Die biblische Schöpfungsgeschichte und ihr Verhältniss zu den Ergebnissen der Naturforschung [Reprint 2021 ed.] 9783112609088, 9783112609071


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Die biblische Schöpfungsgeschichte und ihr Verhältniss zu den Ergebnissen der Naturforschung [Reprint 2021 ed.]
 9783112609088, 9783112609071

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Die biblische Schöpfungsgeschichte.

Die

Biblische Schöpfungsgeschichte und ihr Verhältniß Zu den Ergebnissen der Natnrforschnng.

Von

Dr. Fr. Heinrich Reusch, Professor der katholischen Theologie an der Universität zu Bonn.

(Ein Auszug aus des Verfassers größerm Werk „Bibel und Natur", vierte Auflage, Bonn 1876.)

Bonn, Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner).

1877.

Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird Vorbehalten.

Vorwort.

Von verschiedenen Seiten ist mir bemerkt worden, mein int vorigen Jahre in vierter Auflage erschienenes Buch „Bibel und Natur" sei für Manche, welche sich für

den darin behandelten Gegenstand intercssirten, zu um­ fangreich; es enthalte über einzelne theologische und naturwissenschaftliche Fragen Erörterungen, die in dieser Ausführlichkeit nur für Gelehrte bestimmt zu sein schienen,

theilweisc nur für diese

verständlich seien;

für einen

größern Leserkreis sei eine kürzere und populärere Be­

handlung, wie sie in den Schriften von Ebrard, Zöckler,

Zollmann, Luken gegeben

wird,

Bedürfniß.

Da

keine dieser kürzeren Bearbeitungen mir genügend scheint,

so habe ich, um jenen Wünschen zu entsprechen, aus meinem Buche den Auszug angcfertigt, welchen ich jetzt veröffentliche.

Er behandelt alle in dem größern Werke

erörterten Fragen, — thcilwcise in etwas veränderter Reihenfolge, — in kürzerer und populärerer Darstellung,

mit Weglassung des theologischen, naturwissenschaftlichen und literarischen Apparates, im Ucbrigen aber im An­

schluß, zum Theil im wörtlichen Anschluß an die aus-

führlichere Darstellung. Ich denke mir, die kleine Schrift könne nicht nur für diejenigen von Nutzen sein, welche

nur für die Lectüre einer kurzen Erörterung der betref­ fenden Fragen Zeit oder Neigung haben, sondern auch als

vorläufige Orientirung die Benutzung meines größer»

Buches

erleichtern und Manchen veranlassen, sich aus

diesem genauer über die Forschungen zu unterrichten, von denen in der vorliegenden gedrängten Darstellung nur

die Ergebnisse mitgctheilt werden können. Bonn, im Juli 1877.

Der Verfasser.

Inhalt.

Seile I.

II.

III.

IV.

Einleitung.

Die

Erschaffung der

Welt

.

.

1

Allgemeine Bemerkungen über das erste Capitel der Genesis.................................................................

15

Erklärung des ersten Capitels der Genesis

31

.

.

Beseitigung einiger Mißverständnisse bezüglich des biblischen Schöpfungsberichtes...................................... 48

V.

Die Geologie und die „sechs Tage"

VI.

Die Geologie und die „sechs Tage".

VII. VIII.

IX.

X. XI.

XII.

....

54

.

67

Schluß

Astronomie und Bibel......................................... 84 Die Entstehung der Pflanzen und Thiere

Die sogenannte Descendenz-Theorie

.

93

....

101

.

Die Erschaffung des Menschen......................... 128 Die Einheit des Menschengeschlechts

....

143

Der Urzustand der Menschen.........................163

XIII.

Das Alter des Menschengeschlechts

XIV.

Die Sündfluth.................................................... 188

....

174

I. Einleitung.

Die Erschaffung der Welt.

Es wird bekanntlich vielfach behauptet,

nisse der naturwissenschaftlichen Forschungen,

die Ergeb­ welche in

unserer Zeit mit großem Eifer und Erfolge betrieben

werden,

ständen im Widerspruch mit dem,

was in der

Bibel über die Erschaffung der Welt und über die frühere Geschichte der Erde und der Menschen berichtet werde.

Die Aufgabe der folgenden Erörterungen ist, nachzuweisen,

daß diese Behauptung unrichtig ist, daß die Berichte der Bibel, wenn sie richtig verstanden werden, mit den wirk­

lichen, gesicherten Ergebnissen der Naturforschung nicht in Widerspruch stehen und daß man alles, was die Natur­ wissenschaft als wahr erwiesen hat, anerkennen kann, ohne

den Glauben an die Wahrheit der biblischen Berichte auf­

geben zu müssen. Nach dem von jeher in der christlichen Kirche fest­ gehaltenen Glauben können die in der Bibel ausgezeich­

neten Offenbarungen Gottes keinen Irrthum enthalten. Aber auch die Natur kann uns keinen Irrthum lehren, wenn sie, wie gleichfalls stets in der christlichen Kirche geglaubt worden, das Werk desselben Gottes ist,

dessen

Offenbarungen in der Bibel ausgezeichnet sind, und wenn

es Ein und derselbe Gott ist, Reu sch, bibl. SchöpfungSgesch.

der in den Worten der 1

2 Bibel und in den stummen Zeichen der Natur zu dem

Menschengeiste redet.

Wenn also Sätze, von denen man

annimmt, daß sie Lehren der Bibel seien, mit Sätzen in Widerspruch stehen, welche die Naturforscher als Ergebniß

ihrer Beobachtungen und Untersuchungen hinstcllen, so ist ein Doppeltes möglich: entweder sind jene Sätze in Wirk­

lichkeit nicht Lehren der Bibel und die Theologen sind

im Irrthum, welche die Bibel so auslegen, daß jene Sätze heraus kommen; oder die Sätze, welche als naturwissen­

schaftliche Wahrheiten vorgetragen werden, sind in Wirk­ lichkeit nicht gesicherte Ergebnisse der naturwissenschaftlichen

Forschung,

sondern nur Ansichten und Vermuthungen,

welche sich bei genauerer Prüfung als irrthümlich erweisen.

Wir werden sehen, daß manche angeblichen Widersprüche zwischen den Lehren der Bibel und den Ergebnissen der

Naturforschung darin ihren Grund haben, daß die Worte

der Bibel nicht richtig verstanden worden sind, und daß der Widerspruch verschwindet, wenn die betreffenden Sätze der Bibel richtig gedeutet werden.

Wir werden aber auch

sehen, daß manche Sätze, welche für naturwissenschaftliche

Wahrheiten ausgegebcn werden, zwar mit der Lehre der

Bibel wirklich in Widerspruch

stehen,

daß diese Sätze

aber auch nicht gesicherte Ergebnisse der naturwissenschaft­

lichen Forschung, sondern Behauptungen sind, von denen die berufensten Vertreter der Naturwissenschaft selbst an­

erkennen,

daß sie entweder nur auf mehr oder weniger

unerwiesenen Vermuthungen oder geradezu auf irrthümlichen Ansichten beruhen.

Wir werden also bei dem, was

von Naturforschern über die sichtbare Welt,

ihre Ent­

stehung und Entwicklung vorgetragen wird, unterscheiden

müssen zwischen dem, was nach dem übereinstimmenden

3

Urtheile der anerkannt tüchtigsten Gelehrten eine erwie­ sene Wahrheit, und zwischen dem, was eine unerwiesene

Vermuthung oder eine Meinung Einzelner ist.

Letzteres

braucht der Theologe ebenso wenig als wahr anzuerken­

nen, wie es von den Naturforschern selbst als wahr an­ erkannt wird.

Von Ersterm aber darf der Theologe nicht

behaupten, es sei unrichtig,

weil es mit der Lehre der

Bibel in Widerspruch stehe; er muß vielmehr nachweisen, daß es zwar wohl mit der Auslegung der Bibel, die von einzelnen oder vielen Theologen als die richtige angesehen

wird, aber nicht mit der Bibel selbst in Widerspruch stehe, daß jene Auslegung der Bibel irrthümlich sei und daß die Worte der Bibel eine Deutung zulassen, welche den

gesicherten Ergebnissen der Naturforschnng nicht wider­ spricht. Ich beginne die Vergleichung der biblischen und der

naturwissenschaftlichen Lehren

mit dem Satze,

welcher

ganz unzweifelhaft in der Bibel an vielen Stellen aus­

gesprochen wird und welcher den eigentlichen Kern alles dessen bildet, was die Bibel überhaupt über die Welt

lehrt.

Es ist der Satz, daß die Welt von Gott geschaffen,

d. h. daß die Welt nicht von Ewigkeit, und daß sie durch

den Willen Gottes hervorgebracht worden ist.

Dieser

Satz wird gleich in dem ersten Verse der Bibel ausge­ sprochen : „Im Anfänge schuf Gott den Himmel und die

Erde."

Der Psalmist spricht ihn in dichterischer Form

aus in dem Verse (Ps. 33, 6): „Durch das Wort Jehova's ist der Himmel gemacht, und durch den Hauch seines

Mundes all ihr Heer."

An vielen Stellen des Alten

und Neuen Testamentes heißt Gott „der Schöpfer des

Himmels und der Erde",

und demgemäß beginnen die

4 altkirchlichen Glaubensbekenntnisse mit dem Satze:

„Ich

glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer

des Himmels und der Erde", oder: „Ich glaube an Einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels

und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge." Eben dieser Satz, wie gesagt, der wichtigste unter allen Sätzen, in denen die Bibel von der Welt spricht, steht

nun aber ganz gewiß mit keinem gesicherten Ergebnisse

der Naturforschung in Widerspruch.

Bei allen Versuchen, die Geschichte der Veränderungen und Entwicklungen der sichtbaren Welt möglichst hoch

hinauf zu verfolgen,

kann nämlich die Naturforschung

nicht weiter kommen, als bis zu irgendwelchen ursprüng­

lichen Stoffen, aus welchen unter der Einwirkung ge­

wisser Kräfte und unter der Herrschaft gewisser Gesetze die Dinge durch eine Reihe von Entwicklungen sich zu

ihrem jetzigen Zustande gestaltet haben.

Und wenn der

Naturforscher diese Stoffe und diese Kräfte auch noch so

sehr vereinfacht,

annehmen. und Kräfte?

irgend etwas muß er als vorhanden

Woher sind nun diese ursprünglichen Stoffe

Der Naturforscher kann nicht sagen,

selben seien aus nichts von selbst geworden;

die­

denn so

mannigfaltige Veränderungen er auch an den Dingen

wahrnimmt und erklären kann, für das Vonselbstentstchen

eines Dinges aus nichts kann er kein Beispiel anführen. Er wird also am Ende seiner Untersuchung nur sagen

können: irgend ein Stoff ist sammt bestimmten Kräften

von Ewigkeit her gewesen, oder er ist durch irgend eine Ursache, die außerhalb desselben und vor demselben existirte,

schöpferisch hervorgebracht worden.

Welche von diesen

beiden Annahmen die richtige ist, das kann der Natur-

forscher als solcher nicht entscheiden; denn wenn er auf dem Wege,

auf welchem er die stufenweise Entwicklung

des jetzigen Bestandes der Welt aus jenem ursprünglichen Stoffe nachzuweiscn versucht, keine schöpferische Kraft als

nothwendig anzunehmen braucht, so kann er eben darum weder die Wirklichkeit noch die Unmöglichkeit einer Er­

schaffung des ursprünglichen Stoffes, Weg sein Ende erreicht, kann sagen:

erweisen.

bei welchem sein

Der Naturforscher

gib mir diesen Stoff und diese Kraft, und

ich will die Welt construiren, wie sie jetzt ist; oder: die Welt, wie sie jetzt ist, kann aus diesem Stoffe und durch die Wirksamkeit dieser Kräfte durch eine Reihe von Ent­

wicklungen hindurch, die ich zu beschreiben vermag, ent­

standen sein; aber, muß er beifügen, ob dieser Stoff und diese Kräfte immer gewesen sind, ob sie von selbst aus

nichts geworden sind,

ob ein außerhalb dieses Stoffes

und dieser Kräfte stehendes Wesen sie hervorgebracht hat,

das weiß ich als Naturforscher nicht und das kann ich auf naturwissenschaftlichem Wege nicht ermitteln; das ist

eine Frage, welche die Philosophen oder die Theologen entscheiden

müssen.

„Von

dem Augenblicke an,

sagt

Oscar Fraas'), wo der Stoff in Raum und Zeit eintritt, verfolgen wir ihn durch sein ganzes Werden und Gestalten und verlieren ihn nie wieder in dem großen

Kreisläufe des Erdenlebens,

bei dem er zwar tausend­

und aber tausendmal Form und Gestaltung aber nimmermehr untergeht.

wechselt,

Die einfachen Körper des

Planeten müssen der Geologie gegeben werden; das ist der feste Punkt des Archimcdes, von welchem sie weiter 1) Vor der Sündfluth, 1866, S. 111.

6 operirt.

Ueber den ersten Anfang der Dinge weiß sie

nichts Anderes, jedenfalls nichts Besseres zu sagen,

als

Im Anfang schuf

was Jedermann schon lange weiß:

Gott Himmel und Erde." Wenn einzelne Naturforscher den Satz: „die Materie ist ewig"

als eine naturwissenschaftliche Wahrheit oder

gar als ein Naturgesetz bezeichnen,

so ist das eine will­

kürliche oder auf Unklarheit des Denkens beruhende Be­

hauptung.

Wenn man sagt:

kein Stoff vergehen,

„Die Chemie lehrt,

daß

vernichtet werden und daß keiner

neu entstehen kann, und die Physik lehrt, daß keine Kraft vergeht und keine neu entsteht;

die vorhandene Größe

von Materie und Kraft kann durch keinen Vorgang um

das Kleinste vermehrt oder vermindert werden,"

— so

mag das von den chemischen und physicalischen Processen in dem jetzigen Naturbestandc gelten;

nicht einmal,

aber daraus folgt

daß der jetzige Naturbcstand nicht in Zu­

kunft durch eine außer ihm stehende Kraft geändert oder

vernichtet werden könnte; noch viel weniger aber kann daraus gefolgert werden, daß die jetzt vorhandenen Stoffe

und Kräfte nicht einen Anfang haben könnten.

Gerade die Darstellung der Entstehung der Welt in

ihrem jetzigen Zustande,

welche von den angesehensten

neueren Naturforschern als die richtige, als die den Er­

gebnissen der naturwissenschaftlichen Forschungen am besten entsprechende angesehen wird,

steht mit der Lehre von

der Erschaffung der Welt durch Gott nicht in Wider­

spruch, sondern führt in ihren Consequenzen zu der An­ nahme eines schöpferischen Urhebers der Welt'). 1) Zu dem Folgenden vgl. Pfaff,

Ueber die Entstehung der

7 Man nimmt bekanntlich an, die Erde sei früher eine glühende, geschmolzene Kugel, und in noch früherer Zeit

sei unser ganzes Sonnensystem eine glühende Gaskugel gewesen, aus der durch Verdichtung und Abkühlung die Sonne und ihre Planeten entstanden seien. Man glaubt

dann noch weiter gehen und annehmen zu dürfen, daß

auf einer noch frühern Entwicklungsstufe überhaupt alle Himmelskörper als höchst verdünnte Gasmassen im Raume

verbreitet gewesen seien, ja daß zu allererst alle jetzt als gesonderte Himmelskörper erscheinenden Massen eine ein­ zige gleichförmig im Raume verbreitete Gasmasse gebildet

haben. Ueber diesen Zustand noch weiter hinaus erklären die Naturforscher nicht gehen zu können;

das sei das Aeußerste, sagen sie, was sie erreichen könnten, wenn sie

den Entwicklungsgang der Welt von ihrem jetzigen Zu­ stande nach rückwärts bis zu ihrem anfänglichen Zustande verfolgten. Nehmen wir an, diese Darstellung sei richtig, es sei also ursprünglich nur eine gleichmäßig durch den

ganzen Raum verbreitete Gasmasse vorhanden gewesen: was hat den Anstoß zu der Reihe von Entwicklungen

gegeben, durch welche dieses Gas sich zu gesonderten Welt­ körpern gestaltet hat? Die Physik kennt nur eine vierfache Weise, wie gasförmige Körper sich verdichten und in feste Körper verwandeln können:

außen;

1. durch einen starken Druck von

2. durch die physische Anziehungskraft oder die

sogenannte Schwere; 3. durch die chemische Anziehungs­ kraft der einzelnen Atome; 4. durch Temperaturerniedri-

Welt und die Naturgesetze, 1876, S. 8, und Schöpfungsgeschichte, 2. Ausl. 1877, S. 729. Huber, Die Lehre Darwin's, 1871, S. 184.

8 gung.

Nun konnte aber durch keine dieser Wirkungen die

ursprüngliche Gasmasse, wenn sie sich selbst überlassen blieb, verändert werden.

der die Gasmasse

1. Von einem Druck von außen,

zusammengepreßt

hätte,

kann nicht

die Rede sein, weil ja angenommen wird, dieselbe habe

den ganzen Raum erfüllt.

2. Die physische Anziehungs­

kraft kann eine Sonderung des Stoffes zu einzelnen Kör­ pern nicht bewirkt haben; denn cs wird angenommen, daß der Stoff in gasförmigem Zustande gleichmäßig im Raume

verbreitet war, also alle Atome nach allen Seiten hin

gleich stark angezogen wurden und darum seins sich be­ wegen und dem andern nähern konnte. 3. Eine chemische

Anziehungskraft konnten die einzelnen Atome nicht auf

einander ausüben, weil ein solcher Zustand der GaSmasse als der ursprüngliche vorausgesetzt wird, in welchem die einzelnen Bestandtheile derselben unverbunden neben ein­ ander waren, sich, lute der technische Ausdruck lautet, im

Zustande der äußersten Dissociation befanden. 4. Eine Ver­ änderung der ursprünglichen GaSmasse durch Erniedri­

gung der Temperatur hätte stattfinden können, wenn sich jene GaSmasse in

einem

kältern Raum befunden oder

an eine andere kältere Masse angestoßen hätte,

woran

ihre höhere Temperatur hätte abgegeben werden können.

Nun wird ja aber vorausgesetzt, daß die ursprüngliche GaSmasse den ganzen Raum

erfüllte,

also weder ein

anderer kälterer Raum noch eine andere kältere Masse vorhanden

war.

Mithin konnte auch

eine Abkühlung

derselben, wenn sie sich selbst überlassen blieb, nicht statt­

finden. Zur Erklärung der Thatsache, daß mit jener ursprüng­ lichen GaSmasse Veränderungen vor sich gegangen sind,

9 welche die Entstehung der Himmelskörper zur Folge gehabt haben, reichen also die physicalischen und chemischen Kräfte jener Materie nicht

aus.

Es muß also

angenommen

daß eine nicht in der Materie liegende Ursache

werden,

jene Veränderungen bewirkt hat.

Welches diese Ursache

ist, kann die Naturwissenschaft nicht ermitteln; sie kann aber jedenfalls keine Einsprache dagegen erheben, wenn

die Philosophen und Theologen den Willen Gottes als diese Ursache bezeichnen.

Aus dem Gesagten folgt nun nicht sofort, daß die Welt von Gott geschaffen ist.

Wenn es für den Natur­

forscher feststeht, daß die Welt in ihrem jetzigen Zustande

aus der ursprünglichen Materie nicht durch die Wirksam­ keit von Kräften, die in der Materie selbst lagen, ent­

standen sein kann, so bleibt noch eine doppelte Annahme möglich:

entweder ist die Materie in jenem ursprüng­

lichen Zustande von Ewigkeit her gewesen,

Veränderungen,

und nur die

welche mit ihr vor sich gegangen sind

und die jetzige Gestaltung des Weltbaus zur Folge gehabt

haben,

sind auf eine außer der Materie befindliche und

auf sie wirkende Kraft zurückzuführen,

oder auch

die

Materie selbst ist durch diese nicht materielle oder über­

materielle Kraft entstanden,

also von dieser geschaffen.

In dem ersten Falle wäre Gott nur der Weltbildner, in

dem letztcrn Falle der Weltschöpfer gewesen.

Welche von

diesen beiden Annahmen die richtige ist, kann nicht auf

naturwissenschaftlichem Wege

entschieden

werden;

eben

darum kann aber auch die Naturwissenschaft nichts dage­

gen einwendcn,

wenn die Bibel lehrt,

Gott

sei der

Schöpfer der Welt, und wenn auch Philosophen die An­ nahme als eine „für unser Denken unvermeidliche" be-

10 zeichnen, daß die Welt durch ein bewußtes und freies

geistiges Wesen geschaffen fei1). Daß die Welt in ihrer jetzigen Gestalt nicht ewig ist, sondern angefangen hat, ist von der neuern Naturwissen­

schaft auf Grund der sogenannten mechanischen Wärme­

theorie noch auf andere Weise erwiesen worden. Die in irgend einem Körper vorhandene Wärme ver­

breitet sich nach allen Seiten hin, und wenn die so abge­ gebene Wärme nicht auf irgend eine Weise stets wieder ersetzt wird, so nimmt ihre Menge in dem betreffenden

Körper ab, oder, wie wir uns gewöhnlich ausdrücken, der Körper kühlt sich ab. Die Sonne und die anderen Fix­ sterne und die sogenannten Nebelflecke sind nun glühende,

also außerordentlich hoch erwärmte Körper, welche fort­ während durch Ausstrahlung in den Weltraum Wärme verlieren.

Da der Weltraum eine sehr niedrige Tempe­

ratur hat und die Sonne und die anderen Fixsterne in Verhältniß zu ihm sehr klein sind, und da ein Ersatz für die an den Weltraum abgegebene Wärme jedenfalls nicht fortwährend in genügendem Maße stattfinden kann, um

den Verlust zu ersetzen, so muß also die in der Sonne

und den anderen Fixsternen

vorhandene Wärmemenge

immer mehr abnehmen, und dieselben werden mit der Zeit

gerade so erkalten, wie die Planeten, welche früher auch glühende Himmelskörper waren, ihrer viel geringern Größe wegen jetzt bereits erkaltet sind. Wir mögen uns die in den Fixsternen vorhandene Wärmemenge noch so groß

denken, sie ist nicht unerschöpflich, und es wird, wenn auch erst nach sehr vielen Jahrtausenden, die Zeit kommen, wo

1) Huber a. a. O. S. 187.

11 diese Wärmemenge vollständig ausgestrahlt ist und die

Fixsterne erkaltet sind. Dieser Zeitpunkt würde schon jetzt da sein, wenn die Wärmeausstrahlung um so viele Jahr­

tausende früher begonnen hätte, als wir jetzt bis zu jenem Jedenfalls dauert also

Zeitpunkte noch vor uns haben.

die Wärmeabgabe der Sonne und der Fixsterne nicht schon unendliche Zeit, — denn sonst wäre der Wärmeschatz der­ selben, da er endlich ist, längst erschöpft; — mithin kann der jetzige Weltbau nicht schon unendliche Zeit bestehen, also hat er einen Anfang gehabt.

Der Physiologe Adolf Fick schließt eine ausführ­ liche Erörterung dieses Gegenstandes mit folgenden Sätzen: „Wenn der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärme­

theorie ganz allgemein gültig ist und namentlich auch Anwendung erleidet auf Temperaturen, wie sie an der Sonne und an anderen, vielleicht noch heißeren Himmels­ körpern stattfinden, dann können wir ganz allgemein für das ganze Universum, nicht etwa bloß für das Sonnen­ system, die Behauptung aufstellen, daß ihm ein nach einem

Ziele strebender Entwicklungsproceß zukommt, und daß dieses Ziel die Ausgleichung aller Temperaturunterschiede,

also — im Sinne eines organischen Wesens — der allge­ meine Tod ist.

Dieser finale Zustand, der dann freilich

ewiger Fortdauer fähig ist, würde aber nach Verstuß einer endlichen Zeit nahezu erreicht werden, von jedem beliebig gewählten Anfangszustande an gerechnet, der nicht unend­

liche Geschwindigkeiten oder unendliche Zerstreuung der Materie im Raume einschlicßt, d. h. von jedem Anfangs­

zustande an gerechnet, der überhaupt gedacht werden kann.

Es müßte also umgekehrt der finale Zustand jetzt schon erreicht sein, wenn die Welt von Ewigkeit her da wäre. —

12 Wir sehen uns somit am Schlüsse unserer Betrachtungen vor folgende bedeutsame Alternative gestellt: entweder sind bei den höchsten, allgemeinsten und fundamentalsten Ab­ stractionen der Naturwissenschaft wesentliche Punkte über­

sehen, oder, wenn diese Abstractionen vollkommen streng und allgemein gültig sind, dann kann die Welt nicht von Ewigkeit her da fein, sondern sie muß in einem von

heute nicht unendlich entfernten Zeitpunkte durch ein in der Kette des natürlichen Causalncxus nicht begriffenes

Ercigniß, d. h. durch einen Schöpfungsact entstanden sein" *). Jedenfalls dürfen wir sagen: die biblische Lehre, daß die Welt von Gott geschaffen worden ist, widerspricht nicht

nur nicht den Ergebnissen der Naturforschung, sondern diese Ergebnisse nöthigen zu dem Schluffe, daß die Welt nicht von Ewigkeit ist, und legen den andern Schluß wenig­ stens sehr nahe, daß sic durch ein außerwcltliches Wesen schöpferisch hcrvorgcbracht worden ist.

Mit Rücksicht auf das, was die Naturforscher von dem „finalen Zustande" sagen, zu welchem der Entwick­

lungsproceß der Welt Hinstrebe, mag hier eine Bemerkung

über einige Stellen der Bibel, welche von dem Ende der

Welt handeln, beigefügt werden.

Wenn es hier Heißt,

die jetzige Welt werde durch Feuer zerstört31) 2und dann ein

neuer Himmel und eine neue Erde geschaffen werden3), so können wir einerseits nicht in voraus wissen, in wie weit diese Ausdrücke eigentlich und in wie weit sie bildlich zu

1) Die NaturkrLste in ihrer Wechselbeziehung, 1869, S. 69. 2) 2 Petr. 3, 7. 10. 12. 3) 2 Petr. 3, 13: Apok. 21, 1.

13

verstehen sind, und anderseits können die Naturforscher

nur sagen, welches das Ende der Welt nach dem natür­ lichen Verlaufe der Dinge sein muß, womit nicht ausge­ schlossen ist, daß Gott, der die Welt geschaffen, auch ihr

Ende durch eine nicht in ihrem natürlichen Verlaufe be­

gründete Katastrophe herbeiführen und dann eine neue Gestaltung bewirken könne. Zum Schluffe führe ich noch einige Aussprüche von

angesehenen Naturforschern an, welche das in diesem Capi­ tel Vorgetragene bestätigen.

„Die ehrliche Wissenschaft,

sagt Oscar Fraas, wird gestehen, daß sie über den An­ fang der Dinge entschieden nichts weiß. Beim Lichte be­ trachtet, sagt uns auch die moderne Ansicht der Geologen,

wenn sic mit der Erde als geballter brennender Sonnen­ substanz anfängt, nicht das Geringste über den Anfang

selbst; sie schiebt ihn nur etwas weiter zurück und setzt

die Körper, statt in den Zustand, wie wir sie heutzutage gewöhnt sind, in einen gasförmigen Zustand, vielleicht weil nach Laienbegriff ein Gas dem Nichts näher steht

als ein fester Körper.

In Wirklichkeit aber haben wir

damit nichts gewonnen: der absolute Anfang bleibt nach

wie vor verborgen; wir sind demselben nicht näher gerückt, wenn man auch die Erde als eine uranfängliche Gasmasse

gleich

einer Brandrakete

durch den Weltraum

stiegen

läßt" *). „Durch diese Theorie, sagt der englische Geologe Gideon Mantell, wird die Annahme, daß das Univer­

sum das Werk des allmächtigen und allwissenden Schöpfers fei, keineswegs angegriffen.

Angenommen, daß der Stand­

punkt, bis auf welchen diese Theorie uns führt, durch

1) Vor der Sündfluth S. 99.

14 physikalische Forschungen nicht überschritten werden kann, daß der letzte Blick, den wir in den ursprünglichen Zu­

stand des materiellen Weltalls zu thun vermögen, uns dasselbe als einen unbegrenzten, mit lichtstrahlender Ma­ terie erfüllten Raum zeigt, so bleibt uns doch immer die

Beantwortung der Frage übrig: wie wurde dieser Raum erfüllt? woher kam diese leuchtende Materie? Und wenn

unser Planetensystem aus dem ursprünglichen Zustande

der Materie hervorgegangen wäre und diese die Elemente zu jeder folgenden Veränderung in sich selbst enthalten

hätte, so müßten wir dennoch glauben, daß jede der vor­

hergegangenen physicalischen Erscheinungen, von der ersten bis zur letzten, ein Werk des göttlichen Willens ge­

wesen" *).

Und Hermann Lotze sagt:

„Nachdem die

Vorstellung von der Bildung des Planetensystems aus

einem feurigen Nebel, — eine geniale Ansicht über Er­ eignisse einer Vorzeit, die aller Erfahrung entzogen ist, — in den Bestand der allgemeinen Bildung übergegangen

ist, so meint man wohl, nun doch endlich einmal eine schöne Ordnung der Erscheinungen, zwar nicht aus nichts,

aber doch wenigstens aus einem formlosen Urgründe ent­ wickelt zu haben.

Aber man vergißt, daß die Geschichte

dieses Feuerballs, den man so scharfsinnig in seinen spä­

teren Gestaltungen verfolgt, nothwendig auch rückwärts sich in eine unendliche Vergangenheit verlängert.

Der

allmählich erkaltende und sich verdichtende Feuerball muß

eine Zeit erlebt haben, da seine Temperatur noch höher,

seine Ausdehnung größer war: wo liegt nun der Anfangs-

1) Die Phänomene der Geologie, übersetzt von I. Burkart,

1839, I, 21; II, 293.

15 augenblick der

Verdichtungsbcwegung,

in

deren Fort­

setzung begriffen jene Vermuthung ihn aufgreift? Und wo­ her stammt die ursprüngliche Richtung und Geschwindigkeit

der Drehung, in welcher wir alle seine Theilchen über­

einstimmend bewegt voraussetzen? ... Alle unsere Wissen­ schaft klimmt nur auf und ab an diesem Unendlichen, den innern Zusammenhang einzelner Strecken nach allgemeinen

Gesetzen begreifend, aber überall unfähig, den ersten Ur­ sprung des Ganzen oder das Ziel zu sehen, dem seine Ent­

wicklung zustrebt" *).

II.

Allgemeine Bemerkungen über das erste Capitel der Genesis. Von einem Widersprüche zwischen der Lehre der Bibel

und den Ergebnissen der Naturforschung bezüglich der Ent­

stehung der Welt würde vielleicht nie die Rede gewesen sein, wenn die Bibel sich auf den einfachen Satz be­ schränkte, daß Gott die Welt geschaffen habe.

Jedenfalls

hat zu der Behauptung, daß ein solcher Widerspruch vor­ handen sei, der ausführliche Bericht über die Schöpfung

den ersten Anlaß gegeben, mit welchem das erste Buch des Alten Testaments, die Genesis, beginnt.

Um das

richtige Verständniß dieses Berichtes vorzubereiten, muß

1) Mikrokosmus 1. Band, 2. Aufl., 1869, S. 418.

15 augenblick der

Verdichtungsbcwegung,

in

deren Fort­

setzung begriffen jene Vermuthung ihn aufgreift? Und wo­ her stammt die ursprüngliche Richtung und Geschwindigkeit

der Drehung, in welcher wir alle seine Theilchen über­

einstimmend bewegt voraussetzen? ... Alle unsere Wissen­ schaft klimmt nur auf und ab an diesem Unendlichen, den innern Zusammenhang einzelner Strecken nach allgemeinen

Gesetzen begreifend, aber überall unfähig, den ersten Ur­ sprung des Ganzen oder das Ziel zu sehen, dem seine Ent­

wicklung zustrebt" *).

II.

Allgemeine Bemerkungen über das erste Capitel der Genesis. Von einem Widersprüche zwischen der Lehre der Bibel

und den Ergebnissen der Naturforschung bezüglich der Ent­

stehung der Welt würde vielleicht nie die Rede gewesen sein, wenn die Bibel sich auf den einfachen Satz be­ schränkte, daß Gott die Welt geschaffen habe.

Jedenfalls

hat zu der Behauptung, daß ein solcher Widerspruch vor­ handen sei, der ausführliche Bericht über die Schöpfung

den ersten Anlaß gegeben, mit welchem das erste Buch des Alten Testaments, die Genesis, beginnt.

Um das

richtige Verständniß dieses Berichtes vorzubereiten, muß

1) Mikrokosmus 1. Band, 2. Aufl., 1869, S. 418.

16 ich einige Bemerkungen über die Frage vorausschicken,

inwiefern die Bibel überhaupt über Dinge der Natur redet. Die übernatürliche göttliche Offenbarung, deren Dar­ stellung wir in der Bibel finden,

hat nach der Lehre aller namhaften Theologen •) zunächst nur unsere religiöse

Belehrung, niemals die Bereicherung unseres profanen Wissens zum Zwecke; darum hat auch die Bibel nirgend­

wo den Zweck, uns über naturwissenschaftliche Fragen Es würde darum ein vergebliches, ja ein tadelnswerthes Beginnen sein, wollte man aus der Bibel

zu belehren.

ein astronomisches, geologisches und überhaupt naturwis­

senschaftliches System eruiren und dieses dann als ein durch die Offenbarung verbürgtes bezeichnen. Ein System von Glaubens- und Sittenlchren können wir aus der Bibel begründen; um naturwissenschaftliche Systeme zu entwerfen, ist der Mensch auf die Natur und auf seine natürlichen Geisteskräfte angewiesen.

Ferner: wenn den biblischen Schriftstellern über­ natürliche Erleuchtungen durch Gott zu Theil wurden, so hatten diese, wie die göttliche Offenbarung überhaupt,

nur die Mittheilung religiöser Wahrheiten, nicht die Mit­ theilung profaner Kenntnisse zum Zwecke, und wir dürfen

darum unbedenklich annehmen, daß die biblischen Schrift­

steller bezüglich ihres profanen Wissens, also auch bezüg­ lich ihrer naturwissenschaftlichen Kenntnisse nicht über ihren Zeitgenossen gestanden, ja die ungenauen und irr-

thümlichen' Vorstellungen ihrer Zeit nnd ihres Volkes ge­ theilt haben. 1) S. Bibel u. Natur S. 21.

17 Wenn sich aber die göttliche Offenbarung auf die göttlichen Dinge in der weitesten Bedeutung des Wortes

beschränkt und die Bibel nur die Aufgabe hat, uns über die göttlichen Dinge zu belehren, so kann sie doch vielfach

von diesen nicht sprechen, ohne die Dinge der Natur mit Wenn sie dircct immer nur religiöse Wahr­

zu erwähnen.

heiten mittheilt, so ist dieses doch mitunter nicht möglich,

ohne indirect und beiläufig das Gebiet der Natur zu berühren.

Gerade in dem ersten Capitel der Genesis sind

ja mit dem dem Gebiete der religiösen Wahrheiten ange­ hörenden Satze, daß Gott der Schöpfer der Welt ist, viele Sätze verbunden, welche mehr naturwissenschaftlichen als religiösen Inhalts sind.

Für diesen Fall haben wir folgende, gleichfalls von

den namhaftesten Theologen anerkannte Grundsätze fest­ zuhalten: Erstens ist nicht anzunehmen, daß eine solche indirekte und beiläufige Erwähnung der natürlichen Dinge in der Bibel den Zweck oder den Erfolg gehabt habe,

ihren Lesern auch über die natürlichen Dinge richtigere

Ansichten zu vermitteln oder vollständigere Aufschlüsse zu

geben,

als

sie

auf

rein menschlichem Wege erlangen

konnten oder schon erlangt hatten.

Zweitens ist es un­

bedenklich, daß ein biblischer Schriftsteller eine Auffassung der Verhältnisse und Erscheinungen der Natur vorträgt oder seinen Worten zu Grunde legt, welche die Naturwissen­ schaft als unrichtig bezeichnen muß, welche aber gleich­ wohl eine gewisse Berechtigung hat, da nämlich am Platze

ist, wo es sich nicht um den begrifflichen und wissenschaft­ lichen, sondern um den anschaulichen und allgemein ver­

ständlichen Ausdruck handelt.

So spricht die Bibel ebenso

wohl, wie wir im gewöhnlichen Leben, von dem Auf- und Reusch, bibl. SchöpfungSgesch. 2

18 Untergehen der Sonne und von dem Wege, den sie jeden

Tag am Himmel zurücklege.

Im Allgemeinen bieten nun, wenn man diese Grund­ sätze fest hält, die Stellen der Bibel, in welchen sie bei

den religiösen Belehrungen, die ihre eigentliche Aufgabe sind, gelegentlich und indirect über natürliche Dinge spricht,

keine Schwierigkeit.

Im Anfänge der Genesis finden wir

aber, wie gesagt, ein ganzes Capitel, in welchem die Bibel sich aus einem Gebiete bewegt, welches sie sonst nur gele­

gentlich und flüchtig berührt. Sie will allerdings auch hier zunächst religiöse Belehrungen geben; aber diese sind hier

auf das innigste verwebt, man kann wohl sagen, ver­ wachsen mit einem Berichte über Ereignisse auf dem Ge­

biete der Natur.

Wenden wir auch hier die ebeu ausge­

sprochenen Grundsätze an, so werden wir zunächst bei der

Auslegung dieses Capitels, sofern von natürlichen Din­

gen darin gesprochen wird, den Maßstab anlegen müssen, welchen wir an einen populären, nicht den, welchen wir

an den Bericht eines Fachgelehrten über Ereignisse und Erscheinungen auf dem pflegen.

Gebiete

der Natur

anzulegen

Wenn z. B. die Sonne und der Mond neben

den anderen Sternen als die beiden großen Lichter des

Himmels bezeichnet werden, so werden wir nicht sagen

dürfen, Moses lehre, daß die Sonne der größte, der Mond der zweitgrößte Stern sei, sondern sagen müssen, er be­

zeichne diese beiden Sterne einfach darum als die beiden größten Himmelslichter, weil sie dieses für das Auge des

Menschen sind. die

religiös

Ferner dürfen wir wohl erwarten, daß

bedeutsamen Wahrheiten,

welche in

dem

Schöpfungsberichte vorkommen, klar und bestimmt ausge­ sprochen werden; wir dürfen aber nicht erwarten, daß

19 sich Moses über die naturwissenschaftlichen Dinge, welche

er dabei berührt, mit derselben Klarheit und Bestimmt­

heit aussprechen sollte, wie über die religiös bedeutsamen Punkte;

wir dürfen von vornherein nicht erwarten, in

seinem Berichte über die Punkte der Astronomie, Geologie

u. s. w., welche nicht religiös bedeutsam sind, etwas Neues

und für den gewöhnlichen Menschen sonst nicht Erkenn­ bares zu finden, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir finden, daß der Schöpfungsbericht, so klar und

bestimmt auch die religiös bedeutsamen Sätze desselben sein mögbn,

in Bezug auf die Dinge der Natur, soweit

dieselben nicht religiös bedeutsam sind,

nur weniger be­

stimmte, lückenhafte und mehrdeutige Sätze enthält.

werden nur erwarten dürfen,

richtig sind,

Wir

daß diese Sätze nicht un­

also auch nicht mit gesicherten Ergebnissen

der Naturforschung in einem

unausglcichlichen Wider­

sprüche stehen. Aber, könnte man fragen, warum beschränkt sich die

Bibel nicht darauf, die unbestreitbar religiös wichtige — und, wie wir in dem ersten Capitel gesehen haben, auch

von Seiten der Naturwissenschaft unanfechtbare — Wahr­ heit vorzutragen,

daß Gott die Welt geschaffen hat?

warum gibt sie in dem ersten Capitel der Genesis,

was

eher in die Naturwissenschaft als in die Glaubens- und Sittenlehre zu gehören scheint: eine Geschichte der Ent­ stehung und Entwicklung der Welt?

Wenn die Bibel mehr sagt, als: „Im Anfänge schuf

Gott Himmel und Erde", so muß sich nach dem Gesag­ ten Nachweisen lassen, daß dieses Mehr auch eine religiöse

Bedeutung hat und daß es um dieser religiösen Bedeu­ tung willen,

nicht um seines naturwissenschaftlichen In-

20 tcrcsses willen vorgetragen wird.

Wir brauchen auch in

der That das erste Capitel der Genesis nur aufmerksam zu lesen,

um die religiös bedeutsamen Wahrheiten zu

finden, welche darin, wenn auch nicht in der Form von

dogmatischen Sätzen,

so doch deutlich genug vorgetragen

werdens.

1. Der allgemeine Satz:

„Gott hat Himmel und

Erde geschaffen", wird zwar nicht vervollständigt, aber

er wird doch anschaulicher gemacht, wenn Moses dem Begriffe „Himmel und Erde" eine Aufzählung der haupt­ sächlichsten Dinge folgen läßt, welche unter diesen Begriff

fallen, z. B. die Gestirne, die Pflanzen, die Thiere u. s. w. Nothwendig war an sich eine solche Aufzählung nicht; aber Moses konnte Gründe dafür haben, — wir werden

dieselben später kennen lernen, — eine solche Aufzählung

nicht zu unterlassen. Was also auf den ersten Satz: „Im Anfänge schuf

Gott Himmel und Erde", folgt, dient zunächst zur Verdeut­ lichung und Veranschaulichung dieses Satzes.

Wir sehen

den Himmel mit der Sonne, dem Monde und den Ster­

nen geschmückt und mit Wolken bedeckt, aus denen der Regen sich auf die Erde ergießt;

Moses belehrt uns:

Gott ist es, der das Firmament gebildet hat sammt sei­

nen Wasservorräthen, und Gott ist cs, der die beiden großen Himmelslichter gemacht und an die Feste des Himmels gesetzt hat, um die Erde zu erleuchten. Wir sehen auf der Erde Land und Meer, wir sehen das Land

bedeckt von Kräutern und Bäumen von mannigfaltiger Art, wir sehen die Luft, das Wasser und das Land be1) Dgl. Bibel und Natur S. 65.

21 Völker! von allerlei Thieren;

Moses belehrt uns:

Gott

ist cs, der das Wasser an Einem Orte sich versammeln

und das Land hat hervortretcn lassen;

Gott ist cs, der

geboten hat, die Erde solle hervorsprossen lassen Kräuter

und Bäume „nach ihrer Art", d. h. von verschiedenerlei Arten, und zwar Kräuter und Bäume, welche Frucht

tragen,

welche sich also fortpflanzen konnten und von

denen die Kräuter und Bäume abstammen,

jetzt sehen;

Gott ist es,

welche wir

welcher die Thiere im Wasser,

in der Luft und auf dem Lande geschaffen hat, und er

hat sic gesegnet und gesagt: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich";

pflanzung

er hat ihnen also die Fähigkeit der Fort­ gegeben,

und wenn die Thiere, welche jetzt

leben, nicht unmittelbar von Gott geschaffen worden sind, so haben sic doch von den Thieren,

welche Gott zuerst

geschaffen, in der von Gott gewollten und angeordneten Weise ihren Ursprung, sind also doch als Geschöpfe Gottes

zu bezeichnen.

Auch das höchste und erhabenste unter

den sichtbaren lebenden Wesen, der Mensch, ist von Gott

geschaffen worden,

denheit,

und zwar in geschlechtlicher Verschie­

als Mann und Weib,

und auch die von ihm

geschaffenen Menschen hat Gott gesegnet und gesprochen:

„Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde".

Also wir Alle,

die wir jetzt auf Erden leben, und Alle,

die vor uns gelebt und die Erde bewohnt haben,

sind

Geschöpfe Gottes; denn wir stammen von den Menschen ab, die Gott geschaffen und mit dem Vermögen der Fort­

pflanzung ausgerüstet hat.

Es ist nicht zu verkennen, daß der Lehrsatz von der Erschaffung der Welt durch Gott für den einfachen und

sindlichen Sinn des Menschen, — und an diesen wendet

22 sich ja die Bibel zunächst, — in dieser ins Einzelne ein­

gehenden Ausführung viel anschaulicher und zugleich ein­

dringlicher vorgetragen wird,

als wenn sich Moses auf

den an sich allerdings genügenden Satz:

„Im Anfänge

schuf Gott Himmel und Erde", beschränkt hätte.

Schon

unter diesem Gesichtspunkte muß es uns also als gerecht­ fertigt

erscheinen,

daß Moses diesen allgemeinen Satz

weiter ausführt; jedenfalls kann man nicht sagen,

der eigentliche Zweck der Bibel,

des Menschen, in den weiteren Versen aus

verloren sei.

daß

die religiöse Belehrung dem Auge

Die Naturwissenschaft aber kann gegen die

eben angeführten einzelnen Sätze,

wenn wir von ihrer

Einkleidung im ersten Capitel der Genesis,

die weiteren

Erörterungen vorbehalten bleibt, vorläufig absehcn, keine

Einsprache erheben; denn wenn sie den Satz, daß Gott alle Dinge geschaffen, nicht anfechten kann,

auch nichts dagegen

so kann sie

einwcnden, wenn diese und jene

Dinge — in einer Weise,

über welche wir uns später

noch verständigen müssen, — auf den schöpferischen Willen Gottes zurückgeführt werden.

2. Wenn wir sagen: Gott hat die Welt geschaffen,

so versteht sich eigentlich von selbst,

daß die Welt, wie

sie durch Gottes Willen ins Dasein trat, schaffen war,

wie Gott wollte,

daß

auch so be­

das Product der

schöpferischen Thätigkeit Gottes der göttlichen Idee und

dem göttlichen Plane durchaus entsprach. heit spricht Moses aus,

Diese Wahr­

indem er den Bericht über die

einzelnen göttlichen Werke mit den Worten schließt: „Und

Gott sah, daß es gut war", d. h. daß sein Wille in sei­ nem Werke seine adäquate Verwirklichung gefunden hatte;

denn das nennt Gott „gut",

was seiner Idee und dem

23 göttlichen Willen entspricht.

nen

in sich vollendeten

„Und Gott sah,

Nachdem bei jedem einzel­

göttlichen Werke dieser Satz:

daß es gut war",

hinzugefügt worden

ist, wird ganz passend zum Schlüsse,

nachdem der gött­

liche Wcltplan nicht

einzelnen Punkten,

nur in seinen

sondern als ein in einander greifendes Ganzes seine Ver­ wirklichung gefunden, der Satz beigcfügt: „Und Gott sah

alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut".

Wenn mit der oft wiederholten Bemerkung: Gott sah,

daß es gut war",

„Und

zunächst gesagt sein soll,

daß der göttliche Schöpferwille in der Schöpfung seine

adäquate Verwirklichung gefunden, so hat sie aber dane­ ben

noch

eine andere Bedeutung.

In den folgenden

Abschnitten der Genesis hat Moses von vielem zu be­ richten, was entweder sittlich oder Physisch nicht gut ist; auch mit Rücksicht darauf hebt er hier hervor:

im An­

fänge war alles gut; so wie Gott die Schöpfung hervor­ gebracht hat,

war sie gut; was sich also später Böses

darin finden mag, das ist nicht Gottes Werk. Wir kommen also auch hier wieder auf religiös be­

deutsame Wahrheiten, welche in dem biblischen Schöpfungs­

berichte ihren Ausdruck gefunden haben, — Wahrheiten,

gegen welche auch von Seiten der Naturwissenschaft nichts eingewcndct werden kann, da die Frage, ob die von Gott

geschaffene Welt „gut" in dem angeführten Sinne sei, keine naturwissenschaftliche Frage ist. 3. Nach dem Berichte der Genesis ist der Mensch

nicht nur das zuletzt geschaffene Wesen,

sondern auch

offenbar das Ziel der ganzen sichtbaren Schöpfung.

mittelbar

Un­

vor ihm wurden die Thiere geschaffen: dem

Menschen wird die Aufgabe und das Recht zugesprochen,

24 über sie zu herrschen, d. h. sie zu seinem Dienste zu be­ nutzen.

Vor den Thieren wurden die Pflanzen geschaffen:

es wird ausdrücklich gesagt, sie seien dazu da, den Men­ schen und ihren Unterthanen, den Thieren, zur Nahrung

zu dienen.

Das trockene Land tritt aus der Wassermasse

hervor, um der Pflanzenwelt als mütterlicher Boden, der Thierwelt und den Menschen als Wohnplatz zu dienen. Auch der Himmel wird in Beziehung zu dem Menschen

gebracht: die Lichter, welche Gott daran setzt, haben den Zweck, die Erde zu erhellen und zu Zeichen, insbesondere zu Zeichen

der Zeitmessung,

der Tage und Jahre, zu

dienen, natürlich für den Menschen. Auch in diesem Punkte erfüllt der Bericht der Bibel die Aufgabe, uns über das religiös Bedeutsame zu beleh­

ren.

Im Verlaufe der Genesis ist zunächst nur vou dem

Menschen und von seinem Verhältnisse zu Gott, also von

der Religion die Rede,

und mit Rücksicht auf den Men­

schen wird hier im Anfänge der Genesis der Wohnplatz beschrieben,

den Gott dem Menschen

bereitet, und die

Wahrheit ausgesprochen, daß die unvernünftige Schöpfung um des Menschen willen von Gott hervorgebracht worden sei, — eine Wahrheit, gegen welche auch von Seiten der

Naturwissenschaft keine Einwendung erhoben werden wird. 4. Moses hat endlich noch einen besondern religiösen

Grund,

sich nicht auf den allgemeinen Satz, jdaß Gott

die Welt geschaffen, zu beschränken, sondern das Werk der

Schöpfung im Einzelnen zu beschreiben, und er gibt diesen Grund deutlich genug an.

Er schildert das Schöpfungs­

werk als ein Sechstagewerk (Hexacmeron), vertheilt das ganze Werk auf sechs Tage.

d. h. er

In diesen sechs

Tagen wurden, wie er im ersten Verse des zweiten Capi-

25 tels sagt, Himmel und Erde vollendet, und nachdem Gott sein Werk in sechs Tagen vollendet hatte,

„ruhte er am

siebenten Tage von all seinem Werke", d. h. er hörte auf zu schaffen.

Wozu diese Bemerkung dienen soll, das zeigt

der dritte Vers des zweiten Capitels: „Und Gott hat den

siebenten Tag gesegnet und geheiligt, denn an ihm hat

er geruht von all seinem schöpferischen Werke", oder an ihm hat sein schöpferisches Wirken seinen Abschluß er­

reicht. Die Leser des Pentateuchs wußten, daß ein gött­ liches Gebot ihnen vorschrieb, den siebenten Tag als einen heiligen zu feiern, ihre äußere Thätigkeit auf sechs Tage zu beschränken und am siebenten Tage aus Gehorsam

gegen Jehova,

zu seiner Verehrung, zur Anerkennung

seiner Oberherrlichkeit und zum Danke für die göttliche Wohlthat der Erschaffung die irdischen Arbeiten zu un­

terbrechen und mit religiösen Uebungen zu vertauschen. Hier wird der Grund angegeben, warum sich Gott den siebenten Tag vorbehalten, nicht etwa den zehnten oder

einen andern: das gesammte Werk der Schöpfung ist in einer Sechszahl von Einzelwerken, ist als ein Scchstage-

wcrk verlaufen; darum wird ein regelmäßig wiederkeh­

rendes Fest zu Ehren Gottes als des Schöpfers, — und das ist ja eben der Sabbath, — am passendsten je nach Ablauf nicht einer Zehnzahl oder irgend einer andern Zahl, sondern gerade einer Sech Izahl von Tagen gefeiert.

Die Einwendungen, welche gegen diese „sechs Tage" erhoben werden, sind später eingehend zu besprechen; hier

kam es zunächst nur darauf an, zu zeigen, daß Moses nicht über das religiöse Gebiet hinausgeht und in das

naturwissenschaftliche Gebiet übcrgreift, wenn er in seinem Berichte von sechs Schöpfungstagen spricht.

26 Wir dürfen also sagen:

auch der Schöpfungsbe­

richt der Genesis bildet keine Ausnahme von der Regel,

daß die Bibel sich nur unsere religiöse Belehrung, nicht die Bereicherung unseres profanen Wissens zur Aufgabe macht.

Wenn

dieser Bericht nicht einfach sagt:

Gott

hat die Welt geschaffen, sondern noch eine Reihe von

anderen Mittheilungen enthält, so haben diese nicht den Zweck, uns über die einzelnen Theile der Schöpfung, die

Reihenfolge ihrer Entstehung und die Zeit, in welcher

ihre Ausbildung erfolgt ist, zu belehren. Denn das sind Dinge, die an sich nur für den wissenschaftlichen Forscher oder für den Menschen als denkendes Wesen Interesse haben, die religiöse und sittliche Seite des Menschen aber an sich nicht berühren, und darum Dinge, deren Er­

forschung dem menschlichen Geiste überlassen ist. Gegen­ stand einer göttlichen Offenbarung können diese Dinge nur in so weit werden, als die Erkenntniß religiöser Wahrheiten

dem Menschen nur in Verbindung mit jenen natürlichen Dingen vermittelt werden kann. Die vorhin entwickelten religiösen Wahrheiten sind also in dem Hexacmeron die

Hauptsache, und nur um sie zum Ausdrucke zu bringen,

wird ausführlicher über das Schöpfungswerk berichtet. Von diesen vier religiös bedeutsamen Sätzen ist der dritte von wesentlichem Einfluß auf die ganze Gestalt des

Berichtes gewesen.

Wenn Moses den Menschen als den­

jenigen darstcllen wollte, für welchen Gott andere Dinge

geschaffen, so ist es natürlich, daß er unter den geschaf­

fenen Dingen vorzugsweise diejenigen erwähnt und her­ vorhebt, welche zu dem Menschen in einer besondern Be­ ziehung stehen, und daß er diese Dinge selbst wieder unter

dem Gesichtspunkte ihrer Beziehung zum Menschen behan-

27 beit. So finden wir denn, daß er, nachdem er im ersten Verse die Erschaffung des Himmels und der Erde, also der gan­

zen Welt, kurz erwähnt hat, sich im Folgenden zunächst nur mit der Erde beschäftigt und von dem Himmel nur mit Rücksicht auf seine Beziehung zur Erde redet: Gott

bildet das Firmament, um einen Theil der die Erde bedecken­ den Wassermasse aufzunehmen, und er setzt die Sterne an

den Himmel, um die Erde zu erleuchten und den Men­ schen zur Zeitmessung zu dienen.

Wie es sonst um den

Himmel bestellt ist, in welchem Verhältnisse die Sterne zu einander stehen, ob auch sie Pflanzen und lebende

Wesen haben, und dergleichen Fragen berührt Moses mit keinem Worte; denn er will uns nicht über alles Einzelne berichten, was Gott geschaffen, sondern nach der allgemeinen

Bemerkung, daß Gott überhaupt alles geschaffen, im Einzel­ nen nur über das, was Gott für den Menschen geschaffen.

Es ist darum ein nicht ganz genauer Ausdruck, wenn man von einer mosaischen Kosmogonie, d. h. Beschreibung der Entstehung der Welt, spricht; Moses will zunächst nur

eine Geogonie, eine Beschreibung der Entstehung der

Erde, geben; von dem, was außer der Erde zum Kos­ mos gehört, spricht er nur in so weit, als es in einer

nähern Beziehung zur Erde steht. mosaische Schöpfungsbericht,

sehen, unvollständig.

Insofern ist also der

naturwissenschaftlich

ange­

Auch in dem, was er über die Aus­

bildung der Erde berichtet, kann er auf Vollständigkeit

keinen Anspruch machen: er beschränkt sich auf die Schei­ dung

von Wasser und Land und die Erschaffung der

Pflanzen und Thiere; denn das ist alles, was zunächst für die Charakterisirung der Stellung des Menschen in

der sichtbaren Welt erforderlich war.

Ueber das Innere

28 des Erdkörpers, die verschiedenen Bestandtheile desselben, die Naturkräste und ihre Wirkungen und dergleichen sagt Moses nichts, weil diese Dinge für das, was er darstellen

wollte, keine wesentliche Bedeutung haben. Zu dieser beabsichtigten und in der Natur der Sache

liegenden Einseitigkeit und Unvollständigkeit kommt noch

eine weitere Eigenthümlichkeit des biblischen Schöpfungs­

berichtes, welche in dem früher Gesagten ihre Erklärung findet: Moses gebraucht nicht wissenschaftlich genaue, son­ dern solche Ausdrücke, die für den gewöhnlichen Menschen

verständlich sind; er knüpft an die Anschauungen und Auf­ fassungen an, die sich dem Menschen bei der unbefangenen

und oberflächlichen Betrachtung der Natur ergeben.

Für den Naturforscher ist die Atmosphäre der Erde mit wässerigen Dünsten erfüllt, welche sich unter Umständen zu Wolken gestalten und als Regen auf die Erde herab­

fallen;

nach der gewöhnlichen Anschauung

auch nach der

biblischen Darstellung

und darum

befindet sich

ein

Wasservorrath über der „Feste des Himmels" oder, wie

der hebräische Ausdruck vielleicht richtiger übersetzt wird, über dem „Gczelte des Himmels".

Für die Anschauung

des Menschen und darum auch der Bibel hat der Himmel zwei große Lichter, Sonne und Mond, und daneben das Heer der Sterne, — die Astronomie mag zu dieser Ein-

theilung sagen was sie will.

Auch die Eintheilung der

Pflanzen und der Thiere, welche wir in dem ersten Ca­

pitel der Genesis finden, kann und soll nicht darauf An­ spruch machen, eine wissenschaftliche Eintheilung, sondern

nur darauf, eine anschauliche Aufzählung zu sein.

Die

Pflanzenwelt wird im 12. Verse eingetheilt in Bäume

und Kräuter;

der dritte Ausdruck,

„Grün", bezeichnet

29

wahrscheinlich nicht eine dritte Classe, die Gräser und dergleichen, sondern die Pflanzen überhaupt auf der ersten

Stufe ihrer Entstehung.

Die Thiere werden eingetheilt

in Wasserthiere, Luftthiere und Landthiere.

Die Wasser­

thiere werden V. 21 iveiter eingetheilt in die „großen

Seethiere", wozu natürlich auch die Walfische gehören, und in die „kriechenden lebenden Wesen, von denen wim­ meln die Wasser", d. h. die kleinen Wasserthiere.

Die

Luftthiere werden nicht weiter unterschieden; zu ihnen gehören aber ohne Zweifel außer den Vögeln auch die

Fledermäuse, Schmetterlinge, Fliegen, überhaupt „alles Die Landthiere endlich werden V. 24 eingetheilt in Hausthiere, „Thiere der Erde", d. h. wilde Thiere, und „Gewürm", d. h. das kleine Gethier,

was Flügel hat" (V. 21).

welches kriecht, d. i. nach hebräischem Sprachgebrauch, welches sich unmittelbar auf der Erde fortbewegt, Ratten,

Mäuse, Schlangen, Würmer, ungeflügelte Jnsecten. Eintheilungen sind,

naturwissenschaftlich

Diese

betrachtet, im

höchsten Grade ungenügend; aber sie genügen vollkommen, um uns die Wahrheit anschaulich zu machen, auf die es

der Bibel ankommt, daß alle Pflanzen, groß und klein, und alle Thiere, mögen sie im Wasser, in der Luft oder

auf dem Lande sich bewegen, groß oder klein sein, von Gott geschaffen sind. Die populäre,

anschauliche Darstellungsform tritt

auch in der Art und Weise hervor, wie das Wirken Gottes selbst geschildert wird.

Uns eine adäquate Vor­

stellung von dem göttlichen Wesen und Wirken zu machen,

ist nicht möglich; wollen wir also eine Schilderung da­ von entwerfen, so müssen wir die Züge dazu von dem hernehmen, was unserer Anschauung und Erkenntniß zu-

30 gänzlich ist, also von den geschaffenen Wesen, rind zwar vorzugsweise

von

dem

Menschen

als dem

Geschöpfe,

welches nach dem Bilde Gottes gemacht worden ist. Daher

in der h. Schrift die sogenannten Anthropomorphismen, die Uebertragung von Ausdrücken, welche zunächst zur

Bezeichnung menschlicher Handlungen dienen, auf analoge

göttliche Handlungen.

Diese anthropomorphistische Dar­

stellung herrscht in dem ganzen Schöpfungsbcrichte.

Sic

trägt wesentlich dazu bei, ihn zu einer so anschaulichen Schilderung zu machen; für

die wissenschaftliche Dar­

stellung müssen aber die einzelnen Sätze aus der Sprache

der Anschauung

in die Sprache des Begriffs übersetzt

werden. In dieser Sprache sagen wir:

Gottes Willen geworden.

das Licht ist durch

Wir Menschen geben aber unsern

Willen durch Sprechen, durch Befehlen zu erkennen. Darum sagt der Verfasser der Genesis: „Gott sprach: Es werde

Licht; und es ward Licht".

Gott bewirkt dann weiter,

daß Licht und Finsterniß regelmäßig mit einander ab­ wechseln ; der jetzt bestehende Wechsel von Hell und Dunkel, will er uns mittheilcn, welchen die menschliche Sprache

mit den Namen Tag und Nacht bezeichnet, beruht auf einer göttlichen Ordnung.

Das drückt er so aus: „Gott

trennte zwischen dem Lichte und der Finsterniß, und er

nannte das Licht Tag und die Finsterniß Nacht".

Aehn-

lich in den folgenden Versen: Gott macht die Feste und trennt zwischen den Wassern unterhalb und oberhalb der­

selben, und er nennt die Feste Himmel; er befiehlt, daß die Wasser unterhalb des Himmels sich an Einem Orte sam­

meln und das trockene Land hervortreten lassen sollen,

und er nennt die Versammlung der Wasser Meer und

31 das trockene Land Erde; d. h. die Scheidung zwischen den auf der Erde und den in der Atmosphäre befindlichen

wässerigen Elementen und die Bildung dessen, was wir Himmel nennen, und die Theilung der Oberfläche der

Erde in das, was wir Meer und Land nennen, das alles beruht, so wie wir es jetzt sehen und wie wir das Sach-

verhältniß in der Sprache zum Ausdrucke bringen, auf einer göttlichen Anordnung.

Auch der oben besprochene Ausdruck: „Und Gott sah,

daß es gut war", ist ein Anthropomorphismus. Der menschliche Künstler blickt nach Vollendung seiner Arbeit auf das Werk, welches er geschaffen, zurück, und er nennt es gut, er ist befriedigt, wenn das Werk der Idee ent­

spricht, die er von demselben gehabt.

Bei Gott bedarf

es natürlich eines solchen prüfenden und vergleichenden

Blickes nicht; wenn also von ihm gesagt wird: „Er sah, daß es gut war", so wird damit nur die Thatsache con-

statirt, daß die göttliche Idee in dem göttlichen Werke

ihre adäquate Verwirklichung gefunden hat.

III.

Erklärung des ersten Capitels der Genesis. Nach den allgemeinen Bemerkungen, welche ich in dem zweiten Abschnitte über den Schöpfungsbericht des ersten Capitels der Genesis vorgetragen, werde ich der Ueber-

setzung desselben nur wenige Erläuterungen beizufügen

haben, um die richtige Auffassung des Berichtes zu ver­

mitteln und so für die Vergleichung desselben mit den

31 das trockene Land Erde; d. h. die Scheidung zwischen den auf der Erde und den in der Atmosphäre befindlichen

wässerigen Elementen und die Bildung dessen, was wir Himmel nennen, und die Theilung der Oberfläche der

Erde in das, was wir Meer und Land nennen, das alles beruht, so wie wir es jetzt sehen und wie wir das Sach-

verhältniß in der Sprache zum Ausdrucke bringen, auf einer göttlichen Anordnung.

Auch der oben besprochene Ausdruck: „Und Gott sah,

daß es gut war", ist ein Anthropomorphismus. Der menschliche Künstler blickt nach Vollendung seiner Arbeit auf das Werk, welches er geschaffen, zurück, und er nennt es gut, er ist befriedigt, wenn das Werk der Idee ent­

spricht, die er von demselben gehabt.

Bei Gott bedarf

es natürlich eines solchen prüfenden und vergleichenden

Blickes nicht; wenn also von ihm gesagt wird: „Er sah, daß es gut war", so wird damit nur die Thatsache con-

statirt, daß die göttliche Idee in dem göttlichen Werke

ihre adäquate Verwirklichung gefunden hat.

III.

Erklärung des ersten Capitels der Genesis. Nach den allgemeinen Bemerkungen, welche ich in dem zweiten Abschnitte über den Schöpfungsbericht des ersten Capitels der Genesis vorgetragen, werde ich der Ueber-

setzung desselben nur wenige Erläuterungen beizufügen

haben, um die richtige Auffassung des Berichtes zu ver­

mitteln und so für die Vergleichung desselben mit den

32

Ergebnissen

der Naturforschung die Unterlage zu

ge­

winnen *).

Der erste Vers lautet: Im Anfänge schuf Gott den Himmel und die Erde.

Das hebräische Wort, welches

hier mit „schaffen" übersetzt ist, bedeutet, zumal in Ver­ bindung mit dem Ausdrucke

„im Anfänge", jedenfalls:

etwas aus nichts hervorbringen, etwas seinem Sein oder

seiner Substanz nach hervorbringen.

„Himmel und Erde"

drückt, wie auch sonst im hebräischen Alten Testamente, einen einzigen Begriff aus und bezeichnet

also dasselbe,

das Weltall,

was im Griechischen mit o zoff^og,

Deutschen mit „Welt" bezeichnet wird.

im

Es ist exegetisch

nicht zulässig, unter „Himmel" die geistige Schöpfung, also die Engel, unter „Erde" die materielle Schöpfung zu verstehen.

Wenn in dem ersten Verse die Engel als

Geschöpfe Gottes mit gemeint sind, so sind sie das nur insofern, als sie mit zur Welt gehören; aber zunächst und

direct wird

in diesem Verse nur

die Wahrheit ausge­

sprochen, daß die ganze sichtbare Welt durch Gott ihr Dasein erhalten hat.

Ob Gott gleich die Welt in ihrer

jetzigen oder überhaupt in einer bestimmten Gestaltung

geschaffen, oder ob er die einfachen Elemente der Welt aus nichts geschaffen und die Kräfte und Gesetze ihrer

Entwicklung hineingelegt habe, das wird in diesem Verse

nicht entschieden; denn die Worte desselben passen

für

beide Fälle. Da Moses zunächst eine Geogonie, nicht eine Kos­

mogonie zu geben hat, so fährt er, den Himmel vorerst

1) Eine ausführlichere Erklärung des Hexaemeron s. Bibel und

Natur S. 75.

33 nicht weiter erwähnend, in dem 2. Verse fort: Und die Erde war wüst und öde. Diese Worte enthalten zunächst einen Gegensatz zu der folgenden Darstellung.

Die Erde

war, als der Mensch als ihr Beherrscher eingesetzt wurde,

zum Wohnplatze für ihn eingerichtet: das Land war von

dem Meere geschieden und dieses in feste Grenzen ge­ bannt; cs war bekleidet mit Vegetation, und Land, Luft und Wasser waren bevölkert von Thieren; die Erde war

von dem Wolkenhimmel umhüllt und von den Gestirnen erleuchtet.

So war es nicht von Anfang an; diesem ge­

ordneten Zustande ist vielmehr ein anderer Zustand vor­ ausgegangen, in welchem sich von dieser Scheidung der

Elemente und von den genannten Einzelwesen dem Blicke noch keine Spur darbot. Diesen Zustand schildert Moses mit den Worten:

„Die Erde war thohu wabohu, wüst

und öde", und beschreibt dann im Folgenden, wie aus

diesem chaotischen Zustande die Erde nach dem Willen

und unter der Einwirkung Gottes zu ihrem spätern Zu­ stande ausgebildet worden ist.

Ob dieser chaotische Zustand der ursprüngliche, der­ jenige Zustand war, in welchem die Erde ins Dasein trat, oder ob diesem chaotischen Zustande ein anderer, geord­

neter Zustand vorhergegangcn, mit anderen Worten: ob die Erde vor dem Sechstagewerk nur als Chaos cxistirt

hat oder ob dem Chaos bereits andere Gestaltungen vorhergegangey waren, das läßt sich aus den Worten des 2. Verses nicht entnehmen.

augenscheinlich

Die erstere Auffassung liegt

am nächsten; aber als exegetisch unzu­

lässig wird man die andere nicht bezeichnen können.

Ueber die Dauer des chaotischen Zustandes nichts angegeben.

wird

Es liegt freilich am nächsten, anzn-

Reusch, bibl. Schöpfungsgesch.

Z

34 nehmen, daß Gott alsbald nach der Erschaffung der Erde

in ihrem chaotischen Zustande mit der Gestaltung dieses

Chaos begonnen habe; aber die Möglichkeit einer länger» Dauer des chaotischen Zustandes ist durch die Worte des

2. Verses nicht ausgeschlossen.

Die Beschreibung des chaotischen Zustandes in die­ sem Verse lautet vollständig so:

2 Und die Erde war

wüst und öde, und Finsterniß war über (dem Antlitz)

der Wassermasse, und der Geist Gottes schwebte (oder: brütete) über den Wassern.

„Wüst und öde" wird hier

die Erde genannt, weil die spätere Ausschmückung und Belebung durch die Pflanzen- und Thierwelt noch nicht

da war; von einer „Waffermassc" ist die Rede, weil das

trockene Land erst am dritten Tage dadurch sichtbar wird,

daß das Wasser sich an Einem Orte versammelt; als von Finsterniß bedeckt wird diese Wasscrmasse geschildert, weil

das Licht erst am ersten Tage hervortritt.

Die Beschrei­

bung des chaotischen Zustandes ist also wesentlich eine

negative: es wird nur angegeben, was damals noch nicht da war, sondern erst int Verlaufe des Sechstagewerkcs

hinzukam.

Die Beschreibung ist ferner eine unvollstän­

dige und in der eigentlichen Bedeutung

des Wortes

oberflächliche: es wird nur das an der Erde beschrieben,

was ins Auge fällt: ihre Oberfläche ist Wasser,

und

darüber ist cs dunkel; wie cs im Erdinnern aussieht, ob die festen Bestandtheile unter dem Wasser schon vorhan­

den und nur von dem Wasser verdeckt sind,

oder ob die

ganze Erde sich noch im flüssigen Zustande befindet, das

sagt die Genesis nicht.

Die Beschreibung, welche uns von diesem ersten Zu­ stande der Erde, von dem Thohuwabohu gegeben wird,

35 ist teilte ansprechende, denn sic besteht nur aus den Zügen: Wüste und Ocde, Wassermasse und Finsterniß.

Nur der

letzte Satz des 2. Verses fügt dem Bilde einen freund­ lichen oder doch hoffnungsvollen Zug bei: „und der Geist

Gottes schwebte (ober brütete, wie der Vogel über dem Ei) über den Wassern".

Die chaotische Masse, so wie sie

da ist, ist keine Gottes würdige Crcatur; sie ist auch nicht

hcrvorgcbracht worden, um so zu fein, wie sic ist, sondern

um das Material zu vollkommeneren Gestaltungen zu sein; und daß der Keim dieser vollkommeneren Gestaltungen in ihr liegt, oder daß über dieser noch ungestalteten Masse

der göttliche Wille und die göttliche Macht vorhanden ist, sie zu etwas Geordnetem und Vollkommenem zu ge­

stalten, das deutet Moses mit den Worten an: „Der Geist Gottes schwebte oder brütete über den Wassern".

Von dem 3. Verse an wird nun die Gestaltung der

chaotischen Masse beschrieben.

Versen 3—5: es ward Licht. war.

Und

Finsterniß.

Zunächst heißt es in den

Und Gott sprach:

Es werde Licht, und

4 Itttb Gott sah das Licht, daß es gut

Gott trennte zwischen dem Lichte und

der

5 Uttb Gott nannte das Licht Tag und die

Finsterniß nannte er Nacht.

Und es ward Abend und

es ward Morgen Ein Tag.

Ueber die Natur und das Wesen des Lichtes wird hier gar nichts gesagt; cs wird nur berichtet,

cs sei in

Folge eines göttlichen Willensactes hell geworden, also die eine Eigenschaft des Chaos, die Finsterniß, aufgehoben

worden.

Die Finsterniß wird aber nicht ganz beseitigt,

sondern verliert nur ihre Alleinherrschaft; sie wird in be­ stimmte Schranken gebannt und ihr Verhältniß zum Lichte

wird festgesetzt: Gott trennt zwischen dem Lichte und der

36 Finsterniß. Dieses von Gott festgesetzte Verhältniß von

Licht und Finsterniß ist das des regelmäßigen Wechsels; diesen Wechsel von Hell und Dunkel bezeichnet die mensch­

liche Sprache mit den Worten Tag und Nacht, und wenn also gesagt wird: „Gott nannte das Licht Tag und die Fin­ sterniß Nacht", so heißt das nichts anderes als: der Wechsel

zwischen Licht und Finsterniß, den wir mit den Ausdrücken Tag und Nacht bezeichnen, beruht auf einer göttlichen

Anordnung. Zur Erklärung des Umstandes, daß hier in dem Satze: „Es ward Abend und cs ward Morgen Ein Tag",

und ebenso in den folgenden ähnlichen Sätzen der Abend

vor dem Morgen genannt wird, darf man nicht auf die

jüdische Sitte verweisen, den bürgerlichen Tag mit dem Abend beginnen zu lassen.

Die Sache verhält sich viel­

mehr so: Der erste Schöpfungstag beginnt mit dem Er­

scheinen des Lichtes, also mit dem Morgen; der natür­ liche Tag geht zu Ende mit dem Zurücktreten des Lichtes

und dem Wiederein treten der Nacht, also mit dem Abend; der zweite Tag beginnt wieder mit dem Morgen.

Die

Nacht, welche zwischen dem Abend des ersten und dem

Morgen des zweiten Tages liegt, macht also mit dem ersten natürlichen

Tage einen einmaligen Wechsel von

Tag und Nacht, also einen bürgerlichen Tag aus.

Wenn

Moses nicht sagt: es ward Abend und Nacht, und damit

war Ein Tag zu Ende, sondern: es ward Abend unb Morgen, Ein Tag, so ist dieses nur ein kurzer Aus­ druck für: cs ward Abend und Nacht, und die Nacht bis

zum folgenden Morgen schloß den ersten Tag ab; und Moses wählt gerade diesen Ausdruck, um zu dem zweiten

Tage, der mit dem Morgen beginnt, übcrzuleiten.

37 Am ersten der sechs Tage wurde also die Finsterniß, welche nach Vers 2 die Wassermasse des Chaos bedeckte,

beseitigt.

Das Werk des zweiten Tages bezieht sich nun

auf diese Wassermasse selbst.

Der Bericht darüber lautet

in den Versen 6—8: Und Gott sprach:

Es werde eine

Festeinmitten der Wasser, und sie sei scheidend (ober: ein

Scheidendes, oder: daß sie scheide) zwischen Wassern und

Wassern, d. h., wie der folgende Vers zeigt, so, daß ein

Theil der in Vers 2 erwähnten Wasscrmassc oberhalb,

ein Theil unterhalb dieser Feste sei.

7 Und Gott machte

die Feste und schied zwischen de» Wassern unterhalb der Feste und den Wassern oberhalb der Feste. schah also.

Und es ge­

8 Und Gott nannte (oder, wie wir im Deut­

schen construiren würden: Und nachdem dieses geschehen,

nannte Gott) die Feste Himmel.

Und es ward Abend

und es ward Morgen, ein zweiter Tag. Ein Theil der großen Wassermasse, welche in der

Beschreibung des Chaos in Vers 2 erwähnt wird, hebt sich also am zweiten Tage von der Erde empor, während der andere Theil zurückbleibt; es tritt eine Scheidung der

Wasser ein in himmlische und irdische Wasser. Die erste­

ren sind

nicht etwa, wie einige Ausleger wollen,

der

Stoff, aus welchem die Himmelskörper gebildet wurden, die am vierten Tage hervortraten, sondern das Wolken­

wasser, und das Werk des zweiten Tages ist die Bildung der Erdatmosphäre.

Denn Moses hatte gar keine Ver­

anlassung, darüber zu berichten, woraus und wie die Ge­

stirne gebildet wurden, da er nur eine Gcogonie, nicht

eine Kosmogonie geben will und also von den Sternen nur in so weit zu rede» hat, als sie auf die Erde Bezug

haben, — was er bei dem vierten Tage thut.

Dagegen

38 wäre seine Darstellung in auffallender Weise lückenhaft, wenn er nicht von der Atmosphäre und speciell von den

Wolken redete, da der Regen, welcher nach der gewöhn­ lichen Anschauung aus den Wolken hcrabfällt, wesentlich nöthig ist zum Gedeihen der Vegetation und diese hin­ wiederum im Folgenden zu dem Menschen in die engste Beziehung gebracht wird. Das Werk des dritten Tages zerfällt in zwei Theile.

Erstens werden Wasser und Land geschieden, Vers 9 und 10: Und Gott sprach: Es sollen sich sammeln die Wasser

unterhalb des Himmels an Einem Orte, und es soll ge­

sehen werden (oder erscheinen) das Trockene. geschah also.

Und es

'»Und Gott nannte das Trockene Land,

und die Versammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.

Die Benennung der jetzt als

geschieden hcrvortretenden festen und flüssigen Theile der

Erdoberfläche weist, wie früher erwähnt wurde, darauf

hin, daß Gott jetzt den definitiven Zustand habe eintretcn lassen, welchen die menschliche Sprache mit den Ausdrücken

„Land und Meer" bezeichnet.

Daß die Ströme, welche

ins Meer fließen, sowie die Landsecn und Binnenmeere, welche gleichsam versprengte Theile des Weltmeeres sind, nicht erwähnt werden, kann nicht auffallcn; cs handelt

sich ja nur um die Scheidung von Wasser und Land im

Ganzen und Großen. Vergleichen wir den Zustand,

in welchem sich die

Erde jetzt am dritten Tage befindet, mit dem Zustande,

in welchem sie sich vor dem ersten Tage befand, so wird uns

die Beschreibung

klarer.

dieses

frühern Zustandes noch

Jetzt ist das trockene Land hervorgetreten; damals

wnrde die Oberfläche der Erde als ungeheure Waffermaffe

39 bezeichnet.

Jetzt ist es Helle; jene Wassermasse war von

Finsterniß bedeckt.

Zwei Eigenschaften des Chaos sind

also jetzt beseitigt; nur die dritte ist noch übrig: die Erde ist

auch jetzt noch wüst und öde. noch zu beseitigen.

Dieser Mangel ist also

Gott beginnt damit noch ain dritten

Tage; denn das zweite Werk desselben ist die Hervorbrin­

gung der Vegetation. Darüber wird in den Versen 11—13 berichtet: Und

Gott sprach: Es lasse sprossen die Erde Grün, Kräuter, welche Samen tragen, und Frnchtbäume, welche Frucht

bringen »ach ihrer Art, worin ihr Same ist, auf Erde.

der

Und es geschah also, 12 und es brachte hervor die

Erde Grün, Kräuter, welche Samen tragen nach ihrer

Art, und Bäume, welche Frucht bringe», worin ihr Same ist, nach

daß cs gut war.

ihrer Art. Und Gott sah,

13 Und es ward Abend und es ward Morgen ein drit­

ter Tag.

Die Hervorbringung der Vegetation wird ganz passend noch auf den dritten Tag verlegt.

„Die Pflanzenwelt,

sagt Kurtz'), im mütterlichen Boden festgewurzelt und seine Blöße mit einem prachtvollen Gewände verhüllend,

hat kein

für sich bestehendes Dasein.

Darum ist ihre

Entstehung noch demselben Tagewerke zugewiesen, welches dem Festlande, dem sic leibeigen angehört, seine freie Existenz errang."

doch

die

beiden

Auf der andern Seite werden aber

mit einander verbundenen Werke der

Scheidung von Wasser und Land und der Bekleidung des

Landes mit der Vegetation, als zwei selbständige Werke dadurch gekennzeichnet, daß der Bericht über das Werk 1) Bibel und Astronomie, 1858, S. 73.

40 des dritten Tages zweimal sagt:

„Und

Gott sprach"

und zweimal: „Und Gott sah, daß es gut war".

Von der Eintheilung der Pflanzen habe ich bereits früher gesprochen (S. 28).

Auch habe ich schon hervorge­

hoben (S. 21), daß der Ausdruck „Kräuter und Bäume nach

ihrer Art" darauf Hinweise, daß Gott nicht einerlei, son­ dern mancherlei Kräuter und Bäume habe hervorsprossen lassen,

und daß Moses sage,

Gott habe samcntragende

Pflanzen erschaffen, also den ersten von ihm geschaffenen

Pflanzen die Fähigkeit der Fortpflanzung verliehen, um damit anzudcuten, daß auch hie jetzt existirendc Pflanzen­

welt, eben wegen ihrer Abstammung von der am dritten Tage geschaffenen,

als Schöpfung Gottes anzusehcn sei.

In welcher Weise die Pflanzen entstanden, ob Gott

die Keime derselben oder die Kraft, sie hcrvorzubringcn, in die Erde hincingclegt hatte und diese Keime und Kräfte

also am dritten Tage dem Willen Gottes die Pflanzen hervorsprossen ließen,

entsprechend

oder ob Gott jetzt

durch sein Wort die Pflanzenwelt aus nichts schuf, dar­ über sagt Moses nichts.

Es genügt ihm, anzudenten,

daß die Existenz der Pflanzen auf Gottes schöpferischen Willen zurückzuführen sei. Mit dem Ende des dritten Tages sind wir in der

Mitte des Sechstagewerkes angekommen.

Was noch folgt,

bildet nicht nur insofern eine Parallele zu dem, was vor-

hergegangcn, als beides je drei Tagewerke ausmacht, son­ dern auch die einzelnen Tagewerke der zweiten Hälfte der

Schöpfungswoche entsprechen den einzelnen Tagewerken

der ersten Hälfte.

Am ersten Tage ward das Licht, am

vierten Tage werden die leuchtenden Himmelskörper; am

zweiten Tage wurde das irdische Wasser von dem Him-

41 melswasser geschieden und der Himmel gebildet, am fünf­

ten Tage werden

die irdischen Gewässer von Thieren

belebt und in der Luft erscheinen die Vögel des Himmels;

am dritten Tage trat das trockene Land hervor und wurde mit Pflanzen bekleidet, am sechsten Tage erhält

es seine Bewohner, die Landthicrc und die erhabensten unter den lebenden Wesen, die Menschen.

Der Bericht über den vierten Tag lautet in den

Versen 14—19: Und Gott sprach: Es sollen Lichter (oder Leuchten) sein an der Feste des Himmels, um zu tren­

nen zwischen dem Tage und der Nacht; und sie sollen sein zu Zeichen und zu Zeiten und zu Tagen nud Jahren; 15 und

sie sollen werden zu Lichtern an der Feste des

Himmels, nm zu leuchten (oder: um es hell zu machen)

über der Erde. Und es geschah also.

16 Und Gott machte

die zwei großen Lichter, das große (oder: größere) Licht,

z« beherrschen den Tag, und das kleine (ober: kleinere)

Licht, zu beherrschen die Nacht, und die Sterne.

17 Und

Gott setzte sic an die Feste des Himmels, nm zu leuch­ ten über der Erde 18 und um zu herrschen am Tage und in der Nacht und um zu trennen zwischen dem Lichte

nnd der Finsterniß.

Und Gott sah,

daß es gut war.

19 Und es ward Abend nnd es ward Morgen ein vier­ ter Tag.

In diesen Sätzen wird zunächst ausführlich angege­

ben, welchen Zweck und welche Bestimmung die Sterne für die Erde haben.

Sie sollen erstens zu Lichtern wer­

den an der Feste des Himmels, um zu leuchten oder um es hell zu machen über der Erde; das Licht, welches Gott schon am ersten Tage hervorgebracht, soll also fortan für

die Erde an die Gestirne geknüpft fein.

Die Sterne

42

sollen zweitens trennen zwischen dem Lichte und

der

Finsterniß, wie es in Vers 18, oder zwischen dem Tage

und der Nacht, wie es in Vers 14 heißt.

Auch die

Trennung von Licht und Finsterniß, d. h. die Festsetzung

des Wechsels von Tag und Stacht, den wir Tag und Nacht nennen, ist schon ein Werk des ersten Tages. Das­

selbe wird hier dadurch vervollständigt, daß der Wechsel von Tag und Nacht an die Gestirne geknüpft wird, und

zwar vorzugsweise an Sonne und Mond, von denen in Vers 16 gesagt wird, jene solle den Tag, dieser die Nacht beherrschen.

Drittens sollen die Sterne nach Vers 14

den Menschen „zu Zeichen" dienen, z. B. zu Vor- und Merkzeichen physischer Ereignisse, wie der Witterung, ins­ besondere „zu Zeiten", d. h. zu Zeichen des Zeitenwech­ sels, als Maß und Norm der Zeitrechnung, und zwar zur Bestimmung der Zeiten im Allgemeinen, also der

Jahreszeiten, der Zeiten für Ackerbau und Schifffahrt, der Festzcitcn u. s. w., und speciell zur Bestimmung der „Tage und Jahre", also der Zeitrechnung in der gewöhn­

lichen Bedeutung des Wortes.

Alle diese drei Punkte geben nur die Bestimmung und den Zweck der Gestirne für die Erde an; was sie

sonst für Zwecke haben und welches ihre Beschaffenheit und ihr Verhältniß zu einander ist, davon braucht Moses

nicht zu reden; denn in der Geogonie oder, noch genauer gesagt, in der Schilderung der Zubereitung des Wohn­

platzes der Menschen, die er in dem ersten Capitel seines

Buches geben will, finden die Sterne, und zwar zunächst Sonne und Mond, alle anderen Sterne nur beiläufig,

nur insofern einen Platz, als die Erde durch sie erhellt wird und als zwischen ihnen und der Erde ein solches

43 Verhältniß besteht, daß der Wechsel von Tag und Nacht

und überhaupt der Zcitenwechscl und was damit zusam­ menhängt,

für die Erde an das Auf- und Untergehen

der Sterne und die sonstigen regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen in dem Verhältniß der Sterne zur Erde

geknüpft ist. Da die Gestirne aber für den Bericht des Moses

nur wegen ihres Verhältnisses zur Erde und zum Men­ schen Bedeutung haben, so brauchten sie erst da erwähnt zu werden, wo dieses Verhältniß einzutretcn begann.

Die

Worte des Berichtes nöthigen also nicht zu der Annahme,

daß die Sterne erst am vierten der sechs Tage überhaupt zu sein «»gefangen hätten; sie können schon vor dem vier­ ten Tage cxistirt haben,

ohne daß Moses von seinem

Standpunkte aus von ihnen Notiz zu nehmen brauchte:

für die Erde beginnen sie erst am vierten Tage zu existiren; denn erst jetzt wird das Verhältniß zwischen ihnen und der Erde von Gott festgesetzt; darum werden

sie auch erst in dem Berichte über den vierten Tag er­ wähnt.

Wenn einige Ausleger unter den „Sternen" in Vers 18 nur die Planeten unseres Sonnensystems verstehen

wollen, so ist das willkürlich;

Moses unterscheidet hier

offenbar gar nicht zwischen Fixsternen und Planeten, sondern denkt an alle Sterne, die wir am Himmel er­

blicken. Das Werk des fünften Tages ist die Erschaffung der

Wasserthiere und der Luftthiere, Vers 20—23:

Und

Gott sprach: Es sollen wimmeln die Wasser von einem

Gewimmel von lebendigen Wesen, und Geflügel soll flie­ gen über der Erde an der Fläche (eigentlich: über dem

44

Antlitz) der Feste des Himmels.

21 Und Gott schuf die

großen Seethiere und alle die kriechenden lebenden Wesen,

von denen die Wasser wimmeln, nach ihren Arten «nd alles gefiederte Geflügel nach seiner Art.

daß cs gut war.

Und Gott sah,

22 Und Gott segnete sie, indem er

sprach: Seid fruchtbar und werdet zahlreich auf der Erde. 23 Und cs ward Abend und es ward Morgen ein fünf­ ter Tag. Nehmen wir gleich den Bericht über das erste Werk

des sechsten Tages, die Erschaffung der Landthiere, hinzu, Vers 24, 25: Und Gott sprach: Es bringe hervor (oder: lasse hervorkommcn)

die Erde lebende Wesen nach ihrer

Art, Hausthiere und Gewürm und Thiere der Erde nitd)

ihrer Art.

Und es geschah also.

25 Und es machte Gott

(oder: es machte Gott nämlich) die Thiere der Erde nach ihrer Art und die Hausthierc nach ihrer Art und alles Gewürm der Erde nach seiner Art.

Und Gott sah, daß

es gut war.

Ueber die Eintheilung der Thiere, druck „nach ihrer Art"

über den Aus­

und über die Bedeutung des

„Segnens" der Thiere ist bereits früher (S. 21. 29) das Nö­

thige gesagt.

Was von den Wasserthiercn und Luftthieren

gesagt wird: „Und Gott segnete sic, indem er sprach rc.",

gilt natürlich auch von den Landthicrcn.

Die Art und

Weise der Hervorbringung der Thiere wird nicht genauer beschrieben;

wir werden sie uns aber ähnlich wie die

Erschaffung der Menschen im 2. Capitel V. 7 zu denken,

d. h. anzunchmcn haben,

daß Gott die Thierleiber aus

vorhandenem Stoffe — „von der Erde", wie es Capitel 2, V. 19 heißt — gebildet und sie durch seinen schöpferischen Willen belebt habe.

45

Das Werk des sechsten Tages umfaßt außer der Erschaffung der Landthierc auch die Erschaffung des Menschen. Auch der Mensch gehört, wie der h. Augusti­ nus bemerkt, zu den die Erde bewohnenden lebenden Wesen, und mit Rücksicht darauf wird seine Erschaffung und die der Landthiere auf denselben Tag verlegt; mit Rücksicht aber auf den dem Menschen zukommenden Vor­ zug der Vernünftigkeit und Gottebenbildlichkeit wird von ihm besonders geredet, nachdem der Bericht über die Landthierc mit der Formel „Und Gott sah, daß es gut war", abgeschlossen ist. — Daß der Mensch ein wesentlich anderes Geschöpf ist als diejenigen Geschöpfe, von welchen bisher die Rede war, zeigt schon die Beschreibung, welche Moses von seiner Erschaffung gibt; V. 26—31: Und Gott sprach: Wir wollen den Menschen machen nach unserm Bilde, nach unserer Achnlichkeit, und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Bögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde (oder, wie der Text wohl zu berichtigen sein wird: und über alle Thiere der Erde) und über alles Gewürm, welches kriecht auf der Erde. 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und Weib schuf er sie. 28 Und Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und werdet zahlreich und erfüllet die ganze Erde und unterwerfet sie, und herrschet über die Fische des Meeres und über die Bögel des Himmels und über alle Thiere, welche kriechen auf der Erde. 29 Und Gott sprach: Siehe, ich gebe euch alles Kraut, welches Samen trägt, welches ist auf der Oberfläche der ganzen Erde, und alle Bäume, an welchen Baumfrncht ist, welche Samen trägt, daß sie

46 euch seien zur Speise.

30 Und allen Thieren der Erde

und allen Vögeln des Himmels und allem, was kriecht

auf der Erde, in welchem Lebensodem ist, gebe ich alles Grün des Krautes zur Speise.

Und es geschah also.

31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe,

es war sehr gut.

Und es ward Abend und

es ward

Morgen der sechste Tag. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht nach dieser Stelle zunächst in der ihm übertragenen Herrscher^ würde; diese schließt aber das Andere, worin die Theo­ logen sonst seine Gottcbcnbildlichkeit finden, ein, daß er

nämlich eine unsterbliche, vernünftige und freie Seele hat.

Weitere Erörterungen über diesen und über den im zwei­

ten Capitel der Genesis enthaltenen Bericht über die Erschaffung des Menschen werden in einem spätern Ab­

schnitte gegeben werden. Den Schluß des mosaischen Berichtes über das Sechs­

tagewerk bilden die Sätze, welche in unseren Bibelaus­

gaben sehr unpassend von dem ersten Capitel der Gene­ sis getrennt und als Vers 1—3 des zweiten Capitels ge­

zählt werden:

Und es waren vollendet der Himmel und

die Erde und all ihr Heer (oder, wie in der Vulgata,

frei, aber gut übersetzt ist: „und all ihr Schmuck"; Neh.

9, 6 heißt cs vollständiger:

„der Himmel und all sein

Heer, die Erde und alles, was darauf ist").

2 Und es

hatte Gott vollendet am siebenten Tage sein Werk, welches er machte, und er ruhte am siebenten Tage von all seinem Werke, welches er gemacht hatte (oder, wie wir den Satz

im Deutschen construiren würden:

„Und da Gott am

siebenten Tage all sein Werk vollendet hatte, ruhte er).

8 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn,

47 weil er an ihm ruhte von all seinem Werke, welches er geschaffen hatte.

Daß der Ausdruck, „Gott ruhte von seinem Werke" so viel bedeutet als: er hörte auf zu schaffen, wurde be­

reits früher (S. 25) gesagt. steht:

Daß hier die Formel nicht

„Und cs ward Abend und es ward Morgen der

siebente Tag", hat seinen Grund einfach darin, daß auf

diesen Tag kein neuer Schöpfungstag mehr folgt, daß mit dem Anbruch des siebenten Tages das Sechstagewerk, welches Moses hier beschreiben wollte, zu Ende ist.

Er

fügt nur noch die Bemerkung bei, daß Gott mit Rück­

sicht auf das Sechstagewerk den siebenten Tag gesegnet und geheiligt, d. h. daß Gott den siebenten Tag für die Menschen als

einen

heiligen, zum Andenken

an

die

Schöpfung und zu Ehren des Schöpfers zu feiernden Tag

eingesetzt habe.

Diese Bemerkung ist wesentlich; denn sie

erklärt es, wie ich schon früher (S. 25) hervorgehoben, warum die Bibel sich nicht darauf beschränkt,

uns zu

sagen, daß Gott alles geschaffen, sondern ausdrücklich er­ wähnt, daß Gott in sechs Tagen geschaffen habe. Dieser Satz, daß Gott in „sechs Tagen" geschaffen, wird bei den Erörterungen über das Verhältniß des bib­ lischen Berichtes zu den Ergebnissen der Naturforschung

in den Vordergrund treten.

Ehe ich diese Erörterungen

beginne, bespreche ich einige mit jenem Satze nicht zu­

sammenhängende Einwendungen gegen den Bericht über

das Sechstagewerk, welche sich, da sie auf bloßen Miß­ verständnissen beruhen, ohne Schwierigkeit schon jetzt er­

ledigen lassen.

48

IV.

Beseitigung einiger Mißverständnisse bezüglich des biblischen Schöpfungsberichtes.

Einige Naturforscher, z. B. Sinne, haben gemeint, nach der Darstellung, welche im ersten Capitel der Gene­

sis V. 20 ff. von der Erschaffung der Thiere gegeben

wird, seien die ersten Thiere an einem einzigen Orte, und zwar von jeder Art ein einziges Paar geschaffen worden. Einzelne haben sich die Mühe gegeben, ausführlich nach­

zuweisen, wie schwierig, ja wie unmöglich es dann ge­ wesen sein würde, daß sich alle Thierartcn hätten erhal­

ten können: die Urpaare des Löwen, Tigers u. s. w. wür­ den sofort die pflanzenfressenden Urpaarc getödtet haben, und schon am ersten Tage würden alle Pflanzenfresser

vertilgt gewesen sein.

Das bernht auf einem handgreif­

lichen Mißverständnisse.

Wenn nach dem biblischen Be­

richte nur Ein Menschenpaar geschaffen worden ist, so

darf das nicht auch auf die Thierwelt übertragen und angenommen werden, es seien auch nur einzelne Paare von Rindern und Schafen, Rehen und Hasen u. s. w.

vorhanden gewesen.

Dem biblischen Bericht liegt viel­

mehr, wie Delitzsch ') richtig bemerkt, offenbar die An­ schauung zu Grunde, daß das durch Gottes Machtwort

hervorgerufene Thierleben sich allenthalben gleichzeitig in einer Menge von Individuen, am fünften Tage in Wasser

und Luft, am sechsten auf dem Lande zu regen begann. Ein anderes Mißverständniß knüpft sich an die Verse

1) Genesis, 4. Ausl. S. 97. Dgl. Bibel und Natur S. 101.

49 29 und 30 an, in welchen berichtet wird, Gott habe die

Kräuter und Baumfrüchte den Menschen, alles Grün des Krautes den Thieren zur Speise -gegeben.

Das haben

nämlich Einige so deuten wollen, als habe Gott die Men­ schen und die Thiere ursprünglich auf Pflauzeu-Nahrung

angewiesen. Was den Menschen betrifft, so lassen sich aller­ dings die Worte, welche nach der Genesis Cap. 9, V. 3 Gott nach der Sündftuth spricht, so auslegen, daß Gott

darin den bis dahin nicht gestatteten Genuß von Fleisch erlaubt; die Worte werden aber von vielen Auslegern mit Recht anders gedeutet, und nöthigen jedenfalls nicht zu

der Annahme, daß nach dem biblischen Berichte die Men­ schen ursprünglich bloß auf Pflanzen-Nahrung angewiesen gewesen seien.

Die Ansicht aber, auch die jetzt Fleisch

fressenden Thiere hätten sich ursprünglich von Pflanzen

genährt, dürfen auch die Theologen mit Thomas von

Aquin als unvernünftig bezeichnen.

Die Worte:

„Allen

Thieren der Erde gebe ich alles Grün des Krautes zur Speise", sind so zu verstehen, daß Gott damit das Pflan­ zenreich dem gefammten Thierreiche, nicht aber allen ein­

zelnen Thierclassen zur Nahrung überweist.

Sonderbarer Weise haben einige Theologen und Na­ turforscher auch aus der bekannten biblischen Lehre, daß

durch die Sünde der ersten Menschen der Tod in die

Welt gekommen sei, gefolgert, vor dem Sündcnfalle seien nach der biblischen Anschauung auch die Thiere nicht ge­

storben und also auch nicht von anderen Thieren gctödtet und verzehrt worden.

Da nun ganz unzweifelhaft schon

vor dem Auftreten des Menschen, wie die versteinerten Reste urweltlichcr Thiere zeigen, Raubthiere existirt und andere Thiere verzehrt haben und, wie man es ausgedrückt, Reusch, bibl. Schopfuugsgesch. 4

50 „der Tod Jahrtausende, ehe der Mensch diese Erde be­

trat, unter ihren Bewohnern gewüthet hat", so haben Karl Vogt, Hartpole Lccky und Andere triumphirend

darauf hingewiesen, daß hier die Geologie eine biblische

Lehre als unrichtig erwiesen habe. Aber wenn die Bibel

lehrt, durch die Sünde Adams sei der Tod in die Welt gekommen, so will sic damit offenbar nur sagen, durch die Sünde habe der Mensch die ihm von Gott verliehene Gnadengabe der leiblichen Unsterblichkeit verloren; daß auch den Thieren ursprünglich die Unsterblichkeit und Leidenslosigkeit verliehen gewesen sei, sagt die Bibel nirgend­ wo. Und wenn Frohschammcr meint: „wenn für die Thiere die physischen Uebel und der Tod von Anfang

an herrschten, so hätten auch die Menschen, welche diesel­ ben Stoffe und chemischen, physicalischen und organischen Kräfte und Gesetze in sich tragen, nicht von diesem ge­ setzlichen Naturlaufc ausgenommen sein können, und es bleibe naturwissenschaftlich kaum etwas anderes übrig als

auch für den Menschen von Anfang an Leiden, Krank­ heiten und Tod anzunehmen": so ist das eine willkürliche

Behauptung, da die Naturwissenschaft nicht zu beweisen vermag, daß der von Natur leidens- und todcsfähige

Leib des Menschen nicht durch eine übernatürliche Wir­ kung Gottes vor Leiden und vor dem Tode habe bewahrt

werden können *). Zu einem Mißverständnisse anderer Art haben die ersten Verse der Genesis Anlaß gegeben, in welchen die

Erde, wie sie vor dem Sechstagewerke war, als „Wasser­

masse" bezeichnet toirb1 2).

Einige Geologen haben näm-

1) Vgl. Bibel und Natur S. 105. 2) Vgl. Bibel und Natur S. 151.

51 lich angenommen, die Erde habe sich in früherer Zeit in

einem in Wasser aufgelösten oder in einem durch das Wasser bewirkten, theils festwcichen, theils flüssigen oder

und durch

aufgelösten Zustande befunden,

mechanische

Wirkungen, den Druck u. s. w., und noch mehr durch che­ mische Processe verschiedener Art habe dieser Urbrei all­

mählich eine feste Gestalt angenommen und seien daraus vor und nach die einzelnen Gebirgsarten entstanden. Im Gegensatze zu dieser Theorie der Erdbildung, deren Ver­

treter man Neptunist en nennt,

nehmen Andere,

die

Pluto nisten, an, der ganze Erdkörper sei vormals eine

feuerflüssige, geschmolzene Masse gewesen und aus diesem

Zustande nach und nach durch allmähliche Abkühlung auf der Oberfläche in den festen Zustand übergegangen. Nachdem sich eine feste Kruste gebildet, hat sich dann nach dieser Theorie aus den Niederschlägen aus der Atmosphäre

ein großes Weltmeer gebildet, welches ganz oder doch bei­ nahe ganz die Erde bedeckte, und aus diesem haben sich

dann auch neptunistische Schichten abgelagert. Diese letz­

tere, die plutonistische Ansicht wird jetzt

von den meisten

Geologen für die richtige gehalten. Nun hat man gesagt:

dem biblischen Berichte liege offenbar die neptunistische

Anschauung zu Grunde, also eine Anschauung die mit der jetzt herrschenden und von vielen Geologen für allein

richtig gehaltenen Ansicht in Widerspruch stehe. Es muß zugegeben werden, daß einzelne Theologen

den Bericht der Genesis als eine Darstellung der neptunistischen Theorie der Erdbildung gedeutet und diese

Theorie geradezu als die biblische und als die von jedem

Bibelgläubigen

festzuhaltende

bezeichnet

Theologen sind aber im Unrechte.

haben.

Diese

Wenn in dem ersten

52 Capitel der Genesis zuerst in Vers 2 gesagt wird: „Die Erde war wüst und öde und Finsterniß über der Wasser­

masse", und wenn dann berichtet wird, Gott habe am zweiten Tage die Erd-Atmosphäre gebildet und am drit­ ten das trockene Land aus dem Wasser hervortreten lassen,

so kann das allerdings so verstanden werden, daß der Vers 2 den Zustand beschreibe, in welchem die Erde, wie die Ncptunisten wollen, nur als große Wassermasse vor­ handen war, in welcher die Bestandtheile derselben auf­

gelöst oder erweicht sich vorfanden, und daß am dritten

Tage die Bildung des festen Erdkörpers aus diesen flüs­ sigen Massen vollendet wurde.

Aber der mosaische Be­

richt kann auch anders verstanden werden. Zunächst ist festzuhalten, daß Moses überhaupt nicht

von der Bildung des Erdkörpers an sich zu reden hat, sondern von der Gestaltung der Erde zum Wohnplatze

für den Menschen; darum interessirt ihn nicht das Erd­ innere, sondern nur die Erdoberfläche, und seine Geogonic ist darum eine oberflächliche in der eigentlichen Be­

deutung des Wortes.

Ferner ist bei der Auslegung des

Verses 2 festzuhalten, daß dieser Vers einen Gegensatz zu dem Folgenden bildet.

Jetzt sehen wir die Erde in

Land und Meer getheilt, beide Theile von Thieren be­ wohnt, die Erde mit Pflanzen bekleidet, alles von der

Sonne erhellt. Das alles, lehrt Moses, ist durch Gottes Wort so geworden; so war es nicht von Anbeginn; diesem

Zustande der Erde ist ein anderer vorhergegangen, in

welchem dieses alles noch nicht da war.

Wie kann er

nun diesen frühern, chaotischen Zustand besser schildern als mit den Worten:

„Die Erde war wüst und

öde",

d. h. ohne Vegetation und lebendige Bewohner, ja Wasser

53 und Land waren noch gar nicht geschieden, die Erde bot sich dem Blicke als eine einzige große Wassermasse dar, und

auch das Licht mangelte noch; also „Finsterniß war über der Wasscrmasse" ?

Diesem in Vers 2 beschriebenen Zu­

stande der Erde mag noch ein anderer vorhergegangen, die

Erde mag eine feuerflüssige, glühende und allmählich erstar­

rende Masse gewesen sein, ehe sie sich als eine von Wasser bedeckte Masse darstellte.

Alle Gestaltungsprocesse, welche

das Innere der Erde durchgemacht haben mag, und alle Gestaltungsprocesse, welche vor den ersten der sechs Tage gefallen sein mögen,

tonnte Moses mit Stillschweigen

übergehen; denn er will ja nicht eine wissenschaftlich voll­ ständige und gründliche Geogonie liefern, sondern nur einen Bericht über die Gestaltung der Erde zum Wohn­

platze für den Menschen, und für diesen Zweck ist das

vollkommen ausreichend, was er sagt:

die Pflanzenwelt

und die Thierwclt sind von Gott geschaffen, das Licht ist

von Gott hervorgebracht, die Trennung von Wasser und

Land ist durch Gott bewirkt worden, und ehe alles dieses durch Gott gemacht wurde, war es nicht da: es war

dunkel und das Wasser bedeckte das Land. Wir können also aus dem Berichte des ersten Capi­

tels nur die Angabe entnehmen, daß die Erde vormals mit Wasser bedeckt gewesen und daß nach Gottes Willen die Scheidung von Wasser und Land auf der Erdober­ fläche .eingetreten sei.

Diese Angabe ist aber

plutonistischen Theorie ebenso wohl vereinbar

mit der wie

mit

der neptunistischen; denn auch die Plutonisten nehmen,

wie wir gesehen haben, an, daß die Erdoberfläche vormals von Wasser bedeckt gewesen und daß sich ein großer Theil

der Formationen der Erdrinde durck Niederschläge aus dem

54 daß

Wasser gebildet habe,

und

solcher neptunistischen

Schichten die Erdoberfläche

die

Aufnahme

der Pflanzen-

erst nach der Bildung

und Thierwelt

für

geeignet

wurde.

V.

Die Geologie und die „sechs Tage".

Die Geologie hat bekanntlich die Aufgabe,

von

dem jetzigen Zustande des Erdkörpers ausgehend, die Ver­

änderungen, welche mit demselben in der Vergangenheit vor sich gegangen sind, nachzuweisen und die Geschichte der Erde von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart darzustcllenl).

Die Erfahrung lehrt, daß die Erdober­

fläche und die Erdrinde noch jetzt bedeutenden Verände­

rungen unterworfen sind, und

die Beschaffenheit der

Erdrinde nöthigt zu der Annahme, daß auch in früherer Zeit

solche

Veränderungen stattgcfunden

haben.

Die

Erforschung der jetzigen Beschaffenheit der Erdrinde, der Kräfte,

welche Veränderungen

derselben bewirken,

insbesondere der Wirkungen des Wassers und



der vul-

canischen Kräfte, — und der Gesetze, nach welchen solche

Veränderungen stattfinden, bietet also den Geologen ein Mittel, die

erkennen.

früher stattgefundcnen Veränderungen

Die Geschichte

der

Erde in diesem

zu

Sinne,

kann man sagen, ist in die Erdrinde eingezeichnet, und

die Geologie hat diese Chronik zu entziffern. 1) Vgl. Bibel und Natur S. 151. 166. geschichte S. 1.

Pfaff, Schöpfungs­

54 daß

Wasser gebildet habe,

und

solcher neptunistischen

Schichten die Erdoberfläche

die

Aufnahme

der Pflanzen-

erst nach der Bildung

und Thierwelt

für

geeignet

wurde.

V.

Die Geologie und die „sechs Tage".

Die Geologie hat bekanntlich die Aufgabe,

von

dem jetzigen Zustande des Erdkörpers ausgehend, die Ver­

änderungen, welche mit demselben in der Vergangenheit vor sich gegangen sind, nachzuweisen und die Geschichte der Erde von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart darzustcllenl).

Die Erfahrung lehrt, daß die Erdober­

fläche und die Erdrinde noch jetzt bedeutenden Verände­

rungen unterworfen sind, und

die Beschaffenheit der

Erdrinde nöthigt zu der Annahme, daß auch in früherer Zeit

solche

Veränderungen stattgcfunden

haben.

Die

Erforschung der jetzigen Beschaffenheit der Erdrinde, der Kräfte,

welche Veränderungen

derselben bewirken,

insbesondere der Wirkungen des Wassers und



der vul-

canischen Kräfte, — und der Gesetze, nach welchen solche

Veränderungen stattfinden, bietet also den Geologen ein Mittel, die

erkennen.

früher stattgefundcnen Veränderungen

Die Geschichte

der

Erde in diesem

zu

Sinne,

kann man sagen, ist in die Erdrinde eingezeichnet, und

die Geologie hat diese Chronik zu entziffern. 1) Vgl. Bibel und Natur S. 151. 166. geschichte S. 1.

Pfaff, Schöpfungs­

55 Freilich liegt uns die zu entziffernde Chronik nur

sehr unvollständig vor, da nur erst ein verhältnißmäßig kleiner Theil der Erdrinde hat untersucht werden können. Auch geben die Geologen selbst zu, daß sich bezüglich der

früheren Perioden der Erdgeschichte vielfach nur mehr minder wahrscheinliche Vermuthungen

oder lassen.

aufstcllen

Aber von einem großen Theile der Geschichte der

Erde kann nach der übereinstimmenden Ansicht der be­ deutendsten Geologen in den Hauptumrisscn eine wissen­

schaftlich gesicherte Darstellung gegeben werden. Es ist erklärlich, daß die Geologen

sich

bemüht

haben, die Geschichte der Erde möglichst hoch hinauf, wo möglich bis zu ihrem Anfänge hinauf zu verfolgen. So beginnt denn die Geschichte der Erde in den geolo­ gischen Darstellungen mit der Zeit, wo unser Sonnen­

system ein einziger ungeheuerer Gasball war, aus dem sich allmählich

die Sonne und die Planeten mit ihren

Trabanten bildeten; cs folgt dann die Periode, in wel­

cher die Erde, nachdem sie ein selbständiger Weltkörper geworden war, aus dem gasartigen Zustande in den einer

feuerflüssigcn Kugel überging.

In einer weitern Periode

bildete sich eine feste Kruste dieser Kugel u. s. w.

So

berechtigt auch die Schlußfolgerungen sein mögen, auf

denen

diese Darstellung der ersten Perioden der Erdge­ wir werden diese Perioden mit Karl

schichte beruht'),

Vogt der mythischen Periode der Geschichte eines Volkes an die Seite stellen und sagen dürfen, daß die Geschichte

der Erde

erst

von dem Zeitpunkte an mit größerer

Sicherheit dargestellt werden kann, wo die Ablagerung 1) Vgl. Bibel und Natur S. 166. 179.

56 von Schichten begann, deren Entstehung und Aufein­ anderfolge sich namentlich mit Hülfe der in ihnen ent­ haltenen Ueberrestc von Pflanzen und Thieren, der Ver­ steinerungen, genauer bestimmen läßt. Bei diesen späteren Perioden der Erdgeschichte kommt also vorzugsweise die

Versteinerungskunde oder Paläontologie in Betracht *), und so manches auch hier noch im Einzelnen zweifelhaft

und bestritten sein mag, so sind doch bezüglich dieser Perioden in ihren Hauptumrisscn die geologischen For­ schungen zu allgemein anerkannten Ergebnissen gelangt.

Von diesen Ergebnissen der geologischen Forschungen kommen hier, wo cs sich um eine Vergleichung mit dem

Berichte der Genesis über die Bildung der Erde in „sechs

Tagen" handelt, zunächst folgende in Betracht: In der Zeit, in welcher sich die ältesten Schichten der Erdrinde aus dem Wasser ablagerten, gab es noch keine organischen Wesen, keine Pflanzen und Thiere, auf der Erde.

Diese Periode kann darum als die azoische Periode bezeichnet

werden.

Die folgende Zeit, von dem ersten Auftreten

der organischen Wesen bis zu dem ersten Auftreten des Menschen,

umfaßt eine ganze Reihe von Abschnitten,

welche sich durch die Verschiedenheit der in ihnen auf der Erde existircnden, jetzt in den verschiedenen Schichten ver­

steinerten Pflanzen- und Thierwclt, Flora und Fauna,

von einander absondern.

Diese verschiedenen Abschnitte

hat man in drei große Gruppen vereinigt, welche als

paläozoische, mesozoische und känozoische Periode, als ältere, mittlere und neuere Zeit des organischen Lebens,

bezeichnet werden.

Auf die känozoische Periode folgt dann

1) Vgl. Bibel und Natur S. 181.

57 die recentc Periode, welche mit dem ersten Auftreten

des Menschen beginnt und welche noch fortdauert.

Jede

der genannten drei großen Perioden zerfällt in mehrere Abschnitte, welche man nach Localitätcn, an welchen ihre

Ablagerungen sich finden, oder nach der Beschaffenheit dieser Ablagerungen mit verschiedenen Namen bezeichnet.

So heißen die Hauptabschnitte der paläozoischen Periode: die silurischc, die devonische, die Steinkohlen- und die

Permische Zeit oder Formation. Der dritte dieser Namen ist gewählt, weil sich in den Ablagerungen dieser Zeit vorzugsweise die Steinkohlen finden; die drei anderen Namen sind von drei Gegenden hcrgenommcn, in welchen sich Ablagerungen aus der betreffenden Zeit finden, von

dem Theile des westlichen Englands, wo in der römischen Zeit das Volk der Siluren wohnte, von der englischen

Grafschaft Dcvonshire und von dem russischen Gouver­ nement Perm. Die Ablagerungen jedes dieser Haupt­ abschnitte der drei großen Perioden bestehen dann wieder

aus einer Reihe von Schichten, welche sich nach einander gebildet haben, also kleinere Zeitabschnitte darstellen.

Wie verhält es sich nun mit der Chronologie dieser von den Geologen entworfenen Geschichte der Erde?

Die Geologen selbst sagen, mit voller Sicherheit könnten sie nur das relative, nicht das absolute Alter der einzel­

nen Formationen bestimmen, d. h. sie könnten ermitteln, welche Stelle eine Formation in der ganzen Reihenfolge der geschichteten Bildungen einnchme, ob sie älter oder

jünger sei als eine andere; aber sic könnten nicht einmal in runden Zahlen angebcn, wie viele Jahre die Bildung

jeder Formation in Anspruch genommen habe und wie viele Jahre von dem Beginne und von dem Abschluß der

58 Bildung jeder Formation bis zur Gegenwart verflossen

So können die Geologen z. B. wohl sagen, daß die

sei.

Steinkohlcnformation jünger als die devonische und älter

als die Permische Formation ist, aber nicht, vor wie vielen Jahrtausenden die Steinkohlenzcit angefangen hat und

vor wie vielen Jahrtausenden sie zu Ende war.

Die

Geologen haben freilich vielfach den Versuch gemacht, die Dauer der einzelnen Perioden der Erdgeschichte zu be­

stimmen;

sie gestehen

aber,

daß sie selbst

ungefähre

Schätzungen nur als unsichere Vermuthungen Vorträgen

können.

Darin aber sind die Geologen einig, daß cs sehr lange gedauert haben müsse, bis alle Formationen ihre jetzige Gestalt erhielten, und daß man, wenn man das „sehr lange" in Ziffern ausdrücken wolle, mit Jahrtausen­ den nicht ausrciche. Um beispielsweise eine der mäßigsten

Schätzungen anzuführen: Pfaff nimmt für die Bildung sämmtlicher Versteinerungen

enthaltenden Formationen

zehn bis zwanzig Millionen Jahre an1). Damit steht nun unzweifelhaft der mosaische Bericht über das Sechstagewcrk in Widerspruch, wenn wir die „sechs Tage" oder auch nur die letzten drei derselben als

Zeiträume von vierundzwanzig Stunden

ansehen und

annehmcn müssen, daß die Erschaffung der Pflanzen und Thiere kurz vor der Erschaffung des Menschen und die Bildung der Formationen, welche versteinerte Pflanzen

und Thiere enthalten, in den Jahrtausenden stattgcfunden habe, welche seit der Erschaffung des Menschen verflossen

sind.

Da aber die neueren Theologen fast ohne Aus-

1) Schöpfungsgeschichte S. 658.

59 nähme anerkennen,

daß die Bibel zur buchstäblichen

Deutung der „sechs Tage" nicht nöthige, so kann über

die Versuche,

die Perioden der Erdgeschichte,

von denen

die Versteinerungen Zeugniß ablegen, in die Zeit seit der Erschaffung des Menschen einzusügen, mit Stillschweigen hinwcggangen werden').

Von einem andern Versuche, die buchstäbliche Auf­

fassung der „sechs Tage" festzuhalten, dabei aber die Er­ gebnisse der

geologischen Forschung anzuerkennen,

etwas ausführlicher geredet werdens.

muß

Mehrere Theo­

logen und Geologen, namentlich Engländer und Deutsche,

haben nämlich folgende Ansicht als eine solche vorgetra­

gen, durch welche der biblische Bericht über das Sechs­ tagewerk mit den,, was die Geologie über die früheren

Perioden der Erdgeschichte lehrt, in Einklang

gebracht

werden könne: Zwischen dem ersten göttlichen Schöpfungs­ acte, von welchem der erste Vers der Genesis redet, und

dem ersten Acte des ersten der sechs Tage, von welchem der dritte Vers spricht,

ist eine lange Zeit verflossen.

Schon vor den« Sechstagcwerke ist die Erde gestaltet und

ein Wohnplatz des organischen Lebens gewesen.

Diese

frühere Gestaltung und diese frühere Pflanzen- und Thier­

welt wurde durch eine Katastrophe vernichtet, deren Fol­ gen in dem zweiten Verse der Genesis beschrieben werden. Darauf hat die Erde .ihre jetzige Gestaltung und ihre

jetzige Pflanzen- und Thierwclt erhalten, und in dem ersten Capitel der Genesis wird von Vers 3 an nicht über die erste Gestaltung der Erde und die erste Er­

schaffung der organischen Wesen berichtet, sondern über 1) Vgl. Bibel und Natur S. 213. 2) Vgl. Bibel und Natur S. 225.

60 jene Neugestaltung der Erde und über jene Neuschaffung der organischen Wesen, welche unmittelbar vor der Er­

schaffung sdcs Menschen stattgefunden hat.

Danach hat

man diese Ansicht die Restitutionstheoric genannt.

-Von einem Widersprüche zwischen der Geologie und Pa­ läontologie und der Bibel kann nach dieser Theorie gar nicht die Rede fein, weil kein directer Berührungspunkt übrig

bleibt.

Was die Geologen

über die Bildung der Erde

aus einer Gasmasse oder aus einer seucrflüssigen Kugel, was sie über die Entstehung der azoischen, paläozoischen,

mesozoischen und künozoischen Formationen und über die

Floren und Faunen lehren, deren Reste in diesen Schichten begraben sind, das alles braucht bei der Erklärung des

mosaischen Berichtes nicht berücksichtigt zu werden; denn

cs fällt in die Zeit, die den sechs Tagen dieses Berichtes vorausging.

Erst wo die paläontologische Geschichte der

Erde aufhört, beginnt die Als die

biblische Geschichte der Erde.

letzte Flora und Fauna der paläontologischen

Perioden untergegangen war, schuf Gott zuerst die Pflanzen,

dann die Wasser-, Luft- und Landthiere, welche in ihren Nachkommen noch jetzt cxistircn, also die Pflanzen- und Thicrwelt der recenten Periode nach der geologischen Be­

zeichnung. Es kann zugegeben werden,

daß diese Theorie mit

dem Berichte der Bibel vereinbar, also exegetisch zulässig

ist').

Sie ist aber mit den Ergebnissen der geologischen

Forschungen nicht vereinbar und darum nicht geeignet,

den scheinbaren Widerspruch zwischen Bibel und Geologie zu beseitigen.

Es wird bei dieser Theorie vorausgesetzt.

1) Bibel und Natur S. 82. 227.

61 daß unmittelbar vor dem ersten Auftreten des Menschen

nicht nur das organische Leben auf der Erde ganz er­

loschen

und dann durch

die

Erschaffung

einer neuen

Pflanzen- und Thicrwclt wieder hergestcllt worden, son­ dern auch

ein Zustand cingetrcten sei,

in welchem die

Erde ganz mit Wasser bedeckt und von Dunkel umhüllt

und eine neue Regelung ihres Verhältnisses zu den Ge­ stirnen, eilte Neubildung ihrer Atmosphäre und eine neue

Scheidung

von

Wasser und Land nöthig war.

Diese

Voraussetzung findet aber in den Ergebnissen der geolo­ gischen Forschungen nicht nur keine Bestätigung, sondern

steht mit denselben in Widerspruch *)•

Wenn ältere Geo­

logen zwischen Vorwelt und Jctztwelt, vorwcltlichcn (ur­

weltlichen)

oder

fossilen

und

rcccnten

Pflanzen

und

Thieren in dem Sinne unterschieden haben, als ob alle vorweltlichen Pflanzen und Thiere ausgcstorben gewesen wären, ehe die jetzige Pflanzen- und Thicrwclt geschaffen wurde, so bezeichnen die neueren Geologen diese Ansicht als ganz unhaltbar und lehren, die gegenwärtige Pflan­

zen- und Thicrwclt sei von der der

letzten paläontolo­

gischen oder „vorwcltlichcn" Periode nicht scharf unter­

schieden, sondern hange an tausend Punkten mit ihr zu­ sammen.

Sic lehren ferner,

jedenfalls zu

von

der

Gegenwart bis

der Zeit hinauf, welche durch die ältesten

känozoischen Formationen rcpräscntirt wird, sei ein Tag

auf den andern und eine Jahreszeit auf die andere ge­ folgt und das organische Leben niemals durch eine Zeit

eines allgemeinen Chaos, Dunkels und Todes unterbrochen

worden; alle Thatsachen sprächen gegen die Annahme, 1) Bibel und Natur S. 235. 286.

62 daß unmittelbar vor das Erscheinen des Menschen auf

Erden eine chaotische Zeit zu setzen sei, welche die gegen­ wärtige Schöpfung von der vorhergehenden trenne.

Es geht also ebenso wenig an, die ganze Geschichte der Erde und ihrer Organismen bis zum Auftreten des

Menschen vor die „sechs Tage" der Genesis und vor die im zweiten Verse beschriebene Zeit des Thohuwabohu zu

verlegen, als cs zulässig ist, die Bildung sämmtlicher Ver­ steinerungen enthaltenden Formationen in die Zeit zu

verlegen, welche seit der Erschaffung des Menschen ver­ flossen ist. Es fragt sich also nun noch, ob es angeht, alle Perioden der Geschichte der Erde und ihrer Orga­

nismen, wie sic die Geologie und Paläontologie aus ihren

Quellen darstellt, in das Scchstagewerk hinein zu ver­ legen. Soll das angehcn, so dürfen natürlich die „sechs Tage" nicht als ein Zeitraum von sechsmal vierundzwanzig Stunden angesehen werden, und cs ist also zunächst zu zeigen, daß es zulässig ist, die sechs Tage anders zu ver­

stehen.

Die meisten und hervorragendsten neueren und auch

schon viele ältere Bibclerklärcr erklären es für unbedenk­ lich, die

sechs Tage

als

bildliche Bezeichnung

längcrn Zeitraumes aufzufassen').

eines

Sie begründen dieses

auf verschiedene Weise; folgende Begründung dürfte die überzeugendste fein1 2).

Wenn uns in der Bibel nicht nur berichtet wird, daß Gott die Welt geschaffen, sondern auch, daß er sie

in sechs Tagen geschaffen, so geschieht das unzweifelhaft nicht zu dem Zwecke, uns einen chronologischen Anhalts1) Bibel und Natur S. 118. 2) Bibel und Natur S. 127.

63 punkt oder einen Anstoß und Leitfaden zu geologischen Un­

tersuchungen zu geben; denn die Bibel hat, wie früher (S. 16) hervorgehoben wurde, immer zunächst und direct die Mit­

theilung religiöser Belehrungen zum Zwecke. Ob die Welt

in sechs oder in acht Tagen, in einem Augenblicke oder in einigen oder vielen Jahrtausenden ihre jetzige Gestal­

tung erlangt hat, das würde Moses ebenso wenig der

Erwähnung werth erachtet haben, als die Zahl der Jahre, welche die einzelnen Pharaonen während des Aufenthaltes

der Israeliten in Aegypten regiert haben, wenn nicht „An sechs

Gott den Juden das Gesetz gegeben hätte:

Tagen sollst du arbeiten und am siebenten sollst du ruhen." Das Zählen der Tage im ersten Capitel der Genesis:

erster, zweiter u. s. w. bis sechster Tag, hat gar keinen andern Zweck, als die Bemerkung in den ersten Versen des zweiten Capitels vorzubcrciten:

„Und den siebenten

Tag", — von dem ja natürlich nicht die Rede sein könnte, wären nicht sechs Tage vorhcrgegangcn, — „den siebenten

Tag segnete Gott und heiligte ihn." tagewerk und der

darauf

folgende

Das göttliche Sechs­ göttliche Sabbath

einerseits und die Woche, die sechs Arbeitstage und der

Sabbath, anderseits, bilden eine Parallele, und zwar nicht eine zufällige, sondern eine von Gott gewollte und ge­

wirkte Parallele.

Die Schöpfungswoche ist das göttliche

Urbild, unsere Woche das irdische Abbild.

Von sieben

Tagen, worunter der letzte der Tag des Ruhens Gottes

ist, spricht Moses nur, weil sieben Tage, worunter der

Ruhetag der letzte ist, eine Woche ausmachen.

Also auf

den Begriff Hcbdomas, Siebenzahl, kommt cs an, nicht

auf den Begriff Tag.

Schöpfungsverlauf

Daß die Sicbcnzahl

in dem

eine bestimmte Stelle hat, das ist

64 religiös bedeutungsvoll und durfte darum nicht über­

gangen werden; ob es eine Siebcnzahl von Minuten,

von Tagen, von Jahren oder von Jahrtausenden ist, das ist an und für sich unwesentlich.

Es würde eine

viel

stärkere Abweichung von dem mosaischen Schöpfungsbe­ richte sein, wenn Jemand sagen wollte, Gott habe die

Welt in fünf oder in acht Tagen geschaffen, als wenn wir sagen wollten, Gott habe in sechs Jahrtausenden ge­

schaffen; denn ob Gott in einem Augenblicke oder in

einem Jahrtausend die Scheidung von Wasser und Land

cintretcn läßt und die übrigen schöpferischen und wcltbildendcn Acte vollzieht, ist auf dem religiösen Standpunkte ziemlich gleichgültig, wenn nur fcstgchalten wird, daß Gott und nur Gott das Eine und das Andere vermag. Aber die Zahl ist nicht so gleichgültig. Wenn Gott bestimmt

hat, daß einer nicht von je sechs oder von je acht, son­

dern gerade von je sieben Tagen von den Menschen zu Ehren des Weltschöpfcrs und zum Danke für die Wohl­ that der Erschaffung gefeiert werden soll, dann muß der

Verlauf der Schöpfung eine Hebdomas, eine Siebenheit, eine Siebenzahl von Abschnitten, gewesen sein, in welcher die letzte Einheit dem von Gott vorgeschriebenen Ruhe­

tage, die sechs vorhergehenden Einheiten den Arbeitstagen entsprechen. Daß die ganze Schöpfungsgeschichte in sechs Ab­ schnitte zerfällt, hat mithin für die Bibel nur Wichtigkeit

wegen der von Gott gewollten Analogie zwischen der

göttlichen Schöpfungswoche und der menschlichen Woche. Diese Analogie wäre nun freilich am vollkommensten, wenn die Einheiten der einen Hebdomas auch den Ein­

heiten der andern Hebdomas gleich, wenn also die sieben

65 Tage

der Schöpfungswoche siebenmal

vierundzwanzig

Stunden wären, wie die Tage unserer Woche.

Aber die

Analogie ist doch auch noch vorhanden, wenn die eine, Hebdomas aus anderen Einheiten besteht als die andere

wenn also die Schöpfungswoche nicht eine Siebenhcit von

vierundzwanzigstündigen Tagen,

sondern

von anderen

Abschnitten ist; denn das Wesentliche, die Siebenzahl,

bleibt auch tu diesem Falle in ihrem vollen Rechte.

Der

siebente Tag der göttlichen Schöpfungswoche ist ja ohne­ hin jedenfalls kein Tag in der gewöhnlichen Bedeutung;

denn Gott „ruht" noch jetzt in dem Sinne, in welchem

dieses bei der Beschreibung des siebenten Tages von ihm gesagt wird: er ist nicht mehr in der Weise schöpferisch thätig wie bei dem Sechstagcwerke. Nehmen wir einmal an, auch die sechs Tage seien ebenso wohl wie der siebente größere Perioden gewesen,

vielleicht Perioden von ungleicher Dauer: wie konnte

Moses diese Perioden nennen? Er konnte sie mit einem eigentlichen oder mit einem bildlichen Ausdruck bezeichnen. Wollte er einen bildlichen Ausdruck gebrauchen, so lag

nichts näher, als sie Tage zu nennen, mit Rücksicht auf die Analogie zwischen der

und der menschlichen Woche.

göttlichen Schöpfungswoche

Diese Analogie konnte er

gar nicht deutlicher und kürzer hervorheben, als wenn er

den Namen der Theile der menschlichen Woche geradezu auf die Theile der Schöpfungswoche übertrug.

That er

dieses, so drückte er sich für seinen Zweck deutlich genug aus; denn seine Leser mußten nun aus seiner Darstellung das Verhältniß entnehmen, in welchem die Einsetzung des

Sabbaths zu der Vollendung der Schöpfung steht, und

das ist ja alles, worauf es der Bibel ankommt. Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.

5

So viel

66 mußte Moses sagen, um die Vorschrift der Feier des

Sabbaths zu erklären; mehr brauchte er nicht zu sagen,

wenn er keinen andern Zweck hatte; und da er keinen andern Zweck hatte, namentlich nicht den Zweck,

uns

geologische Erkenntnisse zu vermitteln, so würde er über

seine Aufgabe hinausgehen, wenn er mehr sagte, wenn er uns über die Dauer der Theile der Schöpfungswoche belehrte, wenn er also den Ausdruck „Tag" vermieden und dafür etwa Jahrtausend oder Jahrtausende gesagt

hätte. Mit anderen Worten: Gott hat den Sabbath ein­

gesetzt; um dieses zu begründen, hat er dem Menschen geoffenbart, daß die Woche, deren Abschluß der Sabbath ist, ihr Urbild habe in einer göttlichen Woche, die aus sechs Zeiten der schöpferischen Thätigkeit und einer Zeit

der göttlichen Ruhe bestehe. So viel mußte Gott offen­ baren; mehr war nicht nöthig, wenn die Offenbarung ihren religiösen Charakter strenge festhalten wollte. Sollte aber nicht mehr offenbart werden, wollte Gott die Sie­

benzahl in seinem Schöpfungswerke offenbaren, ohne über

die Dauer der Einheiten, die diese Siebenzahl ausmachen, etwas zu offenbaren,

so mußte er die Einheiten so be­

nennen, wie sie in der abbildlichen menschlichen Hebdomas heißen, also Tage. Oder, wie Haneberg') es ausdrückt:

„Die

Aufeinanderfolge von

sechs Perioden

göttlicher

Schöpfungsthätigkeit mit darauf folgender Ruheperiode ist der Grund der spätern Wochenfeier.

arbeitet sechs Tage und feiert am siebenten.

Der Mensch Die Absicht

des heiligen Schriftstellers, in den sieben Abschnitten der 1) Geschichte der biblischen Offenbarung, 2. Aufl., S. 13.

67 Schöpfung das Vorbild der Woche zu geben, erklärt uns

den Ausdruck Tag, welchen er für jeden jener Abschnitte anwendet.

Er will eine Gotteswoche schildern.

Wie

lang ein Tag dieser Gotteswoche nach unserm Maße ge­

wesen ist, läßt sich nicht bestimmen."

Wenn man gesagt hat,

das Wort Tag müsse im

ersten Capitel der Genesis darum in seiner eigentlichen

Bedeutung genommen werden,

weil von Abenden und

Morgen der sechs Tage die Rede ist, antworten:

so ist darauf zu

Wenn der ganze Schöpfungsverlauf bildlich

eine Woche, und jeder einzelne Theil desselben bildlich

ein Tag genannt werden kann,

so ist nichts natürlicher,

als daß der Anfang und das Ende eines solchen figür­

lichen Tages gleichfalls figürlich als Morgen und Abend bezeichnet werden.

Das ist gerade so in der Ordnung,

als wenn der Heiland in der Parabel von den Arbeitern

im Weinberge die ganze Zeit, innerhalb welcher die Men­ schen sich den himmlischen Lohn verdienen sollen, als einen Tag und nun consequenter Weise die Zeit, wo der

Einzelne seine Thätigkeit beginnt, als erste, dritte, sechste, neunte und cilfte Stunde des Tages bezeichnet.

VI.

Die Geologie und die „sechs Tage".

Schluß.

Zeiträume von je vierundzwanzig Stunden brauchen

wir uns nach dem Gesagten unter den „Tagen" des ersten Capitels der Genesis nicht zu denken.

Die Frage, was

wir also darunter zu verstehen haben, wird von den

67 Schöpfung das Vorbild der Woche zu geben, erklärt uns

den Ausdruck Tag, welchen er für jeden jener Abschnitte anwendet.

Er will eine Gotteswoche schildern.

Wie

lang ein Tag dieser Gotteswoche nach unserm Maße ge­

wesen ist, läßt sich nicht bestimmen."

Wenn man gesagt hat,

das Wort Tag müsse im

ersten Capitel der Genesis darum in seiner eigentlichen

Bedeutung genommen werden,

weil von Abenden und

Morgen der sechs Tage die Rede ist, antworten:

so ist darauf zu

Wenn der ganze Schöpfungsverlauf bildlich

eine Woche, und jeder einzelne Theil desselben bildlich

ein Tag genannt werden kann,

so ist nichts natürlicher,

als daß der Anfang und das Ende eines solchen figür­

lichen Tages gleichfalls figürlich als Morgen und Abend bezeichnet werden.

Das ist gerade so in der Ordnung,

als wenn der Heiland in der Parabel von den Arbeitern

im Weinberge die ganze Zeit, innerhalb welcher die Men­ schen sich den himmlischen Lohn verdienen sollen, als einen Tag und nun consequenter Weise die Zeit, wo der

Einzelne seine Thätigkeit beginnt, als erste, dritte, sechste, neunte und cilfte Stunde des Tages bezeichnet.

VI.

Die Geologie und die „sechs Tage".

Schluß.

Zeiträume von je vierundzwanzig Stunden brauchen

wir uns nach dem Gesagten unter den „Tagen" des ersten Capitels der Genesis nicht zu denken.

Die Frage, was

wir also darunter zu verstehen haben, wird von den

68 Theologen und Naturforschern, welche bei der Vergleichung

der biblischen und der geologischen Darstellung der Ge­

schichte der Erde diese freiere Auffassung der sechs Tage zu Grunde legen, verschieden beantwortet').

sagen:

Die Einen

Die sechs Tage bedeuten sechs auf einander fol­

gende längere Perioden in der Schöpfungsgeschichte, und es ist je ein größerer Abschnitt in der Geschichte der

Erde, wie sie die Geologen auf Grund ihrer Untersuchun­

gen darstellen, mit je einem Tage des mosaischen Berichtes in Parallele zu bringen.

Diese Ansicht wird gewöhnlich

die concordistische genannt. Andere tragen folgende Ansicht vor, welche als die ideale Auffassung der sechs Tage bezeichnet wird:

Moses ist mit Rücksicht auf die Analogie zwischen

der Schöpfungswoche und der menschlichen Woche nicht nur dann berechtigt, die schöpferische Thätigkeit Gottes

als sechs Tagewerke zu bezeichnen, wenn diese Schöpfer­

thätigkeit in sechs auf einander folgenden Perioden ver­ läuft, — wie das bei der concordistischen Auffassung angenommen wird, — sondern auch dann, wenn in der schöpferischen Thätigkeit Gottes, sofern sie als ein Gan­ zes betrachtet wird, sechs logisch von einander zu unter­

scheidende Hauptmomcntc,

sechs durch die Schöpfung

verwirklichte göttliche Gedanken oder Ideen hcrvortreten. Daß dieses der Fall ist, läßt sich leicht nachweisen. Das

Sechstagewerk zerfällt, wie früher (S. 40) hervorgehobcn

wurde, in zwei Hälften, die mit einander in Parallele

stehen.

Die Werke der drei ersten Tage hat schon Thomas

von Aquin als „Werke der Scheidung", 1) Bibel und Natur S. 133.

die der drei

69 letzten Tage als „Werke der Ausschmückung" bezeichnet: die drei ersten Acte des Schöpfers sind die Scheidung

des Lichtes von der Finsterniß, des irdischen Wassers von dem Himinelswasscr und des Festlandes vom Meere; die drei folgenden sind die Bildung der leuchtenden Him­

melskörper, die Erschaffung der Thiere im Wasser und in der Luft und die Erschaffung der Landthierc. Neuere

Theologen bezeichnen die drei ersten Werke als Schei­

dungen, die drei letzten als Individuationen, oder die drei ersten als solche, durch welche Gott die verschiedenen

Bereiche gründete und ausschicd, die drei letzten als solche, durch welche er sic mit Inhabern erfüllte *).

Auf den

letzten Tag beider Hälften werden je zwei Werke verlegt: am dritten Tage folgt auf die Herstellung des Festlan­

des die Erschaffung der Pflanzen; am sechsten Tage ist an die Erschaffung der Landthierc die Erschaffung des

Menschen angcschlosscn.

Die Wahrheit, auf die es Moses

bei der Darstellung der schöpferischen Thätigkeit Gottes vorzugsweise ankommen mußte, ist die, daß die sichtbare Schöpfung, wie sic jetzt existirt, eine durch Gottes Willen hcrbeigeführtc Verwirklichung göttlicher Ideen ist. Wenn

er nun die schöpferische Thätigkeit Gottes in den Rahmen einer Woche einstigen wollte, so konnte er die Verwirk­ lichung der einzelnen göttlichen Gedanken oder die Haupt­

momente der schöpferischen Thätigkeit Gottes als sechs Tagewerke darstellen. Die Aufeinanderfolge dieser ein­ zelnen Acte braucht nun nicht als eine chronologische in

dem Sinne angesehen zu werden, daß das eine Moment

der schöpferischen Thätigkeit vollständig zum Abschlüsse 1) Bibel und Natur S. 257.

70 gebracht worden und damit eine Periode abgelaufen wäre, ehe die Verwirklichung eines andern Momentes und damit

eine neue Periode begann.

Es wäre denkbar, daß, ge­

schichtlich oder chronologisch betrachtet, die Verwirklichung der einzelnen Momente zum Theil gleichzeitig verlaufen

wäre, daß z. B. die Scheidung von Wasser und Land

sich

thatsächlich noch über die Erschaffung

der ersten

Pflanzen und der ersten Thiere, und die Entstehung der Vegetation sich über die Entstehung der ersten Thiere hinaus fortgesetzt hätte. Daß in der biblischen Darstel­ lung die einzelnen Werke als in sich abgeschlossene er­

scheinen, findet seine Erklärung darin, daß jedes derselben ein besonderes Moment in der schöpferischen Thätigkeit Gottes bildet, und die Reihenfolge,

in welcher die ein­

zelnen Werke vorgeführt werden, erklärt sich theils aus

der logischen Ordnung, in welche dieselben gebracht wer­ den, theils daraus, daß die folgenden Werke in der That

von den vorhergehenden abhängig und bedingt sind. Wenn bei dieser Auffassung des Sechstagewerkes die chronologische Ordnung in den Hintergrund tritt, so darf man darum nicht sagen, es werde dem geschichtlichen

Charakter des biblischen Berichtes dadurch zu nahe ge­ treten.

Wenn von zwei Geschichtschreibern der eine das

Leben Karls des Großen in streng chronologischer Ord­ nung erzählte, wobei natürlich in bunter Mannigfaltig­

keit Fannlien- und Staatsereignissc,

kirchliche Verordnungen

auf

Schlachten

und

einander folgen müßten,

während der andere die Ereignisse unter gewisse Haupt­ gesichtspunkte ordnete, unter denen uns die Wirksamkeit

des großen Kaisers entgegen tritt, und also denselben nach einander in seinem häuslichen Leben, als Eroberer,

71 als Gesetzgeber,

derte:

so

als Förderer der Kirche u. s. w. schil­

würde man auch dieser letztern Darstellung

nicht darum, weil der chronologische Gesichtspunkt hinter die geschichtliche

dem logischen oder idealen zurücktritt,

Wahrheit absprechen können.

Die Einwendung, die Formel: „Es ward Abend und

es ward Morgen" passe nicht zu einer solchen Deutung der sechs Tage, ist hier ebenso wenig berechtigt, wie bei der concordistischen Auffassung: wenn die einzelnen Schöpfungs­ acte als Tagewerke bezeichnet werden,

so ist es nur ein

Festhalten des einmal gewählten Bildes, wenn auch von Morgen und Abend gesprochen wird.

Diese beiden Auffassungen der sechs Tage, die concordistische und die ideale, sind also, theologisch betrachtet, zulässig; und es fragt sich nun noch, nach welcher von

beiden der biblische Schöpfungsbericht mit den Ergeb­ nissen der geologischen Forschungen am besten in Ein­ klang zu bringen ist. Jedenfalls machen weder bei der einen noch bei der

andern die ungeheueren Summen von Jähren, welche in

den geologischen Darstellungen der Geschichte der Erde

Vorkommen,

eine Schwierigkeit.

Die Dauer der Zeit,

welche bis zur Erschaffung des Menschen verstossen ist,

wird nach beiden Auffassungen in der Genesis gar nicht bestimmt.

Der Theologe,

welcher eine der beiden Auf­

fassungen für richtig hält, kann nur sagen, die sechs Tage brauchten nicht als ein Zeitraum von sechsmal vierund­ zwanzig Stunden aufgefaßt zu werden;

nicht sagen,

er kann aber

cs könne darunter wohl ein Zeitraum von

einigen Jahrtausenden, aber nicht von Millionen Jahren verstanden werden. Mögen die geologischen Berechnungen

72

der Perioden der Erdgeschichte, wissenschaftlich be­

trachtet, noch so anfechtbar sein; auf dem theologischen Standpunkte darf unbedenklich gesagt werden:

die sechs

Tage der Genesis sind, weil sie überhaupt keine eigent­

liche Zeitbestimmung enthalten, dehnbar genug, um so viele Millionen Jahre zu umspannen, als die Geologie

nachzuweisen vermag.

Sehen wir nun zunächst, ob sich nachweisen läßt, daß der biblische Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen

der geologischen Forschungen nicht in Widerspruch steht,

wenn wir mit den Vertretern der concordistischen Ansicht annehmen, daß die sechs Tage sechs auf einander fol­ gende Perioden von unbestimmt langer Dauer bezeichnen *). Daß sich zwischen der geologischen und der biblischen

eine Uebereinstimmung bezüglich mehrer wesentlicher Punkte nachweisen läßt, hat unter Schöpfungsgeschichte

Anderen in neuester Zeit Pfaff hervorgehoben1 2). Er faßt die Ergebnisse der geologischen Forschungen in fol­

gende Sätze zusammen: „1. Die Erde war anfangs eine

geschmolzene heiße Kugel, über der eine lichte, sämmt­ liches Wasser enthaltende Atmosphäre sich befand; durch

Abkühlung bildete sich eine feste Rinde, welche überall gleichmäßig von dem ebenso durch die Abkühlung con-

densirten Wasser bedeckt war. lichkeit der Erdrinde

2. In Folge der Beweg­

wurden Ländermassen

alles bedeckende Urmeer emporgetrieben.

über das

3. Was die or­

ganische Schöpfung betrifft, so begann dieselbe mit dem

Pflanzenreiche; diesem folgte 4. das Thierreich, und zwar

1) Bibel und Natur S. 238.

2) Schöpfungsgeschichte S. 741.

73 zunächst Wasserthiere,

5. die Landthiere, besonders die

Säugethiere, und 6. der Mensch." Reihenfolge,

bemerkt er weiter,

als „Tage" bezeichneten

Ganz in derselben

folgen in der Bibel die

„Abschnitte

der

Entwicklungs­

geschichte der irdischen Schöpfung: der chaotische Zustand,

die Wasserbedeckung, die Landbildung, danach das orga­

nische Reich, zunächst das am frühesten erscheinende Pflan­ zenreich, dann das anfangs nur durch niedere, im Wasser

lebende Thiere, endlich durch Landthiere vertretene Thier­ reich und der zuletzt erscheinende Mensch".

Eine Schwierigkeit, — wie wir später sehen werden,

eine kaum zu beseitigende Schwierigkeit, — bereiten aber bei dieser Vergleichung der Tage der Genesis mit den

Perioden der geologischen Geschichte der Erde zunächst die in der eben mitgetheilten Vergleichung nicht berück­ sichtigten beiden Tage, der erste und der vierte.

Auch

die Zusammenstellung der auf die organische Schöpfung

bezüglichen Tage mit geologischen Perioden, stößt, so wie

man sie im Einzelnen durchzuführen sucht, auf große Schwierigkeiten.

Allerdings sind auch nach der Aussage

der Naturforscher Pflanzen vor den Thieren dagewesen,

und erscheinen unter den letzteren die Wasserthiere vor den Landthieren.

Aber cs geht doch nicht an, den drit­

ten Tag mit der paläozoischen Periode zusammenzustellen,

weil in

einer Formation derselben,

formation,

der Steinkohlen­

die Pflanzenwelt massenhaft auftritt, ferner

den fünften Tag mit der mesozoischen Periode zu com-

biniren, deren Schichten massenhaft Versteinerungen von

Wasserthieren enthalten,

und endlich den sechsten Tag

der känozoischen Periode an die Seite zu stellen, in wel­ cher die Landthiere, namentlich die Säugethiere,

nicht

74 zuerst,

aber zuerst in hervorragender Weise auftreten.

Denn während der biblische Bericht über den dritten Tag nur von Pflanzen spricht, weist die paläozoische Periode

auch schon Thiere auf, und zwar auch in Formationen,

welche

älter sind

als die Steinkohlenformation, und

während die Genesis auf den fünften Tag nur die Er­

schaffung der Wasser- und der Luftthicre verlegt, kennen die Paläontologen auch schon Landthiere aus der meso­ zoischen Periode.

Dazu kommt noch, daß in der meso­

zoischen und in der känozoischcn Periode viele neue Arten

von Pflanzen auftreten, ja daß die paläozoische Flora

fast ausschließlich durch kryptogamische Pflanzen gebildet wird und in

ihr die Dikotyledonen,

also gerade die

Pflanzenformen, welche den Hauptbestandtheil unserer

Flora ausmachen, alle Laubholzbäumc und die meisten Formen Ebenso

der krautartigen Pflanzen,

noch ganz fehlen.

treten in der känozoischcn Periode

von Wasser- und Luftthieren auf,

neue Arten

so daß also die Ent­

stehung der Pflanzen nicht auf die paläozoische, die Ent­ stehung der Wasser- und

der Luftthiere

auf die

nicht

mesozoische Periode beschränkt ist. Diese Differenzen zwischen dem biblischen

geologischen Berichte

und dem

über die Entstehungsgeschichte der

Pflanzen und Thiere sind nicht so unwesentlich, wie es bei

oberflächlicher

wiederholt

Betrachtung

scheinen

in dem Sechstagewerke

„Und Gott sah,

daß es gut war",

(S. 22) bemerkt wurde,

könnte.

Der

vorkommende Satz: besagt,

wie früher

daß durch das betreffende Werk

der schöpferische Wille Gottes

verwirklicht worden

und

der von Gott gewollte definitive Zustand cingetreten feL Darum steht diese Formel hinter dem Werke des zweiten

75 Tages nicht,

weil die Scheidung des die Erde bedecken­

den Wassers und die Bildung der Feste des Himmels

kein abgeschlossenes Werk war;

Tage aus dem

erst nachdem am dritten

auf der Erde zurückgebliebenen Wasser

das trockene Land hervorgetreten und der Himmel

göttliche Idee vollständig verwirklicht Zustand eingetrcten,

am Platze.

am vierten Tage

mit seinen Lichtern verziert war, war die

Nun

und nun

und der definitive

also auch

steht diese Formel

dem Berichte über die Erschaffung

jene Formel

aber auch

hinter

der Pflanzen

am

dritten Tage und hinter dem Berichte über die Erschaf­

fung der Wasser- und der Luftthiere am fünften Tage. Sind also die Tage auf einander folgende Perioden, so

müßte

sich eine geologische Periode

innerhalb

welcher die Erschaffung

zwar des gesammten Pflanzenreiches,

nachweisen lassen,

der Pflanzen,

und

stattgefunden, und

eine andere, auf diese folgende Periode, in welcher zuerst Wasser- und Luftthiere aufgetreten und in welcher sämmt­ liche Arten der Wasser- und Luftthiere geschaffen worden

wären;

erst dann müßte

folgen.

Solche Perioden sind aber geologisch nicht nach­

zuweisen.

die Periode der Landthiere

So muß also, wenn nachgewicsen werden soll,

daß der biblische Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen der geologischen und paläontologischen Forschungen nicht in Widerspruch stehe, darauf verzichtet werden, die sechs

Tage der Genesis als sechs auf einander folgende größere

Perioden aufzufassen. Es bleibt uns also nur die Auffassung

der sechs

Tage übrig, welche vorhin unter dem Namen der idealen

Auffassung erwähnt wurde'). 1) Bibel und Natur S. 256.

Nach dieser bezeichnen die

76 sechs Tage nicht sechs auf einander folgende Perioden, sondern sechs logisch von einander zu

unterscheidende

Hauptmomente der schöpferischen Thätigkeit Gottes, sechs

durch die Schöpfung verwirklichte göttliche Gedanken und Daß alles,

Ideen.

was geworden ist, durch Gott und

nach dem Willen Gottes geworden ist, das ist eine reli­ giöse Wahrheit, welche in dem biblischen Schöpfungsbe­

richte möglichst bestimmt und

anschaulich ausgesprochen

werden mußte: das geschieht durch die Aufzählung der einzelnen schöpferischen und weltbildenden Acte Gottes. Welche Zeit die Verwirklichung der einzelnen

göttlichen

Acte und die Vollendung der ganzen Schöpfung ausge­

füllt,

das ist nicht religiös bedeutsam,

Belehrung darüber in Schöpfungsberichte nicht zu erwarten darum

eine

und

wir haben

dem

biblischen und sind nicht

berechtigt,

eine solche in der Bezeichnung „sechs Tage"

zu finden.

Auch die chronologische Aufeinanderfolge der

einzelnen göttlichen Acte ist an sich nicht religiös bedeutsam,

und wir sind darum auch von vornherein nicht berechtigt,

darüber in dem biblischen Berichte Aufschluß zu erwarten.

Die Vertheilung der einzelnen Acte auf sechs Tage und

die damit zusammenhängende Aneinanderreihung derselben hat ihren Grund in dem Parallelismus zwischen der göttlichen Schöpfungswoche und der menschlichen Woche.

Die einzelnen „Tage" brauchen darum nicht als einzelne

abgeschlossene und auf einander folgende Perioden ange­ sehen zu werden. Vielmehr können möglicher Weise, — und die Geologie und Paläontologie zeigen, wirklich

daß das

der Fall gewesen, — die Werke der einzelnen

Tage, z. B. die Scheidung von Wasser und Land, die Bildung des Erdrelicfs und die Entstehung der Pflan-

77 zen und der verschiedenen Thierclassen, zum Theil gleich­ zeitig verlaufen sein; Moses kann sie darum

doch als

abgeschlossene Werke je eines Tages darstellen, weil jedes

derselben

ein

besonderes

Moment

schöpferischen

der

Thätigkeit Gottes bildet, und er kann sie in der Reihen­

folge vorführen, in welcher sie in seinem Berichte darge­

stellt werden, zunächst mit Rücksicht auf die in denselben herrschende Ordnung, dann aber auch darum, weil, wie früher (S. 70) schon bemerkt wurde, die folgenden Werke

von den vorhergehenden abhängig und bedingt sind.

Was die Anordnung der Tagewerke im Einzelnen betrifft, so wurde schon früher (S. 40) auf die Theilung

des Hexaemeron in zwei Hälften,

deren einzelne Werke

einander entsprechen,

hingewiesen.

Durch diese Anord­

nung wird

leicht faßlichen und anschaulichen

in einer

Weise die Wahrheit, daß Gott der Urheber der gesammten Gestaltung

der Erde und aller sichtbaren Geschöpfe

ist, zur Darstellung gebracht. Erde bezüglichen Werken

Bei

den direct auf die

wird insofern auch die chrono­

logische Ordnung eingehalten, als jedenfalls die Anfänge

derselben

auch nach

den

Ergebnissen der

geologischen

Forschungen so auf einander gefolgt sind,

wie sie in

dem biblischen Berichte über das Sechstagewerk an ein­ ander

gereiht

Hervortreten

werden:

des

Bildung

Landes,

der Erdatmosphäre,

Erschaffung

der

Pflanzen,

Erschaffung der Wasser- und Luftthiere und der Land­

thiere.

Nur beschränkt sich der biblische Bericht auf eine

summarisch zusammenfasicnde Darstellung der

einzelnen

Werke, weil die Einzelheiten im Verlaufe derselben, wie

sie die Geologie ermittelt,

Die beiden nicht

nicht religiös bedeutsam sind.

direct auf die

eigentliche Erdgeschichte

78 bezüglichen Werke sind an die Spitze der beiden Hälften

des Sechstagewerks gestellt:

die Festsetzung des Wechsels

von Tag und Nacht oder die Scheidung von Licht und

Finsterniß an die Spitze der Scheidungen, die Festsetzung des Verhältnisses der Sonne,

des Mondes und

der

Sterne zur Erde oder das Ausstatten. des Himmels mit

seinen lichtgebenden Körpern an die Spitze der die ein­ zelnen Bereiche der Schöpfung mit Inhabern ausstatten­

Man kann noch hinzufügen,

den Werke.

daß

in der

zweiten Hälfte des Sechstagewerks diejenigen Werke zu­ sammengestellt sind, welche für den Menschen, das Ziel

der ganzen Schöpfung, von unmittelbarerer Bedeutung

sind als die Werke der ersten Hälfte:

die Thiere werden

ihm in Vers 28 als Unterthanen zugewiesen,

und die

Himmelslichter sind nach den Versen 14 und 15 nicht

nur bestimmt, die Erde zu erleuchten und den Tag und

die Nacht zu beherrschen, sondern

auch dem Menschen

als Zeitmesser zu dienen.

Daß bei dieser idealen Auffassung der

sechs Tage

auf eine im Einzelnen nachzuweisende Uebereinstimmung zwischen Bibel und Geologie verzichtet werden muß, und

daß der

biblische Bericht nach der vorgetragenen Deu­

tung nicht vieles enthält, was als eine, naturwissenschaft­ lich betrachtet, irgendwie wichtige oder werthvollc Be­

lehrung über die Geschichte der Erde bezeichnet werden

könnte: das

begründet nicht nur kein Bedenken gegen

jene Auffassung, sondern gereicht ihr vielmehr zur Em­ pfehlung.

Denn wenn die Bibel, wie wiederholt hervor­

gehoben wurde, gar nicht die Aufgabe hat,

uns natur­

wissenschaftliche, sondern direct immer nur die Aufgabe, uns religiöse Belehrungen zu vermitteln, so hat diejenige

79 Auffassung eines biblischen Abschnittes die Präsumtion der Richtigkeit für sich, nach welcher der religiös bedeut­

same Inhalt desselben am deutlichsten

hervortritt und

die damit in Verbindung gebrachten profan wissenschaft­ lichen Elemente am meisten zurücktreten, und das trifft

eben bei der idealen Auffassung der sechs Tage zu. Es wird nicht ohne Interesse sein, zum Schluffe

noch einmal auf die verschiedenen Versuche, den biblischen Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen der geologischen und

paläontologischen

Forschungen

in

Einklang

zu

bringen, zurückzublicken *).

der sechs Tage als

Die buchstäbliche Auffassung sechsmal vierundzwanzig Stunden

ist,

obschon der h.

Augustinus eine andere Auffassung vorgetragon

und

diese von den Scholastikern bei den Theologen

worden toar1 2), blieben,

hatte

als zulässig behandelt die herrschende

ge­

bis durch die geologischen Forschungen die Ge­

schichte der Erde aufgehellt wurde,

bis man namentlich

durch die Untersuchung der Versteinerungen zu der Er­

kenntniß kam,

daß

von dem Beginne der schöpferischen

Thätigkeit Gottes bis

zur Erschaffung

des Menschen

eine lange Zeit verflossen sein müsse, innerhalb welcher die Pflanzen und Thiere gelebt haben,

in den verschiedenen Schichten Auf Grund

deren Reste sich

der Erdrinde vorfinden.

dieser Erkenntniß kam nun eine doppelte

Auffassung des Sechstagewerkes auf. Zunächst brachte man den biblischen Bericht mit den

Ergebnissen

der

geologischen Forschungen

1) Bibel und Natur S. 259.

2) Vgl. Bibel und Natur S. 133.

dadurch

in

80 Einklang, daß man die sechs Tage als bildliche Bezeich­ nung

von sechs großen Perioden der ältern Geschichte

der Erde auffaßte.

Es war namentlich der große fran­

zösische Naturforscher Cuvier, welcher dieser Theorie, der

sogenannten concordistischen, Eingang verschaffte. Manche glaubten auf diese Weise eine glänzende Rechtfertigung des biblischen Berichtes Herstellen zu können; ja einige,

namentlich französische Gelehrte, Naturforscher wie Theo­ logen,

gingen so weit, triumphirend zu verkündigen, es

zeige sich jetzt, daß der biblische Bericht nicht nur nicht

im Widerspruche mit den Ergebnissen der Naturforschung stehe,

sondern durch diese eine merkwürdige Bestätigung

erhalte, daß Moses diese.Ergebnisse schon

vor

vielen

Jahrhunderten anticipirt habe, und wenn man nicht an­

nehmen wolle,

daß

er auf dem Wege wissenschaftlicher

Untersuchungen und durch den „Scharfblick seines Genies"

zu dieser genauen Kenntniß gelangt sei, so

dürfe man

sagen, daß die Naturwissenschaft der Gegenwart

einen

neuen Beweis für die übernatürliche Erleuchtung des Verfassers der biblischen Schöpfungsgeschichte liefere').

Solche Aeußerungen

Lächeln lesen.

kann man

jetzt nicht

ohne

Sie beruhen auf einer principiell unrich­

tigen Anschauung.

Wir haben kein Recht zu der An­

nahme, daß Moses oder irgend ein anderer alttestament-

licher Schriftsteller durch

den Scharfblick seines Genies

oder durch wissenschaftliche Forschung dahin gelangt sein

sollte, in Bezug auf Fragen der Naturwissenschaft rich­ tigere und umfassendere Kenntnisse zu haben, als wir sic

zu ihrer Zeit überhaupt finden.

Noch weniger sind wir

1) Bibel und Natur S. 2; vgl. S. 148 Anm. 2.

81 zu der Annahme berechtigt, daß sie durch übernatürliche

Erleuchtung in den Stand gesetzt sein sollten, über profan­

wissenschaftliche Fragen Kenntnisse kund zu geben, welche über den Bildungszustand ihrer Zeit hinausgingen oder gar die Ergebnisse der Forschungen späterer Jahrhunderte anticipirten.

Wenn sich die neueren Vertreter der con-

cordistischen Theorie darauf beschränken,

nachzuweisen,

dem biblischen Schöpfungsberichte,

daß zwischen

man seine sechs Tage als

längere Perioden auffasse,

einerseits und zwischen der Geschichte der Erde,

die Geologie

walte,

falls

wie sie

anderseits kein Widerspruch. ob­

darstellt,

so ist vom theologischen Standpunkte aus gegen

diese Theorie nichts einzuwenden; wir haben aber gesehen,

daß dieser Weg nicht zum Ziele führt. Während dieser Weg zuerst von

lehrten eingeschlagen wurde, zuerst englische Theologen

französischen Ge­

versuchten fast gleichzeitig

und

Geologen auf

andere

Weise die Harmonie zwischen Bibel und Naturwissenschaft nachzuweisen. Sie glaubten in der sogenannten Restitutions­

theorie ein radicales Mittel gefunden zu haben, um allen

Zwistigkeiten zwischen beugen.

Die Bibel,

berichtet nur

Exegetcn

und Geologen

sagen die Vertreter dieser Ansicht,

über die jetzige Gestaltung der Erde und

die Erschaffung

ihrer jetzigen Pflanzen-

und Thierwelt,

und es steht der Annahme nichts im Wege,

im Verlaufe von sechsmal folgt sei.

vorzu­

daß diese

vierundzwanzig Stunden er­

Was die Geologie über frühere Perioden der

Erdgeschichte und über frühere Floren und Faunen er­

mittelt hat, das liegt außerhalb des Bereiches des bibli­ schen Berichtes.

Aber wenn bei dieser Theorie voraus­

gesetzt wird, Vorwelt und Jetztwelt seien in der Geschichte Reu sch, bibl. Schöpfungsgesch.

Q

82 der Erde scharf von einander geschieden, unmittelbar vor

dem ersten Auftreten des Menschen sei durch eine große geologische Katastrophe,

— welche man als Diluvium

bezeichnet hat, — die damalige Gestaltung der Erdober­

fläche und die damals vorhandene Pflanzen- und Thier­ welt zerstört worden, worauf dann

Erdoberfläche und

die Gestaltung der

die organische Schöpfung gefolgt sei,

worüber die Genesis berichtet: so ist eben diese Voraus­

der neuem

die geologischen Forschungen

durch

setzung

Zeit als irrig erwiesen und darum auch die Restitutions­ theorie unhaltbar.

Bei diesen

beiden

Theorieen

wird

noch nicht in

vollem Maße Ernst gemacht mit dem Grundsätze, die biblische Offenbarung nur den Zweck hat,

giöse,

nicht aber den Zweck,

also hier insbesondere

mitteln.

daß

uns reli­

uns profanwissenschaftliche,

geologische Belehrungen

zu

ver­

Dieser Grundsatz wird in seiner ganzen Schärfe

durchgeführt

bei der idealen Auffassung der sechs Tage,

und da diese Auffassung einerseits mit

Bibel vereinbar

ist,

anderseits

Naturforschung gerecht wird,

den

den Worten der Ergebnissen

der

so werden wir sic als die

richtige anzusehen haben.

Um durch die mannigfaltigen und theilweise ein­

ander widersprechenden Deutungen des Sechstagewerkes, welche sich bei den Theologen der Vergangenheit und der

Gegenwart finden,

an der Auctorität der Bibel

selbst

nicht irre gemacht zu werden, muß man bei dem ersten Capitel der Genesis wie bei anderen Abschnitten der Bibel

wohl unterscheiden zwischen den großen religiösen Wahr­

heiten,

deren

Mittheilung der

eigentliche

Zweck

der

biblischen Offenbarung ist, und zwischen der Einkleidung

83 dieser Wahrheiten und den Materien, in Verbindung gebracht werden.

welche mit ihnen

Jene sind klar und

unzweideutig ausgesprochen: kein Unbefangener kann das erste Capitel der Genesis lesen, ohne zu sehen, daß darin

Gott als der Schöpfer aller Dinge, der Mensch als der Mittelpunkt der irdischen Schöpfung und der Sabbath als der zu Ehren des Weltschöpfers zu feiernde

dargestellt wird.

Das

kann Jeder aus dem

Tag

Capitel

lernen; das ist aber auch alles, was Jeder daraus lernen soll; denn das allein ist religiös bedeutsam. Das Uebrige, die Einkleidung und Ausführung dieser Wahrheiten, ist

nicht religiös bedeutsam, und wenn nur jene Sätze fest­ gehalten werden, ist es für die Religion ganz gleich­

gültig und nur für die Wissenschaft von Interesse, ob das Einzelne so oder so verstanden wird, — gerade so, wie es z. B. bei der Erklärung der Evangelien, wenn wir die darin mitgetheilten Lehren Christi und die darin berichteten großen Thatsachen der Heilsgeschichte richtig auffassen und gläubig anerkennen, von keiner allgemeinen

und religiösen, sondern nur von exegetischer und wissen­ schaftlicher Bedeutung ist, ob die öffentliche Thätigkeit

des Herrn drei oder vier Jahre gedauert hat, ob er an zwei oder an drei Osterfesten zu Jerusalem gewesen ist

und ob

er das letzte Abendmahl gleichzeitig mit dem

Paschamahle der Juden oder einen Tag früher

gefeiert

hat, — Fragen, über welche die Exegeten, ohne allen Schaden für die christliche Religion, gerade so uneinig

sind wie über die Bedeutung der sechs Tage der Genesis. In dieser Beziehung ist es wahr, was man von der Bibel

gesagt hat: sie sei wie ein Wasser,

durch welches ein

Elephant zu waten habe, durch welches aber ein Lamm

84 auch durchkomme.

Die Grundwahrheiten der geoffen­

barten Religion liegen in der Bibel so klar vor,

jeder gebildete Leser,

daß

der mit gutem Willen und ohne

Vorurtheil daran geht, sie zu erkennen vermag; die Ein­

zelheiten aber, welche über den religiös bedeutsamen und

darum wesentlichen Inhalt der Bibel hinausgehen, werden dem Scharfsinn und der Erudition und darum auch den

Controversen der Gelehrten

noch lange Stoff

bieten.

Und wenn die Fortschritte auf dem Gebiete der Philo­ logie,

der Geschichte

und der Alterthumskunde es uns

jetzt möglich machen, manche dieser Einzelheiten besser zu verstehen und zu würdigen als unsere Vorfahren, warum

sollten wir nicht annehmen dürfen,

der

Ergebnisse

der geologischen

daß wir mit Hülfe

und

der

verwandten

Forschungen den biblischen Schöpfungsbericht jetzt richtiger auffasscn können, als es unsere Väter vermochten? Das,

was wesentlich ist und worauf es für den Christen allein

ankommt, die großen Wahrheiten von Gott, dem Schöpfer

aller Dinge, und von dem Menschen

Ebenbilde Gottes, haben diejenigen,

als dem irdischen

die vor uns lebten,

ebenso gut als biblische Offenbarungslehren gekannt wie

wir, und diese Wahrheiten haben wir, trotz aller Fortschritte der Wissenschaft, nicht mehr und nicht minder fcstzuhaltcn als sie.

VII. Astronomie und Bibel.

Die meisten Einwendungen, welche vom Standpunkte

der wissenschaftlichen Astronomie aus gegen den bibli-

84 auch durchkomme.

Die Grundwahrheiten der geoffen­

barten Religion liegen in der Bibel so klar vor,

jeder gebildete Leser,

daß

der mit gutem Willen und ohne

Vorurtheil daran geht, sie zu erkennen vermag; die Ein­

zelheiten aber, welche über den religiös bedeutsamen und

darum wesentlichen Inhalt der Bibel hinausgehen, werden dem Scharfsinn und der Erudition und darum auch den

Controversen der Gelehrten

noch lange Stoff

bieten.

Und wenn die Fortschritte auf dem Gebiete der Philo­ logie,

der Geschichte

und der Alterthumskunde es uns

jetzt möglich machen, manche dieser Einzelheiten besser zu verstehen und zu würdigen als unsere Vorfahren, warum

sollten wir nicht annehmen dürfen,

der

Ergebnisse

der geologischen

daß wir mit Hülfe

und

der

verwandten

Forschungen den biblischen Schöpfungsbericht jetzt richtiger auffasscn können, als es unsere Väter vermochten? Das,

was wesentlich ist und worauf es für den Christen allein

ankommt, die großen Wahrheiten von Gott, dem Schöpfer

aller Dinge, und von dem Menschen

Ebenbilde Gottes, haben diejenigen,

als dem irdischen

die vor uns lebten,

ebenso gut als biblische Offenbarungslehren gekannt wie

wir, und diese Wahrheiten haben wir, trotz aller Fortschritte der Wissenschaft, nicht mehr und nicht minder fcstzuhaltcn als sie.

VII. Astronomie und Bibel.

Die meisten Einwendungen, welche vom Standpunkte

der wissenschaftlichen Astronomie aus gegen den bibli-

85

schen Schöpfungsbericht erhoben worden sind, lassen sich leicht als auf Mißverständnissen beruhend nachweisen i).

Es ist allerdings richtig, daß die Genesis die Erde

als den wichtigsten Theil der Schöpfung darstellt und

die zahllosen anderen Himmelskörper nur als Lichter und

ja nur Sonne und Mond einzeln,

Zeitmesser der Erde,

die ganze Masse der viel größeren anderen Gestirne nur mit dem einzigen Worte „die Sterne" erwähnt, während

für den Astronomen die Erde nur einer, und nicht ein­ mal der größte der Planeten, die um die Sonne kreisen,

und die Sonne selbst

nur einer von vielen gleich herr­

lichen oder herrlicheren Fixsternen ist.

aber daraus,

Das

erklärt sich

daß Moses gar.nicht die Absicht hat, uns

über Astronomie zu belehren, sondern seinen Zeitgenossen

und der Nachwelt

religiöse Belehrungen mitzutheilen,

und daß er darum nur erwähnt, was religiös bedeutsam ist, und dieses in einer allgemein verständlichen Fassung

vorträgt,

also nicht in

der Sprache der

Wissenschaft,

sondern in der des gemeinen Mannes. In Bezug auf

die Sterne hat er zunächst mitzu­

theilen, daß auch sie, wie überhaupt alle sichtbaren Dinge, von Gott geschaffen sind;

dazu genügen die allgemeinen

Worte: „Im Anfänge schuf Gott den Himmel und die

Erde".

Nachdem er diese Wahrheit vorgetragen,

Gott alles, was wir sehen,

geschaffen habe,

weitere Wahrheit vortragen,

daß

will er die

daß Gott dem Menschen,

dem letzten und höchsten der sichtbaren Geschöpfe, vorher

den Wohnplatz bereitet habe, daß alles, um sich herum sieht,

was der Mensch

von Gott und für ihn, den Men-

1) Vgl Bibel und Natur S. 140.

86 schen, geschaffen und

gestaltet

worden sei.

In dieser

Darstellung brauchen die Gestirne nur insoweit erwähnt

und berücksichtigt zu werden, als sie zu der Erde in Be­ ziehung stehen. kann

Auf dem astronomischen Standpunkte

die Erde gewiß nicht

der Mittelpunkt

als

Haupttheil des Weltalls angesehen werden; Moses ist sie dieses,

denn

sie

ganzen Reihe, von Ereignissen,

oder

aber für

ist der Schauplatz der

die er in seinem Werke

erzählen will, der Schauplatz der ganzen Geschichte, zu

welcher

sein

Schöpfungsbericht

die

Einleitung

bildet.

In welchem Verhältnisse die Erde zu den anderen Him­

melskörpern steht, was diese für sich, was sie für einan­

der, was sie für den Himmclsraum sind, suchen ist Aufgabe

das zu unter­

Astronomie; „für die religiöse

der

Betrachtung, um die es sich in dem biblischen Berichte

allein handelt, genügt es, wie Dillmann') sagt, über die Entstehung und Natur der Himmelskörper zu wissen,

daß

sie

Wunderwerke

Gottes sind,

und

der

allmächtigen Schöpferkraft

im übrigen sie nach dem zu nehmen,

was sie für uns sind und wie sie auf uns wirken: uns

dienen sie nach Gottes Ordnung in der von dem Berichte angegebenen Weise, als Lichter und Zeitmesser, und ver­ mitteln uns

durch diesen Dienst

wundervolle Harmonie

den Glauben

des Universums,

an die

an die Macht

und Weisheit des Schöpfers."

Unter diesem Gesichtspunkte ist es ferner ebenso richtig, wie es unter dem astronomischen Gesichtspunkte unrichtig

ist, daß die Sonne als das größte, zweitgrößte Himmelslicht 1) Genesis S. 30.

bezeichnet

der Mond als das und

neben diesen

87 beiden großen Lichtern

die zahllose Menge der anderen

Sterne nur nebenbei erwähnt wird.

Sie sind

für den

Menschen, — nicht für den wissenschaftlich forschenden

Menschen, sondern für den Menschen als Knecht Gottes, wie ihn die Bibel im Auge hat, — von viel geringerer

Bedeutung als Sonne und Mond; sie sind unter diesem

Gesichtspunkte nur dazu da, daß sie mit ihrem flimmern­ den Lichte die dunkelen Nächte erhellen,

daß sie durch

ihr nächtliches Gefunkel die Menschen erfreuen, daß der Wanderer und der Schiffer sich an ihnen orientieren,

daß der Astronom an ihnen seinen Scharfsinn übe, und zuletzt, aber nicht zum mindesten, auch darum, daß der

Mensch, indem er sie betrachtet, mag Staunen

blicken

er mit kindlichem

in die nächtliche Sternenpracht des Himmels

oder an der Hand der Wissenschaft die

weiten

Räume des Weltalls im Geiste durchwandern und die

Bahnen der Gestirne verfolgen, — daß der Mensch durch die Betrachtung dieser Wunderwerke die Größe und Weis­

heit des Meisters erkennen und anbeten lerne, der alles dieses geschaffen hat und erhält. Man hat auch das anstößig gefunden, daß nach dem

biblischen Berichte zur Erschaffung und Ausbildung der Erde ganze fünf Tage, zur Hervorbringung aller anderen Himmelskörper nur ein einziger Tag verwendet worden sei.

Aber der Bericht über den vierten Tag des Sechs­

tagewerkes braucht nicht von der „Hervorbringung" der Sonne, des Mondes und der Sterne verstanden zu wer­

den.

Der biblische Bericht hat es zunächst nur mit der

Bildung der Erde zu thun und spricht darum auch bei

dem vierten Tage nicht davon, wann und wie die Sterne

gebildet worden seien,

sondern davon, daß an diesem

88 Tage ihr jetziges Verhältniß zur Erde den sei.

festgesetzt wor­

Die Genesis sagt nicht, daß die Sterne erst am

vierten Tage geworden, sondern nur, daß sie an diesem

Tage für die Erde geworden seien, begonnen habe,

in Folge dessen die letzteren für die

erstere Lichter und Zeitmesser sind. Sterne,

daß von diesem

das Verhältniß zwischen Erde und Sternen

Tage an

wenn

eine allmähliche und langsame Bildung

derselben stattgefunden hat, Erdkörpers

Die Bildung der

bereits

vollendet

mag vor der Bildung des

gewesen

terer gleichzeitig verlaufen sein: Moses gar keine Veranlassung;

oder

mit

davon zu reden

letz­

hatte

in seiner Darstellung,

welche die Bereitung der Erde zum Wohnplatze für den

Menschen zum Gegenstände hat, durften die Sterne erst da erwähnt werden, wo ihr Verhältniß zur Erde fest­

gesetzt wurde oder wo die Ausbildung des Erdkörpers so weit fortgeschritten war, daß derselbe dem Sterncnsystem als ein einzelnes Glied eingefügt wurde *)•

Wenn die Astronomen ermittelt haben, daß manche mit dem Fernrohre wahrzunehmende Sterne so weit von

uns entfernt sind, daß ihr Licht Millionen Jahre ge­

braucht, um zu uns zu gelangen, daß also diese Sterne, da wir sie jetzt sehen, gewesen sein müssen,

schon vor Millionen Jahren da so kann darauf eine Einwendung

gegen den biblischen Schöpfungsbcricht nur dann begrün­ det werden, wenn man die sechs Tage des ersten Capitels

buchstäblich Ifaßt und also annimmt, nach dem biblischen Berichte seien die Sterne nur wenige Tage älter als der

Mensch.

Diese Auffassung der sechs Tage haben wir

1) Vgl. Pfaff, Schöpfungsgeschichte S. 744.

89 aber bereits als eine unrichtige erkannt und gesehen, daß die sechs Tage dehnbar genug sind, um so viele Millionen

Jahre zu umspannen, als die Astronomen für nöthig

halten.

Die am bedenklichsten aussehende astronomische Ein­

wendung gegen den biblischen Schöpfungsbericht stützt sich auf die Thatsache, daß darin schon am ersten Tage von dem Lichte und von dem Wechsel von Tag und Nacht gesprochen wird und erst am vierten Tage von der Sonne, welche doch für uns die Quelle des Lichtes und

an welche der Wechsel von Tag und Nacht gebunden ist, wozu noch die weitere, auffallend scheinende Thatsache kommt, daß schon am dritten Tage, also ehe die Sonne die Erde erleuchtete und erwärmte, die Pflanzen geschaffen

wurden. Sehen wir zunächst, — indem wir die buchstäbliche Fassung der sechs Tage bei Seite lassen, — wie diese

Einwendung

von

den Vertretern

der

concordistischen

Theorie, also von denjenigen beantwortet wird, welche unter den sechs Tagen sechs auf einander folgende größere

Perioden verstehen'). Nach dieser Auffassung berichtet die Genesis zunächst folgendes: seit dem vierten Tage ist das Licht für die

Erde regelmäßig an die Sonne und die anderen Gestirne geknüpft; aber auch schon vor der Zeit, in welcher die

Erde in dieses Verhältniß zu den Gestirnen trat, schon am ersten Tage, also ehe die Scheidung von Wasser und

Land auf der Erde und die Bildung der Erdatmosphäre 1) Vgl. Bibel und Natur S. 147. Pfaff, Schöpfungsgeschichte

S. 746.

90 stattgefunden, war es auf Gottes Befehl hell geworden. W i e Gott diese Helle bewirkt habe, davon sagt die Genesis nichts.

Da nun die Naturforscher nicht einmal

auf die Frage, was das Licht sei und wie es entstehe, eine bestimmte Antwort geben und jedenfalls die Mög­ lichkeit nicht bestreiten können, daß die Lichtentwicklung

schon begonnen habe, ehe die Erde in ihr jetziges Ver­ hältniß zur Sonne getreten, so kann jene Angabe der

Genesis nicht als unrichtig bezeichnet werden. Daß auch schon vor dem vierten Tage der regelmäßige Wechsel von

Tag und Nacht stattgcfunden habe, berichtet die Genesis

nicht. Denn erst am vierten Tage setzt nach Vers 14 und 16 Gott die Sonne und den M ch ein, zu „beherr­

schen den Tag und die Nacht und zu sein Zeichen der Tage und Jahre", d. h. erst jetzt beginnt das regelmäßige scheinbare Auf- und Untergehen der Sonne, welches den Wechsel von Tag und Nacht bewirkt, und erst jetzt be­ ginnen die regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen am Himmel, die den Jahreswechsel bestimmen. Vor dem

vierten Tage war cs also noch nicht so.

Wenn es also

schon in dem Berichte über den ersten Tag in Vers 4 heißt:

„Gott schied das Licht von der Finsterniß, und

er nannte das Licht Tag und die Finsterniß Nacht", so soll damit nur gesagt werden: Gott hat, nachdem er das Licht hatte hervortreten lassen, das Verhältniß des Lich­ tes und der Finsterniß festgesetzt, und zwar ist dieses von Gott festgesetzte Verhältniß das Nacheinander und Wechseln von Licht und Finsterniß, welches wir mit Tag

und Nacht bezeichnen.

Daß dieser Wechsel schon vom

ersten der sechs Tage an regelmäßig alle vierundzwanzig Stunden einmal stattgefunden habe, sagt die Genesis

91 nicht, deutet vielmehr an, daß dieses erst mit dem vierten

Tage begonnen habe. Auch die Schwierigkeit, daß schon am dritten Tage,

also ehe die Sonne der Erde Licht und Wärme spendete,

die Pflanzen erschaffen wurden, ist nicht unüberwindlich. Jetzt ist freilich zum Gedeihen der Pflanzen Licht und Wärme der Sonne erforderlich.

Waren aber vor dem

vierten Tage Licht und Wärme nicht in der Weise,

wie

es jetzt der Fall ist, für die Erde an die Sonne gebun­ so war auch die Vegetation

den,

damals nicht in der

Weise, wie es jetzt der Fall ist, von der Sonne abhängig und wurden das Licht und die Wärme, die sie bedurfte, auf andere Weise erzeugt.

Uebrigens folgt

setzung des Verhältnisses der Erde zur Sonne

die Fest­ in dem

Scchstagewerke unmittelbar auf die Hervorbringung der Pflanzen,

so daß wir nur die erste Entstehung,

nicht

ein längeres Existiren derselben ohne Licht und Wärme der Sonne anzunehmen brauchen. In

dieser Weise sind die Berichte über den ersten

und vierten Tag von den Vertretern der concordistischcn

Auffassung zu deuten.

Wir haben aber früher (S. 75)

gesehen, daß nicht diese,

sondern

der sechs Tage die richtige ist.

die -ideale Auffassung

Nehmen

wir aber an,

daß die sechs Tage nicht als sechs chronologisch auf ein­

ander

folgende Perioden aufzufassen sind,

sondern zu­

nächst nur sechs Hauptmomente der schöpferischen Thätig­

keit Gottes darstellcn, so

läßt sich die vorhin hervor­

gehobene Schwierigkeit leicht beseitigen *).

Das Werk des ersten 1) S. oben S. 77.

und

das Werk des vierten

92 Tages sind als die beiden nicht direct auf die Entwicklungs­

geschichte der Erde bezüglichen Werke an die Spitze der

beiden Hälften

des Sechstagewerkes

gestellt, die Fest­

setzung des Wechsels von Tag und Nacht oder die Schei­

dung

von

Licht

Scheidungen,

und

Finsterniß

an die Spitze

der

über welche die erste Hälfte berichtet, die

Ausstattung des Himmels mit seinen lichtgebenden Kör­ pern an die Spitze der die zweite Hälfte ausniachenden

Werke, der Werke,

welche die einzelnen Bereiche

durch

der Schöpfung mit Inhabern ausgestattet wurden

und

welche für den Menschen von unmittelbarerer Bedeutung

sind.

Wenn aber so die Festsetzung

des regelmäßigen

Wechsels von Tag und Nacht als ein, die Festsetzung des

jetzigen Verhältnisses

der Erde zu der Sonne und

übrigen Himmelskörpern

den

als ein zweites Hauptmomcnt

der göttlichen Schöpferthätigkeit dargestcllt und ersteres als das erste,

als das vierte in der Sechszahl

letzteres

der Werke dargestellt wird, standen zu werden,

als

so braucht das nicht so ver­

müßten diese beiden göttlichen

Thätigkeiten chronologisch nach einander, und zwar durch

mehrere andere dazwischen liegende göttliche Thätigkeiten

von einander getrennt, verlausen sein. angenommen werden,

daß das,

Es darf vielmehr

was in dem Sechstagc-

werke logisch unterschieden wird, chronologisch zusammen­ gefallen ist oder daß die beiden Werke des ersten und

des vierten Tages ganz oder theilweise mit einander und mit den Werken des zweiten und dritten Tages gleich­

zeitig verlaufen sind,

ähnlich wie wir uns ja auch nach

der idealen Auffassung der sechs Tage die Erschaffung der Pflanzen, der Wasser- und Luftthiere und der Land­

thiere nicht als drei chronologisch auf einander folgende,

93 sondern als drei theilweise

gleichzeitig verlaufende Acte

der göttlichen Schöpferthätigkeit zu denken haben.

welcher

Aufeinanderfolge

der

Wechsel

In

von Tag und

Nacht und die sonstigen Erscheinungen und Verhältnisse eingetreten sind, welche in dem Zusammenhänge der Erde

mit dem Sonnen- und Sternensystem ihren Grund haben, das zu ermitteln mag der Naturwissenschaft über­

lassen werden: die Genesis hebt von diesem Theile der

Schöpfungsgeschichte nur ein Doppeltes hervor: durch Gottes Willen ist das Licht geworden, durch welches die ursprüngliche Finsterniß beseitigt wurde und welches wir jetzt am Tage wahruehmen,

und durch Gottes Willen

sind die Sonne, der Mond

und die Sterne geworden, der Tage,

welche die Erde

erhellen und den Wechsel

Monate, Jahreszeiten und Jahre bewirken.

VIII. Die Entstehung der Pflanzen und Thiere. In dem ersten Capitel der Genesis wird die Ent­ stehung der Pflanzen- und Thierwelt auf die schöpferische

Thätigkeit Gottes zurückgeführt und zugleich angedeutet, daß Gott

für die Fortpflanzung und Erhaltung der

Pflanzen - und Thiergattungen Sorge Wie die ersten organischen Wesen

getragen habe.

entstanden,

wird

nicht angegeben, noch weniger, wie fortan die einzelnen

Individuen entstehen sollten, ob alle Pflanzen nur durch

Samen oder Sprossen und alle Thiere nur durch Zeugung

93 sondern als drei theilweise

gleichzeitig verlaufende Acte

der göttlichen Schöpferthätigkeit zu denken haben.

welcher

Aufeinanderfolge

der

Wechsel

In

von Tag und

Nacht und die sonstigen Erscheinungen und Verhältnisse eingetreten sind, welche in dem Zusammenhänge der Erde

mit dem Sonnen- und Sternensystem ihren Grund haben, das zu ermitteln mag der Naturwissenschaft über­

lassen werden: die Genesis hebt von diesem Theile der

Schöpfungsgeschichte nur ein Doppeltes hervor: durch Gottes Willen ist das Licht geworden, durch welches die ursprüngliche Finsterniß beseitigt wurde und welches wir jetzt am Tage wahruehmen,

und durch Gottes Willen

sind die Sonne, der Mond

und die Sterne geworden, der Tage,

welche die Erde

erhellen und den Wechsel

Monate, Jahreszeiten und Jahre bewirken.

VIII. Die Entstehung der Pflanzen und Thiere. In dem ersten Capitel der Genesis wird die Ent­ stehung der Pflanzen- und Thierwelt auf die schöpferische

Thätigkeit Gottes zurückgeführt und zugleich angedeutet, daß Gott

für die Fortpflanzung und Erhaltung der

Pflanzen - und Thiergattungen Sorge Wie die ersten organischen Wesen

getragen habe.

entstanden,

wird

nicht angegeben, noch weniger, wie fortan die einzelnen

Individuen entstehen sollten, ob alle Pflanzen nur durch

Samen oder Sprossen und alle Thiere nur durch Zeugung

94 oder Eier oder Keime, oder auch aus andere Weise. Auf

solche naturwissenschaftliche Einzelheiten einzugehen, hatte

der Verfasser nicht

des biblischen

den Beruf;

Schöpfungsberichtes

er sagt nur,

gar

daß alle Pflanzen und

Thiere, welche auf Erden existiren oder je existirt haben,

mittelbar oder

unmittelbar von Gott geschaffen

seien,

dem Willen Gottes ihre Existenz verdanken.

Vergleichen wir mit dieser Angabe der Bibel die Ergebnisse

der

gereichen diese

naturwissenschaftlichen Forschungen,

so

jener Angabe jedenfalls in so weit zur

Bestätigung, als sie zu der Annahme nöthigen, daß das

organische Leben

auf der Erde

einen Anfang gehabt,

daß es nicht von Ewigkeit her Pflanzen und Thiere ge­ geben hat.

In welcher Periode der Geschichte der Erde

zuerst Pflanzen und Thiere ausgetreten

sind,

darüber

sind die Geologen noch uneinig; aber daß es eine Zeit

gegeben hat, in welcher es noch keine organischen Wesen auf der Erde geben konnte,

darüber sind

alle einig.

Wenn, wie die meisten Geologen annehmen, die Erde An­

fangs glühend war,

so konnte sie organischen Wesen

erst dann zum Aufenthalte dienen,

so weit erkaltet

war,

als ihre Oberfläche

daß Pflanzen und Thiere leben

konnten.

Wie sind nun die ersten organischen Wesen auf der

Erde entstanden? Die in der neuesten Zeit von einigen Naturforschern geäußerte Vermuthung,

die ersten Keime

lebender Wesen könnten von einem andern Weltkörper

auf die Erde gekommen sein,

beruhen lassen.

dürfen

wir ganz auf sich

Die Vermuthung ist an sich im höchsten

Grade unwahrscheinlich'); aber

auch

1) P fass, Schöpfungsgeschichte S. 736.

wenn sie richtig

95 wäre, so würde dadurch die Frage nach der ersten Ent­ stehung der organischen Wesen nicht gelöst, sondern nur

weiter hinausgeschoben; sie würde in der andern Fassung

wie sind denn die organischen Wesen auf

wiederkehren:

jenem Weltkörper entstanden, von welchem sich jene Keime

auf unsere Erde verirrt haben? wie die

Auf die Frage,

ersten

organischen Wesen

entstanden seien, kann nur geantwortet werden, entweder: sie sind

dem vorhandenen Stoffe von selbst ent­

aus

standen, oder: sie sind durch eine außerhalb des Stoffes liegende Ursache hervorgebracht, Letzteres ist die Antwort, Wollte man beweisen,

also geschaffen worden.

welche

uns die Bibel gibt.

daß diese Antwort unrichtig sei,

so müßte man die Richtigkeit der crstern Antwort be­

weisen können.

Dazu wäre aber erforderlich der Beweis,

daß auch jetzt noch Pflanzen und Thiere aus unorgani­

Denn wenn dieses jetzt

schem Stoffe entstehen. geschieht,

so sind

wir nicht berechtigt anzunehmen, daß

es früher geschehen sei, kann und

nicht

da nicht nachgewiesen

werden

nach den allgemein anerkannten Grundsätzen

der Naturwissenschaft nicht vorausgesetzt werden darf, die Materie habe früher Kräfte gehabt, die sie jetzt nicht

mehr habe,

oder,

was nach den Naturgesetzten heute

nicht geschehen könne, habe früher geschehen können. Entstehen unorganischem

also jetzt noch Pflanzen und Thiere aus Stoffe,

durch sogenannte Urzeugung

(generatio aequivoca oder spontanen, Heterogenie oder

Autogonie)? Daß weitaus die meisten Arten von Pflan­

zen und Thieren nur

durch Abstammung von anderen

Pflanzen und Thieren entstehen, ist ganz unbestritten. Es ist dieses in neuerer Zeit auch von solchen Pflanzen

96 und Thieren nachgewiesen worden,

früher annahm,

von

welchen

daß sie durch Urzeugung

man

entständen,

wie man das früher z. B. von Fliegen und anderm

Ungeziefer, thieren,

anderen Binnen-

von Bandwürmern und

von Schimmelpilzen und dergleichen annahm').

Die meisten Naturforscher der Gegenwart, — auch solche,

die

im Interesse

ihrer

sonstigen

daß

die

Urzeugung

müssen,

sich

Ansichten

wünschen

erweisen lasse, —

lehren, daß alle, auch die sorgfältigsten Beobachtungen und Versuche zu Gunsten

der Annahme sprechen,

daß

überhaupt keine Pflanzen und Thiere durch Urzeugung

entstehens. „Wir kennen keine Thatsache, sagt Darwin, nicht einmal

den Schatten einer Thatsache,

Glauben unterstützte,

irgend

daß

welche den

unorganische Elemente

welche organische Wesen

ohne

bloß unter dem

und

Einflüsse bekannter Kräfte ein lebendiges Geschöpf her­

vorbringen könnten."

Er knüpft daran das Geständniß,

daß die Naturwissenschaft über den Ursprung des Lebens ebenso wenig

und Stoff,

wisse wie über den Ursprung von Kraft

und ganz in demselben Sinne sagen andere

Naturforscher:

Es steht zwar fest,

daß das Leben auf

Erden einen Anfang gehabt hat; wie lebendigen Wesen entstanden,

aber die ersten

das ist uns ebenso unbe­

kannt wie der Uranfang der Dinge.

Wenn aber das

richtig ist, so kann vom naturwissenschaftlichen Stand­

punkte nichts gegen

werden,

daß die

die Lehre der

Bibel eingewendet

ersten Pflanzen und Thiere von Gott

geschaffen seien.

1) Bibel und Natur S. 330. 2) Bibel und Natur S. 335. 344. 345.

97 Das

gestehen

auch diejenigen

Naturforscher

ein,

wie z. B. Haeckel, sagen, die Entstehung der

welche,

ersten Pflanzen und Thiere durch Urzeugung müsse noth­

wendig angenommen werden,

weil man sonst zu dem

„Wunder einer übernatürlichen Schöpfung seine Zuflucht

nehmen" müsse').

kannt,

Denn mit diesem Satze wird aner­

daß es nicht naturwissenschaftliche Beweise sind,

auf welche die Leugnung der Erschaffung der ersten Pflanzen und Thiere und die Behauptung ihrer Ent­ stehung durch Urzeugung gestützt wird, daß man viel­ mehr nur darum ihre Entstehung durch Urzeugung be­

hauptet,

weil man aus philosophischen

Gründen die

Erschaffung derselben für unmöglich halten zu dürfen glaubt. Von dieser Art der Beweisführung sagt ein

französischer Schriftsteller, Th. H. Martin, mit Recht:

„Jene Gelehrten gehen von dem kühn ausgesprochenen oder

vorsichtig

vorausgesetzten Princip

aus:

da das

so müsse es noth­ wendig durch irgend welche natürliche Entwicklung der Leben auf Erden angefangen habe,

unorganischen Materie von selbst entstanden sein, und so sei die Urzeugung als Erklärung des ersten Ursprunges

aller Pflanzen und Thiere a priori gewiß, weil sie die

einzige mögliche Hypothese sei.

Das ist das trium-

phirende Argument, womit Leute,

die viel von experi­

menteller Wissenschaft und ihrer Methode reden,

die

Discussion über den ersten Ursprung aller Pflanzen- und

Thierarten schließen wollen! Aber entweder ist dieses Argument ein gedankenlos ausgesprochener Unsinn, uder diejenigen,

welche es

vorbringen,

1) Bibel und Natur S. 347. Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.

gehen von der still-

98 schweigenden Voraussetzung aus, die Erschaffung und

die Organisation der Welt durch Gott seien unmögliche

Hypothesen, da Gott nicht existire und die Materie allein nothwendig und ewig sei.

Indem sie also den Atheis­

mus durch die Urzeugung beweisen wollen, setzen sie den Atheismus als Grundlage ihres Beweises voraus." *) Je­ denfalls ist die andere Schlußfolgerung mindestens ebenso

berechtigt: die Entstehung der ersten Organismen durch

Urzeugung läßt sich naturwissenschaftlich nicht nachweisen; dieselben, und sind sie nicht durch Ur­

entstanden sind

zeugung entstanden, so können wir der Vorstellung von einem außerweltlichcn Schöpfer nicht ausweichen.

Natur­

wissenschaftlich betrachtet ist also die Hypothese von einer

Erschaffung derselben zum wenigsten ebenso berechtigt wie die Hypothese

von ihrer Entstehung durch Urzeugung.

Es wurde vorhin bemerkt, es sei jetzt in der Natur­ wissenschaft unbestritten, daß „weitaus die meisten Arten von Pflanzen und Thieren" nur durch Abstammung von

anderen Pflanzen und Thieren entstehen.

Streitig ist

nur noch die Frage, ob nicht einige sehr kleine und sehr

niedrig organisirte Wesen

durch

Urzeugung entstehen.

Einige Naturforscher nehmen dieses von den sogenannten Bakterien an, mikroskopisch kleinen organischen Wesen, von

denen es noch nicht ausgemacht ist, ob sie Pflanzen oder Thiere sind, und Haeckel nimmt es von den sog. Mo­

neren

an,

organischen Wesen der allcreinfachsten Art,

deren ganzer Körper, höchstens von der Größe eines Steck­ nadelknopfes, zeitlebens nichts weiter loses

bewegliches

Schleimklümpchen.

1) Vgl. Bibel und Natur S. 347.

sei als ein form­ („Vielleicht

das

99 merkwürdigste von allen Moneren", sagt Haeckel, habe man in dem feinen kreideartigen Schlamme gefunden, den man bei den in den letzten Jahren angestellten Unter­ suchungen der größten Meerestiefen heraufgezogen. Hux-

ley hat

dieses

„in der Tiefe

lebende Wesen"

1868

Haeckel zu Ehren Bathybius Haeckelii genannt, 1875

aber cingestanden, daß er sich geirrt, wenn er diese Schleim­

klümpchen für lebende Wesen gehalten habe.)

Auch von

den Bakterien und Moneren nehmen die meisten und be­

deutendsten Naturforscher an, daß sie nicht durch Urzeu­ gung entstehen.

Man wird aber nach dem jetzigen Stande

der Untersuchungen nicht die Unmöglichkeit ihrer Ent­ stehung durch Urzeugung behaupten dürfen').

Sollte sich

wirklich

erweisen lassen,

daß einzelne

Pflanzen- und Thierarten aus unorganischem Stoffe ent­

stehen, so würde dieses mit der biblischen Schöpfungslehre

nicht in Widerspruch stehen.

Wie die älteren Natur­

forscher, so haben auch die Kirchenväter und die mittel­

alterlichen ,

ja

auch

noch

spätere

Theologen

unbe­

denklich die Urzeugung in einer viel weitern Ausdehnung angenommen, als sie jetzt noch von irgend einem Natur­

forscher behauptet wird.

Mit der Lehre von der Er­

schaffung aller Dinge durch Gott brachten sie diese An­

sicht in Einklang durch die Annahme, daß Gott gewisse Stoffe mit der Fähigkeit geschaffen habe, nach den von

ihm gegebenen Naturgesetzen unter bestimmten, von ihm

von Ewigkeit her vorausgesehenen Bedingungen bestimmte

Classen von Pflanzen und Thieren hervorzubringen.

In

dieser Weise würde sich also die Entstehung der Bakte1) Bibel und Natur S. 334.

100 rien und Moneren durch Urzeugung mit dem biblischen

Schöpfungsberichte in Einklang bringen lassen, wenn die­

selben wirklich, was, wie gesagt, sehr zweifelhaft und be­ stritten ist, durch Urzeugung entstehen.

Auf jeden Fall darf, wenn wirklich einige sehr nie­

drig organisirte Wesen durch Urzeugung entstehen sollten,

daraus nicht gefolgert werden, daß auch diejenigen Pflanzen- und Thierarten, welche jetzt nachweislich nicht durch Urzeugung, sondern durch Fortpflanzung entstehen, ursprünglich durch Urzeugung entstanden seien. Der bib­ lische Bericht über die Erschaffung der Pflanzen und Thiere durch Gott kann also nach dem jetzigen Stande der Naturwissenschaft nur bestritten

werden durch die

doppelte Annahme: erstens, es sind in einer der älteren

Perioden der Erdgeschichte Moneren oder andere sehr niedrig organisirte Wesen durch Urzeugung, ohne Ein­

wirkung einer außerwcltlichcn Ursache entstanden; zwei­ tens, aus diesen Moneren haben sich im Verlaufe der Zeit, wieder ohne Einwirkung einer außerweltlichen Ur­

sache, auf natürlichem Wege alle Arten der Pflanzen und

Thiere, welche jetzt existiren und jemals auf Erden existirt haben, entwickelt.

Daß die erste Annahme, wissen­

schaftlich betrachtet, sehr schwach begründet ist, haben wir

gesehen; die Prüfung der zweiten Annahme, also der in

neuester Zeit durch Darwin und andere Naturforscher aufgestellten Descendenz- oder Entwicklungstheorie, wird

unsere nächste Aufgabe sein.

101

IX. Die sogenannte Descendenz-Theorie. In der biblischen Schöpfungsgeschichte wird berichtet,

Gott habe Pflanzen und Thiere geschaffen „nach ihrer Art", d. h. nicht einerlei, sondern mancherlei Pflanzen und Thiere.

Mit diesem Satze wird gelehrt, daß all die

mannigfaltigen Classen von Pflanzen und Thieren, welche

überhaupt auf Erden existiren, auf Gottes schöpferische Thätigkeit zurückzuführen seien. Man darf aber aus diesem Satze nicht die Folgerung ziehen, alle in den Lehrbüchern

der Pflanzen- und Thicrkunde aufgezählten Arten oder

Species seien nach der Lehre der Bibel als solche von

Gott erschaffen worden und hätten sich seitdem im We­ sentlichen unverändert und von einander gesondert und gegen einander abgeschlossen erhalten.

Das hebräische

Wort Hin, welches man mit „Art" übersetzt, — in der

Vulgata ist es bald durch genus, bald durch species wiedergegeben, — hat nicht die genau umgrenzte, tech­

nische Bedeutung, welche das Wort „Art" oder „Species"

in der Naturgeschichte hat; man könnte das Wort auch „Gattung, Sorte, Varietät" übersetzen; „die Bäume nach

ihrer Art" heißt eben nichts weiter als: die mancherlei

Sorten von Bäumen, die es gibt.

Der biblische Bericht

steht also auch der Annahme gar nicht im Wege, daß die Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Thiere ursprüng­

lich eine geringere gewesen sei und daß sich die jetzige Mannigfaltigkeit erst allmählich gebildet habe.

Die vielen

Sorten von Rosen, Nelken und Georginen, welche jetzt in unseren Gärten blühen, und die vielen Sorten von

102 Hühnern und Tauben, die man in zoologischen Gärten

und auf den Höfen von Liebhabern sieht, haben ja vor hundert Jahren noch nicht existirt; diese Mannigfaltigkeit

hat der menschlichen Kunst ihre Entstehung zu verdanken. In ähnlicher Weise sind die Pflanzen- und Thierformen auch durch natürliche Verhältnisse vielfach abgeändert worden, durch die Verschiedenheit des Bodens, der Nah­ rung, des Klimas u. s. w.

Wie weit die Veränderlichkeit

der Pflanzen und der Thiere geht, wie viele von den jetzt in den Lehrbüchern der Pflanzen- und Thicrkunde aufgezählten verschiedenen Formen sich erst im Laufe der

und wie viele Formen Gott ur­ sprünglich geschaffen hat, darüber sagt die Bibel kein Zeit gebildet haben,

Wort; das ist eine rein naturwissenschaftliche Frage. Die älteren Naturforscher nahmen an, es gebe eine gewisse — freilich nicht wohl mit Sicherheit zu bestim­ mende — Anzahl von Gruppen von organischen Wesen,

welche von einander gesondert und unabhängig seien und

gewisse eigenthümliche Merkmale von jeher gehabt hätten; diese Gruppen, die sie Arten oder Species nannten,

müßten also einzeln und unabhängig von einander ent­

standen, — nach der biblischen Darstellung ihre ersten Stammeltern von Gott geschaffen sein.

Die zunächst

mit einander verwandten Species vereinigte man bei der

systematischen Beschreibung des Pflanzen- und Thierreichs zu größeren Gruppen, die man Gattungen oder Ge­

nera nannte, und es ist seit Sinne Sitte, bei der Be­ nennung der Pflanzen und Thiere die Namen des Genus und der Species mit einander zu verbinden.

So heißt

z. B. die Hauskatze Felis domestica, die wilde Katze

Felis catus, der Tiger Felis tigris, der Löwe Felis leo,

103 der Panther Felis pardus, der Jaguar Felis onca. Diese

sechs Raubthierarten sind also sechs Species eines und

desselben Genus Felis.

Aehnlich werden in der Bo­

tanik sieben Nadelholz-Arten als sieben Species des Einen Genus Finus aufgczählt: Finus abies, die Fichte, Finus picea, die Tanne, Finus larix die Lärche u. f. w.

Die

einander zunächst stehenden Gattungen oder Genera ver­

einigte man dann zu einer Ordnung, mehrere Ordnungen zu einer Classe u. s. w.

Neben den Eigenschaften welche allen Individuen einer Art gemeinsam sind und welche durch alle Gene­ rationen hindurch constant bleiben, finden sich natürlich bei den einzelnen Individuen mehr oder minder große

Verschiedenheiten. Noch weniger als ein Ei dem andern sind zwei Pferde, zwei Hunde u. s. w. einander gleich. Jene allen Individuen gemeinsamen und durch alle Ge­

nerationen bleibenden Eigenschaften sah man als wesent­ liche Eigenschaften der Art an, die Eigenschaften, hinsicht­ lich deren die einzelnen Individuen sich von einander unterscheiden, als unwesentlich.

Gruppen von Indivi­

duen derselben Art, welche auch in Bezug auf unwesent­

liche Eigenschaften übereinstimmen und sich zugleich von der Hauptmasse der Individuen unterscheiden, nennt man Abarten oder Varietäten, und wenn die Eigenthümlich­

keiten solcher Varietäten sich vererben, entstehen sogenannte Rassen,

wie z. B. Pudel, Windspiele, Bullenbeißer

u. s. w. Rassen der Species Hund

sind.

Auf Grund

von vielfachen Beobachtungen glaubte man annehmen zu dürfen, daß Vermischungen von Thieren verschiedener Arten nicht dauernd fruchtbar seien, während die Fruchtbarkeit

der Paarungen verschiedener Rassen der nämlichen Art

104 keine Beschränkung erleide.

Demgemäß sagte man denn

auch: alle Individuen der nämlichen Art könnten mög­

licher Weise von Einem Elternpaare abstammen, — Linns

hat, wie wir früher (S. 48) gesehen, irrthümlich gemeint, das sei wirklich der Fall, — aber die Individuen verschie­ dener Arten könnten unmöglich gemeinsame Stammeltern

haben.

„Die Arten", sagt Johannes Müller, „können

unmöglich die eine aus der andern erzeugt sein. Sie müssen,

nach allem,

was jetzt in der Geschichte der

thierischen

Welt vor sich geht, einzeln und unabhängig von einan­

der geschaffen sein." Diese Ansicht von der Beständigkeit und sondertheit

der Arten war früher,

wie gesagt,

der Ge­ bei den

Naturforschern die herrschende, und demgemäß wurde der biblische Bericht über die Erschaffung der Pflanzen und

Thiere so verstanden: Gott habe die ersten Individuen der einzelnen Arten schöpferisch hervorgebracht, und die

einzelnen Arten hätten sich seit der Schöpfung in ihren wesentlichen Eigenschaften unverändert erhalten, seien aber freilich

im Laufe der Zeit in viele,

durch unwesent­

liche Eigenthümlichkeiten von einander sich unterscheidende Abarten, Varietäten und Rassen aus einander gegangen.

Als durch die Untersuchung der Versteinerungen die Pflan­ zen- und Thierwelt früherer Perioden der Erdgeschichte

genauer bekannt wurde,

die sich, je höher wir in der

Geschichte der Erde hinaufgehen, 'um so mehr von der

jetzigen Pflanzen- und Thierwelt unterscheidet,

glaubte

man annehmen zu müssen, die zuerst geschaffenen Arten seien alle oder doch fast alle längst ausgestorben, und es seien in den einzelnen paläontologischen Perioden neue

Arten geschaffen worden, die meist auch in den folgenden

105 Perioden wieder ausgestorben und durch neue ersetzt wor­ den seien.

Ja manche Geologen nahmen an, jede For­

mation habe ihre eigenthümliche Pflanzen- und Thierwelt und cs finde sich nie oder nur ausnahmsweise eine und

dieselbe Pflanzen- und Thierart in zwei auf einander folgenden Formationen;

es sei also

anzunehmen,

daß

wiederholt im Laufe der Zeit das organische Leben auf

Erden ganz erloschen und dann durch eine

neue Pflan­

zen- und Thierschöpfung ganz neu wiederhergestellt sei; die jetzige Pflanzen- und Thierwelt stehe mit denen der

früheren Perioden in keinem

hänge.

genealogischen Zusammen­

Andere nahmen an, es seien seit der Entstehung

der ersten organischen Wesen vor und nach einzelne Arten ausgestorben und andere neu hinzugekommen; aber nur

durch ein solches Entstehen und Ausfüllen von Lücken hätten allmähliche Umgestaltungen

der Pflanzen- und

Thierwelt stattgefunden, und niemals sei der Faden des Lebens ganz abgeschnitten roorben1).

Es wäre ein Irrthum, wenn man annehmen wollte, diese Theorie von der Beständigkeit und der Gesondert­

heit der Arten werde auch

in der Bibel gelehrt.

Das

hebräische Wort Min, welches mit Art übersetzt wird,

braucht, wie bereits erwähnt wurde, nicht in der Bedeu­ tung genommen zu werden, welche das Wort „Art" oder

„Species"

in der Naturwissenschaft hat;

umfassendere Gruppen,

z. B.

die

es kann auch

„Gattung"

oder das

„Genus", bezeichnen. Selbst Sinne war geneigt, anzunehmen, die verschie­ denen Arten einer und

derselben Gattung hätten

1) Bibel und Natur S. 206.

ur-

106 sprünglich nur Eine Art ausgemacht und hätten sich in ihrer Verschiedenheit in derselben Weise gebildet wie die Rassen derselben Art.

Es steht nichts im Wege, das be­

treffende hebräische Wort in einer noch weitern Bedeu­ tung zu nehmen, also anzunehmen, es seien ursprünglich

viel weniger verschiedene Formen

von Pflanzen und

Thieren erschaffen worden, als jetzt vorhanden sind, und

die Mannigfaltigkeit in der Pflanzen- und Thierwelt der jetzigen und der früheren Perioden sei dadurch entstanden,

daß sich allmählich die ursprünglichen Formen in ähnlicher Weise zu vielen verschiedenen Formen gestalteten, wie sich die zahllosen Varietäten und Rassen der einzelnen Arten ge­

bildet haben.

Ueber den Grad der Veränderlichkeit der

einzelnen Arten,

Gattungen, Ordnungen u. s. w. sagt

der biblische Bericht kein Wort; es kommt ihm nur dar­

auf an, hervorzuhcben, daß die gcsammtc Pflanzen- und Thierwelt der Erde dem schöpferischen Willen Gottes ihr Dasein verdankt, daß also alle Pflanzen und Thiere,

welche seit dem Anbeginn des organischen Lebens existirt haben, entweder unmittelbar von Gott geschaffen sind oder von den von Gott unmittelbar geschaffenen Pflanzen

und Thieren abstammen.

Ob die von Gott geschaffenen

Pflanzen und Thiere so

eingerichtet waren,

daß nur

gleiche Pflanzen und Thiere von ihnen abstammen konnten, oder

so,

daß ihre Nachkommen

unter dem

Einflüsse

äußerer oder innerer Ursachen sich mannigfaltig verändern konnten und nach dem Plane Gottes verändern sollten,

darüber sagt der biblische Bericht nichts.

Es ist darum auch vom theologischen Standpunkte nichts gegen die Ansicht einzuwenden, daß die verschie­

denen Pflanzen- und Thierformen, welche im Verlaufe

107 der Geschichte der Erde neu auftreten, nicht auf eine

jedesmalige Neuschöpfung zurückzuführen seien, sondern sich unter dem Einflüsse äußerer und innerer Verhält­

nisse aus den bereits vorhandenen Formen entwickelt hätten, daß also zwar für den Anfang des organischen Lebens eine schöpferische Thätigkeit Gottes anzunehmen

sei, daß sich dann aber die Pflanzen- und Thierwelt, ohne ein weiteres Eingreifen des Schöpfers, aber nach einem

göttlichen Plane, durch die in sie gelegten Kräfte unter

den verschiedenen, nach dem Plane Gottes eintretcnden Verhältnissen mannigfaltig verändert und gestaltet habe*).

Auch dagegen ist vom theologischen Standpunkte aus

nichts zu erinnern, wenn Darwin sagt: der Schöpfer habe den Keim alles Lebens, welches uns umgibt, nur wenigen oder auch nur einer einzigen Form eingchaucht, und

cs habe sich aus diesem einfachen Anfänge eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommenerer Wesen ent­ wickelt").

So vieles auch gegen die Lehre Darwins und seiner Schüler einzuwenden sein mag, die sog. Descendenz­ oder Entwicklungs-Theorie als solche darf nicht als eine der biblischen Schöpfungslehre widersprechende bezeichnet

und kann mit dieser in Einklang gebracht werden, wenn man sie so faßt: Gott hat ursprünglich organische Formen geschaffen, welche ganz einfach, aber einer mannigfaltigen

Entwicklung fähig waren. Im Laufe der Zeit sind nach dem göttlichen Weltplane Verhältnisse eingetreten, unter deren Einfluß jene einfachen Formen sich mannigfaltig gestal1) Pfaff, Schöpfungsgeschichte S. 699. 2) Vgl. Bibel und Natur S. 393.

108 teten und veränderten').

Der biblische Schöpfungsbericht

sagt von dieser Entwicklung nichts, schließt sie aber auch nicht aus.

Dem Verfasser jenes Berichtes kam es nur

darauf an, zu lehren, daß alle Pflanzen und Thiere der Erde Geschöpfe Gottes seien.

Von der jetzigen Mannig­

faltigkeit der Pflanzen und Thierwelt ausgehend, sagt er

darum: Gott habe das Grün und die mannigfaltigen samentragenden Kräuter und fruchttragenden Bäume, die

mannigfaltigen

großen

und

kleinen Wasserthiere,

die

mannigfaltigen Luftthiere und die mannigfaltigen großen und kleinen, zahmen und wilden Landthicre hcrvorge-

Ob die Pflanzen und Thiere in der Mannig­ faltigkeit, in welcher sie der Mensch wahrnimmt, von An­

bracht.

fang an existirt haben, oder ob diese Mannigfaltigkeit sich nach dem Willen Gottes aus einer einfachern Ge­

staltung, die ihr vorhergegangen, entwickelt hat, das ist

eine Frage, die gar keine religiöse Bedeutsamkeit hat und

über welche sich darum der biblische Bericht gar nicht auszusprechen braucht.

Nur muß in dem letztem Falle

festgehalten werden, daß nicht nur die Entstehung, son­ dern auch die Entwicklungsfähigkeit der ersten einfachen

gönnen und das Eintreten der Verhältnisse, unter wel­

chen die Entwicklung statt fand, also auch diese Entwick­ lung selbst auf Gott als ihre letzte Ursache zurückzuführen

ist.

Wird aber dieses festgehalten, so steht die Annahme

einer allmählichen Entwicklung der Pflanzen- und Thier­

welt ebenso wenig in Widerspruch mit dem biblischen Be­ richte über die Erschaffung der Pflanzen und Thiere, wie

die Annahme von der Entwicklung der Erde in ihrer 1) Bibel und Natur S. 412.

109 jetzigen Gestalt aus einer glühenden Kugel oder einem

Gasball mit dem, was das erste Capitel der Genesis über

die Geschichte der Erde berichtet. Wenn aber auch gegen die Entwicklungs- oder De­

scendenz-Theorie als solche vom biblischen Standpunkte aus nichts zu erinnern ist, so kann dasselbe nicht von der Fassung gesagt werden, in welcher diese Theorie von einigen älteren Naturforschern vorgctragen wird, und

namentlich nicht von der Fassung, in welcher sic seit 1859

von Charles Darwin und im Anschluß an ihn von sehr vielen neueren Gelehrten vorgetragen wird *)•

Darwins Lehre ist in ihren Hauptzügen folgende: Alle Thier- und Pflanzensormen, welche cxistiren und

jemals existirt haben, stammen von wenigen ursprünglichen

von einer einzigen ganz einfachen Eigentliche Arten in dem ältern Sinne, also

Formen, vielleicht Form ab.

Reihen von organischen Wesen, welche sich von Geschlecht zu Geschlecht in ihren wesentlichen Eigenschaften unver­

ändert erhalten,

gibt es nicht; die organischen Formen

sind vielmehr unbeschränkt veränderlich, und durch ganz

allmähliche, im Laufe von unendlichen Zeiträumen durch Vererbung und Weiterausbildung sich summirende Ver­

änderungen haben sich fort und fort neue Formen ent­ wickelt und sind die alten erloschen.

Die verschiedenen

Varietäten und Rassen der Culturpflanzen und Haus­

thiere sind anerkanntermaßen durch menschliche Züchtung entstanden, dadurch, daß man die Formen, welche einen

besondern Nutzen gewährten, für die Nachzucht aus­ wählte, und daß diese nützlichen Eigenschaften sich auf 1) Vgl. Bibel und Naiur S. 357.

110 die Nachkommen verpflanzten und erblich wurden.

Etwas

Aehnliches findet nun bei den wildwachsenden Pflanzen

und bei den Thieren im Naturzustande statt, was man

also als „natürliche Züchtung"

bezeichnen kann.

Jede

Pflanzen- und Thierart vermehrt sich in solchen Pro­ gressionen, daß nicht alle Individuen zur vollständigen

Ausbildung und zur Fortpflanzung kommen können. Da die Erde nicht Raum hat für alle, so findet ein „Kampf

ums Dasein" unter ihnen statt. Jeder Organismus kämpft mit einer Anzahl von feindlichen Einflüssen, mit

Thieren, denen er zur Nahrung dient, mit der Tempe­ ratur, der Witterung u. s. w., vor allem mit den ähn­ lichen, gleichartigen Organismen. Jedes Individuum

einer Thier- und Pflanzenart ringt um die nothwendigen Existenzbedingungen mit den anderen Individuen der­ selben Art, die mit ihm an dem nämlichen Orte leben;

denn die Mittel zum Lebensunterhalte reichen nicht aus, um alle Individuen zu erhalten, welche entstehen.

Auf

einem dicht besäten Weizenfelde z. B. können von den zahlreichen jungen Pflanzen, die auf einem Quadratfuß

stehen, nur verhältnißmäßig wenige sich am Leben er­ halten; sie kämpfen mit einander um den Bodenraum,

den jede Pflanze gebraucht, um ihre Wurzeln zu befestigen, sie kämpfen um Sonnenlicht und Feuchtigkeit, und nur

einige siegen in diesem Kampfe ums Dasein zum Ver­ derben der anderen.

In diesem Kampfe ums Dasein

sind nun aber diejenigen Individuen am besten gestellt, welche besondere Eigenschaften haben, die den äußeren

Einflüssen am besten entsprechen.

Während die minder

bevorzugten Individuen untergehen, ohne Nachkommen zu

hinterlassen, werden jene bevorzugten für die Umstände

111 passenderen Individuen sich erhalten und zur Fortpflanzung Indem nun ausschließlich

gelangen.

oder

vorwiegend

die im Kampfe ums Dasein begünstigten Individuen zur Fortpflanzung gelangen, werden sich auch, wie man das bei der künstlichen Züchtung wahrnimmt, die Besonder­

heiten jener begünstigten Individuen nicht nur auf die

folgenden Generationen vererben, sondern auch bei den folgenden Generationen allmählich steigern und verstärken,

und schließlich wird eine Generation herauskommen, die sich von der ursprünglichen Form merklich unterscheidet.

Bei den höheren Thieren kommt

zu

der „natürlichen

Zuchtwahl" noch die „geschlechtliche Zuchtwahl" hinzu: Individuen, welche sich durch gewisse Vorzüge, eine größere Stärke, Schönheit u. s. w. vor anderen Individuen der­ selben Art auszeichnen, gelangen leichter zur Paarung als diese. Sie pflanzen ihre individuellen Vorzüge auf

ihre Nachkommen fort,

und

wenn sich während

einer

langen Reihe von Generationen Individuen einer Art mit Individuen

des andern Geschlechts paaren, welche

irgendwelche Eigenthümlichkeiten haben, so werden sich diese Eigenthümlichkeiten in ähnlicher Weise wie bei der

natürlichen Zuchtwahl steigern und verstärken.

So ist es also denkbar, meint Darwin, daß die Verschiedenheiten, welche wir jetzt in der Pflanzen- und

Thierwelt finden,

nicht ursprünglich sind, sondern sich

haben.

Die

allmählich

entwickelt

von Rosen

und Tauben haben sich nachweislich durch

vielen Varietäten

künstliche Züchtung gebildet und lassen sich genealogisch auf eine einzige ursprüngliche führen.

einfache Form

zurück­

Wenn nun dasselbe, was die künstliche Züchtung

bei den Culturpflanzen und Hausthieren hervorgebracht

112 hat,

den Pflanzen und Thieren im Naturzustande

bei

die natürliche und die geschlechtliche Züchtung bewirkt hat, so

sind

wir berechtigt zu der Annahme, daß den Ver­

schiedenheiten,

welche wir jetzt bei den wilden Pflanzen

und Thieren finden, keine größere Bedeutung zukommt

als den Verschiedenheiten der Culturpflanzen und Haus­

thiere, daß mithin zwischen Art und Varietät kein wesent­ licher Unterschied

gemacht werden kann,

daß wir nicht

von streng gesonderten, gegen einander abgeschlossenen und darum von Anfang an dagewesenen und im Wesent­

lichen gleich bleibenden Arten reden, sondern eine unbe­ schränkte Veränderlichkeit

nehmen dürfen, und

der organischen Formen an­

daß also die Formen, welche jetzt

in den Lehrbüchern der Pflanzen- und Thierkunde besondere Arten

aufgezählt werden,

der Zeit allmählich

kommnung

aus

als

sich erst im Laufe

durch Differenzirung und Vervoll­

einfacheren Formen

Darum spricht Darwin

gebildet

haben.

von einer „Entstehung der

Arten im Thier- und Pflanzenreich durch natürliche und

geschlechtliche Zuchtwahl und durch Erhaltung der ver­ vollkommneten Rassen im Kampfe ums Dasein".

Jede

Varietät kann sich nach seiner Theorie, wenn sie bleibend

wird, zn einer Rasse ausbilden,

und jede Rasse ist eine

beginnende Art, oder vielmehr:

man darf von Rassen

sprechen,

wenn die Verschiedenheiten

verhältnißmäßig

gering sind; Arten darf man diese Rassen nennen, wenn die Verschiedenheiten bedeutender geworden

sind;

aber

ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen Rasse und Art nicht.

Wie Darwins Theorie selbst, so können auch die Bedenken, welche von anderen Naturforschern gegen die-

113 selbe erhoben worden sind,

hier nur kurz angedeutet

werden'). So weit bis jetzt genaue Beobachtungen angestellt

sind, sprechen sie wohl zu Gunsten einer mehr oder minder großen, aber nicht zu Gunsten einer unbegrenzten

Veränderlichkeit der Pflanzen- und Thierarten. gilt nicht

bloß

Das

von der Gegenwart, sondern auch von

der Vergangenheit, so weit wir Urkunden darüber haben.

Abbildungen

Uralte

auf

ägyptischen

und assyrischen

Denkmälern zeigen, daß die damaligen Hausthier-Rassen Afrika's und Asien's den jetzigen durchaus gleich waren;

der Ibis ist noch heute ganz derselbe wie zur Zeit der Pharaonen, wie die erhaltenen Mumien desselben beweisen;

die in den ägyptischen Pyramiden und in

den Pfahl­

bauten gefundenen Weizen- und Gerstenkörner unter­ scheiden sich nicht von den jetzigen. Solchen Thatsachen gegenüber macht freilich Darwin geltend, einige tausend

Jahre seien eine viel zu kurze Zeit, um große Verände­ rungen hervorzubringen; für diese seien,

da sie sich nur

ganz allmählich entwickelten, viele Jahrtausende erforder­ Aber die Zeit an sich thut ja bei der Veränderung

lich.

diese kann nur durch physische Wirkungen

nichts;

im

Laufe der Zeit hervorgebracht werden, und wenn sich nicht

solche Wirkungen durch Beobachtung

innerhalb

einer beschränkten Zeit nachweisen lassen, ist es Willkür1) Vgl. Bibel und Naiur S. 373. S. 688.

Pfaff,

Pfaff, Schöpfungsgeschichte

Die Theorie Darwins und die Thatsachen

der

Geologie, 1876. Huber, Die Lehre Darwins kritisch betrachtet, 1871.

Huber, Zur Kritik moderner Schöpfungslehren, 1875. A. Wigand,

Der Darwinismus und

die Naturforschung Newtons und CuvierS.

Drei Bände, 1874-1877.

Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.

8

114 lich, vorauszusetzen, sie könnten in längerer Zeit

ein­

treten. Ferner: Wenn die Arten nur dadurch entstehen, daß kleine Abänderungen sich fortpflanzen und steigern, so

sollte man, da diese Abänderungen doch nach allen mög­

lichen Richtungen aus einander gehen, erwarten, in der jetzigen Pflanzen- und Thierwelt ein regelloses buntes Allerlei von Formen zu finden.

In Wirklichkeit sondern

sich aber unsere Pflanzen- und Thierarten im allgemeinen scharf und deutlich von einander ab. Arten,

Es gibt allerdings

welche eine Menge von Varietäten und Ueber«

gangsformen zeigen; aber diese bilden doch nur die Aus­ nahme, und im allgemeinen findet sich jedenfalls nicht eine solche Fülle von Uebergangsformen, wie man sie nach Darwins Theorie erwarten müßte. Dieser.That­

sache sucht Darwin mit der Annahme auszuwcichen: da

die neuen Varietäten sich nur sehr langsam bildeten, so könnten wir die Zwischenformen und die Stammglieder, welche im Kampfe ums Dasein untergingen und durch die natürliche Züchtung beseitigt würden, in der Regel nicht mehr in der Gegenwart, sondern nur unter den

Versteinerungen finden.

Aber thatsächlich

finden wir

durchgängig

scharf

gesonderte Arten, nur ausnahmsweise Formen,

welche

auch

unter

den Versteinerungen

als Zwischenformen

einzelner Arten angesehen werden

könnten, und jedenfalls nicht die zahllosen Mittelglieder,

die nach Darwins Theorie existirt haben müßten.

Dem

daß unsere Kenntniß der untergegangenen Organismen noch lücken­ gegenüber weist freilich Darwin darauf hin,

haft sei und daß viele Organismen ohne Zweifel durch

geologische Processe gänzlich zerstört seien.

Indeß

ist

115 doch wohl kaum anzunehmen, zugsweise

daß zufällig gerade vor­

die neuen Species erhalten oder bis jetzt be­

kannt geworden und die Uebergangsformen zerstört oder

unbekannt geblieben seien. Ferner: Die Untersuchung der Versteinerungen der verschiedenen Formationen zeigt allerdings, daß im all­ gemeinen die niedrigeren Classen des Pflanzen- und Thier­

reichs zuerst, die höheren Classen später auftreten, und daß die organischen Wesen der späteren Perioden den

jetzt lebenden näher stehen als die der früheren Perioden.

Aber ein so allmähliches und stufenwcises Fortschreiten der Organisation, wie es stattgefunden haben müßte, wenn

sich die Pflanzen- und Thierartcn

im Laufe der

Zeit aus ganz einfachen Formen entwickelt hätten, findet sich nicht; denn in den ältesten versteinerungsführenden Ablagerungen der silurischen Formation finden sich schon

Thiere, die eine verhältnißmäßig hohe Stellung in der

thierischen Rangordnung einnehmen.

Ferner:

Die Voraussetzung,

dieselben Wirkungen,

welche die künstliche Züchtung unter der Hand des Men­ schen hervorbringt, könnten bei den Pflanzen und Thieren

im wilden Zustande durch das, was Darwin natürliche und geschlechtliche Zuchtwahl nennt, hervorgebracht werden, ist nicht berechtigt.

Bei der künstlichen Züchtung kommt

die Ueberlegung, die Erfahrung und das plan-

und

zweckmäßige Handeln des Züchters in Betracht; will man bei der sogenannten natürlichen Züchtung nicht ein plan­

volles Wirken und Leiten des Schöpfers annehmen, — und das soll ja in der Darwin'schen Theorie eben nicht

geschehen, — so ist alles dem Zufall anheimgegeben; denn „die Natur" ist doch keine überlegende und han-

116 delnde Person, und wenn man sagt, „die Natur züchte", so ist das eben nur ein bildlicher Ausdruck.

Der Thier­

züchter kann diejenigen Thiere sorgfältig auswählen, von deren Paarung die Fortpflanzung und Steigerung ge­

wisser Eigenthümlichkeiten zu erwarten ist. In der Natur

ist es dem Zufalle überlassen, ob gerade zwei in dieser Beziehung zu einander passende Individuen

sich zusam­

menfinden , und da die Eigenthümlichkeiten, um welche

es sich bei der Rassenbildung handelt, doch zunächst nur

ausnahmsweise auftreten, so muß es schon ein sehr glück­ licher Zufall sein, daß sie sich gerade bei den sich paaren­

den Individuen finden.

Nun ist cs aber, wenn diese

Eigenthümlichkeiten sich fixiren und steigern sollen,

nicht

genügend, daß einmal sich das passende Paar zusammen­

findet ,

sondern

Generationen

es müssen sich

durch

hindurch regelmäßig

eine Reihe von

passende

Paare

zusammenfinden; kommt einmal eine unpassende Paarung dazwischen, so geht der Vortheil, der erreicht war, großen-

thcils wieder verloren.

Solche unpassende Paarungen

kann der Thierzüchter durch Jsolirung der zur Erzielung der neuen Rasse verwendeten Individuen verhüten; in der freien Natur werden sie nur unter besonders günsti­

gen Umständen nicht eintreten.

Es ist also

eine lange

und ununterbrochene Reihe von glücklichen Zufällen erfor­ derlich, wenn die natürliche und die geschlechtliche Zucht­

wahl Wirkungen hervorbringen sollen, welche den Wirkun­

gen der künstlichen Züchtung an die Seite zu stellen sind. Nun handelt

es sich aber bei der künstlichen Züch­

tung immer nur um Veränderungen innerhalb gewisser

Grenzen, während in der Darwin'schen Theorie eine un­ begrenzte Veränderlichkeit der

organischen Formen und

117 eine

Stammverwandtschaft

auch

der

verschiedensten

Pflanzen- und Thierarten behauptet wird.

Man kann

sich ja wohl die Möglichkeit denken, daß die Katze, der Löwe, der Tiger und die anderen zu der Gattung Felis

gehörenden Thiere wirklich stammverwandt seien,

von gemeinsamen Ahnen abstammen,

also

daß es eine Felis

gegeben habe, deren Nachkommen sich im Laufe der Zeit in zahllosen Generationen allmählich zu Hauskatzen, Löwen, Tigern u. s. w. die Nachkommen

differenzirt haben,

ganz ähnlich wie

der ersten Menschen zu Europäern,

Mongolen, Amerikanern und Negern. Die Sache wird schon schwieriger, wenn wir z. B. die Stammverwandt­

schaft des Löwen und der Maus anzunehmen haben, und noch schwieriger, wenn der Elephant und der Kolibri, der Adler und der Regenwurm, der Walfisch und der Schmetterling stammverwandt sein sollen. Wie viele Mittelglieder müssen wir in den Stammbäumen, welche die Abstammung veranschaulichen,

aller dieser Thiere von den Moneren um vom

in der einen Linie zählen,

Elephanten bis zum Moner hinauf und dann wieder

von dem Moner bis zum Schmetterling hinunter

zu

kommen! Und da in jenen Stammbäumen, wie siez. B. Haeckel entworfen hat, nur die Hauptformen verzeichnet sind, so müssen wir die darin stehenden Mittelglieder

mit Tausend oder mit einer Million multipliciren. Denn jede Abänderung,

welche eintritt und durch natürliche

oder geschlechtliche Zuchtwahl fixirt wird, ist nach Dar­ wins Theorie an sich ganz unbedeutend,

kaum merklich.

Die Differenz, welche zwischen dem Elephanten und dem

Schmetterling

besteht,

und zwar nicht bloß hinsichtlich

der Größe, ist also die Summe von Milliarden ganz

118 kleiner Differenzen,

und

jede

einzelne dieser kleinen

Differenzen ist ganz allmählich für sich entstanden, jede einzelne bedurfte, um sich zu fixiren, nicht nur einer langen Zeit, sondern auch des Zusammentreffens einer

Menge von günstigen Umständen. kleinen Differenzen entstehen

und

Und daß alle diese die günstigen Um­

stände, durch welche sie fixirt werden, eintreten, ist nach

Darwins Theorie rein zufällig.

Darwin selbst legt zwar gegen diesen Ausdruck Ver­ wahrung ein und sagt, Zufall sei nur der Ausdruck für unsere Unwissenheit oder Unkenntniß. In der That nennt man zufällig nicht bloß solche Ereignisse, welche ohne genügende, gesetzlich wirkende Ursache eintreten, — solche Ereignisse sind

in

der Natur nicht möglich, —

sondern auch solche, deren Eintreten wir nicht aus dem bekannten gesetzmäßigen Gange der Natur heraus be­ greifen, deren Grund und Gesetzmäßigkeit uns verborgen

ist, die wir darum auch nicht als planmäßig angelegte erkennen, nicht zu berechnen und vorauszusehen und nicht

In diesem Sinne ist aber das Entstehen irgend einer kleinen aus einer bestimmten Ursache abzulciten vermögen.

Abänderung in einem organischen Wesen, auch wenn dieselbe durch eine Ursache bewirkt wird, nach Darwins

Theorie zufällig; denn diese Theorie weist keinen Grund

dafür auf, daß die Abänderung in dem einen Falle ein­ tritt, in dem andern nicht.

Erst an

eine solche ohne

nachweislichen Grund, also zufällig entstandene Abände­

rung schließt sich

dann die Wirkung

der natürlichen

Züchtung, und auch diese ist wieder durch das Eintreten von Umständen bedingt, welche nicht nothwendig ein­ treten müssen und thatsächlich nicht immer eintreten,

119 deren wirkliches Eintreten

also

zufällig

ist, oder für

deren wirkliches Eintreten kein Grund nachzuwcisen ist. Dazu kommt noch, daß Darwin einerseits annehmen

muß, daß Veränderungen an den organischen Wesen leicht und oft entstehen, anderseits, daß die entstandenen Veränderungen leicht und oft bleibende werden.

Diese

beiden Principien der Veränderlichkeit und der Vererbung und Fixirung wirken aber thatsächlich vielfach nicht zu­ sammen ,

sondern

einander

entgegen.

In

demselben

Grade, in welchem Abänderungen leicht möglich sind, ist die Befestigung der abgeänderten Organismen

zu

be­

stimmten Arten schwierig, und während wir einerseits durch die Annahme der unbegrenzten Veränderlichkeit die bestehenden Arten in Fluß bringen, ist es anderseits schwierig, die abgcänderten Arten wieder zum Stehen zu

bringen, da die äußeren Verhältnisse in der Natur doch nur in seltenen Fällen so starr und gleichblcibcnd sein

werden,

daß sic nicht immer wieder Veranlassung zu

neuen Abänderungen geben sollten.

Darwin beruft sich freilich, wie bereits erwähnt

wurde, auf die unermeßlich lange Zeit, auf die Millionen

von Jahren, die verflossen sein sollen, bis aus den ge­ sammelten leisen Abänderungen endlich deutlich erkenn­ bare Art-Unterschiede wurden,

und welche dann wieder

verflossen sein sollen, bis die Art-Unterschiede sich so be­ festigten, daß sie so bleibend sind, wie wir sie jetzt sehen,

so bleibend,

daß gegenwärtig künstlich erzielte Abarten

leicht wieder in die befestigte Art zurücksinken, wenn ihnen

die Pflege entzogen wird.

Aber diese Millionen

von Jahren können allenfalls erklären, wie Abänderun­ gen, die entstanden, sich allmählich ansammelten, zu Art-

120 Unterschieden wurden und sich befestigten;

sie können

aber nicht erklären, „wie es denn kam, daß zuerst eine unendlich

lange Zeit die allmähliche leise Abänderung

fortging, dann aufhörte, und in einer neuen unendlich

langen Zeit sich befestigte, um dann schließlich doch wie­

der neuerdings nach so langer Befestigung wieder leise Abänderungen und allmähliche Umwandlungen zu erlei­

den.

Diese unendlich lange Zeit, mit

der Darwin so

verschwenderisch ist, bietet nur die zeitliche Möglichkeit

dieser Vorgänge, aber sie erklärt nicht den Grund der­ selben und erklärt nicht den W ech sel in diesem Processe, der demnach zufällig, Princip- und gesetzlos erscheint. Wie unendlich lang man sich diese Zeit auch denken mag, sie

kann

nicht für sich,

durch ihre Länge die Ursache sein,

daß eine Entwicklungsreihe fortdauere, dann stille stehe, dann wieder neuerdings beginne. Wenn zwei Linien wirklich genau parallel sind,

so kommen sie durch

Verlängerung, auch bis ins Unendliche,

um ein Haarbreit näher.

So

ihre

einander nicht

können auch unendliche

Zeiträume das nicht hervorbringen, wofür die Zeit nun

einmal nicht die Ursache sein kann, die lange Zeit ebenso

wenig wie die kurze. Immer brauchen wir da bei langer wie bei kurzer Zeit eine

andere Ursache zum Beginn

eines bestimmten Entwicklungsprocesses und zur Fort­

führung desselben.

Uebrigens ist die Annahme unendlich

langer Zeiträume für die Geschichte der organischen Welt problematisch genug und schon darum kein sicherer

klärungsgrund" Z.

Man

bewegt sich dabei in einem

1) Frohschammer, Das Christenthum und die moderne Natur­ wissenschaft, 1867, S.497. Psass, Schöpfungsgeschichte S.657.

121 Zirkel: man nimmt unendlich lange Zeiträume an, weil man damit das Entstehen der Mannigfaltigkeit der or­

ganischen Wesen erklären zu können meint, und begrün­

det dann wieder die Annahme, daß wirklich so lange Zeiträume verflossen seien, damit, daß man sagt,

ohne

diese Annahme sei die Entstehung jener Mannigfaltigkeit

nicht zu erklären. Auch mit der Annahme, daß durch die Ansammlung unendlich kleiner Abänderungen in unendlich langer Zeit

wirklich bemerkbare Art-Unterschiede können, steht es doch sehr bedenklich.

hätten entstehen

„Waren diese Ab­

änderungen unmerklich klein, so konnte sie die natürliche Züchtung nicht wohl gebrauchen, um gerade die organi­

schen Bildungen, denen sie eigenthümlich waren, zu er­ halten und in unendlich langer Zeit

fortzubilden; es

war also für die natürliche Züchtung keine genügende

Grundlage gegeben.

Wollten wir aber annehmen, diese

Abänderungen seien gleich auf einmal so bedeutend ge­ wesen , daß sie einen wirklichen Vortheil im Kampfe ums Dasein boten, so ist ihre Entstehung um so schwie­

riger , nach Darwins Theorie gar nicht zu erklären" *). Am schwierigsten ist es, nach Darwins Theorie die

Entstehung neuer Organe zu erklären. die Augen entstanden,

Wie sind z. B.

die bei niedriger organisirten

Thieren nicht vorhanden sind und bei den Voreltern der

höher organisirten nach Darwins Lehre auch nicht vor­

handen waren?

Wir sollen uns ihre Entstehung so vor­

stellen: Zuerst bildeten sich bei einem Thiere Zellen in der Haut, welche auf Licht reagirten, indem sie sich ausdehnten 1) Frohschammer, a. a. O. S. 499.

122 und zusammenzogen.

Mit diesen Zellen trat dann in

späteren Generationen allmählich

ein sensibler Nerv in

Verbindung, und so konnte das Thier schon Hell und Dunkel unterscheiden.

Ein Tröpfchen Flüssigkeit in der

Epidermis bildete dann den brechenden Medium.

Anfang

zu

Diese Flüssigkeit

einem licht­

verdichtete

sich

allmählich in der Mitte, und so entstand der Anfang einer Linse.

Dann sind noch vor und nach die Apparate

der Bewegung, die verschiedenen lichtbrechenden Medien, die Sehnervenhaut u. s. w. im Laufe von zahllosen

Generationen hinzu gekommen. So muß aber zunächst das Zusammentreffen von Millionen von Zufällen vor­ ausgesetzt werden, um zuerst das Entstehen jeder einzelnen kleinen Vervollkommnung herbeizuführen, dann jede ein­ zelne entstandene kleine Vervollkommnung zu vererben,

zu fixiren und zu steigern u. s. w.

Ferner reicht aber

auch das, was Darwin natürliche Züchtung nennt, gar um die Entstehung des ersten Ansatzes zu

nicht aus,

einem Auge überhaupt und die Entstehung der Ansätze zu den wesentlich neuen Theilen,

durch welche sich die

vollkommensten Augen von den unvollkommenen unter­ scheiden, genügend zu erklären. „Die natürliche Züchtung

ist ja nach Darwins eigener Auffassung kein schaffen­

des Princip, sondern nur ein auf einer gegebenen Grund­ lage, auf einer eingetretenen Neubildung sich entspinnen­ der Proceß.

Diese Neubildung selbst ist nicht ihr Werk,

wie ja auch die künstliche Züchtung nicht Abänderungen

hervorbringcn, sondern nur mit gegebenen Abänderungen wirthschaften kann.

Ist einmal ein neues Organ an

einem lebenden Wesen, wenn auch nur in seinen ersten Ansätzen,

entstanden,

und ist diese

Abänderung dem

123 Wesen in

dem Kampfe ums Dasein von Vortheil,

so

kann nach Darwin der natürliche Züchtungsproceß in

Bezug auf dieses Organ beginnen.

Aber das Auftreten

einer solchen Neubildung, den spontanen Ansatz zu einem

neuen Organ kann Darwins Entwicklungstheorie

nicht

erklären" *)•

Fassen wir diese Erörterungen über Darwins Ent­ wicklungstheorie kurz zusammen, so kann ihm das Ver­

dienst nicht bestritten werden, daß die Frage über den Begriff der Art und über die Grenzen der Veränderlich­ keit der Arten durch ihn aufs neue wieder angeregt

worden ist.

Voraussichtlich werden die dadurch veran­

laßten Untersuchungen zu dem Ergebnisse führen, daß man in dieser Beziehung bisher zu engherzig gewesen ist,

daß man die Grenzen der Veränderlichkeit der organischen Wesen vielfach zu enge gesteckt hat, daß manche Gruppen von Pflanzen und Thieren, die bisher als selbständige Arten galten, als bloße Spielarten oder Rassen anzu­ sehen sind, daß also die Zahl der ursprünglichen Arten

geringer ist als die Zahl der Arten, welche in den Lehr­

büchern der Pflanzen-

werden pflegen.

und Thierkunde aufgezählt zu

Gegen dieses Ergebniß ist vom Stand­

punkte des biblischen Schöpfungsberichtes aus nichts zu erinnern; denn dieser sagt, wie wir gesehen haben,

gar

nichts darüber, wie viele Arten von Pflanzen und Thieren

von Gott geschaffen wurden; er sagt nur, alle Pflanzen-

und Thierformen, die man in Gattungen, Arten, Spiel­ arten oder wie immer eintheilen und deren Stammver-

1) Huber, Die Lehre Darwins S. 364.

124 wandtschaft und Entwicklung man nachzuweisen versuchen mag, seien auf die wenigen oder vielen Pflanzen- und

Thierformen zurückzuführen, welche durch die schöpferische

Thätigkeit Gottes hervorgebracht wurden.

Ja in Einer

Beziehung kann, um das nebenbei zu bemerken, ein bibel­ gläubiger Theologe es nur gern sehen, wenn die Grenzen der Veränderlichkeit der Arten

recht weit gesteckt werden

und die Naturforscher allgemein zu der Ansicht kommen, daß auch

deutend

solche organische Formen, welche ziemlich be­

verschieden sind, stammverwandt sein können.

Je mehr dieses anerkannt wird, um so weniger läßt sich

gegen die biblische Lehre von der einheitlichen Abstammung

des Menschengeschlechts einwenden. Wenn Katzen, Löwen und Tiger nicht nur zu derselben Gattung, sondern zu derselben Art gehören und von denselben oder gleichen

Voreltern abstammen können, dann läßt sich gewiß gegen die

Stammverwandtschaft

von Negern und Europäern

nichts cinwenden. Wenn aber Darwin und seine Anhänger

weiter

gehen und eine unbegrenzte Veränderlichkeit der organi­ schen Formen behaupten und annehmen, die verschiedenen Arten der Pflanzen und Thiere hätten sich lediglich unter dem Einflüsse der Wirkungen, welche unter dem

Namen „natürliche und geschlechtliche Züchtung" zusam­

mengefaßt werden, aus ganz einfachen organischen Wesen allmählich im Laufe von Millionen von Jahren ent­ wickelt, so ist das eine Hypothese, welche als eine schlechte Hypothese bezeichnet werden darf, weil sie nicht genügt,

um alle hier in Betracht kommenden Thatsachen zu er­

klären, weil die Thatsachen ihr eher widersprechen als zur Stütze gereichen, und weil zur Durchführung dieser

125 Hypothese neue Hypothesen und unerwiesene Thatsachen verwendet werden müssen1). Daß Darwins Theorie gleichwohl so vielen Beifall

gefunden, hat seinen Grund wesentlich darin, daß sie die

Möglichkeit zu bieten schien, das Entstehen und Bestehen aller

lebenden Wesen durch rein natürliche Vorgänge

ohne die Einwirkung einer außer der Materie vorhande­

nen Ursache zu erklären, — wie sich Karl Vogt in seiner Weise ausdrückt, „den Schöpfer vor die Thüre zu setzen," oder, wie Haeckel sagt, „eine einheitliche Welt­

anschauung" zu begründen. Diese „einheitliche Weltan­ schauung" ist in kurzen Zügen folgende: Aus der von Ewigkeit her existircnden Materie hat sich durch die aus­ schließliche Herrschaft der Naturgesetze die Erde zuerst zu einer feucrflüssigen Kugel gebildet, welche dann eine feste Kruste,

Festland und Meer u. s. w. und endlich die

Gestaltung erhalten hat, in welcher sie geeignet war, der Wohnplatz

organischer Wesen zu werden.

Darauf ent­

standen durch Urzeugung ganz einfach organisirte lebende Wesen, Moneren, und aus diesen haben sich in der Weise, wie cs Darwin gezeigt, alle Arten des Pflanzen- und

Thierreichs bis hinauf zum Menschen,

schlossen, entwickelt.

diesen mit einge­

So verläuft die ganze Erdgeschichte

von dem im Weltenraume zerstreuten Urnebel bis zum ersten Auftreten des Menschen,

ja bis auf diesen Tag,

auf rein natürliche Weise, ohne daß wir in dieser Ent­

wicklungsgeschichte eine andere Kraft als die in der Natur

selbst liegende und ein anderes Gesetz als die Naturge­ setze vorauszusetzen genöthigt wären.

1) I. B. Meyer, Philosophische Zeitfragen S. 103.

126 Aber diese einheitliche Weltanschauung steht

weder

mit den gesicherten Ergebnissen der naturwissenschaftlichen

Forschung noch mit den Gesetzen des Denkens klang.

im Ein­

Weder die Ewigkeit der Materie, noch die Ent­

stehung organischer Wesen durch Urzeugung, noch endlich die Entwicklung der Arten des Pflanzen- und Thier­

reichs aus Moneren sind von der Naturwissenschaft als Thatsachen oder auch nur als berechtigte Hypothesen er­ wiesen ; vielmehr weisen uns, wie wir gesehen haben, die

Ergebnisse

der

Naturforschung

auf die Nothwendigkeit

hin, die Entstehung der Materie und die Entstehung der

ersten organischen Wesen auf eine außerwcltlichc Ursache zurückzuführen.

Und woher sind denn jene Naturgesetze,

welche mit so strenger Conscquenz und mit so sicherm

der ursprünglichen Materie be­

Erfolge die Entwicklung

herrscht haben, daß die Erde in ihrer jetzigen Gestaltung

entstanden ist? bar ist,

Wenn

es für den Philosophen undenk­

dieses alles dem Zufall zuzuschreiben, kommen

wir dann nicht nothwendig zu der Annahme eines ver­

nünftigen

Planes,

nach

welchem die Entwicklung der

Dinge geleitet worden ist? Und wer soll der Träger und Verwirklicher dieser Idee fein,

wenn nicht

ein über der

materiellen Welt stehendes geistiges Wesen?x) „Wenn die Wissenschaft es wirklich begreiflich machen

könnte, sagt Lotzes,

wie aus dem feurigen Dunstball

zuerst die Feste der Erdrinde und der Himmel des Luft­ kreises sich schieden; wie jeder Schritt dieser Sonderung

den Wahlverwandtschaften

der Elemente Gelegenheit zu

1) Huber, Die Lehre Darwins S. 184. 2) Mikrokosmus, 2. Ausl. 1. Band, S. 420.

127 neuen Wirkungen gab; wie dann unter den günstigen Umständen, welche die blinde Nothwendigkeit dieses Na­

turlaufs herbeiführte, der erste Keim einer Pflanze, eines

Thieres entstand, noch einfach und unausgebildet von

Umrissen und wenig zu bedeutsamer Entfaltung geschickt; wie endlich unter glücklichen Bedingungen, zu deren Her­

stellung doch dieses arme Leben schon mitthätig war, allmählich das organische Dasein sich veredelte, niedere

Gattungen im Laufe ungezählter Jahrhunderte sich in höhere entwickelten, bis zuletzt die Menschheit, nicht nach dem Bilde Gottes, sondern als das letzte Glied in dieser

Kette nothwendiger Ereignisse hervorging: — wenn dieses alles die Wissenschaft begreiflich machen könnte, was würde sie da mehr geleistet haben, als daß sie das Wunder der

unmittelbaren Schöpfung auf einen noch frühern Punkt

der Vorzeit zurückgeschoben hätte, in welchem die unend­ liche Weisheit in dieses Chaos die unermeßliche Fähig­ keit zu so geordneter Entwicklung legte?

Mit der gan­

zen Reihenfolge abgcstufter Bildungsepochen, durch welche hindurch sie den formlosen Urgrund sich ausgestalten

ließe, würde sie nur den Glanz und die Mannigfaltigkeit

der Scenen vermehren, in deren äußerlichen Pomp un­ sere Phantasie bewundernd sich vertiefen könnte; aber sie

würde das Ganze des wunderbaren Schauspiels nicht zu­ reichender erklärt haben als jener sich selbst bescheidende

Glaube, für welchen die Entstehung der lebenden Ge­ schlechter nur

aus dem unmittelbaren

Gottes begreiflich erscheint.

Schöpferwillen

Diese Dinge sind es, deren

Entscheidung wir, so weit die Wissenschaft sie je wird geben können, getrost von ihrer unbefangenen Wahrheits­ liebe erwarten müssen; welchen Weg der Schöpfung Gott

128 gewählt haben mag, keiner wird

die

Abhängigkeit der

Welt von ihm lockerer werden lassen, keiner sie fester an

ihn knüpfen können."

X. Die Erschaffung des Menschen. In dem ersten Capitel der Genesis wird über die

Erschaffung

des Menschen nur berichtet, Gott habe den

Menschen, und zwar einen Mann und ein Weib, nach seinem Bilde geschaffen und ihn zum Beherrscher der irdischen Geschöpfe bestellt *).

angedeutet,

In diesen Worten ist schon

was die Bibel an

vielen anderen Stellen

lehrt, daß der Mensch ein von den übrigen irdischen

Geschöpfen, insbesondere

von den Thieren,

wesentlich

verschiedenes, mit einer unsterblichen, vernünftigen und

freien Seele begabtes Wesen ist.

Wie Gott die ersten

Menschen geschaffen, wird in dem zweiten Capitel der Genesis ausführlicher berichtet.

In Vers 7 heißt es zu­

nächst von der Erschaffung des Mannes: Und es bildete

Gott der Herr den Menschen ans Staub von der Erde und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens, und

es ward der Mensch zu einem lebendigen Wesen.

Wir

brauchen uns nach diesem Satze die Bildung 'des Men­ schen nicht so mechanisch vvMstellen, als ob Gott zuerst eine menschliche Figur aus Erdenstaub gebildet und dann

den zur menschlichen Gestalt geformten Erdenkloß durch 1) S. o. S. 45.

128 gewählt haben mag, keiner wird

die

Abhängigkeit der

Welt von ihm lockerer werden lassen, keiner sie fester an

ihn knüpfen können."

X. Die Erschaffung des Menschen. In dem ersten Capitel der Genesis wird über die

Erschaffung

des Menschen nur berichtet, Gott habe den

Menschen, und zwar einen Mann und ein Weib, nach seinem Bilde geschaffen und ihn zum Beherrscher der irdischen Geschöpfe bestellt *).

angedeutet,

In diesen Worten ist schon

was die Bibel an

vielen anderen Stellen

lehrt, daß der Mensch ein von den übrigen irdischen

Geschöpfen, insbesondere

von den Thieren,

wesentlich

verschiedenes, mit einer unsterblichen, vernünftigen und

freien Seele begabtes Wesen ist.

Wie Gott die ersten

Menschen geschaffen, wird in dem zweiten Capitel der Genesis ausführlicher berichtet.

In Vers 7 heißt es zu­

nächst von der Erschaffung des Mannes: Und es bildete

Gott der Herr den Menschen ans Staub von der Erde und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens, und

es ward der Mensch zu einem lebendigen Wesen.

Wir

brauchen uns nach diesem Satze die Bildung 'des Men­ schen nicht so mechanisch vvMstellen, als ob Gott zuerst eine menschliche Figur aus Erdenstaub gebildet und dann

den zur menschlichen Gestalt geformten Erdenkloß durch 1) S. o. S. 45.

129

Einhauchung seines Lebensodems zu Wesen gemacht habe.

einem lebendigen

Der Satz spricht vielmehr, in an­

schaulich anthropomorphistischer Einkleidung nur den Ge­ danken aus: durch eine Wirkung der göttlichen Allmacht

sei der Leib des Menschen aus vorhandenem Stoffe ge­

bildet und dieses Gebilde dadurch belebt und zu einem Menschenleibe gemacht worden, daß ihm die Seele mit­

getheilt oder eingeschaffen wurde.

morphistischen

Ausdruck

Durch den anthropo-

„einhauchcn"

wird

die Seele

nicht etwa als ein Ausfluß des göttlichen Wesens, son­

dern als etwas Unkörperliches dargestellt, und in die Nase

wird

der Lebensodem

eingehaucht,

weil sich durch das

Athmen der Mensch für die sinnliche Wahrnehmung als

lebendes Wesen zeigt. Nach Vers 18 sagt Gott nach der Erschaffung des

ersten Menschen: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm machen eine Hülfe ihm entsprechend.

Gott hat zunächst Ein menschliches Individuum, und zwar einen Mann geschaffen.

Damit war aber der gött­

liche Schöpfungsplan noch nicht vollständig verwirklicht; denn Gott wollte den Menschen in geschlechtlicher Ver­

schiedenheit erschaffen; der jetzige Zustand, wo nur ein Mann da war,

entsprach also noch nicht der göttlichen

Idee und war also nach dem der Genesis dafür geläu­

figen Ausdrucke „nicht gut"/) und ehe gesagt werden

kann:

„Gott sah, daß es gut war", muß die göttliche

Idee vollständig verwirklicht sein, muß also der zuerst ge­

schaffene Mensch

eine ihm entsprechende, eine adäquate

1) S. o. S. 22. Reusch, bibl. Schöpfuufisgcsch.

130 Hülfe, seine nach der göttlichen Idee nothwendige Er­ gänzung in dem Weibe haben. Demnächst führt Gott dem Menschen die Thiere

vor, und der Mensch benennt sie, findet aber für sich

keine ihm entsprechende Hülfe, wie es in Vers 20 heißt. Das Benennen der Thiere hat die Erkenntniß ihres

Wesens, sofern dieselbe in den Namen ihren Ausdruck findet, zur Voraussetzung, und mit dieser Erkenntniß der

Thiere wird der Mensch auch zu der Erkenntniß geführt,

daß er von ihnen wesentlich verschieden und daß also unter ihnen kein ihm gleichgeartetes Wesen, mithin keine ent­

sprechende Hülfe vorhanden ist. Nachdem auf diese Weise dem Menschen zum Bewußtsein gebracht worden ist, daß ihm diese Hülfe mangelt, führt Gott seinen Schöpfungs­ plan aus, und zwar so, daß er den Leib des' Weibes aus

einem dem Manne im Schlafe entnommenen Theile seines Leibes bildet und dieses Gebilde in derselben Weise durch

Einschaffung der Seele belebt, wie vorhin bei dem Manne. In dem Weibe erkennt der Mann die ihm mangelnde

adäquate Hülfe und ein ihm durchaus gleichgeartetes Wesen.

Das spricht er, als Gott sie zu ihm führt, in

den Worten aus: Diese denn ist Bein von meinem Beine

«nd Fleisch von meinem Fleische;

diese soll genannt

werden isclia, Männin, denn vom Manne, isch, ist sie genommen worden,

Vers

23.

Nun folgt, was schon

im ersten Capitel in V. 28 berichtet ist:

Und Gott seg­

nete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und werdet

zahlreich und erfüllet die Erde, d. h. Gott hat den Menschen das Vermögen und die Bestimmung der Fort­ pflanzung gegeben'). 1) Bibel und Natur S. 110.

131 Das Wesentliche in diesem Berichte ist, wie gesagt,

die Lehre, daß der Mensch ein von den anderen irdischen Geschöpfen, insbesondere von den Thieren, wesentlich ver­

schiedenes Geschöpf

ist und daß der

wesentliche Unter­

schied zwischen ihm und den anderen Geschöpfen darin besteht, daß mit seinem Leibe

eine geistige Substanz,

die wir Seele nennen, zu Einer Persönlichkeit verbunden ist.

Dieser biblischen

Lehre stellen viele Naturforscher

der Gegenwart die Behauptung gegenüber: der Mensch sei von den Thieren nicht wesentlich verschieden und ge­ höre mit zu den organischen Wesen, welche sich in der

von Darwin und Anderen nachgewiesenen Weise aus

den zuerst entstandenen einfachen Organismen entwickelt

haben sollen,

er sei also durch natürliche Entwicklung

aus den am höchsten organisirten und ihm am nächsten stehenden Thieren, den anthropoiden, d. h. menschenähn­ lichen Affen hervorgegangen.

Es fragt sich also: ist diese

letztere Ansicht als ein gesichertes Ergebniß der natur­ wissenschaftlichen

Forschung

und

darum

die biblische

Lehre von dem Wesen und dem Ursprünge des Menschen als naturwissenschaftlich unhaltbar anzusehen? In dem vorhergehenden Capitel wurde bemerkt, daß

die sogenannte Entwicklungstheorie,

die Annahme,

die

mannigfaltigen Arten von organischen Wesen hätten sich allmählich aus einfacheren Formen entwickelt, an sich der biblischen

Schöpfungslehrc nicht widerspreche und mit

dieser in Einklang gebracht werden könne, wenn man an­ nehme, die Fähigkeit zu jener Entwicklung sei durch den

Schöpfer in jene einfachen organischen Formen hineingclegt worden und die Entwicklung selbst sei die Verwirklichung

132 eines göttlichen Planes').

Man könnte sogar annehmen,

der Schöpfer habe die Entwicklung der einfachen ursprüng­ lich geschaffenen organischen Formen zu der Mannigfal­

tigkeit der Pflanzen- und Thierarten als den Weg ge­

wählt, um zu der vollendeten Organisation zu gelangen, wo im Menschen die geistige Entwicklung sich anknüpfen

sollte, und die Erschaffung des Menschen habe nicht in der Gestaltung des menschlichen Leibes aus todtem Stoffe und in der Belebung desselben durch die ihm eingeschaffene Seele, sondern darin bestanden,

daß, wie ein englischer

Gelehrter cs ausdrückt, „die unterscheidenden Züge der

menschlichen Natur zu denen der höchsten und menschen­ ähnlichsten Creatur, welche cxistirte, hinzugefügt wurden", wobei cs sich aber „nicht um eine höhere Entwicklung von

Fähigkeiten, die dem Menschen und dem Thiere gemein­

sam wären, sondern um die Verleihung vyn ganz neuen Fähigkeiten

einer

höhern

Ordnung",

also um

einen

„neuen schöpferischen Impuls" handeln mürbe1 2). So wenig der biblische Bericht über die Erschaffung

des Menschen eine solche Vorstellung nahe legt, so unter­ scheidet sich diese doch wesentlich von der Ansicht über die Entstehung des Menschen,

welche von Darwin

und

vielen seiner Anhänger, namentlich von Haeckel, vorge­

tragen wird, und welche im Folgenden zu prüfen ist. Denn in dieser wird, im geraden Gegensatze zu der biblischen

Lehre,

angenommen,

der Mensch

sei in ganz derselben

Weise auf dem Wege der natürlichen und geschlechtlichen

Zuchtwahl aus den Anthropoiden hervorgegangen, wie

1) S. o. S. 107. 2) Bibel und Natur S. 412. 437.

133 diese aus niederen Arten von Affen.

Der Vollständigkeit

halber mag noch bemerkt werden, daß nach den meisten

Vertretern der Pithekoiden-Theorie, wie man diese Lehre von der Stammverwandtschaft der Menschen und der Affen genannt hat, der Mensch nicht von einer der jetzt lebenden Affenarten, sondern von einer jetzt ausge­

storbenen Art abstammt *).

Von Manchen wird die Abstammung des Menschen vom Affen als eine selbstverständliche Folgerung aus der Darwinschen

Entwicklungstheorie angesehen, die

dieser stehe und falle.

mit

Wie wenig diese letztere als eine

wissenschaftlich gesicherte Theorie angesehen werden kann, ist in dem vorhergehenden Capitel gezeigt worden. Gegen

ihre Anwendung auf den Menschen erheben sich aber noch besondere gewichtige Bedenken, so daß,

selbst wenn die

Darwinsche Theorie jm allgemeinen als wissenschaftlich berechtigt

bezeichnet

werden könnte,

daraus

nicht der

Schluß gezogen werden dürfte: also ist der Mensch mit den Affen stammverwandt. 1.

Es ist zwar behauptet worden, der Körperbau

des Menschen sei von dem der menschenähnlichen Affen, insbesondere des Gorilla und des Schimpanse, nicht mehr

oder nicht einmal ebenso sehr verschieden wie der Körper­ bau dieser von dem mancher niederen Affen.

Aber diese

Behauptung ist durch genaue Untersuchungen als un­

richtig

erwiesen.

Die anatomischen Verschiedenheiten,

welche den Menschen von den Anthropoiden scheiden, sind

nicht nur sehr groß, was von keinem nennenswerthen Ge­

lehrten bestritten wird, sondern auch größer als die Ver1) Bibel und Natur S. 421.

134 schiedenheiten, welche die höheren Affen von den niederen,

welche überhaupt zwei Arten von Thieren von einander scheiden.

Das ist' von Lucae namentlich bezüglich der

Knochen der Arme und Beine, von Aeby und anderen Anatomen bezüglich des wichtigsten Punktes, des Schä­

dels und des Gehirns,

Aeby faßt die

nachgewiesen.

Ergebnisse seiner zahlreichen und sorgfältigen Messungen

und Vergleichungen

in

,,Aus allem ergibt sich,

folgenden

Sätzen

zusammen:

daß der Gesammtuntcrschied des

Menschen von dem nächsten Affen beträchtlicher ist als derjenige der Affen unter einander, daß der menschliche

Typus des Hirnschädels auf das allerbestimmteste von dem

afflichen sich unterscheidet und daß namentlich die sog. Anthropomorphen sich in jeder Beziehung ungleich inniger

an die natürlichen Verwandten und selbst an die niedri­

geren Säugcthiere als an den Brenschen anlehncn.

In

der ganzen Reihe der Säugethicrc findet sich keine Lücke, die auch nur von fern sich vergleichen ließe mit derjenigen,

welche den Affen vom Menschen trennt.

Selbst die nie­

drigsten Menschenschädel stehen den höchsten Affcnschädeln in jeder Hinsicht so fern und schließen sich so enge an ihre höheren Verwandten an, daß es vom rein morpho­

logischen Standpunkte aus besser wäre,

druck »Affenähnlichkeit« zu verzichten.

auf den Aus­

Die Ostentation,

die so oft damit getrieben wird, ist um so weniger ge­

rechtfertigt,

als er dem wahren Sachverhalt gar nicht

entspricht und nur durchaus irrige Vorstellungen erzeugen kann.

Nicht einmal die oberflächliche Achnlichkcit ist so

groß, wie man es oft hat behaupten wollen" *)• 1) Die Schädelsormen der Menschen und der Affen, 1867, S. 77.

Vtzl. Bibel und Natur S. 422.

135 2. Man hat gemeint, eine größere Annäherung des

menschlichen Schädels an den der Affen und damit einen

Uebergang zwischen diesem und jenem in den sogenannten Mikrokephalen und in einigen Schädeln aus sehr alter Zeit gefunden zn haben.

Von den Mikrokephalen hat

namentlich Vogt behauptet, ihre Schädelbildung zeige, daß der Mensch durch Hemmung seiner Entwicklung dem Affen näher gebracht und „zum Affen herabsinken", daß also auch der Affe durch Weiterführung seiner Ausbil­

dung sich dem Menschen annähern könne.

Aber eine

ganze Reihe von Anatomen, welche Mikrokephalen ge­

nauer untersucht habenals Vogt, sprechen sich überein­ stimmend dahin aus, daß die Mikrokephalie eine bloß pathologische, rein krankhafte Erscheinung sei, welche, auch wenn man sich auf den Standpunkt der Descendenz-Theorie

stelle, für die Affenverwandtschaft des Menschen gar nichts beweise *). Die alten Menschenschädel aber, welche man, zum Theil mit Knochen ausgestorbener Thiere zu­

sammen, gefunden hat, unterscheiden sich nicht von Schä­

deln, wie sie noch in der Gegenwart vorkommen, und ge­ rade die ältesten tragen, wie Virchow hervorhebt, nicht

einmal die Merkmale niederer Rassen an sich.

Die ein­

zige Ausnahme, der sog. Neanderthaler Schädel, wird von

einer ganzen Reihe von angesehenen Anatomen und An­

thropologen als ein unzweifelhaft krankhafter Schädel bezeichnet, der bei der Frage über die Schädelbildung

der ältesten Menschen ebenso wenig in Betracht komme

wie ein Mikrokephalenschädel bei der Frage über die jetzige Schädelbildung *). 1) Bibel und Natur S. 431. 2) Bibel und Natur S. 433.

136

3. Noch größer als die anatomische Verschiedenheit der Menschen und der Affen ist ihre Verschiedenheit be­ züglich der leiblichen Entwicklung.

„Die Affen",

sagt

Virchow, „haben im Allgemeinen ein kurzes Leben und

eine schnelle Entwicklung; sie werden in einem Zustande von körperlicher und geistiger Reife geboren, wie sie wohl

bei Thieren,

aber nie beim Menschen

Ausbildung

geschieht

wenigen

in

vorkommt;

ihre

Jahren, und

ein

früher Tod macht ihrem Leben ein Ende.

höchsten

Affen

haben ihre

wenn der Mensch sich noch befindet.

Auch die

volle Entwicklung erreicht,

im frühen Jünglingsalter

Von allen Theilen des Körpers wächst das

Gehirn des Affen am wenigsten; es hat seine Vollen­ dung in der Regel erreicht, ehe noch der Zahnwechsel

eintritt, während beim Menschen dann erst die eigentliche Ausbildung beginnt.

Sofort nach dem Zahnwechscl er­

folgt beim Affen jenes schnelle Wachsthum der Kiefer

und

des Gesichtsskeletts,

jene massenhafte Ausstattung

der äußeren Theile der Schädelknochen, welche so ent­ scheidende Merkmale des bestialischen Charakters liefern. Die Aehnlichkeit der jungen Affen mit Menschenkindern

ist daher sehr viel größer als die der alten Affen mit er­ wachsenen und ausgebildeten Menschen.

Aber mit jedem

Monate und Jahre des Lebens wird der Schädel auch

der am meisten menschenähnlichen Affen dem Menschen unähnlicher"x).

4.

Wenn es, wie wir gesehen haben, unmöglich ist,

durch die Wirkungen der natürlichen und der geschlecht-

1) Menschen- und Asfenschädel, 1870, S. Natur S. 426.

22. 25.

Bibel und

137 lichen Züchtung die Entstehung der Organe und Eigen­

schaften zu erklären, durch welche sich die höher organi-

sirten Thiere von den niedrigeren unterscheiden, so ist es ebenso unmöglich, auf diesem Wege die Entstehung der

Unterschiede zwischen Mensch und Affe zu erklären.

Es

wird genügen, dieses an Einem Beispiele zu zeigen. Menschen und Affen unterscheiden sich merklich durch die Bildung des Fußes.

eine Hand zu nennen.

Bei den Affen ist dieser eher

Daß auch einzelne Negerstämme

ihren Fuß als eine „Hinterhand" benutzen und, wenn sie

auf Bäume klettern,

Acste damit umfassen können, wie

die vierhändigcn Affen, ist eine Fabel *).

Wie die jetzigen

„menschenähnlichen" Affen, so waren aber nach Darwin auch unsere

angeblichen Vorfahren „Baumthiere" mit

„Grciffüßen".

Die allmähliche Umgestaltung dieser Hände

zu Füßen ist nun gar nicht zu erklären.

Jenen „Baum­

thieren" waren die „Greiffüße" zum Klettern auf den

Bäumen sehr nützlich ; es war also für sie im „Kampfe ums Dasein" kein Vortheil, wenn der Fuß allmählich zum Gehen geeigneter und in demselben Maße zum Klettern

ungeeigneter wurde.

Für unsere jetzigen Bedürfnisse und

Sitten, seit wir aufrecht gehen und keine Baumthiere mehr sind, ist unser Fuß ganz vortrefflich eingerichtet, und ebenso zweckmäßig ist für die Affen ihr Greiffuß.

Aber

eine Uebergangsform, ein Mittelding, welches weder ein

zum Klettern geeigneter Greiffuß noch ein zum Gehen geeigneter menschlicher Fuß wäre, könnte doch keine Ver­

vollkommnung und kein Vortheil im Kampfe ums Dasein

genannt werden.

Auf dem Papiere kann man ganz gut

1) Bibel und Natur S. 423.

138 die Mittelstufen und Zwischenformen darstellen, durch

welche allmählich der Grciffuß des Affen sich zum mensch­

lichen Fuße vervollkommnet haben könnte.

Jede folgende

Form in dieser Reihe ist dann ein Fortschritt gegenüber der vorhergehenden, und der Fuß wird in dieser Reihen­ folge um so vollkommener, je mehr er sich von dem Aus­

gangspunkte,

dem Greiffuße, entfernt, und dem Ziel­

punkte, dem menschlichen Fuße,

nähert.

Aber ist nun

auch jede dieser Zwischenformen für das Individuum,

welches dieselbe wirklich besessen haben soll, Vortheilhafter gewesen als die vorhergehende Form der Reihe?

Gegentheil:

Im

gerade die mittelste Form, die von einem

Grciffuße ebenso weit entfernt ist wie vom menschlichen Fuße, ist praktisch angesehen die schlechteste, weil sic zum

Greifen und Klettern ebenso

ungeeignet war wie zum

Gehen; jede ihr vorhergehende Form ist für den Affen,

und jede folgende für den Menschen vorthcilhafter.

Wir

haben also für den praktischen Gebrauch, und auf diesen kommt cs doch für den Kampf ums Dasein allein an,

nicht

eine allmählich aufstcigcnde Stufenfolge, sondern

eine Reihenfolge, in welcher die Glieder zuerst an prak­ tischer Brauchbarkeit

nachdem sie auf

allmählich

abnehmen und dann,

dem niedrigsten Punkte

sind, allmählich zunchmen.

angekommcn

Das ist ganz unnatürlich und

paßt gar nicht in Darwins System').

5.

Ganz unverkennbar besteht zwischen dem Men­

schen und den menschenähnlichen Affen, was das geistige

Leben betrifft, eine große Verschiedenheit, eine viel grö­ ßere, als man bei ihrer körperlichen Aehnlichkeit erwarten 1) Bibel und Natur S. 439.

139 sollte.

Das zeigt, daß das geistige Leben des Menschen

mit der körperlichen Gestaltung, namentlich auch mit der

Größe und Entwicklung des Gehirns in seinem letzten Grunde nichts zu thun hat; denn sonst wäre nicht einzu­ sehen, weshalb nicht Menschen um

Hund,

der Affe in dieser Hinsicht dem

vieles näher stehen sollte als z. B. der

dessen körperliche Organisation überhaupt und

dessen Schädel und Gehirn insbesondere sich viel weiter

vom Menschen entfernt und welcher doch an „Intelligenz", wenn man das Wort gebrauchen darf, hinter dem Affen nicht immer zurücksteht.

Wir müssen also im Menschen

etwas annehmen, was im Thiere, auch in dem höchsten Affen,

nicht vorhanden ist, und

da der Mensch und der Go­

rilla sich körperlich zu nahe stehen, als daß ihre körper­ liche Verschiedenheit das Vorhandensein dieses Etwas im Menschen und das Fehlen desselben im Gorilla genügend

erklären könnte, so muß das,

was den Menschen zum

Menschen macht und vom Thiere wesentlich unterscheidet,

geistiger Art sein. Dieses ist denn auch die Hauptsache: der Mensch

hat eine vernünftige und freie Seele, das Thier nicht;

das begründet einen wesentlichen, nicht einen bloß gra­ duellen Unterschied zwischen beiden, und wenn sich schon

der leibliche Organismus des Menschen nicht durch all­ mähliche Entwicklung aus dem thierischen herausgebildet

haben kann, so ist es vollends undettkbar, daß der mensch­

liche Geist sich auf natürliche Weise durch allmähliche Vervollkommnung aus der Thierscele sollte herausgebildet

haben können'). 1) Vgl. Bibel und Natur S. 443.

140 Zu den unbestreitbaren Thatsachen, welche beweisen, daß zwischen den Menschen und denThieren eineunübersteig-

lichc Kluft besteht, gehört vor allem die, daß die Men­ schen eine Sprache haben, d. h. im Stande sind, zusam­

menhängende Reihen von Tönen, Lauten, Worten (oder anderen Zeichen)

zu bilden, um damit ihre inneren

Zustände, Gefühle, Gedanken, ihre gemachten Erfahrun­ gen und errungenen Einsichten auszudrücken und mitzutheilcn. Diese Sprachfähigkeit des Menschen hat ihren Grund in seiner Denkfähigkeit; auch solche Menschen, welche, wie die Taubstummen, nicht fähig sind, mensch­ liche Laute zu vernehmen, bilden sich, wenn die noth­ wendigen Bedingungen zur Entwicklung ihrer geistigen

Kräfte vorhanden sind, irgend welche Zeichen zur Gedanken­ mittheilung. Thiere dagegen können, selbst wenn sie, wie

die Papageien, Worte nachahmcn lernen, nie zu einer wirklichen Sprache gelangen, weil sie nicht zu denken ver­ mögen.

Die Sprache bildet, wie Max Müller treffend

sagt, den Rubicon, den kein Thier je wagen wird zu

überschreiten. Es wird nicht nöthig sein, noch andere Thatsachen zu besprechen, welche den wesentlichen Unterschied zwischen

der menschlichen Seele und dem, was man Thierseele

nennt, beweisens. Diesen Unterschied hat man freilich als einen nicht wesentlichen, sondern nur graduellen zu erweisen versucht, indem man einerseits Thatsachen an­ führt, welche für eine der menschlichen ähnliche Begabung von Thieren zu sprechen scheinen, anderseits auf die sehr

geringe geistige Befähigung von sehr tief stehenden Men1) Vgl. Bibel und Natur S. 444. 448.

141 schenstämmcn hinweist. so

Aber was das Erstere betrifft,

gehören viele Beobachtungen, auf welche Darwin

und Andere ihre Darstellung des

„Seelenlebens"

der

Thiere stützen, zu den ganz unbeglaubigten Thieranekdoten;

die wirklich zuverlässigen Beobachtungen zeigen zum Theil nur, was die Dressur des Menschen bei Thieren vermag,

zum Theil erscheinen sie in einem ganz andern

Lichte,

wenn man nicht den Fehler begeht, das Thun des Thieres,

welches, äußerlich betrachtet, eine gewisse Aehnlichkeit mit dem menschlichen Thun hat, mit Ausdrücken zu bezeichnen,

die von diesem hergcnommen sind. Thiere thuen allerdings manches, was mit dem, was Menschen thuen, eine gewisse

Aehnlichkeit hat; aber während es bei diesen ein bewußtes

und freies Handeln ist, ist es bei jenen nur instinctmäßig. In dieser Beziehung ist die Thatsache besonders bcmer-

kcnswcrth, welche Darwin selbst hcrvorhcbt, daß der

Mensch seine Kunstfertigkeit durch Uebung erlernen muß,

während der Biber seinen Kanal und der Vogel sein Nest das erste Mal, wo er es versucht, gerade so gut oder doch nahezu gerade so gut baut, als wenn er alt ist, und

die andere Thatsache, daß die Thiere in dieser Hinsicht keine Fortschritte machen, vielmehr ihre Nester jetzt ge­ rade so

bauen, ihre Beute gerade so fangen wie vor

Jahrhunderten, daß selbst die gezähmten und dressirten Thiere, sich selbst überlassen,

in ihren frühern Zustand

zurückfallcn und z. B. der junge Hund nicht von dem alten die Kunststücke lernt, zu denen dieser erzogen wurde.

Was

aber

die

geistigen

Fähigkeiten

der sogenannten

„wilden" Völker betrifft, so sind selbst diejenigen Men-

schenstämme,

welche nach

oberflächlichen Schilderungen

einzelner Reisenden tief unter unsere eigene Gesittungs-

142 stufe gestellt wurden, bei genauerer Bekanntschaft den ge­

bildeten Völkern wieder merklich näher gerückt worden. Die

gründlichsten Forscher auf diesem Gebiete erkennen an,

daß „der Mensch auch auf der tiefsten Stufe seiner Ent­ wicklung

jene

mannigfaltigen

Keime

und Ansätze zu

höherer Cultur in sich trägt, welche sich als specifische geistige Unterschiede vom Thiere factisch an ihm aufzeigen lassen" *). Mit Rücksicht ans alle im Vorhergehenden angedeu­

teten wesentlichen Unterschiede zwischen dem Menschen und den sog. Anthropoiden dürfen wir also mit Aeby

sagen: „Wer dem Glauben an die Wahrheit der Descen­

denz-Theorie huldigt, der mag immerhin deren consequente Anwendung auf den Menschen fordern; aber er wird darauf verzichten müssen, aus der Geschichte der Mensch­

heit, so weit sie uns bis jetzt zugänglich ist, auch nur Eine Thatsache zu Gunsten seiner Hypothese vorzubringen, So weit wir zurückzugchen vermögen, finden wir den Men­ schen in seiner jetzigen Gestaltung.

Annäherung des Men­

schen an den Affentypus existirt nur in den aller Wahr­

heit Hohn sprechenden Zerrbildern, welche manche Autoren

durch Uebertreibung einzelner Züge gebildet haben.

Als

Roman liest es sich ganz hübsch, wie die drei Anthropomorphcn zu verschiedenen Menschengestalten sich er­ heben, wie die wilden Urahnen unseres Geschlechts Stamm gegen Stamm, Art gegen Art stehen, wie sie durch zu­

nehmende Gesittung sich als Brüder kennen lernen, sich vermischen, sich kreuzen, durch Bastardformen die anfäng­

lichen Gegensätze ausgleichen, um, wenn auch langsam, 1) Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker, 2. Ausl., 1877, I, S. 325. Vgl. Bibel und Natur S. 451.

143 doch sicher der schließlichen Einheit entgegengeführt zu werden.

Für das alles suchen wir umsonst nach einer

thatsächlichen Begründung" *). „Die Idee", sagt der fran­ zösische Anthropologe A. de Quatrcfages, „uns den

Affen zum Ahnen zu geben, hat Aufsehen erregt, weil

sie im Namen der Philosophie vertheidigt und im Namen der Theologie bekämpft, also mit den Controversen in Verbindung gebracht wurde, welche nur zu oft auch tüch­ tige Gelehrte über die Grenzen des Gebietes hinaus ver­

lockt haben, welches sie niemals hätten verlassen dürfen. Wir beanspruchen weder Theologen noch Philosophen zu

fein; wir sind ausschließlich Naturforscher und kümmern uns also nur um die naturwissenschaftliche Wahrheit. Im Namen dieser Wahrheit muß ich anerkennen, daß die Na­ turwissenschaft noch nichts über den Ursprung des Men­ schen weiß; aber im Namen derselben Wahrheit kann ich behaupten, daß wir weder einen Gorilla noch einen

Orang-Utang noch einen Schimpanse, auch keine Seekuh und keinen Fisch, überhaupt kein Thier irgend welcher Art zum Vorfahren haben" 1 2).

XI.

Die Einheit des Menschengeschlechts. Die Abstammung aller Menschen von Einem Paare ist eine ^unzweideutige Angabe der h. Schrift und zudem die

1) Die Schädelformen S. 90. 2) Histoire de Phomme, Paris 1867, III, p. 50.

143 doch sicher der schließlichen Einheit entgegengeführt zu werden.

Für das alles suchen wir umsonst nach einer

thatsächlichen Begründung" *). „Die Idee", sagt der fran­ zösische Anthropologe A. de Quatrcfages, „uns den

Affen zum Ahnen zu geben, hat Aufsehen erregt, weil

sie im Namen der Philosophie vertheidigt und im Namen der Theologie bekämpft, also mit den Controversen in Verbindung gebracht wurde, welche nur zu oft auch tüch­ tige Gelehrte über die Grenzen des Gebietes hinaus ver­

lockt haben, welches sie niemals hätten verlassen dürfen. Wir beanspruchen weder Theologen noch Philosophen zu

fein; wir sind ausschließlich Naturforscher und kümmern uns also nur um die naturwissenschaftliche Wahrheit. Im Namen dieser Wahrheit muß ich anerkennen, daß die Na­ turwissenschaft noch nichts über den Ursprung des Men­ schen weiß; aber im Namen derselben Wahrheit kann ich behaupten, daß wir weder einen Gorilla noch einen

Orang-Utang noch einen Schimpanse, auch keine Seekuh und keinen Fisch, überhaupt kein Thier irgend welcher Art zum Vorfahren haben" 1 2).

XI.

Die Einheit des Menschengeschlechts. Die Abstammung aller Menschen von Einem Paare ist eine ^unzweideutige Angabe der h. Schrift und zudem die

1) Die Schädelformen S. 90. 2) Histoire de Phomme, Paris 1867, III, p. 50.

144 nothwendige Voraussetzung anderer christlicher Lehrsätze. Im Alten Testamente wird Adam als der Stammvater

des ganzen Menschengeschlechtes, Noe als der Stamm­ vater aller jetzt

existirendcn Völker bezeichnet *).

Wie

aber die verschiedenen Menschenrassen sich gebildet haben,

darüber gibt die Genesis keine Auskunft.

Die sogenannte

Völkertafel im zehnten Capitel der Genesis verzeichnet

zwar eine Reihe von Völkerschaften, die von Sem, Cham

und Japhet abstammen; aber dieses Verzeichniß macht nicht darauf Anspruch, vollständig zu sein, — es werden

nur diejenigen Völker ausdrücklich erwähnt, von denen die Israeliten zur Zeit der Abfassung der Genesis Kunde

hatten, — und ebenso wenig macht die Eintheilung

in

Semiten, Chamiten und Japhetiden Anspruch darauf, sich mit der in den modernen Darstellungen der Völkerkunde (Ethnologie) üblichen Rasseneintheilung zu decken1 2). Wenn

also die Genesis über die Entstehung der verschiedenen Menschenrassen nichts lehrt, so haben wir als Aussage

der Bibel der Naturwissenschaft gegenüber lediglich den Satz zu vertreten, daß alle Menschen von Einem Paare,

alle jetzt existirendcn Völker von den Söhnen Noc's ab­ stammen.

Die Frage aber, welche wir in dieser Hinsicht

der Naturwissenschaft vorzulcgen haben, ist so zu fassen:

Bilden die verschiedenen jetzt existirenden Menschenrassen verschiedene Arten oder Species in dem früher (S. 102) besprochenen Sinne, oder nur Spielarten oder Varietäten 1) Gen. 6, 13; 7, 21; 10, 32. 2) Daß

auch in

dem Berichte der Genesis über die

Worte,

welche Noe zu Cham sprach (9, 25), nicht eine biblische Aussage über die Rassenbildung gefunden werden kann, ist Bibel und Natur S. 459 ausführlich nachgewiesen.

145 derselben Art?

Ist ersteres der Fall, so ist die Abstam­

mung aller Menschen von Einem Paare unmöglich;

letzteres der Fall,

so ist noch

nicht erwiesen,

Menschen alle wirklich von Einem Paare

ist

daß die

abstammen,

sondern nur, daß sie von Einem Paare abstammcn kön­ Denn, wie von den Thieren anzunehmen ist, daß

nen.

ursprünglich viele Individuen

derselben Art geschaffen

worden sind (S. 48), so könnte auch,

selbst wenn die

Zugehörigkeit aller Menschen zu Einer Art erwiesen wäre, immer

noch angenommen werden,

daß

mehrere Paare

derselben A.t die Stammeltern der Menschen seien.

Ob

dieses der Fall ist oder ob alle von Einem Paare ab­ stammcn, das ist keine naturwissenschaftliche Frage mehr.

An die Naturwissenschaft haben wir also nur die Frage zu richten,

ob sie erweisen könne,

daß die Menschen

mehrere Arten bilden; kann sie das nicht, so ist in Be­

zug

auf die Frage nach der Einheit

schlechts zwischen

ihr

des Menschenge­

und der Bibel kein Widerspruch;

denn dann kann von Seiten der Naturwissenschaft keine Einrede gegen

die Lehre

von

der

Abstammung aller

Menschen von Einem Paare erhoben werden. Wir

dürfen nun schon von vornherein sagen,

die

Bibel stehe mit ihrer Lehre von der Einheit des Men­ schengeschlechts jedenfalls nicht mit einem gesicherten Er­

gebnisse der Naturforschung in Widerspruch. Denn wenn

die Arteinheit des Menschengeschlechts von vielen Natur­ forschern entschieden bestritten wird, so wird sie von an­

deren,

nicht minder bedeutenden Naturforschern ebenso

entschieden anerkannt, z. B. von Humboldt, Johan­ nes Müller, Armand

Karl Ernst von Baer,

de Quatrefages,

Reusch, bibl. SchbpfungSgesch.'

Lyell,

Flourens,

Huxley, 10

und

146 von den Verfassern der ausführlichsten Werke über diese Frage, I. C. Prichard und Theodor Waitz>), und wenn die Unmöglichkeit der Abstammung des Menschen­ geschlechtes von Einem Paare von so vielen und so be­

deutenden Gelehrten nicht als ein gesichertes Ergebniß der Naturforschung angesehen wird, so ist sie auch für

jetzt wenigstens kein solches. Dafür daß die verschiedenen Menschenrassen einer einzigen Art angehören,

spricht eine Reihe von Erschei­

nungen, welche sich in der Thicrwelt nirgend bei ver­

schiedenen Arten, sondern nur bei Varietäten derselben Art finden: zunächst die Thatsache, daß Individuen der verschiedenen Rassen eine unbeschränkt fruchtbare Nach­

kommenschaft unter einander zu zeugen, vermögen, ferner der gleiche anatomische Bau des Körpers, die gleiche

Grenze der Lebensdauer,

die gleiche Krankheitsfähigkeit,

die gleiche Normaltemperatur des Körpers,

die gleiche

mittlere Pulsfrequenz, die gleiche Dauer der Schwanger­

schaft.

Auch

hinsichtlich der Größe findet

sich

keine

wesentliche Verschiedenheit. Die Größe der größten Völkerschaften steht zu der der kleinsten noch kaum in dem Verhältnisse wie drei zu zwei, während sich bei den

Rassen des Hundes selbst das Verhältniß eins zu zwölf,

bei denen des Rindes das Verhältniß eins zu sechs findet. Dazu kommt noch die Gleichheit der geistigen Grund­

kräfte und Grundzüge.

Denn so große Verschiedenheiten

wir auch in intellektueller, moralischer und socialer Hin­ sicht unter den verschiedenen Völkern finden mögen: daß

dieselben geistigen Grundkräfte und Grundzüge das ge1) Bibel und Natur S. 463.

147 meinsame Eigenthum aller sind, unterliegt keinem Zweifel. in den geistigen Anlagen finden

Graduelle Unterschiede

wir unter den Angehörigen Eines Volkes, ja Einer Fa­ milie ebenso wohl wie unter verschiedenen Volksstämmen; aber bei aller graduellen Verschiedenheit finden wir über­

all bei den Menschen die nämlichen geistigen Vermögen,

Verstand, Gedächtniß, Selbstbewußtsein, Gewissen, Sprach­

fähigkeit u. s. w., und die Erfahrung lehrt, daß die Ver­ schiedenheiten, die sich zeigen, durch Gewohnheit und Er­ äußere Einflüsse bewirkt

ziehung

und überhaupt durch

werden.

Neger, welche unter gleichen äußeren Einflüssen

wie Europäer aufwachscn, bildung erlangen, Völkern

und

aufwachsen,

können dieselbe geistige Aus­ Europäer,

werden sich

die

unter

über den

wilden

Culturzu­

stand ihrer Umgebung nicht erheben.

Neben dieser Gleichheit in vielen wesentlichen Punk­ ten

finden

rassen

sich freilich bei den verschiedenen Menschen­

auch augenfällige Unterschiede, namentlich in der

Farbe der Haut und in dem Bau des Schädels, auch in der Beschaffenheit der Haare und

in der Gestalt

des

Beckens. Wenn man diese Verschiedenheiten berücksichtigt,

ist eine doppelte Annahme möglich: Menschenrassen

haben

so

1. Die verschiedenen

gemeinsame Stammeltern, sei es

Ein Paar, seien es mehrere einander gleiche Paare, und

die Verschiedenheiten hinsichtlich der Farbe, des Schädel­ baues u. s. w. haben sich erst bei den Nachkommen dieser Stammeltcrn herausgcbildet.

besondere Stammeltern,

2. Jede Menschenrasse hat

welche hinsichtlich der Punkte,

die noch jetzt allen Menschen gemeinsam sind,

einander

gleich, hinsichtlich der Punkte aber, in welchen die Men-

148 schenrassen biffcrtren,

von einander verschieden

waren.

Die vielen Mittelstufen hinsichtlich des Schädelbaues und

der Hautfarbe,

die

sich

bei den

verschiedenen Völker­

schaften finden, zeigen uns nach der ersten Annahme den

Weg, wie sich ein großer Theil der Menschheit allmählich von dem ursprünglichen Typus entfernt hat.

Die Neger

würden den Stammeltern, wenn diese Kaukasier gewesen am entferntesten stehen und

sind,

durch die zahlreichen

Mittelstufen mit ihnen verbunden sein, welche mehr oder weniger

von dem reinen kaukasischen

nen Negertypus an sich haben.

und von dem rei­

Umgekehrt würden nach

der andern Ansicht die Neger ihren Stammeltern, dem

schwarzen Adam stehen,

und der

schwarzen Eva,

am nächsten

gerade so nahe wie die Kaukasier ihren Stamm­

eltern; die Völker aber, welche nicht rein den einen oder

den andern Typus darstellen, wären als ausgeartet oder als Mischlinge anzusehen, bei welchen die ursprünglichen

Verschiedenheiten sich verwischt hätten.

Um nun zu zeigen,

daß die biblische Lehre von der

Einheit des Menschengeschlechts mit der wissenschaftlichen Anthropologie nicht in Widerspruch steht, braucht nicht die

zweite Ansicht als wissenschaftlich unhaltbar, die erste als die allein richtige nachgewiesen zu werden;

es

genügt

vielmehr, wenn sich nachweisen läßt, daß die erste Ansicht

haltbar,

daß die Abstammung

der verschiedenen Rassen

von denselben oder gleichen Eltern möglich und die Ent­

stehung der vorhandenen Verschiedenheiten auch ohne die Annahme von verschiedenen

Stammeltern erklärlich ist.

Dieses läßt sich aber nachweisen.

Daß sich eine scharfe Unterscheidung der Rassen gar

nicht durchführen läßt, ergibt sich schon aus der Thatsache,

149 daß die Anthropologen die einzelnen Völker verschieden gruppiren.

Cuvier und Th. Wai tz nehmen drei Rassen

an, Blumcnbach und Burmeister fünf,

und Peschel sieben, Andere noch mehr.

Prichard

Die Malaien,

welche Blumcnbach als eine besondere Rasse ansieht, verbindet Burmeister mit den Kaukasiern, Peschel mit den Mongolen,

und

von

den Amerikanern sagt

Peschel: vergebens werde man auch bei solchen Schrift­ stellern, welche, wie Blumcnbach und Burmeister, die Amerikaner als besondere Rasse hinstellen, nach Unter­

suchen, die sic von den asiatischen

scheidungsmerkmalen

Mongolen trennen würden und allen gemeinsam wären.

Die fünf Rassen,

welche Blumenbach annimmt,

unterscheiden sich am augenfälligsten durch die Hautfarbe: die Kaukasier sind weiß, die Mongolen gelb, die Aethio-

pier schwarz,

die Amerikaner kupfcrroth, die Malaien

Diese Unterscheidung würde

nun eine sehr bemcrkenswerthe sein, wenn diesen fünf Hautfarben auch braun.

fünf verschiedene Formen des Schädels entsprächen. Das

ist aber nicht der Fall.

Blumenbach unterscheidet nur

drei Schädelformcn: die Kaukasier haben

die Mongolen

einen sphärischen

einen ovalen,

oder cubischen,

die

Aethiopier einen elliptischen Schädel; die Amerikaner und

die Malaien stehen hinsichtlich des Schädelbaucs zwischen den Kaukasiern einerseits und den Mongolen und den Aethiopicrn anderseits in der Mitte. Retzius unter­ scheidet einerseits Langschädel und Rundschädcl (Dolicho-

kephalen und Brachykephalcn) und anderseits gcradkieferige und

schiefkieferige

Nationen.

(orthognathische und prognathische)

Je nach

oder Retzius'

dem

man nun Blumenbachs

Eintheilungsprincip zu

Grunde

legt,

150

kommt eine in mehrfacher Beziehung verschiedene Eintheilung heraus: die germanischen und die slawischen Völker z. B. gehören in Blumenbachs Schädelsystem, wie hinsichtlich der Hautfarbe, zu der nämlichen Gruppe, den Kaukasiern mit ovalem Schädel und weißer Hautfarbe; nach Retzius gehören jene zu den Rundschädeln, diese zu den Langschädeln; umgekehrt zählt Retzius die Neger, die Neuholländer und die Grönländer zu der Gruppe der schiefkieferigen Langschädel, während bei Blumen bach die beiden ersteren Völkerschaften zur äthiopischen Rasse gehören, die dritte zur amerikanischen. In neuester Zeit sind die Messungen und Vergleichungen der Schädel mit großer Sorgfalt und Genauigkeit nach verschiedenen Methoden angestellt worden; sie zeigen große Schwan­ kungen innerhalb der einzelnen Völkerschaften und machen es sehr unwahrscheinlich, daß man auf Grund der Verschiedenheiten der Schädelbildung eine scharfe Sonderung der Rassen werde durchführen können. Nimmt man bei der Gruppirung der Völker auch auf die Sprache Rücksicht, so ergibt sich wieder die be­ deutsame Thatsache, daß Völker, welche körperlich sehr stark von einander verschieden sind, wie z. B. die Hindus und die Deutschen, doch Sprachen haben, die zu demselben Sprachstamme gehören, und darum, da von einem Sprachentausch hier nicht die Rede sein kann, stamm­ verwandt sind. Es ist ferner Thatsache, daß nicht ein einziges Kenn­ zeichen int strengen Sinne ein Alleingut einer Menschen­ rasse ist, daß sich vielmehr alle Kennzeichen durch un­ merkliche Abstufungen verlieren. Wenn man das hellste und das dunkelste Blau neben einander stellt, so erscheinen

151 sie

als contrastirende Farben;

Schattirungen

bringt man aber

in die rechte Reihenfolge,

des Blau

alle

so

verschwindet der Contrast und wird der Uebergang von der hellsten zur dunkelste» Schattirung

ganz unmerklich vermittelter.

ein stufenweise

Ein Deutscher,

gonier, ein Kalmücke und ein Neger sind

aber dazwischen lassen sich so

von einander;

verschieden

viele Mittelstufen

ein Pata-

freilich sehr

aufzeigcn,

daß der Uebergang von

jedem einzelnen Volke zu dem

ihni zunächst stehenden

immer ein nicht sehr schroffer ist.

Das gilt selbst von

den beiden großen Rassen, deren Typen sich am weitesten

von einander äthiopischen.

von der

entfernen,

kaukasischen und der

Bei den südlichen Völkern der kaukasischen

Rasse wird die Hautfarbe braun und selbst so dunkel, daß sie der einzelner Nationen der Negerrasse gleich kommt;

auch hinsichtlich der Färbung der Haare und des Augen­

sterns

ist die Aehnlichkeit

unverkennbar.

Die Berbern

im obern Nilthal z. B. haben einen schönen Körperbau, ein ovales Gesicht, eine gekrümmte Nase, wie die Kauka­ sier; die Lippen sind dick, aber noch nicht wulstig aufge­ worfen,

wollig, und

die Haare kraus und gelockt,

aber noch nicht

wie bei den Negern; die Farbe ist bronzeartig

steht in der Mitte zwischen der Olivenfarbe der

Acgypter

und

deni

Ebenholzschwarz

Die Nuba in Kordofan

der echten Neger.

schließen sich den Negern noch

näher an: ihre Farbe ist noch nicht so dunkel, aber schon kupferartig'; ihre Gesichtszüge haben schon etwas Neger­ artiges, aber doch etwas Regelmäßigeres; die Nase ist kleiner als die der Europäer, aber weniger Platt als die

der Neger; die Lippen sind nicht so dick und die Backen­ knochen nicht so vorspringend; die Haare sind bei Einigen

152 wollig, bei den Meisten aber denen der Europäer

lich, nur stärker und

immer gelockt.

ähn­

Einige Beduinen­

stämme zwischen dem Nil und dem Rothen Meere sind

dunkelbraun, theilwcise fast schwarz; das Haar ist schwarz

und zwar nicht wollig, aber gelockt, der ganze Körperbau sondern mehr europäisch. — Alle diese

nicht negerartig,

Stämme werden zur kaukasischen Rasse gezählt. äthiopischen Negern

Bei den

wechselt die Intensität der Farbe

sehr nach Völkern und Individuen; eine dunkelschwarze

Haut haben nur sehr wenige.

Plätschnasen, Wurstlippcn

und vorspringende Kiefer sind zwar in der Regel zu finden, aber die Ausnahmen sind nicht selten. Einzelne Stämme

sind tief schwarz, haben aber gar nicht die eigentlichen Ncgerphysiognomieen;

bei anderen,

ganz in der Nähe

wohnenden, sind diese viel mehr ausgeprägt, ist aber die

Farbe viel weniger dunkel.

Das Wollhaar ist die con-

stanteste

der

Eigenthümlichkeit

aber z. B. bei

findet

Negerrasse,

den Fellahs vielfach nicht.

sich

Die Kaffern

haben mit den Negern die dunkle Hautfarbe und die wolligen Haare gemein, in der Physiognomie und in der ganzen Leibesgestalt

Negern und

mit

aber

entfernen sie sich

von den

zeigen sie eine überraschende Aehnlichkeit

den Europäern,

kaukasischen Rasse

obschon

Die Hottentotten haben

sie geographisch von der

entfernt sind

weiter

mit

als

den Negern

die Neger. das wollige

Haar, die Plätschnasen und die aufgeworfenen Lippen gemein,

unterscheiden

sich

aber

durch

die gelbbraune

Farbe, die vorstehenden Backenknochen und die schmalen Augen und nähern sich in dieser Hinsicht und im Schä­

delbau

den

Chinesen,

also dem

mongolischen Typus.

„Es gibt vielleicht nicht einen einzigen Stamm,

sagt

153 Prichard'), bei welchem sich alle Kennzeichen, die man

dem Neger zuschreibt, im höchsten Grade finden, gemeinen sind

sie unter

verschiedene Stämme

im all­ auf alle

Weise vertheilt und in jedem Falle mit mehr oder weni­ ger Eigenthümlichkeiten,

die dem Europäer

oder

dem

Asiaten angehören, vermengt."

Die zahlreichen Mittelstufen lassen die gemeinsame Abstammung der verschiedenen Rassen glaubhaft erschei­ nen, so wenig auch Europäer und Neger,

in denen der

Typus ihrer Rasse am schärfsten ausgeprägt ist, einander

ähnlich sein

mögen.

Dazu kommt,

daß das,

was bei

der einen Rasse Regel ist, sich auch bei anderen Rassen

Rothe Haare sind ge­

wenigstens als Ausnahme findet.

wöhnlich

nur

in der kaukasischen Rasse, kommen aber

bei einzelnen Individuen in allen Rassen, selbst bei den

Negern, vor.

Auf der andern Seite findet man

auch

unter uns einzelne Menschen, deren Haar dem schwarzen

andere,

wolligen Haare der Neger nahe kommt, Hautfarbe ungewöhnlich dunkel ist,

und

deren

noch mehrere,

deren Gesichtsbildung der der Neger oder Mongolen sich

annähert.

Unter den Negern findet man ovale,

den Europäern elliptische Schädel,

unter

ja man kann sagen,

daß innerhalb einer jeden Rasse Schädel vorkommen, die von der bei dieser Rasse vorherrschenden Form verschie­

den sind.

Die Uebergangsformen glauben nun, wie oben er­ wähnt wurde,

sicht,

die Polygenisten,

die Vertreter der An­

daß die verschiedenen Rassen von

1) Naturgeschichte des

Menschengeschlechts,

R. Wagner, 2. Bd. S. 364.

verschiedenen

herausgegeben

von

154 Stammeltern abstammen, durch die Annahme erklären zu müssen,. daß sie sich durch Vermischung der ursprünglich scharf von einander gesonderten Rassen gebildet haben.

Es fragt sich also, ob diese Annahme die einzige zulässige ist und ob nicht die Verschiedenheit der Rassen, sie

so wie

sich jetzt zeigt, in anderen Ursachen eine solche Er-

klärung findet, daß die ursprüngliche Einheit festgehalten

werden kann.

Um

diese Frage zu beantworten,

müssen wir uns

vergegenwärtigen, was die Erfahrung bezüglich der Ver­ änderlichkeit der Arten und der Entstehung von Varie­

täten

und Rassen bei

den anderen organischen Wesen,

insbesondere bei den höheren Thieren lehrt. nun gesehen,

daß

Wir haben

die Veränderlichkeit der Arten aller­

dings keine unbegrenzte ist,

daß wir sic uns aber

mit

Rücksicht auf die durch Darwin angestellten und veran­

laßten Untersuchungen nicht sehr

enge,

jedenfalls nicht

so enge begrenzt vorzustellcn haben, wie das manche ältere Zoologen thaten.

Es ist ferner beobachtet worden,

daß

die Grenzen der Veränderlichkeit bei einer Art weiter ge­

steckt sind als bei der andern, am weitesten bei denjenigen Thieren, welche der ausgedehntesten Verbreitung auf der

Erde fähig sind, so wie daß die Thierarten, Mensch

welche der

unter seine Zucht und Pflege nimmt,

sich viel

bedeutender und mannigfaltiger verändern als die wilden

Thierarten, die ja auch meist auf bestimmte Verbreitungs­ bezirke beschränkt sind, und daß die Differenzen am größ­

ten sind bei den Thieren, welche seit unvordenklicher Zeit zum Hausstande des Menschen

gehören.

Bei Hunden,

Rindern, Schafen und Ziegen, wie bei den Gemüse-und Obstarten,

sind die Varietäten,

in welche sich jede Art

155 aufgelöst hat, viel mannigfaltiger und verschiedenartiger, als dies bei dem Menschen der Fall ist.

die

auffallendste Veränderlichkeit

Wenn wir aber

denjenigen

bei

Arten

von organischen Wesen finden, welche der ausgedehntesten

Verbreitung auf der Erde fähig sind, dem Menschen

sehr weite Grenzen

so dürfen wir bei

der Veränderlichkeit

annehmen; denn es gibt kaum ein Land auf der Erde, welches nicht von Menschen bewohnt oder wenigstens be­ sucht werden könnte.

„Es ist unleugbar, sagt Waitz'),

daß dieselben Menschenstämmc

successiv in sehr verschie­

denen Klimaten

und zum Theil

gelebt haben,

leben können

wirklich

bei weitem die meisten Thiere nicht, daß

ferner die ganze Lebensweise lind die sämmtlichen äußeren Verhältnisse, denen derselbe Mcnschenstamm unterworfen ist,

sich in

der durchgreifendsten Weise

ändern können

und oft wirklich ändern, die der Thiere nicht,

lich

daß end­

derselbe Menschenstamm weit verschiedene Stufen

geistiger Cultur durchlaufen kann und wirklich durchläuft,

die Thiere nicht.

Ist demnach

dem Menschen in Bezug

mung

welcher

ein viel weiterer als der den Thieren zuge-

gönnt ist, wicsene,

der Spielraum,

auf alle diese Verhältnisse ge­

so wird man keinen Mangel an Uebereinstim­

mit

den

sonst

herrschenden Naturgesetzen darin

finden können, wenn auch der Variabilität seiner äußern

Bildung minder enge Grenzen gezogen sind als der der Thiere." Allerdings

müssen wir uns

die Verbreitung

der

Menschen von dem Einen Ausgangspunkte aus über die

verschiedenen Länder

der Erde

1) Anthropologie I, 215.

als eine allmählich und

156 schrittweise erfolgende denken, so daß die klimatischen Ver­

hältnisse sich nicht auf einmal erheblich änderten. Unter dieser Voraussetzung war aber die Akklimatisation möglich.

„Erfolgen die Uebergänge zu anderen Klimaten stufen­ weise und in größeren Zwischenräumen, sagt Peschel^), so herrscht kein Zweifel, daß derselbe Menschenschlag jede

Zone der Erde bevölkern kann. Denn Nieniand bestreitet, daß der Hindu hoher Rasse, sei cs in Bengalen, sei es in Madras oder im Sind oder an irgend einer heißen

Stelle seiner Heimath, arischer Abkunft sei wie die alt­ nordischen Bewohner Islands, und daß die unbekannten Urvorfahren beider eine gemeinsame Heimath bewohnt

haben müssen.

Alle Völkerkundigen sind darüber einig,

daß die Eingeborenen Amerika's,

höchstens mit Aus­

nahme der Eskimo, eine einzige Rasse bilden, und dieser einzigen Rasse gelang cs, sich vom nördlichen Polarkreis bis zum Aequator und wiederum bis über den 50. Breite­ grad

allen

Wittcrungsverhältnissen

anzupassen.

Die

Chinesen treffen wir an der sibirischen Grenze, wo das Thermometer im Winter bis

unter Null sinkt,

auf

40 Grad Rcaumur

und zugleich auf der Insel Singapur,

die fast vom Aequator berührt wird." Bei dieser allmählichen Verbreitung der Menschen

über die Erde müssen sich

dann die Verschiedenheiten

zwischen den einzelnen Rassen

und Völkerschaften unter

der Einwirkung von allerlei äußeren Verhältnissen ge­ bildet haben. Das Klima und die Sonne üben noch

jetzt auf die Hautfarbe einen gewissen Einfluß.

Einzelne

Körpcrstcllen sind auch bei den weißen Menschen gefärbt, 1) Völkerkunde S. 21.

157 und die Sommerflecken,

Muttermale und Bräunungen

an anderen Körperstellen verhalten sich ganz so wie die

ja man hat Fälle constatirt,

Negerhaut;

ganze Haut,

bei Europäern die

übergehend, ganz dunkel färbt.

und man kann

als möglich vorstellen,

wohl

vor­

Es ist also eine Anlage

zu einer dunklcrn Färbung vorhanden,

cs sich also

daß sich auch

wenn auch nur

daß in der

Jugendzeit des Menschengeschlechts unter der Einwirkung der klimatischeil Verhältnisse

diese Anlage bei den jetzt

nicht weißen Nationen sich entwickelt hat und bleibend geworden ist. Auch auf den Schädelbau und die Gesichtsbildung

üben klimatische und sonstige örtliche Verhältnisse,

und

noch mehr die Nahrung, die Lebensweise und die geistige Entwicklung einen bedeutenden Einfluß.

Eine Reihe von

daß Volksstämme,

Beobachtungen scheint zu

beweisen,

die an den Gestaden

in Ebenen wohnen,

oder

Bergbewohner dagegen hohe

welche im 17. Jahrhundert

Bei Irländern,

an die

Heimath

flachere,

gewölbte Schädel

haben.

aus ihrer

Sceküste getrieben wurden und dort

unter außerordentlich elenden Verhältnissen gelebt haben,

finden

sich eine ungewöhnlich kleine Statur, abstoßende hervorstehende Kiefer,

Gesichtszüge,

und

hohe

Backenknochen.

eingedrückte Nasen

Dieselben Merkmale finden

sich bei anderen Völkerschaften, welche unter küminerlichen und uncultivirten Verhältnissen leben, wie bei den Busch­ männern und Feuerland.

den Ureinwohnern von Ncuholland und

Von

den

tatarischen

Stämmen,

die von

Baer besucht hat, haben einige breite Gesichter, abstehende Jochbogen und wenig

schmale,

vortretende breite Nasen,

oft lange Gesichter

andere

mit stark hervortretenden,

158 nicht selten gekrümmten Nasen.

Den Grund dieser Er­

scheinung findet von Baer in der verschiedenen Lebens­ art: die zuletzt erwähnten tatarischen Stämme sind an­ leben in ordentlichen Häusern,

sässig,

treiben neben der

Viehzucht Feld- und Gartenbau, und nähren sich außer

von Fleisch auch von Weizen und Reis; die anderen sind

Nomaden, leben in unreinlichen Kibitken und haben nur animalische Kost.

Man hat ferner beobachtet, daß bei Menschen, wie

bei Thieren, welche

besondere körperliche Eigenthümlichkeiten,

durch irgendwelche Ursache entstanden sind,

erblich und namentlich dann bleibend werden,

oft wenn sich

mehrere Generationen hindurch nur Individuen, welche solche Eigenthümlichkeiten besitzen, mit einander geschlecht­ lich verbinden und wenn

die äußeren Verhältnisse der

Erhaltung dieser Eigenthümlichkeiten günstig sind. Diese Beobachtungen zeigen,

Rassen

gebildet

haben können.

wie

sich verschiedene

Jetzt

sind freilich die

Menschenrassen im Wesentlichen constant,

und die Ver­

änderungen, die jetzt noch entstehen und unter dem Ein­

flüsse des Klima's, der Lebensweise und anderer äußerer Verhältnisse

bleibend

werden,

sind nicht so bedeutend,

wie die Veränderungen, durch welche sich die Rassen ge­ bildet haben.

Aber auch in der Thierwelt hat man be­

obachtet, daß sich vor Alters die Variationen, deren eine Art

fähig war, gebildet, daß sie sich dann fortgepflanzt haben und

constant geblieben sind

und daß die Bildung be­

deutender Verschiedenheiten aufgehört hat, nachdem sie

bis an die natürlichen Grenzen fortgeschritten war. Dem­ gemäß ist es, wie von Baer sagt, „gar nicht widersinnig

anzunehmen, daß in der ersten Reihe der Generationen

159 der Typus

ein veränderlicherer war,

den Einwirkungen

von

wurde".

der

äußern

also

auch stärker

Natur

beeinflußt

So würden wir also für die Urzeit des Men­

schengeschlechts

Diffcrenzirungsproceß

einen

annehmen

dürfen,

von welchem die Aenderungen des menschlichen

Typus,

die wir jetzt noch durch den Eintritt in andere

klimatische und sonstige Verhältnisse bewirkt sehen,

nur

noch Nachklänge wären. Diese Erörterungen

beweisen nicht,

daß

die Ent­

stehung der verschiedenen Menschenrassen aus einer ein­ zigen Urrasse aus physiologischen Gründen angenommen werden müsse, sondern nur, daß sie physiologisch erklärt

und also als möglich bezeichnet werden kann. aber für unsern Zweck genügend;

Das ist

denn wir dürfen jetzt

sagen: die biblische Lehre von der Einheit des Menschen­ geschlechts steht nicht in Widerspruch mit einem gesicher­

ten Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen; viel­

mehr

sprechen

Menschenrassen mischung

viele wichtige Uebereinstimmungen aller

sowie

die unbeschränkt

fruchtbare Ver­

derselben entschieden für die Art - Einheit des

Menschengeschlechts,

und die Verschiedenheiten beweisen

nicht die Ursprünglichkeit der Rassen. „Es gibt, sagt von Baer, keinen Grund, anzunehmen, daß die verschiedenen

Völker ursprünglich aus der Hand der Natur verschieden hervorgegangen sind.

nehmen,

Man hat vielmehr Grund,

daß sie verschieden geworden sind

verschiedenen Einflüsse des Klima's,

anzu­

durch die

der Nahrung,

der

socialen Zustände" •).

Die bisher vorgetragenen Erörterungen lassen aber

1) Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, 1876, S. 35.

160 noch

die Möglichkeit bestehen,

mehreren im

stammen.

daß alle Menschen von

Wesentlichen gleichen Stammpaaren ab­

Der biblischen Lehre von der Abstammung der

Menschen von einem einzigen Paare gegenüber hat man

nun zunächst auf die Schwierigkeit der Bevölkerung der ganzen Erde von einem einzigen Mittelpunkte aus hin­

gewiesen. Aber selbst solche Gelehrte, welche wie Waitz und Giebel die Verbreitung der Menschen von Ei­ nem Mittelpunkte aus thatsächlich nicht annehmen, erken­

nen die Möglichkeit

derselben ausdrücklich

Schwierigkeiten sind in dieser Hinsicht

an1).

Die

nirgends größer

als in der Südsee, und doch läßt die große Uebereinstim­ mung,

welche in Sprache,

Sitte, Sage und Religion

in Polynesien von den Sandwich-Inseln bis nach Neu­ seeland hin herrscht, die Annahme einer verschiedenen Abstammung der auf diesen Inseln wohnenden Völker nicht zu. Nach Amerika können die Menschen zunächst

im Norden über die Beringstraße und die Inselkette der Aleutcn gekommen sein,

ferner von Südasien her über

die Inselgruppen des stillen Oceans; denn wenn diese

auch Hunderte von Seemeilen von Südamerika entfernt

sind, so fehlt es gar nicht an Beispielen, auch aus der neuern Zeit,

daß Schiffe so weit verschlagen wurden.

Auch von Europa her können in alter Zeit Einwanderer

nach Amerika gekommen sein, wie nachweislich im zehnten Jahrhundert Normannen über Island

nach der Ostküste Amerika's läßt sich,

wie gesagt,

Einem Mittelpunkte

und

gelangt sind.

Grönland

Jedenfalls

eine Bevölkerung der Erde von

aus nicht als unmöglich erweisen.

1)' $gl. Bibel und Natur S. 499.

161 Ferner hat man es als unmöglich bezeichnet, daß

die Nachkommen eines einzigen Menschenpaarcs in einer verhältnißmäßig so kurzen Zeit,

wie nach den Angaben

so zahlreich

der Bibel seit der Sündfluth verflossen sei,

geworden seien, wie sie jetzt sind.

Dieser Einwendung

gegenüber kann darauf hingewiesen werden, alten Zeit

eine

daß in der

raschere und ungestörtere Vermehrung

der Bevölkerung stattgefunden haben kann, als sie jetzt im

allgemeinen stattfindet, wie

denn auch in den letzten

Jahrhunderten nachweislich unter günstigen Verhältnissen

in wenig bevölkerten Länden: eine stärkere, in einzelnen

eine

Fällen

stattgefunden

außerordentlich

ganz hat').

Wir werden

folgenden Capitel sehen,

starke aber

daß die Zeit,

Vermehrung

in

einem der

welche

seit dem

Beginne der Verbreitung der Menschen über die Erde verflossen ist, länger angesetzt werden darf,

als gewöhn­

der chronologischen Angaben des Alten

lich auf Grund

Testamentes geschieht.

Endlich hat man

aus einigen Sätzen des vierten

Capitels der Genesis schließen wollen, daß Moses selbst — im

Widerspruch mit seinen sonstigen Angaben (s. o.

144) —

S.

die Existenz

von

Menschen,

die

nicht

von Adam und Eva abstammen, voraussetze:

er berichte

der Brudermörder Kain habe zu

einer Zeit,

nämlich, wo

außer ihm keine anderen Nachkommen Adams und

Eva's existirten, tödtet zu werden,

gefürchtet,

von anderen Menschen ge-

er habe ein Weib

gehabt und eine

Stadt gebaut. Zur Beseitigung dieses Mißverständnisses

genügen folgende Bemerkungen«). 1) Bibel und Natur S. 502.

2) Vgl. Bibel und Natur S. 504. Reusch, bibl. Schöpfunqsgesch.

Die Genesis

theilt

162 aus der Geschichte der Urzeit nur einzelne fragmentarische

Notizen mit, und es finden sich darum Thatsachen un­

mittelbar an einander gereiht,

welche chronologisch weit

Wenn unmittelbar nach dem Be­

aus einander liegen.

richte über die Ermordung des Abel und die Flucht des

Kain erzählt wird, diesem sei ein Sohn geboren worden und er habe eine Stadt gebaut und dieselbe nach dem Namen seines Sohnes Henoch genannt, so werden die Zeit des Brudermordes und der Flucht Kains und die

Zeit des Baues der ersten „Stadt", — wobei übrigens nicht an die Erbauung einer vollständigen Stadt im jetzigen

Sinne, sondern an die Begründung eines festen Wohn­ orts, der sich allmählich zu einer Stadt erweiterte, zu

denken sein wird, — gar nicht angegeben und können weit aus einander liegen. Das Weib Kains aber ist entweder eine mit ihm in die Verbannung gezogene Tochter Adams, — denn daß dieser damals außer Kain keine Kinder ge­ habt, sagt die Genesis nicht, — oder eine erst später ge­

borene Schwester oder eine Bruderstochter; denn daß eine solche Geschwisterehe in der ersten Zeit unvermeid­

lich war,

wenn die Menschheit von Einem Paare ab­

stammen sollte,

hat

Wenn endlich Kain,

schon Augustinus hervorgehoben. da er aus dem Lande Eden flieht,

die Befürchtung äußert: „Jeder der mich findet,

wird

mich tödten",

so darf daraus

daß er auch

andere Gegenden für bewohnt gehalten

habe.

nicht geschlossen werden,

Er scheint vielmehr auf die Blutrache anzuspielen,

welche er fürchtet, weitern werde.

wenn seines Vaters Familie sich er­

Fürchtet er aber außerhalb Edens als

der Brudermörder erkannt zu werden,

aus,

so setzt das vor­

daß es nur Eine Menschenfamilie, die Familie

163 Adams,

und keine außer Verbindung mit ihr stehende

andere gab.

XII. Der Urzustand der Mensche«. Was die Bibel über den Zustand lehrt, in welchem

sich die ersten Menschen bis zu ihrer Versündigung gegen Gott befanden, und über die Folgen dieser Versündigung für sie und

ihre Nachkommen,

das kommt zum aller­

größten Theile bei einer Vergleichung der Aussagen der Bibel mit den Ergebnissen

der Naturforschung darum

nicht in Betracht, weil es

sich dabei hauptsächlich um

solche Dinge handelt, welche nicht Gegenstand der Natur­ forschung sein

können.

Daß

die

ersten Menschen des

göttlichen Wohlgefallens theilhaftig waren, daß ihr Wille

mit

dem göttlichen Willen

vollständig übereinstimmte,

und daß sie durch Gottes Güte sich auch in einem äußer­ lich glücklichen Zustande

befanden,

vor dem leiblichen

Tode und anderen Uebeln geschützt waren, daß sie durch

die Uebertretung des

göttlichen Gebotes das Wohlge­ fallen Gottes verloren, daß die böse Begierde in ihnen

erwachte, welche sie fortan zur Sünde reizte, daß sie nunmehr dem leiblichen Tode und anderen irdischen Uebeln unterworfen wurden, daß endlich dieser verschlech­

terte, sündhafte Zustand auf alle ihre Nachkommen über­ ging: das sind Sätze, welche der Naturforscher als solcher ebenso wenig bestreiten als bestätigen kann, deren Erörterung also nicht zu meiner Aufgabe gehört.

163 Adams,

und keine außer Verbindung mit ihr stehende

andere gab.

XII. Der Urzustand der Mensche«. Was die Bibel über den Zustand lehrt, in welchem

sich die ersten Menschen bis zu ihrer Versündigung gegen Gott befanden, und über die Folgen dieser Versündigung für sie und

ihre Nachkommen,

das kommt zum aller­

größten Theile bei einer Vergleichung der Aussagen der Bibel mit den Ergebnissen

der Naturforschung darum

nicht in Betracht, weil es

sich dabei hauptsächlich um

solche Dinge handelt, welche nicht Gegenstand der Natur­ forschung sein

können.

Daß

die

ersten Menschen des

göttlichen Wohlgefallens theilhaftig waren, daß ihr Wille

mit

dem göttlichen Willen

vollständig übereinstimmte,

und daß sie durch Gottes Güte sich auch in einem äußer­ lich glücklichen Zustande

befanden,

vor dem leiblichen

Tode und anderen Uebeln geschützt waren, daß sie durch

die Uebertretung des

göttlichen Gebotes das Wohlge­ fallen Gottes verloren, daß die böse Begierde in ihnen

erwachte, welche sie fortan zur Sünde reizte, daß sie nunmehr dem leiblichen Tode und anderen irdischen Uebeln unterworfen wurden, daß endlich dieser verschlech­

terte, sündhafte Zustand auf alle ihre Nachkommen über­ ging: das sind Sätze, welche der Naturforscher als solcher ebenso wenig bestreiten als bestätigen kann, deren Erörterung also nicht zu meiner Aufgabe gehört.

164 Eine kurze Besprechung erheischt aber die jetzt sehr verbreitete

und angeblich auf

forschung in

die Geschichte der Menschheit

der Natur­

Ergebnisse

der weitesten Bedeutung habe

gestützte Ansicht,

mit einem Zustande

der Rohheit, ähnlich wie wir ihn jetzt bei den sogenann­ ten wilden Völkern finden, begonnen,

und die an diese

Ansicht sich anschließende Behauptung, „die naturwissen­ schaftlichen Spuren früherer Menschheit" ständen inso­

fern in Widerspruch mit der biblischen Darstellung, nach

dieser die von Gott geschaffenen

jedenfalls leiblich

und

als

ersten Menschen

geistig vollkommener waren als

die heutigen Wilden.

Die eigentliche Grundlage der fraglichen Ansicht ist die andere Ansicht,

daß die Menschen nicht

von Gott

geschaffen, sondern durch natürliche Entwicklung aus den höheren

Thieren,

speciell den Affen

entstanden

seien.

Wäre diese sogenannte Pithekoidcn-Theorie richtig,

so

würde es sich ja allerdings von selbst verstehen, daß das erste Glied in der Entwicklungsreihe, dem man den Namen „Mensch" beilegen könnte, dem ihm unmittelbar vorher­

gehenden Gliede, dem letzten,

welches noch als Affe zu

bezeichnen wäre, sehr nahe gestanden, so nahe, daß kaum

ein Unterschied zwischen beiden nachzuweisen wäre.

So­

fern aber die Ansicht, daß die Geschichte der Menschheit mit einem Zustande der denkbar größten Rohheit begonnen,

eine natürliche,

koiden-Theorie

ja unabweisliche Conscqucnz der Pithe-

ist,

braucht sie hier nicht

erörtert

zu

werden, da wir diese Theorie selbst als wissenschaftlich

nicht begründet erkannt haben

1) S. o. S. 133.

165 Eine

besondere Besprechung

„naturwissenschaftlichen

verdienen

aber

die

früherer Menschheit",

Spuren

auf welche man sich zur Begründung jener Ansicht beruft.

Bei der Erforschung der ältesten Perioden der mensch­ lichen Geschichte werden mit Recht außer den schriftlichen

Berichten auch die in

den Erdschichten oder

auf der

Oberfläche der Erde sich findenden Werke von Menschen­

hand, Gräber, alte Denkmäler und Bauten, Geräthschaften, ja auch Ueberbleibsel von Menschen und von Thieren,

mit

denen sie in Berührung

gekommen,

berücksichtigt.

Die Erforschung der ältesten Geschichte, so weit sie nicht

auf schriftliche Quellen, sondern auf naturwissenschaftliche, speciell geologische, und auf archäologische Untersuchun­

gen der bezeichneten Art sich stützt,

in unseren Tagen Wissenschaft,

entwickelt sich eben

mehr und mehr zu

einer besondern

die man als Urgeschichte oder auch als

historische Anthropologie, archäologische Geologie, mensch­

liche Paläontologie oder vorhistorische Archäologie bezeich­ net, und ist gegenwärtig einer der Licblingsgegenstände,

mit welchem sich wirkliche und dilettirende Naturforscher

und Altcrthumsforscher beschäftigen'). Was das Verhältniß der Ergebnisse dieser urgeschicht­

lichen Forschungen Urzustand

zu dem biblischem Berichte über den

des Menschen betrifft,

so ist zunächst daran

zu erinnern, daß, wenn wirklich die ältesten menschlichen

Ueberreste,

die man in verschiedenen Ländern gefunden,

— menschliche Schädel und andere Gebeine, Werkzeuge,

Waffen

u. s. w., — auf

Menschen

Hinweisen,

eine

tiefe Bildungsstufe der

von denen sie herrühren,

1) Bibel und Natur S. 519.

daraus

Zu dem Folgenden vgl. S. 455.

166 für den Zustand der ersten Menschen gar nichts folgt.

Wenn die Thatsache, daß es noch jetzt wilde Völker gibt, nicht ausschließt, daß es lange vor ihnen in anderen Län­ dern civilisirte Menschen gegeben hat, so widerspricht die

Existenz von weniger fortgeschrittenen Völkerschaften in den Ländern, in welchen man Spuren derselben gefunden hat, ebenso wenig der Annahme, daß gleichzeitig mit

ihnen in anderen Ländern Völker mit einer höhern Cul­

tur existirten und daß auch die Vorfahren jener Völker­ schaften in den Ländern, in welchen sie ansässig waren, auf einer höhern Culturstufe gestanden haben, welche ihre

Nachkommen nach der Auswanderung aus der Heimath und in der Jsolirung von den Culturvölkcrn nicht zu be­ haupten vermochten.

Die Darstellung der menschlichen Culturentwicklung, wie sie sich bei manchen neueren Anthropologen findet,

beruht auf einer ebenso willkürlichen Construction wie die Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Thiere bei

den Vertretern der Darwinschen Theorie.

Diese brin­

gen die Thierarten, welche jetzt existiren und früher cxistirt haben, in eine Ordnung,

bei welcher mit den unvoll­

kommensten Formen begonnen und zu immer vollkomme­

neren fortgeschritten wird, und behaupten dann, die un­ vollkommeneren Formen seien auch der Zeit nach die früheren gewesen und die vollkommeneren hätten sich aus ihnen entwickelt, so daß das natürliche zoologische System

zugleich die Entwicklungsgeschichte des Thierreichs

stelle.

dar­

Gerade so ordnen die fraglichen Anthropologen die

verschiedenen menschlichen Culturstufen, einzelnen Völkern in

die wir bei den

der Gegenwart und in der Ver­

gangenheit nachweisen können, in eine Reihe, welche mit

167 den rohesten Wilden beginnt und

in der europäischen

Civilisation gipfelt, und behaupten dann, diese künstlich

stelle

die geschichtliche

Aufeinanderfolge der Culturstufcn dar,

die in der syste­

gemachte systematische

Ordnung

matischen Ordnung zuerst stehende

unvollkommenste sei

also auch der Zeit nach die erste gewesen.

Die eine Con-

struction ist so willkürlich wie die andere; bei beiden wird

eben das,

was zu beweisen war, als bewiesen oder fest­

stehend vorausgesetzt. Es läßt sich freilich im allgemeinen ein Fortschritt der menschlichen Cultur geschichtlich nachweisen;

vielen einzelnen Fällen

aber in

haben auch Rückschritte stattgc-

funden, wie, nm nur Ein Beispiel anzuführen, eine Ver­ gleichung der Aegypter unter den Pharaonen und den Ptolemäern mit ihren späteren Nachkommen zeigt.

mentlich

sind vielfach

Volksstämme,

Culturwelt abgeschlossen waren,

herabgesunken,

bis

und wenn einmal

welche von

Na­

der

zur Verwilderung

ein Zustand der Un­

kultur sich bei einem Volksstamme festgesetzt hat, wie bei den jetzigen sogenannten Wilden,

so

findet eine Ent­

wicklung zu einer Hähern Civilisation in der Regel nicht selbständig statt,

von außen,

sondern nur in Folge eines Anstoßes

in Folge der Berührung mit höher civili-

sirten Völkern. Jene Theorie der ganzen

von einer allmählichen Entwicklung

Menschheit

aus

ursprünglicher Rohheit

steht in Widerspruch mit der Geschichte: diese zeigt uns

bald

ein Herabsinken,

Theile der Menschheit;

wir jederzeit,

bald

ein Fortschreiten einzelner

aber irgendwelche Völker treffen

soweit geschichtliche Erinnerungen reichen,

als Träger einer Cultur, die über dem Niveau der Heu-

168 tigen Wilden

ttrir, wenn

steht.

Ueber die

allerälteste Zeit haben

biblischen Berichten absehen,

wir von den

keine eigentlich geschichtlichen Nachrichten; die Sagen der Völker dienen

den biblischen Berichten insofern zur Be­

stätigung als, wie Deli.tzsch es ausdrückt, Zeit der äußerste Saum

eine goldene

aller Völkergeschichten ist, und

von dem Ergebnisse der neueren sogenannten urgeschicht­

lichen Forschungen kann schon darum nicht gesagt wer­ den,

sie ständen mit den biblischen Berichten in Wider­

spruch,

weil durch diese Forschungen höchstens über den

ältesten Bildungsstand

der Bevölkerung

solcher Länder

Licht verbreitet wird, welche nicht der Wohnsitz der ersten

Menschen gewesen sind. Aber auch das,

was bezüglich

des ältesten Cultur­

zustandes der Bevölkerung dieser Länder in manchen mo­ dernen Darstellungen der Urgeschichte vorgetragen wird,

beruht

großentheils

mehr

auf

willkürlichen

Voraus­

setzungen und Phantasieen als auf zuverlässigen Schlüssen aus den Ueberbleibseln aus uralter Zeit, welche man ge­ funden und untersucht hat. Was zunächst die menschlichen Schädel betrifft, welchen

man das höchste Alter zuschreiben zu dürfen glaubt, so

hat sich, wie ich bereits erwähnt habe (S. 135), die Be­

hauptung, dieselben zeigten „eine sehr thierische Bildung" oder sie „trügen die Merkmale einer niedern Organisation

an sich, die zum Theil noch tiefer stehe als heutigen Wilden",

als

durchaus unbegründet

die

der

heraus­

gestellt: gerade die ältesten Schädel tragen, wie Virchow erklärt, keineswegs die Merkmale niederer Rassen an sich. Am meisten besprochen und nach der Ansicht Vieler die

ältesten Menschenschädel, die man überhaupt kennt, sind

169 ein zu Engis an der Maas und

ein im Ncanderthal

zwischen Düsseldorf und Elberfeld gefundener Schädel. Von dem erstem sagt eine ganze Reihe von Anatomen,

er biete gaic keine Verhältnisse, die nicht anch heutzutage

noch vorkämen.

Der letztere, welcher übrigens nur theil-

weise erhalten ist, zeigt allerdings auffallende Eigenthüm­ lichkeiten; aber diese würden höchstens die Existenz eines einzelnen Menschen beweisen, dessen Schädel in etwas dem Affentypus sich annäherte, und die angesehensten Forscher, welche ihn untersucht haben, erklären, er sei unzweifelhaft

ein pathologischer (krankhaft gebildeter) Schädel, der bei der Frage über die Schüdelbildung der ältesten Menschen überhaupt nicht in Betracht kommen könne *). Welcher von

den beiden Schädeln der ältere ist, läßt sich nicht aus­ machen.

Es ist also eine Willkür, wenn man dcnNean-

derthaler Schädel darum, weil er eine viel tiefer stehende Organisation verrathe, für den ältern erklärt, und noch willkürlicher, wenn man diesen einzelnen, — wie gesagt, unvollständig erhaltenen und allem Anscheine nach krank­ haft gebildeten, — Schädel als einen Typus der ältesten Schädelbildung überhaupt ansicht1 2).3 Aehnlich verhält es sich mit manchen anderen urge­ schichtlichen Funden. Eine Zeit lang war es Mode, mit

Rücksicht auf die Geräthschaften aus Stein, Bronze und Eisen, welche man in alten Ablagerungen, Gräbern u. s. w.

in Mittel- und Nord-Europa fand, von einer Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit als von drei auf einander fol­

genden Perioden der Urgeschichte zu sprechen^). 1) Bibel und Natur S. 434. 2) Bibel und Natur S. 582.

3) Bgl. Bibel und Natur S. 542.

Jetzt ist

170 erwiesen, daß die Bronze- und die Eisenzeit überhaupt

nicht, und speciell nicht für Mittel- und Nord-Europa als zwei auf einander folgende Perioden unterschieden werden können, daß sich der Gebrauch der Metalle in Mittel- und Nord-Europa bis einige Jahrhunderte vor

Christus hinauf verfolgen läßt, daß aber auch in der Zeit, als man schon die Metalle kannte,

noch Geräthe

aus Stein, Horn, Knochen u. dgl. gebraucht wurden.

Allerdings hat cs eine Zeit gegeben, in welcher bei einem Theile der Bevölkerung von Mittel- und Nord-Europa

und auch wohl bei anderen Völkerschaften nur solche Geräthe in Gebrauch und die Metalle unbekannt waren,

also eine Zeit, die man als die Steinzeit oder besser als die vormetallische Periode dieser Völkerschaften bezeichnen kann; aber zu derselben Zeit waren ohne Zweifel andere Völker schon mit dem Gebrauche der Metalle bekannt,

und wenn einzelne Völkerschaften noch in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten die Metalle nicht zu bear­

beiten wußten, und einzelne wilde Völkerschaften diese noch heute nicht kennen, so beweist das nichts gegen die Richtigkeit der Angabe der Genesis (4, 22), daß schon in der vorsündfluthlichen Zeit Tubalkain „allerlei Werk­

zeuge von Erz und Eisen hämmerte". Durch die sogenannten urgeschichtlichen Forschungen

ist allerdings manches ermittelt worden, was uns den Culturzustand der Völkerschaften anschaulich macht, welche

in alter Zeit Mittel- und Nord-Europa bewohnten. Aus den Ueberbleibseln, welche sich in den Pfahlbauten und in den Knochenhöhlen finden, läßt sich ersehen, wovon sie sich ernährt haben, welche Werkzeuge sie anfertigten und

gebrauchten.

Aber bei den Darstellungen der Culturge-

171 schichte dieser sogenannten vorhistorischen Zeit, wie sie namentlich in populären Schriften und Aufsätzen gegeben werden, werden manche Mißgriffe begangen').

Nur zu

oft zieht man hier aus sehr unsicheren Prämissen sehr bestimmte Folgerungen und baut auf ganz vereinzelte

Beobachtungen allgemeine Schilderungen. Weil man hie und da in Grübern Schädel von länglicher Form und

bronzene Schwerter mit kleinen Griffen gefunden, sagt man z. B. wohl, das Volk, welches in der Bronzezeit

hier gewohnt, gehöre einer langschädcligen Rasse an, habe kleine Hände gehabt und sei deshalb auch von kleinerm

Wüchse gewesen.

Solche Verallgemeinerungen werden

dann natürlich bald wieder als willkürlich ■ erkannt, —

bei wciterm Suchen finden sich auch kurze Schädel und größere Schwcrtgriffe.

Ein anderer Fehler, der bei diesen Darstellungen vielfach begangen wird, besteht darin, daß man das, was Reisende von den jetzigen sogenannten wilden Völkern berichten, ohne weiteres auf die sogenannten vorgeschicht­

lichen Völker überträgt.

Es ist ja nicht zu bezweifeln,

daß auf den niedrigeren Stufen der Civilisation die alten

Völker in mancher Beziehung mit den jetzigen uncivilisirten Völkern Achnlichkeit gehabt haben: sie haben sich, wie diese, Werkzeuge von Stein, Horn, Holz u. s. w. ge­

macht, von Jagd und Fischfang gelebt u. s. w.

So kann

also die Berücksichtigung der Zustände der jetzigen wilden Volksstämme

vielfach dazu dienen, uns über einzelne

Seiten in dem Leben der alten Bewohner Mittel- und Nord-Europa's zu orientiren; wir können danach z. B. 1) Bibel und Natur S. 581.

172 vermuthen, wozu gewisse Werkzeuge gebraucht, wie sie an­

gefertigt und gehandhabt wurden u. dgl.

Aber ohne solche

Anhaltspunkte das, was sich jetzt bei den Wilden findet, auf jene sogenannten vorgeschichtlichen Völker zu übertragen, ist

willkürlich, und doch findet man vielfach in Darstellungen

der sogenannten Urgeschichte auch Angaben über die reli­

giösen Anschauungen, die Sitten und socialen Einrich­ tungen der Steinzeit, Bronzezeit u. s. tu., deren Grund­ lagen

lediglich die Berichte von Reisenden

Fidschi-Insulaner oder Hottentotten sind.

über die

Denn aus den

Stcinwerkzeugen und Thierknochen läßt sich doch dergleichen nicht herauslescn. Noch verkehrter ist es, wie ich schon hervorgchoben

habe, wenn man eine Stufenfolge der jetzigen wilden

Völker macht, mit den rohesten beginnend und bis zu den cultivirtesten fortschreitend, und nun diese Stufenfolge

so in die Urgeschichte überträgt, daß man die rohesten Völker als den Typus der ältesten Menschen darstellt,

die etwas cultivirteren als den Typus einer spätern Ent­ wicklungsstufe u. s. tu.

Ein solches Verfahren kann nicht

mehr wissenschaftlich genannt werden.

Man sieht auch

aus solchen Darstellungen, daß die Urgeschichte noch eine

sehr junge Wissenschaft ist.

So wie die Forschung fort­

schreitet, wird man über solche jugendliche Versuche hin­ auskommen, mehr Kritik üben und sich einer größern Nüchternheit und Zurückhaltung befleißigen. Was immer aber auch durch die urgeschichtlichen

Forschungen über den ältesten Culturzustand oder die in ältester Zeit herrschende Culturlosigkeit der Bevölkerung

bestimmter Länder ermittelt werden mag,

man wird,

wie gesagt, nicht berechtigt sein, diese Ergebnisse zn ver-

173 allgemeinern und auf Grund derselben zu behaupten, die Geschichte der Menschheit überhaupt habe mit einem Zu­ stande einer dem thierischen sich annähernden Rohheit

begonnen.

Eine specielle Angabe der Bibel über die älteste Pe­ riode der menschlichen Geschichte verdient noch besonders

besprochen zu werdens. Den in den Stammtafeln des fünften und des elften Capitels der Genesis genannten Männern wird ein viel höheres Alter zugeschriebcn, als die Menschen erfahrungsmäßig jetzt erreichen und nach

den Gesetzen der Physiologie erreichen können.

Methu-

sala soll 969 und noch mehrere Andere sollen über 900

Jahre alt geworden sein, also ungefähr das Zehnfache

der jetzigen Lebensdauer erreicht haben. Man kann nun bezüglich dieser unglaublich klingen­ den Angabe allerdings sagen: Wenn der Mensch unter den

Verhältnissen, wie sie jetzt sind, ein so hohes Alter nicht

erreicheri kann, so darf darum noch nicht behauptet werden,

daß es nicht.Verhältnisse habe geben können, unter welchen die Menschen ein viel höheres Alter erreichen konnten als jetzt, und daß nicht nach Gottes Plan die Menschen

in der Urzeit wirklich unter äußeren und inneren Ver­ hältnissen gelebt haben, welche ein viel längeres Leben möglich machten.

Aber ich glaube nicht, daß wir ge­

nöthigt sind, darum, weil es in der Genesis erzählt wird,

es als eine göttlich verbürgte und darum unzweifelhafte Thatsache anzuschen, daß die Erzväter ein so hohes Alter

erreicht haben.

Das Ansehen, welches der heiligen Schrift

1) Vgl. Bibel und Natur S. 505.

174

in der christlichen Kirche zugeschrieben wird, beansprucht

sie als Offcnbarungsurkunde, nicht als geschichtliche Ur­ kunde im weitern Sinne.

Die Frage aber, wie lange

die einzelnen Erzväter gelebt, steht mit den religiösen

Wahrheiten der Bibel in gar keinem unmittelbaren und

nothwendigen Zusammenhänge; denn unter dem religiösen Gesichtspunkte betrachtet, ist es ganz gleichgültig, ob z. B. Mcthusala 969 oder 100 Jahre gelebt hat.

Darum

dürfen wir, glaube ich, unbedenklich sagen: der Verfasser

der Genesis hat in den fraglichen Capiteln zwar getreu

ausgezeichnet, was er als Ueberlieferung über die Urahnen seines Volkes vorfand; aber es braucht darum nicht an­

genommen zu werden,

daß diese Ueberlieferung einen

streng historischen Charakter beanspruchen könne.

Auch

katholische Theologen haben die Annahme für zulässig

erklärt, daß die Angaben, wie sie uns setzt in den frag­

lichen Capiteln vorliegen, auf Mißverständnissen beruhen, welche sich in die Ueberlieferung eingeschlichen.

XIII. Das Alter des Menschengeschlechts. Sehr oft wird behauptet: nach der Bibel seien von der Erschaffung des Menschen bis auf Christus 4—5000, also bis zur Gegenwart 6—7000 Jahre verflossen; durch die neueren geologischen und urgeschichtlichen Forschungen

aber sei erwiesen, daß dem Menschengeschlechte ein viel höheres Alter, ein Alter von mindestens 100,000 Jahren zuzuschreiben sei. Beide Behauptungen sind nicht richtig

174

in der christlichen Kirche zugeschrieben wird, beansprucht

sie als Offcnbarungsurkunde, nicht als geschichtliche Ur­ kunde im weitern Sinne.

Die Frage aber, wie lange

die einzelnen Erzväter gelebt, steht mit den religiösen

Wahrheiten der Bibel in gar keinem unmittelbaren und

nothwendigen Zusammenhänge; denn unter dem religiösen Gesichtspunkte betrachtet, ist es ganz gleichgültig, ob z. B. Mcthusala 969 oder 100 Jahre gelebt hat.

Darum

dürfen wir, glaube ich, unbedenklich sagen: der Verfasser

der Genesis hat in den fraglichen Capiteln zwar getreu

ausgezeichnet, was er als Ueberlieferung über die Urahnen seines Volkes vorfand; aber es braucht darum nicht an­

genommen zu werden,

daß diese Ueberlieferung einen

streng historischen Charakter beanspruchen könne.

Auch

katholische Theologen haben die Annahme für zulässig

erklärt, daß die Angaben, wie sie uns setzt in den frag­

lichen Capiteln vorliegen, auf Mißverständnissen beruhen, welche sich in die Ueberlieferung eingeschlichen.

XIII. Das Alter des Menschengeschlechts. Sehr oft wird behauptet: nach der Bibel seien von der Erschaffung des Menschen bis auf Christus 4—5000, also bis zur Gegenwart 6—7000 Jahre verflossen; durch die neueren geologischen und urgeschichtlichen Forschungen

aber sei erwiesen, daß dem Menschengeschlechte ein viel höheres Alter, ein Alter von mindestens 100,000 Jahren zuzuschreiben sei. Beide Behauptungen sind nicht richtig

175

und darum auch nicht die darauf gestützte fernere Be­

hauptung, daß hier ein unvereinbarer Widerspruch zwischen der Bibel und der modernen Wissenschaft vorliege'). Daß von Adam bis Christus 4—5000 Jahre ver­

flossen seien, wird nirgendwo in der Bibel ausdrücklich

gesagt, beruht vielmehr auf der Zusammenrechnung einer großen Anzahl von einzelnen Zeitangaben, die sich in verschiedenen alttestamentlichen Büchern finden.

Diese

Zeitangaben gehören nun jedenfalls nicht zu den Dingen, welche Gott geoffenbart hat, sondern zu denjenigen, welche die alttestamentlichen Geschichtschreiber auf Grund der

Ueberlieferung oder älterer Aufzeichnungen niedergeschrie­ ben haben, und da in religiöser Beziehung die Frage, wie viele Jahrtausende von Adam bis auf Christus oder speciell von Adam bis auf Moses verflossen sind, — denn auf

diese Zeit kommt es hier zunächst an, — von keiner größern Bedeutung ist als die Frage nach der Lebensdauer der einzelnen Erzväter, so braucht nicht unbedingt angenom­

men zu werden, daß die einzelnen Zeitangaben richtig sind. Aber selbst wenn man den Begriff der Inspira­

tion der heiligen Schrift so weit ausdehnt, daß man an­ nimmt, die biblischen Geschichtschreiber seien durch den göttlichen Beistand vor jedem, auch vor jedem die Offen­

barungswahrheiten nicht berührenden chronologischen Irr­ thum bewahrt worden, auch dann bleibt noch ein Dop­

peltes möglich: 1. Die gewöhnliche Deutung der Bibel­

stellen, aus denen wir die alttestamentliche Chronologie

zusammenzustellen haben, kann unrichtig, und 2. der Text dieser Stellen kann verderbt sein. 1) Dgl. Bibel und Natur S. 509 ff.

Wenn uns also auch

176

die Inspiration der biblischen Schriftsteller verbürgte, daß sie keine unrichtigen Zeitangaben niedergeschrieben,

so hätten wir doch keine Bürgschaft dafür, daß die Ab­ schreiber und Uebersetzer diese Angaben unverändert auf

uns gebracht und daß die Ausleger dieselben im Ein­ zelnen richtig verstanden und dann richtig mit einander

combinirt,

wie

denn

ja auch die Bibeltexte bezüglich

der betreffenden Ziffern und die Gelehrten bezüglich der

Berechnung der alttestamentlichcn Chronologie nicht mit einander übercinstimmen. Was speciell die Chronologie der ältesten Zeit be­

trifft, der Zeit, die von der Erschaffung des Menschen

bis zu der Fluth in den Tagen Noe's und von da bis

zur Berufung Abrahams, des Stammvaters des israeli­ tischen Volkes, verflossen, so haben wir für die Berech­ nung derselben nur die Angaben in den beiden schon in

dem vorhergehenden Abschnitte (S. 173) besprochenen Capitel der Genesis, dem fünften und dem elften. Da nun diese Capitel fast nur aus Namen und Ziffern be­

stehen, so können sehr leicht darin Namen und Ziffern

ausgefallen, diese genealogischen Listen also ursprünglich länger gewesen und von den Abschreibern auf die neun oder zehn Glieder verkürzt worden sein, welche unser

jetziger Text darbietet. Wenn also wirklich mit Rücksicht auf die Ausbrei­

tung der Menschheit und die Bildung der verschiedenen Menschenrassen die dreihundert Jahre, welche für die

Zeit von der Sündfluth bis auf Abraham nach der ge­ wöhnlichen Deutung der uns jetzt im elften Capitel der Genesis vorliegenden Angaben herauskommen, zu kurz

177

sind i), und wenn überhaupt mit Rücksicht auf die Er­

gebnisse der historischen und geologischen Forschungen das

Alter des Menschengeschlechts wirklich höher als 6—7000 Jahre angesetzt werden muß,

so

braucht sich

auch ein

Theologe von den strengsten exegetischen Grundsätzen nicht, wie Delitzsch es ausdrückt, „in apologetischer Befangen­ heit gegen eine Deduction des chronologischen Netzes der

Genesis zu sträuben", da eine solche nur eine, theologisch

angesehen, ganz unbedenkliche Verderbniß des Textes zur Voraussetzung haben würde. Wenn wir aber annehmen dürfen, daß der Zeitraum

von der Fluth bis Abraham länger gewesen ist, als die

Zahlen in dem jetzigen Texte des elften Capitels der Ge­ nesis ergeben, so wird eine Einigung über die Chro­

nologie zwischen den Theologen und den Historikern nicht unmöglich sein.

Denn daß die langen Zeiträume, welche

in der Geschichte mancher alten Völker, wie der Juden,

Chinesen, Babylonier u. s. w., vorkommen, auf phantasti­ schen Uebertreibungen beruhen, wird von allen besonnenen

Forschern anerkannt.

Das einzige Volk, von welchem

manche Gelehrte annehmen, daß seine urkundliche Ge­

schichte höher hinaufreiche, als mit der alttestamentlichen Chronologie, wie sie gewöhnlich berechnet wird, vereinbar ist, sind die Aegypter.

Wenn aber auch wirklich, wie die

meisten neueren Forscher auf diesem Gebiete annehmen,

der Anfang der ägyptischen Geschichte um das Jahr 3900 v. Chr. anzusetzen ist, so ist das eine Ziffer, mit welcher sich die alttestamentliche Chronologie jedenfalls viel eher

in Einklang bringen läßt, als mit den 100,000 Jahren,

1) S. o. S. 161. Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.

178

welche, wie man vielfach behauptet, nach den Ergebnissen der

geologischen

und urgeschichtlichen Forschungen die

Menschen schon auf Erden existirt haben sollen.

Lassen

wir also die Frage, wie viele Jahrtausende das Men­

schengeschlecht nach den Angaben der Bibel und nach den Untersuchungen der Aegyptologen existirt hat, vorläufig auf sich beruhen und sehen wir, ob denn wirklich durch die geologischen

und urgeschichtlichen Forschungen der

neuern Zeit der Beweis hergestellt ist, daß das Alter

des Menschengeschlechts viel höher als 6—7000 Jahre angesetzt werden müsse.

Die neueren Versuche, das Alter des Menschenge­ schlechts oder, genauer gesagt, das Alter von menschlichen Reliquien,

die man in verschiedenen Ländern gefunden

hat, auf geologischem Wege zu berechnen, lassen sich im allgemeinen in zwei Gruppen zusammenstcllen.

Erstens hat man menschliche Gebeine, Geräthschaften u. s. w. an verschiedenen Orten in der Erde gefunden,

bedeckt von einer mehr oder minder dicken Schichte Lehm, Torf, Flußablagerungcn, Tropfstein u. dgl.

Jene mensch­

lichen Ucberbleibsel, sagt man nun, haben ursprünglich auf der Oberfläche gelegen, und diese Schichten haben sich

allmählich darüber abgelagert.

Wenn sich also berechnen

läßt, wie viel Zeit letztere zu ihrer Ablagerung gebraucht

haben, so wissen wir auch, vor wie viel Zeit jene mensch­ lichen Gebeine und Geräthschaften noch auf der Ober­

fläche lagen, somit auch

ungefähr die Zeit,

wann

die

Menschen, von denen diese Reliquien herrühren, gelebt

haben.

Um aber berechnen zu können, wie viele Jahr­

hunderte jene Schichten zu ihrer Ablagerung gebraucht

haben, muß man zweierlei wissen: erstens die Dicke der

179

Schichten, und zweitens, wie viel sich in Einem Jahr­

hundert ablagert.

Das Erste läßt sich durch Messung

constatiren; man weiß z. B., daß sich menschliche Geräthe unter einer 30 Fuß dicken Schichte Torf und 40 Fuß

tief in den Ablagerungen des Nil gefunden haben. Aber

das zweite, ebenso nöthige Element der Berechnung ist ganz unsicher,

weil sich unmöglich eine sichere für alle

Zeiten und Orte geltende Formel für das Wachsthum

des Torfes und der Tropfstcinbildungen, für die Zunahme von Flußablagerungen u. s. w. finden läßt.

Zweitens hat man menschliche Gebeine und Geräthschaften an solchen Orten gefunden, wo zu der Zeit, als sie dorthin gekommen sind, das Wasser des Meeres, eines

Sees oder Flusses gestanden haben muß,

während es

jetzt von dort zurückgetreten oder der Boden über dasselbe erhoben ist.

So fand man z.

Schweden Nachen

B. in Schottland und

60 Fuß über dem jetzigen Meeres­

spiegel, in der Schweiz Pfahlbauten in verschiedener Ent­

fernung von dem j ctzigcn Ufer der Seen, im Thale der Somme im nördlichen Frankreich Feuersteingeräthe und

Menschengebeine 80—100 Fuß über dem jetzigen Fluß­ bette.

Das Niveau des Meeres, Sees oder Flusses hat

sich also hier bedeutend geändert.

die Menschen gelebt haben,

Die Zeit, in welcher

von denen jene Dinge her­

rühren, läßt sich in Ziffern angeben, wenn wir ermitteln

können, wie viele Zeit zu der mittlerweile eingetretenen Veränderung des Niveaus und des Verhältnisses von

Wasser und Land erforderlich war.

Um dieses zu be­

rechnen, müssen wir aber wieder nicht bloß wissen, wie bedeutend diese Veränderung ist, — was sich

leicht er­

mitteln läßt, — sondern auch, wie viel von einer derar-

180 tigen Veränderung in einem Jahrhundert eingetreten ist. Letzteres läßt sich aber nicht sicher ermitteln, da derglei­

chen Veränderungen durch sehr verschiedene Ursachen her­ beigeführt und an verschiedenen Orten und zu verschie­ denen Zeiten sehr verschieden sein können. Manche neuere Geologen, welche auf dem einen oder

dem andern dieser beiden Wege Berechnungen angestellt,

haben den Fehler begangen, daß sie entweder die lang­ samste Bildung, welche sich überhaupt durch Beobachtung

conftatiren ließ, oder einen auf wenige Beobachtungen gegründeten Durchschnittssatz als Grundlage für ihre Be­

rechnungen annahmen.

Ein Durchschnittssatz darf aber

überhaupt nicht angewendet werden, da eine geologische

Veränderung an einem Orte und zu einer Zeit sehr langsam, an einem andern Ort und zu einer andern Zeit

sehr rasch vor sich gehen kann, und auf die langsam vor

sich gehenden Veränderungen vorzugsweise Gewicht zu legen, wie das bei den geologischen Berechnungen des Alters des Menschengeschlechts vielfach geschieht, ist eine

unwissenschaftliche Einseitigkeit, da viele bedeutende geo­

logische Veränderungen in verhältnißmäßig kurzer Zeit ebenso sicher constatirt sind.

Es ist ein erfreulicher Beweis für einen wirklichen Fortschritt der Forschung, daß man jetzt die Unhaltbarkeit mancher Behauptungen anerkennt, welche beim Beginne

dieser Untersuchungen vor einigen Deeennien mit großer

Sicherheit ausgesprochen wurden.

Es wird genügen,

einige Beispiele von vielen anzuführen2). Mehrere Gelehrte haben das Alter von Thonscherben und Ziegelsteinen, die man 40 Fuß tief int Nilthale ge­ il Vgl. Bibel und Natur S. 526.

181 funden, auf 12,000 Jahre berechnet, indem sie annahmen, daß sich in Folge der Ueberschwemmungen des Nil der Boden durchschnittlich 3—4 Zoll in einem Jahrhundert

erhöhe.

Durch neuere sorgfältigere Untersuchungen an

Ort und Stelle ist constatirt, daß die Ablagerungen des

Nil viel zu unregelmäßig sind, als daß sich darauf irgend welche Altersberechnungen stützen ließen. — Für ein

Skelett, welches man im Mississippi-Delta bei Neu-Or­

leans gefunden, wurde ein Alter von 57,600 Jahren hcrausgerechnet. Später ist erwiesen worden, daß die thatsächlichen Angaben, worauf sich diese Berechnung stützt, zum Theil unrichtig waren, die Berechnung selbst auf unbegründeten, oft nachweisbar irrigen Voraussetzungen

beruht.

Um die Zuverlässigkeit anderer Berechnungen,

die sich auf amerikanische Funde stützen, ist es ebenso schlimm bestellt.

Am bekanntesten sind die Berechnungen des Alters der sog. Pfahlbauten, welche man seit 1854 in der Schweiz

und in anderen Ländern entdeckt hat').

Einige gingen

dabei von der Entfernung aus, bis zu welcher schweize­ rische Seen seit der Zeit, da die Pfahlbauten bewohnt

waren, zurückgetreten sind, und glaubten annehmen zu dürfen, daß seitdem 4—6000 Jahre verflossen seien. An­

dere gingen von der Dicke eines von einem Wildbache

aufgehäuften Schuttkegels aus und glaubten danach das Alter der ältesten Pfahlbauten auf 5—7000 Jahre an­

setzen zu dürfen.

In neuester Zeit hat aber eine ganze

Reihe von Pfahlbautenforschern alle diese Berechnungen

für unzulässig erklärt und die Pfahlbauten in das letzte 1) Vgl. Bibel und Natur S. 567.

182 Jahrtausend vor Christus versetzt. „Es nöthigt uns nichts,

sagt z. B. Haßlers, gar nichts, in der Zeitbestimmung über das Jahr 1000 vor Christus zurückzugehen.

Ins­

besondere gilt dieses von der Berufung auf die mehr oder minder mächtigen Torfmoore nnd Schuttschichten,

unter welchen die Pfahlbauten theilweise begraben sind.

Denn

es ließe sich leicht Nachweisen, daß hierauf keine

Berechnungen der Zeit gegründet werden können, und zwar schon deßhalb nicht, weil die Art ihrer Entstehung und Weiterbildung durch die verschiedensten Umstände

bedingt und an verschiedenen Orten eine ganz verschie­ dene ist. Nöthigt uns aber nichts, über jene 1000 Jahre

vor Christus zurückzugehen, so spricht vielmehr manches dafür, sie in eine noch jüngere Zeit hcrunterzudrückcn."

Neben diesen, nach dem Gesagten erfolglosen Ver­ suchen, auf eigentlich geologischem Wege das Alter des

Menschengeschlechtes

zu berechnen,

müssen noch einige

andere Versuche erwähnt werden, welche mit den schon in dem vorhergehenden Abschnitte berührten urgeschicht­

lichen Forschungen zusammenhangen. Daß die Eintheilung der vorgeschichtlichen Zeit in die Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit jetzt als willkürlich

erkannt ist, wurde bereits erwähnt.

Die Zeit, welche

man die Steinzeit oder besser die vormetallischc Periode nennen kann, geht für die Länder von Mittel- und NordEuropa einige Jahrhunderte vor Christus zu Ende.

Die

Frage, wie hoch der Anfang dieser Periode hinaufgeht,

ist identisch mit der Frage, wann die betreffenden Länder 1) Deutsche Vierteljahrsschrift 1845, 1. H., S. 80.

und Natur S. 577.

Vgl. Bibel

183 überhaupt bevölkert worden sind, und diese Frage zu

beantworten, bieten uns die Steinwerkzeuge kein Mittel. In manchen Darstellungen der Urgeschichte wird eine

eine ältere und

doppelte Steinzeit unterschieden,

eine

jüngere, die paläolithischc und die neolithische Periode'). In der erster» sollen roh zugehauene, in der zweiten ge­

schliffene Steinwerkzcuge in Gebrauch gewesen sein.

Da­

gegen hat man aber mit Recht bemerkt: aus der verschie­

denen Art und Weise der Bearbeitung der Steinwcrkzeugc könne man nicht mit Sicherheit verschiedene Epochen

innerhalb der Steinzeit hcrleiten; denn es könnten die

Bewohner

einer Gegend geschickt genug gewesen

besser gearbeitete Werkzeuge

sein,

hcrzustcllen, während man

in einer andern Gegend sich mit weniger gut gearbeiteten

behalf; auch finde die verschiedene Bearbeitung der Stein­ werkzeuge vielfach ihre Erklärung in der Verschiedenheit

des benutzten Materials: aus Feuerstein oder Jaspis konnte man durch Zerschlagen mehr oder weniger dünne messerartige Splitter mit scharfer Kante

durch

bloßes

Zuhaucn

andere

gewinnen und

Werkzeuge

anfertigen,

während man sie aus anderen Gesteinen, wie Gneiß, Granit u. dgl., durch Schleifen gewinnen mußte. — Von einer

besondern megalithischen Zeit oder einer Periode

der

großen Stcindenkmäler zu reden, ist darum nicht zulässig, weil die aus großen über einander gelegten oder neben einander gestellten Steinen bestehenden Denkmäler, die sogenannten Dolmen, Cromlechs u. s. w. sicher aus sehr

verschiedenen Zeiten, zum Theil noch aus den christlichen Jahrhunderten stammen. 1) Vgl. Bibel und Natur S. 552.

184 Mit den verschiedenen Abtheilungen der Steinzeit haben dann Einige noch Perioden der Urgeschichte com-

binirt, welche man nach den verschiedenen Thieren benannt hat, mit deren Knochen zusammen man menschliche Ueberreste und Geräthschaften gefunden, von denen man darum

annehmen zu dürfen glaubt, daß sic gleichzeitig mit den

Menschen, von denen letztere herrühren, gelebt haben. Es ist in der That jetzt allgemein anerkannt, daß der Mensch in Mittel-Europa schon existirte, als einzelne

Thicrarten dort noch lebten, die jetzt entweder ganz aus­ gestorben sind oder in jenen Gegenden nicht mehr vor­

kommen.

Das Rcnthier, der Auerochs, das Elenn, der

Bisamochs, der Vielfraß und andere Thiere waren früher

über ganz Mittel-Europa verbreitet, haben sich aber im Laufe der Zeit, so wie das Klima milder wurde und die menschliche Cultur sich weiter verbreitete, theils nach dem Norden, theils nach dem Hochgebirge zurückgezogen.

Man

spricht nun in der Darstellung der Urgeschichte von einer Renthier- und Auerochsen-Periode, und bezeichnet damit

die Zeit,

in welcher jene Thiere noch in. Deutschland,

Belgien, Frankreich u. s. w. lebten, wo man ihre Ge­ beine mit menschlichen Gebeinen oder Geräthschaften zu­

sammen findet.

Diese Perioden kann man aber nur sehr

uneigentlich vorgeschichtliche Perioden nennen; denn das Renthier hat jedenfalls noch zu Julius Cäsars Zeit und der Auerochs (oder richtiger Bison oderMisent) noch im sechsten und siebenten christlichen Jahrhundert in Deutsch­ land existirt.

Auch mit dem Höhlenbären, dem Knochen-

Nashorn und dem Mammuth, die jetzt ganz ausgestorbcn sind,

hat der Mensch in Mittel-Europa gleichzeitig ge­

lebt.

Aber wir brauchen für das Aussterben oder Ber-

185

schwinden dieser Thiere in Mittel-Europa nicht ungeheuere Zeiträume anzusetzen und, wie Oscar Fr aasst sagt, die Zeit, als Renthier, Mammuth, Rhinoceros und Höhlenbär z. B. in Schwaben lebten und der Mensch sich

dort ansicdelte, nicht weiter zurück zu verlegen als in die Blüthezeit des babylonischen Reiches oder in die Zeit von Memphis und seinen Pyramiden.

Alle bisher genannten Thiere,

welche Zeitgenossen

der ältesten Bevölkerung von Mittel-Europa waren, ge­

hören noch der geologischen Periode an, welche man als die posttertiäre, quartäre oder diluviale Periode bezeichnen. Einige Gelehrte haben geglaubt, Spuren der Existenz des Menschen auch schon in einer früheren Periode gefunden zu haben und behaupten zu dürfen, er habe auch schon

in der tertiären oder känozoischen Periode (f. o. S. 156) existirt. Aber die Beweise, welche sie dafür bcibringen,

werden von den bedeutendsten Forschern für ungenügend erklärt.

Erst nach der sogenannten Eiszeit, welche in

Mittel-Europa die Grenzscheidc zwischen der tertiären und

der quartären Periode bildet, ist nach der Ansicht der zuver­

lässigsten Forscher der Mensch in Deutschland und den nördlichen Ländern aufgetreten, und wenn man in Frank­ reich, wo sich keine Eiszeit Nachweisen läßt, Spuren des

Zusammenlebens des Menschen mit dem südlichen Ele­

phanten gefunden zu haben glaubt, so braucht darum nicht eine Elephanten-Periode der Mammuth-Periode vor­

ausgeschickt zu werden, da sich an mehr als Einem Orte Knochen des

südlichen Elephanten

mit Knochen

des

Mammuth und anderer Säugethiere, die noch nach der Eis-

1) Archiv für Anthropologie II, 50.

186 zeit

gelebt haben,

zum Theil noch

leben,

zusammen

findens.

Nach alle dem werden wir also wohl mit K. E. von Baer?) annchmen

dürfen,

daß das Alter des

Menschengeschlechts nicht sehr viel größer sein möge, als man nach den biblischen Nachrichten berechnet hat, womit

der Satz übcreinstimmt, mit welchem Pfaff seine Unter­ suchungen über diesen Gegenstand schließt: „Alle Zahlen,

welche, von natürlichen Zeitmaßen hergenommen, für das Alter des Menschengeschlechts angegeben

werden, sind

höchst unsicher; die zuverlässigsten gehen nicht über 5—

7000 Jahre hinaus" ^). Es ist zuzugebcn, daß sehr bedeutende Forscher nach

dem jetzigen Stande der Untersuchungen sagen zu müssen glauben, die gewöhnlich so genannte biblische Zeitrechnung

sei zu kurz.

Sie halten aber selbst die Untersuchungen,

welche erst in den letzten Jahrzehnten in umfassender

Weise begonnen worden und nach der eigenen Aussage der bethciligten Forscher sehr schwierig und complicirt sind, keineswegs für abgeschlossen, und es bleibt also ab­

zuwarten, ob die Fortführung der Forschung das, was

den Geologen jetzt als wahrscheinlich gilt, bestätigen oder andere Ergebnisse liefern wird.

Die Theologen können,

wie ich bereits gesagt habe, ganz unbedenklich zugeben,

daß die sogenannte biblische Zeitrechnung zu kurz sein,

daß der Anfang des Menschengeschlechts um Jahrhun1) Bibel und Natur S. 559.

2) Studien

aus

dem Gebiete der Naturwissenschaften, 1875,

S. 412. 3) Die neuesten Forschungen und Theorien auf dem. Gebiete

der Schöpfungsgeschichte, 1868, S. 76; vgl. Schöpfungsgeschichte S. 713.

187 berte, ja selbst um einige Jahrtausende höher hinauf datirt werden könne als 4000 Jahre

vor Christus.

Es

handelt sich hier weniger um einen Gegensatz zwischen der

Bibel und der Naturwissenschaft als zwischen der in der

beglaubigten Geschichte angenommenen und der „vorge­ schichtlichen" Chronologie. Als man zuerst anfing, die Ergebnisse der geologi­ schen Forschung mit dem mosaischen Scchstagewerke zu

vergleichen, fand man in jenen eine genaue und auffal­ lende Bestätigung von diesem.

Auf diese erste Periode

der Harmonie zwischen Theologen und Geologen folgte aber eine zweite Periode bitterer Feindseligkeit: die früheren

geologischen Ansichten erwiesen sich als unhaltbar, und die neu gewonnenen geologischen Ergebnisse schienen mit

der Bibel in

unversöhnlichem Widersprüche zu

stehen.

Jetzt leben wir in der dritten und allem Anscheine nach letzten Periode, einer Periode des ehrlichen Friedens: die

Theologen verzichten darauf, in den Ergebnissen der geo­

logischen Forschung glänzende Bestätigungen der biblischen Berichte zu finden; aber sic können beweisen, daß diese Ergebnisse mit den richtig verstandenen Aussagen Bibel auch nicht in Widerspruch stehen.

der

Man hat eben

jetzt, was früher unterlassen wurde und auch wohl noch nicht geschehen konnte, die Grenzen der beiden Gebiete

genau festgesetzt, und bei aufrichtigem Entgegenkommen hat sich eine für beide Theile zufriedenstellende Grenzregulirung

als möglich erwiesen.

Mit der Frage über das Alter des

Menschenge­

schlechts wird cs voraussichtlich ähnlich gehen.

Cuvier

und seine Anhänger meinten, es lasse sich auf geologischem Wege beweisen, daß das Menschengeschlecht etwa 6000

188 Jahre ptt sei; die Geologie liefere also eine Bestätigung

der biblischen Chronologie.

Das war die erste Periode.

Die Ansicht Cuviers und seiner Schüler hat sich als irrig erwiesen, und wir leben jetzt in der zweiten Periode,

wo nach der Meinung Vieler ein unversöhnlicher Gegen­ satz zwischen den Ergebnissen der geologischen und urge-

schichtlichcn Forschungen und nicht nur den vermeintlich biblischen Angaben, sondern auch den von den Historikern vertretenen, von den Bibelauslcgern für zulässig zu er­

achtenden Ansichten über das Alter des Menschengeschlechts hervorgetreten zu sein scheint. Sollte nicht auch hier eine

dritte Periode zu erwarten sein, wo man durch den Fort­ gang der Forschung zu dem Ergebnisse gelangen wird,

daß zwar an eine Bestätigung der sogenannten biblischen Chronologie durch die Geologie nicht zu denken ist, daß aber anderseits die Geologen auch auf eine Bestreitung der historisch begründeten und biblisch zulässigen Chro­

nologie von ihrem Standpunkte verzichten müssen?

XIV. Die Sündfluth. Der Bericht der Genesis über die große Fluth zur Zeit des Noe, die sogenannte Sündfluth,

gehört zwar

nicht zu dem biblischen Schöpfungsberichte, hängt aber so vielfach mit den in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Fragen zusammen, daß einige Bemerkungen

188 Jahre ptt sei; die Geologie liefere also eine Bestätigung

der biblischen Chronologie.

Das war die erste Periode.

Die Ansicht Cuviers und seiner Schüler hat sich als irrig erwiesen, und wir leben jetzt in der zweiten Periode,

wo nach der Meinung Vieler ein unversöhnlicher Gegen­ satz zwischen den Ergebnissen der geologischen und urge-

schichtlichcn Forschungen und nicht nur den vermeintlich biblischen Angaben, sondern auch den von den Historikern vertretenen, von den Bibelauslcgern für zulässig zu er­

achtenden Ansichten über das Alter des Menschengeschlechts hervorgetreten zu sein scheint. Sollte nicht auch hier eine

dritte Periode zu erwarten sein, wo man durch den Fort­ gang der Forschung zu dem Ergebnisse gelangen wird,

daß zwar an eine Bestätigung der sogenannten biblischen Chronologie durch die Geologie nicht zu denken ist, daß aber anderseits die Geologen auch auf eine Bestreitung der historisch begründeten und biblisch zulässigen Chro­

nologie von ihrem Standpunkte verzichten müssen?

XIV. Die Sündfluth. Der Bericht der Genesis über die große Fluth zur Zeit des Noe, die sogenannte Sündfluth,

gehört zwar

nicht zu dem biblischen Schöpfungsberichte, hängt aber so vielfach mit den in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Fragen zusammen, daß einige Bemerkungen

189 darüber einen passenden Abschluß der Erörterungen über die biblische Schöpfungsgeschichte bilden werden').

Der Bericht, welchen der Verfasser der Genesis in den Capiteln

6 bis 9

über

die große Fluth erstattet,

beruht ohne Zweifel auf einer Ueberlieferung, welche sich

von den Augenzeugen her in der Familie der Patriarchen und dem jüdischen Volke erhalten hatte.

nehmen dürfen,

daß der Bericht,

Man wird an­

wie er uns in der

Genesis vorliegt, zwar im Wesentlichen

historisch ist,

aber in Einzelheiten, welche in religiöser Beziehung un­

wesentlich sind, sagenhafte Elemente enthält, wie z. B. in

den Aügaben über die Größe der Arche und dergleichen, — daß also insofern aus dem Berichte nicht genau und zu­

verlässig

erkannt werden kann, wie alles im Einzelnen

wirklich verlaufen ist, sondern wie man sich zur Zeit der Abfassung der Genesis auf Grund der Ueberlieferung den

Verlauf der Ereignisse vorstellte.

Die wichtigste Frage,

welche

bei der

Erörterung

des Verhältnisses des Fluthberichtes zu den Ergebnissen der Naturforschung in Betracht kommt, ist die, ob und

in welchem Sinne die Fluth in der Bibel als eine uni­

verselle dargestellt werde.

In der ältern Zeit ist die

Ansicht die allgemein verbreitete gewesen, — und sie wird

noch von manchen Theologen?) für die richtige gehalten,

— der Bericht der Genesis

sei so zu verstehen,

daß

das Wasser im buchstäblichen Sinne „alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel

bedeckt und fünfzehn Ellen

hoch über den Bergen gestanden habe" (Gen. 7, 19. 20),

1) Vgl. Bibel und Natur S. 289.

2) z. B. von A. Bosizio, Die Geologie und dieSündsiuth, 1877.

190 daß also die Fluth eine universelle in der strengsten Bedeu­ tung gewesen sei.

Von nicht wenigen und sehr angesehe­

nen Theologen der neuern Zeit wird aber mit Recht die Allgemeinheit der Fluth

anders verstanden').

Sie

ist nur eine universelle in dem Sinne gewesen, daß alle

Menschen mit Ausnahme der acht, welche in der Arche

waren, als ein

Daß die Fluth in diesem Sinne,

untergingen.

vernichtendes

Strafgericht über

die

sündige

Menschheit, allgemein war, darauf kommt es dem bibli­ schen Berichterstatter an; ob sie auch als Naturereigniß, als Ueberschwemmung universell war, das ist, unter dem

religiösen Gesichtspunkte betrachtet,

ein Punkt von ganz

untergeordneter Bedeutung.

Den Satz, daß „alle hohen Berge unter dem ganzen

Himmel" vom Wasser bedeckt gewesen seien, brauchen wir ebenso wenig strenge buchstäblich zu ähnliche

nehmen wie andere

welche in der Bibel vorkommen.

Ausdrücke,

Wenn die Worte vom Standpunkte des Noe aus gespro­

chen sind,

so haben wir zunächst nur diejenigen Berge

zu verstehen, welche in seinem Gesichtskreise lagen. wenn es weiter heißt,

Und

das Wasser habe fünfzehn Ellen

hoch über den Bergen gestanden, so scheint diese Angabe

daß die Arche fünfzehn Ellen

tief

im Wasser ging und Noe also aus ihrer Landung

auf

darauf zu beruhen,

dem Berge, der weit umher der höchste war, schloß, daß

das Wasser noch

1) Vgl. Bibel

um fünfzehn Ellen höher

und Natur S.

297,

Anm. 2.

gestanden

Diese Ansicht

wird namentlich von dem gelehrten Jesuiten Pianciani vertheidigt und auch

von seinen Ordensgenoffen Niccolai,

Bellynck für zulässig erklärt.

Schouppe und

191 haben müsse.

Wenn es heißt, die Arche sei auf den

„Ararat-Bergen"

gelandet (Gen.

8,

4),

so braucht

dabei nicht nothwendig an die höchste Spitze des Ararat-

Gebirges gedacht zu werden, welche 16,000 Fuß über der Meeresfläche liegt; cs kann auch irgend ein anderer Berg im östlichen Armenien, — dieses heißt im Alten

Testamente Ararat, — gemeint sein. Nach dieser Auffassung hätten wir uns

also die

Sündfluth nicht als eine allgemeine Ueberfluthung der

ganzen Erde zu denken, aber als eine Ueberfluthung des damals von Menschen

bewohnten

Theiles von Asien,

die stellenweise vielleicht mehrere tausend Fuß über die Meeresfläche stieg. Wenn frühere Geologen directe geologische Beweise für die Wirklichkeit einer Ueberfluthung, wenigstens

eines Theiles der Erde, in der historischen Zeit, — d. h. in der Zeit als die Erde schon von Menschen bewohnt war, — gefunden zu haben glaubten, so wird jetzt ziemlich

allgemein anerkannt, daß das auf einem Irrthum be­ ruhte.

Es ist von vornherein gar nicht einmal wahr-

scheinlich, daß eine Fluth, die nur etwa ein Jahr dauerte, Spuren zurückgelgssen haben sollte, die jetzt, nach Jahr­

tausenden, noch nachgewiesen und von den durch andere

Ueberschwemmungen zurückgelassenen Ablagerungen noch unterschieden werden könnten.

Aber

die Möglichkeit

einer Ueberfluthung der bezeichneten Art wird von Seiten der Geologie nicht bestritten werden können. „Der Streit

über den mosaischen Bericht über die Sündfluth, sagt Fr. Pfaff'), ist für den Naturforscher gegenstandslos

1) Schöpfungsgeschichte, 2. Aust., S. 750.

192

geworden durch das Zugeständniß von Seiten der Theo­

logen,

daß es nicht unerläßlich sei,

den Bericht der

Genesis so zu deuten, als ob buchstäblich alle Berge auf dem Erdkörper gleichzeitig überfluthet gewesen seien, son­

dern nur so,

daß durch eine gewaltige Wasscrmasse die

ganze Menschheit vertilgt worden sei.

das Zugeständniß der Auffassung einer partialen Ueberfluthung.

Es

liegt darin

der Sündfluth

als

ist

den

Damit

aber

Naturforschern jeder Anhaltspunkt zu einer Einsprache entzogen, indem solche partiale Fluthen, auch abgesehen

davon, daß sich in den Traditionen fast aller Völker die Nachricht von einer solchen findet,

nicht als etwas be­

zeichnet werden können, was nicht eingetrcten sein könne

oder nicht eingetretcn sei."

Wie die Ueberfluthung des damals von den Men­

schen bewohnten Theiles der Erde herbeigeführt wurde, ob das außer einem anhaltenden Regen (dem „Oeffnen

der Schleusen des Himmels")

erwähnte Uebertreten des

Meeres und der Flüsse („das Aufbrechen aller Brunnen

«der Quellen der großen Tiefe", Gen. 7, 11. 12;

durch Hebungen und

8, 2)

Senkungen einzelner Theile der

Erdoberfläche bewirkt wurde,

darüber läßt sich nichts

Genaueres sagen. Wenn der Bericht über die Fluth nicht so verstan­

den zu werden braucht, daß die ganze Erde überschwemmt

worden sei, so brauchen auch die Sätze nicht buchstäblich verstanden zu werden, in welchen die Genesis berichtet,

Noe habe Paare von „allen Thieren" mit in die Arche genommen

seien „alle Wesen, welche

(7, 2. 8), und es

auf dem Erdboden waren, übrig geblieben Noe und

vertilgt worden

was

und

nur

mit ihm in der Arche

193 Es wäre ja allerdings nicht nur unmög­

war" (7, 23).

lich gewesen, buchstäblich

alle Thiere (auch abgesehen

von den Wasscrthieren) zusammen- und

in

der Arche

unterzubringen;

wir würden uns auch die Verbreitung

der Thiere über

alle Festländer und Inseln von dem

Mittelpunkte der Arche aus nicht vorstellen können. Wenn die Sündstuth

nach dem biblischen Berichte

wesentlich als Strafgericht

über die Menschheit

anzu­

sehen ist, so folgt, wie Pianciani hervorgehoben hat,

daraus, daß alle Menschen außerhalb der Arche umkamen, nicht nothwendig, daß auch alle Thiere umgekommen sein

müßten. Und wenn der biblische Bericht über die Sündfluth überhaupt ein von dem Standpunkte des Noe und der ©einigen geschriebener Bericht ist. so werden wir den

Satz: von allen Thieren seien Paare in die Arche ge­ kommen,

ebenso wenig buchstäblich zu nehmen

wie den

Satz:

alle

hohen Berge

brauchen

unter dem

Himmel seien von Wasser bedeckt gewesen.

ganzen

Wenn es sich

in diesem letzten Satze, wie wir gesehen haben, zunächst

um

die Berge im Gesichtskreise des Noe handelte,

dürfen wir auch annehmen,

daß es

Satze zunächst um die Thiere handelt, welche,

litzsch sagt,

so

sich in dem ersten wie De­

„in irgend welche factische Beziehung zum

Menschen getreten waren und irgendwie seine Aufmerk­ samkeit und Theilnahme auf sich gezogen hatten". waren ja für Noe „alle Thiere"; diejenigen,

Das

welche er

nicht kannte, cxistirten für ihn nicht, und daß ihn Gott über die Existenz der ihm fremden Thiere belehrt und

ihm

die Einfangung

derselben aufgetragen,

oder daß

Gott auch von den dem Noe sonst ganz fremden Thieren

Paare herbeigeführt habe, Reu sch, bibl. Schbpfungsgcsch.

um sie in der Arche zu er13

194 halten: das wird man zwar auf dem bibelgläubigen nicht geradezu als unmöglich bezeichnen nicht genöthigt sein, die

Standpunkte

dürfen, aber man wird doch

Wunder in dieser Weise zu häufen, wenn uns die Worte der heiligen Schrift nicht dazu nöthigen. Und das ist nicht der Fall.

„Dem Noe, sagt Pianciani, wurde nicht das Un­

mögliche befohlen, und er that nicht mehr, als er konnte. Wäre ein solcher Befehl, alle Thiere zu sammeln, an Jemand ergangen, der über viel größere Mittel gebot

als Noe, z. B. an Alexander den Großen oder Augustus: sie würden gewiß die reichhaltigste Menagerie zusammen­ gebracht haben, die man je gesehen; aber es würden doch

alle damals in Europa nicht bekannten und ausschließlich in Amerika oder Australien einheimischen Thiere gefehlt

haben. Sollte Noc's zoologische Sammlung vollständiger gewesen sein?" Wie die Sündfluth um der Menschen willen kam,

so wurde auch die Arche zunächst um der Menschen willen gebaut. ausdrückt,

Es gereuet Gott,

im Hinblicke

tote die Genesis sich

auf die allgemein gewordene

Sündhaftigkeit, die Menschen geschaffen zu haben.

Da­

rum macht er sein Schöpfungswerk zum großen Theile

gleichsam wieder ungeschehen; er führt

einen ähnlichen

Zustand der Erde herbei, wie er in der Mitte der sechs Schöpfungstage war: das Wasser bedeckt wieder die Erde.

Nachdem das Strafgericht ausgeführt ist, tritt das Land wieder aus dem Wasser hervor, wie am dritten Tage.

Gott hat aber nicht eine neue Schöpfung, sondern nur eine Umbildung der vorhandenen beabsichtigt und eine Restitution derselben in den ursprünglichen Zustand, wie

195 er vor der allgemeinen Verderbniß war;

darum hat er

von dem Menschengeschlechte diejenigen erhalten,

welche

von der Verderbniß unberührt geblieben waren:

darum

bleibt

auch die alte Pflanzenwelt, und

die Thierwelt,

als deren Beherrscher die Menschen im Anfänge einge­ setzt waren, wird in ähnlicher Weise wie die Menschheit

aus der alten Zeit in die neue herüber gerettet.

Das

ist die geschichtliche und religiöse Bedeutung der Sündfluth.

Dabei kam es also weniger auf die Erhaltung

der gesummten Thierwelt an, wie sie die Zoologie kennt,

als auf die Erhaltung der gesarnrnten Thiermelt, wie sie die damaligen Menschen kannten, und wir treten also dem Berichte der Bibel über die Fluth als ein wichtiges

Ereigniß der heiligen Geschichte gar nicht zu nahe, wenn wir das, was sie von dem „Umkommen alles Fleisches auf der Erde" (7, 21) sagt,

nicht von dem Umkommen

aller nicht in der Arche befindlichen Thiere verstehen und annehmen, daß nur die Thierwelt, so weit sie Noe und den ©einigen bekannt war, in der Arche vollständig rc-

präsentirt war.

Müßte man annehmen, daß alle Landthiere von den in der Arche

erhaltenen Thieren abstammen,

so

würde man in ähnliche Schwierigkeiten gerathen, wie sie der früher (S. 48) erwähnten Ansicht

im Wege stehen,

daß ursprünglich nur je Ein Paar von jeder Thierart

geschaffen sei.

Wie sich die Thiere von dem Orte aus,

wo die Arche landete, über die ganze Erde verbreitet haben sollen, ist ebenso schwer zu erklären, als wie Paare von allen Thierarten in der Arche versammelt gewesen sein

könnten. „Es werden doch, sagt Pia n e ia ni, nicht ganze

Arten von Landthieren über die Meere gesetzt sein,

um

196 das Vergnügen zu haben, sich in Amerika anzusiedeln.

Sicher haben die kleinen Schaaren von Menschen, welche zuerst Amerika und Oceanicn bevölkerten,

ohne Rinder

und Pferde mitzunehmen, nicht eine Thierwelt nach dem

mitgebracht,

neuen Festlande

welche von

Contincntes ganz verschieden ist.

der

unseres

Auch werden nicht auf

Eisbergen so viele Thiere, deren Arten sich in der alten Welt nicht finden, nach den warmen Gegenden der neuen Welt hinüber gereist sein,

wenn auch

im Norden das

Renthier, der Eisbär u. s. w. auf diese Weise von einem

Lande

zuni andern

fügt Pfaffs bei,

kommen konnten."

haben die der

„Und warum,

langsamsten

Ortsbe­

wegung fähigen Thiere, wie z. B. die Faulchiere, alle den weitesten Weg zurückgelegt, ohne wenigstens einzelne

Repräsentanten

unterwegs zurückzulassen,

sind die mit der

wie z. B. die Pferde, geblieben?

und warum

raschesten Ortsbewegung

versehenen,

auf dem alten Continent zurück­

Von welchem Standpunkte aus

man die

Vorstellung, daß alle Thierarten der Erde, die für das kälteste wie die für das wärmste Klima geschaffenen, von

Einem Paare und von Einem Punkte ausgegangen seien, auch betrachten möge, desto augenscheinlicher stellt sich die

Unmöglichkeit derselben heraus."

Dagegen können,

wie

Giebel?) sagt, „alle Thiere, welche die Juden jenes Zeit­

alters", in welchem die Genesis verfaßt wurde, „kannten

und für welche sie sich interessirten", also

die Thiere,

von welchen wir anzunehmen haben, daß sie in der Arche

1) Schöpfungsgeschichte,

1. Aufl., S. 653.

Vgl. Bibel

und

Natur S. 326. 2) Tagesfragen aus der Naturgeschichte, 3. Ausl., 1859, S. 72.

197 vertreten waren,

„ganz

gut vom Ararat

her sich ver­

breitet haben". Es wird also

zuzugeben sein, daß die Auffassung

des Sündfluth-Bcrichtes,

wie

sie wenigstens

bei den

älteren Theologen die herrschende ist, die Annahme einer ganzen Reihe von Wundern, theilweise der auffallendsten

Art, nöthig macht. Nehmen wir aber nicht alles in dem Berichte buchstäblich, — und dazu sind wir nach dem

Gesagten berechtigt, — und nehmen wir weiter an,

daß

der Bericht auf einer allerdings im Wesentlichen richtigen,

im Einzelnen aber sagenhaft ausgebildeten Ueberlieferung beruht, — und auch mit dieser Annahme treten wir, da

es sich dabei nicht um religiös bedeutsame Dinge handelt, dem Ansehen der Bibel gegen den

biblischen

nicht zu nahe, — so wird sich

Bericht

von Seiten

wissenschaften nichts einwenden lassen.

der Natur­

Berichtigungen. S.

42 Z. 5 v. o. st. „von Tag und Nacht" l. „von Hell und Dunkel".

S.

65 Z. 3 v. o. st. „die eine, Hebdomas" l. „die eine Hebdomas".

S. 177 Z. 13 v. u. st. „Juden" l. „Inder". S. 182 Z. 14 v. o. st. „herunterzudrücken" l. „herunterzurücken".

Im selben Verlag erschienen:

Mißet und Aatur. Vorlesungen über

die

mosaische Urgeschichte und ihr Verhältniß jn den Ergebnissen der Naturforschung. Von

Dr. Fr. Heinrich Neusch, Professor der kalhol. Theologie an der Universität zu Benn.

Wierte

bedeutend vermehrte und theilweise umgearbeitete Auflage,

gr. 8°.

381/2 Bogen.

Preis 8 Mark 50 Psg.

Das Buch ist zuerst 1862 erschienen und hat seitdem in drei starken Auflagen und vier Uebersetzungen, einer französischen, einer italienischen, einer holländischen und einer ungarischen, eine weite Ver­ breitung gefunden. Auf ausgebreitete und eingehende Studien gestützt, behandelt der Verfasser in einer für alle Gebildeten verständlichen und anziehen­ den Darstellung die biblischen Berichte über die Urgeschichte und ihr Verhältniß zu den Ergebnissen der Naturforschung. Nach einigen ein­ leitenden Abschnitten wird zunächst der biblische Schöpfungsbericht und fein Verhältniß zur Astronomie und Geologie ausführlich besprochen, woran sich eine kürzere Erörterung über die Sündsluth anschließt. Dann folgen Erörterungen über die Entstehung der organischen Wesen, über die Darwinsche Descendenztheorie, über das Verhältniß von Mensch und Thier, über die Einheit des Menschengeschlechts, über das Alter des Menschen und über die modernen Darstellungen der vor­ historischen Zeit. Für die neue Auflage ist der erste Theil sorgfältig revidirt und Dielfach verbessert, der zweite Theil mit Rücksicht auf den Fort­ schritt der wissenschaftlichen Forschungen und die in den letzten Jahren erschienenen Schriften umgearbeitet und bedeutend erweitert.

Ms de Icon und

die spanische Inquisition. Von

Dr. Fr. Heinrich Reusch, Professor der katholischen Theologie an der Universität zu Bonn.

1873.

8 Bogen gr. 8°.

Preis 1 Mark 80 Psg.

Luis de Leon, Augustiner-Mönch und Professor zu Salamanca^ einer der bedeutendsten spanischen Dichter und der gelehrtesten Theologen des 16. Jahrhunderts, wurde 1572 auf Befehl der Inquisition verhaftet und in einen Proceß verwickelt, welcher beinahe fünf Jahre dauerte und mit der Entlassung des Angeklagten aus dem Gefängnisse und der Wiedereinsetzung desselben in sein Lehramt endete. Die int Jahre 1847 zu Madrid in zwei Bänden veröffentlichten Acten dieses Processes sind wohl die umfangreichste und merkwürdigste Sammlung, von Acten eines Jnquisüions-Processes, welche überhaupt bekannt ist. Die ausführliche und genaue Darstellung, welche auf Grund dieser Acten und anderer Quellen in der oben erwähnten Schrift von dem Processe gegen Luis de Leon gegeben wird und andere daran sich an­ schließende quellenmäßige Mittheilungen bieten ein sehr anschauliches Bild von dem Verfahren der spanischen Inquisition und sind wohl eher geeignet einen richtigen Einblick in das Wesen und Wirken dieser furchtbaren Institution zu eröffnen, als allgemeine Schilderungen der­ selben. Die Schrift enthält außerdem interessante Mittheilungen über die dichterischen und theologischen Arbeiten des Luis de Leon und über mehrere spanische Theologen und Schriftsteller des 16. Jahrhunderts und ist insofern auch ein wichtiger Beitrag zur spanischen und zur theologischen Literaturgeschichte.

Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn,