stober, VerwR 1, §57 Rdn. 15. 3 Brohm, DVBI. 1994, 134. 4 Bulling, DÖV 1989, 279; vgl. aus kriminologischer Sicht Hoch, Rechtswirklichkeit des Umweltstrafrechts, S. 317 ff. 5 Dies ftlhrt zu der merkwürdigen Konstellation, daß der Gesetzesvollzug als Sanktion dient, vgl. Brohm, NVwZ 1988, 796; ders., DVBI. 1994, 137; Kunig/Rublack, Jura 1990, 4; Dahs/ Redeker, DVBI. 1988, 806; siehe auch Arnold, VerwArch 1988, 128, 133. Ein entsprechendes Verhalten findet sich auch bei den Ermittlungsbehörden, vgl. Kühne/ Görgen, Polizeiliche Bearbeitung der Umweltdelikte, S. 411 ff. 6 Im Strafi>rozeß finden die normvollziehende Absprachen eine Parallele in den sog. "informellen Absprachen". Vgl. dazu aus der Rechtsprechung BGH, DRiZ 1991, 177; BGH, NJW 1990, 1924; aus dc:r umfangreichen Literatur nur Schünemann, Gutachten B zum 58. DJT, B 27 ff.; Dose, Die Verwaltung 1994, 93 f. 7 LG Hanau, NJW 1988, 571 (573); Dolde, NJW 1988, 2330 ff.; vgl. -auch mit Beispielen aus der Verwaltungspraxis- Bulling, DÖV 1987, 282. 8 Bulling, DÖV 1989, 279; Wolff/Bachof/Stober, VerwR I,§ 57 Rdn. 15 .
111. Praktische Bedeutung der Duldung
23
gung gestattet das bisher nicht genehmigte Verhalten und beendet damit den "informellen" Zustand. Dagegen ist einem öffentlich-rechtlichen Vertrag in der Praxis meist noch nicht die erforderliche Erlaubnis zu entnehmen9 , so daß der informelle Zustand fortdauert. Auch außerhalb der normvollziehenden Absprachen sind behördliche Duldungen denkbar. So werden Schwarzbauten im Außenbereich, Hausbesetzungen oder Geschwindigkeitsüberschreitungen behördlich geduldet, weil die Behörde bewußt nicht einschreitet oder auf den Vollzug eines bereits erlassenen Verwaltungsakts verzichtet10• Als Beweggründe, die die Behörde zu einer Duldung veranlassen, sind neben den bereits angefllhrten Unklarheiten über die Rechtslage 11 , die materielle Genehmigungsfähigkeit der formell nicht genehmigten Anlage, bereits begonnene Sanierungsarbeiten an der Anlage, die Unverhältnismäßigkeit der sofortigen Untersagung bereits langjährig bestehender Anlagen oder Betriebsstörungen und Notflille denkbar12 • Auf Beispiele wird anschließend noch einzugehen sein.
m. Praktische Bedeutung der Duldung Der Einwand des Beschuldigten, die Behörde habe sein Verhalten geduldet, ist eine der oft gebrauchten Einlassungen in Umweltstrafverfahren1 • Dennoch dürfte ein bedeutender Teil behördlicher Duldungen nicht als Verteidigungsvorbringen in das Strafverfahren eingebracht werden. Dies hängt damit zusammen, daß der Beschuldigte mit der jeweiligen Verwaltungsbehörde auch weiterhin zusammenarbeiten muß2 • Stützt er seine Verteidigung auf die behördliche Duldung seines Verhaltens, könnte auch der zuständige Amtsträger in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren hineingezogen werden. Um dies zu vermeiden und aus Furcht um sein gutes Verhältnis zur Genehmigungs-
9 Bul/ing, DÖV 1989, 287, 289; vgl. andererseits aber auch ders., in: Hili, Verträge und Absprachen, S. ISS; Beispiel bei Amold, VerwArch 1988, 136; es stellt sich im Hinblick auf das Koppelungsverbot des § 56 VwVtU allerdings immer die Frage nach der Zulässigkeit der Verbindung von Gegenleistung und Kompensation. 1 Fluck, NuR 1990, 198; Robbers, DÖV 1987, 278; Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 65 ff.; Amo/d, VerwArch 1988, 132 ff.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 74 f. 11 OVG Berlin, NVwZ 198S, 7S6.
°
12 Nisipeanu, ZfW 1990, 369 f.; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 14 ff.; vgl. auch Dose, Die Verwaltung 1994, 99 f. 1 Vgl. Winke/bauer, DÖV 1988, 727; Hal/waß, NuR 1987, 296; Köhler, ZfW 1993, 6; Gentzcke, Informales Verwa1tungshande1n, S. 6. 2 Vgl. zum Folgenden Dahs/Redeker, DVBI. 1988, 806.
24
A. Problemstellung
behörde, verzichtet er daher auf ein möglicherweise wirksames Verteidigungsargument. Wird der Einwand der behördlichen Duldung des genehmigungslosen Verhaltens dagegen in das Ermittlungs- oder Strafverfahren eingebracht, fUhrt dies in vielen Fällen zu einer Verfahrenseinstellung wegen Geringftlgigkeie. Nicht zuletzt folgt diese Einstellungspraxis auch aus dem oft geäußerten Vorwurf der Verwaltungsbehörden, die Strafverfolgungsbehörden gerierten sich in diesem Bereich als "apokryphe Oberfachbehörden"4 • Befriedigend ist diese Lösung des Problems behördlicher Outdungen jedoch nicht. Da das Problem eher in der Verwaltungsakzessorietät des Strafrecht begrUndet ist, ist es vielmehr sachgerecht, die Lösung der Outdungsproblematik im materiellen Strafrecht zu suchen.
IV. Die Bedeutung der behördlichen Duldung im internationalen Vergleich Das Problem informellen Verwaltungshandeins und insbesondere die Duldungsproblematik ist nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Auch in anderen Ländern wird die Frage diskutiert, ob eine behördliche Duldung Einfluß auf die Strafbarkeit des Täters haben kann. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland ist die Frage der behördlichen Duldung in den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erörtert worden.
1. Vereinigte Staaten von Amerika In dem Fall United States v. Pennsylvania Industrial Corp. 1 aus dem Jahre 1973 hatte die zuständige Behörde über mehrere Jahre rechtswidrige Einleitungen nicht untersagt. Der U.S.-Supreme Court verneinte die Strafbarkeit von Schadstoffeinleitungen und begrUndete seine Entscheidung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Ob in den Fällen behördlicher Duldung Vertrauensschutz zu gewähren ist, hängt nach der Entscheidung des Supreme 3 §§ 153, 153a StPO, vgl. Heine, NJW 1990, 2433; Kühne/G6rgen, Polizeiliche Bearbeitung von Umweltdelikten, S. 406 ff., 411 ff.; D6lling, ZRP 1988, 335; Meinberg, ZStW 100 (1989), 144 f. (ftlr Hessen); kritisch zu dieser Praxis Meinberg/Link, Falldokumentation, S. 8 f.; Kuhlen, WiVerw 1992, 270, sowie aus einem anderen Blickwinkel Dahs!Redeker, DVBI. 1988, 807 f. 4 Vgl. Papier, NuR 1986, I. 1 411 U.S.655 (1973). Vgl. dazu Thaman, in: Umweltstrafrecht in England, Kanada und den USA, S. 526 f.
IV. Die Bedeutung der behördlichen Duldung im internationalen Vergleich
25
Court entscheidend davon ab, ob sich der Einleiter auf die behördliche Praxis verlassen hatte und dies unter Berücksichtigung der Umstände auch als vernünftig erschien2 • Ein erstinstanzlieh zuständiger District Court hat daraufhin entschieden, daß nur ein strafrechtlich unbeachtlicher Verbotsirrtum in Betracht komme, wenn ein derartiger Vertrauenstatbestand nicht festzustellen seP.
2. Kanada In Kanada entspricht es der allgemeinen Auffassung in Rechtsprechung und Lehre, daß eine behördliche Duldung das strafrechtliche Unwerturteil nicht berührt und lediglich zu einer Strafmilderung fUhren kann4 • 3. Österreich/Schweiz Sowohl in Österreich als auch in der Schweiz wurden die behördliche Duldung und ihre strafrechtliche Berücksichtigung bisher noch nicht diskutiert5• 4. Belgien In Belgien wird der behördlichen Duldung keine rechtfertigende, sondern allenfalls entschuldigende Wirkung zuerkannt. Sie fUhrt nur dann zur Straffreiheit, wenn sich der Setreiber aufgrund der behördlichen Duldung in einem Irrtum über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens befand und dieser Irrtum unvermeidbar war6 • Grundsätzlich darf der Setreiber einer nicht genehmigten Anlage aus dem Nichteinschreiten der Verwaltungsbehörden jedoch nicht schließen, daß sein Verhalten erlaubt see.
2
411 U.S.675 (1973).
United States v. Frezzo Brothers, Inc. - 546 F.Supp. 713 (720) (1982)- unter Berufung auf die zuvor dargestellte Entscheidung des Supreme Court; zitiert nach Thaman, in: Umweltstrafrecht in England, Kanada und den USA, S. 527. 4 Vgl. Nachweise bei Sickenberger/Prabhu/Weik, in: Umweltstrafrecht in England, Kanada und den USA, S. 241. 5 Vgl. Niering, Gewasserschutz, S. 80 f. (Schweiz), S. 87 f. (Österreich). 3
6 7
Faure, Umweltrecht in Belgien, S. 241 fT. Faure, Umweltrecht in Belgien, S. 170 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.
26
A. Problemstellung
5. Niederlande
In den Niederlanden hat die behördliche Duldung eines nicht genehmigten Verhaltens oft die Einstellung des staatsanwaltschaftliehen Ermittlungsverfahrens aufgrund des Opportunitätsprinzips zur Folge8 • Vorausgesetzt wird allerdings - wie auch in der Bundesrepublik Deutschland - mehr als die bloße Untätigkeit der Behörde. Die stillschweigende behördliche Duldung kann, ebenso wie in Belgien, einen Verbotsirrtum des Handelnden begrUnden9 • Die verwaltungsrechtliche Zulässigkeil der Duldung wird aus dem Opportunitätsprinzip hergeleitet, weil der Einsatz von Verwaltungszwang regelmäßig im Ermessen der Behörde liegt10• Legalisierende Wirkung hat sie jedoch nicht11 • 6. Dänemark
In Dänemark wird die stillschweigende behördliche Duldung entweder als Schuldausschließungsgrund, bei der Beschränkung auf eine gerichtliche Verwarnung oder jedenfalls als Strafinilderungsgrund berücksichtigt12• Die Frage, ob eine behördliche Duldung den Täter entschuldigen kann, wird allerdings noch diskutiert und ist nicht abschließend entschieden13 •
V. Gang der Untersuchung Ob und unter welchen Voraussetzungen der behördlichen Duldung eine genehmigungsgleiche Wirkung zukommen kann, ist auch in der Bundesrepublik Deutschland umstritten. Dies ist zunächst auf die strafrechtlich noch nicht klar bestimmten Konturen der behördlichen Duldung zurückzuftlhren. Eine Reihe von verwaltungs- und strafrechtlichen Arbeiten haben allerdings in den letzten Jahren den Versuch unternommen, der behördlichen Duldung dogmatisch näherzukommen 1• Gemeinsam ist ihnen, daß sie - weitgehend gezielt -
Wa/ing, Das niederländische Umweltstrafrecht, S. 129 f., 139. Wa/ing, Das niederländische Umweltstrafrecht, S. 131 f., 137 ff. 10 Waling, Das niederländische Urnweltstrafrecht, S. 133.
8 9
Wa/ing, Das niederländische Urnweltstrafrecht, S. 134 ff. Jepsen, in: Cornils/Heine, Urnweltstrafrecht, S. 78 f. 13 Jepsen, in: Corni/s/Heine, Urnweltstrafrecht, S. 79 m.w.N. 1 Aus verwaltungsrechtlicher Sicht grundlegend Randelzhofer/Wilke, Die Duldung als Form 11
12
flexiblen Verwaltungshandeins (1981). Aus strafrechtlicher Sicht ist insbesondere auf Ha/lwaß,
V. Gang der Untersuchung
27
ihren Blick auf die wasserrechtliche Problematik beschränken (§ 324 StGB). Diese Arbeit unternimmt nun den Versuch, ftlr das gesamte verwaltungsakzessorische Strafrecht eine einheitliche Beurteilungsgrundlage zu finden. Dies schließt auch die Gebiete des Nebenstrafrechts (z.B. AWG, KWKG) mit ein, wenngleich dem aktuellen Hauptanwendungsgebiet behördlicher Duldung, dem Urnweltstrafrecht, der Schwerpunkt der Untersuchung zu gelten hat. Zur Verdeutlichung der Problematik soll mit einer kurzen Darstellung der Fallgestaltungen begonnen werden, die die Rechtsprechung bislang entschieden hat und die dem Bereich behördlicher Duldungen zuzuordnen sind. Dem folgt die begriffliche Eingrenzung der behördlichen Duldung, der auch die Darstellung von Fallgestaltungen aus der verwaltungsbehördlichen Praxis dient. Daran schließt sich die Untersuchung der verwaltungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der behördlichen Duldung und ihrer verwaltungsrechtlichen Legalisierungswirkung an. Im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Betrachtung der behördlichen Duldung ist die Auseinandersetzung mit den Grundstrukturen der behördlichen Genehmigung und der Frage der Genehmigungsflihigkeit unerläßlich. Abschließend werden der Meinungsstand zur strafrechtlichen Beachtlichkeit einer behördlichen Duldung und der eigene Lösungsansatz dargestellt. In diesem Zusammenhang soll bereits auf das zentrale Problem der strafrechtlichen Berücksichtigung der behördlichen Duldung hingewiesen werden. Das Problem liegt darin begründet, daß die Genehmigungsbehörde verwaltungsrechtlich nicht notwendig zum Erlaß einer Untersagungsverftlgung gezwungen ist. Der Erlaß einer Untersagungsverftlgung ist oft in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellf. Dennoch bleibt das genehmigungspflichtige Verhalten materiell verwaltungsrechtswidrig3• Der Auflösung dieses "Widerspruchs" widmet sich die vorliegende Arbeit.
Die behördliche Duldung als Unrechtsausschließungsgrund im Umweltstrafrecht; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln und Strafrecht (1990); Schmitz, Verwaltungshandeln und Strafrecht (1992), S. 20 ff., S. 82 ff. hinzuweisen. 2 Z.B. § 20 Abs. 2 S. I BlmSchG, oder nach den Generalklauseln des Polizei- und Ordnungsrechts, ftlr NW § 8 PoiG NW, 14 OBG NW. 3 Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 157 f.; Breuer, NJW 1988, 2079.
B. Entwicklungslinien in Rechtsprechung und Literatur zur behördlichen Duldung Die Rechtsprechung hat den Begriff der Duldung zwar oft angesprochen, aber nie ausfllhrlich erörtert. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt nur zum Begriff der sog. "passiven Duldung" vor1• Eine solche passive Duldung2 , die in dem bloßen Nichthandeln oder Unterlassen der Behörde zu sehen ist, hat nach allgemeiner Ansicht keinerlei Rechtsfolgen zugunsten des BUrgers3 • Hier fehlt es an einer Güterahwägung der Behörde, die allein fllr die Rechtfertigung konstitutiv sein könnte4 • Im folgenden soll vorbehaltlich einer genaueren Definition unter dem Begriff der Duldung nur noch das bewußte Nichteinschreiten der Behörde gegen einen rechtswidrigen Zustand verstanden werden, also die sog. "aktive Duldung". Bereits im Jahre 1955 hatte das BayObLG hinsichtlich eines gesetzlichen Verbots ohne Ausnahmegenehmigungs entschieden, daß die bloße Duldung eines gesetzwidrigen Zustandes durch die zuständigen Behörden und die Abstandnahme von der Erstattung von Strafanzeigen weder einer mit Strafe bedrohten Tat ihrer Rechtswidrigkeit berauben noch das Wissen von dieser Duldung ohne weiteres einen unverschuldeten Verbotsirrtum des Täters begründen könne6 • Die aktuelle Diskussion um die verwaltungs- und strafrechtlichen Wirkungen der Duldung ist im wesentlichen auf vereinzelte Bezugnahmen der Rechtsprechung in den 70er Jahren zurückzufllhren. So stellte sich dem OLG Hamm7 im Jahre 1973 die Frage, ob die stillschweigende Hinnahme der unerlaubten Einleitung von Abwässern durch die zuständige Wasserbehörde einen Verbotsirrtum des Einleiters begründen kann. Der Betroffene wollte die Er1 BGHSt
37, 21 (28). Kritisch zu der Terminologie und ihrer Aussagekraft Steindorj, LK, § 324 Rdn. 89; Wüterich, UPR 1988, 249; Gentzclre, Informales Verwaltungshandeln, S. 77 f.; Dahs/Pape, NStZ 1988, 395; Alleweldt, NuR 1992, 315. 3 BGHSt. 37, 21 (28); LG Bonn, NStZ 1988, 224 (225); Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 170; Schönlre/Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 63a; Dahs/Pape, NStZ 1988, 395; Wüterich, UPR 1988, 250; Fluck, NuR 1990, 198; Steindorj, LK § 324 Rdn. 89, § 326 Rdn. 61; Oderslcy, in: Festschr. ftlr Tröndle, S. 298; Breuer, NJW 1988, 2082. 4 Marx, Behördliche Genehmigung, S. 187. s § 36 Abs. 1 MilchG vom 31.7.1930 (RGBI. I S. 421). 6 BayObLGSt. 5 (1955), 192 (197). 7 ZfW 1974, 315 ff. m. Anm. Wiedemann. 2
8. Entwicklungslinien in Rechtsprechung und Literatur
29
stellung kostspieliger Reinigungsanlagen im Hinblick auf die von der Gemeinde geplante Abwasserkanalisation zurückstellen. Das OLG Hamm nahm hier einen unvermeidbaren Verbotsirrtum i.S. des § 17 StOB ftlr den Fall an, daß er seine Verpflichtung zur Schließung des Betriebs unter Berücksichtigung des Verhaltens der Wasserbehörde nicht erkennen konnte8 • Der Bundesgerichtshof entschied im Jahre 1975 im Hinblick auf die Strafbarkeit gesundheitsschädlicher Emissionen nach § 223 StOB, daß insbesondere die Kenntnis der zuständigen Behörden von der Sachlage und ihre Entscheidung, nicht auf die Einstellung des Betriebs zu drängen oder sie anzuordnen, einen unvermeidbaren Verbotsirrtum begrUnden können9 • Auch die StA Mannheim stellte im Jahr 1976 ein Ermittlungsverfahren wegen unbefugter Gewässerverschmutzung aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums des Betreibers ein, weil die Behörden trotz Kenntnis der Sachlage keinen Anlaß sahen, auf die Einstellung des Betriebs zu drängen oder sie anzuordnen10. Gleichfalls im Jahre 1976 entschied das OLG Stuttgart, daß in der bewußten Duldung einer Einleitung keine rechtfertigende Billigung erblickt werden könne 11 . Dies gelte insbesondere dann, wenn die zuständige Behörde auf Abhilfe dränge oder im Hinblick auf besonders auffiillige Vorkommnisse Sanktionen verhängt würden 12. Auch das Interesse an der Erhaltung des Betriebs bzw. der Arbeitsplätze könne die unbefugte Einleitung nicht rechtfertigenn. In einer weiteren Entscheidung aus dem gleichen Jahr befaßte sich das OLG Stuttgart mit der Frage, ob eine Einleitung als unbefugt i.S. des § 38 Abs. 1 WHG a.F. anzusehen ist, wenn sie gegen die Nebenbestimmungen einer Einleitungsbefugnis verstößt14. Die Verwaltungsbehörde hatte die Einleitung nach der Feststellung des Gerichts "nicht nur geduldet, sondern billigend in Kauf genommen", weil ihr bekannt gewesen sei bzw. sie damit rechnen konnte, daß durch die konkret in Angriff genommenen und in absehbarer Zeit zu errichtenden Reinigungsanlagen eine hinreichende Reinigungswirkung nicht erzielt werden konnte15 . Darüber hinaus habe die Verwal-
8 9
A.a.O., S. 318. Bei Dallinger MDR 1975, 723 (724) (Fn. 3).
10 NJW 1976, 585 (586).
II
ZfW 1976, 378 tf.
13
OLG Stuttgart a.a.O., S. 381.
12 OLG Stuttgart a.a.O., S. 380. 14 OLG Stuttgart ZfW 1977, ll8 tf. m. Anm. Kast. 15 A.a.O., S. 121 f., wobei sich der Unterschied zwischen "Duldung" und "billigender Inkauf-
30
B. Entwicklungslinien in Rechtsprechung und Literatur
tungsbehörde eine Betriebsschließung wegen der wirtschaftlichen Nachteile und des Verlustes von Arbeitsplätzen vermeiden wollen. Diese Situation sei zugunsten des Einleiters als rechtfertigender Notstand i.S. des § 34 StGB oder jedenfalls als unvermeidbarer Verbotsirrtumg zu berücksichtigen sein. Die Behörde habe trotz Kenntnis nicht auf eine Einstellung des Betriebes gedrängt, und zwar selbst dann noch nicht, als sie sich zu dem Einleitungsverbot entschloß16• Andererseits habe sich der Einleiter intensiv um neue Reinigungsverfahren bemüht, was jedenfalls ft1r die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ausreiche 17• Schließlich sprach das OLG Stuttgart im Jahr 1977 erstmals die Möglichkeit der tatbestandsausschließenden bzw. rechtfertigenden Wirkung einer behördlichen Duldung an 18 • Eine solche ist nach der Auffassung des Gerichts nicht bereits bei der stillschweigenden Hinnahme der nicht genehmigten Einleitung von Abwässern in Betracht zu ziehen, sondern allenfalls bei einem in sich widersprüchlichen, mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbaren Verhalten der Behörde. Andererseits komme es ft1r die strafrechtliche Unbefugtheit lediglich auf die materielle Tatbestandswirkung des Einleitungsverbots und nicht auf seine verwaltungsrechtliche Vollziehbarkeit und schon gar nicht auf die tatsächliche Vollstreckung etwa angedrohter Zwangsmaßnahmen an 19• In einem Vorlagebeschluß aus dem Jahre 1985 begrUndete das AG Nördlingen20 seine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 327 Abs. 2 Nr. I StGB unter Berufung auf eine Entscheidung des OVG Berlin21 unter anderem mit der Erwägung, daß behördliche Duldungsentscheidungen zu einer Bindungswirkung ft1r die Strafgerichte ftlhren würden22. § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB verstoße daher gegen das Gewaltenteilungsprinzip, das Gleichbehandlungsgebot und das Bestimmtheitsgebot des Strafrechts. Das Gewaltenteilungsprinzip sei durch den Eingriff in die Rechtssetzungsgewalt des Strafgesetzgebers und den Eingriff in die den Strafgerichten übertragene Rechtsprechungsgewalt verletzt. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgehot des Art. 3 GG folge zwangsläufig aus der Abhängigkeit des Straftatbe-
nahme" aus den Urteilsgründen nicht erschließt. Möglicherweise soll die "billigende Inkaufnahme" nach Auffassung des Gerichts einer konkludenten Genehmigung gleichkommen. 16 OLG Stuttgart a.a.O., S. 124 f. 18
OLG Stuttgart a.a.O., S. 125. IR 1978, 294m. Anm. Sack= Ztw 1977, 177 (180).
19
OLG StuUgart a.a.O.
21
NVwZ 1985, 756 = UPR 1986, 35. AG Nördlingen, NStZ 1986, 315 (317).
17
20 NStZ 1986, 315m. abl. Anm. Meinberg; ausftlhrlicher abgedruckt in UPR 1986, 274 ff. 22
B. Entwicklungslinien in Rechtsprechung und Literatur
31
standes von gestaltenden Ermessensentscheidungen der Verwaltung23 • Schließlich sei das Bestimmtheilsgebot verletzt, weil der Betreiber nicht erkennen könne, daß die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit seines Handeins auch durch Verwaltungshandeln abseits der im Gesetz bezeichneten Genehmigung, Planfeststellung oder vollziehbaren Untersagungsverftlgung geregelt werde24• Das BVerfG teilte mit Beschluß vom 6.5.198725 die verfassungsrechtlichen Bedenken des AG Nördlingen nicht. Zwar könnten sich aufgrund der Eigengesetzlichkeilen und Regelungsziele des Verwaltungsrechts einerseits und des Strafrechts andererseits durch die behördliche Duldung einer nicht genehmigten Anlage Auslegungsprobleme stellen. Diese Auslegungsprobleme seien jedoch von den Gerichten mit den im Strafrecht und Strafprozeßrecht zur Verftlgung stehenden Möglichkeiten zu bewältigen26• Abgesehen von den Wirkungen der Rechtskraft nach § 121 VwGO bestünde keine allgemeine Bindung der Strafgerichte an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung27• Schließlich folge aus der unterschiedlichen Auslegung des Rechts oder einer fehlerhaften Gesetzesanwendung durch verschiedene Behörden oder Gerichte noch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatr8 • Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich in der strafrechtlichen Judikatur noch keine gefestigte Meinung zur Berücksichtigung der behördlichen Duldung bei der Beurteilung der Strafbarkeit eines Verhaltens durchgesetzt hat. Die geringe Zahl gerichtlicher Entscheidungen zur behördlichen Duldung dürfte darauf zurUckzuftlhren sein, daß behördlich geduldetes Verhalten in vielen Fällen bereits im staatsanwaltschaftliehen Ermittlungsverfahren eingestellt und daher nicht zur Anklage gebracht wird. Beispiele sind die oben bereits erwähnte Einstellungsverftlgung der Staatsanwaltschaft Mannheim aus dem Jahre 197629 und die Zurückweisung der Beschwerden gegen staatsanwaltschaftliehe Einstellungsverftlgungen durch die Generalstaatsanwaltschaft Harnm aus dem Jahre 198430 und durch die Generalstaatsanwaltschaft Celle aus dem Jahre 198731 •
24
AG Nördlingen, NStZ 1986, 315 (317). AG Nördlingen, UPR 1986, 274 (276).
25
E 75, 329 = NJW 1987, 3175.
26
BVertUE 75, 329 (346).
27
BVertUE 7S, 329 (346).
28
BVertUE 75, 329 (347).
29
NJW 1976, 585. NuR 1986, 223. ZfW 1989, 53 ff.
23
30 31
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht Neben dem systembildenden Institut des Verwaltungsakts filhrte die behördliche Duldung eines genehmigungslosen Verhaltens lange Zeit ein Schattendasein 1• Erst seit einigen Jahren wird diese Handlungsform - nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen Umweltbewußtseins der Öffentlichkeif - einer genaueren wissenschaftlichen Betrachtung zugefilhrt. Sie ist dabei keineswegs so neuartig, wie sie vielerorts dargestellt wird3 • Angesichts der immer komplizierteren verwaltungsgesetzlichen Entscheidungsvorgaben hat sich allerdings die Zahl informeller Vorverhandlungen zwischen Behörde und Bürger zweifellos erhöht. Insbesondere in den naturwissenschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemstellungen findet sich eine verbreitete Unsicherheit in der Rechtsanwendung\ die die Verwaltungsbehörde zu informellem Handeln, also in diesem Bereich zu normvollziehenden Absprachen, veranlaßt Parallel dazu hat auch der behördliche Abwägungs- und Entscheidungsspielraum angesichts der Fülle unterschiedlichster gesetzlicher Zielvorgaben zugenommen.
I. Zum BegritT der behördlichen Duldung Verwaltungsrechtlich hat der Begriff der "Duldung" zwar festere Konturen gewonnen, von einer allgemein anerkannten Definition kann jedoch bislang nicht gesprochen werden. Das oft als "passive" Duldung bezeichnete Nichtstun der Behörde wurde bereits aus dem Begriff der behördlichen Duldung ausgeklammert. Nachfolgend soll der Begriff weiter eingegrenzt werden. 1. Voraussetzungen der behördlichen Duldung Überwiegend wird die Duldung als eine bestimmte Handlungsform der Verwaltungsbehörde bezeichnet, die gegen ein ihr als rechtswidrig bekanntes Handeln des Bürgers nicht mittels vollziehbarer Untersagungsverfilgung ein-
1
Robbers, DÖV 1987, 272.
2
3
Nisipeanu, ZtW 1990, 365. Platz, BayVBI. 1983, 622; Bulling, DOV 1989, 277;
4
Henne/re, NuR 1991, 272.
I. Zum Begriff der behördlichen Duldung
33
schreitet, obwohl sie dies könnte5 • Die Duldung setzt somit ein kognitives und ein voluntatives Merkmal voraus. Das kognitive Element liegt in der Kenntnis des materiell rechtswidrigen Verhaltens und den zur VerfUgung stehenden rechtlichen Handlungsmöglichkeiten. Das voluntative Element liegt in der Entscheidung der Behörde, von diesen Handlungsmöglichkeiten keinen Gebrauch zu machen6 • Aus dem voluntativen Moment folgt weiter, daß die behördliche Duldung den Zeitraum nicht erfaßt, den die Behörde benötigt, um sich Klarheit Ober die Situation und ihre Reaktionsmöglichkeiten zu verschaffen7 • In diesem Zeitraum hat sie noch keine Entscheidung Ober Frage einer Duldung getroffen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz verpflichtet die Behörde vielmehr, zunächst den Sachverhalt zu ermitteln (Amtsermittlungsgrundsatz, § 24 VwVfG) und die Beteiligten anzuhören (§ 28 VwVfG). Dieser Zeitraum könnte allenfalls als "passive" Duldung der Behörde bezeichnet werden, von der - wie oben bereits erwähnt - nach allgemeiner Meinung keine Rechtswirkungen ausgehen. 2. Duldung und dauerhaftes Nichteinschreiten
Zum Teil wird darOber hinausgehend verlangt, daß sich die Duldung nur auf einen Übergangszeitraum bezieht, da es eine Duldung auf Dauer nicht geben könne8 • Insgesamt dUrfte es allerdings zutreffender sein, in diesem Punkt nur eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung behördlicher Duldungen zu sehen, da die Fälle der vorObergehenden und die Fälle der dauerhaften Duldung strafrechtlich gleichgelagert sind. Begrifflich schließen sich die behördliche Duldung und dauerhaftes Nichteinschreiten der Behörde nicht zwingend aus. Der Begriff der behördlichen Duldung beschreibt eine bestimmte Form des Verwaltungshandelns, also ein
s Hermes/Wieland, Duldung, S. 5 f.; Martens, VerwVerf, Rdn. 236; Heine, NJW 1990, 2425, 2433; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2436; Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 54 tf.; Dolde, NJW 1988, 2330; Robbers, DÖV 1987, 278 f.; Dahs/Pape, NStZ 1988, 395; Wüterich, UPR 1988, 250; ähnlich Nisipeanu, Ztw 1990, 368, 370 f. 6 Dahs/Pape, NStZ 1988, 395; Rengier, ZStW 101 (1989), 906; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 22; Pfei.ffer, Verunreinigung der Luft, S. 101 f.; 1 Vgl. Hermes/Wieland, Duldung, S. 17 f.; Alleweldt, NuR 1992, 315; anders Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 95, der in dieser Einschränkung keinen "inneren Wert" erkennen kann, der diese sinnvoll mache. Schon nach allgemeinem Sprachgebrauch setzt eine Duldung jedoch die Möglichkeit des Andershandelnkönnens voraus. 8 OVG MUnster, NWVBI. 1992, 205 (207); Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 23; Rengier, ZStW 101 (1989), 907; Bickel, Ztw 1979, 145; in diese Richtung auch Brohm, NVwZ 1988, 798. 3 Malitz
34
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
dem Staat nonnativ zurechenbares administratives Organwalterverhalten9 • Ein solches Verwaltungshandeln zeichnet sich in den Fällen behördlicher Duldung dadurch aus, daß die Behörde gegen einen nicht genehmigtes Verhalten bewußt nicht einschreitet. Auch die Entscheidung zu einem dauerhaften Nichteinschreiten gegen ein nicht genehmigtes Verhalten ist eine behördliche Entscheidung und daher dem Staat zuzurechnen. Das dauerhafte Nichteinschreiten kann ebenso die Erftlllung von Verwaltungsaufgaben bezwecken und ist in dieser dienenden Funktion eine Form des Verwaltungshandelns. Somit wird im folgenden auch die Duldung auf Dauer als Fall behördlicher Duldung bezeichnet10• 3. Rechtlich gebotene Duldungen Zum Teil werden die Fälle aus dem Anwendungsbereich behördlicher Duldungen herausgenommen, in denen ein Einschreiten der Behörde aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht möglich ist11 • Bereits die Unzulässigkeit des Einschreitens soll die Rechtmäßigkeit des davon betroffenen Handeins begründen, so daß es auf eine Duldung durch die Behörde nicht mehr ankomme12• Richtig ist an dieser Auffassung, daß das geduldete Verhalten als solches möglicherweise schon durch Erwägungen gerechtfertigt ist, die strafrechtlich dem Prinzip des rechtfertigenden Notstands entsprechen. Daher mag die Tatsache der behördlichen Duldung keinen Eingang in die strafrechtliche Bewertung finden, wenn das Verhalten bereits aufgrund dieser Erwägungen nicht tatbestandsmäßig oder aber gerechtfertigt ist. Darauf wird später noch einzugehen sein. Es ist allerdings nicht zwingend, diese Fallgestaltungen als mit dem Begriff der behördlichen Duldung unvereinbar zu erklären. Die behördliche Duldung bezeichnet ausschließlich ein Verhalten der Behörde und ist losgelöst von der Bewertung des Verhaltens des Bürgers zu betrachten. Für die Frage, ob eine Duldung vorliegt, ist es daher ohne Bedeutung, ob das Verhalten des Bürgers rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Entscheidend ist allein, ob die Behörde ein nicht genehmigtes Verhalten toleriert, ohne selbst eine fbnnliche Genehmigung zu erteilen.
9 Vgl. zum Begriff des Verwaltungshandeins Robbers, DÖV 1987, 283 f.; Pauly, Handlungsformenlehre, S. 29. 10 So auch Kuhlen, WiVerw 1992, 267. 11 So Wüterich, UPR 1988, 250; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2438; siehe auch Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 22 f. 12 Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2438.
I. Zum Begriff der behördlichen Duldung
35
Die Auffassung, die rechtlich gebotene Duldungen begrifflich nicht als behördliche Duldung bezeichnen will, beachtet nicht ausreichend, daß die Behörde eine Ermessensentscheidung trifft. Sie trifft auch dann eine Entscheidung über die Duldung des Verhaltens, wenn sie aufgrund einer Ermessensnorm gehindert ist, gegen ein nicht genehmigtes Verhalten einzuschreiten. Eine Abwägung zwischen dem Für und Wider eines Einschreitens hat die Behörde nicht zuletzt deshalb vorzunehmen 13 , weil eine starre Grenzziehung zwischen gebundener Verwaltung und Ermessensverwaltung nicht möglich ist. Ob die Behörde schon aus Rechtsgründen, die ihr Ermessen gar nicht erst einschränken, oder erst aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht einschreitet, ist einer Kategorisierung kaum zugänglich. Die Herausnahme rechtlich gebotener Duldungen würde auch neue Abgrenzungsschwierigkeit in sich bergen. Die Frage, ob nur eine Duldungsmöglichkeit oder schon eine Duldungspflicht der Behörde besteht, wird selten eindeutig zu beantworten sein 14• Auch aus dem Blickwinkel des Betroffenen bleibt es letztlich gleich, ob die Behörde aus rechtlichen Erwägungen oder aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht einschreitet. Da somit ein Sachgrund ftlr eine Differenzierung nach rechtlich gebotenen und rechtlich nicht gebotenen Duldungen nicht erkennbar ist, werden nachfolgend auch rechtlich gebotene Duldungen als behördliche Duldungen behandelt. 4. Materielle Rechtswidrigkeit Eine erhebliche Einschränkung erflihrt der Begriff der behördlichen Duldung bei Wasmuth/ Koch. Sie wollen im Bereich präventiver Verbote mit Erlaubnisvorbehalt nur ftlr solche Fallgestaltungen den Begriff der Duldung verwenden, in denen das Verhalten nicht bereits genehmigungsflihig ist15 • Diese Einschränkung folgt daraus, daß nach ihrer Auffassung im Bereich der gebundenen Verwaltung bereits die Genehmigungsflihigkeit - auch verwaltungsrechtlich - rechtfertigend wirkt16 • Dann wäre der behördlichen Duldung tatsächlich ein weiter Teil ihres Anwendungsbereichs genommen. Daß diese Auffassung im Ergebnis unzutreffend ist, soll unten näher dargestellt werden.
13 So auch Gentzclce, Informales Verwaltungshandeln, S. 80; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. 103. 14 So zutreffend Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 95. FUr eine Einbeziehung rechtlich gebotener Outdungen unter den Begriff der behördlichen Duldung auch Kuhlen, WiVerw 1992, 267. 15 Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2437 f. 16
3*
Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2437.
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
36
Dieses Ergebnis vorweggenommen ergibt sich allerdings keine Notwendigkeit, die Fälle der Genehmigungsfähigkeit bei präventiven Verboten aus dem Anwendungsbereich behördlicher Duldung herauszunehmen. S. Die behördliche Duldung als Genehmigung oder Zusicherung
Zur Begriffsbestimmung ist schließlich noch einigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur nachzugehen, die unter dem Begriff der behördlichen Duldung die konkludente Genehmigung eines Vorhabens 17 oder eine Zusicherung verstehen 11• Gemeinsam ist ihnen, daß sie sich nicht mit der Abgrenzung der behördlichen Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins zu den Formen formellen Verwaltungshandeins auseinandersetzen.
a) Allgemeine Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes Sowohl die konkludent erklärte Genehmigung als auch die Zusicherung (§ 38 VwVfG) sind Verwaltungsakte i.S. des § 35 VwVfG, die den gleichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wie die ausdrückliche behördliche Genehmigung unterliegen (insbesondere sind eine etwa erforderliche Schriftform19• 20 und die notwendige Bestimmtheit [§ 37 I VwVfG] des Verwaltungsakts zu beachten). Als begünstigende Verwaltungsakte setzen sie jeweils einen Antrag 17 So OLG Celle, ZfW 1987, 126 (127 f.); LG Bonn, NStZ 1988, 224 (225); Herrmann, ZStW 91 (1979), 300; Rudolphi, ZfW 1982, 209; ders., NStZ 1984, 198; Winke/bauer, NStZ 1986, 150; Möhrenschlager, in: Meinberg/Möhrensch/ager/Link, Umweltstrafrecht, S. 43 f.; ebenfalls StA Mainz, NStE Nr. 13 zu § 324 StOB; vgl. auch Odersky, Festschr. ftlr Tröndle, S. 300 ff.; Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 32; Jakobs, StrafR AT, 16129a; Lackner, § 324 Rdn. 12 a.E.; Spannowsky, UPR 1994, 405; Breuer, JZ 1994, 1086; unklar Michalke, Umweltstrafsachen, Rdn. 66. 18 VGH Mannheim, NuR 1991, 234 (235); Gieseke/Wiedemann!Czychowski, WHG, § 6 Rdn. 5, § 7 Rdn. 15, § 324 StOB Rdn. 39; wohl auch Roxin, StrafR AT, § 17 Rdn. 50. 19 Nach einer Ansicht ist die ohne Beachtung des Schriftformerfordernisses erteilte wasserrechtliche Genehmigung(§ 324 StOB) nichtig,§ 44 Abs. 1 VwVfO: OVG Koblenz, ZfW 1975, 104 (107); Wiedemann, ZfW 1974, 319; Hallwaß, NuR 1987, 297; Hili, GewArch 1981, 157; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, § 7 Rdn. 15; Breuer, Wasserrecht, Rdn. 282; differenzierend Kopp, VwVfG, § 44 Rdn. 21 ; Stelkens, in: Stelkensl Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rdn. 25 f., § 44 Rdn. 66; Meyer/Borgs-Maciejewski, VwVfO, § 44 Rdn. 10; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 52, 86. A. A.: Sieder/Zeitler/Dahme, WHG, § 7 Rdn. 12; Bickel, in: Meinbergl Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 267; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 45 ff.; Pjohl, NJW 1994, 422; StA Mainz, NStE Nr. 13 zu§ 324 StOB, die die Genehmigung zwar ftlr rechtswidrig, aber wirksam erachten. Eine Entscheidung dürfte von der Fassung des jeweiligen Landeswassergesetzes abhängig sein (ftlr NW: § 143 ff. LWG NW). 2 Ftlr den Bereich des BlmSchG ist es einhellige Meinung, daß eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung unter Berücksichtigung des Schriftformerfordernisses aus § 10 Abs. 7 BlmSchG nicht durch erklllrte oder stillschweigende Duldung der Behörde erlangt werden kann, vgl. BVerwGE 85, 368 (372); Vallendar, in: Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 21; Jarass, BlmSchG, § 20 Rdn. 23.
°
I. Zum Begriff der behördlichen Duldung
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auf Genehmigungserteilung voraus, der in den Fällen behördlicher Duldung oft fehlen wird. Die Gleichsetzung einer behördlichen Duldung mit einem Verwaltungsakt liegt insbesondere dann nahe, wenn berücksichtigt wird, daß ein Verwaltungsakt nicht nur ausdrücklich und schriftlich, sondern auch durch eine konkludente Erklärung ergehen kann21 . Voraussetzung ist stets ein unmißverständliches Verhalten der Behörde, das die Erklärung ersetzt. Aus diesem Verhalten kann dann auf den Inhalt der Erklärung geschlossen werden, die sich im Einzelfall auch als Gestattung darstellen kann. Allerdings erfahren diese Grundsätze gerade in den Fällen behördlicher Duldung erhebliche Einschränkungen. Ein Verwaltungsakt durch konkludente Erklärung ist dann unzulässig, soweit die Genehmigung Schriftform voraussetzt oder das Verwaltungsverfahren als schriftliches Verfahren begonnen wurde22. Allein aufgrund dieser Einschränkungen kommt eine ~rmliche Genehmigung in dem überwiegenden Teil der Fälle behördlicher Duldung nicht in Betracht. Darüber hinaus bedarf die konkludente Genehmigung eines Verhaltens oder Vorhabens einer Regelung i.S. des § 35 VwVfG. Dieser Regelungscharakter, der sich in einer rechtsverbindlichen Anordnung der Behörde ausdrückt, fehlt der behördlichen Duldung. Eine ausdrückliche oder unmißverständlich konkludente Erklärung der Behörde, sie wolle sich zur Duldung verpflichten, liegt der Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins im Regelfall nicht zugrunde23 . Bei objektiver Würdigung der Erklärung will die Behörde noch keine verbindliche Entscheidung treffen, sondern sich diese offenhalten24. Insbesondere soll der Duldung keine Außenwirkung zukommen. Die Versuche, die behördliche Duldung den formellen Handlungsformen der Verwaltung zuzuorden, kommen nicht über den Widerspruch hinweg, die Nicht~rmlichkeit des Handeins durch die Schaffung eines Ordnungsrahmens aufzulösen. Würde man in diesen Konstellationen eine konkludent erteilte Genehmigung annehmen, wäre der Behörde darüber hinaus eine Entscheidung mit legalisierender Wirkung aufgedrängt, die ihr ein wirksames Mittel, das
21 Vgl. BVerwGE 19, 68 (69); Stelkens, in: Ste/kens!Bonk/Sachs, VwVfU, § 35 Rdn. 40. 22 Stelkens, in: Stelkens!Bonk/Sachs, VwVfU, § 35 Rdn. 40 m.w.N. 23 Vgl. Ste/kens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rdn. 42. 24 So auch Stelkens, in: Ste/kens!Bonk/Sachs, VwVfU, § 35 Rdn. 42; Henne/ce, in: Knack,
VwVfU, § 35 Anm. 5.1.5.; Kette/er/Kippe/s, Umweltrecht, S. 90; Hoppe!Beckmann, Umweltrecht,§ 9 Rdn. 31; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rdn. 19; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 68.
38
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Verhalten den materiellen Genehmigungsvoraussetzungen anzupassen, nähme2s. Eine andere Sicht würde dem handelnden Organwalter einen Willen unterstellen, den er durch sein Verhalten gerade nicht zum Ausdruck gebracht hat. Dieses Verhalten ist auch verwaltungsrechtlich Anknüpfungspunkt ftlr die rechtliche Erfassung des Verwaltungshandelns. Maßstab der Auslegung des Behördenverhaltens ist der verständige und die Zusammenhänge, die der yerwaltungsakt erkennbar in die Entscheidung einbezogen hat, berücksichtigende Beteiligte26• Die hier behandelten Fallgruppen behördlicher Duldung sind dadurch gekennzeichnet, daß die Behörde bewußt und erkennbar das informelle Verfahren wählt, um die mit dem Gebrauch rechtlich vorgegebener Handlungsformen verbundenen Rechtsfolgen zu vermeiden27 • Hat die Behörde ausdrücklich erklärt, sie wolle das nicht genehmigte Verhalten zunächst nur dulden und nicht genehmigen, bleibt kein Raum ftlr die Deutung der Duldung als Genehmigungserteilung. Ein verständiger Beteiligter wird darüber hinaus auch nur die schriftliche und als Genehmigungsbescheid bezeichnete Erklärung der Behörde als Genehmigung verstehen. Dies betriffi insbesondere die Fälle, in denen der Bürger selbst einen schriftlichen Genehmigungsantrag gestellt haf•. Liegt dagegen im Einzelfall eine konkludent erteilte Genehmigung oder eine Zusicherung vor, so trägt die Verwendung des Begriffs "Duldung" nur zur Begriffsverwirrung bei. Wenn die Behörde mit den Mitteln des förmlichen Verwaltungsverfahrensrechts arbeitet, so ist kein Raum ftlr die Duldung als Form informellen Verwaltungshandelns. b) Insbesondere: Die Zusicherung
Entsprechende Überlegungen betreffen den Rückgriff auf eine Zusicherung i.S. des § 38 VwVfG. Die Zusicherung ist nach der Legaldefinition des § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG die Zusage der Behörde, einen bestimmten Verwaltungs-
25 Kuhlen, WiVerw 1992, 274; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 9 Rdn. 29; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rdn. 21 f. Anders Nisipeanu, ZfW 1990, 375 f. 26 BVerwGE 12, 87 (91); 84, 236 (242); NVwZ-RR 1994, 13; BGH, NJW 1985, 1335; Wol.ffl BachoßStober, VerwR I, § 36 Rdn. I I; Badura, in: Erichsen/Martens, Allg. VerwR, § 41 Rdn. 24; Kluth, NVwZ 1990, 608 ff. 27 Vgl. insoweit nur Bulling, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 156, der sich gegen die normative Regelung informellen Verwaltungshandeins mit dem Argument wehrt, bislang seien "die kooperativen Partner frei und relativ ungebunden in der Wahl ihrer Mittel unter voller Beachtung rechtskräftiger Grundsätze." 28 Alleweldt, NuR 1992, 314. Hier wäre allerding bereits ein Verwaltungsakt durch konkludente Erklärung unzulässig, s.o.
I. Zum Begriff der behördlichen Duldung
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akt später zu erlassen oder zu unterlassen. Sie setzt ebenfalls den eindeutig erklärten oder zumindest eindeutig erkennbaren Willen der Behörde voraus, sich entsprechend binden zu wollen29• Überwiegend kommt die behördliche Duldung schon deshalb nicht als Zusicherung in Betracht, weil sie regelmäßig nicht schriftlich ausgesprochen wird, während eine wirksame Zusicherung die Einhaltung der Schriftform voraussetzt. Eine Zusicherung, die - entgegen dem zwingenden Schriftformerfordernis des § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG - formlos erteilt wurde, ist unwirksam und damit sowohl verwaltungs- als auch strafrechtlich unbeachtlich30• Ungeachtet dieses Formerfordernisses wird der Regelungsgehalt der Zusicherung in den Fällen behördlicher Duldung allein die Zusage der Behörde enthalten, später einen bestimmten Verwaltungsakt, nämlich die Genehmigung, zu erlassen. Sie weist damit nicht den Erklärungsinhalt auf, daß der Zusicherungsempfltnger bis zum Erlaß dieses Verwaltungsakts auch ohne Genehmigung handeln darf. In solchen Fällen ist der Zusicherung keine Duldungserklärung zu entnehmen. Darüber hinaus würde auch das Bedenken bestehen, ob die Behörde im Bereich der Gefahrenabwehr auf ihren gesetzlichen Handlungsauftrag durch eine Zusicherung verzichten kann31 • Es ist allenfalls denkbar, daß eine Zusicherung i.S. des § 38 VwVfG mit der behördlichen Duldung einhergeht. Beides ist dann einer getrennten rechtlichen Bewertung zuzuftlhren: die Zusicherung nach den Zulässigkeilsvoraussetzungen des § 38 VwVfG, die behördliche Duldung nach den allgemeinen Zulässigkeilsvoraussetzungen informellen Verwaltungshandelns. Schließlich und nur in seltenen Ausnahmefällen wird die Behörde eine Zusicherung des Inhalts abgeben, sie werde von ihrem Recht auf Erlaß einer Untersagungsverftlgung absehen32 • Eine solche Zusicherung ist wiederum von einer allgemeinen Zusage abzugrenzen, die ausschließlich die künftige Ermessensausübung betriffi und nur insoweit die Behörde im Verhältnis zum Zusageempfänger bindet33 • Eine allgemeine Zusage ist keine Zusicherung i.S. des § 38 VwVfG.
29 Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 38 Rdn. 13; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 70. . 30 Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 70. Zur verwaltungsrechtlichen Unwirksamkeit einer formlosen Zusicherung vgl. Kopp, VwVfG, § 38 Rdn. 15; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 38 Rdn. 13 m.w.N., a.A. nur Fiedler, AöR lOS (1980), 108 ff. 31 Siehe dazu Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 236 ff. 32 Ste/kens, in:· Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 38 Rdn. 12; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 224 f. 33 OVG MOnster, BauR 1991, 448; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 38 Rdn. 12 m.w.N.
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Zutreffend wird die behördliche Duldung daher nach überwiegender Auffassung nicht den genannten formellen Handlungsformen des Verwaltungsverfahrensgesetzes zugeordnetl 4 •
II. Praktische Beispiele einer behördlichen Duldung Um die gefundene Definition behördlicher Duldung zu verdeutlichen, sollen nachfolgend einige Beispielsfälle behördlicher Duldung aus der verwaltungsbehördlichen Praxis dargestellt werden. 1. Abluftreinigung an Befüllstellen Als Beispiel einer behörlichen Duldung mag zunächst der von Arnold zitierte Fall aus der Praxis des Regierungspräsidiums Stuttgart dienen 1• Für die Abluft aus Tanklagern und den Beftlllstellen von Tanklastkraftwagen galt nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz und der TA-Luft ab dem 1.7.1988 ein Minimierungsgebot ftlr Benzol und ab dem 1.3.1991 ein Grenzwert ftlr Gesamtkohlenwasserstoffe. Daher erließ die Stadt Stuttgart gegenüber den Betreibern großer Tanklager im Stuttgarter Hafen eine Verftlgung des Inhalts, daß die Abluft an den Beftlllstellen zu reinigen sei. Nachdem die Unternehmen Widerspruch gegen die Verftlgung eingelegt hatten, einigte sich das Regierungspräsidium Stuttgart mit einem Setreiber in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Einhaltung bestimmter Grenzwerte, und zwar hinsichtlich der Tankwagenbeftlllstelle ab dem l.l0.1989 und fUr die Tanklager selbst ab dem 1.3 .1991. Dies hatte zur Folge, daß hinsichtlich des austretenden Benzols an den Tanklagern bis zum 1.3.1991 eine Duldung ausgesprochen wurde, obwohl die gesetzlich festgelegten Grenzwerte ftlr Benzol sofort einzuhalten waren. Dafür wurden an den TankwagenbefUllstellen sofort, also nicht wie nach dem Gesetz vorgesehen, erst ab dem 1.3.1991, die wesentlich höheren Mengen an Kohlenwasserstoffen abgereinigt. Aus der Sicht der Behörde war der entscheidende Gesichtspunkt fUr ihr Entgegenkommen, daß sich der Setreiber
34 Siehe nur Ste/kens, in: Ste/kens/Bonk/ Sachs, VwVtu, § 35 Rdn. 42; Henne/ce, in: Knack, VwVtu, § 35 Anm. 5.1.5.; Kette/er/Kippe/s, Umweltrecht, S. 90; Hoppe/ Beckmann, Umwelt· recht,§ 9 Rdn. 29. Anders allerdings A//ewe/dt, NuR 1992, 315 f., der ohne nähere BegrUndung die Ansicht vertritt, daß auch eine Duldung als Verwaltungsakt ergehen könne. Wie aufgezeigt, fehlt der behördlichen Duldung jedoch der Regelungsgehalt, den ein Verwaltungsakt stets voraussetzt. 1 VerwArch 1988, 134 tT.; auf diesen Fall bezieht sich auch Bu//ing, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 148.
II. Praktische Beispiele einer behördlichen Duldung
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trotzder strittigen Rechtslage verpflichtete, ab dem Jahr 1991 auch die Tankabluft zu reinigen2 • 2. Abbau von Ammoniumstickstoff in Abwasserreinigungsaolageo3 Nach der zum 1.1.1990 in Kraft getretenen Allgemeinen Rahmen-Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer ist ftlr Abwasser aus Kläranlagen von einer genau bezeichneten Größenklasse an die Einhaltung eines bestimmten Phosphor- und Ammoniumstickstoffgehalts vorgeschrieben. Die betroffenen kommunalen Kläranlagen sind jedoch nur zum Teil umgerüstet worden, da die Erweiterungen mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden sind. Für die Setreiber kommunaler Kläranlagen bestand auch meist kein unmittelbarer Handlungsbedarf, weil die ftlr diese Kläranlagen bereits erteilten wasserrechtlichen Erlaubnisverftlgungen zum Betrieb der Kläranlagen keine Grenzwerte ftlr die angesprochenen Schadstoffe enthielten. Zunächst band die Verwaltungsvorschrift somit nur die zuständige Genehmigungsbehörde4 • Die alten Genehmigungen sind jedoch befristet. Läuft eine solche Frist ab und ist eine Verlängerung der alten Genehmigung und auch eine Eilentscheidung nach § 9a WHG mangels Prognosemöglichkeit nicht durchftlhrbar, so neigen die Wasserbehörden dazu, die alte Anlage zu dulden. Diese Duldung erfolgt unter der Maßgabe, daß innerhalb einer bestimmten Frist ein neues wasserrechtliches Erlaubnisverfahren durchgefllhrt und die erforderliche Anlagenerweiterung vorgenommen wird5• 3. Der Fall Sonnenschein6 Das betroffene Unternehmen stellte seit dem Jahr 1937 Bleiakkumulatoren auf seinem Betriebsgelände her. Zu dem Betrieb gehörten 20 Bleischmelzöfen und eine "Pastiererei", in der Bleioxidpulver mit anderen Stoffen zu einer Paste verarbeitet wird. Die Schmelzöfen waren seit dem lokrafttreten der
1
Arnold, VerwArch 1988, 137.
3
Beispiel nach Pfahl, NJW 1994, 418 tr. Pfohl, NJW 1994, 419. 5 Pfohl, NJW 1994, 422.
4
6
Nach OVG Berlin, NVwZ 1985, 756.
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
VgA 191 7 genehmigungspflichtig geändert worden, ohne daß allerdings die erforderliche Änderungsgenehmigung eingeholt worden wäre. Dieser Sachverhalt war der nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ftlr den Erlaß einer Stillegungs- und BeseitigungsverfUgung zuständigen Behörde bekannt. Unter Berufung auf die Soll-Vorschrift des § 20 Abs. 2 S. 1 BlmSchG erließ die Behörde jedoch keine Stillegungsverftlgung, sondern erteilte dem betroffenen Unternehmen eine Reihe von Emissionsschutzauflagen. Nach fortlaufenden Messungen des Bleistaubniederschlags und zahlreichen Betriebsbesichtigungen entwickelte die Behörde in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen ein Sanierungskonzept Eine Stillegungsverftlgung wurde auch zu diesem Zeitpunkt nicht erlassen, da nach den Meß- und Untersuchungsergebnissen keine Anzeichen ftlr eine Geflihrdung der Anwohner durch Schadstoffemissionen des Betriebes bestanden. Die Meßergebnisse wiesen zudem eine deutliche Tendenz zum Besseren auf. 4. Ungenehmigte Abwassereinleitungen kommunaler Kläranlagen' In ihrer Zuständigkeit als obere Wasserbehörde forderte eine nordrheinwestflilische Bezirksregierung die Gemeinden ihres Bezirks auf, ftlr vorhandene, aber bislang ungenehmigte kommunale Abwassereinleitungen einen Genehmigungsantrag zu stellen. Im Gegenzug bot sie den Gemeinden an, bis zur Entscheidung über den Antrag die Abwassereinleitungen zu tolerieren. Dies ftlhrte zu der unerwarteten Zahl von über 8000 Genehmigungsanträgen. S. Ungenehmigte Erweiterung einer Kfz-Werkstatt zu einem Schrottplatr Ein Werkstattinhaber verlegte sich im Laufe der Jahre immer mehr auf das Ausschlachten von Kraftfahrzeugen, so daß er nunmehr einer Genehmigung nach § 7 AbfG bedurfte. Er stellte daher einen Genehmigungsantrag bei der zuständigen Verwaltungsbehörde. Den Betrieb seines Schrottplatzes setzte er fort. Die Behörde, der dies bekannt war, untersagte den Betrieb des Schrottplatzes bis zum Abschluß des Genehmigungsverfahrens jedoch nicht. Von dem Erlaß einer Untersagungsverftlgung sah sie ab, weil die ordnungs-
7 § 1 Nr. 6 der Verordnung Ober genehmigungsbedürftige Anlagen nach§ 16 der GewO i.d.F. vom 7.7.1971 (BGBI. I, S. 888/ BerlGVBI. S. 1290). 8 Nach Nisipeanu, ZfW 1990, 366. 9 Beispiel nach Bickel, in: Meinberg/Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 266.
III. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung
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gemäße Beseitigung von Autowracks im öffentlichen Interesse liegt. Die Zulassung vorzeitigen Beginns i.S. des § 7a AbfG konnte sie mangels Antrags nicht verfUgen, weil der Träger des Vorhabens, also der Werkstattinhaber, aufgrund seiner geringen finanziellen Reserven eine Verpflichtungserklärung i.S. des § 7a Abs. 1 S. 1 Ziff. 3 AbfG nicht abgeben wollte. Eine solche Verpflichtungserklärung hätte ihn zum Ersatz aller bis zur Entscheidung durch die Ausftlhrung verursachten Schäden und bei einer negativen Entscheidung zur Wiederherstellung des frUheren Zustandes verpflichtet. 6. Rechtsschutz gegen Sanierungsverfügung10 Die zuständige Wasserbehörde forderte einen Anlagenbetreiber auf, seine Abwassereinleitungen den Normalwerten anzugleichen. Ihre VerfUgung erklärte die Behörde ftlr sofort vollziehbar, das heißt, daß Widerspruch und Klage gegen die VerfUgung keine aufschiebende Wirkung hatten, vgl. § 80 Abs. 2 VwGO. Der betroffene Unternehmer legte gegen die VerfUgung Widerspruch ein. Sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO war sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Instanz erfolglos. Während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, das anderthalb Jahre in Anspruch nahm, vollstreckte die Behörde aus der sofort vollziehbaren VerfUgung nicht. In diesem Zeitraum duldete sie die Einleitungen des Betreibers. Dieser Fall unterscheidet sich von den vorherigen insbesondere dadurch, daß die Duldung im Stadium der Vollstreckung ausgesprochen wurde.
ill. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung Bevor etwaige Rechtsfolgen der behördlichen Duldung einer strafrechtlichen Untersuchung unterzogen werden können, ist zunächst ihre verwaltungsrechtliche Zulässigkeil zu prüfen. Ausgangspunkt der Überlegungen muß sein, daß ein genehmigungspflichtiges Verhalten verwaltungsrechtlich grundsätzlich so lange verboten ist, wie es nicht durch eine wirksame behördliche Genehmigung erlaubt ist1• Ob auch die behördliche Duldung das Verhalten legalisieren kann, ist vielfllltigen Bedenken ausgesetzt. Zweifel ergeben
10
Beispiel nach Bickel, Ztw 1979, 144.
So sind genehmigungsbedürftige Gewasserbenutzungen gemäß § 2 Abs. 1 WHG verboten, soweit der Benutzer keine behördliche Erlaubnis nach § 7 WHG oder Bewilligung nach § 8 WHG eingeholt hat. 1
44
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
sich bereits bei der Frage, ob die Behörde das Verhalten überhaupt dulden darf, das heißt, ob eine behördliche Duldung als solche rechtmäßig sein kann. Die behördliche Duldung bedarf ebenso wie jede andere Form staatlichen Handeins einer gesetzlichen Grundlage. Nachfolgend sollen die in Betracht zu ziehenden verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grundlagen der behördlichen Duldung dargestellt werden, bevor auf die einzelnen Bedenken gegen die Zulässigkeil der behördlichen Duldung nicht genehmigten Verhaltens einzugehen ist. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer behördlichen Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins sind naturgemäß gesetzlich nicht im einzelnen konkretisiert. Einige gesetzliche Regelungen verwenden dennoch ausdrücklich den Begriff der Duldung. Als gesetzliche Konkretisierung eines allgemeinen Rechtsprinzips, welches der behördlichen Duldung zugrunde liegt, können diese Regelungen allerdings nicht herangezogen werden2, weil sich informelles Verwaltungshandeln einer detaillierten gesetzlichen Regelung gerade entzieht. Dennoch sollen die Regelungen, die den Begriff der Duldung verwenden3 , nachfolgend kurz aufgezeigt werden. Das Ausländergesetz bezeichnet in § 55 Abs. 1 die Aussetzung der Abschiebung eines Ausländers als Duldung. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Erteilung einer Duldung sind in § 55 Abs. 2 bis Abs. 4 AuslG bezeichnet. Die Rechtsfolgen einer Duldung regelt § 56 AuslG. So läßt die Duldung die Ausreisepflicht des Ausländers gemäß § 56 Abs. 1 AuslG unberührt. Auch vereinzelte landesrechtliche Bestimmungen verwenden den Begriff der Duldung4 • Sie gebrauchen ihn jedoch ausschließlich aus der Sicht des zur Duldung verpflichteten Bürgers. 1. Opportunitätsprinzip - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Als Rechtsgrundlage einer behördlichen Duldung bietet sich insbesondere das verwaltungsrechtliche Opportunitätsprinzip ans. Anders als im Anwen-
2 FUr die Regelungen des Ausländergesetzes ebenso Hermes/Wie/and, Duldung, S. 20; Wolff/ Bachof/Stober, VerwR I, § 57 Rdn. 15; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 64; vgl. auch Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 89. 3 Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 88 f., ordnet auch die wasserrechtliche Vorschrift des § 7a Abs. 2 S. 2 WHG, soweit sie die Fristsetzung bei der unbefugten Einleitung von Abwässern betrifft, den gesetzlich geregelten Fallen behördlicher Duldung zu. 4 FUr Nordrhein-Westfalen z.B. §§ 50 ff. PolG NW, § 20 LAbtU NW, §§ 13, 40, 125 LWG NW, §§ 39, 40, 46 LG NW, § 8 VerrnKatG, § 11 WoG NW. s Randelzhofer!Wilke, Duldung, S. 56 ff.; Bicke/, Ztw 1978, 143, 146 f.; Bohne, VerwArch
III. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung
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dungshereich des Legalitätsprinzips, dem grundsätzlich die Strafverfolungsbehörden unterworfen sind, wird das Recht der Gefahrenabwehr durch das Opportunitätsprinzip beherrscht. Es bedeutet, daß die Ordnungsbehörde grundsätzlich nicht verpflichtet ist, gegen einen Gefahrenzustand einzuschreiten. Vielmehr kann sie über das "Ob" und das "Wie" des Einschreitens unter Abwägung der öffentlichen Belange und der Interessen des Einzelnen nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl im allgemeinen Verwaltungsverfahren als auch im Verwaltungsvollstreckungsverfahren selbständig entscheiden (vgl. § 40 VwVfG)6 • a) Ermessensbeschränkungen
Gesetzlich eingeschränkt ist das Ermessen durch die Verwendung sog. "Soll-Vorschriften" wie in § 20 Abs. 2 BlmSchG. Die Behörde ist hier an den gesetzlichen Tatbestand gebunden und darf nur aus wichtigem Grund oder in atypischen Fällen von der vom Gesetzgeber fllr den Normalfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichen7 • Atypische Fälle sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, daß sie zwar vom abstrakten Rahmen des Gesetzes, nicht aber von seiner Zweckbestimmung erfaßt werden. Weiterhin eingeschränkt wird das - pflichtgemäße - Ermessen der Behörde durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips kann es der Behörde sogar untersagen, bestimmte Tätigkeiten des Bürgers zu unterbinden oder gegen einen Zustand vorzugehen8, sog. Übermaßverbot Verhältnismäßigkeitsüberlegungen werden verwaltungsrechtlich auf drei Stufen geprüft: Die Geeignetheit der Maßnahme, die Erforderlichkeit der
75 (1984), 356 f.; Wolff/Bachof/Stober, VcrwR I, § 57 Rdn. 19; Papier, NuR 1986, 6; Robbers, DÖV 1987, 278; Hermes/ Wieland, Duldung, S. 40, 49; Gentzcke, Informales Verwaltungshan· dein, S. 72; Kuhlen, WiVerw 1992, 271; Rogall, Strafbarkeit von Amtstrllgem, S. 163; Fröhlich, DÖV 1989, 1034; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 91 f.; Englisch, Verunreinigung der Luft, S. 104; in engen Grenzen auch Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301. Vgl. auch Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 92. 6 Beispiele ftlr das Opportunitätsprinzip sind die ordnungsbehördliche Generalklausel (ftlr NW: § 14 Abs. I OBG) sowie spezialgesetzliche Regelungen (z.B. §§ 20, 25 BlmSchG). Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips im Verwaltungsvollstreckungsverfahren siehe Hermes/ Wieland, Duldung, S. 21, einerseits, sowie Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 73 f., andererseits. 7 Busch, in: Knack, VwVfG, § 40 Anm. 7 .I.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 40 Rdn. 13 f., jeweils m.w.N. 8 Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 70 f; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 92 f.; Rogall, Straf· barkeit von Amtsträgem, S. 163.
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
46
Maßnahme und die Angemessenheit oder Zumutbarkeit der Maßnahrne9 • Da das Einschreiten der Behörde in den Fällen behördlicher Duldung sowohl das geeignete als auch das erforderliche Mittel ist, um das gesetzliche Verbot durchzusetzen, können Verhältnismäßigkeilsüberlegungen nur auf der Stufe der Zumutbarkeit die Zulässigkeil des Nichteinschreitens begründen 10• b) Behördliche Duldung und Ermessen
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hängt die Zulässigkeil der behördlichen Duldung entsch~idend davon ab, was mit ihr erreicht werden kann. Ihre Zulässigkeil kann sich nicht allein daraus ergeben, daß die Duldung als die - im Vergleich zu dem einseitig beherrschten Verfahrensablauf - den Bürger schonendere Verhaltensweise erscheint 11 • Da Regelungen nur in den benannten Formen des Verwaltungshandeins vorgenommen werden dürfen (sog. Rechtsformvorbehalt), im Bereich normvollziehender Absprachen jedoch die Durchsetzung des materiellen Verwaltungsrechts in Frage steht, ist eine derart regelungsersetzende Handlungsform nur zulässig, wenn durch die Absprache das Ziel verwirklicht wird, das der Verwaltungsbehörde durch das Gesetz vorgegeben ist12 • Die behördliche Duldung ist daher auf der Grundlage des Opportunitätsprinzips insbesondere dort zulässig, wo ein rechtswidriger Zustand nur übergangsweise bis zum Abschluß der erforderlichen Sanierungsarbeiten hingenommen werden soll. Hier wird der Durchsetzungsanspruch der zu vollziehenden Norm nicht zugunsten ökonomischer Interessen aufgegeben 1\ so daß das Ergebnis der bereits durch den Gesetzgeber getroffenen Abwägung zwischen ökologischen und ökonomischen Belangen nicht grundsätzlich in Frage gestellt und in sein Gegenteil verkehrt ist14• Die Nichtbeachtung des gesetzlichen Handlungsauftrags wird ausnahmsweise "kompensiert". In seltenen Einzelfällen kann sich der Ermessensspielraum der Behörde soweit verengt haben, daß die Duldung unter Berücksichtigung des Verhältnis-
BVertGE 15, 226 (234); Drews/Wacke/VogeVMartens, Gefahrenabwehr, S. 389 ff. Hermes/Wieland, Duldung, S. 39. 11 Vgl. Kunig/Rublack, Jura 1990, 11; vgl. in diesem Zusammenhang aber Bulling, Diskussionsbeilrag bei Ebling, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 160, der Vollzugsennessen dahingehend versteht, daß ein sich bisher rechtswidrig verhaltender "Dauersonder" wieder an die Rechtsstaatlichkeil herangetllhrt werden soll. 12 Vgl. dazu instruktiv Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 232 ff. In diese Richtung auch schon Brohm, NVwZ 1988, 798. 13 Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301; vgl. auch Brohm, NVwZ 1988, 798. 14 Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301. 9
10
III. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung
47
mäßigkeitsgrundsatzes die einzige rechtmäßige Handlungsform der Verwaltung ist 15 • Diese Fälle dUrften sich in der Abwägung der widerstreitenden Interessen denen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) annähern, da nur ein wesentlich Oberwiegendes Interesse eine "Ermessensreduzierung auf Null" rechtfertigen kann. Darauf wird später noch zurückzukommen sin 16 • 2. Vertrauensschutzgebot
Verbreitet wird die verwaltungsrechtliche Zulässigkeil der behördlichen Duldung mit dem Vertrauensschutzgebot begrOndet17 • In Ausnahmefällen soll der Vertrauensgrundsatz die Verwaltung sogar dazu zwingen können, das geduldete Verhalten als rechtmäßig zu behandeln. Dies setze voraus, daß der BOrger eine geschützte Rechtsposition erlangt habe, die ihm nicht mehr ohne weiteres genommen werden könne18• a) Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist ein Anwendungsfall des G.rundsatzes von Treu und Glauben (venire contra factum proprium) im öffentlichen Recht19 • Der BOrger darf darauf vertrauen, daß bestehende Verhältnisse nicht Oberraschend und willkOrlieh durch die Verwaltung geändert werden20• Einen gesetzlichen Ausdruck hat der Grundsatz des Vertrauensschutzes in den §§ 48 f. VwVfG gefunden, wonach Verwaltungsakte nur unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen oder widerrufen werden dürfen. Der Gedanke des Vertrauensschutzes wird zum Teil als alleinige Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung angesehen21 • Voraussetzung sei stets eine Vertrauensgrundlage durch Erklärungen oder sonstige Verhaltensweisen der Behörde, aus denen sich unzweideutig ihr Wille ergebe, gegen die jeweilige
15
Robbers, DÖV 1987, 278 f.; Papier, NuR 1986, 6; Roga/1, Strafbarkeit von Amtstrlgem,
s. 163.
Siehe unter C V 3 und F 111 3. So Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2438 f.; Hermes/Wie/and, Duldung, S. 41 ff.; Fluck, NuR 1990, 201; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 209 ff.; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 115 f. 18 So Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 115. 16
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19 Vgl. BVerwGE 44, 339 (343 f.); OVG Monster, BauR 1991, 448. Darüberhinaus leitet die Rechtsprechung den Vertrauensschutzgedanken auch aus dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Grundsatz der Rechtssicherheit ab, so BVerfGE 59, 128 (167); BVerwGE 11, 136 (137). 20 Herzog, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 20 VII Rdn. 64 ff. 21 So Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2438 f.
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Anlage oder Tätigkeit nicht oder nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums einschreiten zu wollen. Ob sie sich irrig filr verpflichtet hielt, gegen das genehmigungslose Verhalten nicht einzuschreiten, sei dabei unbeachtlich. Das Vertrauen des Bürgers soll solange schutzwürdig sein, wie die Duldung nicht rechtsmißbräuchlich erlangt sei 22• Herrnes/Wieland verlangen darüber hinaus, daß dem Bürger die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht bekannt ise3 • Einschränkend wird als Grundlage der Schutzwürdigkeit des Bürgers gefordert, daß er die behördliche Duldung als rechtmäßig angesehen habe24• Kenne er dagegen die Rechtswidrigkeit der behördlichen Duldung, so wisse er, daß auch sein Verhalten rechtswidrig sei und die Behörde eine andere Entscheidung treffen müsse. Hier fehle es an dem Anknüpfungspunkt schutzwürdigen Vertrauens25 • Nach Wasmuth/Koch soll die behördliche Duldung - anders als die Genehmigung -bereits mit dem Wegfall einer der Voraussetzungen des Vertrauensgrundsatzes unwirksam werden. Einer ausdrücklichen Aufhebung der Duldung oder eines Fristablaufes bedürfe es niche6 • Diese Auffassung kann deshalb nicht als konsequent überzeugen, weil sie zunächst den Grundsatz des Vertrauensschutzes als Rechtsgrundlage behördlicher Duldung heranzieht und dem Outdungsadressaten dennoch eine angemessene Frist zur Einstellung auf die neue Situation verweigert. Zieht man den Vertrauensschutzgedanken zur Rechtfertigung behördlicher Duldung heran, so muß dem Outdungsadressaten auch eine Übergangsfrist eingeräumt werden. Ihm ist dann insbesondere die Gelegenheit zu geben, sein Verhalten auf das bevorstehende Einschreiten vorzubereiten27 • b) Vertrauensschutz und Verwirkung
Als stärkste Form des Vertrauensschutzes kommt in den Fällen behördlicher Duldung die Verwirkung des Eingriffsrechts der Behörde in Betracht.
22 Hermes/Wieland, Duldung, S. 42 (sie verweisen auf die Regelung des § 48 Abs. 2 VwVtU); Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439; Englisch, BegUnstigendes Verwaltungshandeln, s. 213. 23 Duldun~, S. 42, da ihm anderenfalls bekannt sei, daß die Behörde weiterhin gegen das nicht genehmigte Verhalten einschreiten könne. 24 OVG MUnster, BauR 1991, 448; Fluck, NuR 1990, 201 (wonach auch grobfahrlässige Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit den Vertrauensschutz verhindert); Englisch, Begunstigendes Verwaltungshandeln, S. 213. 25 Englisch, BegUnstigendes Verwaltungshandeln, S. 213. 26 Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439. 27 Konsequent daher Hermes/Wieland, Duldung, S. 44; Fluck, NuR 1990, 201; Englisch, BegUnstigendes Verwaltungshandeln, S. 215; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 116.
III. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung
49
Ein Recht ist verwirkt und kann daher nicht mehr geltend gemacht werden, wenn es über längere Zeit nicht ausgeübt worden ist, obwohl hierfilr Veranlassung bestanden hätte. Weiterhin muß der Verpflichtete darauf vertraut haben, daß der Berechtigte von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen werde28 • Im Bereich des öffentlichen Rechts ist grundsätzlich eine Verwirkung mit der Rechtsfolge denkbar, daß die Behörde einen Verwaltungsakt nicht erlassen darf9 • Hier setzt die Verwirkung voraus, daß der BUrger aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Behörde darauf vertrauen durfte, sie werde ihr Recht nicht mehr geltend machen (Vertrauensgrundlage), der BUrger darauf vertraut hat, daß sie das Recht nicht mehr ausüben werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, daß ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen wUrde30• Die Möglickkeit der Verwirkung verwaltungsbehördlicher Eingriffsrechte erfllhrt jedoch eine Einschränkung im Bereich der Gefahrenabwehr. Im Bereich der Gefahrenabwehr kann die Behörde ihre Eingriffsrechte nach zutreffender und weit überwiegender Auffassung nicht verwirken31 • Die Gegenansicht32 verkennt, daß diese Eingriffsbefugnisse nicht zur Disposition der Behörde stehen33 • Die Behörde verwaltet die ihr anvertrauten RechtsgUter ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit, so daß sie über diese RechtsgUter nur im Rahmen der Gesetze verfilgen kann. Die Verwaltungsgesetze sehen aber eine Verwirkung der Eingriffsbefugnisse zur Gefahrenabwehr nicht vor. Auch in den Fällen behördlicher Duldung geht es um Eingriffsrechte der Behörde, die der Abwehr von Gefahren ftlr das durch einen Genehmigungsvorbehalt geschützte Rechtsgut und damit der Durchsetzung des gesetzlichen Verbots durch Verwaltungszwang dienen. Eine Duldung kann folglich nicht
28 Siehe dazu den umfassenden Überblick bei Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 87 tf. sowie aus der zivilrechtliehen Rechtsprechung BGHZ 105, 290 (298); BGH, NJW 1993, 2178 (2179). 29 Siehe Kopp, VwVtG, § 53 Rdn. 30 m.w.N. 30 BVerwGE 44, 339 (343 f.); Stich, DVBI. 1959, 237. 31 VGH Kassel, NJW 1984, 318 (319); NVwZ 1985, 664 (666); 1987, 993 (996); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 40 Rdn. 64; Hermes/Wieland, Duldung, S. 38; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 66; Fluck, NuR 1990, 201. 32 So Martens, VerwVerf, Rdn. 236, weil diese Befugnis als Ausübung eines subjektiven öffentlichen Rechts zu begreifen sei; im Anschluß an Martens ebenfalls Henneke, in: Knack, VwVfG, § 35 Anm. 5.1.5.; einschränkend dagegen BayVGH, DVBI. 1987, 1015 (1016). 33 So zutreffend Hermes/Wie/and, Duldung, S. 38; ebenso VGH Kassel, NVwZ 1985, 664 (666); 1987, 993 (996), mit der Begründung, nur Rechte, nicht aber auch Pflichten seien einer Verwirkung zugänglich; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 66.
4 Malitz
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
50
mit der Verwirkung der verwaltungsbehördlichen Eingriffsbefugnisse begründet werden. c) Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit
Insgesamt erscheint es zutreffender, Überlegungen zum Vertrauensschutz allein im Rahmen der Ermessensentscheidung der Behörde zu berücksichtigen, also Vertrauensschutz als Abwägungskriteriurn zu handhaben34• Im Bereich der Zurnutbarkeitsprüfung kann dann das Vertrauensschutzgebot die Unzulässigkeit des Einschreitens begründen, wenn dem Betroffenen die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht bekannt war und die Behörde den Zustand über einen längeren Zeitraum bewußt hingenommen haf 5• Allerdings betreffen auch diese Überlegungen zur gebundenen Verwaltung nur seltene Ausnahmeflllle. Grundsätzlich ist das Vertrauen des Betroffenen darauf, daß die Behörde gegen einen - ihm bekannten - rechtswidrigen Zustand nicht einschreitet, nicht schutzwürdig36• Die Entscheidung der Behörde über die Frage des Einschreitens wird durch die Ermessensnorm dem Dispositionsriskiko des Betroffenen zugeordnet, so daß allenfalls die behördliche Bestandszusage ein schutzwürdiges Vertrauen begründen könnte37• Darüber hinaus können Zweckmäßigkeitsüberlegungen im Rahmen der Ermessensentscheidung nur dann Aspekte des Vertrauensschutzes berücksichtigen, wenn die Behörde zunächst einen Vertrauenstatbestand geschaffen und der Bürger erst anschließend das genehmigungslose Verhalten begonnen hat. Nur die Dispositionen, die der Bürgeraufgrund dieses Vertrauenstatbestandes getroffen hat, sind schutzwürdig. Hat der Bürger dagegen zunächst ohne Genehmigung gehandelt und die Behörde erst anschließend die Duldung erklärt, so fehlt es an der wichtigsten Voraussetzung des Vertrauensschutzes: dem Vertrauenstatbestand. Die Disposition des Bürgers ist in diesen Fällen nicht durch ein staatliches Verhalten ausgelöst worden38 • Weiterhin ist zu beachten, daß die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes bereits eine Duldungserklärung der Behörde voraussetzt. Die Outdungserklärung als solche kann daher niemals durch das Vertrauensschutzgebot gerecht34
So auch schon Hermes!Wie/and, Duldung, S. 40, sowie OVG MOnster, BauR 1991, 448.
Hermes/Wieland, Duldung, S. 41 ff.; Ste/kens, VerwVerf, Rdn. 451; Martens, VerwVerf, Rdn. 236. 36 OVG MOnster, BauR 1991, 448 (449); Hermes/Wieland, Duldung, S. 43; Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 51 Rdn. 19 . 37 Hermes/Wie/and, Duldung, S. 43 f. 35
38
Vgl. Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 66 f.
III. Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung
51
fertigt sein. Als Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung kommt das Vertrauensschutzgebot nur dort in Betracht, wo die Behörde ein genehmigungsloses Verhalten über einen längeren Zeitraum rechtmäßig oder rechtswidrig geduldet hat und sie nunmehr vor der Entscheidung über den Erlaß einer Untersagungsverfllgung steht. Aspekte des Vertrauensschutzes können mithin eine behördliche Duldung nur dort rechtfertigen, wo sich die Frage der Fortdauer einer behördlichen Duldung stellt. d) Vertrauenstatbestand und fehlende Außenwirkung behördlicher Duldung
Ein gewichtiges Argument gegen die Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes als Rechtsgrundlage behördlicher Duldung ist allerdings die fehlende Außenwirkung der Duldung39• Als Form informellen Verwaltungshandeins ist der behördlichen Duldung gerade die Unverbindlichkeit der Absprache immanent, die sie von dem Verwaltungsakt oder dem öffentlichrechtlichen Vertrag als Form formellen Verwaltungshandeins unterscheidet. Die behördliche Duldung zielt auf einen tatsächlichen, nicht auf einen rechtlichen Erfolg ab. Ihr Erklärungswert beschränkt sich auf die Hinnahme des nicht genehmigten Verhaltens, die nicht mit einer Billigung gleichzusetzen ist40 • Mangels Außenwirkung kann die behördliche Duldung daher keinen Vertrauenstatbestand begründen. Ohne Vertrauenstatbestand, den die Behörde gesetzt hat, kann sich aber auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers auf die Fortdauer der Duldung aufbauen. Darüber hinaus widerspricht es der Zielsetzung informellen Verwaltungshandelns, wenn angenommen wird, der Bürger habe durch die Duldung eine geschützte Rechtsposition erlangt. Eine geschützte Rechtsposition hätte er nur dann erlangt, wenn sich die Behörde des formellen verwaltungsrechtlichen Handlungsinstrumentariums bedient hätte. Dagegen bleibt eine behördliche Duldung im Bereich des rechtlich Unverbindlichen und kann mangels Außenwirkung keine Rechtspositionen begründen.
39 Anders Nisipeanu, ZfW 1990, 375 f., der der behördlichen Duldung einen Regelungscharakter und damit Außenwirkung zukommen laßt, weil die duldende Behörde: zunächst ihre Duldung aufheben müsse, um gegen das geduldete Verhalten einschreiten zu können. Daß der Duldung entgegen Nisipeanu kein Regelungscharakter zukommt, wurde bereits oben dargelegt. 40 So auch Alleweldt, NuR 1992, 317; siehe dazu weiterhin Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfO, § 35 Rdn. 42, § 38 Rdn. 12; Wolff/Bachof/Stober, VerwR I,§ 51 Rdn. 15, 19.
4*
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
52
3. Zusammenfassung An dieser Stelle bleibt festzuhalten, daß als Rechtsgrundlage einer behördlichen Duldung allein das verwaltungsrechtliche Opportunitätsprinzip in Betracht kommt. Aspekte des Vertrauensschutzes, die ebenfalls als Rechtsgrundlage einer behördlichen Duldung angeftlhrt werden, können dagegen ausschließlich im Rahmen der Interessenahwägung Berücksichtigung finden, die die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung vorzunehmen hat. Eine Verwirkung der Eingriffsbefugnisse der Behörde und eine darauf aufbauende Unzulässigkeil des Einschreitens gegen ein nicht genehmigtes Verhalten kommt dagegen auch in Ausnahmefllllen nicht in Betracht.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeif einer behördlichen Duldung Mit der Benennung des Opportunitätsprinzips als möglicher Rechtsgrundlage der behördlichen Duldung ist allerdings die Frage nach ihrer verwaltungsrechtlichen Zulässigkeil noch nicht abschließend beantwortet. Zweifel an der Zulässigkeit einer behördlichen Duldung stellen sich insbesondere unter Berücksichtigung der Grundsätze vom Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes sowie dem ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz des fairen Verfahrens ein 1• 1. Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes
und das Gewaltenteilungsprinzip?
Zunehmend wird bezweifelt, daß das Gesetz die erforderliche Steuerungskraft ftlr eine hochdifferenzierte und sich schnell wandelnde Gesellschaft noch besitzt. Auf solchen Zweifeln gründet sich die Anwendung flexibler Handlungsformen der Verwaltung, also beispielsweise der behördlichen Duldung eines nicht genehmigten Verhaltens. Deren Anwendung wirft jedoch die Frage auf, ob informelles Verwaltungshandeln die verfassungsrechtlichen Vorgaben - insbesondere den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und das Gewaltenteilungsprinzip - im Bereich normvollziehender Absprachen ausreichend beachtet.
1
Lange, VerwArch 82 (1991), 15; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 9 Rdn. 30.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Duldungen
53
a) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, Art. 20 Abs. 3 GG, bedürfen wesentliche, insbesondere in Grundrechte eingreifende Entscheidungen der Exekutive einer gesetzlichen Grundlage (sog. Wesentlichkeitstheorie)2• Dieser Grundsatz ist auf die historischen Erfahrungen mit dem Absolutismus und der Diktatur zurUckzuftlhren und kann allenfalls modifiziert, nicht aber aufgegeben werden. Das Gesetz muß das maßgebliche Steuerungsinstrument bleiben3 • Duldet die Behörde ein nicht genehmigtes Verhalten, so paßt sie das Gesetz- meist im Wege der Verständigung mit dem Betroffenen- in unverbindlicher Weise der jeweiligen Situation an. Ein derartiges Verwaltungshandeln kann sowohl (Beteiligungs-)Rechte Dritter berUhren4 als auch den Duldungsempfllnger selbst belasten. Auf der Seite des Duldungsempfllngers wird der belastende Charakter der behördlichen Duldung insbesondere dort offenkundig, wo ihm als "Gegenleistung" ftlr die Duldung Verpflichtungen, beispielsweise zum Zwecke der Sanierung, auferlegt werden. Aber auch dann, wenn der Verwaltungsakt ausschließlich begünstigende Wirkung entfaltet, kommt der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes - eingeschränkt - zur Anwendung5• Insgesamt ist daher die Frage zu beantworten, ob die behördliche Duldung diesem Grundsatz genügt6 • b) Prinzip der Gewaltenteilung
Das informelle Verwaltungshandeln zeichnet sich weiterhin dadurch aus, daß an die Stelle hoheitlicher Regelungen Aushandlungsprozesse und an die Stelle des Normvollzugs Kompromisse zwischen zwei prinzipiell gleichgestellten Parteien treten7 • Informelles Verwaltungshandeln läßt sich damit nicht auf einen Akt der Legislative zurUckftlhren. An diese Erkenntnis schließen sich Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeil der behördlichen Duldung mit
2 Vgl. BVerfGE 34, 165 (192 tT.); 40, 237 (248 tT.); 47, 46 (78 tT.); 49, 89 (126 tT.); 58, 257 (268 tT.); 84, 212 (226); 85, 386 (403 f.); Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 VI Anm. 85. 3 Brohm, NVwZ 1988, 795. 4 Insbesondere dann, wenn Beteiligungsrechte Dritter betroffen sind; vgl. Hallwaß, NuR 1987, 298; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 84. 5 Vgl. BVerfGE 40, 237 (248 tT.). Mangels gesetzlicher Ermachtigung soll die Duldung nach Hallwaß, Duldung, S. 45; Püttner, ÖÖV 1989, 141, rechtswidrig sein. 6 Dies verneinen Hallwaß, Duldung, S. 45; ders., NuR 1987, 298; Püttner, DÖV 1989, 141. 7 Kutscha, Demokratische Legalitllt, S. 19.
54
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
den Anforderungen des Demokratieprinzips und insbesondere dem Grundsatz der Gewaltenteilung an8 • Das Gewaltenteilungsprinzip, ein tragendes Organisationsprinzip des Rechtsstaats, steht in engem Zusammenhang mit dem bereits angesprochenen Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. Das Prinzip der Trennung der Staatsgewalten Legislative und Exekutive folgt aus dem "klassischen" Demokratieprinzip, dem auch das Grundgesetz folgt (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG). In seiner Bedeutung der Gewaltentrennung und Gewaltenbalancierung erscheint das Gewaltenteilungsprinzip als Mittel der Aufteilung und dadurch der Mäßigung der Staatsmacht, das dem Schutz der Freiheit des einzelnen dient9 • Ihm liegt der Gedanke der Begrenzung und gegenseitigen Hemmung und Kontrolle einzelner voneinander getrennter Staatsfunktionen zugrunde. Nach der überkommenen staatsrechtlichen Lehre besitzt allein der parlamentarische Gesetzgeber das "Rechtsetzungsmonopol", so daß die Tätigkeit der Verwaltung ihre demokratische Legitimation allein Ober das parlamentarische Gesetz erflihrt 10• Ein ausdrückliches Gebot der Gewaltentrennung und balancierung enthält das Grundgesetz indes nicht. Vielmehr ist auch die Verwaltung durch das Grundgesetz demokratisch legitimiert. Danach können die Grundfunktionen der drei Gewalten nur in einem typisierenden Sinn verstanden werden, weil die sachgemäße Erftlllung der Aufgaben starre Grenzziehungen nicht zuläßt11 • Nach der neueren Staatsrechtslehre erschöpft sich die Funktion des Gewaltenteilungsprinzips nicht nur negativ in der gegenseitigen Machtbegrenzung, sondern hat auch die positive Funktion der Zuordnung und des funktionsspezifischen Zusammenwirkens 12• Der Unterscheidung der drei Staatsgewalten liegen demnach keine dem Wesen nach verschiedenen Aufgaben und Tätigkeiten mehr zugrunde, sondern lediglich unterschiedliche und verfahrensmäßige Ausgestaltungen 13 • Unter dieser Prämisse wird auch der Verwaltung die grundsätzlich weiterhin der Legislative vorbehaltene - Rechtserzeugung dort zugewiesen, wo die Legislative zur vollen Erfilllung ihrer Aufgaben nicht bereit oder in der Lage ist14 •
8 Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 89; die Vereinbarkeit verneint Hal/waß, Duldung, S. 45. 9 BVerfGE 2, I (13); 3, 225 (247); 5, 85 (199); Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 476. 10
Nachweise bei Küster, AöR 75 (1949), 397 tf.; Brohm, WDSTRL 30 (1972), 293 tf.
11
Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 487.
12 13
Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 482 f. Brohm, NVwZ 1988, 797.
14
So Hesse, Festschr. fllr H. Huber, S. 265 f.; Brohm, NVwZ 1988, 797.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Outdungen
55
Dementsprechend nimmt das BVerfG nur dann einen Eingriff in den Gewaltenteilungsgrundsatz an, wenn der Kernbereich einer der drei Gewalten beeinträchtigt ist' 5• Ein Eingriff in den Kernbereich kommt danach nur dort in Betracht, wo das System der gegenseitigen Kontrolle wesentlich verschoben oder in seinem Wesensgehalt angetastet wird. So ist die Bindung der Verwaltung an die Gesetze und ihre Steuerung durch Gesetze infolge der mehr oder weniger großen Entscheidungsspielräume in unterschiedlicher Weise ausgestaltet. c) Das Verhältnis der behördlichen Duldung zu diesen Verfassungsgrundsätzen
Als gesetzliche Grundlage einer behördlichen Duldung, die dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und auch dem Gewaltenteilungsgrundsatz genügt, bieten sich die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel 16 sowie vorrangig spezialgesetzliche Eingriffsermächtigungen17 an. Diese, das Opportunitätsprinzip im Bereich der Gefahrenabwehr konkretisierenden Vorschriften sehen ein zumindest eingeschränktes Ermessen der Behörde bei der Entscheidung über den Erlaß repressiver Maßnahmen vor. Mit der Verwendung dieser Ermessensvorschriften hat der Gesetzgeber zwar nicht die behördliche Duldung als Rechtsinstitut festgeschrieben. Der Gesetzgeber hat es jedoch der Entscheidung der Behörde überlassen, ob sie aus rechtlich billigenswerten Gründen gegen einen gesetzwidrigen Zustand einschreitet oder nicht. Diese billigenswerten Gründe müssen dem Zweck der jeweiligen Ermächtigung dienen, § 40 VwVfG. Daß sich die behördliche Duldung aus dem Opportunitätsprinzip rechtfertigen kann, wurde oben 18 bereits festgestellt. Nachfolgend soll nochmals auf den Inhalt behördlichen Ermessens sowie die Vereinbarkeit behördlichen Ermessens mit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und dem Gewaltenteilungsprinzip eingegangen werden.
15
16 17 18
E 9, 268 (280); 30, I (27 f). Für Nordrhein-Westfalen: § 14 Abs. I 080, § 8 Abs. 1 PolO. So z.B. § 20 Abs. 2 BlmSchG, § 19 Abs. 3 AtomG. Siehe oben unter C 111 l.
56
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
aa) Inhalt behördlichen Ermessens In den hier zu beurteilenden Fällen behördlicher Duldung ermöglicht das Ermessen der Behörde die Entscheidung, angesichts der Vielzahl der zu regelnden Sachverhalte Prioritäten zu setzen und flexibel zu reagieren. Hier zeigt sich die zeitliche Dimension des Ermessens, soweit es der Behörde die Entscheidung über den Zeitpunkt des Einschreitens offenhalten soll 19• Im Bereich des Vollzugs verwaltungsrechtlicher Verbote ist der Verwaltung überwiegend ein "Auswahl-" und "Entschließungsermessen" eingeräumt. Das Gesetz hat der Verwaltung hier eine "Handlungsermächtigung" erteilt, so daß sie selbst über Prioritäten innerhalb des Gefahrenbegriffs befinden kann20 • Diese Handlungsermächtigung gibt im Unterschied zum Gesetzesbefehl nur einzelne Bestandteile der Verwaltungsentscheidung vor. Im übrigen ist die Verwaltung befugt, nach verwaltungswissenschaftlichen und rationalisierbaren Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten eine der jeweiligen Situation angepaßte Verwirklichung des Gesetzes anzustreben. Da die Behörde in engen Grenzen auch den Zeitpunkt des Gesetzesvollzugs bestimmen kann, kann sie als unzumutbar erscheinende Vollzugsmaßnahmen zunächst unterlassen und über informelle Absprachen eine allmähliche Annäherung an die Gesetzeslage anstreben. Derartige Erwägungen rechtfertigen grundsätzlich auch die Duldung eines nicht genehmigten Verhaltens als vollzugsrechtliche Maßnahme. bb) Grenzen behördlichen Ermessens Begrenzt wird das Ermessen stets durch den jeweiligen Gesetzeszweck, § 40 VwVfG. Grundsätzlich dienen die Ermächtigungsgrundlagen allein der Durchsetzung der dort angesprochenen Rechtsgüter, Interessen und sonstigen Belange21 und enthalten daher einen entsprechenden Vollzugsauftrag an die Behörde22 • Es steht.daher nicht im Belieben der Behörde, ob sie dem Vollzugsauftrag nachkommt oder nicht. Allerdings sind Fälle denkbar, in denen das kooperative Verwaltungshandeln den Gesetzeszweck besser verwirklicht als das einseitig-hoheitliche Handeln23 oder der aktuelle Vollzugsbedarf die behördliche Vollzugskapazität überschreitet. Nur in derartigen Ausnahmeflil-
19
Vgl. Hermes/Wieland, Duldung, S. 37; Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301.
20
Vgl. hierzu und zum folgenden Brohm, NVwZ 1988, 798.
21
Hermes/Wieland, Duldung, S. 37.
22
Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301.
23
Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 90.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Duldungen
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len ist die Duldung rechtswidriger Zustände mit dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage zu vereinbaren. cc) Ermessen und Demokratieprinzip Das Demokratieprinzip als Grundlage24 der Gesetzesbindung der Verwaltung und des Gewaltenteilungsgrundsatzes fordert einen effektiven Einfluß des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt25• Diese Effektivität wird nicht allein durch die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern vorwiegend durch ein bestimmtes Legitimationsniveau gewonnen26 • Eine akzeptanzfördernde Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens trägt dem Demokratieprinzip daher geradezu Rechnung, da sie die Legitimation staatlichen Handeins erhöht27• In vielen Bereichen kann die demokratische Willensbildung angesichts der Vielfältigkeit und Kompliziertheit der zu regelnden Sachverhalte nicht mehr auf der Ebene der Gesetzgebung, sondern erst auf der Ebene des Vollzugs erfolgen. Auf der Vollzugsebene beugt das kooperative Verwaltungshandeln einer willkürlichen Behandlung vor und wirkt im Verwaltungsverfahren durch die Suche nach Akzeptanz auf einen Kompromiß zwischen den vielfältigen öffentlichen und privaten Belangen hin. Der Einwand, daß die Harmonisierung der beiden Verfassungsprinzipien Verwaltungseffizienz und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung allein dem Gesetzgeber obliege28 , geht von dem überkommenen staatsrechtlichen Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips aus und übersieht zudem, daß der Gesetzgeber der vollziehenden Gewalt einen Ermessensspielraum bereits eingeräumt hat. Auch ein Blick auf das fbrmliche Verwaltungsverfahren zeigt, daß dort das Kooperationsprinzip gesetzlich verankert ist. Die Generalklausel des § 10 VwVfG gewährt der Behörde ein weites Ermessen bei der Gestaltung des Verfahrens, das auch auf ein kooperatives Zusammenwirken von Behörde und
24 25
26
Vgl. Kutscha, Demokratische Legalität, S. 14 ff. BVerfGE 83, 60 (71 f.); Kutscha, Demokratische Legalität, S. 21. BVerfGE 83, 60 (72).
Würtenberger, NJW 1991, 261; Maurer, in: Hili, Verträge und Absprachen, S. 35; zum Österreichischen Recht Wimmer/Arnold, Dialogisches Verwaltungshandeln, S. 56; vgl. auch Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 89 f. Allgemein zur akzeptanztbrdemden Ausgestaltung von Verwaltungsverfahren Schmidt-Aßmann, in: /sensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band III, § 70 Rdn. 25 f. 28 So Hallwaß, Duldung, S. 45. 27
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
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Bürger zur Vorbereitung der einseitig hoheitlichen Verwaltungsentscheidung (Genehmigung) gerichtet sein kann. Letztlich stellt sich auch die Frage, ob allein die einseitig-hoheitlichen Handlungsformen der Verwaltung noch den Schutz der durch das materielle Verwaltungsrecht geschützten Rechtsgüter und Interessen bewältigen können. Seit geraumer Zeit stehen die Handlungsformen der Verwaltung auf dem Prüfstand der Verwaltungswissenschaft. Dabei hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, daß kooperatives Verwaltungshandeln den Gesetzeszweck in Teilbereichen besser verwirklicht als einseitig-hoheitliches Handeln29. Festzuhalten bleibt, daß der behördlichen Duldung unter den Gesichtspunkten des Gesetzesvorbehalts und des Gewaltenteilungsprinzips keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen30• 2. Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorrang des GesetzesAbschließende Regelung der Genehmigungstatbestlnde? Art. 20 Abs. 3 GG enthält den Kernsatz des Rechtsstaatsprinzips, wonach die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist. Die Verwaltung darf durch ihr Verwaltungshandeln nicht vom Gesetz abweichen oder gegen ein solches verstoßen, sondern sie muß das Gesetz anwenden. Verstößt sie gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes, so ist ihr Verwaltungshandeln rechtswidrig. a) Einwände
Gegen die Zulässigkeil einer behördlichen Duldung wird vorgebracht, daß sie gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes und damit das Rechtsstaatsprinzip verstoße31 • Als Begründung wird angefllhrt, daß das Verwaltungsverfahrensgesetz in verbindlicher und abschließender Weise Grundprinzipien ftlr alle Arten von Verwaltungsverfahren normiere, die die behördliche Duldung nicht berücksichtige. Mit diesen Grundprinzipien des Verwal29 Vgl.
die Beispiele bei Bulling, in: Hili, Vertrllge und Absprachen, S. 145 ff.
So auch Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 83 ff.; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. 105. 31 Hallwaß, Duldung, S. 45 ff.; ders., NuR 1987, 299; Roßnagel, DVBI. 1987, 72; Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 59 f.; im Hinblick auf Gewässerverunreinigungen Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 112e; ders., JR 1978, 295; ders., JR 1983, 123; in diese Richtung auch Henneke, NuR 1991, 273. 30
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Outdungen
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tungsverfahrensgesetzes sei die behördliche Duldung deshalb nicht zu vereinbaren, weil der Bürger nach Beendigung der Sachverhaltsprüfung nicht durch einen Verwaltungsakt beschieden werde32• Darüber hinaus unterlaufe die behördliche Duldung spezialgesetzliche Sondervorschriften über die Zulassung vorzeitigen Beginns33 • So werde der fUr die Zulassung vorzeitigen Beginns nach § 9a WHG erforderliche Antrag häufig allein deshalb nicht gestellt, weil sich der Gewässerbenutzer der Haftung nach § 9a Abs. 1 Nr. 3 WHG nicht unterwerfen wolle34 • Auch verwaltungsrechtliche EnDessensvorschriften im Bereich der Gefahrenabwehr sollen diese Bedenken nicht ausräumen. So beruft man sich darauf, daß der Begriff "soll" in § 20 Abs. 2 S. 1 BlmSchG nach allgemeiner Auffassung dahin auszulegen ist, daß die Behörde im Regelfall einschreiten muß35 • Bergmann gewinnt daraus die Überzeugung, daß "atypische und außergewöhnliche Situationen" nicht die genehmigungsgleiche Wirkung einer behördlichen Duldung begründen könnten36• Weiterhin wird eingewandt, daß der Gesetzgeber bewußt keine Sonderregelungen fllr nicht genehmigte oder genehrnigungsfllhige Verhaltensweisen getroffen habe. Das nur im Rahmen der Gesetze anwendbare Opportunitätsprinzip dürfe den Gesetzesunterworfenen nicht dazu dienen, gesetzliche Bestimmungen zu überspielen37 • Gerade im Bereich des Umweltverwaltungsrechts habe der Gesetzgeber die Abwägung zwischen ökonomischen und ökologischen Belangen bereits zugunsten letzterer vorgenommen. Ein Neuvollzug dieser Abwägung unter stärkerer Gewichtung der ökonomischen Belange sei rechtswidrig und auch durch das Opportunitätsprinzip nicht gerechtfertigt38• Das Opportunitätsprinzip soll danach allein eine dem Zweck der gesetzlichen Regelung entsprechende Prioritätensetzung filr den Fall erlauben, daß der aktuelle Vollzugsbedarf die behördliche Vollzugskapazität überschreite39 •
32
Hallwaß, Duldung, S. 47.
Z.B. § 9a WHG, § 7a Abtu, § 57b BBergG, § lSa Abs. Ia BlmSchG. Bedenken äußern insoweit Hermes!Wieland, Duldung, S. 109 f.; SchUnemann, wistra 1986, 242; Breuer, NJW 1988, 2082. 34 So Bickel, ZfW 1979, 143. 35 BVerwG, NuR 1990, 318 (321); NuR 1994, 182 (183); Val/endar, in: Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 16, 22; Jarass, BlmSchG, § 20 Rdn. 25, § 17 Rdn. 38; Stich/Porger, BlmSchG, § 20 Rdn. 7; grundsätzlich zur Auslegung des Begriffs "soll" im Verwaltungsrecht Wol.ff/BachoßStober, VerwR I,§ 31 Rdn. 34. 36 Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 59 f. 37 Hermes/Wie/and, Duldung, S. 49.; Henneke, NuR 1991, 274; ahnlieh Breuer, NJW 1988, 2082. 38 Henneke, NuR 1991, 274; LUbbe-Wo!ff, NuR 1989, 301. 39 Lübbe-Wo!ff, NuR 1989, 301. 33
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Insoweit diene das Opportunitätsprinzip der möglichst effektiven Wahrnehmung der behördlichen Überwachungsaufgabe durch eine flexible Reaktion angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls40 • Es halte der Behörde die Reaktionsmöglichkeiten ftlr die Zukunft offen, so daß das Dispositionsrisiko beim Betroffenen verbleibe41 • Nur unter diesem Gesichtspunkt sei die Duldung rechtswidriger Zustände auf der Seite der Behörde gerechtfertigt. Im Regelfall einer Duldung fehle der Behörde die erforderliche Vollzugskapazität allerdings nicht. Vielmehr finde eine Abwägung zwischen Ökonomie und Ökologie dergestalt statt, daß Existenzfllhigkeit und Standort des Betriebs und damit Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinkünfte nicht geflihrdet werden sollen42 • Ein derart motivierter Vollzugsverzicht laufe dem Durchsetzungsanspruch verwaltungsrechtlicher Normen zuwider und sei auch mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Wettbewerbsneutralität nicht zu vereinbaren43 • b) Stellungnahme
Diese Einwände berücksichtigen nicht ausreichend, daß das materielle Verwaltungsrecht eine Vielzahl von Tatbeständen aufweist, die ein Ermessen der Behörde bei der Frage des Einschreitens gegen ein nicht genehmigtes Verhalten zulassen. Eine behördliche Duldung mißachtet hier auch nicht die Grundprinzipien des Verwaltungsverfahrensgesetzes, das in diesem Bereich nur lükkenausftlllend Anwendung finden kann. Der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes erlangt erst dort seine Bedeutung, wo die behördliche Duldung eine Genehmigung ersetzen soll. Dann st-ellt sich allerdings schon nach dem materiellen Verwaltungsrecht die Frage nach dem Vorrang des Gesetzes, wenn die Aufzählung der Genehmigungstatbestände abschließend ist. Hallwaß verkennt darüber hinaus, daß die Behörde mit der Duldung in der Regel gerade keine Genehmigung des nicht erlaubten Verhaltens beabsichtigt. Die behördliche Duldung tritt daher nicht an die Stelle der Genehmigung. Sie soll vielmehr der Herstellung eines genehmigungsfllhigen Zustands dienen oder die Zeit der Durchftlhrung des Genehmigungverfahrens überbrücken und dient damit der Vorbereitung einer Genehmigung.
40
Hermes/Wieland, Duldung, S. 37.
41 42
Goerlich, Formenmißbrauch, S. lOS f.; Hermes/Wieland, Duldung, S. 37. Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301.
43
Lübbe-Wolff, NuR 1989, 301.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Outdungen
61
Auch wenn - wie im Fall des § 20 Abs. 2 S. 1 BimSchG - aufgrund einer Sollvorschrift das Ermessen der Behörde nur in atypischen Fallgestaltungen eröfihet ist, stellt sich die Frage, ob die Duldung in solchen atypischen Fallkonstellationen verwaltungsrechtlich zulässig ist. Gerade diese atypischen Fallkonstellationen hat der Gesetzgeber jedoch berücksichtigt, indem er nicht eine Muß-, sondern eine Sollvorschrift geschaffen hat. Auch hier kann sich das Ermessen der Behörde so weit verdichten, daß sie das nicht genehmigte Verhalten sogar dulden muß44• Weiterhin kann die behördliche Duldung in Bereichen chronischer Vollzugsdefizite geradezu Ausdruck des rechtsstaatliehen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sein. Dieser Grundsatz fordert den Abbau eines bestehenden Vollzugsdefizits4S, weil gerade dieses eine Abweichung des parlamentarischen Willens von seiner exekutiven Umsetzung bewirkt. Als Beispiel mag hier der Fall der unbefugten Einleitungen kommunaler Kläranlagen dienen46• Dieser gesetzeswidrige Zustand wurde erst durch das Angebot der oberen Wasserbehörde, die Einleitungen ftlr einen Übergangszeitraum zu dulden, weitgehend beseitigt. Zutreffend sind die Einwände gegen die Zulässigkeit einer behördlichen Duldung allerdings dann, wenn spezialgesetzlich die Zulassung vorzeitigen Beginns vorgesehen ist. In zwei bedeutenden Bereichen des Umweltrechts hat der Gesetzgeber mit den §§ 9a WHG und§ 7a AbfG Vorschriften47 erlassen, die in einem rechtsilirmlichen Verfahren die Zulassung vorzeitigen Beginns auch ftlr Neugenehmigungen regeln. Auch im Bundesimmissionsschutzgesetz findet sich inzwischen mit dem § 15a Abs. 1a eine Regelung, nach der die Genehmigungsbehörde bei wesentlichen Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen (§ 15 BimSchG) den Betrieb der Anlage schon vor Genehmigungserteilung zulassen kann, wenn die Änderung der Erftlllung einer sich aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz oder einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflicht dient. Anders als in den Bereichen des Wasser- und Bergrechts, in denen ein privates Interesse genügt,
44 Winke/bauer, JuS 1988, 696; vgl. auch BVerwG, NuR 1990, 318 (321), wonach die Behörde bei der lediglich formellen Rechtswidrigkeit einer Anlage nach dem BlmSchG prüfen müsse, "ob sie von der Stillegong als einem unverhllltnismllßigen Mittel absieht und dem Betreiber aufgibt, unverzU~Iich die fllr die Einleitung eines Genehmigungsverfahrens erforderlichen Unterlagen einzuretchen." Anders dagegen BVerwG, NuR 1994, 182 (183) in einem obiter dictum, wonach auch die formelle Illegalität im Regelfall die Behörde zum Erlaß einer Stillegungs- oder BeseitigungsverfUgung zwinge. 4s BVerfGE 25, 216 (228); 30, 292 (332). VollzugsdefiZite bedeuten aber auch, daß die Gesetze und ihre Anwendung zu ungleichmllßigen und ungerechten Konsequenzen fUhren, vgl. Hassemer, ZRP 1992, 382. 46 Siehe oben unter C II 4, Beispiel 4. 47 Ebenso § 57b BBergG.
62
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
setzt § 15a Abs. la i.V.m. Abs. 1 Ziff. 2 BlmSchG stets ein öffentliches Interesse an der Zulassung vorzeitigen Beginns voraus. Mit dem eingeschränkten Anwendungsbereich des § 15a Abs. 1a BlmSchG hat der Gesetzgeber darüber hinaus zum Ausdruck gebracht48 , daß filr ihn außerhalb des Bereiches des Änderungsgenehmigungsverfahrens eine Zulassung vorzeitigen Beginns nicht in Betracht kommt49 • Soweit die behördliche Duldung eine solche Regelung umgeht - beispielsweise weil der Setreiber dem Haftungsrisiko entgehen will 50 - ist die behördliche Duldung wegen Verstosses gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes rechtswidrig51• Es bleibt festzuhalten, daß die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes der behördlichen Duldung unter dem Aspekt des Vorrangs des Gesetzes grundsätzlich nicht entgegenstehen52• Gegen diesen Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes wird nur dann verstoßen, wenn spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen die Zulassung vorzeitigen Beginns ermöglichen und die behördliche Duldung diese Vorschriften umgeht. 3. Umgehung des verwaltungsrechtlichen Formalisierungsgebotes?
Gegen die verwaltungsrechtliche Zulässigkeit der behördlichen Duldung wird weiter vorgebracht, daß sie gegen das verwaltungsrechtliche Formalisierungsgebot verstoße53 • Das verwaltungsrechtliche Formalisierungsgebot, das
48 Siehe die Gegenäußerung der Bundesregierung der Bundesregierung auf eine entsprechende Forderung des Bundesrates in BT-Drs. 1214208, S. 28. 49 Das betrim insbesondere Neuerrichtungen. Da aufgrund des § 4 Abs. 1 BlmSchG und des § 7 Abtu Abfallentsorgungsanlagen mit Ausnahme von Deponien nunmehr allein der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen, sind damit auch die Möglichkeiten der Zulassung vorzeitigen Beginns bei neuerrichteten Abfallentsorgungsanlagen eingeschränkt Vgl. dazu F/uck, DÖV 1994, 886. 50 Vgl. den Beispielsfall 5, oben unter C II 5. § 15a Abs. I Ziff. 3 BlmSchG sieht Schadensersatz- und Wiederherstellungspflichten des Betreibcrs vor. Als weitere Motive kommen die Angst vor Prlljudizierungen und Amtshaftungsansprüchen in Betracht, vgl. Fluck, DÖV 1994, 887. 51 Die Erwägungen Gentzckes, Informales Verwaltungshandeln, S. 87 ff., mit denen er im Bereich des Wasserhaushaltsgesetzes die Zulässi~keit einer behördlichen Duldung trotz der Vorschrift des § 9a WHG rechtfertigen will, sind msgesamt nicht überzeugend. Das durch die ordnungsbehördliche Generalklausel eingeräumte Ermessen wird hier - ebenso wie in den Fällen der § 7a Abtu, § 15a Abs. Ia BlmSchG - durch die spezialgesetzliche Regelung verdrängt. Nur außerhalb des Anwendun~sbereichs des § 9a WHG ~pmmt daher im Bereich des Wasserrechts eine rechtmäßige behördliche Duldung in Betracht. Ahnlieh bereits Schiinemann, wistra 1986, 242. Breuer, Wasserrecht, Rdn. 282, erkennt wegen der spezialgesetzlichen Regelungen im Bereich des Wasserrechts rechtmäßige behördliche Outdungen grundsatzlieh nicht an. 52 Vorbehaltlich des Grundsatzes fairen Verfahrens und des Formalisierungsgebots, die auch dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes zugeordnet werden können, hier aber anschließend gesondert untersucht werden sollen. 53 Heine/Meinberg, Gutachten D zum 57. DJT, D 51 f.; Heine, in: Meinberg/Miihrensch/a-
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Outdungen
63
Rechtssicherheit vermitteln solle und in der behördlichen Genehmigung seinen Ausdruck finde, würde anderenfalls rigoros ausgespielt54 • Mit der Anerkennung einer behördlichen Duldung würden weitere, nicht mehr faßbare Erlaubnisformen geschaffen, die die Gefahr einer Aushöhlung der vom Gesetzgeber vorgesehenen Formvorschriften mit sich brächten55 • Auch der große Flexibilitätsbedarf der modernen Verwaltung könne solche Formumgehungen nicht rechtfertigen56• Derartige Erlaubnisformen seien zudem nicht mehr gerichtlich kontrollierbar, so daß aus ihrer Anerkennung die weitere Gefahr einer mangelnden Gesetzesloyalität folgeS1. Das durch diese Auffassung in Bezug genommene verwaltungsrechtliche Formalisierungsgebot folgt aus den Grundrechten und ist Ausdruck einer objektiven Werteordnung, die dem Staat eine Schutzpflicht ftlr seine Bürger gegenüber Grundrechtsverletzungen aufgibt58 • Das Verwaltungsverfahren muß aufgrund dieser Schutzpflicht so ausgestaltet sein, daß durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen einer möglichen Grundrechtsverletzung entgegengewirkt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, daß bereits jeder Verfahrensverstoß stets auch eine Rechtsverletzung in sich birgt. Aus der Verfassung lassen sich nur mit Einschränkungen und sehr behutsam unmittelbare Anforderungen an das Verfahren ableiten59• Da die behördliche Duldung - wie bereits festgestellt - die Genehmigung nicht ersetzen soll, sondern diese im Regelfall nur vorbereitet, läßt sich ihre Unzulässigkeit nicht aus dem Formalisierungsgebot ableiten. Zwar entfaltet das formelle Verwaltungshandeln seine Strukturierungs-und Gleichbehandlungsfunktion gerade dadurch, daß es den Rechtsfiguren des Abwägens und der Unverhältnismäßigkeit nicht in jedem Fall offensteht60• Gerade im Bereich des Vollzugs gesetzlicher Verbote ist die Verwaltung jedoch auf flexible Handlungsformen angewiesen, um dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage gerecht zu werden. Allein aus diesem Grunde hat der
ger/Link, Umweltstraftecht, S. 113; Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 58 f.; grundsätzlich kritisch gegenüber informellen Verwaltungspraktiken auch Schmidt-Aßmann, Allg. Ver-
waltungsrecht als Ordnungsidee, S. 31 f. 54 Heine/Meinberg, GutachtenD zum 57. DJT, S. D 52. 55 So Ha//waß, Duldung, S. 48; Pfoh/, NJW 1994, 422; siehe auch Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 9 Rdn. 30. 56 Pauly, Handlungsformenlehre, S. 44. 57 Send/er, DÖV 1989, 486 f.; Henneke, NuR 1991, 273; Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 58 f.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 82 f.; vgl. auch Schulze-Fielitz, DVBI. 1994, 659 f. 58 Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 93. 59 Schmidt-Aßmann, in: Jsensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 111, § 70 Rdn. 12. 60 Schmidt-Aßmann, Allg. Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 31.
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Gesetzgeber der Behörde ein Ermessen im Bereich der Gefahrenabwehr eingeräumt. 4. Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens? Durchschlagender sind dagegen die Erwägungen, welche die Vereinbarkeit der behördlichen Duldung mit dem Grundsatz fairen Verfahrens bezweifeln. Sowohl das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch der Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) fordern die Gewährleistung eines fairen Verfahrens. a) Der Grundsatz fairen Vefahrens
Der Grundsatz fairen Verfahrens ist in seinem Anwendungsbereich nicht auf das gerichtliche Verfahren beschränkt61 , sondern auch im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu berUcksichtigen. Er findet seinen Ausdruck in dem Gebot der Unparteilichkeit von Amtsträgern, der Gleichbehandlung von Beteiligten, dem Ausgleich vorhandener Kenntnisschwächen, der Übersichtlichkeit des Verfahrensablaufs und dem Verbot faktischer Vorausbindungen aufgrund informeller Absprachen62• Diese Anforderungen gehen von der Erkenntnis aus, daß staatliches Handeln, das einem Bürger Vorteile gewährt, nicht selten mit Nachteilen ftlr einen anderen BUrger verbunden ist. b) Spannungen zwischen dem Grundsatz fairen Verfahrens und behördlichen Duldungen
Ein weiter Anwendungsbereich behördlicher Outdungen liegt in informellen Sanierungsabsprachen zwischen Behörden und Vorhabenträgern63 • Solche Sanierungsabsprachen werden oft nicht zur Kenntnis der Nachbarn gebracht, die im Einwirkungsbereich der sanierungsbedürftigen Anlage wohnen64 • Häufig werden informelle Absprachen gerade mit dem Ziel getroffen, betroffene Dritte vorerst von der Willensbildung fernzuhalten65 • 61
BVerwGE 55, 355 (360); 70, 143 (144 f., 151); 75, 214 (230 f.)
Brohm, NVwZ 1988, 798; Kunig/Rublack, Jura 1990, 5 f.; Schulze-Fie/itz, DVBI. 1994, 660; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhoj, Handbuch des Staatsrechts, Band 111, § 70 Rdn. 14 ff. 63 Siehe oben unter C II 3, 6, Beispiele 3 und 6. 64 Siehe hierzu nur Beyerlin, NJW 1987, 2713 f. 65 Lange, VerwArch 82 (1991), 15; Kunig/Rub/ack, Jura 1990, 8. Die verfahrensrechtlichen 62
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Duldungen
65
Da die behördliche Duldung bis zur GenehmigungseTteilung de facto an die Stelle des fbnnlichen Genehmigungsverfahrens tritt, wird durch die ausschließliche Beteiligung der zuständigen Behörde und des Duldungsadressaten die an sich gegebene Mehrpoligkeit von Belangen auf einen Interessenausgleich im zweiseitigen Verhältnis unter Vernachlässigung von Drittbelangen zurUckgefUhrt66• In dem parallelen oder sich anschließenden Genehmigungsverfahren werden die Beteiligungsrechte Dritter zwar regelmäßig beachtet. Die infonnell gefundenen Kornpromisse sind jedoch häufig bereits so verfestigt, daß die betroffenen Dritten kaum noch Einfluß auf das Verfahrensergebnis haben67 • Dies bedingt auch eine Entleerung des bereits angesprochenen Verfahrensgedankens, da die Befriedigungs- und Legitimationswirkung des Fönnlichen zerstört wird68 • Die Verfahrensbeteiligung Dritter soll aber nicht nur ihren eigenen Interessen, sondern auch dem öffentlichen Interesse an der Sachverhaltsennittlung, also der Findung materiell richtiger Sachentscheidungen dienen. Insgesamt trägt das Verwaltungsverfahren damit zur administrativen Infonnation und Koordination, zur individuellen Rechtssicherung und zur institutionellen Konsensbeschaffung bei69 • Die ErfUllung dieser Aufgaben kann das Verfahrensrecht nicht mehr gewährleisten, wenn die Sachentscheidung faktisch schon im Wege infonneller Absprachen zwischen Antragsteller und Genehmigungsbehörde gefallen ist und beide im Verwaltungsverfahren nur noch ihre Absicherung gegen Einwände Dritter betreiben70•
Normen des Wasserhaushaltsgesetz sind nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG (E 41, 58 [63 ff.]; BayVBI. 1989, 22 [23]) nicht drittschützend, so daß insoweit Beteiligungsrechte Dritter im Rahmen informeller Sanierungsabsprachen nicht in Betracht kommen; vgl. dazu Gentzcke, lnformales Verwaltungshandeln, S. 94 ff. Andererseits sollen Dritte bei der Erteilung wasserrechtlicher Gestattungen einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Interessen haben, BVerwGE 78, 40. Dies istjedoch kaum miteinander zu vereinbaren, da das Verwaltungsverfahren der Verwirklichung des materiellen Verwaltungsrechts dient. 66 Bauer, VerwArch 78 (1987), 254 f.; Henneke, NuR 1991, 273; Kutscha, Demokratische Legalität, S. 19 f.; Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 74; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 83; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 9 Rdn. 30. 67 Bauer, VerwArch 78 (1987), 255; Henneke, NuR 1991, 273; Beyerlin, NJW 1987, 2713; Hoppe/Beckmann, Umwehrecht, § 9 Rdn. 30. 68 K/oepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 268; in diese Richtung auch Breuer, JZ 1994, 1086. 69 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: /sensee/Kirchhoj, Handbuch des Staatsrechts, _Band 111, § 70 Rdn. 3; Schmitt-G/aeser, in: Lerche u.a., Verfahren, S. 57 f., 60 f.; Steinberg, DÖV 1982, 625 f. 70 Pauly, Handlungsformenlehre, S. 43. 5 Malitz
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
c) Drittschutz im Verwaltungsverfahren
Zunächst ist ein Blick auf die Verwirklichung des Drittschutzes im fl)rmlichen Verwaltungsverfahren zu werfen. DemberechtigtenBedürfnis des Drittbetroffenen nach Schutz vor umweltgefährdenden Aktivitäten wird verwaltungsrechtlich sowohl durch die nachträgliche gerichtliche Überprüfung der behördlichen Entscheidung als auch durch die Beteiligung am Verwaltungsverfahren Rechnung getragen. Mit Rücksicht auf den anthropozentrischen Schutzzweck71 des einfachgesetzlichen Umweltrechts werden alle gefahrenträchtigen Umweltnutzungen strengen Genehmigungs-und Erlaubnisvorbehalten unterworfen72 • Die von diesen Umweltnutzungen Betroffenen haben- insbesondere unter Berücksichtigung der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht des Staates - einen Anspruch auf Beteiligung an der informellen Absprache. d) Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf informelle Absprachen
Ein einfachgesetzlicher Anspruch auf Beteiligung an normvollziehenden Absprachen könnte schon aus den§§ 28 f. VwVfG folgen, wenn das Verwaltungsverfahrensgesetz auf informelles Verwaltungshandeln anwendbar wäre. Dies würde nach der Legaldefinition des § 9 VwVfG voraussetzen, daß die Behörde eine nach außen wirkende Tätigkeit entfaltet, die auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Unmittelbares Ziel der Verhandlungen, die eine informelle Absprache bezwecken, ist weder der Erlaß eines Verwaltungsakts noch der Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages73 • Somit ist das Verwaltungsverfahrensgesetz unmittelbar nicht anwendbar. Begnügte man sich mit diesem Ergebnis, würde die Aushöhlung der Rechte Dritter durch informelle Verwaltungspraktiken drohen. Es läßt insbesondere das verfassungsrechtliche Gebot unbeachtet, wirksamen Grundrechtsschutz durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken74• Ohne einen vorverlagerten
71 Auf den umstrittenen Schutzzweck des Umweltstrafrechts ist später noch einzugehen, dazu unter F II 2. 72 Beyerlin, NJW 1987, 2715. 73 Siehe Beyerlin, NJW 1987, 2717. Ungeachtet dessen kann parallel zu der informellen Absprache ein ft)rmliches Genehmigungsverfahren betrieben werden, auf welches dann die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes selbstverständlich anwendbar sind. 74 Vgl. dazu BVerfGE 53, 30 (65); Schmidt-Aßmann, in: Isensee/KirchhoJ, Handbuch des Staatsrechts, Band 111, § 70 Rdn. 19.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Outdungen
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Rechtsschutz durch die Möglichkeit der Einflußnahme auf die Verwaltungsentscheidung bliebe das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG weitgehend wirkungslos75 • Daher sind die Rechte grundrechtsbetroffener Dritter bereits in informellen Absprachen in ihrer wesentlichen Substanz zu beachten, wenn auch nicht so formalisiert wie im eigentlichen Verwaltungsverfahen76 • e) Behördliche Duldung und Drittschutz
Aus den aufgezeigten Grundsätzen folgt zunächst, daß eine behördliche Duldung dann rechtswidrig ist, wenn sie grundrechtlich geschützte Beteiligungsrechte nicht berücksichtigt. Andererseits kommen auch Fälle in Betracht, in denen Beteiligungsrechte Dritter, wie im Bereich der Wirtschaftsüberwachung, überhaupt nicht in Betracht kommen. Gerade im Bereich des Umweltrechts sind indes einfache Genehmigungsverfahren kaum noch vorgesehen77• Im Regelfall ist ein fl)rmliches Verwaltungsverfahren angeordnet, das durch mehrere, aufeinanderfolgende Verfahrensabschnitte gekennzeichnet ist. So sieht § 10 BlmSchG vor, daß zunächst ein Antrag zu stellen ist, dann die Unterlagen auszulegen und die Stellungnahmen anderer betroffener Behörden einzuholen sind. Anschließend wird jedermann die Möglichkeit eingeräumt, Einwendungen zu erheben. Schließlich wird ein Termin zur Erörterung der Einwendungen anberaumt und letztendlich über den Antrag entschieden. Eine behördliche Duldung würde die in einem fl)rmlichen Verwaltungsverfahren von Verfassungs wegen gebotene Beteiligung Dritter unberücksichtigt lassen, wenn sie gegen ein Verhalten nicht einschreitet, das nach dem Gesetz erst nach Durchftlhrung des fl)rmlichen Verwaltungsverfahrens erlaubt sein soll. Auch in diesen Fällen ist die behördliche Duldung rechtswidrig. j) Möglichkeiten der Konfliktlösung
An Vorschlägen zur Sicherung der Rechte Drittbetroffener bei normvollziehende Absprachen mangelt es nicht. So wäre ein Verstoß gegen den Grund-
Schulze-Fie/itz, DVBI. 1994, 6S9 Beyerlin, NJW 1987, 2719; Robbers, DÖV 1987, 279; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. lOS; vgl. auch Brohm, NVwZ 1988, 798. Eine ausfllhrliche Untersuchung der einschlagigen Nonnen des Umweltrechts auf ihre drittschützende Wirkung findet sich bei Marburger, Gutach75
76
ten C zum S6. DJT, C SI ff.; zur Klagebefugnis bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften vgl. auch BVerwG, NJW 1983, 1S07 (1S08); DVBI. 1987, 37S (377). 77 Vgl. Kette/er, JuS 1994, 827. 5*
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
satz fairen Verfahrens vennieden, wenn die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes in entsprechender Anwendung berücksichtigt würden18 • Die Berücksichtigung der Beteiligungsrechte Dritter in infonnellen Absprachen dürfte indes kaum einer Überprüfung zugänglich sein. Solange es an wirksamen Sanktionen fllr den Fall ihrer Verletzung fehlt, werden die Verfahrensgrundsätze des Verwaltungsverfahrensgesetzes de facto nicht durchsetzbar sein79 • Die gerichtliche Kontrolle des Vereinbarten und damit auch die Anwendung der Verfahrensvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes wird schon durch die unzureichende Dokumentation der Abwägungsprozesse und kriterien erschwert80 • Im Einzelfall fllhren die infonnellen Verständigungen zwischen Behörde und Bürger sogar zu Allianzen, die die gefundenen Kompromisse im gerichtlichen Verfahren gegen die als störend empfundenen Angriffe Dritter verteidigen und die Möglichkeiten einer effektiven Rechtsverfolgung durch den Dritten weiter schwächen81 • Die bei umfangreichen Verfahren bestehende Notwendigkeit, das fönnliche Verfahren durch ein nicht zu umfangreiches infonnelles Verfahren vorzubereiten, hat zu dem Vorschlag gefllhrt, neutrale Dritte als Konfliktmittler nach dem in den Vereinigten Staaten entwickelten Konzept einer Konfliktlösung durch Verhandlungen82 einzuschalten oder zwischen verhandelnder und entscheidender Behörde zu trennen, so daß dem infonnellen Verwaltungshandeln der Vorwurf der "Kungelei" erspart bleibe83 • Dies sind indes Vorschläge de lege ferenda. De lege lata ist der Grundsatz des fairen Verfahrens nur beachtet, wenn der Ennessensspielraum der Verwaltung im fönnlichen Verfahren durch die behördliche Duldung und damit einhergehende Vorabsprachen nicht unzulässig verengt84 und die grundrechts-
78 Ho.ffmann-Riem, WDStRL 40 (1982), 224; Bohne, VerwArch 75 (1984), 350 ff.; Robbers, DÖV 1987, 279; Kunig!Rublack, Jura 1990, 6 f.; dagegen Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 97 f.; Ule/Laubinger, Gutachten B zum 52. DJT, B 76; Maurer, AUgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rdn. 20 a.E. 19 Siehe Lübbe-Wol.ff, NuR 1989, 297. 80 Ho.ffmann-Riem, WDStRL 40 (1982), 213; Bauer, VerwArch 78 (1987), 255; kritisch zur Vorverlagerung von Beteiligungsrechten auch Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 268. 81 Bauer, VerwArch 78 (1987), 255; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 96; vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 267. 82 Sog. "negotiation" und "mediation", vgl. dazu Holznagel, MittlerunterstUtzte Aushandlungsprozesse, S. 101 m.w.N. 83 Vgl. Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 97 f. 84 Lange, VerwArch 82 (1991), 15 f.; auch Gentzcke, Informales Verwaltunshandeln, S. 96 f. sieht hierin eine Grenze rechtmäßigen informe11en Verwaltungshandelns.
IV. Verwaltungsrechtliche Bedenken gegen behördliche Outdungen
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geschützte Teilhabe Dritter nicht beeinträchtigt wird. Der Verwaltung muß die Möglichkeit verbleiben, von den ausgehandelten Lösungen abzuweichen. Der Schutz der Beteiligungsrechte Dritter kann dabei durch die Anerkennung rechtlicher Vorwirkungen entsprechend der rechtlichen Betroffenheit nach § 13 Abs. 2 VwVfG gesichert weren85 • Nach der Regelung des § 13 Abs. 2 VwVfG kann die Behörde diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte heranziehen. Ob insoweit eine Information des Dritten über den Gegenstand der informellen Absprache ausreicht, oder ob nicht vielmehr eine Beteiligung des Dritten an der Absprache geboten ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Daneben kann das Ziel der Vollständigkeit behördlichen Entscheidungsmaterials die Anhörung Dritter im Rahmen der vorgeschalteten Konsenstindung gebieten86 • Dem Eindruck der Parteilichkeit kann die Behörde schließlich durch eine neutrale Verhandlungs- und VerfahrensfUhrung vorbeugen87 • Dies ist nur möglich, wenn die Behörde ihren Gemeinwohlauftrag als oberstes Ziel in den Verhandlungen verfolgt. Die Rechte Dritter und damit auch die "Waffengleichheit" zwischen Beteiligten und Genehmigungsbehörden sind schließlich durch das am 16.7.1994 in Kraft getretene Umweltinformationsgesetz gestärkt worden88 • Der durch dieses Gesetz begründete Umweltinformationsanspruch, der jedermann unabhängig von einer rechtlichen Betroffenheit zusteht, verbessert die Transparenz der Verwaltungsvorgänge und -entscheidungen gerade im Bereich des informellen Verwaltungshandelns.
85 Beyer/in, NJW 1987, 2719 ff.; Kunig/Rublack, Jura 1990, 6. Nicht überzeugen kann dagegen die Ansicht Gentzckes, Informales Verwaltungshandeln, S. 99, der es filr ausschlaggebend hält, daß die Einwendungen Drittbetroffener bei der zu treffenden Entscheidung tatsächlich berücksichtigt werden. Werden die Drittbetroffenen über das zu duldende Verhalten nicht informiert, können sie auch keine Einwendungen erheben. Es könnte sich somit allenfalls um hypothetische Einwendungen handeln. Die Beteiligungsrechte haben jedoch den Zweck, den Betroffenen die Möglichkeit zu gewähren, bereits vor Beginn des grundsätzlich verbotenen Verhaltens Einwendungen auch tatsächlich geltend zu machen. Darüber hinaus dient die Einbeziehung Drittbetroffener nicht nur ihrem Schutz, sondern auch der Information der Behörde zur Gewährleistung richtiger Sachentscheidungen. Schließlich wird einem Drittbetroffenen durch die Information über die Sanierungsbedürftikeit einer Anlage im Bereich des Immissionsschutzrechts erst die Möglichkeit eröffnet, gegen die Untätigkeit der Behörde mit einem Antrag oder einer Klage auf Einleitung eines Anordungsverfahrens nach § 17 Abs. l S. 2 BlmSchG vorzugehen. 86 Beyer/in, NJW 1987, 2720 f.; Bauer, VerwArch 78 (1987), 267; Kunig/Rublack, Jura 1990, 6; ähnlich Pfe iffer, Verunreinigung der Luft, S. 105. 87 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 267; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 85; vgl. auch Schulze-Fie/itz, DVBI. 1994, 660. 88 Vgl. zum Umweltinformationsgesetz Turiaux, NJW 1994, 2319 ff.
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
g) Zwischenergebnis
Festzuhalten bleibt, daß sich ein weiter Bereich behördlicher Outdungen in der Grauzone zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bewegt. Das informelle Verwaltungshandeln wird hier zu einer "Gratwanderung in einer Grauzone des Rechts" 89• Die behördliche Duldung eines nicht genehmigten Verhaltens, das grundsätzlich erst nach Durchtllhrung eines :RSrmlichen Genehmigungsverfahrens erlaubt ist, ist jedenfalls ohne die von Verfassungs wegen gebotene Beteiligung Dritter rechtswidrig. Die Behörde kann sich dem gesetzlichen Handlungsauftrag nicht durch informelle Absprachen unter Ausschluß der Anhörungs- und Mitspracheberechtigten entziehen90 • Da Dritte an informellen Absprachen in der Praxis meist nicht beteiligt werden und sich diese Absprachen im Vorfeld :RSrmlicher Genehmigungsverfahren bewegen, dUrfte tllr eine rechtmäßige Duldung nur in sehr seltenen Ausnahmefllllen Raum bleiben. In Betracht kommen hier notstandsähnliche Fälle, in denen ein wesentlich überwiegendes Interesse tllr die Forttllhrung des nicht genehmigten Verhaltens spricht und die Beteiligungsrechte Dritter daher zurücktreten müssen. Regelmäßig ist eine rechtmäßige behördliche Duldung nur in einfachen Genehmigungsverfahren, die keine Beteiligungsrechte Dritter vorsehen, denkbar. Einfache Genehmigigungsverfahren sind allerdings in den strafrechtlich bedeutsamen Bereichen des Verwaltungsrechts nur noch selten anzutreffen.
5. Verstoß gegen den Gleichheitssatz? Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verankert das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit, das eine abstrakte Einheitlichkeit der Entscheidung verlangt91 • Zweifelhaft wird die Einhaltung des Gleichheitssatzes, wenn Konfliktlösungen von allein den Einzelfall bestimmenden Aspekten und nicht von gesetzlich verankerten, über den Einzelfall hinausgehenden Wertungskriterien bestimmt werden92 •
Bauer, VerwArch 78 (1987), 262. So zutreffend Burmeister, WDStRL 52 (1993), 241. Er bezeichnet das Behördenverhalten als "Rechtsfonnmanipulation". Anderer Ansicht ist Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, 89
90
S. 98, der die Beteiligungsrechte erst im anschließenden ftlrmlichen Verwaltungsverfahren berücksichtigen will. 91 Kunig/Rublack, Jura 1990, 10; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 94 f. 92
Kunig/Rublack, Jura 1990, 10; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 94 f.
IV. Verwaltungsrechdiebe Bedenken gegen behördliche Duldungen
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Da es der behördlichen Duldung an strengen gesetzlichen Voraussetzungen mangelt, wie es bei der Erteilung von Ausnahmen und Dispensen der Fall ist, ist der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz in Frage gestellt93 • Auch einem solchen Einwand ist wiederum das das Recht der Gefahrenabwehr beherrschende verwaltungsrechtliche Opportunitätsprinzip entgegenzuhalten. Der Gesetzgeber hat der Verwaltung bewußt einen Handlungsspielraum bei der Durchsetzung gesetzlicher Verbote gelassen, um ihr ein flexibles Handeln zu ermöglichen. Wie bereits aufgezeigt, ist auch eine behördliche Duldung an enge Voraussetzungen gebunden und nur in Ausnahmeflillen verwaltungsrechtlich zulässig. Bedenken gegen die behördliche Duldung unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes bestünden nur, wenn ihre Voraussetzungen weiter gefaßt wären. 6. Zusammenfassung Wie oben bereits angedeutet, betreffen die Einwände, die sich gegen die verwaltungsrechtliche Zulässigkeit der behördlichen Duldung richten, besonders gelagerte Sachverhalte. Aus diesen Sachverhalten aber auf die generelle Unzulässigkeit der behördlichen Duldung zu schließen, wird ihren vielfliltigen Erscheinungsformen nicht gerecht. Insbesondere bewegt sich die behördliche Duldung nicht in einem rechtsfreien Raum94 • Die Duldung ist im Bereich der Gefahrenabwehr eine Konkretisierung rechtlicher Vorgaben und damit rechtmäßig. Soweit sie dagegen das Gesetzesrecht umgeht oder ersetzt, ist sie rechtswidrig. Wie so oft ist daher eine differenzierende Betrachtung erforderlich. Die behördliche Duldung, die sich auf das durch ein materielles Verwaltungsgesetz eingeräumte Ermessen stützen kann, keine spezialgesetzlichen Regelungen umgeht und die Beteilungsrechte Dritter wahrt, ist verwaltungsrechtlich zulässig. Die Duldung umgeht hier nicht das Verwaltungsverfahrensrecht Vielmehr erweitert das materielle Verwaltungsrecht das Verfahrensrecht und ergänzt es um die Handlungsform der behördlichen Duldung. Die Kooperation zwischen Behörde und Bürger und die damit einhergehenden Absprachen dürfen allerdings nicht zum Alibi ftlr das Unterlassen unangenehmer, weil konfliktträchtiger Verwaltungsentscheidungen werden95• Hier
93 Hallwaß, NuR 1987, 299. Allgemein im Hinblick auf informelle Absprachen Brohm, NVwZ 1988, 796. 94 So aber Ha/lwaß, Duldung, S. 40, 45, SO. 95 Schulze-Fielitz, DVBI. 1994, 659.
72
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
sind die Schranken behördlichen Ermessens zu beachten, die im Einzelfall zur Rechtswidrigkeit der behördlichen Duldung filhren können. Auch Überlegungen erhöhter Verwaltungseffizienz können allein eine behördliche Duldung nicht rechtfertigen, wenn dadurch gegen geltendes Recht verstoßen wird. Erwägungen zur Verwaltungseffizienz dürfen nur nach Maßgabe des vorgegebenen verwaltungsrechtlichen Rahmens berücksichtigt werden. Grundsätzliche Bedenken gegen die behördliche Duldung als Ausdruck informellen Verwaltungshandeins ergeben sich weniger aus rechtlichen, sondern vielmehr aus tatsächlichen Erwägungen. Die Kooperation zwischen Behörde und Bürger kann eine Eigendynamik entwickeln, die aufgrund wachsender wechselseitiger Festlegungen zu einer faktischen Beeinträchtigung privater und öffentlicher Interessen filhren kann. Informelles Verwaltungshandeln und damit auch behördliche Duldungen dürfen mithin nicht dazu filhren, daß diese Interessen erst in einem anschließenden förmlichen Verwaltungsverfahren berücksichtigt werden.
V. Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung Bisher wurde ausschließlich die Frage angesprochen, ob die Behörde zur Duldung des nicht genehmigten Verhaltens berechtigt ist. Nunmehr soll die rechtliche Stellung des Duldungsadressaten betrachtet werden. Bewirkt die behördliche Duldung die Legalisierung seines Verhaltens, obwohl eine Genehmigung oder eine vergleichbare förmliche Erlaubnis nicht ausgesprochen ist? Mit dieser Frage ist die Legalisierungswirkung einer behördlichen Duldung angesprochen, die nachfolgend zu untersuchen ist. 1. Zum Begriff der Legalisierungswirkung
Der Begriff der Legalisierungswirkung wurde an der Genehmigung als Verwaltungsakt entwickelt 1• Die Legalisierungswirkung der Genehmigung bedeutet zum einen, daß sich der Genehmigungsinhaber, der im Rahmen der Genehmigung handelt, verwaltungsrechtlich pflichtgemäß, also rechtmäßig verhält. Zum anderen trägt der genehmigungskonform handelnde Genehmigungsinhaber lediglich das Risiko der spezialgesetzlich geregelten Eingriffe. Die ordnungsbehördliche Generalklausel ist daher grundsätzlich nicht anwendbar.
1
PrOVGE 82, 351 (357); BVerwGE 55, 118 (121); Breuer, JuS 1986, 362 f.
V. Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung
73
Die Legalisierungswirkung auch der rechtswidrigen Genehmigung wird aus dem Prinzip der Rechtssicherheit hergeleitet, welches wiederum auf das Rechtsstaatsprinzip zurückzufUhren istl. 2. Begründungsversuche zur Legalisierungswirkung behördlicher Duldung Verbreitet wird die Auffassung vertreten, daß das Opportunitätsprinzip nicht nur die Behörde zur Duldung des genehmigungslosen Verhaltens berechtige, sondern daß darüber hinaus die behördliche Duldung das geduldete Verhalten verwaltungsrechtlich legalisiere3 • Zum Teil wird die Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung allerdings auf Fälle beschränkt, in denen das behördliche Ermessen auf Null beschränkt ist. Insbesondere Randelzhofer/Wilke vertreten unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts4 die Auffassung, daß dem gegen die Behörde gerichteten Verbot des Einschreitens die Befugnis des Bürgers entspreche, seine Tätigkeit bis zu einer endgültigen Entscheidung fortzusetzen 5 • Diese verwaltungsrechtliche Befugnis soll nach Winkelbauer aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgen6 • Auch einer Entscheidung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1957 läßt sich entnehmen, daß die einstweilige Duldung eines nicht genehmigten Verhaltens zu seiner Legalisierung fUhren soW. Bickel begründet die Legalisierungswirkung behördlicher Duldungen mit einer Parallele zu der rechtfertigenden Einwilligung des Verletzten im Strafrecht. Diese Einwilligung sei nicht an bestimmte Formen gebunden, sondern müsse dem Betroffenen nur zugegangen sein8 • Noch weitergehend verzichten
2
Siehe dazu mit weiteren Nachweisen Marx, Behördliche Genehmigung, S. 37.
3
Bickel, Ztw 1979, 146; Dahs/Pape, NStZ 1988, 395 f.; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439; unter Beschränkung aufrechtmäßige Duldungen auch Heine, NJW 1990, 2434; Winke/bauer, JuS 1988, 696; ders., böv 1988, 728; Rudolphi, Festschr. ftlr DUnnebier, S. 570; unklar Kette/er, JuS 1994, 909. 4 E 55, 118 (124).
s Duldung, S . 71; ebenso Drews/Waclce/VogeVMartens, Gefahrenabwehr, S. 387 f.; Winkelbauer, JuS 1988, 696; Fluck, NuR 1990, 199. 6 JuS 1988, 696; DÖV 1988, 728; ebenso Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2438 f.; ähnlich auch Papier, NuR 1986, 6 ("quasilegalisierende Wirkung"); unklar, aber wohl ebenfalls in diese Richtung Roga/1, Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 163 (Fn. 144). 7 BGHZ 55, 180 (186 f.). 8 ZfW 1979, 146; vgl. auch dens., in: Meinberg/Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 268 ff. Auch Dahs/Pape, NStZ 1988, 396 f. vergleichen die behördliche Duldung mit einer konkludenten Einwilligung.
74
C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Dahs/Pape sogar auf den Zugang der Duldungserklärung. Auch eine behördeninterne Duldungsentscheidung soll danach ftlr den Duldungsempflinger verwaltungsrechtlich rechtfertigend wirken9 • Wasmuth!Koch ziehen als Grundlage der Rechtfertigungswirkung einer behördlichen Duldung den Vertrauensgrundsatz heran. Sei das Vertrauen des Bürgers auf die Duldung des nicht genehmigten Verhaltens duch die Behörde schutzwürdig, so zwinge der Vertrauensgrundsatz die Verwaltung, das geduldete Verhalten ftlr die Vergangenheit als rechtmäßig zu behandeln. Es bestehe damit eine genehmigungsähnliche Situation, "die die Rechtmäßigkeit des an sich rechtswidrigen Verhaltens" herbeiftlhre 10• 3. Kritik
Die Auffassung Bickels läßt zunächst unbeachtet, daß die Einwilligung Ausdruck der eigenen Inhaberschaft an einem Rechtsgut ist. Eine Einwilligung ist im öffentlichen Bereich daher nur dort dort denkbar, wo ein Rechtsgut des Staates betroffen ist 11 • Im übrigen hat der Gesetzgeber die Verwaltung ausschließlich mit der Bewirtschaftung des Rechtsguts betraut, so daß die Behörde in eine Beeinträchtigung des Rechtsguts nicht wirksam einwilligen kann12 • Mit dem Verwaltungsakt hat der Gesetzgeber der Verwaltung nur eine rechtliche Handlungsform zur Verftlgung gestellt, durch die sie dem Bürger das begehrte Verhalten erlauben kann. Nur wenn die Voraussetzungen der §§ 54 ff. VwVfG vorliegen, kann die Verwaltung auch durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag das Verhalten genehmigen. Auf anderem Wege kann sie über das verwaltete Rechtsgut nicht verftlgen. Für den Bürger besteht damit das gesetzliche Verbot bis zur Erteilung der behördlichen Genehmigung oder einer anderen gesetzlich vorgegebenen Handlungsform fort. Sein Verhalten bleibt rechtswidrig. Auch die Überlegung, daß die verwaltungsrechtlichen Gesetze primär an die Verwaltung und nur sekundär an den Bürger adressiert seien 13 , kann die Legalisierung des behördlich geduldeten Verhaltens nicht begründen. Zwar werden die verwaltungsrechtlichen Rechte und Pflichten des Bürgers grundsätzlich durch Verwaltungsakte konkretisiert. Soweit die Behörde jedoch
9
Dahs/Pape, NStZ 1988, 396 f.
10
Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439.
11
Marx, Behördliche Genehmigung, S. 153 ff.
12
Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 160; a.A. offenbar Dreher!fröndle, Vor§ 32 Rdn. S.
13
Dazu Breuer, NJW 1988, 2076.
V. Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung
75
untätig geblieben ist, eröffnet sich ein Raum ftlr den Rückgriff auf die verwaltungsrechtlichen Normen. Nur die Verwaltungsgesetze, die auf den behördlichen Vollzug ausgerichtet sind, richten sich ausschließlich an die Behörde. Im Bereich der Erlaubnisvorbehalte ist dagegen der Bürger Adressat der Verbotsnorm und die Behörde Adressat der Aufhebungsbefugnis. Die der Behörde gesetzlich eingeräumte Möglichkeit, auf den Erlaß einer Untersagungsverftlgung zu verzichten, folgt aus dem Opportunitätsprinzip im Bereich der Gefahrenabwehr. Zwischen dem Verzicht auf den Erlaß repressiver Maßnahmen und der Gestattung des Verhaltens ist streng zu unterscheiden14. Während die Gestattung zukunftsorientiert ist, betrifft der Verzicht nur das aktuelle Verhalten des Bürgers und legalisiert es nicht ftlr die Zukunft. Aus der Sicht des Betroffenen besteht lediglich die mehr oder weniger begründete Hoffnung, auch ftlr die Zukunft unbehelligt zu bleiben. Die Behörde bleibt gleichwohl weiterhin berechtigt, mittels Untersagungsverftlgung einzuschreiten. Es entspricht daher bisher allgemeiner Auffassung, daß von informellen Absprachen im Verwaltungsrecht keinerlei unmittelbare Rechtswirkungen ausgehen, da sie anderenfalls als Vertrag zu interpretieren wllren15. Auch ein Blick auf die Regelung des Ausländergesetzes zur Duldung spricht gegen die Legalisierungswirkung einer behördlichen Duldung. In den Fällen einer Duldung nach den §§ 55 f. AuslG bleibt das geduldete Verhalten ebenfalls rechtswidrig. Gemäß § 56 Abs. l AuslG ist der Ausländer trotz der behördlichen Duldung seines Aufenthalts zur Ausreise verpflichtet. Obwohl die ausländerrechtliche Duldung aufgrund ihres Regelungscharakters ein Verwaltungsakt ist, kann sie den Aufenthalt des Ausländers mithin nicht legalisieren16. Die behördliche Duldung bewirkt nicht die verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeit des Verhaltens 17 • Das gesetzlich begründete Verbot besteht ftlr den
14 So auch Bohne, VerwArch 1984, 298; Wol.f!/Bachoj/Stober, VerwR I. §57 Rdn. 19; Hallwaß, Duldung, S. 21 f.; ders., NuR 1987, 298; Möhrenschlager, in: Meinberg/Möhrenschlagerl Link, Umweltstrafrecht, S. 43; Ziehm, Störerverantwortlichkeit, S. 36 f. 15 Vgl. nur Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 250; Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 57 Rdn. 15; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rdn. 19. 16 BVerwG, Buchholz 402.24, Nr. 1 zu§ 17 AusiG a.F.; Kanein/Renner, AusiR, §56 AusiG Rdn. 2; Hermes/Wie/and, Duldung, S. 49; Huber, Hdb AusländerR, 100.1 D, Zu §56. Anderer Ansicht sind - allerdings ohne Begründung - Hailbronner, Aus1änderR, Rdn. 689; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 64 Oeweils zu § 17 AusiG a.F.). 17 So im Ergebnis auch Hermes/Wieland, Duldung, S. 44.; Papier, in: Krebs/0/diges/ Papier, Gewllsserschutz, S. 66; Breuer, NJW 1988, 2082; ders. , AöR 115 (1990), 465; Schönke/Schröder-Lenckner, Vor§ 32 Rdn. 63a; ftlr den Bereich des WHG ebenso Czychowski, in: Meinbergl Möhrenschlager/ Link, Umweltstrafrecht, S. 25; Odersky, in: Festschr. ftlr Tröndle, S. 303; Alleweldt, NuR 1992, 316 f.; Kuhlen, WiVerw 1992, 271 f.; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 68 f.; BirkVSchenk, Nachbarschutz, F-Rdn. 160.
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C. Behördliche Duldung und Verwaltungsrecht
Bürger bis zu der Erteilung der behördlichen Genehmigung fort, da es nur in dieser gesetzlich vorgesehenen Form aufgehoben werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, daß ein nicht genehmigtes Verhalten in jedem Fall behördlicher Duldung verwaltungsrechtlich rechtswidrig ist. Unabhängig von einer behördlichen Duldung kann das nicht genehmigte Verhalten aufgrund einer Notstandssituation verwaltungsrechtlich zulässig und damit rechtmäßig sein. Das dem Notstand zugrunde liegende Prinzip des überwiegenden Interesses ist ein übergeordnetes Rechtsprinzip, das auch im Verwaltungsrecht zu berücksichtigen ist. Im Bereich des Wasserrechts hat es in § 32 Abs. I LWG NW und in Art. 25 BayWG Berücksichtigung gefunden. Es war zunächst auch in dem bundesgesetzliehen Entwurf zu § 20 WHG vorgesehen, ist jedoch unter Hinweis auf den ungeschriebenen Rechtsgrundsatz "necessitas non habet Iegern" gestrichen worden 18. Zulässig sind danach das Einleiten von Abwasser nach starken Regenfllllen und beim Auspumpen von Kellern oder das Einleiten von ungeklärtem Abwasser während der Ausbesserungsarbeiten bei dem unvorhergesehenen Betriebsausfall einer Kläranlage19. Das Notstandsprinzip des überwiegenden Interesses gilt aber auch in anderen Ländern als Gewohnheitsrechtl0 und ist auf andere Gebiete des Verwaltungsrechts übertragbar1. Praktische Bedeutung wird es vorwiegend im Bereich des WHG erlangen, da Abwasser, soweit es in großen Mengen anfllllt, nicht durch Abtransport, sondern nur durch direkte oder indirekte Einleitung entsorgt werden kann. So ist bei dem Ausfall einer Kläranlage die Einleitung von ungeklärtem Abwasser die einzige Möglichkeit, den Bewohnern der angeschlossenen Häuser ein Weiterwohnen zu ermöglichen22 • Dagegen wird es im Bereich des Abfallrechts immrner möglich und zurnutbar sein, die Abflllle in eine ftlr die Entsorgung zugelassene Anlage zu verbringen23 • Dieses Ergebnis ist der Auffassung Randelzhofer/Wilkes vergleichbar, wonach die behördliche Duldung nur in den Fällen gebundener Verwaltung legalisierend wirken soll. Allerdings ist es nicht die behördliche Duldung, die
18 Vgl. dazu Broschei, in: Wasthoff/Kumpf, HDW, D 711 E, § 32 LWG NW Rdn. 2. 19 Honert/Rattgers, LWG NW, § 32 Anm. I; Broschei, in: Wasthoff/Kumpf, HDW, D 711
E, § 32 LWG NW, Rdn. 3; Gieseke/Wiedemann/ Czychowski, WHG, § 2 Rdn. 20. 20 Siehe Gieseke!Wiedemann!Czychowski, WHG, § 2 Rdn. 20; Sieder/Zeitler!Dahme, WHG, § 2 Rdn. 7. 21 Auch im Bereich des Immissionsschutzrechts hat es in der Nr. 2.24 der TA-Lärm Berücksichtigung gefunden; vgl. dazu Bethge/Meurers, TA Lärm, B 2.24 Rdn. 16; Fe/dhaus, in: Feldhaus, BlmSchR, Nr. 2.24 TALärm. 22 So Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 74 f., allerdings mit Blick auf die "aktive" Duldung. 23
Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 75.
V. Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung
77
das gesetzliche Verbot im Ausnahmefall außer Kraft setzt, sondern vielmehr das überwiegende Interesse an der Fortfilhrung des nicht genehmigten Verhaltens. Ein behördliches Ermessen zum Erlaß einer Untersagungsverfilgung ist hier nicht eröffnet, weil es bereits an der gesetzlichen Voraussetzung einer Eingriffsbefugnis der Behörde, nämlich einem rechtswidrigen Verhalten des Bürgers, fehlt. Im Bereich des Wasserrechts hat der Bürger eine Erlaubnis oder Bewilligung allerdings unverzüglich zu beantragen, wenn die Maßnahme weiter bestehen bleiben soll24 • Das nicht genehmigte Verhalten ist ftlr diesen Zeitraum unabhängig von einer behördlichen Duldung rechtmäßig.
24
So § 24 BlnWG, sowie Gieseke/Wiedemannl Czychowski, WHG, § 2 Rdn. 20.
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung Die strafrechtlichen Voraussetzungen der genehmigungsgleichen Wirkung einer behördlichen Duldung können sinnvollerweise nur aus den Strukturprinzipien der Genehmigung, deren Erlangung die Duldung im Regelfall dienen soll, abgeleitet werden. Der Duldung muß, um legalisierend wirken zu können, eine der förmlichen Genehmigung vergleichbare Funktion zukommen. Daher ist an dieser Stelle - in der hier gebotenen Kürze1 - auf die behördliche Genehmigung einzugehen.
I. Entwicklung der Verwaltungsakzessorietät Die Auswirkungen einer behördlichen Genehmigung im Bereich des Strafrechts, die in der Regel auf einem Verwaltungsakt i.S. des § 35 VwVfG beruht, sind vor dem Hintergrund der verwaltungsrechtlichen Akzessorietät des (Umwelt-) Strafrechts zu beurteilen. 1. Umfang der Verwaltungsakzessorietät Anders als die Rechtsgüter Leib und Leben, Eigentum und Vermögen werden die durch die verwaltungsakzessorischen Tatbestände unmittelbar oder mittelbar geschützten Rechtsgüter nicht allein durch das Strafrecht, sondern auch durch das Verwaltungsrecht vor potentiellen Angreifern geschützt. Die dadurch entstehende Konkurrenz zwischen Umweltbehörden und Strafverfolgungsbehörden mußte der Gesetzgeber angesichts des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung auflösen. Zu diesem Zweck griff er im wesentlichen auf die behördliche Genehmigung zurück, die die besondere Kompetenz der Verwaltung zur Bewirtschaftung eines Rechtsguts ausdrückt. Wie bereits festgestellt, unterscheidet sie sich damit von der Einwilligung, die die Inhaberschaft eines Rechtsguts voraussetzf. 1 Vgl. ausruhrlieh zur Genehmigung im Strafrecht Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 160 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner, Vor§ 32 Rdn. 61 tf.; Marx, Behördliche Genehmigung, passim; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 25 ff., S. 119 ff.; Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietllt, passim. 2 Siehe oben C V 3. Vgl. weiter Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 26 f.; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 160 m.w.N. A.A. Bickel, ZfW 1979, 146; Dreherfl'röndle, Vor§ 32 Rdn. 6, wonach der
privatrechtliehen Einwilligung im öffentlichen Bereich die behördliche Genehmigung (Erlaubnis) entspreche.
I. Entwicklung der Verwaltungsakzessorietät
79
Bis zu dem 18. StRÄndG vom 28.3.1980 waren die Strafvorschriften, die ein behördlich verwaltetes Rechtsgut schützen, den verwaltungsrechtlichen Vorschriften in einem besonderen Abschnitt unmittelbar angegliedere. Diese Regelungstechnik trug dem engen Zusammenhang mit den verwaltungsrechtlichen Normen Rechnung. Durch das 18. StRÄndG hat der Gesetzgeber diesen gesetzessystematisch gebotenen engen Zusammenhang durch die Herausnahme bestimmter Straftatbestände aus dem Nebenstrafrecht in das StGB aufgehoben4 • Es bekannte sich zu einem ökologisch-anthropozentrischen Schutzgut, indem es sich zum Schutz des Lebensraums und der natUrliehen Lebensgrundlagen des Menschen verpflichtete. Der strafrechtliche Umweltschutz sollte nach der GesetzesbegrUndung "auch den Schutz elementarer Lebensgrundlagen wie Luft, Wasser und Boden als Bestandteile des menschlichen Lebensraums einbeziehen und solche ökologischen SchutzgUter auch als RechtsgUter anerkennen"5• Das verwaltungsakzessorische Strafrecht knüpft, anders als die traditionellen Bereiche des Strafrechts, nicht unmittelbar an ein generell zu mißbilligendes menschliches Verhalten an. So ist der "Gebrauch" der Umweltmedien grundsätzlich weder strafbar noch verboten, sondern weitgehend lebensnotwendig. Erst besondere Umstände, die durch verwaltungsbehördliche Gebote oder Genehmigungspflichten festgelegt werden, begrUnden die Strafbarkeit eines Verhaltens6 • Anknüpfungspunkt der Strafuorm ist daher immer ein Verhalten der Exekutive. Der Gesetzgeber regelt hier nur noch die allgemeinen Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit einer Gutsbeinträchtigung, während die Konkretisierung im Einzelfall der Behörde Oberlassen bleibt. Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts hat der Gesetzgeber letztmals durch die Einftlhrung der Nr. 4 des § 330d StGB deutlich gemacht. Die §§ 311d, 324a, 325, 325a und 328 StGB knüpfen die Strafbarkeit an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten an. Eine verwaltungsrechtliche Pflicht wird durch § 330d Nr. 4 StGB nunmehr als Pflicht definiert, die sich aus einer Rechtsvorschrift, einer gerichtlichen Entscheidung, einem vollziehbaren Verwaltungsakt, einer vollziehbaren Auflage oder einem öffentlichrechliehen Vertrag ergibt'.
3
Vgl. Steindorf, LK, Vor§ 324 Rdn. 1.
Kritisch daher Steindorf, LK, Vor § 324 Rdn. 4; Laclcner, Vor § 324 Rdn. 3; Schiinkel Schr&ler-Cramer, Vor§ 324 Rdn. 4; Dreherffröndle, Vor§ 324 Rdn. 4 a.E.; Nadler, JZ 1977, 297; Lenzen, JR 1980, 137; Heinz, NStZ 1981, 254. Grundsatzliehe Kritik an der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts findet sich bei Herzog, Strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 141 ff. 5 BT-Drs. 812382, S. 9 f. 6 Vgl. Breuer, DÖV 1987, 169; DaiWRedeker, DVBI. 1988, 804 f. 1 Siehe dazu Möhrenschlager, NStZ 1994, 515. 4
80
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung
2. Verwaltungsaktakzessorietät
Grundsätzlich werden die strafrechtlich relevanten Vorschriften des materiellen Verwaltungsrechts durch Verwaltungsakte konkretisiert, die im Einzelfall die verwaltungsrechtlichen Pflichten oder Befugnisse des Adressaten festlegen. Verweist der Straftatbestand auf einen Verwaltungsakt8 , so ist er verwaltungsaktakzessorisch. Die Verwaltungsaktakzessorietät schränkt die Möglichkeiten des strafrechtlichen Schutzes stark ein, legt die Vermutung nahe, daß reiner Verwaltungsungehorsam bestraft würde9 und ist im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) verfassungsrechtlich bedenkicb 10• Eine Verwaltungsrechtsakzessorietät ist dagegen gegeben, wenn das Strafgesetz ausdrUcklieh oder stillschweigend auf verwaltungsrechtliche Normen verweist11 • Am Beispiel des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB zeigt sich, daß beide Regelungstechniken miteinander verknüpft sein können. Daneben bezeichnen nahezu alle Gesetze zum Schutze der Umwelt einen Katalog von Verhaltensweisen, die als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können 12 • Die Abstimmung mit den Straftatbeständen des Kernstrafrechts ist hier nicht immer erfolgt und wird noch immer vernachlässigt13 • Die Herauslösung einzelner Straftatbestände aus dem Nebenstrafrecht fUhrte weiterhin zu einer umständlichen und schwer lesbaren Formulierung der in das Kernstrafrecht übernommenen Straftatbestände. Der Reform ist indes zugute zu halten, daß sie eine intensivere Auseinandersetzung mit der Regelungsmaterie bewirkt hat, so daß die strafrechtlichen Umweltsünden kein "Schattendasein" mehr fristen 14 •
8 Z.B. "ohne behördliche Erlaubnis" (§§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1 StGB); "ohne Genehmigung" (§ 16 Abs. 1 lit. a KulturSchG, § 34 Abs. 1 S. 1 AWG; § 22a Abs. 1 KriegswaffenG); "unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" (§ 325 Abs. I StGB); "außerhalb einer zugelassenen Anlage" (§ 326 Abs. 1 StGB); "ohne die erforderliche Genehmigung oder Planfeststellung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung" (§ 327 Abs. 2 StGB). 9 Dazu noch unten unter F II 2 b.
10 Lackner, § 324 Rdn. 3; Dreher!Tröndle, Vor § 324 Rdn. 4a. Das BVertG hat in E 75, 329 (346), (ergangen auf den Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des AG Nördlingen vom 22.10.1985, abgedruckt in NStZ 1986, 315 m. Anm. Meinberg = UPR 1986, 274) den verwaltungsaktakzessorischen Straftatbestand des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB filr verfassungsgemäß erklärt, weil weder Bedenken hinsichtlich der Beachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes noch hinsichtlich der hinreichenden Bestimmtheit des Gesetzes bestünden. II · Breuer, NJW 1988, 2078; ders., JZ 1994, 1083. Vgl. auch BVerfGE 75, 329 (343 ff.) zur verwaltungsrechtsakzessorischen Seite des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB ("genehmigungsbedUrftige Anlage" i.S. des BlmSchG bezieht sich auf die §§ 4 Abs. I, 15 Abs. 1 S. 1 BlmSchG). 12 So z.B. § 18 AbfG, § 41 WHG, § 62 BlmSchG, § 46 AtomG, § 30 BNatSchG. 13 Vgl. nur den neuen § 330d Nr. 5 StGB und § 41 Abs. I Nr. 7c WHG. 14 Seier, JA 1985, 24. Kritische Anmerkungen zum heutigen Umweltstrafrecht dagegen bei Herzog, Strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 141 ff.
li. Die behördliche Genehmigung
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II. Die behördliche Genehmigung Im Zusammenhang mit der behördlichen Duldung strafrechtlich relevanten Verhaltens sind nur die Verwaltungsakte bedeutsam, die verwaltungsrecht· liche Befugnisse festlegen 1• Solche Verwaltungsakte, die als (behördliche) "Genehmigung", "Gestattung", "Bewilligung", "Zulassung", "Konzession" oder "Erlaubnis" bezeichnet werden2 , befreien entweder von einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (formelles Verbot) oder einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt (formelles und materielles Verbot). Gemeinsam ist ihnen, daß das verbotene Verhalten durch die Genehmigung erlaubt wird. Die Verwaltung bestätigt mit ihrem Erlaß, daß das geplante Vorhaben allen gesetzlichen Vorgaben entspricht, so daß der Staat die in dieser Hinsicht bestehenden Risiken übernimmt und den Genehmigungsempfänger ganz oder teilweise entlastet (Legalisierungswirkung). Erlaubnis- und Verbotsvorbehalt sind dem klassischen ordnungsrechtlichen Instrumentarium zuzurechnen. Anders als die Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt, die nur eine nachträgliche Kontrolle mit etwaigem Verbot ermöglicht, verbietet der Erlaubnisvorbehalt bestimmte Tätigkeiten vor der behördlichen Prüfung und Erlaubnis3 • 1. Das präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt
Das präventive Verbot drückt nicht die grundsätzliche gesetzliche Mißbilligung des erlaubnispflichtigen Verhaltens aus, sondern ist eine gebundene Erlaubnis, die bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erteilt werden muß und auf die ein Rechtsanspruch besteht4 • Das Vorhaben oder das Verhalten soll nicht grundsätzlich verhindert werden. Angesichts einer bestehenden Gefahrentendenz prüft die Behörde vielmehr präventiv, ob das beantragte Vorhaben mit den materiell-rechtlichen Vorgaben des Verwaltungsrechts zu vereinbaren ist.
1 Daher ist im Rahmen dieser Arbeit nicht auf solche Verwaltungsakte einzugehen, die verwaltungsrechtliche Pflichten festlegen. 2 Ohne daß die unterschiedliche Bezeichnung einen sachlichen Unterschied zum Ausdruck bringt, vgl. Kloepfer, Umweltrecht § 4 Rdn. 43; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 20; Kette/er, JuS 1994, 827. 3 Kloepfer, Umweltrecht § 4 Rdn. 37. Der Erlaubnisvorbehalt wird auch als Kontrollerlaubnis bezeichnet, vgl. Ketteler, JuS 1994, 827. 4 Std. Rspr. d. BVerfG, vgl. E 8, 71 (76); 20, 150 (158); 41, 378 (399); 49, 89 (145); sowie Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 698; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdn. 51; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 45; Kette/er/Kippels, Umweltrecht, S. 101; Hoppe/ Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 25.
6 Malitz
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung
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Das präventive Verbot wird erst dann zum materiellen Verbot, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Im übrigen handelt es sich lediglich um eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" der Behörde5• Beispiele ftlr Genehmigungen, denen ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zugrunde liegt, sind die außenwirtschaftliche Genehmigung nach § 3 Abs. 1 S. 1 AWG, die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung nach den §§ 4 ff. BlmSchG und die Einsammlungs-und Beförderungsgenehmigung nach § 12 AbfG. a) Gefahrenabwehr
Die Einftlhrung präventiver Verbote steht, da grundrechtsrelevante Bereiche berührt sind, nicht im Belieben des Gesetzgebers. Erforderlich ist stets, daß durch die behördliche Prüfung legitime öffentliche Interessen gewahrt werden6, da anderenfalls zur Wahrung der Kontrollinteressen auch eine Anmeldepflicht in Verbindung mit einem Verbotsvorbehalt genügen würde. Ohne gewichtige Gefahren oder Belange des Allgemeinwohls, die eine solche Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit rechtfertigen können, verstößt ein präventives Verbot gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Als legitimes öffentliches Interesse kommt insbesondere die Kontrolle der mit der verbotenen Handlung regelmäßig einhergehenden abstrakten Gefahr in Betracht, die sich in einer konkreten Rechtsgutsgefllhrdung oder-verletzungniederschlagen kann7 • b) Das Vorsorgeprinzip
Darüber hinaus wird die Kontrolle im Bereich des Umweltrechts auch durch das sogenannte "Vorsorgeprinzip" legitimiert•. Danach erstreckt sich die Kontrolle nicht allein auf bereits greifbare Gefahren, die den verwalteten Umweltgütern drohen. Das Vorsorgeprinzip setzt bereits im Vorfeld der Gefahr an und hat seinen ausdrücklichen gesetzlichen Niederschlag in den § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG, § 5 Abs. I Nr. 2 BlmSchG sowie § I UVPG gefunden. Aber auch die Regelungen des Wasserhaushaltsgesetzes, des Abfallgesetzes,
5 Kloepfer,
Umweltrecht, § 4 Rdn. 45. Std. Rspr. des BVerfU seit E 2, 266 (274 ff.); 8, 71 (76). 7 So auch Brauer, Genehmigungsßlhigkeit, S. 87 f.; D61/ing, ZRP 1988, 335. 1 Zu dem das Umweltrecht beherrschenden Vorsorgeprinzip siehe Send/er, JuS 1983, 256 f.; Kette/er/Kippe/s, Umweltrecht, S. 79 f.; Schmidt, DÖV 1994, 752 ff. 6
II. Die behördliche Genehmigung
83
des Naturschutzrechts und des Chemikalienrechts werden durch das Vorsorgeprinzip beeinflußt9 • Das erhebliche Gefllhrdungspotential vieler verwaltungsrechtlich verbotener Handlungen erlaubt es nur, sie erst nach behördlicher Kontrolle und Bestätigung ihrer Unbedenklichkeit zuzulassen. Der Kontrolle können daher auch solche Schadensmöglichkeiten unterliegen, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotential" besteht10• Dennoch sind Gefahrenabwehr und Vorsorge keine Gegensätze, sondern tatsächlich unterschiedliche Stufen der Risikobewertung11 . In den angesprochenen Bereichen wird die Genehmigung nur erteilt, wenn feststeht, daß die abstrakte Gefahr der Rechtsgutverletzung oder ein Gefahrenverdacht im zu beurteilenden Einzelfall nicht bestehen. Infolgedessen muß der Antragsteller auch hinsichtlich solcher Schadenswahrscheinlichkeiten Schutzmaßnahmen treffen, die nur anband theoretischer Überlegungen und Berechnungen in Betracht zu ziehen sind, um Risiken aufgrund noch bestehender Unsicherheiten oder Wissenslücken hinreichend zuverlässig auszuschließen12. Gerade im Anwendungsbereich des Vorsorgeprinzips kann von einem bloßen Verwaltungsungehorsam bei Nichtbeachtung des Genehmigungserfordernisses nicht gesprochen werden, obwohl ihm lediglich ein präventives Verbot zugrunde liegt. Vielmehr geht es hier um sehr gewichtige Ordnungs-, Sicherheits- und Kontrollinteressen, deren Beachtung ein elementares Interesse der Allgemeinheit sein muß 13 • 2. Das repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt Dem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt liegen dagegen gesetzlich als sozialschädlich oder sonst unerwünscht eingestufte Vorhaben oder Verhaltensweisen zugrunde, die das Gesetz nur in besonderen, atypisch gelagerten Fällen zuläßti 4 • Die regelmäßig in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde
Vgl. Schmidt, DÖV 1994, 755. So ausdrUcklieh BVerwG, NVwZ 1986, 208 (212) zu § 7 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § I Nr. 2 AtomG. 11 Vgl. Schmidt, DÖV 1994, 753. 12 Vgl. Ketteler/Kippels, Umweltrecht, S. 80. 13 Siehe Rengier, ZStW 101 (1989), 880 f. 14 Wolff/Bachoj!Stober, VerwR I, § 46 Rdn. 44; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 9
10
6*
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung
84
gestellte Genehmigung ist hier die Ausnahme von einem generellen Verbot15 • Insoweit hat der Bürger keinen Rechtsanspruch auf die Erlaubnis, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Beispiele ftlr repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt sind die außenwirtschaftliche Genehmigung nach § 3 Abs. 1 S. 2 A WG, die waffenrechtliche Erlaubnis nach den §§ 7, 28 Abs. 1 S. 1, 29 Abs. 1 S. I, 35 Abs. I S. I WaffG, die Zulassung öffentlicher Spielbanken nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken vom 14.7.1933 sowie die wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7 WHG und Bewilligung nach § 8 WHG. Die Unterscheidung zwischen präventiven und repressiven Verboten wird verwaltungsrechtlich nicht strikt eingehalten. So finden sich Mischformen wie die atomrechtliche Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG, die sowohl ein präventives Verbot als auch ein thematisch begrenztes Versagungsermessen beinhaltetl 6 • Zudem ist die Unterscheidung von präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt nicht deckungsgleich mit der Differenzierung zwischen gebundenen und Ermessensentscheidungen. An der Begriffsbildung, also der Unterscheidung von präventiven und repressiven Verboten, wird vereinzelt Kritik geübt, da auch genehmigte Umweltbeeinträchtigungen schwerlich als sozial erwünscht angesehen werden könnten. Auch die Gesetzestechnik sei mit dieser BegrUndung kaum nachvollziehbar17. So erschließe sich beispielsweise die Differenzierung zwischen einer generell erlaubten L1,1ftverschmutzung durch Industrieanlagen und einer gernerell mißbilligten Gewässerverunreinigung auf diesem Wege nicht18 • Es wird daher vorgeschlagen, nicht auf die soziale Adäquanz, sondern auf das Ausmaß der gewünschten Gesetzesbindung abzustellen. Hier könne der Gedanke der Rechtssicherheit und damit auch der Investitionssicherheit (BimSchG) von Bedeutung sein 19•
Rdn. 55; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 46; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 26; Kette/er, JuS 1994, 827. 15 OVG Münster, GewArch 1968, 89 (90); Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 46. 16 BVerfGE 49, 89 (146 f.); Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 47; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 27. 17 Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 44 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 48; siehe auch Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 27.. 18 Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 27. 19
Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 48.
II. Die behördliche Genehmigung
85
3. Zur Übernahme dieser Differenzierung in das Strafrecht Überwiegend werden die verwaltungsrechtlichen Begriffe des präventiven und repressiven Verbots in das Strafrecht übernommen. Die Genehmigung eines Verhaltens, dem ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zugrunde liegt, soll bereits den Tatbestand ausschließen20• Dagegen wirke die Genehmigung eines Verhaltens, dem ein repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zugrunde liegt, erst rechtfertigend21 • Die rechtfertigende Genehmigung wird teilweise dem Rechtfertigungsprinzip des tlberwiegenden22, teilweise dem des weichenden Interesses23 zugeordnet. Der Abgrenzung zwischen präventivem und repressivem Verbot entspricht im Ergebnis die Auffassung, die nach sozial nützlichen, wenn auch geflihrlichen Tätigkeiten (dann tatbestandsausschließende Wirkung der Genehmigung) und a11enfa11s wertneutralen und eine Interessenahwägung erfordernden Tätigkeiten (dann rechtfertigende Wirkung) unterscheidef4 • 4. Abweichende Ansichten Die Übernahme dieser verwaltungsrechtlichen Begriffe als Vorgaben ftlr die Einordnung der Genehmigung in den Deliktsaufbau wird kritisiert. Die Einwände sollen nachfolgend kurz dargestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. a) Zur Ansicht von Winkelbauer
Auch Winkelbauer orientiert sich im Grundsatz an der verwaltungsrechtlichen Differenzierung zwischen präventiven und repressiven Verboten. Weitergehend ordnet er allerdings auch einen Teil der repressiven Verbote mit Befreiungsvorbehalt (§§ 98, 99, 324, 331 StGB, § 16 KWKG) den tatbestandsausschließenden Genehmigungen zu25 • Derartige Genehmigungen sollen
20 Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 160; Schönfrei Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 61; Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 44; grundsätzlich auch Rengier, ZStW 101 (1989), 878; Jakobs, StratR AT, 16129. 21 Anders insoweit Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 236 f. 22 Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 160; Jescheck, StratR AT, § 33 VI 3; Jakobs, StratR AT, 16129; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 27. 23 Schönke/Schröder-Lenckner, Vor§ 32 Rdn. 28; Dreherffröndle, Vor§ 32 Rdn. 5. 24 Jescheck, StratR AT, § 33 VI 2 f.; Goldmann, Genehmigung, S. 93 ff., 128 ff.
25 Winke/bauer, NStZ 1988, 202 f.; anders noch ders., in: Verwaltungsakzessorietat, S. 64 f. Zustimmend Roxin, StratR AT,§ 17 Rdn. 45.
86
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung
entgegen der gesetzlichen Typisierung bereits das tatbestandlieh geschützte Rechtsgut nicht beeinträchtigen. Die behördliche Genehmigung schränke hier nur den zu weit gefaßten Tatbestand ein26• Rechtfertigende Wirkung habe die Genehmigung dagegen dort, wo "ein an und ftlr sich schädliches und unerwünschtes Verhalten um überwiegender anderer Interessen willen" in Kauf genommen wird27• Als Beispiel ftlr eine rechtfertigende Genehmigung zeigt Roxin im Anschluß an Winkelbauer den Straftatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 3, 3a WaffG auf8 • Nach seiner Auffassung soll der private Waffenbesitz immer "eine gewisse Gefahr" begründen. Würde er konsequent der Ansicht Winkelbauers folgen, müßte er sich auch bei diesem Straftatbestand die Frage stellen, ob die Waffe in der Hand einer absolut zuverlässigen Person an einem absolut sicheren und vor dem Zugriff Dritter geschützten Platz noch eine Gefahr (ftlr wen?) darstellen kann. Daran schließt sich der Einwand an, daß die Stellung der behördlichen Genehmigung als Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund wohl kaum von einer Einzelfallbeurteilung abhängig gemacht werden kann. Auch ist es grundsätzlich zweifelhaft, ob es in den riskanten Bereichen der Ausnahmegenehmigungen überhaupt eine Ungeflihrlichkeit ohne behördliche Kontrolle geben kann29• Behördliche Genehmigungen im Bereich repressiver Verbote sind daher sämtlich den Rechtfertigungsgründen zuzuordnen. b) Zur Konzeption von Frisch
Einen völlig anderen Weg wählt neuerdings Frisch. Ausgehend von einem "normativen Rechtsgutverständnis des kompetenten Gesetzgebers der Primärordnung"30 stellt er im Hinblick auf die Frage des verwirklichten strafrechtlichen Unrechts nicht auf die Genehmigung, sondern auf die gesetzliche Vorentscheidung ftlr die "fehlende materiale Unwertigkeit" des Verhaltens ab. Die Genehmigung gewinne nur dort an Bedeutung ftlr das Unwerturteil, wo das Verbot auch dem Schutz von Kontroll-, Informations-, Dispositions- und Koordinationsinteressen der Behörde diene31 . Verhaltensweisen, die im Inter-
26
Winke/bauer, NStZ 1988, 203; Roxin, StratR AT, § 17 Rdn. 45.
27
Roxin, StratR AT, § 17 Rdn. 46.
28
StratR AT, § 17 Rdn. 46.
29
Vgl. Jakobs, StratR AT, 16/29 a.E.
°Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 41.
3
31 Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 43. Ähnlich Ga/onska, Amtsdelikte, S. 30 ff., der weitergehend stets auf die gesetzliche Vorentscheidung abstellt.
II. Die behördliche Genehmigung
87
esse der Handlungsfreiheit im weitesten Sinne erlaubt sind, sollen dagegen nicht tatbestandsmäßig sein. Dies betreffe auch den Bereich der Ermessensverwaltung, die ebenfalls nur dem Ziel diene, die wenigen Verhaltensweisen, die nicht im Interesse der Handlungsfreiheit erlaubt sind, abzuschichten32 . Tatbestandsmäßig - und damit erst auf der Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen - sollen die Verhaltensweisen sein, ftlr die mit Blick auf überwiegende Sonderinteressen nur in Ausnahmefllllen eine Genehmigung erteilt werden kann33 . Ausgehend von der "Personalität des Unrechts" soll nach Frisch aber auch im letzteren Fall nur dann das tatbestandliehe Unrecht verwirklicht sein, wenn der Bürger der zwischengeschaltenen Behördenentscheidung ausnahmsweise nicht mehr folgen da:rf94 • Frisch entnimmt demnach dem Verwaltungsakt das Element des Vernauensschutzes und ordnet es dem Tatbestand als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal zu. Darüber hinaus soll die Genehmigung unter dem ftlr das Strafrecht maßgeblichen Aspekt der Verhaltensorientierung irrelevant sein35 . Ein Verhalten verwirklicht nach seiner Auffassung daher den Straftatbestand36, wenn - das durch das materielle Verwaltungsrecht geschützte Rechtsgut verletzt ist, und - die dem Verhalten des Bürgers gegenüber dem Rechtsgut zwischengeschaltete, der Verhaltenseinrichtung dienende Behördenentscheidung mißachtet wurde. Letztere Voraussetzung soll insbesondere dann erftlllt sein, wenn sich der Genehmigungsinhaber nicht auf den Vertrauensschutz berufen kann, weil er der Genehmigung nicht im Vertrauen auf ihre "Richtigkeit" (oder ohne darüber zu reflektieren) nachlebtl7 • Fehlt eine der beiden oben genannten Voraussetzungen, ist der Täter nach Frisch nur wegen Versuchs strafb~ 8 • Sein Modell sieht sich zunächst der Frage ausgesetzt, weshalb ein nur verwaltungsrechtlich geschütztes Rechtsgut bis zur Rücknahme der Genehmigung beeinträchtigt werden darf, wahrend dies bei dem - auch - strafrechtlich
Frisch, Verwaltungsakzessorietlll, S. 49 f. Frisch, Verwaltungsakzessorietlll, S. SO. 34 Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 65. 35 Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 96 f. 36 Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 95 f. 37 Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 73, 87, 95, 110 ff. 32
33
38
Verwaltungsakzessorietllt, S. 76.
D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung
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geschützten Rechtsgut nicht der Fall ist. Verwaltungs- und Strafrecht würden gerade in einem Bereich auseinanderfallen, der eindeutig verwaltungsakzessorisch ausgestaltet ist: dem Bereich des formellen Verwaltungshandelns. Frisch versucht diesem Einwand dadurch zu entgehen, daß er § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG mit der Möglichkeit der ex-tunc-Rücknahme der Genehmigung den Regelungsgehalt entnimmt, daß der Begünstigte sein Verhalten nicht risikolos nach dem Verwaltungsakt einrichten dürfe39 • Daher stehe die Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG seinem Modell nicht entgegen. Unterschiedliche Entscheidungen des Strafrichters und der Verwaltungsbehörde/des Verwaltungsgerichts müßten hingenommen werden und seien auch sonst möglich40 • Obwohl Frisch den Vertretern abw. Ansichten die Verwendung von Topoi vorwirft41 , verwendet er doch selber sprachliche Gemeinplätze. Bei seiner weitgehend oberflächlichen Betrachtung der verwaltungsrechtlichen Vorgaben übersieht er unter anderem, daß auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne gemäß § 48 IV 1 VwVfG nicht mehr zurücknehmbar ist42 • Dem und auch einer ermessensfehlerfreien Entscheidung der Behörde, den rechtswidrigen Verwaltungsakt nicht zurückzunehmen, will Frisch allenfalls im Hinblick auf das zukünftige Verhalten Rechnung tragen. Einer Rücknahme des Verwaltungsakts als objektiver Bedingung der Strafbarkeit bedürfe es nicht43 • Seine Behauptung, daß die rechtswidrige Genehmigung keine Befugnis zur Vomahme tatbestandsmäßiger Handlungen verleihen könne, weil die Behörde mit ihrer Erteilung contra Iegern gehandelt habe44 , stellt einen Zirkelschluß dar und wird dementsprechend nicht weiter begründet. Hier verkennt Frisch, daß die Genehmigung durch das Verwaltungsverfahrensgesetz einen formalisierten Vertrauensschutz erhält, der sich einer Betrachtung des konkreten Einzelfalls entzieht. Verwaltungsrechtlich wird dies - unumstritten - als Legalisierungswirkung der Genehmigung bezeichnet. Es bleibt mithin festzuhalten, daß die Auffassung Frischs zu den strafrechtlichen Wirkungen behördlicher Genehmigungen weder mit dem verwaltungsakzessorischen Charakter des Strafrechts noch mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu vereinbaren ist. Wie oben bereits angesprochen, hat
39
Verwaltungsakzessorietät, S. 92.
°Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 99 f.
4
41
S. 82 f. (3x), 90, 98 (Fn. 273).
42
Dies Obersieht auch Ga/onska, Amtsdelikte, S. 27 ff.
43
Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 101 f.
44
Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 83 f.
II. Die behördliche Genehmigung
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sich der Gesetzgeber letztmals durch die Einfilhrung einer Legaldefinition der verwaltungsrechtlichen Pflichten in § 330d Nr. 4 StGB zu der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts bekannt45 • c) Zur Anhindung an das strafrechtlich geschützte Rechtsgut
Einen anderen Weg wählt Marx, indem er bei der Frage nach der tatbestandsausschließenden oder rechtfertigenden Wirkung der Genehmigung allein auf die Entscheidung des Strafgesetzgebers abstellt46 • Tatbestandsausschließend wirke sie dort, wo das geschützte Rechtsgut die Verwaltungskontrolle sei47 . Dagegen sei die Genehmigung erst Rechtfertigungsgrund, wenn das Strafrecht das materielle Interesse schütze, das auch Gegenstand der behördlichen Kontrolle ist48 . Hier unterscheidet Marx zwischen deklaratorischen und konstitutiven Genehmigungen. Deklaratorisch sei die Genehmigung in den Fällen gebundener Verwaltung, konstitutiv dagegen im Bereich der Ermessensverwaltung49. Beiden Fällen sei gemeinsam, daß es filr die Frage der Rechtfertigung nicht auf das Vorhandensein der Genehmigung ankomme. Entscheidend sei allein, ob das Verhalten zum Zeitpunkt der Tathandlung genehmigungsfähig war. Das Vertrauen des Täters auf die erteilte rechtswidrige Genehmigung könne allein über die Figur des Erlaubnistatbestandsirrtums berücksichtigt werden50• Obwohl Marx der herrschenden Auffassung eine "schematische Zweiteilung" vorwirft, nimmt er mit seiner Konzeption selbst eine solche Zweiteilung in Fälle "fehlender Gefahr" einerseits und Fälle "hinnehmbaren Gefahrenpotentials aufgrundeines überwiegenden Handlungsinteresses" andererseits vor. Seine Konzeption unterscheidet sich insoweit nur terminologisch von derjenigen der herrschenden Auffassung51 • Marx ist weiter entgegenzuhalten, daß seine Konzeption im Bereich der Rechtswidrigkeit die verwaltungsrechtlichen Vorgaben nicht hinreichend berücksichtigt. Verwaltungsrechtlich legalisiert auch die rechtswidrige Genehmigung das Verhalten. Diese Legalisierungswirkung kann grundsätzlich
45
2. UKG v. 27.6.1994. Dazu Möhrenschlager, NStZ 1994, 515.
46
Behördliche Genehmigung, S. 136 ff.
47 Marx, 48 Marx, 49 Marx,
Behördliche Genehmigung, S. 171.
Behördliche Genehmigung, S. 172 ff. Behördliche Genehmigung, S. 172 ff., 180. 50 Marx, Behördliche Genehmigung, S. 176. 51
Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 161.
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D. Exkurs: Strukturprinzipien der Genehmigung
nur durch die Rücknahme des Verwaltungsakts aufgehoben werden. Das Verhalten ist bis dahin verwaltungsrechtlich rechtmäßig. Der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gebietet, ein mit der Rechtsordnung in Einklang stehendes Verhalten nicht erst auf der subjektiven Ebene, sondern bereits bei der Frage des verwirklichten Unrechts zu berücksichtigen. Darüber hinaus wäre gerade in den problematischen Fällen der rechtfertigenden "deklaratorischen" Genehmigung die Durchfllhrung des vor abstrakten Gefahren schützenden Genehmigungsverfahrens nicht mehr erforderlich. Der Täter könnte hier auf die Genehmigungsflthigkeit seines Verhaltens und den Grundsatz in dubio pro reo setzen. d) Zur Genehmigung als objektive Strajlosigkeitsbedingung
Die Ansicht Horns, wonach die behördliche Genehmigung im Bereich repressiver Verbote mit Erlaubnisvorbehalt lediglich eine objektive Straflosigkeitsbedingung sei52, hat keine Anhänger gefunden. Dennoch hält er im Grundsatz an seiner Auffassung fest53 , daß der Genehmigung das Merkmal der Erforderlichkeit fehle. Da die Erforderlichkeil ein Strukturprinzip der Rechtfertigungsgründe sei, könne die Genehmigung erst als objektive Straflosigkeitsbedingung berücksichtigt werden. Die Auffassung Horns wird einhellig abgelehnt54• Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß jedem Verwaltungshandeln, also auch der Genehmigungserteilung, die Prüfung der Erforderlichkeil immanent ist.
S. Fazit Auch wenn sich die Unterscheidung zwischen präventiven und repressiven Verboten zutreffenden Einwänden ausgesetzt sieht, so ist doch keine Konzeption erkennbar, gegen die nicht gleichfalls eine Reihe von Bedenken bestehen. Nachdem nunmehr in § 330d Nr. 5 StGB der Rechtsmißbrauchsgedanke gesetzlich verankert ist, dürfte die Differenzierung zwischen bereits tatbestandsausschließender und erst rechtfertigender Genehmigung an
52
UPR 1983, 365 f.
Horn, SK, Vor § 324 Rdn. 18. 54 Vg1. nur Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 161; Schmitz, Verwaltungshande1n, S. 28 m.w.N.
53
II. Die behördliche Genehmigung
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praktischer Bedeutung verlieen55 • Im Rahmen dieser Arbeit, die nicht die Verwaltungsaktakzessorietät zum Gegenstand hat, wird an der Unterscheidung der herrschenden Auffassung festgehalten, weil die abweichenden Konzepte noch weniger als die Unterscheidung zwischen präventiven und repressiven Verboten überzeugen können.
55 Praktische Bedeutung gewann die Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Genehmigung bei der Rechtsmißbrauchslösung der herrschenden Meinung: der Berücksichtigung des Rechtsmißbrauchsgedankens bei tatbestandsausschließenden Genehmigungen stand bisher Art. 103 Abs. 2 GG entgegen, vgl. dazu Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 164 a.E.; Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietllt, S. 67; Wimmer, JZ 1993, 69.
E. Die Genehmigungsfähigkeit Ein überwiegender Teil der Sachverhalte, die der behördlichen Duldung zuzurechnen sind, betrifft Fälle, die auch unter dem Stichwort "Genehmigungsfliliigkeit" diskutiert werden. Überschneidungen zwischen behördlicher Duldung und Genehmigungsfliliigkeit treten insbesondere dort auf, wo die Behörde ein Verhalten duldet, ftlr das sie bei einem entsprechenden Antrag die behördliche Genehmigung nach dem materiellen Verwaltungsrecht erteilen könnte oder sogar müßte. Führt in diesen Fällen bereits die bloße Genehmigungsfliliigkeit des Verhaltens zum Unrechtsausschluß, so wäre das anschließende Verhalten der Behörde, nämlich die Duldung des nicht genehmigten Verhaltens, ohne weitere strafrechtliche Bedeutung. Denn die Duldung weist in diesem Bereich nur die beiden zusätzlichen Merkmale auf, daß die Behörde das ungenehmigte Verhalten kennt und sich gegen eine Untersagungsverftlgung entscheidet. Ob die Genehmigungsfliliigkeit im Strafrecht auf der Ebene des Tatbestandes oder der Rechtswidrigkeit Berücksichtigung finden kann, wird unterschiedlich beurteilt. Vor der Darstellung des Meinungsstandes ist allerdings kurz der Begriff der Genehmigungsfliliigkeit zu erläutern.
I. Zum Begriff der Genehmigungsfahigkeit Die Genehmigungsfliliigkeit bezeichnet Sachverhalte, in denen die Behörde eine beantragte Genehmigung erteilen könnte oder müßte, weil das Verhalten mit den Anforderungen des materiellen Verwaltungsrechts übereinstimmt1• Diese Sachverhalte lassen sich unterteilen in solche, in denen ein Anspruch des Bürgers auf Erteilung der Genehmigung besteht (gebundene Verwaltung) und in solche, in denen nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (Ermessensverwaltung) besteht. Der gebundenen Verwaltung sollen hier auch die Fälle zugeordnet werden, in denen das Ermessen der Behörde soweit reduziert ist, daß sie die Genehmigung erteilen müßte (sog. "Ermessensreduzierung auf Null").
1 Schönke/Schröder-Lenckner, Vor§§ 32 ff. Rdn. 62; Rengier, ZStW 101 (1989), 902; Tiessen, Gewässerverunreinigung, S. 15; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 124 f.
II. Meinungsstand zur Genehmigungsfllhigkeit
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Fälle der Ermessensverwaltung finden sich auf der Ebene repressiver Verbote mit Befreiungsvorbehalt. Die gebundene Verwaltung ist dagegen vorwiegend im Bereich der präventiven Verbote mit Erlaubnisvorbehalt anzutreffen. Die Behörde ist hier in ihrer Entscheidung gebunden, weil die präventiven Verbote im wesentlichen grundrechtsrelevante Bereiche berühren (insbesondere die Art. 12, 14 GG). Auch das präventive Verbot macht die Aufnahme der Tätigkeit jedoch von der Erteilung einer Erlaubnis abhängig, weil das Verhalten zumindest abstrakt geflihrlich ist und das Verbot dieser Gefahr begegnen soUZ.
ll. Darstellung des Meinungsstandes zur strafrechtlichen Berücksichtigung der Genehmigungsfähigkeit 1. Genehmigungsfähigkeit im Bereich der Ermessensverwaltung a) Unbeacht/ichkeit der Genehmigungsfähigkeit
Im Bereich der Ermessensverwaltung ist nach weit überwiegender Auffassung die bloße Genehmigungsfllhigkeit eines Verhaltens kein Rechtfertigungsgrund. Zum Teil bezieht sich diese Aussage nur auf einzelne Tatbestände des Umweltstrafrechts, wie vor allem den der Gewässerverunreinigung (§ 324 StGBY· 2 , zum Teil wird sie auf alle Straftatbestände, die den Bereich der Ermessensverwaltung zum Gegenstand haben, erstrecke.
Siehe dazu bereits oben unter E II I und 2, sowie Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 85 f. Bei § 324 StGB wird der gesetzlichen Ausgestaltung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) die Absicht des Gesetzgebers entnommen, daß die Gewässerbenutzung eine zuvor ergangene behördliche Gestattung als unabdingbare Voraussetzung erfordere. Als Beleg wird die Möglichkeit der "Zulassung vorzeitigen Beginns" (§ 9a WHG) in einem Erlaubnisverfahren angeftlhrt; vgl. M6hrenschlager, WiVerw 1984, 66 m.w.N., sowie oben unter C IV 2 b. 2 Zu§ 324 StGB: OLG Frankfurt, JR 1988, 168 (170) m. Anm. Keller= OLGSt. § 324 Nr. I S. 3 = NStZ 1987, 508 = NJW 1987, 2753 = StV 1988, 302; Horn, UPR 1983, 366 f.; M6hrenschlager, WiVerw 1984, 66; ders., in: Meinberg/M6hrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 40; Rudolphi, Ztw 1982, 208; ders., NStZ 1984, 197; D6//ing, JZ 1985, 468; Breuer, NJW 1988, 2079; Alleweldt, NuR 1992, 313; Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 15; Kuhlen, WiVerw 1992, 254 ff.; Hili, GewArch 1981, 185; wohl auch Kühne, NJW 1991, 3020; zu § 325 StGB: Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 52; Pfei.ffer, Verunreinigung der Luft, S. 131 f.; zu§ 326 Abs. I StGB: BGHSt. 37, 27 (28 f.); zu§ 327 Abs. 2 StGB: OLG Köln, wistra 1991, 74 (75) = NStE Nr. II zu § 327; Fr6hlich, DÖV 1989, 1036; Roga/1, NStZ 1992, 565 f.; Jarass, BlmSchG, § 20 Rdn. 23; zu Art. 6 § 2 Abs. I MRVerbG: BayObLG, NJW 1994, 2103 (2104). 3 Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 169; Sch6nkel Schrtkler-Lenckner, Vor§ 32 Rdn. 62; Sch6nkel Schr6der-Cramer, Vor § 324 Rdn. 19; Rengier, ZStW 101 (1989), 902; Maurach/Zipf, StratR. AT, § 29 Rdn. 19 a.E.; Roxin, StratR. AT, § 17 Rdn. 49; Jakobs, StratR. AT, 16129a; Laujhüttel M6hrenschlager, ZStW 92 (1980), 920 f.; Roga/1, JZ-GD 1980, lOS; ders., in: Festschr. Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 525; Scheele, Fehlerhafte behördliche Genehmigungen, S. 163; Samson, JZ 1988, 804; Breuer, DÖV 1987, 181 ; D6//ing, ZRP 1988, 335; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2
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E. Die Genehmigungsfllhigkeit
Als wichtigstes Argument wird vorgebracht, daß mit der Anerkennung der Genehmigungsßlhigkeit als Rechtfertigungsgrund der Behörde das ihr durch das Gesetz eingeräumte Ermessen und damit die Durchsetzung ihrer eigenen Konzeption faktisch wieder entzogen würde4 • Die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des der Verwaltung anvertrauten Rechtsguts wäre nachhaltig beeinträchtigt5. Darüber hinaus werde das behördlich verwaltete (Umwelt-)Medium in strafrechtlich relevanter Weise verletzt, da eine Modifizierung des Bewirtschaftungsgrades durch die Behörde nicht erfolgt sei6 • Materielle Legalität sei in diesem Bereich ohne vorherige behördliche Erlaubnis nicht denkbar7 • Der Genehmigungsfähigkeit fehle grundsätzlich eine allseits Verbindlichkeit beanspruchende hoheitliche Entscheidung, wie sie die behördliche Genehmigung enthalte. Daher trage allein der Betroffene das Risiko strafrechtlicher Verfolgung, wenn er das zwar genehmigungsfähige, aber nicht genehmigte Verhalten aufuehme8 • Zur Begründung wird weiter angeftlhrt, daß es weder Sache des Bürgers noch Sache des Strafgerichts sei, über die Frage der Genehmigungsfähigkeit zu befinden. Diese Beurteilungskompetenz obliege den Verwaltungsgerichten, die der Bürger in dringenden Fällen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren anrufen könne9 • Insbesondere im Umweltstrafrecht fUrchtet man um die Wirksamkeit der überwiegend als abstrakte Geßlhrdungsdelikte konzipierten Tatbestände, die durch den Einwand der Genehmigungsfähigkeit weitgehend in Frage gestellt sei 10• Die Straftatbestände würden sowohl ihrer repressiven als auch ihrer präventiven Wirkung beraubt. Nach der Ansicht von Dreher/Tröndle soll der Irrtum eines Anlagenbetreibers über die tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung der
2437; Dreherlrröndle, Vor § 324 Rdn. 4 d; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 226; Kühl, StratR AT, Rdn. 137; Wesse/s, StratR BT/1, Rdn. 1025; Tiedemann, Neuordnung, S. 39; ders./Kindhduser, NStZ 1988, 343. 4 Heine/Meinberg, GutachtenD zum 57. DJT, D 51; Möhrensch/ager, WiVerw 1984, 66; Rudo/phi, NStZ 1984, 197 f.; Kuhlen, WiVerw 1992, 256; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 226; Scheele, Fehlerhafte behördliche Genehmigungen, S. 163. 5 Rudo/phi, NStZ 1984, 197 f.; Dölling, JZ 1985, 464, 468; Breuer, NJW 1988, 2079; Samson, JZ 1988, 804. 6 So Samson, JZ 1988, 804. 7
Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2437.
8
So Scheele, Fehlerhafte behördliche Genehmigungen, S. 163.
9 Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 169; Roga/1, NStZ 1992, 566; ders., in: Festschr. Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 525. 10 OLG Köln, Wistra 1991, 74 (75); Möhrensch/ager, NuR 1983, 215; Laujhütte!Möhrensch/ager, ZStW 92 (1980), 921; Jakobs, StratR AT, 16129a Fn 50a; Roga/1, JZ-GD 1980, 105.
II. Meinungsstand zur Genehmigungstlhigkeit
95
materiellen Genehmigungsflthigkeit einem Tatbestandsirrtum gleichzustellen sein 11 • Diese Auffassung ist jedoch auf der Grundlage der herrschenden Meinung nicht haltbar, da weder ein Irrtum über Umstände des gesetzlichen Tatbestandes (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) noch ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes12 vorliegt. Die Genehmigungsflthigkeit gehört weder zum Tatbestand noch stellt sie - auch nach der Auffassung Dreher/Tröndles - einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund dar. b) Genehmigungsfähigkeit als Rechtfertigungsgrund
Auch ftlr den Bereich der Ermessensverwaltung findet sich vereinzelt die Auffassung, daß die Genehmigungsflthigkeit das strafrechtliche Unwerturteil beseitige 13 • Allgemein fllr den Bereich der Ermessensverwaltung vertritt Brauer14 die Ansicht, daß die bloße Genehmigungsflthigkeit das Erfolgsunrecht der Tat beseitige, so daß der Täter nur wegen Versuchs entsprechend den §§ 22, 23 StGB zu bestrafen seP 5• Die an ein repressives Verbot anknüpfenden Tatbestände seien Erfolgsdelikte, so daß die Genehmigungsflthigkeit den Eintritt des Erfolgsunwerts verhindere. Die durch das Verbot geschützten RechtsgUter seien nicht verletzt, wenn die Behörde ermächtigt sei, nach pflichtgemäßem Ermessen von dem Verbot zu befreien16• Dem Eingriff fehle die Sozialschädlichkeit Die Ansicht Brauers fllhrt zur Straflosigkeit des Täters in den Fällen fehlender Versuchsstratbarkeit17 • Weitergehend lehnt Brahms im Bereich der Gewässerverunreinigung grundsätzlich die Versuchsstrafbarkeit in den Fällen
11 12
Vor § 324 Rdn. 4d. Zur umstrittenen Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums in den Deliktsaufbau vgl.
Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 52, 184 einerseits und Schönke/Schrörkr-Cramer, § 16 Rdn. 14 ff.
andererseits, jeweils m.w.N. 13 Brahms, Gewässerverunreinigung, S. 136 (zu § 324 StOB); ähnlich Brauer, Genehmigungstlhigkeit, S. 125 ff., 141. 14 Genehmigungstlhigkeit, S. 125 ff., 141. 15 Seine Konzeption entspricht der im strafrechtlichen Schrifttum vorherrschenden Ansicht, die bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements nur wegen untauglichen Versuchs bestrafen will, so Schönke/Schrörkr-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 15; Jakobs, StrafR AT, 11123 f.; Jescheck, StrafR AT, § 31 IV 2. Ablehnend Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 61 f. 16 Brauer, Genehmigungstlhigkeit, S. 127; so auch Brahms, Gewässerverunreinigung, S. 136. 17 So weisen die§ 227 Abs. I Nr. 1 AFG, § 15 FlaggenRG und§ 5 Rennwett-und LotterieG keine Versuchsstrafbarkeit auf; vgl. Brauer, Genehmigungstlhigkeit, S. 136 f.
96
E. Die Genehmigungsfllhigkeit
der Genehmigungsfll.higkeit ab, da sie eine unverhältnismäßig scharfe Reaktion auf ein Verhalten sei, das reinen Verwaltungsungehormsam darstelle18 • Auch nach der Konzeption Brauers kann allerdings das strafrechtliche Onwerturteil gänzlich entfallen. Neben dem Erfolgsunrecht soll der Tat auch das Handlungsunrecht fehlen, wenn der Täter die sichere Kenntnis der Genehmigungsfll.higkeit vor Ausfllhrung der Handlung erlangt hat 19• Die Straflosigkeit des Täters rechtfertigt Brauer mit der Erwägung, daß sein Handeln zwar verwaltungsrechtlich rechtswidrig sei, aber nicht das fllr eine strafrechtliche Pönalisierung erforderliche gesteigerte Unrecht, nämlich das Strafunrecht, verwirkliche20 • Er bekräftigt sein Ergebnis fllr den Bereich des Wasserrechts mit dem Argument, daß dort die nicht genehmigte, aber genehmigungsfll.hige Gewässerbenutzung bereits durch § 41 Abs. 1 WHG erfaßt werde. Nur durch die Anerkennung der Genehmigungsfll.higkeit als Rechtfertigungsgrund könne das Nebeneinander der§ 324 StGB und§ 41 WHG befriedigend gelöst werden21 • 2. Genehmigungsfähigkeit im Bereich der gebundenen Verwaltung
Für den Bereich der gebundenen Verwaltung läßt sich eine ähnliche Übereinstimmung hinsichtlich der Unbeachtlichkeit der Genehmigungsfllhigkeit nicht feststellen. Die Genehmigungsfll.higkeit wird in diesem Zusammenhang oft auch als "Genehmigungspflichtigkeit" bezeichnee2• Hier bestehen insbesondere Bedenken, ob die Bestrafung eines bloßen Verwaltungsungehorsams noch verhältnismäßig wäre. Der Meinungsstand soll im folgenden dargestellt werden.
18
Gewässerverunreinigung, S. 130.
19
Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 131, 141.
Genehmigungsfllhigkeit, S. 117 f., im Anschluß an Giinther, Strafrechtswidrigkeit, S. 245 f.; ebenso Marx, Behördliche Genehmigung, S. 131 . Auch nach Frisch, Verwaltungsakzessorietat, S. 53 f., ist ein genehmigungsfllhiges Verhalten im Bereich der Ermessensverwaltung nur dann strafbewehrt, wenn ihm nach den Vorwertungen des Verwaltungsrechts Umweltbelange entgegenstehen oder der Straftatbestand auch bloße Kontroll-, Informations- oder Dispositionsinteressen der Behörde schützt Da kein Straftatbestand ersichtlich ist, der sich auf Fälle der Ermessensverwaltung bezieht und bei dem letztere Voraussetzung nicht eingreift, entspricht die Ansicht von Frisch im Ergebnis der herrschenden Auffassung. 21 Genehmigungsfllhigkeit, S. 126. 22 So z.B. Kuhlen, WiVerw 1992, 230; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. 133 ff.; anders aber Wasmuth/Koch, NJW 1988, 2438; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 94, die mit dem Begriff der Genehmigungspflichtigkeit einen Zustand beschreiben, in dem ftlr ein bestimmtes Verhalten eine behördliche Genehmigung erforderlich ist. 20
II. Meinungsstand zur Genehmigungsfllhigkeit
97
a) Unbeachtlichkeit der Genehmigungsfähigkeit
Die wohl überwiegende Meinung hält die Genehmigungsfllhigkeit auch im Bereich der gebundenen Verwaltung ftlr unbeachtlich23 • Dies wird damit begründet, daß auch dort die Kompetenz der Verwaltung zur alleinigen Entscheidung betroffen sei und diese Kompetenz durch das Strafgesetz geschützt werde. Auch ein Strafbedürfnis soll unzweifelhaft bestehen. Gerade in einer riskant organisierten Gesellschaft gebe es in den riskanten Bereichen eine Ungefllhrlichkeit ohne förmliche Kontrolle nicht mehr4 • Rengier gewinnt die grundsätzliche25 Unbeachtlichkeit der Genehmigungsfllhigkeit aus der formalen und materiellen Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens. Der positive Genehmigungsakt solle Legalität gewährleisten, Vertrauen schaffen und das Verfahren abschließen26 • Ohne Erlaubnis fehle der Genehmigungsfllhigkeit des Verhaltens die Qualität, als Erlaubnissatz rechtfertigend wirken zu können27• Selbst wenn dem Antragsteller die Genehmigung zu Unrecht versagt werde, müsse er das Ende des Streits bis zur letzten verwaltungsgerichtlichen Instanz abwarten. Dies sei grundsätzlich zumutbar und entspreche dem Grundsatz der Subsidiarität privater Selbsthilfe28 • Über die Frage der Genehmigungsfllhigkeit habe auch im Bereich der gebundenen Verwaltung weder der Bürger noch das Strafgericht zu befinden29 • b) Genehmigungsfähigkeit als Rechtfertigungsgrund
Weitergehend soll die Genehmigungsflihigkeit im Bereich der gebundenen Verwaltung nach einem Teil der Literatur im Anschluß an RudolphP0 entweder tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirken3 1• Eine Verkürzung 23 So OLG Köln, wistra 1991, 74 (75); Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 169; Loclrner, § 324 Rdn. 10 a.E.; Jakobs, StratR AT, 16/29a; Heine/Meinberg, Gutachten D zum 57. DJT, D 51; Laujhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 921; Horn, UPR 1983, 366 f.; Dölling, JZ 1985, 468; ders., ZRP 1988, 335; Tiedemann/KindhtJuser, NStZ 1988, 343; Breuer, NJW 1988, 2079; Rogal/, in: Festschr. Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 525; Alleweldt, NuR 1992, 313 f.; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 132 ff.; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. 132 ff.; Wessels, StratR BT/1, Rdn. 1025. 24 So Tiedemann/KindhtJuser, NStZ 1988, 343; Jakobs, StratR AT, 16/29 f. 25 Zu Ausnahmen siehe unter E 111 I b cc. 26 Rengier, ZStW 101 (1989), 902; siehe auch Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. 132. 27 Tiedemann/KindhtJuser, NStZ 1988, 343. 28 Rengier, ZStW 101 (1989), 903; ebenso Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 169; Al/eweldt, NuR 1992, 314. 29 Roga/1, Festschr. Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 525; ders., NStZ 1992, 566; Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 169. 30 ZfW 1982, 209; NStZ 1984, 198; 253. 31 Bloy, ZStW 100 (1988), 507; Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 90 ff.; Marx, Behördliche
7 Malitz
98
E. Die Genehmigungsfllhigkeit
der behördlichen Entscheidungsbefugnis sei damit nicht verbunden, da der Interessenwiderstreit bereits durch das gesetzte Recht, das heißt durch den Gesetzgeber selbst, zugunsten des betroffenen Bürgers entschieden sei32• Nach dieser Auffassung, die nicht immer ausdrUcklieh Fälle der Ermessensreduzierung auf Null in den Bereich der gebundenen Verwaltung einbezieht, wirkt die Genehmigungsfllhigkeit tatbestandsausschließend, wenn sämtliche Erteilungsvoraussetzungen ftlr die Genehmigung vorliegen11 • Das Vorhaben sei im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut konkret ungefllhrlich, was bereits bei Vomahme der Handlung feststehe. Gegenüber diesem Rechtsgut habe sich der Täter weder sorgfalts- noch pflichtwidrig verhalten. Eine derartige, materiell rechtmäßige Grundrechtsausübung dürfe keiner strafrechtlichen Bewertung unterzogen werden14• Zur Begründung wird weiter darauf hingewiesen, daß die rein formelle Rechtswidrigkeit des Verhaltens als bloßer Ungehorsam nicht strafwürdig sei. Die tatbestandlieh vorausgesetzte typische Gefllhrlichkeit der Handlung könne nicht schlicht mit dem Fehlen der Genehmigung begründet werden. Der Dispositionsbefugnis der - unter Umständen pflichtwidrig handelnden - Behörde über die Strafbarkeit der Tat müsse hier eine Grenze gezogen werden15, da das durch das öffentliche Recht definierte (Umwelt-)Medium nicht beeinträchtigt see6 • Diese Auffassung macht allerdings nicht immer deutlich, ob die Genehmigungsflihigkeit nur dann als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen soll, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat einen Antrag auf Genehmigungserteilung gestellt hatte17• Da die Genehmigung als begünstigender Verwaltungsakt Genehmigung, S. 173 ff., 180; Papier, in: Krebs/0/diges/Papier, S. 65 f.; ders. , NuR 1986, 6; Samson, JZ 1988, 804; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2437; ahnlieh Schünemann, wistra 1986, 242; Otto, Jura 1991, 312. Zu § 331 StGB: Jescheck, LK, § 331 Rdn. 16; Lackner, § 331 Rdn. 16. FUr unechte Unterlassungsdelikte i.R. der Kausalitätsprüfung auch OLG Saarbrücken, NJW 1991, 3045 (3046) = NStZ 1991, 531; kritisch dazu Kühne, NJW 1991, 3020; Hoyer, NStZ 1992, 387. Vgl. im übrigen auch Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 45 f., 52 ff., 64 (Fn. 180). 32 Rudo/phl, ZfW 1982, 209; ders., NStZ 1984, 198; Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 53. 33 Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 104; ahnlieh Frisch, Verwaltungsakzessorietllt, S. 8 ff.; i.E. auch OLG Saarbrücken, NJW 1991, 3045 (3046) mit zutreffenden Anmerkungen von Kühne, NJW 1991, 3020, und Hoyer, NStZ 1992, 388. Anders dagegen Marx, Behördliche Geneh-
migung, S. 172 ff., der die Genehmi(lungsfllhigkeit von einem anderen Ansatz her erst als Rechtfertigungsgrund berücksichtigen wtll. 34 Bloy, ZStW 100 (1988), 506; Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 104; Papier, NuR 1986, 2. 35 Rudo/phi, NStZ 1984, 198; Bloy, ZStW 100 (1988), 506; ahnlieh Papier, in: Krebs/0/diges/Papier, S. 65. 36 Samson, JZ 1988, 804; Marx, Behördliche Genehmigung, S. 173; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2437. 37 Für einen Antrag als Voraussetzung der Rechtfertigung Rudo/phi, NStZ 1984, 198
II. Meinungsstand zur Genehmigungsßlhigkeit
99
zugleich auch ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt ist, kann die Behörde das Verhalten ohne einen entsprechenden Antrag nicht genehmigen. Zum Teil wird die rechtfertigende Wirkung der Genehmigungsflihigkeit allerdings eingeschränkt. So werden die Straftatbestände ausgeklammert, die auch die behördlichen Koordinationsmöglichkeiten schützen und damit die Einhaltung des Genehmigungsverfahrens garantieren sollen38 • c) Genehmigungsfähigkeit als Strafaufhebungsgrund
Der Auffassung, die der Genehmigungsflihigkeit im Bereich der Ermessensverwaltung keine rechtfertigende Wirkung beimißt, stimmen grundsätzlich auch beachtliche Stimmen in der Literatur zu39• Sie sehen in der Genehmigungsflihigkeit jedoch einen objektiven Strafauthebungsgrund40, wenn die Behörde zunächst die beantragte Genehmigung zu Unrecht ablehnt und später festgestellt wird, daß die Genehmigung zu erteilen war41 • Ein kriminalpolitisches Bedürfuis fllr die Bestrafung verwaltungsrechtlichen Ungehorsams bestehe in diesen Fällen nicht. Der Strafzweck werde verfehlt und die Bestrafung sei unverhältnismäßig, wenn die nachträglich erteilte Genehmigung und ihre Tatbestandswirkung unberücksichtigt bleibe42 • Die Genehmigungsflihig-
("pflichtwidriges Hinauszögern oder Verweigern der Erlaubniserteilun~"). Anders dagegen ausdrücklich Otto, Jura 1991, 312, wonach ein "Strafausschluß" (auch) m den Fällen in Betracht komme, in denen der Tater die Genehmigung nicht beantragt hat, sein Verhalten jedoch materiell rechtmäßig war und er dies auch wußte. In diese Richtung auch Schünemann, wistra I 986, 242. 38 Brauer, Genehmigungsßlhigkeit, S. 105 (nach Brauer, a.a.O., S. 56 ff., kommen dafllr die §§ 7 KastG, 219 StGB in Betracht); Frisch, Verwaltungsakzessorietat, S. 53 (er ftlhrt als Beispiel § 324 StGB an); Marx, Behördliche Genehmigung, S. 171 f. 39 Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdn. 62; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem §§ 324 ff. Rdn.l9; Roxin, StratR AT, § 17 Rdn. 49; Horn, SK, Vor§ 324 Rdn. 20; Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietat, S. 65; ders., NStZ 1988, 203; so auch Schröder, VVDStRL 50 (1991), 226, wonach sogar das Strafverfahren auszusetzen sei, wenn die Beh.örde Uber die nachträgliche Genehmigung noch nicht entschieden habe (a.a.O., S. 224 f.). Ähnlich Horn, a.a.O., der ftlr den Fall der Verurteilung die Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften anregt, sowie Michalke, Umweltstrafsachen, S. 35, die eine verwaltungsrechtliche Fortsetzungsreststeilungsklage beftlrwortet. 40 Strafaufhebungsgründe sollen hier als Korrektiv der Strafbarkeit in Fällen eines sehr weiten, bereits im Vorfeld eines konkreten Verletzungs- oder Geßlhrdungserfolgs angesiedelten RechtsgUterschutzes dienen; vgl. Schönke/Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 130a; Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietat, S. 64 f. 41 Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdn. 130a; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem §§ 324 ff. Rdn. 21; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 226; Roxin, Stra!R AT, § 17 Rdn. 49; Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietllt, S. 65 f.; Horn, SK, Vor § 324 Rdn. 20; Michalke, Umweltstrafsachen, S. 35. 42 Schröder, VVDStRL 50 (1991), 226, 224.
7*
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E. Die Genehmigungsßlhigkeit
keit als objektiver Strafaufhebungsgrund diene damit als Korrektiv abstrakter Gefährdungsdelikte43 • Zum Teil nimmt man auch hier, ähnlich wie die vorgenannte Auffassung, eine Einschränkung vor. Ein Strafaufhebungsgrund der Genehmigungsfähigkeit soll dann nicht in Betracht kommen, wenn die Genehmigungspflicht in erster Linie die Disposition der Behörde schützt. Dort habe der Strafgesetzgeber den Verwaltungsungehorsam bewußt zu materiellem Strafunrecht erhoben, so daß ftlr einen Strafaufhebungsgrund kein Raum bleibe44•
ID. Stellungnahme Bei der Betrachtung des Meinungsstandes fllllt auf, daß sich diejenigen Ansichten, die die Genehmigungsfähigkeit bereits im Bereich der Rechtswidrigkeit berücksichtigen wollen, weitgehend von der gesetzlich vorgegebenen Verwaltungs(akt)akzessorietät des Strafrechts lösen. Das Strafrecht soll vielmehr die materiellen verwaltungsrechtlichen Vorgaben selbständig beurteilen können - eine Aufgabe, die der Gesetzgeber den Verwaltungsbehörden und gerichten zugedacht hat. t. Zur Genebmigungsfllhigkeit als Rechtfertigungsgrund a) Ermessensverwaltung
Der Ansicht Brauers, der die Genehmigungsfähigkeit auch im Bereich repressiver Verbote mit Befreiungsvorbehalt berücksichtigen will, ist entgegenzuhalten, daß gerade dort die formelle Rechtswidrigkeit nicht von der materiellen getrennt werden kann. Da das Genehmigungsverfahren der Kontrolle gefährlicher Handlungen dient, ist schon die Umgehung des Genehmigungsverfahrens als solche strafbares Unrecht. Darüber hinaus sind die entsprechenden Straftatbestände überwiegend nicht als Gefährdungs-, sondern als Erfolgsdelikte konzipiert. Dort kommt eine Bestrafung bloßen Verwaltungsungehorsams schon mit Blick auf die Fassung des jeweiligen Tatbestandes nicht in Betracht. Brauer ist zwar zuzugeben, daß nicht jedes, in einem Teilbereich der Gesamtrechtsordnung rechtswidrige Verhalten die Anforderungen erftlllt, an die
43 44
Schlinke/Schrlider-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdn. 106a. So Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietat, S. 6S; ders., NStZ 1988, 203; Horn, SK, Vor
§ 324 Rdn. 17 a.E.
111. Stellungnahme
101
eine strafrechtliche Sanktion anknüpfen kann. Das nicht genehmigte Verhalten ist jedoch grundsätzlich stratbewehrt. Die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes der Genehmigungsfähigkeit bedürfte daher einer besonderen Begründung. Diese bleibt Brauer jedoch schuldig, weil gerade im Bereich der Ermessensverwaltung eben nicht bloßer Verwaltungsungehorsam bestraft wird1• Vielmehr ist Schutzgut der Straftatbestände, denen repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt zugrunde liegen, auch die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des anvertrauten (Umwelt-)Mediums durch die Verwaltung. Mittelbar schützt die Durchftlhrung des Genehmigungsverfahrens damit auch diese Rechtsgüter. Weiterhin bedeutet Genehmigungsfähigkeit im Bereich der Ermessensverwaltung eben nicht, daß die Behörde im Zeitpunkt der Tathandlung die Genehmigung tatsächlich auch erteilt hätte. Die Genehmigungserteilung ist nur eine von zwei denkbaren Handlungsmöglichkeiten. Anderenfalls wäre es kein Fall der Ermessensverwaltung, sondern vielmehr ein solcher der gebundenen Verwaltung2 • b) Gebundene Verwaltung
Aber auch die Beschränkung eines Rechtfertigungsgrundes der Genehmigungsfähigkeit auf die gebundene Verwaltung kann nicht überzeugen, weil weder die Interessenlage noch das Gesetz ihre Berücksichtigung verlangen. Es reicht nicht aus, in den Fällen gebundener Verwaltung den Blick allein auf den zu entscheidenden Einzelfall zu richten. Vielmehr hat die Behörde einen Gesamtauftrag zu erfllllen, nämlich das ihr anvertraute Gut zu bewirtschaften. Diesem Auftrag kann sie nur nachkommen, wenn sie die Anzahl der genehmigungspflichtigen Handlungen überblicken und dadurch steuernd auf sie einwirken kann3 • Verliert sie diese Steuerungsmöglichkeit, so entsteht eine abstrakte Gefahrenlage ftlr das verwaltete Rechtsgut, das auf eine solche
1 So auch Kuhlen, WiVerw 1992, 255 f.; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 135. Ein Beispiel filr die Bestrafung bloßen Verwaltungsungehorsams ist§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 Var. StVG. Da es bei der Verhängung eines Fahrverbots gernaß § 44 StGB oder § 25 StVG nicht auf die Ungeeignetheil des Fahrzeugfilhrers ankommt, eine Genehmigung in Form einer Fahrerlaubnis aber erteilt und nicht zurückgenommen ist, kann§ 21 Abs. I Nr. 1 StVG mit Ausnahme der I. Variante nicht die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs bezwecken. Bestraft wird hier bloßer Verwaltungsungehorsarn. Vgl. dazu Zieschang, Sanktionensystem, S. 400 ff. 2 Auch Brauers Hinweis auf das Verhältnis von § 41 WHG und § 324 StGB filhrt nicht weiter, da filr die Anwendbarkeit des § 41 WHG immer noch Raum bleibt, wenn eine Strafe nicht verhängt wird,§ 21 Abs. 2 OWiG, vgl. Kuhlen, WiVerw 1992, 256. 3 Vgl. Kuhlen, WiVerw 1992, 257; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 135.
102
E. Die Genehmigungsßlhigkeit
Steuerung angewiesen ist. Allein diese Gefahr4 rechtfertigt den gesetzlichen Erlaubnisvorbehalt. Bestünde diese Gefahr dagegen nicht, hätte der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur einen Verbotsvorbehalt schaffen dürfen. Das Verhalten wäre also grundsätzlich erlaubt. Da der Gesetzgeber in den Fällen der Erlaubnisvorbehalte ohne Durchfllhrung einer vorherigen Kontrolle zumindest eine abstrakte Gefahr fllr das verwaltete Rechtsgut angenommen hat, wird auch in den Fällen der Genehmigungsfllhigkeit bei gebundener Verwaltung nicht bloßer Verwaltungsungehorsam sanktioniert. Der Einwand Rudolphis, daß sich das gesetzte Recht zugunsten des Bürgers entschieden habe, wird bereits dadurch entkräftet, daß das "gesetzte Recht" das angestrebte Verhalten erst nach der Durchfilhrung des Genehmigungsverfahrens erlaubt. Die Trennung zwischen formellem und materiellem Recht, die Rudolphi wohl vorschwebt, ist gerade im Bereich des öffentlichen Rechts nicht möglich. Die im öffentlichen Recht gesetzlich vorgegebene Wechselwirkung ermöglicht den Ausgleich vielfllltiger, zum Teil grundrechtlieh geschützter Interessen. Der Sinn des Genehmigungsverfahrens erschöpft sich daher nicht in der Prüfung und Feststellung der Genehmigungsvoraussetzungen. Beispielsweise dienen die immissionsschutzrechtlichen Präklusionsvorschriften nicht zuletzt auch der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden5. aa) Parallele zum Baurecht? Die Ansicht, die im Falle der Genehmigungsfllhigkeit des Verhaltens einen Unrechtsausschluß annimmt, weist Parallelen zu der Trennung zwischen formeller und materieller Illegalität im öffentlichen Baurecht auf. Im Bereich des Baurechts ist eine bauaufsichtliche Anordnung der Beseitigung eines Schwarzbaus dann unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, wenn die bauliche Anlage materiell genehmigungsfllhig ist6 • Diese Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität beruht darauf, daß das Recht zum Bauen Inhalt des durch Art. 14 GG geschützten Grundeigentums ist. Daher gibt es im Baurecht einen Rechtsanspruch auf "uneingeschränkte Baugenehmigung",
4
1 b.
s.
Wobei auch das Vorsorgeprinzip in den Gefahrenbegriff einbezogen ist, vgl. dazu oben E II
§ 10 Abs. 3 S. 3 BlmSchG, siehe zum Vorstehenden Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, 132 f. 6 BVerwGE 3, 351 (354); 48, 271 (273 f.); Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 114, S. 135 (139 f.). 5
111. Stellungnahme
103
wenn dem Bauvorhaben keine materiellrechtlichen Hindernisse entgegenstehen7. Allerdings finden sich auch im Baurecht Einschränkungen des Rechts zum Bauen. So soll eine Beseitigungsanordnung dann allein auf die formelle Illegalität gestützt werden können, wenn die Restitution ohne unzumutbare Aufwendungen möglich und wirtschaftlich vertretbar ercheint8 • Darüber hinaus ist eine bloße Nutzungsuntersagung, die das nicht genehmigte Verhalten ebenfalls unterbindet, stets zulässig9 • Die genannte Rechtsprechung ist auf andere Bereiche des Verwaltungsrechts, in denen dem nicht genehmigten Verhalten kein vergleichbarer Grundrechtsschutz zugrunde liegt, nicht übertragbar10• Zielrichtung der Genehmigungspflicht ist dort die staatliche Prüfung eines besonderen Gefllhrdungspotentials durch ein meist aufwendiges Genehmigungsverfahren, das der Ermittlung und Klärung konkreter Gefahrenquellen sowie der Kontrolle der Mittel zu ihrer Beherrschung dient. Ohne die Durchfllhrung des Genehmigungsverfahrens läßt sich regelmäßig nicht absehen, ob sich die Gefahrenquellen realisieren können. Daher setzt die Untersagungsverftlgung in diesen Bereichen die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Verhaltens grundsätzlich nicht voraus. Im Regelfall ist die Behörde schon bei formeller Rechtswidrigkeit zum Erlaß einer Untersagungsverftlgung gezwungen 11 • Anderenfalls wäre der Behörde vor jeder Entscheidung die Prüfung auferlegt, ob das nicht genehmigte Verhalten genehmigungsflihig ist. Diese Prüfung ist zwar Gegenstand des Genehmigungsverfahrens, aber nicht des aufsichtsrechtlichen Verfahrens12.
Vgl. BVertUE 35, 263 (276); BVerwGE 3, 351 (354); 48, 271 (273 f.). OVG LUneburg, DÖV 1968, 62; OVG MOnster, OVGE 24, 142 (144 f.); HessVGH, ESVGH 34, 290 (291). 9 BayVGH, BayVBI. 1976, 691; 1980, 246 (247); Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8 Rdn. 25. 10 A.A. Bickel, ZfW 1979, 101; 139, 143; wie hier dagegen BVerwG ZfW 1978, 371 (373), Hili, GewArch 1981, 185 Oeweils zum Wasserrecht); Fluck, NuR 1990, 203 (zum lmmissionsschutzrecht); Kette/er, JuS 1994, 829. 11 Vgl. BVerwG, NuR 1994, 182 (183) zu § 20 Abs. 2 S. 1 BlmSchG; Kette/er, JuS !994, 829. Nach §§ 4, 15 BlmSchG bedürfen die Errichtung und Betrieb sowie die wesentliche Änderung einer Anlage mit besonderem Gefahrenpotential einer behördlichen Genehmigung, die nach Durchfllhrung des aufwendigen Genehmigungsverfahrens der§§ 10, 19 BlmSchG erteilt werden kann. 12 Hili, GewArch 1981, 186. Vgl. aber auch BVerwGE 84, 220 (233), wonach die Stillegungsverfllgung nach dem BlmSchG dann ein unverhllltnismllßiges Mittel sein kann, wenn die Anlage materiell genehmigungsßlhig ist. Umfangreiche und zeitraubende Ermittlungen mUsse die Behörde allerdings nicht anstellen. Zweifel gingen zu Lasten des Betreibcrs der nicht genehmigten Anlage. Restriktiver BVerwG, NuR 1994, 183 (184). 7
8
104
E. Die Genehmigungsßlhigkeit
bb) Offenkundige Genehmigungsflihigkeit Auch in den Fällen offensichtlicher Genehmigungsflihigkeit ist das Verhalten strafrechtlich nicht gerechtfertigt. Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung darf nicht dadurch unterlaufen werden, daß vorab vollendete Tatsachen geschaffen werden 13 • Zwar kann die Behörde im Einzelfall unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes gehalten sein, das Verhalten nicht zu untersagen 14• Derartige Ausnahmeflille kommen jedoch allenfalls dort in Betracht, wo gestaltungsbedürftige Einwirkungen das Umweltmedium nicht beeinträchtigen 15 • Soweit dagegen eine Beeinträchtigung des Wohles der Allgemeinheit konkret zu erwarten ist, verstößt eine Untersagungsverfilgung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit gewinnen erst dort an Bedeutung, wo die Behörde wie im Fall des § 20 Abs. 2 BlmSchG die Wahl zwischen einer Stillegungs- und einer Beseitungsanordnung hat. So kann die Beseitigungsanordnung unverhältnismäßig sein, wenn noch offen ist, ob das Vorhaben in einem nachträglichen Genehmigungsverfahren legalisiert werden kann 16• Dagegen verstößt die Stillegungsanordnung, die lediglich die Weiterführung des umweltgeflihrdenden Verhaltens unterbindet, nicht gegen das Übermaßverbot Zwar kann auch eine StillegungsverfUgung im Einzelfall Sanierungsbemühungen zuwiderlaufen. Derartigen Auswirkungen kann die Behörde jedoch mit dem Verzicht auf die sofortige Vollziehbarkeit der VerfUgung entgegengewirken 17 • Maßgeblich ist allein, daß die Verwaltungsbehörde dem BUrger deutlich macht, daß sein Verhalten unabhängig von der Genehmigungsflihigkeit nicht im Einklang mit dem Verwaltungsrecht steht. Die Genehmigungsflihigkeit kommt daher selbst in den Fällen nicht als Rechtfertigungsgrund in Betracht, in denen die Genehmigungsflihigkeit offensichtlich ist.
13 Vgl. BVerwG, ES BlmSchG § 25-1 ; Vallendar, in: Feldhaus, BlmschR, § 20 BlmSchG Anm. 16; Birki/Schenk, Nachbarschutz, F-Rdn. 171. 14 Siehe schon oben die Ausfilhrungen zur Duldung sowie BVerwG, ZfW 1978, 371 (374 f.) m. krit. Anm. Stortz; BVerwGE 84, 220 (233). 15 So zum WHG: BVerwG, ZfW 1978, 371 (374); ZfW 1991, 230 (231); ZfW 1994, 396 (397); zum BlmSchG: Stich/Porger, BlmSchG, § 20 Rdn. 6; Birki/Schenk, Nachbarschutz, F Rdn. 171. Sehr weitgehend dagegen BVerwGE 84, 220 (233, zum BlmSchG); OVG NW, BauR 1974, 266 (GewO); OVG Koblenz, NVwZ 1986, 665 (RhPfAbfG). Hiergegen wiederum Vollendar, in: Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 16, mit der zutreffenden Begründung, daß der Betrieb ungenehmigter Anlagen stets eine Quelle erheblicher Gefahren berge und aufgrunddessen als abstraktes Gefllhrdungsdelikt nach § 327 Abs. 2 Nr. I StGB strafbar sei. 16 Val/endar, in: Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 19. 17 Vgl. Vallendar, in: Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 22 a.E.
111. Stellungnahme
105
cc) Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens Auch aus der Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens folgt, daß die Genehmigungsflihigkeit nur in engen Grenzen beachtlich sein kann 18 • Die formelle Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens erfordert zunächst, daß der Betroffene einen Antrag auf GenehmigungseTteilung gestellt hat. Die Antragstellung dient dazu, der Behörde die Durchftlhrung des gesetzlich vorgegebenen Verfahrens überhaupt zu ermöglichen. Allein dies reicht zur Wahrung der Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens jedoch nicht aus. Darüber hinaus ist ein stattgebender Genehmigungsakt erforderlich, der die Dispositionsbefugnis der Behörde sowie die Sicherheits-und Ordnungsfunktion des Genehmigungsverfahrens beachtet. Ausnahmen sind allenfalls dort denkbar, wo die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen vor Ausftlhrung der Handlung mit Außenwirkung festgestellt wurden (z.B. rechtskräftiges Verpflichtungsurteil, welches von der Behörde noch nicht vollzogen wurde) 19• Konnte die Genehmigung dagegen wegen besonderer Umstände nicht rechtzeitig eingeholt werden, kann das nicht genehmigte Verhalten im Einzelfall schon verwaltungsrechtlich rechtmäßig sein. Dies ist aber kein Anwendungsfall der Genehmigungsflihigkeif0 • Im übrigen entspricht es dem Gedanken der Subsidiarität privater Selbsthilfe, daß der Bürger sich um eine behördliche Entscheidung bemühen muß und diese auch abzuwarten haf 1• Das Interesse des Bürgers an einer schnellen Entscheidung ist durch die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes ausreichend gewahrt. Gegen die Berücksichtigung der Genehmigungsflihigkeit als Rechtfertigungsgrund spricht weiter, daß sie anderenfalls einer Handlungs- und Eingriffserlaubnis des Bürgers gleichkäme. Die Arbeit der Genehmigungsbehörden wäre weitgehend überflüssig. Normadressat der jeweiligen verwaltungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage ist indes der Staat, nicht der Bürger. Nur die Verwaltungsbehörde als ausftlhrende staatliche Gewalt kann von dem gesetzlichen Verbot durch eine Genehmigung befreien22•
18 Zum folgenden Rengier, ZStW 101 (1989), 904. Siehe auch Lackner, § 324 Rdn. 10; Schönke/Schröder-Lenckner, Rdn. 62. 19 Rengier, ZStW 101 (1989), 903; Jakobs, StrafR AT, 16129a. 20 Dazu bereits oben unter C V 3. Bei der Frage der Genehmigungsfllhigkeit berücksichtigen dies: Möhrenschlager, NStZ 1982, 166; ders. , in: Meinberg/Möhrenschlagerl Link, Umweltstrafrecht, S. 44 f.; Odersky, in: Festschr. ftlr Tröndle, S. 298; Jakobs, StratR AT, 16129a; Roxin, StratR AT, § 17 Rdn. 48; Alleweldt, NuR 1992, 319;; zu§ 324 SIGB: Kuhlen, WiVerw 1992, 278 f. 21 Rengier, ZStW 101 (1989), 883, 903; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 169. 22 Vgl. Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 70; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 169.
106
E. Die Genehmigungsfllhigkeit
2. Zur nachträglichen Genehmigung als Strafaufhebungsgrund Auch die Ansicht, die in der Genehmigungsfähigkeit bei nachträglicher Genehmigungserteilung einen Strafaufhebungsgrund sieht, sieht sich durchgreifenden Bedenken ausgesetzt23 • So ist nicht verständlich, warum ausgerechnet die nachträgliche Genehmigungserteilung den Wegfall des Sanktionsbedürfnisses begründen soll. Denn die nachträgliche Genehmigungserteilung bringt lediglich zum Ausdruck, daß die Behörde ihrer Verpflichtung, auf den Antrag des Bürgers hin eine Genehmigung zu erteilen, nachgekommen ist. Die Genehmigung stellt aber nur fest, daß die Voraussetzungen ftlr die Genehmigungerteilung zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorlagen. Sie triffi keine Aussage über ein hypothetisches Behördenverhalten zum Zeitpunkt der Tat. So ist auch der Fall denkbar, daß die Genehmigungsvoraussetzungen nachträglich weggefallen sind, die Genehmigung zum Zeitpunkt der Tat aber erteilt werden konnte. Warum soll das Sanktionsbedürfnis nur dort bestehen, wo die nachträgliche Erteilung der Genehmigung nicht mehr in Betracht kommt? Darüber hinaus müßte die strafrechtliche Verbindlichkeit des Verwaltungsverbotes bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verwaltungsgerichtsverfahrens im Ungewissen bleiben. Da nur die spätere Genehmigungserteilung und nicht allein die Genehmigungsfähigkeit die Strafaufhebung begründen sollen, wäre das Strafverfahren bis zur Bestandskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auszusetzen24• Dies kann im Einzelfall Jahre in Anspruch nehmen und wäre dann möglicherweise als Verstoß gegen das aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Beschleunigungsgebot zu werten. Dieses Prozeßgrundrecht fordert die angemessene Beschleunigung des Verfahrens (s. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK)25 • Ein Strafverfahren, das erst das Ergebnis eines langwierigen Verwaltungsverfahrens abwarten muß, ist schon vom Grundsatz her mit dem Beschleunigungsgebot kaum zu vereinbaren, da eine erhebliche Verzögerung in der Praxis wohl der Regelfall wäre.
23 Vgl. zum folgenden Rengier, ZStW 101 (1989), 904 f.; Brauer, Genehmigungsfllhigkeit, S. 67 ff.; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 169. 24 OLG Köln, wistra 1991, 74 (7S). 25 Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist mit Blick auf die Möglichkeit belastender Auswirkun$en beim Rechtsfolgenausspruch, insbesondere bei der Frage der Strafzumessung zu berücksichtigen und kann sogar zur Einstellung des Verfahrens fUhren, Vgl. BVertU, NJW 1992, 2472 (2473); BGH, BGHR EMRK Art. 6 I I Verfahrensverzögerung 3; Kleinkrrecht/Meyer-Goßner, StPO, Art. 6 MRK Rdn. 9. Vgl. zur Beschleunigung des Strafverfahrens auch die Beschlüsse der strafrechtlichen Abteilung des 60. Deutschen Juristentages, abgedruckt in NJW 1994, 3078 ff.
111. Stellungnahme
107
Allerdings ist die Auffassung, die in der späteren Genehmigungserteilung einen Strafaufhebungsgrund sieht, insoweit erwägenswert, als dem Straftatbestand wie im Fall des § 34 Abs. 2 AWG eine gesetzliche Regelung korrespondiert, die die (zivilrechtliche) Rückwirkung der nachträglich erteilten Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vomahme der Handlung zum Gegenstand hat (§ 31 S. 2 AWG)26• Das nicht genehmigte Verhalten ist zwar im Zeitpunkt der Tathandlung rechtswidrig, weil nachträglich eingetretene Tatsachen strafrechtlich grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind27• Die nachträgliche zivil- und verwaltungsrechtliche Legalisierung des Verhaltens muß jedoch unter dem Gesichtspunkt der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung auch in die strafrechtliche Bewertung Eingang fmden. Dies kann systemgerecht nur durch die - ausnahmsweise - Berücksichtigung der Genehmigungsfllhigkeit als Strafaufhebungsgrund erreicht werden28 •
3. Zusammenfassung Die bloße Genehmigungsfllhigkeit bleibt grundsätzlich strafrechtlich unbeachtlich. Erst die formelle Genehmigung, die die Genehmigungsfllhigkeit verbindlich feststellt, befreit von dem verwaltungsrechtlichen Verbot. Dieses Ergebnis stützt sich insbesondere auf die Erwägung, daß sich formelle und materielle Illegalität im Bereich des verwaltungsakzessorischen Strafrechts nicht trennen lassen. Der Gesetzgeber hat die Bewirtschaftung der betroffenen Rechtsgüter allein der Verwaltung und nicht dem einzelnen Bürger zugewiesen, so daß der Bürger die Entscheidung der Behörde abzuwarten hat. Ob dagegen die behördliche Duldung die formelle Gestattung strafrechtlich substituieren kann, bleibt nachfolgend zu untersuchen.
26 A.A. Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, § 3 I AWO Rdn. I a.E.; § 33 AWO Rdn. 6. Die hier angesprochene Fallkonstellation betrim allerdings nur den seltenen Ausnahmefall, daß Gegenstand der Genehmigungspflicht nach§ 7 i.V.m. § 2 AWG ein Rechtsgeschäft ist. Regelmäßig ist eine Realhandlung (Einfuhr/Ausfuhr) und nicht ein Rechtsgeschäft Gegenstand der Genehmigungspflicht, vgl. von Bogdandy, VerwArch 1992, 82. 27 Siehe nur BGHSt. 23, 86 (93 f.); 37, 21 (29), wonach sich die Befugnis i.S. des § 326 Abs. I StOB allein nach der tatsächlichen öffendich-rechdichen Rechtslage im Tatzeitpunkt richtet und zwar auch dann, wenn der Tatumstand rückwirkend entfllllt. Vgl. zum Ordnungswidrigkeitenrecht (Art. 6 § 2 Abs. I MRVerbG) auch BayObLG, NJW 1994, 2103 (2104). Zum Zeitpunkt der Bestimmung der Rechtswidrigkeit vgl. Schönlre/Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 26; Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 44. 28 Siehe auch Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 169.
F. Behördliche Duldung und Strafrecht Insbesondere in jüngster Zeit hat die behördliche Duldung auch in der strafrechtlichen Literatur verstärkte Beachtung gefunden. Die angebotenen Lösungsansätze sind vielfältig und sollen hier im Zusammenhang dargestellt werden. Der Begriff der behördlichen Duldung wird in der oben 1 erörterten Form beibehalten. Damit bleiben sowohl die sog. "passive" Duldung als auch die sog. Duldung in der Form einer Genehmigung oder Zusicherung ausgeklammert.
I. Meinungsstand 1. Rechtfertigung bei rechtmäßiger behördlicher Duldung Ein Teil der Rechtsprechung2 und der Literatu~ erblicken in der behördlichen Duldung einen Rechtfertigungsgrund, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen erftlllt sind: Die Behörde muß die Kenntnis sämtlicher ftlr die Entscheidung maßgeblichen Umstände haben. Die Behörde muß sich in einem - dokumentierten• - Entscheidungsprozeß zur Duldung des nicht genehmigten Zustands entschlossen haben.
1
Siehe unter C I. LG München II, BayVBI. 1986, 316 (317); sowie GenStA beim OLG Hamm, NuR 1986, 223; GenStA beim OLG Celle, Ztw 1989, 53 (55). Im Ergebnis auch AG Lübeck, StV 1989, 348 (349); AG Hof, BayVBI. 1989, 763. Vgl. zudem OLG Celle, Ztw 1987, 126 (127); LG Bonn, NStZ 1988, 224 (225); StA Mainz, NStE Nr. 13 zu § 324 StOB, die in der behördlichen Duldung jeweils eine konkludent erteilte Erlaubnis sehen. Dazu bereits oben unter C I 5. 3 Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 170 f.; Rengier, ZStW 101 (1989), 906; Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 56 ff.; Dahs/Pape, NStZ 1988, 395 f.; Heine, NJW 1990, 2434; OssenbUhVHuschens, UPR 1991, 167; Kuhlen, WiVerw 1992, 272 f.; WUterich, UPR 1988, 251; Roga/1, in: Festschr. Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 525; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 113 ff.; Marx, Behördliche Genehmigung, S. 93, 187; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 193 ff.; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 246 ff.; Frank, Rechtswidriges Verwaltungshandeln, S. 188 f.; Wesse/, Umweltge~dende Abfallbeseitigung, S. 46 ff. Nur ftlr § 324 StOB (Gewasserverunreinigung): Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 30 f.; Himme/mann/PohVTUnnesenHarmes, Hdb Umweltrecht, A.8 Rdn. 14. Unklar dagegen Nisipeanu, Ztw 1990, 378 f. 4 OssenbUhVHuschens, UPR 1991, 167 setzen dies voraus, ebenso wohl Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 31. Dagegen soll nach Dahs/Pape, NStZ 1988, 395, allein die "sehr intensive Bearbeitung des Vorgangs" ausreichen. Rengier, ZStW 101 (1989), 907, läßt Zeugenaussagen genügen. 2
I. Meinungsstand
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Die Duldung muß formell und materiell mit dem Verwaltungsrecht übereinstimmens, insbesondere mit dem einschlägigen Spezialgesetz. Die Duldung muß dem Ziel dienen, auf Dauer einen legalen Zustand herzustellen. Sind diese Voraussetzungen erftlllt, soll die behördliche Duldung rechtfertigend wirken. Es wird darauf hingewiesen, daß der Behörde durch Gesetz die Möglichkeit eingeräumt sei, gegen ein rechtswidriges Verhalten oder einen rechtswidrigen Zustand nicht einzuschreiten. Sie könne also von der Vollstreckung des gesetzlichen Verbots absehen. Dies müsse das Strafrecht respektieren, zumal die Strafe ebenso wie die Verwaltungsvollstreckung der Verwirklichung von Ge- und Verboten diene6 • Der Gesetzgeber habe sich durch die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung des Strafrechts ftlr einen Vorrang der Opportunität gegenüber der Legalität entschieden. Diese Rangfolge von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sei gesetzlich nicht nur tllr die behördliche Genehmigung, sondern auch ftlr die Fälle behördlicher Duldung entschieden7 • Durch ihre präventive Wirkung würde die Strafandrohung faktisch die verwaltungsrechtliche Befugnis zur Duldung unterlaufen und damit die angeordnete Rangfolge in ihr Gegenteil verkehren8 • Bedenken im Hinblick auf eine Umgehung der Voraussetzungen förmlicher Genehmigungsverfahren teilt diese Auffassung nicht. Die - rechtmäßige behördliche Duldung wahre die Kontrollfunktion des Verwaltungsverfahrens, da die Behörde in einem willentlich durchgeftlhrten "Duldungsverfahren" ihre Entscheidung zur Hinnahme des illegalen Verhaltens erst nach materiellrechtlicher Prüfung erlasse9 • Der behördlichen Duldung komme damit eine der behördlichen Genehmigung vergleichbare Funktion zu, so daß Sicherheits-
5 Offengelassen von Wflterich, UPR 1988, 251. Kuhlen, WiVerw 1992, 276 f., fordert dagegen ein genehmigungsfllhiges Verhalten und stellt somit nicht auf die Rechtmäßigkeit der Duldungsentscheidung ab (in diese Richtung auch Franzheim, ZfW 1992, 327). Entgegen seiner Einschätzung dUfte dieses Merkmal im ·Ergebnis restriktiver sein, da eine verwaltungsrechtlich rechtmäßige Duldung - gerade in Sanierungs- Nottllllen - kein genehmigungsfllhiges Verhalten voraussetzt. Zweck der rechtmäßigen behördlichen Duldung ist zumeist erst die Herbeiftlhrung eines genehmigungsfllhigen Zustandes (siehe auch die nächste Voraussetzung). 6 Wüterich, UPR 1988, 251; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 168. 7 Wüterich, UPR 1988, 251; Marx, Behördliche Genehmigung, S. 93. 8 Wüterich, UPR 1988, 251; Heine, NJW 1990, 2433; Marx, Behördliche Genehmigung, S. 93; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 171 ; ähnlich Rengier, ZStW 101 (1989), 906 f.; Dahs/Pape, NStZ 1988, 395 f.; Kuhlen, WiVerw 1992, 277. 9 Rengier, ZStW 101 (1989), 906; Heine, NJW 1990, 2434; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 201 tf.; Kuhlen, WiVerw 1992, 272; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 255.
110
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
und Ordnungsfunktion der behördlichen Entscheidung sowie verwaltungsrechtliche Formalisierungsgebote hinreichend garantiert seien. Da die Duldung dem Ziel der Herstellung von Legalität dienen müsse, seien allerdings rechtswidrige Outdungen strafrechtlich nicht anzuerkennen. Anderenfalls würde der Behörde auch eine informelle Dispositionsbefugnis über die Strafbarkeit eingeräumt, die sich in keiner Weise auf das Gesetz stützen könne10• Durch die Anerkennung auch einer rechtswidrigen Duldung als Rechtfertigungsgrund wäre zudem die materielle Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens verletzt. Anders als dem rechtswidrigen Verwaltungsakt komme ihr auch keine Bestandskraft zu 11 . Die Bekanntgabe der behördlichen Duldung an den Outdungsadressaten soll dagegen nicht erforderlich sein. Eine behördeninterne Entscheidung genüge den Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund der behördlichen Duldung. Anders als eine förmliche Verwaltungsentscheidung durch Verwaltungsakt sei die behördliche Duldung nicht an die Wirksamkeitsvoraussetzung des § 43 VwVffi (Bekanntgabe) gebunden12. Zur Begründung der rechtfertigenden Wirkung einer rechtmäßigen behördlichen Duldung stützt man sich auf die nachfolgenden Rechtsprinzipien: a) Prinzip des überwiegenden Interesses
Die rechtfertigende Wirkung der behördlichen Duldung wird zum Teil auf das Prinzip des überwiegenden Interesses zurückgeftlhrt13 , das auch der rechtfertigenden Genehmigung zugrunde liegt. Entsprechend diesem Rechtfertigungsprinzip wäge die Behörde im Vorfeld ihrer Outdungsentscheidung die unterschiedlichen Interessen gegeneinander ab. Unter Berücksichtigung des Verhältnismllßigkeitsprinzips habe die Behörde vor dem Erlaß einer Untersagungsverftlgung zu entscheiden, ob der Erhaltung des verwalteten Rechtsguts gewichtige Interessen des Setreibers oder andere schutzwürdige Interessen entgegenstehen. Eine derartige Abwägung und Harmonisierung mehrerer
10 Heine, NJW 1990, 2434; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 256. 11 Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 172. 12 Dahs/Pape, NStZ 1988, 395; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 260 f.; wohl auch Ren~ier, ZStW 101 (1989), 907; A.A. Gentzclce, Informales Verwaltungshandeln, S. 210 f. Er we1st zutreffend darauf hin, daß es an einem Wertungswiderspruch zwischen Verwaltungs- und Strafrecht fehle, wenn ftlr den Betroffenen nicht erkeMbar ist, ob die Behörde eine Entscheidung getroffen hat 13 So Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 113 f.; Bickel, ZCW 1979, 144; Frank, Rechtswidriges Verwaltungshandeln, S. 174, 187; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 250 f., 257 f.
I. Meinungsstand
111
kollidierender Interessen verkörpere die Verwirklichung des Prinzips des überwiegenden Interesses 14. Einem so zustandegekommenen, beanstandungsfreien Ergebnis der behördlichen Interessenahwägung könne nicht entgegengehalten werden, daß die Rechtfertigungswirkung von der Einhaltung formaler Erfordernisse abhängig sei 15 • b) Einheit der Rechtsordnung
Auch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung wird zur Begründung der rechtfertigenden Wirkung einer rechtmäßigen behördlichen Duldung herangezogen16. Zwar wird erkannt, daß das geduldete Verhalten verwaltungsrechtlich rechtswidrig bleibt, von der behördlichen Duldung also keine Legalisierungswirkung ausgeht. Der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung enthalte jedoch die Forderung nach der Straflosigkeit des geduldeten Verhaltens, da sonst das Strafrecht etwas durchsetze, was verwaltungsrechtlich gerade nicht durchgesetzt werden soll oder dilff'1 7 • Die Bewirtschaftung des gesetzlich anvertrauten Rechtsguts sei der Behörde auch dort aufgetragen, wo es um ein rechtswidriges Verhalten des BUrgers geht. Daher sei die Entscheidung darüber, ob ein nicht genehmigtes Verhalten zukünftig zu unterbleiben habe oder in einen erlaubnisfllhigen Zustand überzuleiten sei, gleichsam eine Form der Bewirtschaftung. Käme in diesem weiten Bereich eine Strafbarkeit des ohne Genehmigung Handelnden in Betracht, so würden die Maßnahmen der Strafverfolgung der Behörde die Bewirtschaftung aus der Hand nehmen und sie gesetzeswidrig auf die Strafverfolgungsbehörde übertragen11. Der Sache nach werde das materiell-verwaltungsrechtliche Verbot strafrechtlich "exekutierbar", so daß der Zweck der behördlichen Duldung vereitelt werde. Der Vorrang des Umweltverwaltungsrechts vor dem Umwelt-
14 Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 114; ahnlieh Marx, Behördliche Genehmigung, S. 187 ("die der Ermessensbetatigung immanente behördliche Abwllgung muß sich auch in der strafrechtlichen Güterabwllgung niederschlagen"). 15 Frank, Rechtswidriges Verwaltungshandeln, S. 175.
16 So Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 170; Rengier, ZStW 101 (1989), 906; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. ll4 ff.; siehe auch Nisipeanu, ZfW 1990, 378; Kuhlen, WiVerw 1992, 272; Marx, Behördliche Genehmigung, S. 93 Fn. 156. In diese Richtung geht auch die Argumentation von Wüterich, UPR 1988, 251, wenn er sein Ergebnis auf die Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts stUtzt. 17 Rengier, ZStW 101 (1989), 906 f.; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 114; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 249; Kuhlen, WiVerw 1992, 272. 18 Bickel, in: Meinberg/Möhrensch/ager/Link, Umweltstrafrecht, S. 265; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 250 f.
112
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Strafrecht gebiete es hier, den Widerspruch zugunsten der umweltverwaltungsrechtlich maßgeblichen Wertung aufzulösen 19• Ein von der Rechtsordnung gebilligtes oder zumindest toleriertes Verhalten könne nicht innerhalb derselben Rechtsordnung zugleich als Störung des Rechtsfriedens angesehen werden20• Zwar sei das genehmigungslose Verhalten verwaltungsrechtlich rechtswidrig, es sei aber nicht verboten. Die behördliche Duldung bezwecke hier ausnahmsweise die Ermöglichung eines an sich rechtswidrigen Verhaltens zur Verbesserung des Umweltschutzes21 • Das Strafrecht, dem im Bereich des Umweltschutzes nur eine unterstützende Funktion zukomme, müsse die verwaltungsrechtlichen Vorgaben beachten und dürfe die rechtmäßige behördliche Duldungsentscheidung nicht als rechtliches "nullum" behandeln22• c) Einwilligung
Dahs/Pape und Bickel gewinnen die rechtfertigende Wirkung einer behördlichen Duldung auch durch eine Analogie zu dem Rechtfertigungsgrund der konkludenten Einwilligung in die Rechtsgutverletzung23 • Eine offensichtliche Parallele liegt nach Bickel darin, daß die rechtfertigende Einwilligung im Strafrecht ebenso wie die behördliche Duldung nicht an eine bestimmte Form gebunden sei. Sie müsse dem Täter nur vor der Tat zugegangen sein24 • Dahs/Pape erkennen zwar, daß die Voraussetzungen der behördlichen Duldung nicht identisch mit denen der konkludenten Einwilligung sind. Eine entsprechende Anwendung soll jedoch in Betracht kommen, wenn die Duldung "der Erteilung einer vorläufigen Erlaubnis gleichwertig" seF5•
Kuhlen, WiVerw 1992, 272. Nisipeanu, ZfW 1990, 375; Rengier, ZStW 101 (1989), 906 f.; Heine, NJW 1990, 2433. 21 Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 115; Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 255. 22 Englisch, Begünstigendes Verwaltungshandeln, S. 254 f. 19
20
23 Dahs/Pape, NStZ 1988, 395 f.; Bickel, ZfW 1979, 146 f.; ähnlich Himme/mann/PohVFünnesen-Hermes, Hdb Umwcltrecht, A.8 Rdn. 14 ("Dispositionsbefugnis"). Allgemein zur konkludenten Einwilligung vgl. Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 111. 24 Bickel, ZfW 1979, 146. 25 Dahs/Pape, NStZ 1988, 396. Sie erklären allerdings nicht, worin sich in diesen Fällen die behördliche Duldung noch von dem rechtsfl)rmlichen Handeln durch Verwaltungsakt unterscheiden soll.
I. Meinungsstand
113
d) Analogie zu anerkannten Rechtfertigungsgründen
Insbesondere Gentzcke leitet die rechtfertigende Wirkung der behördlichen Duldung im Bereich des Wasserrechts aus einer Analogie zu den anerkannten Rechtfertigungsgründen der Genehmigung und der Zulassung vorzeitigen Beginns nach § 9a WHG ab26• Er ist der Ansicht, daß die Rechtswidrigkeit eines verwaltungsakzessorischen Straftatbestandes nicht allein an dem Fehlen einer förmlichen Genehmigung gemessen werden könne27 • Das Strafrecht sei dort nicht mehr an die Vorgaben des Verwaltungsrechts gebunden, wo eine förmliche Genehmigung weder erteilt noch ihre Erteilung abgelehnt worden ist. Hier könne das Strafrecht den Sachverhalt selbständig und ohne Bindung an die verwaltungsrechtliche Bewertung beurteilen, so daß es nicht auf die fehlende verwaltungsrechtliche Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung ankomme28 • Die Analogie begründet Gentzcke mit der Interessenabwägung, die sowohl den förmlichen Gestattungsformen als auch der behördlichen Duldung zugrunde liege29 • Da eine Regelungslücke bestehe30, seien die Voraussetzungen eines Analogieschlusses gegeben. e) Duldung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren
Nach Schmitz soll selbst in dem Verzicht der Behörde auf die Anordnung des sofortigen Vollzug einer Untersagungsverftlgung eine rechtfertigende Duldung liegen31 • Der Setreiber einer nicht genehmigten Abfallentsorgungsanlage könne dann nicht bestraft werden, wenn ihm die Verwaltungsbehörde den Betrieb der Anlage untersagt und dabei nicht den sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts angeordnet hat. Während der Anfechtungsfrist sowie nach Erhebung des Widerspruchs bestehe daher eine Duldungspjlicht(!) der Behörde bis zu einer endgültigen Entscheidung32• Der Setreiber einer Anlage, gegen den die Behörde eine Untersagungsverftlgung erlassen hat, wäre damit
27
Informales Verwaltungshandeln, S. 194 ff. Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 163.
28
Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 166, 172.
26
29
Informales Verwaltungshandeln, S. 205. Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 197 ff. 31 Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 135; ähnlich Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 73 f., 158. Ablehnend dagegen Franzheim, GA 1993, 340; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 171. 32 Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 133, 135. 30
H Malitz
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F. Behördliche Duldung und Strafrecht
strafrechtlich besser gestellt als der Setreiber einer schlicht ungenehmigten Anlage. 2. Genehmigungsgleiche Wirkung der rechtmlßigen behördlichen Duldung Ähnlich, aber in der Sache noch weitergehender, vertritt Winkelbauer die Ansicht, daß die rechtmäßige behördliche Duldung wie eine behördliche Genehmigung wirke33 • Danach würde eine behördliche Duldung schon den objektiven Tatbestand ausschließen, wenn die behördliche Genehmigung negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal (z.B. § 327 StGB - Unerlaubtes Betreiben von Anlagen) ist. Im übrigen wäre die behördliche Duldung Rechtfertigungsgrund. Auch nach Winkelbauer soll die behördliche Duldung erst dann eine "genehmigungsgleiche" Wirkung haben, wenn die Behörde in Kenntnis aller ftlr die Entscheidung erheblichen Umstände einen "Duldungsentschluß" gefaßt und dieser in einer -wenn auch nur behördeninternen - Duldungsentscheidung seinen Niederschlag gefunden hatl4 • Er begründet seine Auffassung mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und dem Regelungszweck des jeweiligen Straftatbestandes. Danach dürfe das geduldete Verhalten strafrechtlich nicht anders als das genehmigte Verhalten behandelt werden, da der Duldung eine verwaltungsrechtliche Befugnis zur Vomahme des ungenehmigten Verhaltens immanent sei und diese nicht durch eine Strafandrohung unterlaufen werden dürfe35 • Die - oben36 bereits abgelehnte - verwaltungsrechtliche Legalisierungswirkung der behördlichen Duldung soll nach Winkelbauer der Legalisierungswirkung eines Verwaltungsakts vergleichbar sein. Als Konsequenz schlägt Winkelbauer eine eigenständige strafrechtliche Begriffsbildung vor, die in der rechtmäßigen Duldung schon die erforderliche Genehmigung erblickt oder aber die in Frage kommenden Straftatbestände restriktiv auslegtl 7 • Keine genehmigungsgleiche Wirkung soll die behördliche Duldung allerdings in den Fällen haben, in denen sie verwaltungsrechtlich rechtswidrig ist. Hier bleibe das nicht genehmigte Verhalten auch strafrechtlich rechtswidrig,
DÖV 1988, 728; JuS 1988, 696; NStZ 1988, 203 Fn. 29. Winke/bauer, DÖV 1988, 728; ders., JuS 1988, 696. 35 Winke/bauer, DÖV 1988, 728; ders., JuS 1988, 696; ders., NStZ 1988, 203 Fn. 29. 36 Siehe unter C li 3. 37 Winke/bauer, NStZ 1988, 203 Fn. 29. 33
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I. Meinungsstand
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weil die Aufhebung gesetzlicher Verbote grundsätzlich nur in den gesetzlich daftlr vorgesehenen Fonneo erfolgen könne38 • Dann könne die behördliche Duldung nur noch als Strafausschließungsgrund Berücksichtigung finden. Ein Strafausschließungsgrund sei dort in Erwägung zu ziehen, wo der Unwertgehalt des Straftatbestandes nicht allein durch Gefahren bestimmt werde, die sich aus der Nichteinhaltung des Verfahrens ergeben39 • 3. Genehmigungsgleiche Wirkung auch der rechtswidrigen behördlichen Duldung Ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht, daß nicht nur die verwaltungsrechtlich rechtmäßige, sondern auch die rechtswidrige, aber nicht "nichtige"40 behördliche Duldung rechtfertigende Wirkung entfalte41 • Hier wird die behördliche Duldung in ihren strafrechtlichen Auswirkungen der behördlichen Genehmigung nicht nur in ihrer Stellung im Deliktsautbau, sondern auch in ihrer Bestandskraft gleichgesetzt. Dies hat Konsequenzen ftlr den Bereich der rechtswidrigen Duldungen. Die rechtswidrige, aber wirksame behördliche Genehmigung wirkt nach überwiegender Auffassung entweder tatbestandsausschließend oder - je nach ihrer Stellung im konkreten Straftatbestand - rechtfertigend42 • Für den Bereich des Umweltstrafrechts macht der neugefaßte § 330d Nr. 5 StGB43 in Anlehnung an § 34 Abs. 8 AWG eine Ausnahme ftlr den Fall der rechtsmißbräuchlich erlangten Genehmigung44 • Dies entspricht der zuvor in der Recht-
38
Winke/bauer, NStZ 1988, 203.
Winke/bauer, NStZ 1988, 203; siehe auch Roxin, StrafR AT, § 17 Rdn. 50. Eine dem § 44 VwVfD entsprechende gesetzliche Regelung der verwaltungsrechtlichen Unwirksamkeit einer behördlichen Duldung besteht naturgemäß nicht. 41 So Dolde, NJW 1988, 2333; Rogall, Strafbarkeit von Amtsträgem, S. 163 Fn. 143; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439 f.; StA Mainz, NStE Nr. 13 zu§ 324 StGB (in der irrigen Annahme, die Duldung sei ein Verwaltungsakt); wohl auch Bickel, in: Meinberg/Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 268 f. AusdrUcklieh offengelassen von Wüterich, UPR 1988, 251, und Nisipeanu, ZfW 1990,378 f., die alternativ die§§ 16, 17 StGB anwenden wollen. Wie die behördliche Duldung, der auch nach Wüterich und Nisipeanu allenfalls rechtfertigende Wirkung zukommen soll, einen Tatbestandsirrtum i.S. des § 16 StGB hervorrufen kann, wird allerdings in ihren Ausfllhrungen nicht deutlich. 42 Vgl. dazu nur Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 160; Schönke/Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 62, sowie bereits oben unter D II 3. 43 BGBI. I S. 1441 (1443). 44 Es ist allerdings nicht erkennbar, wie diese überstürzte Gesetzesänderung - die Gleichstellung des genehmigungslosen und des rechtsmißbräuchlichen Handeins war in den Gesetzesentwürfen nicht vorgesehen und wurde erst aufgrund der Entscheidung BGHSt. 39, 381 ff. "klarstellend" in das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität aufgenommen, vgl. BT-Drs. 12/7300, S. 25 - mit dem Verwaltungsrecht zu vereinbaren ist. Der Täter macht sich nach den Umweltstraftatbeständen strafbar, darf jedoch verwaltungsrechtlich weiterhin - als Bei39
40
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F. Behördliche Duldung und Strafrecht
sprechung45 und von einem Teil der Literaur46 vertretenen sogenannten "Rechtsmißbrauchslösung"47• Wasmuth/Koch entnehmen die rechtfertigende Wirkung auch rechtswidriger Duldungen dem Gedanken des Vertrauensschutzes48 • Das Vertrauen auf die behördliche Duldung sei schutzwürdig, wenn der Bürger die Duldung nicht durch unlauteres Verhalten veranlaßt habe und nicht von den Vorgaben der Behörde abweiche. Dann zwinge der Vertrauensgrundsatz die Verwaltung, das in der Vergangenheit liegende geduldete Verhalten des Bürgers als rechtmäßig zu behandeln49 • In seiner Struktur weise das Prinzip des Vertrauensschutzes damit Wertungszusammenhänge auf, die in konkretem Zusammenhang mit den grundlegenden materiellen Prinzipien der Rechtfertigungsdogmatik stündens0 • Mit der Verwaltungsbehörde übernehme ein befugter Sachwalter die Interessenabwägung, die im Verhältnis zum Bürger die ftlr diesen maßgebliche Rechtslage definiere. Als Sachwalter könne die Behörde zwar nicht auf Schutz des Rechtsguts verzichten, sie definiere jedoch ftlr den Outdungsadressaten verbindlich die Grenzen des Unrechts51 • Die behördliche Duldung soll demnach unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit ein "verwaltungsrechtlich-strafrechtlicher" Rechtfertigungsgrund sein. spiel - das Gewässer verschmutzen. Ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, insbesondere wenn man bedenkt, daß sich der Gesetzgeber an § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, 2 VwVfG anlehnt. § 48 VwVfG hat einen wirksamen(§ 43 VwVfG) Verwaltungsakt zum Gegenstand, den die Verwaltungsbehörde zurücknehmen kann, aber eben nicht zurücknehmen muß. Die Behörde kann gute Gründe haben, von diesem Recht keinen Gebrauch zu machen, so daß das Verwaltungsrecht das genehmigte Verhalten erlaubt, während es durch das Strafrecht sanktioniert werden soll. Schmidt/Schöne, NJW 1994, 2514 sind dagegen der Auffassung, daß durch die neugeschaffene Mißbrauchsklausel des § 330d Nr. 5 StGB keine "Diffusion des Unrechts" (so Hassemer, ZRP 1992, 382) drohe, sondern darin vielmehr "eine Betonung des flankierenden Charakters des Strafrechts" liege; siehe auch Möhrenschlager, NStZ 1994, 515. Gleichfalls sehr kritisch zu der Neuregelung Breuer, JZ 1984, 1083, 1090 f. ("Stoß ins Mark der Verwaltungsakzessorietat", durch den ein "Rückfall in denjuristischen Grabenkrieg der 80er Jahre" drohe). 4s BGHSt. 39, 381 (387 f.); OLG Frankfurt, JR 1988, 168 (170) m.Anm.Keller; LG Hanau, NJW 1988, 571 (576). Siehe zu der Entscheidung des BGH auch den Nichtannahmebeschluß des BVerfG in NJW 1995, 186 f. 46 Vgl. nur Schönke/Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 63; Dreher/Jröndle, Vor § 324 Rdn. 4b f.; Roxin, StrafR AT,§ 17 Rdn. 47; Breuer, DÖV 1987, 180 f.; Otto, Jura 1991, 313. 47 Ob sich die Rechtsmißbrauchslösung vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG in E 75, 329 (346) halten läßt, erscheint mehr als zweifelhaft. Nach der Entscheidung des BVerfG ist dem Strafgericht die Überprüfung von Verwaltungsakten diesseits der Grenzen offensichtlicher Rechtswidrigkeit (also Nichtigkeit) bereits kraft Verfassung verwehrt, vgl. dazu Bickel, in: Meinberg/Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 262. Zur sachgerechten Berücksichtigung des Rechtsmißbrauchs durch die Anwendung der strafrechtlichen Teilnahmelehre siehe Jakobs, StrafR AT, 16/29a; Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 165; siehe dazu auch BVerfG, NJW 1995, 186 (187). 48 NJW 1990, 2439. 49 Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2439. so Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2440. SI Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2441.
I. Meinungsstand
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Als schlicht hoheitliches Verhalten soll die rechtswidrige behördliche Duldung nach Dolde zwar nicht in Bestandskraft erwachsen52• Eine solche Duldung könne die Behörde nämlich ungeachtet der Voraussetzungen des § 48 VwVfG, der die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte betriffi, beenden. Bis zu ihrer Beendigung sei die Duldung jedoch als schlicht hoheitliche Maßnahme entsprechend § 43 VwVfG wirksam und damit verbindlich. Die entsprechende Anwendung des § 43 VwVfG auf die behördliche Duldung habe den Vorteil, daß die Rechtfertigung der behördlichen Gestattung nicht von der Fonn des Verwaltungshandeins abhänge und entspreche dem Grundsatz materieller Gerechtigkeit. Dem Schutzzweck des betroffenen Straftatbestandes sei Genüge getan, wenn die Behörde aufgrund entsprechender Prüfung von einer Untersagungsverfllgung abgesehen habe. Diese Entscheidung müsse sich nur - zumindest behördenintern - später nachvollziehen lassen53 •
4. Rechtfertigung nur bei gebundener Verwaltung Wesentlich restriktiver räumt eine andere Ansicht der behördlichen Duldung nur dann rechtfertigende Wirkung ein, wenn die Behörde zur Erteilung der Genehmigung verpflichtet ist oder jedenfalls gegen das nicht genehmigte Verhalten nicht einschreiten darP4 • Hier finden sich Parallelen zu der Auffassung, die in der Genehmigungsßlhigkeit im Bereich der gebundenen Verwaltung einen Rechtfertigungsgrund erblickt55 • Begründet wird die rechtfertigende Wirkung der behördlichen Duldung im Bereich gebundener Verwaltung damit, daß ein strafrechtlich rechtswidriges Verhalten nicht denkbar sei, wenn die Behörde es nicht, nicht mehr oder erst nach einer angemessenen Übergangsfrist verbieten könne. Die strafrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen seien akzessorisch zu denen des Verwaltungsrechts und dürften daher nicht über jene hinausreichen56•
52 53
NJW 1988, 2333. Als Beispiel ftlhrt Dolde, NJW 1988, 2333, die Verwaltungsakten an.
54 Lackner, § 324 Rdn. 12; Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 80 f., 105; Knopp, DÖV 1994, 678; Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 63; ähnlich Schünemann, wistra 1986, 242; Samson, JZ 1988, 804; Papier, NuR 1986, 6 (anders nunmehr ders., in: Krebs/0/diges/Papier, Gewllsserschutz, S. 66 f., wo er nur noch der Duldung in Form eines Verwaltungsakts rechtfertigende Wirkung zukommen lassen will). Unklar Fluck, NuR 1990, 203 f., der nicht erkennen läßt, ob er auch Fälle rechtmäßiger ErmessensausUbung einbezieht. ss Zu dieser Auffassung bereits oben unter E II 2 b. 56 Papier, NuR 1986, 6; Fluck, NuR 1990, 203; Knopp, DÖV 1994, 678; in diese Richtung auch Lackner, § 324 Rdn. 12.
l18
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Sei eine Untersagungsverfilgung unzulässig, so habe der betroffene Bürger verwaltungsrechtlich einen entsprechenden Abwehr- oder Unterlassungsanspruch gegen hoheitliches Handeln. Dieser Unterlassungsanspruch gründe sich auf das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte57• Ihm korrespondiere ein strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund, da "die geschützte Vertrauenslage die Rechtslage verändert" habe58 • Vereinzelt wird der Duldung in diesen Fällen sogar die tatbestandsausschließende Wirkung eines Einverständnisses zugesprochen. Aufgrund der fehlenden Handlungsalternativen sei das geschützte Rechtsgut der Dispositionsbefugnis der Behörde entzogen und auf den status quo begrenzt59• Da das Gesetz in atypischen Situationen ein Abweichen von dem förmlichen Genehmigungsverfahren vorsehe, die behördliche Duldung der Genehmigung aber nicht gleichzusetzen sei, könne zur Lösung dieses Problems strafrechtlich nur auf die Rechtsfigur des Einverständnisses zurtlckgegriffen werden.
5. Unbeachtlichkeit der behördlichen Duldung im Bereich objektiven Unrechts Nach verbreiteter Auffassung soll die behördliche Duldung eines genehmigungspflichtigen Verhaltens ftlr das strafrechtliche Unwerturteil ohne Bedeutung sein, so daß sie allenfalls im lrrtumsbereich60 oder strafprozessual bei der Entscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach § 153 StP061 bertlck-
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Fluck, NuR 1990, 203;
58
F/uck, NuR 1990, 203.
59
So Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 63. So OLG Stuttgart, Ztw 1976, 378 (380); NJW 1977, 1408 = JR 1978, 294 f. = Ztw 1977, 177 (183); OLG Braunschweig, Ztw 1991, 52 (62); Sch6nke/Schrtider-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 63a; Schönke/Schröder-Cramer, Vor § 324 Rdn. 20; Steindorf, LK, § 324 Rdn. 88, § 326 Rdn. 61; Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. l12e ff.; Jakobs, StratR AT, 16/29a; Roxin, StratR AT,§ 17 Rdn. 50; Odersky, in: Festschr. ftlr Tröndle, S. 303; Hermes/Wieland, Duldung, S. 104 ff.; Schrtider, WDStRL 50 (1991), 227; Laujhütte/Möhrensch/ager, ZStW 92 (1980), 931 f.; Möhrenschlager, NuR 1983, 215; ders., in: Meinberg/Möhrenschlagerl Link, Umweltstrafrecht, S. 43 f.; Heine/ Meinberg, GutachtenD zum 57. DJT, D 52; Platz, BayVBJ. 1983, 624; Breuer, NJW 1988, 2082; ders., Wasserrecht, Rdn. 836; ders., AöR 115 (1990), 465; ders., JZ 1994, 1086; Allewe/dt, NuR 1992, 318 f.; Wessels, StratR BT/1, Rdn. 1025; Pfe_jffer, Verunreinigung der Luft, S. 115 ff.; Galons/ca, Amtsdelikte, S. 56; Martens, Wesentl. Anderung i.S.d. § 15 BlmSchG, S. 23; Grad{, Umweltgefllhrdende Abfallbeseitigung, S. 64; Niering, Gewässerschutz, S. 76; vgl. auch Otto, Jura 1991, 313 (er betrachtetjede behördliche Duldung als verwaltungsrechtlich rechtswidrig); ebenso Hallwaß, Duldung, S. 107 ff.; ders., NuR 1987, 300 f.; Scheele, Fehlerhafte behördliche Genehmigungen, S. 162. 61 So Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 74, 100, allerdings beschränkt auf das Abfallstrafrecht (§ 326 StGB - ftlr die Fälle der "undichten Kanäle" läßt er allerdings den "außerordentlichen" Rechtfertigungsgrund der behördlichen Duldung zu, a.a.O., S. 75) und das Betreiben ungenehmigter Anlagen (§ 327 StGB). Die "qualifizierte" Duldung einer Gewässerverunreinigung soll dagegen rechtfertigen, a.a.O., S. 30. Franzheim stellt damit die rechtfertigende Wirkung einer 60
I. Meinungsstand
119
sichtigt werden könne. Die dadurch entstehenden "kleineren Ungereimtheiten" zwischen Umweltverwaltungsrecht und Strafrecht ließen sich nicht vermeiden und seien daher hinzunehmen62• Zur Begründung wird angefllhrt, daß gerade im Bereich förmlicher Genehmigungsverfahren die Beteiligungsrechte anderer Stellen und der Öffentlichkeit nicht zur Disposition der Behörde stünden. Ihr dürfe nicht erlaubt werden, eine ihr durch Gesetz auferlegte Pflicht, das gesetzliche Verbot zu vollziehen, außer Kraft zu setzen63 • Die wenigen Fälle rechtmäßiger Duldung könnten mit einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 153 StPO ausreichend berücksichtigt werden64 • Das Strafrecht sei nicht dazu geschaffen, rechtswidrige Eingriffe in die Rechtsgüter anderer zu legalisieren, sondern es müsse diese im Rahmen des Legalitätsprinzips ahnden65 • Dilatorisches Verhalten einer Behörde, die vor der Entscheidung stehe, durch Untersagungsverftlgung einen besitzstandsähnlichen Zustand zu beenden, könne jedenfalls nicht als Freibrief fllr strafbare Handlungen angesehen werden, die erhebliche Umweltgefllhrdungen nach sich zögen66• Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verwaltungsrechtlich den Verzicht auf die Anwendung des Verwaltungszwangs rechtfertige, räume die Rechtswidrigkeit des Zustands oder des Verhaltens nicht aus67• Daß die Behörde von der Möglichkeit eines Einschreitens absehe, bedeute noch nicht, daß die fragliche Handlung damit auch verwaltungsrechtlich ohne die erforderliche Erlaubnis vorgenommen werden dürfe61 • Es werde verkannt, daß es in zahlreichen Bereichen eine Ungefllhrlichkeit ohne förmliche Kontrolle nicht gebe69 • Die behördliche Duldung kann nach dieser Auffassung weder im Bereich des objektiven Tatbestandes noch im Bereich der Rechtswidrigkeit berücksichtigt werden.
behördlichen Duldung pauschal ftlr den jeweiligen Straftatbestand fest, anstatt zwischen verwaltungsrechtlich rechtmäßiger und rechtswidriger Duldung zu differenzieren (welches im Ergebnis seinen Überlegungen entspräche). 62 So Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 100. 63 Hermes/Wie/and, Duldung, S. 34; Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 99; Allewe/dt, NuR 1992, 318. 64 So Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 100. 65
66 67 68
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OLG Braunschweig, Ztw 1991, 52 (62); Otto, Jura 1991, 313. OLG Braunschweig, ZfW 1991, 52 (62). Odersky, in: Festschr. ftlr Tröndle, S. 303. Schönke/Schröder-Lenckner, Vor§ 32 Rdn. 63a; A//ewe/dt, NuR 1992, 316. Jakobs, StrafR AT, 16/29a Fn. SOa.
120
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Auf der Tatbestandsebene könne die Duldung schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil allein durch die Anknüpfung an die förmliche Genehmigung die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit des Straftatbestandes gewahrt würden. Das im Strafrecht gebotene Maß an Klarheit und Bestimmtheit könne die "diffuse Figur" der behördlichen Duldung nicht aufweisen70 • Aber auch als Rechtfertigungsgrund könne die behördliche Duldung keine Berücksichtigung finden. Die behördliche Duldung sei weder der Unterfall eines allgemein anerkannten Rechtfertigungsgrundes noch könne eine Analogie einen neuen Unrechtsausschließungsgrund der "Duldung" rechtfertigen. So fehle der Duldung sowohl die Legalisierungswirkung als auch die Ordnungsfunktion der behördlichen Genehmigung71 • Die Bewirtschaftung der anvertrauten Rechtsgüter unter Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorgaben gefährde das Gemeinwohl und verletze die Rechte einzelner72 • Auch weise die Duldung keine Nähe zu dem Rechtfertigungsgrund der Einwilligung auf. Dieser setze die Verfügungsbefugnis über das geschützte Rechtsgut voraus, die der Behörde - abgesehen von der gesetzlich verankerten Genehmigung gerade fehle 73 • Selbst unter Berücksichtigung der bundesweiten Behördenpraxis sei das "compositum mixtum" einer behördlichen Duldung aus § 34 StGB und Einwilligung nicht akzeptabel 74• Eine Analogie zu allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründen komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einer planwidrigen Gesetzeslücke fehle75 • Der Gesetzgeber habe das verbotene Verhalten nur bei Vorliegen einer förmlichen Erlaubnis gestattet. Folge man dieser Begründung nicht, fehle es aber jedenfalls an einer vergleichbaren Sachlage. Anders als im Fall einer fOrmliehen Genehmigung stimme das geduldete Verhalten regelmäßig nicht mit dem materiellen Verwaltungsrecht überein76 • Der Gegenstand der Entscheidungstindung sei bei der Genehmigung und bei der behördlichen Duldung verschieden. Durch die Genehmigung solle Legalität geschaffen
70
Hermes!Wieland, Duldung, S. 105.
Hallwaß, Duldung, S. 108 fT.; ders., NuR 1987, 300 f.; Hermes!Wieland, Duldung, S. 107 ff.; Heine/Meinberg, Gutachten D zum 57. DJT, D 52; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, S. 117. 72 Hallwaß, NuR 1987, 301. 71
73 Hermes/ Wieland, Duldung, S. 108 f.; Allewe/dt, NuR 1992, 315; Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 112e. 74 Laujhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 932 Fn. 76. 75 Alleweldt, NuR 1992, 317. 76 Alleweldt, NuR 1992, 317.
II. Behördliche Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal
121
werden, während im Fall der behördlichen Duldung gegen ein einen Bruch der Rechtsordnung darstellendes Verhalten nicht eingeschritten werde77• Zum Teil macht man eine Ausnahme ftlr solche behördlichen Duldungen, die einer konkludent erklärten Erlaubnis "gleichkommen"78 • Hier wird allerdings nicht deutlich, ob die angesprochenen Duldungen Verwaltungsaktqualität haben sollen. Erftlllen sie die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts, z.B. weil die Duldung aus der Sicht eines objektiven "Duldungsempflingers" ein gestattender Verwaltungsakt isf9, so ist sowohl verwaltungs- als auch aus strafrechtlich auf die Grundsätze zur behördlichen Genehmigung zurückzugreifen. Sollte die Duldung dagegen nicht die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts erftlllen, entspricht diese Auffassung der unter I. angeftlhrten, so daß sie der behördlichen Duldung rechtfertigende Wirkung beimißt Abweichend will Roxin dem Täter in den Fällen, in denen sein Verhalten keine tatbestandsmäßigen Umweltgefllhrdungen herbeiftlhrt, einen Strafausschließungsgrund zukommen lassen80• Als Beispiel fUhrt er § 325 StGB an, der Luftverunreinigung und Lärm81 unter Strafe stellt(e). Roxin setzt sich allerdings nicht mit der vorrangigen Frage auseinander, ob das geduldete Verhalten überhaupt noch den jeweiligen Straftatbestand erftlllt. Führt das Verhalten des Täters keine- durch § 325 StGB vorausgesetzte abstrakte- Gefllhrdung der geschützten Rechtsgüter herbei, fehlt es bereits am objektiven Tatbestand. Auf das Vorliegen einer behördlichen Duldung als Strafausschließungsgrund kann es dann schwerlich ankommen.
II. Zur behördlichen Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal Angesichts der Vielfalt informellen Verwaltungshandeins stellt sich zunächst unausweichlich die Frage, ob die strafrechtlichen Auswirkungen der
Pfei.ffer, Verunreinigung der Luft, S. 116 f. Steindorf, LK, § 324 Rdn. 89; Schänke/ Schröder-Cramer, Vor § 324 Rdn. 20; Roxin, StratR AT, § 17 Rdn. 50; Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 112g; Scheele, Fehlerhafte behördliche Genehmigungen, S. 162; Breuer, JZ 1994, 1086. 79 Auch im Verwaltungsrecht ist ftlr die Frage, ob die Behörde einen Verwaltungakt erlassen hat, die Sicht eines verstllndigen und die Zusammenhänge berücksichtigenden Beteiligten maßgebend, vgl. nur BVerwGE 12, 87 (91); Badura, in: Erichsen/Martens, Allg. VerwR, § 41 Rdn. 24, sowie bereits oben unter C I S a. 80 StratR AT, § 17 Rdn. SO, im Anschluß an Winke/bauer, NStZ 1988, 203 Fn. 29, der allerdings eine solche Aussage nicht getroffen hat. 81 Aufgrund des zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27.6.1994 (3l.StrÄndG-2.UKG) wird die Verursachung gefllhrlichen Lanns nunmehr durch den neugeschaffenen § 325a erfaßt. Dazu Möhrensch/ager, NStZ 1994, 317 f. 77
78
122
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
behördlichen Duldung überhaupt einheitlich beurteilt werden können. Die vielfältigen dargestellten Lösungsansätze, die von der Straflosigkeit aufgrund eines Unrechtsausschlusses - auch bei der rechtswidrigen Duldung - bis zu einer völligen Unbeachtlichkeit der behördlichen Duldung reichen, lassen oft unbeachtet, daß das geduldete Verhalten verwaltungsrechtlich rechtswidrig bleibt 1• Diese Feststellung muß Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bleiben. Zunächst ist zu untersuchen, ob die behördliche Duldung grundsätzlich geeignet ist, bereits den objektiven Tatbestand auszuschließen. Dies könnte durch den Wortlaut der jeweiligen Straftatbestände oder ihren Schutzzweck vorgegeben sein.
1. Begrifßichkeit der StraftatbestAnde als Vorgabe für die strafrechtlichen Wirkungen einer behördlichen Duldung Bereits der Wortlaut der verwaltungsakzessorischen Straftatbestände könnte Anlaß sein, die behördliche Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal und nicht erst als Rechtfertigungsgrund zu berücksichtigen2 • Die Bezugnahme auf das Verwaltungsrecht stellt sich im einzelnen wie folgt dar: Handeln ohne die behördliche Erlaubnis, §§ 284, 286 StGB; Handeln ohne (die erforderliche) Genehmigung, § I6 Abs. I lit. a KulturSchG, §§ 325 Abs. 4, 327, 328, 330 Abs. I S. I Nr. 3 StGB, § 34 Abs. I, Abs. 8 AWG (vgl. auch § 2I StVG: "erforderliche Fahrerlaubnis"); unbefugt, §§ I27, 132a, I68, 20I ff., 324, 326, 353b, 353d Nr. 2, 354 f. StGB; Handeln ohne Genehmigung der zuständigen Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse, §§ 33I Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB.
1 Siehe oben unter C V 3. Das BVertG hat in E 75, 329 (346) die strafrechtliche Berücksichtigung der behördlichen Duldung ausdrUcklieh der Entscheidungszuständigkeit der Fachgerichte zugewiesen: "... Allerdings können sich aufgrund der -Eigengesetzlichkeiten und Regelungsziele des Verwaltungsrechts einerseits und des Strafrechts andererseits im Einzelfall ftlr die Anwendung der Strafvorschrift Probleme stellen, so z.B. ... hinsichtlich einer behördlichen Duldung einer nicht genehmigten Anlage nach § 20 Abs. 2 S. 1 BlmSchG .... Derartige Auslegungsschwierigkeiten können und mUssen jedoch von den Gerichten mit den im Strafrecht und Strafprozenrecht zur Verftlgung stehenden Möglichkeiten bewllltigt werden.... " 2 So offenbar Samson, SK, Vor§ 32 Rdn. 93; Hallwaß, NuR 1987, 296. Grundsätzlich gegen die BerUcksichtigung der behördlichen Duldung auf der Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsebene Maurach/Zipf, StrafR AT,§ 29 Rdn. 19 a.E.; Jakobs, StrafR AT, 16129a.
II. Behördliche Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal
123
Es fällt auf, daß hinter dieser vielfältigen sprachlichen Bezugnahme auf das Verwaltungsrecht ein gedankliches Konzept nicht erkennbar ist. Die gesetzestechnisch unglückliche Bezugnahme wirft jeweils die Frage auf, ob der Straftatbestand verwaltungsaktakzessorisch oder verwaltungsrechtsakzessorisch ausgestaltet ist. Grundsätzlich ist auch den Begriffen "unbefugt" oder "unerlaubt" eine Verhaltensweise zu entnehmen, die gleichzusetzen ist mit einem Verhalten "ohne verwaltungsbehördliche Gestattung" 3 • Eine verwaltungsbehördliche Gestattung wird durch förmliches Verwaltungshandeln, also in der Regel durch eine behördliche Genehmigung, verliehen. Die unrechtsausschließende Wirkung der behördlichen Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins folgt aus dieser Art der Bezugnahme jedenfalls nicht, da sie das Verhalten nicht in diesem Sinne "gestattet". Allein der Wortlaut der verwaltungsakzessorischen Tatbestände läßt somit die Berücksichtigung der behördlichen Duldung bereits im Tatbestand nicht zu. 2. Rechtsgüterschutz als Ausgangspunkt der strafrechtlichen Wirkung einer behördlichen Duldung Obwohl der Wortlaut der verwaltungsakzessorischen Tatbestände die behördliche Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal nicht erfaßt, könnte sie doch unter Berücksichtigung des jeweiligen Schutzzwecks des Straftatbestandes bereits bei der Tatbestandsmäßigkeit zu berücksichtigen sein. a) Schutzzweck der verwaltungsakzessorischen Straftatbestände
Nach überwiegender Auffassung sind die Rechtsgüter der Umweltdelikte nicht als "Eigenrechte der Natur" zu verstehen•. So sind Tiere, Wasser oder Luft nicht als solche Rechtsgutsträger, da sie ihre Interessen nur mittelbar über den Menschen einbringen können. Die abweichende Auffassung5 verkennt, daß Rechte nur im Kampf aufeinandertreffender menschlicher Interessen erzeugt werden können, und daher entsprechende menschliche Interessen
3 Vgl. Schönke/Schröder-Cramer, Vor§ 324 Rdn. 14; Steindorf, LK, § 324 Rdn. 72 ff., § 326 Rdn. 60; Dreherffröndle, § 324 Rdn. 7, § 326 Rdn. 10. 4 Vgl. Steindorf, LK, Vor§ 324 Rdn. 12 ff.; Kindhtiuser, Festschr. fllr Helmrich, S. 970 ff. 5 Roga/1, JZ-GD 1980, 104; Arzt, Kriminalistik, 1981, 120; Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 681 (Konzeption eines "ökologischen" Interessenschutzes).
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
124
aufgezeigt werden müssen, um ein Sanktionsbedürfnis zu begründen6 • Es ist daher kein Rechtsgut vorstellbar, das nicht einen Bezug zum Menschen oder zur Menschheit aufweist. Auch die Umwelt ist mithin nur als gegenwärtige und künftige Lebensgrundlage des Menschen und der Menschheit bedeutsam7 • Andererseits werden die Umweltmedien8 nicht nur mittelbar bei der Besorgnis der Beeinträchtigung gerecht abgegrenzter menschlicher Freiheitssphären geschützt. Dem "modernen" Umweltstrafrecht ist es zu verdanken, daß eigenständige ökologische Rechtsgüter anerkannt sind. Der Schutz des Menschen bildet zwar weiterhin das Motiv des Gesetzgebers, er tritt aber in dem jeweiligen Straftatbestand abstrakt in den Hintergrund9 • Das erforderliche menschliche Interesse muß daher nicht in die Definition des einzelnen Rechtsgutes einfließen, vielmehr genügt, daß es das gesetzgeberische Motiv filr den Schutz durch die Rechtsordnung bildet10• Im hier interessierenden Zusammenhang sind daher die Straftatbestände in zwei Kategorien aufzuteilen: Zunächst in solche, die unmittelbar nur dem Schutz des Verwaltungsverfahrens dienen, zum anderen in solche, die - zumindest auch - unmittelbar den Schutz des durch die Behörde verwalteten Rechtsgutes bezwecken. b) Abstrakte Gefährdungsdelikte
Die erste Kategorie stellt schon im Vorfeld der Verletzung von Umweltgütern strafrechtliche Sanktionsdrohungen auf 1• Diese Straftatbestände sind als abstrakte Gefllhrdungsdelikte konstruiert. Der Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum und den Umweltmedien ist gesetzgeberisches Motiv geblieben, so daß die Verletzung oder konkrete Gefllhrdung dieser Rechtsgüter nicht Tatbestandsmerkmal ist.
6 Vgl. naher
Kindh/Juser, Festschr. ftlr Helmrich, S. 971 ; Steindorf, LK, Vor§ 324 Rdn. 18.
Vgl. dazu Hirsch, in: Kühne/Miyazawa, S. 14, der aber auch die Entfernung vom typischen Rechtgutverständnis und die Aufgabe deutlich umrissener Rechtsgüter kritisiert. 8 Zu diesem Begriff Steindorj, LK, Vor§ 324 Rdn. 15. 7
9 Vgl. BT-Dr. 8/2382, S. 10; 8/3633 S. 19; sowie Rengier, Das moderne Umweltstrafrecht, S. 9; Steindorj, LK, Vor § 324 Rdn. 18; SchiJnke/Schröder-Cramer, Vor §§ 324 Rdn. 8; Hauber, VR 1989, 111; Horn, NuR 1988, 63. Dagegen soll nach Kindh/Juser, in: Festschr. ftlr Helmrich, S. 983, in den geltenden Umweltstrafgesetzen auch in den Fällen der repressiven Verbote mit Befreiungsvorbehalt (z.B. § 324 StGB) nur die Einhaltung des Verwaltungsverfahrens geschützt sein, da durch die rechtfertigende Genehmigung das Verhalten legalisiert und damit völlig am Strafrecht vorbei betrieben werde; ähnlich Gerhardt, BayVBI. 1990, SSl. 10 Vgl. dazu Hirsch, in: Kühne/Miyazawa, S. 14. 11
So z.B. die§§ 326- 328 StGB. Vgl. Heine/Meinberg, GA 1990, 23.
II. Behördliche Duldung als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal
125
Zum Teil wird die Ansicht vertreten, daß hier der Unrechtsgehalt des Handeins ohne Erlaubnis allein darin liege, daß das Bemühen der Behörde um pflichtgemäße Überwachung vereitelt oder erschwert werde 12 • Es soll sich um "reine Ungehorsamsdelikte" handeln 13 • Diese Auffassung berücksichtigt jedoch nicht ausreichend, daß auch diese Straftatbestände letztlich dem Schutz der verwalteten Rechtsgüter dienen. So schreibt § 330d Nr. 4 StGB nunmehr fest, daß eine strafbare verwaltungsrechtliche Pflichtverletzung nur dann in Betracht kommt, wenn die verwaltungsrechtliche Pflicht "dem Schutz vor Gefahren oder schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, insbesondere auf Menschen, Tiere oder Pflanzen, Gewässer, die Luft oder den Boden, dient." Diese Norm bringt damit zum Ausdruck, daß der "Verwaltungsungehorsam" immer einen konkreten Bezug zu einem schützenswerten Rechtsgut aufweisen muß. Bloßer Verwaltungsungehorsam wird allein durch die Ordnungswidrigkeitentatbestände erfaßt. Der Strafrechtsschutz setzt somit bereits im Vorfeld einer konkreten Gefährdung an 14. So liegt die Gefährlichkeit des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) nicht in konkreten Gefahren ftlr einzelne Rechtsgüter. Die Vorschrift dient vielmehr dem mittelbaren Rechtsgüterschutz weit im Vorfeld konkreter Gefährdung, namentlich dem Schutz der Allgemeinheit vor Straßenverkehrsgefahren und damit der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs15. Solchen Straftatbeständen ist gemeinsam, daß die Durchftlhrung des formalisierten Verwaltungsverfahrens dem Schutz vor abstrakten Gefllhrdungen der mittelbar geschützten Rechtsgüter dient. Die Schutzfunktion des ilirmlichen Verwaltungsverfahrens wird jedoch außer Kraft gesetzt, wenn die Behörde das nicht genehmigte Verhalten duldet. Dabei ist es ohne Belang, ob das Verhalten konkret gefährlich ist. Allein die Vereitelung der Kontrollfunktion des Genehmigungsverfahrens als abstrakte Gefllhrdung der behördlich verwalteten Rechtsgüter rechtfertigt das strafrechtliche UnwerturteiL
12 13
Jescheck, StrafR AT, S. 331. Jescheck, StrafR AT, S. 331.
14 Vgl. Goldmonn, Genehmigung, S. 96 f.; Dölling, JZ 1985, 463; Winke/bauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 61 ff. Zur Kritik an einer solchen Vorverlagerung der Strafbarkeit Hirsch, in: Festschr. ftlr Arthur Kaufmann, S. 559: ders., in: Festschr. ftlr Buchala, S. 234; Herzog, Strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 241 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 382. 15 Vgl. Seiler, DAR 1983, 383.
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
126
c) Erfolgs- und konkrete Gefährdungsdelikte
Für die zweite Kategorie der verwaltungsakzessorischen Tatbestände, die eine konkrete Gefährdung 16 oder einen bestimmten Erfolg17 voraussetzen, ist die Beantwortung der eingangs gestellten Frage eindeutig. Die behördliche Duldung kann hier nicht bereits bei der Tatbestandsmäßigkeit Berücksichtigung finden. Sowohl der Eintritt der Gefährdung als auch der Eintritt des Erfolges sind unabhängig von der behördlichen Duldung des Verhaltens. Da selbst die behördliche Genehmigung hier nur rechtfertigend wirkt, muß dies erst recht ftlr die behördliche Duldung gelten. d) Fazit
Damit bleibt festzustellen, daß die behördliche Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins nicht bereits als negativ gefaßtes Tatbestandsmerkmal Berücksichtigung finden kann. Sie kann daher erst als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen.
ID. Behördliche Duldung und rechtfertigender Notstand Vorab ist allerdings auf die oben 1 bereits angesprochenen Fallkonstellationen zurückzukommen, in denen das nicht genehmigte Verhalten aufgrund einer Notstandslage bereits verwaltungsrechtlich rechtmäßig ist. Hier stellt sich die Frage, ob es zur strafrechtlichen Rechtfertigung des Verhaltens eines Rückgriffs auf die ungeschriebene Rechtsfigur der behördlichen Duldung überhaupt bedarf. Ungeachtet einer behördlichen Duldung könnte das nicht genehmigte Verhalten - parallel zu seiner verwaltungsrechtlichen Beurteilung - auch strafrechtlich als Fall eines rechtfertigenden Notstandes i.S. des § 34 StGB zu qualifizieren sein. Dies setzt wiederum voraus, daß § 34 StGB auf verwaltungsakzessorische Straftatbestände anwendbar ist.
16 17 1
Z.B. §§ 328 Abs. 3, 330a StGB. §§ 324, 324a, 325, 329 Abs. 3 StGB.
Siehe unter C V 3.
III. Behördliche Duldung und rechtfertigender Notstand
127
1. Meinungsstand
a) § 34 StGB als Iex generalis
Nach einer Auffassung ist § 34 StGB nur in Ausnahmefilllen als Rechtfertigungsgrund auf verwaltungsakzessorische Straftatbestände anwendbar. Als Spezialfälle des rechtfertigenden Notstands sollen sowohl die behördliche Genehmigung als auch die anderen fbnnlichen verwaltungsrechtlichen Gestattungsfonnen die allgemeinere Vorschrift des § 34 StGB verdrängen2• Die Genehmigung sei im Verhältnis zum rechtfertigenden Notstand Iex specialis, weil auch sie eine umfassende Interessenahwägung erfordere. § 34 StGB soll daher nur dort anwendbar sein, wo der Täter nicht die Möglichkeit gehabt habe, fUr sein beabsichtigtes Verhalten eine Erlaubnis bei der zuständigen Behörde zu beantragen3 • Die gesetzlich vorgeschriebene verwaltungsrechtliche Vorkontrolle und damit auch Interessenahwägung sei den Verwaltungsbehörden übertragen. Diese spezielle gesetzliche Konkretisierung des Notstandes müsse der Strafrichter in ihren Ergebnissen respektieren•. Durch die Schaffung der gegenüber § 34 StGB engeren Genehmigungsvoraussetzungen habe der Gesetzgeber die Hinnahme der Gefahren ftlr die bedrohten Rechtsgüter vorgesehen5 • Anwendbar sei § 34 StGB damit nur in nicht vorhersehbaren Not- und Katastrophenfällen6. Die uneingeschränkte Anwendung des § 34 StGB würde anderenfalls zu dem unerwünschten Ergebnis ftlhren, daß der Strafrichter selbst die umfassende Interessenahwägung darüber zu treffen hätte, ob das Interesse am Erhalt des verwalteten Rechtsguts und mögliche Interessen der Allgemeinheit oder einzelner Bürger höher einzustufen sind als das Interesse des ohne Genehmigung handelnden Bürgers an seinem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder das Interesse an der Erhaltung der Arbeits-
2 Rudo/phi, ZfW 1982, 210 f.; Laujhütte/Möhrensch/ager, ZStW 92 (1980), 932; Möhrenschlager, NStZ 1982, 166; ders., NuR 1983, 215; ders., in: Meinberg/Möhrensch/ager/Link, Umweltstrafrecht, S. 44 f.; Horn, UPR 1983, 366; Lac/cner, § 324 Rdn. 14; Dreher!I'röndle, § 324 Rdn. 7; Roxin, StrafR AT, § 17 Rdn. 48; Maurach/Zipf, StrafR AT, § 29 Rdn. 16; Kühl StratR AT, Rdn. 136; Winke/bauer, NStZ 1988, 204; Platz, BayVBI. 1983, 624; Himme/mannl PohVfUnnesen-Harmes, Hdb Umweltrecht, A.8 Rdn. 18; wohl auch Ga/onska, Amtsdelikte, S. 8. 3 Rudo/phi, ZfW 1982, 211; Horn, UPR 1983, 366; Möhrensch/ager, NuR 1983, 215. 4
Lac/cner, § 324 Rdn. 14; siehe auch Kuhlen, WiVerw 1992, 278.
Winke/bauer, NStZ 1988, 204; Möhrensch/ager, in: Meinberg/Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 45. 6 Rudo/phi, ZfW 1982, 209 f.; ders., NStZ 1984, 196; Möhrensch/ager, NStZ 1982, 166; Dreher!l'rönd/e, § 324 Rdn. 7. 5
128
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
plätze etc. Dies würde das Ende jeder Ordnung und Bewirtschaftung durch die zuständigen Verwaltungsbehörden bedeuten7 •
b) Grundsätzliche Anwendbarkeit des§ 34 StGB Nach anderer Auffassung versperren öffentlich-rechtliche Vorschriften nur dann den Rückgriff auf§ 34 StGB, wenn durch sie ein bestimmter Interessenkonflikt abschließend geregelt werde8 • Anwendbar müsse § 34 StGB insbesondere dort bleiben, wo die Behörde fehlerhaft untätig bleibe oder eine Genehmigung zu Unrecht versage. In diesem Bereich könne der Strafrichter die Güterahwägung selbständig vornehmen9 • Bei der notwendigen Güterahwägung sei ein entscheidender Gesichtspunkt, inwieweit die Entstehung der Gefahr als eine vom Gesetzgeber einkalkulierte Folge der gesetzlichen Regelung und deren Anwendung anzusehen seP 0 • Voraussetzung sei stets, daß der Betroffene sofort das technisch Mögliche und wirtschaftlich Zurnutbare unternehme, um die Beeinträchtigung des behördlich verwalteten Rechtsguts abzubauen 11 • Auch die Aufrechterhaltung der Produktion und die Erhaltung der Arbeitsplätze werden als schützenswerte Rechtsgüter i.S. des § 34 StGB betrachtet12 • Zum Schutze dieser Rechtsgüter dürften allerdings nicht Gesundheitsbeschädigungen13 oder ernste, schwerwiegende Geflihrdungen eines Gewässers 14 als Mittel zur Gefahrabwendung eingesetzt werden. Denkbar seien hier beispiels-
Rudolphi, Ztw 1982, 210; ders., NStZ 1984, 196. BGH bei Dallinger, MDR 1975, 723; LG Bremen, NStZ 1982, 164 (165); LG München II, BayVBI. 1986, 316; GenStA Celle, ZfW 1989, 53 (55); Herrmann, ZStW 91 (1979), 300 f.; Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 96 (1984), 956 f.; Tiessen, Gewässerverunreinigung, S. 107 ff.; Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 121 ff.; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 148 f.; Alleweldt, NuR 1992, 319; Kuhlen, WiVerw 1992, 278 f. 9 Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 132a; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 148 f. Ablehnend insoweit Kuhlen, WiVerw 1992, 278 f. 10 Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 96 (1984), 957; Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 123. 11 Alleweldt, NuR 1992, 319. 7
8
12 BGH bei Dallinger, MDR 1975, 723; BayObLGSt. 1953, 124 127 f.; OLG Stuttgart, VRS 54 (1978), 288 (289); OLG Oldenburg, NJW 1978, 1869; StA Mannheim, NJW 1976, 585 (586); Hirsch, LK, § 34 Rdn. 22; Schönke/Schröder-Lenckner, § 34 Rdn. 9; Sack, Umweltstrafrecht, § 324 Rdn. 129; Alleweldt, NuR 1992, 319; Kuhlen, WiVerw 1992, 277. Ablehnend Laujhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 932; Jakobs, StrafR AT, 13/42 (es fehle die Angemessenheit i.S. des § 34 S. 2 StOB); Franzheim, Ztw 1992, 327 f.; kritisch auch Samson, SK, § 34 Rdn. 5; Möhrenschlager, in: Meinberg/Möhrenschlager/Link, Umweltstrafrecht, S. 45. 13 BGH bei Dallinger, MDR 1975, 723; Maurach/Zipf, StratR AT,§ 27 Rdn. 31. 14 StA Mannheim, NJW 1976, 585.
III. Behördliche Duldung und rechtfertigender Notstand
129
weise vorfibergehende und weniger gravierende Gewässerverschmutzungen als einziges Mittel zur Abwendung langfristiger ökonomischer Einbußen 15 • 2. Eigener Ansatz Zunächst ist festzustellen, daß sich die beiden dargestellten Auffassungen allein darin unterscheiden, daß die erstgenannte den Rückgriff auf § 34 StGB grundsätzlich ausschließt. Die zweite Auffassung schließt einen solchen Rückgriff dagegen nicht grundsätzlich aus, sondern untersucht zunächst die einzelnen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands, um schließlich zu ähnlichen, wenn nicht sogar weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen zu gelangen. Die praktischen Folgen des unterschiedlichen Ausgangspunkts sind daher gering. a) Grundsätzliche Anwendbarlceit
Zweifelhaft ist allerdings, ob die Anwendbarkeit des § 34 StGB auf verwaltungsakzessorische Straftatbestände bereits grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Dies würde im Ergebnis einem Grundsatz der "funktionalen Spezialität" 16 verwaltungsrechtlicher Gestattungsformen entsprechen. § 34 StGB wäre demnach nicht mehr anwendbar, wenn der zu beurteilende Sachverhalt von dem Regelungsbereich eines anderen Rechtfertigungsgrundes erfaßt wäre. § 34 StGB verkörpert indes nicht allgemein das Prinzip des überwiegenden Interesses, sondern macht selbst die rechtfertigende Wirkung eines überwiegenden Interesses von bestimmten Voraussetzungen abhängig 11 • Der rechtfertigende Notstand ist daher nicht als Iex generalis im Verhältnis zu anderen Rechtfertigungsgründen zu verstehen. Es besteht darUber hinaus auch keine Notwendigkeit, grundsätzlich die Anwendbarkeit des § 34 StGB auszuschließen. Ansatz ftlr den unbestrittenen Vorrang der ilirmlichen verwaltungsrecht-
15
Kuhlen, WiVerw 1992, 278.
So begreift See/mann, Rechtfertigungsgrtlnde, S. 32 ff., 62 f., den § 34 StGB als allgemeine Formulierung eines lnteressenabwllgungsgrundsatzes, der eine gesetzliche Konkretisierung in allen anderen Rechtfertigungsgrtlnden gefunden habe. Dort habe der Gesetzgeber das Ergebnis der lnteressenabwägung selbst formuliert. Ein RUckgriff auf § 34 StGB sei daher dann ausgeschlossen, wenn der zu beurteilende Sachverhalt vom Regelungsbereich oder Konflikttypus des speziellen Rechtfertigungsgrundes mitumfaßt sei. Berechtigte Kritik zu dieser Konzeption bei Renzikowski, Notstand, S. 24 ff.; Hirsch, LK, § 34 Rdn. 93. 17 So zutreffend Renzikowski, Notstand, S. 24. 16
9 Malitz
130
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Iichen Gestattungen sind vielmehr das Merkmal der "Nicht-anders-Abwendbarkeit" und die Interessenahwägung im Sinne des § 34 S. I StGB 18• b) Notstand und Verwaltungsrecht
Nachdem die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 34 StGB bei der Beurteilung verwaltungsakzessorischer Straftatbestände festgestellt ist, ist nunmehr zu überprüfen, ob die Fallkonstellationen, in denen das nicht genehmigte Verhalten bereits verwaltungsrechtlich rechtmäßig ist, mit denen eines rechtfertigenden Notstandes identisch sind. Das Prinzip des überwiegenden Interesses, das dem rechtfertigenden Notstand zugrunde liegt, findet - wie bereits oben 19 festgestellt - als übergeordnetes Rechtsprinzip auch im Verwaltungsrecht Anwendung und hat dort vereinzelte gesetzliche Konkretisierungen erfahren20• Das dem rechtfertigenden Notstand zugrunde liegende Rechtsprinzip wird bei fehlender gesetzlicher Konkretisierung verwaltungsrechtlich als Gewohnheitsrecht bezeichnef 1• Da ein wesentlich überwiegendes Interesse bereits verwaltungsrechtlich ein nicht genehmigtes Verhalten legalisiert, unterscheidet es sich insoweit von der behördlichen Duldung, die eine solche Legalisierungswirkung nicht aufweisen kann. Der Rückgriff auf das Rechtsprinzip des überwiegenden Interesses wird verwaltungsrechtlich auch nicht durch die Möglichkeit ausgeschlossen, eine behördliche Duldungsentscheidung herbeizuftlhren. Die behördliche Duldung ist hier keine vorrangige "Regelung'122• Das ihr zugrunde liegende Opportunitätsprinzip ist keine gesetzliche Konkretisierung des Prinzips des überwiegenden Interesses. Als Teilbereich informellen Verwaltungshandeins entzieht sie 18 Tiessen, Gewässerverunreinigung, S. 107, will erst bei dem Angemessenheitserfordemis des § 34 S. 2 StGB ansetzen. Vgl. auch Kuhlen, WiVerw 1992, 279, der die Angemessenheit der Notstandshandlung dann ausschließen will, wenn von der Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht wurde, eine behördliche Genehmigungs- oder Duldungs(!)entscheidung herbeizuftlhren, dazu noch nachfolgend. 19 Unter C V 3. 20 Siehe ftlr den Bereich des Wasserrechts: § 32 Abs. I LWG NW, Art. 25 BayWG, sowie Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, § 2 Rdn. 20; Sieder!Zeitler/Dahme, WHG, § 2 Rdn. 7; Broschei, in: Wüsthoff/Kumpf, HDW, D 711 E, § 32 LWG NW Rdn. 2 (unter Hinweis auf Rechtssprichwörter des römischen ["necessitas non habet Iegern"], sowie des deutschen ["Not kennt kein Gebot"] Rechts). Für den Bereich des Immissionsschutzrechts siehe Nr. 2.24 TA Lärm, sowie Feldhaus, in: Feldhaus, BlmSchR, TALarm Nr. 2.24; Bethge/Meurers, TA Lärm, Nr. 2.24 Rdn. 9 ff. 21 So ausdrUcklieh Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, § 2 Rdn. 20, unter Hinweis auf die GesetzesbegrUndung. 22 Anders Kuhlen, WiVerw 1992, 279, der dann, wenn der Täter eine Outdungsentscheidung der Behörde herbeiftlhren konnte, die Angemessenheil der Notstandshandlung verneint.
111. Behördliche Duldung und rechtfertigender Notstand
131
sich naturgemäß einer gesetzlichen Konkretisierung und wird lediglich durch die Ermessensvorschriften im Bereich der verwaltungsrechtlichen Gefahrenabwehr gesetzlich erfaßt. Darüber hinaus verkörpert das der behördlichen Duldung zugrunde liegende Opportunitätsprinzip eine Vielzahl unterschiedlichster behördlicher Zweckmäßigkeitserwägungen, die nur partiell die Interessenabwägung zwischen dem verwalteten und dem bedrohten Rechtsgut erfaßen23 • Eine den Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes entsprechende Abwägung der widerstreitenden Interessen nimmt die Behörde dagegen nicht vor. Der entscheidende Einwand gegen den Vorrang der behördlichen Duldung in den Notstandsfllllen ist jedoch folgender: Es sind keine Situationen, in denen das verwaltungsrechtliche Opportunitätsprinzip überhaupt eingreift. Es steht hier nicht im Ermessen der Behörde, ob sie gegen das nicht genehmigte Verhalten einschreitet. Vielmehr darf sie gegen das zwar nicht genehmigte, verwaltungsrechtlich jedoch rechtmäßige Verhalten nicht einschreiten. Es fehlt bereits an den Voraussetzungen, die ein behördliches Ermessen im Bereich der Gefahrenabwehr überhaupt eröffnen, so im Bereich der ordnungsbehördlichen Generalklausel an einer Gefahr ftlr die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Für eine behördliche Duldungsentscheidung bleibt kein Raum. c) Voraussetzungen der Anwendbarkeit
Obwohl ein nicht genehmigtes Verhalten somit grundsätzlich durch das dem rechtfertigenden Notstand zugrundeliegende Rechtsprinzip des überwiegenden Interesses gerechtfertigt sein kann, sind solche Fälle seltene und besonders gelagerte Ausnahmesituationen24• Insbesondere dort, wo der Gesetzgeber ein Verwaltungsverfahren zur Abwendung der Gefahr vorgesehen hat, dürfen die diesem Verwaltungsverfahren zugrunde liegenden formellen und materiellen Regelungen nicht durch die Annahme eines rechtfertigenden und damit das Verhalten auch verwaltungsrechtlich legalisierenden Notstandes unterlaufen werden. Die Anwendung des § 34 StGB muß hier berücksichtigen, daß der Gesetzgeber in weiten Bereichen des Umweltrechts mit der Festsetzung einzuhaltender Umweltstandards bei der Zulassung vorzeitigen Beginns die Abwägung zwischen ökonomischen und ökologischen Belangen bereits selbst ge-
Siehe dazu im einzelnen oben C 111 I b. Zum Erfordernis einer restriktiven Auslegung des § 34 StOB: Hirsch, LK, § 34 Rdn. 4; sowie mit Blick auf das Umweltstrafrecht Samson, SK, § 34 Rdn. 4 f. 23
24
9*
132
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
troffen hae 5• So knüpfen § 15a Abs. 1a i.V.m. Abs. 1 Ziff. 2 BlmSchG und § 7a Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 AbfG die Zulassung vorzeitigen Beginns allein an das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an. Maßgebend ist dabei das öffentliche Interesse an der zu erwartenden Verbesserung des Schutzes der Umwelt. Andere öffentliche Interessen oder widerstreitende private Interessen wie die Erhaltung oder Sicherung von Arbeitsplätzen sind hier nicht in die Abwägung einzubeziehen26 . Etwas großzügiger ist die gesetzgeberische Abwägung dagegen in § 9a Abs. 1 Ziff. 2 WHG ausgefallen. Dort genügt schon ein berechtigtes Interesse des Unternehmers, um eine positive Entscheidung über die Zulassung vorzeitigen Beginns herbeizufUhren. Die Entscheidung über die Zulassung vorzeitigen Beginns darf jedoch in beiden Fällen aufgrund der gesetzlichen Vorgabe nur in einem llirmlichen Vefahren erfolgen. Ebenso wie ftlr eine behördliche Duldung27 bleibt hier ftlr die Annahme eines rechtfertigenden Notstands kein Raum. Strafrechtlich ist dies bei dem Merkmal der "Nicht-anders-Abwendbarkeit" und der Interessenahwägung des § 34 S. 1 StGB zu berücksichtigen. In die Interessenahwägung können als weitere negative Faktoren das Verschulden der Notstandslage sowie das Versäumen der Möglichkeit, das Genehmigungsverfahren zur Gefahrenabwehr in Anspruch zu nehmen, einfließen28. Die Interessenahwägung wird hier im Regelfall zu Lasten des gefllhrdeten Interesses ausfallen, weil das geflihrdete Rechtsgut umso weniger schützenswert ist, als der Täter die Konfliktlage zurechenbar herbeigeftlhrt hat. Schließlich gilt es bei der Feststellung der gegenwärtigen Gefahr ftlr ein notstandsflihiges Rechtsgut im Einzelfall insbesondere der Frage nachzugehen, ob die Geflthrdung von Arbeitsplätzen tatsächlich die Folge einer Stillegung des Betriebs gewesen wäre29. Für die Annahme eines rechtfertigenden Notstands im Bereich des Umweltstrafrechts ist grundsätzlich nur im Bereich des Gewässerstrafrechts Raum. Wo Abwässer in großen Mengen anfallen, kann es bei unvorhersehbaren Betriebsstörungen meist nicht durch Abtransport, sondern nur durch direkte oder indirekte Einleitung, also durch eine nicht genehmigte Gewässer-
25
Vgl. Lübbe-Wo/jf, NuR 1989, 301.
26 Vgl. Fe/dhaus, in: Feldhaus, BlmSchR, § 15a BimSchG Anm. 8. Derartige Interessen kön-
nen aber bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden. 27 Siehe dazu bereits oben C IV 2 b. 28 Vgl. dazu Hirsch, LK, § 34 Rdn. 52, 67, 70; Schönke/Schröder-Lenckner, § 34 Rdn. 41 ; Jakobs, StrafR AT, 13127. Dagegen läßt Renzikowski, Notstand, S. 60, den verschuldeten Notstand bei der Interessenahwägung unberücksichtigt, weil sich das Unwerturteil über die Herbei.ftihrung der Kollisionslage allein in einem entsprechenden Gefllhrdungsdelikt ausdrUcken könne. 29 Nach Horn, SK, Vor§ 324 Rdn. 25 handelt es sich oft um eine "raffiniert aufgebaute Tabuschranke".
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
133
verunreinigung, entsorgt werden30• Es verbleiben damit nur Situationen gemeiner Gefahr, in denen § 34 StGB Platz greifen kann. d) Zusammenfassung
An dieser Stelle bleibt festzuhalten, daß die behördliche Duldung nicht schon tatbestandsausschließend, sondern erst rechtfertigend wirken kann. Keine AnwendungsflUte behördlicher Duldung sind allerdings die Konstellationen, in denen das nicht genehmigte Verhalten sowohl verwaltungs- als auch strafrechtlich bereits durch das Prinzip des Oberwiegenden Interesses gerechtfertigt und damit rechtmäßig ist. Im Ergebnis stimmen die Ausftlhrungen zum rechtfertigenden Notstand zwar mit der Auffassung Oberein, die der behördlichen Duldung im Bereich gebundener Verwaltung rechtfertigende Wirkung beimißt Ihr ist jedoch vorzuwerfen, daß sie ihren Blick einseitig auf die behördliche Duldung beschränkt. Sie verkennt damit, daß die Behörde in vielen Fällen keine Duldungsentscheidung getroffen hat, sondern vielmehr aufgrund des bereits verwaltungsrechtlich rechtmäßigen Verhaltens des BOrgers an einem Einschreiten gehindert war. Der Rechtswidrigkeit des behördlichen Einschreitens korrespondiert hier auf der Seite des BOrgers die Rechtmäßigkeit des nicht genehmigten Verhaltens.
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund Abschließend stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die behördliche Duldung in den Fällen der Ermessensverwaltung strafrechtlich rechtfertigend wirken kann. Sieht die Behörde von einer Untersagung des nicht genehmigten Verhaltens allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit ab, so bleibt es verwaltungsrechtlich rechtswidrig. Es ist also zu untersuchen, ob Argumente ftlr ein abweichendes strafrechtliches Rechtswidrigkeitsurteil denkbar sind. l. Vertrauensschutz
Zum Teil wird der Gedanke des Vertrauensschutzes als BegrUndung der rechtfertigenden Wirkung behördlicher Outdungen herangezogen. Dem Be-
30 Siehe dazu - allerdings unter dem Gesichtspunkt der Duldung - Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 74 f.
134
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
treiber könne schon deshalb kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden, weil er die Behörde über sein beabsichtigtes Verhalten informiert habe1• Das Untätigbleiben der Behörde habe er flllschlicherweise als eine konkludente Erlaubniserteilung interpretiert und daher könne er sich auf Vertrauensschutz berufen2 • Der Vertrauensschutzgrundsatz verbietet der Behörde verwaltungsrechtlich, sich ohne gewichtige Gründe zu ihrem bisherigen Verhalten in Widerspruch zu setzen3 • Der Vertrauensschutz setzt damit einen durch die Behörde geschaffenen Vertrauenstatbestand voraus, den der darauf Vertrauende zum Anlaß entsprechender Dispositionen genommen hat4 • Bereits diese Voraussetzung fehlt, wenn der Täter schon vor der behördlichen Outdungsentscheidung tatbestandsmäßig gehandelt hat. In diesem Fall hat er seine Dispositionen nicht aufgrund der behördlichen Duldung getroffen, so daß der Vertrauensschutz die rechtfertigende Wirkung der behördlichen Duldung nicht begründen kann. Aber auch in den wenigen verbleibenden Fällen, in denen der Täter erst tatbestandsmäßig handelt, nachdem die Behörde ihre Bereitschaft zur Duldung erklärt hat, bestehen gegen die Berücksichtigung des Vertrauensschutzgrundsatzes im Bereich des objektiven Unrechtstatbestandes durchgreifende Bedenken. Zum einen entspricht diese Konstellation der eines Tatbestandsoder Erlaubnistatbestandsirrtums, der nicht im objektiven Unrechtstatbestand, sondern erst im Bereich des Vorsatzes oder der Schuld Bedeutung erlangt5 • Warum ausgerechnet in den Fällen behördlicher Duldung schon der objektive Unrechtstatbestand ausgeschlossen sein soll, wird denn auch nicht begründet. Wenn der Täter das Verhalten der Behörde als Genehmigungserteilung betrachtet hat, dann kommt je nach Stellung der behördlichen Genehmigung im Deliktsaufbau6 ein Irrtum über das Tatbestandsmerkmal oder den Rechtfertigungsgrund der Genehmigung in Betracht. Das Strafrecht ignoriert damit
1 Michalke, Umweltstrafsachen, Rdn. 67, 112, 151; siehe auch VGH Mannheim, NuR 1991, 234 (235), der in der Duldung allerdings eine Zusicherung i.S. des § 38 VwVfG und damit einen Verwaltungsakt erblickt 2 OssenbühVHuschens, UPR 1991, 167; Michalke, Umweltstrafsachen, Rdn. 67. 3 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 VII Rdn. 64 ff.; Burmeister, DÖV 1981, 509 ff.; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 115; Hermes/Wieumd, Duldung, 40 f. 4 Hermes/Wieland, Duldung, S. 41.
s.
5 So auch Pfei.ffer, Verunreinigung der Luft, S. 124 f.; Bergmann, Verwaltungsrechtliche Pflichten, S. 67 f. Zur Stellung des Erlaubnistatbestandsirrtums im Deliktsaufbau instruktiv Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 52, 184 m.w.N. 6 Siehe dazu oben D II 3.
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
135
nicht den Schutz des berechtigten Vertrauens, sondern trägt diesem in vielfältiger Weise in seinen subjektiven Kategorien Rechnung. Grundsätzlich ist der Argumentation anband des Vertrauensschutzgebots weiterhin entgegenzuhalten, daß sie mit einer unzulässigen Fiktion arbeitet. Sie unterstellt dem Täter, daß er das Verhalten der Behörde als konkludente Erlaubniserteilung betrachtet habe. Da Genehmigungsbescheide in der Regel schriftlich ergehen und dem Bürger dies auch bekannt ist bzw. bekannt sein mUßte, kann er berechtigterweise nur im Ausnahmefall von einer konkludenten Genehmigung ausgehen. Darüber hinaus ist sein Vertrauen darauf, daß die Duldung der Behörde einer Genehmigung entspreche, bereits verwaltungsrechtlich grundsätzlich nicht als schutzwürdig anzusehen7 •
2. Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Die Nichtberücksichtigung des Vertrauensschutzgebotes auf der Rechtswidrigkeilsebene bedeutet allerdings nicht, daß die behördliche Duldung strafrechtlich nunmehr allein im subjektiven Bereich zu beachten ist. Als Argument fllr die Berücksichtigung der behördlichen Duldung im objektiven Unrechtstatbestand bietet sich auch der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit (oder auch Einheit) der Rechtsordnung an. Der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung wird durch das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit begrUndet8 und gehört zu dem gesicherten Bestand rechtsphilosophischer Einsichten9 • Er ist nicht nur innerhalb der jeweiligen Teilrechtsordnung, sondern auch im Verhältnis der Teilrechtsordnungen untereinander zu berücksichtigen. Danach kann strafrechtlich nicht verboten sein, was verwaltungsrechtlich erlaubt ist10• Gerade im Bereich des Umweltschutzes und des Wirtschaftsverwaltungsrechts sind die Sachverhalte und Handlungsweisen umfassend durch verwaltungsrechtliche Gesetze geregelt. In diesen Lebensbereichen bleibt dem Strafrecht kein Raum fllr eigenständige Normierungen 11 • Dies drUckt sich in der
7 Vgl. zum BlmSchG aus verwaltungsrechtlicher Sicht Val/endar, in: Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 21. 8 BVerfGE I, 14 (45); 17, 306 (314); Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 8.; ders., NIW 1985, 2983. 9 So Canaris, Systemdenken, S. 16 tf. 10 RGSt. 61 , 242 (247); BGHSt. II, 241 (244); Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 10; Be/ing, Die Lehre vom Verbrechen, S. 169; Jescheck, StratR AT § 31 lil l; We/zel, Das Deutsche Strafrecht,§ 10 II 3; Ostendorj, JZ 1981, 166; Breuer, JZ 1994, 1083. 11 OLG Frankfurt, JR 1988, 168 (171); Breuer, NJW 1988, 2076 f.; Lenckner, in: Festschr. ftlr Pfeiffer, S. 29 f.; Heine/Meinberg, GA 1990, 10, 13.
136
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Verwaltungsrechtsakzessorietät des Strafrechts aus, deren Anwendungsbereich sich nicht allein auf das formelle Verwaltungshandeln beschränkt. Vielmehr ist auch das informelle Verwaltungshandeln einzubeziehen - soweit es als verwaltungsrechtlich rechtmäßig zu erachten ist. Die Verwaltungsrechtsakzessorietät findet im Bereich informellen Verwaltungshandeins erst dort ihre Grenze, wo das Verwaltungshandeln rechtswidrig ist. Bei der Festlegung des strafrechtlichen Unwerts ist daher die verwaltungsrechtliche Ordnung zu berücksichtigen. Die Verwaltungsrechtswidrigkeit ist notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit. Diese - erste - Voraussetzung ist in den Fällen behördlicher Duldung gegeben. Ein Handeln, das im Rechtssystem des öffentlichen Rechts als rechtswidrig gilt, muß grundsätzlich auch im Strafrecht so behandelt werden 12• Allerdings ist zu beachten, daß der verwaltungsrechtliche Rechtswidrigkeilsbegriff eine andere Funktion haben kann als der strafrechtliche. Die verwaltungsrechtliche Wertung, daß der behördlichen Duldung keine legalisierende Wirkung zukommt, beruht auf der Erwägung, daß der Behörde die Möglichkeit verbleiben muß, das nicht genehmigte Verhalten jederzeit zu untersagen. Gegen ein mit dem Etikett der Rechtmäßigkeit behaftetes Verhalten könnte die Behörde dagegen nicht mehr ohne weiteres einschreiten. Nicht zuletzt wäre damit das ilirmliche Genehmigungsverfahren seiner Funktion beraubt. An dem Beispiel der behördlichen Duldung zeigt sich, daß gerade im Verhältnis verschiedener Teilrechtsordnungen die Gefahr groß ist, daß WertungswidersprUche entstehen. Die jeder Teilrechtsordnung zugrunde liegenden unterschiedlicher Wertungsprinzipien finden ihren Ausdruck oft in dem unterschiedlichen Inhalt gleichlautender Rechtsbegriffe. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis von Zivil- und Steuerrecht13 , aber seit der Übernahme von Straftatbeständen aus dem Neben- in das Kernstrafrecht auch immer mehr das Verhältnis von Verwaltungsrecht und Strafrecht. Die Vermeidung derartiger WertungswidersprUche und unterschiedlicher Terminologie sollte Ziel der Dogmatik und eines effektiven Rechtssystems sein. Daher ist mit Engisch im Interesse der Rechtssicherheit ein einheitlicher Rechtswidrigkeilsbegriff zumindest anzustreben 14 • Damit wird das Strafrecht im Bereich der behördlichen Duldung jedoch vor unlösbare Probleme gestellt. Es kann seiner Aufgabe nur gerecht werden,
13
Insoweit zutreffend Ostendorf, JZ 1981, 175. Vgl. dazu nur Vogel, NJW 1985, 2986 ff.
14
Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 55 ff.
12
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
137
wenn es das in diesem Bereich janusköpfige Verwaltungsrecht in seinem Gesamtzusammenhang erfaßt. Zwar ist das verwaltungsbehördlich geduldete Verhalten rechtswidrig, jedoch ßlllt es schwer, von einem verwaltungsrechtlich unzulässigen Verhalten zu sprechen. Wollte man hier von einem einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff ausgehen, wäre die strafrechtssystematische Funktion der Rechtfertigungsgründe nicht ausreichend beachtet. Die Rechtfertigungsgründe dienen der Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem Strafrecht und der übrigen Rechtsordnung 15 • Ein Rechtfertigungsgrund kommt nur dann nicht in Betracht, wenn ein Verhalten nur unter strafrechtlichem Blickwinkel gerechtfertigt, in bezug auf ein anderes Rechtsgebiet dagegen unzulässig wäre16• Nachfolgend ist daher herauszuarbeiten, in welchen Fällen ein behördlich geduldetes Verhalten verwaltungsrechtlich zulässig sein kann. a) Rechtswidrige Duldungen
Wie bereits zu Beginn dieser Arbeit festgestellt, ist der überwiegende Teil behördlicher Outdungen verwaltungsrechtlich rechtswidrig, weil Beteiligungsrechte Dritter oder spezialgesetzliche Vorschriften über die Zulassung vorzeitigen Beginns umgangen werden 17• Das behördlich geduldete Verhalten wäre hier nur dann verwaltungsrechtlich zulässig, wenn der behördlichen Duldung entsprechend der behördlichen Genehmigung Tatbestandswirkung zukäme. Der Begriff der Tatbestandswirkung ist an dem Rechtsinstitut des Verwaltungsakts entwickelt worden. Inhaltlich umfaßt er eine bestimmte Gestaltung oder Feststellung, die der Verwaltungsakt verbindlich regelt18 • Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts bindet auch nicht betroffenen Dritte, insbesondere andere Behörden oder Gerichte, die nicht selbst zu seiner Aufhebung befugt sind19 • Der behördlichen Genehmigung als Verwaltungsakt kommt daher eine auch strafrechtlich grundsätzlich zu beachtende Tatbe-
15
377.
Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 10; Rudolphi, in: Gedächtnisschr. ftlr Annin Kaufmann, S. 372,
16 RGSt. 61, 242 (247); Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 10; Maurach/Zipf, StrafR AT, § 25 Rdn. 12 f.; Jescheck, StratR AT,§ 31 111 I; WeTze/, Das Deutsche Strafrecht,§ 10 II 3. 17 Siehe oben C IV 2 b, 4 g.
18 Die Tatbestandswirkung entfaltet nicht nur der rechtmäßige, sondern auch der rechtswidrige Verwaltungsakt; vgl. nur Achterberg, Allg. VerwR, § 23 Rdn. 42; Kirchhof, NJW 1985, 2983; einschränkend allerdings Kollmann, DöV 1990, 193 f. 19 Erichsen, in: Erichsen-Martens, Allg. VerwR, § 12 Rdn. 4; Achterberg, Allg. VerwR, § 23 Rdn. 42; Kirchhof, NJW 1985, 2983; Kollmann, DÖV 1990, 189 f.; kritisch zu der Tenninologie Sachs, in: Ste/kens/Bonk/Sachs, VwVfO, § 43 Rdn. 104.
138
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
standswirkung zu20, deren Konkretisierungs- und Bindungspotential der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz dienf'. Solange der Verwaltungsakt wirksam ist, ist er daher ungeachtet seiner Rechtmäßigkeit verbindlich22 • Vereinzelt wird auch der behördlichen Duldung eine Tatbestandswirkung zugesprochen, weil der Duldungsentscheidung der Behörde konstitutive Wirkung zukomme23 • Zur Begründung wird auf die individuelle Bewertung und Gewichtung der ftlr und gegen ein Einschreiten sprechenden Aspekte durch die Behörde hingewiesen. Diese Auffassung berücksichtigt jedoch nicht hinreichend, daß der behördlichen Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins keine Legalisierungswirkung zukommt. Das gesetzliche Verbot wird durch die Duldung nicht aufgehoben. Daher bleibt das Verhalten rechtswidrig. Weiterhin fehlt der behördlichen Duldung die Außenwirkung, die der Eintritt einer Tatbestandswirkung notwendig voraussetzt. Anders als dem Verwaltungsakt, ftlr den § 43 VwVfG die Wirksamkeit auch bei Rechtswidrigkeit bestimmt, fehlt der behördlichen Duldung als Teilbereich informellen Verwaltungshandeins naturgemäß eine entsprechende gesetzliche Regelung. § 43 VwVfG könnte allerdings auf die behördliche Duldung entsprechend anwendbar sein24 • Dies wUrde eine vergleichbare Interessenlage voraussetzen, die jedoch fehlt. Der begünstigende Verwaltungsakt ist als Konkretisierung der gesetzlichen Regelung die "Belohnung" ftlr das Durchlaufen des förmlichen Verwaltungsverfahrens. Bleibt dagegen das Verhältnis zwischen Behörde und BUrger auf der Ebene des rechtlich Unverbindlichen, wie im Anwendungsbereich informellen Verwaltungshandelns, so muß der BUrger auch das Risiko der fehlenden Form tragen, das ftlr ihn auch mit einer Reihe von Vorteilen verbunden ist. Es ist gerade der Zweck informellen Verwaltungshandelns, die mit dem Gebrauch förmlicher Handlungsformen verbundenen Rechtsfolgen zu vermeiden. Eine entsprechende Anwendung des § 43
20 21
Breuer, NJW 1988, 2080; Steindorj, LK, § 324 Rdn. 106. Breuer, NJW 1988, 2080; Kolltmmn, DÖV 1990, 192.
22 BGH, NStZ 1994, 236 (237), läßt dagegen eine bestandskräftige, wenn auch erschlichene Genehmigung im Rahmen des § 132a StGB unberücksichtigt. Dies entspricht zwar im Ergebnis der h.M. zur Unbeachtlichkeit rechtsmißbräuchlich erlangter Genehmigungen. Der BGH begrUndet seine Auffassung jedoch mit dem Wortlaut des § 2 AkadGrG und dem Sinn und Zweck des § 132a StGB, wonach Gegenstand der Genehmigung zum FUhren eines akademischen ausländischen Grades nicht die individuelle akademische Leistung des Titelträgers sei. Di.ese Differenzierung ist kaum haltbar, da Gegenstand des Genehmigungsverfahrens auch die Überprüfung des Erwerbs des ausländischen Grades ist, siehe Zimmerling, NStZ 1994, 239. 23 Marx, Behördliche Genehmigung, S. 186 f. Im Ergebnis auch Dolde, NJW 1988, 2333. Unklar das OVG Berlin, DÖV 1983, 644 (645), das jedoch von einem "Duldungsverwaltungsakt" spricht und damit wohl von einer rechtswidrigen Genehmigung ausgeht. 24
So Dolde, NJW 1988, 2333.
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
139
VwVfG auf behördliche Duldungen kommt daher mangels vergleichbarer Interessenlage nicht in Betracht. Ohne Tatbestandswirkung der rechtswidrigen behördlichen Duldung ist das nicht genehmigte Verhalten verwaltungsrechtlich nicht zulässig. Es ist verwaltungsrechtlich mithin rechtswidrig und unzulässig, so daß die rechtswidrige behördliche Duldung strafrechtlich nicht rechtfertigen kann. Damit ist allerdings nur eine Aussage über den objektiven Unrechtstatbestand getroffen. Sollte die rechtmäßige behördliche Duldung als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund Berücksichtigung finden, so verbleibt immer noch Raum fUr einen Erlaubnistatbestandsirrtums des Bürgers. Allerdings nur dann, wenn er die Rechtswidrigkeit der behördlichen Duldung nicht erkannt hae5 •
b) Rechtmäßige Duldungen
Ist die behördliche Duldung ausnahmsweise verwaltungsrechtlich rechtmäßig, so kann trotz fehlender Außen- und Tatbestandswirkung der Duldung das Verhalten des Bürgers nicht als verwaltungsrechtlich unzulässig bezeichnet werden. Räumt das Gesetz der Behörde die Möglichkeit ein, gegen ein rechtswidriges Verhalten aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht einzuschreiten, so bringt es mit dieser Entscheidung zum Ausdruck, daß das rechtswidrige Verhalten filr diesen Zeitraum hingenommen wird. Mit dieser Feststellung soll nicht dem Begriff einer besonderen "Strafrechtswid.rigkeit" im Sinne Günthers26 das Wort geredet werden. Im Bereich der Verwaltungsakzessorietät muß das Strafrecht jedoch aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung die verwaltungsrechtlichen Vorgaben respektieren. Möglicherweise bieten die auftretenden Spannungen Anlaß, den verwaltungsrechtlichen Begriff der Rechtmäßigkeit zu überdenken und ihn einer einheitlichen Bedeutung zuzufilhren. Jedenfalls hat das Strafrecht zu beachten, daß anders als im Bereich des Zivil- und Strafrechts, wo die gesetzlichen Vorgaben unmittelbar wirken, im Bereich des Verwaltungsrechts mit der die gesetzlichen Vorgaben konkretisierenden Verwaltungsbehörde eine vermittelnde Instanz zwischengeschaltet ist. Unmittelbarer Adressat der Gesetze ist damit faktisch die Verwaltungsbehörde, der ihr Vollzug zugewiesen ist, und nur mittelbar der einzelne Bürger7 • Der Bürger, dem die vielfältigen und
25 Anderenfalls bliebe nur Raum ftlr einen Verbotsirrtum des Täters, so zutreffend Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 172. 26 Strafrechtswidrigkeit, S. 247 f., 257 ff., 394 ff. 27
Dazu Breuer, AöR 115 (1990), 455, ders., JZ 1994, 1083.
140
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
komplexen verwaltungsgesetzlichen Vorgaben meist nicht bekannt sind, richtet sein Verhalten nach den behördlichen und nicht nach den gesetzlichen Vorgaben aus. An diesen behördlichen Vorgaben muß sich auch das Strafrecht orientieren. Ist die behördliche Vorgabe rechtmäßig, so darf sie das Strafrecht nicht ignorieren und unmittelbar auf das nicht genehmigte und daher rechtswidrige Verhalten durchgreifen. Ein Blick auf die behördliche Genehmigung zeigt, daß das Strafrecht auch in anderen Bereichen der Verwaltungsakzessorietät die verwaltungsbehördliche Konkretisierung der gesetzlichen Vorgabe ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeil grundsätzlich respektiert. Ursache ist in beiden Fällen nicht das Erfordernis einer besonderen Strafrechtswidrigkeit, sondern vielmehr die Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts. Konkretisiert die Verwaltungsbehörde daher die verwaltungsrechtlichen Vorgaben in zulässiger Weise, so ist nicht ein unterschiedlicher Rechtswidrigkeitsbegriff formuliert, wenn das verwaltungsrechtlich rechtswidrige Verhalten, das behördlich geduldet wird, im Strafrecht als rechtmäßiges behandelt wird. Die verwaltungsrechtliche Handlungsbefugnisse ermöglichen es der Behörde, im Rahmen ihres - nicht zuletzt auch ökonomischen - Bewirtschaftungsauftrages, das rechtswidriges Verhalten zu dulden. Aufgabe der Verwaltungsbehörde ist es, das nicht genehmigte Verhalten einer umweltverträglichen Ordnung zuzuftlhren. Das nicht genehmigte Verhalten bleibt damit verwaltungsrechtlich zulässig. Dieses Ergebnis entspricht dem Bewirtschaftungsauftrag der Behörde, die immer auch an der Erhaltung der Handlungsfllhigkeit des Verursachers interessiert sein muß, um die Störer- und Verursacherhaftung durchzusetzen. Dabei zeigt die Erfahrung der Verwaltungspraxis, daß die Inanspruchnahme des Verursachers zu schnelleren und nachhaltigeren Erfolgen fUhrt, solange er sich noch Chancen auf die Rettung seiner wirtschaftlichen Existenz ausrechnet28. Vor dem Hintergrund der verwaltungs(akt)akzessorischen Ausgestaltung des Umweltstrafrechts wäre ein Durchgriff des Strafrechts auf die rechtmäßige Gestaltung der Umwelt durch die Verwaltungsbehörde nicht tragbar9• Das Strafrecht nimmt auf der Grundlage einer Vermutung grundsätzlich rechtmäßigen Verwaltungshandeins keine eigenständigen ökologischen Schutzzwecke wahr, sondern implementiert im Bereich der Verwaltungsakzessorietät
28 Vgl. 29
Fröhlich, DÖV 1989, 1031.
So zutreffend Kühne!Görgen, Polizeiliche Bearbeitung der Umweltdelikte, S. 440.
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
141
Verwaltungsentscheidungen durch Sanktionen30• Dies beruht auf der gesetzgeberischen Entscheidung, allein die Verwaltungsbehörde nicht nur mit der Gefahrenabwehr, sondern insbesondere auch mit Planungen, Lenkungsinterventionen, Bewirtschaftungs- und Verteilungsmaßnahmen im Hinblick auf die Umweltressourcen zu beauftragen31 • Dabei dient das Ermessen der Behörde bei der Entscheidung über die Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Pflichten der optimalen Verwirklichung des betroffenen Gesetzes32 • c) Insbesondere: Amtsträgerstrafbarkeit
Ein einheitlicher verwaltungs- und strafrechtlicher Rechtswidrigkeitsbegriff wäre im Bereich behördlicher Duldung auch mit Rücksicht auf das Problem der Amtsträgerstrafbarkeit nicht sachgerecht. Die Frage nach der Strafbarkeit des Bürgers und der des duldenden Amtsträgers wäre nämlich unterschiedlich beantwortet. Der Amtsträger macht sich in den hier behandelten Fällen nur dann strafbar, wenn ihn eine verwaltungsrechtliche Pflicht zum Einschreiten triffin. Soweit er ermessensfehlerfrei von der Eingriffsermächtigung keinen Gebrauch macht, triffi ihn auch strafrechtlich keine Garantenpflicht zum Einschreiten gegen das nicht genehmigte Verhalten. Nur wenn das Unterlassen des Amtsträgers selbst verwaltungsrechtlich rechtswidrig ist, weil ihn eine Pflicht zum Einschreiten triffi, kann er sich als Täter oder Gehilfe (bei Sonderdelikten) strafbar machen34• Da ein überwiegender Teil behördlicher Duldungen rechtswidrig ist, wird oft die Strafbarkeit des Amtsträgers in Betracht kommen. Hier kann das Strafrecht als Barriere gegenüber Wucherungserscheinungen eines allzu informellen Verwaltungshandeins dienen35 •
° Kühne/Görgen, Polizeiliche Bearbeitung der Umweltdelikte, S. 440.
3
31
Dazu Breuer, AöR 115 (1990), 454 f.
32
Brohm, DVBI. 1994, 139; Breuer, JZ 1994, 1083. Siehe auch§ 40 VwVf\1.
33 Vgl. zur Amtsträgerstrafbarkeit bei Nichteinschreiten gegen genehmigungsloses Handeln BGHSt. 38, 325 (330 ff.); LG Bonn, NStZ 1982, 165 m. Anm. Möhrenschlager; Papier, NuR 1986, 7; Schall, NStZ 1992, 267 f.; Roga/1, Strafbarkeit von Amtsträgem, S. 38 f., 79 f. (empirisch), sowie 142, 217 ff.; Tröndle, NVwZ 1989, 922 f. = Gedächtnisschr. ftlr K. Meyer, S. 917 ff. Die Einftlhrung eines Sonde~tbestandes der straftechtliehen Verantwortlichkeit von Amtsträgem von Genehmigungs- und Uberwachungsbehörden hat der Gesetzgeber wiederum abgelehnt, vgl. Möhrenschlager, NStZ 1994, 515 f. 34 Im einzelnen ist die Frage, ob die Amtsträger in (Umwelt-)Verwaltungsbehörden eine zur Verhinderung von Umweltverletzungen verpflichtende Garantenstellung innehaben, sehr umstritten. Vgl. zum Meinungsstand Schall, JuS 1993, 722 f. Der BGH hat diese Frage in St. 38, 325 (331 f.) ausdrücklich offengelassen. 35 Vgl. Send/er, NJW 1989, 1766; Kloepjer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 342 Fn. 636.
142
F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Im Bereich rechtmäßiger behördlicher Outdungen würde das Verhalten des Bürgers allerdings auch dann strafrechtlich geahndet werden, wenn der Amtsträger ausnahmsweise rechtmäßig gehandelt hat. Ein Ausweg böte sich allein über die Anwendung des § 34 StGB als Rechtfertigungsgrund oder über die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums an. Die Sachwidrigkeit eines solchen Ergebnisses drängt sich geradezu auf, da es doch der Amtsträger ist, der über die genaue Kenntnis der verwaltungsrechtlichen Vorgaben verftlgt. Soll er nicht nur straflos bleiben, sondern darüber hinaus ftlr sein Verhalten auch noch das Etikett der Rechtmäßigkeit erhalten, während dem Bürger vorgeworfen wird, sich nicht allein an dem verwaltungsrechtlichen Verbot orientiert zu haben? Dies wäre die Konsequenz eines einheitlichen straf- und verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs. Sachgerechter ist es daher, auch unter Berücksichtigung der Amtsträgerstrafbarkeit, auf die verwaltungsrechtliche Zulässigkeit des behördlich geduldeten Verhaltens abzustellen. Der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung fordert daher ftlr die Fälle rechtmäßiger behördlicher Outdungen die Berücksichtigung der Duldung als Rechtfertigungsgrund. d) Rechtfertigungsprinzip der behördlichen Duldung
Nachdem dies nunmehr festgestellt ist, bleibt noch das der behördlichen Duldung zugrunde liegende Rechtfertigungsprinzip36 festzuhalten. aa) Einwilligung Bereits bei der Untersuchung der Legalisierungswirkung behördlicher Duldung wurde festgestellt, daß die behördliche Duldung nicht mit der Einwilligung des Rechtsgutträgers vergleichbar istl7 • Der Gesetzgeber hat die Verwaltungshörde mit der Bewirtschaftung des betroffenen Rechtsguts ausschließlich im Rahmen der Gesetze beauftragt. Außerhalb des tbrmlichen Genehmigungsverfahrens kann sie über die anvertrauten Rechtsgüter nicht verftlgen. Auf eine Parallele zur Einwilligung läßt sich die rechtfertigende Wirkung der rechtmäßigen behördlichen Duldung folglich nicht zurückfUhren.
36 Siehe zu den "monistischen" und "pluralistischen" Systematisierungsversuchen der Rechtfertigungsgründe die kritischen Anmerkungen von Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 47 f. m.w.N. 37 Siehe oben C V 3.
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
143
bb) Prinzip des überwiegenden Interesses Zutreffend ist vielmehr, die rechtmäßige behördliche Duldung und ihre rechtfertigende Wirkung auf das Prinzip des überwiegenden Interesses zu stützen. Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung wägt die Behörde das Für und Wider einer Untersagungsverfllgung ab. Sie vollzieht damit eine Interessenabwägung, die sowohl das geschützte als auch das beeinträchtigte Interesse berücksichtigt. Darüber hinaus fließen rechtliche Interessen Dritter, wie etwa die Erhaltung von Arbeitsplätzen oder die betriebsgerechte Durchsetzung von Umweltbelangen, in die Interessenahwägung ein38 • Grundsätzlich bleibt jedoch festzuhalten, daß aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung ftlr einen Erlaubnisvorbehalt dem durch dieses Verbot geschützten Interesse der Vorrang gebührt. Es hat erst dann zurückzutreten, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte überwiegt.
3. Behördliche Duldung und das ultima-ratio-Prinzip Das gefundene Ergebnis, die rechtfertigende Wirkung der rechtmäßigen behördlichen Duldung, wird unterstützt durch den Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts39• Die Strafdrohung ist ultima ratio, auf die nur dort befugt zurückgegriffen werden darf, wo nicht mit Mitteln des öffentlichen Rechts, insbesondere durch ordnungspolizeiliche Maßnahmen, ein ausreichender Rechtsgüterschutz gewährleistet werden kann40• Strafe darf also nur angewandt werden, wo andere rechtliche Zwangsmittel versagen41 • Die behördliche Duldung ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß die Behörde ftlr den Bereich des öffentlichen Rechts bewußt auf den Einsatz von Zwangsmitteln verzichtet, um das Gesetz durch Kooperation mit dem Bürger durchzusetzen. Folglich versagen die öffentlich-rechtlichen Zwangsmittel hier nicht, sondern ihr Einsatz ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erforderlich. Bestünde auch in diesen Fällen rechtmäßiger behördlicher Duldung eine Strafdrohung, so wäre dies mit dem ultima-ratio-Prinzip nicht zu vereinbaren.
38
Bulling, DÖV 1989, 289; Henne/ce, NuR 1991, 273.
Zu diesem Grundsatz Rudolphl, SK, Vor§ 1 Rdn. 14; Naue/ce, StrafR, § 1 V 9, 10; gerade ßlr den Bereich des Umweltstrafrechts auch Breuer, JZ 1994, 1077. 40 So Rudolphi, SK, Vor§ 1 Rdn. 14; Roxin, JuS 1966, 382; siehe auch Jescheck, LK, Einl. Rdn. 3; Arthur Kaufmann, in: Festschr. ftlr Henkel, S. 102. 41 Naue/ce, StratR, § 1 V 9 a.E. 39
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F. Behördliche Duldung und Strafrecht
Auch der Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts unterstützt das gefundene Ergebnis, der rechtmäßigen behördlichen Duldung rechtfertigende Wirkung beizumessen. 4. Behördliche Duldung und Verwaltungsvollstreckung Eine rechtfertigende behördliche Duldung kommt indes dann nicht in Betracht, wenn die Behörde bereits eine UntersagungsverfUgung erlassen und nur von der Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung abgesehen hat42 • Zwar bedarf es nach den Vorschriften der Verwaltungsvollstreckungsgesetze des Bundes und der Länder eines bestandskräftigen oder sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes zur Anwendung von Verwaltungszwang43 • Im Bereich der Untersagungsverftlgungen dUrften jedoch regelmäßig die Voraussetzungen des sofortigen Vollzuges, nämlich die Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr, gegeben sein. DarUber hinaus entspricht die Interessenlage der bei Einlegung des Widerspruchs gegen eine Untersagungsverftlgung: Legt der Adressat der Untersagungsverftlgung Widerspruch ein, so hat dieser zwar nach § 80 Abs. I VwGO aufschiebende Wirkung. Die Behörde darf also die Untersagungsverftlgung nicht im Wege des Verwaltungszwangs vollstrecken. Dadurch wird das nicht genehmigte Verhalten jedoch nicht geduldet. Das gesetzliche Verbot besteht fort und die Untersagungsverftlgung hat dem Betroffenen auch die Kenntnis dieses Verbotes vermittelt. Durch den Erlaß der Untersagungsverftlgung hat die Behörde darUber hinaus zu erkennen gegeben, daß sie das nicht genehmigte Verhalten nicht hinnimmt und dem durch den Straftatbestand geschützten Rechtsgut den Vorrang einräumt. Ändert sie ihre Auffassung, so kann sie die UntersagungsverfUgung in der gesetzlich vorgesehenen Form gemäß den §§ 48, 49 VwVfG zurücknehmen oder widerrufen. FUr eine rechtmäßige behördliche Duldung, die allein rechtfertigend wirken kann, ist hier kein Raum44 • Dieses Ergebnis wird durch die Überlegung unterstrichen, daß anderenfalls derjenige, gegen den die Behörde eine UntersagungsverfUgung erlassen hat, strafrechtlich besser gestellt wäre als derjenige, der schlicht ohne Genehmigung handelt45 • Mittelbar wUrde die Untersagungsverftlgung damit rechtfertigend wirken. Ein paradoxes Ergebnis!
42 So aber Gentzcke, lnfonnales Verwaltungshandeln, S. 73 f., 158; Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 135. 43 Siehe nur § 6 Abs. I VwVG, § 55 Abs. I VwVG NW. 44 Ebenso Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 171; Franzheim, GA 1993, 340. 45
So Franzheim, GA 1993, 340.
IV. Zur behördlichen Duldung als Rechtfertigungsgrund
145
5. Subjektives Rechtfertigungselement Kenntnis der behördlichen Duldung Voraussetzung der rechtfertigenden Wirkung der behördlichen Duldung ist letztendlich, daß der Betroffene die behördliche Duldungsentscheidung zum Zeitpunkt der Tat kannte46 • Jeder Rechtfertigungsgrund setzt nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre voraus, daß der Täter in Kenntnis des Rechtfertigungsgrundes handelte47 • Wie die subjektive Rechtfertigungsseite bei den einzelnen Rechtfertigungsgründen beschaffen sein muß, ist sehr umstritten, im Fall der behördlichen Duldung jedoch einfach zu beantworten: Der Täter muß die behördliche Duldungsentscheidung zum Zeitpunkt der Tat kennen - gleichgültig, ob ihm die Behörde eine entsprechende Mitteilung gemacht oder er auf anderem Wege von ihr Kenntnis erlangt hat. Kennt der Täter die Duldungsentscheidung dagegen nicht, so ist er nach zutreffender Auffassung41 wegen Vollendung und nicht lediglich wegen Versuchs strafbar. Die abweichende Ansicht49 sieht in derartigen Fällen den Erfolgsunwert der Handlung entfallen. Sie berücksichtigt jedoch nicht ausreichend, daß sich der Versuch wesensmäßig von einer Tat bei fehlendem subjektiven Rechtfertigungselement unterscheidet. Sachgemäß ist daher dem Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen durch die Möglichkeit der Strafmilderung ftlr das vollendete Delikt nach § 49 Abs. 1 StGB Rechnung zu tragen50• 6. Rechtswidrige behördliche Duldung und Erlaubnistatbestandsirrtum Schließlich ist noch auf die Situation der rechtswidrigen behördlichen Duldung einzugehen. Diese Fallkonstellation dUrfte dem Regelfall entsprechen. Da die rechtmäßige behördliche Duldung ein eigenständiger Rechtfertigungsgrund ist, kommt auf der Seite des BUrgers ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes in Betracht. Hierbei ist zu be-
A.A. Dahs/Pape, NStZ 1988, 395 BGHSt. 11, 241 (257); 35, 270 (279); Dreher!Tröndle, § 16 Rdn. 28; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, § 14 I 3 b; ausftlhrlich Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 50 ff. m.w.N. auch zur Gegenansicht. 48 BGHSt. 2, 111 (ll5); Dreher!Tröndle, § 32 Rdn. 14; Hirsch, LK, Vor § 32 Rdn. 59, 61 f. m.w.N. 49 Stratenwerth, StrafR AT, Rdn. 493; Schönke/Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rdn. 15; Jakobs, StratR AT, 11/23 f.; Jescheck, StratR AT, § 31 IV 2. so Siehe dazu ausftlhrlich Hirsch, LK, Vor§ 32 Rdn. 61. 46
47
10 Malitz
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F. Behördliche Duldung und Strafrecht
rücksichtigen, daß staatliches Handeln die Vermutung der Rechtmäßigkeit in sich trägt. Es spricht folglich eine Vermutung ftlr einen entsprechenden Irrtum des Bürgers. Dies umso mehr, als die Rechtswidrigkeit der behördlichen Duldung aus Erwägungen folgt, die ftlr den BOrger nicht ohne nähere Kenntnis der Rechtsmaterie und insbesondere der Funktion des förmlichen Genehmigungsverfahrens erkennbar sind. Die Nichtberücksichtigung der Beteiligungsrechte Dritter sowie der vorrangigen formellen Erlaubnisformen (z.B. Zulassung vorzeitigen Beginns) drängen sich dem Außenstehenden im Normalfall nicht auf. Nur wenn hier besondere Kenntnisse über das förmliche Genehmigungsverfahren vorhanden sind, so in größeren öffentlich-rechtlichen oder privaten Unternehmen, ist diese Vermutung entkräftet.
G. Konkretisierung des gefundenen Ergebnisses Abschließend soll noch dargestellt werden, wie sich das gefundene Ergebnis auf die verwaltungsakzessorischen Straftatbestände des unerlaubten Betreibens von Anlagen und der Gewässerverunreinigung auswirkt. Vorweg bleibt jedoch festzuhalten, daß das Ergebnis als solches Verbindlichkeit ftlr sämtliche verwaltungsakzessorischen Straftatbestände beansprucht und nicht auf die nachfolgenden Beispiele beschränkt bleiben soll.
I. Unerlaubtes Betreiben von Anlagen - § 327 StGB § 327 Abs. 2 Nr. 3 StGB 1 stellt den unerlaubten Betrieb einer Abfallentsorgungsanlage unter Strafe. Hier kommen Fälle illegaler Schrottplätze, Hausmülldeponien, Sondermülldeponien oder nicht absetzbare Lagerbestände maroder Altstoffverwertungsdeponien in Betrachf.
Billigt die Behörde den Betrieb einer rechtswidrigen Anlage, ohne eine mit Nebenbestimmungen versehene Genehmigung gemäß § 7 Abs. 2 AbfG zu erteilen, bleibt der Betrieb auch strafrechtlich rechtswidrig. Durch einen nach § 8 Abs. 1 S. 2 AbfG zulässigerweise befristeten Planfeststellungsbeschluß oder eine nach dieser Vorschrift befristete Genehmigung hätte die Behörde eine vorläufige Regelung schaffen können, die den Betrieb sowohl verwaltungsrechtlich als auch strafrechtlich legalisiert hätte3 • Die Zulassung vorzeitigen Beginns nach den §§ 15a Abs. Ia, 4 Abs. 1 BlmSchG i.V.m. § 7 AbfG kommt dagegen nur bei Änderungen bereits bestehender Anlagen in Betracht. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zugleich zum Ausdruck gebracht, daß außerhalb dieses engen Anwendungsbereichs der Zulassung vorzeitigen Beginns der nicht genehmigter Anlagenbetrieb unzulässig sein soll. Die behördliche Duldung als Form informellen Verwaltungshandeins umgeht hier das llirmliche Genehmigungsverfahren. Die Beteiligungsrechte Dritter bleiben unberücksichtigt und die vorrangigen Regelungen über die Zulassung vorzeitigen Beginns sind nicht beachtet. Die behördliche Duldung ist daher rechtswidrig und kann den Setreiber nicht rechtfertigen. Möglich ist
Zuvor Nr. 2 des § 327 Abs. 2 StGB, geandert durch 2. UKG v. 27.6.1994, BGBI. I S. 1440. Vgl. Fröhlich, DÖV 1989, 1030 mit weiteren Beispielen. 3 Siehe auch Fröhlich, DÖV 1989, 1036. 1
2
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G. Konkretisierung des gefundenen Ergebnisses
aber - wie zuvor dargelegt - ein Erlaubnistatbestandsirrtum des Betreibers, wenn er über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Duldung irrt.
II. Gewässerverunreinigung - § 324 StGB § 324 StGB ist der Straftatbestand, auf den sich die Diskussion um die behördliche Duldung bislang konzentriert hat. Rechtmäßige behördliche Duldungen kommen insbesondere im Zusammenhang mit Sanierungsmaßnahmen oder bei Betriebsstörungen und Notfällen in Betracht.
Behördliche Duldungen im Zusammenhang mit Sanierungsmaßnahmen sind mit Blick auf die Möglichkeit der Zulassung vorzeitigen Beginns gemäß § 9a WHG problematisch. Die Gewässerverunreinigung wird hier nicht mehr durch die bereits erteilte Genehmigung gerechtfertigt, weil sie die Einleitung ungereinigter Abwässer nicht abdeckt1• Eine rechtmäßige behördliche Duldung kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen eine Zulassung nach § 9a WHG beantragt wurde. Für den Zeitraum, den die Bearbeitung dieses Antrags erfordert, kann die behördliche Duldung rechtmäßig sein. Dann entfällt das strafrechtliche Unwerturteil, wenn der Täter die Duldungsentscheidung der Behörde kennt. Im übrigen ist die Möglichkeit der Zulassung vorzeitigen Beginns die vorrangige Regelung, die die Zulässigkeit einer behördlichen Duldung ausschließt. Eine dennoch getroffene behördliche Duldungsentscheidung wäre rechtswidrig. Bei Betriebsstörungen und in Notfällen kann die Gewässerverunreinigung bereits durch die Abwägung der widerstreitenden Interessen, die auch dem rechtfertigenden Notstand zugrunde liegt, verwaltungsrechtlich rechtmäßig sein. Die Gewässerverunreinigung ist dann nicht mehr unbefugt. So bestimmt § 32 Abs. I S. I LWG NW, daß die in Notfällen ftlr die Dauer der Gefahr getroffenen Maßnahmen erlaubnisfrei sind2 • Die Rechtfertigung ist von einer behördlichen Duldung nicht abhängig, allerdings ist die allgemeine Wasserbehörde unverzüglich zu verständigen (S. 2)3 •
1 Vgl.
2
Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 16.
Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung gilt dieser Grundsatz gleichfalls in anderen Bundesländern, vgl. dazu Gieseke!Wiedemann/Czychowski, WHG, § 2 Rdn. 20 unter ausdrücklichem Hinweis auf§ 34 StGB; sowie Broschei, in: Wüsthoff/Kumpf, HDW, D 711 E, § 32 LWG NW Rdn. 2. 3 Ähnlich § 24 BlnWG, wonach die Erlaubnis oder Bewilligung unverzüglich zu beantragen ist, wenn die Maßnahme weiter bestehen bleiben soll.
H. Resümee Insgesamt hat sich erwiesen, daß das geltende verwaltungsaktakzessorische Strafrecht nicht an den verwaltungsrechtlichen Realitäten vorbeigehen muß, wenn der Verwaltungsvollzug nicht in einem rechtsförmlichen Verfahren verläuft 1• Es ist zwar nicht zu übersehen, daß die informellen Praktiken der Verwaltungsbehörden einen beträchtlichen Vertrauensverlust im Bereich des Umweltrechts nach sich ziehen. Umweltschutz gehört zu den zentralen Aufgaben unserer Zeit, und auch eine effektivere Umweltpolitik ist dringlich geboten. Allerdings wäre es sachwidrig, dieses Ziel dadurch verwirklichen zu wollen, daß der rechtmäßigen behördlichen Duldung ihre rechtfertigende Wirkung abgesprochen wird. Richtiger Ansatzpunkt ist vielmehr die restriktive Handhabung informellen Verwaltungshandelns. Die in vielen Bereichen notwendige Kooperation zwischen Verwaltung und Bürger darf nicht zu "dubiosen Arrangements"2 auf Kosten der Umwelt mißbraucht werden und ebensowenig zu einem Verzicht des Staates auf seine Regelungs- und Vollzugshoheit ftlhren. Der Umstand, daß einzelne Verwaltungsbehörden ihrem Kontrollauftrag nicht nachkommen, sollte nicht dazu ftlhren, dem verwaltungsrechtlichen Kontrollsystem seinen strafrechtlichen Schutz zu entziehen. Immerhin ist der Gesetzgeber nicht gänzlich untätig geblieben. So hat er nunmehr dem chronischen Vollzugsdefizit der Verwaltung den Kampf angesagt. Der jedermann zustehende Umweltinformationsanspruch nach dem Umweltinformationsgesetz ist zumindest grundsätzlich geeignet, die Vollzugskontrolle teilweise auf die Öffentlichkeit übertragen3 • Darüber hinaus bringen Regelungen über die Zulassung vorzeitigen Beginns zum Ausdruck, -daß der Gesetzgeber das Problem des schwerfiilligen und zeitraubenden Genehmigungsverfahrens erkannt hat. Ob allerdings diese Regelungen, die nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich haben, auch in ihrer praktischen Handhabung dazu angetan sind, dem offenkundigen Bedürfnis nach informellem Verwaltungshandeln ausreichend Rechnung zu tragen und es wieder in rechtsförmliche Bahnen zu lenken, ist zu bezweifeln.
1 2
3
So aber Heine/Meinberg, GA 1990, 2. So Send/er, JuS 1983, 259. Vgl. zum Umweltinformationsgesetz Turiaux, NJW 1994, 2319 ff.
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