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German Pages 254 Year 2014
Martina Merklinger Die Biennale São Paulo
Image | Band 41
Martina Merklinger, Kunsthistorikerin, ist Kulturreferentin in einem internationalen Unternehmen im Raum Stuttgart. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Kunst in Deutschland und Brasilien, Gegenwartskunst sowie den bilateralen Kulturaustausch.
Martina Merklinger
Die Biennale São Paulo Kulturaustausch zwischen Brasilien und der jungen Bundesrepublik Deutschland (1949-1954)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Geleitwort | 7 Vorwort und Dank | 9 1
Einleitung Biennale São Paulo: Forschungsstand und Fragestellungen | 13 1.1 Der zeitliche Rahmen | 15 1.2 Die Biennale São Paulo als Hauptuntersuchungsgegenstand | 15 1.3 Forschungsstand, Literaturbericht und Quellensituation | 17
1.3.1 Zur Recherche im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA) | 23 1.3.2 Zur Forschung im Archiv der Biennale São Paulo (Arquivo Histórico Wanda Svevo) | 25 1.4 Fragestellungen und Ziele | 26 2
Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg | 27 2.1 Die bilateralen Verbindungen zwischen Brasilien und der DDR | 29
2.2 Die diplomatischen Verbindungen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland | 35 2.2.1 Brasilien bei der Bundesregierung | 36 2.2.2 Die Bundesrepublik Deutschland bei der brasilianischen Regierung | 38 2.3 Die politische Situation Brasiliens nach 1945 | 47 2.3.1 Politik und Wirtschaft | 48 2.3.2 Kulturpolitische Aspekte der brasilianischen Innenund Außenpolitik | 51 2.4 Die Anfänge der Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland | 56 2.4.1 Aufgaben und Strukturen während der Aufbauphase | 56 2.4.2 Die Kulturabteilung | 57 2.4.3 Bestandsaufnahme deutscher Beziehungen nach Einrichtung der Deutschen Botschaft | 76 2.5 Zwischenergebnis: Die I. Biennale im Zusammenhang mit der bundesdeutschen Vertretung in Brasilien | 86
3
Die Biennale São Paulo | 89
3.1 Institution und Funktion der Biennale | 89 3.1.1 Funktion | 90 3.1.2 Organisationsstruktur | 91 3.2 Die museographische Situation in São Paulo | 100 3.2.1 Das Museu de Arte de São Paulo (MASP) | 103 3.2.2 Das Museu de Arte Moderna (MAM) | 111 3.3 Die Anfänge der Biennale | 127 3.3.1 1951: Die Gründungsbiennale | 127 3.3.2 1953/54: Die II. Biennale – „A Bienal do Centenário“ | 141 3.3.3 Die beiden ersten Biennalen im Vergleich | 157 3.4 Zwischenergebnis: Die Biennale im Einklang mit Kommerz und Politik | 161 4
Verflechtungen zwischen Brasilien und Deutschland im Zusammenhang mit der Biennale São Paulo | 163 4.1 Berührungspunkte in der Kunst und ihrer Verwaltung | 163 4.1.1 Akteure aus Deutschland bei den ersten Biennalen | 164 4.1.2 Das Bauhaus bei der Biennale | 171 4.2 Die Hochschule für Gestaltung Ulm und Brasilien | 176 4.2.1 Max Bill und sein „südamerikanisches Abenteuer“ | 178
4.3.2 Schüler aus Brasilien an der HfG und ihre Spuren in der Heimat | 188 5
Resümee Die Bedeutung der Biennale São Paulo für die deutsch-brasilianischen Beziehungen | 201
Quellen- und Literaturverzeichnis | 207 Quellenverzeichnis | 207 1. Dokumente in Archiven | 207
I
II III IV
2. Interviews, persönliche Gespräche und Korrespondenz | 215 Literaturverzeichnis | 216 Internetseiten | 232 Film | 233
Abbildungen | 235 Teil I | 235 Teil II | 242 Bildnachweis | 250
Geleitwort
Als die nach der Biennale di Venezia (seit 1895) zweitälteste Kunstbiennale weltweit 1951 auf Initiative des italienisch-brasilianischen Industriellen Francisco Matarazzo Sobrinho in São Paulo gegründet wurde, hatte sie zunächst die Aufgabe, Brasilien Anschluss an die internationalen Kunstdiskurse zu verschaffen und die zeitgenössische Kunst des „Westens“ (vor allem Westeuropas und der USA) in Brasilien bekannt zu machen. Die Bundesrepublik Deutschland war 1951 gerade zwei Jahre alt und ihre Auswärtige Kulturpolitik steckte in den Kinderschuhen. Die verantwortlichen Politiker und Kulturakteure waren aber weise und vorausschauend genug, in der Förderung der Teilnahme Deutschlands an der Biennale in São Paulo nach dem Hitler-Faschismus auch ein Signal der Wiedereingliederung in die zivilisierte Welt und Aufarbeitung der braunen Geschichte zu sehen. Man wollte an die Wertewelt vor 1933 anknüpfen und, unterstützt durch eine herausragende Kunstproduktion in den folgenden Jahrzehnten, auch das Bild eines neuen, innovativen Deutschland fördern. Brasilien war insofern besonders interessant, als es als „Land der Zukunft“ zunehmend in den wirtschaftlichen Fokus geriet und die seit Anfang des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Wellen erfolgte deutsche Einwanderung darüber hinaus einen Anknüpfungspunkt bildete. Der außenkulturpolitische Bezugsrahmen, in den die vorliegende Arbeit die deutschen Beiträge auf der Kunstbiennale in São Paulo stellt, betrifft unmittelbar das Wirken der Deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und auch des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) Stuttgart und Berlin. Klassischerweise steht die Außenkulturpolitik im Kontext der Außenwirtschafts- und Außensicherheitspolitik. Dabei sind von großer Bedeutung die Präsentation, das Angebot zum Dialog und die Entwicklung gemeinsamer Ziele im interkulturellen Diskurs. Auch aktuell, zum Deutschlandjahr in Brasilien 2013/2014, kommt dem Kunst- und Kulturaustausch eine Schlüsselrolle zu – die Biennale 2012 ist
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hierzu wie ein Auftakt auf der Basis einer jahrzehntelangen gemeinsamen Geschichte zu sehen. Das ifa zeichnet seit der XII. Biennale 1973 für die deutschen Beiträge in São Paulo verantwortlich. Bis 2008 war es treuhänderisch mit der Organisation, der technischen und der finanziellen Abwicklung betraut. Seit 2010 erfolgt die Unterstützung auch durch die Ermöglichung der Beteiligung deutscher Künstlerinnen und Künstler durch das ifa-Programm „Ausstellungsförderung“. Die Liste mit den Namen der weit über hundert Künstlerinnen und Künstler der bundesrepublikanischen Beiträge seit 1951 in São Paulo liest sich beeindruckend als Who is Who der deutschen Kunst nach 1945. Im Folgenden eine Auswahl ab 1973: Hanne Darboven, Erwin Heerich, Klaus Rinke (1973); Georg Baselitz, Palermo, Sigmar Polke (1975); Bernd und Hilla Becher, Franz Erhard Walther (1977); Joseph Beuys (1979); Rudolf Schoofs, Klaus Staeck, Tim Ulrichs (1981); A. R. Penck, Markus Lüpertz, Rainer Wittenborn (1983); Peter Bömmels, JiĜí Georg Dokoupil, Albert Hien (1985); Anselm Kiefer (1987); Joseph Beuys, Ulrich Rückriem (1989); Horst Antes, Max Uhlig, Peter Stein (1991); Asta Gröting, Rosemarie Trockel, Gerhard Richter (1994); Carl Emanuel Wolff (1996); Mischa Kuball (1998); Rupprecht Geiger (2002); Thomas Demand (2004); Monica Bonvincini, Marcel Broodthaers, Rainer Werner Fassbinder, Jeanne Faust, Lars Ramberg, Tomas Saraceno, Gerry Schum, Shimabuku (2006); Carsten Höller, Peter Friedl (2008); Harun Farocki, Andrea Geyer, Adrian Pieper, Andrea Buttner, Anri Sala (2010); Hans-Peter Feldmann, Horst Ademeit, Knut Aufermann, Jutta Koether, Ferdinand Kriwet, Anna Oppermann, Franz Erhard Walther (2012). Dieses Buch ist historisch höchst spannend, erhellend für die außenpolitischen Strategien und Konzepte der jungen Bundesrepublik, informativ hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Implikationen in den Deutsch-Brasilianischen Kulturbeziehungen und ein wichtiger Beitrag zur Geschichte in der Institutionalisierung der Kunstbiennale in São Paulo. Darüber hinaus ist die Arbeit sehr aktuell, denn die Darstellung und Analysen stehen im Zusammenhang mit den aktuellen Zielen der Außenkulturpolitik Deutschlands im bilateralen Verhältnis zu Brasilien, auch wenn sich in der globalisierten Welt der Begriff des Nationalen, das Vertrauen in die Wirksamkeit von Selbstdarstellung und nicht zuletzt ein implizit vermutetes Gefälle zwischen Norden und Süden überholt haben und neue Paradigmen der Nachhaltigkeit, des Dialogs auf Augenhöhe und der Lerngemeinschaft den Kulturdialog prägen. Ronald Grätz Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa)
Vorwort und Dank
Die Biennale São Paulo als internationale periodische Ausstellung lenkt immer wieder das öffentliche Interesse auf sich, insbesondere beim Fachpublikum. Sie war bereits Thema meiner Magisterarbeit, die ich an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn verfasste und die die gesamte Geschichte dieser brasilianischen Institution bis 1998 beleuchtete. Den Fokus auf die Bezüge zu Deutschland und die bundesdeutschen Beiträge gerichtet, warfen die Anfänge der Biennale in den 50er Jahren besonders viele interessante Fragen auf und erwiesen sich für den bilateralen Kontext als ausgesprochen aufschlussreich. Es wurde bald deutlich, dass die Biennale eine Rolle in der Auswärtigen Kulturpolitik spielte, die in Bezug auf die Bundesrepublik bis dahin noch nicht untersucht worden war. Dem vorausgegangen war ein vom DAAD gefördertes Praktikum am Goethe-Institut Porto Alegre im Jahr 1994, wo das Thema Kulturdialog und -austausch mit Brasilien für mich seinen praktischen und theoretischen Ausgang nahm. Zu der Zeit fand mein erster Besuch bei der Biennale São Paulo statt. Meine Forschungsinteressen – bilaterale und internationale Zusammenarbeit ebenso wie die Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart – bündeln sich in besonderer Weise in dieser Institution und ließen sie als vielversprechenden Untersuchungsgegenstand erscheinen. Erste Recherchen für die Magisterarbeit folgten bald. Später waren dank eines Doktorandenstipendiums des DAAD weitere Recherchen in São Paulo möglich, und durch meine beruflichen Tätigkeiten in Bonn, Berlin, São Paulo und schließlich Stuttgart, jeweils in der bilateralen Zusammenarbeit, konnten theoretische Ergebnisse und Erkenntnisse durch praktische Erfahrungen ergänzt werden. Einzelne Aspekte der vorliegenden Arbeit wurden bereits vertieft und an anderer Stelle zu Nutzen gebracht, wie 2008 im Katalog zur Ausstellung Hans Günter Flieg in Chemnitz und anderen Publikationen zu deutsch-brasilianischen Themen.
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Selbst in den oft langen Pausen, die beruflich oder privat bedingt zum jeweiligen Zeitpunkt nötig waren, wuchsen Gedanken und konnten Erfahrungen gemacht werden, die in der Arbeit Niederschlag fanden. Ich danke denjenigen, die auch in diesen Phasen an einen erfolgreichen Abschluss glaubten, an erster Stelle Prof. Dr. Barbara Schellewald, die den Anstoß für diese Arbeit gegeben hatte und sie während all der Jahre betreute. Den Institutionen, die mir Einblick in ihre Archive gewährten, gilt mein aufrichtiger Dank. Hervorzuheben sei an dieser Stelle die kooperative Haltung der Biennale São Paulo, die mich über einen längeren Zeitraum hinweg im Archiv recherchieren ließ und deren Mitarbeiter besonderes Interesse an meiner Forschung zeigten, so dass ich selbst später noch hilfreiche Hinweise von dort erhielt. Auch denjenigen Institutionen, deren ideelle und infrastrukturelle Unterstützung über die Nutzung von Bibliothek und Archiv hinaus hilfreich war, bin ich zu Dank verpflichtet. Dabei seien vor allem die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft e. V., Bonn, und das Martius-Staden-Institut, São Paulo, genannt. Dr. Jakob Bill und Dr. Angela Thomas mit Familien danke ich sehr für die Bereitstellung von Quellenmaterial und den stets motivierenden Fachkontakt bezüglich Max Bill an der Hochschule für Gestaltung, Ulm, und in Brasilien. Ronald Grätz sei stellvertretend für das Institut für Auslandsbeziehungen gedankt, das sich von Anfang an für das Thema der Biennale interessierte und mit dessen Mitarbeitern ich immer im fachlichen Austausch stand. Dem Fotografen Hans Günter Flieg sowie dem Moreira-Salles-Institut gebührt Dank für das umfangreiche Bildmaterial und die Genehmigung, es sowohl auf dem Umschlag als auch im Anhang verwenden zu dürfen. Ich freue mich sehr, dass einige Fotografien, beispielsweise aus der Serie „Demolição“, hier erstmals veröffentlicht werden können. Hans Günter Flieg stand mir mehrfach als Interviewpartner zur Verfügung und gab mit seinen Schilderungen lebhaft Zeugnis vom São Paulo in der Jahrhundertmitte. Genauso wertvoll waren die Erzählungen von Alexandre Wollner, der als Brasilianer an der neu gegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm studierte und sowohl das Nachkriegsdeutschland als auch Brasilien in den 50er Jahren kannte. Ihnen beiden und allen anderen Befragten danke ich vielmals für die Gesprächsbereitschaft und das mir großzügig zur Verfügung gestellte Bildund Schriftquellenmaterial. Mit mehreren Kolleginnen und Kollegen führte ich inspirierende Gespräche und Diskussionen, bei denen ich wertvolle Anregungen erhielt. Bedanken möchte ich mich dafür bei Dr. Ana Magalhães, Mitarbeiterin der Biennale und seit 2008 der Universität von São Paulo (USP), und bei Dr. Martina Pottek, Dr. Antiopy Lyroudias sowie ganz besonders bei Dora Schindel.
V ORWORT
UND
D ANK
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Mein Dank gilt auch denen, die die Lektüre des Manuskripts in verschiedenen Stadien auf sich genommen haben: Simone Loose, Daniel Oppermann, Sabine Harwarth, Markus Baumgart und schließlich Karen Schmitt. Sie hat das Endlektorat übernommen und war mir beim Satz des Buches sehr behilflich. Ihre kritischen Hinweise haben dem Werk einige wichtige Konturen verliehen und waren mir eine wichtige Unterstützung. Nicht zuletzt danke ich meinen Freunden und meiner Familie, die mir während der manchmal schwierigen Zeit der Recherche und des Schreibens zur Seite gestanden haben. Meiner Familie sei insbesondere für die Unterstützung auch in finanzieller Hinsicht gedankt sowie für ihre Geduld, da sie mich gerade in der Endphase oft entbehren musste. Ohne das Interesse und die Hilfsbereitschaft vieler Menschen würde es diese Arbeit so nicht geben. Ihnen allen gebührt mein herzlichster Dank. Stuttgart, im Januar 2013 Martina Merklinger
1 Einleitung Biennale São Paulo: Forschungsstand und Fragestellungen
Die Gründungsphase der Biennale São Paulo mit ihrer ersten Ausrichtung im Jahre 1951 fällt für Deutschland in eine Zeit, die von Wiederaufbau und Neustrukturierung geprägt war. Die beiden deutschen Teilstaaten waren mit ihren Gründungen 1949 noch relativ jung, und der Deutschlandvertrag, mit dem die Bundesrepublik später ihre staatliche Souveränität erhalten sollte, wurde erst 1952 unterzeichnet.1 Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass2 sich die Bundesrepublik bereits 1951 mit einer umfangreichen Ausstellung an der neu gegründeten Biennale für Moderne Kunst in São Paulo beteiligte, als die Aufgaben und die Zuständigkeiten der Auswärtigen Politik und dementsprechend auch der Kulturpolitik erst noch geklärt werden mussten. Es gab Bereiche der kulturellen Außenpolitik, die damals noch von anderen Behörden, wie dem Bundesinnenministerium, betreut wurden und heute unter der Verantwortung des Auswärtigen Amtes stehen. Für andere Aufgaben war das Auswärtige Amt seinerzeit bereits zuständig, doch sind hier heute teilweise Mittlerorganisationen zwischengeschaltet. Hierzu gehört die Zusammenstellung des bundesdeutschen Beitrages für die Biennale São Paulo, die 1951 noch beim Auswärtigen Amt lag und die 1
Letztlich trat der Deutschlandvertrag sogar erst 1955 mit den Pariser Verträgen in Kraft.
2
Der Text folgt im Wesentlichen den zuletzt 2006 in den deutschsprachigen Ländern aktualisierten Rechtschreibregeln, wobei anzumerken ist, dass bei Zitaten nicht immer diesen neuen Vorgaben Folge geleistet werden kann. „ß“ oder „ss“ sind gerade bei Schriften, die zwar auf Deutsch verfasst, aber eventuell auf in Brasilien üblichen Schreibmaschinen erstellt worden sind, die über keine ß-Taste verfügen, nicht eindeutig auseinanderzuhalten. Die Verfasserin hat in der Regel die Schreibweise des Originaldokuments beibehalten. Dies gilt auch für die Umlaute. Das portugiesische Alphabet sieht keine ä, ö, ü vor, weshalb sie auf amerikanischen Tastaturen meistens zu ae, oe, ue aufgelöst werden.
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seit 1972 das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) organisiert.3 Die institutionellen Strukturen der bundesdeutschen wie auch der ostdeutschen Politik, insbesondere der Außenpolitik, waren demnach bei Gründung der Biennale gerade im Aufbau begriffen. In dieser Zeit wurden die ersten Weichen für die weitere Zukunft beider Länder gestellt und Entscheidungen von besonderer Tragweite getroffen. Die in diesem Zusammenhang geführten Diskussionen zu untersuchen, ist eines der Ziele dieser Arbeit. Es wird den Fragen nachgegangen, welche Rolle die Biennale innerhalb der beginnenden Auswärtigen Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland spielte und wie diese im Kontext der bilateralen Beziehungen zu bewerten ist, welche Interessen seitens des Auswärtigen Amtes konstatiert werden können, die einen bundesdeutschen Beitrag gleich bei der ersten Biennale-Ausstellung in Brasilien ermöglichten, und inwieweit die deutsch-brasilianische Zusammenarbeit im Kontext der Biennale Auswirkungen auf das brasilianische Kunstgeschehen bis in die Gegenwart hat. Beide Länder bzw. alle drei, die DDR mit eingerechnet – obwohl es bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts keinen Beitrag aus der DDR bei der Biennale São Paulo gab –, befanden sich in einer Anfangssituation, bei der im Gegensatz zu der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland schon eine gewisse Aufbruchstimmung mitschwang und die in dieser Arbeit eine wesentliche Berücksichtigung findet.4 In Brasilien sind es die 1945 bzw. 1946 wiederhergestellte
3
Vgl. Kapitel 2.4 und 3.1. Das ifa wurde 1917 als Deutsches Ausland-Institut in Stuttgart gegründet und ab 1924 vom damaligen Auswärtigen Amt mitfinanziert. Seit 1950 arbeitet es erneut als kulturelle Mittlerorganisation des Auswärtigen Amtes und sieht seine Schwerpunkte hauptsächlich in den Bereichen Ausstellungen, Künstler- und Kulturaustausch, Krisenprävention, Dialog- und Informationsvermittlung sowie kulturelle Hilfen für deutsche Minderheiten. Das Institut für Auslandsbeziehungen behält seinen Hauptsitz traditionell in Stuttgart, wobei seit der Hauptstadtverlegung von Bonn nach Berlin der Berliner Sitz deutlich vergrößert wurde. Vgl. Maaß, KurtJürgen: Das deutsche Modell – Die Mittlerorganisationen. In: Ders. (Hg.): Kultur und Außenpolitik, Handbuch für Studium und Praxis, Baden-Baden 2005, S. 205 ff. und zum Selbstverständnis des ifa: www.ifa.de.
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Eine Beschreibung dieser Situation, die gewisse Parallelen aufweist, findet sich bei Moniz Bandeira, Luiz Alberto: O Milagre Alemão e o Desenvolvimento do Brasil, As Relações da Alemanha com o Brasil e a América Latina (1949–1994), São Paulo 1994, deutsche Fassung: Das deutsche Wirtschaftswunder und die Entwicklung Brasiliens. Die Beziehungen Deutschlands zu Brasilien und Lateinamerika (1949–1994), Frankfurt am Main 1995, S. 69 ff.
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Demokratie mit einer bald forcierten Industrialisierung und schließlich der Regierungswechsel 1951,5 die dem Land neuen Auftrieb gaben.
1.1 D ER ZEITLICHE R AHMEN Die komplexe Thematik erfordert eine Eingrenzung auf den Zeitraum der ersten beiden Biennalen mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung der Institution. Dies resultiert aus der Überlegung, dass die Gründungsbiennale als konstituierende Veranstaltung fast noch als Versuch betrachtet worden ist und die zweite bereits eine ungleich größere Bedeutung für die eigene Institutionsgeschichte gewann, aber auch für die Stadt, das Land und die internationalen Beziehungen. Gerade die zweite Biennale hat für die Außenpolitik der Bundesrepublik eine besondere Relevanz, da sie in die 400-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt São Paulo eingebunden war, bei der sich die Bundesrepublik wie auch weitere westliche Industrienationen aufs höchste engagierten.6 Zur Entscheidungsfindung über das Ausmaß und die Form der bundesdeutschen Teilnahme an den verschiedenen Veranstaltungen der 400-Jahr-Feier und der Kunstbiennale trugen lange Diskussionen innerhalb der Ministerien bei, zwischen den zuständigen Kulturmittlern und der Botschaft bzw. dem Generalkonsulat in São Paulo, die im Zusammenhang mit anderen, vom Bund geförderten kulturellen Veranstaltungen auf eine besondere Kulturpolitik hinweisen. Aspekte dieser Politik, ihre Motivation und ihre Ziele sollen im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden.
1.2 D IE B IENNALE S ÃO P AULO ALS H AUPTUNTERSUCHUNGSGEGENSTAND Zunächst wird die Institution Biennale São Paulo vorgestellt. Ausgehend von ihrer Gründungsgeschichte in Brasilien, die von der Ideenfindung bis hin zur
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Im Januar 1951 übernahm der bereits zwischen 1930 und 1945 regierende Getúlio Vargas das Präsidentenamt in Brasilien, der in seiner ersten Regierungszeit den sogenannten Estado Novo proklamierte und mit seiner Politik die Grundlagen für Brasilien als Industrienation schuf. Obwohl die erste Regierungszeit von insgesamt 15 Jahren Herrschaft nicht ohne diktatorische Maßnahmen blieb, war der Beginn seiner zweiten mit einer großen Hoffnung im Volk verbunden.
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Vgl. z. B. Lipkau, Ernst Günther: Brücke zwischen Brasilien und Deutschland, 75 Jahre Handelskammer São Paulo, São Paulo 1993, S. 47.
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Ausführung mit den Schwerpunkten auf den Strukturen, Aufgaben und Funktionen der Institution reicht, wird versucht, ihre Bedeutung für das Kunstschaffen auf nationaler und internationaler Ebene zu erfassen. Dabei werden vor allem die weitreichenden Verbindungen nach Deutschland als Teil eines sich im Aufbau befindenden internationalen Netzwerkes mit der Biennale als einem der wichtigsten Bindeglieder beleuchtet. Untersucht werden insbesondere die in der Bauhaus-Tradition stehende Hochschule für Gestaltung in Ulm, die in vielerlei Hinsicht für die Biennale von Bedeutung war, wie auch einzelne Biographien von Künstlern und Kulturmittlern, die in der deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit in besonderer Weise hervorgetreten sind beziehungsweise deren Arbeit durch die Biennale eine größere Aufmerksamkeit erfuhr. In diesen Punkten erfordert der Zusammenhang eine leichte Ausdehnung des Zeitrahmens über die ersten Jahre der Biennale hinaus, um die nachhaltige Wirkung dieser Verbindungen aus der Gründungszeit zu verdeutlichen. Auch hier werden kulturpolitische und allgemeinpolitische Aspekte Eingang finden und im Zusammenhang mit den Ergebnissen der vorangehenden Kapitel diskutiert werden. Primäres Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, nicht nur die Institutionsgeschichte der Biennale São Paulo der außerbrasilianischen, insbesondere der deutschsprachigen, Forschung zur Verfügung zu stellen, sondern an diesem Beispiel auch die Bedeutung der bilateralen Beziehungen zu ermessen, die ein so großes, von der Auswärtigen Kulturpolitik mitgetragenes kulturelles Projekt haben kann. Die den Schwerpunkt bildende Gründungsphase fällt nicht nur mit dem Aufbau einer „kulturellen Infrastruktur“ in São Paulo zusammen, sondern eben auch mit der Wiederaufnahme bilateraler Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Da auch die ersten kulturpolitischen Schritte nach dem Krieg zwischen diesen beiden Ländern gemacht werden, ergibt sich hier eine besondere kulturpolitische Dimension für die Kunstund Kulturforschung in Deutschland. Es stellt sich die Frage, welches Interesse die Bundesrepublik Deutschland verfolgte, als sie sich für die Teilnahme an einer Biennale in Brasilien entschied. Bei der Biennale handelt es sich schließlich um keine Strömung oder Bewegung in Brasilien, wie man es vom Cinema Novo, der Poesia Concreta, dem Concretismo etc. behaupten kann. Vielmehr ist sie eine zur Tradition gewordene Institution in Brasilien, die sich keiner künstlerischen oder politischen Richtung verpflichtet, die aber eine Plattform für andere bietet, sich zu präsentieren. Diese Präsentationsmöglichkeit wurde von Anfang an von den Regierungen der eingeladenen Länder und den Künstlern – also einerseits anderen Institutionen mit vermutlich bestimmten Interessen, andererseits den Intellektuellen selbst – genutzt.
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1.3 F ORSCHUNGSSTAND , L ITERATURBERICHT UND Q UELLENSITUATION Der verhältnismäßig wenig theoretisch-diskursive und eher narrative Charakter weiter Teile dieser Arbeit resultiert aus der Tatsache, dass zunächst Grundlagen geschaffen und die zentralen Schritte dieser Entwicklung dargelegt werden müssen. Die Geschichte der Biennale São Paulo ist zwar in Brasilien schon mehrfach untersucht worden, eine ausführlichere wissenschaftliche Publikation aber ist bislang ausgeblieben. Das erste umfangreichere Werk über die Geschichte der Institution hat die Journalistin Leonor Amarante verfasst; es behandelt die Biennale seit ihren Anfängen bis 1989.7 Allerdings beschränkt sich diese Dokumentation auf die Biennale als eine brasilianische Einrichtung in ihrem nationalen Wirkungsfeld und auf einige damit verbundene herausragende Ereignisse von internationalem Interesse, doch berücksichtigt sie keinen bilateralen Kontext. Ähnlich verhält es sich mit dem Katalogbuch, das die Fundação Bienal de São Paulo anlässlich des 50. Jubiläums der Biennale unter der koordinatorischen Leitung von Agnaldo Farias herausgab.8 Zweisprachig, mit umfangreichem Bildmaterial und Tabellen versehen, zeichnet es die Geschichte der Institution nach und ist wie Amarantes Buch ein nützliches Nachschlagewerk für jede einzelne Biennale. Eine Dokumentation im bilateralen Kontext gibt es aus Großbritannien9 sowie ansatzweise in manchen Katalogen einzelner Länderbeiträge. Doch zum direkten Zusammenhang mit der Auswärtigen Kulturpolitik, weder der deutschen noch eines anderen Staates, liegt bislang keine Studie vor. Die Gesamtkataloge der einzelnen Biennalen mit zum Teil separaten Publikationen der Länder über den eigenen Beitrag dienen ebenfalls als wichtige Grundlage. Sie enthalten neben Satzungen, Anzahl und Bezeichnungen der ver-
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Amarante, Leonor: As Bienais de São Paulo 1951 a 1987, São Paulo 1989.
8
Farias, Agnaldo (Org.): 50 Anos Bienal de São Paulo, 1951–2001, Edição de Comemoração do 50o Aniversário da 1ª Bienal de São Paulo, São Paulo 2001.
9
Britain and the São Paulo Bienal 1951–1991, Britsh Council (Hg.), London/São Paulo 1991. Die anlässlich der fünfzigjährigen Präsenz des British Council in Brasilien und des gleichzeitigen vierzigjährigen Jubiläums der Biennale erschienene Publikation enthält neben einer Dokumentation der einzelnen britischen Beiträge eine von Margaret Garlake verfasste kritische Betrachtung der gesamten Biennale São Paulo. Vgl. Garlake, Margaret: The British Council and the São Paulo Bienal. In: Britain and the São Paulo Bienal 1951–1991, Britsh Council (Hg.), London/São Paulo 1991, S. 9– 45.
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liehenen Prämien oft auch wertvolle Hinweise über das Zustandekommen der Biennale oder einzelner Werke. Im Zuge der Globalisierung und der stetig zunehmenden Aufmerksamkeit für internationale Fragen wächst auch das Interesse an noch ungekannter Kunst aus dem Ausland. So sind in den letzten beiden Jahrzehnten einige beachtenswerte Einzelpublikationen entstanden, die wie im Ausstellungskatalog „Havanna/São Paulo – Junge Kunst aus Lateinamerika“, einer Gegenüberstellung der beiden Biennalen in Havanna und São Paulo im Haus der Kulturen der Welt, interessante Ergebnisse liefern. Deutsche und lateinamerikanische Kuratoren und Kunstwissenschaftler kommen darin zu Wort und diskutieren die Relevanz lateinamerikanischer Kunst im Kontext ihrer beiden bedeutendsten Biennalen.10 Darüber hinaus gibt es einige Publikationen, die zwar nicht explizit die Geschichte der Biennale untersuchen, jedoch die kulturelle Situation Brasiliens und São Paulos in der fraglichen Zeit beschreiben und Hintergrundinformationen liefern, die auch für den direkten Biennale-Zusammenhang bedeutend sind. Dazu gehören beispielsweise die Schriften von Aracy Amaral, Alice Brill11, die Arbeit zur Erlangung des Mestrado von Regina Teixeira de Barros und die 52. Ausgabe der Revista USP12 mit diversen Beiträgen zur 50-jährigen Geschichte der Biennale.13 10 Vgl. Havanna/São Paulo, Junge Kunst aus Lateinamerika. Katalog Haus der Kulturen der Welt, Berlin 1995. Die Autoren sind: Alfons Hug, Agnaldo Farias, Nelson Aguilar, Gerhard Haupt, Juan Acha und Gerardo Mosquera. 11 Alice Brill (*1920 in Köln), die als kleines Mädchen mit ihrer jüdischen Mutter Martha Brill Deutschland nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verlassen hatte, ist in Brasilien vor allem als Fotografin und Malerin bekannt geworden und arbeitete später zunehmend auch als Kunstwissenschaftlerin. Die beiden Publikationen „Mário Zanini e seu tempo“ und „Da arte e da linguagem“, deren erstgenannte auf ihrer Forschungsarbeit an der USP basiert, behandeln die Entwicklung der Kunst in São Paulo betreffende Themen. Vgl. Brill, Alice: Mário Zanini e seu tempo, Do Grupo Santa Helena às Bienais, São Paulo 1984; dieselbe: Da arte e da linguagem, São Paulo 1988. Brill war bei der I. Biennale als Künstlerin im brasilianischen Part vertreten. 12 Revista USP (São Paulo), Cinqüenta anos de bienal internacional de são paulo, dezembro/janeiro/fevereiro 2001–2002, Ausgabe 52. 13 Die Verfasserin hat einige Aspekte bereits im Vorfeld untersucht und in den letzten Jahren in kurzen Beiträgen veröffentlicht, vgl. z. B. Merklinger, Martina: „Nur das, was nicht mein ist, interessiert mich.“ Anthropophagische Elemente in der Biennale São Paulo. In: Benninghoff-Lühl, Sibylle/Leibing, Annette (Hg.): Brasilien – Land ohne Gedächtnis? Hamburg: Universität 2001, S. 47–58; dieselbe: „Só me interessa o
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Die spezifischen Zusammenhänge zwischen der Biennale São Paulo und der Hochschule für Gestaltung in Ulm erfordern eine gründliche Untersuchung auch dieser bundesdeutschen Einrichtung. Das wissenschaftliche wie auch journalistische Interesse dieser legendären und 1968 geschlossenen Bildungsstätte in der Bauhaus-Tradition reißt nicht ab, was die in vergleichsweise hoher Zahl erschienen Publikationen in den letzten Jahren beweisen.14 Die Verbindungen mit Brasilien bzw. mit Lateinamerika wurden bereits in mehreren Schriften aufgezeigt, eine umfassendere kunst- und kulturhistorische Einbindung vor allem im Zusammenhang mit São Paulo und der Biennale fehlt jedoch. Am ehesten kommen dieser Forderung jedoch die Publikationen von Gui Bonsiepe15 und seiner Kollegin Silvia Fernández nach sowie die historische Darstellung der nach HfGPrinzipien aufgebauten Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) in Rio de Janeiro von Pedro Luiz Pereira de Souza.16 Der Blick richtet sich bei Pereira de que não é meu“ – elementos antropofágicos na Bienal de São Paulo. In: BenninghoffLühl, Sibylle/Leibing, Annette (org.): Devorando o tempo. Brasil, o país sem memória. São Paulo 2001, S. 48–60; dieselbe: Die Biennale zwischen Internationalität und Nationalität. In: Sevilla, Rafael/Costa, Sérgio/Coy, Martin (Hg.): Brasilien in der postnationalen Konstellation, Tübingen 2003, S. 180–187; dieselbe: Mit hehrer Kunst zum IV Centenário, Die Etablierung der Biennale im Ibirapuera-Park. In: MartiusStaden-Jahrbuch (São Paulo), Nr. 50, 2003, S. 142–157; dieselbe: De uma paulistana para um paulista, o polyvolume „conexão livre“ de mary vieira. In: mary vieira – o tempo do movimento, Katalog Centro Cultural Banco do Brasil, São Paulo/Rio de Janeiro 2005, S. 16–19. 14 Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die umfassende, vorwiegend historisch-politische Darstellung der Hochschule für Gestaltung von René Spitz: der blick hinter den vordergrund, die politische geschichte der hochschule für gestaltung 1953–1968, Stuttgart/London 2002. 15 Vgl. z. B. Bonsiepe, Gui: Das „Ulmer Modell“ in der Peripherie. In: Lindinger, Herbert (Hg.): Hochschule für Gestaltung Ulm, Die Moral der Gegenstände, Hannover 1987, S. 266–268. Gui Bonsiepe, der ab 1955 an der HfG studierte, lehrte viele Jahren im Ausland, darunter Chile und Argentinien, und später an der Fachhochschule Köln sowie als Gastdozent an der Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) in Rio de Janeiro. Seine praktische wie theoretische Tätigkeit gilt heutzutage vorwiegend dem digitalen Bild, was in seinen Abhandlungen vor allem über das Interface deutlich wird, doch insgesamt diskutiert er in vielen seiner Publikationen die Bedeutung und Zukunft des Faches Design und stellt es – im Grunde den Veröffentlichungen der HfG vergleichbar – in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Vgl. z. B. Bonsiepe, Gui: Die sieben Säulen des Design. In: form & zweck, 6/1992, S. 6–9. 16 Pereira de Souza, Pedro Luiz: esdi, biografia de uma idéia, Rio de Janeiro 1996.
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Souza mehr auf die HfG im Zusammenhang mit dem Design, dem Bauhaus und der ESDI und weniger auf die Biennale. Beide Autoren, Bonsiepe und Pereira de Souza, stützen sich als ehemalige Dozenten der ESDI – und speziell Bonsiepe als Schüler und später Lehrer an der HfG – weitgehend auf eigene Anschauungen, die in der vorliegenden Arbeit dankbar aufgenommen werden. Bonsiepe schafft es, zusammen mit Fernández17, den Blick dabei nicht nur auf ein Land, sondern auf Gesamt-Lateinamerika zu lenken. Als grundlegend hilfreich für eine Untersuchung der bilateralen Zusammenarbeit auf dem kulturellen Sektor erweist sich jedoch eine Reihe von politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Studien, die sich mit den deutsch-brasilianischen Beziehungen befassen. Hier sind vor allem die Publikationen Luiz Alberto Moniz Bandeiras zu nennen, deren erste für diesen Zusammenhang relevante Veröffentlichung im Jahre 1992 erschien und die deutsche Wiedervereinigung behandelt.18 Moniz Bandeiras Untersuchungszeitraum beginnt mit der Gründung der Bundesrepublik und reicht bis in die Gegenwart. Die DDR wird dabei weitgehend ausgeklammert. Auch er bedient sich einiger Einzeluntersuchungen, betont jedoch, dass es bislang keine Überblicksdarstellungen der deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit gleich welcher Disziplin gibt.19 Eine weitere politikwissenschaftliche Arbeit, deren Ergebnisse hier ansatzweise berücksichtigt wurden, stellt die auf seiner Dissertation basierende Publikation des brasilianischen Politikwissenschaftlers Christian Lohbauer dar, der die Partnerschaft der beiden Staaten zwischen 1964 und 1999 untersucht und dabei auch auf die Vorgeschichte in den 50er Jahren eingeht.20 Obwohl diese Arbeit erst in den 60er Jahren einsetzt, gibt sie einen Einblick in die bis dahin solide gewachsenen bilateralen Beziehungen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik. Zeitgenössische Betrachtungen der bilateralen Zusammenarbeit, beispielsweise von Hermann M.
17 Fernández, Silvia: The hfg ulm: On The Origins of Design Education in Latin America. Ein während des 3. Internationalen Kongresses „Mind the Map: Design Histories Beyond Borders“ gehaltener Vortrag in englischer Sprache. Istanbul, 9.–11. Juli 2002. 18 Moniz Bandeira, Luiz Alberto: A Reunificação da Alemanha – Do Ideal Socialista ao Socialismo Real, São Paulo: Editora Ensaio, 1992, 182 pp. Eine zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage erschien 2001 beim Verlag Editora Global/Editora da Universidade de Brasília mit 256 Seiten. 19 Moniz Bandeira, L. A. 1995, S. 16 f. 20 Lohbauer, Christian: Brasil – Alemanha: fases de uma parceria (1964–1999), São Paulo: Fundação Konrad Adenauer, 2000.
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Görgen21 oder Ernst Günther Lipkau22, ergänzen die Liste der Publikationen, die den politischen Hintergrund dieser Arbeit beleuchten. Des Weiteren wurden Primärquellen gesichtet: Korrespondenzen zwischen den damaligen Akteuren, zudem Pressematerialien und andere Zeitdokumente. Diese konnten hauptsächlich im Biennale-Archiv mit seinem offiziellen Namen Arquivo Histórico Wanda Svevo23 und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes gefunden werden, da dieses Ministerium in den ersten Jahren für den westdeutschen Beitrag zu den einzelnen Biennalen verantwortlich zeichnete. In beiden Archiven konnte aussagekräftiges Material gesichtet werden, das über die Biennale, die Entscheidungsprozesse und -findungen aus der jeweiligen Sicht 21 Von Hermann M. Görgen sind zahlreiche Publikationen über die Beziehungen zwischen Brasilien und der jungen Bundesrepublik Deutschland erschienen. Görgen, der sich und die sogenannte „Gruppe Görgen“ mit insgesamt 48 Menschen 1941 vor den Nationalsozialisten nach Brasilien rettete, lebte dort bis in die 50er Jahre. Zusammen mit seiner Assistentin Dora Schindel kehrte er nach Deutschland zurück, wo er für die CSU (Saarland) in den Bundestag gewählt wurde und 1960 die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft e. V. gründete, ein Jahr später das Lateinamerika-Zentrum. Die ebenfalls von ihm ins Leben gerufenen Deutsch-Brasilianischen Hefte, die ein wichtiges Printmedium der deutsch-brasilianischen Beziehungen darstellten, leben heute im Namen „Tópicos – Deutsch-Brasilianische Hefte“ weiter. Vgl. u. a. Seefried, Elke: Mit der „Gruppe Görgen“ nach Brasilien: Dora Schindel. In: Neuer Nachrichtenbrief der Gesellschaft für Exilforschung e. V. (Würzburg), Nr. 18, Dez. 2001, S. 17–19. 22 Ernst Günther Lipkau hat zahlreiche journalistische Beiträge zu den deutschbrasilianischen Wirtschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert verfasst, darunter eine ausführliche Dokumentation über die Geschichte der deutsch-brasilianischen Außenhandelskammer in São Paulo, deren Vorsitzender er über viele Jahre gewesen ist: Brücke zwischen Brasilien und Deutschland, 75 Jahre Handelskammer São Paulo, São Paulo 1993, und Die wirtschaftliche Präsenz Deutschlands in Brasilien vor dem Ersten Weltkrieg. In: Martius-Staden-Jahrbuch (São Paulo), Nr. 45/46, 1998, S. 97–117. 23 Das Biennale-Archiv trägt seit 1962 offiziell den Namen seiner Gründerin Wanda Svevo Schmitz, die dasselbe anlässlich der 400-Jahr-Feier 1954 als „Arquivos Históricos da Arte Contemporânea“ eingerichtet hatte. Man orientierte sich dabei am Vorbild des Archivs der Biennale Venedig, das dort seit den 20er Jahren existiert. Vgl. z. B. den Aufsatz des Kunsthistorikers Dalton Sala, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Leiter des Archivs war. Sala, Dalton: Arquivo de Arte da Fundação Bienal de São Paulo. In: Revista USP (São Paulo), Cinqüenta anos de bienal internacional de são paulo, dezembro/janeiro/fevereiro 2001–2002, Ausgabe 52, S. 122–146, dort: S. 130. Wanda Svevo kam am 28. November 1962 während einer Reise im Auftrag der Biennale bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Vgl. ebd., S. 131.
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Auskunft gibt. Korrespondenzen in Form von Briefen oder Telegrammen spielen dabei eine vorrangige Rolle und werden im weiteren Verlauf dieser Untersuchung an den entsprechenden Stellen als Primärquelle genannt. Da die Geschichte der Biennale strukturell und personell eng mit anderen Institutionen der Stadt São Paulo verflochten ist, wurden auch deren Archive – soweit noch existent – aufgesucht. Die verwendeten Materialien entstammen demnach: dem Archiv des Museu de Arte de São Paulo (MASP), der Bibliothek sowie dem Dokumentationszentrum des Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo (MAC-USP), des Weiteren der Bibliothek und Mediathek des Museu de Arte Moderna in São Paulo (MAM), dem Multimediaarchiv des Centro Cultural de São Paulo und einigen Privatarchiven. Speziell für die Verbindungen der Biennale mit der Hochschule für Gestaltung, denen teils in den genannten Institutionen nachgegangen werden konnte, sind die max, binia + jakob bill stiftung24 in der Schweiz, das HfG-Archiv in Ulm sowie das Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro (MAM-Rio) und die Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) als eine in der Tradition der HfG Ulm stehende Lehreinrichtung in Rio de Janeiro konsultiert worden. Grundlage für die Erforschung der Biennale São Paulo bilden demnach neben den Publikationen die Akten im Arquivo Histórico Wanda Svevo der Biennale-Stiftung Fundação Bienal de São Paulo, die Akten im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin und in mehreren privaten und öffentlichen Archiven.25 Neben den schriftlichen Quellen gaben Gespräche mit Zeitzeugen,26 die in Form von offenen Interviews geführt wurden, Auskünfte über den Sachverhalt. Die nach einem grob vorstrukturierten Fragenkatalog geführten Interviews fließen in diese Arbeit nur indirekt ein, da sie keine empirische Auswertung erfahren haben, sondern mehr als Hintergrundinformationen dienten, deren Inhalte nach ihrer Überprüfung das Bild abrunde-
24 Die von Chantal und Jakob Bill verwaltete max, binia + jakob bill stiftung befindet sich in Adligenswil und verwahrt dort einen Teil des Nachlasses von Max Bill. Ein weiterer Teil steht unter der Verwaltung der max bill georges vantongerloo stiftung, die von Angela Thomas Schmid und Erich Schmid in Bills ehemaligem, als „haus bill“ bekanntem Wohnhaus in Zumikon eingerichtet wurde. 25 Im weiteren Verlauf werden in den Fußnoten folgende Abkürzungen verwendet: AHWS/FBSP (Arquivo Histórico Wanda Svevo/Fundação Bienal de São Paulo), AA (Auswärtiges Amt), PAAA (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes). 26 Die Verfasserin hatte durch einen vom DAAD ermöglichten mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in São Paulo die Gelegenheit, sowohl ehemalige BiennaleMitarbeiter als auch Journalisten, Kunstwissenschaftler und an der Biennale beteiligte Künstler zu sprechen.
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ten.27 Die Gesprächspartner „belebten“ die Untersuchungen in dem Sinne, dass sie oft Anregungen gaben, die zu weiteren Informationsquellen führten. Gerade für die Recherchen in Brasilien gilt, dass trotz der Existenz zahlreicher Archive mit gezieltem (Forschungs-)Auftrag ein Teil der Informationen nur aus privater, nicht öffentlich zugänglicher Quelle stammt. 1.3.1 Zur Recherche im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA) Die meisten Materialien wurden in den Archiven der Biennale und des Auswärtigen Amtes (PAAA) gefunden. In beiden Einrichtungen konnte die Verfasserin nahezu ohne Einschränkung Dokumente einsehen und für den Zweck dieser Untersuchung verwenden. Im Archiv des Auswärtigen Amtes werden Akten des Ministeriums sowie der Missionen im Ausland aufbewahrt. Diese sind dazu angehalten, ihre Akten nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren nach Berlin bzw. an den alten Standort in Bonn zu schicken.28 Festzuhalten ist jedoch, dass die Materialien vor ihrer Archivierung bereits von hauseigenen Angestellten begutachtet und nach bestimmten Kriterien aussortiert werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kulturarbeit noch lange nach der Gründung der Bundesrepublik beispielsweise innerhalb des Auswärtigen Amtes ein gewisses Schattendasein führte, kann der Vermutung der Archivare Glauben geschenkt werden, dass in den 60er Jahren Unterlagen zu unter Umständen ganzen Vorgängen ausgesondert worden sind. Dies erschwerte die Untersuchung vor allem hinsichtlich der Frage, ob sämtliches themenrelevantes Material eingesehen werden konnte und demnach erhalten geblieben ist. Zudem muss angemerkt werden, dass vor Ablauf einer Frist von dreißig Jahren keine Akten von Außenstehenden eingesehen werden dürfen.
27 Bei der Vorbereitung hinsichtlich der Interview- und Gesprächsmethoden richtete sich die Verfasserin weitgehend nach Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, Band 2: Methoden und Techniken, 3. korrigierte Auflage, Weinheim 1995. 28 „Die bei den Vertretungen massenhaft anfallenden Einzelakten werden vor Ort vernichtet, Akten mit Dauerwert werden nach 10 Jahren dem PA angeboten.“ Im Durchschnitt werden nach Auskunft des Politischen Archivs rund 30 % der Akten aus den Auslandsvertretungen angenommen. Vgl. Punkt 6 zu „Die Akten der Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland (1950 ff.)“ in der elektronischen Infobroschüre des Politischen Archivs: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/ download/pdf/publikationen/archiv.pdf (Stand: Juni 2005).
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Gemäß dem medientechnologischen Stand in den 40er/50er Jahren überwog bei der Kommunikation über größere Entfernungen die schriftliche Korrespondenz per Brief, manchmal per Telegramm. Im Ausnahmefall wurde auch telefoniert, wovon dann oft Vermerke oder Gesprächsnotizen aufbewahrt wurden. Es wurden in erster Linie die Akten folgender Bereiche durchgearbeitet: Kulturpolitik ab 1949, Kulturabteilung in den 50er Jahren, Akten zu einzelnen bilateralen Fragen wie zum deutsch-brasilianischen Kulturabkommen oder zur Einrichtung deutscher Schulen in Brasilien, einzelne Botschafterkonferenzen und ganz besonders die Jahresberichte der diplomatischen Missionen. Zur Ermittlung des Stellenwertes, den Brasilien beziehungsweise die Biennale São Paulo in der Politik der DDR einnahm, wurden sämtliche 81 Aktenbände des DDRMinisteriums für Auswärtige Angelegenheiten, die mit Brasilien zusammenhängen, durchgesehen. Zum überwiegenden Teil bestehen die Akten aus diplomatischer Korrespondenz. Die Berichte der Missionen spielen eine vorrangige Rolle, da sie einen äußerst hohen Informationswert haben. In der Regel sind es die Jahresberichte der Botschafter, doch geben auch Zwischenberichte, Anfragen und Anträge umfangreich Auskunft über die Lage des Landes. Der Informationswert eines Botschafterberichtes wird selbst innerhalb des Auswärtigen Amtes sehr hoch eingeschätzt, wie mehrere Aussagen der Zeit belegen. Stellenweise wurde auch Material der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes hinzugezogen, zu denen die genannten Botschafterkonferenzen in Lateinamerika bzw. Treffen der deutschen Botschafter aus Lateinamerika gehören.29 Zusammen mit einzelnen anderen Zeitdokumenten ergeben sie ein aufschlussreiches Bild des kultur- und bildungspolitischen Engagements der Bundesrepublik in Brasilien im Allgemeinen. Das Augenmerk bei der Recherche im PAAA lag jedoch auf den Unterlagen zu den beiden ersten Biennalen und zur gesamten 400-Jahr-Feier in São Paulo, die hauptsächlich in den Akten der Abteilung VI des Auswärtigen Amtes, der Kulturabteilung, zu finden sind. Die Berichte des deutschen Botschafters in Brasilien sind dabei hervorzuheben, da sie für die Kooperation der Bundesrepublik mit Brasilien eine wichtige Informationsgrundlage darstellen. Die Untersuchung der Dokumente gerade aus dieser Abteilung ergab einen Einblick in die Bedeutung der Arbeit der Kulturabteilung in Brasilien im Allgemeinen, und im Zusammenhang mit der Biennale im Besonderen.
29 Von besonderem Interesse waren die Treffen 1954 in Montevideo und auch noch 1960 in Rio de Janeiro.
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1.3.2 Zur Forschung im Archiv der Biennale São Paulo (Arquivo Histórico Wanda Svevo) Der Bestand des Biennale-Archivs lässt sich grob folgendermaßen beschreiben: Der Hauptbestand setzt sich vorwiegend aus dem gesamten Text- und Bildmaterial der Biennale seit ihrer Gründung zusammen, wie auch dem des Museu de Arte Moderna als Mutterinstitution der Biennale30 und dem der Stiftung Fundação da Bienal de São Paulo, mit deren Gründung die Biennale eine neue Rechtsform erhielt.31 Da dies erst im Jahre 1961 erfolgte, hat das Archivmaterial dieser beiden Institutionen hier nur bedingt Relevanz. Neben den Akten aus dem Geschäftsbetrieb der genannten Institutionen mit dem üblichen Schrifttum, bestehend aus Korrespondenz, Fotomaterial, Urkunden, Bilanzen, aber auch einigen unveröffentlichten Studien, betreut das Archiv den unter dem Namen Centro Cultural Francisco Matarazzo Sobrinho geführten Nachlass des Biennale-Initiators. Er beinhaltet Bild- und Textdokumente überwiegend aus den Bereichen des Museu de Arte Moderna und der Fundação Bienal de São Paulo sowie persönliche Briefe. Des Weiteren sammelt das Archiv Dokumente aller Art zu sämtlichen Künstlern, die seit ihrer ersten Ausrichtung an der Biennale teilgenommen haben. Diese Konvolute enthalten Zeitungsausschnitte, Ausstellungsbroschüren, Einladungen zu Vernissagen und andere Drucksachen, die zum Teil von den Künstlern selbst nach São Paulo geschickt wurden und keinen strengen Auswahlkriterien unterliegen. Dennoch dienten sie als ergänzende Informationsquellen. Die Hauptquellen für diese Untersuchung jedoch waren die Korrespondenzen, die von der Biennale bis Mitte der 50er Jahre geführt wurden, weitestgehend also die in diesem Zeitraum ein- wie auch die ausgegangene Post. Ein Schwerpunkt wurde auf die Geschichte der Institution und bei der Sichtung der auf Deutschland bezogenen Dokumente auf den bilateralen Kontakt gelegt. Im Gegensatz zum Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes scheint bei der Archivierung der Biennale-Materialien weniger aussortiert worden zu sein; der Bestand ist groß und reicht von unbedeutenden Notizen bis hin zu historisch wertvollen Dokumenten.
30 Zur Geschichte des Museums Museu de Arte Moderna und dessen Nachfolgeinstitution siehe Kapitel 3. 31 Vgl. Kapitel 3.
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1.4 F RAGESTELLUNGEN
UND
Z IELE
Aus den bisher genannten Zielsetzungen geht der bilaterale Charakter dieser Untersuchung hervor. Ausgehend von der Geschichte der Bienal de São Paulo als einer brasilianischen Institution, die der vorliegenden Untersuchung in Form einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit vorangegangen ist, und angesichts ihrer zahlreichen internationalen Verbindungen, unter denen die zur Bundesrepublik eine herausragende darstellt, sind bestimmte Interessen zu vermuten, die nicht allein kunstimmanenter Natur sind. Es wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit mit der Biennale „große Politik“ betrieben wurde – war sie sogar Instrument für bestimmte politische Ziele? Gleichzeitig wird versucht, diese „Investition“ der bundesdeutschen Regierung in eine Kunstausstellung im Ausland nicht nur im Hinblick auf die dortige und kurzzeitige Repräsentanz, sondern auch auf Nachhaltigkeit zu bewerten. Dazu müssen die bilateralen Beziehungen auf Regierungsebene genauer betrachtet werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Brasilien und der Bundesrepublik 1949 wieder aufgenommen wurden. Beginnend mit der Wiederaufnahme dieser Verbindungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den Themen, die zwischen den beiden Staaten behandelt wurden, wird ein Einblick gegeben in die gesellschaftliche Situation des jeweiligen Landes. Den beiden institutionellen Ausgangspunkten – auf der deutschen Seite das Auswärtige Amt, darin die Einrichtung der Kulturabteilung, auf der brasilianischen Seite die Biennale bzw. das Museu de Arte Moderna – gilt jedoch das Hauptaugenmerk. Hier werden sich konkretere Fragestellungen zur Gewichtung eines kulturellen Engagements der Bundesrepublik Deutschland in einem Land wie Brasilien ergeben, die sich im Laufe der Arbeit bei der Beschreibung der Institutionsgeschichte mit einem Fokus auf der bilateralen Zusammenarbeit erschließen.
2 Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den Gründungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR war zwar in beiden deutschen Staaten auf politischer Ebene von Aufbau und Wiederaufbau geprägt, doch aufgrund der alliierten Besatzung noch in beschränktem Maße. Erst nach den Staatsgründungen 1949 wurden die Aufbaumaßnahmen präzisiert und beschleunigt. Das politische Interesse vieler kriegsinvolvierter Länder in der unmittelbaren Nachkriegszeit und auch noch in den 50er und 60er Jahren bestand darin, sich innerhalb der neu entstehenden Weltordnung zu positionieren. Die Polarisierung zwischen Ost und West, die sich in der Deutschlandfrage widerspiegelte, prägte die internationale Politik in besonderem Maße und wirkte sich entsprechend auf die politischen Strategien der einzelnen Staaten aus. Die von dieser bipolaren Weltsicht geprägten Diskussionen in den westlichen Außenministerien und Botschaften zeigen, wie versucht wurde, die anderen Länder politisch einzuschätzen, etwa in ihrer „Anfälligkeit“ für den Kommunismus oder ihrer Affinität beispielsweise zu den USA.1 Dies bezieht sich insbesondere auf die Entwicklungs1
Dies zeigt sich beispielsweise anhand der Tagesordnungspunkte von Konferenzen, die in Lateinamerika bzw. über Lateinamerika vom Auswärtigen Amt abgehalten wurden. Die Themenliste der für August 1953 in Rio de Janeiro vorgesehenen und letztlich im November 1954 in Montevideo abgehaltenen Botschafterkonferenz, unter Anwesenheit von Staatssekretär Hallstein, behandelte beispielsweise an erster Stelle die Position der USA in Lateinamerika, an untergeordneter Stelle innenpolitische Themen wie revolutionäre Erscheinungen in Brasilien. Sozialistische und kommunistische Bewegungen wurden ganz besonders in Augenschein genommen, wie spätestens die Bot-
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und Schwellenländer2, die – aus der Sicht vieler westlicher Staaten – Gefahr liefen, zum Spielball zwischen den großen Mächten zu werden. Brasilien wurde damals bereits genauestens beobachtet, denn für beide deutsche Staaten galt dieses Land aus verschiedenen Gründen als ein besonderes unter den potenziellen Partnerländern: Vor allem wirtschaftliche Interessen trieben eine Wiederaufnahme der bilateralen Beziehungen seitens der Bundesrepublik und auch der DDR voran, denn wie beispielsweise die USA, die dort schon viel länger aktiv waren als die Bundesrepublik, erkannte auch Deutschland Brasilien als ein an Rohstoffen reiches, investitionswürdiges Land. Die Bundesrepublik entdeckte dort bald günstige Investitionsmöglichkeiten, insbesondere in São Paulo und den südlicheren Regionen, was eine Aufzeichnung in den Dokumenten des Generalkonsulats São Paulo andeutet: „Unsere Politik sollte es sein, sich nie von den Brasilianern gegen die Amerikaner ausspielen zu lassen, […], sondern mit den Brasilianern und Amerikanern zusammenzugehen, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass dieser riesige, sich ständig vergrössernde Markt allen eine Möglichkeit zur Betätigung bietet.“3 Dabei versuchte die Bundesrepublik zwar an alte, bereits vor dem Krieg bestehende Wirtschaftskontakte anzuknüpfen, doch waren diese weitgehend abgebrochen, wie Lipkau bemerkt: „Die wirtschaftliche Substanz der [deutschen] Firmen ging fast vollständig verloren.“4 Besonders förderlich erwies sich gerade für die deutsche Industrie die Deutschsprachigkeit vieler deutschstämmiger Brasilianer insbesondere in den südlichen Regionen des Landes.5 Im Gegensatz zu den restlichen Bundesstaaten in Brasilien sind die im Süden befindlichen, Rio Grande do Sul, Sta. Catarina schafterkonferenz 1960 in Rio de Janeiro zeigt, die explizit zu diesem Thema einberufen wurde. Vgl. Akte der Konferenz der Botschafter Lateinamerikas, 1954, PAAA, B 11, Bd. 312, 1–3 und Akte zur Botschafterkonferenz in Rio de Janeiro, 1960, PAAA, B 12, Bd. 358. 2
Der Begriff des Drittweltlandes ist zunehmend in den Hintergrund geraten. Die heute offiziell meistgebräuchliche Bezeichnung ist Entwicklungsland – für jene Länder mit einem mittleren Entwicklungsstand Schwellenländer und für hochentwickelte Länder Industrieländer – und richtet sich nach den materiellen, sozialen und gesundheitlichen Maßstäben der jeweiligen Zeit, die im Human Development Index (HDI) Ausdruck finden. Vgl. Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen: http://hdr.undp.org/ hdr2006/report.cfm.
3
Vgl. streng vertrauliches Schriftstück, unbekannter Verfasser im Generalkonsulat São Paulo, November 1954, PAAA, B 11 314, 2, S. 130 f.
4
Lipkau, E. G., 1993, S. 33.
5
Zu den Deutschen in Brasilien vgl. Kapitel 2.4.3.
2 W IEDERAUFNAHME DIPLOMATISCHER B EZIEHUNGEN NACH DEM ZWEITEN W ELTKRIEG
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und Paraná, zum Teil auch der Bundesstaat São Paulo, von europäischen, darunter deutschen Einwanderern geprägt. Die deutsche Immigration, die seit der ersten großen Einwanderungswelle 1824 bis ins 20. Jahrhundert stattfand, hat, wie die folgenden Kapitel zeigen, die diplomatischen Aktivitäten der Bundesrepublik mitbestimmt und die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft erleichtert.
2.1 D IE
BILATERALEN V ERBINDUNGEN ZWISCHEN B RASILIEN UND DER DDR
Die DDR unterhielt im Laufe ihrer 41-jährigen Existenz außenpolitische Beziehungen zu mehr als einhundert Staaten. Das waren in der Mehrheit „Ostblockstaaten“ bzw. anfangs vor allem die Sowjetunion und deren „Satellitenstaaten“, danach einige afrikanische und asiatische sowie lateinamerikanische Länder mit einer neuen Staatsform, hier insbesondere Kuba. Internationale Kontakte versuchte die DDR erst in den 50er Jahren zu knüpfen, wobei ihr die Anerkennung als souveräner Staat von zahlreichen westlichen Industriestaaten fehlte, was größtenteils der von der Bonner Regierung entworfenen Hallstein-Doktrin geschuldet ist.6 Erst ihre schrittweise Lockerung ab dem Ende der 60er Jahre ermöglichte eine Erweiterung des außenpolitischen Handlungsspielraums der DDR.7 Obwohl das Archivmaterial zu den bilateralen Beziehungen zwischen Brasilien und der SBZ/DDR nur einen Bruchteil dessen darstellt, was an Archivalien zum Austausch zwischen Brasilien und Westdeutschland existiert, erweisen sich die Beziehungen zwischen Brasilien und der DDR dennoch als zu komplex, als dass sie in diesem Rahmen mit dem Schwerpunkt auf der für die DDR zunächst uninteressanten Biennale ausreichend aufgearbeitet werden könnten. Tatsache ist, dass Brasilien nach sowjetrussischen Presseangriffen auf die brasilianische Regierung der Sowjetunion 1947/48 die diplomatischen Beziehungen aufgekün-
6
Walter Hallstein, Staatssekretär und außenpolitischer Berater Konrad Adenauers, entwickelte Mitte der 50er Jahre die als Hallstein-Doktrin bekannt gewordene Regelung, die den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland sicherstellte. Sie wurde als Druckmittel gegenüber Drittstaaten eingesetzt, denen die diplomatischen Beziehungen aufgekündigt wurden, sobald sie selbige mit der DDR aufnahmen. Im Falle Kubas und Jugoslawiens kam die Hallstein-Doktrin zur Anwendung.
7
Die zum Teil von der Website des Deutschen Historischen Museums (www.dhm.de) erhaltenen Informationen über die Außenpolitik der DDR decken sich mit den Aufzeichnungen vom MfAA, die im PAAA aufbewahrt werden. Vgl. z. B. MfAA, A 3392.
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digt hatte und seitdem nur noch zu zwei Ländern des Ostblocks diplomatischen Kontakt hielt: zu Polen und der Tschechoslowakei.8 Eine offene Betätigung des Ostblocks in Brasilien scheint demnach kaum möglich gewesen zu sein, obwohl sich in einigen Dokumenten dennoch Anhaltspunkte sowohl für wirtschaftliche wie auch für gewisse diplomatische Beziehungen finden.9 Die Beziehungen sind vorwiegend wirtschaftspolitisch motiviert, wurden jedoch noch in den 50er Jahren, nach Abschluss eines Zahlungsabkommens zwischen der Banco do Brasil und der Deutschen Notenbank10 1958 sowie der Genehmigung, ein Handelsbüro in Rio einzurichten, tendenziell mit einer kulturellen Betätigung unterstützt. Darauf weisen Dokumente sowohl des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) als auch des Auswärtigen Amtes hin, dessen Mitarbeiter vor Ort die Aktivitäten der DDR bzw. der Ostblockländer genau beobachteten. Die bundesdeutschen Diplomaten konstatierten einen gewissen allgemeinen und kulturellen Prestigezuwachs des Ostblocks und der Sowjetzone, der mit dem wirtschaftlichen Vordringen verbunden sei.11 Allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass diese Kontakte zwischen den beiden Staaten in den 50er Jahren noch eher sporadisch stattfanden. Schon in den 60er Jahren entstanden intensivere Verbindungen, worauf nicht zuletzt das erhöhte Aktenaufkommen des MfAA im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA) hinweist. Dies trifft im Übrigen auch auf die bilateralen Beziehungen zwischen Brasilien und der UdSSR zu. Markantes Zeugnis für diese neuerliche Entwicklung stellt 1962 die Industrieausstellung der DDR in São Paulo dar, die erste Ausstellung der DDR in Südamerika überhaupt.12 Auf 8
Vgl. MfAA, A 3147 und PAAA, B 12, Band 358, Ostermann an das AA am 25. Sep-
9
Zum Vergleich UdSSR: „Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1948 bis
tember 1959. 1956 gab es fast keinen kulturellen Austausch [zwischen der UdSSR und Brasilien].“ Vgl. MfAA, A 3147, Bericht aus der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vom 5. 12. 1964, S. 4 ff. 10 Von 1948 bis 1967 war die Deutsche Notenbank die Zentralnotenbank der DDR mit Sitz in Berlin. Am 1. 1. 1968 wurden ihre Zentral- und Geschäftsbankfunktionen auf die Staatsbank, die Deutsche Außenhandelsbank und die Deutsche Industrie- und Handelsbank übertragen. 11 Vgl. zusammenfassende Berichterstattung über die politische, wirtschaftliche und kulturelle Aktivität des Ostblocks in Brasilien. Schreiben am 25. 9. 1959 an das Auswärtige Amt, PAAA, B 12. 12 Diese erste Ausstellung der DDR in Südamerika war am 9. 6. 1960 von der Kommission für Ausstellungen und Messen des brasilianischen Ministeriums für Industrie und Handel genehmigt worden und fand im darauffolgenden Jahr im Armando-de-Arruda-
2 W IEDERAUFNAHME DIPLOMATISCHER B EZIEHUNGEN NACH DEM ZWEITEN W ELTKRIEG
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kulturellem Gebiet sind die Aktivitäten der Deutsch-Lateinamerikanischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik (Deulag), eines Mitglieds der Liga für Völkerfreundschaft der DDR, zu nennen, die die kulturellen Bindungen mit Brasilien zu intensivieren suchte. Bei der Rede auf einer Präsidiumstagung der Deulag am 26. 4. 1963 wurde eine Ausstellung im inzwischen zum bedeutendsten Kunstmuseum in Brasilien avancierten MASP in Aussicht gestellt, mit dessen künstlerischem Leiter Bardi die Deulag bei einem Treffen anlässlich der genannten Industrieausstellung bereits verbindliche Vereinbarungen getroffen hatte.13 Die Deulag strebte zur Intensivierung der bilateralen Beziehungen die Gründung von Freundschaftsgesellschaften in einigen brasilianischen Städten an und plante dabei auch kulturelle Veranstaltungen mit ein, über die sie sich dort jeweils präsentieren konnte.14 Eine offizielle Vertretung der DDR gab es Anfang der 50er Jahre noch nicht. Erst im Jahr 1958 sind ernsthafte Bestrebungen in diese Richtung festzustellen, wobei es sich um keine ausgesprochen diplomatische Vertretung, sondern zunächst um ein Handelsbüro handelte. Es wurde eine schriftliche Vereinbarung getroffen, auf deren Grundlage alsbald eine Handelsvertretung der DDR in Rio de Janeiro eingerichtet wurde. Über den Status dieses Büros gibt ein Dokument Auskunft, wonach es zwar keine diplomatischen Aufgaben erfüllte, aber dennoch einen Status genoss, der in manchen Punkten dem einer offiziellen diplomatischen Vertretung gleichkam: Die Handelsvertreter sollten „weder konsularische noch notarielle oder irgendwelche andere normalerweise den ausländischen diplomatischen Missionen und Konsulardienststellen in Brasilien vorbehaltenen Funktionen ausüben noch in den Genuß der gewöhnlich den diplomatischen und konsularischen Beamten zugestandenen Privilegien und Immunitäten gelangen können.“15 Dennoch wurden ihnen „unter stillschweigender Duldung seitens der brasilianischen Stellen“ einige dem Diplomatenstatus ähnliche Rechte gewährt, wie der Diplomatenpass für die Leitung oder Steuervergünstigungen. Zu dieser Zeit wurde über die Erweiterung des Warenaustausches zwischen der DDR und Brasilien verhandelt und die Ausweitung kultureller Beziehungen diskutiert.16 Im Perreira-Gebäude im Ibirapuera-Park statt. Vgl. MfAA, A 3147, Informationen über die Industrieausstellung der DDR in São Paulo, S. 6. 13 Vgl. MfAA, A 3396, Rede des Präsidenten der Deulag auf der Präsidiumstagung der Liga für Völkerfreundschaft am 26. 4. 63, S. 38. Geplant war eine Ausstellung über künstlerisches Laienschaffen und eine Schau mit Reproduktionen. 14 Vgl. ebd., S. 86. 15 Vgl. Bericht über den Stand unserer Beziehungen zu Brasilien (27. November 1959). MfAA, A 3100, S. 7. 16 Vgl. ebd.
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Jahre 1960 verfolgte die DDR zudem das Ziel, auch in der Handelsmetropole São Paulo ein Büro als Außenstelle der Vertretung in Rio zu eröffnen, was letztlich auch gelang.17 Ohne zu sehr in den politikwissenschaftlichen Bereich zu eindringen zu wollen, indem der Versuch einer politologischen Analyse unternommen würde, ist die nähere Betrachtung ministeriumsinterner Dokumente der DDR nötig, die zeitgenössische Aussagen zu Brasilien enthalten. Ministeriumsintern wurde die Ansicht vetreten, dass „Brasilien noch nicht bereit ist, die Existenz zweier deutscher Staaten mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen offiziell anzuerkennen, wobei die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen o. Ä. sekundärer Natur sein dürfte.“18 Berichte, wie sie das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland in regelmäßigen Abständen von seinen Botschaften erhielt, konnte die DDR auf offiziellem Wege nicht erhalten. Auch später, mit der Einrichtung einer Handelsabteilung, hätten solche Berichte nicht jene Tiefe haben können wie die Berichte eines Botschafters, weil diesen Personen nicht der nötige, ausschließlich Botschaftern zugesprochene Einblick gewährt wurde. In den 50er Jahren also, als die Bundesrepublik bereits eine Botschaft und bald in São Paulo ein Generalkonsulat einrichtete, war die DDR auf informelle Informanten angewiesen, um die Situation in Brasilien einschätzen zu können.19 Zu dieser Zeit war demnach noch keine Basis für eine engere Verbindung zwischen Brasilien und der DDR gegeben, die beispielsweise Ausstellungen der DDR in Brasilien oder eine Beteiligung an einer großen Ausstellung wie der Biennale zugelassen hätte. In dem oben erwähnten und zu internen Zwecken verfassten Informationsschreiben über die Industrieausstellung der DDR wird diese verhältnismäßig große Distanz zwischen den beiden Staaten deutlich, die in den davorliegenden Jahren noch größer gewesen ist. Die Industrieschau diente unter anderem dazu, „die DDR als Staat und Handelspartner einem größeren Kreis bekannt zu machen“, und zudem sollten „die falschen Vorstellungen besei-
17 Brief der Generaldirektion der Banco do Brasil S.A. vom 5. 4. 1960 an die Deutsche Notenbank der DDR mit der Nachricht, dass die zuständigen brasilianischen Behörden den Antrag des Handelsrates der DDR in Brasilien, Kurt Ullrich, stattgegeben haben. MfAA, ohne Bandangabe. 18 Vertrauliche Dienstsache innerhalb des MfAA vom 22. Januar 1963. MfAA, A 3072, S. 4. 19 Im Archiv des MfAA befindet sich beispielsweise ein Vermerk über ein Gespräch mit Nelson Vanussi, als Vizepräsidenten des ISB bezeichnet, das am 6. Juni 1954 stattgefunden hat. Vgl. den als Vertrauliche Dienstsache behandelten Vermerk im MfAA, A 3236, S. 20.
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tigt werden, die es in Brasilien unter dem Einfluß der westdeutschen Propaganda über die DDR gibt.“20 In sämtlichen gesichteten Dokumenten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten gibt es keinen Hinweis auf die Biennale São Paulo. Da das eventuell für diese Aufgabe in Frage kommende Ministerium für Kultur der DDR erst 1954 eingerichtet wurde,21 fiel dies als mögliche Informationsquelle aus. Auch im Biennale-Archiv sind keine Hinweise darauf zu finden, dass es diesbezüglich einen Austausch oder Briefwechsel gegeben hätte. Die DDR nahm an der Biennale erst im Jahre 1977 teil, lange nachdem sie mit Brasilien Handelsbeziehungen22 aufgenommen hatte.23 Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine kulturellen Verbindungen zwischen den beiden Staaten gegeben hätte. Vereinzelt pflegte man durchaus einen Austausch auf kulturellem Gebiet, wie beispielsweise zwischen Verlagen und Theaterhäusern, die zum Teil auch durch die Vermittlung von Behörden zustande kamen, doch ist auch dahinter weder ein
20 Informationen über die Industrieausstellung der DDR in São Paulo. Internes Schreiben des MfAA ohne Datum (mit Eingangsstempel vom 10. April 1962 bei Höltge abgezeichnet). MfAA, A 3102, S. 6. 21 Vgl. Manfred Jäger: Kultur und Politik in der DDR, 1945–1990. Köln: Edition Deutschland Archiv, 1994, S. 75. Erster Kulturminister der DDR wurde Johannes R. Becher. Vgl. ebd. 22 Handelsgüter waren beispielsweise Kaffee und Kali. 23 Interessanterweise gab es auch bei der alle fünf Jahre stattfindenden Kasseler documenta im selben Jahr mit Arbeiten von Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heiliger, Willi Sitte sowie den Bildhauern Fritz Cremer und Jo Jastram erstmals Kunst aus der DDR zu sehen. Vgl. documenta 6, Band 1: Einführung, Malerei, Plastik/ Environment, Performance, Katalog zur 6. documenta von Juni bis Oktober 1977, Kassel 1977. In einem darin enthaltenen Textbeitrag stellt der Kurator Lothar Lang die Frage, warum Künstler aus der DDR ausgerechnet jetzt, 1977, zur documenta 6 eingeladen wurden. Lang sieht dafür mehrere Gründe, von denen er zwei näher ausführt. Diese nehmen jedoch keinerlei Bezug zu einem möglichen politischen Hintergrund, sondern sind ausschließlich kunstimmanent hergeleitet. Vgl. Lang, Lothar: Zur DDR-Malerei der siebziger Jahre. In: documenta 6, S. 47 f. Dieser Beitrag offizieller DDR-Kunst sorgte für lange Diskussionen und führte unter anderem dazu, dass Teilnehmer aus westlichen Ländern, wie Georg Baselitz oder der ehemalige DDR-Bürger Gerhard Richter, Anfang der 60er selbst in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt, vehement protestierten. Vgl. z. B. Kimpel, Harald: documenta: Mythos und Wirklichkeit, Köln 1997, S. 50.
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System noch ein bestimmtes (kultur-)politisches Programm von offizieller Seite zu erkennen.24 Resümierend ist festzustellen, dass Brasilien die Bundesrepublik zwar offiziell als Repräsentantin Deutschlands, „als deren einzige legitime Regierung“ ansah, wie sie dies in der grundlegenden Verbalnote der brasilianischen Botschaft in Bonn an das Auswärtige Amt vom 10. Juni 1954 zum Ausdruck gebracht hat;25 doch unterhielt das Land durchaus wichtige Handelsbeziehungen auch mit der DDR. Wie die oben genannten Beispiele zeigen, gab es zudem vereinzelt Austausch auf kulturellem Gebiet. Da die Leitung des MAM ihre ersten Kontakte wegen der Biennale vor allem bei den Regierungen bzw. deren Vertretern in Brasilien oder auch über bestehende Geschäftsverbindungen suchte, ist davon auszugehen, dass im Falle der DDR aufgrund des fehlenden Ansprechpartners und eventuell auch wegen des ungeklärten staatsrechtlichen Status kein Kontaktversuch unternommen wurde. Hingegen gab es zwischen Brasilien und der Bundesrepublik von Anfang an Verbindungen, die bald auch im edukativen und kulturellen Bereich wie Schulen und Vereinen intensiviert wurden.
24 Der Henschel-Verlag in Ost-Berlin beispielsweise war sehr interessiert an jungen Theaterautoren aus Brasilien wie Antonio José da Silva oder Gianfranco Guarnieiri, deren Werke die aus Hamburg emigrierte Journalistin Martha Brill, gen. Marte Brill, übersetzt hatte. Diese hatte im August 1956 Kontakt aufgenommen mit der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, die das Anliegen weitergeleitet hatte. Andere, ebenfalls sozialkritische Autoren aus Brasilien folgten, und in manchen Fällen kam es in den 60er Jahren auch zu Theateraufführungen. Vgl. Exilsammlung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, Nachlass Martha Brill: Korrespondenz zwischen Dr. Marte Brill und dem Verlag sowie der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, Mappe II. In den Akten des MfAA sind zudem vereinzelt einige Protokolle von Wissenschaftlern erhalten geblieben, die nach Brasilien reisten, um sich dort mit potenziellen Partnern an den Universitäten zu treffen. Eine dieser Delegationen reiste im Jahre 1963 und stattete dabei der noch jungen und zu jener Zeit als besonders progressiv geltenden Universität in Brasília einen Besuch ab. Sie wurde dort vom damaligen Direktor, dem brasilianischen Intellektuellen Darcy Ribeiro empfangen, mit dem offenbar über eine offizielle Kultureinrichtung der DDR in der Hauptstadt diskutiert wurde. Vgl. Bericht Prof. Dr. Kirsch über die Reise vom 10. 4. bis 26. 5. 1963, MfAA, A 3414, Fiche 1, S. 24. 25 Vgl. PAAA, B 12-358, S. 3, Verbalnote der Brasilianischen Botschaft an das Auswärtige Amt, 10. Juni 1954.
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2.2 D IE
DIPLOMATISCHEN V ERBINDUNGEN ZWISCHEN B RASILIEN UND DER B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND
Eine Einladung an die Bundesrepublik Deutschland wurde gleich bei der Planung der ersten Biennale 1951 ausgesprochen. Diese ging zwar noch einen unkonventionellen Weg, nämlich über eine erste Anfrage zur besten Verfahrensweise beim brasilianischen Konsul in Frankfurt26 und erst später an die Regierung, doch liegt dies schlichtweg an den für einen Großteil des Auslandes noch weitgehend unbekannten Regierungsverhältnissen in den beiden noch jungen deutschen Teilstaaten sowie an den noch ungefestigten Strukturen der brasilianisch-deutschen Diplomatie, die nach ihrem Abbruch am 28. Januar 1942 noch nicht offiziell wiederaufgenommen worden waren. Die meisten anderen Länder erhielten ihre Einladungen direkt über die eigene Botschaft oder deren Regierung im Heimatland.27 Hinzuzufügen ist, dass Francisco Matarazzo Sobrinho und seine Mitstreiter im Vorfeld der Biennale auch schon Kontakte zu ihnen bekannten Persönlichkeiten aus der Politik oder der Industrie gesucht hatten, um für die Interessen der Biennale zu werben. In diesem Zusammenhang gingen ab Januar 1951, also rund zehn Monate vor dem geplanten Eröffnungsdatum,28 zahlreiche Briefe ins
26 Von Francisco Matarazzo Sobrinho und Lourival Gomes Machado unterzeichneter Brief an den Brasilianischen Konsul in Frankfurt am 15. Januar 1951, AHWS/FBSP. 27 Die Schweiz beispielsweise erhielt eine Einladung über ihren Botschafter in Rio de Janeiro, dem am 15. März 1951 ein weiteres Schreiben folgt. Darin wird zum Zeichen der Seriosität und hohen Bedeutung der Biennale auf die Anwesenheit des Staatspräsidenten hingewiesen. Die Reaktion ist zunächst eine Absage (26. März 1951) aus Rio, doch ein Besuch der Mitinitiatorin Yolanda Penteado Matarazzo in Bern kann die Schweizer Verantwortlichen umstimmen. Am 18. April 1951 gibt der brasilianische Diplomat in Bern der Biennale diese Entscheidung bekannt und bietet seine volle Unterstützung an. Vgl. Korrespondenzen bzgl. Beitrag Schweiz, AHWS/FBSP, Box 1/4. 28 Die Eröffnung der Biennale war laut Garlake ursprünglich für März 1951 vorgesehen. Die Verlegung auf den 20. Oktober habe daran gelegen, dass der britische, schon im Vorjahr bestandene Kontakt des MAM rechtzeitig signalisiert habe, dass der MärzTermin nicht eingehalten werden könne. In den offiziellen Schreiben des MAM, die ab Januar verschickt wurden, wird Oktober genannt, ohne den genauen Tag zu festzulegen. Vgl. Garlake, 1991, S. 29 und z. B. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an Louis Schuler am 21. Februar 1951, AHWS/FBSP.
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In- und Ausland, in denen um Unterstützung gebeten wurde. In erster Linie wurden inländische Firmen gebeten, Preise und Prämien zur Verfügung zu stellen, die nach dem Entscheid einer Fachjury an die Künstler verliehen werden sollten. Einige Gesuche gingen auch in die Bundesrepublik Deutschland, wo Francisco Matarazzo Sobrinho Geschäftspartner um Unterstützung bat. Es handelte sich vorwiegend um Schreiben mit der Bitte um Kontaktadressen im künstlerischen Bereich.29 Diese ersten Schritte bei der Kontaktaufnahme auf privater Ebene und informellem Wege wurden parallel zu denen mit offiziellen Vertretern der brasilianischen Regierung unternommen. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine brasilianische Botschaft in der Bundesrepublik, ebenso keine deutsche in Brasilien. 2.2.1 Brasilien bei der Bundesregierung Brasilien war nach Moniz Bandeira das erste lateinamerikanische Land, das sich offiziell für die Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland als eigenständiger Staat aussprach.30 Nachdem bereits 1948 eine konsularische Vertretung in der damals US-amerikanischen Besatzungszone mit Sitz in Frankfurt am Main eingerichtet worden war,31 entsandte die brasilianische Regierung 1950 einen diplomatischen Vertreter in die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland, um den gesamten Austausch zwischen Brasilien und dem Staat zu regeln, der in Brasilien zuweilen als ein „für die gesamte Weltpolitik wichtiger Stützpunkt in Europa“ gesehen wurde.32 Als Leiter dieser Brasilianischen Mission bei der 29 Beispielsweise die Korrespondenz zwischen Francisco Matarazzo Sobrinho und Louis Schuler in Göppingen, der ihm Willi Baumeister in Stuttgart empfahl. Vgl. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an Louis Schuler am 21. Februar 1951 und dessen Antwort mit Hinweisen auf Yelin, Baumeister und Henninger in Stuttgart vom 6. April 1951, AHWS/FBSP. 30 Vgl. Moniz Bandeira, L. A., 1996, S. 110. 31 Vgl. Dekret Nr. 25.834 vom 16. 11. 1948. 32 Vgl. Moniz Bandeira, L. A., 1995, S. 69 oder Moniz Bandeira, L. A. 1996, S. 110. Moniz Bandeira konzentriert sich in seinen Untersuchungen auf die Bundesrepublik Deutschland und gibt lediglich für die Gründungszeit der beiden deutschen Teilstaaten einige Hinweise auf die Haltung Brasiliens gegenüber der DDR bzw. einer bilateralen Zusammenarbeit, die die eindeutig westlich orientierte Bundesrepublik Deutschland als legitime Repräsentantin Deutschlands sah. Vgl. Moniz Bandeira, L. A., 1995, S. 53 ff. Das frühe Interesse Brasiliens an der Bundesrepublik Deutschland verstärkte sich sogar noch mit der Regierung Vargas (1951–54), der sich von der Abhängigkeit der USA lösen wollte, was die vorherige Regierung tendenziell schon beabsichtigt
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Alliierten Hohen Kommission in Bonn wurde Mário de Pimentel de Brandão eingesetzt, der wie ein offiziell entsandter Botschafter in engem Kontakt zu seinem Außenministerium stand;33 und obwohl diese Mission in Bonn aufgrund des langjährigen diplomatischen Stillstandes zwischen den damaligen Hauptstädten Rio de Janeiro und Berlin eine fundamentale Aufbauarbeit zu leisten hatte, war sie zivilen Charakters und genoss keinen offiziellen politischen und diplomatischen Status.34 Viele grundständige Kontakte jedoch gingen letztlich von ihr aus, und so wurden auch die ersten Korrespondenzen mit den deutschen Behörden bezüglich der bundesdeutschen Teilnahme an der I. Biennale in São Paulo über diese eher kleine Mission geführt.35 Dass wirtschaftliche Interessen im Vordergrund des gesamten bilateralen Austausches standen, zeigen auch die rasche Einrichtung eines brasilianischen Konsulates in dem zur Wirtschaftsmetropole wachsenden und neben Bonn als bundesdeutsche Hauptstadt in Frage kommenden Frankfurt am Main schon Ende der 40er Jahre sowie einzelne, auch von der Bundesrepublik ausgehende Maßnahmen.36 Weitere Konsulate der brasilianischen Regierung wurden in München und erneut in Düsseldorf, wo bereits vor dem Krieg eine Vertretung gewesen war, eingerichtet,37 und schließlich blieb Bonn Sitz der brasilianischen Hauptvertretung – zunächst der Missão Especial, aus der im November 1951 die Brasilianische Botschaft bei der Bundesregierung mit Botschafter Luiz Pereira Ferreira de Faro Jr. hervorging.38 Erst 2000 wurde Bonn zugunsten von Berlin aufgege-
hatte. Vargas wollte sich mehr nach Europa und weg von den USA orientieren. Vgl. z. B. Moniz Bandeira, L. A. 1995, S. 70. 33 Sitz der Mission in Bonn: Schedestraße 9. 34 Vgl. Moniz Bandeira, L. A.: A contribuição da Alemanha para o desenvolvimento industrial do Brasil; In: Briesemeister, Dietrich/Rouanet, Sérgio Paulo (Hg.): O Brasil no limiar do século XXI, [simpósio; Berlim 12–13 de Dez. de 1994], Frankfurt am Main 1996, S. 109–169, S. 110. Es wurde auf Regierungsebene versucht, an die wirtschaftlichen Verbindungen anzuknüpfen, die während der NS-Zeit mit Brasilien bestanden hatten. Vgl. Moniz Bandeira, L. A. 1996, S. 116. 35 Bereits vor den Weltkriegen gab es zwei brasilianische Vertretungen auf deutschem Boden: in Düsseldorf und in Frankfurt am Main (vgl. die jeweiligen Dekrete 5592 und 5593 vom 13. Juli 1905, die die beiden Konsulate im Jahre 1905 festlegen). 36 Siehe Folgekapitel. 37 Vgl. die Dekrete 30.396 und 30.39715 vom 15. 1. 1952, wobei die Düsseldorfer Vertretung per Dekret 93.372 vom 9. 10. 1986 wieder aufgelöst wurde. 38 Vgl. Jacob, Ernst Gerhard: Grundzüge der Geschichte Brasiliens, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1974, S. 306.
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ben, wohin die Hauptvertretung im Rahmen der Verlegung des deutschen Regierungssitzes umgezogen ist.39 2.2.2 Die Bundesrepublik Deutschland bei der brasilianischen Regierung Das beiderseits große wirtschaftliche Interesse an der bilateralen Zusammenarbeit zeigt sich neben der frühen Präsenz Brasiliens in der Bundesrepublik bzw. der westlichen Besatzungszone in der Entsendung bundesdeutscher Delegationen nach Lateinamerika, u. a. Brasilien, die die ökonomische Situation erkunden sollten. Brasilien stand seit der Verabschiedung seiner neuen Verfassung im Jahre 1946, in der die Öffnung des brasilianischen Marktes für ausländische Investoren verankert wurde, derartigen Initiativen offen gegenüber.40 In der Absicht, Brasiliens wirtschaftliche Lage zu sondieren, startete im April 1950 die erste bundesdeutsche Handelsmission unter der Leitung von Baron von Maltzan ihre Arbeit in Rio de Janeiro, die dort im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums noch vor Einrichtung der Deutschen Botschaft einen Handelsvertrag und ein Zahlungsabkommen aushandeln sollte.41 Besonders bezeichnend für das Interesse der bundesdeutschen Wirtschaft an Brasilien ist die frühe – noch vor der Einrichtung einer diplomatischen Vertretung – Gründung einer deutschen Handelsvertretung am 27. August 1948. „São Paulo war nach New York die zweite Gründung einer deutschen Außenhandelskammer nach dem Kriege.“42 Schon wenige Monate nach Einrichtung der Deutschen Botschaft Mitte 1951 planten weitere ranghohe Politiker, allen voran Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard sowie Staatssekretär Walter Hallstein, einen Brasilien-Besuch.43
39 Dafür wurden das ehemalige Konsulat in Berlin-Pankow aufgegeben sowie das Konsulat in Hamburg und die bislang zur Bonner Botschaft gehörende Handelsabteilung in Köln. Die Abteilungen aller vier Standorte wurden in Berlin zusammengelegt. 40 Vgl. Eugster, Markus: Der brasilianische Verfassungsgebungsprozeß von 1987/88, Bern/Stuttgart/Wien 1995, S. 39. 41 Vgl. Moniz Bandeira, L. A. 1995, S. 74 und Lipkau, E. G. 1993, S. 37. 42 Vgl. Lipkau, E. G. 1993, S. 34. Im selben Kapitel weist der Autor auf die noch unvorbereitete Situation für Handelsinteressierte beider Länder hin. Erste Anzeichen eines Warenaustausches zeigten sich erst ab 1948, doch aufgrund der fehlenden diplomatischen Vertretungen „war Selbsthilfe gefordert“. Diese Initiativen führten zur Gründung der Handelsvertretung im selben Jahr. 43 Der Bundesminister besuchte Brasilien im April 1954. Die Lateinamerika-Reise des Staatssekretärs Hallstein, die mit einer Konferenz aller bundesdeutschen Botschafter
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Diese den Delegationen ähnliche Aufgabe der Bestandsaufnahme kam dann bald auch den deutschen Botschaftern in Lateinamerika zu. 2.2.2.1 Die Deutsche Botschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Mit der Eröffnung der Deutschen Botschaft in der damaligen brasilianischen Hauptstadt Rio de Janeiro44 wurden am 10. Juli 1951, nach ca. drei Jahren brasilianischer Präsenz in der Bundesrepublik und ein Jahr nach Einrichtung der ersten bundesdeutschen Generalkonsulate in London, New York und Paris,45 von deutscher Seite die deutsch-brasilianischen Beziehungen wieder aufgenommen.46 Als erster deutscher Botschafter nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Friedrich Oellers entsandt, der sich dort mit persönlichem Engagement für die deutsch-
in Lateinamerika verbunden werden sollte, wurde mehrfach verschoben. Erster vorgesehener Termin war August 1953; letztlich fand sie jedoch nach mehreren Verlegungen von Austragungsort und Termin vom 18. bis 24. 11. 1954 in Montevideo statt. Vgl. PAAA, B 11. 44 Das frühere São Sebastião do Rio de Janeiro war seit 1763 Hauptstadt, nachdem das im 16. Jahrhundert gegründete Salvador de Bahia die Kapitale gewesen war. Am 21. April 1960 löste die in Zentral-Brasilien gelegene Planstadt Brasília die Küstenmetropole Rio de Janeiro als Hauptstadt ab. Die deutsche Botschaft wechselte ihren Amtssitz in das von Hans Scharoun konzipierte Botschaftsgebäude in Brasília im Jahre 1971. 45 Der zunächst nicht souveränen Bundesrepublik Deutschland wurden erst mit dem Petersberger Abkommen am 22. November 1949 konsularische und Handelsbeziehungen ermöglicht. Nach der bereits kurz davor gegründeten Auslandsvertretung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris wurden 1950 die Generalkonsulate in London (16. 6.), New York (28. 6.) und Paris (7. 7.) eingerichtet, im selben Jahr noch in Istanbul, Amsterdam, Brüssel, Rom und Athen. Vgl. Biewer, Ludwig: Die Geschichte des Auswärtigen Amtes, Ein Überblick. Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/372430/publication File/3805/GeschichteAA.pdf, S. 5 f. (Stand: 14. Dezember 2011). 46 Offenbar wurde schon ein Jahr zuvor darüber diskutiert, ob nicht ein deutsches Konsulat in Rio de Janeiro und Santiago de Chile eröffnet werden sollte, doch habe sich die Alliierte Hohe Kommission gegen dieses Vorhaben gestellt mit dem Argument, dass ein freier Handlungsspielraum der deutschen Regierung in Lateinamerika höchst unpassend sei. So bei Moniz Bandeira, der hier einen brasilianischen Entsandten aus einem Schreiben vom 13. Juni 1950 an das brasilianische Außenministerium Itamaraty in Rio de Janeiro zitiert. Vgl. Moniz Bandeira, A. L. 1996, S. 114.
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brasilianischen Beziehungen auf mehreren Sachgebieten einsetzte.47 Im Gegensatz zu nicht wenigen anderen Botschaftern, die bereits während des „Dritten Reiches“ im außenpolitischen Dienst waren und nachweislich eine enge Bindung zur NSDAP hatten,48 wurde damit für Brasilien eine Persönlichkeit ausgewählt, die – wie die Akten bezeugen – ohne Vorbehalte und mit einem humanistischen Selbstverständnis dem komplexen und facettenreichen „Deutschtum“49 in Brasilien gegenübertrat.50 Das Munzinger-Archiv hebt zudem Oellers’ Verdienste in 47 Hierauf verweisen nicht nur die personenbezogenen Akten im Auswärtigen Amt und das Munzinger-Archiv, sondern auch Briefe, die Ausführlichkeit und der Stil seiner Berichte aus Rio sowie 1953 die Auszeichnung mit dem brasilianischen Großkreuz des Ordens vom Kreuz des Südens. Vgl. Munzinger-Archiv/Intern. Biograph. Archiv, 25. 2. 1978 – Lieferung 8/78 – P – 3307 und 3307a. 48 Diese Angaben sind in erster Linie der Publikation Mauluccis entnommen, die Aufschluss gibt über Herkunft und Parteizugehörigkeit der bundesdeutschen Diplomaten nach 1945: Kein geringer Teil der Diplomaten in der direkten Nachkriegszeit war bereits während des „Dritten Reiches“ im Auswärtigen Dienst tätig. Rund einem Drittel der Diplomaten in der Nachkriegszeit weist Maulucci die Mitgliedschaft in der NSDAP nach, einige waren SA- oder SS-Mitglied und dies sogar in höherer Stellung (FM-SS od. ER-SA). Acht Diplomaten des untersuchten Zeitraums gehörten dem Widerstand an. Darunter waren auch Diplomaten mit NSDAP-Mitgliedschaft, doch wurden diese wegen ihres Einsatzes für Juden und Minderheiten aus der Partei ausgeschlossen. Vgl. Maulucci Jr., Thomas Wayne: The Creation and Early History of the West German Foreign Office, 1945–55, Yale University (Dissertation) 1997, S. 414– 432. 49 Wie dieses Kapitel im weiteren Verlauf zeigt, gibt es eine starke deutsche Präsenz in Brasilien, die – wie Görgen analysiert – eine differenzierte Geschichte hat und mit der Einwanderung Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt. Der Begriff des „Deutschtums“ folgt hier der Auffassung von Luís Edmundo de Souza Moraes, der mit ihm das ganze Spektrum von Deutscher Einwanderung und Deutscher Präsenz in Brasilien beschreibt. Vgl. Souza Moraes, Luís Edmundo de: Konflikt und Anerkennung: Die Ortsgruppen der NSDAP in Blumenau und in Rio de Janeiro, Reihe Dokumente, Texte, Materialien/Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin; Bd. 57, Berlin 2005, S. 41 ff. 50 Der 1903 in Düsseldorf geborene Fritz Oellers († 1977) war als promovierter Jurist in der freien Wirtschaft tätig und in den letzten Kriegsjahren an der Ostfront, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg in die FDP eintrat und für sie in den Bundestag ging. 1951 wechselte er in den diplomatischen Dienst. Rio de Janeiro war sein erster Einsatzort, Ankara sein zweiter (1956). Neben den Unterlagen im Auswärtigen Amt konnten in diese Untersuchung Informationen aus dem Archiv der Friedrich-
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der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien hervor, ein Bestreben, das in seinen Berichten deutlich widergespiegelt ist.51 Die Forschungsliteratur zum Auswärtigen Amt und der Wiedereinsetzung von Nationalsozialisten im Auswärtigen Dienst bestätigt dies, indem sie Oellers zwar nennt, doch immer in unverfänglichem Zusammenhang.52 Oellers und seine Mitarbeiter prägten durch ihre Aufbauarbeit die neuen Strukturen der westdeutschen Diplomatie in Brasilien. Die ersten Monate des Botschafters galten dabei der Annäherung sowohl an die brasilianische Bundesregierung und die einzelner Länder als auch dem Land und seiner Kultur im Allgemeinen. Dazu gehörten an vorrangiger Stelle die in Brasilien lebenden Menschen deutscher Abstammung oder deutscher Staatsangehörigkeit, für die im Idealfall neben den konsularischen Angelegenheiten auch eine ideelle Unterstützung durch eine Vertretung des Heimatlandes, wie hier durch eine Botschaft, gegeben war. Görgen klassifiziert vier Gruppen, die sich in den zehn Jahren bundesdeutscher Außenpolitik gegenüber Lateinamerika zwischen 1955 und 1964 konsolidiert haben:53 1. Nachfahren alter deutscher Einwanderer, von denen manche „geistige, sentimentale, mitunter auch politische Bindungen an das Ursprungsland unterhielten“; 2. Politisch und rassisch verfolgte Emigranten und Einwanderer der nationalsozialistischen Zeit, etwa von 1930 bis 1945, darunter viele Juden; Naumann-Stiftung einfließen, die parteispezifische Akten des ehemaligen FDPMitgliedes Oellers besitzt und die Hinweise auf seine Person und seine Arbeit geben. Oellers blieb bis Oktober 1956 als Botschafter in Rio de Janeiro, wo er von Carl Werner Dankwort abgelöst wurde. 51 Vgl. Munzinger-Archiv/Internat. Biograph. Archiv 25. 2. 1978 – Lieferung 8/78 – P – 3307 und 3307a. 52 Vgl. Döscher, Hans-Jürgen: Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität, Berlin 1995; derselbe: Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amtes, Berlin 2005 sowie Conze, Eckhard/Frei, Norbert/Hayes, Peter/Zimmermann, Moshe: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010. 53 Obwohl diese Periode außerhalb des Untersuchungszeitraums der direkten Nachkriegszeit liegt, wird Görgens Beschreibung zur Verdeutlichung des für die Bundesrepublik Deutschland im konsularischen Sinne facettenreichen Deutschtums in Brasilien herangezogen, da sich die Gruppen zu der Zeit bereits herauskristallisierten, wie sie von Görgen in den 50ern als konsolidiert beschrieben wurden.
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3. Flüchtlinge der Nachkriegszeit, „displaced persons“ und ehemalige Nationalsozialisten; 4. „deutsche Staatsangehörige, die im Verlauf der deutschen Außenpolitik und Handelspolitik lateinamerikanische Länder bereisten, sich in ihnen niederließen, oder auch als Folge des Zweiten Weltkrieges sich in Lateinamerika festgesetzt hatten, ohne ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben.“54 Die hier resümierte Wiedergabe seiner Einteilung der Deutschen in Brasilien schließt auch die jüngere Entwicklung mit ein, wobei unter ehemaligen Nationalsozialisten die nach üblicherem Sprachgebrauch so bezeichneten Alt-Nationalsozialisten gemeint sind. Görgen nimmt hier eine der Chronologie folgende Klassifizierung vor, indem er mit dem ältesten Phänomen beginnt und mit der jüngsten Gruppe abschließt. Dabei verzichtet er auf Zahlen, die in der Literatur, wie Souza Moraes vierzig Jahre später bemerkt, sehr divergieren. Souza Moraes kommt schließlich zu der Erkenntnis, dass eine genaue quantitative Analyse praktisch unmöglich ist. Auch die Deutsche Botschaft versuchte, sich ein klareres Bild mit präzisen Zahlen zu verschaffen, die hier als Anhaltspunkt aus zeitgenössischer Quelle genannt werden. Botschafter Oellers ging von folgenden Zahlen aus: „Die Zahl der deutschsprechenden deutschen Abkömmlinge wird auf rund 650 000 geschätzt. Der Prozentsatz der Deutschstämmigen überhaupt dürfte etwa 7 % der Gesamtbevölkerung (nach der Volkszählung 1949 rund 50 Millionen) betragen. Die deutsche Staatsangehörigkeit dürften noch etwa 70 000 Personen besitzen.“55 Weiter schreibt er, dass es sich demnach lohne, „die Frage der Verbreitung deutscher Nachrichten und deutschen Kulturgutes, die den hiesigen deutschstämmigen Kreisen eine Kenntnis des neuen Deutschland vermitteln, einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen, zumal das Interesse dafür als sehr gross angesehen werden darf.“ Die medialen Möglichkeiten seien jedoch noch sehr schwach, weshalb er als einziges in deutscher Sprache erscheinendes ernstzunehmendes Printmedium die in São Paulo herausgegebene Tageszeitung „Deutsche Nachrichten“ anführt.56 Oellers gelang es, sich in relativ kurzer Zeit in Brasilien Geltung zu verschaffen. Dies bezeugen seine regelmäßigen Berichte, die er in ausführlichster Form an das Auswärtige Amt schickte, und die im Gesamtbild eine Art Bestandsaufnahme der aktuellen Situation in Brasilien darstellen, sowie die von ihm geführte
54 Vgl. Görgen, H. 1965, S. 390 f. 55 Vgl. Schreiben von Oellers an das AA, 23. August 1951, PAAA, B 90, Band 26-1. 56 Ebd.
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Korrespondenz, die aus der Botschaft erhalten ist.57 Offizielle Reisen in Form und Rang von Staatsbesuchen unternahm er schon bald nach seiner Amtsaufnahme im Juli 1951. Seine erste Reise galt zunächst den Staaten im Nordosten Brasiliens, was er von brasilianischen Regierungskreisen als politische Geste verstanden wissen wollte,58 seine zweite – vom 11. bis 15. Oktober 1951 – Minas Gerais als einem „der wichtigsten und einflussreichsten Staaten der Vereinigten Staaten von Brasilien“.59 Auch nach São Paulo war zunächst eine offizielle Reise geplant, zu der der Governador60 des Bundesstaates São Paulo einladen wollte, doch wurde sie aufgrund einer Häufung offizieller Besuche von Seiten des Governadors zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt. So kam es, dass der Botschafter zunächst inoffiziell nach São Paulo fuhr, um dort die I. Biennale zu besuchen.61 Dieser Biennale-Besuch war der Beginn einer verhältnismäßig engen Bindung zwischen der deutschen Botschaft und den Biennale-Organisatoren, die sich bei späteren Aktivitäten – insbesondere bei der II. Biennale – als hilfreich erwies.62 2.2.2.2 São Paulo: der Standort für eine weitere Vertretung Als damals schon bedeutende Handelsmetropole in Lateinamerika galt der Blick vieler investitionsbereiter Industrien der Stadt São Paulo. Die auf eine 1554 gegründete Jesuitensiedlung zurückgehende Stadt wuchs während des Kaffeebooms im 19. Jahrhundert schnell an, was sich im Übergang zum 20. noch ver-
57 Vgl. Akten der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland im PAAA, insbesondere die des Signaturbereiches B 90. 58 Brief Oellers’ an das AA vom 19. 10. 1951, PAAA, B 90, 26-1. 59 Ebd. 60 Das Amt des Governadors in einem brasilianischen Bundesstaat entspricht weitegehend dem eines Ministerpräsidenten in einem deutschen Bundesland. 61 Die schriftlich dokumentierte Ansprache des Botschafters an den Governador und dessen Gäste erwähnt Oellers’ ersten Besuch in São Paulo anlässlich der I. Biennale: „In der verhältnismäßig kurzen Zeit meines Aufenthaltes in Brasilien ist es nunmehr bereits das zweite Mal, dass mich mein Weg nach São Paulo geführt hat. War es bei meinem ersten Besuch die Bien[n]ale, die mich stärkstens beeindruckte und mir auf überzeugendste Art das künstlerische Wollen dieser mächtig aufstrebenden Stadt vermittelte, so ist es dieses Mal die ungewöhnliche Herzlichkeit, mit der mein offizieller Staatsbesuch bei Ihnen, Herr Gouverneur, durchgeführt wird – eine Herzlichkeit, die mich gleichermaßen erfreut, beeindruckt und beglückt.“ Vgl. Anlage zum Bericht des Botschafters an das AA, 2. Januar 1952, PAAA, B 90, Bd. 26-1. 62 Vgl. Kapitel 2.4 und 2.5.
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stärkte.63 Zählte die Einwandererstadt São Paulo um die Jahrhundertwende noch 240 000 Einwohner, überstieg sie bereits Anfang der 30er Jahre die Millionengrenze.64 Es waren hauptsächlich italienische Einwanderer, die sich in São Paulo und Umgebung seit der Öffnung der brasilianischen Häfen im Januar 1808 niederließen, um sich dort etwa auf den Zucker-, danach den Kaffeeplantagen zu verdingen. Es kam aber auch eine große Zahl deutscher Immigranten in die Stadt, die Zentrum für die gesamte Kaffeeproduktion im Bundesstaat São Paulo wurde, um sich von dort aus auf die Plantagen im Hinterland vermitteln zu lassen. Andere sahen gerade dort keine Zukunft mehr und zogen deshalb nach São Paulo, wo die deutschen Immigranten um 1860 immerhin ca. 10 Prozent der auf 25 000 Einwohner geschätzten Bevölkerung ausmachten. Damit bildeten sie eine Art „mittelständisches Rückgrat für die kurz danach einsetzende Industrialisierung.“65 Diese aufstrebende Stadt mit ihren für die Wirtschaft vielversprechenden Standortbedingungen, die in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch häu-
63 Ein 1907 erlassenes Einwanderungsgesetz versuchte die Immigration nach Brasilien zu steuern, die zwar in manchen Regionen Brasiliens schon Jahrzehnte vorher begonnen hatte, aber noch keine für das ganze Land offizielle Regelung gefunden hatte. Dieses Gesetz regelte die Möglichkeiten von einwandernden Bauern, Parzellen, Saatgut und Unterkunft zu erwerben. Dies konnte durch Kauf oder durch Heirat mit einer Brasilianerin erfolgen. Die damaligen Hauptansiedlungsgebiete waren die südlich des Bundesstaates São Paulo liegenden Regionen zwischen Rio Grande und Paraná bis Santa Catarina. Vgl. Lateinamerika-Ploetz, Die ibero-amerikanische Welt. Geschichte, Probleme, Perspektiven, Freiburg/Würzburg 1978, S. 62. 64 Bis zur Jahrhundertmitte – der Zeit also, in der die Biennale gegründet wurde – wuchs die Bevölkerung auf 2,4 Millionen Einwohner an. Heute geht man allein für das engere Stadtgebiet São Paulos von Zahlen aus, die im 10-Millionen-Bereich liegen; für Groß-São Paulo gelten doppelt so hohe Zahlen. São Paulo erreichte 1960 4,7 Millionen, 1975 10 Millionen und 1995 16,5 Millionen Einwohner. Vgl. World Urbanization Prospects, United Nations (Hg.): The 1994 Revision, New York 1995. 65 Brinkmann, Dirk: 450 Jahre São Paulo. Eine historische Reflexion. In: MartiusStaden-Jahrbuch (São Paulo), Nr. 51, 2004, S. 17. Im Museum und Forschungszentrum „Memorial do Imigrante/Museu da Imigração“ im Stadtteil Brás von São Paulo geht man davon aus, dass um 1888 von 38 825 Immigranten im Bundesstaat São Paulo 9853 portugiesischer Herkunft waren, 13 384 italienischer und 4838 aus Deutschland stammen. Vgl. auch Recenseamento do Brasil – 1920, 1940. Fundação Instituto Brasileiro e Geografia e Estatística IBGE. Censos demográficos do Estado de São Paulo de 1980.
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fig als provinziell beurteilt wurde,66 förderte noch Ende desselben Jahrzehnts die Industrieansiedlung in besonderem Maße, und tatsächlich machte sich hier der konjunkturelle Aufschwung in Brasilien am deutlichsten bemerkbar. Damit einher ging ein Verstädterungsprozess, eine der drei „umwälzenden Strukturveränderungen“, die sich in Brasilien seit etwa 1950 vollzogen haben.67 Das Interesse der Stadt, ihre wirtschaftliche Bedeutung international auszuweiten, und das Expansionsinteresse der internationalen Industrie ließen auch die Bedeutung der gesamten, sich zum größten Ballungsraum Lateinamerikas entwickelnden Metropolitanregion São Paulo, in der sich auch die meisten Tochterfirmen deutscher Unternehmen angesiedelt haben, für die diplomatischen Beziehungen wachsen.68 So dauerte es nicht lange, bis sich die Bundesrepublik Deutschland entschloss, auch in São Paulo eine Vertretung einzurichten. In Erwägung gezogen wurde offenbar auch Santos, die São Paulo nächstgelegene Hafenstadt, doch schließlich wurde am 6. Mai 1952 das deutsche Generalkonsulat in Verbindung mit der zum damaligen Zeitpunkt schon seit vier Jahren bestehenden Außenhandelskammer Câmara de Comêrcio Teuto-Brasileira69 im Zentrum São Paulos eröffnet. Als Leiter wurde der brasilienerfahrene Wolfgang Krauel eingesetzt, der die Verhältnisse des Landes aufgrund privater und beruflicher Erfahrungen bereits hinreichend kannte70 und dem 1954 Lothar Sigismund als kommissari66 Vgl. z. B. das Kapitel „Do Grupo Santa Helena às Bienais“ in Alice Brills zum Teil autobiographischer Publikation: Mário Zanini e Seu Tempo, Ed. Perspectiva, São Paulo 1984 (Debates 187). Die während des „Dritten Reiches“ als junges Mädchen mit ihrer Mutter, der Journalistin Martha Brill (siehe Kapitel 2.1) von Hamburg über Mallorca, Italien, Rio de Janeiro und schließlich nach São Paulo immigrierte Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin beschreibt im genannten Kapitel São Paulo im Zusammenhang mit dem künstlerischen Schaffen in der Stadt. Darin erwähnt sie die Provinzialität, die die Stadt in den Vierzigern noch charakterisierte. 67 Vgl. Kohlhepp, Gert: Raum und Bevölkerung. In: Briesemeister, D. u. a. (Hg.), Brasilien heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt am Main 1994, S. 9–107, dort: S. 49. 68 Ebd. S. 89 und Sangmeister, Hartmut: Die deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen: Solide Geschäfte zwischen ungleichen Partnern. In: Briesemeister, D. u. a. (Hg.), Brasilien heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt am Main 1994, S. 622– 637. 69 Deutsch-Brasilianische Handelskammer. Zu ihrer Geschichte siehe Lipkau, E. G., 1993. 70 Wolfgang Krauel verbrachte als Sohn eines deutschen Gesandten einen Teil seiner Kindheit in der brasilianischen Kaiserstadt Petrópolis und war selbst Mitte der 20er Jahre als Legationssekretär an die Gesandtschaft in Rio de Janeiro versetzt worden. Vgl. PAAA, B 90, Bd. 115, Fiche 2, S. 189 f., Deutsche Nachrichten (São Paulo) 7.
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scher Leiter und schließlich 1957 Gottfried von Nostitz im Amt des Generalkonsuls folgten. Die Forschungsliteratur bescheinigt Krauel eine „reine Weste“ bezüglich seiner Vergangenheit während des sogenannten Dritten Reiches. Im Gegensatz zu seinem übernächsten Nachfolger von Nostitz, dessen Funktion als Amtsangehöriger im Dienste der Nationalsozialisten nicht ganz so eindeutig ist,71 Mai 1952. Bei der deutschsprachigen Zeitung „Deutsche Nachrichten“ handelt es sich um die für einige Jahre umbenannte „Deutsche Zeitung“, die seit 1897 in São Paulo herausgegeben wird und zur damaligen Zeit täglich außer montags erschien. Seit 1973 trägt sie wieder – nunmehr als Wochenzeitung – ihren ursprünglichen Namen. Vgl. Kupfer, Eckhard: Deutschsprachige Presse in Brasilien. In: Institut Martius Staden, Jahrbuch 2003, Nr. 50, São Paulo 2003, S. 214–235. 71 Döscher druckt in einer früheren Publikation einen Auszug aus einer Artikelserie in der Frankurter Rundschau vom September 1951 ab, die deutliche Kritik am Wiederaufbau des Auswärtigen Amtes übt. Der Journalist Mansfeld gibt dort die Begebenheit wieder, nach der Gottfried von Nostitz zur deutschen Auslandsvertretung nach Paris berufen wurde. Allerdings verweigerte die französische Regierung das Visum, da von Nostitz während des „Dritten Reiches“ als Konsul II. Klasse in Genf mit dem SD zusammengearbeitet habe. Vgl. Mansfeld, Michael: „Ihr naht euch wieder …“, Einblicke in die Personalpolitik des Bonner Auswärtigen Amtes (I). In: Döscher, HansJürgen: Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität, Berlin 1995, S. 158. Döscher, der in seiner 2005 erschienenen und oben genannten Publikation die Richtigkeit der 1995 zitierten Artikelserie bekräftigt und die missglückte Überführung des Journalisten Mansfeld durch das AA darlegt, geht selbst nicht weiter auf den Fall von Nostitz ein, berichtet jedoch vom Untersuchungsausschuss Nr. 47 des Deutschen Bundestages, der insgesamt 21 höhere Beamte und Angestellte auf ihre Eignung für den Auswärtigen Dienst überprüft habe. Das ehemalige NSDAP-Mitglied – und laut Mansfeld auch Mitglied der SS – von Nostitz gehörte demnach zu den fünf Beamten, die der Ausschuss uneingeschränkt „für geeignet“ hielt. Vgl. Döscher, H.-J. 2005, S. 129, 161 ff. und 238. Auch bei Conze wird von Nostitz’ Werdegang untersucht. Von Nostitz habe bei Amtsantritt in Genf 1940 einer losen Gruppe von Kollegen angehört, die auf das Kriegsende hinzuwirken versuchten. Vgl. ebd., S. 297. Insgesamt liest sich der Fall bei Conze neutraler; ein offenbar in alle diplomatischen Richtungen gut vernetzter von Nostitz hat am Ende doch einen guten Leumund; schließlich weist Conze darauf hin, dass überall dort, wo nach dem Krieg Verwaltungsstruktur aufzubauen war, Diplomaten wegen ihrer Sprachkenntnisse und internationalen Erfahrung wertgeschätzt wurden; hatten sie zudem kein Parteibuch, hatten sie gute Einstellungschancen. Vgl. Conze, E. 2010, S. 357. Trotz NSDAP-Mitgliedschaft kam von Nostitz 1945 zunächst beim Hilfswerk der Evangelischen Kirche Deutschland in Stuttgart unter. Vgl. ebd.
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gehörte Krauel zu den Beamten des Auswärtigen Amtes, die keine Probleme damit gehabt hätten, „ihre Lebensläufe im Zuge der Entnazifizierung durchleuchten zu lassen.“72 Das Generalkonsulat in São Paulo nahm für die II. Biennale, die Ende 1953 als Auftaktveranstaltung der mit großem Aufwand gestalteten 400-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt São Paulo stattfand, eine wichtige Funktion ein, wie sich an späterer Stelle noch zeigen wird.73
2.3 D IE
POLITISCHE
S ITUATION B RASILIENS
NACH
1945
Wie in Deutschland gab es auch in Brasilien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine politische Wende: Nach Rückkehr der militärischen Truppen nach Brasilien wurde am 29. Oktober 1945 Getúlio Dornelles Vargas, der das von ihm als Estado Novo proklamierte Brasilien seit 1930 regiert und anfangs seine Sympathie zu den europäischen Diktatoren Hitler und Mussolini nicht verhehlt hatte, Brasilien dann aber unter dem Druck der USA in den Krieg eintreten ließ, von den Militärs zum Rücktritt gezwungen. Brasilien wurde somit wieder ein demokratischer Staat. Während des Krieges gab es durch das mit den Alliierten und vor allem den USA entwickelte Industrieprogramm, das die Produktion von Kriegsmaterial in Brasilien sicherstellte, eine indirekte Kriegsbeteiligung des
72 Vgl. Conze, E. 2010, S. 344. 73 Die rangniedrigeren Konsulate und Honorarkonsulate hatten für die Biennale so gut wie keine Bedeutung, weshalb sie hier nur in Kürze mit ihren Gründungsdaten genannt werden (nach Maulucci Jr., Th. W. 1997, S. 405): In Porto Alegre, der Hauptstadt des südlichsten Bundesstaates Rio Grande do Sul, dessen Kultur stark europäisch – u. a. deutsch – geprägt wurde, gibt es seit dem 1. September 1952 ein Konsulat, das von Rudolf Pamperrien geleitet wurde. Im Dezember desselben Jahres richtete die Bundesrepublik Deutschland in Recife das erste Konsulat im Nordosten des Landes ein. Am 16. Februar 1954 folgte dann das Konsulat in der Hauptstadt des ebenfalls sehr deutsch geprägten Bundesstaates Paraná, Curitiba, und im darauffolgenden Jahr in Belo Horizonte, der Hauptstadt des rohstoffreichen Bundesstaates Minas Gerais. Daneben gab es laut Aufstellung vom 15. 10. 1954 im Zusammenhang mit Hallsteins Reise nach Lateinamerika (vgl. B 11, Bd. 312-2, S. 156) die von Honorarkonsuln geführten Vertretungen in Bahia und Santos. Die oberste diplomatische Vertretung einer Staatsregierung in einem anderen Staat ist die Botschaft, der die meist in einer großen Stadt befindlichen (General-) Konsulate nachgeordnet sind. Die Honorarkonsulate werden nicht von Berufskonsuln, sondern von ehrenhalber ernannten Konsuln geführt.
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Landes. Nach einigen Angriffen auf brasilianische Frachter erklärte es jedoch im August 1942 dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien den Krieg und trat Mitte 1944 direkt in den Krieg ein, indem es seine Truppen nach Norditalien schickte.74 Dennoch herrschte in Brasilien während des Zweiten Weltkrieges weder im Volk noch in der Politik eine Einigkeit, die das Land eindeutig auf einer bestimmten Seite positioniert hätte. Auch gab es regionale Unterschiede, was mit der Zuwanderung und Besiedelung durch unterschiedliche Ethnien zusammenhing, Bürger und Immigranten, die sich ihren überwiegend europäischen Wurzeln in divergierender Weise verbunden fühlten. Das Jahr 1945 mit dem Ende des Krieges im Frühjahr und den Präsidentschaftswahlen am Jahresende markiert demnach auch in der Geschichte Brasiliens einen Schnitt, mit dem das Land vorerst zur Demokratie zurückkehrte. 2.3.1 Politik und Wirtschaft Im Dezember 1945 wählte das brasilianische Volk den ehemaligen Militär Eurico Gaspar Dutra zum Staatspräsidenten, der Anfang 1946 sein Amt übernahm und eine demokratische Verfassung vorbereitete, die im September desselben Jahres in Kraft trat. In dieser Zeit verfolgte die Regierung eine Politik zum einen der politischen, zum anderen der ökonomischen Liberalisierung. Allerdings verzeichnete die Wirtschaftspolitik Dutras keine dauerhaften Erfolge, was dazu führte, dass sich Vargas 1950 erneut um die Präsidentschaft bemühte – dieses Mal mit überwältigender Mehrheit.75 Seine ab Januar 1951 geführte Regierungspolitik ist gekennzeichnet durch die Öffnung des Landes für ausländische Investoren bei gleichzeitiger Stärkung der nationalen Industrie, eine ausgesprochene Orientierung nach den USA und vor allem nach Europa. Vargas geriet dennoch abermals unter Druck und wurde schließlich zum Rücktritt gezwungen, woraufhin er am 24. August 1954 freiwillig aus dem Leben schied. Es folgten ihm sein Vize João Café Filho und Juscelino Kubitschek de Oliveira im Amt des Staatspräsidenten in den Catete.76 74 Daten weitgehend aus: Bernecker, Walther L./Pietschmann, Horst/Zoller, Rüdiger: Eine kleine Geschichte Brasiliens, Frankfurt am Main 2000 und Jacob, E. G. 1974, S. 224. Als Força Expedicionária Brasileira (FEB) kämpften die brasilianischen Truppen mit insgesamt 25 000 Mann in Italien. 75 Vargas erreichte mit 48 % der Stimmen einen eindeutigen Wahlsieg über den Gegenkandidaten Gomes. Vgl. Bernecker, W./Pietschmann, H./Zoller, R. 2000, S. 260. 76 Catete wurde der Präsidentenpalast in der damaligen Hauptstadt Rio de Janeiro genannt.
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In Vargas’ Regierungszeit gab es zahlreiche Verhandlungen mit ausländischen Regierungen und Firmen, aus denen Vertragsabschlüsse resultierten. Die damals noch starke Orientierung Brasiliens in Richtung USA, die ihrerseits schon eine starke Position in Brasilien einnahmen, zeigt das 1950 abgeschlossene bilaterale Abkommen zwischen Brasilien und den USA zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens. Daraufhin wurde eine Gemischte Wirtschaftskommission zur Ausarbeitung umfangreicher Projekte eingesetzt.77 Man ging zu dem Zeitpunkt davon aus, dass rund 80 Prozent der brasilianischen Industrie US-amerikanischen Ursprungs war.78 Die USA engagierten sich in verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen auf energische Weise und versuchten damit, das Land an sich zu binden – nicht zuletzt aus Gründen der eigenen Rohstoffsicherung. Das militärische Interesse der USA an Brasilien bestand jedoch schon seit spätestens Anfang der 40er Jahre, dessen institutionalisierte Form als brasilianisch-amerikanische „Gemischte Militärmission“ in unverminderter Stärke weiterging und damit die Wirtschaftskommission überdauerte. Noch Anfang der 50er Jahre zeigte die US-amerikanische Luftwaffe eine deutliche Präsenz auf brasilianischen Flughäfen. Die 50er Jahre in Brasilien waren stark geprägt von der Industrialisierung des Landes, verbunden mit gigantischen nationalen Projekten einerseits und dem Bemühen um eine starke internationale Zusammenarbeit andererseits. Diese Dekade brachte einige Superlative auf wirtschaftlicher und letztlich auch auf kultureller Ebene hervor: In Rio de Janeiro wurde 1950 die erste Fernsehsendung Brasiliens ausgestrahlt und mit dem Maracanã das damals größte Fußballstadion der Welt eingeweiht,79 1951 hatte die Santa Ursula als erstes deutsches Schiff nach zehn Jahren ihre Jungfernfahrt von Hamburg nach Brasilien unternommen, São Paulo feierte 1954 seine äußerst aufwendige und mit vielen Einzelveranstaltungen über Monate hinweg andauernde 400-Jahr-Feier, und später – schon unter der Regierung Kubitscheks – wurde die noch in den 50er Jahren geplante neue Hauptstadt Brasília errichtet, um nur einige Beispiele zu nennen. Für den künstlerischen Bereich ist festzuhalten, dass mehrere markante Ausstellungen, beson77 Die Kosten bewegten sich in Milliardenhöhe (US-Dollar), von denen die USA und Brasilien etwa jeweils die Hälfte tragen sollten. Da die Kommission jedoch nicht die von Brasilien erhoffte Wirkung gebracht hatte, wurde sie 1953 wieder aufgelöst. Vgl. PAAA, B 11, 313-2, Oellers zum Referat Twardowski im Bericht über die Konferenz vom 18. 11.–24. 11. 1954, S. 207 f. 78 Vgl. streng vertrauliche Aufzeichnung im November 1954 in São Paulo, PAAA, B 11, 314, Fiche 2, S. 130. 79 Vgl. Bernecker, W./Pietschmann, H./Zoller, R. 2000, S. 260.
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ders im Zusammenhang mit Konkreter Kunst, in São Paulo und Rio de Janeiro gezeigt wurden. Dazu zählen: „Fotoformas“ mit Fotografien von Geraldo de Barros im MASP (1950), die Max-Bill-Retrospektive im MASP (1951),80 eine Ausstellung mit Arbeiten von Almir Mavignier im MASP (1951) und der Gruppe Ruptura im MAM-Rio (1952).81 Zudem sind gerade Anfang der 50er Jahre große Investitionsprojekte deutscher und anderer europäischer sowie USamerikanischer Industriefirmen in Brasilien zu verzeichnen. Dazu gehören neben der Gründung der Volkswagenwerke in São Bernardo bei São Paulo im Jahre 1950 drei Jahre später Mercedes Benz do Brasil S.A. und vier Jahre später Bosch, das noch während des Krieges von den USA als größtes brasilianisches Stahlwerk gebaute Volta Redonda oder die Förderung verschiedener Projekte in Landwirtschaft, Viehzucht und Lagerhaltung durch das Rockefeller Institute.82 Dem deutschen Generalkonsulat zufolge soll auch ein hochrangiger Vertreter des US-amerikanischen Geheimdienstes als Konsul in der Wirtschaftsabteilung des amerikanischen Generalkonsulats São Paulo eingesetzt gewesen sein, was für die deutschen Diplomaten ein Zeichen dafür war, dass die USA Brasilien bzw. São Paulo ebenfalls als einen bedeutenden Standort betrachteten.83 Gleichzeitig bemühte sich Brasilien noch unter Präsident Vargas um gute Beziehungen zu den anderen lateinamerikanischen Staaten. Nach einer Beschreibung Oellers’ anlässlich der Botschafterkonferenz in Montevideo 1954 verfolge Brasilien eine „Politik der Guten Nachbarschaft“84 und strebe eine enge Zusammenarbeit mit allen amerikanischen Staaten an, insbesondere mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Als Vorkämpfer dieses „Panamerikanismus“ lehne Brasilien eine Blockbildung von jeher ab, womit es sich als ein „offenes“, sich niemandem verpflichtendes Land zeige.85 Trotz vieler Investitionen in anderen Regionen Brasiliens konzentrierte sich die Industrieansiedlung auf São Paulo und verzeichnete ein anhaltendes Wachstum, was ambivalent bewertet wurde: „Sie beruht auf Dreck, und ihr Untergang in den fünfziger Jahren war schöner und angenehmer als ihr gegenwärtiger Auf80 Vgl. Kapitel 4.2.1. 81 Vgl. z. B. Geraldo de Barros, Fotoformas, Buch zur Ausstellung im Wallraff-RichartzMuseum Köln, München/London/New York, 1999 und Cintrão, Rejane/Nascimento, Ana Paula: Grupo Ruptura, São Paulo 2002, S. 8–15. 82 Daten aus einem vertraulichen Schreiben vom Generalkonsulat in São Paulo an das Auswärtige Amt im November 1954. PAAA, B 11 314, Fiche 2, Seite 130. 83 Vgl. ebd., S. 132. 84 Politik der „Bôa Vizinhança“, vgl. Bericht, den Oellers von der Hallstein-Reise anfertigte: PAAA, B 11, 313-1, 1954. 85 Vgl. ebd.
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gang.“86 Diese Beschreibung des Immigranten Vilém Flusser scheint zunächst eine Widerlegung der allgemeinen Auffassung zu sein, dass Brasilien und insbesondere São Paulo in den 50er Jahren einen Aufschwung erfuhren. In Flussers Verständnis jedoch handelt es sich um dasselbe Phänomen, nämlich die Tatsache, dass sich diese Stadt wie kaum eine andere in einer enormen Bewegung befand und Umbrüche stattfanden, die ihre Zukunft bestimmten. Wo jedoch kommerziell geleitete Errungenschaften zu konstatieren waren, gingen nicht selten Verluste einher, die in anderen Bereichen als der Wirtschaft, nämlich im sozialen, im ökologischen oder dem Bildungssektor zu suchen sind.87 2.3.2 Kulturpolitische Aspekte der brasilianischen Innenund Außenpolitik Eine staatliche Kulturpolitik war im Brasilien der 50er Jahre noch in ihrer Entwicklung begriffen. Indizien für eine staatlich gelenkte Kulturpolitik sieht die Film- und Geschichtswissenschaftlerin Regina Aggio in ihrer Untersuchung zum Cinema Novo erst in den Regierungen von Kubitschek, Quadros und Goulart zwischen 1956 und 1964, mit Anlehnungen an die Erfahrungen des Vorgängers Vargas.88 Es habe auch unter Vargas kulturpolitische Ansätze gegeben, die ähn-
86 Vgl. Flusser, Vilém: Brasilien oder die Suche nach dem neuen Menschen. Für eine Phänomenologie der Unterentwicklung, Mannheim 1994, S. 283. Im Kapitel „Brasilianische Städte“ stellt Flusser vor allem die drei Städte Rio de Janeiro, Brasília und São Paulo nebeneinander. 87 Der an der Prager Karlsuniversität immatrikulierte Jurastudent Vilém Flusser floh 1939 als Neunzehnjähriger nach London, von wo aus er 1940 nach Brasilien emigrierte. Schon 1966/67, nachdem sich Flusser längst in der Kultur- und Intellektuellenszene São Paulos integriert hatte, reiste er als Beiratsmitglied der Biennale São Paulo und Beauftragter des Itamaraty für die Biennale nach Europa und Nordamerika. Vgl. Editorisches Nachwort. In: Flusser, Vilém: Brasilien oder die Suche nach dem neuen Menschen. Für eine Phänomenologie der Unterentwicklung, Mannheim 1994, S. 321 f. 1972 verließ er São Paulo und Brasilien wieder und endgültig, als er für die Biennale eine Reise nach Europa unternahm, wo er für deren 13. Ausrichtung Kontakt mit Künstlern und Kritikern aufnehmen sollte. Flusser war zu der Zeit zunehmend unter Druck der brasilianischen Militärs geraten, die versuchten, ihn für ihre Interessen zu gewinnen. Vgl. z. B. Editorisches Nachwort. In: Flusser, Vilém 1994, S. 317 und 322. 88 Vgl. Aggio, Regina: Cinema Novo – neues brasilianisches Kino zwischen 1954 und 1964, Remscheid 2005, S. 167 ff. Diese Publikation basiert auf der an der Universität
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liche Ziele verfolgten wie seine Sozialpolitik, nämlich die Masse zu erreichen und sie aktiv einzubinden. In diese Zeit der frühen 50er Jahre fällt die Entwicklung sowohl des Cinema Novo als auch des Concretismo, dessen Manifestierung in Brasilien eng mit der Prämierung Max Bills bei der I. Biennale zusammenhängt. Beiden Entwicklungen ist ein gewisser Fortschrittsoptimismus eigen, der die genannte Zeit widerspiegelt. Innenpolitisch wurden Bildung und Kultur betreffende Fragen weitgehend innerhalb des Ministério de Educação e Cultura (MEC)89 gelöst. Die Aufgaben des Ministeriums waren bis zur ersten Verwaltungsreform 1967 neben dem Schulsystem: Kultur, Sprache und Künste, das kulturelle wie geschichtliche und wissenschaftliche Erbe. In manchen Fällen berührten diese Aufgaben auch den außenpolitischen Bereich, und zwar dann, wenn es sich um ausländische Schulen in Brasilien handelte, wie dieses Kapitel noch zeigen wird. Für die nach außen gerichtete kulturpolitische Arbeit war die Unterabteilung für kulturelle Angelegenheiten in der Politischen Abteilung des brasilianischen Außenministeriums, Itamaraty, zuständig. Obwohl die Biennale eine Veranstaltung auf brasilianischem Boden darstellt und deshalb eine innerbrasilianische Lösung denkbar gewesen wäre, wurden aufgrund der internationalen Verbindungen zahlreiche Biennale-Angelegenheiten über das Itamaraty abgewickelt. Für die Deutsche Botschaft in Rio de Janeiro war der Leiter dieser Unterabteilung ebenso in anderen Fragen als der Biennale ein wichtiger Ansprechpartner, wie einige Kommentare des deutschen Botschafters bezeugen. In einem Schreiben an Hamburg vorgelegten Dissertation mit dem Titel Cinema Novo – ein kulturpolitisches Projekt in Brasilien. Aggios Analyse des Cinema Novo als kulturpolitisches Projekt behandelt unter anderem kulturpolitische Aspekte in Brasilien, die auch in diesem bilateralen Zusammenhang relevant sind. 89 Das als Zentralstelle für staatlich gelenkte Kulturpolitik zu verstehende Ministerium für Erziehung und Kultur hatte seinen Sitz an der Rua da Imprensa in dem für die brasilianische Architekturgeschichte berühmten Bau von Lúcio Costa im Stadtzentrum von Rio de Janeiro, bei dessen Realisierung 1936 bis 1943 Le Corbusier und Oscar Niemeyer beteiligt waren. Vgl. Fils, Alexander: Oscar Niemeyer. Selbstdarstellung, Kritiken, Œuvre, Düsseldorf 1982, S. 8. Von 1937 bis Mitte 1953 war das Ministerium auch für das Gesundheitssystem zuständig: Ministério de Educação e Saúde (MES). Erst mit dem Gesetz 1.920 am 25. Juli 1953 kamen offiziell die kulturellen Angelegenheiten hinzu. Mit der Verwaltungsreform unter der Sarney-Regierung sind die Aufgaben seit 1985 zwischen dem nunmehr in Ministerium für Bildung umbenannten und dem neu gegründeten Ministerium für Kultur aufgeteilt. Vgl. z. B. Larousse Cultural, A/Z, Enciclopédia Alfabética em um único volume, São Paulo 1988, S. 530.
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das Auswärtige Amt im Februar 1953 nennt Oellers die Konsequenzen für die deutsch-brasilianische Zusammenarbeit, die sich aus einer Personalentscheidung Vargas’ ergeben hatten.90 Demnach sei der Leiter der genannten Unterabteilung des Itamaraty, der Gesandte Mário da Costa Guimarães, ohne Angaben von Gründen per Dekret des Staatspräsidenten Vargas seines Amtes enthoben worden. Dies weist zum einen auf eine aus der Sicht der Botschaft stark auf die Person Vargas konzentrierte Regierung hin, zum anderen aber auch auf das Interesse der Deutschen Botschaft an dieser Stelle innerhalb dieses Ministeriums. Oellers macht sich die Mühe, sowohl Guimarães im Zusammenhang mit der Frage, eine deutsche Schule in Rio de Janeiro einzurichten, zu charakterisieren wie auch eine eingehende Einschätzung des Nachfolgers zu geben, mit dem schon bald ein Termin vereinbart werden sollte. Der Botschafter war in dieser Sache mit dem brasilianischen Minister für Educação e Cultura in Verhandlung, welcher „dieser Anregung grundsätzlich zustimmte“, während der Gesandte „eine ablehnende Haltung eingenommen und dadurch auch das Kultusministerium im negativen Sinne beeinflusst“91 habe. Diese Frage, die zunächst in den Kompetenzbereich der brasilianischen Innenpolitik fällt, ist eine gleichsam außenpolitische, da sie eine Abstimmung zwischen dem brasilianischen Außenministerium und der Deutschen Botschaft erfordert: „Die Kulturarbeit der hiesigen Botschaft hat der ausgeschiedene Ministerialdirigent [Costa Guimarães]92 im wesentlichen freundlich und hilfsbereit gefoerdert und an der Verstaerkung des deutsch-brasilianischen Kulturaustausches positiv gearbeitet.“93 Der Botschafter habe darüber hinaus betont: „Im uebrigen hat Herr Guimarães bei der Gelegenheit Hochachtung und Bewunderung fuer die deutsche Kultur und das deutsche Geistesleben zum Ausdruck gebracht und ihre Bedeutung fuer Brasilien gewuerdigt.“94 Obwohl in diesen Aussagen die Topik diplomatischer Redewendung erkennbar ist, wird dennoch deutlich, dass die deutschen Diplomaten darin die Wertschätzung anerkennen, die die deutsche Kultur im weitesten Sinne auf brasilianischer Seite häufig erfährt. Dies ist insofern von Bedeutung für die kulturelle Innen- und Außenpolitik Brasiliens, als es Einflussnahmen und Prägungen auch 90 Vgl. Schreiben von Oellers am 11. Februar 1953, PAAA, B 90-KA, Bd. 8, Fiche 1, S. 68. 91 Vgl. ebd. 92 Die beiden Titel Ministerialdirigent und Gesandte werden von der Botschaft gleichbedeutend verwendet. 93 Vgl. ebd. 94 Vgl. Schreiben von Oellers am 11. Februar 1953, PAAA, B 90-KA, Bd. 8, Fiche 1, Blatt 68.
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anderer Nationen und Ethnien in ganz Brasilien gab. Dies resultiert aus der Geschichte des einstigen Koloniallandes, das im Laufe der Zeit durch Eroberung, Besetzung, Besiedelung und Immigration eine große Anzahl verschiedener Ethnien aufweist. Von Seiten der ehemaligen Kolonialherrenländer wird eine gewisse Verpflichtung gegenüber Brasilien empfunden, die deren Engagement auf bildungs- und kulturellem Gebiet in Brasilien begründen lässt. Die kulturellen Prägungen sind zwar regional unterschiedlich stark, doch gilt grob gesehen für die Zeit nach der Ausrufung der Republik im Jahre 1889,95 dass Brasilien nicht mehr ausschließlich indianische, afrikanische und portugiesische, sondern in besonderem Maße auch Einflüsse anderer europäischer Nationen aufzuweisen hat. Brasiliens geistige Elite war lange Zeit französisch geprägt, was sich beispielsweise in den Strukturen mancher Bildungseinrichtungen niedergeschlagen hat, wie den Universitäten, die nach französischem Vorbild gegründet worden waren. Bestes Beispiel in diesem Zusammenhang stellt die heute renommierteste Universität Brasiliens, die Universidade de São Paulo (USP) dar, deren naturwissenschaftlich-philosophische Fakultät 1934 unter der Führung von französischen Wissenschaftlern eingerichtet wurde.96 An ihr sollten Brasilianer aus den oberen Schichten studieren, die, wie Claude Lévi-Strauss berichtet, „von einem zerstörerischen Boulevardgeist zerfressen, der zum Teil von einer veralteten Tradition, einem ‚Pariser Lebensstil‘ des vergangenen Jahrhunderts beeinflußt war, den einige Brasilianer eingeführt hatten.“97 Ein Beispiel aus dem bildnerischen Bereich ist die Ankunft der französischen Künstlergruppe Missão Artística im Jahr 1816, womit der französische Klassizismus in Brasilien Einzug hielt. In den einzelnen Regionen wiederum sind es etwa afrikanische, deutsche oder italienische Wurzeln, die die brasilianische Gesellschaft mitbestimmt haben. Viele Grundlagen sind demnach auch nach europäischen Mustern angelegt, zu denen in den 40er Jahren eine US-amerikanische Bindung hinzukommt. Es ist gerade im Zusammenhang mit dem kulturellen Leben in São Paulo wichtig 95 Nach dem Sturz der Monarchie wurde am 15. November 1889 die Republik ausgerufen, deren ab 1891 geltende Verfassung einen föderativen Staat vorsieht: Vereinigte Staaten von Brasilien. 96 Vgl. Jacob, Gerhard: Universitäten, Wissenschaft und Forschung in Brasilien. In: Briesemeister, Dietrich u. a. (Hg.): Brasilien heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt am Main 1994, S. 404–420, dort: S. 406. Claude Lévi-Strauss erhielt zusammen mit einigen seiner französischen Kollegen einen Lehrauftrag an der noch im Aufbau begriffenen USP. Unter der Leitung von George Dumas systematisierten sie Forschung und Lehre der neuen Universität. Vgl. Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen, Frankfurt am Main 1998, S. 13. 97 Ebd., S. 94 f.
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anzumerken, dass sich neben den ehemaligen Kolonialherrenländern auch andere Staaten in Brasilien engagiert haben – allen voran die USA. Diese sind zwar eindeutig von wirtschaftlichen Interessen geleitet und prägten demnach insbesondere die Industrie in Brasilien, doch machten sie sich in nicht unerheblichem Maße im Kultur- und Bildungssektor bemerkbar. Brasilien war ein für die eigenen wirtschaftlichen Interessen der USA äußerst wichtiges Land, was die bereits erwähnten amerikanischen Großprojekte im Brasilien der 50er Jahre zeigen.98 Die USA wurden in Brasilien einerseits als eine gewisse Schutzmacht begriffen, denn durch ihre Stärke wähnte man sich vor dem Kommunismus sicher, andererseits auch als Förderer. Einen Eindruck davon gibt eine Beschreibung Oellers’ im Reisebericht des Staatssekretärs Hallstein im November 1954: „Umfangreiche US-Kultureinrichtungen befinden sich in Brasilien, und ein reger Kulturaustausch wird von den USA finanziert. Die Verbreitung des Amerikanischen gegenüber den europäischen Sprachen ist ein besonderes Kennzeichen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die brasilianische Jugend strebt heute zuerst in die USA.“99 Wie an späterer Stelle noch deutlich wird, wirkte sich der bilaterale Austausch zwischen den USA und Brasilien auch auf die Gründung des Museu de Arte Moderna in São Paulo aus, das die ersten Biennalen ausrichtete.100 Brasiliens Bildungs- und Kulturpolitik der 40er und 50er Jahre ist stark von den außenpolitischen Maßnahmen anderer Länder geprägt. Wie dargestellt, profitierte der Staat Brasilien als ehemaliges Einwanderungsland in seiner Geschichte immer wieder vom kulturellen Engagement anderer Länder, so dass er deren Engagement mit einer positiven Haltung gegenüber den bildungspolitischen und kulturellen Bestrebungen förderte, wie sie die Bundesrepublik mit der Einrichtung einer deutschen Schule in der brasilianischen Hauptstadt sowie dem Beitrag bei der Biennale verfolgte. Für eine detailliertere Beschreibung des bundesdeutschen Anteils ist es notwendig, zunächst die Auswärtige Kulturpolitik der jungen Bundesrepublik zu analysieren.
98
„Fuer die Weltpolitik der USA ist Brasilien ein wichtiger Eckpfeiler wegen seiner Vormachtstellung in Suedamerika, wegen seiner nationalen Reichtümer und wegen seiner strategischen Lage.“ Vgl. Oellers’ Kommentar zu einem Referat im Bericht der Hallstein-Reise im November 1954. PAAA, B 11, 313.
99
Vgl. Bericht Hallstein-Reise, hier Ausführungen Oellers’. PAAA, B 11, 313-2.
100 Vgl. Kapitel 3.
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2.4 D IE ANFÄNGE DER AUSWÄRTIGEN K ULTURPOLITIK DER B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND Während heutzutage die Auswärtige Kulturpolitik als „‚Dritte Säule‘ der deutschen Außenpolitik“101 weitgehend von mehreren Institutionen ausgeht, die unabhängig, aber in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt agieren, waren nach dem Zweiten Weltkrieg noch keine klaren Strukturen vorhanden. Zu diesen heute existierenden Mittlerorganisationen zählen beispielsweise das GoetheInstitut102 als die größte unter diesen Institutionen, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Institut für Auslandsbeziehungen e. V. oder die Alexander von Humboldt-Stiftung. 2.4.1 Aufgaben und Strukturen während der Aufbauphase Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine eindeutige Richtung innerhalb der westdeutschen Auswärtigen Kulturpolitik. Die groben Linien der neuen Regierung mussten erst noch gefunden werden, um den Wiederaufbau des Staates voranzutreiben. Die kulturpolitischen Aktivitäten, die von der bundesdeutschen Regierung ausgingen, waren demnach eher eine die „große Politik unterstützende“ Arbeit und weniger eigenen Zielen folgende Schritte. Hinzu kommt, dass die Kulturarbeit innerhalb des Auswärtigen Amtes in den 50er Jahren eine vergleichsweise geringe Akzeptanz fand, was die wenigen Kulturreferentenstellen in den Auslandsvertretungen bezeugen. Oft wurde die Kulturarbeit von den Pressereferenten erledigt, deren Hauptaufgabe – die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – selbst nicht die gewünschte Beachtung erhielt.103 Waren die 50er Jahre demnach noch von einer Strukturfindung geprägt, ist in den 60er Jahren eindeutig eine langsam anwachsende Aufwertung der Kulturwie auch der Pressearbeit zu verzeichnen. Zu der Zeit setzten dann auch die
101 Vgl. Maaß, K.-J. 2005, S. 11. 102 Die seit 1952 existierende Mittlerorganisation Inter Nationes fusionierte 2001 mit dem Goethe-Institut zu Goethe-Institut Inter Nationes e. V. mit der seit 2003 offiziellen Namensführung Goethe-Institut e. V. 103 Partiell ist das noch heute so, und auch die Besetzung der Kulturreferatsstellen durch Fachleute der Kultur- bzw. Geisteswissenschaften ist nicht immer gewährleistet. Dennoch ist das ganze Ministerium inzwischen so strukturiert, dass der Kultur mit den genannten Mittlerorganisationen eine gewichtigere Rolle zukommt als noch vor sechzig Jahren.
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regelmäßigen Treffen der Kulturreferenten ein, die bis dato in den Auslandsvertretungen eingerichtet worden waren. 2.4.2 Die Kulturabteilung Nach der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten richtete Konrad Adenauer im Februar 1950 in der Verbindungsstelle des Bundeskanzleramtes zur Alliierten Kommission ein Kulturreferat ein, das offiziell als die Kulturabteilung der Verbindungsstelle geführt wurde. Sein Aufgabenbereich, der die „zentrale Bearbeitung aller mit dem Ausland in Zusammenhang stehenden Kulturangelegenheiten“104 regeln sollte, wurde von Rudolf Salat übernommen, der zugleich für den Aufbau dieser Abteilung zuständig war.105 „Mit dem 15. März 1951 ist das Auswärtige Amt als selbständige oberste Bundesbehörde gebildet worden. Im amtlichen Schriftverkehr darf ich – außer in besonderen Fällen, in denen die Anschrift ‚Der Bundesminister des Auswärtigen‘ angezeigt erscheint – bitten, die sachliche Bezeichnung ‚Auswärtiges Amt‘
104 Ausschnitt eines am 30. Januar 1951 verfassten Rundbriefes, der von der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt an sämtliche konsularisch-wirtschaftlichen Vertretungen im Ausland versendet wurde, um einerseits klarzustellen, dass „jeglicher Schriftverkehr mit den Bundeszentralbehörden ausschliesslich über die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten zu erfolgen“ habe, andererseits, dass in der Kulturabteilung der Verbindungsstelle nunmehr alle kulturellen Fragen im Ausland zusammenlaufen sollten. Anlass war eine Konsultation eines Referenten in einem Generalkonsulat beim Bundesinnenministerium des Innern. Vgl. Mitteilung vom 30. Januar 1951, PAAA, B 90, 100-09 I Org.-508/51. 105 Nach Informationen des Auswärtigen Amtes trat Rudolf Salat am 6. Januar 1950 in den Dienst des Bundeskanzleramtes ein. Der studierte Rechtswissenschaftler war von 1930 bis 1946 Mitarbeiter und Geschäftsführer bei der internationalen Organisation katholischer Studierenden- und Akademikerverbände Pax Romana, zunächst in deren Hauptsitz in Freiburg/Fribourg (CH), ab 1939 in Nord- und Südamerika. Mitte 1954 wurde Salat abgelöst, als von Graevenitz die Leitung kommissarisch übernommen hatte. Vgl. Vortrag von Graevenitz am 23. 11. 1954 in Montevideo, im Bericht über die Konferenz vom 18. 11.–24. 11. 1954, PAAA, B 11. 313-1. Salat ging später an die Botschaft beim Vatikan, übernahm 1957 ein Amt bei der UNESCO in Paris und war die letzten Jahre vor seiner Versetzung in den Ruhestand (1970) Botschafter in Santiago de Chile.
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zu verwenden.“106 Diese Worte Konrad Adenauers markieren die offizielle Gründung des Bundesministeriums, das sich mit den Auswärtigen Angelegenheiten befasst. Leiter des Auswärtigen Amtes wurde Staatssekretär Walter Hallstein, der dem in Personalunion regierenden Bundeskanzler und Bundesminister des Auswärtigen direkt unterstand. Das Auswärtige Amt erhielt im Mai 1951 ein eigenes Kulturreferat, als Nachfolge der seit über einem Jahr bestehenden Kulturabteilung der Verbindungsstelle im Kanzleramt. Salat wurde somit der erste Leiter dieser nunmehr selbständigen Abteilung des Auswärtigen Amtes mit Sitz in der Koblenzer Straße 103 in Bonn,107 die es nun auf- und auszubauen galt.108 Hervorzuheben ist in dieser Anfangszeit der Abteilung die Aufgabenverteilung und Absteckung der Kompetenzfelder, da nicht alle Aufgaben, die heute in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes erledigt werden, schon als selbstverständlich angesehen wurden. Vieles musste mit anderen Einrichtungen und Gremien abgesprochen und verhandelt werden, etwa mit dem Kulturausschuss des Bundestages, der Kultusministerkonferenz oder der Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern (BMI). Die Auseinandersetzung mit der letztgenannten Behörde zeigt eine besondere Brisanz, da versucht wurde, bislang dem BMI unterstellte Aufgaben in den Zuständigkeitsbereich von Salats Abteilung zu bringen. Beispielhaft für diese Diskussion ist eine Bemerkung aus dem Unterausschuss „Kunst“ des Bundestages in einem Schreiben an das Bundeskanzleramt wenige Monate vor der Einrichtung des Auswärtigen Amtes: „Gegen die Absicht, im Rahmen des kommenden Außenministeriums eine besondere Dienststelle als selbständige Kulturabteilung einzubauen, wurden allerdings Bedenken erhoben. Der Ausschuß ist der Meinung, daß die Federfüh-
106 Vgl. Müller, Claus M.: Relaunching German Diplomacy, The Auswärtiges Amt in the 1950s, Bonner Beiträge zur Politikwissenschaft; 7, Münster 1994, S. 56. Zitat nach Adenauer, „Enactment signed Adenauer“, 15. März 1951, Hangelar, Bundesarchiv, B 136/1847. 107 Vgl. Schreiben in Form eines Jahresberichtes der Kulturabteilung für 1951, PAAA, B 90-3. 108 Gemäß den Regeln der Diplomatie sah sich auch Salat nur für eine bestimmte Zeit auf diesem Posten, was ein an den Botschaftsmitarbeiter Peiser in Rio de Janeiro gerichtetes Schreiben am 20. Juli 1953 bestätigt: „Ich hoffe aber zuversichtlich, dass bis dahin endlich der endgültige Leiter der Kulturabteilung ernannt sein wird.“ PAAA, B 90, Bd. 29.
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rung in solchen Angelegenheiten bei der Kulturpolitischen Abteilung des Innenministeriums liege […].“109 Dieses Problem bestand vor allem aufgrund der Annahme, dass bestimmte Aufgaben bislang – d. h. vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und auch noch in der Reichsverwaltung – innenpolitisch geregelt wurden. So unterstanden etwa einige deutsche Forschungsinstitute, darunter das Archäologische Institut mit seinen Zweigstellen im Ausland, dem Reichsinnenministerium und sollten nun wieder in die Zuständigkeit der Außenpolitik fallen.110 Trotz des Charakters eines Neubeginns stellte sich der Prozess zu einer neuen Verwaltungsgliederung in diesem kulturellen Bereich als kein einfaches Unterfangen dar, da nicht zuletzt übernommene Kräfte aus den alten Reihen auf den für sie bewährten Strukturen beharrten. Die Nähe zum Kanzler – und bald Außenminister – gab der Kulturabteilung eine günstige Ausgangsposition für die Verhandlungen mit anderen Behörden und Gremien vor allem in diesen Fragen der Zuständigkeit. Eine gewisse Befürchtung, dass hier Entscheidungsgewalt weniger föderalistisch und demokratisch als zentral gesteuert ausgeübt würde, könnte dabei ebenso eine Rolle gespielt haben. Immerhin gibt die Politik Adenauers, der selbst das oberste Regierungsamt wie auch das des neben dem Staatsoberhaupt höchsten Vertreters der Bundesrepublik gleichzeitig ausführte, diese Tendenz vor.111 Auch war es sein Wunsch, dass diese zentrale Kulturabteilung nicht in den innenpolitischen, sondern in den höher bewerteten außenpolitischen Regierungsbereich gehörte. Die systematische Sammlung von Informationen an einer zentralen Stelle sollte eine der Aufgaben der Abteilung sein. Weitere Aufgaben dieser Einrichtung, die sich selbst als zentrale bundeseigene Kulturabteilung verstand, waren die Zusammenarbeit in Kulturfragen mit den Missionen im Ausland, Kulturver-
109 Arno Hennig (Vorsitzender des Unterausschusses „Kunst“) an die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt, am 6. 2. 51. PAAA, B 90, Bd. 3-1. 110 Diese Kompetenzkonflikte waren nicht neu. Bereits 1934 stellte das ehemalige Reichserziehungsministerium Patronageansprüche auf einige Auslandsinstitute an das Auswärtige Amt, woraufhin dieses die damit verbundenen Aufgaben abgab. Vgl. Twardowski, Fritz v.: Anfänge der deutschen Kulturpolitik im Ausland. Bad Godesberg 1970, S. 33. 111 Bundeskanzler Konrad Adenauer war vom 15. März 1951 bis 6. Juni 1955 auch Außenminister der BRD. Sein Nachfolger im Amt des Bundesaußenministers war Heinrich von Brentano. Vgl. z. B.: Schöllgen, Gregor: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 11.
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träge, Auslandsschulen112 – ein Beispiel für die Überschneidung von Innen- und Außenpolitik – oder die Förderung von ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern in der Bundesrepublik. Daraus ergab sich die Gliederung der Abteilung nach Referaten, von denen Salat zunächst sieben vorsah.113 Das fünfte Referat sollte sich zunächst mit den Fragen der Kunst, also den Kunstausstellungen im Ausland und den Fragen der Restitution von Kunstwerken,114 befassen. Nach vor allem hausinternen Verhandlungen und unter Berücksichtigung anderer Vorschläge – nicht zuletzt Hallsteins – wurde schließlich folgende Ordnung der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes vorgenommen: Von den letztlich insgesamt sechs Referaten sollte sich das Referat V für Bildende Kunst, Theater, Lichtspielwesen, sportliche Veranstaltungen unter dem Vorsitz von Dr. Karl Heinrich Frahne verantworten. Salat selbst leitete die beiden Referate I und II mit der Allgemeinen Kulturpolitik, der UNESCO, den Kulturverträgen115 sowie den Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften. Das Referat III behandelte unter der Leitung von Dr. Franz Anton Simon das
112 Bei den Auslandsschulen ging es sowohl um Aufbau neuer Einrichtungen, aber genau so um die Pflege und den Erhalt bestehender Schulen. Darunter fiel die Sorge um die ins Ausland geschickten Lehrkräfte und die Frage, welche Behörde für deren Belange zuständig ist. 113 Vgl. Aufzeichnung von R. Salat am 21. Dezember 1950 zum bereits vorgeschlagenen Referatsplan für die Kulturabteilung im künftigen Auswärtigen Amt, PAAA, B 90, Bd. 3. 114 Besonders aktuell war nach dem Zweiten Weltkrieg die Restitution von Kunst- und Kulturgütern, die während des „Dritten Reiches“ von den Nationalsozialisten geplündert worden waren. Zunächst oblag diese Aufgabe den vier Besatzungsmächten, wobei die amerikanische Besatzungsmacht die Hauptlast zu tragen hatte. Erst 1952 wurde die Treuhandverwaltung für Kulturgut (TVK) gegründet (Auflösung 1962), die dem Referat 605 des Auswärtigen Amtes unterstand. Zu diesem komplexen Thema des Kunst- und Kulturraubes als Teil der gesamten nationalsozialistischen Besatzungspolitik sowie der Restitution nach Kriegsende vgl. die Publikationen von Anja Heuß. Hier zitiert aus: Heuß, Anja: Kunst- und Kulturraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg/Dissertation Frankfurt am Main, 1999, S. 16 ff. 115 Vgl. Kapitel 2.4.2.3 zu Kulturabkommen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland.
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Deutsche Schulwesen im Ausland, während Franz Graf Wolff-Metternichs116 Referat IV das Ausländische Bildungswesen, das Hochschulwesen, die wissen116 Franz Graf Wolff-Metternich wurde aber auch im Bereich der Restitution eingesetzt, wie in der Untersuchung über den Transfer von Raubgut in und über die Schweiz von Francini/Heuß/Kreis nachzulesen ist. Wolff-Metternich wird dort als Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland und Gesprächführer bei einer Unterredung in Genf genannt, der dort „‚seine Karriere‘ auf der Gegenseite weiterverfolgte.“ Vgl. Francini, Esther Tisa/Heuß, Anja/Kreis, Georg: Fluchtgut – Raubgut. Der Transfer von Kulturgütern in und über die Schweiz 1933–1945 und die Frage der Restitution, Zürich 2001, S. 441. Wolff-Metternichs Rolle innerhalb des Kunstschutzes im besetzten Frankreich ist jedoch bislang nicht eindeutig. In der Forschung zeichnete sich lange die Tendenz ab, ihm eine positive Rolle, eine sich dem System widersetzende, zuzuschreiben. Demnach habe er nicht auf Befehl der obersten Nationalsozialisten agiert und an den Plünderungen teilgenommen. Seine Dienstsuspendierung im Juni 1942 spricht für diese Annahme. Demzufolge läge die Vermutung nahe, dass es sich bei seiner Tätigkeit im Sinne der Wiedergutmachung weniger um einen Seitenwechsel handelte als um das kontinuierliche Eintreten für persönliche Prinzipien. Der nach São Paulo emigrierte Kunsthistoriker und spätere Biennale-Mitarbeiter und Museumsdirektor Wolfgang Pfeiffer arbeitete während des Zweiten Weltkrieges im Fotografenteam von Richard Hamann mit, wie er der Verfasserin selbst mitteilte. Recherchen sowohl im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde (z. B. Mikrofilmserie PK 1090, Filmnr. J 71, Bildnr. 453) wie auch im Bildarchiv Foto Marburg (z. B. V 432-534 und LA700/5-7, siehe Bildanhang!) bestätigen diese Aussage. Zu Pfeiffer vgl. auch Kapitel 3.3.1.2. Hamann führte ab August 1941 die fotografische Erfassung von Kunst- und Baudenkmälern und die Auswertung von Bildarchiven im besetzten Frankreich durch. Die Fotokampagnen von Foto Marburg unterstanden der Koordination der Abteilung Kunstschutz beim OKH (Oberkommando des Heeres) und deren Leiter Graf Wolff-Metternich, die wissenschaftliche Leitung der Kampagnen übernahm Alfred Stange, Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Bonn. Wolff-Metternich trat am 15. 12. 50 als kommissarisch Beschäftigter ins Auswärtige Amt ein und am darauffolgenden 1. August in die Kulturabteilung. Ende 1952 schied er aus dem Auswärtigen Dienst aus, um zur Max-Planck-Gesellschaft überzutreten und danach in die Bibliotheca Hertziana in Rom. Zum Kunstschutz und seiner Fotokampagne vgl. Sprenger, Michael H.: Richard Hamann und die Marburger Kunstgeschichte zwischen 1933 und 1945. In: Kunst und Politik, Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Schwerpunkt: Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Band 5/2003, hrsg. von Jutta Held/Martin Papenbrock, S. 61– 91 und Tralles, Judith: Fotokampagnen des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte Marburg während des Zweiten Weltkrieges. In: Doll, Nikola/Fuhr-
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schaftlichen Institute im Ausland und die wissenschaftlichen Kongresse und die Jugendbewegung bearbeitete.117 2.4.2.1 Das Kunstreferat und die Vorbereitung des ersten Beitrags für die Biennale São Paulo Zwei Hauptaufgabenbereiche wurden demnach dem Kunstreferat der Kulturabteilung zugewiesen: die der Kunstausstellungen im Ausland „[…] sowie die außerordentlich komplizierte Arbeit der Restitution von Kunstwerken“,118 der Wiedergutmachung im völkerrechtlichen Sinne. Sie befasst sich mit der Klärung von Besitzverhältnissen nach rechtsstaatlichen Prinzipien und der Rückgabe von Kultur- und Kunstgegenständen an die rechtmäßigen Eigentümer.119 Nach der Auflösung der sogenannten alliierten (US-amerikanischen) Collecting Points meister, Christian/Sprenger, Michael H.: Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005. Zu Wolff-Metternich siehe auch Kapitel 3.3.1.2. 117 Angaben nach einem internen Organisationsplan des Auswärtigen Amtes: Vorläufige Übersicht über die Geschäftsverteilung des Auswärtigen Amtes mit Stand vom 10. Oktober 1951, PAAA, 170-04 I Org. 8000. 118 Vgl. Aufzeichnung von R. Salat am 21. Dezember 1950 zum bereits vorgeschlagenen Referatsplan der Kulturabteilung, PAAA, B 90, Bd. 3. 119 Während des „Dritten Reiches" bekamen die deutschen Museen die Auflage, die als „entartet“ diffamierten Kunstwerke aus der Sammlung zu entfernen. Sie wurden verbrannt, verschlossen oder illegal ins Ausland verkauft. Genau so verhielt es sich mit privaten Sammlungen, die oft geplündert wurden und deren Eigentümer oder rechtmäßige Erben die Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg zu entschädigen versuchte. Die in den letzten Jahren intensivierte Forschung auf diesem Gebiet ermöglichte die Entwicklung moderner Instrumente, die die Auffindung der rechtmäßigen Eigentümer oder Erben erleichtern. Die in Deutschland aufgebaute Datenbank Lost Art Internet Database (www.lostart.de) beispielsweise dient ursprünglichen Besitzern, Erben, Angehörigen oder auch Museen und anderen Institutionen, dem Verbleib von während der nationalsozialistischen Herrschaft enteigneten oder verschwundenen Kulturgütern nachzugehen. Vgl. auch Museen im Zwielicht. Ankaufspolitik 1933–1945 (Kolloquium vom 11. bis 12. Dezember 2001 in Köln)/Die eigene Geschichte. Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich (Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg). Hg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg, bearb. von Ulf Häder unter Mitwirkung von Katja Terlau u. Ute Haug. Magdeburg: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, 2002 (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste; 2).
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ging das verbleibende Kulturgut 1952 in die „Treuhandverwaltung für Kulturgut“ (TVK) über, die dem Referat 605 der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt unterstellt war.120 Der erstgenannte Aufgabenbereich betrifft Maßnahmen mit einer eher nach außen orientierten Wirkung. Nach der Gliederung der Kulturabteilung war also das Kunstreferat für die Sorge um den deutschen Beitrag bei der Biennale São Paulo zuständig. Diese begann mit einem Dankesschreiben für die Einladung, das Frahne im Namen des Bundeskanzlers an die Biennale am 20. Juni 1951 richtete.121 Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Vorbereitungsphase der I. Biennale und die Etablierung der Kunstabteilung innerhalb der neu gegründeten Kulturabteilung zeitgleich vonstatten gingen und beide Partner in dieser Phase dementsprechend für das künftige Wirken Weichen stellten. Die Einladung aus São Paulo inmitten der Strukturierungsphase führte dazu, dass Frahne zunächst nur eine Zusage unter Vorbehalt geben konnte, da in der Kulturabteilung bezweifelt wurde, ob in Anbetracht der kurzen Zeit bis zum Beginn der Biennale eine Teilnahme möglich sei. „Gleichwohl ist das Auswärtige Amt bemüht, alles zu tun, was eine Beteiligung der Bundesregierung an der Biennale sichern kann.“122 Diese anfängliche Zögerlichkeit gab der BiennaleLeitung in São Paulo Anlass, wiederum die Brasilianische Mission in Bonn vermitteln zu lassen, in der Hoffnung, dass sich dieser aus brasilianischer Sicht wichtige Staat für sie als Partner für die geplante internationale Ausstellung erweisen würde. In einem Brief an den brasilianischen Minister in Bonn schrieb Francisco Matarazzo Sobrinho von seinem Vorschlag an Frahne, dass es ausreiche, wenn die Bundesregierung eine Auswahl von einigen repräsentativen Werken treffe, die ausgestellt werden könnten. Es sei schließlich das erste Mal, dass deutsche Künstler bei einer Ausstellung in der Art der Biennale in Lateinamerika gezeigt werden würden.123 Zudem habe die Biennale bereits definitive Zusagen von Frankreich, Italien, Belgien, Holland, der Schweiz, England, Japan, Mexiko, den Vereinigten Staaten, Kuba, Chile, Uruguay erhalten, mit denen die BiennaleLeitung eine hohe Qualität garantieren wolle.124 120 Vgl. Heuß, A. 1999, S. 16 f. Die TVK wurde 1962 aufgelöst. Vgl. ebd., S. 17. 121 Verbalnote von Karl Heinrich Frahne an die Brasilianische Mission am 20. Juni 1951, von der eine Abschrift dem Schreiben an Francisco Matarazzo Sobrinho gleichen Datums beigefügt wurde. Vgl. AHWS/FBSP. 122 Ebd. 123 Vgl. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho am 28. Juni 1951 an den Ministro do Brasil in Bonn, R. J. dos Guimarães Bastos, AHWS/FBSP. 124 Während schon in der offiziellen Einladung die definitiven Zusagen von Frankreich, den USA und Chile genannt worden waren, unterstrich Francisco Matarazzo Sobrinho die gewünschte Bedeutung durch die weiteren Zusagen im Brief an
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Dieses Engagement von brasilianischer Seite, das die Kulturabteilung über die Mission vor Ort erreichte, trug schließlich dazu bei, dass letztlich doch noch ein bundesdeutscher Beitrag für die I. Biennale zusammengestellt wurde. Zur Teilnahme mag auch bewogen haben, dass im Ausstellen moderner Kunst generell eine indirekte Förderung deutscher Künstler gesehen wurde. Eine Ausstellungsbeteiligung im Ausland bedeutet zunächst eine Erhöhung des Bekanntheitsgrades des Künstlers selbst, der damit im Idealfall einen neuen Markt erobert. Die moderne Kunst brauche „ein Sprachrohr ins Ausland“, damit bei solchen Gelegenheiten den Künstlern auch Aufträge ermöglicht werden könnten.125 Für die Kuratierung dieser Schau wurde eine vom Amt unabhängige Person unter Vertrag genommen: Ludwig Grote (1893–1974). Grote war zu dem Zeitpunkt im Ausstellungswesen in München tätig und stand kurz davor, die Leitung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg zu übernehmen. Seine Aufgabe war es, repräsentative Werke des aktuellen Kunstschaffens in Deutschland auszusuchen und als Ausstellungsbeitrag für die Biennale São Paulo zusammenzustellen. In Anbetracht der wenigen verbleibenden Zeit bis zur Vernissage unterbreitete die Biennale-Leitung einen Vorschlag, der die Integration einer in São Paulo befindlichen privaten Klee-Sammlung im deutschen Beitrag beinhaltete. Grote jedoch war bestrebt, seine eigene Konzeption durchzusetzen, was letztlich auch geschah.126 Die Durchsicht der Akten der Kulturabteilung, insbesondere derer des Referates V – später 605 – hat den Eindruck ergeben, dass die Ausstellungen und Veranstaltungen, die in der Gründungsphase der Kulturabteilung respektive des Kunstreferates unterstützt oder ermöglicht wurden, weniger vom Auswärtigen Amt selbst initiiert waren, als dass sie an das Amt herangetragen wurden und hier im Einzelfall nach der Bedeutsamkeit geprüft wurden. Insofern kann für diesen Zeitpunkt nur schwer von einem detailliert ausgearbeiteten Programm, das von dieser Seite konzipiert worden wäre, gesprochen werden. 2.4.2.2 Die Kulturarbeit der Auslandsvertretungen In der Regel sind die Auslandsvertretungen Botschaft, Generalkonsulat und Konsulate in Abteilungen aufgeteilt, deren Leiter in engem Kontakt mit dem entsprechenden Fachreferat im Auswärtigen Amt stehen. Die für kulturelle VerFrahne. Vgl. Schreiben vom 29. Juni 1951 von Francisco Matarazzo Sobrinho an Frahne in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, AHWS/FBSP. 125 Vgl. Kurzprotokoll der 28. Sitzung des Ausschusses für Kulturpolitik (37. Ausschuss des Dt. B.) am Mittwoch, den 24. Oktober 1951, 9 Uhr im Bundeshaus. Prot. Nr. 28, PAAA, B 90 KA 87-2, hier: Wiedergabe von Salats Referat. 126 Vgl. Kapitel 3.3.1.2, das die Konzeption der ersten Biennale eingehender behandelt.
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anstaltungen vor Ort verantwortlichen Kulturattachés waren jedoch in den 50er Jahren noch keine Selbstverständlichkeit. Die Einrichtung von Kulturreferentenstellen für die Auswärtigen Missionen wurde erst 1951 diskutiert, wobei sie der Unterausschuss „Kunst“ des Ausschusses für Kulturpolitik des Bundestages bereits 1950 angeregt hatte.127 Der Stand im Oktober 1951 war, dass lediglich in Rom wenig später eine vergleichbare Stelle besetzt wurde.128 Offizielle Kulturreferenten mit eigenen Abteilungen gab es zu dem Zeitpunkt noch keine in den Auslandsvertretungen, doch wurden sie nach und nach eingefordert und für einige Vertretungen auch bewilligt. In der neu eingerichteten Botschaft in Rio de Janeiro allerdings war Kulturarbeit bereits vorgesehen und wurde von dem promovierten Juristen und Romanisten Werner Peiser übernommen, der sogar offiziell als Kultur- und Pressereferent geführt wurde.129 Dennoch zeigen interne Schreiben in Personalfragen, dass seine Situation und sein Status innerhalb des Auswärtigen Amtes nicht eindeutig geklärt waren.130 Davon berichtet auch das in 127 Dies geht aus einem Bericht hervor, der nach einer Sitzung am 29. November 1950 vom Vorsitzenden des Kulturausschusses im Deutschen Bundestag unter „Punkt 6. Verschiedenes“ zusammenfasst wurde: „Kulturattachés bei den Auswärtigen Missionen. Der Ausschuss ist einmütig der Auffassung, daß den Auslandsvertretungen der Deutschen Bundesrepublik Kulturattachés beigegeben werden müssen, soweit nicht in der Person des Missionschefs bereits die Gewähr gegeben ist, dass die kulturpolitischen Fragen in ihrer vollen Bedeutung erkannt und praktiziert werden. Die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten wird um Information gebeten, ob die Ernennung von Kulturattachés bereits beabsichtigt und wieweit dem Wunsche des Ausschusses etwas schon entsprochen ist.“ Sitzungsbericht Kulturausschuss im Dt. Bundestag, 29. November 1950, PAAA, B 90. 128 „In den übrigen Ländern seien diese Posten mit denen der Pressereferenten verquickt, eine wenig glückliche Lösung […].“ Vgl. hierzu Beitrag von Salat während der Sitzung des Kulturausschusses des DT. Bt. (Kurzprotokoll der 28. Sitzung des Ausschusses für Kulturpolitik (37. Ausschuss des Dt. B.) am Mittwoch, den 24. Oktober 1951, 9 Uhr im Bundeshaus. Prot. Nr. 28, PAAA, B 90 KA 87-2. 129 Auskunft aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts. 130 In einem Schreiben privaten Charakters, das Salat am 20. Juli 1953 an Peiser richtet, erwähnt der Leiter der Kulturabteilung, dass nun endlich die Aussicht bestehe, Peiser „ganz in den Dienst des Auswärtigen Amtes zu übernehmen.“ PAAA, B 90, Bd. 29-2 und 1952. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes gab es am 29. August 1952 einen Erlass des Bundesministeriums des Innern, Werner Peiser im Rahmen der Wiedergutmachung rückwirkend zum Ministerialrat a. D. einzustellen. Er war 1933 ausgebürgert und aus dem Preußischen Staatsdienst entlassen worden. Zu Peisers Biographie vgl. Peiser, Werner: Hauptmanns „Weber“ machten mich zum Sozialis-
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vielen Punkten enthüllende und bereits zitierte Werk zur Vergangenheit des Auswärtigen Amtes,131 das Peisers Amtszeit als von zwei Kämpfen geprägt beschreibt: dem Kampf um die Anerkennung als Ministerialrat und dem als Jude innerhalb des Amtes.132 Ergänzend kann hinzugefügt werden, dass er sich für die allgemeine Anerkennung des Kulturreferenten im Auswärtigen Amt einsetzte. Eine offizielle Kulturattaché-Stelle gab es 1953 in den bundesdeutschen Vertretungen in Brasilien noch nicht, oder sie war, wie eben im Falle Rio de Janeiro, mit den Aufgaben eines Pressereferenten verknüpft.133 Dennoch war es gerade Peiser, der sich zu der Zeit ausführlich mit den Aufgaben einer offiziellen Kulturarbeit im Ausland beschäftigte und seine Ausführungen – mit Empfehlung des Botschafters für die Kulturarbeit im gesamten Ausland – zur Diskussion der Kulturabteilung des Ministeriums zur Verfügung stellte. Der 28-seitige und in elf Kapitel unterteilte Text geht vom unterschiedlichen Verständnis von Kultur in den vergangenen Jahrhunderten und den verschiedenen Regionen aus und spiegelt dabei die fundierte Kenntnis eines Geisteswissenschaftlers fern von starren Verwaltungsstrukturen wider, der eine Vielzahl von möglichen Aufgaben sieht an einem Ort, wo aufgrund der vielen Anknüpfungspunkte eine Kulturarbeit der Bundesrepublik erwünscht und willkommen war, aber noch keine offiziellen, vom Auswärtigen Amt ausgehenden Richtlinien geschaffen waren. Inwieweit Peisers Gedanken im Auswärtigen Amt berücksichtigt wurden oder gar beim ten. In: Pförtner, Rudolf (Hg.): Kindheit im Kaiserreich. Erinnerungen an vergangene Zeiten, München 1989, S. 66–73. Der 1895 in Berlin geborene Werner Peiser war jüdischer Herkunft und vor seiner Ausbürgerung Oberregierungsrat und stellvertretender Pressechef der preußischen Staatsregierung. Noch 1931 wurde er nach Rom versetzt. 1938 flüchtete er in die USA, bekam an der Universität New Orleans einen Lehrstuhl für Romanische Philologie und behielt seine dort erworbene Staatsbürgerschaft bis 1951. Zwischen 1945 und 1947 nahm er als US-Ankläger am Nürnberger Prozess teil. Vgl. ebd. Weiter gibt Aufschluss über das Wirken dieses beispiellosen Kulturschaffenden im Auswärtigen Amt der Briefwechsel mit Dolf Sternberger im Bestand des Deutschen Literaturarchivs Marbach a. N.: Sternberger, 89.10.6231/1-28. 131 Conze, E. et al. 2010. 132 Vgl. ebd. S. 540. 133 Das Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Belo Horizonte beispielsweise beantragte im April 1955 einen Kulturreferenten mit der Begründung, dass der Bundesstaat Minas Gerais ein Kultusministerium eingerichtet habe und „von brasilianischer Seite jegliche kulturelle Tätigkeit der ausländischen Vertretungen besonders dankbar begrüßt wird.“ Vgl. Dr. Meyer-Labastille an das AA am 4. Mai 1955 mit Bezug auf seinen Bericht vom 19. April 1955, PAAA, B 90.
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weiteren Aufbau der Abteilung von Bedeutung waren, ist nicht bekannt, doch zeigen die zahlreichen Markierungen, dass sie gelesen wurden.134 Doch sollen an dieser Stelle zunächst einige Aspekte aus Peisers Abhandlung dargelegt werden, da er als Zuständiger für kulturelle Fragen in der Anfangszeit der bundesdeutschen Auslandsvertretung in Brasilien genau diese Arbeit prägte. Seine Ausführungen mit dem Titel „Kulturpflege im Ausland“ sollen „sozusagen das Ideal ausländischer Kulturarbeit darstellen und dabei die Gestalt eines Referenten formen, der ‚der vollkommene Träger solcher Kulturarbeit‘ ist.“135 Ziel des Textes sei also, ein anzustrebendes Idealbild zu beschreiben, das nicht die eigene Tätigkeit porträtiert, aber sicherlich vor ihr als Hintergrund zusammen mit historischen und kulturhistorischen Erläuterungen entstanden ist. Peiser weist auf die Kultur als „etwas einem Volk und einem Volk Eigenes“ hin, mit verschiedenen Kulturen unter den verschiedenen Völkern, und warnt vor vielerorts geführten und oft missverstandenen Gleichheitsdiskussionen. Die Kultur des Gastortes scheint bei Peiser die wichtigere für die Arbeit eines Kulturreferenten zu sein, denn diese muss ein solcher zunächst kennenlernen, indem er sich ernsthaft mit dem entsprechenden Kulturkreis auseinandersetzt: „Und so erscheint es eine unerlässliche Forderung an den von der Deutschen Regierung ins Ausland entsandten Kulturreferenten, dass er mit dem Kulturkreis, den er in Zukunft zu betreuen hat, innerlich vertraut ist.“ Auf Brasilien bezogen müsse sich ein Vertreter Deutschlands bewusst sein, dass „nun einmal starke Differenzen zwischen Brasilien auf der einen und den übrigen lateinamerikanischen Ländern auf der anderen Seite bestehen“ und etwa die Verbindung Brasiliens mit dem einstigen Mutterland Portugal auf kulturellem Gebiet nicht besonders innig sei. Peiser beschreibt die doppelte Aufgabe, Kultur der eigenen Heimat zu vermitteln, die auch jene deutschen Gruppen mit einbezieht, die sich nicht zu assimilieren gedenken, und gleichzeitig müsse man „den Boden kennen, auf dem diese Kultur zu verbreiten ist.“ Mit den Begriffen des „colere“, von dem der der Kultur abstammt, und des Lesens, der das sorgsame Sammeln in sich trägt, verbildlicht er die Aufgabe des Kulturreferenten: „Ein Kulturreferent, der den Boden nicht kennt, auf dem er die kulturellen Güter seiner Heimat zu pflegen hat, hat seine Aufgabe verfehlt.“ Mit dem, was an anderer Stelle wie eine Beschreibung des Erlernens wissenschaftlicher Methoden klingt, nämlich der Anspruch an den Kulturreferenten, 134 Einige zentrale Stellen wurden angestrichen und von einem Leser – vermutlich Salat – bejahend kommentiert. Vgl. „Kulturpflege im Ausland“. Autor: Peiser, Datum: 17. Juli 1953, PAAA, B 90, Bd. 29-1 f. 135 Vgl. Schreiben des Botschafters vom 21. Juli 1953 an das Auswärtige Amt mit Anlage „Kulturpflege im Ausland“, PAAA, B 90, Bd. 29-1.
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dass er sich auf einem Gebiet bestens auskennt und die Methode beherrscht, „die ihm den Zugang zu dem jeweiligen Wesenszweig vermittelt“, untermauert er seine Forderung nach Experten auf den vielerorts noch zu schaffenden Posten der Kulturreferenten. Es kann davon ausgegangen werden, dass er berechtigterweise die Gefahr drohen sah, bald Verwaltungsbeamte, Juristen und gescheiterte Ministerialbeamte als Nachfolger oder Kollegen in den Kulturreferaten zu haben. Eindeutig stellte das Hauptziel des ehemaligen Lehrers jüdischer deutscher Kinder in Italien nicht die Vereinnahmung einer Kultur, sondern die Vermittlung zwischen Kulturen dar.136 Eines von Peisers Anliegen mit diesen Ausführungen war zweifellos die stärkere Kenntnisnahme der Kulturarbeit im Ausland innerhalb des Außenamtes und die damit verbundene Forderung, die künftigen Kulturarbeiter professionell vorzubereiten bzw. sie behutsam auszuwählen. Conze weist auf den schweren Stand hin, den Peiser als Jude innerhalb des Auswärtigen Amtes hatte. Er nennt ihn als erstes Beispiel für gelungene Wiedergutmachung137 – gelungen in dem Sinne, dass der ehemalige preußische Beamte überhaupt (wieder-)eingestellt wurde. Allerdings zeigen Peisers Anstrengungen innerhalb des Ministeriums, wie hartnäckig sich politisch überholte Denkweisen erhalten haben, die seinem Wirken nicht förderlich waren. Eine deutliche Aufwertung der Tätigkeiten von Kulturreferenten im Ausland fand allerdings erst in den 60er Jahren statt, nachdem die Forderung nach einer strukturierteren und systematischeren kulturellen Auslandsarbeit von mehreren Seiten – besonders von den mit den Kulturfragen im Ausland betrauten Mitarbeitern selbst – laut geworden war. Dies zeigt sich allein schon an dem deutlich höheren Aktenaufkommen der Kulturabteilung mit langen Vorgängen zu den einzelnen Sitzungen. Eine Untersuchung dieser Akten ergibt, dass nun ein gewisser positiver Nutzen in der Kulturarbeit erkannt und deshalb versucht wurde, sie schrittweise in die Politik zu integrieren. Von einer frühen Konferenz in Bonn, zu der sich im November 1953 die Kulturreferenten aus den Botschaften in London, Madrid, Paris, Rom und Washington einfanden, ist bedauerlicherweise wenig Aktenmaterial erhalten 136 Grundlage dieses Absatzes ist die Anlage zu Oellers’ Schreiben an das Auswärtige Amt am 21. Juli 1953, die von Peiser verfasste und mit 17. Juli 1953 datierte „Kulturpflege im Ausland“. PAAA, B 90, Bd. 29-1. Auf Peisers Tätigkeit in Italien wird bei Conze hingewiesen. Peiser habe demnach in Florenz ein Landschulheim betrieben, das Kinder aufnahm, deren Eltern sich in Deutschland auf die Emigration vorbereiteten. Vgl. Conze, E. et al., 2010, S. 539. 137 Vgl. ebd.
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geblieben.138 Lediglich drei in der Vorbereitungszeit der Konferenz verfasste Schreiben geben Auskunft über die aktuell zu behandelnden Inhalte. Die für die Durchführung des Treffens verantwortliche Kulturabteilung nennt darin zwei von mehreren Tagesordnungspunkten, zu denen sie die Teilnahme eines Vertreters aus der Abteilung I (Personal- und Verwaltungsabteilung) begrüßen würde: grundsätzliche Fragen der Kulturattachés sowie die Organisation der Kulturreferate bei den Auslandsvertretungen. Schließlich wurde eine Kulturreferententagung für März 1959 einberufen, die das Auswärtige Amt von nun an – nicht zuletzt auf Wunsch der Tagungsteilnehmer – in relativ regelmäßigen Abständen durchführte. Besonders diese zweite Tagung, zu der die Kulturreferenten aus den „wichtigsten“ Missionen eingeladen wurden, behandelte die Funktion und Aufgaben der Kulturreferenten bzw. die auswärtige Kulturarbeit auf eine konstruktiven und besonders grundlegende Weise. Der aufwendige und detaillierte Bericht der Sitzung nennt die verschiedenen dort diskutierten Punkte. Das Hauptthema war die generelle Organisation der Auslandskulturpolitik mit Verbesserungsvorschlägen zur Aufwertung der Kulturabeit, der Entlastung der Kulturattachés von Verwaltungsarbeit, der Einrichtung von Zweigstellen des DAAD, der Ausgliederung einzelner Aufgaben an andere Institutionen wie das Goethe-Institut, der engeren Zusammenarbeit der Kulturreferenten auf regionaler Ebene und schließlich die Anhebung des Kulturfonds.139 Deutlich wird darin vor allem die Unzufriedenheit der amtierenden Kulturreferenten, die sich einen höheren Stellenwert ihrer Arbeit wünschten. Zudem fehle eine genaue Arbeitsbeschreibung und eine dezidierte Darstellung der Zuständigkeiten, zentrale Verordnungen und Regelungen speziell für die Kulturreferenten, verbunden mit einem engeren Austausch mit der Zentrale in Bonn: „Es war die dringende Bitte aller Kulturreferenten, dass durch einen Erlass des Auswärtigen Amtes die Zuständigkeit der Botschaften definiert und für die Kulturreferenten der Generalkonsulate eine Informations- und Abstimmungspflicht festgelegt werden müsse.“ 140 Die Abgrenzung des Aufgabenbereichs zwischen den Botschaften und den Berufskonsulaten jedoch war vorher schon geregelt und in einem Runderlass bekannt gegeben worden, worin auch die ein138 Die Kulturreferentenkonferenz fand vom 25. bis 27. November 1953 in Bonn statt. Vorgang im PAAA, B 110, Bd. 450. 139 Aus dem Bericht des Kulturreferententreffens, das vom 9. bis 12. März 1959 die Kulturattachés aus den neun wichtigsten Auslandsvertretungen (London, Paris, Washington, Rom, Bern, Stockholm, New Delhi, Kairo, Ankara) in Königswinter bei Bonn zusammenführte, PAAA, B 110, Bd. 450. 140 Ebd.
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zelnen Abteilungen berücksichtigt worden waren. Darin wurde deutlich der hierarchisch strukturierte Amtsweg nachgezeichnet, den die diplomatische Arbeit gehen sollte. In einer hausinternen Reaktion aus einer anderen Abteilung wurde auf genau diesen Runderlass verwiesen, um der Forderung der Kulturabteilung und der Kulturreferenten nach deren Konferenz nicht nachkommen zu müssen. Diese unterschiedliche Sichtweise der Situation ist symptomatisch für jene Zeit, denn die gegensätzlichen Aussagen bekunden zum einen die Unzufriedenheit der ohnehin noch wenigen Kulturreferenten, zum anderen die fehlende Anerkennung ihrer Kollegen in den anderen Abteilungen des Auswärtigen Amtes. Den Aufzeichnungen und Sitzungsberichten derselben Tagung zufolge war die allgemeine Wertschätzung der Tätigkeit eines Kulturreferenten ein besonders heikler Punkt. Es handelte sich demnach bei der Kulturreferentenstelle um kein lukratives Amt, vielmehr um eines, das ein Weiterkommen in der beruflichen Laufbahn innerhalb des Auswärtigen Dienstes behindert habe: „ […] Die Tätigkeit in der Kulturabteilung oder als Assistent bei einem Kulturattaché dürfe auch von Nachwuchsbeamten nicht mehr als eine Behinderung ihrer Karriere angesehen werden, sondern müsse geradezu als ein Mittel zur Förderung der Laufbahn betrachtet werden. Versetzungen schwächerer Beamter in die Kulturabteilung müssten unterbleiben, weil sie eine verheerende Wirkung auf die Gesamtbewertung der Kulturarbeit gehabt hätten. In der Ausbildung der Attachés müsse die Wichtigkeit der kulturpolitischen Arbeit ihnen besonders eindringlich nahegebracht werden.“141 Die Notwendigkeit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen kam den Akten zufolge von den Kulturreferenten selbst und aus deren Praxis und weniger von außen bzw. anderen Abteilungen. Dennoch gab es bald einen von der innerdeutschen Politik abgeleiteten Bedarf an einer Ausweitung der Kulturarbeit. Gerade die Verhärtung der Fronten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR mit ihrer von der Bundesrepublik als bedrohlich empfundenen Propaganda unterstützte die Argumentation für eine Stärkung der Auswärtigen Kulturpolitik. Dazu die bilanzierende Sicht aus dem Tagungsbericht 1959: „Es werde noch weitgehend verkannt, dass die Kulturpolitik nicht mehr eine blosse Dekoration der übrigen Aussenpolitik sei, sondern das wirksamste geistige Instrument im Kalten Kriege. Insbesondere der Osten (darunter die SBZ) habe das längst erkannt und führe, vor allem in der neutralen Welt, eine ausserordentlich wirksame Kampagne mit kulturpolitischen Mitteln.“142
141 Vgl. ebd., Unterpunkt „Höhere Bewertung der Kulturarbeit“. 142 Aus dem Bericht des Kulturreferententreffens, PAAA, B 110, Bd. 450.
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Durch die verstärkte DDR-Kulturarbeit im Ausland ließ sich manche westdeutsche Vertretung unter Druck setzen, wie die 1960 in Rio de Janeiro einberufene Botschafterkonferenz bezeugt oder der Politische Jahresbericht des Deutschen Botschafters in Rio de Janeiro, in dem Brasiliens Ostbeziehungen, insbesondere die Beziehungen zur DDR, eine gewichtige Bedeutung einnehmen.143 Um 1960 veränderte sich das Aufgabenfeld sowohl der Kulturreferenten als auch des Pressereferenten, deren Posten zum Teil und je nach Größe der Vertretung sich stark überschnitten hatten. Hatte sich die Pressearbeit bislang stark nach innen orientiert, d. h. internen Zwecken gedient, stand bald die Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund. Diese Entwicklung machte gleichermaßen die zum Teil mit der Pressearbeit verwobene Kulturarbeit mit. Derselbe Aspekt findet sich auch in der genannten Sitzung der Botschafter in Rio wieder,144 deren Einzelberichte eine große Sorge anlässlich eines wachsenden Interesses am Kommunismus in Lateinamerika wiedergeben. So weist ein hochrangiger Diplomat „auf die eminente Wichtigkeit der Kulturarbeit in Südamerika im Rahmen der Abwehr des Kommunismus hin. Es gehe auf keinen Fall an, irgendeine Kulturpolitik der Schwerpunkte zu betreiben, die etwa Südamerika ausklammere. Die Erfassung der vom Kommunismus ganz besonders bedrohten Intellektuellen sei eine Aufgabe, deren Wichtigkeit und Dringlichkeit gar nicht hoch genug veranschlagt werden könne.“145 Zunehmend werden Interdependenzen zwischen der politischen Lage und der Kulturarbeit deutlich: Der Kalte Krieg und die innerdeutsche Lage trugen zweifellos dazu bei, dass den Akteuren der Kulturarbeit in den diplomatischen Missionen Gehör geschenkt wurde und sie nun erfolgreich für ihre Anerkennung eintraten. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass die Trennungslinie 143 Politischer Jahresbericht für Brasilien 1958 vom 25. März 1959, PAAA, B 12, Bd. 358. 144 Schon beim Treffen der in Lateinamerika akkreditierten Botschafter anlässlich der Reise des Staatssekretärs Hallstein im November 1954 referierte der neue Kulturabteilungsleiter von Graevenitz über die Lage der deutschen Kulturpolitik in Lateinamerika: „Das Auswärtige Amt selbst scheint die Bedeutung der einzelnen Posten hierfür auch verschieden zu bewerten. Wenn an einigen Missionen eigene Kulturattachés eingesetzt sind, so müssen an anderen Posten die Kulturattachés gleichzeitig die Pressearbeit verrichten, oder, wenn Sie wollen, die Presseattachés auch die Kulturarbeit, […]“. Vgl. Graevenitz, von, PAAA, B 11, Bd. 313-1. 145 Vgl. Protokoll der Konferenz der deutschen Missionschefs in Lateinamerika in Rio de Janeiro vom 5.–7. September 1960 unter dem Vorsitz des Bundesministers des Auswärtigen, PAAA, B 12, Bd. 367.
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zwischen der Presse- und Kulturarbeit noch nicht so scharf gezogen war, wie das heute der Fall ist. Zweifellos haben sich beide Bereiche verstärkt nach außen orientiert, was – wie bereits beschrieben – bislang der Pressearbeit vorenthalten geblieben und mehr der Kulturarbeit zugekommen war. Festzuhalten ist dennoch, dass diese Forderungen zur gezielten Stärkung der Kulturarbeit im Ausland bereits in den Sitzungen des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages gestellt worden waren, zu einem Zeitpunkt, an dem die erste Kulturreferentenstelle in Rom noch nicht einmal besetzt war. Neben der oben erwähnten vom Ausschussvorsitzenden beschriebenen Forderung war es der Kulturabteilungsleiter Salat, der dem Kulturausschuss im Oktober 1951 unter Anwesenheit von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, des Bundesrates und des BM des Innern seinen Bericht über die Arbeit der neu eingerichteten Kulturabteilung vortrug.146 Die darin enthaltene Forderung nach Aufstockung der noch sehr spärlich bewilligten Kulturreferentenstellen war verbunden mit der nach einer generellen Anhebung des Kulturfonds, der bis dato lediglich DM 600 000 betrug. Salats Ausführungen hinsichtlich seiner Vorstellungen einer gut funktionierenden Kulturarbeit gleichen weitgehend denen seiner nachfolgenden Kollegen rund zehn Jahre später, was ihm eine vorausschauende Planung bescheinigt, auch wenn er sie nicht in allen Punkten noch während seiner Amtszeit realisieren konnte. Wie die vorangegangenen Kapitel schon zeigen, fielen die Aufgaben im Zusammenhang mit der Durchführung eines deutschen Beitrags bei der Biennale São Paulo weniger der Botschaft als der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes zu. Spätestens jedoch auf Anregung Frahnes als zuständigem Referatsleiter wurde auch die Botschaft in Rio de Janeiro eingeschaltet. Bereits bei der II. Biennale, die man in die großen 400-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt São Paulo integrierte, wurde das in São Paulo neu eingerichtete Generalkonsulat miteinbezogen. Gleichzeitig gehörte Botschafter Oellers in Rio de Janeiro dem Ehrenkommitee der 400-Jahr-Feier an, über das er nach wie vor in das Biennale-Geschehen involviert war. Zu dieser Ernennung kam es nach seinem ersten Besuch in São Paulo, wie der Bericht mitsamt Anlage an das Auswärtige Amt im Januar 1952 zeigt: „Ich habe es als eine ganz besondere Ehre aufgefasst, als ich vor wenigen Tagen von Ihnen, Herr Gouverneur, die Einladung erhielt, dem Ehrenrat für die Vorbereitung der 400-Jahrfeier Sao Paulos beizutreten, und ich habe diese Einladung mit ganz besonderer Freude ange146 Vgl. Kurzprotokoll der 28. Sitzung des Ausschusses für Kulturpolitik (37. Ausschuss des Dt. Bundestages) am Mittwoch, den 24. Oktober 1951, 9 Uhr im Bundeshaus. Protokoll Nr. 28, PAAA, B 90, KA 87-2.
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nommen.“147 Der bereits im Dezember 1951 verfasste Tagesbericht an das AA zeigt das politische und stark repräsentative Element dieses Ehrenamtes: „Der Gouverneur des Bundesstaates Sao Paulo, Dr. Lucas Nogueira G a r c e z, hat mich mit einem Schreiben vom 14. November ds. Js. eingeladen, dem ‚Ehrenrat der staatlichen Kommission für die Teilnahme an den Gedenkfeierlichkeiten anläßlich des 400-jährigen Bestehens der Stadt Sao Paulo‘ beizutreten. Die Einladung wurde mir mit einem Brief des Stellvertretenden Generalsekretärs im Brasilianischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Gesandten Heitor Lyra, übermittelt, in dem dieser um eine baldige Antwort an den Gouverneur von Sao Paulo bat. Ich habe die Einladung am 5. Dezember ds. Js. angenommen. Der geführte Schriftwechsel ist in der Anlage schriftlich beigefügt.“148 2.4.2.3 Bilaterale Kulturabkommen Die ersten bilateralen Kulturabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland wurden 1954 geschlossen.149 Die Vertragspartner waren Frankreich und Spanien, denen zwei Jahre später Belgien, Chile, Griechenland, Italien und Norwegen folgten. Mit den USA besteht offiziell heute noch kein Kulturabkommen, lediglich eine Kulturvereinbarung kraft eines Notenwechsels zwischen John Foster Dulles und Konrad Adenauer am 9. April 1953.150 Zwischen der Regierung der Föderativen Republik Brasilien und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland wurde erst am 9. Juni 1969 ein Kulturabkommen unterzeichnet, das am 17. Dezember 1970 in Kraft trat. Das erste Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem lateinamerikanische Staat gab es im Jahre 1956 mit Chile, mit Gültigkeit ab 24. 5. 1959,151 nachdem „Verträge dieser Art mit 147 Rede des Botschafters als Anlage zum Bericht an das AA am 2. Januar 1952, PAAA, B 90, 26-1. 148 Vgl. Bericht des Botschafters an das AA am 10. Dezember 1951, PAAA, B 90, Bd. 26-2. 149 Bilaterale Kulturabkommen geben den äußeren Rahmen für die kulturelle Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern vor, wohingegen multilaterale Kulturabkommen mehrere Länder betreffen. Vgl. Veröffentlichungen des Auswärtigen Amtes unter www.bundesgesetzblatt.de. Zu den multilateralen Kulturabkommen zählt beispielsweise das europäische Kulturabkommen, das am 19. Dezember 1954 in Paris geschlossen wurde und dem Deutschland am 17. November 1955 durch Ratifizierung am selben Tag beitrat. 150 Dieser Notenwechsel ist keine übliche Vertragsform und ersetzt dennoch bis heute ein offizielles Kulturabkommen. 151 Es folgten für dieselbe Region die Abkommen mit Kolumbien 1960 (Vertragsabschluss mit Gültigkeit ab 1965), danach Peru 1964 (1966) und schließlich Ecuador
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einigen grossen europäischen Staaten geschlossen“ worden waren und mit diesen auch „die bisherige Zurückhaltung seitens des Auswärtigen Amtes aufgegeben“152 war. Verglichen mit dem vor allem wirtschaftlichen Engagement der Bundesrepublik in Brasilien und in Anbetracht der regen Diskussion um einen früheren Abschluss erscheint diese Vereinbarung zwischen Brasilien und der Bundesrepublik auf kulturellem Gebiet als eine späte Einigung. Auf Initiative des Botschafters Oellers wurde in Bonn die Frage eines Kulturabkommens mit Brasilien jedoch schon Anfang der 50er Jahre erörtert: Als in der Regierung 1952 die Diskussion über die verschiedenen bilateralen Kulturabkommen begonnen wurde, richtete auch Oellers in Rio de Janeiro ein Schreiben an die bundesdeutsche Regierung mit der Bitte um Prüfung einer derartigen Initiative. Gerade im Zusammenhang mit den deutschen Wurzeln vieler Brasilianer und im Hinblick auf die Wiedereinrichtung einer deutschen Schule in Rio de Janeiro sah er dies als dringend notwendig an. Mit Vehemenz vertrat er seine Position. Zur Untermauerung seines Anliegens zog er die Äußerung des brasilianischen Kultusministers hinzu, der die Einrichtung einer deutschen Schule unter anderem aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Basis ablehnte, im selben Schreiben jedoch die deutsche Bundesregierung bat, „die Möglichkeit zu prüfen, ein Kulturabkommen mit unserem Lande vorzuschlagen, in welchem alle Aspekte des Problems besser definiert werden könnten.“153 Salat, der sich im Auswärtigen Amt offiziell mit den Fragen der Kulturabkommen befasste, wurde 1952 per Beschluss vom Ausschuss für Kulturpolitik gebeten, über den Stand der „bereits abgeschlossene[n] Kulturabkommen mit dem Ausland und entsprechende[n] in Arbeit befindliche[n] Abkommen“ zu berichten.154 Wie oben aufgelistet, gehörte Brasilien noch nicht zu den Ländern, mit denen ein Kulturabkommen in Vorbereitung war, obwohl es innerhalb der und Brasilien in 1969 (1970). Weitere bilaterale Kulturabkommen: El Salvador 1971 (Unterzeichnung), in Kraft seit 1972; Argentinien 1973/78; Bolivien 1976/70; Mexiko 1977/78; Costa Rica 1979/81; Venezuela 1987/88; Uruguay 1987/89; Guatemala 1990/92; Nicaragua 1992/99; Paraguay 1993/94. Vgl. www.auswaertigesamt.de (Stand Januar 2004). 152 Zitate dieses Absatzes aus von Graevenitz’ Vortrag am 23. 11. 1954 im Bericht über die Konferenz vom 18.–24. 11. 1954, PAAA, B 11, Bd. 313-1. 153 Vgl. Schreiben von Oellers an AA am 13. November 1952 mit Zitat des Kultusministers, dessen Stellungnahme Oellers bereits an seinen Bericht vom 3. 11. 1952 angehängt hatte. Vgl. PAAA, B 90-600, Bd. 122. 154 Vgl. Protokoll Nr. 40 des (37.) Ausschusses des Deutschen Bundestages: Ausschuß für Kulturpolitik. Über die Sitzung des (37.) Ausschusses für Kulturpolitik, 13. November 1952 im Bundeshaus, PAAA, B 90-KA, Bd. 86.
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Kulturabteilung schon häufiger eine deutsch-brasilianische Kooperation gab als eine Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Die Kulturabteilung setzte bei Brasilien zunächst auf die zunehmenden privaten Initiativen, die vorerst sowohl ein deutsches Kulturinstitut wie auch ein Abkommen ersetzen und den Boden für weitere Schritte vorbereiten sollten.155 Dass Prioritäten gesetzt werden mussten und nicht alle Kulturabkommen im selben Moment abgeschlossen werden konnten, ist trotz der zahlreichen kulturellen Angelegenheiten nachvollziehbar. Den angeführten Aussagen zufolge ist davon auszugehen, dass der späte Abschluss weniger am fehlenden Interesse als an der noch unsicheren Situation bezüglich der deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit lag. Oellers, dem ein Kulturabkommen zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland die Arbeit vor Ort erleichtert hätte,156 stattete Salat bei einem Deutschlandaufenthalt im Mai 1953 einen Besuch ab, bei dem er die Frage eines Abkommens erneut und an erster Stelle anführte. Salat, der dieses Gespräch protokollierte, legte Oellers „die ernsten Gründe dar, die augenblicklich noch gegen ein Kulturabkommen mit Brasilien sprechen, und bat, die ganze Angelegenheit zurückzustellen, bis auf der in Aussicht genommenen Zusammenkunft unserer Missionschefs in den lateinamerikanischen Ländern eine einheitliche Linie vereinbart würde, da auch andere Staaten an ein Kulturabkommen mit der Bundesrepublik denken. Dr. O. war damit einverstanden und will die Angelegenheit zurückstellen.“157 Auch gegenüber Peiser bleibt Salat bezüglich eines bilateralen Kulturabkommens sehr zurückhaltend und bat um Zurückstellung „allzu weitreichender Pläne“. Dennoch versprach er jegliche Unterstützung bei der von ihm wahrgenommenen stetigen Entwicklung deutscher Kulturarbeit in Brasilien, für die er seine Förderung im Rahmen seiner „leider gesteckten Grenze“ versprach.158 Es wird deutlich, wie die sonst noch etwas zweitrangig behandelte Kulturarbeit im Ausland doch eine größere Bedeutung erlangt, wenn es sich um verbindliche, länger anhaltende Absprachen – wie Kulturabkommen – handelt. Es liegt nahe, dass die Situation in Brasilien nach dem Zweiten Weltkrieg für die Bundesrepublik noch zu unklar und wenig berechenbar war, weshalb Vorarbei155 Vgl. z. B. Brief Salat an Regierungsdirektor Dr. von Heppe, Leiter der Hochschulabteilung der Schulbehörde der Hansestadt Hamburg, am 24. Juli 1950, PAAA, B 90. 156 Ein Kulturabkommen hätte zu jener Zeit auch die Schulsituation der deutschen Kinder, darunter 25 allein von Botschaftsangehörigen in Rio de Janeiro, regeln sollen. 157 Salats Aufzeichnung vom 22. Mai 1953 über Oellers’ Besuch am 18. Mai 1953. PAAA, B 90, Bd. 28, Fiche 1. S. 69 ff. 158 Schreiben von Salat an Peiser am 13. April 1953, PAAA, B 90, Bd. 28.
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ten geleistet werden mussten, die einer Bestandsaufnahme der deutschen Berührungspunkte auf kulturellem Gebiet in Brasilien gleichkommen. Und diese beanspruchte die ersten Jahre der diplomatischen Präsenz in Brasilien. In diese Zeit fällt die Gründung der Biennale São Paulo, an der sich die Bundesrepublik noch ohne Kulturabkommen beteiligte und die Teil dieser Vorarbeiten war. Ihr regelmäßiges Zustandekommen mit wachsender internationaler Bedeutung wurde auch im Bonner Ministerium wahrgenommen, wo seinerseits an den Strukturen gefeilt wurde. Schließlich erhielt nach Inkrafttreten des Kulturabkommens mit Brasilien das mit Bildender Kunst arbeitende ifa als Mittler die Zuständigkeit für den deutschen Beitrag bei der Biennale. 2.4.3 Bestandsaufnahme deutscher Beziehungen nach Einrichtung der Deutschen Botschaft Francisco Matarazzo Sobrinho betonte in seiner schriftlichen Anfrage bei der Bundesregierung die besondere Bedeutung eines deutschen Beitrags zur Biennale São Paulo und argumentierte damit, dass die Zahl der „hier [in São Paulo] wohnhaften Deutschen“ sehr groß sei.159 Tatsächlich ist Brasilien und besonders sein Süden, zu dem die Metropole São Paulo gerechnet wird, stark europäisch und in vielen Regionen von Deutschen geprägt worden. Wirtschaftlich motivierte Emigranten, Glaubensflüchtlinge und Altnationalsozialisten trafen im Europa fernen Brasilien aufeinander, was die bereits pluralistische Situation unter den Deutschen und Deutschstämmigen förderte. Als Beispiel sei das 1937 ausgesprochene Verbot von fremdsprachlichem Unterricht für Kinder unter zwölf Jahren genannt, das die Kolonien und die stark einwanderungsgeprägten Gegenden in besonderem Maße betraf.160 Diese Verbote und die Distanzierung zu Deutschland machten nach dem Krieg einen Neuanfang erforderlich, der mit einer Bestandsaufnahme der noch erhaltenen Beziehungen beginnen musste. Es gibt Verbindungen zwischen den beiden Nationen, deren Wurzeln nach den Kolonial- und Entdeckerperioden vor allem in der 1824 einsetzenden Immigration aus Deutschland zu suchen sind. Besonders in wirtschaftlicher Hinsicht wuchs das gegenseitige Interesse beider Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Brasilien entwickelte zur BRD Beziehungen besonderer Art, die über die sonst zwischen zwei Nationen üblichen Bereiche hinausgingen. Diese besonderen
159 Vgl. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes am 29. Juni 1951, AHWS/FBSP. 160 Das Dekret wurde am 10. 11. 1937 erlassen und war Teil der Nationalisierungspolitik Vargas’. Vgl. Bernecker, W./Pietschmann, H./Zoller, R. 2000, S. 255.
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Beziehungen sind selbst durch den Zweiten Weltkrieg nicht wesentlich beeinträchtigt worden.“161 Deutsche Handelsfirmen ließen sich zu der Zeit in Brasilien nieder, um Kaffee, Tabak, Kautschuk und andere Rohstoffe zu exportieren, womit ein Fundament für die bilateralen Handelsbeziehungen gelegt wurde.162 Von der „deutschen Gemeinschaft“ jedoch ist der Eindruck entstanden, als habe ihre Verbindung zur früheren Heimat zwangsläufig etwas nachgelassen, worauf die Aussage des Botschafters hinweist: „Die Deutschen in Sao Paulo legen grössten Wert darauf, dass mein Besuch bei ihnen möglichst rasch erfolgt, da dies angesichts der langen Jahre, da ihnen jegliche amtliche Betreuung fehlte, für sie von grösster Wichtigkeit sei.“163 Diese Einschätzung bezieht sich vermutlich auf die Deutsch-Brasilianer und die schon länger in Brasilien wohnenden Deutschen, denn zu diesem Zeitpunkt sind immer noch hohe Zahlen deutscher Einwanderer nach Brasilien zu verzeichnen, die erst Mitte der 50er Jahre zurückgehen. Brasilien, das erst später zu einer systematischen Einwanderungspolitik überging, hatte in der Zeit von 1945 bis 1954 über 15 000 Deutsche aufgenommen.164 Nach internen Informationen im Auswärtigen Amt gewährte Brasilien allein 1952 rund 10 000 Deutschen die Immigration, die bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre mit fünfstelligen Zahlen pro Jahr anhielt.165 Für 1954 rechnete man mit weiteren 60 000, die die Bundesrepublik verlassen sollten, um die Ziele Kanada, USA, Australien und Lateinamerika anzusteuern.166 Insgesamt ging das Auswärtige Amt in jenem Jahr von dreihundert- bis vierhunderttausend deutschen Staatsangehörigen aus, die in Brasilien lebten; dazu noch von anderthalb bis zwei Millionen Menschen, „die sich entweder dem deutschen Kulturkreis verbunden fühlten oder deutsch sprächen.“167 1952 schätzte Oellers noch eine Zahl „nicht weit unter 1 Million“ deutschsprechender Menschen in Brasilien, davon 650 000 deutscher Abstammung. Insgesamt ging man nach einer Volkszäh-
161 Moniz Bandeira, L. A. 1995, S. 16, zitiert nach Görgen, Hermann: Ohne Titel. In: Deutsch-Brasilianische Hefte (Bonn), Ausgabe 4–5/1985, S. 201–211. 162 Vgl. Lipkau, E-G. 1998. 163 Vgl. Schreiben von Oellers an das AA am 19. Juli 1951, PAAA, B 90. 164 Vgl. Referat „Auswanderungsfragen“, das von von Schmoller auf der Botschafterkonferenz in Montevideo zwischen dem 18. und dem 24. November 1954 gehalten wurde. Aufgezeichnetes Manuskript: B 11, 313-1. 165 Zum Vergleich: Das Auswärtige Amt geht von insgesamt 59 000 Auswanderern im Jahr 1952 aus. Vgl. von Schmoller, PAAA, B 11, Bd. 313. 166 Vgl. hierzu B 11, Bd. 313. 167 Vgl. Vortrag (Mohr) über das Deutschtum in Brasilien im Bericht über die Konferenz vom 18.–24. 11. 1954, PAAA, B 11, Bd. 313-1.
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lung im Jahre 1949 von ca. 7 % Deutschstämmigen unter der 50 Millionen zählenden brasilianischen Gesamtbevölkerung aus.168 Mit den genannten Zahlen operierte das Auswärtige Amt; sie waren Grundlage für sein Engagement in Lateinamerika bzw. Brasilien. Oellers dienten sie darüber hinaus zur Argumentation für eine verstärkte deutsch-brasilianische Zusammenarbeit. Eine der Aufgaben des ersten bundesdeutschen Botschafters in Brasilien war, diese vorhandenen Beziehungen zu eruieren und ihre Entwicklung zu beobachten. Dies diente nicht zuletzt dazu, Anknüpfungspunkte für die weitere Arbeit auch auf kulturellem Gebiet zu finden. Im Laufe seiner Amtszeit sind zahlreiche Berichte nach Bonn gegangen, die in ihrer Gesamtheit eine Art Bestandsaufnahme dieser Situation darstellen. Hinzu kommen Schreiben von Initiativen, die offiziell Kontakt zur bundesdeutschen Regierung suchten. Im Folgenden wird versucht, ein Panorama der deutschen Präsenz in Brasilien mit Schwerpunkt auf die Regionen um São Paulo und Rio de Janeiro169 wiederzugeben: 2.4.3.1 Deutschsprachige Nachrichten Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch wenige institutionell verankerte Bindungen zwischen beiden Staaten. Sie wuchsen erst mit der Zeit oder wurden wiederbelebt dank vieler vor allem privater Initiativen. Im Bereich der deutschsprachigen Nachrichtenübermittlung in Brasilien ist dabei eine besonders starke Entwicklung in den 50er Jahren festzustellen, die zum Teil auf alte, aus der Zeit vor dem 1941 verhängten Verbot der fremdsprachlichen Presse herrührende Strukturen zurückgreifen konnte. Dazu eine Aussage des Botschafters Oellers: „Es verlohnt sich also durchaus, die Frage der Verbreitung deutscher Nachrichten und deutschen Kulturgutes, die den hiesigen deutschstämmigen Kreisen eine Kenntnis des neuen Deutschland vermitteln, einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen, zumal das Interesse dafür als sehr gross angesehen werden darf. Die pressemässigen Möglichkeiten dazu sind noch sehr schwach. Als einzige in deutscher Sprache erscheinende wirkliche Zeitung können die ‚Deutschen Nachrichten‘ in Sao Paulo angesehen werden, die ausser Montags täglich erscheinen.“170
168 Vgl. Brief Oellers’ vom 23. August 1951 an das Auswärtige Amt, PAAA, B 90, Bd. 26-1. Siehe oben Kapitel 2.2.2.3. 169 São Paulo wegen des Biennale-Standortes und Rio de Janeiro als Hauptstadt und Sitz der Botschaft. 170 Vgl. Brief des Botschafters Oellers vom 23. August 1951 an das Auswärtige Amt, PAAA, B 90, Bd. 26-1.
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Es entwickelten sich sowohl die deutschsprachige Presse als auch entsprechende Radioprogramme, wie Oellers im selben Schreiben auflistet, indem er den genauen Bestand für Mitte 1951 darlegt, den die Rechercheergebnisse im Zeitungsarchiv des Martius-Staden-Instituts bestätigen.171 Zu Beginn der 50er Jahre haben sich einige deutschsprachige Zeitungen etabliert, die zwar für die gesamte Presse in Brasilien eine unwesentliche Rolle spielen, im deutschen Kontext jedoch an beachtlicher Bedeutung gewannen. Es gab sowohl Wochenwie auch Tageszeitungen, daneben feste Rubriken wie die „Rio-Seite“ (Rio de Janeiro, 14-tägig). Unter den Zeitungen wie „Deutsches Wochenblatt“ (Rio de Janeiro, einmal pro Woche), Brasil-Post (São Paulo, einmal pro Woche), „Deutsche Nachrichten“ (São Paulo, täglich), deutsche Beilage im Correio da Serra (Ijui, täglich), deutsche Beilage A Nação (Porto Alegre, einmal pro Woche) sind die Deutschen Nachrichten laut Oellers das zahlenmäßig größte Organ, wobei „diese Zeitungen als Publikationsorgane kaum eine Bedeutung“ haben.172 Dennoch sieht der Botschafter darin eine Möglichkeit, die Deutschen und Deutschstämmigen gezielt zu erreichen. Dabei ging es offenbar nicht allein um die Übermittlung von Nachrichten aus Deutschland oder der Deutschen Botschaft, sondern um eine systematische Transmission in beide Richtungen, von Brasilien in die Bundesrepublik Deutschland und vice versa: „Die brasilianische Presse wird von eigenen Agenturen mit Nachrichten versorgt. Mit dem Leiter der Auslandsabteilung von dpa in Hamburg stehe ich in Verbindung, um zunächst einmal einen ordnungsgemäßen Nachrichtendienst Brasilien-Deutschland zu gewährleisten. Dabei soll auch die Möglichkeit einer Nachrichtenübermittlung Deutschland-Brasilien geprüft werden.“173 Diese Aussage verdeutlicht das Interesse des Botschafters nicht nur an einer systematischen Berichterstattung über Brasilien in Deutschland, sondern auch an einer objektiven Nachrichtenübermittlung aus dem politisch neu orientierten Deutschland. Es war ein vorrangiges Anliegen der jungen Bundesrepublik, sich in der Welt als freier demokratischer Staat in Abgrenzung zum „Dritten Reich“ zu präsentieren. Gerade die Menschen in Brasiliens Süden, deren Familien deutsche Wurzeln hatten, sich kulturell mit Deutschland verbunden fühlten und/oder einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft hatten, waren bei dieser Informationspolitik eine wichtige Zielgruppe. 171 Ein Archiv mit deutschsprachigen Zeitungen, die in Lateinamerika, insbesondere Brasilien, seit dem 19. Jahrhundert erschienen sind, findet sich im Bestand des Martius-Staden-Instituts in São Paulo. 172 Vgl. Brief des Botschafters Oellers vom 23. August 1951 an das Auswärtige Amt, PAAA, B 90, Bd. 26-1. 173 Vgl. ebd.
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Darüber hinaus hatten deutschsprachige Radiosendungen ihren festen Platz in den Programmen, doch handelte es sich dabei meistens um kurze Einlagen zu bestimmten Tageszeiten. Beispielsweise spielte der Sender Rádio Gazeta in São Paulo jeden Vormittag eine halbe Stunde das nach der Donau benannte Programm „Vozes de Danúbio“ ein. Daneben gab es weitere Rundfunkübertragungen von und für Deutsche, doch schienen sie nicht den Qualitätsansprüchen aller Hörer zu genügen, weshalb die Deutsche Botschaft mit einigen Sendern Kontakt aufnahm, um „die Frage zu klären, in welcher Form und wieweit die Botschaft bei einer Bereicherung der deutschen Sendungen helfen kann.“174 In diesem Zusammenhang richtete der Botschafter die Bitte an das Auswärtige Amt, zu prüfen, ob es mit Tonträgern Unterstützung leisten könne. Dies könnten sowohl Musikaufnahmen wie auch Originalmitschnitte wirtschaftlicher, politischer und kultureller Art sein. 2.4.3.2 Deutsche Körperschaften Auch bei den Vereinen und Gesellschaften gab es Neugründungen und Anknüpfungen an Vereinigungen, die vor dem allgemeinen Verbot 1938 bereits existiert hatten. Neben den zahlreichen folkloristischen Vereinen waren in den 50er Jahren folgende Körperschaften aktiv und nahmen teil an der Gestaltung der Kulturlandschaft São Paulos und Rio de Janeiros: 1947 wurde in São Paulo das Hans-Staden-Institut eingerichtet, das auf der im Januar 1945 gegründeten Hans-Staden-Gesellschaft basierte, die ihrerseits aus dem 1916 ins Leben gerufenen Deutschen Lehrerverein hervorgegangen war. Der Initiator Fouquet warb in den ersten Jahren um (Förder-)Mitglieder für die Institution, die im Jahr 1950 von 106 Köpfen kurz nach Gründung auf 300 anwuchs und Mitte der 50er rund 400 Mitglieder zählte. Sie stellten das finanzielle Fundament, das bald mit Deutschkursen aufgestockt werden sollte. Des Weiteren galt es, die hauseigene Bibliothek und das Archiv zu betreuen, Vorträge und andere kulturelle Veranstaltungen im Zusammenhang mit Deutschland und den beiden deutschsprachigen Staaten Österreich und Schweiz zu organisieren. Neben dem Hans-Staden-Institut, das trotz Unterbrechung auf eine längere Tradition zurückblicken konnte, entstand 1951 die „Fundação Martius de Ciências, Letras e Artes“ als Stiftung. Beide haben sich der Förderung wissenschaftlicher, literarischer und künstlerischer Bestrebungen verschrieben, die in Beziehung zur Einwanderung aus Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie zur entsprechenden Kolonisation in Brasilien, zu ihrer kulturellen Auswirkung und
174 Vgl. ebd.
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zum Kulturaustausch zwischen Brasilien und den drei Ländern stehen. Die beiden Einrichtungen fusionierten schließlich wenige Jahrzehnte später.175 In São Paulo fanden sich zudem Ende der 40er Jahre einige deutsche Emigranten und deutsch sprechende brasilianische Akademiker zusammen, die im Hinblick auf die 200. Wiederkehr von Goethes Geburtstag im August 1949 eine größere Veranstaltungsreihe planten und zu diesem Anlass sich zur Sociedade Goethe bzw. Goethe-Gesellschaft und der Academia Goetheana formierten.176 Dieser Gruppe gehörten beispielsweise Wolfgang Pfeiffer, Karl Fouquet, Karl Oberacker und Egon Schaden an, aber auch der noch junge Literaturkritiker Antônio Candido. Im Jubiläumsjahr organisierten sie zahlreiche Vorträge, die im MASP – in dem Pfeiffer tätig war – oder auch in der nahe gelegenen Biblioteca Municipal gehalten wurden. Gesellschaften unter diesem Namen waren auch in anderen lateinamerikanischen Staaten anzutreffen, darunter in Chile und Argentinien, in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland177 und standen auch untereinander in engem Kontakt. Die Goethe-Gesellschaft bzw. die Academia Goetheana setzte sich zum Ziel, wissenschaftlichen Austausch zu betreiben, indem sie beispielsweise junge Wissenschaftler aus Deutschland als Dozenten in Brasilien einsetzte. Das Auswärtige Amt nahm diese Goethe-Gesellschaft so wahr, dass diese vor allem brasilianische Studierende auf eine deutsch-europäische Hochschule vorbereiten wollte, aber auch Ausstellungen mit Kunst aus Deutschland oder Österreich mitorganisierte, die dann beispielsweise im noch jungen Museu de Arte de São Paulo
175 1997 übernahm die Stiftung Visconde de Porto Seguro das Hans-Staden-Institut. Sie vereinte das Institut gleichzeitig mit der Martius-Stiftung, der man mit der Umbenennung in „Martius-Staden-Institut“ Rechnung getragen hat. Vgl. Plöger, Alfried: Relatório Instituto Martius-Staden. In: Jahrbuch 1997/1998 (São Paulo), Nr. 45/46, S. 13 f. 176 Die entscheidende Abstimmung erfolgte am 21. Dezember 1948, doch gilt als offizielles Gründungsdatum der 10. Januar 1949, als der Name vermutlich ins Vereinsregister in Rio de Janeiro eingetragen wurde. Vgl. Schreiben von Karl Fouquet in Form einer Pressemitteilung, São Paulo, 18. 12. 1948. Archiv des Martius-StadenInstituts, G IV f, nº 8. 177 Dies geht aus einem Schreiben hervor, das Robert Johannes Meyer, Ehrenmitglied der Goethe-Gesellschaft São Paulo und in der Goethe-Gesellschaft Hamburg aktiv, in Hamburg am 7. Mai 1951 an Staatssekretär Hallstein richtete, PAAA, B 90, Bd. 26-3. Enge Kontakte pflegte die paulistanische mit dieser Hamburger GoetheGesellschaft, die zu den größten der zahlreichen Ortsvereinigungen der Deutschen Goethe-Gesellschaften Weimar gehört.
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(MASP) zu sehen waren.178 Der in München promovierte Kunsthistoriker Wolfgang Pfeiffer, der auf der rund 23 Namen langen Mitgliederliste179 der Sektion São Paulo neben dem Präsidenten als Secretário180 aufgeführt wird, war als solcher maßgeblich am Aufbau der Institution beteiligt. Pfeiffer war damals noch nicht lange in São Paulo, wo er bald im Ausstellungs- und museumsdidaktischen Bereich des MASP tätig wurde. Sowohl hier als auch im Rahmen der GoetheGesellschaft hielt Pfeiffer Vorträge zu überwiegend klassischen kunsthistorischen Themen. Darüber hinaus sind die zahlreichen Initiativen des Münchner Galeristen und Kunstvermittlers Theodor Heuberger zu nennen, der sich seit 1924 zunächst in Rio de Janeiro und wenig später auch in São Paulo im künstlerischen Bereich engagierte und einen im heutigen Sinne informellen Kulturaustausch anregte. Auf Heuberger zurückgehende institutionelle Größen mit Beständigkeit bis in die 50er Jahre und zum Teil bis in die Gegenwart sind die Stiftung Pró-Arte (1932), die Revista Intercâmbio (seit 1933), die internationalen Ferienkurse (50er Jahre), die Freie Musikschule in São Paulo181 (1952) und das Ausbildungszentrum in Teresópolis bei Rio de Janeiro (Grundsteinlegung: 1966).182 Die brasilianische Kunstwissenschaft rechnet ihm bedeutende Verdienste für die Entwicklung der modernen Kunst in Brasilien an, was in erster Linie mit der frühen 178 Vgl. Schreiben des Präsidenten der Deutschen Goethe-Gesellschaft in Hamburg und Ehrenmitglied der Goethe-Gesellschaft São Paulo an den Staatssekretär Hallstein am 7. Mai 1951, PAAA, B 90, Bd. 26-3. 179 Vgl. Schreiben von der Goethe-Gesellschaft São Paulo an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes am 19. Mai 1951, PAAA, B 90, Nd. 26-2. Das Dokument führt zudem Mitglieder in Argentinien, Chile, Deutschland und anderen Ländern auf, mit denen die Sektion São Paulo im Austausch stand. 180 Secretário hier im Sinne eines Geschäftsführers. 181 In dieser Musikschule unterrichteten beispielsweise Hans Joachim Koellreutter und Ernst Mahle, die beide aus Deutschland nach Brasilien kamen. Beide gelten als Avantgardekomponisten und gründeten 1953 zusammen mit Maria Aparecida Romero Pinto eine Musikschule in Piracicaba (SP), die noch heute unter dem Namen Escola de Música Piracicaba Ernst Mahle funktioniert. Vgl. Mahle, Cidinha: Recordando Koellreutter. In: Martius-Staden-Jahrbuch (São Paulo), Bd. 53, 2006, S. 313–317. 182 Gründungsdaten variieren zum Teil leicht. Die hier genannten sind entnommen aus: N.N.: Theodor Heuberger – 70. In: Deutsche Nachrichten, 13. Januar 1968 und Aracy Amaral: Theodor Heuberger: a presença alemã no meio artístico contemporâneo brasileiro. In: dieselbe: arte e meio artístico: entre a feijoada e o x-burger. São Paulo 1982, S. 97–104.
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Ausstellungstätigkeit begründet wird.183 Heuberger brachte mehrere Kunstausstellungen nach Brasilien, angefangen mit einer Verkaufsausstellung, die er mit der Hilfe des brasilianischen Generalkonsuls in München, Navarro da Costa, für Rio de Janeiro organisierte,184 später weitere in Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Institut für Auslandsbeziehungen oder der Stadt München.185 Aracy Amaral, eine der renommiertesten Kunstwissenschaftlerinnen Brasiliens, korrigiert die allgemeine Auffassung, dass die erste Kunstgalerie in São Paulo die Galeria Domus gewesen sei, indem sie Heubergers Galerie im Obergeschoss seines Ladengeschäftes Casa e Jardim mit Gründungsjahr 1938 nachweist, dem etwa Ernesto Fiori seine ersten Erfolge mit zu verdanken hat.186 Auch nennt sie den Deutschen Werkbund, über den Heuberger 1929 eine Ausstellung mit Kunsthandwerk aus Deutschland holte sowie eine Buch- und Grafikausstellung im darauffolgenden Jahr, mit Werken von Ernst Barlach, Willi Baumeister, Otto Dix, Käthe Kollwitz und mehreren anderen Künstlern der Zeit. Der 1898 in Bayern geborene Theodor Heuberger engagierte sich für die Kunst genauso wie auf dem Gebiet der Musik.187 Er erwirkte in den 50er Jahren beim Auswärtigen Amt mehrfach Zuschüsse und Förderungen sowohl für die Zeitschrift Intercâmbio als auch für seine Musikveranstaltungen im Rahmen seiner Stiftung. Es wurden von der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes hochwertige Musikinstrumente wie auch Druckkostenzuschüsse bereitgestellt,188 die angesichts der sonstigen Zurückhaltung dieser Abteilung überraschend wirken. Dennoch profitierte auch das Auswärtige Amt von Heubergers Vorarbeit in Brasilien, die eine der privaten Initiativen darstellt, wie sie Salat in seinem bereits zitierten Schreiben an die Schulbehörde der Stadt Hamburg dargestellt 183 Amaral, A. 1982, S. 97. 184 Details über diese Kunstausstellung sind nicht bekannt, lediglich, dass der Generalkonsul in München, der sich ebenfalls künstlerisch betätigte, einer der Maler war. Vgl. ebd. 185 Vgl. z. B. Heuberger, Theodor: Berlin Ost und West lässt grüssen. In: Deutsche Nachrichten (São Paulo), 8. Dez. 1959, S. 4. 186 Amaral, A. 1982, S. 100 f. Zum Leben und Werk von Theodor Heuberger gibt es zahlreiche Aufsätze und Presseartikel, doch noch keine zusammenhängende biographische Publikation. Ein Teil seines Nachlasses befindet sich im Archiv des MartiusStaden-Institutes. Die in dieser Untersuchung genannten Daten stützen sich weitgehend auf die Publikationen von Aracy Amaral. 187 Vgl. ebd., S. 98 f. 188 Vgl. z. B. Bewilligungsschreiben an Heuberger vom 20. April 1953 (Frahne) über eine erneute Beihilfe, die für die Bezahlung eines Flügels verwendet wurde, PAAA, B 90, 115-1, S. 96.
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hatte,189 so dass Heubergers Forderungen offenbar stets umsichtig geprüft wurden. Gerade diese Akten der Anfangsphase zeigen, dass die Zuständigkeiten und Förderungsbedingungen noch nicht vollständig geklärt waren.190 Es fehlte an Bestimmungen, nach denen geregelt wurde, welche Institutionen und Vorhaben sich aus öffentlichen Geldern finanzieren durften und welche aus Mitteln der Privatwirtschaft. Auch mussten zunächst die Inhalte genauestens geprüft werden, die sich an den verschiedenen Orten unterschiedlich entwickelt hatten. Beispielsweise gestaltete sich die Einrichtung von Goethe-Instituten dort einfacher, wo noch keine Institution vergleichbarer Zielsetzung bestand.191 Das erste Goethe-Institut in São Paulo wurde mit einem Vertrag von 1957 eingerichtet, wobei es sich zunächst um eine sogenannte Goethe-Dozentur am damaligen HansStaden-Institut handelte.192 1962 wurde dem Goethe-Dozenten auf Anregung des Generalkonsuls von Nostitz in Finanzverwaltung und Programmplanung mehr Autonomie gewährt, und im Laufe der 60er Jahre ist aus der Dozentur ein selbständiges Goethe-Institut hervorgegangen.193 Zur Diskussion stand anfangs, ob 189 Vgl. z. B. Brief Salat an Regierungsdirektor Dr. von Heppe, Leiter der Hochschulabteilung der Schulbehörde der Hansestadt Hamburg, am 24. Juli 1950, PAAA, B 90. Siehe hierzu auch Kapitel 2.4.2.3. 190 Vgl. z. B. die Akte der Goethe-Gesellschaft São Paulo, PAAA, B 90, Bd. 26-3. 191 Am 9. August 1951 fand in München die Gründungssitzung des „Goethe e. V. zur Fortbildung ausländischer Deutschlehrer“ statt. 1953 wurde in Athen das erste Auslandsinstitut eingerichtet, dem 1955 Dozenturen in Bangkok, Beirut, Damaskus und Sevilla folgten. Vgl. Thoma, Richard: 50 Jahre Goethe-Institut, Chronologie anlässlich einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, 2001, veröffentlicht unter: www.dhm.de/ausstellungen/goethe/r7.htm. 192 Vgl. Fouquet, Karl: Brasilien und Deutschland, Einige Bemerkungen im Hinblick auf das Hans-Staden-Institut. In: Staden-Jahrbuch (São Paulo), Bd. 11/12, 1963/64, S. 151. 193 Vgl. ebd. Von anfänglichen Schwierigkeiten mit den Sprachkursen der GoetheDozentur ist bei Turelli zu erfahren, dessen Redemanuskript vom 25. 6. 1959 von „schweren Einbussen“ im Vorjahr spricht. Vgl. Turelli, Hamilcar: Ansprache, gehalten von Dr. Turelli am 25. 6. 1959. Archiv des Martius-Staden-Instituts, Mappe Fouquet, privat I. Am 23. August 1963 eröffnete die „Casa de Goethe“ ihren Sitz in der Rua Augusta, 1470, deren ab 1964 geführter Briefkopf „Casa de Goethe – Dozentur des Goethe-Instituts München am Instituto Hans Staden São Paulo, Centro Cultural Brasil Alemanha“ die enge Verbindung zwischen Goethe-Institut und Staden-Institut zeigt. Vgl. Schreiben von Dieter Braun an den Präsidenten des Hans-Staden-Instituts Hamilcar Turelli am 26. Juni 1964. Martius-Staden-Institut, ohne Signatur. 1970
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nicht das Hans-Staden-Institut darin aufgehen könnte, doch zog man vor, ein neues Institut aufzubauen, und nicht an eine bestehende Einrichtung mit eigener Vergangenheit anzuknüpfen.194 An diesem Fall zeigt sich die Besonderheit Brasiliens und vor allem São Paulos: Während in vielen Städten und Ländern der Welt bundesdeutsche Kulturinstitute, d. h. Goethe-Institute, weitgehend unbefangen aufgebaut werden konnten, berücksichtigte man bei der Planung in Brasilien die heterogene „deutsche Kultur“, die einen besonders sensiblen Umgang erforderte.195 lösten sich die beiden Institute endgültig voneinander. Vgl. die Statuten des GoetheInstituts: Instituto Goethe, Centro Cultural Brasil-Alemanha, Registrado em 29 de outubro de 1970 no Cartório do 2o Ofício de Registro de Títulos e Documentos da Capital de São Paulo, sob no 9684, Martius-Staden-Institut, ohne Signatur. 194 Das Hans-Staden-Institut, anfangs Hans-Staden-Verein genannt und 1938 als HansStaden-Gesellschaft neu gegründet, konnte mit unterstützender Hilfe der NSRegierung, die dem Leiter zukam, bestehen: „Dr. Fouquet selber wurde allerdings bis zum Kriegseintritt Brasiliens im August 1942 aus deutschen Kassen besoldet.“ Vgl. Tiemann, Joachim: Das Martius-Staden-Institut, Geschichte und Gegenwart. In: Martius-Staden-Jahrbuch (São Paulo), Bd. 52, 2005, S. 233–250, dort: S. 238. Dieser Jahrbuchbeitrag des ehemaligen Schulleiters und langjährigen Leiters des Archivs im Staden-Institut ist die bislang ausführlichste Darstellung der Geschichte dieser Institution. 195 Interessant wäre als Ergänzung zu den aufgeführten Kulturmittlern auch die Situation der deutschen Schulen im Brasilien der 50er Jahre zu untersuchen, da auch sie einen Einblick in das kulturelle Leben im Lande und der Stadt São Paulo gewähren. Die wechselvolle und lange Geschichte der deutschen Schulen in Brasilien jedoch scheint an dieser Stelle zu umfangreich und bedarf einer detaillierteren, separat zu behandelnden Studie. Es sei hier lediglich darauf hingewiesen, dass die HauptSchule der deutschen Lehrstätten im Bundesstaat São Paulo, die als „Olinda-Schule“ bekannt gewordene Escola Alemã, die starke Präsenz deutschsprechender Menschen in São Paulo widerspiegelt und damals schon eine kontinuierliche Arbeit der bundesdeutschen Botschaft forderte. Die „Olinda-Schule“ befand sich in der Rua Olinda und ist die Vorläuferin des heutigen Colégio Visconde de Porto Seguro, einer deutsch-brasilianischen Begegnungsschule mit etwa 10 000 Schülern und der Möglichkeit zur Belegung des bilingualen Zuges (Deutsch und Portugiesisch), der zum Abitur führt. Einen historischen Überblick über die deutschen Schulen in Brasilien bietet ein am 18. März 2008 bei der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft e. V. in Bonn gehaltener Vortrag: Tiemann, Joachim: Deutsche Schulen in Brasilien im Rahmen des brasilianischen Bildungssystems. Veröffentlicht auf der Website der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft: www.topicos.net/fileadmin/pdf/Tiemann.pdf.
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Bildung, Erziehung, Wissenschaft waren von Anfang an stark berücksichtigte kulturelle Bereiche, in denen sich die bundesdeutsche Botschaft in Rio de Janeiro in Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes engagierte. Wie die Ausführungen zeigten, handelte sie dabei oft reaktiv und weniger initiativ, was sich in dieser Anfangsphase und dank der deutschen Kulturschaffenden vor Ort als der sinnvollere und einfachere Weg darstellte. Es zeugt aber eben auch vom Fehlen von Prämissen, die erst noch entwickelt werden mussten. Im Bereich der Bildenden Kunst war es zunächst nur die Biennale São Paulo, bei der sich die bundesdeutschen Vertretungen in Brasilien in starkem Maße und in regelmäßiger Abfolge beteiligten.
2.5 Z WISCHENERGEBNIS : D IE I. B IENNALE IM Z USAMMENHANG MIT DER BUNDESDEUTSCHEN V ERTRETUNG IN B RASILIEN Wie zu Beginn dieses Kapitels bereits beschrieben, ging die offizielle Einladung des die I. Biennale ausrichtende Museu de Arte Moderna an den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, doch wurde die Angelegenheit nach einer positiven Bewertung an das Kulturreferat der Verbindungsstelle des Bundeskanzleramtes zur Alliierten Kommission weitergegeben, die zusammen mit der Botschaft in Rio de Janeiro den administrativen Teil der Realisierung des bundesdeutschen Beitrages regelte. Für die inhaltliche Zusammenstellung des Beitrages wurde ein Experte hinzugerufen, der damals in München tätige Kunsthistoriker Ludwig Grote. Für die noch junge Botschaft in Rio de Janeiro war die Biennale São Paulo eines der ersten kulturellen Ereignisse, an denen sie sich aktiv beteiligte. Neben ihrer verwaltungs- und zolltechnischen Einbindung gab es mit der Anwesenheit des Botschafters bei der Eröffnung den ersten offiziellen, persönlichen Kontakt Deutschlands mit der Biennale, denn weder die aus der Bundesrepublik teilnehmenden Künstler noch der Kurator Grote konnten eine Reise nach São Paulo antreten. Gleichzeitig war es die erste Reise des Botschafters Oellers nach São Paulo. Oellers erhielt vom brasilianischen Außenminister Fontoura ein Telegramm mit der Einladung zur Eröffnung der I. Biennale, die am 20. Oktober in den Ausstellungsräumen stattfinden sollte. Dazu sei für den 19. Oktober ein Sonderzug bereitgestellt worden, der die Missionschefs auch der anderen an der Bien-
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nale teilnehmenden Staaten von Rio de Janeiro nach São Paulo bringen sollte.196 Der Botschafter, der im Rahmen seiner nun zahlreich anstehenden Informationsreisen durch Brasilien bereits mit der Regierung São Paulos in Kontakt gestanden hatte, um seinen Staatsbesuch vorzubereiten, nahm die Verschiebung desselben auf das Jahresende zum Anlass, die von ihm als dringlich empfundene Reise nach São Paulo anlässlich der Biennale wahrzunehmen. Er untermauert seine Entscheidung mit dem Hinweis, dass selbst Staatspräsident Vargas zur Eröffnung erwartet würde, der Gouverneur São Paulos sowie die Botschafter anderer Vertretungen. Es sei zudem für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er „als deutscher Botschafter an einer repraesentativen Kunstausstellung, bei der Deutschland massgebend vertreten ist, teilnehme, […].“197 Und so war die Eröffnung der I. Biennale São Paulo Anlass für die erste innerbrasilianische Reise eines deutschen Botschafters nach dem Zweiten Weltkrieg, die durchaus offiziellen Charakter hatte, wenn auch nicht den eines Staatsbesuches. Bedauerlicherweise ist kein Bericht erhalten, den Oellers sicherlich nach dem Biennale-Besuch angefertigt hatte. Doch erwähnte er bei seinem späteren, nunmehr offiziellen Staatsbesuch bei der Regierung São Paulos, dass er die Stadt bereits besucht habe, als er der Vernissage der I. Biennale beiwohnte. Er teilte den anwesenden Politikern mit, dass ihn die Biennale stärkstens beeindruckt habe und ihm „auf überzeugende Art das künstlerische Wollen dieser mächtig aufstrebenden Stadt vermittelt[e].“198 Auch in einem Interview mit der Paulistaner Zeitung „A Gazeta“ während derselben Reise nennt er als erstes die Biennale des Museu de Arte Moderna, bei der Deutschland vertreten sei und die die wie196 Vgl. Anlage 1 zum Bericht von Oellers an das Auswärtige Amt am 9. Oktober 1951, die den Text der per Telegramm (ohne Datum) ausgesprochenen Einladung von Aussenminister J. N. da Fontoura an Botschafter Oellers in der deutschen Übersetzung wiedergibt: „Es freut mich, E. Exzellenz auf Bitten des Museu de Arte Moderna de São Paulo die Einladung zu übermitteln, mit Ihrer Gattin der Einweihung der ersten Biennale, die in São Paulo stattfindet, im Edifício Trianon an der Avenida Paulista, beizuwohnen. (Ich bitte um Bestaetigung) durch Telegramm an den Chef des Protokolls des Itamaratí bis zum 16., damit der am 19. aus Rio abfahrende Sonderzug bereitgestellt und die uebrigen Feierlichkeiten, die aus diesem Anlass in der Bandeirante-Stadt (São Paulo) stattfinden, vorbereitet werden koennen.“ PAAA, B 11, 325-2. 197 Vgl. Bericht von Oellers an das Auswärtige Amt am 9. Oktober 1951, PAAA, B 11, Bd. 325-2. 198 Vgl. Rede des Botschafters Oellers vor der Regierung des Bundesstaates São Paulo im Dezember 1951 (Anlage III des Berichtes von Botschafter Oellers an das Auswärtige Amt vom 2. Januar 1952), PAAA, B 11, Bd. 325-2.
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deraufgenommenen kulturellen Bindungen zwischen den beiden Nationen bezeugte.199 Oellers erkannte die Bedeutung der Biennale als Plattform für weiterführende persönliche Kontakte. Die Tatsache, dass der Außenminister Brasiliens zur Eröffnung eingeladen hatte und der Gouverneur ebenfalls seine Anwesenheit versprach, um bei dieser Gelegenheit das weitere Vorgehen hinsichtlich des anstehenden Staatsbesuches zu besprechen, demonstriert das auf internationale Wirkung ausgerichtete, an die Diplomatie gebundene Interesse der Biennale. Francisco Matarazzo Sobrinho bedankte sich noch im November für das große Verständnis, das der Botschafter von Anfang an der Biennale entgegenbrachte und das er als ein Faktor der Annäherung der beiden Länder verstanden wissen wollte.200 Im Nachklang dieses ersten Kontaktes im Rahmen der I. Biennale wurde der Botschafter schließlich gebeten, dem „Ehrenrat der staatlichen Kommission für die Teilnahme an den Gedenkfeierlichkeiten anläßlich des 400-jährigen Bestehens der Stadt Sao Paulo“ beizutreten, deren Beginn für den 25. Januar 1954 in São Paulo geplant war.201 Der Botschafter nahm diese Einladung des brasilianischen Außenministeriums an, wobei er sich des Ausmaßes der geplanten Feierlichkeiten bewusst war, in die die II. Biennale fallen würde sowie eine ganze Reihe von Ausstellungen und internationalen Veranstaltungen, die die Stadt São Paulo gebührend ins Licht setzen sollten.
199 Vgl. N.N.: Brasil e Alemanha, Renovam-se, mais vigorosos e mais expressivos, os laços que unem os dois paises. In: A Gazeta (São Paulo), 13. 12. 1951, Archiv des Martius-Staden-Instituts, N I, Nr. 157/8. Siehe Bild-Anhang. 200 Vgl. Brief vom 23. November 1951 von Francisco Matarazzo Sobrinho an Oellers. Der Botschafter antwortete dem Präsidenten des Museums am 7. Dezember 1951 und beteuerte ebenfalls die Bedeutung der Biennale im Sinne der Völkerverständigung, AHWS/FBSP. 201 Vgl. Kapitel 2.4.2.3 und Bericht des Botschafters an das AA am 10. Dezember 1951, PAAA, B 90, Bd. 26-2.
3 Die Biennale São Paulo
Das vorherige Kapitel umreißt den kultur- und außenpolitischen Hintergrund der Zeit, vor dem die Biennale São Paulo entstand. Trotz der Provinzialität, die in São Paulo von vielen Neuankömmlingen noch in den 40er Jahren empfunden wurde,1 herrschte in den künstlerischen Kreisen ein gewisses internationales und multikulturelles Klima, das sich beispielsweise dem Modernismus verdankte sowie den jüngst zugezogenen Künstlern und Intellektuellen, und das eine internationale Veranstaltung wie die Bienal Internacional de São Paulo förderte.
3.1 I NSTITUTION
UND
F UNKTION
DER
B IENNALE
Die Biennale São Paulo wurde zunächst als eine Veranstaltung des Museu de Arte Moderna de São Paulo (MAM) ins Leben gerufen, die zehn Jahre später in eine Stiftung und somit unabhängige Körperschaft umgewandelt wurde. Ursprünglich hatte die Leitung des MAM2 alle zwei Jahre ausländische Regie-
1
Vgl. z. B. Brill, A. 1984, S. 190 f. Alice Brill beschreibt in diesem Kapitel die Divergenz zwischen dem Paulistaner Klima in der ersten Hälfte der 40er Jahre, das geprägt war von einem provinziellen und friedlichen Leben, und der Bewegung, die in die moderne Kunst gekommen ist: „Mit der Entstehung der Biennalen hat die Modernisierung der künstlerischen Tendenzen in Brasilien für die Künstler vor Ort sowie für das unvorbereitete Umfeld einen gewaltigen und traumatischen Aspekt angenommen.“ Vgl. ebd. Orig.: „Com a emergência das bienais, a atualização das tendências artísticas no Brasil tomou um aspecto violento e traumatisante para os artistas locais e para um ambiente despreparado.“
2
Zwischen der Museumsleitung und der Biennale-Leitung gibt es bei den ersten Biennalen noch keinen Unterschied, da die ersten Biennalen vom Museu de Arte Moderna
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rungen eingeladen, Künstler aus dem eigenen Land in der brasilianischen Metropole vorzustellen, was seit der organisatorischen Trennung 1961 die BiennaleLeitung vornimmt. In der Regel begleiten Sonderausstellungen diese internationale Schau zeitgenössischer Kunst, die häufig retrospektiv oder ausgesprochen kunsthistorisch konzipiert sind. Schon seit der I. Biennale wurden mehrere parallele Veranstaltungen in der Bildenden Kunst verwandten Bereichen organisiert, aus denen im Laufe der Zeit eigene Biennalen erwachsen sind. Zu nennen ist hier vor allem die Architekturbiennale, die in der Regel im Wechsel mit der Kunstbiennale stattfindet, aber auch eine Film-, Musik- sowie seit 1957 eine Theaterbiennale. 3.1.1 Funktion Zwei Hauptaufgaben wurden der Biennale offiziell gestellt und im Vorwort des ersten Kataloges abgedruckt: „Die moderne Kunst Brasiliens möge nicht nur einfach mit der Kunst aus der restlichen Welt konfrontiert werden, sondern auch in einen lebhaften Kontakt mit ihr kommen. Gleichzeitig möge sich die Stadt die Stellung des ‚künstlerischen Mittelpunktes‘ erobern.“3 Francisco Matarazzo Sobrinho, Hauptinitiator und langjähriger Präsident der Biennale, spricht in einem Rückblick auf zwanzig Jahre Biennale-Geschichte von der Präsentation des „Neuesten, das es [in den Ländern] gibt.“ Allerdings ist diese Option nicht explizit als Bedingung in einer der regulamentos4 verankert und in der realen Ausführung auch nicht immer erfüllt, doch ist es ein Grundgedanke, der von Anfang an erkennbar ist und in den einzelnen Biennalen dominiert. Seit der Unterzeichnung der ersten Satzung im Dezember 19505 legen alle folgenden hauptsächlich formelle Angaben wie Teilnahmebedingungen oder (MAM) durchgeführt wurden. Diese beiden Begriffe werden demnach – soweit nicht anders angegeben – weiterhin synonym verwendet. 3
Übertragung ins Deutsche durch die Verf., im Original: „[…] duas tarefas principais: colocar a arte moderna no Brasil, não em simples confronto, mas em vivo contato com a arte do resto do mundo, ao mesmo tempo que para São Paulo se buscaria conquistar a posição de centro artístico mundial.“ Vgl. I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951, S. 15.
4
Die Satzung jeder Biennale ist im dazugehörigen Katalog als regulamentos abgedruckt.
5
Es unterzeichneten der Präsident und Lourival Gomes Machado als Nachfolger des Franzosen Léon Degand im Amt des Museumsdirektors. Vgl. I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951, S. 27.
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Auszeichnungsmodi fest. Änderungen der Satzung wurden im Laufe der Jahre mehrfach vorgenommen, doch ist sie in ihrer groben Struktur dieselbe geblieben. Grundlegende Änderungen hatten meist nur für den Zeitraum einer Biennale lang Bestand. Die Biennale hatte aber noch eine weitere Funktion, die selten in historischen Darstellungen und Zeitdokumenten erwähnt wird: Sie sollte die Kunstwerke auch zum Zwecke des Verkaufs ausstellen. Verkaufslisten im Archiv der Biennale zeigen, dass davon auch ausreichend Gebrauch gemacht wurde. Museen und Sammler reservierten und verhandelten mit einem eigens für diese merkantile Aufgabe beauftragten Mitarbeiter der Biennale,6 die laut erster Satzung fünf Prozent Vermittlungsgebühr vom vorab festzulegenden Nettobetrag einbehielt.7 Insgesamt ist der Kunstmarkt durch die Biennale stark angekurbelt worden, wie der brasilianische Sozialwissenschaftler Durand spätestens für die Periode zwischen 1951 und 1963 festhielt.8 3.1.2 Organisationsstruktur Anhand der wichtigsten Verantwortungsbereiche in der institutionellen Leitung sowie der Kuratierung wird im Folgenden der strukturelle Aufbau der Biennale beschrieben, der bis heute wenige Veränderungen erfahren hat. Diese gab es im Wesentlichen bei den Prämierungen, die aus diesem Grund im Rückblick beschrieben werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Auswahlverfahren, das sowohl auf internationaler als auch exkursiv auf nationaler – in diesem Fall deutscher – Ebene behandelt wird. 3.1.2.1 Das Präsidentenamt Die Organisationsstruktur hat sich von der Gründungszeit bis in die Gegenwart insofern verändert, als die Biennale anfangs noch zum Museu de Arte Moderna gehörte und ihre Geschicke in den ersten zweieinhalben Jahrzehnten wesentlich von Francisco Matarazzo Sobrinho, dem Präsidenten des MAM und der Biennale, gelenkt wurden. Heute verfügt die Biennale über eine eigene Verwaltung, und der Einfluss einer einzelnen Person auf die künstlerische Auswahl geht mehr
6
Vgl. Mappe 1/17 „vendas obras“ im AHWS/FBSP.
7
Vgl. Katalog Biennale I 1951, S. 26 unter Punkt 10. Später, z. B. 1981, verlangte die Biennale sogar fünfzehn Prozent des Verkaufspreises. Vgl. Regulamento da XVI Bienal de São Paulo. In: Katalog Biennale XVI 1981, S. 23.
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Durand, José Carlos: Expansão do Mercado de Arte em São Paulo – 1960–1980. In: Miceli, Sergio: Estado e Cultura no Brasil, São Paulo, 1984, S. 173–207, dort: S. 182.
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vom Kurator als vom Präsidenten aus.9 In ihrer Grundstruktur blieb sie dennoch gleich, denn sie sieht nach wie vor einen Präsidenten an ihrer Spitze vor, der die Biennale nach außen hin vertritt. 3.1.2.2 Die Kuratierung Für die Organisation der Ausstellung selbst ist ein Kurator verantwortlich, dessen Position bislang eine Persönlichkeit aus einem Museum oder der Kunstwissenschaft in Brasilien einnahm.10 Dieser Hauptkurator gibt den Rahmen für die gesamte Biennale vor, wie beispielsweise ein übergeordnetes Thema, und entscheidet über Kooperationen oder Sonderausstellungen, die parallel zur internationalen Schau realisiert werden. In der Regel erfüllt er diese Aufgabe für zwei Biennalen in Folge. 3.1.2.3 Die Kommissare Die internationalen Beiträge hingegen, die im Grundverständnis der Biennale São Paulo den Kern der Biennale darstellen, werden von der jeweiligen Staatsregierung beziehungsweise von einem in ihrem Namen handelnden Kommissar ausgewählt, der meist Kunsthistoriker, Kunstvermittler, Ausstellungsmacher oder aufgrund seiner praktischen Erfahrung Experte auf dem Gebiet der Kunst ist. Die Beiträge werden aus den einzelnen Teilnehmerstaaten nach São Paulo gebracht, um dort mit den anderen Beiträgen zu einer Gesamtschau zusammengefügt zu werden. Zuweilen handelt es sich dabei um separate und allein funktionierende Ausstellungen, die in einzelnen Fällen später noch einmal an einem anderen Ort aufgebaut werden. Wie die Hauptkuratoren bekleiden die Kommissare ihr Amt meist auch zweimal hintereinander. Dieses kommissarische System resultiert aus den Weltausstellungen, nach deren Prinzip schon spätestens seit 1912 die Biennale Venedig funktionierte,11 welche der Biennale São Paulo in
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Francisco Matarazzo Sobrinho zog sich 1975 langsam von der Biennale zurück und starb am 16. April 1977. Erster Nachfolger im Präsidentenamt der Biennale desselben Jahres wurde Oscar P. Landemann.
10 Dieses Amt wurde bislang stets von einer Person brasilianischer Herkunft bekleidet. Zum ersten Mal wurde für die XXV. Biennale ein ausländischer Kurator ernannt: Alfons Hug vom Goethe-Institut. Er kuratierte diese sowie die darauffolgende im Jahr 2004. 11 Eine kurze Entwicklungsgeschichte des Kommissarenamtes unternimmt Annette Lagler in ihrer Dissertation: Lagler, Annette: Biennale Venedig. Der Deutsche Beitrag und seine Theorie in der Chronologie von Zusammenkunft und Abgrenzung. Dissertation, Aachen 1992, S. 101–134.
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wesentlichen Merkmalen zum Vorbild wurde.12 Die zwischenstaatliche Organisation der Universalausstellungen verlief wie später bei den Biennalen in Venedig und São Paulo auf diplomatischer Ebene mit beauftragten Kommissaren, und die eingeladenen Regierungen beziehungsweise Institutionen sollten ihren Beitrag „ad libitum“13 und ohne Mitsprache der Biennale organisieren. „Der einzige interessante Grund, warum meine Vorgänger, Nachfolger und ich selbst dieses Amt überhaupt übernommen haben – es ist ja ein Ehrenamt, das viel Zeit kostet – ist doch der, daß man allein, ohne Komitee und Genehmigungsausschüsse eine Ausstellungskonzeption verwirklichen kann […]“,14 wie Eduard Trier 1966 in Bezug auf seine kommissarische Tätigkeit bei der Biennale Venedig betont, was auf die Situation in São Paulo übertragbar ist. Durch diese Eigenverantwortlichkeit der Kommissare und insbesondere der Teilnehmerländer erhält die Kunst eine Repräsentationsfunktion, wie sie es in keiner von zentraler Stelle organisierten internationalen Ausstellung haben kann. Diese Funktion wird von der Tatsache, dass sie Gegenstand der zur internationalen Verständigung geführten Auswärtigen Kulturpolitik ist, noch verstärkt. Kritiker sehen darin oft eine Plattform der „Kulturdiplomatie“. Diese muss sich nicht immer in derart direkter Weise wie die sowjetischen Beiträge zur Biennale 1961 und 1963 gestalten,15 die von 12 Mit der 1851 in London veranstalteten Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations begann die bis ins 20. Jahrhundert anhaltende Tradition der Universalausstellungen, in denen die einzelnen Länder Innovationen auf dem Gebiet der Industrie und des Kunsthandwerks, aber auch Besonderheiten aus den Kolonialgebieten im friedlichen Wettstreit präsentierten. Heute leben diese Leistungsschauen in den modernen Weltausstellungen fort – beispielsweise im Jahr 2000 mit der Expo Hannover, die vom Bureau International des Expositions (B.I.E.) in Paris organisiert werden. Das B.I.E. konstituierte sich 1931 auf der bereits 1928 geschaffenen informellen Basis durch eine diplomatische Konvention. Seine Aufgabe ist es, als unabhängiges Organ und in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten die Weltausstellungen zu reglementieren. Vgl. Allwood, John: The Great Exhibitions, London 1977, S. 179; Haltern, Lutz: Die Londoner Weltausstellung von 1851, Münster 1971 und Kretschmer, Winfried: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt am Main/New York 1999. Zum Weltausstellungsgedanken und zum Vorbild Biennale Venedig vgl. Kapitel 3.2 bis 3.3. 13 Vgl. Lourival Gomes Machado im Vorwort des ersten Biennale-Kataloges: I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951, S. 18. 14 Vgl. N.N.: Gespräch über die Biennale von Venedig mit Eduard Trier. Artis 6/1966, S. 15. Zitiert bei Lagler, Annette: Biennale Venedig. Der deutsche Pavillon 1948– 1988. In: Jahresring 36/1989, S. 78–133, dort: S. 89. 15 1961 waren die UdSSR und andere Länder des ehemaligen Ostblocks, darunter Bulgarien, Ungarn und Rumänien, erstmals bei der Biennale São Paulo vertreten. Die Ein-
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der damaligen Kritik als staatskonform und wenig innovativ bewertet wurden; dennoch gilt sie immer dort, wo Inhaber von politischen Ämtern ein Mitspracherecht erhalten. Wäre die Biennale zentral wie die documenta in Kassel oder von themen- oder regionengebundenen Kuratoren wie in Südafrika oder Korea organisiert, so könnte man die staatliche Instrumentalisierung der Kunst zu Repräsentationszwecken verhindern oder zumindest deutlich eindämmen. In den Anfangsjahren der Biennale São Paulo waren „diplomatische Auswahlverfahren“ noch üblicher, wie aus Pfeiffers Aussage zu schließen ist: „Im internationalen Sektor waren die Kommissare bald keine Politiker mehr, sondern Fachleute, wie etwa Museumsdirektoren.“16 3.1.2.4 Das Auswahlverfahren Das kommissarische System sieht demnach vor, dass die Auswahl der Kunst beziehungsweise der Künstler nicht durch die Biennale-Organisatoren vorgenommen wird, sondern in der Verantwortung von Außenstehenden liegt. Dennoch gab es bereits bei der I. Biennale die Möglichkeit, als Künstler teilzunehmen, ohne zu einem der Länderbeiträge zu gehören. Dieses Prinzip der länderunabhängigen Teilnahme setzt sich in abgewandelten Formen bis zu den jüngeren Biennalen in São Paulo fort, wobei es anfänglich durch Bewerbungen der Künstler gegeben war, später überwiegend durch thematische Ausstellungen. drücke beispielsweise des Kulturbeauftragten der Panamerikanischen Union in Washington, Gómez-Sicre, der sowjetische Beitrag 1961 würde den Staat „aufs grundsätzlichste repräsentieren“, und der Kritikerin Eva Fernandez zwei Jahre später, der sowjetische Beitrag sei eine staatskonforme und wenig innovative Auswahl, legen unter Miteinbeziehung später erschienener Literatur über (sowjet-)russische Kunst des 20. Jahrhunderts eine Bestätigung nahe. Beispielsweise wird im Ausstellungskatalog der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf 1991 hervorgehoben, was nach der Russischen Revolution bis in die achtziger Jahre verboten war. Die darin aufgenommenen Namen stimmen mit denen der Künstler aus dem sowjetischen Beitrag bei der Biennale, der ausschließlich mit Arbeiten aus staatlichen Museen bestückt wurde, nicht überein. Vgl. Sicre, José Gómez: Five Miles of Art. The Sixth São Paulo Biennial. In: Américas (Washington D.C.), vol. 14, Heft 1, 1962, S. 4–9, dort: S. 5; Fernandez, Eva: A Bienal de São Paulo – 1963. In: Revista brasiliense (São Paulo), Heft 50, 1963, S. 31– 44, dort: S. 41; Flaker, Alexander: Nach dem Normativismus. Anmerkungen eines Literaturwissenschaftlers. In: Harten, Jürgen (Hg.): Sowjetische Kunst um 1900, Katalog Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Köln 1991, S. 22–30. Außerdem: VII bienal de são paulo, Katalog Fundação Bienal de São Paulo 1963, S. 387–390. 16 Vgl. Tirapeli, Percival: Wolfgang Pfeiffer e a Bienal Internacional de São Paulo. In: ARTEunesp (São Paulo), 11. Jahrgang, 1995, S. 165–175, dort: S. 172.
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Für die I. Biennale wurde eine Jury zusammengestellt, deren Aufgabe es war, die „spontan eingereichten“17 Arbeiten zu prüfen und unter ihnen die Besten auszuwählen. Die fünfköpfige Kommission bestand bei der I. Biennale aus vier unabhängigen Künstlern und Kritikern sowie dem Gründer des Museums und der Biennale, Francisco Matarazzo Sobrinho.18 Die Nominierung erfolgte auf Vorschlag, was aus einem Konvolut von Wahlzetteln hervorgeht. Künstler und andere Personen aus dem brasilianischen Kunstbetrieb hatten die Gelegenheit, Vorschläge abzugeben, die Almir Mavignier beispielsweise mit der Nennung von Mario Pedrosa und Geraldo Ferraz wahrnahm.19 Die Bewerbung wurde bei der I. Biennale hauptsächlich von brasilianischen Künstlern wahrgenommen, doch zeigt die an späterer Stelle beschriebene Begebenheit mit dem Schweizer Max Bill, dass auch Ausländer von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. In Venedig war es zunächst so, dass die ersten deutschen Ausstellungsbeiträge von einem italienischem Komitee organisiert wurden, das Abgesandte nach Deutschland schickte, um dort mit Vertretern von Künstlerverbänden einen Beitrag zusammenzustellen, der am Ende vom Generalsekretär der Biennale genehmigt werden musste. Erst 1912 trafen erstmals zwei, ab 1920 ein alleinverantwortlicher Kommissar die Auswahl. 1972 übertrug das Auswärtige Amt diese Aufgabe, die zwischendurch vom Deutschen Kunstrat ausgeführt wurde, wie auch im Falle São Paulo an das Institut für Auslandsbeziehungen.20 2006 hat die Biennale São Paulo dieses kommissarische System erstmals aufgebrochen, um, höchstens mit Unterstützung der bisherigen Teilnehmerländer, eine alleinige Auswahl zu treffen. Die Intention dabei war, die nationale Repräsentationsfunktion aufzuheben.21
17 Vgl. Lourival Gomes Machado im Vorwort des ersten Biennale-Kataloges: I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951, S. 17. 18 Die Jurymitglieder waren Tomaz Santa Rosa, Qurino Campofiorito, Clovis Graciano, Luiz Martins und Francisco Matarazzo Sobrinho. 19 Vgl. Wahlzettel in portugiesischer und italienischer Sprache im AHWS/FBSP. 20 Vgl. Lagler, A. 1992, S. 101–134. Zur deutschen Beteiligung an der Biennale Venedig siehe auch Zeller, Ursula/Institut für Auslandsbeziehungen (Hg.): Die deutschen Beiträge zur Biennale Venedig 1895–2007, Köln 2007. 21 Vgl. z. B. Lisette Lagnado, Kuratorin der Biennale 2006, in ihrem Vorwort zu 27a Bienal de São Paulo, Como viver junto, Material Educativo, Fundação Bienal de São Paulo, 2006, S. 7.
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3.1.2.5 Auszeichnungen und Prämierungen In den Anfangsjahren der Biennale gab es eine große Anzahl von Preisen, die im Rahmen einer Feierlichkeit während der Biennale-Laufzeit verliehen wurden. Häufig handelte es sich um Stifterpreise, um die die Biennale- beziehungsweise die Museumsleitung bei der Industrie oder bei wohlhabenden Bürgern gebeten hatte. Eine Fachjury, die sich in ihrer Zusammensetzung von der Auswahljury unterschied, ermittelte die Preisträger. Als höchste Auszeichnung wurden anfangs vier Grande Prêmios vergeben. Wie bei den meisten anderen Preisen wurde auch bei diesen vier zwischen internationalem und brasilianischem Wettstreit unterschieden. Es gingen zwei Große Preise an ausländische Künstler und zwei an brasilianische. Dabei wurde zwischen den Gattungen scharf getrennt und jeweils ein Großer Preis für Malerei und Skulptur eingerichtet.22 Für Grafik gab es niedriger dotierte Preise, wobei etwa Fotografie, Illustration separat behandelt wurden. Mit der allmählichen Verwischung der Gattungsgrenzen in der Gegenwartskunst hob man die entsprechende Unterteilung der Preise im Jahre 1967 schließlich auf, und 1979 stellte die Biennale die Prämierung vollständig ein. Bei der I. Biennale wurden rund 50 Preise vergeben. Es handelte sich überwiegend um Geldprämien, darüber hinaus um Sachpreise zum Beispiel in Form von Kunstwerken, Reisen oder Stipendien.23 Bereits im Januar 1951 begann Francisco Matarazzo Sobrinho bei der brasilianischen Wirtschaft und vermögen22 Bei der I. Biennale erhielten einen Grande Prêmio, der mit jeweils 100 000 Cruzeiros dotiert war: Roger Chastel (Malerei, international), Danilo di Prete (Malerei, Brasilien), Max Bill (Bildhauerei, international), Victor Brecheret (Bildhauerei, Brasilien). Zum Thema „Preise“ sind zahlreiche Dokumente erhalten, die nah beieinander liegende Daten aufweisen, aber zum Teil abweichende Angaben zur Preisbezeichnung und Höhe enthalten. Es ist anzunehmen, dass manche Stifter sich kurzfristig festgelegt haben. Letztlich gültig jedoch ist das Protokoll der Jurysitzung, unterschrieben von den elf Jurymitgliedern: Emile Langui, Eric Newton, Jan van As, Jacques Lassaigne, Jorge Romero Brest, Marco Valsecchi, René d’Harnoncourt, Wolfgang Pfeiffer, Sergio Milliet, Tomas Santa Rosa, Lourival Gomes Machado (Kommissionsvorsitzender). Vgl. Sitzungsprotokoll vom 22. Oktober 1951, Museu de Arte Moderna, AHWS/FBSP. 23 Für die anderen Sparten galten veränderte Regeln. Kunstwerke als Preise wurden bei der I. Biennale nur dort vergeben. So hat man dem aus Deutschland kommenden Preisträger des Festival Internacional de Cinema do MAM eine Victor-BrecheretSkulptur zukommen lassen. Vgl. Schreiben von Wolfgang Pfeiffer an die Bank Banco do Brasil am 13. März 1952 zur Klärung von Überweisungsmodalitäten, AHWS/ FBSP.
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den Privatleuten um die Stiftung von Preisen für die Biennale anzufragen. Der vorläufige Stand über die zu vergebenden Preise wurde bereits im Frühjahr 1951, im sogenannten Boletim no. 1, das das MAM von nun an in unregelmäßigen Abständen herausgab, abgedruckt. Damit betrieb das MAM Werbung für die Biennale im Allgemeinen, beabsichtigte aber gleichermaßen, damit weitere potenzielle Stifter anzusprechen. Zum Teil wurde von Stifterseite ausdrücklich um die Nennung des Firmennamens im Zusammenhang mit dem zur Verfügung gestellten Preis gebeten, was auf die weitere Funktion der Preise als Prestigeobjekte und als Werbung für die Stifter hinweist.24 Zuweilen entstand ein gewisser Wettbewerb zwischen den Firmen, der von der Biennale beziehungsweise der Museumsleitung sicherlich nicht ganz unbeabsichtigt forciert und angeregt wurde. So heftete Francisco Matarazzo Sobrinho einem Dankesschreiben an eine Paulistaner Firma für die Bereitstellung eines Prämiengeldes in der Höhe von 30 000 Cruzeiros sein Schreiben an die Konkurrenzfirma an, in dem er dieser für die Zusage eines Preisgeldes über 50 000 dankte.25 Die Paulistaner Firma bat er zu prüfen, ob sie nicht nachziehen könne. In diesem Fall ließ sich die erste Firma auf den Wettbewerb nicht ein mit dem Hinweis, dass es leider nicht möglich sei, einen höheren Betrag zur Verfügung zu stellen. In anderen Fällen versuchten Konkurrenzfirmen, sich gegenseitig zu übertrumpfen, indem sie einen großzügigeren Beitrag leisteten. Neben den privaten Stiftern aus der Industrie beteiligten sich auch kulturelle Einrichtungen, wie die Stiftung Pró-Arte in Rio de Janeiro.26 Zur I. Biennale bot Pró-Arte drei Stipendien an, die möglichst jungen Künstlern vorbehalten bleiben
24 Vgl. z. B. Brief von Companhia de Seguros da Bahia vom 27. 10. 1950, AHWS/FBSP. 25 Vgl. Briefwechsel zwischen Francisco Matarazzo Sobrinho und Equitativa: Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho am 25. Juli 1950 und Antwort-Brief von Equivativa am 9. August 1950, AHWS/FBSP. 26 Zur Stiftung Pró-Arte vgl. Ausführungen zu den deutschen Körperschaften in Kapitel 2. Die Stiftung Pró-Arte ist nicht zu verwechseln mit der Sociedade Pró-Arte Moderna (SPAM), die sich Anfang November 1932 in São Paulo konstituierte. Diese Künstlergruppe machte es sich zur Aufgabe – ähnlich wie Heuberger in Rio – Ausstellungen zu organisieren, mit eigenen Arbeiten, aber auch mit Werken international bekannter Künstler. Zu den Gründungsmitgliedern dieser Künstlergruppe gehörten beispielsweise die Sammlerin Olívia Guedes Penteado, der nach São Paulo immigrierte Maler Lasar Segall und der Architekt aus Odessa, Gregori Warchavchik. Vgl. Andrade, Mario de: Sociedade Pró-Arte Moderna, Uma Exposição Modernista em São Paulo. In: Diário de Notícias, Rio de Janeiro, 4. Juli 1933. Eine von Heuberger ausgehende Inspiration jedoch ist nicht auszuschließen.
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sollten. Die Stipendien umfassten jeweils einen sechswöchigen Aufenthalt in Teresópolis zwecks Teilnahme an einem Kurs bei einem renommierten Lehrer.27 Durch die Partizipation privatwirtschaftlicher Unternehmen sowie auch einzelner kultureller Institutionen in São Paulo und Rio de Janeiro erreichte die Museumsleitung, dass die Biennale zu keiner singulären und einsamen Veranstaltung im Museum wurde, sondern zu einer Veranstaltung, die von den zahlreichen Beteiligten mitgetragen wurde. Ermittelt wurden die Preisträger von einer Preisjury, die ab der II. Biennale stets international besetzt wurde. Die Regelungen für die Auswahl- und Preisjury der I. Biennale gab zwar schon eine ausgewogene und demokratische Besetzung vor, doch war sie trotz ausgetüftelter Vorgehensweise noch auf die lokale Szene beschränkt. Bei der Zusammenstellung der beiden Gremien ab der II. Biennale konnte man zum Teil auf die Kontakte zurückgreifen, die während der I. Biennale geknüpft worden waren: Zum Beispiel waren Ludwig Grote und Werner Schmalenbach Mitglieder des Preisgerichtes,28 nachdem sie Kommissare des deutschen Beitrags gewesen waren, und Max Bill, nachdem er 1951 als Künstler teilgenommen hatte.29 Von besonderer Bedeutung für die Biennale und speziell für das MAM als Mutterinstitution und Biennale-Veranstalter waren die Akquisitionspreise, die einen großen Teil der Prämien ausmachten und dem Museum alle zwei Jahre eine Bestandserneuerung sicherten. Bei dieser Auszeichnung ging das prämierte Werk nicht an den Künstler zurück, sondern blieb nach Auszahlung der Prämie im Museum. Auf diese Weise wuchs die hinsichtlich der Gegenwartskunst noch bescheiden ausgestattete Sammlung des noch jungen MAM,30 deren Grundstock 27 Zum Beispiel in Musik, Komposition oder Bildender Kunst. 1951 bot beispielsweise der brasilianische Maler und Bildhauer Bruno Giorgi einen Kurs an. 28 Werner Schmalenbach ist sogar schon in die Jury berufen worden, als er noch als Kommissar für den deutschen Beitrag fungierte (1961). 29 Wolfgang Pfeiffer erinnert sich, dass sehr viele Vertreter des Konsulatkorps in der Preisjury gesessen hätten. Erst mit der II. Biennale sei dieser Wandel gekommen, zu der man ausgewiesene Kunstkritiker eingeladen hätte. Pfeiffer im Gespräch mit der Verf. am 24. Januar 2003 in Itanhaém, Bundesstaat São Paulo. 30 Diese Sammlung ging 1963 in das Nachfolgemuseum des MAM, das MAC-USP, über. Dessen Sammlung ist bis heute stark geprägt von diesen Biennale-Akquisitionen. Vgl. Zanini, W. 1987, S. 19. – 1977 gab es die letzte Preis-Jury; danach wurden Prämierungen eingestellt, wie es auch schon in Venedig geschehen war. Damit wurde auch die Praxis beendet, prämierte Kunstwerke in den Museumsbestand zu übernehmen. Dazu Pfeiffer im Gespräch mit der Verf. am 24. Januar 2003: „Damit versiegte auch die Hauptquelle, die den Bestand erweiterte.“
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die Privatsammlung des Ehepaares Francisco Matarazzo Sobrinhos und Yolanda Penteado Matarazzo bildete. Die Biennale war demnach eine „sichere Quelle“31 für das MAM und sorgte dafür, dass „das noch junge Museum innerhalb kurzer Zeit einen repräsentativen Bestand mit zeitgenössischer Kunst schuf.“32 Eine Korrespondenz, die zum einen Teil im Biennale-Archiv, zum anderen Teil in der max, binia + jakob bill stiftung in der Schweiz aufbewahrt wird, zeigt jedoch, dass diese Praxis im Vorhinein nicht immer ausreichend bekannt gemacht worden war. Einer der Träger des Grande Prêmio war der Schweizer Max Bill, dessen Skulptur „Dreiteilige Einheit“ ausgestellt war. Francisco Matarazzo Sobrinho teilte Max Bill am 20. Dezember 1951 mit, dass ihm der Große Preis in Höhe von 100 000 Cruzeiros zugesprochen wurde und bat ihn in einem weiteren Schreiben acht Tage später, dem Beispiel dreier anderer Prämierter zu folgen und die Skulptur dem Museum als Schenkung zu überlassen beziehungsweise dieses andernfalls zu informieren über „den aktuellen Preis, mit dem Sie für den Erwerb Ihrer Skulptur einverstanden wären.“33 Dieser Regelung wurde von Max Bill zunächst nicht zugestimmt, was aus dem Schreiben an Wolfgang Pfeiffer hervorgeht: „[…] ich kann sie nicht entbehren. diese plastik war in europa überhaupt noch nie ausgestellt. ihre herstellung ist so teuer, dass ich unmöglich darauf eingehen konnte, sie dem museu de arte moderno zu schenken, wie man es mir nahelegte. Ich habe dann an das museu geschrieben, dass ich die herstellungskosten zurückerstattet bekommen müsste, falls die plastik in brasilien bleibe. Diese kosten sind sehr hoch, und darin ist für meine eigene monatelange arbeit gar nichts enthalten. Jeder industrielle, der auf diese weise rechnen würde, könnte innert kürzester zeit den konkurs anmelden. es ist für mich sehr unangenehm, dass bezüglich dieser plastik einfach stillschweigen eingetreten ist, denn ich habe eine einladung des museum of modern art in new york, […]. ich gebe zu, dass die mäzene in brasilien 31 Pfeiffer, Wolfgang: Relações históricas entre o MAM, a bienal e o MAC. In: Barbosa, Ana Mae: As Bienais no Acervo do MAC, Katalog des Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo 1987, S. 16: „Foi uma fonte segura“. Pfeiffer ergänzt an dieser Stelle, dass manche Künstler sich bei der Biennale für die Teilnahmemöglichkeit bedankten und ihre zuvor ausgestellte Arbeit dem Museum überließen. Vgl. ebd. 32 „[…] o então jovem Museu formasse em pouco tempo um patrimônio artístico representativo da arte contemporânea“. Vgl. Milliet de Oliveira, Maria Alice: Museu: Memória e Contemporaneidade. In: Barbosa, Ana Mae: As Bienais no Acervo do MAC, Katalog des Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo 1987, S. 12. 33 Vgl. Francisco Matarazzo Sobrinho an Max Bill am 20. Dezember 1951 und am 28. Dezember 1951, AHWS/FBSP.
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manches tun für die moderne kunst. […] aber die verquickung von preisverteilung und schenkung der werke ist mir äusserst unsympathisch.“34 Letzten Endes ging Bill doch noch darauf ein, und die Plastik blieb in Brasilien. Das „südamerikanische Abenteuer“, wie er seine Erfahrungen mit dem MASP und dem MAM im selben Brief beschrieb, nahm damit jedoch kein Ende, denn Bill wurde nicht nur von der brasilianischen Regierung zu einer Vortragsreise nach Brasilien eingeladen, sondern wurde zudem für die II. Biennale zum Jurymitglied ernannt.
3.2 D IE
MUSEOGRAPHISCHE
S ITUATION
IN
S ÃO P AULO
„Man fühlt es deutlich, dass ein Museum der modernen Kunst fehlt“, beklagte Sergio Milliet 1938 die Ausstellungsmöglichkeiten in São Paulo und fuhr fort: „Wenn dies in unserer Hauptstadt35 existierte, wie in fast jedem zivilisierten Land auf der Welt, würden die beachtlichen Anstrengungen der Maler und Bildhauer der heutigen brasilianischen Generation vielleicht nicht ohne dauerhafte Wirkung bleiben.“36 Sérgio Milliet, einer der agilsten Kulturschaffenden jener Zeit in São Paulo, beschrieb mit diesen wenigen Worten, woran es mangelte, wenn man die großen Städte der westlichen und industrialisierten Welt mit São Paulo verglich, mit denen sich diese Stadt damals zu messen versuchte. Milliet selbst gilt aufgrund seiner Initiativen als wichtiger Förderer der modernen Kunst in São Paulo. Eines seiner großen Verdienste ist die Gründung der sogenannten Seção da Arte innerhalb der städtischen Biblioteca Municipal,
34 Max Bill an Wolfgang Pfeiffer am 25. Februar 1952, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. In diesem Schreiben spricht Bill auch die von Bardi geplante, aber aufgeschobene Buchpublikation über Bills Werk an, die er inzwischen „als ausserordentlich problematisch“ ansieht und deshalb dazu geneigt ist, sie rückgängig zu machen. Er könne nicht länger auf dieses Buch verzichten und müsse sich vorbehalten, es in Europa zu publizieren. Vgl. ebd. 35 Gemeint ist São Paulo als Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates. 36 Übertragung ins Deutsche durch die Verf. Orginal: „A ausência de um museu de arte moderna faz-se duramente sentir. Se este existisse na nossa capital a exemplo do que ocorre em quase todos os países civilizados do mundo, talvez não ficassem sem registro permanente o esforço notável dos pintores e escultores da atual geração brasileira.“ Sérgio Milliet in einem Artikel in der Tageszeitung O Estado de São Paulo am 22. Juli 1938.
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deren Leiter er von 1943 bis 1959 war.37 Diese Abteilung wurde am 25. Januar 1945 – dem Feiertag zu Ehren des Stadtpatrons – während des I. Brasilianischen Schriftstellerkongresses offiziell eröffnet. Gonçalves sieht diese Initiative als einen wesentlichen Schritt hin zu einer Museumsgründung, die zu dem Zeitpunkt ja schon von mehreren Seiten gewünscht wurde: „Die Aktivitäten dieser Abteilung der Bibliothek sind als wegweisend auf dem Gebiet der Kunst in São Paulo zu sehen. Sie resultierten aus dem Vorhaben, ein Kunstmuseum in São Paulo einzurichten, das als Idee schon seit 1938 existiert.“38 Gonçalves weist beispielsweise auf die Gruppe SPAM hin, die ebenfalls schon lange ein Museum in der Stadt anstrebte, mit dem Ziel, sich als Künstler Kollegen und Kunstinteressierten zu präsentieren. Milliet jedoch, wie auch sein Mitstreiter Mário de Andrade39, dessen Namen die Bibliothek in der heutigen Zeit trägt, machten deutlich, dass die kulturelle Bildung eines allgemeinen Publikums im Vordergrund der Aktivitäten der Bibliothek – und ihrer Kunstabteilung – stehen sollte.40 Schon Ende 1944 begannen sie, ihre museologische Arbeit aufzunehmen, indem nicht nur Fachbücher angeschafft wurden, sondern auch eine Sammlung mit Grafiken, Gemälden und Skulpturen moderner brasilianischer Künstler aufgebaut wurde, aus der sie fortan regelmäßig Ausstellungen zusammenstellten. Neben Originalen wie von Anita Malfatti, Tarsila de Amaral, Di Cavalcanti trug man in dieser Kunstabteilung der Bibliothek auch Reproduktionen von international bekannten Kunstwerken zusammen, mit denen man didaktische Ausstel37 Sérgio Milliet war zuvor in der städtischen Abteilung für historische und soziale Dokumentation tätig, bis ihn der damalige Bürgermeister São Paulos, Prestes Maia, 1943 in die Städtische Bibliothek beorderte, die Milliet bis zu seiner Pensionierung leitete. Vgl. Rebollo Gonçalves, Lisbeth: Sérgio Milliet, crítico de arte, São Paulo 1992, S. 74. Milliets pionierhafte Tätigkeit auf dem Gebiet der Kunst wird von Gonçalves ausführlich dargelegt. Vgl. ebd., S. 77–82. 38 „A atução deste setor da Biblioteca é pioneira no meio artístico paulistano, tendo surgido como conseqüência do projeto de criação de um museu de arte moderna em São Paulo, idéia defendida deste 1938.“ Vgl. ebd., S. 77. 39 Mário de Andrade (* 9. 10. 1893 in São Paulo – † 25. 2. 1945 ebd.) gehört zu den großen Schriftstellern und Intellektuellen des brasilianischen Modernismus, dessen Leben und Werk eng mit seiner Heimatstadt verbunden sind. Seine kulturellen Aktivitäten hat er als Klavierlehrer und Musikhistoriker begonnen, doch bald engagierte er sich auch in der Politik. Als Schriftsteller hat er Werke verfasst, die zentrale Bedeutung in der brasilianischen Literatur erhielten, darunter das Hauptwerk seiner Prosa: Macunaíma, O Herói sem nenhum Caráter (1928). Vgl. Reichardt, Dieter (Hg.): Autorenlexikon Lateinamerika, Frankfurt am Main 1994, S. 164. 40 Vgl. Rebollo Gonçalves, L. 1992, S. 77.
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lungen organisierte.41 Auf diese Weise versuchte diese erste institutionell verankerte Initiative moderner Kunst, eine didaktische Brücke zur Kunstgeschichte zu schlagen. In den 30er und vermehrt in den 40er Jahren wurden hin und wieder auch internationale Kunstausstellungen in den Galerien und Salões der Großstädte gezeigt, die auf zunehmendes Interesse bei den Kunstinteressierten stießen.42 Sie sind meist auf einzelne Vermittler zurückzuführen, wie den im deutschbrasilianischen Kontext erwähnten Theodor Heuberger oder im panamerikanischen den US-Amerikaner Nelson Aldrich Rockefeller. Gerade in der Zeit der modernen Museumsgründungen, in der das MASP, das MAM und das MAM in Rio de Janeiro „eine erste Welle museographischer Erneuerung in Brasilien“ und „untrügliches Zeichen eines Willens zur Öffnung gegenüber dem Ausland“43 waren, übte der amerikanische Industrielle bedeutenden Einfluss aus, wie an späterer Stelle noch zu sehen sein wird. Laut Durand diente er den beiden Hauptmäzenen in São Paulo, Francisco de Assis Chateaubriand und Ciccillo Matarazzo44, sogar als Vorbild.45 Zweifellos war die paulistanische, wenn nicht sogar die gesamtbrasilianische Museumslandschaft zwischen 1946 und 1951 vom Wirken dieser beiden Unternehmer stark geprägt. Auf Assis Chateaubriand und Ciccillo Matarazzo gehen die beiden ersten Museen moderner Kunst in São Paulo zurück, das MASP und das MAM, die in unmittelbarer Nähe zur städtischen Bibliothek, jener in den 30er und 40er Jahren 41 Vgl. ebd., S. 78. Rebollo Gonçalves verweist dort auf Maria Eugênia Franco, die als Milliets Mitarbeiterin für diese Ausstellungen in der Bibliothek zuständig war und der Autorin Rebollo Gonçalves am 10. Januar 1982 zu einem Gespräch zur Verfügung stand. 42 Über die Entwicklung der Galerien und Museen geben Aufschluss: Amaral, Aracy: Arte para que? a preocupação social na arte brasileira 1930–1970, São Paulo 1987 (2. Aufl.) und insbesondere: Durand, José Carlos: Arte, Privilégio e Distinção: Artes Plásticas, arquitetura e classe dirigente no Brasil, 1855/1985, São Paulo 1989. Diese und andere Veröffentlichungen Aracy Amarals sind für diese Untersuchung von besonderem Interesse, da Amaral ihre Tätigkeit als Kritikerin mit der I. Biennale begonnen hat und die Entwicklung der Biennale und der Kunst im Allgemeinen bis heute publizistisch verfolgt. 43 Vgl. Pontual, Roberto: Nation, Welt, Modernität. Brasilianische Kunst im 20. Jahrhundert. In: Magnaguagno, Guido/Schaub, Martin (Hg.): Brasilien, Entdeckung und Selbstentdeckung, Bern 1992, S. 320–332. 44 Francisco Matarazzo Sobrinho wurde häufig nur Ciccillo bzw. Cicillo Matarazzo genannt. 45 Vgl. Durand, J. C. 1989, S. 111.
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wichtigen Kulturstätte im Zentrum der Stadt, ihren Sitz fanden: in der Rua 7 de Abril, Nr. 230. 3.2.1 Das Museu de Arte de São Paulo (MASP) Nicht nur das Ausstellen und Bewahren, sondern auch die Vermittlung von Kunst waren die Bestimmung des Museu de Arte de São Paulo (MASP), das am 2. Oktober 1947 im neu errichteten Geschäftsgebäude des Medienkonzerns Diários Associados eröffnet wurde. 3.2.1.1 Geschichte und Aktivitäten des MASP Francisco de Assis Chateaubriand Bandeira de Mello, Besitzer der in Brasilien mächtigen Diários Associados,46 war der Gründer und Initiator des MASP. Gemeinsam mit dem italienischen Kunsthändler Pietro M. Bardi, den Chateaubriand ein Jahr zuvor in Rio de Janeiro kennengelernt hatte, plante er die Einrichtung dieses neuen Museums.47 Den Aufzeichnungen Bardis zufolge dachte Chateaubriand zunächst an den Standort Rio de Janeiro, Chateaubriands damaligen Wohn- und Wirkungsort. Doch nachdem entschieden wurde, die in Rio de Janeiro ansässigen Diários Associados ebenfalls in São Paulo anzusiedeln, habe Chateaubriand beschlossen, dass auch das Museum in São Paulo stehen müsse und erklärte dies letztlich mit dem Wohlstand, den es dort dank der zunehmenden Industrialisierung der Region gab.48 Das wirtschaftliche Umfeld des 46 Der Reporter Assis Chateaubriand kaufte in den zwanziger und verstärkt in den dreißiger Jahren verschiedene Zeitungen auf, mit denen er den Grundstock für seinen Medienkonzern legte. Zeitschriften, Rundfunkanstalten und die erste brasilianische Fernsehstation kommen als Teilbereiche der Diários Associados hinzu. Dem beispiellosen Aufstieg des Imperiums folgte nach dem Tod Chateaubriands 1969 der Niedergang. Vgl. Wilke, Jürgen: Massenmedien in Brasilien. In: Ders. (Hg.): Massenmedien in Lateinamerika, Frankfurt am Main 1992, S. 83–141, dort: S. 93 und 100. 47 Pietro Maria Bardi kam 1946 nach Rio de Janeiro, mit der anfänglichen Absicht, dort kommerzielle Kunstausstellungen zu organisieren. Vgl. Bardi, P. M.: Um encontro que deu certo. In: Ders. 1986, S. 9. 48 Vgl. Bardi, P. M. 1986, S. 12. Der Architekt dieses Bauprojektes, Jacques Pilon, konzipierte bereits die nahgelegene Biblioteca Municipal. Vgl. ebd. Seit 1968 befindet sich das MASP an der Avenida Paulista, in einem Gebäude, das eigens für das MASP von Lina Bo Bardi entworfen wurde. Bo Bardi kam nach dem Zweiten Weltkrieg als junge Architektin mit P. M. Bardi aus Italien nach Brasilien. Im alten MASP-Gebäude war sie für zahlreiche Ausstellungsarchitekturen verantwortlich, doch verbindet man ihren Namen vor der Zeit ihrer großen Bauprojekte mit der Zeitschrift Habitat, die sie
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Museums war für das MASP nicht allein deshalb von Bedeutung, weil Chateaubriand in ihm ein potenzielles Publikum erwartet hatte; vielmehr war mit ihm seine Strategie verbunden, die Sammlung des Museums aufzubauen, da, wie bei vielen anderen Museumsgründungen, keine umfangreiche Privatsammlung vorhanden war: Durand bestätigt in seiner Untersuchung Chateaubriands Ruf, Druck auf finanzkräftige Unternehmer auszuüben, die zum Kauf von bestimmten Kunstwerken hohe Geldsummen bereitstellen sollten. Die Befürchtung, Chateaubriand könne sein dichtes Kommunikationsnetz, bestehend aus Printmedien, Fernseh- und Radiostationen, zur Verbreitung unvorteilhafter Meldungen ausnutzen, habe laut Bardi und dem Kulturhistoriker José Durand dazu beigetragen, dass einige wohlhabende Brasilianer den Kauf eines Kunstwerkes ermöglichten.49 Als günstig erwies sich für das MASP zudem, dass der internationale Kunstmarkt infolge des Zweiten Weltkrieges Werke von Weltrang anbot, die zu vergleichsweise niedrigen Preisen gehandelt wurden.50 Heute gilt das MASP –
in São Paulo gründete und deren erste Ausgabe im Oktober 1950, danach in unregelmäßigen Abständen, erschien. Der Redaktionssitz befand sich im achten Stock desselben Gebäudes wie die beiden Museen, wobei die Zeitschrift aufgrund personeller Nähe und Überschneidungen fast als Sprachrohr des MASP fungierte und die Aktivitäten im MAM kaum objektiv beurteilte. 49 Durand bezieht sich dabei auf Zeitungsmeldungen (Estado de São Paulo und Jornal do Brasil) und Schilderungen Bardis, in denen dieser Chateaubriands eher unübliche Praktiken beschreibt, um Werke für das MASP zu erhalten. Vgl. Durand, J. C. 1989, S. 126 f. Eine Notiz in der deutschen Presse von 1957 beschreibt Chateaubriands Kaufstrategie: Er gründete zusammen mit anderen finanzkräftigen Brasilianern eine „Genossenschaft“, deren einziges Ziel es gewesen sei, sämtliche berühmten Kunstwerke, die der Weltmarkt zu der Zeit anbot, auf Auktionen zu ersteigern, um mit ihnen aus dem Kunstmuseum MASP „das bedeutendste des amerikanischen Kontinents zu machen.“ Der Artikel berichtet von dem spektakulären Fall, als die brasilianische Genossenschaft den Multimillionär David Rockefeller bei der Versteigerung von Renoirs „Die Badende“ überbot und das Gemälde danach über den ehrenvollen Umweg zum Präsidentenpalast ins MASP bringen ließ. Vgl. N. N.: Kunstduell der Millionäre. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Frankfurt/M.), 26. 4. 1957. 50 Wolfgang Pfeiffer spricht von einmaligen Gelegenheiten auf dem internationalen Kunstmarkt in den direkten Nachkriegsjahren, die von Chateaubriand und Matarazzo Sobrinho wahrgenommen wurden. Vgl. Pfeiffer, W., 1987, S. 15 f. Die Provenienz zahlreicher Kunstwerke, die zu dieser Zeit auf dem Weltmarkt angeboten und für das MASP erworben wurden, ist aufgrund der zweifelhaften Kunstpolitik des NS-Regimes sowie später des Umgangs vieler Besatzungssoldaten mit Kunstschätzen in Deutsch-
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nicht zuletzt aufgrund seiner umfangreichen Kunstsammlung von internationaler Bedeutung51 – als eines der bekanntesten Kunstmuseen in Lateinamerika. Zweifellos spielten bei Chateaubriand auch repräsentative Interessen bei der Gründung des MASP mit, dessen inhaltliche Arbeit er fast gänzlich in die Verantwortung seines Mitarbeiters Bardi gab. Dennoch spiegelt sich seine populistische Haltung, die auf der Erreichbarkeit der Massen basierte und den stetigen Ausbau seines Medienkonzerns begründete, genauso im Museum wider. Beginnend mit einem öffentlichen Aufruf in der Zeitung, in dem nach Mitarbeitern und Mitstreitern zur Formierung einer Gruppe gesucht wird, die dieser Stadt ein neues Forum der Kunst bieten möchte, weist das gesamte Konzept des MASP auf eine sehr breite Zielgruppe hin.52 Trotz des Museumsschwerpunktes nahmen die anderen Aktivitäten einen ebenso hohen Stellenwert ein, die sich von der Kunstpraxis – wie Theater- oder Fotografierkursen – über Vortragsveranstaltungen bis hin zu kunsttheoretischen Kursen erstreckten. Ein inhaltlicher Schwerpunkt ist bei diesen temporären, zum Teil einmaligen Veranstaltungen kaum festzustellen; sie scheinen von der Verfügbarkeit von Fachkräften und Experten abhängig gewesen zu sein. Auf der einen Seite begann eine Sammlung zu wachsen, die weltbekannte Namen aller Epochen der Kunstgeschichte nennt; auf der anderen Seite jedoch wurde dem Kunsthandwerk viel Raum gegeben und gleichzeitg ausgesprochen didaktische Ausstellungen mit objektbezogenen kulturhistorischen Entwicklungen zusammengestellt, die etwa die bis dahin noch deutlich unterschätzte Kultur der indigenen Bevölkerung Brasiliens berücksichtigten. Das MASP betätigte sich demnach auf einer relativ breiten Ebene, die man noch auszuweiten versuchte. Noch land nicht immer eindeutig, und es wäre nötig, dies in einem weiteren Zusammenhang separat zu untersuchen. 51 Der Bestand des MASP reicht von frühmittelalterlichen Kunstschätzen bis hin zu zeitgenössischer Kunst, hier insbesondere aus Brasilien. Besondere Aufmerksamkeit erhalten stets die Werke der klassischen Moderne, wie die Degas-Skulpturen oder die Gemälde von Monet, Manet und Renoir. 52 Vgl. Diário de São Paulo, 1947 (genaues Datum nicht nachweisbar), Arquivo Lina Bo Bardi. Der von P. M. Bardi verfasste Aufruf mit der Überschrift „O Museu de Arte procura ,alguem‘ [sic!]“ beginnt – gut platziert – auf der ersten Seite der Zeitung und wird auf der zweiten fortgesetzt. Ein Auszug: „De nossa parte, nas versperas da inauguração do ,Museu de Arte‘, procuram os promotores do mesmo, não somente um, mas todos aqueles que queiram contribuir, aperfeiçoando a nossa missão, a concorrer, em última analise, para servir mais uma boa causa, fazendo germinar um movimento, honrado a arte, que é o elemento orientador de todo progresso humano e sem a qual a vida se veria reduzida a uma execravel animalidade.“ Siehe Bild-Anhang.
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1950 schaffte es das Museum, eine weitere Abteilung einzurichten, in der man die freie Kunst mit der praktischen Seite des Museums, in diesem Fall der Kunstvermittlung, verknüpfte und sich dabei explizit in die Tradition des Bauhauses in Weimar und Dessau stellte: das IAC – Instituto de Arte Contemporânea. 3.2.1.2 Das IAC im MASP – eine Bauhaus-Idee Das MASP hatte schon zahlreiche Ausstellungen, Vorträge, Kurse und Fachtagungen veranstaltet, als es schließlich am 1. März 1951 gleich mit zwei für das MASP bedeutsamen Ereignissen aufwartete: Die erste retrospektivische Werkschau des Schweizer Künstlers Max Bill wurde eröffnet,53 und am selben Tag begann ein neuer Kurs innerhalb des Instituto de Arte Contemporânea (IAC).54 Dieses im Jahr zuvor gegründete Institut 53 In manchen Publikationen wird die Bill-Ausstellung fälschlicherweise mit dem Jahr 1950 angegeben. Vgl. z. B. Amaral, A. 1987 (2. Aufl.), S. 410. Leonor Amarante gibt sogar 1948 als das Jahr an, in dem die Bill-Retrospektive im MASP zu sehen gewesen sein soll, und bezieht sich dabei auf ein Gespräch mit P. M. Bardi. Vgl. Amarante, L. 1989, S. 15. Bei Bardi selbst wird in einer späteren Veröffentlichung des MASP das Jahr 1950 genannt. Vgl. Bardi, P. M.: História do MASP, ohne Jahr, S. 162. Tatsächlich gibt es kaum erhaltene Dokumente zu dieser Schau, doch weist beispielsweise ein Schriftwechsel zwischen Bill und Bardi Ende 1950, in dem noch über den genauen Ausstellungstermin verhandelt wird, darauf hin, dass sie erst 1951 stattgefunden haben kann: „Die Monate Februar und Maerz passen uns als Termin fuer die Ausstellung sehr gut. Im Dezember und Januar zeigen wir in denselben Raeumen eine Propagandaausstellung und wuerden mit Ihrer Ausstellung dann die Reihe im neuen Jahr beginnen. Diesen Zeitraum bitten wir Sie als unseren endgueltigen Entschluss zu nehmen.“ Vgl. letzter Absatz im Schreiben von Pietro M. Bardi an Max Bill am 28. November 1950, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. Vgl. auch Kapitel 4 in dieser Untersuchung. Dass die Schau tatsächlich für einen früheren Zeitpunkt vorgesehen gewesen war, zeigt eine Zeitungsnotiz vom 21. August 1949, in der von den gerade getroffenen Abmachungen zwischen dem MASP und dem in Brasilien noch unbekannten Max Bill die Rede ist, und dass die bis dahin umfangreichste BillAusstellung geplant sei. Vgl. N. N.: No Museu de Arte a obra mais completa de Max Bill. In: Diário de São Paulo (São Paulo), 21. 8. 1949, Archiv des Martius-StadenInstituts, K XX c Nr. 10. 54 Vgl. z. B. Bardi, P. M.: A Cultura Nacional e a presença do MASP, São Paulo 1982, S. 20: „De Max Bill foi organizada em ’51 sua primeira exposição no exterior, […]; Calder veio para participar o seu novo conceito de escultura móvel; Nervi lecionou sobre as possibilidades do concreto-protendido em cujo setor foi um dos famosos
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für Zeitgenössische Kunst war in seinem Selbstverständnis „eine Adaptation des berühmten Institute of Design in Chicago an unsere [brasilianischen] Verhältnisse und Möglichkeiten“, so der dort lehrende Paulistaner Architekt Schweizer Abstammung Jacob Ruchti in der Zeitschrift Habitat in 1951.55 Das Institute of Design seinerseits ging 1944 aus dem New Bauhaus hervor und lehnte sich ausdrücklich an die Bauhaus-Idee an.56 Bedauerlicherweise ist aus den Anfängen des MASP und respektive des IAC wenig Archivmaterial erhalten geblieben, weshalb es nur wenige genaue und verbindliche Angaben gibt. Auch stimmen die Informationen und Daten in der Literatur wie auch in der Erinnerung mancher Zeitzeugen nicht immer miteinander überein, was mit der Häufung unterschiedlicher und parallel laufender Kurse im MASP zu erklären ist. Dennoch konnte die Geschichte des IAC in ihren groben Zügen sowie seine für diese Untersuchung wesentlichen Merkmale recherchiert und rekonstruiert werden. Relevant ist das Institut zum einen aufgrund der mestres; e Brest informou sobre a evolução da estética voltada ao abstracionismo.“ Bardi bezeichnet diesen Kurs im Rückblick nicht mehr als Instituto de Arte Contemporânea, sondern einfach als Designschule ohne bestimmten, näher beschreibenden Zusatz, wohingegen die Quellen aus der Zeit der Gründung eindeutig den Namen IAC nennen. Eventuell sind die Erwartungen und Ziele, die mit dem IAC verbunden waren, nicht oder nur teilweise erfüllt worden, weshalb man im Nachhinein einen allgemein gefassten Begriff wie Designschule bevorzugte. 55 Vgl. Ruchti, Jakob: Instituto de Arte Contemporânea. In: Habitat 3, ohne Datum, S. 62. Dort abgedruckt in portugiesischer Sprache. Der 1917 in Zürich geborene Jacob Ruchti studierte in den späten 30er Jahren Architektur in São Paulo, als das Neue Bauen in Brasilien bereits einige Akzente gesetzt hatte. Gregori Warchavchik baute 1927 das erste, der Moderne verpflichtete Wohnhaus in São Paulo (in der Straße Rua Sta. Cruz) und war später für die Statik des Bildungs- und Erziehungesministeriums in Rio de Janeiro zuständig, und Le Corbusier stattete 1929 dem Land seinen ersten Besuch ab, der für die Architekturgeschichte nicht folgenlos blieb. Vgl. Moreira, Pedro: A Cultura Arquitetônica dos países de língua alemã e seus reflexos no desenvolvimento da Arquitetura Moderna no Brasil – 1880–1945. In: Martius-StadenJahrbuch (São Paulo), Nr. 52, 2005, S. 36–59, dort: S. 48 und 53, und Kapitel 4.2.1 in dieser Arbeit. Andere Lehrer waren: Robert Sambonet, O. Bratke, P. M. Bardi, A. Osser, die das Bauhaus zum Teil vor ihrer Emigration noch in Europa kennengelernt hatten. 56 Zur Geschichte des 1937 gegründeten New Bauhaus und der zwei Jahre später eingerichteten School of Design, die 1944 in Institute of Design umbenannt wurde, siehe Wingler, H. M.: Das Bauhaus 1919–1933 Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, Köln 1968.
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Tatsache, dass es ein pädagogischer Bestandteil des MASP war, dessen Arbeit auch auf die spätere Biennale einwirkte, zum anderen aber auch, dass sich das MASP beim IAC an den Ideen des Bauhauses orientierte, das aufgrund seiner internationalen Ausrichtung und der Verbindung zwischen Lehre und Angewandter Kunst sowie letztlich Architektur für das aufstrebenden Brasilien wichtige Anknüpfungspunkte bot. Das Bauhaus und seine Nachfolger, insbesondere das Institute of Design und die Hochschule für Gestaltung in Ulm, sind bei der Biennale São Paulo über viele Jahre hinweg mehrfach vertreten, wie diese Untersuchung in ihrem weiteren Verlauf noch deutlicher zeigen wird und was das Interesse der brasilianischen Kulturschaffenden an dieser international ausgerichteten Lehrstätte in Deutschland widerspiegelt. Ruchti fährt in jenem Text, der in dem dem Museum nahestehenden Magazin Habitat veröffentlicht wurde, fort, dass das Institute of Design in Chicago „von dem Architekten Serge Chermayett geleitet wird und einst, 1937, von Walter Gropius und Moholy-Nagy als eine Weiterführung des prominenten Bauhauses in Dessau gegründet wurde. Das IAC stellt in São Paulo demnach – in einer indirekten Form – die wesentlichen Ideen des Bauhauses dar, nachdem es mit der nordamerikanischen Organisation in Kontakt gestanden hatte.“57 Diese Beschreibung macht deutlich, dass man zwar eine Anlehnung an das Bauhaus, jedoch keine Kopie desselben anstrebte – nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen lokalen Verhältnisse. Der Lehrplan des IAC spiegelte eine weiter gefasste Vorstellung von Kunst wider, die ähnlich wie das von Gropius verfasste BauhausManifest die Architektur einschloss, auch wenn der Bau nicht – wie dort 1919 –
57 Übersetzung aus dem Portugiesischen durch die Verf. (Original: „O curso do I.A.C. em São Paulo é uma adatação às nossas condições e possibilidades do célebre curso do Institute of Design de Chicago, dirigido pelo arquiteto Serge Chermayett, e fundado em 1937 por Walter Gropius e Moholy-Nagy como uma continuação do famoso Bauhaus de Dessau“. Vgl. Ruchti, J. ohne Jahr, S. 62. Ruchti und sein Kollege Miguel Forte unternahmen 1947 eine sechsmonatige Reise in die USA. Sie wurden u. a. von dem Architekten Frank Lloyd Wright in Chicago empfangen, der beiden ein wichtiger Mentor wurde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei dieser Gelegenheit das Institute of Design besucht wurde. Vgl. Moura, Éride/Serapião, Fernando: Miguel Forte im Gespräch mit Éride Moura e Fernando Serapião. In: PROJETODESIGN (São Paulo), Nr. 262, Dezember 2001. – Zugunsten des Leseflusses wurden die fremdsprachlichen Zitate ins Deutsche übersetzt und mit der entsprechenden Quellenangabe versehen. In der Regel wird aus dem Zusammenhang deutlich, ob es sich um ein Originalzitat oder um ein ins Deutsche übersetztes handelt. Im Zweifel gibt die Fußnote Aufschluss darüber.
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„das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit“58 sein sollte. Dennoch war die Architektur im IAC eines der sechs ersten Fächer in der Grundstufe neben Kunstgeschichte, Komposition, Material- und Werkstoffkunde, freiem Zeichnen und Malerei sowie Deskriptiver Geometrie. Darüber hinaus sollten zusätzliche Fächer wie Soziologie oder Kunstpsychologie gelehrt werden, die jedoch nicht zum festen Lehrplan gehörten. Diese Grundstufe ist vergleichbar mit dem berühmten Vorkurs (z. B. Itten) am Bauhaus, der eine universelle künstlerische (Aus-)Bildung ermöglichen sollte. Dort wurden Grundkenntnisse vermittelt, indem beispielsweise der Umgang mit verschiedenen Materialien geübt und die Charakteristika von Formen und Farben studiert wurden. Gleichzeitig sollte mit der Vorlehre eine gemeinsame Grundlage geschaffen werden für das weitere Studium, denn das Bauhaus mit seinem explizit antiakademischen Charakter nahm Schüler mit unterschiedlichen Vorkenntnissen auf. Unter ihnen waren sowohl Akademiker mit einer gewissen Berufserfahrung als auch Schulabgänger ohne Praxiserfahrung. Erst nach einem halben Jahr war am Bauhaus eine erste Spezialisierung vorgesehen, indem sich der Schüler für eine bestimmte Werkstatt entschied.59 Auf ähnliche Weise verfuhr man am IAC, wo erst eine zweite Phase eine berufliche Spezialisierung brachte, deren Idealfall Ruchti als „Industriezeichner mit der Mentalität eines Architekten“60 beschreibt. Mit dieser intensiven ersten Phase reagierten die Einrichtungen auf die jeweilige Situation, die an beiden Orten ähnlich war. Brasilien befand sich Ende der 40er Jahre in einer Aufbausituation, vergleichbar ungefähr mit Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Da es beiderorts keine Ausbildungsmöglichkeiten für Gestaltungsberufe gab, herrschte ein Mangel an Fachkräften in diesen Bereichen, dem sowohl das Bauhaus als auch das IAC versuchten entgegenzuwirken. Mit der Einrichtung dieser Abteilung beabsichtigte das MASP die Professionalisierung besonders auf einem Gebiet, das bis dahin in Brasilien noch keine breite Akzeptanz gefunden hatte: dem Industriellen Design. Jacob Ruchti formulierte die Inhalte des IAC folgendermaßen: „Unter dem Industriellen Design ist nicht nur der physische Akt des Zeichnens zu verstehen, sondern es ist im Gegenteil auch als eine Einheit von Aktivitäten zu begreifen, angefangen vom Erfassen des zu lösenden Problems als eine kritische und analytische Aktivität bis hin zur technisch-künstlerischen Lösung des Projektes.“61
58 Vgl. Gropius, Walter: Manifest. Abgedruckt in: bauhaus, eine veröffentlichung des instituts für auslandsbeziehungen stuttgart, Stuttgart 1982, S. 13. 59 Vgl. ebd., S. 30 ff. 60 Vgl. Ruchti, J. ohne Jahr, S. 62. 61 Vgl. ebd.
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Zu den ersten 25 Schülern des IAC, die nach einer Eignungsprüfung ausgewählt wurden, gehörten Alexandre Wollner, der 1954 an die Hochschule für Gestaltung gegangen ist und heute in Brasilien als einer der Pioniere auf dem Gebiet des Grafikdesigns gilt, Antonio Maluf, der später das Plakat für die I. Biennale entworfen hat und in Brasilien ein anerkannter Gestalter wurde, sowie Luiz Hossaka, der bis in die Gegenwart am MASP als Fotograf und in der Ausstellungskoordination tätig ist. Obwohl das IAC nicht sehr lange Bestand hatte und nach 1954 aus finanziellen Gründen nicht weiter fortgesetzt wurde, gab es diesen jungen Menschen einen Grundstock, auf dem im Falle von Wollner sogar an der noch enger an das Bauhaus gebundenen HfG aufgebaut werden konnte. Die anfangs vom Museum finanzierten Kurse sollten getrennt verwaltet und von den Teilnehmern zumindest mit einem Monatsbeitrag mitgetragen werden. Diese Neuerung hatte keinen Erfolg, doch legt die Fortführung der Tätigkeiten in gestalterischen Berufen vieler ehemaliger Schüler nahe,62 dass die Auswahl unter den Bewerbern mit Umsicht getroffen worden war und junge Menschen erfolgreich gefördert wurden, auch wenn der Kurs zu keinem Diplom oder gar offiziellen Berufsabschluss führte. Insofern ist durchaus von einer beruflichen Schulung zu sprechen, die den Design-Kursen der USP in den 60er Jahren vorausgegangen war.63 Die Ideen des Bauhauses boten einen erfolgversprechenden Weg, den man einschlug, indem man sich an ihnen orientierte und in beschriebener Weise anpasste. Beide Programmpunkte, die Eröffnung der Ausstellung und die Einweihung des IAC, werden in der Literatur bislang nicht aufeinander bezogen. Zudem ist nicht überliefert, in welcher Weise Bill das IAC am MASP wahrgenommen hat. Dennoch besteht ein inhaltlicher Konnex, da Max Bill als ehemaliger Bauhaus62 Goebel Weyne beispielsweise, der ebenfalls die Kurse des IAC besuchte, gründete 1964 zusammen mit dem HfG-Schüler Karl-Heinz Bergmiller das Instituto de Desenho Industrial. Außerdem war er zwischen 1959 und 1966 mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der Gesellschaft NOVACAP, die zum Aufbau der Hauptstadt Brasília gegründet wurde, sowie für die Zeitschrift Módulo, die darüber berichtete. Vgl. Mostra Internacional de Design, Design Método e Industrialismo, Katalog Centro Cultural Banco do Brasil, Rio de Janeiro 1998. 63 Silvia Fernández nennt die USP als erste Einrichtung in Brasilien, die Design bzw. Visuelle Kommunikation lehrte. Vgl. Fernández, Silvia: Der Einfluss der HfG Ulm auf die Designausbildung in Lateinamerika. In: ulmer modelle, modelle nach ulm / hochschule für gestaltung ulm 1953–1968, hrsg. von Ulmer Museum/HfG-Archiv, Ostfildern-Ruit 2003, S. 118–123. Vor dem beschriebenen historischen Hintergrund jedoch muss dem MASP in der Vermittlung von Design in Brasilien eine größere Bedeutung beigemessen werden.
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Schüler und als Mitbegründer der ebenfalls in der Bauhaus-Tradition stehenden und gerade im Aufbau begriffenen Hochschule für Gestaltung in Ulm diese im IAC angestrebte Verbindung zwischen freier und angewandter Kunst in seiner Person und seinem Werk verkörperte. Bill war persönlich weder zu dieser Ausstellung, noch etwas später im Jahr zur I. Biennale São Paulo gekommen, da er vermutlich bereits zu sehr durch den Aufbau der HfG eingebunden war, um eine so große Reise anzutreten.64 3.2.2 Das Museu de Arte Moderna (MAM) Am 8. März 1949 eröffnete im zweiten Stock der Diários Associados das zweite Museum moderner Kunst in São Paulo: das Museu de Arte Moderna (MAM), dessen Veranstaltung mit der größten Ausstrahlung die seit 1951 alle zwei Jahre ausgerichtete Biennale São Paulo darstellt. Zusammen mit dem MASP und dem im darauffolgenden Jahr in der Hauptstadt eingerichteten Museu de Arte Moderna de Rio de Janeiro sorgte es für die bereits erwähnte „erste Welle museographischer Erneuerung in Brasilien,“ wo man bislang lediglich Museen kannte, die nach europäischen Vorbildern von Staat, Land oder Kommune verwaltet wurden. Stärker als bei den beiden anderen Museen bekam das Museum of Modern Art (MoMA) in New York Modellcharakter für das MAM.65 Man orientierte sich in São Paulo inbesondere in Organisation und Verwaltung an dem US-amerikanischen Museum, dem keine öffentliche Verwaltung, sondern ein Verein vorstand, dessen Mitglieder sich mit ihrem Vermögen einbrachten. Allein der Name, der im Englischen wie im Portugiesischen „Museum der Modernen Kunst“ bedeutet, weist auf diese Orientierung an den USA hin, denn wie das dortige MoMA legte das MAM den Schwerpunkt auf die moderne (Gegenwarts-)Kunst. Auch in den USA kannte man bis zur Eröffnung des MoMA 1929 lediglich historisch ausgerichtete Kunstmuseen.66
64 Mehr zu Bill in Brasilien, seinen Reisen 1953 und 1954 sowie seiner Wirkung auf die Kunst in diesem Land vgl. Kapitel 4. 65 Zur Geschichte des 1929 eröffneten Museum of Modern Art vgl. z. B. Stavitsky, Gail: Museen und Sammler. In: Joachimides, Christos M./Rosenthal, Norman (Hg.): Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert, Malerei und Plastik 1913–1993, München 1993, S. 163–170. 66 Treibende Kraft dieser modernen Ausrichtung des MoMA war Alfred Barr, der vorher Ausstellungen im Kronprinzenpalais in Berlin kuratiert hatte.
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3.2.2.1 Geschichte und Aktivitäten des MAM Die offizielle Museumsgründung geht auf den 15. Juli 1948 zurück, als die vertragliche Unterzeichung von einer aus Künstlern und Kunstbeflissenen der Stadt gebildeten Kommission vorgenommen wurde. Mangels festen Sitzes nutzte „das Museum“ für den Großteil seiner ersten Veranstaltungen die Räumlichkeiten der mit der Kommission eng verbundenen Biblioteca Municipal. Obwohl Francisco Matarazzo Sobrinho stets als Gründer und Initiator des MAM gilt, weisen gerade die Dokumente und Publikationen zur Vorgeschichte des MAM auf eine geteilte Verantwortung hin, die Regina Teixeira de Barros eingehend untersuchte.67 Darin wird einem Besuch von Nelson Aldrich Rockefeller als Geschäftsmann, Vorstandsvorsitzender des Museum of Modern Art und Politiker mit ausgesprochenem Lateinamerika-Interesse eine große Bedeutung beigemessen.68 Rockefellers Brasilien-Besuch im November 1946 galt neben seinen Dienstgeschäften 67 Vgl. Teixeira de Barros, Regina: Revisão de uma história: a criação do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Mestrado, ECA-USP (MS), 2002, S. 88 f. 68 Nelson Aldrich Rockefeller (1908–1979) stieg früh in die von seinem Großvater John D. Rockefeller gegründeten Familienunternehmen ein und war bereits 1931 bis 1958 Direktor des Rockefeller Center in New York. Nelson A. Rockefeller hatte ein ausgesprochen großes Interesse für Kunst, was sich an seinem Engagement für das MoMA belegen lässt, dessen Kuratorium er angehörte. Das MoMA verdankt ihm den Grundstock zu einer Sammlung moderner europäischer, lateinamerikanischer und primitiver Kunst. Vgl. Stavitsky, G. 1993, S. 167 f. Andererseits weiß man, dass Nelson A. Rockefeller als Leiter des Rockefeller Centers 1933 den damals in den USA lebenden mexikanischen Maler Diego Rivera beauftragte, eines der Gebäude des neuen und hochmodernen Center-Komplexes mit einem großen Wandgemälde zu versehen. Wenige Wochen nach Riveras Arbeitsaufnahme im sogenannten RCA entbrannte eine heftige Diskussion, da Rivera eine antikapitalistische Szenerie mit Lenin im Zentrum darzustellen beabsichtigte. Dessen Porträt gab Anlass, den Vertrag zu kündigen und das angefangene Gemälde zu zerstören. Vgl. Imagen de Mexico, Der Beitrag Mexikos zur Kunst des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Erika Billeter, Katalog Schirn Kunsthalle Frankfurt 1987, S. 449 und 481 sowie Larrera, Irene Herner de u. a.: Diego Rivera – Paradise lost at Rockefeller Center, Mexiko-Stadt, 1987 (engl. Ausgabe). – Nelson Rockefellers erster Posten innerhalb des State Departments war ab 1940 der des Koordinators Interamerikanischer Beziehungen (Office of the Coordinator of InterAmerican Affairs, in Brasilien bekannt als Birô Interamericano). Diese Aufgabe wie auch sein unternehmerisches Interesse an der Ölindustrie ließen Rockefeller in den 40er/50er Jahren häufig nach Brasilien reisen. Nelson A. Rockefeller wurde Mitte der 50er Jahre außenpolitischer Berater des US-Präsidenten Eisenhower und von 1974 bis 1977 Vizepräsident der USA.
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Kulturschaffenden in Rio de Janeiro und in São Paulo. In São Paulo traf er sich mit Sergio Milliet und einer kleinen Anzahl von kulturell engagierten Personen, denen er sein Interesse an einer Zusammenarbeit bekundete und dies mit einer Schenkung von dreizehn Kunstwerken der Moderne bekräftigte.69 Diese blieben allerdings zunächst in den Händen der neutralen Architektenvereinigung IAB 70, deren erklärtes Ziel die Gründung eines Museums moderner Kunst war. Unter den Engagierten fanden sich sowohl der Verleger Francisco de Assis Chateaubriand als auch Francisco Matarazzo Sobrinho, die beide mit dem MASP und dem MAM schließlich jeweils ein Museum in São Paulo gründeten, die im Laufe ihrer Existenz die Rivalität der beiden Männer zum Ausdruck brachten. Zu diesem Zeitpunkt teilten sie jedoch noch das Interesse, gemeinsam ein Museum aufzubauen. Assis Chateaubriand gründete dann allerdings später das MASP ohne ihre Beteiligung, während Matarazzo Sobrinho und die anderen ersten Mitstreiter71 an der gemeinsamen Idee festhielten und weiterhin auf die Verbindung zu den USA beziehungsweise Rockefeller zählten. Schon 1939 und verstärkt dann Anfang der 40er Jahre richtete sich die Aufmerksamkeit einiger Kulturschaffender in New York auf São Paulo und umgekehrt, worauf ebenfalls Teixeira de Barros hinweist.72 Der Blick der USAmerikaner konzentrierte sich dabei nicht auf diese Stadt, sondern resultierte aus einem Interesse am gesamten Subkontinent. So entsandte beispielsweise das Department of Arts der Universität in Illinois 1939 einen seiner Professoren als Gutachter nach Brasilien, der dort eine künstlerische Bestandsaufnahme anfertigen sollte, und im darauffolgenden Jahr richtete die Abteilung für kulturelle Beziehungen im State Department eine interne Konferenz über die inneramerikanische Beziehungen, die es 1939 auf dem Gebiet der Kunst gegeben hat, aus. Auch war zu der Zeit ein offizieller Kulturbeauftragter von New York in São Paulo, Carleton Sprague Smith. Der damalige Leiter der Musikabteilung in der New York Public Library übte zudem eine Lehrtätigkeit an der Escola de Sociologia e Política aus, 69 Bei dieser Schenkung handelte es sich um ein Ölgemälde von Byron Browne, Aquarelle von George Grosz und Marc Chagall, Gouachen von André Masson und Fernand Léger, ein Gemälde von Morris Grave und ein Mobilé von Alexander Calder. Vgl. O Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo, hrsg. von der Bank Banco Safra, São Paulo 1990, S. 13 und Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 88 f. 70 Das Instituto de Arquitetos Brasileiros (IAB) ist der Verband brasilianischer Architekten. 71 Weiter gehörten zu dieser Kommission: der Journalist Quirino da Silva sowie die Architekten Eduardo Kneese de Melo, Rino Levi und Carlos Pinto Alves. Vgl. Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 87. 72 Vgl. ebd., S. 36 ff.
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an der auch der Bibliotheksdirektor Sergio Milliet unterrichtete.73 Im MoMA hingegen wurden Ausstellungen mit Architektur und Kunst aus Brasilien und Lateinamerika gezeigt, darunter eine Überblicksschau zur Kunst in Mexiko, die von einer Werkschau mit Arbeiten des Brasilianers Cândido Portinari abgelöst wurde.74 Noch am 10. Mai 1947 wurde im Kreis um Francisco Matarazzo Sobrinho und Sergio Milliet die Galeria de Arte Moderna de São Paulo als eine privat organisierte und gemeinschaftlich verwaltete Institution ins Leben gerufen.75 Mit der Vertragsunterzeichnung hatte man sich der zeitgenössischen Kunst im Inund Ausland verschrieben, die ausgestellt und Gegenstand von Vorträgen oder Seminaren werden sollte. Hauptziel jedoch war die Gründung eines Museums. Obwohl Sérgio Milliet bei der MAM-Historiographin d’Horta wie auch bei der Milliet-Biographin Rebollo als treibende Kraft beschrieben wird, übernahm nicht er den Vorsitz dieser Galerie, sondern Matarazzo Sobrinho. Gleichzeitig traf Francisco Matarazzo Sobrinho Absprachen mit dem in den USA erfolgreichen deutschen Galeristen Karl Nierendorf.76 Sie lernten sich in
73 Der in Geschichte von der Universität Wien promovierte Carleton Sprague Smith (1905–1994) leitete die Musikabteilung von 1931 bis 1959 (wegen des BrasilienAufenthaltes mit Unterbrechung zwischen 1943 und 1946) und gilt als Experte für hispanische und brasilianische Kultur. Vgl. Herbert Henck: Rita Kurzmann-Leuchter, Eine österreichische Emigrantin aus dem Kreis der Zweiten Wiener Schule. Internetpublikation, Eingabe: 8. April 2004 und Nachruf in der New York Times, Eric Pace: Carleton Prague Smith, Scholar, Is Dead at 89. www.nytimes.com/1994/09/21/ obituaries/carleton-sprague-smith-scholar-is-dead-at-89.html. 74 Vgl. Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 3 f. 75 Vgl. „Ata“, Gründungsprotokoll Galeria de Arte Moderna de São Paulo, 10. Mai 1947, das von mehreren Mitgliedern unterschrieben wurde, AHWS/FBSP. Siehe BildAnhang. 76 Karl Nierendorfs Einfluss auf die Museumsgründung hat Regina Teixeira de Barros untersucht. Ihre unveröffentlichte Forschungsarbeit, die im Fachbereich Kommunikation und Kunst (ECA) an der Universität von São Paulo (USP) entstanden ist, behandelt mehrere Aspekte des US-amerikanischen Einflusses im Zusammenhang mit der Museumsgründung. Vgl. Teixeira de Barros, R. 2002 (MS). Speziell zu Karl Nierendorf und zur Geschichte der Galerie Nierendorf vgl. Dissertation von Anja Walter-Ris: Die Geschichte der Galerie Nierendorf, Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne, Berlin/New York 1920–1995. http://www.diss.fu-berlin.de/2003/238/walter-ris.pdf. In Kapitel 7 werden seine Verbindungen zu Fancisco Matarazzo Sobrinho beschrieben und die damit verbundenen Pläne für Brasilien. Interessanterweise stammt auch von Karl Nierendorf eine der ersten Schriften über das Bauhaus. Vgl. Nierendorf, Karl und
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Davos kennen, wohin Nierendorf eine seiner Europa-Reisen ausweitete, um Matarazzo zu treffen, von dem er wusste, dass er „one of the most prominent and richest men in Brazil“ war und Pläne für ein neues Museum in Brasilien schmiedete.77 Der aus dem Rheinland stammende Nierendorf gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den bedeutendsten Kunsthändlern in Deutschland. Er gründete 1920 in Köln seine erste Galerie, nachdem er sich bereits einige Jahre für Künstler eingesetzt hatte, als Verleger tätig gewesen war und ein Netzwerk im Kulturbetrieb aufbaute, das seiner weiteren Arbeit im Kunsthandel zuträglich wurde. Zu den bekanntesten von ihm vertretenen Künstlern zählte Otto Dix, der ihn auch mehrfach portraitierte. 1923 übernahm Nierendorf die Geschäftsführung einer renommierten Galerie für Moderne Kunst in Berlin, das Graphische Kabinett von J. B. Neumann, der in die USA übersiedelte und mit dem er das Kabinett später noch für kurze Zeit partnerschaftlich als Galerie Neumann-Nierendorf führte.78 Trotz zahlreicher finanzieller – und gesundeitlicher – Schwierigkeiten stellte Nierendorf die Galerie mit Ehrgeiz und Unternehmergeist wieder auf ein solides Fundament. Dennoch: Unzufrieden über die politische Situation und deren repressive Auswirkung auf seine Arbeit, ging er 1936 nach New York mit der Absicht, seine Geschäfte dorthin auszuweiten. Sein Bruder wiederum führte die Galerie in Berlin bis zu ihrer Schließung 1938 weiter, denn Karl Nierendorf entschloss sich, sich auf die 1937 eröffnete und erfolgversprechende Kunstgalerie in New York zu konzentrieren. Mit Nierendorf in Davos sprach Matarazzo Sobrinho die erste Ausstellung im MAM ab, „eine moderne Ausstellung, international“, deren Leitung er übernehmen sollte.79 Zudem gedachte Nierendorf, „bei der Errichtung eines Mod. Museums [MAM] mitzuwirken.“80 Matarazzo Sobrinho, der sich immer auch über die brasilianischen Landesgrenzen hinaus orientierte, festigte damit seine Beziehungen zu den Kulturschaffenden in New York. Der frühe Tod Nierendorfs am 25. Oktober 1947 jedoch verhinderte, dass er die letzten Schritte zur Realisierung dieses Projektes unternahm, so dass die auf Staatliches Bauhaus Weimar (Hg.): Staatliches Bauhaus in Weimar 1919–1923, Weimar 1923. 77 Vgl. Walter-Ris, A. 2003, S. 308. 78 Nierendorfs Bruder Josef führte die Geschäfte in Köln vorerst weiter, kam dann jedoch bald zur Unterstützung Karls nach Berlin. Die Kölner Galerie wurde dafür zunächst aufgegeben, 1925 jedoch in Düsseldorf als Dependance der Berliner Galerie neu eröffnet. 79 Vgl. Brief von Karl Nierendorf an Johannes Bredt, Anfang September 1947. Zitiert bei Walter-Ris, A. 2003, S. 308. 80 Vgl. ebd.
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ihn zurückgehende Ausstellung über abstrakte Entwicklungen in der modernen Kunst letztlich von dem belgischen und bis dahin in Paris lebenden Kunstkritiker Léon Degand organisiert wurde, der zum ersten Leiter des MAM ernannt wurde. Diese Verbindung kam über die Vermittlung des in Frankreich lebenden brasilianischen Künstlers und engen Freundes von Matarazzo, Cícero Dias, zustande.81 Die erste Ausstellung des MAM, das noch keinen festen Sitz hatte, wurde auf dem Industriegelände des Matarazzo-Unternehmens im Stadtteil Brás untergebracht,82 während die anderen Veranstaltungen des MAM – hauptsächlich Vorträge des gerade im Juli 194883 aus Frankreich nach Brasilien gekommenen Degand zu verschiedenen Themen moderner Kunst – in der Biblioteca Municipal durchgeführt wurden. Allerdings wurde jene, ursprünglich von Nierendorf initiierte Ausstellung unter dem Titel „Do Figurativismo ao Abstracionismo“ erst am 8. März 1949 eröffnet, als erste Ausstellung des MAM in seinen eigenen Räumen in unmittelbarer Nachbarschaft zum MASP.84 Welche Aktivitäten die Geschichte des MAM auf dem Fabrikgelände in der Rua Caetano Pinto markierten, ist in den Details nur schwer nachzuvollziehen, weil nur wenig Quellenmaterial dazu erhalten geblieben ist. Teixeira de Barros, die sich in diesem Teil ihrer Untersuchung hauptsächlich auf Briefe und Telegramme der Organisatoren stützt, spricht von zwei Ausstellungen: eine kleinere Malereiausstellung mit Arbeiten des brasilianischen Künstlers José Antônio da Silva85 und die „Exposição de Arte Abstrata“ mit den bereits aus Frankreich eingetroffenen, für die große Ausstellung gedachten Werken. Nach Teixeira de Barros handelte es sich bei den abstrakten Kunstwerken um jene Arbeiten aus Frankreich, die um diejenigen aus den USA ergänzt werden sollten. Die internationale Tendenz in der Zusammensetzung der intendierten Ausstellung sollte ursprünglich mit Werken aus Sammlungen in den USA und Frankreich gewährleistet sein, für die mit dem MoMA, das die Werke aus Nierendorfs Besitz erhielt, sowie mit dem Galeristen Leo Castelli in New York und René Drouin in Paris verhandelt wurde. Obwohl die Verhandlungen sehr weit gediehen und die 81 Vgl. O Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo 1990, S. 14 und Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 119. 82 Vgl. ebd., S. 140. 83 Vgl. ebd., S. 132. 84 Vgl. ebd., S. 161. 85 José Antônio da Silva beteiligte sich 1946 mit seiner naiven Malerei bei einer Gruppenausstellung in (São José do) Rio Preto im Bundesstaat São Paulo, die ihn auch in der Stadt São Paulo bekannt machte. Die Literatur spricht von einer Entdeckung durch Sergio Milliet und Lourival Gomes Machado. Vgl. z. B. Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 139.
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Werke bereits verpackt waren, kam es letztlich zu keinen Leihgaben aus den USA. Teixeira de Barros’ Darstellung zufolge ließen Uneinigkeiten bei der Finanzierung Matarazzo den Vertrag aufheben.86 Degand bedauerte in einem Schreiben an Cícero Dias die dadurch entstandene Konzeptlosigkeit,87 die zusammen mit den ungünstigen Bedingungen des provisorischen Ausstellungsortes der Grund dafür gewesen sein könnte, dass die gesamte Schau keine größere Wirkung und keinerlei Resonanz in der Presse erzielte. Unter Verzicht auf die US-amerikanischen Leihgaben wurde dann im neuen MAM lediglich jener Teil der geplanten Schau gezeigt, der aus Frankreich kam und weitgehend die sogenannte „Pariser Schule“ 88 repräsentierte, ergänzt durch Werke aus brasilianischem Privatbesitz.89 Insgesamt umfasste die Ausstellung 95 Arbeiten von 51 Künstlern, von denen lediglich drei aus Brasilien stammen: Cícero Dias, Waldemar Cordeiro und Samson Flexor.90 Zum französischen Teil gehörten Namen wie Jean Arp, Robert Delaunay oder Fernand Léger, deren Arbeiten Eigentum des Künstlers, einer Galerie oder eines privaten Sammlers in Frankreich waren,91 aber auch Namen wie Otto Freundlich aus Deutschland, von dem ein Werk als Leihgabe aus einer Pariser Privatsammlung ausgeliehen wurde.92 Aus brasilianischen Sammlungen kamen Arbeiten beispielsweise von Alexander Calder oder Joan Miró. Degands begleitender Katalogtext erläutert die Intention, verschiedene Wege darzulegen, wie ein Künstler seit dem Beginn 86 Vgl. ebd., S. 143–149. 87 Vgl. Degand an Cícero Dias, 24 nov. 1948. Zitiert nach Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 147. 88 Als Vertreter der École de Paris versteht man jene – nicht nur französischen – Künstler des Impressionismus, Kubismus oder anderer moderner Stilrichtungen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kunstszene in Paris prägten. Vgl. Cassou, Jean: Dessins des peintres et sculpteurs de l’École de Paris, Paris 1958. 89 Vgl. Do Figurativismo ao Abstracionismo, Katalog Museu de Arte Moderna, São Paulo 1949. 90 Vgl. ebd. Der Pernambukaner Cícero Dias lebte seit 1937 in Paris, der in Rom geborene Italo-Brasilianer Waldemar Cordeiro kam erstmals 1946 nach Brasilien, wo er dann auch blieb, ebenso der Rumäne Samson Flexor, der ebenfalls 1946 nach Brasilien übersiedelte. Flexor studierte in den 20er Jahren in Paris und nahm dort an mehreren Salonausstellungen teil. 91 Zum Teil konnten Leihgeber gewonnen werden, die sich schon damals einen Namen auf dem Gebiet des Kunsthandels gemacht hatten, wie die Galerien Denise René oder Maeght. 92 Vgl. Do Figurativismo ao Abstracionismo, 1949, S. 59–71.
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des Impressionismus zu seinen abstrakten Formen finden kann. Ob er sich bei dieser Konzeption an ein theoretisches Werk anlehnte, wie beispielsweise an das 1925 verfasste und legendär gewordene „Kunstismen“ von El Lissitzky und Jean Arp, ist nicht bekannt.93 Im dazugehörigen Katalog offenbart die Museumsleitung beziehungsweise Degand erneut und nun öffentlich, dass die mit dem internationalen Transport zusammenhängenden Schwierigkeiten ein verändertes Konzept erforderten: „[…] unsere Ausstellung ist weit entfernt von der Vollständigkeit, wie man sie in normalen Zeiten erwarten würde“ 94 und legt demnach einen Schwerpunkt auf die Vertreter der „Pariser Schule“. Die Zusammensetzung der ursprünglich vorgesehenen Ausstellung, für die laut Degand „junge wie auch reife Künstler verschiedener Nationalitäten“ geplant gewesen war,95 ist zwar nicht genau bekannt, doch wurde über Arbeiten von Marcel Duchamp verhandelt sowie beispielsweise von Paul Klee und Piet Mondrian. Ein bei Teixeira de Barros zitierter Brief von Matarazzo Sobrinho zeigt, dass einige Arbeiten berühmter Künstler, die aufgrund der ausgebliebenen Sendung aus den USA nicht gezeigt werden konnten, durch andere, in brasilianischem Privatbesitz befindliche Arbeiten derselben Künstler ersetzt wurden.96 Trotz dieser ungünstigen Umstände bei der Vorbereitung kam es letztlich zu der Ausstellung über Wege der Abstraktion. Pressereaktionen sind nicht viele bekannt,97 doch die Anstrengungen, die das MAM unternahm, um über die Ausstellung zu informieren und ihre Inhalte zu vermitteln,98 sowie die Tatsache, dass bis dahin keine weitere Institution außer dem MASP als Mittler moderner Kunst 93 Arp, Jean/Lissitzky, El: Die Kunstismen, Zürich/München/Leipzig 1925. 94 Vgl. ebd., S. 13. 95 Léon Degand in einem Brief nach Buenos Aires. Zitiert nach Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 140. 96 Francisco Matarazzo Sobrinho a Marcel Duchamp, 3 jan. 1949. Zitiert nach Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 147. 97 Die Zeitschrift Jornal das Artes, deren einzige drei Ausgaben im Jahr 1949 erschienen, bildete Fotografien der Vernissage ab sowie einige Bilder, die einen Einblick in die gesamte Ausstellung gewähren. Mit überwiegend Gemälden, wenigen Skulpturen und einigen Mobilés ist eine Aneinanderreihung von künstlerischen Arbeiten zu erkennen; auf eine thematische Unterteilung ist verzichtet worden. Vgl. Jornal das Artes (São Paulo), Nr. 1, Juni 1949. Im Anschluss an das MAM ging „Do figurativismo ao abstracionismo“ wie geplant nach Rio de Janeiro und Buenos Aires. Vgl. Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 141. 98 Insbesondere der Kurator Degand hielt einige Vorträge über Abstraktion in der Kunst, und auch die erwähnte, dem MAM nahestehende Zeitschrift Jornal das Artes widmete sich ausführlich diesem Thema.
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in São Paulo etabliert war, lassen die Vermutung zu, dass mit den ausgestellten Werken dem Paulistaner Publikum tatsächlich neue Wege in der Kunst aufgezeigt wurden. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Kritik laut geworden war, denn eine noch während der ersten Ausstellung, im Dezember 1948, von Francisco Matarazzo Sobrinho verfasste Pressemitteilung, die er den lokalen Zeitungen zukommen ließ, trägt einen rechtfertigenden Ton, dem vermutlich Angriffe vorausgegangen waren: „Zunächst möchte ich ein für allemal klarstellen, dass das Museu de Arte Moderna de São Paulo nicht im geringsten eine Vorliebe für die Abstraktion hat. Die Intention des Museums ist, zu sammeln und dem Publikum das Interessanteste, was es an Positionen in der modernen Kunst unseres Jahrhunderts gibt, zugänglich zu machen. Und wenn wir unser Museum mit einer Ausstellung über ‚Nichtfigurative‘ eröffnen, war die Absicht der Organisatoren, unserem Publikum eine wichtige, jedoch in unseren Kreisen wenig bekannte Manifestation der modernen Kunst vorzustellen; und dies insbesondere aus dem Grund, weil wir während der Kriegsjahre von den künstlerischen Zentren abgeschlossen waren.“99 Er fährt an späterer Stelle fort, dass „Ausstellungen in den Wohnvierteln“100 geplant seien und „damit ein didaktisches Werk zur Verbreitung von Kultur“.101 Auch der letzte Absatz spricht diesen gesellschaftlichen Aspekt des MAM an und wird hier im Ganzen zitiert: „Das Museum de Arte Moderna ist eine Gesellschaft, die von und für Personen, die sich für die moderne Kunst interessieren, gegründet wurde. Sobald das Museum eröffnet ist, werden wir eine große Kampagne starten, um unseren sozialen Rahmen zu erweitern, mit dem Ziel, die Unterstützung aller sozialen Klassen zu erhalten. Unser Interesse ist, aus dem
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Übersetzung aus dem Portugiesischen durch die Verf.: „Antes de mais nada quero esclarezer de uma vez por todas, que o Museu de Arte Moderna de São Paulo não tem nenhuma preferência alguma pelo ‚abstracionismo‘. O intuito do Museu é colecionar e dar a conhecer ao público o que há de mais interessante nas manifestações da arte moderna de nosso século. E se vamos inaugurar o nosso Museu com uma exposição dos ‚Não Figurativos‘, o intuito dos organizadores foi o de mostrar ao nosso público uma manifestação importante da arte contempor[â]nea pouco conhecida em nosso meio, e isto, especialmente por termos ficado separados dos centros artísticos mundiais durante os anos de guerra.“ Entrevista do sr. Matarazzo para as Folhas, unveröffentlichtes Dokument vom 23. 12.ä1948 (017-I) im Nachlass Francisco Matarazzo Sobrinho, AHWS/FBSP.
100 „[…] pretendemos fazer exposições nos bairros populares e desta maneira realizar uma obra didática de divulgação cultural.“ Vgl. ebd. 101 Vgl. ebd.
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Museum ein aktives Zentrum mit einer breiten populären Basis zu machen, um unseren Beitrag zum kulturellen Fortschritt São Paulos zu leisten.“102 Trotz der dem MAM wie ein künstlerisches Rektorat vorstehenden Kommission und der kleineren Gremien, innerhalb derer über das Programm der einzelnen Sparten entschieden wurde,103 war Matarazzo Sobrinho die entscheidende Instanz innerhalb des MAM und hat die für das MAM geltenden Ziele formuliert.104 Tatsächlich hat es das MAM geschafft, Kunst gleichzeitig auszustellen 102 Übersetzung aus dem Portugiesischen durch die Verf. Original: „O Museu de Arte Moderna é uma sociedade fundada por e para pessoas que se interessam pela arte moderna. Tão logo esteja inaugurado o Museu vamos lançar uma grande campanha para ampliar o nosso quadro social afim de obtermos o apoio de todas as classe sociais. O nosso interesse é de tornar o Museu um centro ativo com ampla base popular para podermos cooperar para o progresso cultural de São Paulo.“ Ebd. 103 Geplant waren Aktivitäten in folgenden Bereichen: Architektur, Film, Ausstellungen, Folklore, Fotografie, Grafik, Musik, Malerei und Skulptur. Vgl. O Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo, 1990, S. 14. 104 Dies hat u. a. dazu beigetragen, dass er vielen als ein schwieriger Partner in Erinnerung geblieben ist. In dem im Biennale-Archiv aufbewahrten Matarazzo-SobrinhoNachlass findet sich beispielsweise eine Sammlung von unveröffentlichten Interviews, die zwischen 1976 und 1978 geführt und transkribiert worden sind. Die Interviewpartner wurden zur Person Francisco Matarazzo Sobrinhos befragt und äußerten sich überwiegend sehr offen über den 1977 verstorbenen Leiter. Die Befragten waren bekannte und zum Teil ihm nahestehende Personen, darunter hochrangige Persönlichkeiten, wie der ehemalige Staatspräsident Jânio Quadros, der Soziologe Gilberto Freyre, die Kunstwissenschaftler Walter Zanini und P. M. Bardi, der Schriftsteller Mario Chamie, der Architekt João Batista Vilanova Artigas und Künstler wie Maria Bonomi oder Alfredo Volpi. In den meisten Gesprächen wird deutlich, wie er das kulturelle und künstlerische Leben in São Paulo bewegte und beeinflusste. Die genannten Interviews wie auch andere Beschreibungen seiner Person lassen dennoch nicht wenig Kritik deutlich werden. Zum Teil bezeugen sie die Rivalität der beiden Museumsdirektoren Francisco Matarazzo Sobrinho (MAM) und Assis Chateaubriand (MASP), die gleichzeitig das kulturelle Engagement in der Stadt belebte. Den „Animador“ Matarazzo Sobrinho, wie ihn der Schriftsteller Chamie beschreibt und damit eine treibende Kraft meint, hört man aus fast allen Charakterisierungen heraus. Eine Bestätigung dieser Bewertung der in den 70er Jahren aufgezeichneten Interviews findet sich in den auf ähnliche Weise geführten und ebenso unveröffentlichten Gesprächen von Liliane Mendes mit 34 Personen. Diese gleichermaßen im Biennale-Archiv aufbewahrten Dokumente sollten als Grundlage die-
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und zu vermitteln, wenn auch zunächst nicht auf einer breiteren Ebene, wie es Matarazzos Pressemitteilung postuliert.105 Langfristig gesehen wurde diese Aufgabe von der Biennale erfüllt, die als Veranstaltung des MAM ins Leben gerufen wurde und stets hohe Besucherzahlen verzeichnet.106 Neben der Biennale sind es zwei weitere, heute zu den wichtigsten Kunstinstitutionen der Stadt São Paulo zählende Einrichtungen, als deren Grundstock das MAM gilt: das Museu de Arte Contemporânea (MAC) und das MAM in seiner neuen Form. 1961 wurde das ursprüngliche MAM aufgelöst, indem sein Bestand der Universität von São Paulo (USP) übergeben wurde. Daraus entstand das MAC. Das MAM wurde 1968 neu gegründet und das begann daraufhin, wieder einen eigenen Bestand aufzubauen.107 Im alten MAM schließlich ist die Idee der Biennale São Paulo entstanden. Léon Degand, der nur bis August 1949 in Brasilien blieb, wurde von Lourival Gomes Machado als Kurator im Museum abgelöst, innerhalb dessen dieser dann auch mit der künstlerischen Leitung der I. Biennale betraut wurde.
nen für eine Biographie Francisco Matarazzo Sobrinhos, die jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht realisiert worden ist. Vgl. Depoimentos/1976–1978, Vol. I und II (Personalidades analisam o homem e a obra de um grande brasileiro), unveröffentlichtes Manuskript, AHWS/FBSP und Mendes, Liliana: Pesquisa sobre Ciccillo Matarazzo, realizada em Setembro 1994 – Outubro 1995, Entrevistas/ Depoimentos, AHWS/FBSP. 105 Dem MAM standen für Filmvorführungen, Kurse und andere Rahmenprogrammpunkte eigens dafür vorgesehene Räume zur Verfügung, die Vilanova Artigas für das Museum dementsprechend umgebaut hatte. Vgl. Teixeira de Barros, R. 2002 (MS), S. 159 f. Zum Projekt des „museu vivo“, dem lebendigen Museum mit didaktischem Programm vgl. z. B. MAM – Museu de Arte Moderna de São Paulo. Apresentação: Milú Villela, Eduardo A. Levy Junior e Cacilda Teixeira da Costa, São Paulo 1995. 106 Diese werden zwar mitunter durch den regen Besuch von Schulklassen erzielt, doch sind diese von Anfang an in ein pädagogisches Programm eingebettet und profitieren demnach von der Vermittelungstätigkeit der Biennale. Bedauerlicherweise sind keine Besuchszahlen aus den ersten Jahren der Biennale bekannt, doch wird in den Quellen von großem Andrang oder wie bei der Kunstpädagogin Evelyn Berg Ioschpe von einer „phantastisch hohen Nachfrage beim Publikum in ganz Brasilien […]“ gesprochen. Vgl. Ioschpe, Evelyn Berg: Bienal e Educação. In: Revista USP (São Paulo), Cinqüenta anos de bienal internacional de são paulo, dezembro/janeiro/ fevereiro 2001–2002, Ausgabe 52, S. 108–115, dort: S. 110. 107 Vgl. z. B. O Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo, 1990.
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3.2.2.2 Die Biennale als Veranstaltung des MAM Nachdem das Museu de Arte Moderna seine ersten Erfolge als ein künstlerisches Zentrum verzeichnen konnte, das Ausstellungen und vielfältige Kurse anbot, entschied sich eine Gruppe Intellektueller und Künstler aus dem Umfeld des MAM zur Gründung einer periodischen Ausstellung mit internationaler Beteiligung. Neben Matarazzo Sobrinho als Hauptinitiator waren maßgeblich beteiligt: die Kunstsammlerin Yolanda Penteado Matarazzo, der Leiter der Biblioteca Municipal Sérgio Milliet108 und der Direktor des MAM, Lourival Gomes Machado. Sie waren Teil des von Pfeiffer als „kosmopolitische, intellektuelle Elite in São Paulo“ beschriebenen Milieus,109 das in São Paulo in der ersten Hälfte des Jahrhunderts entstand. In diesem Umfeld befanden sich einige der nach dem Zweiten Weltkrieg aus Europa emigrierten jungen Akademiker, die in São Paulo auf den finanzkräftigen und kunstinteressierten Unternehmer Francisco Matarazzo Sobrinho trafen, der zahlreiche Kontakte zu Künstlern pflegte. In dieser kreativen und geselligen „Szene“ wuchs der Biennalegedanke, ohne dass sich feststellen ließe, ob der Anstoß ursprünglich von einer einzelnen Person stammte.110 Es lag nahe, sich bei der Entwicklung eines Konzeptes an einem bereits bestehenden Modell zu orientieren oder auch davon abzusetzen. Man fand dieses in der Biennale Venedig, die die Organisatoren bereits aus eigener Erfahrung kannten. Dort hatte das MAM 1950 die Gelegenheit, den brasilianischen Beitrag für die XXV Biennale di Venezia zu organisieren. Lourival Gomes Machado kündigte im dazugehörigen Katalogtext eine Biennale in São Paulo an: „Die Organisation einer nächsten ersten Biennale im Museu de Arte Moderna de São Paulo, nach dem Modell von der in Venedig, wird für die Zukunft bestimmt von Vorteil sein.“111 Die Biennale di Venezia ihrerseits entstand 1895 und basierte auf zwei gegensätzlichen Vorbildern des 19. Jahrhunderts: den internationalen Weltausstellungen und den alljährlichen Salon-Ausstellungen in Paris. Von beiden jedoch zeigte sich der Weltausstellungsgedanke in Struktur und Terminologie als 108 Vgl. Kapitel 3.2. 109 Übersetzung aus dem Portugiesischen durch die Verf. Original: „elite da intelectualidade paulistana cosmopolita“. Vgl. Tirapeli, P. 1995, S. 168. 110 Amarante fasst in ihrer Untersuchung die Vermutungen zusammen, wer die Idee gehabt haben könnte beziehungsweise wer sie für sich beanspruchte. Weder von Yolanda Penteado noch von Danilo di Prete, beide bei Amarante genannt, gibt es schriftliche Aufzeichnungen, die eine Zuschreibung der Gründungsidee zuließen. Vgl. Amarante, L., S. 13. 111 Vgl. Milliet, Sérgio: Brasile. In: XXV Biennale di Venezia, Katalog, Venedig 1950, S. 221–222.
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besonders prägend, der seit der ersten Universalausstellung, der Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations in London im Jahre 1851, einen „friedlichen Wettstreit“ zwischen den Nationen vorsah. Dieser ersten Weltausstellung ging das Freihandelsgesetz von 1846 voraus, ein Zeugnis internationaler Wirtschaftsbestrebungen innerhalb der nationalen Abgrenzung durch die Staatenbildung in Europa. Wettbewerbsorientiert und fortschrittsoptimistisch, impliziert dieses Freihandelsprinzip die Idee eines weltweiten Friedens durch universalen Freihandel. England als Europas frühestes industrialisiertes Land wagte diesen ersten „friedlichen Wettstreit“ mit anderen Nationen und ließ von Joseph Paxton den mit der neuesten Technologie entwickelten Crystal Palace bauen, in dem sich die einzelnen Länder mit der Präsentation von Industriegütern, Kunsthandwerk und Besonderheiten aus ihren Kolonialgebieten internationales Renommee erhofften.112 Auch der Biennale in São Paulo ging eine gesetzliche Neuordnung voraus, die die wirtschaftliche Öffnung Brasiliens vorsah,113 wie auch der Biennale in der traditionellen Handelsstadt Venedig, deren Eingliederung nach Italien 1866 ebenfalls im Zeichen eines internationalen Handelsausbaus stand. Ohne einen direkten Zusammenhang konstruieren zu wollen, so spiegeln sich in allen drei Fällen doch gleichzeitig Nationalbewusstsein und internationale Orientierung wider, die laut Lagler mithalfen, die „Grundlage einer internationalen Ausstellung in Venedig“ zu schaffen.114 Nach dieser legendären Schau im Kristallpalast gab es weitere Universalausstellungen vor allem in Europa und den USA, für die jeweils ein großes Gebäude bereitgestellt wurde.115 Für die Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 jedoch 112 Vgl. Haltern, U. 1971. 113 Vgl. Kapitel 2.2.2. 114 Vgl. Lagler, A. 1992, S. 12. 115 Zur Geschichte der Weltausstellungen vgl. Krutisch, Petra: Aus aller Herren Länder. Weltausstellungen seit 1851, Nürnberg 2001. Dieses Buch geht auch auf die Vorgeschichte der Weltausstellungen ein, die ihre Vorläufer in den Industrie- und Gewerbeausstellungen hatten, die in Europa auf regionaler und nationaler Ebene ab etwa Mitte des 18. Jahrhunderts existierten. Der Informationsaustausch von Gewerbe, Handwerk und Kunst stand dabei im Vordergrund, und wie später bei den Weltausstellungen wurden ab 1796 in Paris unter den Teilnehmern Preise für besondere Leistungen vergeben. Noch vor den Engländern habe man in Frankreich die Idee einer internationalen Ausstellung entwickelt, an der sich zu beteiligen der französische Wirtschafts- und Handelsminister Louis-Joseph Buffet seine Handelskammern aufforderte. Doch sei man in England den Franzosen zuvorgekommen, so dass die Geschichte der Universalausstellungen 1851 schließlich auf englischem Boden ihren Anfang nahm. Vgl. ebd. S. 10.
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wurden erstmals kleinere Pavillons errichtet, die rund um das gigantische Hauptgebäude den einzelnen Teilnehmerländern zur Verfügung standen. Diese Idee wurde 1900 in Paris erneut aufgegriffen und dahingehend ausgeweitet, dass jedes geladene Land seinen eigenen Pavillon entwerfen ließ. Auch in Venedig, wo sich die Biennale in ihrer ersten Phase auf einen Gebäudekomplex konzentrierte, galt ab 1903 das Prinzip der Parzellierung. Ähnlich wie 1900 die charakteristischen Pavillons entlang der Seine, errichteten die Länder in den Giardini de Castello eigene Bauten, die größtenteils heute noch Bestand haben und ein wesentliches Merkmal der venezianischen Biennale darstellen. Darüber hinaus fördert jeder Pavillon die Repräsentationsmöglichkeit der jeweiligen Nation. Allerdings gibt es keine variable Ausstellungsfläche, und jedes Land findet sich bei jeder einzelnen Biennale am selben Ort. Es handelt sich bei den Pavillons in den Giardini um Liegenschaften der jeweiligen Länder, für deren Erhalt und Bestand diese Sorge zu tragen haben. In São Paulo ist eine Diskussion über die Einführung von Länderpavillons nicht bekannt. Der provisorische Bau für die I. Biennale sowie die späteren Bauten im Ibirapuera-Park sahen keine feste Anordnung für die Länderbeiträge vor, so dass die Länderbeiträge bei jeder Biennale einen anderen Platz bekamen.116 Hingegen ist – wie bereits erwähnt – das kommissarische Prinzip zur Auswahl der Kunst von der Biennale Venedig übernommen worden, die sich dabei ihrerseits an den Weltausstellungen orientierte. Dabei werden die Kosten von den einzelnen Ländern maßgeblich mitgetragen, was in finanzieller, aber auch organisatorischer Hinsicht eine Entlastung für den Ausrichter darstellt. Weitere Vorbilder neben der Biennale Venedig und indirekt den Weltausstellungen gab es praktisch nicht. Wolfgang Pfeiffer berichtet zwar, dass man angesichts der allgemeinen Kritik an der Biennale Venedig – dort richtete sich die Kritik vor allem auf die veralteten Strukturen mit einem Wettbewerb unter den Ländern, der sich bei den Prämierungen am deutlichsten ausdrückt – auch andere, bestenfalls internationale Konzepte ins Auge gefasst hatte,117 doch stellte man fest, dass andere Formen nicht 116 Diese Praxis änderte sich mit der Aufhebung der Länderbeiträge bei der XXVII. Biennale 2006. Diese grundlegende konzeptionelle Veränderung hatte weitreichende Konsequenzen für die gesamte Organisation der Biennale São Paulo. Für die Auswahl der Kunst bedeutet dies, dass sie allein beim Kurator bzw. dem Kuratorenteam liegt. 117 Vgl. Tirapeli, P. 1995, S. 171. Später, 1957, suchten Experten nach ersten Lösungen zu einer Erneuerung und Attraktivitätssteigerung der Biennale Venedig. Die lokale Situation mit ihren festen Strukturen habe aber die dauerhafte Durchführung grundlegend neuer Zielsetzungen verhindert. Vgl. z. B. Dorigo, Wladimiro: Jahrhundert-
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auf die Bedürfnisse in São Paulo übertragbar waren: Die Whitney-Biennale in New York hatte zwar schon eine längere Tradition, war aber hauptsächlich national orientiert. Diese Biennale wurde 1932 von Gertrude Vanderbilt Whitney, der Gründerin des Whitney Museum of American Art in New York eingerichtet, zu dessen Veranstaltungen sie auch heute noch gehört.118 Die WhitneyBiennale will die neuesten Entwicklungen in der US-amerikanischen Kunst aufzeigen und die Bindung demonstrieren, die das Museum zu den Künstlern und der Kunstszene der USA aufrechterhält. Trotz dieser nationalen Ausstellung gilt sie unter internationalen Künstlern und Kuratoren als Veranstaltung mit richtungsweisenden Tendenzen, so dass ihr dieses Renommee eine internationale Bedeutung verschafft. Auch die documenta in Kassel, die damals schon diskutiert wurde, war anfangs noch nicht ausdrücklich international ausgerichtet.119 Sie war vielmehr kunsthistorisch angelegt und auf Entwicklungen der Kunst in Deutschland orientiert und zudem als eine zentral verwaltete Ausstellung, nicht mit kommissarisch tätigen Kuratoren, geplant gewesen. Die erste documenta im Jahre 1955 zeichnete „mit überwältigender Präsenz die Hauptlinien des Buches [von Werner Haftmann], seine Perspektiven, Präferenzen, auch seine Auslassungen (z. B. Magritte) und Sehbehinderungen (z. B. auf den russischen Konstruktivismus) nach.“120 Sie „traf einen Nerv ihrer Zeit und erfüllte einen deutschen Wunsch nach vorzeigbarer Geschichte und westlicher Integration.“121 Erst die documenta 5 (1972) ist als Themenausstellung zu verstehen; seitdem erhielt jede einzelne documenta eine besondere Prägung durch ihren Leiter oder ihre Leiterin. Eine internationale Beteiligung jedoch war für die Organisatoren in São Paulo ein zentrales Kriterium für das Museum wie auch für die Biennale. Noch vor der eigentlichen Biennale-Planung hatten sie Reisen unternommen, die der Kontaktaufnahme zu potenziellen Partnern sowie dem Aufspüren neuer Kunstwerke oder ganzen Ausstellungsübernahmen galten. Dazu zählt Venedig, wohin Gomes Machado und Matarazzo Sobrinho anlässlich der brasilianischen Bienkritik – Plädoyer für eine Neuerfindung der Biennale. In: Jahresring 42/1995, S. 24– 33, dort: S. 25 f. 118 Vgl. z. B.: Falk, Peter Hastings (Hg.): The Annual & Biennial Exhibition Record of the Whitney Museum of American Art, Boston 1991, S. 9–11. 119 Die documenta in Kassel wurde erstmals 1955 veranstaltet und findet dort alle fünf Jahre statt. Zu ihrer Geschichte vgl. Kimpel, H. 1997. 120 Vgl. Schneckenburger, Manfred (Hg.): documenta – Idee und Institution: Tendenzen, Konzepte, Materialien, München 1983, S. 14. Schneckenburger meint hier Haftmanns 1954 erschienenes Standardwerk „Malerei im 20. Jahrhundert“. 121 Ebd.
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nale-Beteiligung reisten, aber auch Paris, wo sich Sérgio Milliet 1949 für längere Zeit aufhielt. Milliet versuchte dort, Kontakte beispielsweise für Ausstellungsübernahmen nach Brasilien zu knüpfen.122 Die finanzielle Seite war trotz des Budgets, für das in erster Linie der Industrielle Francisco Matarazzo Sobrinho sorgte, keine marginale Frage bei den Planungen. Eine internationale Ausstellung in der Art der venezianischen Biennale unter der wesentlichen Mitverantwortung der teilnehmenden Länder war demnach am besten vorstell- und realisierbar, laut Wolfgang Pfeiffer sogar der „einzige begehbare Weg“.123 Darüber hinaus waren die Verantwortlichen in São Paulo davon überzeugt, dass die zuständigen Organe im Ausland sich eher für eine Teilnahme an einer Veranstaltung mit einem bewährten Konzept entscheiden würden als für ein neues, das einen größeren Unsicherheitsfaktor bergen könnte.124 Die Biennale-Organisatoren in São Paulo erreichten schließlich diese internationale Beteiligung mit der engen – nicht zuletzt finanziellen – Kooperation der Teilnehmerländer: Es wurden von Seiten der Biennale zuweilen zwar Vorschläge unterbreitet,125 doch im Kern blieben die Auswahl der Kunst und die Zusammenstellung eines nationalen Beitrags mitsamt ihrer Finanzierung in der Zuständigkeit des jeweiligen Landes. Allerdings muss hier angefügt werden, dass die Biennale Venedig von Anfang an mit öffentlichen Geldern von Stadt und Staat rechnen konnte und zudem von 1897 an als Verkaufsausstellung neben Eintrittskarten und Katalogen hohe Einnahmen aus Kunstverkäufen erzielte.126 In São Paulo sah die Unterstützung von offizieller Seite so aus, dass die Stadtverwaltung bei der Bereitstellung der Räumlichkeiten großes Entgegenkommen 122 Vgl. Schreiben von Sérgio Milliet an Francisco Matarazzo Sobrinho vom 20.05.49, Mappe 1603, Nachlass Francisco Matarazzo Sobrinho, AHWS/FBSP. 123 Vgl. Pfeiffer, W. 1987, S. 15: „[…] não podemos negar o fato de que este método do envio das participações estrangeiras, por conta dos seus países estrangeiras, por conta dos seus países des origem, foi o único caminho viável para resolver a parte financeira da montagem da mostra.“ 124 Vgl. ebd. 125 Dies geschah beispielsweise 1956, als der Wunsch nach einer Sonderausstellung über das Bauhaus für die IV. Biennale geäußert wurde. Vgl. Kapitel 4.1.2. 126 Alloway, L. 1969, S. 16. In seiner am Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der Technischen Universität Berlin entstandenen Dissertation zur Geschichte der Biennale von Venedig betont weiterhin der Autor J. May die wesentliche finanzielle Unterstützung von offizieller Seite, die zum Erfolg der Biennale beigetragen habe: May, Jan Andreas: La Biennale di Venezia. Kontinuität und Wandel in der venezianischen Ausstellungspolitik 1895–1948. Studi – Centro Tedesco di Studi Veneziani N.F. 2, Berlin 2009.
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zeigte und die II. Biennale in den sehr förderlichen Rahmen der 400-Jahr-Feier einband. Die finanzielle Hauptlast lag aber bei der Biennale selbst beziehungsweise beim MAM, das als privates Museum für die Kosten aufkommen musste. Nicht nur die Produktion des künstlerischen Beitrags, sondern auch die Finanzierung seines Transportes legte das MAM in die Verantwortung der ausstellenden Länder, wobei die Regelungen erst in den späteren BiennaleKatalogen genau festgehalten wurden: Der Kunsttransport, dessen Kosten ausdrücklich von den jeweiligen Ländern getragen wurde, erfolgte unter dezidierten Verpackungsbedingungen wahlweise bis zum nächstgelegenen Seehafen Santos oder Flughafen Congonhas in São Paulo. Dort richtete die Biennale Umladeplätze ein, an denen die Kunstwerke unter ihrer Verantwortung umgeladen und weitertransportiert wurden. Allerdings schränkt eine weitere Klausel die Haftung ein, denn deren Inhalt macht darauf aufmerksam, dass die Biennale für keine Schäden aufkommt und sie deshalb den Abschluss von entsprechenden Versicherungen anrät.127
3.3 D IE ANFÄNGE
DER
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Die Einladung zur I. Biennale wurde im geladenen Ausland, allen voran den europäischen Staaten, positiv aufgenommen. In einzelnen Fällen – wie im deutschen – musste noch etwas Überzeugungsarbeit geleistet werden, doch letztlich wurden aus Deutschland, Frankreich, Italien und anderen Ländern umfangreiche, teilweise retrospektivische Überblicksausstellungen nach São Paulo geschickt, die zwei Jahre später – bei der II. Biennale – an Größe noch zunahmen. 3.3.1 1951: Die Gründungsbiennale Der Schauplatz der I. Biennale war ein aufwendiges, dennoch provisorisch errichtetes Gebäude auf dem historisch bedeutungsvollen Belvedere de Trianon, an der inzwischen wichtigsten Handels- und Geschäftsstraße São Paulos, der 1891 eingeweihten und ersten asphaltierten Straße der Stadt: Avenida Paulista.128 Dieses zweistöckige, oft als Casino bezeichnete Gebäude am Belvedere war jahrelang Treffpunkt wohlhabender Paulistaner und stammte wie die meisten
127 Vgl. VIII bienal de são paulo, Katalog Fundação bienal de São Paulo, São Paulo 1965, S. 35 und 43. 128 Vgl. z. B. Ponciano, Levino: São Paulo: 450 bairros/450 anos. São Paulo 2004, S. 216.
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benachbarten Häuser aus der Zeit des Kaffeebooms im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.129 Für die Biennale wurde kurzerhand der obere Bereich des Gebäudes abgerissen und modernen Architekten zur Planung zur Verfügung gestellt. Ergebnis war ein vornehm zurückhaltender Bau vom Reißbrett der beiden Architekten Luiz Saia und Eduardo Kneese de Mello;130 die architektonische Gestaltung der Innenräume übernahm der Architekt Jacob Ruchti, der sich im MASP schon als Gestalter diverser Ausstellungen und dann als Lehrer am IAC betätigt hatte.131 Trotz einer reiflich überlegten architektonischen Lösung132 war von vornherein lediglich von einem Bau für diese eine Ausstellung die Rede. Die Stadt erteilte die nötige Nutzungsgenehmigung für den Trianon, was aus einem Schreiben hervorgeht, das Francisco Matarazzo Sobrinho an die Stadtverwaltung richtete. Darin bittet er um eine auch finanzielle Unterstützung, vor allem für die Beschaffung von Materialien für Bau, Dekoration und „pavilhões“.133 Sein Hin129 Im Trianon befanden sich Restaurants, Tanzsäle, Teezimmer, außerdem eine große Terrasse mit Blick auf das niedriger gelegene Stadtzentrum. Der 1916 genehmigte Bau wurde im Büro des damals in São Paulo sehr gefragten Architekten Ramos de Azevedo geplant. Vgl. z. B. Ponciano, L. 2004, S. 269. 130 Eine Fotoserie von hohem dokumentarischem und künstlerischem Wert fertigte der Fotograf Hans Günter Flieg während des Abrisses des Belvedere do Trianon und der anschließenden Bebauung an. Vgl. z. B. São Paulo 450 anos: a imagem e a memória da cidade no acervo do Instituto Moreira Salles, Buch zur Ausstellung in der SesiGalerie, São Paulo 2004. Flieg wurde vom MAM, namentlich von Arturo Profili, für die gesamte fotografische Dokumentation der I. Biennale beauftragt. Die Fotografien befinden sich in seinem Privatbesitz, im Biennale-Archiv sowie im Instituto Moreira Salles, das 2006 sein gesamtes Fotoarchiv erworben hat. Vgl. Merklinger, Martina: Flieg – Fotógrafo. Ein Interview mit dem Fotografen Hans Günter Flieg. In: Tópicos – Deutsch-Brasilianische Hefte, 43. Jahrgang, Nr. 2/2004, S. 38–41 und Mössinger, Ingrid: Vorwort zur Ausstellung Hans Günter Flieg – Dokumentarfotografie aus Brasilien (1940 bis 1970), Ausstellungskatalog der Kunstsammlungen Chemnitz, 2008, S. 8. Zu Flieg vgl. auch Kapitel 4.1.1 in dieser Arbeit. 131 Vgl. I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951, S. 6. 132 Vgl. die im Architekturbüro von Luis Saia angefertigten Entwürfe und Fotos vom Gebäude der I. Biennale, AHWS/FBSP. 133 Vgl. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an den Bürgermeister der Stadt São Paulo, Armando de Arruda de Pereira, am 27. Februar 1951, AHWS/FBSP. Dieses Dokument ist die einzige bekannte Quelle, in der von mehreren Pavillons die Rede ist. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um einen aus Venedig und Paris übernommenen Sprachgebrauch handelt und dass damit tatsäch-
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weis auf die Möglichkeit einer Wiederverwertung der Baumaterialien für Überdachungen von städtischen Spielplätzen, für Lagerhallen etc. nach Abschluss der Biennale deutet auf einen provisorischen Bau, zumindest auf keine dauerhafte Nutzung durch das MAM hin.134 21 Länder schickten ihre Beiträge in diesen schlichten und mehr dem Neuen Bauen als seiner damals noch neoklassizistischen Umgebung verpflichteten Bau nach São Paulo, das zu jener Zeit als wachsende Handelsmetropole zunehmend an internationaler Bedeutung gewann. Dort fand die Iª Bienal do Museu de Arte Moderna de São Paulo von Oktober bis Dezember 1951 statt. 3.3.1.1 Die internationale Beteiligung Insgesamt waren bei dieser ersten Ausrichtung der Biennale über 1800 Kunstwerke aus – inklusive Brasilien – genau 22 Ländern135 zu sehen, darunter aus wirtschaftlich potenteren Industrienationen wie Frankreich, Großbritannien, Japan, den USA; daneben waren aber auch Kuba oder Honduras vertreten, und nicht zuletzt die Bundesrepublik. Brasilien selbst präsentierte sich bei der I. Biennale noch nicht mit einem eigenen geschlossenen Beitrag. Die Biennale räumte vielmehr acht ausgewählten Künstlern aus Brasilien jeweils einen Sonderbereich ein.136 Einzelne Künstler, wie Faiga Ostrower oder Livio Abramo, wurden in die sogenannte Seção geral integriert, einen nationenungebundenen Bereich, der von der Auswahl-Jury der Biennale zusammengestellt wurde.137
lich nicht mehrere Länderpavillons in Form separater Gebäude gemeint sind, sondern vielmehr Bereiche innerhalb des geplanten Biennale-Gebäudes, die den jeweiligen Ländern zugeteilt werden sollten. 134 Vgl. ebd. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Leitung des MAM darauf hoffte, nach Ablauf der Biennale die neuen Räume für das MAM zur Verfügung gestellt zu bekommen. Damit hätte es die konkurrierende Nachbarschaft mit dem MASP aufgegeben, das Ende der 60er Jahre selbst an den Ort des ehemaligen Trianon zog. 135 Argentinien, Belgien, Bolivien, Bundesrepublik Deutschland, Chile, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Großbritannien, Haiti, Italien, Japan, Kanada, Kuba, Niederlande, Österreich, Panama, Portugal, Schweiz, Uruguay, USA und Brasilien als Gastgeber- und zweiundzwanzigstes Teilnehmerland. Vgl. I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951 (1. Auflage), S. 42. 136 Bruno Giorgi, Candido Portinari, E. di Cavalcanti, Lasar Segall, Livio Abramo, Maria Martins, Oswaldo Goeldi, Victor Brecheret. 137 Vgl. Ia Bienal do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog Museu de Arte Moderna de São Paulo 1951, S. 192. Zum Auswahlverfahren siehe Kapitel 3.1.2.4.
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Nicht mehr festzustellen ist heute, bei wie vielen Ländern angefragt wurde, ob sie zu einer Teilnahme an der Biennale bereit wären. Die knapp bemessene Zeit von frühestens Januar, als die ersten Einladungsbriefe verschickt wurden, bis zur Eröffnung im Oktober lässt jedoch die Vermutung zu, dass bei einem längeren Vorlauf eine größere Teilnehmerzahl erreicht worden wäre, denn in einzelnen Fällen bestand die berechtigte Befürchtung, dass die Frist nicht eingehalten werden könnte. In der in Kapitel 2.4.2.1 bereits erwähnten Verbalnote des Auswärtigen Amtes an die Brasilianische Mission in Bonn heißt es am 20. Juni 1951: „Es muß allerdings darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Frist zwischen der Einladung und dem Beginn der Biennale sehr kurz bemessen ist, und daß es dem Auswärtigen Amt zweifelhaft erscheint, ob es gelingen wird, bis dahin die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“138 Auch im Falle der Schweiz war die kurze Vorbereitungszeit ein vorrangiges Kriterium, wie dieses Kapitel noch zeigen wird. Jedes Land bekam einen Bereich innerhalb des Pavillons zugewiesen, in dem es seinen Beitrag präsentieren sollte. Während die Bundesrepublik Deutschland rund fünfzig Werke von siebzehn Künstlern zeigte,139 organisierte die Association Française d’Action Artistique mit Jean Cassou des Musée National d’Art Moderne eine Ausstellung mit über sechzig Künstlern, darunter Fernand Léger, André Masson, Pablo Picasso, Alberto Giacometti, Germaine Richier. Kaum ein anderer schmückte sich mit so vielen Namen einer anderen Herkunft als der des eigenen Landes wie der französische Beitrag. Darin spiegelt sich die Situation der damals immer noch eine hohe Anziehungskraft auf Künstler ausübenden Stadt Paris wider, in der ausländische Künstler sesshaft wurden. Dieser Überzeugung entsprechend wurde ein international besetzter nationaler Beitrag in das sich zur multikulturellen Stadt entwickelnde São Paulo geschickt, das auch von den französischen Organisatoren als „eine der einflussreichsten und mannigfaltigsten Metropolen Lateinamerikas“ betrachtet wurde, „die sich der Verantwortung ihrer Aufgabe bewusst wird, die sie zu einem der Zentren jener großen Wettbewerbe macht, bei denen die Länder ihre jeweiligen Produktionen gegenüberstellen, und bei denen gleichzeitig Vergleiche in dieser internationalen Sprache, nämlich der Kunst, gezogen werden.“140
138 Verbalnote von Frahne an die Brasilianische Mission am 20. Juni 1951, AHWS/FBSP. Eine Abschrift wurde dem Schreiben an Francisco Matarazzo Sobrinho gleichen Datums beigefügt. 139 Vgl. „Künstlerischer Beitrag“ in Kapitel 3.3.1.2. 140 Übersetzung aus dem Portugiesischen von der Verfasserin. Vgl. Cassou, Jean: França. In: I BIENAL do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog 1951, S. 53.
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Der von der Biennale Venedig im Auftrag der Regierung organisierte italienische Beitrag war mit über dreißig Künstlernamen ebenso recht umfangreich. Es nahmen dort beispielsweise Carlo Carrà, Renato Guttuso, Alberto Magnelli, Giorgio Morandi und Lucio Fontana teil. Diese Beispiele muten nach über fünfzig Jahren wie eine belanglose Aneinanderreihung von längst vertrauten Namen an, deren Werke man hinreichend kennt. Dennoch wird anhand dieser Aufzählung die Bedeutung deutlich, die diese I. Biennale für die Stadt und das Land hatte: Erstmals in ihrer Geschichte wurden dort in größerer Anzahl Originale von Künstlern internationaler Reputation zusammengebracht, deren Werke man höchstens auf einer Auslandsreise hätte betrachten können. Die Beiträge der Europäer und US-Amerikaner setzten sich dabei weitgehend von den eher figurativen Werken lateinamerikanischer Künstler ab. Für die Kunstwelt war diese erste Ausrichtung der Biennale São Paulo gerade aus diesem Grund ein besonderes Ereignis mit nachhaltiger Wirkung. Die Einbindung zahlreicher Künstler und das Erscheinen vieler Kunstschaffender als Gäste machte die Biennale zu einer künstlerischen Lehrstätte. Viele Künstler in Brasilien, vor allem in der Region São Paulo und Rio de Janeiro, orientierten sich an dem Neuen, das aus Europa oder den USA nach São Paulo geschickt worden war, sie setzten sich damit auseinander und ließen sich inspirieren, was sich dann im eigenen Werk niederschlug. Mario Pedrosa beschreibt die gewichtige Bedeutung der Biennale São Paulo für die brasilianische Kunst, die dieser vor allem anderen den Horizont erweitert habe. Ihr vorrangiges Verdienst sei es gewesen, den geschlossenen Zirkel aufzubrechen, in dem sich die künstlerischen Aktivitäten in Brasilien bis dahin abspielten, indem sie sie aus der provinziellen Isolation gezogen habe. Sie habe ein internationales Zusammentreffen auf brasilianischem Boden ermöglicht, indem sie den brasilianischen Künstlern und dem brasilianischen Publikum die Gelegenheit zum direkten Kontakt mit dem geboten habe, was an „Neuestem“ und Kühnstem in der Welt geschaffen wurde.141 Häufig wird deshalb diese I. Biennale als Markstein in der Entwicklung der Kunst in Brasilien, bisweilen sogar in Lateinamerika, betrachtet. Die konstruktive Richtung der nichtfigurativen Kunst wurde seit der I. Biennale in besonderem Maße gestärkt, was auch mit der medienwirksamen Prämierung der Skulptur „Dreiteilige Einheit“ von Max Bill zusammenhängt, die nach der Werkschau wenige Monate zuvor im MASP bei der Biennale ausgestellt wurde. Die Preisverleihung wurde von der Presse wahrgenommen, und der Fernsehsender TV
141 Vgl. Kapitel A Bienal de cá para lá. In: Pedrosa, Mario: Mundo, Homem, Arte em Crise, São Paulo 1975, S. 254.
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Tupi zeigte die prämierte Skulptur als Höhepunkt bei seinem Rundgang durch die Biennale.142 Wie im Falle der Bundesrepublik war auch die sogenannte Legation der Schweiz in Rio de Janeiro anfangs skeptisch aufgrund der kurzen verbleibenden Vorbereitungszeit und erteilte der Biennale im März 1951 im Namen ihres Landes zunächst eine Absage. Der zur Verfügung stehende Rahmen für Kunstausstellungen des laufenden Jahres sei schon vergeben. Man bedauere dies, sage aber die Teilnahme für die darauffolgenden Biennalen zu.143 Letztlich nahm die Schweizer Regierung die Einladung doch auch für die erste Biennale an. Max Bill jedoch war zunächst für diesen konzeptuell in sich geschlossenen schweizerischen Beitrag nicht vorgesehen.144 Nach einer gewissen Verhandlungszeit zwischen der Biennale, Bill und der zuständigen Schweizer Behörde ließ man Bills Beteiligung schließlich doch zu, allerdings als unabhängiger Künstler innerhalb der Abteilung „Skulptur“ der Seção geral.145 Bill erzielte mit seiner Skulptur „Dreiteilige Einheit“, an der Lina Bo Bardi noch kurz vor der Eröffnung der Biennale Kaufinteresse anmeldete,146 im Bereich Plastik den Grande Prêmio der Biennale.147 Dafür erhielt der Künstler eine Prämie, während die Arbeit selbst in Brasilien blieb, wo sie in den Besitz
142 Das von der Cinemateca Brasileira verwahrte Filmmaterial aus den 50er Jahren enthält drei Ausschnitte, die bei der I. Biennale entstanden sind: Telejornalismo TV Tupi – NE 14629.05 vom 3. November 1951 und NE 14629.06 vom 24. Oktober 1951 sowie Bandeirante da Tela Nr. 392/1951, Produktion: Divulgação Cinematográfica Bandeirante. 143 Vgl. Brief des Ministro da Suiça in Rio de Janeiro an Francisco Matarazzo Sobrinho am 26. März 1951, AHWS/FBSP. 144 Im schweizerischen Beitrag waren Werke von folgenden Künstlern zu sehen: Walter Bodmer, Oskar Dalvit, Georges Froidevaux, Leo Leuppi, Claude Loewer, Richard Paulo Lohse, Otto Tschumi, Sophie Taeuber-Arp. 145 Vgl. Ia Bienal do Museu de Arte Moderna de São Paulo, Katalog Museu de Arte Moderna de São Paulo 1951, S. 192. 146 „Bitte schreiben Sie uns einmal, am besten in US-Dollar, zu welchem Preis Sie die Plastik an Frau Bardi verkaufen wuerden.“ Brief von Wolfgang Pfeiffer – hier noch als Mitarbeiter im MASP – an Max Bill am 13. Oktober 1951, AHWS/FBSP. 147 Wie oben bereits erwähnt, wurden vier Preise in der Höhe von jeweils 100 000 Cruzeiros vergeben. Neben Max Bill errangen sie Roger Chastel (Frankreich; prämiertes Gemälde: Os namorados num café), Danilo de Prete (Brasilien, prämiertes Gemälde: Limões) und Victor Brecheret (Brasilien, prämierte Skulptur: Índio e a suaçuapara).
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des MAM übergehen sollte.148 Bill selbst konnte – wie oben erwähnt – weder während der Ausstellung im MASP noch zur Biennale nach São Paulo reisen. Erst 1953 führte Bills Weg nach Brasilien, wo er auf Einladung des Itamaraty in mehreren Städten Vorträge hielt, und wenige Monate später als Jurymitglied bei der II. Biennale.149 3.3.1.2 Die Bundesrepublik Deutschland bei der Biennale Wie bereits erwähnt, gab es bei den ersten Biennalen keinen Beitrag der DDR. Somit konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf den bundesdeutschen Beitrag bei der I. Biennale. Die Akteure Die von der brasilianischen Gesandtschaft in Bonn an Bundeskanzler Konrad Adenauer weitergeleitete Einladung150 wurde letztlich von der Kulturabteilung bearbeitet, die den Kunsthistoriker Ludwig Grote als Kommissar für den bundesdeutschen Beitrag gewinnen konnte. Da sich jedoch bald herausstellte, dass seine Ernennung zum Ersten Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nürn148 Eine Erwähnung von Max Bills Sohn Jakob in dessen Textbeitrag über das Atelierhaus Bill in Zürich-Höngg gibt eine Vorstellung von der Höhe des Preises: Die von der Biennale erhaltene Prämie ermöglichte es Max Bill, „sich einen traum zu erfüllen: ein bentley mark VI […]“. Vgl. Bill, Jakob: persönliche notizen zur geschichte des hauses bill in höngg. In: Rüegg, Arthur (Hg.): Das Atelierhaus Max Bill 1932/33, Zürich/Liechtenstein 1997, S. 99. Die Skulptur befindet sich nach der Übernahme des MAM im MAC-USP. Die dazugehörige Dokumentation enthält einen lückenhaften Briefwechsel, aus dem jedoch immerhin zwei Dinge hervorgehen: Eine Anfrage einer späteren Mitarbeiterin des MAC an P. M. Bardi im MASP zeigt, dass man im MAC mit dem Jahr 1950 ebenfalls von einem falschen Ausstellungsdatum im MASP ausging. Vgl. Brief Elvira Vernaschi an P. M. Bardi am 18. Oktober 1977. Arquivo MAC-USP. Ein Brief aus dem Jahre 1952 zeigt zudem, dass Pfeiffer als nunmehr Mitarbeiter des MAM Bardi im MASP mitteilte, dass Bill das Angebot des MAM annahm und die „Dreiteilige Einheit“ nun im MAM verbliebe. Gleichzeitig bot Pfeiffer seine Hilfe an für eine immer noch ausstehende Publikation, die Bardi Bill in Vorbereitung der Retrospektive 1951 in Aussicht gestellt hatte. Vgl. Schreiben von Wolfgang Pfeiffer an Pietro M. Bardi am 19. März 1952, Arquivo MAC-USP. 149 Über Bills Brasilien-Reisen und deren Auswirkungen vgl. Kapitel 4. 150 Brief von Francisco Matarazzo Sobrinho an Pimentel Brandão am 9. April 1951 und die angehängte englischsprachige Einladung an Bundeskanzler Adenauer von Francisco Matarazzo Sobrinho am 16. April 1951, AHWS/FBSP.
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berg eine Reise nach Brasilien nicht zuließ, um dort die Ausstellung aufzubauen, und eine Finanzierung der Passage durch das Auswärtige Amt außerdem nicht möglich war, begann eine länger andauernde Suche nach einer geeigneten Person. Das MAM stellte zunächst ein Entgegenkommen in Aussicht, indem es einen jungen Kunstexperten im Museum verpflichtet hätte, doch wollte man darauf in Deutschland nicht eingehen. Von Seiten des Auswärtigen Amtes wurde der schon in São Paulo ansässige Wolfgang Pfeiffer vorgeschlagen, der jedoch von Biennale-Seite aufgrund seiner Mitarbeit im mit dem MAM konkurrierenden MASP zunächst nicht unterstützt wurde. Grote, der Pfeiffer grundsätzlich befürwortet hätte, machte Matarazzo Sobrinho daraufhin den Vorschlag, den 1939 nach Brasilien emigrierten Kunsthistoriker Georg Hoeltje zu engagieren: „Ich denke dabei in erster Linie an Dr. Hoeltje, den ich seit meiner Studienzeit sehr schätze, und der Ihnen wohl auch bekannt sein dürfte. Falls dieser jedoch – wie hier vermutet wird – sich zur Zeit auf einer Reise nach Europa befindet, würde ich Herrn Th. Heuberger bitten, natürlich immer Ihr Einverständnis vorausgesetzt.“151 Georg Hoeltje zählt wie Grote zu jenen Kunsthistorikern, deren berufliche Karriere während des „Dritten Reiches“ unterbrochen wurde und die nach dem Krieg mit ihren progressiven Prägungen der 20er Jahre die 50er mitgestalteten. Hoeltje lebte seit 1939 in Brasilien, nachdem er seine bis dahin erfolgreich verlaufene Universitätskarriere unter dem NS-Regime abgebrochen hatte.152 Als 151 Vgl. Schreiben von Grote an Francisco Matarazzo Sobrinho am 4. 10. 51, AHWS/FBSP. 152 Der Kunst- und Architekturhistoriker Georg Hoeltje wurde direkt nach seiner Promotion bei Frankl in Halle 1929 wissenschaftlicher Assistent an der TH Hannover und erwarb dort 1932 die Venia legendi. 1939 ging er nach Brasilien und kehrte 1954 mit seiner dort gegründeten Familie nach Deutschland zurück. Zwei Jahre später wurde er zum Ordinarius für Bau- und Kunstgeschichte – wieder an die Technischen Universität Hannover – berufen. Vgl. Auffarth, Sid/Thielecke, Olaf (Bearb.): Festschrift für Georg Hoeltje, Schriften des Instituts für Bau- und Kunstgeschichte der Univ. Hannover, Bd. 5, Hannover 1988. Die biographischen Informationen sind der ihm gewidmeten Festschrift entnommen; von der angestrengten Versetzung nach Bonn zeugen lediglich Dokumente im Bonner Universitätsarchiv, die die Gruppe des DFG-Forschungsprojektes „Aufbau eines themenorientierten Netzwerkes: Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“ am Kunsthistorischen Institut aufgefunden hat: Chronik Kunsthistorisches Institut Bonn, Bd. 2, Archiv Kunsthistorisches Institut Bonn und Mappe „Georg Hoeltje“, ebd. In der online-
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Dozent an der TU Hannover erreichte ihn ein Ruf an das Kunsthistorische Institut der Universität Bonn, dem er jedoch nicht folgte, sondern – nicht ohne vorab die entsprechenden offiziellen Vorbereitungen zu treffen – das Land verließ.153 Er war während seines Aufenthaltes in Brasilien als freischaffender Dozent tätig und vor allem in den deutschen Emigrantenkreisen als Kulturmittler hoch geschätzt. Er lebte in Rio de Janeiro, doch wurde er mehrfach ins Landesinnere gerufen, wo vor allem die deutschstämmigen Siedler seine Vorträge hören wollten.154 Hervorzuheben ist hierbei die Plantagensiedlung „Roland“ im Bundesstaat Paraná, die Hoeltje mehrfach zu Vorträgen besuchte und die im Vergleich mit anderen von Deutschen aufgebauten Siedlungen für ihr hohes kulturelles Niveau bekannt war.155 Datenbank GKNS-wel, die im Rahmen dieses Forschungsprojektes an den kunsthistorischen Instituten der Universitäten Berlin, Bonn, Hamburg und München und im Arbeitsbereich „Softwaresysteme“ der Technischen Universität Hamburg-Harburg entstand, fanden die Dokumente von Hoeltje ebenfalls Eingang: www.welib.de/gkns (Zugriff Januar 2012). 153 Möglicherweise als Vorwand erbat er sich bei Institutsleiter Alfred Stange „eine gewisse Frist um Dinge zu erledigen, die besser und in Ruhe erledigt worden wären.“ Außerdem gab er in demselben Schreiben an, dass er „diese neue Arbeit nicht ohne genügende Vorbereitung beginnen“ wolle. Vgl. Schreiben von Hoeltje an Stange am 5. Dezember 1938, Mappe „Georg Hoeltje“, Archiv Kunsthistorisches Institut Universität Bonn. Dieser Bitte wurde stattgegeben, und Hoeltje begab sich in dieser freigestellten Zeit auf den Weg nach Brasilien. Eine kurze handschriftliche Mitteilung des Vaters an die Universität Bonn besagt, dass „sein Sohn, Dr. Georg Hoeltje in Brasilien ist und nicht zurückkommen kann.“ Vgl. Mappe „Georg Hoeltje“, Archiv Kunsthistorisches Institut Universität Bonn bzw. Datenbank GKNS-wel www.welib.de/gkns. 154 Zeugnis davon gibt der Bericht von Geert Koch-Weser in der Festschrift für Hoeltje und das Gespräch der Verf. mit der Tochter Frauke Koch-Weser Decurtins im August 2003 in Stäfa. Vgl. Auffarth, Sid/Thielecke, Olaf (Bearb.): Festschrift für Georg Hoeltje, Schriften des Instituts für Bau- und Kunstgeschichte der Univ. Hannover, Bd. 5, Hannover 1988, S. 21–26, und Kapitel 4 in dieser Arbeit. Geert KochWeser lebte in der von seinem Vater und Oswald Nixdorf 1932 gegründeten Kolonie Roland, in der auch die Tochter Elke aufwuchs. Zu Hoeltje siehe auch Wendland, Ulrike: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, München 1999. 155 Die Gründungsgeschichte der Kolonie Roland, aus der sich die heutige Millionenstadt Rolândia entwickelt hat, untersuchte Bernd Breunig in seiner 1983 erschiene-
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Beide Vorschläge – Hoeltje und Heuberger – wurden sichtlich nicht weiter verfolgt, obwohl beide sicherlich ausreichend Erfahrung und Sachkenntnis mitgebracht hätten. Schließlich lenkte das MAM ein, so dass die Deutsche Botschaft wenige Tage vor der Eröffnung Wolfgang Pfeiffer offiziell mit der Betreuung des von Grote zusammengestellten deutschen Beitrags betrauen konnte.156 Auch Pfeiffer war ein Immigrant aus Deutschland und gehörte schon der nächsten Kunsthistorikergeneration an.157 Pfeiffer, Schüler von Hans Jantzen,158 war nach seiner Promotion im April 1941 an der Universität München159 unter Franz Graf WolffMetternich im besetzten Frankreich für den fragwürdigen Kunstschutz tätig. Pfeiffer verließ Deutschland erst 1948, nachdem er zunächst in einem Museum in Wuppertal tätig gewesen war,160 um nach Brasilien zu gehen. Seine nen Dissertation: Die Deutsche Rolandwanderung (1932–1938), Soziologische Analyse in historischer, wirtschaftlicher und politischer Sicht, mit einem Geleitwort von Johannes Schauff, München 1983. 156 Telegramm der Deutschen Botschaft in Rio de Janeiro an Francisco Matarazzo Sobrinho am 13. 10. 51, AHWS/FBSP. 157 Zu Pfeiffer vgl. auch Kapitel 2.4.2.1 zum Kunstreferat im Auswärtigen Amt. 158 Es wäre anmaßend, von der politischen Gesinnung des Lehrers auf die des Schülers zu schließen, doch hätte eine extreme Haltung in jener Zeit entweder Anhänger oder Feinde hervorgerufen. In einer Untersuchung am Kunsthistorischen Institut Marburg über die Bedeutung desselben Instituts im „Dritten Reich“ wird Jantzen von seinem Marburger Kollegen Hamann als eine der NS-Ideologie nahestehende Persönlichkeit tituliert. Vgl. Sprenger, M. 2003, S. 74. 159 In seiner Promotionsurkunde heißt es: „Die Philosophische Fakultät der Universität München verleiht […] Herrn Wolfgang Pfeiffer aus Dresden den Grad eines Doktors der Philosophie […], durch die Dissertation „Dresdner Palaisbauten des 18. Jahrhunderts“ […]. München, den 21. April 1941. Kopie des Originals im Besitz der Verfasserin. 160 Eliana De Simone schreibt anlässlich seines 90. Geburtstages: „[…] logo tornou-se diretor assistente do Museu de Arte de Wuppertal-Elberfeld“ („bald wurde er Assistent im Kunstmuseum von Wuppertal-Elberfeld“). Simone, Eliana De: Uma vida dedicada à história da arte: tributo a Wolfgang Pfeiffer. In: Humboldt, 86, Bonn 2003, S. 78. Vermutlich ist damit das heutige Von der Heydt-Museum gemeint, das aus dem Städtischen Museum Elberfeld und dem Kunstverein Barmen entstand, deren Vereine 1946 fusionierten. Seit 1961 trägt das Museum den Namen des Sammlers Eduard von der Heydt, der Kunstwerke aus seinem Besitz der Stadt übereignete. Beide Häuser erlitten während des Krieges große Verluste im Rahmen der nationalsozialistischen Aktion gegen „entartete Kunst“; hinzu kamen starke bauliche
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in São Paulo lebenden Schwiegereltern berichteten ihm und seiner Frau von den geplanten Museumsgründungen, in denen er schließlich eine berufliche Chance sah.161 Ob Pfeiffer in Wolff-Metternich einen Fürsprecher im Auswärtigen Amt hatte, ist hingegen nicht nachvollziehbar, da diese Entscheidung nicht direkt in dessen Zuständigkeitsbereich lag. Auch sind keine Dokumente erhalten geblieben, ob der Frage nachgegangen wurde, Hoeltje zu beauftragen als jemanden, der Grote wissenschaftlich nahestand. Letztlich ist nicht klar, welches Kriterium zu der Entscheidung führte, Pfeiffer zu engagieren. Zweifellos war Pfeiffer für die Bundesrepublik die pragmatischere Lösung, da er sich bereits vor Ort befand und keine weiteren, mit einer Reise verbundenen Kosten entstanden. Langfristig gesehen war dieses Engagement folgenreich, denn innerhalb der Biennale übernahm er bald noch andere Ämter, wodurch er die Institution nachhaltig mitprägte und für die Bundesrepublik immer ein direkter Ansprechpartner war.162 Zerstörungen. Außerdem wurde während des Krieges nach Koblenz ausgelagerte Kunst nach Kriegsende von den Alliierten nach Frankreich gebracht, so dass die Museumsarbeit in der direkten Nachkriegszeit vom Wiederaufbau sowohl der Sammlung als auch der Gebäude bestimmt war. Vgl. Aust, Günter: Von-der-HeydtMuseum der Stadt Wuppertal, Kleine Kunstführer 1388, Regensburg 1983 und Fehlemann, Sabine: Die Aktion „Entartete Kunst“, Ihre Auswirkungen auf Wuppertal. In: Goebel, Klaus (Hg.): Über allem die Partei. Schule, Kunst, Musik in Wuppertal 1933–1945, Oberhausen 1987, S. 65–84. Nachforschungen zur Erforschung der Mitarbeiter in jener Zeit haben kein abschließendes Ergebnis gebracht. 161 Bezüglich der Zeit zwischen 1945 und 1948 folgt die Verfasserin den von Pfeiffer gemachten Angaben im November 2002, der zudem von einer Übersetzertätigkeit in den USA sprach, die er direkt nach dem Krieg ausgeführt habe. 162 Es gibt keine Hinweise auf Nachforschungen über Pfeiffers politische Vergangenheit, als es um seine Anstellung als „Ortskraft für Politische Öffentlichkeitsarbeit“ im Jahre 1960 beim Generalkonsulat São Paulo ging. Gerade die Tätigkeit in der Politischen Öffentlichkeitsarbeit einer Auslandsvertretung hat eine starke Außenwirkung, weshalb eine extreme politische Haltung zwar problematisch gewesen wäre, für die Bundesrepublik bekanntlich jedoch nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium gewesen ist (siehe unten). Pfeiffer war bis 1977 im Generalkonsulat tätig, wo er seit 1969 das Amt des Kulturreferatsleiters bekleidete. Pfeiffers Vorgeschichte beim Kunstschutz, die sich direkt an sein Promotionsstudium an der Reichsakademie München anschloss und die ihn als einen typischen Mitläufer kennzeichnet, kann aus Mangel an Quellen hier nicht weiter behandelt werden. Dennoch bleibt die Frage bestehen, warum die Behörden nicht spätestens vor der Einstellung beim Generalkonsulat nach der beruflichen oder der politischen Vergangenheit gefragt haben. Dies weist entweder auf die Unkenntnis
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Der künstlerische Beitrag Dennoch war es Ludwig Grote, der für die Bundesrepublik Deutschland einen Beitrag zusammenstellte. Für die aufwendige Vorbereitung, die Hängung und Organisation vor Ort war schließlich Wolfgang Pfeiffer zuständig. Der deutsche Beitrag umfasste rund fünfzig Werke von siebzehn Künstlern: Willi Baumeister, Alexander Camaro, Werner Gilles, Georg Meistermann, Ernst W. Nay, Karl Schmitt-Rottluff, Johanna Schuetz-Wolff, Theodor Werner, Woty Werner, Fritz Winter (Malerei); Karl Hartung, Carl Knappe, Gerhard Marcks, Ewald Mataré, Hans Uhlmann (Skulptur); Heinz Battke und HAP Grieshaber (Grafik). Die deutsche Abteilung ist von Grote als eine geschlossene Einheit zusammengestellt worden, bei der er zunächst keine Ergänzungen vor Ort befürwortete. Wie bereits erwähnt, machte die Biennale im August 1951 noch den Vorschlag, eine in São Paulo befindliche private Sammlung mit Arbeiten von Paul Klee als deutschen Beitrag vorzustellen.163 Grote hätte es jedoch vorgezogen, selbst noch eine zusätzliche Klee-Ausstellung zu konzipieren, anstatt eine vorgegebene, unter sammlerischen Gesichtspunkten ausgewählte Konzeption zu übernehmen.164 Letztlich blieb es bei der Auswahl der siebzehn genannten Künstler, die einen Querschnitt jener Künstlergeneration darstellen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von progressiven Kulturschaffenden favorisiert wurde und zum Teil in den Kunstakademien zu Professoren berufen wurde. So konnte man auch in den deutschen Beiträgen auf der Biennale Venedig, die zwischen 1948165 und 1958 von Eberhard Hanfstaengl des Auswärtigen Amtes über die Aufgaben des Kunstschutzes während des „Dritten Reiches“ hin, was aufgrund von Wolff-Metternichs Mitarbeit in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes bis 1952 sowie der Tatsache, dass der Kunstschutz sehr eng mit Bonn verbunden war, kaum denkbar ist. Oder es handelte sich um Gleichgültigkeit bei der Behörde, was angesichts der Bedeutung des zu bekleidenden Amtes zwar fragwürdig erscheint, bekanntlich jedoch zuweilen zutraf. Einer der – aufgrund des hohen Amtes jedoch nicht mit dem Pfeiffers vergleichbar – prominentesten Fälle ist der des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Zu diesem sowie zu anderen Einzelfällen, die von ehemaligen Nationalsozialisten in gehobenen Positionen der BRD sprechen, vgl. Wette, Wolfram (Hg.): Filbinger – Eine deutsche Karriere, Springe 2006. Auch Mauluccis bereits erwähnte Recherche zeigt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere ehemalige NSDAP-Mitglieder, die mehr als nur Mitläufer waren, in den diplomatischen Dienst aufgenommen wurden. Vgl. Maulucci Jr., Th. W. 1997, S. 414–432. 163 Vgl. Kapitel 2.4.2.1. 164 Vgl. Brief Grotes an Francisco Matarazzo Sobrinho, 11. 9. 51, AHWS/FBSP. 165 Der deutsche Beitrag zur Biennale Venedig im Jahr 1948 gilt als inoffiziell, da keine Einladung an Deutschland ausgesprochen worden war und die Ausstellung auch
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zusammengestellt wurden,166 Arbeiten von beispielsweise Baumeister und Schmidt-Rottluff (beide 1948), Gerhard Marcks und Theodor Werner (beide 1952) und 1954 von Battke sehen.167 Bei der ersten documenta, die 1955 im „Zeichen der Versöhnung durch die und mit der modernen Kunst und der Wiedergutmachung an ihr […]“168 stattfand, waren Baumeister, Camaro, Gilles, Marcks, Winter u. a. vertreten,169 Künstler also, die auch für die I. Biennale São Paulo ausgesucht wurden. Zu den Lehrern gehörten beispielsweise Baumeister und Mataré: Baumeister lehrte ab 1946 an der Stuttgarter, Mataré ab 1947 an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wie allgemein die Tendenz bei der I. Biennale war auch beim bundesdeutschen Beitrag die Abstraktion in den Werken vorherrschend, zu der die einzelnen Künstlerinnen und Künstler auf unterschiedlichen Wegen fanden. Vor allem unter dem Eindruck des Krieges wandten sich viele Künstler vom Figürlichen ab hin zur Abstraktion, so „dass die ideelle und formale Tragkraft der gegenständlichen Bilder sich ganz fühlbar abschwächte“, wie es Haftmann im Jahre 1965 formulierte.170 Die ungegenständliche Kunst, die Kunst „ohne erkennbaren Bezug auf die sichtbare Außenwelt“171, wird in der Forschung später differennicht im eigenen Pavillon, sondern im Zentralpavillon zu besuchen war. Vgl. Joch, Peter: Die Ära der Retrospektiven, 1948–1962. Wiedergutmachung, Rekonstruktion und Archäologie des Progressiven. In: Becker, Ch./ Lagler, A., 1995, S. 35–49, dort: S. 36. 166 1954 und 1956 war Ludwig Grote Hanfstaengls Stellvertreter. Vgl. Becker, Ch./Lagler, A., 1995, S. 160–162. 167 Vgl. ebd., S. 154–164. 168 Catherine David im Vorwort zum Kurzführer der dx 1997: short guide/Kurzführer documenta X, 21. Juni bis 28. September 1997, Kassel/Ostfildern 1997, S. 8. Allerdings führt sie weiter fort, dass die Aufgabe dieser Documenta, „die moderne Tradition und die Geschichte der Avantgarde zu rekonstruieren, die [...] verfolgt worden war“, unvollständig erfüllt worden sei. Es fehlten in der Rekonstruktion beispielsweise der Dadaismus und die radikalen Positionen in der Weimarer Republik. Vgl. ebd. 169 Vgl. Kimpel, H., 1997 und documenta, kunst des XX. jahrhunderts, Katalog, München 1955. 170 Haftmann, Werner: Malerei im 20. Jahrhundert, München 1965, S. 326. 171 Vgl. Bonnet, Anne-Marie: Internationale Abstraktion nach 1945. In: Kunsthistorische Arbeitsblätter 6/2003, S. 13–26, dort S. 13. Es etablierte sich in den Nachkriegsjahren eine Gleichsetzung von Moderne und Abstraktion für die ungegenständliche Kunst, wobei sich der Begriff der Abstraktion als der privilegierte Ausdruck der Moderne weiterverbreitet. S. ebd.
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zierter betrachtet, indem die „weltanschaulichen und unmittelbar geistesgeschichtlichen und politischen Implikationen“172 berücksichtigt werden, um sich der Diversität von Abstraktion insbesondere der Nachkriegszeit zu nähern. In Westdeutschland, so Anne-Marie Bonnet, wo es noch lange keine breite Akzeptanz abstrakter Kunst gab, wurde mit dem Begriff des „Informel“ eine Einheitlichkeit in der Kunst suggeriert, doch sind zahlreiche künstlerische Zentren auszumachen, deren unterschiedliche Vorgehensweisen zu unterschiedlichen Positionen und Kunstformen führten, bei der auch die internationale Vernetzung der Künstler eine wichtige Rolle spielte.173 Grote wählte Künstler aus, die während der NS-Zeit offiziell keine Bedeutung haben durften, beruflich von den Nazis beschnitten wurden und in die sogenannte innere Immigration gingen oder sich aufgrund ihres jungen Alters sowieso erst nach dem Krieg behaupten konnten. Die einzelnen Künstlerbiographien weisen in der Mehrheit Parallelen zu Grotes eigener beruflicher Karriere auf, die mit der Enthebung aus seinen Ämtern als Landeskonservator und Galeriedirektor 1933 unter den Nationalsozialisten zunächst zum Stillstand gebracht wurde. Mit Ewald Mataré beispielsweise wählte er jemanden, der ebenfalls sein Amt niederlegen musste und dieses erst nach Kriegsende an derselben Akademie, in Düsseldorf, wieder als Professor aufnehmen konnte. Willi Baumeister wurde 1933 seines Postens in der Frankfurter Städelschule enthoben. Werner Gilles wurde 1941 aus dem faschistischen Italien vertrieben, und Schmidt-Rottluff unterlag ab 1941 einem offiziellen Malverbot, nachdem er 1933 schon von der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen und ihm drei Jahre später ein Ausstellungsverbot erteilt worden war.174 Abgesehen von der künstlerischen Qualität scheint einerseits der Wiedergutmachungsgedanke bei der Auswahl eine Rolle gespielt haben, andererseits die Zugehörigkeit zum international bekannten Bauhaus. Bei der Beschreibung der Künstlerprofile, die Grote der Biennale in Kurzform zur Verfügung stellte, hob er Werner Gilles und Fritz Winter als ehemalige Schüler des Bauhauses hervor. Gleiches gilt für Gerhard Marcks, der 1920 als Lehrer ins Bauhaus eintrat, was von Grote entsprechend betont wurde.175 Aufgrund des internationalen Interesses am Bauhaus konnte er mit einer positiven Wirkung in Brasilien rechnen.176 In diesem Kontext bedeutsam 172 Vgl. ebd., S. 14 f. 173 Vgl. ebd., S. 19 f. 174 Vgl. z. B. Thiem, Gunther/Zweite, Armin (Hg.): Karl Schmidt-Rottluff, Retrospektive, München 1989. 175 Vgl. Anlage zum Brief von Ludwig Grote an die Biennale am 24. August 1951, AHWS/FBSP. 176 Vgl. Kapitel 3.2.1.2.
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ist zudem Bonnets Hinweis in Bezug auf die abstrakte Kunst in der Nachkriegszeit, dass deren Förderung in der BRD in Verbindung stehe mit dem Bestreben des Landes, sich in kultureller Hinsicht international zu rehabilitieren.177 Dies wird gerade bei Ausstellungen deutlich, die die BRD im Ausland förderte, wie die Biennalen in Venedig und São Paulo, denn diese boten das internationale Publikum, die dieses nun neu orientierte Deutschland kennenlernen sollte. 3.3.2 1953/54: Die II. Biennale – „A Bienal do Centenário“ 178 Die ersten Monate nach der Eröffnung der Gründungsbiennale waren von Preisversendungen, Zahlungen und anderen organisatorischen Nacharbeiten bestimmt, doch schon im September des Folgejahres gingen wieder die ersten Einladungen für die II. Biennale hinaus. Francisco Matarazzo Sobrinho, von dem überliefert ist, dass er bereits bei der Eröffnung der Gründungsbiennale mit konkreten Ideen an die Planung der nächsten dachte,179 übernahm den Vorsitz des 177 Vgl. Bonnet, A.-M. 2003, S. 14. 178 Dieses Kapitel basiert weitgehend auf einem Beitrag, der anlässlich des 50. Jubiläums der Zentenarfeier im Staden-Jahrbuch erschienen ist: Merklinger, Martina: Mit hehrer Kunst zum IV Centenário, Die Etablierung der Biennale im Ibirapuera-Park. In: Martius-Staden-Jahrbuch (São Paulo), Nr. 50, 2003, S. 142–157. Mit der „Bienal do Centenário“ wurde zum Teil im Vorfeld geworben, um die Besonderheit herauszustellen und damit eine größere Aufmerksamkeit bei den potenziellen Teilnehmerstaaten zu erzielen. Vgl. Schreiben des Interimspräsidenten Bloem an den Botschafter von Brasilien in Bonn, 16. 9. 1952, AHWS/FBSP. 179 Zanini erwähnt, dass er kurz nach Eröffnung der I. Biennale ein Interview mit Francisco Matarazzo Sobrinho geführt habe und ihm dieser offenbarte: „Was wir jetzt machen müssen, ist an die nächste Biennale zu denken“. Vgl. Walter Zanini im Gespräch über Francisco Matarazzo Sobrinho im November 1976. In: Depoimentos/1976–1978, Vol. I und II (Personalidades analisam o homem e a obra de um grande brasileiro), unveröffentlichtes Manuskript im AHWS/FBSP. Dabei hatte man das Stadtjubiläum drei Jahre später im Blick, in dessen Veranstaltungen man sich mit der II. Biennale einreihen wollte. Davon zeugt beispielsweise der Katalogtext, der zudem verdeutlicht, weshalb die Wahl auf die ungeraden Jahre fiel: „[…] wir haben eine Vereinbarung mit der Biennale Venedig, die traditionell in den geraden Jahren durchgeführt wird.“ Vgl. Tavares de Miranda, José: Encerrada a I Bienal de São Paulo. In: Folha da Manhã (São Paulo), 25. 12. 1951. Die Zusammenarbeit und Absprachen mit Venedig ergaben sich schon früh, denn von Anfang an wird der brasilianische Beitrag bei der Biennale Venedig von der Biennale São Paulo bzw. anfangs von deren Mutterinstitution MAM organisiert, ein Procedere, das noch heute
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Festausschusses zu den Feierlichkeiten des 400. Jahrestages der Stadtgründung, dessen Formierung Ende 1951 offiziell beschlossen wurde.180 Ihm verdankt die II. Biennale ihre komplette Integration in die Feierlichkeiten, die ihr eine große Außenwirkung verschafften und innerhalb derer sich die II. Biennale noch mehr als die erste zu einem Forum entwickelte, bei dem auf sämtlichen Ebenen internationale Kontakte geknüpft wurden – sowohl von Künstlern als auch von Galeristen und Museumsleuten wie auch von Politikern und Diplomaten. „Und die II. Biennale, die 1953–54 stattfand, war zweifellos die repräsentativste von allen.“181 Diese und ähnliche Erinnerungen an die erste Folgeveranstaltung nach 1951 legen die Vermutung nahe, dass der improvisierte Charakter der I. Biennale schon bei der zweiten überwunden war. Tatsächlich war der Schauplatz nun ein anderer, denn der provisorische Standort an der Avenida Paulista wurde zugunsten des neu angelegten Ibirapuera-Parkes aufgegeben, der eigens anlässlich des IV Centenário São Paulos geplant wurde. Der Ibirapuera-Park wurde zwar erst am 21. August des Jubiläumsjahres offiziell eingeweiht und diente das ganze Jahr über als Schauplatz für weitere Ausstellungen und eine Industriemesse, die ein internationales Publikum in die aufstrebende Metropole lockten. Doch der Auftakt fand mit der Eröffnung der Biennale bereits im Dezember 1953182 statt, worauf weitere Veranstaltungen Gültigkeit hat. Die in der Zwischenzeit vom MAM losgelöste und in eine Stiftung umgewandelte Biennale mit dem Namen Fundação Bienal Internacional de São Paulo hat die Aufgabe, die Länder zur Biennale einzuladen und darüber hinaus den brasilianischen Beitrag für Venedig zusammenzustellen. 180 Der damalige Governador São Paulos legte am 28. Dezember 1951 die Festtagskommission mit dem Vorsitz Matarazzo Sobrinhos fest, die den Ablauf der Feierlichkeiten regeln sollte. Vgl. Histórico do IV Centenário – Amplo Documentário, abrangendo os trabalhos da Comissão do IV Centenário, desde sua instituição em 1951, sob a presidência do Sr. Francisco Matarazzo Sobrinho, 70-seitiges Manuskript ohne Autor und Datum zum Ablauf der 400-Jahr-Feier São Paulos. Nachlass Francisco Matarazzo Sobrinho, AHWS/FBSP. 181 Vgl. Walter Zanini im Gespräch über Francisco Matarazzo Sobrinho im November 1976. In: Depoimentos/1976–1978, Vol. I und II (Personalidades analisam o homem e a obra de um grande brasileiro), unveröffentlichtes Manuskript im AHWS/FBSP. 182 Die Biennale-Leitung machte sich die Mühe und organisierte vier verschiedene Eröffnungen, was dazu führte, dass in den Presseberichten und anderen Quellen unterschiedliche Daten genannt werden: Die Pressekonferenz unter Anwesenheit der Künstler wurde schon am 9. Dezember durchgeführt, während die offizielle Eröffnung für geladene Gäste am 12. stattfand. Am Vormittag des 13. Dezember gab es eine Feier für die Mitarbeiter des Museums und am Nachmittag die Vernissage für
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im noch unfertigen Park folgten, wie die Einweihung des Zeiss-Planetariums im südlichen Teil des Parks.183 Mehrfach wird die Enthüllung des monumentalen Bandeirantes-Denkmals unweit des Parkgeländes genannt, mit dem am 25. Januar 1954184 die 400-Jahr-Feierlichkeiten eingeläutet worden seien. Leider handelt es sich hierbei um eine falsche Überlieferung, denn dieses fünfzig Meter lange Monument zu Ehren der Bandeirantes ist bereits genau ein Jahr zuvor „am 399. Jahrestage der Stadt São Paulo, […], dem 25. Januar eingeweiht worden.“185 3.3.2.1 Der Ibirapuera-Park – seine Architektur in Planung und Ausführung Der gesamte Ibirapuera-Park dehnt sich über eine Fläche von 1 800 000 Quadratmetern aus und ist mit diesen Maßen eine der wichtigsten „grünen Lungen“ die Öffentlichkeit, nach der dann die II. Biennale als offiziell eröffnet galt. Vgl. z. B. Einladung zur öffentlichen Vernissage der Biennale. In: Folha da Tarde (São Paulo), 12. Dezember 1953, oder Diário da Noite (Rio de Janeiro) vom 12. Dezember 1953, AHWS/FBSP. Siehe Bildanhang. 183 Vgl. z. B. N. N.: IV. Jahrhundertfeier São Paulos – I. Internationale Messe. In: Intercâmbio (Rio de Janeiro), 12. Jahrgang, Nr. 10/12, S. 27–29, dort: S. 29. 184 Am 25. Januar 1954 jährte sich die Stadtgründung zum 400. Mal, die mit dem Abhalten der ersten Messe in der damaligen Jesuitensiedlung Piratininga am 25. Januar 1554 markiert wird. 185 Vgl. N. N.: Einweihung des Bandeirantes-Monumentes. In: Deutsche Nachrichten (São Paulo), 28. Januar 1953, S. 4. Offenbar war als Enthüllungsdatum tatsächlich der Geburtstag der Stadt im Jahr 1954 geplant gewesen, doch da der Bildhauer Victor Brecheret nicht länger zu warten beabsichtigte, zog man es ein Jahr vor. Victor Brecheret (1894–1955), einer der bekanntesten und prägendsten Bildhauer Brasiliens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, begann schon in den 20er Jahren am Bandeirantes-Thema und an der Skulptur „Monumento às Bandeiras“ zu arbeiten. Darüber berichtet beispielsweise Brecheret Pellegrini, Sandra: Brecheret 60 anos de Notícia, São Paulo 1977, S. 111. Das Denkmal erinnert an die Bandeirantes, deren Expeditionen als Bandeiras (wörtlich: Fahnen) bezeichnet wurden. Diese machten sich schon im 16. Jahrhundert, aber insbesondere ab dem 17. Jahrhundert von der Küste her auf, das Hinterland Brasiliens zu erkunden. Sie waren auf der Suche nach Mineralien und trugen zum Teil die Absicht mit sich, Indios zu überwältigen, die sie zur Versklavung mit zurücknahmen. Das Monument besteht aus 37 Figuren, von denen einige in der Höhe bis zu 5 m messen. Sie stellen den portugiesischen Reiter und daneben seinen indianischen Führer dar, dahinter die Expeditionsgruppe, die sich deutlich sichtbar aus Menschen verschiedener Ethnien zusammensetzt. Insgesamt ist das Denkmal 10 m hoch und misst in der Länge 50 m, in der Breite 16 m.
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der Stadt. Er befindet sich zwar nicht im Stadtzentrum wie der Austragungsort der I. Biennale, doch seine Lage war auch schon für die 50er und 60er Jahre günstig, als die Stadt mit ihren fast sieben Millionen Einwohnern noch mäßig dicht bebaut war. Der Park war als eines der beiden südlichen Stadterschließungsgebiete in den Jahren 1952/53 als die „Visitenkarte São Paulos“ geplant worden und sollte mit seinen Ausstellungen von der Entwicklung Brasiliens Zeugnis geben.186 Die Biennale war dabei nur ein Projekt von vielen, die auf diesem Gelände durchgeführt werden sollten. Die Gebäude auf dem Parkgelände sollten Kunstausstellungen genauso dienen wie kommerziellen Messen.187 Das für die gesamten Jubiläumsfeierlichkeiten verantwortliche Festkomitee unter dem Vorsitz von Francisco Matarazzo Sobrinho entschied – zusammen mit der Stadtverwaltung – über die Entwürfe des Ibirapuera-Parks. Der gesamte Komplex ist Ergebnis der Planung eines Teams unter der Leitung des damals bereits zu internationaler Anerkennung gelangten Architekten Oscar Niemeyer Soares Filho.188 Der Ibirapuera-Park zählt zu Niemeyers landschaftlichen Großprojekten, die wie Pampulha in Belo Horizonte noch vor der Planung der neuen Hauptstadt Brasília realisiert worden waren. Jene Anlage um den Stausee Pampulha umfasst ebenfalls mehrere Gebäude in einem weitläufig angelegten Park, den dort der Landschaftsarchitekt Roberto Burle Marx gestaltete. Auch für den Ibirapuera-Park wurde Burle Marx engagiert, der mit Niemeyer schon mehrfach zusammengearbeitet hatte189 und nun die Gestaltung der großzügig geplanten Gärten in unmittelbarer 186 Vgl. Moeller, H. R.: Rundbau im Ibirapuera-Park, São Paulo. In: Bauwelt, Heft 31, 1957, S. 779. 187 Vgl. z. B. Módulo (Rio de Janeiro), 1. Jahrgang, Heft 1, 1956, Mindlin, Henrique E.: Neues Bauen in Brasilien, München/Rio de Janeiro 1956 oder Bericht des Festkomitees. In: Oliveira, Luiz Carlos de: Anotações para uma história de uma época, São Paulo 1976, S. 83. 188 Weiterhin waren beteiligt: Zenon Lotufo, Hélio Uchoa und Eduardo Kneese de Mello sowie die Assistenten Gauss Estelita und Carlos Lemos. Die Namen sind der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Módulo“ entnommen, die von Niemeyer seit der Planung der neuen Hauptstadt Brasília herausgegeben wurde und deren Chefredaktion weitgehend der hier vorgestellten Architektengruppe entspricht. Vgl. Módulo (Rio de Janeiro), 1. Jahrgang, Heft 1, 1956, S. 18. 189 Ein anderes gemeinsames Projekt stellt das Gebäude des Bildungs- und Erziehungsministeriums (MES, 1936–1943) in Rio de Janeiro dar, für das Burle Marx die Gestaltung des Dachgartens vornahm. Vgl. z. B. Andreas, Paul: Oscar Niemeyer und die Landschaft. In: Oscar Niemeyer. Eine Legende der Moderne. Hg.: Paul Andreas und Ingeborg Flagge. Katalog zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main, Basel 2003, S. 77–85, dort: S. 81. Beim MES allerdings hat
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Nähe der Gebäude entwarf. Allerdings sind seine Pläne nicht umgesetzt worden, die mit der Architektur eine Einheit gebildet hätten.190 An manchen Stellen wäre die Gestaltung von Burle Marx in die von Niemeyer übergegangen, insbesondere dort, wo „die Gärten, von Burle Marx entworfen, bis an die Außenfenster reichten“191. Diesen fließenden Übergang findet man in der ausgeführten, vereinfachten Form nicht, wo nun Wege und Parkflächen Gebautes von Grünem trennen. Auch Niemeyers Entwurf wurde nicht ohne eine Änderung durch die Kommission ausgeführt, wie der weitere Verlauf dieser Arbeit zeigt. Generell zieht der Ibirapuera-Park seltener wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich als andere Projekte von Niemeyer.192 Stamo Papadaki erwähnt den Niemeyer keine alleinige Autorenschaft; vielmehr handelt es sich um ein Gebäude von Lúcio Costa unter Mitwirkung von Niemeyer und anderen Architekten. Immer wieder Beachtung findet dieser Bau auch aufgrund der Tatsache, dass Le Corbusier den Bau noch während seiner Planung wahrnahm und den Architekten Beratung gab. Vgl. Kapitel 2.3.1 in dieser Arbeit und Andreas, P., 2003, S. 81. Das größte gemeinsame Projekt von Niemeyer und Burle Marx war dann schließlich Brasília, deren wichtigsten Grünanlagen der Landschaftsarchitekt gestaltete. Roberto Burle Marx (1909 São Paulo – 1994 Rio de Janeiro) gehört zu den prägendsten Landschaftsarchitekten in Brasilien. Charakteristisch sind seine blumenreichen Gartenanlagen, deren Bepflanzungen sich nach den Farben der Blüten richteten. Er setzte die Blumen wie Farben ein und erreichte damit, dass seine Bepflanzungen in der Ferne wie große Bildkompositionen wirken. Burle Marx, der in Berlin Malerei studiert hatte, hinterließ neben Plänen und Zeichnungen auch ein umfangreiches malerisches Werk. Sein Nachlass wird von der von ihm 1955 gegründeten Firma Burle Marx & Cia. Ltda. in Rio de Janeiro verwaltet. Zu Burle Marx vgl. Monteiro, Marta Isis: Burle Marx – The Lyrical Landscape, London, 1997 und 2001. 190 Vgl. Projekt Nr. 24, Parque Ibirapuera. In: Xavier, Aberto/Lemos, Carlos/Corona, Eduardo: Arquitetura Moderna Paulistana, São Paulo 1983, ohne Seitenangabe und Macedo, Silvio Soares: Quadro do Paisagismo no Brasil. São Paulo 1999. Reihe Coleção Quapá, Bd. 1, S. 86. 191 „[…] os jardins, projetados por Burle Marx, chegavam até às vidraças externas.“ Vgl. Projekt Nr. 26, Palácio das Nações e dos Estados, 1951. In: Xavier, A./Lemos, C./Corona, E. 1983, ohne Seitenangabe. 192 Sowohl in der Literatur zu Niemeyer als auch zum Werk von Burle Marx gehört der Ibirapuera-Park nicht zu den meistgenannten Projekten. Im Zusammenhang mit Burle Marx wird er zuweilen als unrealisiertes Projekt genannt, jedoch nicht weiter analysiert oder bewertet. Vgl. z. B. Monteiro, M. I. 1997 und 2001. Dort wird der Ibirapuera-Park im ausführlichen Lebenslauf genannt. Zu Burle Marx im Kontext des Ibirapuera-Parks siehe im weiteren Verlauf dieses Kapitels.
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Ibirapuera-Park lediglich als Beispiel für die Vereinigung der einzelnen Elemente in einem einheitlichen Organismus, wie es in Pampulha noch nicht der Fall sei. Während Niemeyer in Pampulha die Landschaft betone, lägen im Ibirapuera-Park Architektur und Landschaft in einem ausgewogenen Kräfteverhältnis.193 In den Park integriert wurde ein weitläufiges Gebäudeensemble: drei als Pavillons bezeichnete Gebäuderiegel mit Glasfassade sowie ein Kuppelgebäude, die allesamt durch ein in langen, eleganten Kurven geformtes Stahlbetondach, die rund 600 Meter messende „Markise“, miteinander verbunden sind. Außerhalb dieser Verbindungspromenade befindet sich das oben erwähnte Planetarium, das aus der Luftperspektive den zweiten Kreis innerhalb der geräumigen Parkstruktur bildet.194 Die drei Pavillongebäude waren in erster Linie zur Durchführung von Messen und (Kunst-)Ausstellungen gedacht, von denen die beiden kleineren, der sogenannte Palácio das Nações und der Palácio dos Estados die II. und III. Biennale beherbergten. Die IV. und alle folgenden Biennalen fanden schließlich im weitaus größeren Palácio das Indústrias statt,195 der heute als Pavilhão Ciccillo Matarazzo bekannt ist, doch meistens nur Biennale-Pavillon genannt wird. Hier findet sich ein Bezug zu den Universalausstellungen, der nicht direkt mit der Biennale, sondern mit dem Ort als Messe zu tun hat: Zum einen standen in der Namensgebung die Palais der Weltausstellung in Paris den Gebäuden des Ibirapuera-Parks Pate, wie beispielsweise der Palais d’Industrie dem Palácio das Indústrias196, zum anderen kann man zwischen dem Kristallpalast im Hyde 193 Vgl. Papadaki, Stamo: Oscar Niemeyer, New York 1960, S. 22. Weitere Literatur zu Ibirapuera: Oscar Niemeyer, Katalog Fundació Caixa de Barcelona, Barcelona 1990 oder Wilquin, Luce/Delcourt, André (Hg.): Niemeyer, Belmont-sur-Lausanne 1977; Fils, A. 1982. 194 Siehe Bild-Anhang. 195 Die beiden kleineren Gebäude stehen im rechten Winkel zueinander und haben den gleichen Grundriss, der in der Länge 150 m misst. Sie enthalten je ein Erd- und Obergeschoss, die die Ausstellungshallen bilden, sowie ein um zwei Meter versenktes Untergeschoss mit einer wesentlich geringeren Grundfläche. Die Ausstellungsfläche beider Häuser beträgt zusammen ca. 28 000 Quadratmeter, während der große Palácio das Indústrias ungefähr 36 000 Quadratmeter bietet. Vgl. z. B.: Amarante, Leonor: Bienal 40 anos. In: Galeria – Revista de Arte (São Paulo), Ed. Especial, 1991, S. 64 und Freire, Cristina: O Espaço da Disperção: A Bienal de São Paulo e seu Público. In: ARTEunesp (São Paulo), Band 7, 1991, S. 203–213, dort: S. 204. 196 Anfangs hatte der Palácio das Indústrias den Beinamen Pavilhão Armando Arruda Pereira, benannt nach dem Bürgermeister von São Paulo, der 1951 im Amt war, als die Genehmigungsverträge für den Ibirapuera-Park unterzeichnet wurden. Die
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Park und Niemeyers Biennale-Pavillon im Ibirapuera-Park eine Parallele erkennen, worauf Cristina Freire hinweist. In allen drei, wie in London mitten im Grünen stehenden Gebäuden, die der Biennale seit 1953 zur Verfügung stehen, herrschen ganzseitige Glasfassaden vor. Das Glas, dessen Verwendung in dieser Dominanz in Brasilien in den fünfziger Jahren noch nicht üblich war, könne – entsprechend dem Crystal Palace – als Phänomen zur Visualisierung des Fortschritts gesehen werden.197 Ursprünglich hatte das verantwortliche Architektenteam unter der Leitung von Oscar Niemeyer eine sogar noch ausgedehntere Parkanlage vorgesehen. Diese wurde vom Festausschuss jedoch aus Kostengründen nicht genehmigt, weshalb ein zweiter, reduzierter und letztlich realisierter Entwurf ausgearbeitet wurde.198 Die erste Ausgabe der Zeitschrift Módulo, Mitte der 50er Jahre als Sprachrohr für die baulichen Tätigkeiten Niemeyers vor allem in Bezug auf die damals in Planung befindliche Hauptstadt Brasília ins Leben gerufen, zeigt die beiden Modelle des Parks im Vergleich.199 Daran stellt man neben einer reduzierten Gebäudezahl zudem fest, dass ein in beiden Entwürfen zu sehendes, der kuppelförmigen Oca gegenüberliegendes Gebäude im ausgeführten Park fehlt. Es handelt sich um ein kubisches Gebäude, um das sogenannte Auditório, dem man anfangs noch keine konkrete Bestimmung zuwies, lediglich die, dass es größere Bühnenveranstaltungen zulassen sollte. Auch Henrique E. Mindlin nannte es in seinem kurz darauf erschienenen Band über Architektur in Brasilien „Kongresshalle“ oder „Vortragssaal“, was auf eine ähnliche Nutzung hinweist.200 Namen änderten sich öfter; inzwischen wird er nach dem Hauptinitiator der Biennale genannt: Pavilhão Ciccillo Matarazzo. Der Einfachheit halber wird in der Literatur und auch im allgemeinen Sprachgebrauch jedoch vom Biennale-Pavillon gesprochen. Die Bezeichnungen der beiden kleineren Ausstellungshäuser werden ebenso uneinheitlich verwendet. Wurden sie von Niemeyer noch als Palácios bezeichnet, so trug der eine zwischendurch die Aufschrift Pavilhão dos Estados. Vgl. Módulo, (Rio de Janeiro), 1. Jahrgang, Heft 1, 1956. 197 Vgl. Freire, C. 1991, S. 204. 198 Vgl. Módulo (Rio de Janeiro), 1. Jahrgang, Heft 1, 1956, S. 18. 199 Ebd. S. 19. Zum Selbstverständnis von Módulo vgl. z. B. Lontra Costra, Marcus de: Juscelino Kubitschek. In: Módulo, 1976/77, Nr. 44, S. 11. 200 Vgl. Mindlin, H. 1956. Inzwischen wurde dieser Bau jedoch fertiggestellt. Rund ein halbes Jahrhundert nach der Inbetriebnahme des Parks fand am 24. Februar 2003 die feierliche Grundsteinlegung für das Bauprojekt statt, das sich mit einigen Modifizierungen an die Pläne aus den 50er Jahren anlehnt. Vgl. die nahezu ganzseitige Anzeige des Projektsponsors TIM am darauffolgenden Tag in der Tageszeitung O Estado de São Paulo, N. N.: Quando São Paulo completar 450 anos. In: Estado de
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„Oscar Niemeyers Projekt erlitt entscheidende Veränderungen, die das Organisationskomitee zu Gunsten der Wirtschaftlichkeit und der Praktikabilität vornahm. Der erste Pavillon am Eingang wurde gestrichen, damit die Besucher direkten Zugang von der Esplanade aus haben; die Form der Markise wurde beträchtlich vereinfacht und die Gesamtlänge verkürzt; auf das Auditorium wurde gänzlich verzichtet und damit auch auf die große Markise, die es mit dem Kunstpalast verbunden hätte.“201 Der Verzicht auf die Pläne von Burle Marx und die Veränderungen an Niemeyers Plänen haben zwar die Baukosten gesenkt, aber auch dazu geführt, dass der Park als Gesamtanlage einen weniger homogenen Charakter aufweist und in den Grünanlagen weniger akzentuiert ist als beispielsweise Pampulha oder die Monumentalachse mit den Ministerien in Brasília, wo Blumenbeete und Teiche nach Plan und in präziser Abstimmung mit den Gebäuden angelegt worden waren. Insgesamt jedoch wird bei beiden Park-Entwürfen die Intention der Organisatoren deutlich, auf dem Gelände sowohl Gewerbe als auch kulturelle Unterhaltung und damit Freizeit zu vereinen. Sein vielseitiges Angebot machte ihn schon früh zum „größten Ausstellungs- und Vergnügungspark Südamerikas.“202 3.3.2.2 Der feierliche Rahmen Rechtzeitig waren die Entsandten der ausländischen Regierungen von den Planungen der Vierhundertjahrfeier informiert und zum Teil auch integriert worden. So formierte sich neben dem zum Zwecke der Organisation und Durchführung der gesamten Feierlichkeiten zusammengestellten Festtagskomitee, der Comissão do IV Centenário unter dem Vorsitz Francisco Matarazzo Sobrinhos, noch eine Art Ehrenbeirat, dem nach offizieller Einladung auch der bundes-
São Paulo, 25. Februar 2003, Carderno 2, S. D1 und im brasilianischen Architekturportal Vitruvius: http://www.vitruvius.com.br/minhacidade/mc125/mc125.asp (letzter Zugriff Januar 2012). 201 „O projeto de Oscar Niemeyer sofreu alterações decisivas, introduzidas pela Comissão Organizadora (das festividades comemorativas do IV Centenário), em nome da economia e da praticidade. O pavilhão de entrada foi eliminado, tendo o público acesso direto pela esplanada; o formato da marquise foi consideravelmente simplificado e o seu comprimento total reduzido; o auditório foi abandonado e, com ele, a grande marquise que o ligaria ao Palácio das Artes.“ Vgl. Projekt Nr. 24, Parque Ibirapuera. In: Xavier, A./Lemos, C./Corona, E. 1983, ohne Seitenangabe. 202 Vgl. Müller Dörr, Käthe: Ibirapuera. In: Südamerika (Buenos Aires), 5, Heft 1, 1954, S. 14.
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deutsche Botschafter Oellers beigetreten ist.203 Es sind zwar keine schriftlich festgelegten Bestimmungen zu den Aufgaben dieses Conselho Honorário da Comissão de Participação de Estado nas Comemorações do IV Centenário204 bekannt, weder im Einladungsschreiben noch in einem anderen Berichtsdokument, doch ist davon auszugehen, dass dieses Gremium hauptsächlich repräsentativen Zwecken diente. Diese Annahme wird von der Tatsache unterstützt, dass die Einladung nicht von organisatorischer Seite, sondern vielmehr von politischer Seite, nämlich dem Gouverneur ausging. Beide Seiten rechneten durch die Miteinbeziehung von politischen Vertretern, wie den Botschaftern, auf eine starke Teilnahme anderer Länder, die nicht nur für die Biennale vorgesehen war: Im weiteren Verlauf des Jubiläums fand im Zentenarpark eine Industriemesse statt, die lange als die „größte Ausstellung und Messe, die je in Südamerika organisiert wurde“ galt.205 Es handelte sich um eine Messe mit internationaler Beteiligung, bei der die bundesdeutsche Industrie unter den beteiligten Ländern am stärksten vertreten war, weshalb ihr im Vergleich mit den anderen Teilnehmerländern die größte Ausstellungsfläche zur Verfügung gestellt wurde: 3000 Quadratmeter in der Halle und nahezu die gleiche Fläche im Park.206 Allein achtzig der in São Paulo und Rio de Janeiro ansässigen Firmen haben sich mit Produkten aus der deutschen Industrie im Ibirapuera-Park präsentiert.207 Die Bedeutung dieser Industrieausstellung wurde im Vorhinein sogar so hoch eingeschätzt, dass man im bundesdeutschen Generalkonsulat in São Paulo darüber nachdachte, ob es nicht sinnvoll wäre, in Deutschland eine Zentralstelle einzurichten, die die Beteiligung von Firmen mit Sitz in Deutschland koordinieren sollte.208 Tatsächlich fanden sich hochrangige Vertreter der bundesdeutschen Wirtschaft und Politik zu den Zentenarfeierlichkeiten in São Paulo ein. Auf Anregung des Botschafter Oellers, der selbst zusammen mit Werner Peiser die Ver-
203 Vgl. Kapitel 2.4.2.2. 204 Vgl. Einladungsschreiben des Governadors Lucas Nogueira Garcez an Botschafter Oellers, 14. November 1951, PAAA, B 90, Bd. 26-2. 205 Vgl. N. N., Intercâmbio (Rio de Janeiro), 12. Jahrgang, S. 29. 206 Vgl. ebd. 207 Hinzu kommen jene deutschen Firmen, die (noch) gar nicht in Brasilien vertreten waren. Ernst Günther Lipkau gibt eine Gesamtzahl von 165 deutschen Firmen an, die direkt und indirekt an der Messe beteilitgt waren. Vgl. Lipkau, E. G. 1993, S. 47. 208 Schreiben ohne Namen aus dem Generalkonsulat in São Paulo an das Auswärtige Amt am 23. Mai 1952, PAAA, B 90, Bd. KA-24.
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nissage der Biennale am 12. Dezember 1953 besuchte,209 wurde das Programm der Lateinamerika-Reise des Staatssekretärs Hallstein Ende 1954 dahingehend verändert, dass nach Rio de Janeiro als einziges weiteres Ziel in Brasilien noch São Paulo aufgenommen wurde, um dort die Industrieausstellung mit deutscher Beteiligung zu besichtigen.210 Die Biennale profitierte in vielerlei Hinsicht von der Schirmherrschaft dieses den Rahmen bildenden IV Centenário, die für die Biennale eine Unterstützung darstellte, wie sie sie in dieser ausgeprägten Form auch nur bei dieser II. Ausrichtung erfahren hat: Auf diese Weise konnte auf einer breiteren Ebene Öffentlichkeitsarbeit betrieben und die enorme Infrastruktur genutzt werden. Zudem fand sie dabei ihren heutigen Platz, den sie während der Jubiläumsfeierlichkeiten eingenommen und seit seiner Einweihung nicht mehr verlassen hat: den Ibirapuera-Park. 3.3.2.3 Zu den Ausstellungen der II. Biennale Den Kern der II. Biennale bildeten ihrer Bestimmung nach die internationalen Beiträge, die wie bei der I. Biennale von Kommissaren aus den jeweiligen Staaten zusammengestellt wurden. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland war es wieder Ludwig Grote, der vom Auswärtigen Amt dazu beauftragt worden war. Gleichzeitig wurde er von der Biennale in die Preisjury berufen, wobei ihn hier Eberhard Hanfstaengl vertrat.211 Die internationale Beteiligung erhöhte sich im Vergleich zur vorherigen Biennale um fünfzig Prozent und zählte nun 32 Staaten plus Brasilien.212 Wie bei 209 Vgl. Bericht von Oellers an das Auswärtige Amt vom 21. Dezember 1953, PAAA, B 90-KA 25. 210 Hallstein stattete São Paulo schließlich am 29./30. November 1954 seinen Besuch ab und ging bei dieser Gelegenheit durch die Ausstellungen im Ibirapuera-Park. Vgl. z. B. PAAA, B 11, Bd. 312-2 und Deutsche Nachrichten (São Paulo), 1. Dezember 1954. 211 „[…] ist es Herrn Dr. Grote zur Zeit nicht möglich, eine Reise nach São Paulo anzutreten. An seiner Stelle ist Herr Dr. Hanfstaengl, München, als Mitglied der Jury nach Brasilien gefahren, um an der Eröffnung der II. Biennale in São Paulo am 12. Dezember 1953 teilzunehmen.“ Vgl. Verbalnote des Auswärtigen Amtes an die Brasilianische Botschaft am 23. Dezember 1953, PAAA, B 90 KA, Bd. 25. Zu Eberhard Hanfstaengls kuratorischen Erfahrungen vgl. nächstes Unterkapitel. 212 Diese um ein knappes Dutzend Länder höhere Beteiligung erreichte die Biennale vermutlich in erster Linie durch die früher aufgenommene Planung. Wie oben bereits erwähnt, hatte man für die I. Biennale erst im Januar des Veranstaltungsjahres eingeladen, wohingegen die Einladungen für die II. Biennale schon bald nach der
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der I. Biennale war auch bei der zweiten eine von einer eigenen Jury ausgewählte Architekturausstellung integriert, die wie die Exponate der Kunstbiennale in den beiden einander benachbarten Gebäuden, dem Palácio das Nações und dem Palácio dos Estados platziert wurde.213 Zur ausgestellten Kunst Die Kunst aus Brasilien war bei dieser II. Biennale im Vergleich zur ersten und auch den nachfolgenden Biennalen besonders stark vertreten. Mehr als andere nahmen brasilianische Künstler die Gelegenheit wahr, sich mit eingereichten Arbeiten länderunabhängig zu bewerben.214 Zu den erfolgreichen brasilianischen Bewerbern gehörten beispielsweise Geraldo de Barros, Samson Flexor, Alfredo Volpi und Alexandre Wollner. Bei der Prämienvergabe wurde aufgrund dieser ungleichen Verteilung zwischen internationalen Preisen und jenen Preisen unterschieden, mit denen ausschließlich brasilianische Künstler prämiert wurden. Der bundesdeutsche Beitrag umfasste Arbeiten von insgesamt dreizehn Künstlerinnen und Künstlern. Die Hängung dieser Arbeiten vor Ort erfolgte unter der Aufsicht von Pfeiffer, der inzwischen offiziell vom MASP ins MAM gewechselt war, wo die Biennale vorbereitet wurde.215 Beendigung der I. Biennale verschickt wurden. Denkbar ist auch, dass sich manche Länder dank des gewonnenen Renommees der Biennale zu einer Teilnahme an der II. Biennale entschlossen haben, doch liegen hierzu keine Quellen vor. Neben dem umfangreichen brasilianischen Part waren Arbeiten aus folgenden Ländern zu sehen: Argentinien, Ägypten, Belgien, Bolivien, Bundesrepublik Deutschland, Chile, Dänemark, Dominikanische Republik, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indonesien, Israel, Italien, Japan, Jugoslawien, Kanada, Kuba, Luxemburg, Mexiko, Nicaragua, Niederlande, Norwegen, Österreich, Paraguay, Peru, Portugal, Schweiz, Spanien, Uruguay, USA und Venezuela. Vgl. z. B. II bienal do museu de arte moderna de São Paulo, catálogo geral, São Paulo 1953, S. 37. 213 Der heute von der Biennale genutzte Pavilhão da Bienal, der gleichzeitig den ständigen Sitz der Fundação Bienal de São Paulo beherbergt und zwischen den Biennalen an Messefirmen und andere Aussteller vermietet wird, war zu dem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt; erst die IV. Biennale im Jahre 1957 fand im großen Gebäude statt. 214 Vgl. Kapitel 3.1.2.4 zum Auswahlverfahren. 215 Kunstwerke folgender Künstler aus der Bundesrepublik waren zu sehen: Hubert Berke, Georg Brenninger, Joseph Fassbender, Arnold Fiedler, Gerhard Fietz, Bernhard Heiliger, Werner Heldt, Karl Hofer, Rolf Nesch, Otto Pankok, Heinz Trökes, Ernst Weiers und Conrad Westpfahl. Die Mehrheit dieser Maler, Grafiker oder Bildhauer ist in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geboren und hat ihre
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Nicht alle Länder traten mit einer größeren Auswahl von Künstlern auf, worauf der Katalog wie auch die folgende Bemerkung des Preisjurymitglieds Eberhard Hanfstaengel hinweisen: „[…] denn die Auswahl wurde von den einzelnen Nationen getroffen, und hier fehlte wohl öfters die nötige Einsicht, was auf einer solchen ‚Weltschau‘ zugelassen werden kann und was nicht. Bewährt hat sich bei dieser Ausstellung das leider noch nicht genügend durchgeführte Prinzip, mit wenigen Künstlern aufzutreten, nicht mit einer Vielzahl von Namen zwar die Katalogseiten zu füllen, aber an den Wänden ein uneinheitliches verwirrendes Bild zu schaffen, das keine fesselnde Wirkung tun kann. Einige wenige Nationen, die nur einen Künstler herausstellten, wie Mexiko, Jugoslawien, haben mehr Eindrücke hinterlassen als andere, künstlerisch sicher stärkere, die auf dem engen Raum glaubten, mit einer Vielfalt von Individualitäten Aufmerksamkeit finden zu können. Freilich: die Auswahl nach dem Gesichtspunkt der Wenigen und Wesentlichen zu treffen, ist schwierig, und fast noch schwieriger ist es, diese Beschränkung gegen berechtigten und unberechtigten Anspruch auf Beteiligung an einer solchen internationalen Rundschau im eigenen Lande durchzusetzen.“216 In diesem Zitat wird eine gewisse Uneinheitlichkeit im Gesamtbild der Ausstellung deutlich, die mangels konkreter Vorgaben bezüglich Anzahl und Qualität entstand. Dennoch sind es wenige Stimmen, die die internationale Ausstellung besprachen. Vielmehr waren es die publikumswirksamen Sonderschauen, die bei dieser Biennale den internationalen Teil ergänzten und außerhalb des Wettbewerbs standen. Trotz der großen Zahl überwiegend zeitgenössischer Arbeiten im internationalen zu prämierenden Teil der Gesamtschau beeindruckten das Publikum die neuen und umfangreichen Sonderschauen der sogenannten Salas Especiais. Diese zeigten hoch dotierte Kunstwerke von internationalem Rang, darunter Arbeiten von Klee, Skulpturen von Henry Moore, einige Mobilés von Alexander Calder und unter mehr als fünfzig Picasso-Arbeiten das damals schon weltberühmte Gemälde Guernica. künstlerische Ausbildung noch vor oder auch noch während des Zweiten Weltkrieges gemacht. Ihre künstlerische Ausbildung und Laufbahn, besonders die der älteren (Hofer, *1878; Westphal, *1891; Nesch, *1893; Pankok, *1893), wurde durch die NS-Diktatur unterbrochen oder zumindest stark behindert. Alle gehören zu den Malern, Bildhauern und Grafikern, die die Kunst in den 50er Jahren als freischaffende Künstler und/oder als Lehrer mitprägten. In diesem Punkt ist die Auswahl mit dem deutschen Beitrag zur I. Biennale vergleichbar. Vgl. Kapitel 3.3.1.2. 216 Vgl. Hanfstaengl, Eberhard: Weltschau moderner Kunst. In: Intercâmbio (Rio de Janeiro), 1954, 12. Jahrgang, Nr. 4/6, S. 28–30, dort: S. 30. Der gesamte Artikel ist vorab am 18. Februar 1954 in „DIE ZEIT“ erschienen.
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Das zu jener Zeit noch ohne festen Sitz befindliche Gemälde Guernica wurde an mehreren Orten der Welt ausgestellt und nur mit erheblichem Aufwand nach Brasilien gebracht. In kaum einer zeitgenössischen Biennale-Rezension bleibt Guernica unerwähnt, und auch in der nachträglichen Berichterstattung vieler Zeitgenossen ist es das Werk, an das am häufigsten erinnert wird.217 Die Biennale São Paulo gehört zu Guernicas wechselvoller Rezeptionsgeschichte218, obwohl sie von den wichtigsten Autoren zum Thema Guernica bzw. Picasso bislang kaum genannt wird.219 Doch auch für São Paulo galt, was später Virmond und Kerbs zu Guernicas Präsentation an den verschiedenen Orten schrieben: „Wo es hinkam, hat das Bild Diskussionen, Kontroversen, Stellungnahmen für und wider ausgelöst.“220 Abgesehen von den Hervorhebungen Guernicas in zahlreichen Ausstellungsbesprechungen der Zeit haben sich auch brasilianische Künstler mit dem Bild befasst und es in ihren eigenen Werken behandelt.221 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass das Gemälde Guernica zu diesem Zeitpunkt entgegen manchen historischen Darstellungen zur Biennale São Paulo schon längst international bekannt war.222 Es wurde zwar schnell aus seinem eigentlichen, an ein spezifisches, historisches Ereignis gebundenen Kontext gelöst und zu einer „Darstellung einer verallgemeinerten Apokalypse“223, doch 217 Zum Beispiel Wolfgang Pfeiffer im Gespräch mit der Verf. im November 2002. 218 Zur Rezeptionsgeschichte von Guernica vgl. Ullmann, Ludwig: Picasso und der Krieg, Karl-Kerber-Verlag 1993 und Imdahl, Max: Picassos Guernica, Frankfurt am Main 1985. 219 Darin spiegelt sich wider, um was bei solchen Anstrengungen wie der Biennale – und dem gesamten IV Centenário – mit unterschiedlich sichtbarem Erfolg gekämpft wird: Um die Wahrnehmung der Stadt und des Landes in der westlich-industrialisierten Welt, die immer noch eine Frage von Peripherie und Zentrum ist. – Diese Abschnitte zu Picassos Gemälde Guernica folgen weitgehend den Ausführungen der Verfasserin über die II. Biennale in: Merklinger, Martina: Mit hehrer Kunst zum IV Centenário, Die Etablierung der Biennale im Ibirapuera-Park. In: Martius-StadenJahrbuch (São Paulo), Nr. 50, S. 142–157. 220 Virmond, Wolfgang/Kerbs, Diethard: Entstehung, Bedeutung und Wirkung des Guernica-Bildes. In: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst NGBK (Hg.): Guernica: Picasso und der Spanische Bürgerkrieg. Berlin 1980, S. 139–147, dort: 145. 221 Einen Eindruck davon bietet die von der Fundacão Nacional de Arte herausgegebenen Publikation Uma interpretação brasileira de Guernica, Rio de Janeiro 1981. 222 Vgl. z. B. Amarante, Leonor: As Bienais de São Paulo/1951 a 1987, São Paulo 1989, S. 36. 223 Vgl. Spies, Werner: Kontinent Picasso: Ausgewählte Aufsätze aus zwei Jahrzehnten, München 1988, S. 85.
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weist Spies an derselben Stelle darauf hin, dass es von Anfang an ein vielbesprochenes und vielbeachtetes Werk war und belegt dies mit einigen Presseausschnitten. Bestätigung findet diese Einschätzung in der aufwendigen Korrespondenz zwischen dem Museum of Modern Art und der Biennale-Leitung, in der das Gemälde separat behandelt und in der ein vergleichsweise hoher Versicherungswert genannt wird: Während zwei weitere berühmte Picasso-Werke, „Die Panflöte“ von 1923 und „Der Kartenspieler“ von 1913/14 mit 30 000 und 18 000 US-Dollar veranschlagt wurden, lag der Versicherungswert von Guernica bei 72 000 US-Dollar.224 Guernica, von Spies später als die „Wirbelsäule der Kunst unseres Jahrhunderts“ bezeichnet,225 wurde von Pablo Picasso als Auftragsarbeit für die Weltausstellung in Paris im Jahr 1937 angefertigt. 226 Der damalige Kulturattaché des republikanischen Spaniens, Max Aub, bat den in Paris lebenden andalusischen Maler Picasso um ein Wandgemälde für den spanischen Pavillon auf der Weltausstellung, für das dieser einen für die Weltausstellung ungewöhnlichen Themenbereich wählte: die Bombardierung der baskischen Stadt Gernika am 26. April 1937 durch die deutsche Legion Condor. Der Maler wählte eine deutliche Bildsprache für das nur in Schwarz und Grautönen gehaltene Gemälde. In einem halbwegs geschlossenen Raumgefüge trägt sich ein dramatisches Szenario zu. Es werden darin Menschen und Tiere gleichsam in Todesangst schreiend dargestellt, in einem Moment großer Zerstörung. Spaniens republikanische Regierung beziehungsweise Aub als deren Repräsentant in Paris vertrat eine progressive, den totalitären Staatsformen widerstrebende Lösung für ihren Pavillon. Josep Lluis Sert, der beauftragte Architekt, entwarf eine vergleichsweise zurückhaltende Architektur,227 deren offene Form die Besucher zur Information und Urteilsbildung einlud. Sert, bedeutender Vertreter des reformierten Spaniens, in dem er einige öffentliche Gebäude, darunter Schulen und Stadtviertel, errichtete, 224 Vgl. dazu die Versicherungsliste, die das Museum of Modern Art im November 1953 an die Comissão do IV Centenário/IIa Bienal de São Paulo schickte, AHWS/FBSP. 225 Vgl. Spies, W. 1988, S. 8. 226 Im selben Jahr wie die Weltausstellung Paris fand die Große Deutsche Kunstausstellung im neugebauten Haus der Kunst in München statt (Eröffnung: 18. Juli 1937), und am Tag darauf wurde die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ in München eröffnet. 227 Der deutsche und der russische Pavillon beispielsweise zeigten sich dagegen mächtig und kolossal. Die beiden standen sich gegenüber, woran „der Wettstreit ideologischer Systeme und die Propaganda“ besonders deutlich ablesbar gewesen sei. Vgl. Krutisch, P. 2001, S. 118.
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war ein dem progressiveren Neuen Bauen verpflichteter Architekt, der in der Literatur oft mit Le Corbusier in Zusammenhang gebracht wird. Ornamentlos, dennoch wirkungsvoll schlicht war demnach die Herberge des Picasso-Gemäldes sowohl an dem Ort, für den es angefertigt worden war, als auch in São Paulo. Dort wurde es in einem Bau ausgestellt, für den Niemeyer eine einfache und offene Architekturlösung gefunden hatte. São Paulo reihte sich ein in diese Tradition fortschrittlichen und wenig pompösen Ambientes, das Guernica haben sollte, indem es ihm einen exponierten Platz inmitten dieser „friedlichen Leistungsschau“ und innerhalb eines hellen, teilweise auf Stützen gestellten Flachbaus bot. Zur Architektur bei der Biennale Die Biennale hat bei ihrer zweiten Ausrichtung an Ausmaß und Bedeutung gewonnen. War die Architektur bei der I. Biennale zwar schon in einem Sonderbereich mit einer kleinen Schau vertreten – man beschränkte sich dabei noch auf eine kleinere Auswahl dokumentarischer Materialien – wurde schon für die zweite ein differenziertes, von der Bildenden Kunst unabhängiges Prämierungssystem erarbeitet.228 Heute findet im jährlichen Wechsel zur Kunstbiennale die Architekturbiennale statt, die sich aus der Architekturausstellung innerhalb der Kunstbiennale herausgebildet hat. Die Bedeutung des damaligen Architekturbereiches zeigt die Beteiligung Walter Gropius’. Eine umfangreiche Sonderausstellung wurde organisiert, die Arbeiten des Bauhaus-Gründers enthielt, dessen 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossene Schule auch in Brasilien große Beachtung erfahren hat.229 Im Januar 1954 bekam er den Architekturpreis der Biennale verliehen, für sein Werk, das „eine besonders wichtige Rolle in der Entwicklung der zeitgenössischen Architektur spielt.“230 Während die I. Biennale gerade in diesem architektonischen Bereich noch einen experimentelleren Charakter aufwies, so hatte sie spätestens bei der II. Biennale das erreicht, was der künstlerische Direktor der I. Biennale als eines der Ziele formulierte: „Der wesentliche – wenn auch unabhängige – Part der I. Architektur-Biennale folgte dem experimentellen Charakter des Ganzen, in das er sich integriert. Seit der Übernahme einer einfachen Lösung für eine Präsentation von Projekten war das Hauptanliegen, die Möglichkeiten zu eruieren, die 228 Vgl. Giedion, Siegfried: Walter Gropius – Mensch und Werk, Stuttgart 1954, S. 3 f. 229 Zur Bauhaus-Rezeption siehe auch Kapitel 4. 230 Beschreibung nach Giedion, der im Vorwort zur Gropius-Monographie Paulo E. de Berrêdo Carneiro zitiert. Carneiro vertrat die Angelegenheiten des IV. Centenário bzw. der Biennale in Paris. Vgl. Giedion, S. 1954, S. 3.
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Positionen moderner Architektur der ganzen Welt in regelmäßigen Abständen in São Paulo zusammenzubringen.“231 Die wohl umfangreichste Dokumentation von Architektenseite findet sich im Magazin Architectural Review, das von Ernesto Rogers 1954 herausgegeben wurde und in dem sich namhafte Architekten wie Gropius und Rogers selbst, aber auch Peter Craymer oder Max Bill zur Ausstellung äußern.232 Siegfried Giedion berichtet in seinem Vorwort zur Gropius-Monographie „Walter Gropius – Mensch und Werk“, dass die Idee, einen Architektur-Preis einzurichten, schon während der I. Biennale entstanden sei, zu der er als JuryMitglied eingeladen gewesen war. Es wurde daraufhin ein einmaliger Preis von der Stiftung namens Fundação Andrea e Virgínia Matarazzo233 zur Verfügung gestellt, dessen Träger von einer unabhängigen Jury ermittelt werden sollte. Die Auslobung erfolgte schon bald darauf, denn bereits im Februar 1953 habe Carneiro Giedion gefragt, was er davon hielte, anlässlich dieser Preisverleihung ein Buch über Gropius herauszugeben.234 Diese fand zusammen mit der Ehrung der Preisträger der Kunstbiennale im Januar 1954 statt. Im Falle Walter Gropius, dem, wie den anderen Preisträgern auch, im Januar 1954 der ihm zugedachte Preis vom Staatspräsidenten Getúlio Vargas überreicht wurde, muss die Entscheidung also schon deutlich vor der II. Biennale gefallen sein. Die dünne Quellenlage lässt keine eindeutigen Schlüsse zu, was für diese Wahl ausschlaggebend war. Dennoch vereinigen sich in Person und Werk des Architekten mehrere Aspekte, die für jene Zeit und vor allem auch für Brasilien relevant sind und eine plausible Begründung nahelegen. Wie hier bereits im Zusammenhang mit dem IAC am MASP dargestellt wurde, ist das von Gropius 1919 in Weimar ins Leben gerufene Bauhaus in Brasilien Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre insbesondere in Fachkreisen bekannt gewesen. Brasiliens Aufschwung ging mit einem Bauboom vor allem in der Wirtschaftsmetropole São Paulo einher, von der Lévi-Strauss schreibt, dass bezüglich der Bautätigkeit sich 231 Vgl. Gomes Machado, Lourival: Apresentacão im Catálogo I Bienal do Museu de Arte Moderna de São Paulo (1ª tiragem), S. 21. 232 Architectural Review, Bd. 116, Nr. 694, Okt. 1954. 233 Die Andrea-und-Virgínia-Matarazzo-Stiftung mit damaligem Sitz in der medizinischen Fakultät der USP trägt die Namen der Eltern von Francisco Matarazzo Sobrinho und setzte sich für die Krebsforschung ein. Sie trat in den 40er Jahren häufiger als Förderin von jungen (Natur-)Wissenschaftlern in Erscheinung. Angaben folgen weitgehend den Ausführungen des ehemaligen Mitarbeiters und Stipendiaten Giuseppe Cilento: http://www.netsaber.com.br/biografias/ver_biografia.php?c=2096 (Stand Januar 2007). 234 Vgl. Giedion, S. 1954, S. 4.
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die Stadt mit solcher Geschwindigkeit entwickle, „daß es unmöglich ist, sich einen Stadtplan zu besorgen: jede Woche müßte eine neue Ausgabe erscheinen.“235 Hier findet sich eine gewisse Parallele zur Situation Deutschlands in der Weimarer Republik und dem wiederaufzubauenden Europa, für dessen wachsende Städte umfassende bauliche Lösungen gefunden werden mussten. So ist es auch erklärlich, dass die Biennale-Leitung einen berühmten Architekten wie Walter Gropius, der eine maßgebliche Rolle in dieser Zeit einnahm, nach São Paulo einlud und ihn dort mit einem Preis auszeichnete. Eine internationale Aufmerksamkeit, die man sich vielleicht mit einer Ehrung Gropius’ erhoffte, ist ja – beispielsweise mit Giedions Buch – auch nicht ausgeblieben. 3.3.3 Die beiden ersten Biennalen im Vergleich Der Erfolg der I. Biennale, der Brasilien aus der Sicht der Organisatoren „in den künstlerischen Hauptzentren der Welt zu großem Ruf verhalf“,236 führte insgesamt zu einer stärkeren Beteiligung bei der zweiten: Die Zahl der teilnehmenden Nationen stieg von 22 auf 33 (inklusive Brasilien); allein aus dem Ausland wurden weit mehr als tausend einzelne Kunstwerke eingeführt.237 Mit eingerechnet sind auch die Arbeiten der Sonderausstellungen, die es in dieser Form 1951 noch nicht gab und die die II. Biennale in besonderer Weise charakterisierten, sowie Werke von einzelnen Künstlern, die sich länderunabhängig um eine Teilnahmemöglichkeit bei der Biennale beworben hatten und von der Auswahljury zugelassen wurden. Den Kern bildeten jedoch bei beiden Biennalen die internationalen Beiträge, bei der I. Biennale mit den jüngsten Strömungen in der Kunst, bei der zweiten mit den weltbekannten Meisterwerken der Gegenwart und der Klassischen Moderne, die in größerer Zahl nach São Paulo gebracht wurden.238 Insbesondere der II. Biennale blieb das Renommee der Exklusivität dank der Sonderschauen erhalten, deren Kuratierung die Biennale-Leitung ohne die auswärtigen Kommissare vornahm. Wie der Fall Guernica zeigt, bemühte sich die BiennaleLeitung, insbesondere Matarazzo Sobrinho selbst und seine Frau Yolanda Penteado, weltweit um Werke bekannter Künstler und hatte dank ihrer persönlichen 235 Lévi-Strauss, C. 1989, S. 88. 236 Vgl. Schreiben des Interimspräsidenten Bloem an den Botschafter von Brasilien in Bonn, 16. 9. 1952, AHWS/FBSP. 237 Vgl. z. B. II bienal do museu de arte moderna de São Paulo, catálogo geral, São Paulo 1953. 238 Zur II. Biennale vgl. Merklinger, Martina: Mit hehrer Kunst zum IV Centenário, Die Etablierung der Biennale im Ibirapuera-Park. In: Martius-Staden-Jahrbuch (São Paulo), Nr. 50, 2003, S. 142–157.
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Kontakte auch aus dem Unternehmertum Erfolg damit. Ob einem bestimmten Konzept gefolgt wurde, ist nicht nachzuprüfen, doch war die Popularität des Kunstwerks bzw. des Künstlers zweifellos ein wichtiges Kriterium. Darüber hinaus trug die organisatorische Einbindung von Diplomaten239, Architekten und zuweilen Künstlern der I. Biennale240 dazu bei, dass die II. durch die Vernetzung eine breitere Öffentlichkeit bekam. Eine ähnliche Wirkung hatte der festliche Rahmen: Durch die Einbeziehung der Biennale in die 400Jahr-Feiern, welche vor allem für die Industrie von großer Bedeutung waren, bekam sie eine Öffentlichkeit auch außerhalb ihres Metiers. In der Person Francisco Matarazzo Sobrinho waren beide vorrangigen Interessen vereint: Stärkung sowohl der Kunst als auch der Industrie. Für den bundesdeutschen Beitrag galt zudem, dass man auf der Basis der Arbeit für die I. Biennale vorging und dabei sicherlich von den bereits 1951 gewonnenen Erfahrungen profitieren konnte. Dazu gehörte, dass Ludwig Grote den bundesdeutschen Beitrag erneut kuratierte; für die Jury in São Paulo bat dieser jedoch den Kunsthistoriker Eberhard Hanfstaengl, an seiner statt beizutreten, da er selbst dieses Jurorenamt nicht antreten konnte. Die folgende Darstellung von Hanfstaengls beruflichem Werdegang gibt einen Eindruck von seinen Erfahrungen mit großen Ausstellungen, insbesondere mit Länderrepräsentationen, die zu dieser Wahl Grotes geführt haben könnten. Eberhard Hanfstaengl hatte bereits 1934 die Aufgabe übernommen, den deutschen Pavillon bei der Biennale Venedig zu kuratieren und war somit Kommissar der größten, dort ausgerichteten Biennale. Sie wurde zur „Kulisse in einer Inszenierung politischer Strategien“241 für das nationalsozialistische Deutschland im faschistischen Italien. Von Hanfstaengl erhoffte man eine linientreue Einstellung und Ausführung seiner Pflicht als Kommissar des reichsdeutschen Beitrags, um einen weiteren missglückten Beitrag, wie derjenige von 1930 von den Parteifunktionären gesehen wurde, zu vermeiden.242 Hanfstaengl brachte zumindest
239 Beispielsweise Botschafter Oellers, vgl. Kapitel 2.4.2.2. 240 Max Bill beispielsweise wurde in die Jury für die II. Biennale berufen. 241 Vgl. Becker, Ch. 1995, S. 29. 242 Der in den Augen der Parteifunktionäre fehlende propagandistische Effekt des deutschen Beitrages mit den insgesamt wenig der Nazi-Ideologie konformen Kunstwerken wurde zu einem Politikum, das dazu führte, dass Deutschland bei der darauffolgenden Biennale in Venedig, 1932, nicht vertreten war. Die Biennale 1934 erfolgte dann schon unter einer neuen politischen Verantwortung: Der Beitrag wurde nicht mehr vom Referat für Bildende Kunst im Auswärtigen Amt entschieden, sondern wurde zwischen der 1933 beschlossenen Reichskulturkammer und dem
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den entsprechenden Hintergrund für diese repräsentative Aufgabe mit, denn er war seit 1933 Direktor der Nationalgalerie Berlin, deren 1919 gegründete Neue Abteilung im Kronprinzenpalais eine Vorreiterrolle für Museen zeitgenössischer Kunst einnahm und die Eberhard Hanfstaengl mitprägte. Er wagte es noch in dieser Zeit, Werke von Emil Nolde oder Ernst Ludwig Kirchner zu kaufen, aber vor allem schaffte er es, durch den gezielten Austausch von Kunstwerken die Ausstellung für die nationalsozialistischen Kritiker abzumildern und sie somit vorerst vor einer Beschlagnahmung zu bewahren.243 Hanfstaengl, den die Nationalsozialisten 1942 immer noch als „getreuen Gefolgsmann“ einschätzten,244 präsentierte bei den Biennalen 1934 und 1936 im Rahmen des Möglichen noch moderne Kunst,245 doch verschärfte sich die Situation für die Kunst und die Künstler im „Dritten Reich“ derart, dass für die Ausstellung 1938 nur ein Parteifunktionär in Frage kam. Schließlich wurde Adolf Ziegler ernannt, der von Hitler auch für die Säuberungsaktion „entarteter“ Kunstwerke aus deutschem Museumsbesitz beauftragt wurde und im Jahr zuvor die Ausstellung „100 Jahre deutsche Malerei und Plastik“ zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst in München zusammengetragen hatte.246 Lauterbach zufolge war Hanfstaengl nach Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda abgesprochen. Beiden stand Joseph Goebbels vor. Vgl. Becker, Ch. 1995, S. 27 f. 243 Vgl. Steinkamp, Meike: Das unerwünschte Erbe. Die Rezeption „entarteter“ Kunst in Kunstkritik, Ausstellungen und Museen der SBZ und frühen DDR, Berlin 2008, S. 75 ff. 1937 wurde die Sammlung im Kronprinzenpalais von den Nationalsozialisten geschlossen. 244 Vgl. ebd., S. 359. 245 Der deutsche Beitrag bei der Biennale Venedig 1934 bestand aus Arbeiten von nahezu 50 Künstlern, darunter Namen wie Lothar Bechstein, Wilhelm Heise, Werner Peiner, Walter Teutsch, Max Unold, Karl Albiker, Ernst Barlach, Josef Henselmann, Georg Kolbe, Richard Seewald; 1936 waren es lediglich 20 Künstler, darunter Albert Birkle, Ludwig Dettmann, Johannes Sass, Joachim Utech. Vgl. Becker, Ch./Lagler, A., 1995, S. 136–141. Hanfstaengls Schwierigkeiten bei der Auswahl, angesichts des nationalsozialistischen Drucks, gibt der folgende Auszug aus seinem Katalogtext wieder: „Die Ausstellung wird verdeutlichen, daß starke und vielfältige Kräfte die deutsche zeitgenössische Kunst anregen, und daß die politische Konzentration keineswegs zur Vereinheitlichung der künstlerischen Schöpfungen geführt hat, wobei der kulturelle Reichtum der Regionen und der Generationen stets lebendig ist und sich erneuert.“ Vgl. ebd. S. 141. Die Namen zeigen, dass er versuchte, den diversen Strömungen der Gegenwartskunst gerecht zu werden, indem er den Nationalsozialisten angenehme Künstler genauso einbezog wie später verfemte. 246 Vgl. Becker, Ch. 1995, S. 30.
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dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit lang am Collecting Point München tätig, wo bei der Besetzung von Stellen mit Deutschen großen Wert darauf gelegt worden sei, „lediglich Personen zu berücksichtigen, die man als unbelastet ansah.“247 Dies zu bewerten, war in der direkten Nachkriegszeit schwierig und ist selbst heute für die Forschung ein schwieriges Unterfangen, wie andere Untersuchungen bestätigen, da es Kunsthistoriker in verantwortlichen Positionen gab, die einen Spagat zwischen der Ideologie der Nationalsozialisten und dem kunstwissenschaftlichen Interesse wagten; die kein dezidiert politisches Interesse besaßen, jedoch vorrangig kunsthistorische Ziele verfolgten, wie beispielsweise den Expressionismus zu etablieren.248 Zu komplex ist das Thema der Kunst- und Kulturpolitik des „Dritten Reiches“, um es in diesem Zusammenhang mit der Biennale São Paulo ausreichend darzustellen und zu bewerten. Gerade der Umgang der offiziellen Funktionsträger im natinalsozialistischen Deutschland mit Bildender Kunst ist fragwürdig und prekär und ist nicht allein mit Verachtung der sogenannten „entarteten“ Kunst zu begründen. Plünderungen und Kunstraub begünstigten den Handel oder nutzten dem Aufbau des Führermuseums in Linz. Dennoch kann die Auswärtige Kulturpolitik nach dem Krieg nicht ohne die Kunstpolitik der Nationalsozialisten gesehen werden, da manche Aufgaben und Maßnahmen in der jungen Bundesrepublik – wie die der Collecting Points und der Restitution – aus der Politik der Nationalsozialisten resultieren, aber auch, weil es personelle Überschneidungen in den neuen und alten Behörden gab.249
247 Vgl. Lauterbach, Iris: „Arche Noah“, „Museum ohne Besucher“? – Beutekunst und Restitution im Central Art Collecting Point in München 1945–1949, München 2004, S. 4. Online-Version: http://www.initiativefortbildung.de/pdf/provenienz2004/lauterbach.pdf (letzter Zugriff: Januar 2012). 248 Vgl. z. B. Steinkamp, M. 2008, S. 80 ff. 249 Die in den letzten Jahren intensivierten Forschungen zur Kulturpolitik des „Dritten Reiches“ und speziell zu Kunst- und Kulturraub haben diese Praxis auch im Hinblick auf die Außenpolitische Verwendung nach dem Krieg untersucht. Vgl. z. B. Heuß, Anja: Der Kunstraub der Nationalsozialisten, Eine Typologie. In: kritische berichte, 5/1995, S. 32–42 und insbesondere die umfassende Untersuchung derselben Autorin zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion. Vgl. Heuß, A. 1999.
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3.4 Z WISCHENERGEBNIS : D IE B IENNALE IM E INKLANG MIT K OMMERZ UND P OLITIK Die Gründungsgeschichte der Biennale São Paulo zeigt, dass ihre Organisatoren ein passendes Modell im Ausland fanden, an dem sie ihre beabsichtigte internationale Ausstellung orientieren konnten: die Biennale Venedig. Es wurden zwar konzeptionelle Veränderungen vorgenommen, die sich nach den spezifischen örtlichen Gegebenheiten richteten, doch blieb das Prinzip, eine Ausstellung mit einer verantwortlichen Beteiligung der Länder erhalten. Der wesentlichste Unterschied ist dabei die räumliche Lösung. Die Verantwortlichen in São Paulo entschieden sich für ein gemeinsames Gebäude und gegen die scharfe Trennung durch einzelne, für die Biennale Venedig charakteristische Länderpavillons und erreichten damit zunächst die Steigerung eines harmonischen „Eine-WeltGedankens“. Andererseits nahmen sie ein Element auf, das wiederum den Konkurrenzgedanken förderte: das Prämierungssystem. Die Aktivitäten während der Gründungsphase sowohl der Museen als auch der Biennale waren insgesamt geprägt von einer starken Internationalität. Dies wird bei den Akteuren deutlich, die entweder aus anderen Ländern kamen oder sich ihnen als Brasilianer mit nichtbrasilianischen Wurzeln entsprechend verbunden fühlten. Bezeichnend dafür ist auch die multilinguale Korrespondenz, die mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit in beiden Museen geführt wurde. Dank der internationalen Besetzung wurden Briefe nicht nur in portugiesischer Sprache, sondern auch in französischer, deutscher, englischer, italienischer und spanischer geschrieben und gelesen.250 Darüber hinaus vermischten sich politische, kommerzielle und rein künstlerische Interessen vor allem der Mäzene und Hauptakteure. Das zeigt sich an ihren Verbindungen zu Rockefeller und den Bestrebungen, mit den Vertretern der Industrieländer Kontakt aufzunehmen. Bei Rockefeller wie auch bei Matarazzo Sobrinho überschnitten sich die Interessen als Industrielle und Kulturförderer. Matarazzo Sobrinhos Engagement auf unternehmerischer Ebene ging Hand in Hand mit dem auf kultureller und ergänzte dieses eher, als dass sich beides gegenseitig ausgeschlossen hätte. Dies zeigte sich am Beispiel Louis Schuler und anderen Unternehmern, mit denen er im Interesse der Biennale Kontakt aufnahm. In ähnlicher Weise, wenn auch mit einem anderen Ziel, ist dies bei der
250 Wolfgang Pfeiffer beispielsweise zeichnete für die meisten deutschsprachigen Korrespondenzen verantwortlich, mit Max Bill wurde auf Französisch kommuniziert, und Italienisch war im MAM und der Biennale aufgrund der Italiener und Italienischstämmigen, wie Matarazzo Sobrinho selbst, ebenso geläufig.
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bundesdeutschen Regierung zu beobachten. Was bei Rockefeller die Unterstützung von Museumsgründungen in Brasilien war, waren bei der Bundesrepublik die Beteiligungen am Aufbau kultureller Vereinigungen mit deutschem Hintergrund. Das wirtschaftspolitische Interesse der Bundesrepublik Deutschland an Brasilien war, wie in Kapitel 2 dargestellt, nach dem Zweiten Weltkrieg evident. Gleichzeitig nutzte sie die wachsenden Bereiche der Kunst und Kultur, um sich dort zu engagieren und sich auch auf diesem Wege eine starke Präsenz im Land zu verschaffen. Immerhin war die Biennale eines der ersten großen kulturellen Projekte, an denen sich die Bundesrepublik nach ihrer Gründung offiziell im Ausland beteiligte. Deutlich wird zudem die Verknüpfung der in São Paulo noch wenigen kulturellen Institutionen untereinander, meist durch einzelne Personen, die sich zum Beispiel sowohl im MASP als auch in der Biennale, respektive im MAM, einbrachten und ihren Beitrag zum Aufbau einer Kulturlandschaft in São Paulo leisteten. Die Bundesrepublik Deutschland selbst war noch vom Wiederaufbau geprägt, der sich auch in den kulturellen Einrichtungen widerspiegelte, wo Neuund Umstrukturierungen stattfanden. Dass Bill und Grote wegen eigener beruflicher Entwicklungen nicht nach São Paulo reisen konnten, war deshalb nicht untypisch für die Situation in Mitteleuropa nach dem Krieg. Beide waren involviert in die Strukturierungen der Häuser, die sie alsbald leiteten und prägten. Im Vergleich zu den ersten beiden Biennalen, die noch von Veränderungen, Verbesserungen und konzeptuell umfassenden Überlegungen bestimmt waren und deshalb die beiden Biennalen der Gründungsphase darstellen, zeigte sich die Biennale mit ihrer dritten Ausrichtung schon deutlich „eingespielt“ und konsolidiert.
4 Verflechtungen zwischen Brasilien und Deutschland im Zusammenhang mit der Biennale São Paulo
Haben die vorangehenden Kapitel die politisch-diplomatische Bedeutung der Biennale São Paulo für die noch junge Bundesrepublik und ansatzweise auch für andere Länder aufgezeigt und die Institution Biennale vorgestellt, handelt dieses letzte Hauptkapitel von den künstlerischen Verbindungen zwischen Brasilien und Deutschland im Zusammenhang mit der Biennale São Paulo sowie den längerfristigen Entwicklungen, die sich aus der Biennale für die Kunst in beiden Ländern ergeben haben.
4.1 B ERÜHRUNGSPUNKTE IN DER K UNST UND IHRER V ERWALTUNG Trotz ihrer Internationalität hatte die Biennale São Paulo in ihrer Stadt von Anfang an eine stärkere Präsenz und größere Bedeutung als in anderen brasilianischen Städten. Lediglich nach Rio de Janeiro gab es engere Verbindungen und dort auch eine stärkere Presseresonanz als in anderen Städten Brasiliens. Die Botschaften befanden sich in jener Zeit noch in der Küstenmetropole und waren von dort aus teilweise am Biennale-Geschehen beteiligt. Auch das dortige MAM hatte ein besonderes Interesse an moderner, zeitgenössischer Kunst und somit an der Biennale. Dennoch konzentrierte sich das internationale Geschehen Brasiliens hauptsächlich auf São Paulo, und so auch die Biennale als internationale Veranstaltung des MAM São Paulo. Es spiegelte sich darin die Einwandererstadt
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wider, eine Stadt mit Bewohnern unterschiedlicher Nationalitäten, darunter auch die deutsche.1 4.1.1 Akteure aus Deutschland bei den ersten Biennalen Von den aus Deutschland nach Brasilien Übergesiedelten erwies sich Wolfgang Pfeiffer als der für die Biennale einflussreichste.2 Bekannt ist, dass er manche professionellen Verbindungen nach Deutschland hielt und sich beispielsweise mit seinen ehemaligen Kollegen des Kunstschutzes austauschte, wie mit Richard Hamann-Mac Lean3, und dessen Vater Richard Hamann. Innerhalb des MAM und der Biennale erledigte er den deutschsprachigen Schriftverkehr, lernte das Personal an, das Führungen durch die II. und die folgenden Biennalen geben sollte, und empfing die deutschsprachigen Gäste, wie Walter Gropius. Pfeiffer organisierte Vorträge und Kurse für das MAM, war in der 1949 formierten Goethe-Gesellschaft aktiv und engagierte sich für junge Künstler der Stadt. Er bewegte sich demnach auf einer Plattform kultureller Institutionen, zu deren hohem Niveau er beitrug. 1960 wurde er ins Generalkonsulat São Paulo gerufen, wo er fortan als „Ortskraft für Politische Öffentlichkeitsarbeit“ fungierte. Anfang der 70er Jahre bekam Pfeiffer zusammen mit drei weiteren promovierten Kunsthistorikern einen Ruf als Professor an die Universität von São Paulo (USP), um dort einen Postgraduierten- und Promotionsstudiengang für Kunstgeschichte einzurichten. Dieser Studiengang war damals ein Novum in Brasilien und zog Studierende aus ganz Brasilien an die Escola de Comunicações e Artes (ECA). 1978 übernahm Wolfgang Pfeiffer für vier Jahre 1
Eine anschauliche und literarische Beschreibung der Situation in der Stadt São Paulo als Zufluchtstätte vieler Einwanderer in den 40er und 50er Jahren gibt Marte Brill in ihrem autobiographischen Buch: Der Schmelztiegel, Frankfurt am Main 2002.
2
Vgl. Kapitel 3. Wolfgang Pfeiffer wurde 1912 in Dresden geboren und ist in Meißen aufgewachsen, wo sein Vater Max Pfeiffer bis zur Amtsübernahme durch ein NSDAP-Mitglied als Generaldirektor die Meissner Manufaktur leitete.
3
Es waren fachliche und existenziellere Fragen, die die beiden ehemaligen Kollegen den Kontakt aufrechterhalten ließen: Hamann-Mac Lean schickte 1950 Pfeiffer beispielsweise Fachliteratur im Tausch gegen brasilianischen Kaffee, den Pfeiffer ins Nachkriegsdeutschland bringen ließ. Vgl. Schreiben von Richard Hamann-Mc Lean an Wolfgang Pfeiffer vom 2. 1. 1950 und 18. 3. (o. J., vermutlich 1950), Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass Richard Hamann, Ms. 1026 B Pfeiffer, Wolfgang. Im Gespräch mit der Verfasserin berichtet Pfeiffer von den Aufgaben beim Kunstschutz, der ihn nach Frankreich geführt und ihn vom Dienst an der Waffe verschont habe.
4 V ERFLECHTUNGEN ZWISCHEN BRASILIEN
UND
D EUTSCHLAND
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die Leitung des MAC-USP, des in Besitz der Universität und unter ihrer Verwaltung existierenden Kunstmuseums. Dort war ein Teil jener Kunstwerke zu verwalten, die er einst während seiner Tätigkeit in der Biennale beziehungsweise im MAM für dasselbe erworben hatte. Zudem publizierte Pfeiffer in Brasilien zahlreiche Kunstkataloge und Broschüren, förderte junge und schon etabliertere Kunst, indem er sie ausstellte oder vermittelte.4 Auch saß er ein Jahrzehnt lang dem Beirat des Goethe-Instituts vor, den er 1970 mitgegründet hatte.5 Für die Entwicklung der Biennale, der sich Pfeiffer stets verbunden fühlte, und in der er im Laufe der Jahre diverse weitere Ämter übernahm,6 wie auch für die kulturelle Entwicklung São Paulos, war der 2003 in Itanhaém, Bundesstaat São Paulo, verstorbene Wolfgang Pfeiffer eine prägende Figur. Es gab weitere Personen, die in Deutschland aufgewachsen waren und zum Teil dort ausgebildet wurden und der Geschichte der Biennale São Paulo eine gewisse Prägung gaben – als Organisatoren, Fotografen, Künstler oder Autoren. Das sind für die Anfänge der Biennale: Alice Brill, Hans Günter Flieg, Hilde
4
Darunter z. B. Artistas Alemães e o Brasil, São Paulo 1996; Brasilien, KunstReiseführer in der Reihe DuMont Dokumente, Köln 1991 (1. Aufl.: 1987) oder Erich Brill, Pintor e Viajante, Katalog Pinacoteca do Estado, mit einem Text von Wolfgang Pfeiffer, São Paulo 1995. Im Jahr 1933 erschien bereits eine erste kunsthistorische Publikation: Die Wertherillustrationen des Johann David Schubert, mit einer Einleitung von Wolfgang Pfeiffer, Weimar (Goethe-Gesellschaft) 1933.
5
Das heutige Goethe-Institut in São Paulo, das in den 60er Jahren noch als „Casa de Goethe“ in enger Partnerschaft mit dem Hans-Staden-Institut funktionierte, bekam 1970 eine neue Rechtsform, an deren Ausarbeitung Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in São Paulo mitwirkten. Zu den Mitgliedern dieses „Instituto Goethe – Centro Cultural Brasil-Alemanha“ gehörte auch Wolfgang Pfeiffer. Vgl. Fischli, Bruno, in: Wolfgang Pfeiffer, 90 anos de vida, 70 anos de arte. Festschrift zum Kolloquium, das zu Ehren Pfeiffers an der Universität von São Paulo organisiert wurde, São Paulo, 31. Oktober 2002. Zur Gründung dieses „Instituto Goethe – Centro Cultural BrasilAlemanha“ vgl. die in São Paulo offiziell registrierten Statuten: Instituto Goethe – Centro Cultural Brasil-Alemanha, Estatutos, Registrado em 29 de outubro de 1970 do 2o Ofício de Registro de Títulos e Documentos da Capital de São Paulo, sob no 9648 – Livro „A“ – no 7, Archiv des Martius-Staden-Instituts.
6
In den Jahren 1953, 1955 und 1957 war er Mitglied der Preisjury. Vgl. Amarante, L. 1989, S. 32, 54 und 70.
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Weber, Clara Hartoch und auch der aus Vilna kommende Lasar Segall mit seiner künstlerischen Ausbildung in Berlin.7 Alice Brill und die Biennale verbindet zum einen ihre Teilnahme als Künstlerin an der I. Biennale, aber auch ihre spätere Beschäftigung mit der Biennale als Kritikerin.8 Sie nahm 1951 mit einer Gouache und einem Ölgemälde teil, und zwar im nationenunabhängigen Ausstellungsbereich, in dem überwiegend Brasilianer, aber auch geladene Künstler wie Max Bill zu sehen waren. Alice Brill hatte ihre künstlerische Ausbildung in Brasilien sowie den USA genossen, doch zeigt ihre Lebensgeschichte eine Verwurzelung in der deutschen Geistesgeschichte, die sich in ihrer künstlerischen und theoretischen Arbeit niederschlägt.9 Die 1920 in Hamburg geborene Alice Brill kam als junges Mädchen zu ihrer Mutter Marta aus Deutschland nach Brasilien, das den beiden Deutschen jüdischer Glaubenszugehörigkeit zur neuen Heimat wurde. Ihr Vater jedoch, der Maler Erich Brill, ebenfalls Jude, bei dem die Tochter vorerst geblieben war, hatte Brasilien zwar bereist, sich jedoch nicht für das Land als Zuflucht entschieden.10 Alice Brill studierte zunächst in São Paulo bei verschiedenen Künstlern 7
Die Fotografin Hildegard Rosenthal wird an dieser Stelle nicht aufgeführt, weil eine berufliche Aktivität gerade in den ersten Biennale-Jahren nicht bekannt ist. Die in Zürich von deutschen Eltern geborene und in Frankfurt am Main aufgewachsene Hildegard Rosenthal, geb. Baum, machte eine Ausbildung zur Fotografin in Frankfurt (u. a. bei Paul Wolff), bevor sie beim Rhein-Mainischen Bildverlag arbeitete. 1937 emigrierte die „rassisch“ Verfolgte nach Paris, dann nach São Paulo, wo sie direkt ihrem Beruf nachgehen konnte. Hildegard Rosenthals fotografische Arbeit gerade dieser Zeit wird heute sehr geschätzt und ist inzwischen Teil der Bestandssammlung des renommierten Moreira-Salles-Instituts mit Hauptsitz in São Paulo. Dennoch unterbrach sie 1947 zunächst ihre Tätigkeiten als Künstlerin, wird aber dann wieder bei der Biennale São Paulo 1977 und 1979 berücksichtigt. Vgl. Hildegard Rosenthal, Cenas Urbanas, Katalog des Instituto Moreira Salles, São Paulo 1999, S. 74 f.
8
Vgl. Kapitel 1.3 in dieser Untersuchung bzw. Brill, A. 1984.
9
Vgl. O Mundo de Alice Brill, Katalog Instituto Moreira Salles, São Paulo 2005.
10 Diese Entscheidung wurde ihm zum Verhängnis, denn 1942 wurde er in einem KZ ermordet. Wie in Kapitel 3.3.1.2 beschrieben, hat der Kunsthistoriker Wolfgang Pfeiffer im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Texte zu einzelnen Künstlern in Brasilien verfasst, u. a. zu dem jüdischen Maler Erich Brill. Im Katalog zur Ausstellung, die Alice Brill mit den Arbeiten ihres Vaters in der Pinacoteca organisierte, schreibt Pfeiffer: „Brill não quis ver ou mostrar o verso da medalha: não acreditando nas mudanças ocorridas durante o nazismo, em sua pátria, para lá voltou em 1936, sendo vítimado no holocausto. Sua vida e sua arte foram assim precocemente interrompidas, aos 46 anos de idade.“ Übersetzung durch die Verf.: „Brill wollte die Kehrseite der Medaille
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und ging 1946 für ein Jahr mit einem Stipendium nach Albuquerque (New Mexico/USA), wo sie Kurse in Bildender Kunst, Fotografie, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Indigener Kunst belegte. Brill wurde vor allem als Fotografin bekannt, die – ähnlich wie Flieg und Rosenthal – die Entwicklung der Stadt São Paulo in der Jahrhundertmitte dokumentierte. Darüber hinaus fertigte sie bei den späteren Biennalen die Pressefotos der Kunstwerke an, doch ist ihre Arbeit weitaus umfassender als diese besonders für die Stadtgeschichte bedeutsame Fotografie.11 Wie bereits weiter oben erwähnt, hielt sie drei Jahrzehnte später in einer akademischen Forschungsarbeit und einem weiteren Fachbuch künstlerische Ereignisse der 30er bis 50er Jahre in São Paulo fest, wo sie die Biennale als „traumatisierend für die lokalen Künstler“12 beschreibt und damit die Konfrontation mit unerwartet viel Neuem meint. Die gegenstandslose Kunst dominierte die Beiträge aus Europa, dem Kontinent der Alten Welt, der aufgrund seiner Kulturgeschichte in Brasilien in der Regel eine hohe Wertschätzung genoss. Insofern ist das „Trauma“ eher das Gewahrwerden, dass dort mittlerweile eine Kunst geschaffen wurde, die die Künstler nicht erwartet hätten. Kapitel 3.3.1.1 zeigt, dass sie sich schließlich an der Biennale orientierten, insbesondere an der Konkreten Kunst. Wie für viele lateinamerikanische Künstler war auch für die in Deutschland geborene Alice Brill die Teilnahme an der I. Biennale eine wichtige Station ihrer Karriere, da die Öffentlichkeit dort auf sie aufmerksam wurde und die Biennale demnach den weiteren beruflichen Werdegang mitbestimmte. Für Hans Günter Flieg dagegen, der anders als Brill ausschließlich fotografierte, war die I. Biennale nur eine von zahlreichen Auftragsarbeiten. Ihm ist ein großer Teil der überlieferten Fotografien der dort ausgestellten Arbeiten zu verdanken. Flieg, 1923 in Chemnitz geboren und als Sechzehnjähriger mit den Eltern und dem Bruder unter dem Druck der Nationalsozialisten nach São Paulo emigriert, betrieb nach Kriegsende ein eigenes Fotostudio in São Paulo und nicht sehen: Im Unglauben an die Veränderungen, die während des Nationalsozialismus in seiner Heimat geschahen, ging er 1936 dorthin zurück und wurde Opfer des Holocaust. Sein Leben und seine Kunst wurden damit frühzeitig abgebrochen, im Alter von 46 Jahren.“ Vgl. Pfeiffer, Wolfgang: Erich Brill. In: Katalog zur Ausstellung Erich Brill – Pintor e Viajante, Pinacoteca do Estado de São Paulo, São Paulo 1995, S. 10. 11 Vgl. Alice Brill, Katalog der Galeria Alberto Bonfiglioli, Apresentação de Wolfgang Pfeiffer, São Paulo 1979, Leite, José Roberto Teixeira: Dicionário crítico da pintura no Brasil, Rio de Janeiro 1988 und Mappe Alice Brill im AHWS/FBSP mit einem umfassenden Konvolut von Presseausschnitten. 12 Vgl. Brill, A. 1984, S. 191.
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wurde von Biennale-Mitarbeiter Arturo Profili beauftragt, den Aufbau und die Ausstellung fotografisch festzuhalten. Er dokumentierte die Abrissarbeiten des Belvedere de Trianon, auf dessen Grundmauern der provisorische Biennale-Bau errichtet wurde, und ist Autor der wenigen Ansichten dieses nur kurze Zeit bestehenden Gebäudes.13 Ebenso stammen von ihm die offiziellen Fotografien der Kunstwerke, die als Pressematerial herausgegeben wurden und zum Teil heute noch für Publikationen verwendet werden.14 Das Archiv des Fotografen zeugt zudem von einer intensiven fotografischen Begleitung der 400-Jahr-Feiern, bei denen er hauptsächlich die Architektur im Ibirapuera-Park, die Industriestände mit ihren ausgestellten Produkten aufnahm. Flieg verantwortet in beträchtlichem Maße das visuelle Gedächtnis der wachsenden Institution Biennale São Paulo.15 Neben Hans Günter Flieg war es Peter Scheier, der die I. Biennale fotografisch dokumentierte. Auch er stammt aus Deutschland, doch war er schon etwas früher in Brasilien angekommen als beispielsweise Flieg, mit dem er manche Aufträge gemeinsam erledigte. Brill, Flieg, Scheier wie auch Hildegard Rosenthal gehören zu den prägendsten Fotografen im São Paulo der Jahrhundertmitte. Die bei ihrer Ankunft in Brasilien beruflich schon ausgebildete Hildegard Rosenthal war weniger involviert in das frühe Biennale-Geschehen, doch wurden ihre Arbeiten bei späteren Biennalen ausgestellt.16 Diese vier Fotografen, insbesondere Brill, Flieg und Rosenthal, werden stets genannt bei der Darstellung des Aufbruchs der Stadt São Paulo in der Jahrhundertmitte,17 für die letztlich auch die Biennale São Paulo Zeugnis abgibt. 13 Siehe Fotoserie im Bild-Anhang. 14 Vgl. z. B. Farias, A. 2001, S. 72. 15 Eine Ausstellung mit retrospektivem Charakter haben die Kunstsammlungen Chemnitz in Kooperation mit dem Moreira-Salles-Institut in der Geburtsstadt des Fotografen organisiert, aus dem eine umfassende Publikation hervorgegangen ist: Hans Günter Flieg – Dokumentarfotografie aus Brasilien (1940 bis 1970), Ausstellungskatalog der Kunstsammlungen Chemnitz, 2008. Herausgegeben von Ingrid Mössinger und Katharina Metz, mit Textbeiträgen von Michael Nungesser, Helfried Strauß, Martina Merklinger, Gabriele Stiller-Kern, Sergio Burgi. 16 1977 (XIV. Biennale) wurde sie als Autorin für den Bereich „Arqueologia do Urbano“ eingeladen, in dem Arbeiten mehrerer Fotografen zu sehen waren, und 1979 (XV. Biennale) waren eigene fotografische Werke von ihr ausgestellt. Vgl. XIV Bienal Internacional de São Paulo, Katalog der 14. Biennale, São Paulo 1977, S. 19, 27– 35 und 15ª Bienal Internacional de São Paulo, Katalog der 15. Biennale, São Paulo 1979, S. 185 f. 17 Vgl. São Paulo 450 anos, Katalog 2004.
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Ebenfalls aus Deutschland weggegangen war die Grafikerin Hilde Weber, die nach ihrer Ankunft in Brasilien 1933 fortan Karikaturen für die Paulistaner Presse anfertigte.18 In der Geschichte der Karikatur in Brasilien nimmt sie seitdem einen besonderen Platz ein.19 Hilde Weber betätigte sich gleichzeitig als freie Künstlerin und hat mit ihren künstlerischen Arbeiten an der I. sowie an der II. bis IV. Biennale teilgenommen.20 Schon länger als die oben genannten Künstler lebte der Maler Lasar Segall, der 1919 die Dresdner Sezessionsgruppe mitbegründete, in São Paulo und bewegte sich dort in derselben wachsenden Kunstszene wie die Organistoren der Biennale. Für seine Arbeiten wurde auf der I. Biennale ein gesonderter Ausstellungsbereich eingerichtet, in dem laut Katalog neun Arbeiten präsentiert wurden.21 Des Weiteren gab es Künstler im brasilianischen Beitrag der I. Biennale, die aus Europa stammten und/oder eine prägende Begegnung mit Deutschland hatten. Dieser Prägung in ihrer Kunst genauer nachzugehen, soll späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, doch seien die Künstler an dieser Stelle in Kürze aufgeführt: 18 Eine Zeitungsnotiz vom 13. August 1933 gibt Auskunft über die neunzehnjährige Illustratorin Hilde Weber, die zehn Tage zuvor in Brasilien angekommen sei, um ihren Vater wiederzusehen. Vgl. N. N.: Uma jóvem ilustradora alemã, (ohne Angabe der Zeitung) 13. 8. 1933, Archiv des Martius-Staden-Instituts, Mappe K XX Nr. 7. 19 Vgl. Hilde Weber: Lápis de Malícia Lírica, Ausstellung im Lasar-Segall-Museum vom 14. April bis 24. Juni 2007, São Paulo, ohne Katalog (http://www.museusegall. org.br/mlsItem.asp?sSume=21&sItem=233; Zugriff: Januar 2012). 20 Nach ihrer Heirat führte sie sowohl den Namen Weber als auch Abramo. Zuweilen findet man – wie im Katalog der II. Biennale – Hilde Weber Abramo. Vgl. II bienal do museu de arte moderna de São Paulo, catálogo geral, São Paulo 1953, S. 45. 21 Der 1891 in einem jüdischen Dorf im litauischen Vilna geborene Lasar Segall emigrierte 1906 nach Berlin, wo er im Jahr darauf sein Studium an der Akademie der Künste aufnahm, das er 1910 in Dresden fortsetzte. 1912 ging er erstmals nach Brasilien. Später, 1919, gründete er zusammen mit Otto Dix und Conrad Felixmüller die Gruppe Dresdner Sezession. Zwischendurch verbrachte er einige Jahre in Paris, um 1923 erneut und 1932 endgültig nach São Paulo zurückzukehren. Er wohnte mit seiner Frau Jenny Klabin und den Kindern in einem von Gregori Warchavchik in modernistischem Stil konstruierten Haus und war bestens in die Paulistaner Gesellschaft integriert. Zehn Arbeiten von Segall wurden 1937 bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München ausgestellt, an die 1945 in einer Galerieausstellung in Rio erinnert wurde. Segall starb 1957 in São Paulo. Vgl. Lasar Segall, Katalog Staatliche Kunsthalle Berlin 1990 sowie Künstlerbiographien in Magnaguagno, G./Schaub, M. 1992, S. 421 f.
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Frans Krajcberg (*1921), der mit zwei Gemälden vertreten war, ist in Polen geboren und aufgewachsen. Krajcberg, der nach einer Verletzung während seiner ersten Militärerfahrung 1940 ein Studium der Ingenieurswissenschaften und der Kunst in Vitebsk beziehungsweise Leningrad aufnahm und später bis Kriegsende wieder in der polnischen Armee eingesetzt wurde, schaffte es, direkt nach dem Krieg Schüler von Willi Baumeister in Stuttgart zu werden, bevor er 1947 nach Paris ging und schließlich im Jahr darauf nach Brasilien emigrierte.22 Dort entwickelte er seine Kunst, insbesondere Skulpturen, die oft aus Vorgefundenem, beispielsweise angeschwemmtem Holz entstehen. Manche werden in der freien Landschaft, am Meer oder in Parks aufgestellt und nach seinem Verständnis an die Natur zurückgegeben. Krajcberg, dem seit 2003 ein Sonderausstellungsbereich im Pariser Stadtteilmuseum Musée du Montparnasse gewidmet ist,23 kämpft mit seiner Kunst für den Respekt vor der Natur, insbesondere für den Erhalt des Amazonischen Regenwaldes. Auch Anita Malfatti, die mit drei Arbeiten vertreten war, hatte einen Teil ihrer künstlerischen Ausbildung in Deutschland absolviert. Die 1889 in São Paulo geborene Brasilianerin ging 1910 nach Berlin und besuchte dort zum einen den privaten Unterricht bei dem Porträtmaler Fritz Burger, zum anderen belegte sie einen Zeichenkurs an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums. Des Weiteren gelten Ernst Bischoff-Culm und Lovis Corinth als ihre Lehrer und der Deutschland-Aufenthalt insgesamt als eine besonders prägende Zeit innerhalb ihrer künstlerischen Ausbildung. 24 Ähnlich verhält es sich mit Roberto Burle Marx, von dem drei Arbeiten ausgestellt wurden und der zu dem Zeitpunkt der Biennale-Gründung schon ein bekannter Landschaftsarchitekt in Brasilien war.25 1928/29 lebte er für anderthalb Jahre in Deutschland und nahm in Berlin Gesangs- und Kunstunterricht. Schon der kleine Ausstellungsführer, der 1976 anlässlich der Ausstellung „Landschaften und Gärten von Roberto Burle Marx“ noch zu Lebzeiten des Künstlers und in Kooperation mit seinem Planungsbüro in Rio de Janeiro entstanden ist, betonte die Bedeutung des Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem für seine weitere Beschäftigung in der Landschaftsgestaltung, denn in dessen Gewächs-
22 Vgl. Frans Krajcberg, Katalogbuch mit Texten von Tias, Paulo Herkenhoff, Pierre Restany, Marie-Odile Briot, Nürnberg 1993, S. 124 f. 23 Espace Krajcberg – Musée du Montparnasse (www.museedumontparnasse.net; Zugriff: Januar 2012). 24 Vgl. Dahn Batista, Stephanie: „Nichts in der Welt ist ohne Farbe …“. In: Tópicos – Deutsch-Brasilianische Hefte (Bonn), 40. Jahrgang, 1/2001, S. 28–29. 25 Vgl. Kapitel 3.
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häusern habe er „die Schönheit der brasilianischen Flora entdeckt“.26 Als regelmäßiger Besucher und bei der Übung durch Beobachtung am Objekt habe er deren breites Spektrum, zum Beispiel an Grüntönen, erst dort richtig wahrgenommen.27 Burle Marx eignete sich eine große Kenntnis der in Brasilien einheimischen Pflanzenwelt an, die zugleich Gegenstand wie auch Material vieler Projekte wurde. Er legte Gärten an, deren Beete in der Fernsicht wie Farbflächen auf der Leinwand erscheinen, oft mit Kurven und Schwüngen, wie sie auch für seine Malerei charakteristisch sind.28 Außerdem lebte in São Paulo die Künstlerin Clara Hartoch, die als BauhausSchülerin bekannt war und einige Kurse am MASP leitete. Welche konkrete Bindung sie zum Bauhaus hatte, konnte bislang noch nicht präzisiert werden. In den Materialien zu ihrer Person jedoch wird stets auf ihre Ausbildung am Bauhaus hingewiesen, beispielsweise in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Habitat, in der bemerkt wird, dass Clara Hartok [sic!] bei Gropius studiert habe. In der Studierendenliste des Bauhauses ist ihr Name zwar nicht aufgeführt, doch wird dort auch angemerkt, dass die Unterlagen der Weimarer Zeit – die „GropiusZeit“ des Bauhauses – aufgrund von Verlusten lückenhaft sind.29 4.1.2 Das Bauhaus bei der Biennale Das Bauhaus strahlte in besonderem Maße nach Brasilien aus, was sich bis in die Gegenwart verfolgen lässt. Nicht erst nach seiner Schließung im Jahre 1933, als viele „Bauhäusler“ das nationalsozialistische Deutschland verließen und in anderen Ländern und Kontinenten weiterarbeiteten, wurden avantgardistische Ten26 Vgl. Roberto Burle Marx, Landschaften und Gärten, Ausstellungskatalog, herausgegeben vom Senator für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1976, S. 3. 27 Vgl. Cavalcanti, Lauro: 100 Jahre Burle Marx: Das Beständige des Unbeständigen. In: Roberto Burle Marx, Kunst und Landschaften, Katalog der gleichnamigen Ausstellung in der Brasilianischen Botschaft Berlin, 9. Dez. 2009 bis 6. März 2010, hrsg. von Lauro Cavalcanti und Farès el-Dahdah, Berlin 2009, S. 23–47, dort S. 28. 28 Zu Burle Marx vgl. auch Coelho Frota, Lélia: Ein planetarischer Zeitgenosse, Roberto Burle Marx – der Universalkünstler. In: Magnaguagno, G./Schaub, M. 1992, S. 414– 419. 29 Vgl. Habitat Nr. 1/1. Jahrgang, (São Paulo), 1950, S. 61 und Liste der BauhausSchüler, abgedruckt in: bauhaus, Stuttgart 1982, S. 245–251. Diese in weitere Sprachen übertragene Publikation ist eine gekürzte Ausgabe des Katalogs zur Ausstellung „50 jahre bauhaus“ mit der Vorbereitungskommission Herbert Beyer, Ludwig Grote, Dieter Honisch und Hans-Maria Wingler, der 1968 vom Württembergischen Kunstverein in Stuttgart herausgegeben worden war.
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denzen der Kunst und Architektur, wie sie sich im Bauhaus bündelten, nach Brasilien getragen. Einzelne, wie Gregori Warchavchik, John Graz, Lasar Segall oder Alexander Altberg, die schon im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nach Brasilien kamen, waren zum Teil Impulsgeber für moderne Tendenzen in der Kunst und Architektur.30 Sie haben – bis auf Altberg – ihren angestammten Platz innerhalb der Kunst- und Architekturgeschichte Brasiliens.31 Einflüsse von außen in die noch recht akademische Kunst in Brasilien brachten schon vorher jene brasilianische Künstler, die in den europäischen Zentren wie Paris, Rom oder Berlin studiert hatten32 und mit neuen Ideen in ihre Heimat zurückkamen. Als erstes umfassendes Zeugnis dieses Aufbruchs in die Moderne gilt die Semana de Arte Moderna im Jahre 1922 in São Paulo, während der im Theatro Municipal Vorträge, Theater- und Musikveranstaltungen sowie Ausstellungen organisiert wurden und mit der die Überwindung althergebrachter kultureller Maßstäbe und die Hinwendung zu einer eigenen brasilianischen kulturellen Identität ausgedrückt wurde. 33 30 Hartnäckig hält sich die Auffassung, auch Alice Brill (*1920), Hans Günter Flieg (*1923) und Hildegard Rosenthal (*1913) seien Bauhaus-Schüler gewesen. Angesichts des Alters wäre dies jedoch nur bei Hildegard Rosenthal (geborene Baum) möglich gewesen, doch selbst sie hat eine andere Ausbildung genossen; vgl. Hildegard Rosenthal 1999. Zur Verbreitung dieser Annahme haben u. a. Überblicksdarstellungen über die deutsche Präsenz in Brasilien in populären Schriften beigetragen. 31 Der 1908 in Berlin geborene Alexander Altberg lebte bis vor wenigen Jahren in Rio de Janeiro, wo er ab den 30er Jahren einige Wohnhäuser im Stile des Neuen Bauens konzipiert hatte. Die Anlehnung ans Bauhaus und das moderne Bauen der 20er Jahre in Europa waren durch seine Kenntnisse möglich, die er in Europa erworben hatte. Tatsächlich war er das letzte Jahr vor dem Umzug des Bauhauses nach Dessau zum Studium in Weimar und anschließend in Architekturbüros modernistischer Architekten tätig, v. a. bei Korn & Weitzmann in Berlin. 1931 siedelte er nach Brasilien über. Vgl. Moreira, Pedro: Alexandre Altberg e a Arquitetura Nova no Rio de Janeiro. In: http://www.vitruvius.com.br/arquitextos/arq058/arq058_00.asp (Stand: Mai 2005) und ders. 2005, S. 54 ff. Altberg starb 2009 in Marília, Brasilien. 32 Anita Malfatti, Emiliano di Cavalcanti, Antonio Gomide, Tarsila do Amaral etc. 33 Die Woche der Modernen Kunst manifestierte in sämtlichen Bereichen des künstlerischen Schaffens die Überwindung alter, meist über die traditionellen Akademien vermittelter Maßstäbe. Auf wen konkret die Initiative dieses Festivals zurückging, ist nicht gesichert; realisiert wurde sie von Modernisten selbst, darunter Mário de Andrade und Di Cavalcanti. Eine der wichtigsten Ausstellungen im Vorfeld dieser modernistischen Strömung war die Gemäldeaustellung von Lasar Segall im Jahre 1913, doch gilt die Semana de Arte Moderna 1922 als der eigentliche Markstein des
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Ein konkreter Bezug zum Bauhaus jedoch findet sich in Brasilien in der bereits beschriebenen Gründung des IAC am MASP und dann mehrfach bei der Biennale. Der erste Kommissar für den deutschen Beitrag, Ludwig Grote, galt als ausgewiesener Bauhaus-Spezialist, was sich in seiner Aktivität in Brasilien niederschlug. Aufgrund seiner engen Verbindungen zum Bauhaus in Weimar und Dessau, die er während seiner Amtszeit als Landeskonservator von Anhalt (1924–1933) sowie Galeriedirektor in Dessau und seiner weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Einrichtung hatte, wusste er um deren Bedeutung und Chance, die ihr Erbe für die Nachkriegszeit hatte. Wie bereits beschrieben, hob der Kommissar des bundesdeutschen Beitrages bei der I. Biennale die Bauhaus-Bezüge in den Biographien der Künstler hervor. Auch die Biennale 1957 sollte das Bauhaus würdigen: Die Ausstellungsleitung für diese IV. Biennale bat ausdrücklich um eine Schau über diese legendäre Lehrstätte, „[…] eine K u n s t ausstellung des Bauhauses […], d. h. Malerei und Plastik, keine Bauhaus-Produkte. Es soll auch keine Gedächtnisausstellung sein. Daneben sind, wie immer, Werke zeitgenössischer Kunst erbeten.“34 Auch diese Schau wurde von Ludwig Grote zusammengestellt, der dieses Mal anwesend war. Grote nutzte diesen Aufenthalt, um neben dem Aufbau Interviews zum Thema zu geben und die Geschichte des Bauhauses auch außerhalb der Ausstellung zu verbreiten.35 Max Bills „Dreiteilige Einheit", damals noch in der Verwahrung des MAM, wurde bei der IV. Biennale innerhalb dieses dem Bauhaus gewidmeten bundesdeutschen Beitrages noch einmal ausgestellt. Gesamtergebnis war, dass Deutschland „mit seiner retrospektiven Bauhausausstellung ausserhalb der Konkurrenz“ stand und „keinen Preis zu erwarten“ hatte. „Die deutsche Abteilung“, so fährt der Berichtende von der Botschaft in Rio de Janeiro fort, „fuegte sich in ihrer geraeumigen und klaren Anordnung dank der Qualitaet ihrer Bilder wuerdig in den grossen Rahmen der Biennale ein und hinterliess rein aeusserlich einen guten Eindruck. Inhaltlich Modernismus in Brasilien, von der wichtige Impulse ausgingen. Wichtige Vertreter des Modernismus sind Oswald de Andrade und Tarsila de Amaral (beide: Gedichtband Pau Brasil, 1925 und Anthropophagisches Manifest, 1928). Weiter gehören dazu: Mário de Andrade, Anita Malfatti, Lasar Segall, Victor Brecheret, Heitor VillaLobos u. a. Vgl. z. B. Pontual, R. 1992, S. 320 ff. 34 Vgl. Schreiben von Helene Münscher in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes an Ludwig Grote im August 1956, PAAA, ohne Bandangabe. 35 Carl Werner Dankwort betont zudem die große Ausstrahlung von Grotes Persönlichkeit, die dann auch „in der Wahl zum Präsidenten der Jury ihre Bestätigung“ fand. Vgl. Dankwort in der Deutschen Botschaft in Rio de Janeiro an das Auswärtige Amt, am 8. Oktober 1957, PAAA, B 95.
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entsprach die Bauhaus-Ausstellung jedoch kaum den in sie gesetzten Erwartungen. Fuer die modernen stark von der Architektur her denkenden Brasilianer hat das Bauhaus als eine Staette, in der die Formgebung unserer Zeit von der bildenden Kunst bis zur industriellen Produktion entscheidende Impulse empfangen hat, einen ganz besonderen Nimbus. Daher haette sich diese Ausstellung nicht allein auf die Malerei und vereinzelte Bildwerke beschraenken muessen, sondern daneben – vielleicht durch graphische Darstellungen, Fotografien und Modelle – das Gesamtschaffen, den Einfluss und die Nachfolge des Bauhauses aufzeigen sollen. Dies umsomehr als die Malerei infolge von Ausleihschwierigkeiten neben einer Reihe guter aber keineswegs aussergewoehnlicher Bilder von Malern, die am Bauhaus gewirkt oder aus ihm hervorgegangen sind, nur durch wenige nicht sehr bedeutende Werke der international bekannten Bauhaus-Maler Klee, Kandinsky, Feininger und Schlemmer vertreten war. Auf diese Weise hatte die deutsche Ausstellung im Gegensatz zu denen anderer Laender keine rechten Hoehepunkte aufzuweisen. Der Besucher wurde trotz des gut zusammengefassten erklaerenden Katalog-Textes vom Wesen des Bauhauses und seiner entscheidenden Wirkung auf die moderne Kunst und Architektur nicht ueberzeugt. Es haette hier eine grosse Moeglichkeit bestanden, breiteren Kreisen diesen richtungsgebenden Beitrag Deutschlands zur Gestaltung der modernen Formenwelt aufzuzeigen.“36 Dieses ausführliche Berichtzitat aus der Botschaft in Rio de Janeiro bestätigt nicht nur das Interesse in Brasilien am Bauhaus im Allgemeinen, es betont des Weiteren, dass dieses Interesse mehr an das Bauen als an die freie Kunst oder andere Bereiche der Gestaltung gebunden war. Dennoch war ja im Vorhinein ausdrücklich der Wunsch geäußert worden, sich in der Ausstellung auf die Gemälde und Plastiken zu konzentrieren.37 Diese Erfahrung zeigt einmal mehr die Schwierigkeit, eine komplex strukturierte Einrichtung wie das Bauhaus, das mehr als eine nach üblichen Maßstäben aufgebaute Schule war, in einer kleinen Ausstellung darzustellen. Hinzu kommen die unterschiedlich vorherrschenden Vorstellungen, die mit dem Bauhaus verbunden wurden und dieses ausschließlich auf seine Funktion als Lehrstätte für Architekten oder für Design beschränkten. Weit mehr Beachtung hingegen fand der inhaltlich entsprechende Beitrag auf dem Theatersektor der Biennale, in dem neben einer Brecht-Inszenierung von Theo Otto Entwürfe von Oskar Schlemmer zum Triadischen Ballett zu sehen waren. „Hierdurch wurde die Ausstellung des Bauhauses in wertvoller Weise 36 Ebd. 37 Vgl. Schreiben von Helene Münscher in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes an Ludwig Grote im August 1956, PAAA, ohne Bandangabe.
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ergaenzt und uebermittelte dem Besucher einen Begriff von der Vielfalt der Bauhaus-Idee.“38 Begleitend zur Ausstellung gab es ein – von Max Bill entworfenes – Faltblatt,39 und als Hans Maria Wingler Anfang der 60er Jahre in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen eine Wanderausstellung didaktischen Charakters über das Bauhaus organisierte, wurde auch diese an mehrere Orten in Brasilien gezeigt.40 Auch bei anderen Teilausstellungen, die auf der Biennale im Laufe der Jahre zu sehen waren, wurden die Bezüge zum Bauhaus immer deutlich hervorgehoben. Das geschah bereits bei Bill 1951, aber beispielsweise auch bei Kandinsky im französischen Beitrag zur XII. Biennale 1973,41 genauso beim Beitrag des Bauhaus-Schülers Roman Clemens zur Theaterbiennale im Jahre 1959. Wie bereits in Kapitel 3 dieser Untersuchung erwähnt, wurde der Gründer des Bauhauses und von Bill einmal „Großvater der HfG“42 genannte Walter Gropius zur Teilnahme im Bereich „Architektur“ der II. Biennale eingeladen. Sein Beitrag zur Biennale und sein Besuch im Januar 1954 hinterließen insofern Eindruck, als diese Begebenheit in dokumentarischen Darstellungen häufig beschrieben wird.43 Dennoch hatte sie nicht die gleiche Wirkung wie etwa Bills Präsenz in Brasilien. Während Gropius’ Teilnahme und Besuch der Ehrung seines Lebenswerkes galt, gingen von Bill und seiner Arbeit erkennbar nachhaltige Impulse innerhalb Brasiliens aus, was vor allem die nächsten Unterkapitel verdeutlichen. Dieses brasilianische Interesse am Bauhaus ging einher mit dem an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, deren Schnittstelle in der Person Max Bill zu sehen ist: Auch Bill wurde bei der I. Biennale als Bauhaus-Schüler vorgestellt44 38 Ebd. 39 Die Autorenschaft Bills geht aus einem Schreiben Grotes hervor. Vgl. Schreiben Ludwig Grote an Helene Münscher im AA vom 14. Juni 1957, PAAA (Abt. 6/605). 40 Vgl. a arte do bauhaus, exposição oficial da alemanha na IV bienal do museu da arte moderna de são paulo, Faltblatt zur IV. Biennale, AHWS/FBSP und bauhaus, Stuttgart 1982, S. 7. Dort sind die internationalen Ausstellungsorte aufgeführt, darunter 1974 São Paulo. 41 Vgl. Lassaigne, Jacques: ohne Titel. In: XII Bienal de São Paulo, Katalog 1973, S. 107 f. 42 Brief Bill an Gropius am 5. Mai 1957. Bauhaus-Archiv Berlin, Walter-GropiusArchiv: GS 19/ Sign. 48. 43 Vgl. z. B. Architectural Review (London), Bd. 116, Nr. 694, Okt. 1954. 44 Max Bill (* 1908 in Winterthur, † 1994 in Berlin) studierte nach seiner Ausbildung zum Silberschmied an der Kunstgewerbeschule in Zürich zwischen 1927 und 1929 am
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und die HfG mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht, als dessen Fortsetzung sie verstanden wurde.
4.2 D IE H OCHSCHULE FÜR G ESTALTUNG ULM UND B RASILIEN Die Hochschule für Gestaltung (HfG) geht auf die Initiative des sogenannten Ulmer Kreises um Inge Scholl zurück, die Schwester der im „Dritten Reich“ ermordeten Widerstandskämpfer Sophie und Hans Scholl. Zentrales Anliegen dieser Initiative war der Aufbau einer Bildungseinrichtung, in der der „geistige Wiederaufbau“45 im Vordergrund stehen sollte. Der erste Schritt in diese Richtung war die Gründung der Volkshochschule Ulm im Jahr 1946, aus der heraus die HfG gewachsen ist. In den Räumen der Volkshochschule fand im Jahr 1953 der erste Unterricht der HfG statt, womit der Anfang der HfG markiert wird. Max Bill, damals schon als einer der Züricher Konkreten bekannt, wurde hinzugezogen und war maßgeblich an der Konzeption der Hochschule beteiligt. Sie lehnte sich ausdrücklich an das Bauhaus an, an dem Bill studiert hatte. Ein Briefwechsel mit seinem ehemaligen Direktor, Walter Gropius, der Europa im Jahre 1937 verlassen hatte und seitdem in den USA lebte, verdeutlicht Bills Interesse, diese institutionelle Orientierung in Erscheinung treten zu lassen. Der Name „Bauhaus“ bzw. „Bauhaus Ulm“ jedoch, der für diese neue Schule in Erwägung gezogen worden war, wurde in dieser schriftlichen Diskussion verworfen.46 Max Bills Mitarbeit war es im Wesentlichen zu verdanken, dass die HfG eine starke Bauhaus-Prägung erhielt, zum einen konzeptionell, zum anderen
Bauhaus in Dessau. Bill wurde Mitglied einiger bedeutender Vereinigungen, darunter Allianz, CIAM, später im Bund Schweizer Architekten. 1951 war er Mitbegründer und Erbauer der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Literaturauswahl zu Bill: Staber, Margit: Max Bill, St. Gallen 1971; max bill, zeichnungen 30-40-50er-Jahre, Ausstellungskatalog der Galerie J & P Fine Art, Zürich, 13. Mai bis 23. Juli 2004; Buchsteiner, Thomas/Letze, Otto (Hg.): max bill, maler, bildhauer, architekt, designer, Publikation anlässlich der gleichnamigen Retrospektive im Kunstmuseum Stuttgart, Ostfildern-Ruit 2005. 45 Zitiert nach Spitz, R. 2002, S. 49. 46 Briefwechsel zwischen Max Bill und Walter Gropius im November 1951. BauhausArchiv Berlin, Walter-Gropius-Archiv: GS 19/ Sign. 48.
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durch die Kontaktaufnahme zu ehemaligen „Bauhäuslern“, die schließlich an der HfG lehrten.47 Die HfG Ulm kämpfte während ihrer etwa fünfzehnjährigen Existenz ähnlich wie das Bauhaus in Weimar und Dessau gegen Provinzialität und Vorurteile in Ulm und Baden-Württemberg. Einerseits progressiv, andererseits unkonventionell und sich nicht in das Schema der bundesdeutschen Hochschulen einfügend,48 stellte die HfG ihren Betrieb schließlich am 31. Dezember 1968 ein.49 Wie auch das Bauhaus zog die HfG das Interesse der weitgehend selben Kreise in Brasilien auf sich. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung jedoch gab es keine besondere Verbindung zwischen der HfG bzw. ihren Akteuren und Brasilien. In erster Linie über Bill, doch später auch dank des Engagements von Tomás Maldonado, Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher wie auch von Max Bense und Elisabeth Walther konnten einige Projekte realisiert werden. Neben den Studierenden aus Brasilien an der HfG und Bill in Brasilien als Berührungspunkten organisierte beispielsweise die HfG unter der Leitung von Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher eine Fotoausstellung der Ulmer Einrichtung, die am 22. 7. 1956 im Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro eröffnet wurde und anlässlich derer Tomás Maldonado dort ein mehrtägiges Seminar zum Thema visuelle Gestaltung gab.50 Otl Aicher und Maldonado waren zudem 1958 in Brasilien, um dort einen mehrmonatigen Kurs zu geben.51 Auch Elisabeth Walther und Max Bense hielten sich ab Mai 1962 für einige Wochen in Brasilien auf, um am Museu de Arte Moderna in São Paulo ein Seminar zum Thema „Ästhetik und Kommunikation“
47 Vgl. Wachsmann, Christiane: Bauhäusler in Ulm, Die Grundlehre an der Ulmer HfG zwischen 1953 und 1955. In: Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Archiv der Hochschule für Gestaltung Ulm, Ulm 1993, S. 4–27, dort S. 5. 48 Spitz beschreibt sie als eine „bildungsinstitution außerhalb des bundesdeutschen bildungssystems“. Vgl. Spitz, R. 2002, S. 15. 49 Vgl. ebd., S. 397. 50 Vgl. z. B. Maurício, Jayme: Maldonado no Museu de Arte Moderna. In: Correio da Manhã (Rio de Janeiro), 5. Juli 1956, o. S. und N. N.: Aula Final do Curso de Iniciação Visual. In: Correio da Manhã, 19. Juli 1956. 51 Ein besonderes Zeugnis dieser Reise stellt ein Notizbuch dar, in dem Otl Aicher seine Reiseeindrücke fast täglich schriftlich und bildnerisch wiedergab. Neben Kostenangaben und anderen praktischen Aufzeichnungen enthält es genauso Zeichnungen von Besonderheiten oder Namen von Personen, die er kennengelernt oder besucht hatte. Das Buch wird im HfG-Archiv in Ulm aufbewahrt.
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abzuhalten, an dessen organisatorischer Vorbereitung sowohl der Dichter Haroldo de Campos wie auch Mario Pedrosa beteiligt waren.52 Ein jeder dieser Besuche rief ein beachtliches Presseecho hervor, wie die Archive des MAC-Ibirapuera, das Biennale-Archiv und das Archiv des Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro zeigen, in denen jeweils ein umfangreiches Dokumentenkonvolut mit Pressenotizen, Besprechungen und Bildmaterial aufbewahrt wird.53 4.2.1 Max Bill und sein „südamerikanisches Abenteuer“ 54 Nicht zuletzt Max Bills enge Einbindung in den Aufbau der HfG verhinderte, dass er weder zu seiner eigenen Ausstellung im MASP noch zur I. Biennale nach São Paulo, beide im Jahre 1951, reisen konnte. Bills Bekanntheit in Brasilien geht auf die in Kapitel 3 beschriebene Ausstellung im MASP zurück, wobei die breitere und durchschlagendere Wirkung erst mit der Verleihung des Großen Preises bei der I. Biennale im selben Jahr erreicht wurde. Seitdem galt und gilt Bills Werk für viele konkret arbeitende Künstler in Brasilien als wichtige Orientierung. Dennoch ist selbst diese Teilnahme auf die vorherige Ausstellung im MASP zurückzuführen, die der Initiative P. M. Bardis zu verdanken ist. Bardi und Bill lernten sich noch vor Bardis Übersiedlung auf einem Kongress in Mai-
52 Vgl. Archivmappe 8.9. im Archiv des Museu de Arte Contemporânea/Ibirapuera (MAC-Ibirapuera). Es war eine weitere Reise für August/September vorgesehen, doch konnte Bense dieser Einladung wegen anderer Verpflichtungen nicht folgen. Dennoch beschäftigte sich Bense intensiv mit Brasilien, seiner Kunst und Intellektualität. Davon zeugt u. a. Bense, Max: Brasilianische Intelligenz. Eine cartesianische Reflexion, Wiesbaden 1965. 53 Die Künstlermappe des Biennale-Archivs etwa enthält zahlreiches Material über Bill, das über Jahre hinweg bis heute gesammelt wird. Das Interesse der Biennale und der brasilianischen Presse zeigt, dass sein Name in der Kunst Brasiliens mit einer großen Bedeutung verbunden wird. Es werden Ausstellungen im Ausland mit Arbeiten von Bill besprochen und andere Ereignisse, die ihn betreffen, zum Anlass genommen, über ihn zu schreiben. 54 In organisatorischer Hinsicht verlief nicht alles nach Max Bills Vorstellungen, weshalb er seine Erfahrungen mit São Paulo in einem Schreiben an Wolfgang Pfeiffer als „südamerikanisches abenteuer“ beschrieb, weil dadurch seine „gesamte übrige tätigkeit seit 2 jahren blockiert“ sei und er kein Ende sehe. Vgl. Brief von Max Bill an Wolfgang Pfeiffer (MAM) am 25. Februar 1952, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung.
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land kennen,55 wie es aus dem Schreiben hervorgeht, das Bardi Mitte 1949 an Bill richtete und mit dem er ihn zu dieser Ausstellung einlud. In demselben Schreiben zieht Bardi in Erwägung, dass Bill Bardis Frau Lina Bo eventuell von der Zeitung „A“ oder „Domus“ kenne, bei der sie eine leitende Funktion gehabt hatte.56 Max Bills Kunst war für viele junge Gestalter in Brasilien impulsgebend und hat vor allem die im konkreten Sinne arbeitenden Künstler gestärkt. Diese Art künstlerischer Gestaltung war um 1950 noch keineswegs etabliert, doch war der Boden für eine abstraktere und der geometrischen Form verpflichtete Kunst bereits vorbereitet. Zu den brasilianischen Künstlern, die auf eine ähnliche Weise arbeiteten wie Max Bill beziehungsweise die Konstruktivisten in Zürich und an anderen europäischen Orten, gehörte in São Paulo etwa Geraldo de Barros. Es gab aber auch junge, am Anfang ihrer gestalterischen Laufbahn stehende Künstler, für die diese Bill-Ausstellung, seine erste umfassende Überblicksausstellung, im MASP ein Schlüsselerlebnis darstellte. Bekannt und in ihrem Gesamtwerk nachvollziehbar ist dies bei Almir Mavignier, Mary Vieira und Alexandre Wollner.57 Der 22-jährige Wollner aus São Paulo, der Schüler am MASP war, assistierte beim Aufbau der Bill-Ausstellung und kam so mit den Arbeiten des Schweizers direkt in Berührung. Er sah sich zu dem Zeitpunkt noch als einfacher Zeichner und Grafiker, noch nicht genau wissend, woran er sich beruflich orientieren sollte. Doch fand er mittels Bills Arbeiten einen möglichen Weg: „Die Entdeckung der Arbeit von Max Bill rief einen Kollaps mehrerer erlebter Möglichkeiten hervor, indem sie zu einer unmittelbaren Erkenntnis führte und die Gestalt schließlich aus meinem beruflichen Weg ausschloss.“58 Von Bills Arbeiten ging eine Strenge aus, die Wollner beeindruckte und deren inhärente Logik er auf die eigene Arbeit zu übertragen vermochte. Auch Almir Mavignier aus Rio de Janeiro, der heute zu den bedeutendsten Vertretern der Konkreten Kunst gehört, erinnert sich, dass er „[…] eine große Ausstellung von Max Bill in São Paulo gesehen hatte und schon damals von seiner Arbeit sehr angetan gewesen 55 Vgl. Schreiben von P. M. Bardi an Max Bill am 30. Juni 1949, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. 56 Ebd. 57 Vgl. z. B. die Überblicksdarstellungen des jeweiligen Werkes: Alexandre Wollner, Design Visual 50 Anos, São Paulo 2003, Almir Mavignier, Plakate, HfG Ulm 1953– 1958, Katalog zur Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt 2003, mary vieira – o tempo do movimento, Katalog Centro Cultural Banco do Brasil, São Paulo/Rio de Janeiro 2005 sowie Rotzler, Willy: Konstruktive Konzepte, Eine Geschichte der Konstruktiven Kunst vom Kubismus bis heute, Zürich 1977. 58 Wollner, A. 2003, S. 53.
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war.“59 Ähnliches gilt für die Künstlerin Mary Vieira, die in São Paulo geboren und aufgewachsen war und in Minas Gerais bei bedeutenden Künstlern studiert hatte.60 Bei allen dreien wurde die HfG eine weitere Station ihrer Aus- und Weiterbildung. Dass sich diese konstruktive Strömung in Brasilien nicht allein auf die Bildende Kunst beschränkte, zeigt sich in der wachsenden Bedeutung der Konkreten Poesie in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die in der Dichtergruppe Noigandres um die Gebrüder Augusto und Haroldo de Campos und Décio Pignatari ihren stärksten Ausdruck findet. In der literaturhistorischen Tradition eines Stéphane Mallarmé oder eines Ezra Pound schrieben die Dichter konkrete, zum Teil auch optisch reizvolle Gedichte, die sie selbst kulturhistorisch mit der Kunst der brasilianischen Ureinwohner, beispielsweise der Marajoara-Töpferei oder der Federkunst in Verbindung brachten.61 Die Strömung der Konkreten konzentrierte sich im Wesentlichen auf São Paulo, wobei sich parallel auch in Rio de Janeiro eine Tendenz zum Konkreten entwickelte. Dort bildete sich um die Künstler Ivan Serpa, Lygia Pape und Hélio Oiticica sowie die Theoretiker Ferreira Gullar und insbesondere Mario Pedrosa ein zweiter Nukleus mit dem Namen Frente. Als Künstlergruppe Frente trat sie erstmals im Juni 1954 in Erscheinung, als in den Räumen des Instituto Brasil–Estados Unidos (Ibeu) eine Ausstellung mit den Werken dieser jungen Künstler eröffnet wurde.62 In São Paulo gab es bereits 1952 eine öffentliche Präsentation von Künst59 Almir Mavignier in einem Interview mit Rodrigo Paiva und der Verfasserin 2002 in Hamburg. Die Transkription des Gesprächs wurde veröffentlicht als: Almir Mavignier zum 77., Ein Brasilianer schreibt deutsche Kunstgeschichte. In: Tópicos – DeutschBrasilianische Hefte, 41. Jahrgang, 2/2002 (Bonn), S. 34–37. 60 Zu ihren Lehrern zählt in erster Linie Guignard in Belo Horizonte. Vgl. Mattar, Denise: „sou maria“ – uma biografia comentada. In: Mary Vieira 2005, S. 20–37. 61 Vgl. Campos, Haroldo de: Die Konkreten und die Neokonkreten. In: Magnaguagno, G./Schaub, M. 1992, S. 382–385. 62 Vgl. Gullar, Ferreira: O Grupo Frente e a Reação Neoconcreta. In: Amaral, Aracy (Hg.): Arte Construtiva no Brasil, Coleção Adolpho Leirner, São Paulo 1998, S. 140– 181, dort: S. 144–146. Ferreira Gullar ist auch der Autor des Neokonkreten Manifestes, das am 22. März 1959 in der Tageszeitung Jornal do Brasil in Rio de Janeiro abgedruckt wurde, anlässlich der Eröffnung der ersten ausdrücklich Neokonkreten Ausstellung im MAM in Rio de Janeiro am selben Tag. Es beschreibt darin die Abgrenzung der Neokonkreten von den Konkreten, deren Arbeit auf einer mathematisch-rationalistischen Denkweise basiere und oft ohne menschliche Expressivität sei. Hingegen setze der neokonkrete Künstler die (geometrische) Form als Vehikel zur Imagination ein und gründe damit sogar einen neuen expressiven Raum. Vgl. Mani-
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lern, die sich als Konkrete Künstler verstanden: Sieben Künstler stellten unter dem Gruppennamen „Ruptura“ im MAM aus.63 Das zeitgleich verfasste Manifest fordert eine Zäsur im künstlerischen Schaffen, dessen grundlegende Werte RaumZeit, Bewegung und Materie die zentralen Begriffe der Schrift sind.64 In São Paulo bündelten sich die konstruktivistischen Strömungen, wo sie sich immer wieder mit neuen künstlerischen Tendenzen rieben, die nicht zuletzt mit der alle zwei Jahre stattfindenden Biennale neue Impulse erhielten. Max Bill stand über Jahre hinweg im Austausch mit seinen Kollegen in Brasilien. Trotz der intensiven schriftlichen Korrespondenz mit dem MASP – hauptsächlich mit Bardi und Pfeiffer – und der Biennale65 kam er zwar nicht zu den beiden Anlässen im Jahre 1951 nach Brasilien, doch schließlich auf Einladung des brasilianischen Außenministeriums Itamaraty im Mai/Juni 1953. Bei dieser Reise bewegte sich Max Bill hauptsächlich in Architekturkreisen in Rio de Janeiro und São Paulo,66 vor denen er Vorträge über das Bauen hielt. In São Paulo sprach er am 9. Juni in der Faculdade de Arquitetura de Urbanismo da Universidade de São Paulo, in der Rua Maranhão, und am darauffolgenden Tag im MAM. 67 Vorab wurde eine Pressekonferenz mit Max Bill im MAM organisiert, bei der – laut der Tageszeitung Folha da Manhã – Wolfgang Pfeiffer als Leiter des MAM, Sergio Milliet, der Grafiker und Künstler Geraldo de Barros sowie dessen junger Kollege Alexandre Wollner anwesend waren.68 Die Zeitung fasste daraufhin Bills Ausführungen zusammen, wobei sie vor allem seine Eindrücke von der Architektur in der damaligen Haupstadt Rio de Janeiro in den Vordergrund stellte. Daraus: „Alle Gebäude sind modern. Was mich beeindruckte, war die Nichtexistenz akademischer Architektur. Es gibt einige sehr schöne Bauten, wie das Ministério da Educação.“69 Allerdings wird in einem anderen Text wiedergegeben, dass ihm dieses Gebäude überhaupt nicht zugesagt habe, unter anderem festo Neoconcreto. In: Amaral, Aracy (Hg.): Arte Construtiva no Brasil, Coleção Adolpho Leirner, São Paulo 1998, S. 270–275. 63 Vgl. Belluzzo, Ana Maria: Ruptura e Arte Concreta. In: Amaral, A. 1998, S. 94–141. 64 Ebd. S. 94. 65 Hier korrespondierte er hauptsächlich mit Francisco Matarazzo Sobrinho, ebenfalls mit Wolfgang Pfeiffer und mit Artur Profili. 66 Alexandre Wollner im Gespräch mit der Autorin am 1. Mai 2005 in São Paulo. 67 Vgl. z. B. N. N.: Max Bill: São Paulo Comparavel Aos Centros Culturais Europeios. In: Última Hora (São Paulo), 6. Juni 1953. 68 Vgl. N. N.: Acha-se desde ontem em São Paulo o conhecido arquiteto suiço Max Bill. In: Folha da Manhã de São Paulo, 6. Juni 1953. 69 Ebd.
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wegen der fehlenden menschlichen Proportion und seiner Masse, die den Fußgänger erdrücke.70 Gleichzeitig, so der Artikel in der Folha de Manhã weiter, habe ihn das Fehlen eines Masterplans für die gesamte Stadt Rio de Janeiro befremdet, der eine einheitliche architektonische Entwicklung erlaube.71 Von Pedregulho jedoch, einem Wohnkomplex von Affonso Eduardo Reidy aus dem Jahre 1948, zeigte er sich offenbar beeindruckt, denn er habe zugegeben, noch nie etwas auf der Welt gesehen zu haben, was nur annähernd so gut durchdacht und ausgeführt worden sei. Dieser Komplex habe ihm die Überzeugung gegeben, dass es den Architekten in Brasilien nicht an Kapazität fehle, um einen längerfristig gedachten Plan für die gesamte Stadt zu entwickeln.72 Mit seiner Rede in der Universität, zu der zahlreiche Studierende der Architektur gekommen waren, stieß Bill nicht nur auf positive Resonanz, denn ein wesentlicher Bestandteil seines Vortrags war die Kritik an dem Werk des damals bereits renommierten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer. Wenig diplomatisch, dafür sehr sachlich, behandelte Bill Niemeyers Architektur ausgerechnet in dessen charakteristischen Merkmalen, nämlich den Brises-soleil, der Glasfassade, den Piloti und der freien Form: „Today most applications of Free-form shapes are purely decorative. As such they have nothing to do with serious architecture.“73 Er habe in Brasilien diese vier Elemente angetroffen, „die das verkörpern, was ich als einen ‚akademischen akademismus‘ bezeichnen will. ihr wert ist ungefähr der gleiche, wie derjenige der säulen griechischer tempel, die zunächst in renaissance- und später in sogenannte klassizistische säulen verwandelt wurden. es sind oft grundlos angewandte formeln.“74 Diese aus seiner Sicht dekorativen Elemente führten zu keiner Architektur, die – wie er es fordert – die Generationen überleben soll, nicht nur materiell. „die schönheit der architektur basiert auf 70 D’Aquino, Flavio: Max Bill, o inteligente iconoclasta. Entrevista de Flavio d’Aquino em „Manchete“. In: Habitat (São Paulo), Nr. 12, September 1953, S. 34 f. Abgedruckt auch bei Costa, Lucio: Sobre Arquitetura, Porto Alegre 1962, S. 252–259. 71 Vgl. N. N.: Acha-se desde ontem em São Paulo o conhecido arquiteto suiço Max Bill. In: Folha da Manhã de São Paulo, 6. Juni 1953. 72 Vgl. ebd. 73 Die Architekturzeitschrift Architectural Review, die einen Rückblick auf die Architekturbiennale innerhalb der II. Biennale 1953 gibt, veröffentlichte Bills Rede sowie eine Stellungnahme von Walter Gropius und dessen Frau. Vgl. Report on Brazil. In: Architectural Review, Band 116, Nr. 694, S. 234–248, dort: 236–239. In deutscher Sprache ist die Rede abgedruckt in: Fils, A. 1982, S. 97–100 und Oscar Niemeyer, Eine Legende der Moderne, Hg.: Paul Andreas und Ingeborg Flagge, Katalog zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main, Basel 2003. 74 Auszug aus Bills Rede. Vgl. Oscar Niemeyer 2003, S. 116.
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ihrer einfachheit. die architektur ist perfekt, wenn alle ihre funktionen, ihre konstruktion, ihr material und ihre form in perfekter harmonie sind. eine gute architektur ist diejenige, in der alle dinge funktionieren und in der es nichts überflüssiges gibt.“75 Und diese Forderungen sah Bill in der Architektur Niemeyers nicht gegeben, den er in der gedruckten Version seines Vortrags zwar nicht beim Namen nennt, dessen Architektur darin jedoch eindeutig wiederzuerkennen ist.76 Abgesehen davon, dass die anwesenden Studierenden zu jenem Zeitpunkt gerne Oscar Niemeyer als Professor nach São Paulo geholt hätten und Bills Rede demnach keinerlei Unterstützung bot,77 rief er mit seiner Rede eine Diskussion hervor, die zum Teil bis in die Gegenwart Bestand hat und von anderen Niemeyer-Kritikern aufgenommen wird. Erst 2003 ist die Rede wieder in deutscher Sprache erschienen, was ihre anhaltende Rezeption im deutschsprachigen Raum belegt. Bills Vorträge schockierten, nicht nur den anwesenden, in Rio offenbar in der ersten Reihe sitzenden Oscar Niemeyer.78 Auch andere Zuhörer waren konsterniert ob Bills negativen Urteils gerade über die moderne Architektur im Gastland. Doch fanden sich im Publikum gleichzeitig Zuhörer, die seinen Ausführungen mit Gewinn und Sympathie folgten. Die Presse, die die Besuche des Schweizers begleitete, berichtete mit unterschiedlichem Tenor; Quirino Campofiorito, einer der Kritiker der Zeitung O Jornal in Rio de Janeiro, griff in seinem Bericht Bills Vokabeln auf, in dem er den Gast als „Schweizer Dekorateur“ bezeichnete, dessen Vortrag mehr einem Geometrie-Unterricht geglichen habe als einem Gespräch über Kunst.79 Damit bezog er sich auf Bill, der die brasilianischen Architekten sowohl in seinen verbalen als auch schriftlichen Äußerungen als Dekorateure sah: „Man wird innerhalb von zehn Jahren sehen, dass ich recht hatte, wenn sich Brasilien sichtlich in einer, von diesen Dekorateuren organisierten, Katastrophe befindet.“80 75 Vgl. ebd. 76 Vgl. ebd., S. 119. 77 Diese Information erhielt die Verf. von Alexandre Wollner, der dem Vortrag beiwohnte. 78 Dies geht aus einer Notiz des Kritikers Jean Clay im Jahre 1968 hervor und wurde von Zeitgenossen bestätigt. Vgl. Clay, Jean: Una visita a MAX BILL. In: revista nacional de cultura, instituto national de cultura y bellas artes, oct/nov/dic, no 186, 1968, S. 101–105, dort: S. 101. 79 Campofiorito, Quirino: Plasticismo Físico Geométrico. In: O Jornal (Rio de Janeiro), 3. Juni 1953. 80 Brief von Max Bill an Carmen Portinho in der Stadtverwaltung Rio de Janeiros am 20. 8. 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. Übers. aus dem Französi-
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Dass Bills Haltung in Brasilien nicht überall freudig aufgenommen wurde, musste er kurz darauf erneut erfahren: In dem bereits zitierten Brief an die Leiterin der Städtischen Wohnungsbauabteilung in Rio de Janeiro, Carmen Portinho81, erwähnt er, dass „man“ ihn aus der Jury der nun bevorstehenden II. Biennale genommen und ihm zufolge durch Gropius und Reidy ersetzt habe. „Man“ seien „niemeyer, costa, de mello etc.“ gewesen.82 Er selbst zeigte sich erstaunt über die Empörung und das Unverständnis, die seine Vorträge Brasilien ausgelöst hatten, und verglich diese Reaktion mit derjenigen in den USA, die er im Anschluss an die lateinamerikanischen Stationen83 bereiste: „USA war sehr interessant und trotz meiner kritik ein grosser erfolg. die leute dort sind sowohl seriöser in ihrer arbeit, als auch seriöser in der aufnahme der kritik – als in brasilien.“84 Bills Präsenz in Brasilien hat demnach eine ambivalente Aufnahme erfahren, in dem Sinne, dass sie für die Bildende und Angewandte Kunst eine fruchtbare und nachhaltige Wirkung zeigte, jedoch im Bereich der Architektur und Städteplanung unterschiedliche Reaktionen hervorrief, die ihn in Brasilien später auch fast nicht mehr als Architekten in Erscheinung treten ließen. Verglichen mit den Besuchen anderer berühmter Architekten, die sich ebenfalls kritisch gegenüber schen durch die Verf. Max Bill hält auch in der Fremdsprache konsequent an der Kleinschreibung fest. – Von „Dekorateuren“ ist auch in der Zeitung Tribuna da Imprensa (Rio de Janeiro) vom 16. Juni 1953 die Rede, die Bill zitiert: „Es gibt eine Gefahr in der brasilianischen Architektur: ihre Verwandlung in einen Lecorbusianischen ‚Dekorativismus‘“, nachdem er auch in São Paulo ein Niemeyer-Gebäude besucht hatte. Die V-Pfeiler des Galeriebaus im Zentrum der Stadt (Rua Itapetininga) seien „nicht mehr als der schlimmste Dekorativismus, den man sich vorstellen kann“. Vgl. N. N.: Max Bill em São Paulo. In: Tribuna da Imprensa (Rio de Janeiro), 16. Juni 1953. Die hier zitierten Stellen sind portugiesischsprachig. 81 Carmen Portinho war später, ab 1968, Rektorin der ESDI in Rio de Janeiro und versuchte dort, ein weniger strenges Abbild der HfG Ulm durchzusetzen. Vgl. Wollner, A. 2003, S. 119. 82 Brief von Max Bill an Carmen Portinho in der Stadtverwaltung Rio de Janeiros am 20. 8. 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. „Man“ im französichen Original „on“. 83 Das Ehepaar Bill reiste zunächst nach Rio de Janeiro und São Paulo und anschließend nach Peru und Mexiko, um dann in Aspen/USA an einem internationalen DesignKongress teilzunehmen. Vgl. z. B. Brief von Max Bill an Willi Wirz in Rio de Janeiro am 13. August 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung und Brief von Max Bill an Stefan Baciu in Rio de Janeiro in 1953 (Tag und Monat nicht lesbar). 84 Brief von Max Bill an Willi Wirz in Rio de Janeiro am 13. August 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung.
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den brasilianischen Architekturlösungen äußerten, war Bills direkte und unverblümte Stellungnahme tatsächlich die folgenschwerste für ihn selbst. In architektonischer Hinsicht blieben die brasilianischen Türen für ihn verschlossen. Le Corbusier hingegen, der bereits in den 20er Jahren Überlegungen zu einer besseren urbanistischen Planung Rio de Janeiros anstellte, präsentierte diese Ideen weniger in öffentlichen Reden wie später Max Bill als vielmehr in Publikationen: Er veröffentlichte mehrere Skizzenpläne für Rio de Janeiro und São Paulo, die er während seiner Brasilien-Reise im Jahre 1929 angefertigt hatte und die als Vorstudien für seine städtebaulichen Pläne in Algier gelten.85 Besonders positiv konnotiert ist sein Name in Verbindung mit dem wenige Jahre später begonnenen Bau des MEC in Rio de Janeiro, zu dem er von der brasilianischen Regierung eingeladen wurde.86 Letztlich wurde Bill doch noch Mitglied in der Jury der II. Biennale, jedoch nicht im Bereich der Architektur, sondern „in der kunstjurie – was übrigens sehr viel wichtiger ist“, wie er selbst schrieb.87 Dem Architekten Jacob Ruchti in São Paulo teilte er mit, dass er – dieses Mal ohne Begleitung88 – im Januar 1954 zur Jurysitzung nach Brasilien kommen wolle, allerdings nur kurz, „denn wir haben in der zwischenzeit in ulm die hochschule für gestaltung eröffnet, deren rektor und leiter der architektur-abteilung ich bin“, weshalb er dort „fast unentbehrlich“ sei.89 Die Ernennung zum Jurymitglied erfolgte bald nach seiner Brasilien-Reise 1953, der eine Einladung im Oktober 1953 folgte, in der ihm auch mitgeteilt wurde, dass die Sitzung für den 11. Januar 1954 vorgesehen sei.90 Wenige Wochen darauf erhielt Bill ein Telegramm von Profili vom 9. November 1953, das besagte, dass die Mehrheit der Jurymitglieder den 14. Dezember favori85 Vgl. z. B. Rodrigues dos Santos, Cecília u. a.: Le Corbusier e o Brasil, São Paulo 1987 oder Harris, Elizabeth D.: Le Corbusier: Riscos Brasileiros, São Paulo 1987. Zwei Brasilien-Zeichnungen wurden vergleichsweise schnell bekannt: die FLC 32091 (Précisions sur un état présent de l´architecture et de l´urbanisme, 1930) und FLC 31878 (Gesamtperspektive Rio de Janeiros mit Zuckerhut im Zentrum und die benachbarte Stadt Niterói im Hintergrund), erschienen in Oeuvre Complète 1934– 1936 und wiedergegeben in La Ville Radieuse (1935). 86 Vgl. Bruand, Yves: Arquitetura Contemporânea no Brasil, São Paulo 1997, S. 81. 87 Einschreiben von Bill an Willi Wirz in Rio de Janeiro am 24. September 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. 88 Seine Reise im Juni 1953 unternahm er in Begleitung seiner Frau Binia Bill. 89 Vgl. Schreiben von Max Bill an Jacob M. Ruchti vom 6. November 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. 90 Arturo Profili (Biennale) an Max Bill am 2. Oktober 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung.
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siere.91 Trotz Bills schriftlicher Erwiderung in einem Brief, dass nicht nur die anderen, sondern auch er Verpflichtungen habe, die zu berücksichtigen seien, und seiner Bitte, sich an die Abmachungen zu halten, die Sitzung nicht vor Ende Dezember einzuberufen,92 wurde sie um fast einen Monat vorverlegt. Dem Protokoll nach haben folgende vierzehn Personen an ihr teilgenommen: Emile Langui (Belgien), Herbert Read (Großbritannien), James Johnson Sweeney (USA), Rodolfo Pallucchini (Italien), Eberhard Hanfstaengl (Bundesrepublik Deutschland), Bernard Dorival (Frankreich), Sandberg (Niederlande), Juan Ramón Masoliver (Spanien), Max Bill (Schweiz), Jorge Romero Brest (Argentinien), Sergio Milliet, Mario Pedrosa, Tomás Santa Rosa und Wolfgang Pfeiffer (Brasilien).93 Den Vorsitz übernahmen Emile Langui und Eberhard Hanfstaengl. Es sind kaum weitere Hinweise, wie Fotos oder Berichte, für das Zusammentreffen dieser hochrangigen Experten erhalten geblieben. Verwunderlich ist auch, dass nichts auf Nebeneffekte hinweist, wie Vorträge an einer der Universitäten oder Veröffentlichungen, die aus diesen Besuchen hätten resultieren können. Lediglich aus einem Brief Max Bills an Arturo Profili vom 5. Januar 1954 geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine (zweite) Brasilien-Reise stattgefunden haben muss. In diesem Brief beschreibt Bill nicht nur den beschwerlichen Rückweg von Brüssel nach Zürich, sondern auch eine Verhandlung der noch ausstehenden Kostenerstattung.94 Ein weiteres Dokument bezieht sich auf die Jurysitzung der Biennale: Die Zeitungsnotiz aus dem „Diário do Comêrcio e Indústria“ vom 10. Januar 1954, mit dem Inhalt, dass sich die Jury im Palácio dos Estados der Biennale zusammengefunden und über den Prêmio São Paulo der Andrea-und-VirginiaMatarazzo-Stiftung entschieden habe. Die beigefügte Abbildung zeigt statt der sieben aufgezählten nur fünf allerdings schwer zu identifizierende Personen und nennt in der Bildunterschrift ähnlich hochrangige Expertennamen wie bei der 91 Telegramm des MAM in São Paulo an Max Bill am 9. November 1953 um 20 Uhr, AHWS/FBSP. 92 Brief von Max Bill an Arturo Profili am 6. November 1953 als Antwort auf ein Telegramm desselben Tages, AHWS/FBSP. 93 Die Reihenfolge der Namen entspricht dem Ergebnisprotokoll der Sitzung. Vgl. „Ata“, 15. Dezember 1953 mit der Unterschrift des Schriftführers, Arturo Profili, AHWS/FBSP. 94 Brief von Max Bill an Arturo Profili am 5. Januar 1954, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. Wie bei mehreren anderen Gelegenheiten erweist sich Bill auch hier als scharf kalkulierender Geschäftsmann, der genaue geschäftliche Vereinbarungen trifft und – gemäß weitverbreiteter Sitte in Mitteleuropa – stets auf deren Einhaltung pocht.
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Sitzung vom Dezember: Alvar Aalto (Finnland), Max Bill (Schweiz), Le Corbusier (Frankreich), Ernesto N. Rogers (Italien), José Luis Sert (USA), Affonso Eduardo Reidy und Gregori Warchavchik (Brasilien).95 Bill ist darauf nicht auszumachen. Die Angabe, an welchem Tag sich das Ereignis zutrug, wie auch andere Details, die man von einer Zeitungsnotiz erwartet, fehlen, weshalb die Meldung schwer auszuwerten ist. Es ist bekannt, dass Bill im Januar nicht mehr in Brasilien gewesen ist, im Grunde auch nicht in der Jurykommission für den Andrea-und-Virginia-Matarazzo-Preis saß, der schließlich Gropius zugesprochen wurde,96 weshalb die Glaubwürdigkeit dieser Meldung in Verbindung mit dieser Abbildung, die Bill angeblich zeigt, in Frage gestellt werden darf. Zweimal war Max Bill also Anfang der 50er Jahre in Brasilien: im Mai/Juni 1953 und im Dezember 1953. Allerdings war der zweite Aufenthalt ein sehr kurzer und wurde von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen. Wie bereits erwähnt, waren der ersten Reise die Ausstellung im MASP und die Teilnahme an der I. Biennale mitsamt der Prämierung seiner „Dreiteiligen Einheit“ vorausgegangen, doch die persönliche Anreise erfolgte erst Mitte des Jahres. Diese Reise wurde auch von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Rio de Janeiro wahrgenommen, in derem zweiwöchigen Pressebericht die Tageszeitung Correio de Manhã wiedergegeben wurde: Dort wurde die „Einladung [des Außenministeriums] an den Bildhauer Max Bill, den ehemaligen Mitarbeiter am ‚Bauhaus‘,“ als „frischer Wind im Itamaraty“ begrüßt – ein Verdienst des neuen Kulturreferatsleiters im Itamaraty.97 Gleichzeitig erwähnte er die Versendung der Ausstellung zeitgenössischer brasilianischer Architektur in verschiedene Länder Europas, eine moderne Schau, die in Europa für Aufsehen sorgte und unter dem Titel „Brasilien baut“ auf der Bauausstellung im Berliner Hansaviertel zu sehen war. Vor diesem Hintergrund ist eventuell auch die Empfindlichkeit einiger Brasilianer zu verstehen, die einerseits die wachsende Popularität brasilianischer Architektur konstatierten, aber andererseits die Diskreditierung derselben durch Bill. Ein Nebeneffekt von Max Bills Präsenz in Brasilien war die zunehmende Bekanntheit der Hochschule für Gestaltung im Land, die selbst nach Bills Weggang von der HfG im Jahr 1957 anhielt.98
95 Vgl. Diário do Comêrcio e Indústria (São Paulo), 10. Januar 1954, AHWS/FBSP. 96 Vgl. Kapitel 3.3.2.3. 97 Vgl. Pressebereicht von Von Marchtaler in Rio de Janeiro an das Auswärtige Amt am 8. Juni 1953, PAAA, B 90, Bd. 29. 98 Bills Ausscheiden aus der HfG ging eine schwierige Phase voraus, die bei Spitz ausführlich beschrieben und als „bill-krise“ bezeichnet wird. Vgl. Spitz, R. 2002, S. 154 ff. und 213.
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Anzumerken ist zudem, dass im Laufe der Biennale-Jahre immer wieder Bezug sowohl auf das Bauhaus als auch auf die HfG genommen wurde. Kommissare des bundesdeutschen Beitrages wurden oft zu ausgesprochenen Mittlern von Kunst und ihren Institutionen in der Bundesrepublik, und so hatte auch Herbert Pée, Kommissar der bundesdeutschen Beiträge in den Jahren 1967, 1969 und 1971 (IX., X. und XI. Biennale), eine unterstützende Rolle für die Bedeutung der HfG in Brasilien eingenommen. Als Direktor des Ulmer Museums verband ihn eine enge dienstliche und persönliche Beziehung mit der HfG.99 Trotz seiner Schweizer Nationalität war Max Bill eine Schlüsselfigur gerade im deutsch-brasilianischen Kulturaustausch und eine treibende Kraft in der bundesdeutschen Kultur- und Bildungspolitik. Nach seiner Direktorenzeit in Ulm war er Hochschulprofessor an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, wurde 1972 Mitglied der Akademie der Künste Berlin und führte Ämter in bundesdeutschen Gremien aus, wie im Kuratorium des BauhausArchivs in Berlin.100 4.3.2 Schüler aus Brasilien an der HfG und ihre Spuren in der Heimat Nach zwei Jahren provisorischer Unterbringung der HfG in der Volkshochschule zog sie 1955 in den von Max Bill entworfenen Neubau auf dem Ulmer Oberen Kuhberg. Walter Gropius hielt bei der feierlichen Einweihung am 2. Oktober die Eröffnungsrede. Ähnlich wie das Bauhaus war sie in Ulm in eine eher provinzielle Umgebung eingebettet und bot auch nicht selten öffentlichen Diskussions-
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Bestätigung findet diese Einschätzung durch Gabriele Pée, die Tochter des ehemaligen Museumsdirektors, die sich selbst auf ein Studium an der HfG vorbereitete und später im Büro Otl Aichers arbeitete, sowie durch Wolfgang Pfeiffer im jeweiligen Gespräch mit der Verfasserin.
100 Seine Bedeutung innerhalb der Bundesrepublik manifestiert sich in mehreren Auszeichnungen, zu denen die Ehrendoktorwürde der Universität Stuttgart (1979), das Bundesverdienstkreuz (1980) und andere mehr gehören. Ende 2005 wurde eine Retrospektive mit seinen Werken in Stuttgart zusammengestellt, und im Jahr 2008, dem Jahr seines hundertsten Geburtstages, waren mehrere Ausstellungen in der Schweiz und in Deutschland zu sehen. Vgl. Buchsteiner, Th./Letze, O. 2005 sowie Max Bill: ohne Anfang – ohne Ende, No beginning – no end, Eine Retrospektive zum hundertsten Geburtstag des Künstlers, Designers, Architekten, Typografen und Theoretikers, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum MARTa Herford, Zürich 2008.
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stoff. In ihrem Bestreben, international zu agieren, glich sie sich wesentlich ihrer Vorgängereinrichtung in Weimar und Dessau an, wo man ebenfalls großen Wert auf ein international besetztes Lehrerkollegium legte, aber auch auf Studierende aus dem Ausland. Dieser Umstand rührte zum einen von dem internationalen Interesse her, doch auch aus der Notwendigkeit heraus, dass es sich in den 50er Jahren als recht schwierig erwies, ausreichend junge Menschen in Deutschland zu einem Studium an einer noch neuen Lehrstätte ohne lange Tradition zu bewegen. Insofern bot es sich nicht nur vor dem Hintergrund der Internationalität an, junge Menschen im Ausland – und in diesem Fall Brasilien – anzusprechen.101 Im Laufe ihrer Existenz waren neun Studierende aus Brasilien an der HfG eingeschrieben. Darauf weisen die Karteikarten hin, die von den Schülern, ungeachtet der Immatrikulationsdauer, im Archiv der HfG aufbewahrt werden. In den ersten Jahren kamen Almir Mavignier, Alexandre Wollner, Mary Vieira, Yedda Lucia Pitangy sowie Elke und Frauke Koch-Weser. Später waren dort: Mario Zocchio, Jorge Bodanzky, Isa Maria Moreira da Cunha und Günter Weimer.102 Umgekehrt führten die Wege einiger Deutscher über die HfG nach Brasilien, die am Ende dieses Kapitels Erwähnung finden. 4.3.2.1 Die Brasilianer der ersten HfG-Jahre Die beiden ersten Brasilianer kamen 1953 nach Ulm: Mary Vieira aus São Paulo und Almir Mavignier da Silva aus Rio de Janeiro. Alexandre Wollner trat erst im Jahre 1954 in Ulm ein, während das Eintrittsdatum der beiden Schwestern Elke und Frauke Koch-Weser für das darauffolgende Jahr dokumentiert ist. Yedda Pitanguys erstes Studienjahr war 1956/57. Vieira, Mavignier und Wollner hatten Bills Ausstellung im MASP gesehen, was einen gewissen Eindruck hinterlassen hatte, sich jedoch zunächst nur in den Fällen Vieira und Wollner zum konkreten Ziel entwickelte, bei Bill zu studieren. Doch auch Mavignier wurde Schüler von Max Bill, allerdings ging er zunächst mit anderen Zielvorstellungen nach Europa. Mary Vieira hatte ihr Kunststudium in Minas Gerais schon abgeschlossen und erste Ausstellungserfolge zu verzeich101 Dass sich auch Max Bill dieser Problematik bewusst war, lässt die Wiedergabe einer seiner Aussagen erahnen, in der er feststellte, dass es in Deutschland nicht so viele junge Menschen gab wie in Brasilien. Vgl. N. N.: Max Bill: São Paulo Comparavel Aos Centros Culturais Europeios. In: Última Hora (São Paulo), 6. Juni 1953. 102 Die Verfasserin hatte die Gelegenheit, mit folgenden Ex-Studierenden persönlich Kontakt aufzunehmen und Gespräche zu führen, die einen wichtigen Beitrag zu dieser Arbeit darstellen: Almir Mavignier, Alexandre Wollner, Frauke Koch-Weser, Jorge Bodanzky, Günter Weimer, Mario Zocchio.
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nen, als sie sich nach einem Briefwechsel mit Max Bill auf die Reise begab und somit zu den ersten HfG-Schülern gehörte. Mary Vieira erhielt anfangs sogar ein Stipendium für die HfG, was aus den Briefen zwischen Wirz in Rio de Janeiro und Bill hervorgeht, die fast alle mit mindestens einem Satz das Procedere des komplizierten Geldtransfers von Mary Vieiras Zuwendung ansprechen: „sie werden an mary das geld senden und sie wird mir 8 monate lang 500 franken zurückbezahlen. […], weil sie noch 2 nebeneinandergehende stipendien bekommt die zusammen fast diese summe ausmachen.“103 Letzten Endes blieb Mary Vieira nur rund ein Jahr an der HfG, etablierte sich aber bald als Bildhauerin in der Schweiz, wo sie ab 1966 in der Kunstgewerblichen Abteilung der Gewerbeschule, heute Schule für Gestaltung Basel, Raumgestaltung lehrte.104 Almir Mavignier hingegen lebte zunächst in Paris, wo er fast ein Jahr lang als Maler tätig war. Von dort aus reiste er 1952 nach Zürich, um Mario Pedrosa zu treffen. Gemeinsam besuchten sie Max Bill und andere Schweizer Künstler, und zu diesem Zeitpunkt entstand Mavigniers Idee, bei Max Bill in dessen gerade im Aufbau begriffener Hochschule für Gestaltung zu studieren. Mavignier erinnert sich an die von Bill zunächst geäußerten Vorbehalte, die HfG sei für junge Deutsche gedacht gewesen, die den Kontakt mit der Kulturwelt verloren hätten, und nicht für „romantische Künstler“ bestimmt, die in Paris lebten.105 Die hier von Mavignier wiedergegebene Aussage Bills entspricht der Konzeption der HfG als einer Schule, die nicht nur Gestaltung lehren, sondern in besonderem Maße auch Themen der Gesellschaft und der Politik behandeln sollte,106 fern von den Regeln einer Kunstakademie oder der Vorstellung des vermeintlich zwanglosen Lebens eines Künstlers in einer Metropole wie Paris. Dennoch nahm Mavignier ein Jahr später sein Studium in Ulm auf und gehörte zu den wenigen HfG-Schülern, deren berufliche Laufbahn mehr von der freien als der angewandten Kunst bestimmt wurde. Mavignier unterhielt nach seinem Abschluss in Ulm ein Atelier und bekam anschließend einen Ruf als Professor an die Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Mavigniers Gemälde sind heute in brasiliani-
103 Vgl. Einschreiben von Max Bill an Willi Wirz (Rio de Janeiro), am 30. 3. 1954, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. 104 Zu Leben und Werk von Mary Vieira vgl. Mary Vieira 2005. 105 Zu Mavignier siehe auch Merklinger, Martina/Paiva, Rodrigo: Almir Mavignier zum 77., Ein Brasilianer schreibt deutsche Kunstgeschichte. In: Tópicos – DeutschBrasilianische Hefte, 41. Jahrgang, 2/2002 (Bonn), S. 34–37, dort: S. 35. 106 Vgl. z. B. Spitz, R. 2002, S. 79.
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schen Sammlungen vertreten, wie auch in vielen deutschen,107 und haben ihren festen Platz in der Kunstgeschichte Brasiliens. Alexandre Wollner, der am Instituto de Arte Contemporânea (IAC) des Museu de Arte de São Paulo (MASP) studiert hatte und bei der II. Biennale einen der nationalen Preise entgegennehmen durfte, investierte diesen Preis in sein Studium, das er noch im selben Jahr an der Hochschule für Gestaltung in Ulm bei Max Bill aufnahm, den er bei dessen Vortragsreihe im Juni 1953 kennengelernt und durch São Paulo begleitet hatte. Wollner, der nach 1958 wieder nach Brasilien zurückkehrte, zählt heute zu den wichtigsten Wegbereitern auf dem Gebiet des Designs in Brasilien. Wollner erinnert sich heute, dass Bill zunächst an Geraldo de Barros als Stipendiaten dachte.108 Da dieser jedoch gerade erst in Frankreich gewesen war und ihn mittlerweile familiäre Gründe an São Paulo banden, einigte man sich schnell auf seinen Kollegen Alexandre Wollner. Ein anderer Hintergrund zum Studium an der HfG findet sich bei Frauke und Elke Koch-Weser, die 1955 nach Ulm gegangen sind. Sie sind als Töchter einer deutschen Familie im Landesinnern des Bundesstaates Paraná aufgewachsen, deren in den 30er Jahren gegründete Kaffeeplantage florierte und zahlreiche weitere Siedler anzog. Dank der Weitsicht ihrer Eltern bildungsbürgerlicher Herkunft mangelte es den Kindern kaum an schulischer und kultureller Bildung, die hauptsächlich über die Anstellung von Privatlehrern gewährleistet wurde. In allseits guter Erinnerung blieben den Bewohnern des damaligen Rolands die regelmäßigen Besuche Georg Hoeltjes, der nach seiner Übersiedlung nach Brasilien Privatunterricht, unter anderem für Heubergers Pró-Arte, erteilte und bei seinen Aufenthalten in der wachsenden Stadt Roland beziehungsweise Rolândia kunst- und kulturhistorische Vorträge wie auch literarische Rezitationen hielt. Eines seiner Themen war Picassos Guernica, das gerade in São Paulo bei der II. Biennale ausgestellt worden war. Elke und Frauke Koch-Weser, die bei einem vorherigen mehrwöchigen Aufenthalt an der Werkhaus Werkschule Merz, der sogenannten Merz-Schule in Stuttgart schon von der HfG gehört hatten, nahmen ihre hauptsächlich dort angefertigten künstlerischen Arbeiten und fuhren mit den
107 Beispielsweise im Museu de Arte Moderna in São Paulo und in der Sammlung Adolpho Leirner sowie im Ulmer Museum und in der Daimler Contemporary, Berlin. 108 Spätestens ein Brief von Mario Pedrosa kurz vor Bills erster Brasilien-Reise machte diesen auf Geraldo de Barros aufmerksam: „À São Paulo, il faut absolument voir Geraldo Barros (avec ses fotos aussi) […].“ Vgl. Schreiben von Mario Pedrosa an Max Bill am 6. (8.?) Mai 1953, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung.
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Eltern über 500 Kilometer nach São Paulo, um dort Max Bill zu treffen.109 Ein anschließender Briefwechsel zwischen ihrem Vater Geert Koch-Weser und Max Bill beziehungsweise seinem Sekretär Eugen Gomringer zeigt, dass Frauke Koch-Weser die Übergangszeit bis zum Beginn der Grundlehre in den USA verbrachte und Elke in Mainz noch zur Schule ging.110 Die bereits verstorbene Yedda Pitanguy war von 1956 bis 1958 in Ulm eingeschrieben, legte dort jedoch keine Abschlussprüfung ab und ging nach Brasilien zurück, wo sie später als Architekturprofessorin bekannt wurde. 4.3.2.2 Die „brasilianischen HfG-ler“ in den 60er Jahren Die HfG-Schüler, die später aus Brasilien nach Ulm kamen, hatten nicht jenen direkten persönlichen oder brieflichen Kontakt zu Max Bill wie etwa Alexandre Wollner oder Mary Vieira, profitierten jedoch insofern von seiner Bekanntheit im eigenen Land, als sie dort überhaupt von der HfG erfahren hatten und sich noch in der Heimat über sie informieren konnten. Der 1934 in São Paulo geborene Mario Zocchio beispielsweise hatte über seine Frau familiäre Bindungen nach Deutschland, wo er vorhatte, für eine gewisse Zeit zu studieren. Die Verwandten machten ihn, als sie von seinem Wunsch erfahren hatten, auf die HfG in Ulm aufmerksam, und dank ihres bereits nach Lateinamerika ausstrahlenden Renommees wie auch des ihres ersten Direktors Bill konnte er sich noch in Brasilien ausreichend über sie informieren, um sich dann zu einem Studium im Ausland zu entschließen. Er war 1963 Gaststudent im zweiten Studienjahr „Bauen“ und insgesamt ein Jahr an der HfG eingeschrieben. Bei seinem Eintritt in die HfG war Bill bereits von Tomás Maldonado abgelöst worden, so dass sich Bill und Zocchio nicht mehr kennenlernten. Sein Landsmann Almir Mavignier gehörte zu dem Zeitpunkt schon zu den Absolventen, doch unterhielt er noch ein Atelier in Ulm, das dem späteren „HfG-ler“ bekannt war.111 Wie Zocchio informierte sich auch Jorge Bodanzky aus São Paulo noch in Brasilien über die HfG. Er war Student an der damals neu eingerichteten und mit 109 Das Datum ist zwar nicht schriftlich festgehalten, doch kann es sich nur um jene kurze Zeitspanne im Dezember 1953 handeln, in der Bill zur Jurysitzung nach São Paulo kam, denn während seines ersten Aufenthaltes war die II. Biennale noch nicht aufgebaut. Angaben zu diesem Abschnitt aus dem Gespräch mit Frauke Koch-Weser im August 2003 in Stäfa/Schweiz. 110 Vgl. Brief von Geert Koch-Weser an Max Bill vom 26. Juli 1954, archiv max bill/max, binia + jakob bill stiftung. 111 Angaben über Mario Zocchio, der in Brasilien eine Laufbahn als Architekt einschlug, sind seiner Karteikarte im Archiv der HfG entnommen sowie dem Gespräch mit der Verfasserin am 23. und 27. Mai 2005 in São Paulo.
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einem progressiven Ruf behafteten Universität in der ebenfalls gerade gegründeten Stadt Brasília.112 Nachdem die Universität vom Militär geschlossen wurde, stellte sich die Frage, wie und wo er sein Studium fortsetzen konnte. Ein Jahresstipendium im Fach Fotografie für die Fachhochschule in Köln brachte ihn zunächst ins Rheinland. Allerdings zog es ihn, der schon in Brasília vom Bauhaus und der HfG gehört hatte, an die berühmte Bauhaus-Nachfolge an der Donau, und schließlich bemühte er sich 1966 erfolgreich um eine Aufnahme in Ulm.113 Jorge Bodanzky wurde in Brasilien ein erfolgreicher Filmemacher im Bereich des Dokumentar- und Kunstfilms. Ähnlich verhält es sich mit Günter Weimer aus Porto Alegre, der sich im Rahmen seines Architekturstudiums, das er 1964 in seiner Heimatstadt abschloss, intensiv mit den Werken von Mies van der Rohe, Walter Gropius und anderen Architekten auseinandersetzte und in dieser Zeit auch die Bedeutung des Bauhauses und der HfG als deren Nachfolgerin ermaß. Auch Max Bill war ihm bekannt, denn die Polemik um Bills Vorträge zur brasilianischen Architektur war Diskussionsgegenstand auch der Studierenden und Professoren an der damals einzigen Architekturfakultät in Porto Alegre, der Faculdade de Arquitetura der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul (UFRGS).114 Dank eines DAADStipendiums konnte Weimer schließlich im März 1965 das Studium in Ulm aufnehmen, nachdem er noch ein Jahr an der Universität Brasília unterrichtet hatte. 1967 ging er nach Brasilien zurück und schließlich als Professor an die UFRGS, wo seine Forschungsarbeiten seitdem einen Bezug zu Deutschland
112 Die Bundesuniversität Universidade de Brasília (UnB) wurde zwei Jahre nach der Einweihung der neuen Hauptstadt eingerichtet und folgte im Wesentlichen dem Gründungskonzept ihres ersten Rektors, des Anthropologen Darcy Ribeiro, das beispielsweise eine Art zwei- bis dreijähriger Grundlehre in einem der acht zentralen Institute vorsah, dem das Studium einer Fachrichtung folgte. Vgl. u. a. Sonntag, Heinz Rudolf: Gespräch mit Darcy Ribeiro. In: Ribeiro, Darcy: Der zivilisatorische Prozeß, hrsg., übers. u. mit einem Nachw. von Heinz Rudolf Sonntag, Frankfurt am Main 1983, S. 258 und Ribeiro, Darcy: La Universidad de Brasília. In: Política: ideias para una América nueva, Caracas 1961, S. 28–43, dort S. 33 f. 113 Die Verfasserin zitiert hier den Filmemacher im Gespräch mit ihr am 23. März 2003 in Rio de Janeiro. 114 Dieser Absatz folgt den Erinnerungen, die Günter Weimer der Verfasserin Anfang 2003 am Telefon beschrieb, sowie in der E-Mail-Korrespondenz zwischen Mai und September 2003.
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haben. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei deutsch-brasilianische Themen, wie beispielsweise die von Deutschen in Brasilien gebauten Fachwerkhäuser.115 Über Isa Maria Moreira da Cunha konnten bis zur Fertigstellung dieser Untersuchung keine genaueren Informationen eingeholt werden. Ihre im HfGArchiv aufbewahrte Karteikarte nennt lediglich Geburtsdatum, Adresse und ihre einjährige Studiendauer, die im April 1965 wegen Ablauf des DAAD-Stipendiums endete. 4.3.2.3 Europäische HfG-Studierende in Brasilien Die Brasilianer nahmen unter den internationalen Studierenden an der HfG hinsichtlich der Anzahl einen vorrangigen Platz ein, und die dort geschlossenen kollegialen Freundschaften führten zuweilen zu Kooperationen in dem lateinamerikanischen Land. Ehemalige „HfG-ler“, deren beruflicher Werdegang nach Brasilien führte, waren: Karl-Heinz Bergmiller, Gui Bonsiepe, Edgar Decurtins, Walter Faigle, Alexander Neumeister. Ihre Wege, die im Folgenden auf der Basis ihrer Berichte und von Veröffentlichungen skizziert werden, vermögen eine stärkere Bindung zwischen Ulm und Brasilien als mit einem anderen Land widerzuspiegeln: Als Alexandre Wollner 1958 nach São Paulo zurückkehrte, arbeitete er zusammen mit Geraldo de Barros und Rubens Martins in dem von ihnen ins Leben gerufenen forminform, das als erstes Grafikatelier in Brasilien gilt.116 Wollners Studienkollege Karl-Heinz Bergmiller, der im selben Jahr wie Wollner die HfG verließ und Anfang 1959 sein Diplom erhielt, stieß hinzu und wurde im selben Atelier tätig. Gemeinsames Ziel war, eine neue Sicht der Gestaltung im Stile der HfG anzuwenden. Dazu gehörte die Entwicklung gesamter visueller Erscheinungsbilder beispielsweise für Unternehmen, die einheitlich vom Logo über Fragen der Unternehmenskommunikation bis hin zur Verpackung gestaltet wurden. Wollner selbst führt als Beispiel für diese übergreifende Gestaltung, wie sie zu der Zeit in Brasilien nicht üblich war, die Marke „Coqueiro“ an, für die forminform diese Aufgabe übernahm.117 In den 60er Jahren zog Bergmiller von 115 Vgl. z. B. Weimer, Günter: Arquitetura Popular da Imigração Alemã, Porto Alegre 1983 und ders.: Arquitetos Alemães no Sul do Brasil. In: Tópicos – DeutschBrasilianische Hefte, 41. Jahrgang, 3/2003 (Bonn), S. 22. 116 Vgl. Geraldo de Barros, Fotoformas, Buch zur Ausstellung im Wallraff-RichartzMuseum Köln, München/London/New York, 1999, S. 133. 117 Vgl. Wollner, A. 2003, S. 95 f. und ders.: vor ulm, in ulm, nach ulm – und 60 jahre in brasilien. In: Rückblicke, Die Abteilung Visuelle Kommunikation an der hfg Ulm 1953–1968, hrsg. von Barbara Stempel und Susanne Eppinger Curdes, Ulm 2010, S. 52–59, dort: S. 56 f.
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São Paulo nach Rio de Janeiro um, wo er die Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) mitbegründete, die nach dem Vorbild der HfG aufgebaut wurde.118 Später war Bergmiller für die Ausstellungsaufbaumaßnahmen im Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro zuständig. Auch den ehemaligen Studenten und Lehrer der HfG, Gui Bonsiepe, verbindet die ESDI mit Brasilien. Zahlreiche Studien im Bereich der Kommunikationswissenschaften gehen seiner Lehrtätigkeit in Rio de Janeiro voraus, wo er als Gastdozent eingetreten ist. Gleichzeitig lehrte er seit 1993 im Bereich des Designs an der Fachhochschule Köln und unterhielt ab 1983 eine Lehr- und Beratungsstätte für Design im südbrasilianischen Florianópolis.119 Dieses Laboratório Brasileiro de Desenho Industrial (LBDI) wurde mit dem Ziel eingerichtet, so schreibt Silvia Fernandez im Ausstellungskatalog zum 50. Gründungsjubiläum der HfG, „Lehrpersonal, insbesondere Hochschullehrer für Design, an Ort und Stelle aus- und weiterzubilden sowie kleine und mittlere Industriebetriebe der Region für gestalterische Aspekte zu interessieren“.120 Obwohl Bonsiepe seine Tätigkeit für das LBDI nach bereits drei Jahren beendete, wirkt er dort weiter, beispielsweise im Rahmen von Vorträgen und Kooperationen. Die ESDI verzeichnet einen weiteren ehemaligen HfG-Dozenten in ihrer Lehrerschaft: den Schweizer Edgar Decurtins. Familiäre Bindungen und berufliche Chancen waren ursächlich für seinen Brasilien-Aufenthalt. Zwei Jahre lang leitete er den Grundkurs der noch jungen Schule, doch 1966 verließ er Brasilien wieder und ging nach Europa zurück.121 Nach São Paulo ging auch der HfG-Absolvent Walter Faigle, der nach dem Studium an der Kunstakademie Stuttgart vorwiegend bei Bill in Ulm studierte. Faigle arbeitete als Gestalter zunächst in der Stadt São Paulo, heute hauptsächlich als Architekt auf der São Sebastião vorgelagerten Insel Ilhabela im Bundesstaat São Paulo.122 Auch Alexander Neumeister – in Deutschland vor allem bekannt durch die Entwicklung der Intercityexpress-(ICE-)Züge – ist Absolvent der HfG, an der er von 1964 bis 1968 studierte, und war später in Brasilien unternehmerisch tätig: Zusammen mit brasilianischen Partnern gründete er 1988 das Designbüro „NCR Rio“ in Rio de Janeiro, in dem technische Produkte entworfen werden, aber auch 118 Vgl. nachfolgendes Unterkapitel. 119 Vgl. z. B. Bonsiepe, G. 1987 und seine Homepage an der ESDI, www.esdi.uerj.br (Stand: September 2002). 120 Vgl. Fernández, S. 2003, S. 119. 121 Vgl. Wollner, A. 2003, S. 117. 122 Die Verfasserin traf den Architekten am 31. Dezember 2002 zu einem Gespräch in seinem Haus.
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gesamte Erscheinungsbilder und Ausstattungsprogramme für große Unternehmen.123 Eine Verbindung zur ESDI gibt es nicht; vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass das das Designbüro NCR wenig Übereinstimmungen mit der Arbeit der ESDI sieht: „Als ich das erste Mal an die ESDI ging, sah ich diese Plakate, dieselben wie in Ulm. Daher ging ich auf die Straße hinaus, wo die Wirklichkeit viel reicher war. ESDI war gut, aber eine Verbindung zum Herzen fehlte.“124 Diese Beobachtung des Industriedesigners Neumeister zeigt die Schwierigkeit, Neues zu vermitteln und gleichzeitig der Forderung gerecht zu werden, die bestehende Kultur dabei nicht nur nicht zu vernachlässigen, sondern sie in der Gestaltung sichtbar zu machen. Dennoch muss man auch den Unterschied zwischen einer (Hoch-)Schule und einem Designatelier berücksichtigen. An der einen wird gelehrt, und die Aktivitäten sowohl der heterogen besetzten Lehrerschaft als auch der Studierenden beschränken sich dabei nicht auf die Gestaltung von Plakaten, an denen sich Neumeister laut Borges orientierte; in einem kommerziellen Atelier hingegen produzieren Designer, die bereits eine Ausbildung abgeschlossen haben. Tatsächlich jedoch sahen sich diese – die vermeintlich aus Ulm „importierten“ Professoren125 – mit ähnlichen Problemen konfrontiert, als sie sich Anfang der 60er dem Projekt ESDI widmeten, wie zwanzig Jahre später Neumeister. Davon zeugt das nächste Unterkapitel. Nicht alle verlegten ihren Wohnsitz dauerhaft dorthin, doch alle Genannten übernahmen längerfristig verantwortungsvolle Aufgaben, wie dargestellt beispielsweise als Dozenten an der ESDI in Rio. Neben dem Brasilianer Alexandre Wollner haben sich mindestens drei der in diesem Unterkapitel genannten Personen in der ESDI engagiert, deren Inhalte sich heute noch an der HfG in Ulm orientieren. Als die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm gegründet wurde, gab es noch keine besondere Verbindung nach Brasilien. Erst mit den Verhandlungen zwischen Max Bill und Pietro M. Bardi im MASP über eine Einzelausstellung zu Bills Werk begann ein Wechselspiel, das, wie gezeigt wurde – sowohl in Brasilien als auch in Deutschland und der Schweiz – weitreichende Folgen in der Kunst und der Kunstvermittlung hatte.
123 Vgl. Buck, Alex (Hg.): Alexander Neumeister. Designermonographien 8, Frankfurt am Main 1999, S. 80 und 133. 124 Zitiert bei Borges, Adélia: Leben ist die Kunst der Begegnungen. Alexander Neumeister und Brasilien – eine Liebesgeschichte. In: Buck, Alex (Hg.): Alexander Neumeister. Designermonographien 8, Frankfurt am Main 1999, S. 120. 125 Adélia Borges über die ersten Lehrer an der ESDI. Vgl. ebd.
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4.3.2.4 Institutionelle Spuren der HfG in Brasilien: die Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) Die Escola Superior de Desenho Industrial wurde per Dekret 1443 am 25. Dezember 1962 in Rio de Janeiro ins Leben gerufen, als sogenanntes „órgão relativamente autônomo da Secretaria de Educação e Cultura do Estado de Guanabara“.126 An der Gründung dieser an den Bundesstaat Guanabara127 gebundenen Einrichtung waren neben den Persönlichkeiten aus dem Umfeld des MAM128 und der Politik maßgeblich beteiligt: Alexandre Wollner und KarlHeinz Bergmiller, außerdem Aloísio Magalhães und Orlando Luiz Souza Costa, die ihre Ausbildung in den USA gemacht hatten, sowie Maurício Roberto als erster Direktor.129 Am 10. Juli 1963 wurde sie offiziell vom Gouverneur Carlos Lacerda eingeweiht.130 Inhaltliches Ziel war es, der wachsenden Zahl von nationalen Produkten eine angemessene Form zu geben. Dies war bereits Anliegen von Niomar Sodré und Carlos Flexa Ribeiro am MAM, als 1956 Tomás Maldonado dorthin eingeladen worden war. Allerdings konnte die Idee zunächst vom MAM allein nicht umgesetzt werden, weshalb es bis 1960 dauerte, bis Flexa Ribeiro – inzwischen in einem politischen Amt – sich der Sache erneut annahm. In der Zwischenzeit waren die jungen HfG-Absolventen Wollner und Bergmiller „greifbar“, nämlich vor Ort in Brasilien, die sodann in die Planung miteinbezogen wurden und die Maldonados Konzept für den Lehrplan an der ESDI umsetzen sollten. Dies sah eine Grundlehre für alle Studierenden vor, auf die die weiteren Kurse vorerst in den Abteilungen Desenho Industrial (Produktgestaltung) und Comunicação Visual (Visuelle Kommunikation) folgten.131 Das sind zwei der in Ulm angebotenen fünf Abteilungen, die wiederum wie an der HfG in Bereiche unterteilt 126 Pereira de Souza, P. L. 1996, S. 44. 127 Guanabara hieß der Stadtstaat, der 1960 aus der ehemaligen Bundeshauptstadt Rio de Janeiro hervorgegangen ist. Erst 1975 wurde Rio de Janeiro Hauptstadt des gleichnamigen – und größeren – Bundesstaates, dessen Hauptstadt bis dahin Niterói war. 128 Hier ist insbesondere die damalige Direktorin Niomar Sodré zu nennen, die 1956 die HfG in Ulm bereits mit der Intention besucht hatte, in Rio de Janeiro eine ähnliche Schule aufzubauen. Vgl. Wollner, A. 2003, S. 63. 129 Vgl. Aquino, Flávio de: Escola Superior de Desenho Industrial. In: Módulo no 34, August 1963. Hinzu kamen Goebel Wayne aus Ceará, der ähnlich wie Wollner Anfang der 50er Jahre die Kurse im MAM und MASP in São Paulo frequentierte, und Edgar Decurtins, der zum ersten Semester 1964 in die ESDI eintrat. Vgl. Pereira de Souza, Pedro Luiz: esdi – biografia de uma idéia, Rio de Janeiro, 1996, S. 96. 130 Vgl. Pereira de Souza, P. L. 1996, S. 91. 131 Vgl. Wollner, A. 2003, S. 114 f.
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wurden. Im Vordergrund standen dabei – wie es schon die ersten Programme der HfG vorsahen – die kulturelle Integration (Integração Cultural), des Weiteren beispielsweise Projektentwicklung oder Technologie. Ähnlich wie an der HfG ab dem Studienjahr 1957/1958, als das Rektoratskollegium mit Maldonado als Vorsitzendem das Curriculum reformierte,132 wurden auch an der ESDI theoretische Fächer, wie Soziologie oder Wirtschaft, verstärkt in den Lehrplan aufgenommen. Ein Hinweis in der Broschüre, die für die neue Hochschule warb, und in der der Lehrplan abgedruckt wurde, zeigt die Absicht, Fächer hinzuzufügen: „De acôrdo com o desenvolvimento da Escola, outros setores ou cursos poderão ser criados.“133 Eine ausführliche historische Darstellung der ESDI, die eingangs eine vergleichende Betrachtung mit dem Bauhaus und ihrem direkten Vorbild, der HfG, enthält, gibt Pedro Luiz Pereira de Souza im Jahre 1996. Als ehemaliger Student, Dozent, stellvertretender Leiter und anschließend Direktor der ESDI sicherlich nicht ganz unbefangen, gelingt es ihm dennoch, auf der Grundlage zahlreicher Protokolle und anderer Schulakten diese Einrichtung kritisch zu betrachten. Neben der Institutionsgeschichte, in der u. a. die maßgeblich beteiligten Personen in ihren entsprechenden Funktionen nicht nur in der Lehre, sondern auch bei der Gründung der ESDI beschrieben werden und dabei stellenweise Anekdotenhaftes berichtet wird,134 ist es der Vergleich zwischen den Inhalten der HfG und der ESDI, den er zur Erfolgsbewertung der Einrichtung hinzunimmt. Deutlich wird das Interesse einiger Involvierter, die HfG möglichst in ihrer Ulmer Form in der ESDI weiterleben zu lassen, das dem anderer Beteiligter gegenüberstand, das Ulmer Modell den brasilianischen Verhältnissen anzupassen. Ähnlich wie in Ulm gab es ein demokratisches Ideal, nach dem mittels eines Beirates (Conselho Consultivo) und einer Vollversammlung (Assembléia Geral) die Mitbestimmung sowohl des gesamten Lehrkörpers wie auch der Studierenden 132 Zum Ausbildungsprogramm der HfG ab 1958 vgl. Rinker, Dagmar: „Produktgestaltung ist keine Kunst“ – Tomás Maldonados Beitrag zur Entstehung eines neuen Berufsbilds. In: ulmer modelle, modelle nach ulm / hochschule für gestaltung ulm 1953–1968, hrsg. von Ulmer Museum/HfG-Archiv, Ostfildern-Ruit 2003, S. 38–49. 133 Übersetzung durch die Verf.: „Gemäß der Entwicklung der Schule können weitere Bereiche und Disziplinen neu eingeführt werden“. Vgl. ESDI – Escola Superior de Desenho Industrial, Broschüre hrsg. von der Secretaria de Educação e Cultura do Estado de Guanarabara, Rio de Janeiro 1964, S. 26. 134 Vgl. z. B. die detailreiche Darstellung einer Bibliothekarin, die man mit finanzieller Unterstützung des brasilianischen Außenministeriums habe einstellen können, deren Arbeit jedoch offenbar nicht das gewünschte Ergebnis brachte. Vgl. Pereira de Souza, P. L. 1996, S. 99.
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gewährleistet war. „In der ESDI gab es stets Raum für verschiedene Orientierungen,“135 schreibt Pereira de Souza, eine Beschreibung, wie sie auch auf das Bestreben der HfG zutraf, deren Pädagogik von Anfang an darauf abzielte, „die studenten nicht nur zu gestaltern auszubilden, sondern ihre persönlichkeitsbildung durch umfassende geistes- und sozialwissenschaftliche anregungen zu stärken und zu verfeinern.“136 Die ESDI beruft sich nach fast fünfzig Jahren Existenz nach wie vor auf die HfG – wenn auch der Lehrplan von 1963 längst verändert und den aktuellen Erfordernissen angepasst wurde und beispielsweise die Homepage der ESDI keinen deutlichen Bezug zur HfG mehr aufweist. Dennoch gibt es die ehemaligen „HfG-ler“ Bergmiller, Bonsiepe und Wollner an der ESDI, die dort Gastvorträge und Workshops abhalten, mit denen die Verbindung bestehen bleibt, und darüber hinaus unterhält die ESDI eine Partnerschaft mit der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch-Gmünd, die ihre konzeptuelle Anlehnung an die HfG Ulm im historischen Abriss in ihrem Internetauftritt darlegt: „Die Einflüsse des Bauhauses und der Hochschule für Gestaltung Ulm sind prägend für die Lehrauffassung der gestalterischen Grundlagen der HfG [Schwäbisch-Gmünd].“137 1975 verlor die ESDI ihre bis dahin institutionelle Unabhängigkeit und wurde im Zuge der Verwaltungsreform in die Universität von Rio de Janeiro (Universidade do Estado do Rio de Janeiro) integriert. Dementsprechend musste sie den dort üblichen Bedingungen angepasst werden, um sich im Bildungssektor zu etablieren. Dennoch wird der Bezug zur HfG und mit ihm der zum Bauhaus trotz vieler zeitlich bedingter Anpassungen an aktuelle Begebenheiten immer wieder aufgezeigt und gehört mit zur Identität der ESDI.138 Resümierend ist festzuhalten, dass die Biennale São Paulo in ihren ersten Jahren und Jahrzehnten bei der Verbreitung von Bauhaus und HfG eine nicht zu unterschätzende Rolle einnahm, womit auf ein Bedürfnis nach Modernität in Design, Kunst und Architektur reagiert wurde, die der Aufschwung in Brasilien mit sich brachte. Angefangen von der I. Biennale, für die Max Bills Skulptur „Dreiteilige Einheit“ vom MASP übernommen wurde, über ihre folgenreiche Prämierung bis hin zu diversen aufgezeigten Bauhaus-Bezügen bei mehreren Biennalen. Max Bill fungierte in Brasilien als Multiplikator der HfG im besten Sinne, was von seinen Kollegen und Nachfolgern in der HfG – beabsichtigt oder nicht – weitergeführt wurde.
135 Vgl. Pereira de Souza, P. L. 1996, S. 134. 136 Vgl. Spitz, R. 2002, S. 22. 137 Vgl. www.hfg-gmuend.de/hochschule/geschichte/index.html (Stand: Mai 2011). 138 Vgl. www.esdi.uerj.br (Stand: September 2006).
5 Resümee Die Bedeutung der Biennale São Paulo für die deutsch-brasilianischen Beziehungen
Der Ibirapuera-Park ist heute ein etablierter Ort für Kunst. Nicht nur die Biennale São Paulo hat dort seit ihrer zweiten Ausrichtung ihren angestammten Platz. Inzwischen befinden sich das MAM, ein Teil des MAC sowie das Museu Afro Brasil1 und die für temporäre (Kunst-)Ausstellungen gedachte Oca auf diesem Gelände. Zweifellos ist es der Existenz der Biennale mitzuverdanken, dass der Ibirapuera-Park diese Entwicklung durchlief, denn sie erzielte von Anfang an hohe Besucherzahlen und wurde dank ihres Renommees zu einer wichtigen Instanz im nationalen wie internationalen Kunstbetrieb. Die Ausstellungshäuser profitieren voneinander und sprechen im Idealfall ihr Programm miteinander ab, und seit 2005 findet im Gebäude der Biennale zusätzlich die alljährliche, an Ausstellern und internationaler Bedeutung wachsende Kunstmesse sp-arte statt, deren Organisatoren selbst im Krisenjahr 2009 von Wachstum und gestiegenen Verkaufszahlen sprechen.2
1
Das Afrobrasilianische Museum wurde 2004 gegründet und ist Forschungsstätte sowie Ausstellungshaus für Geschichte und Kultur der Bevölkerung afrikanischer Herkunft in Brasilien. Vgl. http://www.museuafrobrasil.org.br.
2
Ein Artikel in der brasilianischen Wirtschaftszeitung Gazeta Mercantil vom 19. 5. 2009, dem Pressespiegel der Messe entnommen, gibt die Zufriedenheit der Organisatoren wieder. Vgl. N. N.: SP Arte mostra que setor ignora crise, Gazeta Mercantil/Caderno D, S. 8 (http://www.sp-arte.com/imprensa/clipping/clipping2009.php? &action=showClip&clip12_cod=231; letzter Zugriff: Januar 2012). Die sp-arte verdoppelte in ihren ersten sechs Jahren die Zahl der teilnehmenden Galerien von 40 (2005) auf 80 (2010) und verzeichnet Zuwachs in der Ausstellungsfläche, den verkauften Werken sowie den vertretenen Künstlern. Vgl. www.sp-arte.com.
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Die Biennale São Paulo wirkte sich aber auch auf andere Bereiche der Stadt – wie auf den Kunstmarkt – und weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinweg aus. Sie gelangte zu internationaler Bedeutung und hat sich diese bis heute bewahren können, was u. a. die immer noch wachsende internationale Teilnehmerzahl beweist. Auch für die Bundesrepublik Deutschland ist die Biennale São Paulo zu einer festen Größe geworden, an der sie sich seit 1951 ohne Ausnahme beteiligt. Das Auswärtige Amt der noch jungen Bundesrepublik und mit ihm sein Kulturreferat waren gerade gegründet worden, als die Einladung zu einer Kunstausstellung in São Paulo – zur I. Biennale – einging und man über deren Annahme entscheiden musste. Eine Auswärtige Kulturpolitik im eigentlichen Sinne war noch nicht entwickelt und umfangreichere Kunstprojekte noch nicht gefördert worden. Die Biennale São Paulo war demnach eines der ersten größeren Projekte, mit denen sich die noch nicht vollends konsolidierte Kulturabteilung beschäftigte. In dieser Phase wurden kulturpolitische Richtlinien festgelegt und Strukturen geschaffen, auf die in den darauffolgenden Jahrzehnten aufgebaut werden konnte und die zum Teil bis in die Gegenwart gelten. Insofern stellt die Biennale São Paulo ein geeignetes Beispiel dar, um die Entwicklung der vom Auswärtigen Amt ausgehenden Kulturpolitik aufzuzeigen. Diese Arbeit behandelte demnach drei Hauptaspekte: Die deutsch-brasilianischen (Kultur-)Beziehungen nach der Gründung der Bundesrepublik, die Gründungsgeschichte der Biennale São Paulo und die Nachhaltigkeit der bundesdeutschen Beteiligung an dieser Ausstellung, vor allem gemessen an den Folgen der ersten Biennalen und im erweiterten Zusammenhang mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Die Gründungsgeschichte der Biennale São Paulo gibt gleichzeitig einen Eindruck von der zu einer Kulturstadt heranwachsenden Metropole, die noch unvorbereitet gewesen war auf ein derartiges Kunstereignis,3 dessen Wirkung dementsprechend durchschlagend war. Ihre Betrachtung erfolgte im Zusammenhang mit der Arbeit des Auswärtigen Amtes als eines Teilbereiches der deutschen Nachkriegspolitik und lässt Schlüsse zu in Bezug auf die konkrete Bedeutung der Biennale São Paulo für die Bundesrepublik sowie im erweiterten Zusammenhang die Bedeutung Brasiliens für Deutschland. Am Beispiel des Amtes des Kulturattachés wird deutlich, dass anfangs noch eine unklare Vorstellung vorherrschte darüber, was Kulturarbeit im Ausland 3
Vgl. z. B. Farias, Agnaldo: Kunst auf unerprobtem Terrain – Gedanken zu den Biennalen von São Paulo und Havanna. In: Havanna/São Paulo, Junge Kunst aus Lateinamerika, Katalog Haus der Kulturen der Welt, Berlin 1995, S. 14–18, dort: S. 15 und Brill, A. 1984, S. 191.
5 R ESÜMEE – D IE B EDEUTUNG
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bedeuten könnte, und dass die zuständigen Beamten eine umfassende Überzeugungsarbeit zugunsten dieser Aufgabe zu leisten hatten. Diese Grundlagen wurden entscheidend von Experten mitgetragen, die bereits vor Eintritt in die Regierungsbehörden auf kulturell-wissenschaftlichem Gebiet tätig gewesen waren und demnach nicht nur eine auf die Behörde und ihre Verwaltung ausgerichtete Sicht hatten. Insbesondere bei Salat und Peiser finden sich interessante Überlegungen zur Auswärtigen Kulturpolitik, die die Inhalte derselben mitformten. Bilaterale Beziehungen sind stets Schwankungen unterworfen und bedürfen einer ständigen Überprüfung. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen, bei der man an alte Verbindungen aus der Vorkriegszeit anknüpfte. Die Bundesrepublik bezog sich schließlich auf diese vormaligen deutsch-brasilianischen Beziehungen, während die DDR später ohne diese traditionellen Bindungen gänzlich neue Strukturen aufbaute. Eine tiefergehende Analyse der Beziehungen zwischen Brasilien und der DDR musste hier leider ausbleiben, doch würde sich diese in einer weitergehenden Untersuchung zweifelsohne sehr lohnen. Trotz der relativ kurzen Zeitspanne, in der die DDR als Teilnehmerstaat bei der Biennale São Paulo auftrat, würde eine Betrachtung der dazugehörigen Dokumente in den Archiven der Biennale und des Auswärtigen Amtes, in dem die Unterlagen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten aufbewahrt werden, sicherlich aufschlussreiche Zusammenhänge bezüglich der jeweiligen außenpolitischen Interessen zutage fördern. Brasilien nahm für die Bundesrepublik eindeutig eine Sonderstellung ein, allein schon deshalb, weil dieses Land eine aufgrund von diversen Einwanderungswellen starke deutsche Präsenz aufwies. Dies hat sich besonders bei der Beschreibung der Bestandsaufnahme des Botschafters gezeigt, der sich auf „das Deutsche in Brasilien“ konzentrierte. Für die Außenpolitik der Bundesrepublik war diese deutsche Präsenz in Brasilien ein bedeutender Anknüpfungspunkt für nicht von der Hand zu weisende wirtschaftliche Interessen. Damit einher ging die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder einsetzende deutsche Einwanderung, die den erneuten Einstieg der deutschen Wirtschaft in Brasilien erleichterte. Auch auf brasilianischer Seite gab es einen wirtschaftlichen Hintergrund, vor dem die Biennale entstand. Der Initiator Francisco Matarazzo Sobrinho, Unternehmer und Politiker mit einem starken kulturellen Interesse, schaffte es, versierte Personen des kulturellen Lebens zu gewinnen, aber auch seine kommerziellen Kontakte geltend zu machen. Dies äußerte sich zunächst darin, dass er für die Biennale Partner in der Wirtschaft suchte, beispielsweise zur Bereitstellung von Preisen, doch im weiteren Verlauf auch in der Funktion der Biennale, die – etwa bei der Eröffnung – auch zu einer Plattform wurde für Unternehmer und Diplomaten.
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Die Biennale São Paulo wurde zu einer institutionellen Größe für das Auswärtige Amt. Das folgende Zitat zeigt das schon früh gewachsene Vertrauen in eine ernstzunehmende Veranstaltung, für die seither regelmäßig – alle zwei Jahre – Steuergelder der Bundesrepublik eingesetzt werden: „Nach allen Erfahrungen, die wir bisher mit dem Museu de Arte Moderna de São Paulo anlässlich der früheren Biennalen gemacht haben, herrscht dort die grösste Aufgeschlossenheit und Kontaktfreudigkeit.“4 Umgekehrt ist die Bundesrepublik stets wichtiger und verlässlicher Partner der Biennale gewesen. Ein deutscher Chefkurator bei den Biennalen 2002 und 20045 wäre sicherlich nicht möglich gewesen ohne eine kontinuierliche Beteiligung der Bundesrepublik, wozu gelegentlich auch Sonderausstellungen gehörten. Der Standort São Paulo erwies sich als signifikant in dem Sinne, dass die Biennale in einer anderen Stadt Brasiliens kaum einen vergleichbaren Erfolg verzeichnen würde. Die wirtschaftlichen, demographischen und selbst kulturellen Voraussetzungen waren gegeben, um das Interesse der potenziellen Gastländer zu wecken. São Paulo, das sowohl Ausländer als auch Brasilianer anderer Regionen und damit Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit anzog, ließ es zu, die verschiedenen Interessen miteinander zu verweben. Zuweilen wird an einem solchen Kunstort an der „Peripherie“ immer noch Exotischeres als auf einer Kunstausstellung in den vielleicht vermeintlichen Zentren erwartet. Doch sind das Erwartungen, die mit der Realität São Paulos als Einwandererstadt nicht nur lateinamerikanischer Immigranten, sondern in enormer Zahl auch mittel- und südeuropäischer Einwanderer, nicht übereinstimmen. Die Biennale hätte in keiner anderen Stadt Brasiliens als São Paulo, das nicht zuletzt wegen seiner Demographie mitunter als das „New York des Südens“6 bezeichnet wird, diese internationale Aufmerksamkeit dauerhaft auf sich ziehen können. 4
PAAA, B 95, Dr. Münscher an die Deutsche Sektion des Internationalen TheaterInsituts e.V., Frau Dr. Ingvelde Müller, am 3. Juni 1957.
5
Im Gegensatz zu vielen anderen periodischen Ausstellungen wurde in São Paulo bislang stets ein Kunstexperte aus dem eigenen Land ernannt. Inmitten einer ernsthaften Krise jedoch entschloss man sich zu einem Außenstehenden als Kurator. Alfons Hug brachte als ehemaliger Leiter des Goethe-Insituts in Brasília und mit weiteren beruflichen Erfahrungen in Brasilien das nötige Rüstzeug für eine solche Unternehmung mit. Für die Biennale 2006 jedoch ist mit Lisette Lagnado bereits wieder eine Person brasilianischer Nationalität ernannt worden. 2008 übernahm Ivo Mesquita dieses Amt, 2010 das Team Agnaldo Farias und Moacir dos Anjos und 2012 Luis PéresOramas aus Venezuela.
6
Vgl. z. B. Alfons Hug in: 25a Bienal de São Paulo: Iconografias metropolitanas – Países, Katalog Fundação Bienal de São Paulo, 2002, S. 17 f.
5 R ESÜMEE – D IE B EDEUTUNG
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Inwieweit die Biennale jedoch die Kunst des gesamten Brasiliens vertritt und nicht nur einen Schauplatz von Derivaten westlicher Kunst bietet, ist an dieser Stelle nur schwer zu beantworten und bedürfte einer weiteren Untersuchung unter genauer Betrachtung der ausgestellten Werke. Ganz deutlich ist zweifellos der stetige Blick Brasiliens in Richtung der Industrienationen und in die sogenannte Alte Welt, was sich allein schon an der Tatsache ersehen lässt, dass die Biennale São Paulo nach dem Vorbild der Biennale Venedig entstanden ist. Die Untersuchung brachte zudem zutage, wie diese Bindungen gepflegt wurden. Max Bill als Preisträger wurde trotz seines unbequemen Umgangs immer wieder zu Rate gezogen; ihm gebührte ein fachlicher Respekt, der Wurzeln schlug. Der Schweizer Max Bill nimmt eine Schlüsselrolle ein bei der Untersuchung der Wirkung, die die Biennale São Paulo für die deutsch-brasilianischen Beziehungen ausübt. Es ist nicht nur die Orientierung einiger Künstler an seiner Arbeit, auch institutionell hat sein Engagement in São Paulo Früchte getragen. Durch die Mitwirkung der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die Bill mitprägte, und ihrer brasilianischen Studierenden, ist die Escola Superior de Desenho Industrial in Rio de Janeiro entstanden, die zu einer renommierten Lehrstätte gewachsen ist. Die vorliegende Arbeit stellt einen Mosaikstein innerhalb der Forschungen zur Auswärtigen Kulturpolitik der jungen Bundesrepublik Deutschland im bilateralen Austausch mit Brasilien dar und kann Ausgangspunkt für weitergehende Untersuchungen sein. Dazu zählt neben dem Kulturaustausch zwischen Brasilien und der DDR und den erwähnten direkten Einflüssen auf die Kunst speziell Bills Wirkung auf einzelne Kunstschaffende. Von besonderem Interesse sind im kulturpolitischen Kontext die Aktivitäten der deutschen Kunsthistoriker, die für längere Zeit oder gar bis ans Ende ihres Lebens in Brasilien wirkten. Die Betätigungen der beiden Experten Georg Hoeltje und Wolfgang Pfeiffer sind für diesen Zusammenhang ausreichend untersucht worden, doch bieten sie weitaus mehr Informationen, die Licht bringen würden in die kulturpolitischen Verhältnisse gerade des ausgehenden „Dritten Reiches“ und der direkten Nachkriegszeit. Die Geschichte der Biennale São Paulo dient als Beispiel dafür, wie Auswärtige Kulturarbeit Früchte tragen kann. Sie hat es nicht nur geschafft, bis heute in ihren regelmäßigen Abständen von zwei Jahren stattzufinden; als internationales Forum ist sie verantwortlich für einen Teil des globalen Netzes, von dem nicht nur in Brasilien profitiert wird. Sie hat dazu beigetragen, dass während der Biennale-Wochen, in denen stets ein großes Publikum aus vielen Teilen der Welt nach São Paulo kommt, die künstlerische Welt zusammenwuchs.
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Sie hat zudem dazu beigetragen, die bi- oder gar internationalen Beziehungen zu beflügeln und sie über die eigentliche Aufgabe der Kunstvermittlung hinaus zu stärken. Gerade in der jüngeren Zeit werden massive Kürzungen vorgenommen in den Haushalten der Mittlerorganisationen des Auswärtigen Amtes, die einen Gutteil der internationalen kulturellen Zusammenarbeit leisten. Die Gefahr besteht, dass langfristig Bindungen aufgelöst werden, die über viele Jahre hinweg aufgebaut worden sind. Ob daran in der Zukunft wieder angeknüpft werden kann, ist fraglich, da Kontinuität die Voraussetzung für gute Beziehungen ist. Auslandsstipendien, Förderprogramme und Projekte der internationalen Begegnung sind Investitionen für die Zukunft, die feste Bindungen schaffen und letztlich sogar der globalisierten Wirtschaft dienen. Die Geschichte der Biennale São Paulo im Kontext der Auswärtigen Kulturpolitik zeigt, wie von einer großen Ausstellung bzw. Institution Impulse ausgehen können, die Wirkung auf verschiedenen Ebenen zeigen. Die Biennale São Paulo hat sowohl die Kunst- und Kulturszene der Stadt São Paulo und die Brasiliens mitgeprägt als auch Bindungen ermöglicht zwischen Brasilien und anderen Ländern, die wie im Falle der Bundesrepublik weitere Kultur- und Bildungsarbeit zugelassen haben. Abgesehen davon trägt sie immer wieder auch als diplomatische Plattform dazu bei, die bestehenden bilateralen Beziehungen aufrechtzuerhalten und zu stärken und hilft dadurch, einen „Beitrag zur Gestaltung einer friedlichen Weltordnung“7 zu leisten.
7
Maaß, K.-J. 2005, S. 14.
Quellen- und Literaturverzeichnis
I Q UELLENVERZEICHNIS Dokumente und Interviews 1. Dokumente in Archiven a. Arquivo Histórico Wanda Svevo/Fundação Bienal de São Paulo (AHWS/FBSP), São Paulo (Sortierung nach Datum; Angabe von Signaturen, sofern vorhanden.)
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Box 1/07, Briefwechsel zwischen Francisco Matarazzo Sobrinho und Equitativa: Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho am 25. Juli 1950 und AntwortBrief von Equivativa vom 9. August 1950. Box 1/07, Brief von Companhia de Seguros da Bahia, 27. 10. 1950. Entwürfe und Fotos vom Gebäude der I. Biennale, angefertigt im Architekturbüro von Luis Saia. Brief an den Brasilianischen Konsul in Frankfurt am 15. Januar 1951, unterzeichnet von Francisco Matarazzo Sobrinho und Lourival Gomes Machado. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an Louis Schuler am 21. Februar 1951. Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an den Bürgermeister der Stadt São Paulo, Armando de Arruda de Pereira, am 27. Februar 1951. Brief des Ministro da Suiça in Rio de Janeiro an Francisco Matarazzo Sobrinho am 26. März 1951. Antwortschreiben von Louis Schuler an Francisco Matarazzo Sobrinho am 6. April 1951. Brief von Francisco Matarazzo Sobrinho an Pimentel Brandão am 9. April 1951 mit angehängter englischsprachiger Einladung an den Bundeskanzler Adenauer von Francisco Matarazzo Sobrinho am 16. April 1951. Box 1/01, Verbalnote von Frahne an die Brasilianische Mission am 20. Juni 1951. Box 1/01, Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho am 28. Juni 1951 an den Ministro do Brasil in Bonn, R. J. dos Guimarães Bastos. Box 1/01, Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an Frahne in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes am 29. Juni 1951. Box 1/01, Anlage zum Brief von Ludwig Grote an die Biennale am 24. August 1951. Box 1/01, Brief Grote an Francisco Matarazzo Sobrinho am 11. 9. 1951. Schreiben von Grote an Francisco Matarazzo Sobrinho am 4. 10. 1951. Brief von Wolfgang Pfeiffer an Max Bill am 13. Oktober 1951. Telegramm der Deutschen Botschaft in Rio de Janeiro an Francisco Matarazzo Sobrinho am 13. 10. 1951. Sitzungsprotokoll vom 22. Oktober 1951, Museu de Arte Moderna. Brief von Francisco Matarazzo Sobrinho an Botschafter Oellers am 23. November 1951. Box 1/07, Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an Max Bill am 20. Dezember 1951. Box 1/07, Schreiben von Francisco Matarazzo Sobrinho an Max Bill am 28. Dezember 1951.
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LITERATURVERZEICHNIS
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Schreiben von Karl Fouquet in Form einer Pressemitteilung, São Paulo, 18. 12. 1948, Archiv des Martius-Staden-Instituts, G IV f, nº 8. N.N.: Brasil e Alemanha, Renovam-se, mais vigorosos e mais expressivos, os laços que unem os dois paises. In: A Gazeta (São Paulo), 13. 12. 1951, Archiv des Martius-Staden-Instituts, N I, Nr. 157/8. Turelli, Hamilcar: Ansprache, gehalten von Dr. Turelli am 25. 6. 1959. Archiv des Martius-Staden-Instituts, Mappe Fouquet, Privat I. Schreiben von Dieter Braun an den Präsidenten des Hans-Staden-Instituts Hamilcar Turelli am 26. Juni 1964. Martius-Staden-Institut, ohne Signatur. Instituto Goethe – Centro Cultural Brasil-Alemanha, Estatutos (Statuten), Registrado em 29 de outubro de 1970 do 2o Ofício de Registro de Títulos e Documentos da Capital de São Paulo, sob no 9648 – Livro „A“ – no 7, Mappe Goethe-Institut. j. Archiv Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn Chronik Kunsthistorisches Institut Bonn, Bd. 2. Mappe „Georg Hoeltje“: Schreiben von Hoeltje an Stange am 5. Dezember 1938. Mitteilung des Vaters Hoeltje an die Universität Bonn am 5. Oktober 1939. k. Universitätsbibliothek Marburg Schreiben von Richard Hamann-Mac Lean an Wolfgang Pfeiffer am 2. 1. 1950 und 18. 3. (o. J., vermutlich 1950), Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass Richard Hamann, Ms. 1026 B Pfeiffer, Wolfgang. l. Munzinger-Archiv/Internationales Biographisches Archiv 25. 2. 1978 – Lieferung 8/78 – P – 3307 und 3307a. m. Exilsammlung der Deutschen Bibliothek, Frankfurt Nachlass Martha Brill: Korrespondenz zwischen Dr. Marte Brill und dem Verlag sowie der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, Mappe II.
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n. Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N. Sternberger, 89.10.6231/1-28, Briefwechsel Werner Peiser mit Dolf Sternberger. o. Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde Mikrofilmserie PK 1090, Filmnr. J 71, Nr. 453. Kunstschutz. p. Sonstiges Promotionsurkunde Wolfgang Pfeiffer, 21. April 1941, Kopie des Originals im Besitz der Verfasserin. 2. Interviews, persönliche Gespräche und Korrespondenz Radha Abramo: 10. Januar 2003 (São Paulo). Karl-Heinz Bergmiller: 22. März 2003 (Rio de Janeiro). Jorge Bodanzky: 23. März 2003 (Rio de Janeiro). Gui Bonsiepe: 29. Oktober 2002 (Köln). Haroldo de Campos (†): 29. November 1999 (São Paulo). Frauke Koch-Weser Decurtins: 15. Oktober 2002 (Telefongespräch); 21. August 2003 (Stäfa/CH). Walter Faigle: 31. Dezember 2002 (Ilha Bela, São Sebastião). Hans Günter Flieg: 20. Januar 2003 und 3. Februar 2003 (São Paulo). – Es folgten weitere Gespräche und Telefonate bis in die Gegenwart. Eugen Gomringer: 5. Juni 2003 (Telefongespräch). Ferreira Gullar: 23. März 2003 (Rio de Janeiro). Luiz Sadaki Hossaka: Juni 2005 (São Paulo). Antonio Maluf (†): 7. Januar 2003 (São Paulo). Almir Mavignier: Mai 2002 (Hamburg). Flavio Motta: 7. April 2003 (São Paulo). Wolfgang Pfeiffer (†): 25. November 2002 und 24. Januar 2003 (Itanhaém). Günter Weimer: Emailkorrespondenz zw. Mai 2003 und September 2003. Goebel Weyne: 24. März 2003 (Rio de Janeiro). Alexandre Wollner: 29. November 2002 (São Paulo). – Es folgten weitere Gespräche und Emailnachrichten bis in die Gegenwart. Mario Zocchio: 23. Mai 2005 (São Paulo).
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Abbildungen
T EIL I Fotografien von Hans Günter Flieg (größtenteils aus folgenden Serien): São Paulo, anos 40: São Paulo, 40er Jahre Demolição: Das Belvedere do Trianon während der Abrissphase, 1951 Iª Bienal: Bilder der I. Biennale São Paulo, 1951
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1. Das Belvedere do Trianon vor seinem Abriss. Links: Blick ins Stadtzentrum von São Paulo. Serie: Demolição.
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2. Das Belvedere do Trianon vor seinem Abriss. Mit Bauzaun entlang der Avenida Paulista. Serie: Demolição. 3. Das Belvedere do Trianon während der Abrissphase. Serie: Demolição.
A BBILDUNGEN
4. Das Belvedere do Trianon kurz vor seinem Abriss. Ecke Av. Paulista (rechts)/Rua Plínio Figueredo (abschüssige Straße). Serie: Demolição.
5. Blick vom Belvedere do Trianon über die Straße Nove de Julho in Richtung Stadtzentrum. Balustrade des Belvedere in der linken Ecke sichtbar. Serie: São Paulo, anos 40.
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6. Abrissgelände mit der heute nicht mehr existenten Straßenbahn und der Altstadt am linken Horizont. Serie: Demolição.
7. Abrissgelände mit Lastwagen. Serie: Demolição.
A BBILDUNGEN
8. Blick auf das Kunstmuseum São Paulo (MASP), Architektin: Lina Bo Bardi, São Paulo, 1968. 1951 stand hier das Gebäude der I. Biennale.
9. Blick vom Trianon-Park auf die Fassade des fertiggestellten Biennale-Gebäudes. Serie: Iª Bienal.
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10. Das Gebäude der Iª Bienal do Museu de Arte Moderna. Serie: Iª Bienal. 11. Der rechte Teil der Fassade auf der Av. Paulista – hier mit offener brasilianischer Flagge. Serie: Iª Bienal.
A BBILDUNGEN
12. Blick in das Biennale-Gebäude – hier: französischer Beitrag. Serie: Iª Bienal. 13. Max Bill, Dreiteilige Einheit, 1948/49, 1. Preis in Bildhauerei. Serie: Iª Bienal. Die Skultpur befindet sich heute im Museu de Arte Contemporânea der Universität von São Paulo (MAC-USP).
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14. Antônio Maluf, Plakatentwurf für die I. Biennale. Serie: Iª Bienal.
T EIL II 15. Alexandre Wollner, Plakatentwurf für III. Biennale.
A BBILDUNGEN
16. Fotokampagne Frankreich 1940/41. Wolfgang Pfeiffer, André, Danneel.
17. Rampillon, Wolfgang Pfeiffer (Mitte, halb verdeckt), Gustav André (rechts), 1940/41.
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A BBILDUNGEN
18. N.N.: Brasil e Alemanha,Renovamse, mais vigorosos e mais expressivos, os laços que unem os dois paises. In: A Gazeta (São Paulo), 13. 12. 1951
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19. N.N.: „O Museu de Arte procura „alguem“. In: Diário de São Paulo (São Paulo), 1947 (ohne Tag).
A BBILDUNGEN
20. „Ata“, Gründungsprotokoll Galeria de Arte Moderna de São Paulo, 10. Mai 1947.
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21. Einladung zur öffentlichen Vernissage der Biennale, abgedruckt in Folha da Tarde (São Paulo), 12. Dezember 1953.
22. Diário da Noite (Rio de Janeiro), 12. Dezember 1953.
23. Plan vom Ibirapuera-Park aus dem Faltblatt zum IV Centenário de São Paulo.
A BBILDUNGEN
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B ILDNACHWEIS Abb. 1–14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20–23:
Hans Günter Flieg/Acervo Instituto Moreira Salles Entwurf und Foto: Alexandre Wollner Bildarchiv Foto Marburg, Bildnummer V534 Bildarchiv Foto Marburg, Bildnummer LA700/5 Archiv des Martius-Staden-Instituts, N I, Nr. 157/8 Instituto Lina Bo e P. M. Bardi, São Paulo Arquivo Histórico Wanda Svevo/Fundação Bienal São Paulo
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